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SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 48 Emmi schnitzt ihre Heimat Sie kerbt aus Holzklötzli Appenzeller Alpauffahrten. Die Werke von EMMI MEIER aus Hundwil AR sind so furchig wie ihr Leben. Und begehrt: Sogar beim Bundesrat. Kunst im Gras Emmi Meier, 66, auf der Wiese neben ihrem Hof ob Hundwil. Sie trägt ein von ihr geschnitztes Senntum.

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Emmischnitzt ihre Heimat

Sie kerbt aus Holzklötzli Appenzeller Alpauffahrten. Die Werke von EMMI MEIER aus Hundwil AR sind so

furchig wie ihr Leben. Und begehrt: Sogar beim Bundesrat.

Kunst im Gras Emmi Meier, 66, auf der Wiese neben ihrem Hof ob Hundwil. Sie trägt ein von ihr geschnitztes Senntum.

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Musterkuh «Ich kann nicht zeichnen», so Emmi. Darum verwendet sie zum Mar­kieren Karton­schablo nen.

Senntum Teil 1 Eine von Emmi ge­schnitzte Alp auffahrt. Der Umzug geht auf der nächsten Doppel­seite weiter.

«Jedes geschnitzte Senntum von mir best eht aus 43 Figuren. Tiere und Mönschli»Ohne Worte Emmi sitzt am Stubentisch und schnitzt. Emil sitzt auf dem Ofenbänkli und schaut zu. Niemand redet.

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Sagenhaft Emmis Mann Emil, 71, sägt im Stall draussen mit einer Bandsäge die Figuren grob aus zu Rohlingen.

«Ich habe schon Tausende Kuhfüdli gestriegelt. Darum weiss ich genau, wie man die schnitzt»

Senntum Teil 2 Alle Figuren sind aus Lin­denholz­Klötzli gefertigt und gebeizt oder bemalt.

Fingerfertig Ein Kuhrohling wird in Angriff genommen. Feine Arbeiten meistert Emmi mit dem Teppichmesser.

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Der Esstisch als Werkbank. Nur wenige Frauen

schnitzen SenntümerWirkungsort Bereits Emmis Arbeitsplatz gleicht einem Kunstwerk: Späne, Hölzer, Rohlinge und allerlei Werkzeug.

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TEXT MARCEL HUWYLER FOTOS FABIENNE BÜHLER

Dass Emmi Meier aus Hundwil, dem högerigen Dorf in Appenzell Aus­serrhoden, eine

so bedeutende Schnitzerin wurde, verdankt sie den Chläusen und den Säuen.

Vor bald 30 Jahren wollte ihr Bub, der Emil junior, beim Sil­vesterchlausen mitmachen: Zum Kostüm der Chläuse gehört auch ein Hut mit Holzfiguren, die Sze­nen aus dem bäuerlichen Alltag zeigen. Solche Figuren sind teuer. Viel zu teuer damals für Bauern­familie Meier. Also selber machen, sagt sich Mutter Emmi. Im Zeich­nen ist sie zwar untalentiert (sag­te ihr Lehrer, sagt auch sie), aber vielleicht geht ihr ja das Schnit­zen gäbiger von der Hand. Sie will es probieren. Hat aber nie Zeit.

Bis ein paar trächtige Sauen in Meiers Stall ihre Ferkel gebären wollen. Also wacht Emmi Meier jede Nacht im Stall und wartet, bis die Sauen werfen, hat nichts zu tun und nimmt drum zum Z eitvertreib ein Klötzli und ein Gemüsemesser und kerbt daran herum. Und schnitzt so ihr erstes Figürchen für Emils Silvester­chlausen­Hut – ein Geissli.

Diese Appenzeller … Inner­ wie Ausserrhoder. Zwerge, was Fläche und Einwohnerzahl an­belangt, aber Riesen in Sachen Folklore, Tradition und Kunst­handwerk: Man kennt das Hand­sticken, Trachtennähen, Schellen­schmieden, Schindelhauen, Weiss­küfen, die Sennensattlerei und die weltberühmte naive Bauern­malerei. Die Schnitzerei aber hatte lange Zeit einen zu tiefen Stellenwert. Sagt einer, der sich auskennt: alt Bundesrat Hans­Rudolf Merz aus Herisau AR.

Er begann vor vielen Jahren, ei­ne Sammlung von geschnitzten

Musterstück Emmi mit ihren Kühen im Stall. Jene links, mit Namen Mila, dient ihr beim Schnitzen als Vorbild.

Alpauffahrten (Senntumschnit­zerei genannt) aufzubauen. Das Öberefahre, wie es die Heimi­schen nennen, sind jene rituali­sierten Umzüge, bei denen Bau­ern und Sennen mit Schellen und Zauren (lang gezogener Natur­jodel ohne Worte) ihre Tiere auf die Alpen geleiten. Auch Emmi Meier sei in seiner Sammlung vertreten, sagt Merz: «Sie ist eine der ganz wenigen Bäuerinnen, die Senntümer machen. Eine begabte, ausdrucksstarke Schnitzerin.»

Klar erinnere sie sich «a de Herr Bondesrot», sagt Emmi Meier, 66. Zu Fuss sei er gekommen, über alle Hügel, durchs Tobel, «von Herisau zu uns nach Hundwil, sass hier in der Stube und kaufte mir eine Alpauffahrt ab».

Der Bauernhof der Meiers – schon die Adresse weckt Bilder: Flecken 185. Eine halbe Marsch­stunde südlich von Hundwil, 900 Meter hoch, mit Blick aufs Dorf hinunter, umgeben vom welligen, gegüllten Matten, zwi­schen Unterem Flecken, Flecken­wald und Oberem Flecken – da liegt der Flecken 185. Ein blass­gelb getäfertes Wohnhaus, daran angeschmiegt der Stall mit dem Vieh. Sieben Kühe: Mila, Bea, Fli­der, Malta, Mira, Flavia und Neti.

Der Hof ist alt, schon seine Grosseltern lebten in dem Hää­metli, erzählt Emil Meier, Emmis Mann. Der 71­Jährige ist grad da­ran, im Gaden ein neues Linden­holzbrett auszusuchen. Für seine Frau. Er habe anfangs wenig Freu­de gehabt, als Emmi mit dem Machen von Alpauffahrten be­gann, erzählt Emil. Beim Schnit­zen sei sie ungewohnt still ge­worden, völlig abwesend, hätte ihn gar nicht mehr wahrgenom­men. «Nömme gschwätzt» habe sie mit ihm, «nor no gschnitzt!». «Als Wiedergutmachung für die Vernachlässigung» – Emils rosi­ge Backen glühen beim Lachen noch kräftiger – «hat mir meine

Frau dann ihre allererste ge­schnitzte Alpauffahrt geschenkt.»

Emil Meier trägt das ausge­suchte, astreine Brett ins Haus. Das Holz stammt von einem Baum, den er vor 30 Jahren eigenhändig gefällt hat. Lindenholz ist ideal zum Schnitzen: Weich, reisst nicht, und es lässt sich gut kerben, schmirgeln, beizen und bemalen.

Am Stubentisch sitzt Emmi und nimmt das Brett entgegen. Warm ist es hier, der flaschen­grüne Kachelofen in der Ecke heizt das Haus. Sie hätten in den letzten Jahren etwas renovieren und isolieren müssen, sagt Emmi, «früher gefroren mir im Winter gar die Zwiebeln in der Küche».

Sie legt Schablonen aus Karton aufs Holz – Kühe, Kälbli, Rössli, Geissli, Menschen, sie sagt Mön­schli – und zeichnet die Konturen nach. Im Stall draussen sägt ihr Mann anschliessend die groben Umrisse mit einer Bandsäge aus. An Emils linker Hand sind zwei Finger verkürzt. Neinei, lacht er, nicht vom Sägen. Als Bub sei er durch eine Falltür gestiegen und habe sie hinter sich zugeschletzt, «obwohl ich noch nicht ganz draussen war».

Emmi Meier sortiert die aus­gesägten Rohlinge, kerbt am Ober­schenkel einer Kuh, erweckt mit dem kurzklingigen Schnitzer das Stück Holz zum Leben. Sie mag Kühe, «am liebsten die runden, dicken, braunen, ruhigen», so wie draussen im Stall die Mila, die sei ihr Schnitzvorbild. Emmi hat

Flecken 185 Der Hof von Familie Meier. Im Tal unten rechts steht der Kirchturm der Gemeinde Hundwil.

Zmittag Emil und Emmi in der Küche. Vor der Reno­vation gefroren hier im Winter vor Kälte gar die Zwiebeln.

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viel Erfahrung mit Kühen. Mehr, als ihr lieb ist.

Am 10. Juni 1950 wird sie ge­boren, in Schönengrund AR. Em­mi möchte Handarbeitslehrerin werden, sie hat gute Noten, der Vater lässt sie nicht. Sie muss da­heim auf dem Hof arbeiten, «ich war der Knecht», sagt Emmi. Und zum ersten Mal an diesem Tag wird die stille, zurückhaltende, gar ein wenig scheue Frau laut: «Ich war der Knecht!» So viele tausend Kuhfüdli habe sie ge­striegelt, «da weiss ich nur zu gut, wie die sich anfühlen. Darum kann ich sie auch gut schnitzen.»

1968 heiraten Emmi und Emil. Kennengelernt haben sie sich «am Sennenball in Urnäsch», sagt sie. «An der Chilbi in Schö­nengrund», sagt er. Es ist halt auch schon ase lang her …

1970 zieht das junge Ehepaar auf den Flecken 185, drei Kinder werden geboren, Emmi junior, Emil junior und Monika. Meiers sind Bauern. Emil verdient sich etwas dazu, er kann es gut mit Pferden, karrt mit Ross und Wa­gen Mehlsäcke für die Mühle he­rum, kutschiert Hochzeitspaare und fährt bei Trauerzügen mit dem Leichenwagen den Sarg zum Friedhof. Familie Meier arbeitet hart, rackert, für Hobbys hat hier keiner Zeit, geschweige denn noch Kraft nach Feierabend.

Bis Emmi zu schnitzen beginnt. Und merkt, wie ihr das Freude

macht: «Es ist die einzige Sache, bei der mir niemand dreinredet.» Sie besucht einen Schnitzkurs der Trachtenvereinigung. Man bescheinigt ihr dort, sie sei begabt.

Ein Original-Emmi-Senntum hat 43 Figuren: 21 Kühe, 1 Stier, 7 Geissen, 2 Ross (samt Tragräf mit Ankefässern und Chupfer­chessi), 1 Hund und 11 Mönschli. 43 Figuren. An jeder schnitzt Emmi Meier – je nach Saison, Wetter und Hofarbeit – zwischen ein paar Stunden bis ein paar

Wochen. Sie könne unmöglich sa­gen, wie lange sie an einem Senn­tum arbeite. Sie könne unmög­lich sagen, wie viele Senntümer sie schon gefertigt habe. Sie zählt nicht. Für sie zähle das Machen und die Freude beim Machen.

Der Stubentisch wird jetzt zur Werkbank. Mit Spänen, Aale, Stechbeitel, Schnitzer drauf. Mit Pinseln, Beize, Farbe, Leder («für Öhrchen und Hörner») und Zahnstocher («für die Zitzen der Euter»). Still sitzt die Künstlerin da, hinter ihr, auf dem Ofenbänk­li, ebenso still ihr Mann. Manch­mal läuft das Radio, manchmal der Fernseher, keiner redet. Auf der Kommode stehen die Fotos der Enkel, im Zeitungsständer steckt das «Hondwiler Blättli».

Woran denkt Emmi beim Schnitzen? «Am besten an nicht zu viel», es sei gäbiger fürs Herz, nicht an Gewesenem herumzu­studieren. Ihr linker Daumen, mit dem sie die Klötzli gegen das Messer presst, ist mit vielen haar­feinen Narben überzogen. Auch eine Form von Lebenslinien.

Emmi Meier arbeitet nie im Auftrag, das würde sie stressen, sie hat aber immer ein paar Senntümer in der Schublade. Sie verkauft an Einheimische und Heimweh­Appenzeller. Sie schnitzt Alpauffahrten in drei Grössen, klein, mittel, gross. Sie sagt auch, was es kostet, will es aber nicht geschrieben sehen. Nur so viel – es ist nicht viel. Eigent­lich erstaunlich wenig sogar, viel zu bescheiden doch der Preis, oder Emmi? Es ist, wie es ist, sagt sie.

Eine Figur ist dann fertig, «wenn es mir gefällt». Und nicht

vorher schon kaputtgeht. Wie oft splittert im letzten Moment ein Rossschwanz ab, wie tifig ist der Hutrand eines Manndlis weg. Kleine Kinder machen Em­mi die grössten Sorgen, «deren Näsli brechen ase schnell ab …».

Was wünscht sich Emmi noch im Leben? Ferien habe sie schon gehabt, rekapituliert sie, eine Tagesfahrt mit einem Car, man fuhr dabei auch ein paar Minuten durch Deutschland, «ich war also sogar schon im Ausland».

Nein, vielmehr wünscht sie sich gute Gesundheit. Sie besucht oft ihre bald 90­jährige Mutter im Altersheim, wo sie dann zu­sammen jassen. Emmi erzählt, wie sehr es sie dauert, wenn sie sieht, wie die alten Menschen zerfallen, wie deren Kopf und Glieder nicht mehr mitmachen, die Hände ver­sagen. Die Hände, ausgerechnet die Hände … Emmi betrachtet ihre eigenen, die eben mit dem Schnit­zer die muskelbepackten Schen­kel eines Stieres erschaffen.

Das Feuer im Kachelofen will verlöschen. Emmi heizt nach, mit Schnitzabfällen: Späne, Spreissel, ein abgebrochenes Kuhbein, eine halbe Geiss. Dazu ein paar Tann­zapfen, die brennen gut, riechen fein, und ihr Harz wirke wahre Wunder, verrät Emmi. Das Tann­zapfen­Harz vermengt sie mit Bienenhonig und anderen Natur­stoffen. Ein Heilmittel sei das, «selbst gemachte Zugsalbe», raunt sie, «die zieht über Nacht jeden Holzsplitter aus meinen Fingern». Alpauffahrtssplitter.

Emmi Meiers kunstvolles Senn­ und Schnitztum. Geht nicht nur ihr unter die Haut.

Wer ist er? Manche be­haupten, Emmi schnitze die Gesichter nach lebenden Vor­bildern. Sie lacht nur – und schweigt schmunzelnd.

Emmis Mönschli Träfe Appezöller Figuren

Emmi und Emil Das Ehepaar hat fast 50 Jahre auf dem Hof gerackert. Nun sind sie pensio­niert und haben noch sieben Kühe im Stall.

Echt & urchig Jedes Detail stimmt genau. Emmis bemalte hölzerne Sen­nen mit ihren Trachten und Schellen.

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