Der Digitale Bildungspakt für Deutschland - Politische...

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Digitale Bildung birgt das Versprechen, dass die Men-

schen am digitalen Wandel und seinen besonderen

Chancen teilhaben können. Der souveräne Zugang

zum Wissen dieser Welt, zum Leben und Arbeiten in

der digitalen Welt muss allen offenstehen.

Ich bin beeindruckt von der gut vernetzten Com-

munity leidenschaftlich Lehrender an Schulen und

Hochschulen, die mit neuen Formaten und digitalen

Medien experimentieren und dabei eine neue Lehr-

und Lernkultur entwickeln. Doch in der Breite der

Bildungsinstitutionen ist die Nutzung von Lern-Apps,

Open Educational Resources, MOOCs und Co. noch

nicht angekommen.

Viele Lehrkräfte sind unsicher, wie sie digitale Forma-

te in den Unterricht einbringen sollen. Wir müssen in

die technische Ausstattung investieren – und deshalb

durch die Abschaffung des Kooperationsverbots die

Möglichkeit schaffen, dass der Bund sich inanziell für bessere Schulen engagieren darf. Damit digitale

Bildung auf breiter Front Einzug hält, fehlen aber mehr

als Breitband und digitale Endgeräte. Es braucht eine

systematische Förderung offener digitaler Lernmate-

rialien, und die Lehrenden brauchen Freiräume, Mut

und die notwendigen Kompetenzen für den digitalen

Wandel im Lehren und Lernen.

2016 wird ein gutes Jahr für die Digitale Bildung wer-

den. Im November wird der IT-Gipfel sich schwerpunkt-

mäßig mit diesem Thema auseinandersetzen; dazu

nähert sich die Entwicklung der Strategie „Digitales

Lernen“ durch Bund und Länder dem Ende. Damit wird

sowohl der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD,

als auch der von den Koalitionsfraktionen initiierte so-

wie im Bundestag 2015 verabschiedete Antrag „Durch

Stärkung der Digitalen Bildung Medienkompetenz

fördern und digitale Spaltung überwinden“ umgesetzt.

Es wird Zeit, dass konkrete Taten folgen. Ich freue mich

sehr, dass Bundesbildungsministerin Johanna Wanka

auf Grundlage dieses Antrags den „DigitalPakt#D“

angekündigt hat, der vorsieht, bis zu fünf Milliarden

Euro den Schulträgern für die digitale Ausstattung an

Grundschulen, weiterführenden allgemeinbildenden

Schulen und berulichen Schulen zur Verfügung zu stellen. Im Gegenzug entwickeln die Länder pädagogi-

sche Konzepte und passen Lehreraus-/fortbildung den

Anforderungen der Digitalisierung an. Damit leistet der

Bund einen enormen Beitrag dazu, die Schülerinnen

und Schüler it für die Zukunft zu machen. Bei diesem Prozess braucht Deutschland wie bei der Plattform

Industrie 4.0 das Engagement der Wirtschaft und ihrer

Unternehmen, auf das ich weiterhin zähle.

Politische Geleitworte

Saskia Esken, Mitglied

des Deutschen Bundestages;

Berichterstatterin

für digitale Bildung der

SPD-Bundestagsfraktion

Sven Volmering, Mitglied

des Deutschen Bundestages;

Berichterstatter für digitale

Bildung, Bildungsforschung

und Medienkompetenz der

CDU/CSU-Bundestagsfraktion

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Ein digitaler Bildungspakt für Deutschland

66,0 %

50,8 %

46,0 %

43,0 %

40,2 %

35,9 %

34,2 %

23,8 %

22,7 %

18,4 %

16,8 %

9,1 %

Australien

Niederlande

Hongkong

Litauen

Dänemark

Norwegen

OECD-Mittelwert

Türkei

Thailand

Polen

Kroatien

Deutschland

Lehrer, die täglich den Computer im Unterricht einsetzen

„In keinem anderen Teilnehmerland setzen Lehrkräfte Computer seltener im Unterricht

ein als in Deutschland.“ (Quelle: ICILS; ausgewählte Länder)

Unser Alltag und unser Leben, unsere Umwelt und

unsere Beziehungen sind digital geprägt. Wer daran

teilhaben will, braucht digitales Grundwissen – und

dieses Know-How müssen in erster Linie die Bil-

dungseinrichtungen vermitteln: Nur mit ihrer Hilfe

kann es gelingen, Menschen aller Altersstufen mit

den Kompetenzen auszustatten, die für gesellschaft-

liche Partizipation notwendig sind. Im Wissen um

diese Aufgabe haben sich verschiedene Initiativen

und Verbände, Bildungsanbieter und Unternehmen

zum „Digitalen Bildungspakt“ zusammengeschlossen.

Wir setzen uns dafür ein, dass alle Bildungseinrich-

tungen lächendeckend in die Lage versetzt werden, die geschilderten Aufgaben erfüllen zu können. Wir

appellieren an die gemeinsame Verantwortung von

staatlichen, zivilgesellschaftlichen und wirtschaft-

lichen Akteuren für eine nachhaltige, zukunfts-

fähige Bildung - gerade auch im internationalen

Vergleich. Für diese Broschüre haben wir eine Reihe

gemeinsamer politischer Handlungsempfehlungen

entwickelt und Experten gebeten, sich zu diesen

Handlungsfeldern zu äußern.

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Wir brauchen einen nationalen Aktionsplan und ein Investitionsprogramm für Bildung in der digitalen Welt.

Die Bundesregierung hat mit der Ankündi-

gung einer Bildungsoffensive und dem Vor-

schlag eines DigitalPakt#D zwischen Bund

und Ländern einen wichtigen Schritt in Rich-

tung einer gemeinsamen Strategie und eines

gemeinsamen Aktionsplans für Bildung in

der digitalen Welt gemacht.

Nun kommt es darauf an, wie Strategie und

Umsetzung zwischen Bund und Ländern kon-

kret ausgestaltet werden soll.

Mit einem nationalen Aktionsplan und ei-

nem nationalen Investitionsprogramm sollte

langfristig und lächendeckend sichergestellt werden, dass alle Bildungseinrichtungen in

Deutschland die notwendigen Vorausset-

zungen und Rahmenbedingungen haben,

um Lernenden die Kompetenzen zu vermit-

teln, die sie für eine digitale Gesellschaft und

Arbeitswelt benötigen.

Ziele und Handlungsrahmen des Aktions-

plans könnten mittelfristig in einem Staats-

vertrag für „Bildung in der digitalen Welt“

festgelegt werden. Dieser sollte unter ande-

rem Mindeststandards für digitale Informa-

tions- und Medienkompetenz und informa-

tische Grundbildung deinieren. Auch muss es um konkrete Maßnahmen wie die Bereit-

stellung der notwendigen technischen In-

frastrukturen, die Entwicklung didaktischer

Konzepte und die Aus- und Fortbildung von

Pädagogen und Lehrkräften gehen.

Damit der Staatsvertrag nachhaltig Wirkung

entfalten kann, ist ein nationales Investiti-

onsprogramm notwendig, um die entspre-

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chenden Voraussetzungen unter anderem im

Bereich der technischen Infrastrukturen zu

schaffen. Neben einer Anschubinanzierung bedarf es eines nachhaltigen Finanzierungs-

konzepts, das die Umsetzung der im Staats-

vertrag festgelegten Ziele sicherstellt.

Der Finanzierungsbedarf und die Finanzie-

rungsmöglichkeiten sollten in Zusammenar-

beit zwischen Bund, Ländern und Kommunen

ermittelt werden.

Dabei gilt es, die Kooperationsmöglichkei-

ten, die Bund, Länder und Kommunen be-

reits heute zur Finanzierung haben, auszu-

schöpfen und den Bildungseinrichtungen

mehr Autonomie zu geben, beispielweise

durch Bildungshaushalte für Digitales für

jede Schule.

Wir regen weiterhin an, Stakeholder aus

Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft in

einen nationalen Aktionsplan mit einzube-

ziehen. Denn nur so ist gewährleistet, dass

Menschen entlang der gesamten Bildungs-

kette erfolgreich für Leben und Arbeiten in

einer digitalen Welt gerüstet sind.

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Würde man einen

Prozentpunkt der Mehrwertsteuer für

digitale Bildung aufwenden, stünden

pro Jahr rund 10 Milliarden Euro

zusätzlich an Mitteln für ein nationales

Investitionsprogramm und nahezu

1000 Euro pro Schüler zur Verfügung.

1 %

Wir brauchen verbindliche Bildungsstandards für die digitale Welt.

Damit nachhaltiges Lernen nicht vom

Zufall oder vom Engagement ein-

zelner Bildungseinrichtungen oder

Lehrkräften abhängt, müssen sich

die Kultusministerien auf verbindli-

che länder- und fächerübergreifende

Bildungsstandards für das Lernen

und Lehren in der digitalen Welt ei-

nigen. Dies umfasst sowohl Standards

für digitale Informations- und Me-

dienkompetenz und informatische

Grundbildung als auch die didak-

tisch-pädagogischen Standards.

Die dafür notwendigen Inhalte und

didaktischen Konzepte müssen von

der Landespolitik zügig in den Lehr-

plänen und in der Aus-, Fort- und

Weiterbildung der Lehrkräfte veran-

kert werden.

99 % der Schüler

wollen mehr

digitale Themen

im Unterricht.(Quelle: Bitkom)

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Bildung in der digitalen Welt stärkt Bürger und

Wirtschaft. Das deutsche Bildungssystem ist hier

gefordert. Die Chancengerechtigkeit muss verbes-

sert, Ganztagsschulen und das inklusive Bildungs-

angebot ausgebaut und die digitale Bildung voran-

getrieben werden. Wir müssen in der Bildung viel

stärker die Potenziale der digitalen Technologien

nutzen und damit lexibles und ortsunabhängiges Lernen erschließen, individualisiertes und koopera-

tives Lernen erleichtern, aber auch inklusive Bildungs-

ansätze unterstützen.

Digitale Bildung kostet Geld

Schon jetzt reichen die Mittel der Kommunen für

die Renovierung und Modernisierung von Gebäu-

den vorn und hinten nicht. Der Investitionsbedarf

liegt bei 34 Milliarden Euro. Der Bund sollte sich

im Rahmen eines Investitionsprogramms zur

Modernisierung von Schulen an den Aufwendungen

der Kommunen beteiligen können. Investitionen

in die Bildung reduzieren nicht zuletzt spätere Auf-

wendungen für Sozialleistungen. Ausdrücklich zu

begrüßen ist der Vorschlag der Bundesbildungs-

ministerin, die 40.000 Schulen mit einer Breitband-

anbindung, Computern und WLAN zu versorgen.

Der Bund will bis 2021 fünf Milliarden Euro für

ein Projekt mit den Ländern „DigitalPakt#D“

zur Verfügung stellen. Das ist richtig und not-

wendig. Eine Mitinanzierung des Bundes im Bereich Bildung ist unverzichtbar.

Die Länder stehen in der Plicht, die Medienbildung in den Lehr- und Bildungsplänen zu verankern.

Die Kultusministerkonferenz muss einheitliche

Mindeststandards zur schulischen Medienkompe-

tenz erarbeiten, die Freiräume für Schulen enthal-

ten, eigene Visionen vom Lernen in einer digitalen

Zeit zu entwickeln. Eine weitere Grundvorausset-

zung ist das Vorhandensein der entsprechenden

technischen Infrastruktur, die den Schülerinnen

und Schülern vernetztes Lernen ermöglicht.

Franz-Reinhard Habbel (r.),

Sprecher, und Uwe Lübking,

Beigeordneter des

Deutschen Städte- und

Gemeindebundes

„Digitale Bildung stärkt Menschen und Unternehmen“

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Lena-Sophie Müller,

Geschäftsführerin

der Initiative D21 e. V.

„Das Bildungssystem liefert zu wenig.“

Digitalisierung ist Alltag. Ob es die Familien-

WhatsApp-Gruppe ist, in der man Bilder vom

Nachwuchs teilt, oder die Armbanduhr, die erin-

nert, heute noch 1000 Schritte zu gehen. Digita-

lisierung ist aber auch der Geldautomat um die

Ecke, das Navigationsgerät im Auto und Algorith-

men, die entscheiden, was uns im Netz bei Such-

maschinen oder anderen digitalen Plattformen

vorgeschlagen wird. In dieser digitalisierten Welt

benötigt die Gesellschaft auch neue Kompetenzen:

Digitalkompetenzen, also ein Rechts-, Sicherheits-

und Datenbewusstsein, gestalterische, technische

und problemlösende Fertig- und Fähigkeiten

sowie soziale Kompetenz. Sie sind für das selbst-

bestimmte Navigieren durch die Digitale Welt

ebenso wichtig wie Lesen, Schreiben, Rechnen

und müssen ebenso gelehrt werden.

Lernen unter der Maßgabe einer digitalisierten

Gesellschaft

Momentan jedoch liefert das Bildungssystem an

diesem Punkt zu wenig: Es ist an vielen Stellen all-

tagsfremd und damit eine Zukunftsbremse. Dabei

muss Bildung den digitalen Wandel der Gesell-

schaft nachvollziehen und das Lernen unter der

Maßgabe einer digitalisierten Gesellschaft umset-

zen. Die Vermittlung von Digitalkompetenzen ist

Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe und

Schlüssel zu einem erfolgreichen Berufsleben und

absolut notwendig für ein selbstbestimmtes Leben.

Wer nicht ankommt in der Welt des Digitalen,

wer die Regeln nicht verstehen lernt und die

Chancen nicht für sich zu nutzen weiß, wird im

21. Jahrhundert zunehmend benachteiligt sein.

Und das gilt nicht nur für den Jugendlichen, der

digitale Selbstbestimmtheit als Voraussetzung für

einen gelungenen Start ins Berufsleben benötigt,

sondern in gleichem Maße für alle Menschen.

Jede Zeit hat ihre Herausforderung – die Gestal-

tung einer digital selbstbestimmten Gesellschaft

ist unsere.

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Wir brauchen Konzepte für Chancengerechtigkeit in der digitalen Welt.

Lernen und Lehren mit digitalen

Medien bieten die Chance für mehr

Bildungsgerechtigkeit: Der Zugang

zu Bildungsinhalten und Lernmitteln

wird einfacher; individualisiertes,

zeit- und ortsunabhängiges Lernen

wird erleichtert. Neue Lernformen

wirken motivationssteigernd, das

informelle Lernen wird gestärkt,

und digitale Kommunikationsmittel

unterstützen den Austausch zwi-

schen Lernenden und ihren Lehrkräf-

ten auch außerhalb von Bildungs-

einrichtungen.

Um diejenigen, die bisher einen

schwierigeren Zugang zu Bildungs-

angeboten haben – sei es durch sozi-

ale Herkunft oder weil sie in struktur-

schwachen Regionen leben –, mög-

lichst früh zu erreichen, müssen alle

Bildungseinrichtungen, auch jen-

seits von Kindergärten und Schulen,

bei der Entwicklung und Umsetzung

entsprechender Förderangebote so-

wie Bildungspartnerschaften mit El-

tern und anderen außerschulischen

Akteuren unterstützt werden. Wenn

nicht alle Kinder auf diesem Weg

mitgenommen werden, droht in

Deutschland ein zunehmender digi-

taler Analphabetismus.

90 % aller

Berufe erfordern

künftig digitale

Kompetenzen.(Quelle: EU)

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Kiron Open Higher Education ist die welt-

weit erste Bildungsplattform, die Gelüch-

teten einen barrierefreien Zugang zu Hoch-

schulbildung ermöglicht. Das innovative

Bildungskonzept umfasst ein bis zwei Jahre

Online-Studium auf einer eigens dafür

entworfenen Plattform sowie ein darauf-

folgendes Präsenzstudium an einer der

Partnerhochschulen von Kiron.

Um für Gelüchtete langfristige Perspektiven im jeweiligen Gastland zu schaffen, verfolgt

Kiron einen digitalen Lösungsansatz für eine

globale Herausforderung.

Hila Azadzoy, Gesellschafterin

und Head of Academics

bei Kiron Open Higher Education

„Bildung soll als das erfahren werden, was sie sein sollte: ein Grundrecht.“

Kiron möchte gelüchteten Menschen die gleichen Chancen auf Bildungserfolg in

Aussicht stellen, da sie in der Aufnahme

eines Studiums etlichen Barrieren gegen-

überstehen, welche ein oft langes Warten

und Nichtstun mit sich bringen. Bildung

stellt dabei nicht nur ein Schlüsselelement

für eine gelungene Integration dar, sondern

befähigt Gelüchtete gleichermaßen, in ein selbstbestimmtes Leben zurückzukehren.

Das skalierbare Modell der Kiron Online-

Plattform bringt einen virtuellen Raum

hervor, welcher mit wenig Ressourcen

möglichst vielen Menschen unabhängig von

möglichen Hürden wie Sprachkenntnissen,

inanziellen Mitteln oder fehlenden Doku-

menten den Zugang zu Hochschulbildung

bereitstellt, um Bildung als das zu erfahren,

was sie sein sollte: ein Grundrecht.

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Martin Drechsler,

Geschäftsführer der

Freiwilligen Selbstkontrolle

Multimedia-Diensteanbieter

(FSM e. V.)

„Digitale Medien als Katalysator für Bildungsgerechtigkeit?“

Alle Kinder haben den gleichen Anspruch

auf Zugang zu Bildung, unabhängig von

wirtschaftlichen Möglichkeiten, sozialer

Zugehörigkeit oder dem Bildungsgrad ihrer

Eltern. Was selbstverständlich scheint und

sich aus dem allgemeinen Gleichheitsgebot

des Grundgesetzes ergibt, stellt Staat und

Gesellschaft seit jeher vor Herausforde-

rungen. Auf dem Weg zu mehr Chancen-

gleichheit sind strukturelle und inhaltliche

Aspekte zu bedenken, die heutzutage auch

das Digitale umfassen müssen.

Die Möglichkeiten digitaler Medien rütteln

am schulischen Hoheitsanspruch, dominie-

render Lernraum zu sein: Lernen ist nicht

länger an Ort und Zeit gebunden und die

Bedeutung informeller Lernprozesse steigt.

Strukturell bedarf es daher eines stärkeren

sozialräumlichen, lebensweltorientierten

und den digitalen Raum umfassenden

Agierens, das sowohl die Vernetzung und

Kooperation von Bildungs- und Erziehungs-

einrichtungen als auch die eminent wich-

tige Rolle der Eltern und die Erwartungen

und Bedürfnisse der Lernenden selbst

berücksichtigt.

Veränderung einer Lernkultur

Inhaltlich wirken digitale Medien als Kataly-

sator für die Veränderung einer Lernkultur,

die individuelle Stärken und Schwächen der

einzelnen SchülerInnen fokussiert und das

eigenverantwortliche Lernen, Entdecken

und Relektieren unterstützt. Wir müssen verstehen und akzeptieren, dass digitale

Medien Bildung und Erziehung verändern,

und wir müssen noch deutlicher ihren

Einluss auf die ganzheitliche Persönlich-

keitsentwicklung junger Menschen wert-

schätzen. Allein die Verbreitung technischer

Geräte und die Verfügbarkeit digitaler

Lernmittel führt dabei nicht automatisch

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zu mehr Bildungsgerechtigkeit. Vielmehr ist

die inhaltliche und konzeptionelle Nutzung

digitaler Medien entscheidend. Ziel muss es

deshalb sein, digitale Medienbildung in den

Curricula der Bildungsinstitutionen besser

zu verankern. Digitale Medien müssen er-

fahrbar gemacht sowie kreativ und relexiv in Lernarrangements genutzt werden.

Gerechter Zugang für alle

Dabei unterstützt eine Bündelung von Erfah-

rungen und Expertise der unterschiedlichs-

ten Bildungs- und Erziehungsinstitutionen,

die Bedürfnisse der Lernenden besser zu

verstehen. Dazu bedarf es nicht nur einer

gründlichen Zielgruppenanalyse, sondern

insbesondere auch einer milieuspeziischen Ansprache und Methodik. Lebenslanges

Lernen wird durch digitale Medien

erleichtert. Dass die Chancen auf einen

gerechteren Zugang für alle mit diesen

Möglichkeiten schritthalten, ist die neue

Herausforderung für die Gesellschaft.

Downloadrate

von mindestens 50 Megabit

Downloadrate

unter 50 Megabit

26 %

Ländliche Gemeinden Städtische Gemeinden

85 %

(Quelle: BMVI, TÜV Rheinland, IW Köln)

Chancengerechtigkeit – auch eine Frage des Wohnorts

Breitbandinternet – so viel Prozent der Haushalte in Deutschland stand in 2015

eine Downloadrate von mindestens 50 Megabit pro Sekunde zur Verfügung

15

Wir brauchen Bildung für die digitale Welt entlang der gesamten Bildungskette.

Die fortschreitende Prägung der

Lebens- und Arbeitswelt durch Digi-

talisierung ist keine vorübergehende

Erscheinung.

Deshalb müssen das Lehren und Ler-

nen mit und über digitale Medien

und andere Systeme, Phänomene

und Situationen der digitalen Welt

entlang der gesamten Bildungsket-

te entwickelt werden: von der Kita

über die Schulen, die Ausbildung,

das Studium bis hin zu Angeboten

des lebenslangen Lernens. Alle dar-

an beteiligten Bildungseinrichtungen

müssen kapazitativ und konzeptio-

nell dazu in die Lage versetzt werden,

entsprechende Bildungskonzepte zu

entwickeln und umzusetzen.

Dazu braucht es eine kontinuierliche

Finanzierung in der Fläche und nicht

nur die Förderung von Leuchtturm-

projekten. Bildungs- und Erziehungs-

institutionen müssen sich stärker

vernetzen und kooperieren, um ins-

besondere die Übergänge zwischen

einzelnen Einrichtungen erfolgreich

zu gestalten.

30 % der Achtklässler

haben nur rudimentäre

digitale Kompetenzen. (Quelle: ICILS)

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Regelmäßig hören wir, dass die digitalen

Medien das Lernen und das Lehren wesent-

lich verändern werden. Doch in der vielfach

genutzten Rede von der „Wirkung“ digitaler

Medien auf die Bildung verbirgt sich ein

problematisches Verständnis der Medien.

Die digitale Technik bewirkt nämlich nicht

„unweigerlich“ diese oder jene Entwicklung

in der Bildung.

Wir können sogar auf Grundlage vieler

Untersuchungen davon ausgehen, dass

die Medien das Lehren und Lernen nicht

a priori verändern. Sie haben allerdings das

Potenzial, dass wir Lernprozesse mit digita-

len Medien anders gestalten können:

Mediengestützte Lernarrangements können

so angelegt sein, dass sie die Selbststeue-

rung beim Lernen, das gemeinsame Lernen

oder die Flexibilisierung fördern, die der

Vielfalt der Lernenden entgegenkommt.

Es hängt von der Aufbereitung der Medien

ab, ob sich bestimmte Erwartungen, die mit

den Medien verbunden sind, einlösen lassen.

Der Blick wendet sich damit: Es ist nicht die

Technik, die Bildung verändert, sondern

Menschen können Bildung verändern – um

ein anderes Lernen mit digitalen Medien zu

entwickeln, um eine Lernkultur zu etablie-

ren, die das selbstgesteuerte genauso wie

das kooperative Lernen oder das problem-

basierte Lernen mit vielfältigen Materialien

in den Mittelpunkt stellt.

Ein solcher Wandel von Lernkultur lässt

sich oftmals nur schwer erzielen. Die

„digitale Transformation“ wird aber sicher

scheitern, wenn wir davon ausgehen, dass

sie durch den Einsatz der Technik selbst

bewirkt wird. Wenn wir jedoch andere For-

men des Lernens einführen wollen, dann

ist dies als ein umfassender und länger

anhaltender Change-Prozess zu gestalten.

Michael Kerres,

Professor für Mediendidaktik

und Wissensmanagement an

der Universität Duisburg-Essen

„Digitale Transformation braucht andere Formen des Lernens“

17

Andreas Schleicher,

Direktor für Bildung der OECD;

Internationaler Koordinator

des „Program for International

Student Assessment“

(PISA-Studien)

„Wir sind Lichtjahre davon entfernt, die Früchte der Technologie für die Bildung zu ernten“

Schüler, die nicht in der Lage sind, in der

komplexen digitalen Landschaft zu navi-

gieren, nehmen nicht mehr vollständig am

wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen

Leben um sie herum teil. Wir erwarten

von Schulen, dass sie unsere Kinder zu

kritischem Umgang mit dem Internet und

den elektronischen Medien erziehen. Sie

sollen ein Bewusstsein schaffen für Risiken,

denen Kinder online ausgesetzt sind und

wie sie diese vermeiden können.

Warum sollten Schüler sich auf ein Lehrbuch

beschränken, das zwei Jahre zuvor gedruckt

und vielleicht zehn Jahre zuvor erstellt

wurde, wenn ihnen die weltweit besten und

aktuellsten Lehrmaterialien offenstehen?

Ebenso wichtig ist, dass Lehrern und Schü-

lern durch die Technologie spezielles Lehr-

material jenseits der Lehrbücher zugänglich

ist, in zahlreichen Formaten und mit weni-

gen zeitlichen und räumlichen Beschrän-

kungen.

Unterstützung der Pädagogik durch

Technologie

Die Technologie bietet außerdem eine

Plattform, auf der Lehrer Unterrichtsmaterial

gemeinsam erarbeiten, teilen und erweitern

können. Am wichtigsten aber ist vielleicht,

dass Technologie eine neue Pädagogik

unterstützen kann, die sich auf Lernende als

aktive Teilnehmer fokussiert, sei es durch ex-

perimentelles oder projektbasiertes Lernen,

praktische Aktivitäten und kooperatives

Lernen oder höchst interaktiv durch nicht-

lineare Lernsoftware in modernem Design

sowie durch bildendes Gaming.

Wir sind noch immer Lichtjahre davon ent-

fernt, die Früchte der Technologie im Bereich

der Bildung zu ernten. Die PISA-Studie zeigt

keinerlei Verbesserungen der Lernergeb-

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nisse in den Ländern auf, die am stärksten

in Technologie an Schulen investiert haben.

Das kann bedeuten, dass die Technologie

des 21. Jahrhunderts verbunden mit der

Lehrpraxis des 20. Jahrhunderts die Wirk-

samkeit auf das Lernen verwässert. Mit

anderen Worten, Schulen sind pädagogisch

einfach noch nicht so gut, um das Beste

aus der Technologie zu machen.

Antworten per Copy und Paste

Wenn Schüler Smartphones benutzen,

um Antworten per Copy und Paste unter

vorgefertigte Google-Fragen zu setzen,

dann werden sie wohl kaum schlauer.

Wahrscheinlich überschätzen wir die digi-

talen Fähigkeiten von beiden – Lehrern und

Schülern, und wir sehen wenig durchdachte

Regeln und Strategien zur Implementie-

rung. Nicht zuletzt, wenige Kinder würden

wahrscheinlich freiwillig mit der dürftigen

Lehr-Software spielen, die Technologie-

Unternehmen noch immer an Schulen

verkaufen können.

Im Ergebnis sind die Verbindungen zwischen

Schülern, Computern und Lernen weder

simpel noch programmiert; und die wahren

ICT-Beiträge fürs Lehren und Lernen sind

noch nicht voll erkannt und genutzt.

Platz 1

Platz 28

Platz 34

Deutschland

IT-Ausstattung an Schulen

im internationalen Vergleich

(Quelle: PISA Report)

Durchschnittlich 4,1 Schüler teilen

sich in Deutschland einen Computer

19

Wir brauchen Konzepte für Bildung in der digitalen Welt für jede Bildungseinrichtung.

Jede einzelne Bildungseinrichtung

muss ihre Pädagogen und Lehrkräfte

strategisch und konzeptionell in die

Lage versetzen, Lehr- und Lernfor-

mate auch unter Verwendung digita-

ler Unterrichtsmedien zu realisieren

und kontinuierlich zu verbessern. Sie

benötigen dafür geeignete Umset-

zungskonzepte, die zeigen, wie der

Unterricht in jedem Fach durch den

Einsatz digitaler Medien bereichert

wird, ebenso wie fächerübergreifen-

de Konzepte zur Vermittlung von

Kompetenzen im Umgang mit digi-

talen Medien.

Die Erarbeitung solcher Konzepte

sollte für jede institutionelle Bildungs-

einrichtung verplichtend sein und

kann mit einem Zertiikat, beispiels-weise „Digitale Schule“, bescheinigt

und gewürdigt werden. Die Aufgabe

der Länder ist es, ihre Bildungsein-

richtungen dabei zu unterstützen –

beispielsweise durch den Aufbau von

Netzwerken, den Einsatz von Schul-

coaches oder das Angebot zielge-

nauer Fortbildungen.

45 % der Lehrer

verzichten auf

digitale Medien

wegen mangelnder

IT-Ausstattung.(Quelle: ICILS)

20

Digitale Hilfe unter Gleichaltrigen

Sie sitzen zusammen, lachen, tippen auf

Laptops und Handys herum: In der Kölner

Stadtbücherei treffen Schülerinnen und

Schüler eines Gymnasiums mit Flüchtlings-

kindern zusammen.

„Wir zeigen den beiden – Alan und Fahad

– gerade ein Spiel zum Deutschlernen“,

erklärt die 12-jährige Donja in einer der

Tischgruppen, die sich gebildet haben,

„nachher wollen wir mit ihnen am Tablet

noch Comics erstellen.“ Die beiden Flücht-

lingsjungen sprächen noch nicht so gut

Deutsch, sagt sie entschuldigend: „Aber das

dauert nicht lange, dann können die das.“

Und voller Begeisterung wendet sie sich

wieder dem Bildschirm zu.

„Best Reli Kids“ nennen sich die 12-Jährigen

Gymnasiasten, die sich im Religionsunter-

richt mit dem Thema Hilfe auseinander-

gesetzt haben. Dabei testeten sie unter

anderem Apps für Flüchtlinge und veröf-

fentlichten die Ergebnisse im Netz, schrie-

ben aber auch selbst kleine Programme:

Vokabeltests und Memory-Spiele, Kreuz-

worträtsel und Bilder-Suchgeschichten,

damit das Deutschlernen für die gelüchte-

ten Kinder leichter fällt.

„Wir haben eine Seite benutzt, auf der

wir Apps erstellen konnten“, sagt die

12-jährige Lilly. Programmierkenntnisse

sind dafür nicht notwendig – nur die Lust

am spielerischen Umgang mit dem digita-

len Medium. Homepage der „Best Reli Kids“ :

https://bestrelikids.wordpress.com/

21

22

Grundlegende Programmierkenntnisse

für alle, und zwar unabhängig vom

Schulfach – das ist das Konzept der

Initiative „Code your Life“. Das Ziel:

der spielerische Zugang zur Software-

programmierung. Die Initiative stellt

kostenloses Unterrichtsmaterial zur

Verfügung, um Lehrkräfte und Lernende

auf ihrem Weg ins digitale Zeitalter zu

unterstützen.

Mit viel Spaß bringen 9- bis 12-jährige

Schulkinder zum Beispiel einer digitalen

Schildkröte das Laufen bei. Dabei eignen

sie sich nicht nur Grundwissen in der Infor-

mations- und Kommunikationstechnologie

(IKT) an, sondern werden gleichzeitig ani-

miert, ihre Kreativität, ihr logisches Denken

und ihre Teamfähigkeit unter Beweis zu

stellen.

Die Lehrmodule können quer durch die

Unterrichtsfächer eingesetzt werden.

Zusätzlich gibt es Workshops für Schulklas-

sen, Online-Schulungen für Lehrer sowie

Programmier-Sommercamps für Jugend-

liche. Ein Angebot mit (berulicher) Perspek-

tive – schließlich ist die Digitalisierung

in den meisten Branchen längst Realität.

Bereits 2012 arbeiteten acht von zehn

Erwerbstätigen mit Computern, hat das

Bundesinstitut für Berufsbildung ermittelt

– und prognostiziert, dass der Bedarf von

Tätigkeiten mit Digitalkompetenzen weiter

zunehmen wird. Die Vermittlung von digi-

talem Wissen ist daher in einer modernen

Schulbildung unerlässlich.

Wie lernt eine digitale Schildkröte laufen?

23

Wir brauchen die Vermittlung grundlegender Kompetenzen für die digitale Welt für alle so früh wie möglich.

In einer digitalen Welt sind Informa-

tions- und Medienkompetenz und

informatische Grundbildung die

Basis für gesellschaftliche Teilhabe.

Sie sind eine essentielle Erweiterung

bestehender Kulturtechniken und

müssen in der Schule so früh wie

möglich – sowohl als eigenes Fach als

auch fächerübergreifend – vermittelt

werden.

Dazu gehört, dass Kinder auch Grund-

prinzipien der Informatik schon früh

altersangemessen erlernen können.

Denn nur so haben sie die Möglich-

keit, selbst zu mündigen Nutzern

und Produzenten digitaler Inhalte

und Werkzeuge zu werden und an

zukünftigen technologischen Ent-

wicklungen kompetent teilzuhaben.

Bereits in der Grundschule sollten

informatische Inhalte in vergleich-

barem Umfang wie Inhalte aus Phy-

sik, Biologie oder Geograie in den Sachunterricht integriert werden.

75 % der Schüler begrüßen

Informatik als Plichtfach. (Quelle: Bitkom)

010010010110110001101111

011101100110010101010010

24

Schülerinnen und Schüler sollen lernen,

selbstbestimmt mit digitalen Systemen

umzugehen. Dazu müssen sie diese

verstehen, erklären und im Hinblick auf

Wechselwirkungen mit dem Individuum

und der Gesellschaft bewerten können.

Zudem sollten sie wissen, wie sie Einluss darauf nehmen können, und nicht nur

ihre Nutzungsmöglichkeiten kennen.

Im Unterricht lassen sich die Aspekte sinn-

voll aufgreifen, indem man digitale Syste-

me unter drei verschiedenen Perspektiven

betrachtet: Die technologische Perspektive

hinterfragt und bewertet die Funktionsweise

der Systeme, die die digitale vernetzte Welt

ausmachen. Die gesellschaftlich-kulturelle

Perspektive untersucht die Wechselwir-

kungen der digitalen vernetzten Welt mit

Individuen und der Gesellschaft. Die anwen-

dungsbezogene Perspektive fokussiert auf

die zielgerichtete Auswahl von Systemen

und deren effektive und efiziente Nutzung zur Umsetzung individueller und kooperati-

ver Vorhaben.

In gemeinsamer Verantwortung von Medien-

pädagogik, Informatik und Wirtschaft for-

dert die Gesellschaft für Informatik daher:

Es muss ein eigenständiger Lernbereich

eingerichtet werden, in dem die Aneignung

der grundlegenden Konzepte und Kompe-

tenzen für die Orientierung in der digitalen

vernetzten Welt ermöglicht wird. Daneben

ist es Aufgabe aller Fächer, fachliche Bezüge

zur digitalen Bildung zu integrieren. Digitale

Bildung muss über alle Schulstufen und für

alle Schüler im Sinne eines Spiralcurricu-

lums erfolgen. Eine entsprechend fundierte

Lehrerbildung in den Bezugswissenschaften

Informatik und Medienbildung ist hierfür

unerlässlich.

Prof. Dr.-Ing.

Peter Liggesmeyer,

Präsident der Gesellschaft

für Informatik e. V.

„Digitale Systeme müssen technologisch, gesellschaftlich-kulturell und bezogen auf die Anwendung betrachtet werden“

25

Herr Brinda, Sie fordern Informatik als Plicht-fach in den Schulen. Warum?

Der digitale Wandel wird von Personen gestaltet,

die durch eine Ausbildung oder einen Studien-

abschluss informatisch qualiiziert sind oder sich selbst entsprechende Kompetenzen angeeignet

haben. Die IKT-Wirtschaft beklagt einen Mangel

an Fachkräften. Jeder sollte durch die Schule dazu

in die Lage versetzt werden, auch die digitale Welt

zu verstehen und bei deren Gestaltung aktiv mit-

wirken zu können und sich nicht mit dem, was

andere gestaltet haben, nur arrangieren zu müssen.

Geht es nicht eher um den Umgang mit der

Technik?

Der kompetente Umgang mit Technik ist wichtig,

es ist somit richtig zu fordern, dass das Lehren und

Lernen in allen Fächern verstärkt auch durch digitale

Medien gefördert werden soll. Das reicht aber nicht

aus. Die digitale Welt bringt zahllose Phänomene,

Situationen und Systeme hervor, die wir jungen

Menschen in ihren Grundlagen erschließen müssen,

um sie auf die zukünftige Lebens- und Arbeitswelt

vorzubereiten. Und dazu braucht es zusätzlich zur

Medienbildung auch informatische Bildung.

Das heißt, jeder soll Programmierer werden?

Keinesfalls. Schule muss Grundlagen vermitteln und

dazu beitragen, fachliche Begabungen zu entdecken

und zu entfalten. Nur weil es verplichtenden Musik- oder Chemieunterricht gibt, heißt das nicht,

dass alle Absolventen Musiker oder Chemikerin

werden sollen. Ein reines Wahl- oder Wahlplicht-fach ermöglicht keinen systematischen Kompetenz-

aufbau für alle. Informatik umgibt uns im Alltag

genauso wie die Natur oder unsere Gesellschaft,

für die es Plichtfächer gibt. Aber die Bildungs- politik beharrt auf einem Fächerkanon, der aus der

Zeit vor dem digitalen Wandel stammt.

Prof. Dr. Torsten Brinda,

Professor für Didaktik der

Informatik an der Universität

Duisburg-Essen „Informatische Bildung muss verplichtend werden“

26

27

Wir brauchen eine bestmögliche Vorbereitung auf eine durch Digitalisierung geprägte Lebens- und Arbeitswelt.

Wer Schule als Vorbereitung auf das

Leben versteht, muss die Gesellschaft

im Blick behalten. Und weil die Lebens-

und Arbeitswelt längst und in immer

noch zunehmendem Maß durch Di-

gitalisierung geprägt ist, muss Schule

darauf reagieren: mit der Befähigung

zum selbstbestimmten, zielorientier-

ten und relektierten Umgang mit der digitalen Welt und mit der Vorberei-

tung auf einen digital geprägten Ar-

beitsalltag. Dazu gehört, sich Phäno-

mene und Systeme der digitalen Welt

selbstständig erschließen zu können

und ihre grundlegende Wirkungsweise

aus technologischer Sicht zu verstehen.

Das ist die Basis, um Möglichkeiten,

Grenzen und Auswirkungen digitaler

Technologie realistisch einzuschätzen.

Dazu gehört aber auch die Entwick-

lung der notwendigen Soft Skills wie

Kreativität, Problemlösungsfähigkeit

oder Zusammenarbeit im Team. Dies

erfordert eine stärkere Öffnung des

Lernraums Schule und eine intensivere

Kooperation zwischen den Bildungs-

trägern und externen Akteuren aus

Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Da-

rüber hinaus ist die deutliche Unter-

stützung seitens der Politik notwendig,

um das gesellschaftliche Bewusstsein

für die breite Zusammenarbeit in der

(Aus-)Bildung zu erhöhen.

56 % der Arbeitnehmer

sind mit der Digitalisierung

überfordert.(Quelle: Rochus Mummert)

28

Die Digitalisierung betrifft mittlerweile jeden

Lebens- und Arbeitsbereich. So haben Jugendliche

von heute ein vollkommen anderes Lern- und

Kommunikationsverhalten, zum Beispiel über das

Internet, Social Media oder WhatsApp auf dem

Smartphone. Umso mehr müssen Unternehmen

darüber nachdenken, wie man die neuen Technolo-

gien in die Ausbildung integrieren kann.

Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels ist

es für Mittelständler unerlässlich, digital gut aufge-

stellt zu sein. Die Digital Natives von heute sind die

Fachkräfte von morgen.

Aber natürlich gibt es auch die andere Seite

der Medaille. Die Digitalisierung verändert ganze

Berufsbilder und stellt neue Anforderungen an das

gesamte Bildungssystem. Deshalb muss digitale

Kompetenz integraler Bestandteil der Lehrpläne

werden. Gemeint ist damit nicht allein die Nutzung

digitaler Medien, sondern vielmehr das Verstehen

und Anwenden.

Ein Großteil der mittelständischen Unternehmen

in Deutschland hat bereits digitale Prozesse und

Strukturen implementiert. Es gibt auch viele Bei-

spiele von digitalen Vorreitern aus dem Mittelstand.

Um ihren Betrieb aufrecht zu erhalten, benötigen

sie natürlich Mitarbeiter, die diese Prozesse verste-

hen und mit den Programmen und Instrumenten

umgehen können. Dabei sprechen wir nicht von

einer digitalen Afinität, sondern von einem digi-talen Grundverständnis. Es geht nicht darum, 140

Zeichen bei Twitter innerhalb von 20 Sekunden

auf einem digitalen Endgerät einzutippen - es geht

darum, dass Mitarbeiter verstehen, was sie tun.

Der zunehmende Digitalisierungsgrad in der

Arbeitswelt erfordert eine sichere Handhabung

und ein entsprechendes Grundverständnis

digitaler Methoden und Instrumente. Sie ent-

scheiden letztlich über die Ausbildungs- und

Beschäftigungsfähigkeit.

Ralf Pohl,

Bundesgeschäftsführer

des Bundesverbands

mittelständische Wirtschaft

(BVMW)

„Digitale Kompetenz muss integraler Bestandteil der Lehre werden“

29

30

Steffen Borlich,

Geschäftsführer

EKF Diagnostics Holdings

in Barleben

„Digitales Grundwissen gehört

zu den Kernkompetenzen der

Mitarbeiter meines Unterneh-

mens. Es genügt bei weitem

nicht, sich in sozialen Medien

zu präsentieren und auszutau-

schen. Das Wissen um Vorgän-

ge und Zusammenhänge in der

digitalen Welt wird immer mehr

zum Schlüsselelement in Beruf

und Freizeit.“

Stefan Denker,

Geschäftsführer STS Elektro

GmbH Magdeburg

„Über 90 Prozent der Tätigkei-

ten setzen digitale Kompeten-

zen voraus. Es ist also notwen-

dig, dass bereits in Schule und

Ausbildung digitale Methoden

und Instrumente gelehrt wer-

den.“

Stimmen aus der Wirtschaft

Carsten Brockmann,

Geschäftsführer BPS Software

GmbH & CO. KG in Ibbenbüren

„Die Digitalisierung zieht sich immer

mehr durch alle Lebensbereiche und

hält auch in Berufen Einzug, die mit

IT bislang nur wenige Berührungs-

punkte haben. Aktuelle Themen wie

Industrie 4.0 oder BIM werden diesen

Trend beschleunigen.

Mitarbeiter, die mit IT und digitalen

Medien keine Berührungsängste ha-

ben, werden mehr denn je gebraucht.

Daher ist es wichtig, Berührungsängs-

te abzubauen und in die digitale Bil-

dung zu investieren. Bei Kindern und

Jugendlichen ist es hingegen wichtig,

auf die Gefahren eines allzu sorglo-

sen Umgangs mit digitalen, sozialen

Medien hinzuweisen.

Auf beide Aufgaben sind die Lehr-

kräfte an unseren Schulen kaum vor-

bereitet. Daher muss es die wichtigste

Aufgabe sein – noch viel wichtiger als

die Verbesserung der IT-Ausstattung

der Schulen –, die digitale Kompe-

tenz der Lehrerinnen und Lehrer zu

verbessern.“

Claudia Musekamp,

Geschäftsführerin der

E-Learning-Agentur Infoport

GmbH in Berlin

„Fachkräfte mit hoher digitaler

Kompetenz sind ein Erfolgsfak-

tor für Industrie 4.0. Deshalb

müssen auch kleine und mittel-

ständische Unternehmen kon-

tinuierliche Bildungsprozesse

organisieren. Digitale Bildung,

also Online-Lernen, wird dabei

eine zentrale Rolle spielen.“

76 % der Unternehmen

sehen digitalen

Anpassungsbedarf in

Ausbildungsberufen.(Quelle: Bitcom)

31

Wir brauchen verplichtendeAus-undWeiter- bildungen für Lehrkräfte im Hinblick auf die digitale Welt.

Wer heute Lehrkraft wird, muss digi-

tale Lehr- und Lernformate beherr-

schen. In der Lehrerausbildung muss

deshalb ein verplichtender Anteil implementiert werden, in dem Stu-

dierende selbst umfassende Informa-

tions- und Medienkompetenz sowie

informatische Grundkompetenzen

erwerben und Methoden digitaler

Vermittlung erlernen und praktisch

erproben. Kompetenzen für das

Lehren und Lernen in der digitalen

Welt sollten prüfungsrelevant sein.

Für alle Lehrerinnen und Lehrer in

Deutschland sollte darüber hinaus

die kontinuierliche Fort- und Weiter-

bildung im Hinblick auf ihre digita-

len Kompetenzen verplichtend sein. Die Länder müssen entsprechende

Angebote zur Verfügung stellen und

die Lehrkräfte durch Freistellungen

zur Teilnahme motivieren.

8,1 % der Lehrer in

Deutschland nehmen an

IT-Fortbildungen teil,

in Australien sind es 57 %.(Quelle: ICILS)

32

Die Digitalisierung aller Lebensbereiche wirkt

sich auch auf Schulen aus. Die Veränderungen

sind so erheblich, dass wir im Strategieentwurf

der Kultusministerkonferenz zum „Lernen in

der digitalen Welt“ in Analogie zur „industriel-

len Revolution“ den Begriff „digitale Revolution“

verwenden.

Die Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe

und aktiven Beteiligung an demokratischen Ent-

scheidungsprozessen ist immer stärker von digi-

talen Kompetenzen abhängig. In der Berufswelt

ist der kompetente Umgang mit digitalen Medien

eine allgemeine Grundvoraussetzung geworden.

Für Schulen bedeutet dies eine Erweiterung ihres

Bildungsauftrags. Und es stellt neue Anforderun-

gen an die Basiskompetenzen der Lehrkräfte, die

selbst über eine hohe allgemeine Medienkompe-

tenz verfügen müssen. Sie brauchen hinreichende

Kenntnisse über die Möglichkeiten und Risiken der

digitalen Medien. Zusätzlich müssen Lehrerinnen

und Lehrer aber auch im Rahmen ihrer fachlichen

Zuständigkeit zu Medienexperten werden. Ziel ist

eine fachspeziische professionelle und didaktisch angemessene Nutzung digitaler Medien. Dies bein-

haltet Kenntnisse über fachtypische Softwarelösun-

gen, spezielle mediale Angebote und den sicheren

Umgang mit den entsprechenden Anwendungen.

Diese Kompetenzen müssen über alle Phasen der

Lehrkräftebildung hinweg systematisch aufgebaut

werden. Entscheidend ist, dass wir uns hier nicht

auf die Integration von Aus- und Fortbildungs-

angeboten zur Vermittlung allgemeiner Medien-

kompetenz beschränken, sondern entsprechende

Angebote auch im Rahmen der Fachdidaktiken

und Fachwissenschaften etablieren.

Darüber hinaus sollten auch die Möglichkeiten

digitaler Lernumgebungen im Rahmen des inklusi-

ven Unterrichts und für die individuelle Förderung

in besonderem Maße als Aus- und Fortbildungsin-

halte berücksichtigt werden.

Dirk Loßack,

Staatssekretär im

schleswig-holsteinischen

Ministerium für

Schule und Berufsbildung „Wir brauchen digital kompetente Lehrkräfte“

33

Die digitale Bildungsrevolution versöhnt das

bisher Unversöhnliche: den Bildungszugang

für alle mit individueller Förderung für jeden.

Wenn Technik in den Dienst der Pädagogik

gestellt wird, bleibt Lehrern mehr Zeit fürs

Wesentliche, für Persönlichkeitsbildung, die

Bindung zum Schüler und das einzelne Kind.

Eine Reform der Aus- und Weiterbildung

von Lehrern ist nötig

Um diese Chancen digitaler Bildung zu

nutzen, braucht es digital kompetente und

in neuen pädagogischen Ansätzen versierte

Lehrkräfte. Deshalb ist eine Reform der

Aus- und Weiterbildung von Lehrern nötig.

Sie muss vermitteln, wie ein individuell för-

dernder Unterricht gelingt, auch durch die

Integration digitaler Angebote. Dazu gehö-

ren medienpädagogische Grundkenntnisse

Jörg Dräger,

Vorstand der Bertelsmann Stiftung

und Geschäftsführer

des Centrums für

Hochschulentwicklung (CHE)

„Digitales Lernen kann aber nur gelingen, wenn wir es erkunden und praktizieren.“

und der kompetente Einsatz von Hard- und

Software. Nicht nur künftige, sondern auch

die heutigen Lehrkräfte benötigen diese

Kompetenzen. Am wirksamsten sind Fortbil-

dungen, die sich an ganze Kollegien richten

und dadurch einen Schulentwicklungspro-

zess anstoßen.

Die Vergleichsstudie ICIL hat gezeigt,

dass die Lehrer in keinem der untersuchten

Staaten seltener Computer im Unterricht

nutzen als in Deutschland. Und Lehrer aus

Deutschland bilden sich im internationalen

Vergleich nur selten zum Einsatz digitaler

Medien im Unterricht fort. Digitales Lernen

kann aber nur gelingen, wenn wir es erkun-

den und praktizieren.

34

35

Wir brauchen ein Förderprogramm für Bildungs- forschung mit digitalem Fokus.

Die Weiterentwicklung von Curricula

und der Aus- und Weiterbildung von

Pädagogen und Lehrkräften unter

dem Blickwinkel digital organisierter

Lehr- und Lernprozesse bedarf der

kontinuierlichen wissenschaftlichen

Begleitung. Ein entsprechendes För-

derprogramm für die Bildungsfor-

schung, das auch allgemeinbilden-

de Schulen einschließt, ist deshalb

unentbehrlich, um nachhaltige und

efiziente Strategien des digitalen Lernens für das 21. Jahrhundert zu

entwickeln und zu sichern.

„In Deutschland

haben nur 1,5 % der

Schülerinnen und

Schüler die höchste

Kompetenzstufe im

Bereich digitales

Wissen erreicht.“(Quelle: ICILS)

1,5 %

36

Die digitale Transformation bietet der Wissens-

vermittlung gewaltige, noch lange nicht ausge-

schöpfte Potenziale (MOOC, E-University, neue

Formen der Kollaboration u. a. m.).

Man wird erst noch sehen, welches Gleichgewicht

sich zwischen Präsenzlehren und -lernen einerseits

sowie den virtuellen Formen andererseits einstel-

len wird. Gleichzeitig sind besondere Kompeten-

zen gefordert, um mit diesen Potenzialen ange-

messen umzugehen. Es ist nicht nur die Kenntnis

der technischen Möglichkeiten gefordert, sondern

die Bereitschaft, anders zu lernen, sich anders ein-

zubringen und sich anders zu vernetzen. Vor allem

aber ist ein hohes Maß an Disziplin gefordert, weil

im Gegensatz zur analogen Welt die unerschöpf-

lichen Optionen der digitalen Welt am eigenen

Arbeitsplatz auch zur Desorientierung und zum

Ressourcenverschleiß führen können.

Dies und die Tatsache, dass wir am Anfang neuer,

auszuprobierender und zu konigurierender Mög-

lichkeiten stehen, sprechen für eine entsprechende

Bildungsoffensive.

Die digitale Welt ist charakterisiert durch eine –

zumindest längere Zeit wirksame – Dominanz von

Netzwerken gegenüber Hierarchien. Sie ist damit

unserem marktwirtschaftlichen System, das man

als geordnete Anarchie beschreiben kann, nah

und wesensverwandt. Wir müssen indes gemein-

sam lernen und entwickeln, welche Regeln und

Institutionen (Hierarchien) dazu passen.

Anders gewendet: Die Frage nach der Bildung

in der und für die digitale Transformation hat

am Ende viel damit zu tun, wie wir hier ein

angemessenes Gleichgewicht inden. Denn auch eine Welt aus Netzwerken kann auf Dauer ohne

einige allgemein akzeptierte Regeln und Ver-

fahren nicht auskommen. Sensible Bildungsver-

mittlung muss diesen Aspekt im Blick haben.

Prof. Dr. Michael Hüther,

Direktor des

Instituts der deutschen

Wirtschaft Köln

„Chancen der digitalen Transformation für die Bildung und durch die Bildung“

37

38

In der Bildungswissenschaft mit digitalem Fokus gibt es in Deutschland spannende Ansätze. Drei Beispiele für eine Forschungsrichtung, die dringend weiter ausgebaut werden muss:

Berlin

Humboldt-Universität,

Universität der Künste in Berlin

und das Wissenschaftszentrum

Berlin für Sozialforschung ha-

ben 2011 mit dem Hamburger

Hans-Bredow-Institut das

„Alexander von Humboldt

Institut für Internet und

Gesellschaft“ gegründet.

Das Ziel: Die Erforschung der

digitalen Gesellschaft in allen

Facetten und der Einluss des Digitalen auf die Gesellschaft.

Die Themen des Instituts

reichen von den Regeln im

Internet, Datenschutz, Cyber-

sicherheit, über Wissenstrans-

fer, digitalen Innovationen und

Entrepreneurship bis hin zu

Meinungsfreiheit, Hassrede im

Internet und digitalem zivilen

Ungehorsam.

Dresden

Nachrichtenkompetenz ist

als Thema in deutschen Schul-

büchern unterbelichtet, auch in

den Lehrplänen inden sich weni-ge Vorgaben, ob und was Schü-

ler im Bereich Journalismus und

Nachrichtenkompetenz lernen

sollen. Das sind erste Ergebnisse

einer Studie der TU Dresden im

Auftrag der Stiftervereinigung

der Presse. Darüber hinaus zeigt

sich, dass digitale Medien und

deren Inhalte, insbesondere die

in der Nachrichtennutzung

junger Menschen immer mehr

an Bedeutung gewinnenden

sozialen Medien, weitaus seltener

behandelt werden als klassische

Nachrichtenmedien wie Zeitung

und Fernsehen. Hier sehen die

Dresdner Bildungsforscher star-

ken Nachholbedarf.

Tübingen

www.e-teaching.org wurde

2003 als Informationsportal für

Hochschulbildung mit digitalen

Medien gegründet. Das nicht-

kommerzielle Angebot bietet

Lehrenden und E-Learning-

Interessierten niedrigschwelli-

ge und anwendungsorientierte

Informationen zu didaktischen,

technischen und organisatori-

schen Aspekten von E-Teaching

und informiert über neueste

Forschungsergebnisse aus dem

Themenfeld. Träger des Portals

ist die Stiftung Medien in der

Bildung – Leibniz-Institut für

Wissensmedien (IWM) in Tübin-

gen. Hier arbeiten Spezialisten

aus Kognitions-, Verhaltens-

und Sozialwissenschaften multi-

disziplinär an Forschungsfragen

zum individuellen und koopera-

tiven Wissenserwerb in medialen

Umgebungen.

39

Wie Lehrkräfte sich den Unterricht der Zukunft vorstellen – oder schon erleben

„Der Erwerb einer umfassenden Handlungskompetenz indet heute auf der Grundlage der didaktischen Modelle der 21st Century Skills und der Schule

2.0/3.0 statt. Zentrale Strategie dieser Lernmodelle stellt das 1:1-Learning dar.

Die mediale Umsetzung – jedem Schüler steht in der Schule für den Unter-

richt ein Computer zur Verfügung – sprengt jedoch die inanziellen Möglich-

keiten der öffentlichen Schulträger. Realisierbar wird diese Vision nur durch

‚Bring Your Own Device’ (BYOD).

Im Zeitalter der Technik, wo jeder Schüler mindestens ein Smartphone mit

sich führt, wird sicherlich in naher Zukunft die Möglichkeit eröffnen, dass

jede Familie einen mobilen Computer oder ein Tablet besitzt. Auszubildende

in der Berufsschule folgen diesem Trend bereits, das heißt, sie besitzen einen

Laptop oder ein Tablet oder sie haben die Möglichkeit, ein Leihgerät aus dem

Ausbildungsbetrieb zu nutzen.

Bei uns am Berufskolleg wird das BYOD-Konzept integriert in unsere Schul-

plattform. Kommunikation und Kollaboration zwischen Schülern und Lehrern

erfolgt über Mail, Kalender und Klassen-Teamsites. Die eingesetzte Software

steht allen Schulen, Schülern und Lehrern plattformunabhängig kostenlos

zur Verfügung. Technische Voraussetzungen dieses Konzeptes sind ein schul-

weites WLAN, Whiteboards in jedem Klassenzimmer sowie ein Lehrer-PC mit

angeschlossenem Deckenbeamer.

Unsere Vision: ‚Learning with any device, anywhere, anytime!’“

Detlef Steppuhn, Lehrer am Erich-Gutenberg-Berufskolleg in Köln

40

„Wenn ich mir den Unterricht der Zukunft

vorstelle, bin ich in Sorge, dass diese Zu-

kunft weniger von Lehrern und dem ihnen

übertragenen allgemein bildenden Auftrag

und mehr von ökonomischen Teilinteressen

bestimmt wird.

Gerade in dem wichtigen Handlungsfeld

der Digitalisierung bedarf es politischer

Entscheidungen, um einen kritischen und

relektierten Umgang mit ihr sicherzu-

stellen.

Es geht nicht zuerst um Technik, sondern

darum, dass Kindern und Jugendlichen von

ihrer Herkunft unabhängig das Lernen so

ermöglicht wird, dass sie in der digitalisier-

ten Welt sowohl mit digitalen Technologien

umgehen als auch Fehlentwicklungen in

Politik und Wirtschaft als mündige Bürger

kritisch in den Blick nehmen können.

In diesem Sinne: Wenn ich mir den Unter-

richt der Zukunft vorstelle, so hat er die

gleichen Ziele wie der Unterricht der Gegen-

wart, die nun aber unter den veränderten

Rahmenbedingungen der Digitalisierung

erreicht werden sollen.“

Torsten Larbig,

Lehrer, Blogger und Social- Media-

Experte in Frankfurt am Main

„Wenn ich mir den Unterricht der Zukunft

vorstelle, sehe ich Schüler, die eigenverant-

wortlich lernen und kollaborativ arbeiten.

Dazu verfügt jede Schule über einen

Breitband-Internetanschluss mit stabilem

WLAN und ein Lernmanagement-System.

Hier werden alle Arbeitsmaterialien abgelegt

und heruntergeladen. Die Schüler nutzen ihr

eigenes mobiles Endgerät und können auf

Geräte zurückgreifen, die sie von der IT-

Abteilung der Schule ausleihen.

Die Lehrkräfte, die bereits in ihrer gesamten

Ausbildung gelernt haben, digitale Medien

einzusetzen, bereiten ihren Unterricht ge-

meinsam in Teams vor und nutzen zur Zu-

sammenarbeit digitale Werkzeuge.

Die schriftliche Kommunikation indet direkt und papierlos, zum Beispiel in Lehrergrup-

penchats, statt. So kann Schule tatsächlich

auf das Leben vorbereiten, nämlich auf ein

Leben in einer digital vernetzten Welt.

Bildung 4.0 + Arbeiten 4.0 = Leben 4.0 ?“

Nina Toller, Gymnasiallehrerin für

Englisch, Geschichte und Latein,

www.tollerunterricht.com

41

Bildungssysteme legitimieren sich heute nicht mehr

primär über die Vermittlung von Wissen an die

nächste Generation. Vielmehr haben sie die Kinder

auf eine tiefgreifend veränderte Welt vorzubereiten.

Die veränderte geopolitische Situation in Euro-

pa, eine globalisierte Wirtschaft und vor allem die

Globalisierung der Kommunikation mittels neuer

Technologien verändern die Bildungssysteme radikal.

Doch die naive Vorstellung einer Einführung neuer

Technologien in nicht reformierte Bildungssysteme

dürfte kaum Chancen haben.

Der „Digital Turn“ ist die Bewährungsprobe im

Reformbemühen der Bildungssysteme. Die Bildungs-

wirtschaft stellt die Hard- und Software dafür bereit

und stellt dabei nicht das Produkt, sondern das

einzelne Kind in den Mittelpunkt. Digitale Bildungs-

angebote erweitern den Lernraum massiv, helfen den

Kindern, nicht nur individuell, sondern vor allem ko-

operativ zu lernen – und entsprechen damit den von

den Kindern selbst veränderten Lerngewohnheiten.

Prof. Dr. Wassilios Fthenakis,

Präsident des Didacta Verbands –

Verband der

Bildungswirtschaft e. V.

„Eine Bewährungsprobe für die Bildungssysteme“

Der Bildungsprozess kann besser individualisiert

werden, indem digitale Bildungsangebote Bil-

dungsprozesse dokumentieren und den Kindern

und Fachkräften individuell Feedback geben.

Digitale Bildung trägt somit zu höherer Bildungs-

gerechtigkeit bei und fördert einen unvergleich-

bar besseren Zugang zu Bildungsangeboten.

Wir sollten auf jeden Fall vermeiden, dass die

Kinder dabei lediglich zu Objekten von Plattfor-

men, zu Algorithmen verkommen, unlöschbare

Spuren im Netz hinterlassen, die sie selbst nicht

kontrollieren können, und die Bildungsunge-

rechtigkeit, entgegen anders lautender Absich-

ten, dennoch nicht zunimmt.

Die digitale Bildung ist kein Zauberstab. Aber

sie ist ein Instrument, um Bildungschancen zu

stärken.

42