Der Bauvertrag nach den FIDIC Conditiöns · ZVB [BAUVERTRAGSRECHT] 232 -+ Unvorhersehbare...

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-+ Verfahrensfehler sind dann möglicherweise korri- gierbar, wenn eine Korrektur mit den Grundsätzen der Transparenz und der Bietergleichbehandlung vereinbar wäre. -+ In Österreich scheint ein restriktives Verständnis der Korrigierbarkeit von Verfahrensfehlern vorzuherr- schen, welches die Einhaltung der Form den Grund- sätzen der Transpare.nz und der Bietergleichbehand- lung nicht unterordnet und dazu führt, dass nicht wie- derholbare Verfahrensschritte auch unter Wahrung dieser Grundsätze nicht korrigiert werden dürfen. -+ Dem EuG zufolge darf ein verspätetes Angebot auch dann nicht akzeptiert werden, wenn die Ver- spätung auf eine fehlerhafte Übermittlung der Aus- schreibungsunterlagen an diesen Bieter zurückgeht und der Bieter daher für die Ausarbeitung seines Angebotes weniger Zeit zur Verfügung hatte als seine Mitbewerber. -+ Nach einer vom BVA entwickelten Judikaturlinie darf ein mängelfreies Angebot nicht akzeptiert wer- den, wenn dem AG bei der Angebotsverlesung ein Fehler insbes hinsichtlich des Preises unterlaufen ist. -+ Diese restriktive Sichtweise der Korrigierbarkeit von Verfahrensfehlern beruht - trotz Unklarheit auch der Rechtslage nach europäischem Vergabe- recht - wahrscheinlich nicht auf Vorgaben des eu- ropäischen Vergaberechts, sondern stellt eine Form des "gold plating" durch die österr Vergabepraxis dar. (BAUVER·r RAGSRECHT] I Der Bauvertrag nach den FIDIC Conditiöns Teil IV: Risikoverteilung, Force Majeure, Claims, Streitbeilegung Für internationale Bauvorhaben bietet sich die Verwendung internationaler Ver- tragsmuster an. Im Dezember 2017 wurde eine Neuauflage der weit verbreiteten FIDIC Conditions veröffentlicht. ln vier Teilen werden die wesentlichen Vertragsbe- dingungen des "Red Book" sowie die Änderungen der Neuauflage gegenüber der 1st Edition vorgestellt. 1 l Von Ursula Gallistel Inhaltsübersicht: A. Risikoverteilung 1 . Risikotragung 2. Force Majeure B. Claims 1. Ansprüche des Contractors (1 st Edition) 2. Ansprüche des Employers (1 51 Edition, SCI2.5) 3. Wesentliche Änderungen der 2nd Edition C. Streitbeilegung A. Risikoverteilung 1. Risikotragung Die Risikoverteilung ist in den FIDIC Conditions in Cl 17 geregelt. Dazu kommen Bestimmungen über Versicherungen in Cl18 (neu: Cl19) und die Regelun- gen über Force Majeure in Cl 19 (neu: Exceptional Events, Cl 18). Diese drei Klauseln stehen in engem Zusammenhang. In SCl17.1 (neu: 17.4 und 17.5) wird geregelt, wer für Personen- und Sachschäden haftet, die durch Planung, Ausführung und Fertigstellung des Werks verursacht wurden. Ob eine Haftung über- haupt besteht, richtet sich nach dem jeweils anwendba- ren Recht. 2 > Im Vertrag wird nur geregelt, wer den Schaden letztlich tragen muss. Für Personenschäden haftet der Contractor ver- schuldensunabhängig, ausgenommen es liegt zumin- dest Fahrlässigkeit auf Seiten des Employefs vor. Genau umgekehrt ist die Regelung bei Sachschäden. Hier haf- tet der Contractor nur, wenn er (oder eine ihm zure- chenbare Person) zumindest fahrlässig gehandelt hat ("negligence, wilful act or breach of the Contract"). Für Schäden an dem herzustellenden Werk selbst, an Anlagen, Maschinen und Materialien sowie an Un- terlagen haftet grundsätzlich der Contractor, und zwar vom Commencement Date bis zur Ausstellung des Ta- king-Over Certificates, danach nur noch bei Verschul- den. SCl17.3 (neu: 17.2) listet jene Ausnahmefälle auf, in denen der Employer die Kosten zu tragen hat. Dazu zählen -+ Unbeherrschbare Risiken wie Krieg, Aufstände und Terrorismus im Land der Baustelle, Schäden durch Kriegsmunition oder radioaktive Strahlung -+ Tätigkeiten des Employers: Gebrauch vor Über- nahme, eigene Planungsleistungen -+ 1) Teil I: Systematik und Aufbau, Verhältnis zu nationalen Regelungen, Vertragsbestandteile; Teil II: Vertragsparteien, die Roll e des Engi - neer, Bauzeit, Leistungsänderungen; Teillll: Einstellung und Ver- tragscktritt, Abrechnung, Übernahme und Gewährleistung; Teil IV: Risikoverteilung, Force Majeure, Claims, Streitbeilegung. 2) Hussian in Weselik/Hamerf, Handbuch des internationalen Bauver- trags 250. -+ Ursula Gallistel Der Bauvertrag nach den FIDIC-Condi tions ZVB 2018/61 231

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-+ Verfahrensfehler sind dann möglicherweise korri­gierbar, wenn eine Korrektur mit den Grundsätzen der Transparenz und der Bietergleichbehandlung vereinbar wäre.

-+ In Österreich scheint ein restriktives Verständnis der Korrigierbarkeit von Verfahrensfehlern vorzuherr­schen, welches die Einhaltung der Form den Grund­sätzen der Transpare.nz und der Bietergleichbehand­lung nicht unterordnet und dazu führt, dass nicht wie­derholbare Verfahrensschritte auch unter Wahrung dieser Grundsätze nicht korrigiert werden dürfen.

-+ Dem EuG zufolge darf ein verspätetes Angebot auch dann nicht akzeptiert werden, wenn die Ver­spätung auf eine fehlerhafte Übermittlung der Aus­schreibungsunterlagen an diesen Bieter zurückgeht

und der Bieter daher für die Ausarbeitung seines Angebotes weniger Zeit zur Verfügung hatte als seine Mitbewerber.

-+ Nach einer vom BVA entwickelten Judikaturlinie darf ein mängelfreies Angebot nicht akzeptiert wer­den, wenn dem AG bei der Angebotsverlesung ein Fehler insbes hinsichtlich des Preises unterlaufen ist.

-+ Diese restriktive Sichtweise der Korrigierbarkeit von Verfahrensfehlern beruht - trotz Unklarheit auch der Rechtslage nach europäischem Vergabe­recht - wahrscheinlich nicht auf Vorgaben des eu­ropäischen V ergaberechts, sondern stellt eine Form des "gold plating" durch die österr Vergabepraxis dar.

(BAUVER·r RAGSRECHT] I

Der Bauvertrag nach den FIDIC Conditiöns Teil IV: Risikoverteilung, Force Majeure, Claims, Streitbeilegung

Für internationale Bauvorhaben bietet sich die Verwendung internationaler Ver­tragsmuster an. Im Dezember 2017 wurde eine Neuauflage der weit verbreiteten FIDIC Conditions veröffentlicht. ln vier Teilen werden die wesentlichen Vertragsbe­dingungen des "Red Book" sowie die Änderungen der Neuauflage gegenüber der 1st

Edition vorgestellt. 1l

Von Ursula Gallistel

Inhaltsübersicht:

A. Risikoverteilung 1 . Risikotragung 2. Force Majeure

B. Claims 1. Ansprüche des Contractors (1 st Edition) 2. Ansprüche des Employers (1 51 Edition, SCI2.5) 3. Wesentliche Änderungen der 2nd Edition

C. Streitbeilegung

A. Risikoverteilung

1. Risikotragung Die Risikoverteilung ist in den FIDIC Conditions in Cl 17 geregelt. Dazu kommen Bestimmungen über Versicherungen in Cl18 (neu: Cl19) und die Regelun­gen über Force Majeure in Cl 19 (neu: Exceptional Events, Cl 18). Diese drei Klauseln stehen in engem Zusammenhang. In SCl17.1 (neu: 17.4 und 17.5) wird geregelt, wer für Personen- und Sachschäden haftet, die durch Planung, Ausführung und Fertigstellung des Werks verursacht wurden. Ob eine Haftung über­haupt besteht, richtet sich nach dem jeweils anwendba­ren Recht.2> Im Vertrag wird nur geregelt, wer den Schaden letztlich tragen muss.

[2018] 'l~

Für Personenschäden haftet der Contractor ver­schuldensunabhängig, ausgenommen es liegt zumin­dest Fahrlässigkeit auf Seiten des Employefs vor. Genau umgekehrt ist die Regelung bei Sachschäden. Hier haf­tet der Contractor nur, wenn er (oder eine ihm zure­chenbare Person) zumindest fahrlässig gehandelt hat ("negligence, wilful act or breach of the Contract").

Für Schäden an dem herzustellenden Werk selbst, an Anlagen, Maschinen und Materialien sowie an Un­terlagen haftet grundsätzlich der Contractor, und zwar vom Commencement Date bis zur Ausstellung des Ta­king-Over Certificates, danach nur noch bei Verschul­den. SCl17.3 (neu: 17.2) listet jene Ausnahmefälle auf, in denen der Employer die Kosten zu tragen hat. Dazu zählen -+ Unbeherrschbare Risiken wie Krieg, Aufstände und

Terrorismus im Land der Baustelle, Schäden durch Kriegsmunition oder radioaktive Strahlung

-+ Tätigkeiten des Employers: Gebrauch vor Über-nahme, eigene Planungsleistungen -+

1) Teil I: Systematik und Aufbau, Verhältnis zu nationalen Regelungen, Vertragsbestandteile; Teil II: Vertragsparteien, die Rolle des Engi ­neer, Bauzeit, Leistungsänderungen; Teillll: Einstellung und Ver­tragsrücktritt , Abrechnung, Übernahme und Gewährleistung; Teil IV: Risikoverteilung, Force Majeure, Claims, Streitbeilegung.

2) Hussian in Weselik/Hamerf, Handbuch des internationalen Bauver­trags 250.

-+ Ursula Gallistel Der Bauvertrag nach den FIDIC-Conditions

ZVB 2018/61

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ZVB [BAUVERTRAGSRECHT]

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-+ Unvorhersehbare Naturgewalten oder solche, gegen die Schutzmaßnahmen vernünftigerweise nicht er­wartet werden können

-+ Zusätzliche Anspruchsgrundlagen aus Risiken erge­ben sich aus anderen SCls, wie zB Witterungsein­flüsse (SCl 8.4; neu: SCl 8.5), Funde (SCl 4.24; neu: SCl 4.23) oder Gesetzesänderungen (SCl 13.7; neu: SCl 13.6).

Der Contractor muss seinen Anspruch nach SCl 20.1 (neu: SC! 20.2, Contractor's Claims, siehe unten) gel­tend machen. Voraussetzung für einen Kostenersatz ist, dass das jeweilige Ereignis auch tatsächlich negative Auswirkungen auf die Leistungserbringung hatte. Hierfür ist der Contractor beweispflichtig. Ist der Em­ployer für den Schaden verantwortlich (zB bei vorzei­tiger Nutzung), steht dem Contractor zusätzlich zu den Kosten ein angemessener Gewinnanteil zu.

Praxisti p

Zu beachten ist, dass der Contractor dem Engineer zuerst die entstandenen Schäden und Verluste an­zeigen muss. Nur auf Anordnung ("to the extent re­quired") des Engineers dürfen (und müssen) die Schäden behoben werden. Neu in der 2"d Edition 1st, dass derartige Anordnungen des Engineers aus­drücklich als Variation by Instruction (SCl 13.3.1) gelten. Im zweiten Schritt erfolgt- binnen 28 Tagen - die Anzeige über die entstandenen Verzögerun­gen und/oder Kosten nach SC120.1 (neu: SC120.2).

SC117.6 schließt eine Haftung für entgangenen Nutzen der Leistung, entgangenen Gewinn, inadäquate Schä­den und Folgeschäden weitgehend aus. Diese Bestim­mung findet sich in der 2"d Edition vorgezogen unter SC11.15. Eine Begrenzung der Höhe nach kann in den Particular Conditions vorgesehen werden.

Cl 18 (neu: Cl19) regelt eine weitgehende Versiche­rungspflicht (für Sach- und Personenschäden, Schäden an der Bauleistung und Goods, sowie Arbeitsunfälle und eine Berufshaftpflichtversicherung), um sicherzu­stellen, dass im Schadensfall auch eine entsprechende Leistung erfolgen kann.

2. Force Majeure

In Cl 19 (neu: Cl 18) finden sich Regelungen für den Fall, dass die Vertragserfüllung vorübergehend oder dauerhaft unmöglich wird. Als Force Majeure (neu: Ex­ceptional Events) werden in SCl 19.1 (neu: SCl 18.1) Ereignisse und Umstände definiert, die unkontrollier­bar, unvermeidbar, nicht zu bewältigen und nicht von einer Partei verursacht sind. Danach folgt eine beispiel­hafte Auflistung derartiger Ereignisse oder Umstände (Krieg, Aufstände, Bürgerkrieg, Unruhen, Streik, Kriegsmunition, Radioaktivität, Erdbeben usw). Für Abwehrmaßnehmen gegen ein Risiko, das nach SCl 17.3 (neu: SCl 17.2) dem Employer zugeordnet ist, steht dem Contractor wohl ein Entgelt zu.3l

Wird eine Partei durch Force Majeure an der Erfül­lung vertraglicher Verpflichtungen gehindert, hat sie dies der anderen Partei binnen 14 Tagen nach Erkenn­barkeit mitzuteilen (SC119.2, neu: SC118.2). Vertrags­pflichten, die davon nicht betroffen sind, sind weiter zu

-+ Ursula Gallistel Der BaLNertrag nach den FIDIC-Condrtions

erbringen. Zahlungsverpflichtungen können wegen Force Majeure nicht ausgesetzt werden. Auch der Weg­fall der hindernden Umstände ist der Gegenpartei an­zuzeigen. Ähnlich wie unter Cl 17 ist auch bei Force Majeure nach SC119.4 (neu: SC118.4) eine zusätzliche Anmeldung der Ansprüche auf Bauzeitverlängerung und Mehrkosten erforderlich.

Achtung: Der Anspruch auf Bauzeitverlängerung besteht in allen in SC119.1 (neu: 18.1) aufgezählten Fällen von Force Majeure. Mehrkosten dagegen werden im Fall von Aufständen, Bürgerkrieg, Streik, Kriegsmunition und Radioaktivität (Fälle ii-iv SC119.1, neu: 18.1) nur dann ersetzt, wenn diese Umstände im Land der Baustelle eintreten.

Dauert die Unterbrechunglänger als 84 Tage oder sum­mieren sich mehrere Unterbrechungen auf mehr als 140 Tage und ist die Leistungserbringung in wesentli­chen Teilen behindert, so hat jede Partei die Möglich­keit, den Vertrag aufzulösen (SCl 19.6, neu: SC118.5) . Die weitere Vorgehensweise richtet sich nach SC116.3 (Cessation ofWork, siehe Teil III). Bei der Endabrech­nung sind die bereits erbrachten Leistungen und erfolg­ten Lieferungen voll abzugelten. Entstehen aus ·der Be­endigung der Arbeiten zusätzliche Kosten (zB frust­rierte Aufwendungen, Sicherungsarbeiten), so werden diese ohne Gewinnzuschlag vergütet.

Macht ein Ereignis außerhalb der Kontrolle der Par­teien die weitere Vertragserfüllung unmöglich oder ge­setzwidrig, so ist bzw sind die Partei( en) von der weiteren Vertragserfüllung befreit. Auch in diesem Fall hat eine Endabrechnung nach SCl19.6 (neu: 18.5) zu erfolgen.

B. Claims

1 . Ansprüche des Contractors (1st Edition) Die Geltendmachung von Ansprüchen des Contractors ist in SCl 20.1 geregelt. Der Contractor hat seinen An­spruch entsprechend der jeweiligen Anspruchsgrund­lage dem Engineer anzuzeigen. Dieser hat dann gern SCl 3.5 eine Einigung anzustreben oder aber eine Fest­legung zu treffen. Die Anspruchsgrundlagen finden sich an verschiedenen Stellen der FIDIC Conditions und sind im Folgenden tabellarisch zusammengefasst (s Ta­belle 1), wobei zwischen Ansprüchen auf Verlängerung der Bauzeit, auf Ersatz der entstandenen Kosten und auf angemessenen Gewinn differenziert wird.

Aufgrund der Formulierung in SCl 20.1: "If the Contractor considers hirnself to be entitled to [. . . ] under any Clause of these Conditions or otherwise in connec­tion with the Contract [. . . ]" sind zusätzlich auch außerhalb des Vertrages bestehende gesetzliche An­sprüche, soweit sie auf Bauzeitverlängerung und Mehr­kostencrsatz gerichtet sind, nach SC120.1 abzuwickeln. Andere gesetzliche Ansprüche fallen unmittelbar in die Zuständigkeit des DAB und des Schiedsgerichts.4l

3) Hussian in Weselik/Hamerl, Handbuch des internationalen Bauver­trags 270.

4) _ Hök in Verband beratender Ingenieure (Hrsg), FIDIC Red Book -Erläuterungen und Übersetzung 29.

[2018]

( BAUVERTRA GSREC I:i ]

-

r -

Bauzeit I Kosten I Gewinn SOl Stichwort

1.9 verspätete Zeichnungen und Unterlagen X X X

2.1 Versäumnisse des AG betr Recht auf Zugang zur Baustelle X X X

4.7 fehlerhafte Bezugspunkte für Absteckungen X X X

4.12 unvorhersehbare natürliche Bedingungen X X

4.24 Funde (Fossilien, archäologische Funde etc) X X

7.4 vom Engineer verantwortete Verzögerungen bei Testläufen X X X

8.4 Leistungsänderung X

außergewöhnlich ungünstige klimatische Bedingungen X

unvorhersehbare Verknappung von Personal oder Gutern wegen Epide- X

mien od Regierungsaktivitäten X

dem AG zuzurechnende Verzögerungen

85 durch Behörden verursachte Verzögerungen X

8.9 Folgen einer Suspendierung der Bauausführung X X

10.2 Teilabnahme oder lngebrauchnahme von Teilen X X

10.3 Behinderung der Fertigstellungstests X X X

11.8 Suche nach der Ursache von Mängeln (stehe Teil IV) X X

12.4 Entfall von Leistungen X

13.7 Anpassungen aufgrund von Gesetzesänderungen X X

13.8 Kostensteigerungen

14.8 Zahlungsverzug

16.1 Suspendierung durch den AN

16.4 Kündigung durch den AN

17.4 Risiken, die der AG zu tragen hat

194 Folgen höherer Gewalt

Tabelle 1: Übersicht Ansprüche des AN

SC! 20.1 beinhaltet eine strenge Ausschlussfrist von 28 Tagen für Ansprüche des Contractors. Die Nicht­Einhaltung dieser Frist für die Anmeldung des An­spruchs führt zu einem vollständigen Anspruchsver­lust des Contractors ("Killerfrist"). Die inhaltlichen Anforderungen an diese erste Notice können daher wohl als gering angenommen werden. Für einen detail­lierten Nachtrag stehen dem Contractor 42 Tage ab Kenntnis oder Kennenmüssen des Ereignisses bzw Umstandes zur Verfügung. Die Konsequenzen einer Verletzung dieser zweiten Frist sind in den FIDIC Conditions der 1" Edition nicht geregelt.

Die Funktion der kurzen Anmeldefrist liegt einer­seits in einer Warnung, damit der Engineer selbst die Umstände untersuchen bzw Dokumentationen durch­führen kann, andererseits soll dadurch eine rasche Ent­scheidung herbeigeführt werden, was auch dem Con­tractor entgegenkommt.

Streitpotential birgt die Feststellung des Zeitpunkts, ab dem die Frist zu laufen beginnt, weil der Zeitpunkt, zu dem ein anspruchsbegründender Umstand bemerkt werden hätte müssen, schwer nachweisbar ist. Proble­matisch für den Contractor sind in diesem Zusammen­hang einerseits die Zurechnung eines Kennenmüssens seiner Subunternehmer, andererseits "schleichende" Behinderungen, die zunächst nach einer vernachlässig­baren Kleinigkeit aussehen und sich erst später zu kos­tenintensiven Ereignissen entwickeln.

l B (2018)

X

x inkl Zinsen

X X X

X+ SE

X X (x) s.A.1

X (x) s.A.2

~ Um ein Fristversäumnis zu vermeiden, sollte der Contractor bei potentiellen Ansprüchen jedenfalls eine erste Notice senden, auch wenn das Ereignis/ der Umstand möglicherweise zu unbedeutend bleibt, um zu einem detaillierten Nachtrag ausge­baut zu werden. Ein genaues und zeitnahes Claim­management ist unbedingte Voraussetzung zur Wahrung der Ansprüche.

Nach Erhalt der vollständigen Mehrkostenforderung hat der Engineer innerhalb von weiteren 42 Tagen zu­mindest dem Grunde nach zu dem geltend gemachten Anspruch Stellung .zu nehmen. Ergibt sich daraus eine Meinungsverschiedenheit, so ist SCl 3.5 (determina­tions) anzuwenden.

2. Ansprüche des Employers (1st Edition, SCI 2.5)

Auf den ersten Blick ähnelt die Abhandlung von An­sprüchen des Employers der oben beschriebenen Vor­gehensweise für Ansprüche des Contractors. Mit Aus­nahme von (offensichtlichen) Ansprüchen wegen In­anspruchnahme von Elektrizität, Gas und Wasser oder Ausrüstung des Employers durch den Contractor hat der Employer einen eventuellen Anspruch dem Con­tractor so schnell wie möglich anzuzeigen und dabei

-t Ursula Galllstel Der Bauvertrag nach den FIDIC-Ccnditions 233

ZVB (BAUVERTRAGSRECHT]

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Anspruchsgrundlage, Begründung und Höhe des An­spruchs anzugeben. Besteht eine Geldforderung gegen den Contractor zu Recht oder entscheidet der Engineer (ggf nach SCl 3.5) auf ihr Bestehen, so wird dieser Be­trag vom noch ausstehenden Entgelt des Contractors abgezogen. Mögliche Anspruchsgrundlagen für den Employer sind in Tabelle 2 angeführt.

SCI I Stichwort Anmer-kung

4.19 Nutzung vorhandener Anschlüsse Keine An-für Elektrizität, Wasser, Gas uÄ zeige er-

torderlieh

4.20 Nutzung von zur Verfügung ge- Keine An-stellter Ausrüstung des AG zeige er-

torderlieh

7.5 Kosten des AG wegen Zurückwei-sung und Neuüberprüfung von An-lagen, Materialien oder technischen Ausführungen bei negativem Testlauf

7.6 Kosten des AG, wenn der AN der Aufforderung, n1cht vertragsge-mäße Anlagenteile zu entfernen oder neu zu errichten, nicht nach-kommt und der AG diese Arbeiten daher durch Dntte ausführen lässt

8.6 Kosten des AG in Zusammenhang mit Forcierungsmaßnahmen des AN, die auf Anweisung des Engi-neers zur Einhaltung des Zeitplans gesetzt wurden

87 Verzögerungssschadenersatz für Nichteinhaltung der vereinbarten Bauzeit

9.4 Preisminderung bei Abnahme trotz fehlgeschlagener Abnahmetests

11.4 Kosten für Mängelbehebungsmaß-nahmen, wenn der AN diese auch innerhalb Nachfrist nicht durchge-führt hat

8.9 Verlängerung der Mängelanzeige- Anzeige frist vor Ablauf

der Frist

Tabelle 2: Anspruchsgrundlagen des AG

Unterschiede zur Regelung in SCl 20.1 ergeben sich aber vor allem hinsichtlich der einzuhaltenden Fristen. SC! 2.5 spricht nur davon, dass die Anmeldung so bald wie möglich -"as soon as practicable" -zu erfolgen hat. Einzig eine Anzeige zur Verlängerung der Mängelan­zeigepflicht ist konkret beschränkt und muss vor Ab­lauf dieser Frist erfolgen. Weiters wird nur auf die tat­sächliche Kenntnis, nicht aber auf ein Kennenmüssen des Employers abgestellt. Ein Anspruchsverlust wegen Versäumung der rechtzeitigen Anmeldung ist - man­gels festgelegter Frist - gar nicht vorgesehen.

3. Wesentliche Änderungen der 2"d Edition

In der 2"d Edition werden nun die Ansprüche des Con­tractors und des Employers fairerweise gleichgestellt und gemeinsam in Cl 20 geregelt. Die 14-tägige Aus­schlussfrist gilt für beide Parteien gleichermaßen. Die Frist zur Vorlage des detaillierten Nachtrags (jully de-

-+ Ursula Gallistel -+ Der Bauvertrag nach den FIDIC·Conditions

tailed Claim) wird auf 84 Tage verlängert, dafür sind die Anforderungen an denselben gerrau beschrieben und ein Fristversäumnis führt auch hier zu einem An­spruchsverlust. Besteht Uneinigkeit, ob eine der Fris­ten versäumt wurde oder nicht, kann die fordernde Partei mit einer entsprechenden Begründung die Fort­setzung des Verfahrens verlangen.

C. Streitbeilegung Die Streitbeilegung ist in den FIDIC Conditions in SC120.2ff (neu: Cl 21) geregelt. Neben Ansprüchen der Vertragsparteien (nach SC! 2.5 und SC! 20.1 , neu: SCl 20.2) sind Konflikte über Bescheinigungen, Fest­stellungen, Anweisungen, Ansichten oder Bewertun­gen des Engineers, aber auch gesetzliche Ansprüche nach den hier angeführten Regeln abzuwickeln (neu: Definition von Dispute in SC! 1.1.29).

Die FIDIC Conditions sehen ein zweistufiges Ver­fahren zur Streitbeilegung vor. Zunächst ist das Dis­pute Adjudication Board (DAB; neu: Dispute Avoi­dance/ Adjudication Board, D AAB) anzurufen, das aus einem oder drei Mitgliedern besteht. In der zweiten Stufe kann ein Schiedsgericht angerufen werden. Das Schiedsverfahren wird, wenn nicht anders vereinbart, nach den Regeln der International Chamber of Com­merce (ICC) durchgeführt.

Das DAB wurde 1999 als neutrale Instanz zur Streitbeilegung in die FIDIC Conditions eingeführt. Die Verfahrensregeln sind den General Conditions als Anhang beigefügt (Dispute Adjudication Agreement samt Procedural Rules). Im Red Book ist ein ständiges DAB vorgesehen. Das hat den Vorteil, dass die Eini­gung über die Mitglieder des DAB vorab und somit außerhalb einer konkreten Konfliktsituation stattfin­den kann. Zudem können sich die Mitglieder des DAB mittels regelmäßiger Baustellenbesuche mit dem Projekt vertraut machen, was später die Entschei­dung erleichtert und beschleunigt. Von Nachteil sind dagegen die im Vergleich zu einem Ad-hoc-DAB (wie zB im Yellow Book vorgesehen) höheren Kosten, die von beiden Parteien zu gleichen Teilen zu tragen sind.

Praxistip

Auch eine Kombination aus ständigem DAB und Ad-Hoc-DAB ist möglich, indem das DAB erst ein­berufen wird, wenn ein erster Streitfall auftritt, dann aber bis zum Abschluss des Projekts dauerhaft be­stehen bleibt.5> Auch in diesem Fall sollte die Wahl der Personen, die das DAB besetzen werden, schon mit dem Vertragsabschluss, also bevor ein konkre­ter Streitfall vorliegt, erfolgen.

Neu ist in der 2"d Edition explizit die Möglichkeit vor­gesehen, das DAAB zur Streitvermeidung beizuziehen. Die Parteien können das DAAB gemeinsam um Hilfe­stellung und informelle Diskussion im Konfliktfall er­suchen, ohne dass dadurch Ansprüche anerkannt oder bindende Entscheidungen getroffen würden. Ausge­nommen davon sind nur solche Streitpunkte, über

5) Szkopecz, Geltendmachung von Claims und Streitbeilegung in FIDIC-Verträgen 651.

ZVB (2018) OS

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die der Engineer gerade nach SCl 3.7 (Agreement or Determination) befmdet.

Für die Anrufung des DAB zur Streitentscheidung sind in den FIDIC Conditions keine Fristen vorgesehen. Das DAB hat binnen 84 Tagen zu entscheiden und seine Entscheidung zu begründen. Eine einvernehmliche Frist­verlängerung ist möglich. Die Entscheidung des DAB ist bindend, bis sie durch eine anders lautende Einigung oder einen Schiedsspruch aufgehoben wird. Sie muss von den Vertragsparteien umgesetzt werden, selbst wenn sie von einer Vertragspartei mittels einer Notice ofDissatisfaction (NoD) beeinsprucht wird. Sie hat jedoch nur die Qualität einer vertraglichen Vereinbarung und stellt insbesondere keinen vollstreckbaren Schiedsspruch dar.

Ist ein Vertragspartner mit der Entscheidung unzu­frieden, so hat er dies binnen 28 Tagen der anderen Vertragspartei mit einer NoD mitzuteilen. Diese Mit­teilung ist zwingende Voraussetzung für eine inhaltli­ehe Überprüfung der Entscheidung in einem anschlie­ßenden Schiedsverfahren. Auch eine Überschreitung der (gegebenenfalls verlängerten) Entscheidungsfrist durch das DAB berechtigt daher zur Sendung einer NoD, sodass anschließend der Streitfall einem Schieds­gericht vorgelegt werden kann.

Auf die N oD soll zunächst ein V ersuch einer einver­nehmlichen Streitbeilegung folgen (SCl 20.5 neu: SCl 21.5). Das Schiedsverfahren darf daher frühestens 56 Tage (neu: 28 Tage) nach Zustellung der NoD be­gonnen werden, wobei beide Vertragspartner das Schiedsgericht anrufen können, auch wenn nur einer

-+ln Kürze Oie FIDIC Conditions enthalten in den CL 17 bis 19 Re­gelungen zur Risikotraguf!~ und Force Majeure. Die Risi­koverteilung bringt keine Uberraschungen. Zu beachten sind jedoch die umfassenden Mitteilungspflichten und (für den Contractor) kurzen Fristen bei der Anmeldung von Ansprüchen. Über gegenseitige Ansprüche entscheidet zunächst der Engineer mittels Determination. Treten Streitigkeiten auf, so ist damit das Dispute Adjudication Board zu befassen. Danach ist nach Ankündigung (Notice of Dissatisfaction) und Einhaltung einer Sperrfrist die Befassung eines Schiedsgerichts vorgesehen.

-+Zum Thema Über die Autorin: 01 Mag. iur. Ursula Gallistel ist Lektorin am Institut für Inter­disziplinäres Bauprozessmanagement der TU Wien, Karlsplatz 13/234-1 , 1040 Wien.

eine NoD gesendet hat. Kommt eine Partei einer bin­dend gewordenen Entscheidung des Engineers oder des DAB nicht nach oder ist kein DAB konstituiert, kann sich die andere Partei sofort an das Schiedsgericht wen­den.

Die FIDIC Conditions enthalten keine Frist zur Einleitung eines Schiedsverfahrens. Faktische Grenzen setzen jedoch die Verjährungsregeln des anwendbaren Rechts.6l Der Vorteil eines frühen Schiedsverfahrens liegt in der einfacheren Beweisführung, dafür kann es aber zu Verzögerungen im Projektablauf kommen, wenn das Personal von Employer und Contractor mit Beweisaufnahmen und dem Verfassen von Schriftsät­zen beschäftigt ist.

Ist eine Abänderung der FIDIC Conditions mög­lich, so kann dem DAB auch mehr Macht gegeben werden, indem dem Engineer die Befugnis zu Deter­minations entzogen wird und Streitfälle sofort dem DAB vorgelegt werden. Damit verbunden ist aber jedenfalls ein Zeitverlust, bis eine bindende Ent­scheidung erreicht wird. Auch ein Partnerschafts­modell analog zur ÖNORM B 2118 kann zur Streit­beilegung vorgesehen werden. In diesem Fall sollte das DAB aber entfallen, da die Kosten sonst unver­hältnismäßig ansteigen.

6) Demblin/Mörth, FIOIC Bau- und Anlagenbauverträge RZ 527

Tel : +43 (0)1 58 801-234 01 E-Mail: [email protected] Internet: www.ibb.tuwien.ac.at Von derselben Autorin erschienen: Verweigerung der Übernahme wegen mangelhafter Leistung­Verzug des AN oder Annahmeverzug des AG? (ZVB 2014/ 120); Bieterausschluss wegen schwerer beruflicher Verfehlung (ZVB 2015/119) ; Entgelt für die Erstellung einer Mehrkostenforderung (ZVB 2016/ 125); Beweisfragen im Zusammenhang mit Mehrkostenforderungen aus einem Bauvertrag (bauaktuell 2017, 1 0). Literatur: Demblin!Mörth, FIDIC Bau- und Anlagenbauverträge (201 0); Hök, in Verband beratender Ingenieure (Hrsg), FIDIC Red Book - Erläuterungen und Übersetzung (2006); Weselik/Hamerl (Hrsg), Handbuch des internationalen Bauvertrags (2015). Links: fidic.org

Täglich Neues zur Vergabepraxis www.vergabeblog.at

MANZ~

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