Der Geistliche Führer Teil 2 - Michael de Molinos

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    Michael de Molinos

    Der geistliche Fhrer

    welcher die Seele frei macht

    und sie auf den inneren Weg

    zur Erlangung vollkommener Anschauung fhrt

    und

    Der reiche Schatz innerlichen Friedens

    *

    Zweiter Teil

    Erstmalig gedruckt im Jahre 1699

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    Zweiter Teil

    Von dem geistigen Martyrium, wodurch Gott die Seelen lutert; Von

    der durch Gott verliehenen und passiven Beschaulichkeit; Von der

    vollkommenen Ergebung, inneren Demut, gttlichen Weisheit,wahrhaften Vernichtigung und dem innerlichen Frieden

    1. Der Unterschied zwischen dem ueren und inneren Menschen.

    1 Es gibt zwei Arten geistiger Personen, innerliche und uerliche.Die uerlichen suchen Gott drauen, durch Vernunftsschlsse, Vor-stellungen und Nachgrbeln. Sie bemhen sich namentlich durch vie-lerlei Fasten, Kasteiung des Krpers und Abttung der Sinne, Tugend

    zu erlangen. Sie unterwerfen sich selbst strengen Bubungen, klei-den sich in grobes Tuch, geieln das Fleisch durch strenge Selbst-zucht und beobachten Stillschweigen. Sie fhlen sich in der gttli-chen Gegenwart, indem sie sich Gott als gegenwrtig vorstellen nachder Idee, welche sie von Gott haben. Sie haben ihr Wohlgefallen da-ran, fortwhrend Gott zu forschen und geben ihre Liebe oftmals inheien Liebesbezeugungen zu erkennen. All dieses ist aber Kunstund Meditation.

    2 Auf diese Weise trachten sie nach Gre und suchen (vermgeihrer freiwilligen und uerlichen Selbstpeinigung) nach sinnlichenGemtsbewegungen und warmen Empfindungen, in dem Glauben,da Gott nur dann in ihnen Wohnung nehme, wenn sie solche haben.

    3 Dies ist der uere Weg und der Pfad der Anfnger. Obgleich erntzlich ist, gelangt man auf ihm doch nicht zur Vollkommenheit. Jaman kommt ihr darauf sogar nicht einen Schritt nher, wie die Erfah-

    rung an vielen lehrt, welche nach 50 Jahren uerlicher bungen leervon Gott und voll ihrer selbst sind. Sie sind und bleiben nur dem Na-men nach geistige Menschen.

    4 Es gibt andere wahrhaft Geistige, welche den ersten Teil des in-neren Weges, der zur Vollkommenheit und Vereinigung mit Gottfhrt, durchschritten haben. Denn Gott hatte sie durch seine unendli-che Liebe von dem ueren Wege abberufen, auf welchem sie sich

    vorher bewegten. Diese Menschen zogen sich in das Innere ihrerSeelen zurck, mit wahrer Ergebung in die Hnde Gottes, unter ei-

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    nem vlligen Von-sich-werfen und sogar Vergessen ihrer eigenenPersnlichkeit. Sie wandeln erhobenen Geistes bestndig in desHerrn Gegenwart, durch reinen Glauben, ohne Bild, Form undGleichnis, aber mit groer, in Seelenruhe und Gelassenheit gegrnde-

    ter Zuversicht. In der ihnen verliehenen innerlichen Sammlung wirktder Geist mit solch einer Kraft, da er die Seele, das Herz, den Kr-per und alle seine Krfte inwendig zusammenzieht.

    5 Insofern diese Seelen die innerliche Abttung schon vollzogenhaben und von Gott in dem Feuer der Trbsal gelutert worden sind,durch lange und qualvolle Prfungen, die alle an Seiner Hand undnach seinem Willen geschickt werden, sind sie Herren ber sich

    selbst, weil sie sich gnzlich besiegt und aufgeopfert haben. Also le-ben sie in groer Ruhe und innerem Frieden. Wenn sie auch bei man-chen Gelegenheiten auf Widerstand und Versuchungen stoen, errin-gen sie doch bald den Sieg, weil sie bereits geprft und mit gttlicherKraft begabt sind. Der Sturm der Leidenschaft kann in ihnen nichtlange toben, wenn auch heftige Versuchungen und lstige Einflste-rungen des Bsen geraume Zeit in ihnen wirken knnen. Doch wer-den sie alle mit unschtzbarem Gewinn berwunden, denn Gott

    selbst kmpft in ihnen.6 Diese Seelen haben sich bereits eine grere Erleuchtung und

    wahres Wissen von Christus, unserem Herrn, errungen, sowohl inBezug auf seine Gottheit, als auch auf seine Menschheit. Das ihnenverliehene Wissen gebrauchen sie mit ruhigem Schweigen in der in-nerlichen Unterredung und in dem erhabenen Teil der Seele. Dieseinnerliche Unterredung geschieht mit einem Geist, der frei ist von

    Vorstellungen und von auen kommenden Erinnerungen, mit einerLiebe, die rein und ledig ist von allen Kreaturen. Auch haben sie sichvon nur uerlichen Handlungen zu der Liebe zu Gott und derMenschheit aufgeschwungen. Sie vergessen, woran sie sich erfreu-ten, und in allem finden sie, da sie ihren Gott von ganzem Herzenund von ganzer Seele lieben.

    7 Diese glckseligen und erhabenen Seelen finden kein Gefallenan weltlichen Dingen, sondern an Verachtung, am Alleinsein und da-

    ran, von jedermann vergessen und verlassen zu werden. Sie leben souneigenntzig und abgezogen dahin, da sie sich (obgleich ihnen

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    fortgesetzt bernatrliche Gnadengabe zuteil werden) doch immergleich bleiben. Sie hngen ihr Herz an nichts, sondern hegen im In-nersten eine groe Demut und Selbstverachtung. Bestndig sind siein die Tiefe ihrer eigenen Unwrdigkeit und Niedrigkeit hinabge-

    beugt. Auf diese Weise sind sie immer ruhig, heiter und gleichmti-gen Geistes, sowohl den auerordentlichen Beweisen gttlicher Gna-dengaben gegenber, wie auch in den strengsten und schrfsten Qua-len. Es gibt keine Nachricht, welche sie zu erschttern vermchte,kein glckliches Ereignis, welches sie erfreuen knnte. Durch Trb-sale werden sie nicht verstrt, noch auch durch die innere, fortwh-rende und gttliche Gemeinschaft eitel und eingebildet gemacht. Siebleiben stets voll heiliger und kindlicher Furcht, in bewundernswr-digem Frieden, Bestndigkeit und Heiterkeit der Seele.

    *

    2. Fortsetzung des Vorhergehenden

    1 Die den uerlichen Weg Wandelnden bemhen sich, fortwh-rend alle Tugenden nacheinander auszuben, um sich dieselben fr

    immer anzueignen. Sie streben danach, sich von ihren Unvollkom-menheiten mit angemessener Kraftanspannung zu befreien. Sie las-sen es sich angelegen sein, ihre selbstschtigen Neigungen, eine nachder andern, auszurotten, durch verschiedene und einander entgegen-gesetzte Verfahren. Mit all ihren Bemhungen aber erreichen sienichts, weil wir nichts tun knnen, das nicht mit Unvollkommenheitund Ungemach behaftet wre.

    2 Auf dem innerlichen Wege dagegen und bei dem liebenden Ver-

    kehr in Gottes Gegenwart, wirkt der Herr Selber. Die Tugend wirdaufgerichtet, der Eigennutz ausgetilgt, Unvollkommenheiten zerstrtund Leidenschaften entfernt. Das macht die Seele unerwartet frei,und zieht sie von allem ab (auch wenn sich Gelegenheit bietet), ohneda sie auch nur des Guten gedchte, welches ihr Gott mit unendli-cher Barmherzigkeit zugeteilt hat.

    3 Es mu jedoch bemerkt werden, da diese Seelen, obschon sie

    zu hoher Vollkommenheit gelangt sind und wahre gttliche Erleuch-tung besitzen, doch ihre eigene Gebrechlichkeit, ihre Schwchen und

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    Untugenden tief erkennen. Sie sehen, was sie noch bedrfen, um zurVollkommenheit zu gelangen. Sie sind bekmmert und verachtensich selbst. Sie ben sich selbst in liebender Gottesfurcht und Verach-tung ihrer selbst. Das geschieht aber mit wahrer Zuversicht auf Gott

    und Mitrauen gegen sich selbst. Je demtiger sie in wirklicherSelbstverachtung und Selbsterkenntnis werden, um so greres Ge-fallen hat Gott an ihnen, und sie gelangen dadurch zu einer besonde-ren Achtung und Verehrung in Seiner Gegenwart. All dem Guten, dassie tun und allem was sie fortwhrend von innen und auen erleiden,messen sie vor der gttlichen Gegenwart keinerlei Bedeutung bei.

    4 Ihr stetiges Bestreben richtet sich darauf, mit Ruhe und Still-

    schweigen in sich einzudringen, in Gott, weil dort Sein Zentrum, Sei-ne Wohnung und Freude ist. Sie legen greren Wert auf diese innereAbgeschiedenheit, als auf das Sprechen ber Gott. Sie ziehen sich indas Seinen gttlichen Einflu mit Furcht und liebender Verehrung insich aufzunehmen. Wenn sie aus sich herausgehen, tun sie es nur zudem Zwecke, sich selbst zu erkennen und zu verachten.

    5 Wisse aber, da die Zahl der Seelen, die diesen gttlichen Zu-stand erlangen, gering ist. Denn es gibt nur wenige, welche gern Ver-

    achtung erleiden und sich lutern und reinigen lassen wollen. Ausdiesem Grunde wird selten eine Seele gefunden, die weiter fort-schreitet und nicht auf der Schwelle beharren bleibt, obgleich vielediesen inneren Weg betreten. Der Herr sagte zu einer Seele: "Dieserinnere Weg wird von wenigen beschritten. Er stellt eine so hohe Gna-dengabe dar, da sie niemand verdient. Sie wird nur wenigen zuteil,weil dieser Pfad nichts anderes ist als ein Sterben der Sinne. Die Zahl

    derer ist aber klein, welche so sterben und vernichtet werden wollen.Es braucht aber eine solche Gesinnung, um dieses so hohe und herrli-che Geschenk zu erhalten."

    6 Durch das was bisher gesagt worden ist, wirst du von deinemIrrtum befreit worden sein, und voll und ganz den groen Unter-schied erkennen, der zwischen dem ueren und inneren Wege be-steht. Du siehst jetzt den Unterschied der Gegenwart Gottes, welchedurch die Meditation hervorgerufen wird, und welche von Gott ver-

    liehen und bernatrlichen Ursprungs ist, die herbeigefhrt wirddurch die innere Vereinigung und durch passive Beschauung. Und

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    endlich wirst du den groen Unterschied erkennen zwischen dem u-erlichen und innerlichen Menschen.

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    3. Das Mittel zur Erlangung des innerlichen Friedens ist nicht sinn-

    liches Lustgefhl, noch geistiger Trost, sondern die Vernichtung der

    Eigenliebe.

    1 Es ist ein Ausspruch des heiligen Bernhard, da Gott dienennichts anderes heit, als Gutes tun und Bses erdulden. Wer auf demWege der Annehmlichkeit und des Trostes zur Vollkommenheit ge-langen will, ist im Irrtum. Kein anderer Trost darf von Gott begehrt

    werden, als da wir aus Liebe zu Ihm unser Leben zum Opfer brin-gen. Der Weg unseres Herrn Christus war nicht der Weg der An-nehmlichkeit und des Behagens, auch berief Er uns durch seine Wor-te und Sein Beispiel nicht zu einem solchen Weg. Hingegen sagte Er:"Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst, und nehme seinKreuz auf sich, und folge mir nach." (Mark.8,34). Die Seele, welchedanach verlangt, mit Christus vereinigt zu werden, mu Ihm auf dem

    Wege des Leidens nachfolgen. Nur so kann sie Ihm hnlich werden.Kaum wirst du begonnen haben, die Sigkeit der gttlichen Liebeim Gebet zu empfinden, so wird der Feind mit seinen trgerischenKnsten in deinem Herzen den Wunsch nach Abgeschiedenheit undEinsamkeit erwecken. Du mchtest ohne jedes Hindernis die Zeit inbestndigem und freudevollem Gebet verbringen. ffne aber deineAugen und bedenke, da dieser Rat und Wunsch nicht der wirklichenLehre unseres Herrn Christus entspricht. Er hat uns nicht dazu einge-

    laden, der Annehmlichkeit und dem Behagen unseres eigenen Wil-lens zu folgen, sondern vielmehr dazu, uns selbst zu verleugnen. in-dem er sagte: "der verleugne sich selbst", wollte Er soviel sagen: Wermir nachfolgen und zur Vollkommenheit gelangen will, mge seinenEigenwillen gnzlich dahingeben. Er mge alles verlassen, sich voll-kommen dem Joche des Gehorsams und der Unterwerfung ergeben,vermittelst der Selbstverleugnung, welche das echteste Kreuz ist.

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    Es gibt viele gottergebene Seelen, welche aus Seiner Hand groeGedanken, Gesichte und geistige Erleuchtungen empfangen. Unddoch lt ihnen der Herr bei alldem nicht die Gnade zuteil werden,

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    Wunder zu verrichten, verborgene Geheimnisse zu erkennen und zu-knftige Ereignisse vorauszusagen. Er begabt aber andere Seelen mitdiesen Krften, welche fortwhrend unter Trbsalen, Versuchungenund dem wahren Kreuze gewandelt sind im Geiste vollkommener

    Demut, Gehorsams und Unterwerfung.3 O welch ein groes Glck ist es fr eine Seele, unterdrckt und

    untergeben zu sein: was ist es fr ein Reichtum, wenn man arm ist;was fr eine hohe Ehre, verachtet zu sein; welch eine Erhhung, er-niedrigt zu werden; welcher Trost, betrbt zu sein; welches Zeugniswahren Wissens, fr unwissend gehalten zu werden. Und was ist esdoch endlich fr eine unaussprechliche Seligkeit, mit Christus ge-

    kreuzigt zu werden.4 Das ist jenes Lob, welches der Apostel pries: "Es sei ferne vonmir mich zu rhmen, denn allein des Kreuzes unseres Herrn JesuChristi" (Gal.6,14). Lat andere sich rhmen ihres Reichtums, ihresRanges, ihrer Gensse und Ehren, fr uns aber gibt es keine grereEhre, als verachtet und mit Christus gekreuzigt zu werden.

    5 Wie betrbend aber ist es, da kaum eine Seele gefunden wird,welche geistige Gensse verachtet und bereit ist, um Christi willensich zu verleugnen und sein Kreuz voller Liebe zu umfangen. "Vielesind berufen, aber wenige sind auserwhlt", sagt der Heilige Geist.Viele werden zur Vollkommenheit berufen, aber nur wenige gelangendahin, weil wenige das Kreuz mit Geduld, Standhaftigkeit, Friedenund Ergebung auf sich nehmen.

    6 Sich selbst in allen Dingen zu verleugnen, dem Urteil anderersich zu unterwerfen, alle in sich wohnenden Leidenschaften stndig

    zu ertten, seine Ichheit in jeder Beziehung zu vernichten, immerdem zu folgen, was dem eigenen Wollen, Verlangen und Whnen ent-gegengesetzt ist, das sind Dinge, welche nur wenige zu vollbringenvermgen. Viele gibt es, welche sie predigen, aber nur wenige, diesie ausben.

    7 Manche Seelen haben diesen Pfad in Angriff genommen und be-geben sich tglich auf ihn. Sie harren aus, solange sie den sen Ge-

    schmack ihrer anfnglichen Begeisterung haben. Kaum aber ist diesekstliche Empfindung und Sinnesfreude entschwunden, so werden

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    sie wankelmtig und welchen zurck. Sie scheuen sich vor dem her-einbrechenden Sturm von Trbsal, Versuchung und Trockenheit, wel-che doch ntig sind, um die Hhe der Vollkommenheit zu erklim-men. Das ist, aber ein klares Zeichen, da sie sich selbst suchten,

    nicht aber Gott oder die Vollkommenheit.8 Mge es Gott gefallen, da die Seelen, welche das Licht emp-

    fangen haben und zu dem innerlichen Frieden berufen sind, die aberin Drre, Trbsal und Versuchung keine Standhaftigkeit zeigen undabfllig geworden sind, nicht in die uerste Finsternis hinausgesto-en werden, damit es Ihnen nicht ergeht wie jenem, der kein hoch-zeitliches Kleid anhatte. Denn ob er schon ein Diener war, so war er

    doch nicht bereit, sondern von der Liebe zu sich selbst besessen.9 Dieses Ungeheuer mu bekmpft, die sieben Kpfe dieser Hydrader Eigenliebe mssen abgeschlagen werden, damit wir auf den Gip-fel des hohen Berges des Friedens gelangen knnen. Dieses Ungetmtaucht an allen Orten auf. Oftmals geht es Beziehungen ein, welchedann ein besonderes Hindernis bilden, weil sich die Natur leicht vonihnen beeinflussen lt. Bald verbirgt es sich, mit einem lblichenAnstrich von Dankbarkeit, unter leidenschaftlicher und rckhaltslo-

    ser Liebe zu dem Beichtvater (geistigen Vater); dann wieder unter derZuneigung zu hchst feiner, geistiger und weltlicher Hoffart und demFlitterstaat der Ehre, welche Dinge dem Menschen sehr stark anhaf-ten. Einmal trachtet es nach geistigen Genssen, indem es sich sogarauf die Gnaden Gottes sttzt, welche Gott in Seiner Gnade dem Men-schen gromtig gewhrt. Ein andermal verlangt er es malos nachErhaltung der Gesundheit und sucht, unter dem Vorwand ein Werk-

    zeug Gottes zu sein, nur den eigenen Nutzen und die eigene Bequem-lichkeit. Bisweilen umgibt es sich auch, unter merkwrdig feinenVerhllungen, mit dem Schein des Guten - und endlich hngt es sichmit einer bemerkenswerten Zhigkeit in allen Stcken an das eigeneUrteil und die eigene vorgefate Meinung. Wozu die Wurzeln tief inseinem Willen begrndet liegen. All dies sind uerungen der Eigen-liebe, und es ist unmglich, bevor sie nicht berwunden werden, dieHhe vollkommener Beschauung, die hchste Glckseligkeit liebe-

    voller Vereinigung, und den erhabenen Thron der innerlichen Frie-dens zu erreichen.

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    zehren, zu ertten, zu vervollkommnen und mit seinen gttlichen Ga-ben zu erfllen. Durch die Trbsal und die Versuchung krnt und ver-wandelt er sie. berzeuge dich nun selbst, da Versuchungen undKmpfe fr den Fortschritt der Seele notwendig sind.

    3 O gesegnete Seele, wenn du nur standhaft und ruhig zu bleibenvermchtest in dem Feuer der Trbsal und dich waschen lassen wr-dest mit dem bitteren Wasser des Leidens, wie schnell wrdest dudich reich sehen an himmlischen Gaben und wie schnell wrde diehimmlische Gte einen glnzenden Thron und eine liebliche Woh-nung in deiner Seele aufrichten, um sich in ihr zu ergtzen und zutrsten. Wisse, da der Herr nur in ruhigen Gemtern seine Ruhe fin-

    det. Das Feuer der Versuchung mu zuerst den Unrat der Leiden-schaft aufgezehrt und das bittere Wasser der Betrbnis mu dieschmutzigen Flecken unlauterer Begierden hinweggewaschen haben.Der Herr lt sich nur dort nieder, wo der Friede herrscht und die Ei-genliebe verbannt ist.

    4 Auch wenn du durch Gottes Gnade Herr ber deine ueren Sin-ne geworden bist, so wirst du doch noch nicht das kostbare Unter-pfand des innerlichen Friedens in deiner Seele finden. Die Seele mu

    zuerst gereinigt werden von den unordentlichen Leidenschaftenfleischlicher Begierde, der Wertschtzung des eigenen Begehrensund Denkens (wie geistig sie auch immer sein mgen) und vielen an-dern blen Neigungen und geheimen Lastern, welche in deinem In-neren hausen. Denn dadurch wird der ungestrte Eintritt jenes groenHerrn, der sich mit dir zu vereinigen wnscht, auf beklagenswerteWeise verhindert. Selbst die errungenen, aber nicht geluterten Tu-

    genden bilden ein Hindernis fr dieses groe Geschenk des inner-lichen Friedens. Auerdem wird die Seele gehemmt durch das unlau-tere Verlangen nach erhabenen Gnadengaben, durch den Wunsch gei-stigen Trost zu empfinden, durch das Trachten nach gttlichenGunstbezeugungen, sofern sie sich damit unterhlt und ihrer mehr zuempfangen wnscht, um sich an ihnen zu erfreuen, endlich auchdurch die Begierde, gro zu sein.

    5 O wie vielerlei mu in einer Seele gereinigt werden, die auf den

    heiligen Berg der Vollkommenheit und Umwandlung durch Gott ge-langen soll. O wie wohl geordnet, entblt, selbstvergessen, vernich-

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    tet mu die Seele sein, welche den Eintritt dieses gttlichen Herrn insich nicht hindern, noch den fortwhrenden Umgang mit Ihm nichtstren soll.

    6 Die Anordnung dieser Vorbereitungen im Grunde der Seele fr

    den gttlichen Eintritt mu notwendigerweise durch die gttlicheWeisheit geschehen. Wenn ein Seraph nicht genug ist, um eine Seelezu reinigen, wie sollte eine Seele, die schwach, elend und ohne Er-fahrung ist, fhig sein, sich selbst zu reinigen?

    7 Deshalb ist es der Herr, der dich lenkt und dich vorbereitet ohnedein Zutun. Von deiner Seite braucht es keine Mithilfe, als nur dieBereitschaft zu dem inneren und ueren Kreuz. Dann reinigt dich

    der Herr durch das Feuer der Trbsal und der inneren Qual.8 Du wirst in dir eine passive Trockenheit finden, Dunkelheit,

    Angst, Widersprche, bestndiges Widerstreben, eine innere Verlas-senheit, schreckliche de, unaufhrliche, starke Einflsterungen undheftige Versuchungen des Feindes. Schlielich wirst du so niederge-drckt sein, da du nicht mehr vermagst, dein leiderflltes Herz em-porzuheben, noch die geringste Tat des Glaubens, der Liebe oder derHoffnung zu vollbringen.

    9Nun wirst du dich verlassen sehen, preisgegeben den Leiden-schaften der Ungeduld, des Zorns, der Wut, Lsterung und unlautererBegierden. Du wirst dir selbst als das elendeste Geschpf erscheinen,als grter Snder in der Welt, der von Gott Verworfenste, aller Tu-gend beraubt und ledig. Du wirst dich in einer fast hllischen Pein sobekmmert und verlassen fhlen, da du glauben mchtest, Gottgnzlich verloren zu haben. Dies wird dir die grausamste, schnei-

    dendste und bitterste Qual verursachen.10 Aber wenn du dich auch auf diese Weise bedrngt siehst und dir

    selbst stolz, ungeduldig und zornig vorkommst, so werden diese Ver-suchungen doch ihre Kraft und Gewalt ber dich verlieren. Sie habenkeinen Platz in deiner Seele, da in deinem innersten Teil eine gehei-me Tugend, eine erhabene Gabe innerlicher Strke herrscht, welchedie schrecklichste Marter und Pein und die strkste Versuchung ber-

    windet.

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    11 Bleibe standhaft, o gesegnete Seele, bleibe standhaft, denn eswird dir nicht so geschehen, wie du dir einbildest. Auch bist du Gottniemals nher als in solchem Zustande der Verlassenheit. Denn wenndie Sonne auch hinter dem Gewlk verborgen ist, so verndert sie

    doch nicht ihren Lauf, noch mindert sich im geringsten ihr strahlen-der Glanz. Der Herr duldet diese qualvolle Verlassenheit in deinerSeele, um dich zu reinigen, zu lutern und dich deiner selbst zu be-rauben. Du darfst deshalb ganz Ihm gehren und dich Ihm ganz zueigen geben, wie auch Seine unendliche Gte sich dir ganz hingibt,damit Er sein Wohlgefallen an dir finden kann. Denn wenn du auchseufzest, klagst und weinst, so ist Er doch heiter und freudevoll indem geheimsten und verborgensten Gemache deiner Seele.

    *

    5. Wie wichtig und notwendig es fr die innerliche Seele ist, dieses

    erste und geistige Martyrium wie blind zu erdulden.

    1 Damit die Seele aus dem Irdischen zum Himmlischen emporge-hoben wird und zu dem hchsten Gut der Vereinigung mit Gott ge-

    langen kann, ist es ntig fr sie, in dem Feuer der Trbsal und Versu-chung gelutert zu werden. Es mssen zwar alle Diener des HerrnMhseligkeit, Verfolgungen und Ungemach erleiden. Aber die glck-lichen Seelen, welche von Gott den geheimen Pfad des inneren Le- bens gefhrt werden, mssen schrecklichere und heftigere Ver-suchungen und Qualen erdulden, welche noch bitterer sind als dieje-nigen, womit die Mrtyrer der ersten christlichen Kirche gekrntwurden.

    2 Die Mrtyrer wurden, abgesehen von der kurzen Dauer ihrerMarter, mit hellem Licht und besonderer Hilfe durch die Hoffnungauf die nahe und sichere Belohnung getrstet. Die verlassene Seeleaber, welche in sich selbst sterben und gnzlich von sich ausgehenund ihr Herz reinigen mu, sieht sich ferne von Gott, umringt vonVersuchungen, Finsternis, Bedrngnis, Kummer, in beschwerlicher,strenger und seelischer Drre. Sie empfindet die Schrecken des To-

    des in jedem Augenblick ihrer qualvollen Versuchungen. Es ist eineschreckliche Trostlosigkeit, ohne die geringste Linderung, eine sogroe Betrbnis, da der Schmerz davon gleich einem verlngerten

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    Tod und einem fortwhrenden Martyrium erscheint. Man kann des-halb nicht ohne triftigen Grund sagen, da - wenn es auch viele Mr-tyrer gibt, so gibt es doch nur wenige Seelen, welche unserem HerrnChristus mit Frieden und Ergebung in solchen Qualen nachfolgen.

    Zudem wurden die Mrtyrer von Menschen gefoltert, und Gott trs-tete ihre Seelen. Hier aber ist es Gott, welcher Bedrngnis bringt undsich selbst verbirgt. Er lt die Dmonen, gleich grausamen Peini-gern, tausend Wege finden, um Seele und Krper so zu peinigen, dader ganze Mensch innen wie auen gekreuzigt ist.

    3 Dein Kummer wird dir unberwindlich und deine Leiden durchkeinerlei Trost heilbar erscheinen. Ja selbst der Himmel will keinen

    erquickenden Regen mehr auf dich herabsenden. Du wirst dich vonSchmerzen umfangen und von innerer Bangigkeit bedrckt fhlen,denn deine Krfte sind verdunkelt und dein Gebet zur Ohnmacht ver-urteilt. Heftige Versuchungen werden dich bedrngen, ja auch qu-lende Zweifelsucht und lstiger Glaubensmangel. Einsicht und Ur-teilskraft werden dich verlassen.

    4 Alle Wesen werden dir Verdru bereiten. Versammlungen geistli-cher Art werden dir Schmerz verursachen. Das Lesen von Bchern,

    wie heilig diese immer sein mgen, wird dir nicht mehr wie frherTrost gewhren. Wenn man dir von Geduld spricht, so wird es dichauerordentlich verstimmen. Die Furcht, Gott durch deine Undank-barkeit und durch den Mangel an Erkenntlichkeit gegen seine Gtezu verlieren, wird deine Seele bis ins Innerste durchwhlen. Wenn duseufzend zu Gott um Hilfe flehst, wirst du anstatt Trost innerlichenTadel und Ungunst von ihm empfinden. Es wird dir ergehen wie je-

    nem kanaanitischen Weibe, dem Er zuerst keine Antwort gab, unddas dann wie ein Hndlein behandelt wurde.5 Obgleich dich der Herr zu dieser Zeit nicht verlassen wird, da es

    unmglich sein wrde, einen Augenblick zu leben ohne Seinen Bei-stand, so wird die Hilfe doch so verborgen sein, da deine Seele sienicht erkennen, und auch nicht der Hoffnung und des Trostes fhigsein wird. Du wirst dich vielmehr ohne jedes Heilmittel glauben undwirst gleich den Verdammten die Qualen der Hlle erleiden. "Stricke

    des Todes hatten mich umfangen, und ngste der Hlle hatten michgetroffen" (Ps.116,3). Gerne mchtest du diese Qualen mit einem ge-

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    waltsamen Tode vertauschen, denn das wrde dir eine Erleichterungbringen. Und gleich wie die Verdammten kein Ende ihrer Leiden undBitterkeiten sehen, also wird es dir auch ergehen.

    6 Wenn du aber wtest, o gesegnete Seele, wie sehr du von jenem

    gttlichen Herrscher inmitten deiner langen Qualen geliebt und ver-teidigt wirst, so wrdest du sie so s finden, da Gott ein Wunderwirken mte, um dich am Leben zu erhalten. Sei standhaft, o glck-liche Seele, standhaft und guten Mutes. Denn wie unertrglich du dirselbst auch immer sein magst, so wirst du doch beschirmt, bereichertund geliebt vom hchsten Gut. Es scheint als htte Gott nichts ande-res zu tun, als dich der Vollkommenheit, den hchsten Stufen der

    Liebe, zuzufhren. Wenn du dich nicht abwendest, sondern standhaftausharrst, ohne von deinem Unternehmen abzulassen, so wisse, dadu Gott das Ihm wohlgeflligste Opfer darbringst. Wenn GottSchmerzen empfinden knnte, so wrde Er keine Ruhe finden, bis Erdiese liebende Vereinigung mit deiner Seele vollendet htte.

    7 Wenn Er durch Seine Allmacht aus deinem Chaos des Nichts soviele Wunder hervorgebracht hat, was wird Er dann in deiner Seeletun, welche nach Seinem eigenen Bilde und Gleichnis geschaffen ist,

    wenn du nur standhaft, ruhig und ergeben ausharrst, in wahrer Er-kenntnis deiner Nichtigkeit? Ob du schon von Leid verstrt und je-den Trostes beraubt bist, so bist du doch eine glckliche Seele, solan-ge du darin festbleibst, nicht durch Verlangen nach uerlichem Trostaus dir selbst herauszutreten: ngstige und beunruhige dich nicht zusehr wegen der Fortdauer dieses heftigen Martyriums. Harre aus inDemut und tritt nicht aus dir hinaus, um nach Hilfe zu suchen. Denn

    dein ganzes Heil besteht darin, stille zu sein und Friede zu halten mitRuhe und Entsagung. Hierin wirst du die gttliche Kraft zur ber-windung eines solch mhsamen Kampfes finden. Er ist in dir, der frdich streitet, und Er ist die Strke selbst.

    8 Wenn du zu diesem qualvollen Zustand schrecklicher Verlassen-heit gelangst, sind Weinen und Wehklagen deiner Seele nicht unter-sagt, wenn sie nur in ihrem oberen Teil gefat bleibt. Wer knnteauch des Herrn schwer lastende Hand ohne Trnen und Jammer er-

    tragen? Sogar jener groe Kmpfer Hiob brach in Wehklagen aus.

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    Auch unser Herr Christus klagte in Seiner Verlassenheit, aber ihrWeinen geschah in Ergebenheit.

    9 Sei nicht betrbt, wenn Gott dich auch kreuzigt und deine Treueerprobt. Folge dem Weibe von Kanaan, das zurckgestoen und ge-

    schmht, den Herrn um so heftiger mit ihrer Bitte bestrmte, ob-gleich sie recht erniedrigend von Ihm behandelt worden war.

    10 Es ist ntig, den Becher zu leeren und nicht zurckzuweichen.Wenn die Schuppen von deinen Augen genommen wren, wie vondenen des Paulus, wrdest du die Notwendigkeit des Leidens erken-nen und dich dessen rhmen. Paulus achtete es fr hher, gekreuzigtzu werden, als ein Apostel zu sein.

    11 Dein Glck beruht nicht im Genieen, sondern im ruhigen undergebenen Dulden. Die heilige Theresa erschien nach ihren Tode ei-ner gewissen Seele und sagte ihr, da sie nur fr die erduldete PeinBelohnung empfangen habe, nicht aber fr alle Entzckungen undOffenbarungen, deren sie sich in dieser Welt erfreut htte.

    12 Dieses schmerzensreiche Martyrium frchterlicher Verlassen-heit und passiver Luterung ist so grauenvoll, da es mit Recht den

    Namen "Hlle" unter den mystischen Heiligen erhalten hat. Denn esscheint unmglich, da jemand auch nur einen Augenblick in Qualenzu leben vermag, die so bitter sind, da (wie mit groem Recht ge-sagt werden kann) derjenige, welcher sie leidet, sterbend lebt und imSterben einen verlngerten Tod lebt. Nichtsdestoweniger sollst duwissen, da es notwendig ist, sie zu ertragen, um zu dem sen, er-freulichen und berflieenden Reichtum erhabener Beschauung undliebender Vereinigung gelangen zu knnen. Es hat keine heilige Seele

    gegeben, welche dieses geistige Martyrium und diese schmerzlichenQualen nicht durchgemacht htte. Der heilige Papst Gregorius erlittsolche in den letzten zwei Monaten seines Lebens. Franziskus vonAssisi hatte sie zweieinhalb Jahre zu ertragen. Maria Magdalena vonPazzi sogar fnf Jahre und Rosa von Peru 15 Jahre. Und nach so vie-len Wundertaten, welche die Welt in Staunen versetzte, erduldete sieder heilige Dominikus bis nahezu eine halbe Stunde vor seinemglcklichen Tod.

    *

    14

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    6.

    13 Das andere ntzlichere und verdienstlichere Martyrium der See-len, die in Vollkommenheit und tiefer Beschauung schon fortgeschrit-ten sind, ist ein Feuer gttlicher Liebe, welches die Seele verbrenntund sie durch dieses Liebesgefhl in einen Schmerzenszustand ver-setzt. - Bald stimmt die Abwesenheit ihres Geliebten die Seele trau-rig; bald wird ihr die se, brennende und willkommene Brde derliebenswerten, gttlichen Gegenwart zur Qual. Dieses se Martyri-um lt sie immerdar seufzen; manchmal, wenn sie sich ihres Gelieb-ten erfreut und Ihn hat, weil das Gefhl dieses Besitzes so lieblichist, da sie es nicht zu fassen vermag. Das anderemal, wenn Er sich

    nicht offenbart, seufzt sie wegen des heien Dranges, womit sie sichbestrebt, Ihn zu suchen, zu finden und zu genieen. All dies ist nichtsanderes als seufzen, dulden und sterben aus Liebe.da du nur dazugelangen knntest, die so entgegengesetzten Zustande zu begreifen,welchen eine liebende Seele ausgesetzt ist. Es ist ein Kampf, der aufder einen Seite furchtbar und wild und auf der andern Seite s,schmelzend und lieblich ist: Es ist ein Martyrium, so durchbohrendund scharf, womit die Liebe sie qult, als auch ein peinvolles und s-

    es Kreuz zugleich, da sich die Seele whrend ihres ganzen Lebensnicht davon freimachen mchte:

    14 In dem Grad, als Licht und Liebe sich vergrern, wchst auchder Kummer ber die Abwesenheit jenes Guts, welches sie so innigliebt. Sich Ihm nahe zu fhlen, bereitet ihr Freud, aber das niemalsFertigwerden mit dem Erkennen und der nie ganz vollkommene Be-sitz, verzehrt ihr Dasein. Sie verlangt nach Speise und Trank und hat

    solche dicht vor ihrem Mund, und kann sich doch nicht davon st-tigen. Sie sieht sich verschlungen und versenkt in einem Meer vonLiebe, whrend die mchtige Hand, welche sie erretten knnte, ihrnahe ist und es doch nicht tut. Sie wei auch nicht, wann Er kommenwird, nach dem sie so sehnlich verlangt.

    15 Zuweilen vernimmt sie die innere Stimme ihres Geliebten, wel-che sie lockt und ruft. Es ist ein sanftes, zartes Flstern, das aus deinGeheimsten der Seele, wo Seine Wohnung ist, hervordringt und siemchtig ergreift. Sie wird wie zerschmolzen und aufgelst, indem siesieht, wie nahe sie Ihn in sich selbst hat, und Er ihr doch so fern ist,

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    da sie nicht dazu gelangen kann. Dies berauscht sie, erniedrigt sie,schreckt sie und erfllt sie mit Unersttlichkeit. Und das ist derGrund, da man die Liebe so mchtig nennt, wie den Tod selbst, weildie Liebe geradeso ttet wie der Tod.

    *

    7. Innerliche Abttung und vllige Ergebung sind ntig

    zur Erlangung des innerlichen Friedens

    1 Der feinste Pfeil, welchen die Natur abschiet, ist der, uns zudem Verbotenen zu verleiten, unter dem Vorwand, da es notwendigund unntzlich sein mchte. O wieviele Seelen hat diese vergoldete

    Tuschung schon irregefhrt und um den Geist betrogen: Niemalswirst du das kstliche Manna schmecken, welches niemand kennt,auer dem, der es empfngt (Offb.2,17), wenn du dich nicht gnzlichberwindest bis zur Abttung deiner selbst. Derjenige, welcher sichnicht befleiigt, seinen Leidenschaften abzusterben, ist nicht wohlbereitet, die Gabe des geistigen Verstndnisses zu empfangen. Undohne dieses Verstndnis ist es fr ihn unmglich, in sich selbst einzu-

    dringen und in seinem Geiste verwandelt zu werden. Denn diejeni-gen, welche drauen bleiben, haben nichts davon.2Niemals beunruhige dich wegen irgendeines Vorfalls, denn die

    Unruhe ist die Tr, durch welche sich der Feind in die Seele ein-schleicht, um sie ihres Friedens zu berauben.

    3 Entsage und verleugne dich selbst vollkommen. Denn obwohlwahre Selbstaufopferung anfnglich herb ist, wird sie dennoch In derMitte leicht und am Ende sehr s.

    4 Du wirst erkennen, da du von der Vollkommenheit noch fernbist, wenn du Gott nicht in allen Dingen findest. Wisse, da reine,vollkommene und wirkliche Liebe in dem Kreuze, in freier Selbst-verleugnung und Entsagung, in vlliger Demut, geistiger Armut undGeringschtzung seiner selbst besteht.

    5 In der Zeit heftiger Versuchung, Verlassenheit und Vereinsamungist es notwendig fr dich, in das Innerste deines Wesens einzudrin-

    gen, damit du nur auf Gott schauen und Ihn betrachten mgest, derSeinen Thron und Seine Wohnung im Grunde deiner Seele hat.

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    6 Du wirst Ungeduld und Herzensbitterkeit aus der Tiefe empfind-licher, hungernder und gequlter Liebe emporwachsen sehen. WahreLiebe mit ihren Wirkungen kennt man, wenn die Liebe tief gedem-tigt ist, und ernstlich wnscht, abgettet und ausgelscht zu sein. Es

    gibt viele, die keinen Geschmack an Gott finden, obgleich sie sichdem Gebet gewidmet haben. Denn am Ende ihrer Gebete sind sieweder abgettet, noch dienen sie Gott lnger. Um jenes friedlicheund bestndige Dienen zu erlangen, ist es ntig, eine groe Reinheitdes Geistes und Herzens, groen Seelenfrieden und eine umfassendeEntsagung zu gewinnen.

    7 Den Einfltigen und Abgetteten ist die Wiedererweckung der

    Sinne eine Art von Tod, und es geschieht ihnen auch niemals, wennsie nicht durch Notwendigkeit oder zur Erbauung ihrer Nchsten da-zu berufen werden.

    8 Der Grund unserer Seele, sollst du wissen, ist der Ort unsererGlckseligkeit. Dort zeigt uns der Herr Wunder, dort strzen wir undverlieren wir uns selbst in das unermessliche Meer Seiner unendli-chen Gte, in welcher wir fest und unbewegt verbleiben. Dort wohntdas unvergleichliche Labsal unserer Seele und ihre erhabene und s-

    e Ruhe. - Ein demtiges und ergebenes Herz, welches zu diesemGrunde gelangt ist, sucht nach nichts anderem mehr, als nur Gott zugefallen. Der heilige und liebende Geist lehrt sie alles durch Seinese, erquickende Salbung.

    9 Unter den Heiligen gibt es einige gigantische Gestalten, welchefortwhrend krperliche Leiden mit Geduld ertragen. Solchen nimmtsich Gott besonders an. Wahrlich, gro und herrlich ist die Gabe de-

    rer, welche durch die Kraft des Heiligen Geistes, sowohl innere wieuere Qualen mit Zufriedenheit und Ergebung ertragen. Dies ist je-ne Art von Heiligkeit, welche, je seltener sie ist, um so kostbarer vorGottes Augen erscheint. Diejenigen, welche diesen Pfad wandeln,sind selten, weil es in der Welt nur wenige gibt, die sich vllig selbstverleugnen, um dem gekreuzigten Christus in Einfalt und Nacktheitdes Geistes durch die einsamen und dornigen Gebiete des Kreuzesnachzufolgen, ohne Grbeleien ber sich selbst anzustellen.

    10 Ein Leben der Selbstverleugnung bertrifft alle Wundertaten derHeiligen. Ein solches Leben wei nicht, ob es lebendig oder tot sei,

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    ob verloren oder gewonnen, ob es einwilligt oder widerstrebt. Diesist das wahrhaft entsagende Leben. Wenn es auch lange Zeit whrenwird, bevor du zu diesem Zustand gelangen kannst und du dich kaumum einen Schritt auf ihm vorangekommen siehst, so darf dich dies

    doch nicht erschrecken, denn Gott pflegt die Seele in einem Augen-blick mit dem zu begnadigen, was Er ihr vorher viele Jahre hindurchversagt hat.

    11 Derjenige, welcher wnscht, blindlings Unrecht zu dulden, ohneden Trost Gottes oder Seiner Geschpfe, ist so weit fortgeschritten,da er ungerechten Anschuldigungen keinen Widerstand mehr entge-gensetzen kann. Ja auch in der schrecklichsten, inneren Verlassenheit

    ist er unfhig dazu.12 Der geistige Mensch, welcher durch Gott und in ihm lebt, bleibtinnerlich gleichmtig inmitten alter Widerwrtigkeiten, weil Kreuzund Ungemach ihm Leben und Freude sind. Die Trbsal ist eingroer Schatz, womit Gott die Seinen in diesem Leben auszeichnet.Deshalb sind bse Menschen fr die guten notwendig und auch dieDmonen, welche uns zu verderben suchen, indem sie Drangsal beruns bringen. Sie knnen uns aber nicht schaden, sondern nur den

    denkbar hchsten Nutzen schaffen.13 Es mu Trbsal geben, denn nur so wird das Leben eines Men-

    schen fr Gott annehmbar. Ohne Trbsal ist das Leben gleich demKrper ohne Seele, der Seele ohne Gnade, der Erde ohne Sonne. Mitdem Winde der Trbsal trennt Gott auf der Tenne der Seele die Spreuvon dem Korn. Wenn Gott in dem innersten Teil der Seele Schmerzschafft, vermag ihr kein Geschpf Trost zu bringen; ja Trstungen

    sind sogar schwere und bittere Qualen fr sie.14 Wenn sie wohl unterrichtet ist ber Gesetz und Ordnung der

    Wege reiner Liebe, in der Zeit groer Verlassenheit und innerer Pein,so sollte sie nicht auerhalb unter den Geschpfen nach Trost suchen,noch sich mit ihnen beklagen. Auch wird sie nicht fhig sein, geistigeBcher zu studieren, weil dies ein geheimer Weg ist, sich dem Leidenzu entziehen.

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    Zu bedauern sind jene Heiligen, welche nicht zu der Einsichtkommen knnen, da Trbsal und Leiden der grte Segen fr sie

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    sind. Die Vollkommenen sollten immerdar nach dem Tode und nachLeiden trachten, und jederzeit in einem Zustande des Todes und Lei-dens sein. Nichtig ist der Mensch, welcher nicht duldet, denn er istdazu geboren, da er sich mhen und leiden soll. Und das gilt ganz

    besonders fr die Freunde und Erwhlten Gottes.16 Lege deinen Irrtum ab und glaube, da es fr die Seele notwen-

    dig ist, da sie sich verneine und verliere in ihrem Leben, Fhlen,Wissen und Knnen, um zur vollkommenen Umgestaltung in Gottgelangen zu knnen. Sie mu sterben lebend und nicht lebend, ster-bend und nicht sterbend, duldend und nicht duldend, sich verleug-nend und nicht verleugnend, ohne ber etwas nachzugrbeln. Die Voll-

    kommenheit derer, die ihr nacheifern, erlangt ihren Glanz nur durch dasFeuer, durch Martyrien, Schmerzen, Qualen, Bedrngnisse und Demti-gungen, welche mit Tapferkeit und Mut ertragen werden. Derjenigeaber, welcher einen Rastpunkt zu haben wnscht, um auszuruhen, unddie Vernunftschlsse des Denkens und der Sinneswahrnehmungen nichtberschreitet, wird niemals in das geheime Gemach des Wissens einge-hen, wenn er auch durch Lesen vielleicht einen Vorgeschmack davonbekommen kann.

    *

    8. Fortsetzung des Vorhergehenden

    1 Wisse, da sich der Herr nicht eher in deiner Seele offenbarenwird, als bis diese in sich selbst vernichtet und tot ist in allen ihrenSinnen und Krften. Auch wird sie niemals zu diesem Zustande ge-langen, bevor sie nicht (nach vollkommener Selbstentuerung) den

    festen Entschlu gefat hat, ganz allein mit Gott zu sein. Ja sie darfkeinen Unterschied mehr machen zwischen Achtung und Verachtung,zwischen Licht und Finsternis, Kampf und Frieden. Kurz, damit dieSeele zur vlligen Ruhe und zu hchstem, innerlichem Frieden ge-langen kann, sollte sie zuerst in sich selbst sterben und allein in Gottund fr Ihn leben. Je mehr sie in sich selbst tot ist, umsomehr wirdsie Gott erkennen. Wenn sie aber auf diese fortgesetzte Selbstver-

    leugnung und innerliche Abttung nicht achtet, wird sie nimmermehrzu diesem Zustande gelangen, noch auch Gott in sich erhalten. Siewird immerfort leidenschaftlichen Aufwallungen des Gemts unter-

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    worfen sein, wie Vorurteilen, Murren, Empfindsamkeit, Entschuldi-gungen, Verteidigungen. Auch wird sie auf Ehre und einen guten Na-men achten, welche Dinge alle Feinde der Vollkommenheit, des Frie-dens und des Geistes sind.

    2 Unter denjenigen, die auf geistigem Wege wandeln, ist das Ab-sterben der Gemtszustnde nicht bei allen gleich. Gro ist der Un-terschied, welcher zwischen Tun, Leiden und Sterben besteht. DasTun ist erfreulich und gehrt den Anfngern. Das Leiden mit Verlan-gen kommt den Fortgeschrittenen zu, und das immerwhrende Ster-ben in sich selbst ist denjenigen zu eigen, welche vollendet und voll-kommen sind, von denen man nur wenige auf der Welt findet. An den

    Glcklichen aber, welche einen fortwhrenden Tod erleiden, hat Gottseine Wonne, Seinen Ruhm und Sein Wohlgefallen. Wie glcklichwirst du sein, wenn du keinen andern Gedanken hast, als in dir selbstzu ersterben. Du wirst dann nicht nur Sieger ber deine Feinde, son-dern auch ber dich selbst werden. Da wirst du dann finden reineLiebe, vollkommenen Frieden und gttliche Weisheit.

    3 Ein Mensch kann unmglich mystisch denken und leben in ein-fltigem Verstndnis der gttlichen und eingeflten Weisheit, bevor

    er nicht zuerst in sich selbst erstirbt durch vollstndige Aufgabe desSinnlichen und allen intellektuellen Verlangens.

    4 Fr einen geistigen Menschen gilt die oberste Regel, alle Dingeihren Lauf nehmen zu lassen und dich in nichts zu mischen, wozu dudurch deine Pflicht nicht angehalten bist. Denn eine Seele, welche al-les verlt um Gott zu finden, fngt an alles, was sie sucht, im Ewi-gen zu besitzen.

    5 Es gibt Seelen, welche nach Ruhe suchen; andere, welche sienicht suchen, genieen sie; andere haben Freude am Schmerz, undandere suchen ihn. Die ersten tun so gut wie nichts; die zweiten ma-chen Schritte; die dritten laufen; und die letzten fliehen.

    6 Vergngen geringzuschtzen und sie als Pein zu erachten, ist dieEigentmlichkeit eines wahrhaft abgetteten Menschen.

    7 Frohgefhl und innerlicher Friede sind die Frchte des gttli-

    chen Geistes, und niemand erlangt ihren Besitz, wenn er nicht im In-nersten der Seele ein Entsagender ist.

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    8 Du wirst erkennen, da das Mivergngen geistlicher Menschenschnell verschwindet; dessen ungeachtet aber bemhe dich, niemalsmivergngt zu werden, noch darin zu verharren, denn es schdigt dei-ne Gesundheit, verstrt die Vernunft und beunruhigt deinen Geist. Von

    anderen heiligen Ratschlgen, die du beobachten mut, prge dir diefolgenden gut ein: Schaue nicht auf die Fehler anderer, sondern nur aufdeine eigenen. Beobachte Stillschweigen, mit einem bestndigen, in-neren Verkehr mit dir selbst. Ertte dich in allen Dingen und zu jederZeit, wodurch du dich von vielen Unvollkommenheiten befreien undzum Herrscher ber groe Tugenden machen wirst.

    9 Tte dich darin ab, da du ber niemand jemals bel urteilst,

    weil die Verdchtigung deines Nchsten die Reinheit des Herzenstrbt, dasselbe beunruhigt, die Seele aus sich herausfhrt und ihreRuhe raubt.

    10Niemals wirst du die vollkommene Entsagung besitzen, wenndu Wert legst auf menschliche Wertschtzung und Rcksicht nimmstauf das, was die Leute sagen mgen. Die Seele, welche auf dem in-nerlichen Wege dahinschreitet, wird sich bald verlieren, wenn sie ein-mal anfngt, unter den Geschpfen und im Verkehr mit ihnen nach

    Vernunft zu suchen. Es gibt nichts Vernnftigeres, als nicht nach Ver-nunft auszuschauen, sondern zu glauben, da Gott uns von Be-schwerden berfallen lt, um uns zu demtigen, zu vernichten undzu einem vllig selbstlosen Leben zu fhren.

    11 Betrachte, wie Gott eine Seele hher schtzt, welche innerlichergeben lebt, als eine andere, welche Wunder verrichtet und sogarTote auferweckt: Viele Seelen gibt es, welche trotz allem Beten doch

    immer unvollkommen und voller Eigenliebe bleiben, weil sie nichterttet sind. Als wahren Grundsatz mgest du in dein Herz fassen,da niemand eine Seele krnken oder schmhen kann, welche sichselbst verachtet und in ihren eigenen Augen nichts ist.

    12 Endlich hoffe, dulde, schweige und habe Geduld. la dich vonnichts ngstigen, durch nichts erschrecken; denn alles nimmt ein En-de; nur Gott bleibt Sich gleich. Geduld erringt alles. Wer Gott besitzt,hat alles; wer Ihn nicht hat, hat nichts.

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    9. Um den inneren Frieden zu erlangen, ist es ntig,

    da die Seele ihr Elend erkennt

    1 Wrde die Seele nicht in einige Fehler verfallen, so knnte sieniemals ihr eigenes Elend verstehen lernen, auch nicht durchmenschliche Rede oder geistliche Bcher. Darum mu sie zuerst ihreeigene bejammernswerte Schwche erkennen, wenn sie jemals denkstlichen Frieden erlangen will. Denn wie kann eine Heilung ge-schehen, wo keine klare Erkenntnis des Mangels ist. Gott wird balddiesen, bald jenen Fehler ber dich verhngen, damit du durch dieseErkenntnis deiner selbst, wenn du dich so oftmals straucheln siehst,zu der berzeugung kommen mgest, da du ein bloes Nichts bist.

    Denn erst im Nichts sind Wissen und Glauben, wahrer Friede undvollkommene Demut gegrndet. Und damit du dieses Geheimnis(von dem was du bist) tiefer erforschen und erkennen mgest, willich versuchen, dich ber einige deiner mannigfaltigen Untugendenaufzuklren.

    2 Du bist so unruhig und empfindlich, da wenn du auch nur beimGehen strauchelst oder auf deinem Wege gehindert wirst, die Hlleselbst empfindest. Wenn dir deine Forderung verweigert oder einVergngen durchkreuzt wird, so brausest du sogleich zornig auf.Wenn du an deinem Nachbar einen Fehler ersphst, tadelst du ihn un-besonnenerweise, anstatt ihn zu bedauern und daran zu denken, dadu selbst solchen Untugenden unterworfen bist. Wenn du einen frdich geeigneten Gegenstand erblickst, und kannst ihn nicht erlangen,so wirst du betrbt und von Kummer erfllt. Wenn du eine geringf-gige Unbill von deinem Nchsten erleidest, schiltst du auf ihn und

    beklagst dich darber; und gertst wegen einer Kleinigkeit innerlichund uerlich in Unruhe und verlierst dich selber.3 Du mchtest zwar geduldig sein, aber mit der Geduld eines an-

    dern. Und wenn die Ungeduld anhlt, schiebst du die Schuld vollerVerdru auf deinen Gefhrten, ohne zu bedenken, da du dir selbstunertrglich bist. Ist dein Groll dann verraucht, so hllst du dich lis-tig wieder in das Gewand der Tugend, indem du sittliche Grundstzeaufstellst und geistige Redensarten mit Verstandesschrfe vorbringst,ohne deine frheren Mngel zu bessern. Obgleich du dich willig an-klagst und deine Fehler vor andern tadelst, geschieht dies nicht aus voll-

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    kommener Demut, sondern um dich vor demjenigen, welcher deine Ge-brechen sieht, zu rechtfertigen, damit du aufs neue zu deiner frherenSelbstschtzung zurckkehren kannst.

    4 Bisweilen behauptest du voller List, da du nicht durch laster-

    hafte Gewohnheit, sondern von eifrigem Gerechtigkeitsgefhl dazuverleitet wirst, dich ber deinen Nchsten zu beklagen. Du hltst dichzumeist fr tugendhaft, standhaft und mutig, so da du selbst deinLeben in die Hnde des Tyrannen hingeben wrdest, um der gttli-chen Liebe willen. Indessen vermagst du kaum das geringste verlet-zende Wort zu ertragen, sondern betrbst dich und gertst gleich da-rber in Unruhe. Dies alles sind stets arbeitende Maschinen der

    Selbstliebe und des verborgenen Stolzes deiner Seele. Wisse daher,da die Eigenliebe in dir herrscht, welche das grte Hindernis bildetzur Erlangung jenes kstlichen Friedens.

    *

    10. Es wird gezeigt, welches die falsche und welches die

    wahre Demut ist, nebst deren Wirkungen

    1

    Du mut wissen, da es zwei Arten Demut gibt; die eine istfalsch und erlogen, die andere wahr. Die erheuchelte Demut istgleich dem Wasser, das emporsteigen soll und deshalb knstlich ab-wrts getrieben wird, damit es nachher in die Hhe steigt. SolcheSeelen vermeiden jegliche Ehrbezeugung, damit sie fr demtig ge-halten werden. Sie sagen von sich selbst, da sie sehr bse seien, da-mit sie fr gut gehalten werden mchten; und wiewohl sie ihre eige-ne Fehlerhaftigkeit erkennen, so wnschen sie doch nicht, da diese

    auch von andern erkannt werden sollen. Das ist falsche, erheuchelteDemut und nichts als ein geheimer Dnkel.

    2 Die wahre Demut wird daran erkannt, da sie zur vollkommenenGewohnheit geworden ist. Solche Seelen denken niemals an die De-mut, sondern urteilen demtig von sich selbst. Sie wirken mutig undgeduldig, sie leben und sterben in Gott, sie machen sich weder aussich selbst noch aus den Kreaturen etwas. Sie sind in allen Dingen

    standhaft und ruhig, erdulden frohgemut Beschwerden und wnschenderen stets noch mehr, damit sie ihrem geliebten und verachteten

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    Jesus nachfolgen knnen. Sie verlangen danach, der Welt ein Gespttund Spielball zu sein. Sie sind zufrieden mit dem, was sie von Gottempfangen, und sind mit einem wohltuenden Schamgefhl von ihrenFehlern berzeugt. Sie demtigen sich nicht durch einen Entschlu

    der Vernunft, sondern durch einen inneren Willensdrang. Sie bleibenstets unbewegt in ihrem Nichts und in sich selbst mit vollkommenemFrieden, so da es keine Ehre gibt, wonach sie verlangen, keine Be-leidigung, welche sie aufregen knnte, kein Unrecht, welches sie ver-strte, keine Mhseligkeit, die sie bedrckte, kein Glcksfall, der siestolz machen knnte.

    3 Damit du bekannt werden mgest mit der innerlichen und wah-

    ren Demut, so wisse, da sie nicht in uerlichen Handlungen be-steht. Sie besteht nicht im Einnehmen des geringsten Platzes, in drf-tiger Kleidung, in unterwrfiger Redeweise, im Schlieen der Augen,in zrtlichen Seufzern, im Verurteilen deiner Lebensfhrung, indemdu dich einen Elenden nennst, um andern verstehen zu geben, da dudemtig seiest. Sie besteht einzig und allein in der Verachtung deinerselbst und in dem Begehren, verabscheut zu werden, mit einem tiefenund grndlichen Wissen, ohne zu bekmmern, ob du fr demtig ge-

    halten wirst oder nicht und wenn es gleich durch einen Engel gesch-he.

    4 Die Qual des Lichts, womit der Herr in Seiner Barmherzigkeitdie Seele erleuchtet, bewirkt zweierlei: Sie offenbart die Gre Got-tes und bewirkt zu gleicher Zeit, da die Seele ihre eigene Hilflosig-keit erkennen kann. Keine Zunge vermchte es auszudrcken, wietief sie zu Boden gedrckt ist, voll heien Verlangens, jedermann ihre

    Niedrigkeit erkennen zu lassen. Und dies ist so weit von Grospre-cherei und Selbstgeflligkeit entfernt, als sie in jener Gnade Gottesnichts als Seine Gte und lautere Barmherzigkeit erblickt, welcher esgefllt, sich ihrer zu erbarmen.

    5Niemals wird dir von Menschen oder Teufeln Schaden gebrachtwerden, sondern allein durch dich selbst, durch deinen eigenen Stolzund dem Ungestm deiner Leidenschaften. Sei vor dir selbst auf derHut, denn du bist dir selbst der grte aller Teufel.

    6 La dich nicht nach Hochschtzung gelsten, whrend dochJesus, als Gott im Fleisch, ein Narr und Trunkenbold genannt und be-

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    zichtigt wurde. Von Ihm sagten Menschen, Er sei vom Bsen beses-sen. O welch eine Torheit der Christen! Gern mchten sie alle derGlckseligkeit teilhaftig werden, ohne jedoch willens zu sein, Ihmauf dein Wege des Kreuzes nachzufolgen. Sie wollen keine Schm-

    hungen erdulden, keine Erniedrigung auf sich nehmen und nicht inArmut leben und in anderen Tugenden. Der wahrhaft demtigeMensch ist ruhig und heiter in seinem Herzen. Da besteht er die Pr-fung, die ihm auferlegt wird von Gott und den Menschen, ja vomTeufel selbst. Er ist erhaben ber alle Vernunft und Klugheit, selbst-beherrscht und bleibt in der Ruhe und dem Frieden der Seele. Ersucht in aller Demut reines, gttliches Genge, sowohl im Leben alsauch im Tod. uere Dinge beunruhigen ihn nicht mehr, als warensie gar nicht vorhanden.

    7 Das Kreuz und der Tod sind ihm Entzcken, obgleich er es nichtuerlich zur Schau trgt. Aber ach: von wem sprechen wir eigent-lich? Denn es gibt solche demtige Menschen nur sehr wenige aufder ganzen Welt.

    8 Hoffe du, verlange, dulde und stirb, ohne da jemand darumwei. Denn darin beruht die demtige und vollkommene Liebe: O

    wieviel Friede wirst du in deiner Seele fin den, wenn du dich grnd-lich demtigst und sogar die Verachtung in Liebe umfassest.

    9Niemals wirst du zu vollkommener Demut gelangen, solange dunicht begehrst, da deine eigene Sndhaftigkeit (die du erkannt hast)auch allen andern Menschen bekannt werden mchte. Wenn das ge-schieht, so wirst du dann Lobeserhebungen vermeiden, Beleidigun-gen ruhig ber dich ergehen lassen und alles verschmhen, was einen

    schonen Schein, selbst auf dein eigenes Sein wirft.10 Wenn dich irgendein Migeschick berfllt, so klage niemanden

    deswegen an, sondern halte dafr, da es aus Gottes Hand kommt,dem Geber alles Guten. Wenn du die Fehler deines Nchsten zu er-tragen wnschest, so richte deine Augen auf deine eigenen. Undwenn du dir einbildest, einen Fortschritt in der Vollkommenheitdurch eigene Kraft gemacht zu haben, so wisse, da du keinesfallsdemtig, noch einen Schritt vorangekommen bist auf dem Wege desGeistes.

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    11 Die Stufen der Demut sind zu vergleichen mit den Zustnden ei-nes begrabenen Krpers, der am tiefsten Platz bestattet ist, gleich ei-nem Toten, verfault und verwest. So sollst du sein in der eigenenMeinung, nmlich Staub und Nichts. Endlich, wenn du wnschest

    gesegnet zu sein, so lerne dich selbst verabscheuen und von andernverabscheut zu werden.

    *

    11. Grundstze, ein einfltiges, demtiges und

    aufrichtiges Herz zu erkennen

    1 Ermanne dich, demtig zu sein und Trbsal willkommen zu hei-

    en, weil es zu deinem Besten dient. Freue dich der Geringschtzungund richte dein Verlangen darauf, da Gott deine heilige Zuflucht,dein Trost und Beschtzer sein mge.

    2 Wer in der Gunst Gottes steht, ist grer als jeder Mensch aufErden und mchte er noch so ein hohes Ansehen genieen. Daherverachtet der wahrhaft demtige Mensch alles Weltliche, sogar bisauf sich selbst und setzt sein Vertrauen und seine Zuflucht einzig und

    allein in Gott. Der wirklich Demtige ertrgt still und geduldig inne-re Beschwerden. Er legt in kurzer Zeit eine lange Wegstrecke zurck,gleich einem, der vor dem Winde segelt.

    3 Der wahrhaft Demtige findet Gott in allen Dingen. Er nimmtalles aus Gottes Hand, auch die Verachtung, Beschimpfung und Un-bill durch Kreaturen. Darum kann er alles mit groem Frieden undinnerlicher Ruhe entgegennehmen und das Werkzeug, womit Gottihn prft, mit besonderer Liebe umfassen.

    4 Zu grndlicher Demut ist noch nicht gekommen, wer an Lob-sprchen Gefallen findet, obgleich er sie weder wnscht noch sucht,sondern ihnen vielmehr aus dem Wege geht. Denn Lobeserhebungenverursachen einem demtigen Herzen bittere Pein, wenn es dabeiauch vollkommen ruhig und unbewegt bleibt.

    5 Derjenige besitzt keine innerliche Demut, welcher sich nichtselbst verabscheut mit einem tdlichen, aber dabei friedlichen und

    ruhigen Hasse. Keiner jedoch wird in den Besitz dieses Schatzes ge-

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    langen, welcher nicht eine tiefe und grndliche Erkenntnis hat vonseiner eigenen Schlechtigkeit, Verderbtheit und Schwche.

    6 Wer sich zu entschuldigen und zu rechtfertigen sucht, besitztkein einfltiges und demtiges Herz, besonders wenn er dies gegen

    seine Vorgesetzten tut. Denn Entgegnungen entspringen einem gehei-men Dnkel, welcher in der Seele wohnt und zu einem vlligen Ver-derben gereicht.

    7 Falschheit ist ein Zeichen geringer Unterwerfung. Und eine ge-ringe Unterwerfung ist ein Zeichen noch geringerer Demut. Sowohldas eine als das andere ist der Nhrboden von Unfrieden, Zwietrachtund Verwirrung.

    8 Das demtige Herz kommt nicht in Unruhe bei Un-vollkommenheiten. Es wird aber doch bis ins Innerste betrbt, weilsie Gott nicht gefallen knnen. Einem Demtigen ist es auch gleich-gltig, wenn er keine groen Dinge ausben kann, denn er verharrtimmerdar in seiner eigenen Unwrdigkeit und seinem Nichts. Ja erverwundert sich sogar, da er berhaupt etwas Tugendhaftes zu tunvermag und dankt dem Herrn sogleich dafr, wohl wissend, da esGott ist, der alles tut. Hingegen ist er unzufrieden mit seinem eigenenWirken.

    9 Obgleich der wirklich Demtige alles sieht, bckt er doch aufnichts, um es zu verurteilen, weil er nur ber sich selbst bel urteilt.Der wahrhaft Demtige findet stets eine Entschuldigung fr den,welcher ihn krnkt, zum mindesten darin, da er es in einer gutenAbsicht getan habe. Und wer knnte wohl einem Menschen zrnen,welcher das Gute beabsichtigt?

    10 Gott mifllt die falsche Demut mehr als der wirkliche Stolz,weil jene auerdem Heuchelei ist.

    11 Der wahrhaft Demtige wird, wenn auch alles fr ihn einenwidrigen Ausgang nimmt, doch dadurch weder beunruhigt noch be-trbt, weil er darauf vorbereitet und berzeugt ist, er verdiene esnicht anders. Er gert unter dem Ansturm lstiger Gedanken, womitihn der Bse zu qulen sucht, weder in Anfechtungen noch in Unru-

    he. Er bekennt vielmehr seine Unwrdigkeit und ist erfreut darber,da der Herr ihn durch den Teufel zchtigt, obgleich es durch ein ge-

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    whnliches Werkzeug geschieht. All sein Leiden erscheint ihm einNichts und alles ist ihm unbedeutend, was er auch immerzu tun ver-mag.

    12 Wer die vollkommene, innere Demut erlangt hat, empfindet es

    als groe Pein, sich selbst ertragen zu mssen. Trotzdem kommt erbei keiner Gelegenheit aus der Fassung, weil er sich selbst verab-scheut und seine Unvollkommenheit, seine Undankbarkeit und Ge-brechlichkeit in allen Dingen erkennt. Dies ist das Merkmal, worandie wahre Herzensdemut erkannt wird. Die glckliche Seele aber,welche zu diesem heiligen Ha ihrer selbst gelangt ist, lebt berwl-tigt, ertrnkt und verschlungen in der Tiefe ihrer eigenen Nichtigkeit.

    Der Herr erhebt sie aber daraus empor, indem er ihr gttliche Weis-heit verleiht und sie mit Licht, Frieden, Ruhe und Liebe erfllt.

    *

    12. Die innerliche Abgeschiedenheit ist es vor allem, welche den

    Menschen zur Erlangung des inneren Friedens fhrt

    1 Obgleich die uere Einsamkeit viel dazu verhilft, den inneren

    Frieden zu erlangen, so meinte der Herr doch diese nicht, wenn Erdurch den Mund des Propheten sagt: "Ich will sie in die Einsamkeitfhren und im Verborgenen mit ihr reden" (Hos.2,16). Denn hier istdie innerliche Einsamkeit gemeint, welche (verbunden mit der ue-ren) zur Erlangung des kostbaren Kleinods des inneren Friedensfhrt. Die innerliche Einsamkeit besteht im Vergessen der Kreaturen,in der Loslsung seiner selbst von ihnen, in einer vollkommenen Ent-uerung von allen Zuneigungen, Gedanken, Wnschen und dem Ei-

    genwillen. Dies ist die wahre Einsamkeit, wo die Seele mit ser, in-nerer Heiterkeit in den Armen ihres hchsten Gutes ruht.

    2 O welch unendlicher Raum ist in einer Seele, welche zu diesergttlichen Abgeschiedenheit gelangt ist. Da breitet sich eine innere,umfassende, verborgene und unermessliche Weite aus in einer sol-chen glcklichen Seele, die dazu gelangt ist, wahrhaft einsam zusein. Dort unterredet sich der Herr und verkehrt innerlich mit der

    Seele; dort erfllt Er sie mit Sich selbst, weil sie leer ist. Er umhlltsie mit Licht und mit Seiner Liebe, weil sie nackt ist. Er liebt sie em-

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    por, weil sie erniedrigt ist und verwandelt sie und vereinigt sie mitSich, weil sie allein ist.

    3 O wonnevolle Einsamkeit und Gleichnis ewiger Seligkeiten: OSpiegel, in welchem der ewige Vater immerdar erblickt wird: Mit

    Recht hat man dich Einsamkeit genannt, denn du bist so sehr allein,da sich kaum eine Seele findet, welche nach dir sucht, welche dichliebt und dich kennt. O gttlicher Herr! Warum streben die Seelenvon der Erde nicht nach dieser Herrlichkeit! Warum verscherzen siesich ein so hohes Gut allein durch die Liebe zu erschaffenen Dingenund durch das Verlangen nach ihnen' O wie glcklich wrdest dusein, gesegnete Seele, wenn du alles verlieest um Gottes willen: Su-

    che einzig und allein Ihn, verlange nach nichts als nur nach Ihm; ladeine Seufzer nur fr Ihn sein. Wolle, nichts, so wird dir nichts Be-schwerde bereiten. Und so du etwas Gutes begehrst, wie geistig esauch immer sei, tue es in solcher Weise, da es dich nicht verstrt,wenn du es nicht erlangen kannst.

    4 Wenn du mit solcher Unabhngigkeit Gott deine welt-entfremdete, freie und abgeschiedene Seele bergibst, so wirst du dasglcklichste Geschpf auf Erden sein. Denn in dieser heiligen Ein-

    samkeit hat der Hchste seine geheime Wohnung. In dieser Eindeund diesem Paradies erfreuen wir uns des Verkehrs mit Gott. Nur indieser innerlichen Zurckgezogenheit kann jene wunderbare, macht-volle und gttliche Stimme vernommen werden.

    5 So du einzutreten wnschest in diesen irdischen Himmel, vergijede Sorge und jeden Gedanken. Tritt aus dir selbst heraus, damit dieLiebe Gottes in deiner Seele leben kann.

    6 Lebe, soviel du vermagst, abgezogen von den Kreaturen. Weihedich gnzlich deinem Schpfer und bringe dich Ihm zum Opfer darmit friedlichem und ruhigem Geist.

    7 Je mehr die Seele sich selbst entuert, desto weiter geht sie einin diese innere Einsamkeit, wo sie mit Gott bekleidet wird. Je weitersie in eine grere Abgeschiedenheit und Leerheit ihrer selbst ge-langt, um so mehr erfllt sie der gttliche Geist.

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    Es gibt kein gesegneteres Leben als ein einsames, weil in einemsolchen Leben sich Gott selbst ganz der Kreatur hingibt. Gleichzeitig

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    gibt sich die Kreatur ganz ihrem Gott hin durch ein inniges und kst-liches Liebesband. O wie wenige gelangen dazu, diese wirkliche Ein-samkeit zu schmecken:

    9 Damit die Seele wahrhaft einsam sei, sollte sie alle Kreaturen

    und sogar sich selbst vergessen, da sie sonst niemals Gott nher kom-men kann. Viele Menschen verlassen alles, kommen aber nicht losvon ihren Neigungen, ihrem eigenen Willen und von sich selbst. Da-her werden so wenige dieser wahrhaft Einsamen gefunden. Denn so-lange die Seele nicht frei wird von eigener Begierde und Verlangen,von ihrem eigenen Willen, von geistigen Gaben, ja selbst von der Ru-he im Geist, wird sie niemals zu diesem hohen Glck der innerlichen

    Einsamkeit gelangen knnen.10 Schreite vorwrts, o gesegnete Seele, vorwrts zu dieser Glck-seligkeit der inneren Einsamkeit. Siehe wie Gott dich ruft einzutretenin dein innerliches Zentrum, wo Er dich erneuern, dich verwandeln,dich erfllen, dich bekleiden und dir ein neues, himmlisches Knig-reich zeigen will, das voll ist von Freude, Friede und Heiterkeit derSeele.

    *13. Es wird gezeigt, was verliehene und passive Beschauung ist,

    und ihre wunderbare Wirkung vor Augen gefhrt

    1 Wenn die Seele einmal an die innerliche Sammlung und erwor-bene Betrachtung (von welcher wir gesprochen haben) gewhnt ist,wenn sie einmal erttet ist und ihren Lsten zu entsagen wnscht,wenn sie einmal kraftvoll innere wie uere Erniedrigung willkom-men heit und willig ist, aufrichtigen Sinnes ihren Leidenschaftenund eigenem Tun abzusterben, so pflegt Gott sie allein zu Sich zunehmen, und sie (mehr als ihr bewut ist) zu einer vollkommenenRuhe zu erheben. Da lt Er sein Licht, seine Liebe und seine Kraftlieblich und innerlich in sie einstrmen und erschafft und entzndetin ihr eine wahre Fhigkeit zu jeder Art von Tugend.

    2 Daselbst versetzt sie der gttliche Brutigam, indem Er das Wir-

    ken ihrer Krfte aufhebt, in eine sanfte und wohltuende Ruhe. Es isteine entzckende, wonnige Ruhe, da die Seele im Schlafe empfngt

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    und geniet, ohne zu wissen was sie geniet. Sie sieht sich erhobenund emporgezogen zu diesem passiven Zustande, vereinigt mit ihremhchsten Gut, ohne da es ihr irgendeine Mhe und Anstrengungkostet, diese Vereinigung zu erlangen. In dieser erhabensten Region

    und dem heiligen Tempel der Seele findet Gott Seine Zufriedenheit.Da offenbart Er sich und schafft ein Wohlgefallen aus der Kreatur, ineiner Weise, die erhaben ist ber alle menschliche Fassungskraft undVernunft. Da regiert sie auch allein der reine Geist, welcher Gott istund gelangt (da die Reinheit der Seele fr sinnliche Dinge unemp-fnglich ist) zur Herrschaft ber sie, indem Er ihr Erleuchtungen unddiejenigen Empfindungen zuteil werden lt, welche zu der vollkom-mensten und reinsten Vereinigung ntig sind. Wenn die Seele ausdiesen lieblichen und gttlichen Umarmungen wieder zu sich selbstgekommen ist, wird sie reich an Licht und Liebe, an einer tiefen Ehr-furcht vor der gttlichen Gre, sowie an Erkenntnis ihrer eigenenOhnmacht. Sie sieht sich ganz gttlich verwandelt und befhigt, lie-bend zu umfassen, zu dulden und vollkommene Tugend auszuben.

    3 Eine einfltige, reine, verliehene und vollkommene Beschauungist deshalb eine erkannte und innerliche Offenbarung, welche Gott

    von Sich selbst, von Seiner Gte, von Seinem Frieden und von Sei-ner Milde gibt. Da zeigt sich Gott rein, unaussprechlich, abgezogenvon allen besonderen Gedanken, inmitten einer innerlichen Stille.Aber es ist Gott voller Seligkeit, ein Gott, welcher uns an Sich zieht,ein Gott, welcher uns wonnesam emporhebt auf eine geistige undhchst reine Weise. Das ist ein wunderbares Geschenk, welches diegttliche Majestt gewhrt wem sie will, wie sie will, wann sie willund fr welche Zeit sie will. Und doch ist der Zustand dieses Lebensmehr ein solcher des Kreuzes, der Geduld, der Erniedrigung und desLeides, als der des Genieens.

    4Niemals wirst du dich an diesem gttlichen Wein erlaben, solan-ge du nicht fortgeschritten bist in der Tugend und der innerlichen Ab-ttung, solange du dich nicht mit aufrichtigem Herzen bemhst, indeiner Seele einen groen Frieden, Stillschweigen, Vergessenheit undinnerliche Abgeschiedenheit zu befestigen. Wie kann die liebliche,

    innere und machtvolle Stimme Gottes vernommen werden inmittendes Getses und der Unruhe der Kreaturen? Und wie ist es mglich,

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    auf den reinen Geist zu lauschen mitten in der Welt und inmittenknstlich gefgter Gedanken und Verstandesarbeit? Wenn die Seelenicht fortgesetzt in sich selbst ersterben will, indem sie sich von alldiesen materiellen Dingen und Ergtzlichkeiten losreit, so wird die

    Beschauung fr sie nichts anderes sein als bloe Eitelkeit, selbstge-flliges Vergngen und Vermessenheit.

    5Nicht immer teilt sich Gott mit gleicher Flle in dieser sestenund eingeflten Beschauung mit. Manchmal gewhrt Er diese Gna-de reicher als zu andern Zeiten; zuweilen erwartet Er nicht, da dieSeele so tot und vernichtet sei. Denn da dieses Geschenk bloe Gna-de ist, verleiht Er es wann es Ihm gefllt und wie es Ihm gefllt, so

    da keine allgemeine Regel daraus gemacht, noch irgendein be-stimmtes Ma fr seine gttliche Gre aufgestellt werden kann. Ja,Er bewirkt sogar durch diese Beschauung, da sie sich verleugnet,vernichtet und erstirbt.

    6 Manchmal gibt der Herr dem Verstande greres Licht undmanchmal dem Willen grere Liebe. Es ist hierbei nicht ntig, dadie Seele sich anstrenge oder bemhe. Sie mu empfangen was Gottihr gibt und so vereinigt bleiben wie Er es wnscht, weil Seine Maje-

    stt Herr ist. Und zur gleichen Zeit, da Er sie in Schlummer bringt,bemchtigt Er sich ihrer und erfllt sie, um in ihr mchtig und lieb-lich zu walten, ohne jedes Bemhen und Wissen ihrerseits. Und ehesie dieser unvergleichlichen Barmherzigkeit noch gewahr wird, istsie schon gewonnen, berfhrt und verwandelt.

    7 Die Seele, welche sich in diesem glcklichen Zustande befindet,mu zweierlei meiden: Erstens die Ttigkeit des menschlichen Gei-

    stes und zweitens die eigenen Interessen. Unser menschlicher Geistist nicht gewillt, in sich selbst zu ersterben, sondern liebt es, sichnach seiner Weise zu bettigen, da er in seine eigenen Handlungenverliebt ist. Es ist eine groe Pflichttreue und Selbstverleugnung er-forderlich, damit der Mensch zur vollkommenen und passiven Emp-fnglichkeit fr die gttlichen Einflsse gelangen kann. Seine fort-whrende Gewohnheit, nach eigenem Gutdnken zu handeln, bildetein Hindernis zu Seiner Vernichtigung.

    8 Das zweite ist, da du an der Beschauung selbst interessiert bist.Du mut daher in deiner Seele eine vollkommene Entuerung von

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    allem, was nicht Gott ist, zustande bringen, ohne irgendein anderesZiel oder Interesse im Innern oder im uern zu suchen, als nur dengttlichen Willen.

    9 Mit einem Wort, was du deinerseits vollbringen mut, um dich

    fr dieses reine, passive und vollkommene Gebet tauglich zu ma-chen, ist eine gnzliche und unbedingte Hingabe deiner selbst in dieHnde Gottes mit vollkommener Unterwerfung unter Seinen heiligs-ten Willen, damit du beschftigt werden mgest nach seinem Gefal-len. Du mut nach Seiner Anordnung mit gleichmtiger und voll-kommener Ergebung alles entgegennehmen, was Er dir zuteilt.

    10 Du mut wissen, da es wenige Seelen gibt, welche zu diesem

    verliehenen und passiven Gebet gelangen, weil nur wenige tauglichsind fr diese gttlichen Einflsse. Denn es braucht eine vollkomme-ne Nacktheit und einen Tod der eigenen Ttigkeit und Kraft. Nur die-jenigen, welche es fhlen, knnen wissen, da diese vollkommeneNacktheit erworben wird (mit gttlicher Gnadenhilfe) durch bestn-dige und innerliche Abttung, indem der Mensch allen eigenen Nei-gungen und Begierden abstirbt.

    11Niemals (ganz besonders aber hier) darfst du auf die Wirkungenschauen, welche in deiner Seele hervorgebracht werden. Denn dieswrde das gttliche Walten hemmen, statt es zu bereichern. Du hastnur nach Gleichgltigkeit, Entsagung und Vergessenheit zu ringen.Dadurch wird, ohne da du es gewahr wirst, das hchste Gut in dei-ner Seele eine geeignete Anlage zurcklassen zur Ausbung der Tu-gend, eine wahre Liebe zu deinem Kreuz, zur Selbstverachtung, zureigenen Vernichtung, und ein noch strkeres Verlangen nach grerer

    Vollkommenheit und Vereinigung.

    *

    14. Von den zwei Wegen, auf denen die Seele zur eingeflten Be-

    schauung emporsteigt, nebst einer Erklrung,

    welches und wieviele deren Stufen sind

    1 Es gibt zwei Wege, auf denen die Seele zu dem Glck der Be-

    schauung und hingegebenen Liebe emporsteigt: die Lust und dasVerlangen danach. Gott pflegt zuerst die Seele mit sinnlichen An-

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    nehmlichkeiten zu erfllen, weil sie so schwach und elend ist, da sieohne diesen vorherigen Trost sich nicht aufschwingen knnte zumGenusse himmlischer Dinge. Auf dieser ersten Stufe wird sie durchZerknirschung vorbereitet und in Reue gebt, indem sie ber die Lei-

    den des Erlsers nachdenkt und mit grerem Eifer alle weltlichenBegierden und lasterhaften Lebensgewohnheiten ausrottet. Denn dasHimmelreich duldet Gewalt, und das schwache, zaghafte Herz er-ringt es niemals, sondern nur diejenigen, welche Gewalt und Zwangmit sich selbst ausben.

    2 Der zweite Weg ist das Verlangen. Je mehr man sich an denhimmlischen Dingen erfreut, um so mehr werden sie begehrt. Auf die

    geistlichen Freuden folgt das Verlangen nach himmlischen und gttli-chen Segnungen, und eine Verachtung der weltlichen Freuden. Ausdiesem Verlangen wird das Streben geboren, Christus unserem Herrnnachzufolgen, welcher sagte: "Ich bin der Weg".

    3 Die Stufen Seiner Nachfolge, welche der Mensch erklimmenmu, sind die Barmherzigkeit, Demut, Sanftmut, Geduld, Armut,Selbstverachtung, das Kreuz, das Gebet und die Abttung. Es gibtdrei Stufen eingeflter Beschauung. Die erste ist Sttigung. Wenn

    die Seele von Gott erfllt ist, empfindet sie einen Ha gegen alleweltlichen Dinge. Dann ist sie ruhig und lt sich allein an gttlicherLiebe gengen.

    4 Die zweite ist Trunkenheit. Diese Stufe ist eine Gemtsaus-schreitung und eine Erhebung der Seele, welche aus der Flle dergttlichen Liebe entspringt. Die dritte ist Sicherheit. Diese Stufe ver-treibt alle Furcht. Die Seele ist so von gttlicher Liebe durchdrungen,

    und dem gttlichen Willen so hingegeben, da sie willig zur Hl-le gehen wrde, wenn es Ihm gefllig wre. Auf dieser Stufeempfindet sie eine solche sichere Brgschaft der gttlichen Ver-einigung, da es ihr unmglich erscheint, jemals von ihrem Ge-liebten getrennt zu werden.

    5 Es gibt sechs andere Stufen der Beschauung, nmlich die fol-genden: Feuer, Vereinigung, Erhebung, Erleuchtung, Seligkeitund Ruhe. Durch die erste wird die Seele entzndet; ist sie ent-zndet, wird sie gesalbt; ist sie gesalbt, wird sie erhoben; erho-ben gelangt sie zur Beschaulichkeit und beschauend empfindet

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    sie Wonne; in dem Wonnegefhl findet sie Ruhe. Durch dieseStufen hebt sich die Seele hher empor, abgesondert, und erfah-ren auf dem geistigen und innerlichen Wege.

    6 Auf der ersten Stufe, welche das Feuer ist, wird die Seele er-

    leuchtet. Das geschieht durch einen gttlichen und feurigen Strahl,welcher das gttliche Liebesgefhl entzndet und das menschlicheaustrocknet. Die zweite ist die Salbung, welche eine liebliche undgeistig-belebende Substanz ist. Diese breitet sich ber die ganze See-le aus. Sie lehrt, strkt und macht fhig, die gttliche Wahrheit zuempfangen und zu betrachten. Bisweilen dehnt sie sich auf die Naturselbst aus, sie durch Geduld besttigend, mit einer fhlbaren Lust,

    welche himmlisch erscheint.7 Die dritte ist die Erhebung des innerlichen Menschen ber sichselbst, um ihn tauglich zu machen fr den klaren Quell reiner Liebe.

    8 Die vierte Stufe, die Erleuchtung, ist ein eingefltes Erkennen,durch welches die Seele in ser Weise die gttliche Wahrheit be-trachtet. Sie schwingt sich auf von Klarheit zu Klarheit, von Licht zuLicht, von Erkenntnis zu Erkenntnis, unter Fhrung des gttlichenGeistes.

    9 Die fnfte Stufe ist ein Schmecken der gttlichen Sigkeit, einWonnegefhl, welches dem reichen und kstlichen Quell des heili-gen Geistes entstrmt.

    10 Die sechste ist eine liebliche und wunderbare Ruhe, herrhrendvon dem siegreichen Ausgang des innerlichen Kampfes und demhufigen Gebet. Aber davon haben sehr wenige eine eigene Erfah-rung. Hierbei ist die Flle von Glck und Frieden so gro, da die

    Seele in einem lieblichen Schlummer befangen scheint, worin siesich erquickt und ausruht an der gttlichen Brust der Liebe.

    11 Viele andere Stufen der Beschaulichkeit gibt es noch, wie Ver-zckungen, Entrckungen, Verschmelzung, Ksse, Frohlocken, Um-armungen, Erhebung, Vereinigung, Umwandlung, Verlbnis und Ver-mhlung, welche zu erklren ich unterlassen will, um nicht Grund zugeben zur Vernunftsforschung und weil es ganze Bcher gibt, welche

    von all diesen Dingen handeln. Zudem sind diese Sachen fr die-jenigen, welche noch nie so etwas empfunden haben, wie Farbe fr

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    den Blinden oder Musik fr den Tauben. Kurz gesagt, auf diesen Stu-fen steigen wir hinauf zu dem Gemach und der Ruhesttte des Frie-densknigs und wahren Salomos.

    *15. Zeichen, um den inneren Menschen und das

    gereinigte Gemt zu erkennen

    1 Es gibt vier Zeichen, womit man den innerlichen Menschen er-kennen kann. Als erstes, wenn der Verstand keine anderen Gedankenfat, als solche, welche zu dem Licht des Glaubens emporstreben,und der Wille so erzogen ist, da er keine anderen Handlungen der

    Liebe hervorbringt, als fr Gott und um Seinetwillen. Zweitens,wenn das Denken und der Wille, nach Beendigung einer Arbeit, mitwelcher er beschftigt war, sich leicht und schnell zu Gott hinwen-den. Drittens, wenn er zum Gebet schreitend, alle ueren Dinge ver-git, als ob er sie niemals gesehen oder sich mit ihnen beschftigthtte. Viertens, wenn er gegen uere Dinge eine natrliche Abscheuhat und in Furcht steht, sich in weltliche Angelegenheiten zu verfan-

    gen, es sei denn, da die Nchstenliebe solches von ihm fordert.2 Eine solche Seele ist frei vom ueren Menschen und gelangtleichter zur innerlichen Abgeschiedenheit, worin sie nichts sieht alsGott. Sie sieht sich in Gott, und liebt Ihn mit Ruhe und Frieden undwahrer Liebe. Dort, in jenem verborgenen Zentrum, redet Gottfreundlich zu ihr und unterrichtet sie von einem neuen Knigreichund von wahrem Frieden und Freude.

    3 Diese geistliche, abgezogene, weltfremde und zurckgezogeneSeele sieht ihren Frieden nicht mehr gestrt, wenn sie auch uerlichKmpfe zu bestehen haben mag. Infolge der unendlichen Entfernungdringen die Strme niemals bis zu jenem ungetrbten, inneren Him-mel, wo reine und vollkommene Liebe herrscht. Wenn sie auch bis-weilen nackt, verlassen, geschlagen und vereinsamt sein mag, so istdies doch nur die Wut des Sturmes, welcher nur drauen drohen undwten kann. Diese geheime, innerliche Liebe hat vier Wirkungen.

    Die erste wird Erleuchtung genannt, die eine geschmeckte und aufErfahrung beruhende Erkenntnis der Gre Gottes und des eigenen

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    Nichts ist. Die zweite ist Entflammung, ein lebhaftes Verlangen, indiesem gtigen und gttlichen Feuer gleich dem Salamander verzehrtzu werden. Die dritte ist Sigkeit, ein friedvoller, freudiger, liebli-cher und inniger Genu. Die vierte ist ein Verschlungenwerden von

    den Krften in Gott, durch welches Eintauchen die Seele so von Gottdurchdrungen und erfllt wird, da sie nun nichts anderes mehr su-chen, begehren oder wollen kann, als ihr hchstes und ewiges Gut.

    4 Aus dieser vlligen Sttigung entspringen zwei Wirkungen: Dieerste ist ein groer Mut, um Gottes willen zu leiden. Die zweite isteine bestimmte Hoffnung oder Gewiheit, Ihn niemals verlieren nochvon Ihm getrennt werden zu knnen.

    5

    Hier in dieser innerlichen Zurckgezogenheit hat der geliebteJesus sein Paradies. Zu ihm knnen wir uns erheben, obwohl wirnoch auf der Erde wallen mssen. Wenn du aber begehrst zu wissen,wer zu dieser inneren Zurckgezogenheit durch das gttliche Vorbildhingezogen wird, so wisse da es der ist, welcher im Unglck, in gei-stiger Betrbnis und tiefer Armut fest und unerschttert bleibt. Diesestandhaften und innerlichen Seelen sind von alter Eigenheit gnzlichentblt und vllig in Gott eingegangen, den sie ununterbrochen be-

    schauen. Sie sind ohne Makel; sie leben in Gott und durch Ihn; siescheinen heller als tausend Sonnen; sie sind dem Sohne Gottes teuer,die Lieblinge Gottes des Vaters und die erkorenen Brute des Heili-gen Geistes.

    6 An drei Merkmalen wird ein gelutertes Gemt erkannt, wie derheilige Thomas in einer seiner Abhandlungen sagt. Das erste Zeichenist Eifer, welcher eine Kraft der Seele ist, die alle Lssigkeit und

    Trgheit tilgt, um sie mit Ernst und Vertrauen zum Streben nach Tu-gend anzuleiten. Das zweite ist Strenge, welche ebenfalls eine Kraftder Seele ist, die sich gegen die sinnlichen Begierden richtet, beglei-tet von einer heien Liebe zu Mhseligkeit, Niedrigkeit und einerheiligen Armut. Das dritte ist Gtigkeit und Sanftmut des Gemts,welche allen bitteren Groll, Neid, Widerwillen und Ha gegen denNchsten vertreiben. Bevor nicht das Gemt gereinigt, die Liebe ge-lutert, das Gedchtnis leer, der Verstand erhellt, der Wille verleugnet

    und entflammt ist, vermag die Seele niemals zu einer innigen undzrtlichen Vereinigung mit Gott zu gelangen. Die Seele mu deshalb,

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    weil der Geist Gottes Reinheit, Licht und Stille ist, groe Reinheit,Frieden, Aufmerksamkeit und Ruhe besitzen, denn Gott wnscht inihr Seine Ruhesttte zu nehmen. Der kostbaren Gabe eines gereinig-ten Gemts werden aber nur diejenigen teilhaftig, welche sie mit

    fortwhrendem Eifer suchen, lieben und bewahren. Solche wnschengerne, als die niedrigsten in der Welt angesehen zu werden.

    *

    16. Von der gttlichen Weisheit

    1 Die gttliche Weisheit ist eine bersinnliche und eingeflte Er-kenntnis der gttlichen Vollkommenheiten und ewigen Dinge, wel-

    che vielmehr Beschaulichkeit als Vernunftsforschung genannt wer-den sollte. Die Wissenschaft wird erworben und fhrt zur Erkenntnisder Natur. Die Weisheit wird verliehen und erzeugt ein Erkennen dergttlichen Gte. Die Wissenschaft begehrt das zu wissen, was mannur mit Mhe und Schwei erlangen kann; die gttliche Weisheitverlangt danach, selbst das nicht zu wissen was sie wei, obgleich siealles versteht. Kurz gesagt: Die Leute der Wissenschaft beschftigen

    sich mit der Erkenntnis weltlicher Dinge, und der gttlich Weise lebtversunken in Gott selbst.2 Die erleuchtete Vernunft in dem Weisen ist eine erhabene und

    einfache Erhebung des Geistes, wodurch er mit klarem und scharfemAuge alles sieht, was unter ihm ist und was sein Leben und Sein be-trifft. Dies macht die Seele einfltig, erleuchtet, gleichfrmig, geistigund gnzlich in sich gekehrt und abgezogen von jedem erschaffenenDing. Die Weisheit bewegt und entfhrt mit sanfter Gewalt die Her-

    zen der Demtigen und Gelehrigen und erfllt sie mit berschwengli-cher Klarheit, Frieden und Freudigkeit. Endlich sagt der Weise vonihr, da sie ihm alles Gute auf einmal gebracht habe: "Gekommensind mir alle Gter mit ihr zugleich" (Weish.7,11).

    3 Wisset, da der grte Teil der Menschheit in Meinungen lebtund nach dem trgerischen Schein der Einbildung. Der natrlicheMensch urteilt nach der ueren Wahrnehmung, der geistlich-weise

    Mensch beurteilt jede Sache gem der wahren, ihr zugrunde liegen-den Wirklichkeit. Seine Aufgabe ist es zu verstehen, zu begreifen,

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    einzudringen und hinauszukommen ber jedes geschaffene Ding, so-gar ber sich selbst.

    4 Es ist die besondere Eigentmlichkeit eines weisen Menschen,viel zu tun und wenig zu sagen.

    5 Die Weisheit offenbart sich in den Werken und Taten des Wei-sen. Er ist ein unumschrnkter Herrscher ber all seine Leidenschaf-ten, Erregungen und Neigungen. In seinem ganzen Tun ist er wie einunbewegtes und stilles Wasser, worin die Sonne der Weisheit sich involler Klarheit spiegelt.

    6 Das Verstndnis der mystischen Wahrheiten ist geheim und ver-schlossen fr die rein schulmig Gelehrten, sofern sie nicht demtig

    sind. Denn es ist die Wissenschaft der Heiligen und niemand kenntsie, auer denen, welche herzlich lieben und die eigene Verachtungsuchen. Deshalb dringen die Seelen, welche durch Ergreifung dieserMittel dahin gelangen, rein mystisch und wahrhaft demtig zu wer-den, zu der tiefsten Erfassung der Gottheit hindurch. Je sinnlicheraber die Menschen leben, nach dein Willen des Fleisches und Bluts,um so entfernter sind sie von dieser mystischen Wissenschaft.

    7

    Gewhnlich findet man, da in dem Menschen, welcher vielSchulgelehrsamkeit und erforschtes Wissen besitzt, die gttlicheWeisheit nicht vorherrscht. Hingegen bilden sie eine bewundernswer-te Vermischung, wenn beide zusammenkommen. Die Gelehrten, wel-che durch Gottes Gnade diese mystische Erkenntnis erlangt haben,sind wrdig der Verehrung und des Preises im religisen Leben.

    8 Die ueren Handlungen der Mystiker und Weisen, welche siemehr passiv denn aktiv vollbringen, werden doch klug von ihnen ge-

    regelt, nach Zahl, Ma und Gewicht, wenn sie ihnen auch sehr lstigsind. Die Predigten der gelehrten Leute, welche des Geistes erman-geln, sind keineswegs das Wort Gottes, sondern nur Menschenrede,bertncht mit falschem Golde, obwohl sie aus mannigfachen Ge-schichtchen, eleganten Schilderungen, scharfsinnigen Schlssen underwhlten Beweisen zusammengesetzt sein mgen. Diese Predigerverderben die Christen, indem sie dieselben mit Wind und Nichtig-

    keiten fttern, so da sowohl sie als die Hrer Gottes leer sind. DieseLehrer fttern ihre Zuhrer mit dem Winde verderblicher Spitzfin-

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    digkeiten, indem sie ihnen Steine statt Brot geben, Bltter stattFrucht, und geschmacklose Erde, vermischt mit vergiftetem Honig,anstatt wirklicher Nahrung. Sie sind es, welche nach Ehre jagen, einGtzenbild des Ruhmes und Beifalls aufrichten und keinesfalls Got-

    tes Preis und die Erbauung der Menschen suchen.9 Diejenigen, welche mit Eifer und Aufrichtigkeit predigen, predi-

    gen um Gottes willen; die andern predigen um ihretwillen. Diejeni-gen, welche Gottes Wort mit Geist verkndigen, lassen es Eindruckmachen auf das Herz. Was die andern ohne Geist predigen, geht nichtweiter als bis zu den Ohren.

    10 Vollkommenheit besteht nicht im Lehren der Vollkommenheit,

    sondern im Vollbringen. Denn nicht der ist der grte Heilige oderweiseste Mensch, welcher die Wahrheit am besten kennt, sondernderjenige, der sie ausbt.

    11 Es entspricht einer stndigen Erfahrung, da gttliche WeisheitDemut erzeugt. Die Weisheit aber, welche von Gelehrten erworbenwird, bringt Stolz hervor. Heiligkeit besteht nicht darin, tiefe undscharfsinnige Begriffe zu bilden von der Erkenntnis und den Eigen-schaften Gottes, sondern in der Selbstverleugnung und der Liebe zuGott. Deswegen ist auch die Heiligkeit mehr unter den Einfltigenund Demtigen zu finden, als unter den Gelehrten.

    12 Wieviele arme, alte Frauen gibt es auf der Welt, welche wenigoder nichts besitzen von menschlicher Wissenschaft, aber reich sindan Liebe zu Gott: Wie viele Gottesgelehrte sehen wir dagegen, diebis ber die Ohren in ihre leere Weisheit versunken und doch sehrarm sind an wahrem Licht und Liebe! Wenn du redest, rede so wie

    einer der am Lernen ist und nicht wie einer, der alles wei. Rechne esdir zu grerer Ehre an, fr einen Unwissenden gehalten zu werden,als fr einen weisen und klugen Mann.

    13 Wenn auch die rein forschenden Gelehrten einige kleine Funkenvon Geist besitzen, so steigen doch diese nicht aus dem schlichtenGrunde erhabener und gttlicher Weisheit. Denn wer recht weise isthat einen tdlichen Ha gegen Formen und ueres Ansehen. Die

    Untermischung mit ein wenig Wissenschaft bildet immerdar einHemmnis fr die ewige, tiefe, reine, einfltige und echte Weisheit.

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  • 8/14/2019 Der Geistliche Fhrer Teil 2 - Michael de Molinos

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    14 Es gibt zwei Wege, welche zur Erkenntnis Gottes fhren, der ei-ne ist entfernt, der andere nahe. Der erste wird Vernunftsforschunggenannt, der andere Beschaulichkeit. Die Gelehrten, welche wissen-schaftlich forschen durch die Annehmlichkeit der sinnenflligen

    Schlufolgerung, steigen vermittelst derselben zu Gott empor, so gutsie es vermgen, damit sie durch diese Hilfe fhig werden mgen,ihn zu lieben. Aber keiner von denen, welche diesen schulmigenWeg verfolgen, gelangt jemals allein auf ihm zu dem mystischen Pfa-de oder zu der Hoheit der Vereinigung, Umwandlung, Einfalt, Licht,Friede, Ruhe und Liebe. Anders ist es bei demjenigen, der durch diegttliche Gnade auf dem mystischen Pfad der Beschaulichkeit ge-fhrt worden ist.

    15 Diese Gelehrten, welche bloe Schulweisheit haben, wissennicht, was der Geist ist, noch was es heit, in Gott verloren zu sein.Auch haben sie noch nicht den Geschmack des sen Hiimmelsbrotsempfunden, welches in der innersten Tiefe und im Grunde der Seeleruht und von dort aus einen unfabaren, innigen und kstlichenberflu mitteilt