Der Gründervater David Be n-Gu rion - oeig.at · avid Ben-Gurion starb im Dezem - ber 1973. Israel...

7
Zeitschrift der Österreichisch-Israelischen Gesellschaft Jänner 2016 Extra-Ausgabe zu seinem 130. Geburtsjahr Der Gründervater David Ben - Gurion

Transcript of Der Gründervater David Be n-Gu rion - oeig.at · avid Ben-Gurion starb im Dezem - ber 1973. Israel...

Zeitschrift der Österreichisch-Israelischen Gesellschaft Jänner 2016

Extra-Ausgabe zu seinem 130. Geburtsjahr

Der GründervaterDavid Ben-Gurion

avid Ben-Gurion starb im Dezem-ber 1973. Israel stand unter Schocknach dem Yom-Kippur-Krieg, be-trauerte seine Gefallenen undfürchtete die Zukunft. Dem Able-

ben seines Gründervaters, der die jüdischeGeschichte stürmisch verändert und einenStaat etabliert hatte, schenkte das Land ge-ringe Aufmerksamkeit. Es war das schlichteEnde eines turbulenten Lebens, reich anHöhepunkten.

Ben-Gurion wollte nicht amHerzlberg, dem nationalenMausoleum, wo TheodorHerzl ruht und das denStaatsmännern gewidmetist, begraben werden. Erwählte eine hohe Klippeüber dem Wadi Zin in derNegev-Wüste für seine letzteRuhestätte. Er bestimmte fürseinen Grabstein nur die

Daten seiner Geburt und seines Todes sowiedie Inschrift: „Eingewandert in das Land Israel1906“. Bezeugt dieser Wunsch Bescheiden-heit im Angesicht des Todes?

Ben-Gurion war ein Mann mit schlichtem Be-nehmen, einfach gekleidet, mit bescheidenenLebensformen, war für jeden Mann und jedeFrau erreichbar, korrespondierte mit tausen-den Bürgern und bewegte sich in der Öffent-lichkeit ohne Scheu und Ängste. Zugleichwar er sich seiner Rolle von historischer Be-deutung bewusst. In der jüdischen Tradition

gibt es eine Hierarchie der Titel: „Rabbi“ istmehr als „Rav“ und „Rabban“ ist mehr als„Rabbi“ – jedoch am höchsten steht der, des-sen schlichter Name ausreicht. Auch unterdiesem Aspekt ist die Wahl seiner Grabstättezu verstehen: weit entfernt vom National-Mausoleum, sodass der Besucher nur zu ihm,zu seinem Grab, pilgern sollte. Seine Tatensollten nicht eingemeißelt werden, seinName soll alles aussagen und in die Ge-schichte Israels eingehen.

Es gibt Persönlichkeiten, deren Aufstieg andie Spitze der Gesellschaft schon in dieWiege gelegt worden war. Das trifft nicht aufBen-Gurion zu. Er wurde in einem unbedeu-tenden Dorf in eine bescheidene Familie ge-boren, deren Standard zwischen geringemWohlstand und Armut lag, deren Lebensstilzwischen Tradition und Moderne eingestuftwerden kann. Höhere Schulbildung für dieKinder war nicht leistbar. Ben-Gurions Reisein die große Welt war unspektakulär.

Im Unterschied zu Dr. Theodor Herzl und Dr.Chaim Weizmann, die dem wohlsituiertemMittelstand entstammten, einen Universi-tätsabschluss vorweisen konnten und somiteine berufliche Karriere unabhängig von zio-nistischen Zuwendungen erreichten, ver-brachte Ben-Gurion sein Leben niemalsaußerhalb des politischen Spektrums. Bevorer politisch aktiv wurde war er ein jungerMann ohne Perspektiven.

Die erste Russische Revolution 1905 gab sei-nem Leben eine Richtung, einen Sinn, eineBedeutung.

David Ben-Gurion Vortrag von Prof. Anita Shapira

FÜR JEDEN ERREICHBAR

Die Österreichisch-Israelische Gesellschaft unterstu�tzt das „Center of Israel Studies“.David Ben-Gurion kam vor 130 Jahren als David Grün in Polen auf die Welt. Die angesehene is-raelische Historikerin, Prof. Anita Shapira, beleuchtete in einem Vortrag in der DiplomatischenAkademie in Wien im Dezember 2015 den Werdegang und das Wirken des Gründers des StaatesIsrael per UNO-Beschluss.Die ÖIG gibt diese Aufklärung über Israels Gründerjahre in vollem Umfang an unsere Leser undFreunde in einer Extra-Ausgabe unserer Zeitschrift „schalom" weiter.

D

Er nannte stets zwei Bücher, die ihn zu den zwei wich-tigsten Ideologien seines Lebens führten – zum Zionis-mus und Sozialismus: Das eine Buch, ein hebräischerRoman von Abraham Mapu „Ahavat Zion“ (Liebe zuZion), das zweite „Onkel Toms Hütte“ von Harriet Bee-cher Stowe. Es ist schwer zu beurteilen, ob diese Aus-sage später Rationalität oder der Wahrheit entsprach.

Im zweiten Fallzeigt es dieNaivität einesJünglings, dernicht mit dergehobenen Li-teratur, sei esdes Zionismus,sei es des So-zialismus, kon-frontiert war.

Ben-Gurion beherrschte die russische Sprache und hatwohl die großen russischen Romane wie auch die mo-derne hebräische Literatur gelesen, er bewunderte dieDichtung von Bialik und Tschernichovsky. Philosophenbegeisterten ihn, er entdeckte für sich die Gedankenvon Nietzsche in hebräischer Übersetzung. In den letz-ten vier Jahrzehnten seines Lebens las er weniger ge-hobene Literatur als vielmehr philosophische Aufsätze,jüdische Studien, Geschichte, politisches Gedanken-gut. Seit seinen Fünfzigern war er fasziniert vomBuddhismus.

Alle israelischen Delegationen wetteiferten darin, ihmBücher zu schenken. In seinem Testament vermachteer seine Bibliothek von mehr als 18.000 Werken undtausenden Drucksorten dem Staat. Als Ministerpräsi-dent fühlte er sich nicht nur für den politischen undmilitärischenWohlstand desStaates verant-wortlich, son-dern auch fürdie Förderungder Kultur. 1950, dem Jahrder Massen-EinEinwanderung

nach Israel, die das Land wirtschaftlich unter Drucksetzte, brachte er die Mittel auf, um hebräische Manu-skripte aus der ganzen Welt in Mikrofilmen nach Israelzu bringen. Diese Aktion in großem Stil wurde zur Basisfür das „Archiv des Jüdischen Volkes“ in Jerusalem.

Später startete er eine weitere bedeutende Initiative –die Übersetzung des geistigen Schatzes der gesamtenMenschheit ins Hebräische – aus Europa, Amerika undAsien. Das Unterfangen stand unter den Auspizieneines sehr respektablen Komitees, in welchem die Pro-fessoren Martin Buber und Hugo Bergmann führendbeteiligt waren.

Ben-Gurion fand oft Zeit, an den Sitzungen teilzuneh-men, übte aber keinen Einfluss auf die Entschlüsse aus.Seine Liebe galt Platon und Spinoza und er versuchte,das Komitee zu einer kompletten Übersetzung zuüberreden, allerdings mit mäßigem Erfolg. Das Kolle-gium bevorzugte Präzision und Qualität vor raschenÜbersetzungen, zu dem es sich genötigt fühlte. DieListe der ersten 50 Titel beinhaltet Darwins „The Originof the Species“, die sieben Tragödien von Aischylos, Wil-liam James, Burckhardt, De Tocqueville, Konfuzius,Kant, Montesquieu, und viele andere.

Während seiner Amtsführung wurden vier neue Uni-versitäten gebaut und drei ältere Hochschulen weiterentwickelt, trotz wirtschaftlicher Engpässe. Seine Vor-stellung von Israel als „Licht unter den Nationen“ sahunter anderem die Entwicklung von Forschung undWissenschaft vor. Er empfand sich auf Augenhöhe mitden Professoren, mit denen er in dauerhafter Diskus-sion stand, über Platon, Spinoza, die Bibel, indischePhilosophie, Ethik.

Seit den frühen Anfängen des Staates pflegte er denDialog mit den führenden Lehrenden. Er genoss dieZusammenkünfte und zog doch keinen Profit daraus.Es scheint, als ob er vom Königs-Image des Philoso-phen eingenommen war, im Sinne von Marc Aurel. Erliebte die intellektuelle Schubkraft und mitunter sah erdas wie eine Flucht aus der Monotonie der politischenRoutine.

– Der Gründervater

PHILOSOPHIE UND BUDDHISMUS

ÜBERSETZUNG DES GEISTIGEN SCHATZES DER GESAMTEN MENSCHHEIT INS HEBRÄISCHE

Wenn er auf Urlaub in Griechenland war besuchteer alle Zeugen der Antike, seine ungebremste Ener-gie erschöpfte seine Leibwächter. Er traf den dama-ligen Premierminister Sophokles Venizelos, dessenVater Thukydides in modernes Griechisch übersetzthatte. Seiner Ansicht nach hat sich nur wenig ausder Antike im modernen Griechenland erhalten.

Von Griechenland ging er dann nach Cambridgeund Oxford und durchstöberte die Bibliotheken. Ersprach lieber mit Isaiah Berlin als mit den LondonerWürdenträgern.

Ben-Gurion war nicht von Geburt an Ben-Gurion. Erdurchlief eine lange Lehrzeit bevor er im öffentli-chen Bewusstsein ankam: erst im Jewish Yishuv inPalästina, dann in der Zionistischen Weltbewegungund viel später beim Rest der Welt. Er diente 15Jahre lang als Generalsekretär der Gewerkschaft. Erwar ein Arbeiterführer, der die Konfrontation mitden Arbeitgebern und rivalisierenden Organisatio-nen, wie den rechten Revisionisten-Organisationennicht scheute.

1933 traf Ben-Gurion eine der wichtigsten Entschei-dungen seines Lebens: Er kandidierte für die Füh-rungsposition der Zionistischen Arbeiterbewegung.Zu diesem Zweck begab er sich im Wahlkampf nachPolen, wo das weltweit größte Jüdische Zentrum an-gesiedelt war. Er erreichte 46 % der Stimmen für denZionisten-Kongress. So begann der Aufstieg der Arbeitspartei, die bis1977 die stärkste Kraft bleiben sollte. Das war derentscheidende Schritt des Umstiegs auf seiner Kar-riereleiter: vom Arbeiterführer zum Vorsitzenden derZionisten.

Ben-Gurion war immer noch nicht ausgereift, warimmer noch bereit für Straßenschlachten mit denRevisionisten in Tel Aviv. Aber allmählich sah er sichden wirklich wichtigen Dingen ausgesetzt, wurdezum Vorsitzenden des Politischen Departements derJewish Agency gewählt und entdeckte die Welt derDiplomatie als er mit dem Britischen Hochkommis-sar, Sir Arthur Wauchope, verhandelte. Er versuchteauch mit den Arabern von Palästina ins Gespräch zukommen und war nicht entmutigt durch seine Nie-derlage. Immer noch war er zu unerfahren um nichtdaran zu glauben, dass diese einer jüdischen Ein-wanderung zustimmen würden, wenn er den Ara-

bern ernsthaft Entwicklung, Modernisierung undGleichstellung in der Regierung anböte. Dochnach zwei Jahren frustrierender Versuche erkannteer, dass diese im besten Fall den Juden den Statuseiner kleinen Minderheit in Palästina zugestehenwürden. Doch Ben-Gurion hielt an seinem Traumeines Jüdischen Staates fest. Das war die Erkenntnisseiner Lehrjahre: Man kann nicht alles erreichen, wasman will.

Schon 1937 lag ein Vorschlagzur Teilung Palästinas in einenjüdischen und einen arabi-schen Staat aufdem Tisch. DieserVorschlag kamvon Lord Peel,Vorsitzender der„British RoyalCommission ofInquiry“, der Pa-lästina am Vor-abend der ara-bischen Revoltebesucht hatte. Es war das ersteMal, dass ein konkreter Entwurfzur Etablierung eines jüdischenStaates in Palästina vorgeschla-gen wurde. Ben-Gurion sahdarin eine außerordentli-che Chance in der langenGeschichte des jüdischenVolkes. Letztendlich ließendie Briten den Plan jedochfallen und wandten sich einerantizionistischen Politik zu.Doch Ben-Gurion ließ die Ideeeiner Teilung des Landes nichtmehr los; er sah darin einen gangbaren Kom-promiss.

Es hat den Anschein, dass Führungspersönlichkeitenvon der Geschichte gelenkt werden. In den 1930er-Jahren wurde Churchill als Verlierer gesehen – hatteer doch mehrmals die Partei gewechselt und wurdewegen seiner militärischen Pläne gegen Hitler alsKriegshetzer eingestuft. Mit dem Ausbruch desZweiten Weltkriegs änderte sich das Bild und Churchill avancierte zum wahrscheinlich bedeu-

EINE LANGE LEHRZEIT BEVOR ER ÖFFENTLICH ANKAM

1937 ERSTER VORSCHLAG ZUR TEILUNG PALÄSTINAS

tendsten Führer des 20. Jahrhunderts. De Gaulle er-füllte eine historische Mission im Zweiten Welt-krieg als er mit der Freien Französischen Armee dasVichy-Regime bekämpfte. Nach dem Krieg ver-schwand er zunächst von der politischen Bühne,um 1958 Frankreich im Algerischen Krieg zu retten.

Auch Ben-Gurion hatte seine historischen Augen-blicke. Ab 1942 sehe ich den Anfang für Ben-Gurions„wundervolle Dekade“. In diesen Jahren visionierteer den zu gründenden Staat, war sich darüber im

Klaren, dass das Krieg bedeuten würde und be-reitete sich darauf vor, leitete den Unabhängig-keitskrieg, Israels bittersten Krieg, entschiedsich zur Masseneinwanderung, was die Bevöl-kerung Israels in nur zwei Jahren verdoppelteund verlagerte die Hauptstadt nach Jerusa-

lem, ungeach-tet der UN-Entscheidungzur Internatio-nalisierung derStadt. Zudemstellte er Israelins westlicheLager und führ-te Verhandlun-gen zu einemReparations-Ab-

kommen mit der Bundesre-publik Deutschland.

Die Dekade begann mit sei-ner Reise in die USA 1941,wo er als vollkommen Un-

bekannter ankam. Niemand erwartete ihn am Flug-hafen und der Grenzbeamte konnte nicht ver-stehen, warum dieser Jude aus Palästina in die Ver-einigten Staaten einreisen wollte – so wurde er ei-nige Tagen in Verwahrung gehalten. Doch schoneinige Monate später formulierte er den Aktions-plan der Zionisten: ihr Ziel sei die Errichtung einesjüdischen Staates in Palästina. Amerikanische Unter-stützung war notwendig; doch Präsident Rooseveltzeigte kein Verständnis und das Außenministeriumgab sich feindselig.

Ben-Gurion war entschlossen, den Präsidenten um-zustimmen. Zu diesem Zweck müssten die amerika-nischen Juden organisiert werden, Druck ausüben

zu können. Sie sollten ihren Einfluss auf die Intellek-tuellen, die Gewerkschaften und die Kirchen gel-tend machen. Sobald die öffentliche Meinung dieIdee eines Jüdischen Staates wahrnehme, würde derPräsident hellhörig werden. „Der Weg zum WeißenHaus führt über das amerikanische Volk“ erklärte er.Die Frage war nur, wie man ihn beschreitet.

Der Versuch Ben-Gurions eine Front der amerikani-schen Juden zu motivieren scheiterte im ersten An-lauf. Das gelang erst, nachdem die Holocaust-Tragödie bekannt wurde.Noch wusste niemand, wann der Jüdische Staat ge-gründet werden konnte. Die Briten hielten an ihrerantizionistischen Politik fest. Nach dem Krieg, als dieLabour-Party an die Macht kam, verfestigte sichdiese Haltung. Doch Ben-Gurion war überzeugtdavon, dass der Staat bald etabliert werden würdeund auch, dass die Folge ein Krieg mit den Arabernsein würde.

Im Sommer 1945, als der Krieg mit Japan noch an-dauerte, berief er ein Treffen von einigen Dutzendreichen amerikanischen Juden in New York ein underklärte ihnen, dass es bald einen jüdischen Staatgeben werde, der einen Krieg nicht nur seitens derlokalen Araber sondern auch der arabischen Staatenzur Folge haben werde. Zu diesem Zeitpunkt konn-ten sich weder die Araber noch die Juden vorstellen,dass die Briten Palästina verlassen würden. „DieJuden werden diesen Krieg gewinnen“, erklärte er;doch sie brauchten Waffen. Ben-Gurion forderte dieAnwesenden auf, jene militärische Ausrüstung, dienach dem Krieg im Abverkauf war, zu akquirieren.Alle waren einverstanden und gründeten die „Son-neborn-Foundation“, benannt nach dem Mann, indessen Haus die Versammlung stattfand. Das warder Grundstein der israelischen MilitärIndustrie.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war das jüdische Volkan seinem Tiefstand. Sechs Millionen Juden ermor-det und in Palästina regierten die Briten mit eisernerFaust und verweigerten den jüdischen Flüchtlingendie Einreise nach Palästina.

Ben-Gurion setzte auf seine Eckpfeiler: den „Yishuv“gegen die Briten, die jüdischen Gemeinden in denUSA zum Druck auf den Präsidenten, die jüdischenFlüchtlinge in den Deportationslagern in Deutsch-

1941 ALS UNBEKANNTERIN DEN USA

DIE SONNEBORN-FOUNDATION

DREIFACHER WIDERSTAND GEGEN BRITEN

land – das alles konnte nicht von der internationalenpolitischen Tagesordnung ignoriert werden.

Er aktivierte drei Aktions-Kanäle: • Sabotage gegen britische Einrichtungen, sodass die Briten nicht ohne das Einverständnis der jüdi- schen Bevölkerung regieren konnten. • In Amerika verwandelte Rabbi Abba Hillel Silver aus Cincinnati die jüdische Minderheit in einen ethnischen Stoßtrupp, deren Druck von der US- Politik nicht mehr ignoriert werden konnte.• In Deutschland besuchte Ben-Gurion die DP- Lager, sprach mit jüdischen Flüchtlingen, ermun- terte sie bald nach Palästina ausreisen zu können.

Er organisierte die illegale Einwanderung gegen denWiderstand der Briten und erreichte internationalemediale Aufmerksamkeit .

Die frustrierten Briten hofften weiterhin, dass dieFlüchtlinge in ihre osteuropäischen „Blood Lands“zurückkehren würden. Doch diese drei Druckmittelveranlassten die Briten, die Palästina-Frage im Feb-ruar 1947 auf die Tagesordnung der UNO zu stellen.Der Rest ist Geschichte.

Drei Jahre nach dem Ende desZweiten Weltkriegs und des Holo-causts setzte Ben-Gurion alles aufdie große Hoffnung des jüdischenVolkes: den Staat.

Er war sich der Risiken stets be-wusst und war lernfähig. GoldaMeir sagte, dass er nicht schwereEntscheidungen traf, weil er keineAngst hatte sondern er traf sie,owohl er Angst hatte.

Wie konnte jemand entscheiden tausende jungeMänner in den Tod zu schicken? Es gibt kein Beispieldafür in der jüdischen Geschichte seit der Bar-Kochba-Revolte gegen Rom im zweiten Jahr-hundert.Wie konnte jemand eine Nation, die zweitausendJahre lang keine politische Souveränität gekannthat, dazu erziehen, sich an Autorität und Mehrheits-entscheidungen zu orientieren ?

„Nach nichts hat sich das jüdi-sche Volk über Hunderte vonJahren so sehr gesehnt, wie nacheinem eigenen Staat“ schriebBen-Gurion 1951 „und aufnichts war das jüdische Volk sounvorbereitet, wie auf einenStaat.“ Er empfand einen Kon-trast zwischen den genialen Ei-genschaften des jüdischenVolkes im Bereich der Moralund Werte und dessen Unbe-holfenheit im staatsbürgerli-chen Verhalten. Diese Fragemachte ihm stets Sorgen. „FürJahrhunderte gab es dieses fra-gende Gebet: Kann ein Staat fürein Volk gefunden werden? Dochniemand zog die erschreckendeFrage in Betracht: Kann ein Volkfür einen bereits bestehendenStaat gefunden werden?“Diese seine Worte reflektierendas große Dilemma, mit demsich Ben-Gurion auseinander zusetzen hatte. Er trug schwer ander Verantwortung nicht nur fürdie Verteidigung und Außenpo-litik sondern auch für die Defi-nition einer nationalen Identitätfür hunderttausende Menschen,die aus verschiedenen Ländern,Kulturen und Sprachräumen ka-men. Das alles musste währenddes gleichzeitigen Aufbaus derWirtschaft geschehen – und esmusste rasch geschehen, denn der Feind kündigteschon eine „zweite Runde“ an. So blieb keine Zeit füreine schrittweise langsame Entwicklung, wie seineintellektuellen Ratgeber empfahlen. Der Verlust deseuropäischen Judentums ging einher mit der not-wendigen Integration anderer jüdischen Gemeinden.

Ben-Gurion sah die Zionistische Revolution in derMission eine Nation aus Menschen verschiedenerHerkunft, Traditionen und Sprachen zu gestalten. ImVergleich zu politischen Zielen, die er definieren undumsetzen konnte war die Gestaltung einer Nationfür ihn die härtere Herausforderung. Er hat sie auchnie zu seiner eigenen Befriedigung bewältigt. Er warsehr ungeduldig und wollte nicht einsehen, dass diekulturelle Integration mehr Zeit in Anspruch nahm,als das Aufstellen einer Armee.

NOTWENDIGE ENTSCHEIDUNG ZU GROSSEN OPFERN

RISIKO UND ANGST

Ben-Gurion erklärt den israeli-schen Staat für unabhängig.

Unabhängigkeitserklärung

Er hielt die Bibel für das größte Werk der Juden undverteidigte Spinoza, der den Gegenpol zur Ultra-Or-thodoxie darstellte. Er bekämpfte die weltweiteSicht der Ultra-Ortho- doxen, die jede säkulare Kul-tur ablehnten – jüdische wie nichtjüdische gleicher-maßen – und die Rückkehr zu den biblischenWurzeln, entsprechend dem Talmud, einforderten.

In Ben-Gurions Weltbild war zwar die Bibel dasgrößte Werk des jüdischen Genius, das aber auchuniverselle Werte transportierte: „Wir haben viel, sehrviel von anderen Nationen zu lernen“.

Am Ende war Ben-Gurion enttäuscht von dem Staat,den er gegründet hatte. Seine großen Sprüche vom„Auserwählten Volk“ und vom „Licht unter den Na-tionen“ entsprachen nicht der Realität, eher derHoffnung auf Besserung und dem Beschwören einerutopischen Gesellschaft.

Ben-Gurion sagte oft, dass er nicht tue was die Men-schen wollten, sondern das, was er glaube, dass siebräuchten. Damit setzte er sich der Kritik der Bevor-mundung aus. Doch es entspriach seinem Gefühl fürVerantwortung und Führungsqualität, was sichrückblickend bewahrheitete.

Er hatte einen „6. Sinn“ für historische Momente, derihn durch seine schwersten Zeiten trug. Vor allemaber hatte er den Mut zum kalkulierten Risiko. DieGeschichte passierte aus seiner Sicht nicht durchFührungspersönlichkeiten sondern durch die Masse,in einem spontanen Prozess. Doch – so räumte erein – in schicksalhaften Augenblicken entscheideein mutiger, resoluter Lenker zwischen Sieg undNiederlage. Ben-Gurion bezog diese Aussage aufChurchill, doch sie ist auch auf ihn selbst anwendbar.

Wäre Ben-Gurion heute in der Lage sich in der kom-plexen Realität des 21. Jahrhunderts, in einer offe-nen anarchischen Gesellschaft mit einem gestörtenVerhältnis zu Autoritäten zu behaupten? Würde ermit den heutigen Medien, mit den Bloggern, dieseine pompösen Sprüche lächerlich machen wür-den, zurecht kommen?

Nach der Staatsgründung hatte der Gründervater,der Sieger im Unabhängigkeitskrieg einen beinahemessianischen Status. Dennoch scheuten sichweder seine Parteifreunde noch die Opposition,seine Autorität zu untergraben und entfernten ihn

schließlich von der politischen Bühne. Sowie es auchChurchill erging, wie auch De Gaulle.

Doch für den Staat Israel und das jüdische Volkbleibt er das Vorbild eines Politikers, der Weisheitmit militärischem Mut, Sorgfalt bei schweren Ent-scheidungen und Verantwortung in der Gestaltungeiner Nation und ihrer Kultur vereinte. In der heuti-gen Zeit, in der die Politik sich vor Entscheidungendrückt und ihr Image täglich an der öffentlichen me-dialen Meinung misst, sehnt man sich nach einemDavid Ben-Gurion.

Übersetzung Inge Dalma

SEIN WELTBILD – SEINE VISION

ANITA SHAPIRA ist eine angesehene israelischeHistorikerin.Sie wurde 1940 in Warschau als Kind jüdischer Eltern ge-boren. Sie überlebte den Holocaust, emigrierte 1947 nachPalästina und wuchs in Tel Aviv auf.Shapira studierte Geschichte an der Universität Tel Avivund promovierte 1974 mit einem Thema zur Geschichteder jüdischen Arbeiterbewegung. 1985 wurde sie an derUniversität zum Professor berufen und war ab 2000 Direk-

torin des „Weizmann Institut for the Study of Zionism“. Sie gründete das „YitzhakRabin Center for Israel Studies“ und war von 1996 bis 1999 dessen erste Direktorin.Von 1990 bis 1995 war sie Dekanin der Philosophischen Fakultät und gehörte in die-ser Zeit dem Planungsausschuss des Israelischen Bildungsrats an.Anita Shapira ist Vizepräsidentin der „Israeli Historical Society“ und Mitherausge-berin des „Jewish Review of Books“. Sie erhielt 2008 den Israel-Preis für Geschichte.Nach ihrer Emeritierung wurde sie Senior Fellow am Israel Democracy Institute inTel Aviv.Frau Shapira ist verheiratet und hat drei Kinder.

DAVID BEN-GURION eigentlich David Grünwurde am 16. Oktober 1886 in Płońsk, heute Polen, da-mals zu Russland gehörig, geboren. Sein Vater, AvigdorGrün, war Rechtsanwalt und beteiligte sich in führenderPosition in einer zionistische Organisation namens„Chowewe Zion“. Seine Mutter, Scheindel Grün, geb. Friedman, starb alsDavid elf Jahre alt war.

Bereits in Polen wandte sich Ben-Gurion dem Zionismus und dem Sozialismuszu, war Mitbegründer der Jugendorganisation „Ezra“ und später in verschie-denen Organisationen aktiv.Im September 1906 wanderte er von Polen nach Palästina aus. 1910 legte er sichden Namen Ben Gurion zu und begann publizistisch zu arbeiten. 1917 heiratete er in New York Paula Munweis, die ursprünglich aus Minsk,Weißrußland, stammte. Sie hatten gemeinsam drei Kinder.Nach (politisch motivierten) Aufenthalten in Istanbul, London und New Yorkwurde er 1920 Generalsekretär der im Jahr zuvor gegründeten GewerkschaftHistradut.Ben-Gurion gilt als „der“ Staatsgründer Israels und war dessen erster Minis-terpräsident (1948–53/1955–1963), daneben Verteidigungsminister und einerder Gründer der sozialdemokratischen Arbeitspartei Israels, deren Vorsitzen-der er von der Staatsgründung bis 1963 blieb. Im selben Jahr zog er sich, mitgelegentlichen Ausflügen in die Politik, nach Sde Boker im Negev zurück.David Ben-Gurion starb am 1. Dezember 1973, seine Frau Paula fünf Jahrezuvor. Beide sind in Sde Boker begraben.