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MEDIZIN & TECHNIK 22 Orthopädieschuhtechnik 12/2007 F orm und Funktion bedingen ein- ander“ (SULLIVAN). „Zur Erfüllung der gesunden Funktion ist die un- verbildete Form Voraussetzung. Die Ausbildung der Form für diese Aufga- ben wird von der Funk- tionserfüllung vorgegeben“ (LAMARCK, ROUX). Für den Beinvenenkreislauf steht der Fuß mit im Zentrum der gesunden Funktion. Als Tast- und Greiforgan, nämlich als Sensor, ermöglicht er dem Körper seine Stellung im Raum und da- mit sich selbst seine regelgerechte Architektur. Über die sensorische Funktionstüchtigkeit des Fußes gelingt die stato-dynamische Stabilisierung des Bewegungsapparates. Auf diese Weise wird eine gesunde Fußstatik ge- währleistet, die ihrerseits ein physio- logisches Bewegungsverhalten mit Be- und Entlastungsphasen beim Gehen ermöglicht. Davon hängen die venösen Pumpmechanismen entscheidend ab. Anatomie und Funktion des Beinvenensystems Vom Herzen kommend versorgt das arterielle, sauerstoff- und nährstoff- reiche Blut das Gewebe im Kapillar- gebiet mit Nährstoffen. Alles zuge- führte Blut muss das Bein aber auch wieder verlassen. Nur dann ist der Kör- perkreislauf geschlossen. Dies ge- schieht weitgehend über das Beinve- nensystem. Es dient der Entwässerung des Beines (STAUBESAND, HAID-FI- SCHER/HAID, FÖLDI/FÖLDI, PARTSCH). Das Beinvenensystem setzt sich aus den funktionell besonders bedeutsa- men, tief in die Muskulatur eingebet- teten endofaszialen Venen (tiefe Ve- nen, Hauptvenen) und den oberfläch- lich unter der Haut verlaufenden ex- trafaszialen Venen (oberflächliche Venen, Nebenvenen) zusammen. Die Abtransportleistung der tiefen Venen beträgt über 80 Prozent des Blutvolu- mens. Zirka 20 Prozent sammeln die oberflächlichen Venen aus dem Haut- und Unterhautgewebe und führen es den Hauptvenen zu. Zu einem System verbunden werden die tiefen und die oberflächlichen Venen über sogenann- te Verbindungsvenen. Dies bedeutet, dass einheitliche Druckverhältnisse im gesamten Beinvenensystem herrschen (STAUBESAND). Die Flussrichtung in den Beinvenen ist immer nach proximal (oben) – zurück zum Herzen – und von den oberflächlichen Nebenvenen hin zu den tiefliegenden Hauptvenen. Diese Flussrichtung wird über die Venenklappen gewährleistet, die als Ventil wirken und das Blut nur in der einen Richtung, nämlich zurück zum Herzen, passieren lassen. Die umge- kehrte Flussrichtung, ein Zurückfallen des Blutes nach unten (Reflux), ist ausgeschlossen. Neben der Bedeutung der endofas- zialen Venen und der Ventilfunktion der Venenklappen sind für die voll- ständige Entwässerung des Beines die Funktionstüchtigkeit und die Inan- spruchnahme der sogenannten Beinve- nenpumpen ausschlaggebend. Eine Vielzahl verschiedenster Strukturen übt einen Pumpeffekt auf das Beinvenenblut aus. Diese rei- chen von den Zehen über die Fuß- sohle und das Sprunggelenk, wel- ches als Saug-Druck-Pumpe arbeitet, bis zur Wadenmuskulatur. Weiter sind zu nennen die Kniekehlenpum- pe (Knauer’sches Saugherz der Knie- kehle), sowie Strukturen an Ober- schenkel und Leiste. Auch im Bauch- und Brustraum werden über unter- schiedliche Druckverhältnisse Sog- und Druckwirkungen auf die verlau- fenden Venen ausgeübt, bis hin zum Zwerchfell und dem Herzen, welches ante- und retrograd Pumpeffekte auf das aus den Beinen kommende Blut erzielt. Der Fuß in seiner neurofunktionellen und mechanischen Bedeutung für den Beinvenenkreislauf Thomas Stumptner: Anschrift des Verfassers: Dr. Thomas Stumptner Facharzt für Orthopädie, Phlebologie, Chirotherapie Füll 6 90403 Nürnberg E-Mail: [email protected] Zusammenfassung: Der Beitrag befasst sich mit der Proble- matik, dass Fußfehlstellungen – meist als Folge falschen Schuhwerks und zivilisati- onsbedingter Lebensweisen – negative Folgen für den Beinvenenkreislauf haben und deshalb Venenleiden begünstigen können. Der Autor schildert zunächst die Grundlagen des Beinvenenkreislaufs und geht dabei auf die Bedeutung der endo- faszialen Venen, der Venenklappen sowie der sogenannten Beinvenenpumpen – insbesondere die Wadenmuskulatur – ein. Im Anschluss werden der sensomoto- rische Regelkreis und die Rolle, die der Fuß dabei einnimmt, erklärt und die Fol- gen einer Störung in diesen Zusammen- hängen für Statik und Beinvenenkreislauf aufgezeigt. Abschließend werden Möglichkeiten der Kompressionstherapie sowie der Ver- sorgung mit sensomotorischen Einlagen und die Bedeutung des Schuhwerkes für Fuß und Beinvenenkreislauf zur Aufrecht- erhaltung oder zur Wiederherstellung ei- ner gesunden Venenfunktion vorgestellt.

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22 Orthopädieschuhtechnik 12/2007

Form und Funktion bedingen ein-ander“ (SULLIVAN). „Zur Erfüllungder gesunden Funktion ist die un-

verbildete Form Voraussetzung. DieAusbildung der Form für diese Aufga-ben wird von der Funk-tions erfüllung vorgegeben“ (LAMARCK,ROUX).

Für den Beinvenenkreislauf stehtder Fuß mit im Zentrum der gesundenFunktion. Als Tast- und Greiforgan,nämlich als Sensor, ermöglicht er demKörper seine Stellung im Raum und da-mit sich selbst seine regelgerechte Architektur. Über die sensorischeFunktionstüchtigkeit des Fußes gelingtdie stato-dynamische Stabilisierungdes Bewegungsapparates. Auf dieseWeise wird eine gesunde Fußstatik ge-währleistet, die ihrerseits ein physio-logisches Bewegungsverhalten mit Be-und Entlastungsphasen beim Gehenermöglicht. Davon hängen die venösenPumpmechanismen entscheidend ab.

Anatomie und Funktion des BeinvenensystemsVom Herzen kommend versorgt das arterielle, sauerstoff- und nährstoff-reiche Blut das Gewebe im Kapillar-gebiet mit Nährstoffen. Alles zuge-führte Blut muss das Bein aber auchwieder verlassen. Nur dann ist der Kör-perkreislauf geschlossen. Dies ge-schieht weitgehend über das Beinve-nensystem. Es dient der Entwässerungdes Beines (STAUBESAND, HAID-FI-SCHER/HAID, FÖLDI/FÖLDI, PARTSCH).

Das Beinvenensystem setzt sich ausden funktionell besonders bedeutsa-men, tief in die Muskulatur eingebet-teten endofaszialen Venen (tiefe Ve-nen, Hauptvenen) und den oberfläch-lich unter der Haut verlaufenden ex-trafaszialen Venen (oberflächlicheVenen, Nebenvenen) zusammen. DieAbtransportleistung der tiefen Venenbeträgt über 80 Prozent des Blutvolu-

mens. Zirka 20 Prozent sammeln dieoberflächlichen Venen aus dem Haut-und Unterhautgewebe und führen esden Hauptvenen zu. Zu einem Systemverbunden werden die tiefen und dieoberflächlichen Venen über sogenann-te Verbindungsvenen. Dies bedeutet,dass einheitliche Druckverhältnisse imgesamten Beinvenensystem herrschen(STAUBESAND).

Die Flussrichtung in den Beinvenenist immer nach proximal (oben) –zurück zum Herzen – und von denoberflächlichen Nebenvenen hin zuden tiefliegenden Hauptvenen.

Diese Flussrichtung wird über dieVenenklappen gewährleistet, die alsVentil wirken und das Blut nur in dereinen Richtung, nämlich zurück zumHerzen, passieren lassen. Die umge-kehrte Flussrichtung, ein Zurückfallendes Blutes nach unten (Reflux), istausgeschlossen.

Neben der Bedeutung der endofas-zialen Venen und der Ventilfunktionder Venenklappen sind für die voll-ständige Entwässerung des Beines dieFunktionstüchtigkeit und die Inan-spruchnahme der sogenannten Beinve-nenpumpen ausschlaggebend.

Eine Vielzahl verschiedensterStrukturen übt einen Pumpeffekt aufdas Beinvenenblut aus. Diese rei-chen von den Zehen über die Fuß-sohle und das Sprunggelenk, wel-ches als Saug-Druck-Pumpe arbeitet,bis zur Wadenmuskulatur. Weitersind zu nennen die Kniekehlenpum-pe (Knauer’sches Saugherz der Knie-kehle), sowie Strukturen an Ober-schenkel und Leiste. Auch im Bauch-und Brustraum werden über unter-schiedliche Druckverhältnisse Sog-und Druckwirkungen auf die verlau-fenden Venen ausgeübt, bis hin zumZwerchfell und dem Herzen, welchesante- und retrograd Pumpeffekte aufdas aus den Beinen kommende Bluterzielt.

Der Fuß in seiner neurofunktionellenund mechanischen Bedeutung für den Beinvenenkreislauf

Thomas Stumptner:

Anschrift des Verfassers:

Dr. Thomas StumptnerFacharzt für Orthopädie, Phlebologie, Chirotherapie Füll 6 90403 Nürnberg E-Mail: [email protected]

Zusammenfassung:Der Beitrag befasst sich mit der Proble-matik, dass Fußfehlstellungen – meist alsFolge falschen Schuhwerks und zivilisati-onsbedingter Lebensweisen – negativeFolgen für den Beinvenenkreislauf habenund deshalb Venenleiden begünstigenkönnen.

Der Autor schildert zunächst dieGrundlagen des Beinvenenkreislaufs undgeht dabei auf die Bedeutung der endo-faszialen Venen, der Venenklappen sowieder sogenannten Beinvenenpumpen –insbesondere die Wadenmuskulatur –ein.

Im Anschluss werden der sensomoto-rische Regelkreis und die Rolle, die derFuß dabei einnimmt, erklärt und die Fol-gen einer Störung in diesen Zusammen-hängen für Statik und Beinvenenkreislaufaufgezeigt.

Abschließend werden Möglichkeitender Kompressionstherapie sowie der Ver-sorgung mit sensomotorischen Einlagenund die Bedeutung des Schuhwerkes fürFuß und Beinvenenkreislauf zur Aufrecht-erhaltung oder zur Wiederherstellung ei-ner gesunden Venenfunktion vorgestellt.

Immer sind Muskeln direkt oder in-direkt beteiligt.

Wadenmuskel- und FußsohlenpumpeDie Wadenmuskulatur ist hinsichtlichihrer Pumpkapazität als eine Hauptve-nenpumpe zu bezeichnen. Sie erzieltDruckwerte, die denen des Herzensentsprechen (KÜGLER/RUDOFSKY) (Abb. 1).

Alle die Wade bildenden Muskelnsetzen am Fuß an, was sich durch ihreAufgabe als Gehmuskulatur erklärt.Durch Kontraktion der Wadenmuskelnwird der Abrollvorgang des Fußes – dasGehen – bewerkstelligt. Gleichzeitigkommt es dadurch zum entscheiden-den Pumpeffekt für das Beinvenen-system.

Ganz wesentliche Bedeutungkommt auch der Fußsohlenpumpe zu.Der ausgeprägte Venenplexus (Venen-geflecht) im Bereich der kleinenFußmuskeln wie auch im Fettkörperdes Fußsohlenpolsters wird bei jedemSchritt teils passiv, teils aktiv über dieFußmuskelbetätigung ausgepresst („lasemelle veineuse“) (STAUBESAND).

Bei Einsatz der Venenpumpen, ins-besondere dem zügigen Gehen und beiSchlussfähigkeit der Venenklappenkann das Blut nur zentripetal, dasheißt herzwärts, fließen. Es gelangt soSchritt für Schritt aus dem Bein.

Der Venendruck kann auf diese Wei-se niedrig gehalten werden. Dies istVoraussetzung für die Rückresorptionder schlackenstoff- und kohlendioxid -reichen Flüssigkeit aus dem Gewebe indie venösen Kapillargefäße.

Diese entwässernde Funktion desBeinvenensystems ist somit determi-niert sowohl über die Funktion der Ve-

nenklappen als auch über die Funktionder Venenpumpmechanismen. Die Wa-denmuskulatur als Hauptvenenpumpeist dabei von entscheidender Bedeu-tung.

Dies ist im Poiseuille’ schen Gesetzzusammengefasst:

(Die Klappenfunktion hängt direktvon der Gefäßweite (Radius) ab, diePumpmechanismen entscheiden überden Venendruck.)

Pathophysiologie des BeinvenenkreislaufesFunktionsstörungen des Beinvenen-systems resultieren aus Störungen ih-rer Funktionsdeterminanten: Kommt eszu einem Funktionsdefizit entwederder Venenklappen oder der Pump-mechanismen, ist ein unvollständigerAbtransport des Beinvenenblutes dieFolge. Eine Volumenüberlastung derVenen mit Blut führt zu einer Er-höhung des Venendruckes und zu einerrückläufigen Rückresorptionsfähigkeitder interstitiellen (der im Zwischenge-webe liegenden) Gewebeflüssigkeit.Die Drainage des Gewebes ist unzurei-chend. Entsprechend der funktionellenWertigkeit der tiefen Venen ist die Fol-ge ein „Stau im Bereich der tiefen Ve-nen“ – das endofasziale venöse Ödem.

Dieses steht im Zentrum jeglichenphlebologischen Geschehens. Es istverantwortlich für Venenbeschwerdenund es ist die Voraussetzung für even-tuelle komplizierende Erkrankungenwie Beinvenengeschwür, Stauungs-ekzem oder Beinvenenthrombose.Auch eine Krampfaderbildung – eineErweiterung der oberflächlich liegen-

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1 Die Wertigkeit der Waden-muskelpumpe in direkter Ab-hängigkeit von der Sprungge-lenksbeweglichkeit zeigt sich inder stark reduzierten Erniedri-gung des Beinvenendruckesbei eingeschränkter Sprungge-lenksbeweglichkeit. Wenigerstark ist diese Beeinträchtigungbei eingeschränkter Kniege-lenksbeweglichkeit. Ohne Be-wegungseinschränkung bestehtein Druckabfall auf unter 30mmHg beim „Pumpen“ (Abb.aus KÜGLER/STRUNK/RUDOFSKY 1999).

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den Nebenvenen mit krankhafter Um-kehrung (Reflux) der gesunden Fluss-richtung – hat hier meist ihre Ursache(STUMPTNER).

Ätiologie von BeinvenenerkrankungenDie Ursache für die Funktionsbeein-trächtigung der Venenklappen mit ei-ner nachfolgenden Flussumkehr in denVenen ist eine anlagebedingte Gewe-beschwäche (Disposition), welcheüber die Zeit zu einer Erweiterung derVenen führt. Eine Undichtigkeit derVentile (Klappeninsuffizienz) mit Re-flux und unzureichender Entleerungder Gefäße ist die Folge.

Bei der Beeinträchtigung der Funk-tion der venösen Pumpmechanismenhandelt es sich jedoch um kulturelleund damit beeinflussbare Faktoren. Ei-ne ganz wesentliche Bedeutung hatdabei die Wadenmuskulatur: Zum ei-nen führt unzureichende Beanspru-chung der Wadenmuskelfunktion – alsozu wenig Gehen und Laufen als Aus-druck „zivilisierter“ Lebensweise der„verwestlichten“ Welt – zu einem un-zureichenden Abtransport des Beinve-nenblutes.

Zum anderen führt jede Fußfehlstel-lung zum gleichen Ergebnis: Eine Fuß-fehlstellung bedingt zwangsläufig eineFehlstellung der am Fuß inserierendenMuskeln und damit eine Beeinträchti-gung der Pumpfunktion der Waden-muskulatur als einer Hauptvenenpum-pe.

Außerdem ist die Fußsohlenpumpedurch Gehen auf hartem Boden ge-schwächt. Der Venenplexus der Fuß-sohle wird unzureichend ausgepresstund die kleinen Fußmuskeln ermüden.Ein reduzierter Blutabtransport wieauch Fußfehlstatik resultieren.

FußEin gesunder Fuß hatseine maximale Weiteim Zehenbereich und istdort am breitesten. Erist dreieckförmig unddivergiert nach vorne.Im Barfußstand befin-det sich der Fuß flachauf dem Boden, die Fer-se auf Höhe des Vor-fußes. Zwischen Fußund Bein besteht einrechter Winkel von 90Grad. Die Körperlastliegt zur Hauptsacheauf der Ferse (LANG/

WACHSMUTH, KUMMER)( Abb. 2).In seiner Architektur ist der Fuß

muskulär aktiv gehalten. Die kleinenFußmuskeln (intrinsische Muskulatur)und die Muskulatur des Unterschenkels(extrinsische Muskulatur) garantierenseine gesunde Form (Fußstatik).

Steht der Fuß im Barfußstand aufdem Boden, kann sich die Wadenmus-kulatur kontrahieren. Dabei kommt eszum Anheben der Ferse – nämlich demAbrollen des Fußes, dem Gehen. Fürdas Beinvenensystem bedeutet dieseWadenmuskelkontraktion den wesent-lichen Pumpeffekt.

FußfehlstellungBei jeder Fußfehlstellung ist die Funk-tionstüchtigkeit wesentlicher Venen-pumpen – insbesondere der Fußsoh-lenpumpe und der Wadenmuskelpumpe– beeinträchtigt. Fußfehlstellungenkönnen sowohl mechanisch wie koor-dinativ bedingt sein.

Mechanisch verursachte Fußfehlstatik Praktische und kulturelle Notwendig-keiten bedingen das Tragen von Schu-hen. Berücksichtigt der Schuhleistennicht die natürlichen Gegebenheitender Fußform, führt das zwangsläufig zueiner mechanischen Beeinträchtigungdes Fußskelettes. So verursacht einSchuh, der seine maximale Weite nichtim Zehenbereich hat, über eine Spreiz-fußbildung eine komplexe Fußfehlstel-lung. Gleiches gilt bei der Erhöhungdes Rückfußes gegenüber dem Vorfußdurch einen Absatz und der daraus re-sultierenden Belastungsumkehr amFuß.

Der Absatz hat darüber hinaus fürden Beinvenenkreislauf die fatale Kon-sequenz, dass über ein passives Zu-

sammenschieben der Wadenmuskula-tur durch die absatzbedingte Fersen-erhöhung eine weitere aktive Möglich-keit zur Wadenmuskelkontraktion ver-hindert wird: Die Hauptvenenpumpewird über den Absatz gewissermaßen„ausgeschaltet“.

Langfristig resultieren über dieFehlstatik degenerative Veränderungen– insbesondere an der Fußwurzel undden Zehengrundgelenken –, die dannschmerzhaft die Gehfähigkeit ein-schränken und so ihrerseits zusätzlichnegativ auf die Pumpmöglichkeitenwirken.

Koordinativ verursachte Fußfehlstatik Die Fußarchitektur in ihrer Dreieck-form und mit ihren bekannten Wölbe-konstruktionen wird aktiv über dieMuskulatur gehalten. Die Fußmuskula-tur ist – wie die übrige Muskulatur desBewegungsapparates – in ihrer Ar-beitsfähigkeit von der zentralenSteuerung, der Körperkoordination,abhängig. Diese gelingt lage- und si-tuationsabhängig nach Integration(„Verrechnung“) sensorischer Afferen-zen. Ein ganz wesentlicher Teil der In-formationen, die die Lage des Körpersim Raum beschreiben, wird über dieFußsohle als dem basalen (dem an derBasis liegenden) Tastorgan des Körpersaufgenommen.

Das zentrale Koordinationssystemim Gehirn erhält die Informationenüber die Lage des Organismus imRaum, die es zur Stabilisierung des la-bilen Gleichgewichtes des Zweibein-gängers benötigt, aus der Peripherie.Als sensible und sensorische Afferen-zen wird die Ist-Situation der Raumpo-sition über die Fußsohle (Bodenkon-takt, „Erdung“), das räumliche Sehen(Horizont) und das Gleichgewichts-organ, wie auch über das Gehör unddas Stomatognathe System (Kiefer-gelenke) an das Gehirn übermittelt.

Nach zentraler Verarbeitung der In-formationen regelt das Gehirn über si-tuationsangepasste Efferenzen die re-aktive Stellung des Bewegungsappara-tes. Die Muskelsteuerung erfolgt alsAntwort auf die gemeldeten sensiblenund sensorischen Reize. Resultat isteine situationsangepasste Haltung undBewegung (BAUR, GOLLHOFER). Jedereaktive, situationsangepasste Effe-renz bedarf also der Afferenz zur vor-herigen Informationsintegration. Dasgilt auch für den Fuß: Die Stellung des

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2 Ein gesunder Fuß hat seine maximale Weite im Zehenbereich (l.) undsteht flach auf dem Boden (r.).

Fußes erfolgt angepasst an die mo-mentane Notwendigkeit als Folge dersensorischen Informationen, die unteranderem von der Fußsohle übermitteltwerden.

Senso-Motorisches DefizitAus einer Störung des Informations-flusses resultiert ein Steuerungsdefi-zit. Sind die Sensoren (Fußpropriozep-tion, binocculares Sehen, Vestibular-organ, Gehörorgan, StomatognathesSystem) in ihrer jeweiligen Informa-tionsaufnahme oder Informationswei-terleitung (Afferenz) beeinträchtigt,führt das zu einem Informationsverlustund damit zu einer beeinträchtigtenzentralen Integrationsmöglichkeit. Diezentrale Steuerung über Efferenzen istunzureichend. Folgen sind Defizite beiHaltung und Bewegung (GÖTZ, KLAU-SER, WÜHR).

Für den Fuß bedeutet dies eineFehlhaltung mit Einsinken der Wölbe-konstruktionen und einer sogenanntenFußfehlstatik als Konsequenz. Nach-folgend sind alle über dem Fuß befind-lichen Strukturen fehlgestellt. Bein,Becken und Wirbelsäule stehen falsch.Die Funktionstüchtigkeit der Waden-muskulatur als Hauptvenenpumpe istsowohl über unzureichende Muskel-steuerung, wie auch über die Fußfehl-stellung beeinträchtigt.

Die sensible Informationsaufnahmeam Fuß erfolgt über die propriozepti-ven Fähigkeiten der Fußsohle. Überhöchst vielfältige und differenzierte

taktile Möglichkeiten besteht im Standund Gang stets eine „just in time“-Rückkopplung mit Reaktionsmöglich-keit auf den Untergrund (z. B. „spitzerStein“, Fehltritt) (PFAFF). Diese sensi-blen Qualitäten der Fußsohle habensich in evolutionären Zeiträumen überJahrmillionen im Barfußgang auf Na-turboden als anatomisch-neurophysio-logische Antwort auf die Funktions-anforderung der Aufrichtung in denZweibeinstand entwickelt (HAY, LA-MARCK, LOVEJOY, MOORE, SCHAD).

Über die gesunde Funktion der Fuß-sohle wird die stabile Haltung und Be-wegung ermöglicht. Alle Körperfunk-tionen, auch die Funktionstüchtigkeitder Beinvenenpumpen, basieren dar-auf (Abb. 3).

Das kulturell durch Schuhe und feh-lenden Naturboden entstandene sen -sible Defizit der Fußsohle führt zumMangel an Afferenzen und damit überdie Beeinträchtigung der zentralen Ko-ordinationsfähigkeit zu einer beein-trächtigten Fähigkeit der Muskulatur,die adäquate Körperarchitektur auf-recht zu halten.

Für das Fußskelett bedeutet diesFußfehlstellung. Die Fußwölbungensinken ein, Senk-Knick- und Spreizfußsowie über die dadurch entstehendeFehlmechanik sich entwickelnde Ze-hendeformitäten sind die Folge. DieFußarchitektur ist komplex gestört.Außerdem sind die am Fuß inserieren-den Wadenmuskeln fehlgestellt unddeshalb – wie auch über die mangel-

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3 Es besteht eine deutlich verlängerte Wiederauffüllzeit als Zeichen verbesserten Abpumpver-haltens nach Gehen auf weichen propriozeptiv wirkenden Schuheinlegesohlen (untere Bildrei-he) gegenüber Gehen ohne weiche propriozeptiv wirkende Schuheinlegesohlen (obere Bild-reihe) (Abb. aus FUSCO 2005).

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SchlussfolgerungenZur Aufrechterhaltung oder zur Wieder-herstellung einer gesunden Beinve-nenfunktion – also der vollständigenEntwässerung des Beines – ist dieFunktionstüchtigkeit der beiden Struk-turen, die die Funktion determinieren,erforderlich: Die Venenklappen müssenschlussfähig, die Venenpumpen funk-tionstüchtig sein.

Nur dann kann alles Venenblut dasBein vollständig verlassen, die Rück-resorption der Gewebeflüssigkeit imKapillargebiet, die Gewebedrainage,gelingen und ein gegebenenfallskrankhaft vorliegendes endofaszialesvenöses Ödem beseitigt werden.

KlappeninsuffizienzEntsprechend der funktionellen Rele-vanz der endofaszialen Venen muss dieSuffizienz (das ausreichende Funk-tionsvermögen) der Venenklappen be-sonders an diesen Venen sichergestelltwerden. Dazu muss in den endofaszia-len Bereich der tiefen Venen einge-wirkt werden. Die hierfür notwendigeTiefenwirkung gelingt dabei nicht überelastische, sondern nur über unelas-tische Bandagierung. Diese ist meistausreichend am Unterschenkel.

Mit unelastischen Kompressionsver-bänden nach Heinrich Fischer (Fischer-Schule) (FISCHER) gelingt es thera-peutisch, die funktionelle Klappen-insuffizienz an den endofaszialen Ve-nen zu beseitigen. Grund ist der unver-gleichlich höhere „Arbeitsdruck“ imunelastischen Verband gegenüber ei-ner elastischen Bandage bei gleichzei-tig guter Verträglichkeit wegen gerin-gem „Ruhedruck“ mangels elastischerDauerspannung (HAID). Als Behand-lungsmittel ist eine elastische Banda-ge aus diesem Grunde nicht geeignet.

Nach Therapieabschluss muss aufdas entstaute Bein ein Kompressions-strumpf angemessen werden, der demursprünglichen Befund angepasst ist.Diese elastische Bandage – fast immerausreichend am Unterschenkel – dientals Kompensation der Disposition zurVenenerweiterung und ist deshalb dau-erhaft tagsüber zu tragen.

Insuffizienz der VenenpumpenDie Ausschöpfung aller vorhandenenPumpmechanismen ist prinzipiell er-

strebenswert, um alles venöse Blut ge-gen die Schwerkraft zurück zum Her-zen gelangen zu lassen. So ist auf Be-wegung, Atmung und Körpergewichtzu achten. Dabei sollte entsprechendihrer Relevanz insbesondere die Wa-denmuskulatur als Hauptvenenpumpeim Zentrum der Bemühungen stehen.Zum einen muss sie betätigt werden:Zügiges Gehen verteilt über den Tag istVorraussetzung für eine gute und kon-tinuierliche Entwässerung des Beines.

Zum andern sollte die Funk-tionstüchtigkeit der Pumpfunktion derWadenmuskelpumpe so weit wie mög-lich garantiert sein. Dementsprechendist die Korrektur einer Fußfehlstatiknötig. Diese gelingt aktiv: Über wei-che, den individuellen Notwendigkei-ten angepasste Schuheinlegesohlenkann das propriozeptive Defizit überdie Fußsohle ausgeglichen werden. Dievollständige Steuerung der Skelett-muskulatur, auch der Fuß- und Waden-muskulatur, wird so wieder gewähr-leistet. Eine Fußfehlstatik kompensiertsich aktiv über die jetzt wieder arbei-tende Fußmuskulatur. Die Wadenmus-kelpumpe erhält ihre vollständigePumpfunktion zurück.

Dem Fuß sollte dann im fußfreund-lichen Schuh ermöglicht werden, inseiner jetzt gesunden, oder zumindestfunktionell gebesserten Form, verblei-ben zu können. Dafür sollte beimSchuhleisten auf maximale Weite imZehenbereich und auf einen Nullabsatzgeachtet werden.

Über die Funktionstüchtigkeit derkleinen Fußmuskeln bei jetzt gesunderFußstellung und gegebener Abrollmög-lichkeit auf weichem Untergrund (Ein-legesohle) ist auch die Funktionstüch-tigkeit der Fußsohlenpumpe wiedergegeben.

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