Altes Handwerk Buchkunst aus Vättis - von Marcel Huwyler · 2014. 10. 15. · einen zweitägigen...

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116 117 Eine fast sakrale Atmosphäre: Beim Buchmachen findet jeder Arbeits- schritt in einem anderen Zimmer statt. Hier steht Stephan Burkhardt in seiner Setzerei. Stephan Burkhardt und Hans-Ulrich Frey drucken in ihrer Offizin Parnassia in Vättis SG im Taminatal Bücher wie zu Gutenbergs Zeiten. Die bärtigen Männer sind Büchernarren. Buchstäblich. Text Marcel Huwyler Fotos Romeo Polcan Buchkunst aus Vättis Altes Handwerk

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Eine fast sakrale Atmosphäre:

Beim Buchmachen findet jeder Arbeits-

schritt in einem anderen Zimmer statt. Hier steht

Stephan Burkhardt in seiner Setzerei.

Stephan Burkhardt und Hans-Ulrich Frey drucken in ihrer Offizin Parnassia in Vättis SG im Taminatal Bücher wie zu Guten bergs Zeiten. Die bärtigen Männer sind Büchernarren. Buchstäblich.

Text Marcel Huwyler Fotos Romeo Polcan

Buchkunst aus Vättis

Altes Handwerk

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Mit uralter Technik werden moderne Buchwerke geschaffen

M anchmal ist das Zelebrieren des Alten nur mithilfe des Modernen

möglich. Ohne Computer, Internet und Online-Auktionshaus Ebay könnten sie ihr Kunsthandwerk gar nicht ausüben, sagen die beiden Männer. Die zwei Vollbärtigen. Stephan Burkhardt und Hans-Ulrich Frey. Viele der Maschinen und Materialien, die sie für das Herstellen ihrer Bücher brauchen, stöbern sie dank dem Internet irgendwo auf der Welt auf: Giess-maschinen im amerikanischen Nevada City, Druckmaschinen im Berner Oberland oder Hanfpapier in Nepal. Stephan Burkhardt, 50, und Hans-Ulrich Frey, 54, fertigen Bücher nach alter Tradition. Von A bis Z machen sie alles selber: wählen Texte aus, giessen Bleibuchstaben, setzten diese, drucken die Seiten, binden sie zu Büchern und vergolden und prägen die Einbände. Ihre Werk-stätte, ein altes Haus mit «so un-gefähr fünfzehn Zimmern», ist eine Mischung aus Atelier, Schatzhöhle und Hexenküche. Sie selber nennen es Offizin Parnassia Vättis. In einem der Zimmer prangt ein Schild, das Passion und Eifer der beiden Männer

stimmig zusammenfasst: «Wohl ist dem, der dann und wann was ganz Verrücktes machen kann.»

WO DRACHEN HAUSENWo Vättis ist, ist Ruhe. Obwohl ein Drache das Ortswappen ziert. Das 400-Seelen-Dorf ist der südlichste Ort des Kantons Sankt Gallen und liegt zuhinterst im Taminatal, 940 Meter über Meer, ob Bad Ragaz. Schon vor 50 000 Jahren lebten hier

Menschen oberhalb des Dorfes in der Drachenloch-Höhle. Vättis hat einen Armbrustschützen-Verein, einen Skulpturenweg-Verein und einen Skiklub; die «Gugga»-Musik heisst Dracha-Fääger und der Dorf-laden einfach nur «S Lädali».

DREHBUCH DES BUCHMACHENSAllein über das alte, grauweisse Haus – mehrstöckig, mit Fenster-läden, von denen lindengrüne Farb-splitter blättern – könnte man ganze Bücher schreiben, es steckt voller Geschichte und Geschichten. In jedem Zimmer wird ein Handwerk verrichtet: Da sind Giesserei, Setzerei, Druckerei, Buchbinderei und Ver-golderei; jeder der beiden Männer hat seine Talente und Aufgaben. Ein neues Buchwerk beginnt mit dem Giessen der Bleibuchstaben – Hans-Ulrich Freys Domäne. Die Maschine (erworben in Paris), die da zischt und rattert, heisst Monotype, ein mechanisch-pneumatisches Un-getüm, System 1895. Die Monotype schmilzt Blei und giesst diese 380- Grad-Suppe in winzige Förmchen, Matrizen genannt. Das Ergebnis sind Lettern, Bleibuchstaben. Offizin Parnassia Vättis verfügt über fast 4000 verschiedene giessbare Alpha-bete, von überallher, aus allerlei Zeit-

Hans-Ulrich Frey hebelt an der Monotype

herum. Die alte Maschine giesst Bleibuchstaben.

Kein Museum – sondern ein funktions tüchtiges Atelier. Mit

allerlei Spann en dem: Man beachte das alte Holztelefon.

Druckerhimmel. In diesem Haus in Vättis SG ist die gesamte Offizin Parnassia untergebracht.

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epochen. Das Schriftenverzeichnis liest sich wie ein Abenteuerroman: Latin Antique, Tamil, Goudy Heavy-face, Van Dijck Small Caps, 20th Century Ultrabold Roman, Bragga-docio, Dante Italic, Kasseler Fraktur Halbfette, Othello, Walbaum Italic. Sogar die Oxford University – auf der Suche nach historischen engli-schen Schriften – hat in Vättis schon nachgefragt und bekam prompt 110 Kilogramm der gewünschten Buchstaben zugeschickt. Und letzt-hin wurde Burkhardt und Frey eine kroatische Kulturehrung verliehen, weil sie die älteste slawische Schrift mit ihrer Monotype wieder zum Leben erweckten – Glagolitisch.

BIOLOGE UND THEOLOGEFrey stammt aus Zürich, ist Biologe und ETH-Dozent für Waldökologie. Burkhardt stammt aus Winterthur, studierte Theologie und machte eine Lehre als Koch. Und beide lieben Bücher über alles. Das gemeinsame Werken nahm im Dezember 2000 seinen Anfang. Die Männer suchten nach Setzkästen voller Buchstaben – und bekamen gleich eine ganze Druckerei. Ein Pensionär verkaufte

ihnen seine Einrichtung; dazu gabs einen zweitägigen Crashkurs im Buchdrucken. Den Rest brachten sich Frey und Burkhardt selber bei, in jahrelanger Tüftelei, mit Aus-probieren, Scheitern und Gewinnen. Und Sammeln. Das Haus ist gefüllt mit Büchern, Gerätschaften und allerlei Wunderlichem und Wunder-barem rund ums Buch.Hans-Ulrich Frey sagt: «Ja, unsere Sammlung wächst.» Stephan Burkhardt sagt: «Nein, unsere Sammlung wuchert.»Frey ist eher der stille Typ. Burkhardt redet … wie ein Buch.

BANKNÖTLI UND HANFPAPIER Die Buchkunstwerker fertigen auf Kundenwunsch Briefpapier, Visitenkarten, Todes- und Hochzeits-anzeigen, Urkunden – und Bücher. In Kleinstauflage. Und immer ausser-gewöhnlich. Eben ist ein Sonder-auftrag fertig geworden: Für einen Schweizer Sherlock-Holmes-Fan fabrizierten Frey und Burkhardt vierzig Exemplare von «The Final Problem» (jene Geschichte, in der der Meisterdetektiv in den Berner Reichenbachfällen stirbt) des briti-schen Autors Arthur Conan Doyle von 1893. Und Frey und Burkhardt wären nicht Offizin Parnassia Vättis, wenn sie den Auftrag «normal» erledigt hätten. Gedruckt ist das Buch in der pseudomittelalterlichen englischen Treyford-Schrift, auf – of course! – englischem Bütten-papier. Die Bilder im Buch sind hand-koloriert – «das beim Malen ver-wendete Wasser», jetzt strahlen und feixen die Büchermacher, «stammt von den Reichenbachfällen». Solche Finessen, schelmischen Anspielungen, Neck- und Spiele-reien mögen Burkhardt und Frey. So ist die Visitenkarte eines Winzers auf dünnen Kork gedruckt. Und stehen zu wenig Kundenaufträge ins Haus, produzieren sie an ihrer eigenen Edition – mittlerweile zwanzig Titel. Sie druckten ein Buch zum Thema «Rausch» mit rotwein-roter Farbe auf Hanfpapier, und im handgeschöpften Einband von Karl Marx’ «Kapital und Arbeit» hats geschredderte Schweizer Bank-nötli drin.

GOLD UND HASENKNOCHENStephan Burkhardt kümmert sich um Textedition, das Setzen und Drucken. Alles von Hand, jeder Buch stabe wird einzeln gesetzt, jedes Blatt separat gedruckt. Die frisch gegossenen Buchstaben verwahrt er in den 130 Fächlein seines Setzkastens. Gern verwendet er auch Ornamente und Holz-schnitte. Es stimmt, sagt Burkhardt, er und Hans-Ueli seien absolut vernarrt in Bücher und das Bücher-machen. «Was wir hier tun, tun wir mit unheimlich viel Lust. Schon fast ein wenig irr, gell.» Vielleicht haben die beiden Männer darum dieses alte Schild aus weissem Email aufgehängt, gleich beim Ein-gang, damit es jeder Besucher sofort

sieht und gewarnt ist. «Irrenanstalt. Betreten auf eigene Gefahr! Mit Be-lästigungen muss gerechnet werden.»Eine ächzende Holzstiege hinauf in den ersten Stock, wo in zwei Zimmern die nächsten zwei Arbeits-schritte passieren. Aus dem Blei-buch staben-Giesser Frey wird jetzt der Buchbinder und Vergolder. Die bedruckten Blätter, Bogen für Bogen, näht er zusammen und heftet sie zu Buchblöcken. Der für den Einband verwendete Klebstoff, erklärt er, besteht aus Kleister und Hasenknochenleim. Schliesslich erhält das Buch einen Ledereinband oder zumindest einen Lederrücken. Verziert wird mit Marmor- oder Zierpapier. Und es wird vergoldet: mit Vergolderstempeln und -schriften

und 24-Karat-Blattgold. Er experi-mentiere aber auch gern, sagt Frey. Ein im Eigenverlag herausgebrachtes Sagenbuch hat er mit sibirischer Birkenrinde eingebunden. Selbst halbdurchsichtige Polypropylen-platten hat er schon verwendet oder Bergkristalle in den Buchdeckel hineingearbeitet.

HÜNDISCHE REVOLUCIÓNDie Männer betonen, sie strebten bei ihrem Schaffen stets eine Ein-heit an: «Eine Einheit, bestehend aus Text, ausgesuchten Materialien, künstlerischem Gestalten und handwerklicher Fertigung.» Und damit die beiden nicht ganz in ihrem Wirken versinken, alles und alle um sich herum vergessen und am Ende gar weltfremd werden, dafür sorgt Fidel, der Appenzeller-hund. Ein braves Tier mit Sinn fürs Historische: Auf das Kommando seiner Herren «Fidel: Revolución!» dreht sich der Hund auf den Rücken. Revolución, erklären die Bücher-macher, stamme aus dem Latei ni-schen und bedeute «Umdrehung». Apropos Latein, Offizin Parnassia? Das Wort Offizin bedeute Werk-stätte, erklärt Frey, und Parnassia – jetzt kommt der studierte Biologe in Fahrt – stamme von «Parnassia palustris», das Studentenröschen, «eine Blume, die im Spätsommer hier hinten blüht». Hier hinten – zuhinterst im Taminatal, in Vättis, wo Ruhe ist, wo man Zeit findet und Musse hat; der richtige Ort, um wieder einmal ein Buch zu lesen. Oder eins zu machen. C

Wertvolle Zierde. Frey beim Vergolden

eines Einbandes. Mit der Messingrolle

kerbt er Linien ins Ziegenleder.

Ewig soll es halten. Auf der Heftlade wird jeder einzelne bedruckte Papier bogen an die Bänder genäht.

Der Hund ist ein alter kubanischer

Revolutionär

Gut 4000 verschiedene Alphabete stehen zur Verfügung (oben). Zwan-zig Titel erscheinen in der haus-eigenen Edition, auch Bilderbücher.

Mit Bart, Brille und Herzblut: die Büchermacher Stephan Burkhardt, 50, (links) und Hans-Ulrich Frey, 54.

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