Der Chef von 1414 - von Marcel Huwyler · den «Work-Life-Balance»-Worthülsen jener CEOs, die...

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56 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 57 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 57 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 56 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE PORTRÄT Der Chef von 1414 Eine wahre Führungskraft. 20 Jahre war er Bergführer, heute leitet ERNST KOHLER die beliebteste Firma der Schweiz, die Rega. Mit ihm und seiner Frau RUTH (und dem Rega-Gönnerausweis im Sack) auf Bergtour im Haslital. Zuoberst Ernst Kohler, 48, und seine Frau Ruth, 53, beim Ausstieg des Tälli- Klettersteiges. Im Hintergrund links: Wetter-, Mittel- und Rosenhorn (v. r.).

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porträt

Der Chef von 1414Eine wahre Führungskraft. 20 Jahre war er Bergführer, heute leitet Ernst KohlEr die beliebteste Firma der Schweiz, die Rega. Mit ihm und seiner Frau ruth (und dem Rega-Gönnerausweis im Sack) auf Bergtour im Haslital.

Zuoberst Ernst Kohler, 48, und seine Frau Ruth, 53, beim Ausstieg des Tälli- Klettersteiges. Im Hintergrund links: Wetter-, Mittel- und Rosenhorn (v. r.).

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Text MarcEl huwylEr Fotos Kurt rEichEnbach

Seinen Beruf hat er im Telefonbuch mit Bergführer angegeben. Immer noch. Obwohl er seine letzten

zahlenden Gäste vor mehr als 20 Jahren auf die Gipfel führte. Heute ist Ernst Kohler Chef der Rega, der Schweizerischen Rettungsflugwacht, Vorsitzender der Ge-schäftsleitung, CEO, Manager – und doch im Grunde und Herzen Bergführer geblie-ben: Trittsicher, ausdauernd und zielstre-big führt der 48-Jährige die Rega-Seilschaft an, Wetterentwicklung und tückische Stel-len im Blick, stetig vorwärts und immer aufwärts. 2,35 Millionen Menschen sind Rega-Gönner, das Unternehmen ist unter den 20 stärksten Marken (nebst Ricola, Ovo oder Google) und gemäss Umfrage das mit Abstand beliebteste Unternehmen der Schweiz. So gesehen hat der Rega-Chef den renommiertesten Job der Schweiz, oder wie Kohler selber formuliert: «einen Traumjob». Um bei so viel Lobpreis und Ehre die Bodenhaftung nicht zu verlieren, erdet sich Kohler regelmässig, «am liebs-ten in meiner Haslitaler Heimat», vorzugs-weise beim Wandern oder Bergsteigen. Gern am Fels. So wie heute.

Klettersteig tälli, frühmorgens. Ernst Kohler steigt voraus, dahinter, am Seil, seine Frau Ruth, 53. Die Sonne wärmt die Kalkgalerien der Gadmerfluh, der «Hasli-Dolomiten», im Westen liegt Meiringen, im Osten der Sustenpass. Ab-lenken lässt sich Kohler nur, wenn ein Heli am Himmel auftaucht. Berufskrankheit. «Einer von uns?» Der Heli ist gelb, die Aufregung umsonst, Kohlers klettern wei-ter. Der Tälli-Klettersteig gehört zu ihrer Familiengeschichte. 1993 bauten Ernst senior und junior zusammen mit dem Bergführerverein Haslital diesen ersten

Rega-Center Flughafen Zürich Ernst Kohler im Hangar und, Bild unten, an Bord eines Rega-

Ambulanzjets mit Flugärztin Sylvia Marek, 34, und dem stv. Chefpiloten Philipp Simmen, 33.

uGründunG 1952 von Mitgliedern der Schweizerischen Lebensrettungs-Gesellschaft uname RE (von REttungsflug-wacht) und GA (von Garde Aérienne oder Guardia Aerea) ueinsäTze 13 726 im letzten Jahr, davon 1088 mit dem Jet uFinanzierunG Gönnerbeiträge (Anteil: 57 %) und Erträge aus der Einsatztätigkeit (Zahlungen von Versicherungen etc.). Der Staat spielt in der Finanzierung keine Rolle uVor orT Das Rega-Center (Jet-Basis) ist am Flughafen Zürich. Zwölf über das

ganze Land verteilte Rega-Einsatzbasen und eine Partnerbasis sind bestrebt, jeden Einsatzort in der Schweiz mit Ausnahme des Kantons Wallis (eigene Rettungsorganisation) innerhalb von 15 Flugminuten zu erreichen uFloTTe 17 Helikopter und 3 Am-bulanzjets uWer zahlT? Der Gönnerbeitrag ist eine Spende. Als Dank erlässt die Rega den Gönnern die Einsatzkosten, falls Versicherungen, Krankenkassen oder andere leistungspflichtige Dritte für den Einsatz nicht oder nur teilweise aufkommen

Das ist DiE rEga – notfallnuMMEr 1414

Klettersteig der Schweiz. 600 Meter hoch, gesichert mit fixen Drahtseilen, 78 Meter Leitern und über 500 einbetonierten Stif-ten. Mit Presslufthammer und Schrauben-schlüssel hing der junge Bergführer Kohler damals tagelang in dieser Wand.

Noch bevor Ernst Kohler die Rekru-tenschule besucht, kommt sein Sohn Christian zur Welt, nur ein Jahr später folgt Tochter Janine, später vervollständi-gen Stefan und Larissa die Familienseil-schaft. Wer so jung Vater wird, sagt Koh-ler, lernt zwingend, Verantwortung zu übernehmen. Die frühe Elternschaft lehrt das junge Ehepaar aber auch, Zeit, Ener-gie und Geld einzuteilen. «Das Geld», er-zählt Ruth Kohler, «reichte damals nur knapp.» Also sorgt sie tagsüber für die Kinder und arbeitet nachts als Kranken-schwester im Spital Meiringen. Wo sie oft ihren Mann trifft. Der bringt als Bergret-ter und später als stellvertretender Ret-tungschef verletzte Alpinisten ins Spital, wo Ehefrau Ruth sie in Empfang nimmt.

Der junge familienvater und ge-lernte Elektromonteur erlangt 1985 das Bergführerpatent, er bildet sich an der Technischen Fachschule weiter, schlägt eine Karriere im Militär ein, bringt es bis zum Oberst der Luftwaffe, macht ein Nachdiplomstudium in Betriebswirt-schaft, übernimmt 2004 die Leitung des Militärflugplatzes Meiringen und wechselt 2006 zur Rega. «Ich war damals mit den Kindern oft solo», sagt Ruth Kohler. Sie sagt «solo», nicht etwa «allein» – kleiner, feiner Unterschied, Bergsteiger sprechen lieber von «Sologängen». Ist eleganter.

Ernst Kohlers 20 «unfallfreie!» Jahre als Bergretter im Heli geben ihm als Rega-Chef eine hohe Glaubwürdigkeit. Bei den 2,35 Millionen Gönnern und bei seinen 316 Mitarbeitenden. Ihm braucht keiner zu schildern, was seine Crews erleben. u

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Emotional schwierige Momente mit Schwerverletzten, Toten und deren An-gehörigen kennt Kohler nur zu gut aus eigener langjähriger Erfahrung.

Pause. Der halbe Tälli-Klettersteig ist geschafft. «Alle 40 Minuten fliegt die Rega einen Einsatz», doziert Ernst Kohler zwischen zwei Schluck Wasser und kippt dann den Kopf in den Nacken, weils über ihm wieder knattert. «Einer von uns?» Rot ist der Heli zwar, aber rubinrot und nicht das saftige Paprikarot der Rega. Weiter also – dem Gipfel zu.

als Mitarbeiter will Kohler nur die Besten der Besten. Die Rega-Crews wür-den genau beobachtet, sagt er. Wo ein Rega-Heli landet, versammeln sich sofort viele Zuschauer. Pilot, Sanitäter und Not-ärzte stehen im Scheinwerferlicht. Was sie tun und wie sie entscheiden, wird auf-merksam mitverfolgt. Kohler sagt, Piloten und Ärzte zu einem Rega-Team zusam-menzuführen, sei «eine spannende Her-ausforderung». Beide sind «Berufsgrup-pen mit eigenem Charakter». Da hilfts, wenn der Chef diplomatisches Geschick und auch einmal eine starke Hand hat.

Kohler bewegt sich viel und gern. Am liebsten Bergsteigen, Wandern und Velofahren (im Rega-Renndress, den es – sorry, Rega-Fans – nur für Mitarbeitende gibt). Seine Verbundenheit zur Natur und die Leidenschaft zum Sport sind echt und unterscheiden sich wohltuend von den «Work-Life-Balance»-Worthülsen jener CEOs, die meinen, als Spitzenmanager zwin-gend auch Spitzensport treiben zu müssen.

Und dann sind sie oben. Die Kohlers haben den Tälli-Klettersteig geschafft. Und wieder rotort ein Heli am Himmel. Diesmal – regarot! «Einer von uns!» Spä-ter wird der Chef in Erfahrung bringen, dass es eine Maschine der Basis Lausanne war. Auch Familie Kohler hat die Hilfe der Rega schon in Anspruch genommen, als ihr Sohn beim Skifahren verunfallte. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch in seinem Leben die Rega benötigt, beträgt acht Prozent. Letztes Jahr flog sie 13 726 Einsätze, fast 3000 davon waren Sport-, Berg- oder Skiunfälle. Nur logisch also, findet Kohler, dass der Rega-Gönneraus-weis so selbstverständlich wie die Identi-tätskarte sein sollte.

abstieg vom gipfel, runter zur Tälli-Hütte, wo sich Ruth und Ernst Koh-ler eine Käseschnitte gönnen (die eigent-lich Zwiebelschnitte heissen müsste). In der Hütte hängt ein Schwarz-Weiss-Foto mit gelblicher Historie-Patina, darauf ein Mann, stolz, mit Adlerblick, Bart, breit-krempigem Filzhut und Eispickel in der Hand. «Melchior Anderegg 1827–1914», steht da, «King of the Guides». Ja, der Anderegg, auch ein Haslitaler, sagt Koh-ler, das sei noch eine Bergführerlegende. Der habe in kritischen Situationen stets gesagt: «Man könnte schon gehen, aber ich, Melchior Anderegg, gehe nicht.»

Der Spruch ist Kult. Und Kohlers Leitsatz. Was andere machen, was ande-re denken, wie man entscheiden täte, interessiert ihn wenig. Er tut, was Erfah-rung, Gefühl und sein Team ihm raten. Und Kohler scheint ziemlich viel richtig zu machen. Die Rega hat das modernste Luftrettungssystem der Welt. Allein im letzten Jahr kamen 83 000 neue Gönner hinzu. Vielleicht sollten Manager ver-mehrt nach Bergführer-Leitsätzen ent-scheiden.

Ehepaar und Seilschaft Ruth und Ernst Kohler unterwegs im Tälli-Klettersteig. Im Hintergrund die Kalkzinggen der Gadmerfluh.

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