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SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 35 Wellen Bellen & Hundekur im Pool. DANIEL RICKENBACHER hilft Tieren durch Hydrotherapie wieder auf die Beine. Alte, kranke und operierte Patienten schwimmen sich bei ihm gesund. Aqua-Reha für Hunde: Tierisch gut – oder für die Katz? Hundstage Im Therapiezentrum in Effretikon ZH behandelt Daniel Rickenbacher Terrier Boogie. Dessen operierte Glieder werden beim Schwimmen wieder locker und kräftig.

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WellenBellen&

Hundekur im Pool. DANIEL RICKENBACHER hilft Tieren durch Hydrotherapie wieder auf die Beine. Alte, kranke

und operierte Patienten schwimmen sich bei ihm gesund. Aqua-Reha für Hunde: Tierisch gut – oder für die Katz?

Hundstage Im Therapiezentrum in Effretikon ZH behandelt Daniel Rickenbacher Terrier Boogie. Dessen operierte Glieder werden beim Schwimmen wieder locker und kräftig.

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Knabberspass Terrierhündchen Mia wärmt sich im «Whirlpool» auf und liebkost Therapeutin Sarah Hartmanns Ohr.

Hundemüde Nach der anstren-genden Warmwassertherapie döst Schäfer-Mix Pascha in der Ruhebox unter einer Wärmelampe.

Zungenakrobat Hündin Dési geniesst den Heimvorteil. Der Boxer gehört Daniel Rickenbacher und wartet brav, während das Herrchen arbeitet.

Abhängen Nach der Therapie sind die Vorderbeine des russischen Terriers Umbra wieder locker, seine Verkrampfungen weg.

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Total ausgepumpt und

relaxed nach der strapaziösen

WasserschlachtHundeschwumm Malix paddelt im Wassertank, die Gegenstrom-anlage fordert ihn. Rickenbacher ködert mit dem Gummihummer.

Wie ein nasser Sack Pascha am Hebelift. Hängt der Hund in der Luft, kann der Therapeut genau sehen, wo sich das Tier verkrampft.

Gib Gummi Jedem Patienten sein Schwimmspielzeug. Am begehr-testen sind die quietschenden Hühner, die Kuh und das Säuli.

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2 Küsschen eins Puppymutti 1, Aman-da Odeh, bedankt sich bei Therapeutin Hartmann, die Pup-py in der Tasche ins Freie trägt.3 Küsschen zwei Frauchen herzt ihr «Kampfhündli».4 Medizin für alle Puppymutti 2, Vreni Vogel, lässt sich die «Hunde-Augentrop-fen» verabreichen. Der Mann links, ein Taxifahrer, wird die Damen wieder nach Hause chauffieren.5 Pflege danach Sarah Hartmann träufelt Tropfen in Puppys Augen.

1 Augenblicke Pekinese Puppy (Kreuzbandriss an beiden Knien) wurde operiert und trainiert jetzt im Wasserbad.

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Hunde, die wellen, beissen nicht. Sie sind viel zu er-schöpft, wenn sie hier im Wasser-

tank mit allen vier Pfoten pad-deln, schwimmen, Wellen schla-gen und gegen die Gegenstrom-anlage ankämpfen.

Malik, Boxer, männlich, 6-jäh-rig. Kreuzbandriss (Knie), OP im November 2015. Belastet das ope-rierte Bein nicht richtig.

Jeder Patient erhält ein Gum-mispielzeug und eine Therapie-melodie. Den Quietschhahn, die Latexkuh und das dämlich grin-sende Säuli mögen die meisten Hunde, andere sind wählerischer: Boxer Malik etwa, der grimmig glotzend im Wasser treibt, lässt sich nur mit dem orangen Gum-mihummer ködern.

Dazu gibts Musik, Pfeifkonzert. Für jeden Patienten wählt der Therapeut eine andere Melodie, er pfeift Schlager, Opern, Operet-ten und Landeshymnen. «Jedem Hund seinen Song», sagt Daniel Rickenbacher, wischt sich mit dem Ellbogen Salzwasser aus dem Gesicht, korrigiert mit der rech-ten Hand die Hinterläufe des wild paddelnden Malik und schwenkt mit der linken den Hummer. Die Gegenstromanlage stöhnt, Malik hechelt, Rickenbacher pfeift den «Vogelfänger» aus Mozarts «Zau-berflöte».

Neun Hunde sind heute zur Wassertherapie angemeldet, die meisten vom Tierarzt überwiesen. Im Lauf des Tages wird noch ein Notfall dazukommen, Hündin Mia, die sich unablässig in den eigenen Hintern beisst («wohl etwas mit einem Rückennerv», wird Rickenbacher vermuten).

Pfotenzonen-reflexmassage Liegen die Hun-de im «Whirl-pool», werden ihnen die harten Pfoten massiert.

Hydro- und Physiotherapie für Hunde bietet Rickenbacher, 58, an. 2003 gründete er Kynofit. Mit seiner Idee, alte, kranke und rekonvaleszente Hunde in Warm-wasser zu behandeln, wagte er da-mals den Sprung ins kalte Wasser. Für die Schweiz eine Novität. Prompt wurde gestänkert, er ze-lebriere Luxuswellness für ver-hätschelte Fiffi, das Hundemassa-gezeug sei für die Katz. Heute hat Rickenbacher Patienten aus der ganzen Schweiz, Hunderte Hun-de, Hunderte glückliche Hünde-ler. Er ist in der Szene bekannt – wie ein bunter Hund.

Das Therapiezentrum liegt mitten in Effretikon, in einer ehe-maligen Druckerei. Die Atmo-sphäre ist ein Mix aus Hallen- bad, Zoohandlung und Kinderkrip- pe. Tropische Wärme, Palmen, Schwimmspielzeug. Da sind Hun-deduschen, Ruheboxen, Snacks (geräucherte Rinderohren, Pfer-desehnen, Schweinsohren) und Wäscheleinen voller Hundebade-mänteli – und zwei Edelstahl-wannen, 6 Meter lang, 1 Meter 30 breit, mit 7000 Liter keimfreiem, 31 Grad warmem Salzwasser.

Die Idee der Hydrotherapie: Ein Hund, der beim Gehen Schmerzen hat, nimmt automa-tisch Schonhaltung ein, welche seinen Körper einseitig, falsch be-lastet. Zu wenig gebrauchte Mus-keln verkümmern sieben Mal schneller als beim Menschen. Erst im Wasser, wenn ihm das Eigengewicht fehlt, entkrampft sich der Hund. Beim Schwimmen macht er Bewegungen, die er sonst wegen der Schmerzen vermeidet. Bänder und Sehnen werden ge-stärkt, Muskeln aufgebaut, Herz und Kreislauf angeregt.

Es ist 9 Uhr morgens. Ge-schäftsführer Rickenbacher und Therapeutin Sarah Hartmann, 38,

stehen an den zwei Wassertanks, kontrollieren und korrigieren die Schwimmbewegungen der Hun-de. Rickenbacher trainiert noch immer mit Malik. Sobald der Bo-xer den Gummihummer zu erha-schen glaubt, stellt der Therapeut die Gegenstromanlage noch stär-ker ein. Hundsgemein.

Im Becken nebenan kümmert sich Sarah Hartmann derweil um ihre prustende Kundin Lindy.

Lindy, Tervueren, weiblich, 9-jährig. Arthrotische Schmerzen. Therapie seit Dezember 2014 , jetzt schmerz- und medikamentefrei.

Lindys Frauchen schaut der Therapie zu. Sie sei anfangs skep-tisch gewesen, «doch innert zwei Monaten hat Lindy dank der Was-sertherapie riesige Fortschritte gemacht und hinkt nicht mehr».

Die Prozedur. Jeder Hund wird geduscht, in ein stoffiges Gschtältli gepackt und mit einem umgebauten Hebelift für behin-derte Menschen herumgehievt. Zuerst in den «Whirlpool», 38 Grad warm, Hundekörpertempe-ratur. Hier lockert das Tier seine verkrampften Glieder, während der Therapeut es nach Verspan-nungen, Verkürzungen, Verhär-tungen abtastet, die er später tak-til behandelt. Nach ein paar Mi-nuten Wellness «schwebt» der Hund in den Schwimmkanal.

Auftritt Puppy. Was für eine Diva! Was für ein Schauspiel!

Puppy, Pekinese-Mix, 6-jährig. Kreuzbandriss, Kniescheibe ope-riert. Therapie seit Juni 2015.

Puppy, im rosa Mänteli, trans-portiert in einer Tragtasche, beglei-tet von ihren zwei Muttis. Reifere Damen, eine Frau Amanda und ih-re Mutter Vreni aus Zürich, die bei-de in Sachen schillernder Auftritt, Extravaganz und Augenrolltechnik ihrem Schosshündchen in nichts nachstehen. Puppy schwimmt

Haarig Rickenbacher trocknet mit einem Spezialfön Hündin Sabas Fell; der Luftstrahl massiert gleich-zeitig die Haut des Tiers.

Knochenjob Vor der Therapie werden Röntgenbilder studiert. Rickenbacher lernte die Hydrothe-rapie in Belgien und Deutschland. u

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gegen den Strom, die Glotz-äuglein quellen hervor. «Nicht so wild, Schätzimüüsli-Kampfhünd-li», mahnen die Puppymuttis.

Nach der Therapie bekommt Puppy Augentropfen, Mutti Vreni nutzt die Chance und lässt sich von Therapeutin Hartmann eben-falls «es paar Tröpfli för mini trochne Äugli» hineinträufeln. Ende der Vorstellung. Küssli gibts von Frau Amanda zuerst für die tapfere Puppy und dann für die Therapeutin. Rickenbacher ist zufrieden, seine Hydrotherapie wärmt Hundegelenke und Hün-delerseelen gleichermassen. Er pfeift den Operettenohrwurm «Zwei Herzen im Dreivierteltakt».

7,6 Millionen Haustiere leben in der Schweiz. Ihre Tierliebe las-sen sich die Besitzer viel kosten: 1,5 Milliarden Franken für Pflege, Futter, Tierarzt und Operationen. Die Beinbruch-OP eines Hundes kostet 3000 Franken, ein künst-liches Hüftgelenk 5000 Franken. Haarige Summen. Wer bereit ist, so viel Geld für eine OP auszuge-ben, investiert logischerweise auch in die Reha, eine Stunde Kyno fit kostet 124 Franken.

Wird das Haustier ver-menschlicht? Der Hund sei heu-te ein Familienmitglied, für man-che wie ein Partner oder wie ein Kind, sagt Rickenbacher, «da tut man alles, um den Liebling zu ret-ten». Seine Devise ist: Befund ist nicht Befinden. Er erklärt es, in-dem er provoziert: «Soll man je-den Senior mit Rollator zu Exit schicken?» Massgebend sei die Lebensqualität. Es gäbe Hunde, die seien laut Befund am Ende, mit Hydrotherapie aber könnten sie anständig weiterleben. Ent-scheidend sei die Biografie: Wenn ein gehbehindertes Schosshünd-chen herumgetragen werden muss, kann das funktionieren, für

einen kranken, ehemals quirligen Jagdhund hingegen ist das kein le-benswertes Dasein mehr.

Umbra, russischer Terrier, weib-lich, 7-jährig. Von klein an defekte Ellbogen, schlechte Hüften.

Umbra ist heute zum 121. Mal hier. Ein spezieller, ein trauriger Fall. Das Tier wuchs in einem aus-ländischen Tierheim unter mie-sen Bedingungen auf; schon als Welpe verkümmerte sein Körper. Während Rickenbacher sich um den Riesenhund kümmert (und die französische Nationalhymne zwitschert), sorgt sich Sarah Hartmann um Hündin Mia (den Notfall, der sich selber in den Hin-tern beisst). Ein Terrier, herzig, winzig, «grad einmal eine Zahn-füllung gross», kaspert die Thera-peutin – und beginnt Mias Rü-ckennerven zu stimulieren.

Rickenbacher war früher Kunstschmied von Beruf. Als sein Hund operiert wurde und eine Reha brauchte, empfahl der Tier-arzt Hydrotherapie – die es in der Schweiz nicht gab. Rickenbacher erfasste das als Chance und liess sich in Belgien und Deutschland eineinhalb Jahre lang ausbilden. Auch Sarah Hartmann stieg quer ein, sie war Automechanikerin.

20 Minuten schwimmen Um-bra und Mia; das trainiert den Hundekörper so intensiv wie ei-ne Stunde Traben. Mit dem Hebe-lift werden die Tiere aus dem Wasser gehievt, hängen wie nasse Säcke in der Luft, total abge-spannt, total entspannt. Die vor-her verkrampften Glieder bau-meln locker. Für ein paar Minu-

ten gehts nochmals in den Whirl-pool, dann wird geduscht, gefönt, und ab gehts in die Ruhebox, un-ter eine Wärmelampe.

Die Therapeuten ziehen sich um. Nach jeder Behandlung trie-fen Shorts und T-Shirts vor Salz-wasser, «das spart uns Ferien am Meer», meint Rickenbacher.

Halina. Vielleicht der spekta-kulärste Fall von Kynofit. «Ihre Geschichte ist unglaublich, und für mich ist es ein grosser Erfolg», sagt Rickenbacher und führt die Hündin an der Leine in die Halle.

Halina, Labrador, weiblich, 11-jährig. Rückenmarksinfarkt an Weihnachten 2015, Vorder-/Hin-terbeine ohne Reflexe, total ge-lähmt. Nach intensiver Wasserthe-rapie läuft sie seit 14 Tagen wieder.

Halina tappt herein, schwankt, schwächelt in den Hinterläufen. Wohlverstanden, gibt Rickenba-cher zu bedenken, das Tier sei vor drei Monaten noch total gelähmt gewesen, lag nur apathisch da. Einschläfern? Halinas Besitzerin hatte eben erst einen Todesfall in der Familie erlebt und wollte nun nicht noch ihren Hund verlieren. Rickenbacher begann mit Hali- na zu arbeiten, stimulierte die gelähm ten Glieder, liess den Hund schwimmen, immer etwas mehr, ein bisschen weiter, härter, vier Monate lang.

Später an diesem Tag spaziert Halina munter wie ein Rehlein aus der Reha heraus. Daniel Ricken bacher schaut ihr nach, sagt nichts. Pfeift stattdessen. Den «Triumphmarsch» aus Ver-dis «Aida».

Rickenbacher ist unter den

Hündelernbekannt wie ein bunter Hund

Der Nächste, bitte! Tamara Massari und Boogie im Wartezimmer. Blaue Schuhüberzieher sind aus hygienischen Gründen Pflicht.

Mit felligen Grüssen Hunderte Hündeler sind begeistert, weil ihr Liebling wieder schmerzfrei ist, und schicken Kynofit Dankeskarten.

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