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Emmischnitzt ihre Heimat
Sie kerbt aus Holzklötzli Appenzeller Alpauffahrten. Die Werke von EMMI MEIER aus Hundwil AR sind so
furchig wie ihr Leben. Und begehrt: Sogar beim Bundesrat.
Kunst im Gras Emmi Meier, 66, auf der Wiese neben ihrem Hof ob Hundwil. Sie trägt ein von ihr geschnitztes Senntum.
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Musterkuh «Ich kann nicht zeichnen», so Emmi. Darum verwendet sie zum Markieren Kartonschablo nen.
Senntum Teil 1 Eine von Emmi geschnitzte Alp auffahrt. Der Umzug geht auf der nächsten Doppelseite weiter.
«Jedes geschnitzte Senntum von mir best eht aus 43 Figuren. Tiere und Mönschli»Ohne Worte Emmi sitzt am Stubentisch und schnitzt. Emil sitzt auf dem Ofenbänkli und schaut zu. Niemand redet.
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Sagenhaft Emmis Mann Emil, 71, sägt im Stall draussen mit einer Bandsäge die Figuren grob aus zu Rohlingen.
«Ich habe schon Tausende Kuhfüdli gestriegelt. Darum weiss ich genau, wie man die schnitzt»
Senntum Teil 2 Alle Figuren sind aus LindenholzKlötzli gefertigt und gebeizt oder bemalt.
Fingerfertig Ein Kuhrohling wird in Angriff genommen. Feine Arbeiten meistert Emmi mit dem Teppichmesser.
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Der Esstisch als Werkbank. Nur wenige Frauen
schnitzen SenntümerWirkungsort Bereits Emmis Arbeitsplatz gleicht einem Kunstwerk: Späne, Hölzer, Rohlinge und allerlei Werkzeug.
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TEXT MARCEL HUWYLER FOTOS FABIENNE BÜHLER
Dass Emmi Meier aus Hundwil, dem högerigen Dorf in Appenzell Ausserrhoden, eine
so bedeutende Schnitzerin wurde, verdankt sie den Chläusen und den Säuen.
Vor bald 30 Jahren wollte ihr Bub, der Emil junior, beim Silvesterchlausen mitmachen: Zum Kostüm der Chläuse gehört auch ein Hut mit Holzfiguren, die Szenen aus dem bäuerlichen Alltag zeigen. Solche Figuren sind teuer. Viel zu teuer damals für Bauernfamilie Meier. Also selber machen, sagt sich Mutter Emmi. Im Zeichnen ist sie zwar untalentiert (sagte ihr Lehrer, sagt auch sie), aber vielleicht geht ihr ja das Schnitzen gäbiger von der Hand. Sie will es probieren. Hat aber nie Zeit.
Bis ein paar trächtige Sauen in Meiers Stall ihre Ferkel gebären wollen. Also wacht Emmi Meier jede Nacht im Stall und wartet, bis die Sauen werfen, hat nichts zu tun und nimmt drum zum Z eitvertreib ein Klötzli und ein Gemüsemesser und kerbt daran herum. Und schnitzt so ihr erstes Figürchen für Emils SilvesterchlausenHut – ein Geissli.
Diese Appenzeller … Inner wie Ausserrhoder. Zwerge, was Fläche und Einwohnerzahl anbelangt, aber Riesen in Sachen Folklore, Tradition und Kunsthandwerk: Man kennt das Handsticken, Trachtennähen, Schellenschmieden, Schindelhauen, Weissküfen, die Sennensattlerei und die weltberühmte naive Bauernmalerei. Die Schnitzerei aber hatte lange Zeit einen zu tiefen Stellenwert. Sagt einer, der sich auskennt: alt Bundesrat HansRudolf Merz aus Herisau AR.
Er begann vor vielen Jahren, eine Sammlung von geschnitzten
Musterstück Emmi mit ihren Kühen im Stall. Jene links, mit Namen Mila, dient ihr beim Schnitzen als Vorbild.
Alpauffahrten (Senntumschnitzerei genannt) aufzubauen. Das Öberefahre, wie es die Heimischen nennen, sind jene ritualisierten Umzüge, bei denen Bauern und Sennen mit Schellen und Zauren (lang gezogener Naturjodel ohne Worte) ihre Tiere auf die Alpen geleiten. Auch Emmi Meier sei in seiner Sammlung vertreten, sagt Merz: «Sie ist eine der ganz wenigen Bäuerinnen, die Senntümer machen. Eine begabte, ausdrucksstarke Schnitzerin.»
Klar erinnere sie sich «a de Herr Bondesrot», sagt Emmi Meier, 66. Zu Fuss sei er gekommen, über alle Hügel, durchs Tobel, «von Herisau zu uns nach Hundwil, sass hier in der Stube und kaufte mir eine Alpauffahrt ab».
Der Bauernhof der Meiers – schon die Adresse weckt Bilder: Flecken 185. Eine halbe Marschstunde südlich von Hundwil, 900 Meter hoch, mit Blick aufs Dorf hinunter, umgeben vom welligen, gegüllten Matten, zwischen Unterem Flecken, Fleckenwald und Oberem Flecken – da liegt der Flecken 185. Ein blassgelb getäfertes Wohnhaus, daran angeschmiegt der Stall mit dem Vieh. Sieben Kühe: Mila, Bea, Flider, Malta, Mira, Flavia und Neti.
Der Hof ist alt, schon seine Grosseltern lebten in dem Häämetli, erzählt Emil Meier, Emmis Mann. Der 71Jährige ist grad daran, im Gaden ein neues Lindenholzbrett auszusuchen. Für seine Frau. Er habe anfangs wenig Freude gehabt, als Emmi mit dem Machen von Alpauffahrten begann, erzählt Emil. Beim Schnitzen sei sie ungewohnt still geworden, völlig abwesend, hätte ihn gar nicht mehr wahrgenommen. «Nömme gschwätzt» habe sie mit ihm, «nor no gschnitzt!». «Als Wiedergutmachung für die Vernachlässigung» – Emils rosige Backen glühen beim Lachen noch kräftiger – «hat mir meine
Frau dann ihre allererste geschnitzte Alpauffahrt geschenkt.»
Emil Meier trägt das ausgesuchte, astreine Brett ins Haus. Das Holz stammt von einem Baum, den er vor 30 Jahren eigenhändig gefällt hat. Lindenholz ist ideal zum Schnitzen: Weich, reisst nicht, und es lässt sich gut kerben, schmirgeln, beizen und bemalen.
Am Stubentisch sitzt Emmi und nimmt das Brett entgegen. Warm ist es hier, der flaschengrüne Kachelofen in der Ecke heizt das Haus. Sie hätten in den letzten Jahren etwas renovieren und isolieren müssen, sagt Emmi, «früher gefroren mir im Winter gar die Zwiebeln in der Küche».
Sie legt Schablonen aus Karton aufs Holz – Kühe, Kälbli, Rössli, Geissli, Menschen, sie sagt Mönschli – und zeichnet die Konturen nach. Im Stall draussen sägt ihr Mann anschliessend die groben Umrisse mit einer Bandsäge aus. An Emils linker Hand sind zwei Finger verkürzt. Neinei, lacht er, nicht vom Sägen. Als Bub sei er durch eine Falltür gestiegen und habe sie hinter sich zugeschletzt, «obwohl ich noch nicht ganz draussen war».
Emmi Meier sortiert die ausgesägten Rohlinge, kerbt am Oberschenkel einer Kuh, erweckt mit dem kurzklingigen Schnitzer das Stück Holz zum Leben. Sie mag Kühe, «am liebsten die runden, dicken, braunen, ruhigen», so wie draussen im Stall die Mila, die sei ihr Schnitzvorbild. Emmi hat
Flecken 185 Der Hof von Familie Meier. Im Tal unten rechts steht der Kirchturm der Gemeinde Hundwil.
Zmittag Emil und Emmi in der Küche. Vor der Renovation gefroren hier im Winter vor Kälte gar die Zwiebeln.
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viel Erfahrung mit Kühen. Mehr, als ihr lieb ist.
Am 10. Juni 1950 wird sie geboren, in Schönengrund AR. Emmi möchte Handarbeitslehrerin werden, sie hat gute Noten, der Vater lässt sie nicht. Sie muss daheim auf dem Hof arbeiten, «ich war der Knecht», sagt Emmi. Und zum ersten Mal an diesem Tag wird die stille, zurückhaltende, gar ein wenig scheue Frau laut: «Ich war der Knecht!» So viele tausend Kuhfüdli habe sie gestriegelt, «da weiss ich nur zu gut, wie die sich anfühlen. Darum kann ich sie auch gut schnitzen.»
1968 heiraten Emmi und Emil. Kennengelernt haben sie sich «am Sennenball in Urnäsch», sagt sie. «An der Chilbi in Schönengrund», sagt er. Es ist halt auch schon ase lang her …
1970 zieht das junge Ehepaar auf den Flecken 185, drei Kinder werden geboren, Emmi junior, Emil junior und Monika. Meiers sind Bauern. Emil verdient sich etwas dazu, er kann es gut mit Pferden, karrt mit Ross und Wagen Mehlsäcke für die Mühle herum, kutschiert Hochzeitspaare und fährt bei Trauerzügen mit dem Leichenwagen den Sarg zum Friedhof. Familie Meier arbeitet hart, rackert, für Hobbys hat hier keiner Zeit, geschweige denn noch Kraft nach Feierabend.
Bis Emmi zu schnitzen beginnt. Und merkt, wie ihr das Freude
macht: «Es ist die einzige Sache, bei der mir niemand dreinredet.» Sie besucht einen Schnitzkurs der Trachtenvereinigung. Man bescheinigt ihr dort, sie sei begabt.
Ein Original-Emmi-Senntum hat 43 Figuren: 21 Kühe, 1 Stier, 7 Geissen, 2 Ross (samt Tragräf mit Ankefässern und Chupferchessi), 1 Hund und 11 Mönschli. 43 Figuren. An jeder schnitzt Emmi Meier – je nach Saison, Wetter und Hofarbeit – zwischen ein paar Stunden bis ein paar
Wochen. Sie könne unmöglich sagen, wie lange sie an einem Senntum arbeite. Sie könne unmöglich sagen, wie viele Senntümer sie schon gefertigt habe. Sie zählt nicht. Für sie zähle das Machen und die Freude beim Machen.
Der Stubentisch wird jetzt zur Werkbank. Mit Spänen, Aale, Stechbeitel, Schnitzer drauf. Mit Pinseln, Beize, Farbe, Leder («für Öhrchen und Hörner») und Zahnstocher («für die Zitzen der Euter»). Still sitzt die Künstlerin da, hinter ihr, auf dem Ofenbänkli, ebenso still ihr Mann. Manchmal läuft das Radio, manchmal der Fernseher, keiner redet. Auf der Kommode stehen die Fotos der Enkel, im Zeitungsständer steckt das «Hondwiler Blättli».
Woran denkt Emmi beim Schnitzen? «Am besten an nicht zu viel», es sei gäbiger fürs Herz, nicht an Gewesenem herumzustudieren. Ihr linker Daumen, mit dem sie die Klötzli gegen das Messer presst, ist mit vielen haarfeinen Narben überzogen. Auch eine Form von Lebenslinien.
Emmi Meier arbeitet nie im Auftrag, das würde sie stressen, sie hat aber immer ein paar Senntümer in der Schublade. Sie verkauft an Einheimische und HeimwehAppenzeller. Sie schnitzt Alpauffahrten in drei Grössen, klein, mittel, gross. Sie sagt auch, was es kostet, will es aber nicht geschrieben sehen. Nur so viel – es ist nicht viel. Eigentlich erstaunlich wenig sogar, viel zu bescheiden doch der Preis, oder Emmi? Es ist, wie es ist, sagt sie.
Eine Figur ist dann fertig, «wenn es mir gefällt». Und nicht
vorher schon kaputtgeht. Wie oft splittert im letzten Moment ein Rossschwanz ab, wie tifig ist der Hutrand eines Manndlis weg. Kleine Kinder machen Emmi die grössten Sorgen, «deren Näsli brechen ase schnell ab …».
Was wünscht sich Emmi noch im Leben? Ferien habe sie schon gehabt, rekapituliert sie, eine Tagesfahrt mit einem Car, man fuhr dabei auch ein paar Minuten durch Deutschland, «ich war also sogar schon im Ausland».
Nein, vielmehr wünscht sie sich gute Gesundheit. Sie besucht oft ihre bald 90jährige Mutter im Altersheim, wo sie dann zusammen jassen. Emmi erzählt, wie sehr es sie dauert, wenn sie sieht, wie die alten Menschen zerfallen, wie deren Kopf und Glieder nicht mehr mitmachen, die Hände versagen. Die Hände, ausgerechnet die Hände … Emmi betrachtet ihre eigenen, die eben mit dem Schnitzer die muskelbepackten Schenkel eines Stieres erschaffen.
Das Feuer im Kachelofen will verlöschen. Emmi heizt nach, mit Schnitzabfällen: Späne, Spreissel, ein abgebrochenes Kuhbein, eine halbe Geiss. Dazu ein paar Tannzapfen, die brennen gut, riechen fein, und ihr Harz wirke wahre Wunder, verrät Emmi. Das TannzapfenHarz vermengt sie mit Bienenhonig und anderen Naturstoffen. Ein Heilmittel sei das, «selbst gemachte Zugsalbe», raunt sie, «die zieht über Nacht jeden Holzsplitter aus meinen Fingern». Alpauffahrtssplitter.
Emmi Meiers kunstvolles Senn und Schnitztum. Geht nicht nur ihr unter die Haut.
Wer ist er? Manche behaupten, Emmi schnitze die Gesichter nach lebenden Vorbildern. Sie lacht nur – und schweigt schmunzelnd.
Emmis Mönschli Träfe Appezöller Figuren
Emmi und Emil Das Ehepaar hat fast 50 Jahre auf dem Hof gerackert. Nun sind sie pensioniert und haben noch sieben Kühe im Stall.
Echt & urchig Jedes Detail stimmt genau. Emmis bemalte hölzerne Sennen mit ihren Trachten und Schellen.
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