Der Kriminalfall Mayerling ohne Mythos · 2015. 11. 3. · Das unredigierte Mayerling-Manuskript...

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Lars Friedrich alles abgethan Der Kriminalfall Mayerling ohne Mythos Ein neuer Tatsachenbericht zum Tode von Kronprinz Erzherzog Rudolf von Österreich und Baroness Marie Alexandrine von Vetsera am 30. Januar 1889 in Mayerling/Niederösterreich Das unredigierte Mayerling Das unredigierte Mayerling Das unredigierte Mayerling Das unredigierte Mayerling- Manuskript von Lars Friedrich: Manuskript von Lars Friedrich: Manuskript von Lars Friedrich: Manuskript von Lars Friedrich: Alle Forschungsergebnisse Alle Forschungsergebnisse Alle Forschungsergebnisse Alle Forschungsergebnisse von 1989 bis 2009 von 1989 bis 2009 von 1989 bis 2009 von 1989 bis 2009

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  • Lars Friedrich

    alles abgethan Der Kriminalfall Mayerling

    ohne Mythos

    Ein neuer Tatsachenbericht zum Tode von

    Kronprinz Erzherzog Rudolf von Österreich

    und Baroness Marie Alexandrine von Vetsera

    am 30. Januar 1889 in Mayerling/Niederösterreich

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  • Das unredigierte Mayerling-Manuskript von Lars Friedrich – Forschungsergebnisse von 1989 bis 2009

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    VORBEMERKUNG 2015

    Ab dem Jahr 1989 befasste ich mich intensiv mit der Geschichte des Ortes Mayerling und dem so eng mit die-

    sem Namen verknüpften Drama, also dem Tod des Kronprinzen Rudolf von Habsburg und seiner minderjährigen Ge-

    liebten Marie Alexandrine Freiin von Vetsera 1889 ebendort. Am Freitag, 17. Oktober 2014, wurde dann das neue Be-

    sucherzentrum im Karmel Mayerling eröffnet. Mit diesem denkwürdigen Datum, 125 Jahre nach der Tragödie von

    Mayerling, habe ich die Arbeit für mein Mayerling-Archiv eingestellt.

    Im Zeitraum von 1989 bis 2009 hatte ich Teile meiner Forschungsarbeit für ein Buchmanuskript zusammen-

    gefasst. Diesen Stand mache ich nun mit der Herausgabe dieses unredigierten Manuskriptes für alle Forscher und Inte-

    ressierte öffentlich. Einige Passagen dieses Manuskriptes wurden bereits in meinen Mayerling-Büchern überarbeitet

    und aktualisiert; einige Passagen des geplanten Buches habe ich nicht fertiggestellt (sie sind im Inhaltverzeichnis ge-

    strichen) und einige Passagen sind natürlich auch durch Ereignisse der Zeitgeschichte nicht mehr aktuell – so wurde in

    Mayerling ja selbst ein Museum eröffnet, die Abschiedsbriefe der Baroness Vetsera wurden im Original aufgefunden

    und zahlreiche Autoren meinten, sie müssen mehr oder weniger Neues zur Causa Mayerling publizieren.

    Ich denke jedoch, dass die Zusammenstellung von Quellen, die mir zur Verfügung standen, für weitere Ma-

    yerling-Forscher von Interesse sein könnten und wünsche viel Freude an der Beschäftigung mit diesen bislang nicht

    redigierten oder lektorierten Manuskript. Wer findet die meisten Rechtschreibfehler?

    Lars Friedrich

    Hattingen an der Ruhr im November 2015

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    VORBEMERKUNG 2009

    „Nicht zuletzt dankte ich meiner Frau

    für ihre unermüdliche Mithilfe

    bei der Verfassung und Korrektur

    des Manuskriptes.“

    Professor Dr. Fritz Judtmann

    Herbst 1968

    Das vorliegende Buch folgt der Struktur des 1968 erschienenen Tatsachenberichtes „Mayerling ohne Mythos“

    von Fritz Judtmann. Aus diesem bei „Kremayr & Scheriau1“ veröffentlichen Buch, das seit 1984 „out of print“ ist,

    wurden Abschnitte und Passagen übernommen und als Zitate gekennzeichnet.

    Mit der Übernahme der Ausführung von Professor Dr. Fritz Judtmann würdigt der Autor dieses Buches die Ar-

    beit des Wiener Schriftstellers und zeichnet auf Basis seines Forschungsstandes ein aktuelles Bild vom „Mythos Ma-

    yerling“.

    Das Buch folgt in Schreibweise und Zeichensetzung bis auf eingefügte Zitate, historische Textpassagen und

    insbesondere der Wiedergabe des Textes von Professor Judtmann, der reformierten Rechtschreibung des Jahres 2007.

    1 Kremayr, Rudolf, geb. am 25.12.1905, gest. am 17.12.1989 und Scheriau, Wolfgang, geb. am 16.11.1916; beide gründeten 1950 die „Buchgemeinschaft Donauland“, die 1955 bereits 378.000 Mitglieder zählte; der Verlag „Kremayr & Scheriau“ wurde 1951 gegründet, um die Buchgemeinschaft mit eigenen Büchern zu versorgen; 1966 Beteiligung durch den Bertelsmann-Buchclub/Deutschland (Fusion 1969; seit 01.01.2001 besteht eine 75% Beteiligung durch die Bertelmanns Direct Group), 1989 Eingliederung der Dt. Buchgemeinschaft Alpenland und 1990 des Dt. Bücherbundes Österreich; die Buchgemeinschaft Do-nauland hatte im Jahr 2007 rund 470.000 Mitglieder. „Mayerling ohne Mythos“ erschien 1968 als Verlagsbuch bei K&S, 1969 als Buchgemeinschafts-Ausgabe, 1971 in England bei Georg G. Harrap & Co. Ltd, 1982 in überarbeiteter Form erneut bei K&S so-wie 1984 wieder in der Buchgemeinschaft Donauland.

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    GELEITWORT 2009

    „Ich möchte Ihnen

    für all Ihre Bemühungen

    guten Erfolg wünschen. 2“

    + Ruhrbischof Dr. Franz Kardinal Hengsbach

    Essen, 25.05.1990

    „Am 4. Jänner 1957 starb in Wien Frau Ella Graf3, Witwe des Regierungsrates Rudolf Graf, einzige Tochter des

    Leibarztes Franz Josephs, Dr. Joseph Ritter von Kerzl4, im Alter von 81 Jahren. In ihrem Testament vermachte sie

    dem Ehepaar Judtmann die sogenannte Hubertusuhr, die nach dem Zeugnis eines Leibkammerdieners im Arbeitszim-

    mer des Kaisers im Schloß Schönbrunn gestanden ist. Frau Graf hatte sie nach dem Tod des Kaisers von dessen Toch-

    ter, Erzherzogin Marie Valerie, erhalten, als Andenken an den Monarchen, dem Kerzl viele Jahre treu gedient hatte. 5“

    Mit diesen Zeilen beginnt Fritz Judtmann6 sein 1968 erschienenes Buch über den Tod des Kronprinzen Rudolf

    von Österreich. Ich selbst habe diese Uhr, die bereits seit den 60-er Jahren nicht mehr lief, Mitte der 80-er Jahre in der

    Wiener Wohnung von Hermann Swistun-Schwanzer7 gesehen: dunkelbraunes Holz mit feinem, aber hier und dort ab-

    gebrochenem Zierrat8. Einige Monate vor Swistuns Tod war die Uhr aus seiner Wohnung an der Schönbrunner Straße

    verschwunden – er hatte sie wahrscheinlich an einen Sammler verkauft, der die dringend notwendige Reparatur des

    Werkes und die Restaurierung des aufwendigen Gehäuses finanzieren konnte9. Angehörige der Familien Vetsera,

    Baltazzi und Swistun hatte scheinbar keine Verwendung für diese Memorabilie. Mit der „Hubertusuhr“ verschwand

    ein weiterer Anker, der die Jetztzeit mit den Tagen der österreich-ungarischen Monarchie verband …

    Für Fritz Judtmann hatte die Uhr angeblich eine ganz besondere Bedeutung: „Es war für mich von historischem

    Interesse, festzustellen, von wem und wann der Kaiser diese Uhr zum Geschenk erhalten hatte.“ Er recherchierte im

    Haus-, Hof- und Staatsarchiv und ließ sich „einen zweiten Karton mit der Bezeichnung `Briefe und Pakete von und an

    2 Dr. Franz Kardinal Hengsbach, Essen, 25.05.1990, an den Verfasser 3 Ella Graf, gestorben 04.01.1957 in Wien im Alter von 81 Jahren 4 Kerzl, Dr. Joseph von, geb. 1842, gest. 1919, General-Oberstabsarzt, Hofarzt des Kaisers Franz Josef, beigesetzt auf dem Fried-hof Hietzing, Gruppe 20, Gruft 58 (Grab auf Friedhofsdauer) 5 Fritz Judtmann, „Mayerling ohne Mythos – Ein Tatsachenbericht“, Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 1968 6 Judtmann, Fritz, Dipl.-Ing., Dr. tech., Professor, geb. am 15.06.1899 in Wien, gest. am 10.12.1968 in Wien 7 Swistun-Schwanzer, Hermann, geb. am 23.04.1914, gest. am 26.06.1999 in Wien, beigesetzt am 05.07.1999 auf dem Zentralfriedhof Wien in der Gruft von Hector Baltazzi 8 Die Uhr war 1935 bei der „Kaiser Franz Joseph Ausstellung“ in Schönbrunn zu sehen, wo sie im Raum 53 (Thema: „Jagd“) ge-zeigt wurde 9 Ebenfalls im Nachlass Kerzl/Graf befand sich ein Medaillon mit getrockneten Blumen von der Bahre Kaiser Franz Josephs, das sich heute im Besitz von Frau Ingrid Fritz/Wien befindet.

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    den Kronprinzen10´ ausheben“. In jenem Behältnis, das nicht dem damals nur 22 Kartons umfassenden Bestand des

    Kronprinz-Rudolf-Selektes angeschlossen und somit lange Jahre unbeachtet geblieben war, fand Judtmann einen

    „dünnen Aktenumschlag mit der Bezeichnung `Varia´“. Das Kuvert enthielt die Abschrift eines Protokolls11 das aus-

    sagte, dass Papier des ehemaligen Ministerpräsidenten Eduard Graf Taaffe zur Tragödie von Mayerling „unter myste-

    riösen Umständen bei einem Rechtsanwalt in Verlust geraten“ waren.

    Das Auffinden dieses Kuverts war für Judtmann Anlass, „die Tragödie von Mayerling von Grund auf zu erfor-

    schen“. Mit seinem Buch legte er eine gewissenhafte Analyse zum Tod des Erzherzog Thronfolgers vor, die bis heute

    in vielen Aussagen nicht zu entkräften war. Ich selbst habe 1989, einhundert Jahre nach den Ereignissen von Mayer-

    ling, erstmals Judtmanns Buch gelesen. Es folgten seither hunderte weitere Bücher und unzählige Artikel, die sich

    dem gleichen Thema widmeten. Ebenso wie seinerzeit Fritz Judtmann kam ich zu der Erkenntnis, dass „die meisten

    der Bücher und Artikel (...) mehr oder weniger Kopien früherer Arbeiten oder romanhafte Erfindungen (waren), worin

    immer wieder die gleichen Legenden oder falschen Behauptungen nacherzählt“ wurden. Nicht zuletzt die Aussage ei-

    nes Paters aus dem Stift Heiligenkreuz, dass „kein normal denkender Mensch (...) an der Aufklärung dieser Geschich-

    te interessiert“ sei12, hat mich für das Thema eingenommen – vielleicht bin ja auch ich kein normal denkender

    Mensch. Auch die fehlende Bereitschaft weiter Teile der Familie Habsburg, sich mit neuen Erkenntnissen zum Tod

    des Thronfolgers zu befassen, machte mich neugierig: „Der Selbstmord des Kronprinzen ist die einzig und alleinig

    voll glaubhafte und den Tatsachen entsprechende Version seines Todes13“. Ist das wirklich so?

    Ich begab mich auf den Spuren Fritz Judtmanns in eine mir fremde Welt und lernte deren letzte lebenden Au-

    genzeugen, oftmals aber nur noch deren Kinder oder Enkelkinder, kennen. Ich konnte Fühlung nehmen mit Baronin

    Nancy Vetsera14, der Cousine jener jungen Frau, die tot an der Seite des Kronprinzen Tod in Mayerling aufgefunden

    wurde. Ich lernte den Archivar der Familie Vetsera, Hermann Swistun Schwanzer, wenige Jahre vor seinem Tod ken-

    nen und konnte mit den Erzherzogen der Salvatorischen Linie, Markus15 (Bad Ischl), Michael16 (Persenbeug) und Jo-

    hann17 (Traunkirchen) von Österreich sprechen. Besonders freut es mich, auf Gut Persenbeug an der Donau IKH Ro-

    semarie, Erzherzogin von Habsburg-Lothringen18, Gattin von Marie Valeries Sohn Hubert, kennengelernt zu haben.

    Ich sprach mit dem Erzabt von Pannonhalma19, dem resignierten Abt von Heiligenkreuz, Prälat Pater Gerhard

    Hradil20, und lernte in mehreren Begegnungen jenen Mann näher kennen, der die Gebeine der Mary Vetsera aus ihrem

    10 Ministerium des königlichen Hauses und des Äußeren, Administrative Registratur, Karton Fach:76: 9: Briefe und Pakete von und an den Kronprinzen; Fach 76:5-6: Geschenke von und an den Kronprinzen 11 Protokoll, aufgenommen lt. Judtmann mit Heinrich Graf Taaffe, Sohn des einstigen Ministerpräsidenten, am 18.Oktober 1912 im Präsidium des k.k. Ministeriums des Inneren. 12 Pater Markus Rauchegger O.Cist., ehemaliger Kämmerer des Stiftes Heiligenkreuz, 28.12.1992, gegenüber dem Verfasser 13 Ghislaine Windisch-Graetz, Wien, 18.08.1989, gegenüber dem Verfasser 14 Ferdinande genannt „Nancy“ Baronin Vetsera, geb. 1904, gest. am 24.05.1990 15 SKH Ingenieur Markus Salvator von Habsburg-Lothringen, Erzherzog von Österreich, geb. am 02.04.1946 16 SKH Dr. Michael Salvator von Habsburg-Lothringen, Erzherzog von Österreich, geb. am 02.03.1949 17 SKH Johann Salvator von Habsburg-Lothringen, Erzherzog von Österreich, geb. am 18.09.1947 18 SKH Rosemarie von Habsburg-Lothringen, geb. Prinzessin zu Salm-Salm, Erzherzogin von Österreich, geb. am 13.04.1904 in Potsdam, gest. am 03.05.2001 in Persenbeug 19 Eminenz András József Szennay OSB, frei resignierter Erzabt von Pannonhalma/Ungarn; Erzabt von 1973 bis 1991; geb. 02.06.1921 in Budapest 20 Altabt Gerhard Karl Hradil OCist, frei resignierter Abt des Stiftes Heiligenkreuz, Abt von 1983 bis 1999, geb. am 28.10.1928 in Wien

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    Grab in Heiligenkreuz raubte: Helmut Flatzelsteiner. In den Wiener Archiven halfen mir OR Dr. Elisabeth Springer,

    .... und wertvolle Hinweise erhielt ich von Hofrat Dr. Rudolf Neck21. Für ihre aufmerksame und Mut machende Für-

    sprache danke ich dem ehemaligen Bischof von Essen, Eminenz Dr. Franz Kardinal Hengstbach22, dem ehemaligen

    Wiener Kardinal, Eminenz Erzbischof Dr. Hans Hermann Kardinal Groër OSB23 und dem emeritierten Gründerprior

    des Zisterzienserklosters St. Marien in Bochum, Pater Beda Zilch OCist24.

    Mein Dank gilt zudem Frau Ingrid Fritz/Wien, der Historikerin Dr. Mona N. Schubert/Kanada, Dr. Maria Tol-

    nay-Kiss25 und Herrn Ingenieur Paul Tolnay/Budapest sowie Frau Elisabeth Koller-Glück und Frau Pai, beide Wien.

    Zudem wäre dieses Buch ohne die Unterstützung meiner Eltern sicher nie entstanden. Ferner gilt Dank und Anerken-

    nung Herrn Reimer J. Grothusen26 und meiner Frau Stephanie. Jene brachte mich dazu, 1989 erstmals nach Mayerling

    zu fahren und jener half uns unbürokratisch, diese Fahrt möglich zu machen.

    Hattingen an der Ruhr 2009

    Lars Friedrich

    INHALT

    21 Neck, Dr. Rudolf, Oberstaatsarchivar im Staatsarchiv Wien 22 Eminenz Dr. Franz Kardinal Hengsbach, 1. Bischof von Essen, geb. am 19.09.1910 in Velmede, gest. am 24.06.1991 in Essen 23 Eminenz Alterzbischof Dr. Hans Hermann Kardinal Groër OSB, geb. am 13.10.1919 in Wien, gest. am 24.03.2003 in St. Pölten 24 Pater Beda Bernd Zilch O.Cist war 13 Jahre lang Prior der Heiligenkreuzer Neugründung in Bochum-Stiepel tätig, ehe er im Sommer 2001 überraschend von Abt Gregor wegen zu „seelsorgerischer“ und angeblich fehlender „monasterischer“ Arbeit abge-setzt wurde. Er ist seither als Pfarrer in Karlstadt-Wiesenfeld, Diözese Würzburg tätig. 25 Tolnay-Kiss, Dr. Maria und Kiss, Paul, Budapest 26 Gründer und bis 1981 Mitinhaber der GROTHUSEN Ges.m.b.H. in Wien 14

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    Kapitel 1: „Unheimlich ist die Stille

    1. Über 1000 Jahre Österreich: Babenberg und Habsburg

    2. Kaiserin Elisabeth und Kaiser Franz Joseph I.

    3. Das Kronprinzen-Paar

    a) Rudolf von Österreich

    b) Stephanie von Belgien

    4. Rudolf – Name, Hofstaat und Kammer

    5. Der Kronprinz als Politiker

    6. Der Kronprinz als Schriftsteller

    7. Der Kronprinz als Ornithologe und Jäger

    8. Der Kronprinz als Textdichter

    9. Die Familie Vetsera

    a) Helene

    b) Albin

    c) Johanna

    d) Ladislaus

    e) Franz

    10. Marie Alexandrine Freiin von Vetsera

    11. Die Zeitzeugen

    a) Baltazzi

    b) Bombelles

    c) Bratfisch

    d) Caspar

    e) Coburg

    f) Ferenczy

    g) Hoyos

    h) Larisch

    i) Loschek

    j) Püchel

    k) Schuldes

    l) Szögyény-Marich

    m) Tobis

    n) Zwerger

    o) sonstige

    Kapitel 2: Stichwort „Mayerling“

    1. Einladung zur Jagd

    2. Die Zeit drängt – Sonntag, 27. Jänner 1889

    3. Die letzte Wiener Audienz – Montag, 28. Januar 1889

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    Kapitel 3: Die „Flucht“ nach Mayerling

    1. Der Vorsprung

    a) Tabellarische Zeitübersicht

    2. Der Zeitplan der Gräfin Larisch

    3. Die Fahrt nach Mayerling

    Kapitel 4: Vor der Entscheidung

    1. Namensgebung und Namensmythos

    a) Legenden aus Mayerling

    b) Persönlichkeiten aus Mayerling

    2. Die Geschichte Mayerlings

    3. Die Geschichte der Laurentius-Wallfahrt

    4. Mayerling zur Zeit des Kronprinzen

    5. Das Jagdschloss Mayerling

    6. Verdacht und Gewissheit

    7. Der letzte Tag – Dienstag, 29. Januar 1889

    Kapitel 5: Die Kerzen verlöschen

    1. Die Auffindung der Toten – Mittwoch, 30. Januar 1889

    2. Die Todesnachricht

    3. Die Hofkommission

    4. Die Abschiedsbriefe

    a) Tabellarische Übersicht

    Kapitel 6: Die Hofbefehle

    1. Die Geschichte des Friedhofes in Heiligenkreuz

    2. Das Begräbnis der Baronesse – Freitag, 1. Februar 1889

    3. Die Umbettung in die Gruft

    4. Die Pressionen gegen die Baronin

    5. Die Vetsera-Kapelle

    6. Heiligenkreuz im II. Weltkrieg

    7. 1959: Ein neuer Sarg

    a) Tabellarische Übersicht der Quellen

    8. Das Watzl-Protokoll

    9. Der juristische Aspekt der Beisetzung

    Kapitel 7: Denkschriften und Erinnerungen

    1. Das Phänomen der Erinnerung

    2. Angehörige und Freunde erinnern sich

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    3. Persönliche Bedienstete sprechen

    4. Dienstleister und Tatortzeugen erzählen

    5. Angehörige von Tatortzeugen berichten

    Kapitel 8: Amtliches und Nichtamtliches

    1. Kommuniqués und Obduktionsbefund

    2. Der Kampf der Polizei gegen die Presse

    3. Der Kronprinz und der Adel

    4. Geister, Gauner und Grotesken

    5. Legenden um Mayerling

    a) Der gelbe Koffer

    b) Rudolf in Polen und an anderen Orten

    c) Die kanadische Kassette

    d) Weitere Erzählungen

    Kapitel 9: Der „Kampf“ um das kirchliche Begräbnis

    1. Die Telegramme Wien – Rom

    2. Das Requiem

    3. Der Botschafter

    Kapitel 10: Vor und hinter den Kulissen

    1. Mord oder Selbstmord?

    2. Die Geschichte der Kapuzinergruft

    3. Habsburgs Totenkult

    4. Leichenöffnung Rudolfs

    5. Einbalsamierung

    6. Wachsmoulage und Totenmaske

    7. Aufbahrung und Begräbnis

    8. Leichenöffnung Marys

    9. Der Widerstand des Klerus: Stellungnahmen der Diözesen

    10. Stift Heiligenkreuz

    11. Lanz von Liebenfels, Hitler und die Nationalsozialisten

    Kapitel 11: Die Verlassenschaftsabhandlung

    1. Die Testamente

    2. Die Inventur

    3. Die Auflösung des Hofstaates

    4. György St. Imre

    5. Lacroma

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    6. Laxenburg

    7. Das Erbe des Kronprinzen

    8. Der Nachlass der Baroness

    Kapitel 12: Das Sühnekloster

    1. Die Vorgeschichte

    2. Der Orden der Karmelitinnen in Wien

    3. Der Bau des Klosters

    4. Das Asyl und andere Gebäude

    5. Der Karmel St. Josef bis zur Jahrtausendwende

    6. Die Kirchen in Mayerling und ihre Kunstwerke

    Kapitel 13: Die verschollenen Dokumente

    1. Die Kronprinz-Rudolf-Dokumente

    2. Graf Taaffe

    3. Das Taaffe-Protokoll

    4. Die Familie Taaffe heute

    5. Das Wassilko-Protokoll

    6. Der Krauss-Akt

    7. Josef Fitzthum

    8. Das Tagebuch der Gräfin Hoyos

    Kapitel 14: Verwehte Spuren

    1. Die „Mayerling-Papers“

    2. Die Mayerling-Autoren I

    a) Professor Dr. Ernst Edler von der Planitz/Berlin

    b) Dr. Oskar Freiherr von Mitis/Wien

    c) Egon Caesar Conte Corti/Wien

    d) Professor Dr. Fritz Judtmann/Wien

    e) Weitere Autoren

    3. Der Griff nach der Stephanskrone

    a) Die Geheimehe

    b) Die Familie Pachmann

    c) Die ungarische Thronfolge

    Kapitel 15: Die letzten 30 Jahre

    1. Die Mayerling-Autoren II

    a) Dr. Brigitte Hamann/Wien

    b) Dr. med. Gerd Holler/Baden

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    c) Professor Clemens Maria Gruber/Wien

    d) Weitere Autoren

    2. Heiligenkreuz im 21. Jahrhundert

    3. Der Raub der Vetsera

    a) Zehn Tage im Dezember 1992

    b) Helmut Flatzelsteiner

    4. Die 3. Umbettung der Vetsera

    5. Echte und „unechte“ Nachkommen

    6. Mayerling im 21. Jahrhundert

    7. Schaustelle Mayerling

    a) Die Imagothek

    b) Das Museum

    8. Der Kronprinz in Ausstellungen und Museen

    9. Stimmen und Zitate zu Mayerling

    10. Mayerling im Internet

    11. Erinnerungen an den Kronprinzen

    a) Plätze, Orte und Denkmäler des Kronprinzen

    b) Medaillen und Münzen

    c) Gemälde

    d) Die Kronprinzessin

    12. Mayerling im Film und auf der Bühne

    13. Musikalisches Mayerling

    14. Übersicht zur Mayerling-Literatur

    Nachwort

    1. Anmerkungen

    2. Literaturverzeichnis

    3. Personenverzeichnis

    4. Nekrolog

    5. Bildquellenverzeichnis

    6. Maße, Werte, Währung

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    Kapitel 1

    „Unheimlich ist die Stille“

    1.

    Über 1000 Jahre Österreich:

    Babenberg und Habsburg

    „Viribus unitis“

    „Mit vereinten Kräften“

    Wahlspruch Kaiser Franz Josephs

    „Das erste staatliche Gebilde auf dem Gebiet des heutigen Österreichs war das keltische Königreich Noricum,

    das um 15 v. Chr. großteils in das Römische Reich integriert wurde. Unter der Herrschaft der Römer entstanden zahl-

    reiche Siedlungen, so wie Vindobona (Wien), Iuvavum (Salzburg) oder Brigantium (Bregenz). Mit dem Einfall der

    Germanen zerbrach das Römische Reich. Bis zum Ende des 8. Jahrhunderts blieb der österreichische Raum Durch-

    zugsgebiet der Wanderungsströme verschiedener Stämme - der Germanen, der Hunnen und Awaren.

    800 nach Christi schuf der Frankenkönig Karl der Große zur Grenzsicherung zwischen den Flüssen Enns,

    Raab und Drau die Karolingische Mark. 976 wurde das Adelsgeschlecht der Babenberger mit der Verwaltung dieses

    Gebiets belehnt, das 1156 zum Herzogtum erhoben wurde. Der Name „Ostarrichi“ findet sich 996 erstmals in einer

    Schenkungsurkunde.

    Als die Babenberger um die Mitte des 13. Jahrhunderts ausstarben, wurden nach einem kurzen Interregnum

    des Böhmenkönigs Ottokar II. die aus der heutigen Schweiz stammenden Habsburger 1282 mit dem Herzogtum Öster-

    reich belehnt. Von diesem Zeitpunkt an ist die Geschichte Österreichs über 600 Jahre bis zum Jahr 1918 mit jener des

    Hauses Habsburg verbunden.27“

    Diese Habsburger also kamen vom Rhein an die Donau und stellten 21 deutsche Könige und römische Kai-

    ser28. Im Westen begann ihr Aufstieg an die Macht, die mit der Herrschaft in Böhmen (erstmals 1438), Ungarn (erst-

    mals 1526), Spanien (erstmals 1516) und in der Lombardei (erstmals 1815) die ganze europäische Vielfalt widerspie-

    gelte. Und im Osten erfüllte sich 1914 mit den Schüssen von Sarajevo das Schicksal der Großdynastie. Im Kreise der

    europäischen Herrscherfamilien haben die Habsburger stets eine Sonderstellung eingenommen – auch wenn kein

    Mitglied der „Casa de Austria29“ heute eine Krone trägt.

    27 www.eu2006.at 28 Fünf Habsburger herrschten als deutsche Könige, zwölf waren Römische Kaiser und deutsche Könige, sieben regierten als Kö-nige Spanien, 17 herrschten über das Königreich Ungarn, 17 als Könige von Böhmen, vier Mitglieder des Hauses Habsburg-Lothringen stellten den Römisch-deutschen Kaiser, vier Habsburger beherrschten als Großherzog die Toskana und ebenfalls vier Mitglieder der Linie Habsburg-Este über Modena; vier weitere regierten als Kaiser von Österreich. 29 Casa de Austria (Domus Austriae, Casa d´Austria, Maison d´Autriche): 1306 erstmals nachgewiesene und seit dem 15. Jahrhundert übliche Bezeichnung des Herrschaftsbereichs und der Gesamtdynastie der Habsburger; wurde auch als Ersatz für einen Gesamttitel gebraucht (so noch 1804 bei der Proklamation des Kaisertums Österreich).

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    Folgt man der zur Mitte des 12. Jahrhunderts gefälschten Gründungsurkunde des Schweizer Klosters Muri,

    der „Acta Murensia“, ist Guntram der Reiche30 der „Stammvater“ aller Habsburger. Er oder sein Sohn Lanzelin (Lan-

    dolt) von Altenburg erwarben im Aargau das heutige Eigenamt und, durch einen damals nicht unüblichen Amtsmiss-

    brauch, auch Grundbesitz in Muri. Die Fehde um den Besitz von Muri zwischen Lanzelins Söhnen Radbot, Graf im

    Klettgau, und Graf Rudolf I. führte 1027 zur Gründung des Klosters Muri – einer Sühne-Stiftung Radbots. In diesem

    Zusammenhang wurde um 1020/1030 von Radbot und seinem Verwandten, dem Bischof Werner von Straßburg31, auf

    dem Wülpersberg im Eigenamt eine Burg errichtet – die Habsburg32. Die Burg am Zusammenfluss von Reuß und Aare

    sowie der nach Rudolfs kinderlosem Tod wiedervereinigte Grundbesitz ging nach Radbots Tod an seine Söhne Otto I.,

    Albrecht I. und Werner I.

    Werners Sohn, Otto II.33, nannte sich als Erster „Graf von Habsburg“ und seit 1108 wird der Beiname „von

    Habsburg“ durchgängig genutzt 34.

    An dieser Stelle weisen wir darauf hin, dass „die“ Habsburger weder zu den Reichsfürsten gehörten, noch mit

    auswärtigen Dynastien verwandt waren oder ein in sich geschlossenes Territorium beherrschten. Sie waren Grafen mit

    örtlichen Hoheitsrechten und mussten einen zähen aber letztlich erfolgreichen Kampf um den Ausbau ihrer Position

    führen, der vielfach durch das Aussterben mächtiger Dynastenfamilien begünstigt wurde.

    Mit Rudolf von Habsburg35 wurde am 1. Oktober 1273 in Frankfurt am Main ein Mitglied dieser gräflichen

    Familie zum römisch-deutschen König gewählt und am 24. Oktober in Aachen gekrönt. Rudolfs Besitz erstreckte sich

    über das obere linke Rheinufer vom Bodensee bis zu den Vogesen und er war bestrebt, diesen Machtbereich in Rich-

    tung Osten zu erweitern. Am 26. August 1278 verlor Rudolfs Konkurrent König Premysl Ottokar II. von Böhmen,

    Herrscher eines mächtigen Reiches zwischen Adria und Ostsee und als Gemahl der Babenbergerin Margarete seit

    1252 Herzog von Österreich, in der Schlacht auf dem niederösterreichischen Marchfeld bei Dürnkrut und Jedenspei-

    gen im Kampf gegen Rudolf und den ungarischen König Ladislaus IV. sein Leben. Fortan waren die Habsburger ös-

    terreichische Landesherren. Rudolf belehnte 1282 seine Söhne, die Herzöge Albrecht I.36 und Rudolf II.37, mit den Be-

    sitzungen Österreich, Steiermark, Krain und Windische Mark in Kärnten und errichtete so eine Herrschaft, welche die

    Familie hier bis 1918 kontinuierlich ausüben konnte.

    Da die Königskrone nicht erblich dem Hause Habsburg gesichert werden konnte, mussten sich die Habsburger

    nach Rudolfs Tod 1291 auf den Ausbau ihrer Hausmacht konzentrieren: 1335 wurde Kärnten, 1363 Tirol, 1368 Frei-

    burg im Breisgau und 1382 Trieste erworben. Gleichzeitig verloren die Habsburger nach dem Tode Rudolfs I. in ihren

    30 Er ist, nach Lesart der Gemeinde Habsburg, möglicherweise mit einem 952 bezeugten Grafen gleichen Namens im Elsass iden-tisch ist. Stimmt dies, so stammen die Habsburger von den fränkischen Herzögen der Etichonen ab. 31 Werner von Straßburg, 1002-1028 32 Die Habsburg in der Schweiz ist der namensgebende Stammsitz der Herrscher-Dynastie, die in der frühen Neuzeit über ein Weltreich herrschte, das neben europäischen Ländern auch Kolonien in Afrika, Asien und Amerika umfasste. Namensgebung: Havichsberch (1108), Havekgesperch (1150); Habisbruch (1213), Habsburc (1238/39). Der Legende Nach der Legende gab Rad-bot der Burg den Namen „Habichtsburg“, als sich ein zur Familie der Habichte gehörender Falke bei einem Jagdausflug auf dem Schlossgemäuer niederließ. 33 Otto II. gest. 08.11.1111 34 Der spätere Kaiser Rudolf residierte aus geographischen Gründen allerdings schon nicht mehr auf der Habsburg und spätestens ab Mitte des 13. Jahrhunderts war die Burg auch für seine Nachkommen als Residenz ungeeignet und sie wurde von Dienstherren als Lehen genutzt. 1804, nach fast 300-jähriger Zugehörigkeit zum Kanton Bern, wurde die Habsburg vom jungen Kanton Aargau erworben und mehrfach restauriert. 35 Rudolf I., römisch-deutscher König, geb. 01.05.1218, gest. 15.07.1291 in Speyer, begraben im Dom zu Speyer. 36 Albrecht I., römisch-deutscher König, geb. 1255, ermordet 01.05.1308 bei Brugg an der Reuß, begraben zunächst im Zisterzi-enserkloster Wettingen und 1309 in den Dom zu Speyer überführt 37 Rudolf II., Herzog, geb. 1270, gest. 10.05.1290 in Prag, begraben in der Prager Burg und 1373 in den Veitsdom überführt.

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    Schweizer Stammlanden den Kampf gegen die Eidgenossenschaft. Mit dem feierlichen Verzicht auf alle Ländereien,

    welche die Eidgenossen zwischenzeitlich erworben hatten, endete 1474 die Kraftprobe der Habsburg gegen den Eid-

    genössischen Bund in der Schweiz.

    1356 fühlte sich Herzog Rudolf IV.38, genannt „der Stifter“, bei der Festlegung des Kurfürstenkollegs über-

    gangen und reklamierte zwei Jahre später mit einem gefälschten Freiheitsbrief, dem „Privilegium majus“, seine Son-

    derstellung als Pfalzerzherzog. 1453 wurde diese angemaßten Würden – allen voran das Tragen des Titels eines „arch-

    idux“ (Erzherzogs) – durch den ein Jahr zuvor in Rom durch den Papst gekrönten römisch-deutschen Kaiser Friedrich

    III. 39 zum Gesetz erklärt.

    Ab 1438 – ausgenommen die Regentschaft des Wittelsbacher Karl VII. 1742 bis 1745 – bis zur Aufhebung

    des Alten Reiches 1803/1806 stellte die Familie der Habsburger nun den Kaiser des Heiligen Römischen Reiches

    deutscher Nation. Eine durch Friedrich III. begründete geschickte Heiratspolitik garantierte den Nachkommen Macht

    über ein riesiges Reich: Philipp II.40 war in der Mitte des 16. Jahrhunderts so zum mächtigsten Herrscher in Europa

    geworden. 1804 folgte dem Alten Reich das österreichische Erbkaisertum, das Franz II. noch vor Niederlegung der

    römischen Kaiserkrone für sein Herrschaftsgebiet proklamierte.

    Die Macht der Familie, nach Aussterben der männlichen Linie 1740 mit Kaiser Karl VI. durch die „Pragmati-

    schen Sanktionen“ als neu gegründetes Haus Habsburg-Lothringen auch in weiblicher Erbfolge gesichert, konnte je-

    doch auf Dauer nicht gehalten werden – es bröckelte ebenso wie die Stellung des Kaiser als Oberhaupt der Familie.

    Niemand zuvor musste den Niedergang des Erzhauses Habsburg so intensiv miterleben wie in seinen 68 Regierungs-

    jahren Kaiser Franz Joseph41, zu dessen Gunsten 1848 sein Onkel Ferdinand „der Gütige“ abgedankt hatte.

    Zunächst noch konnte Franz Joseph I., überzeugt von seiner monarchischen Sendung und dem Gottesgnaden-

    tum seiner Herrschaft, mit Gewalt die revoltierenden Länder zusammenhalten, doch 1859 verlor sein Reich die Lom-

    bardei und die Großherzogtümer Toskana und Modena sowie 1866 Venetien. Mit der Niederlage gegen die Preußen

    1866 bei Königgrätz bröckelte nicht nur das österreichische Selbst- und das kaiserliche Sendungsbewusstsein: durch

    den „Ausgleich“ mit Ungarn 1867 trat an die Stelle des „Kaisertums Österreich“ nun die Doppelmonarchie „Öster-

    reich-Ungarn“ als „k.u.k.“-Staat mit zwei Hauptstädten, einem komplizierten Regierungs- und Finanzsystem und vor

    allem einer Vorrechtstellung für Deutsche und Magyaren gegenüber den anderen Nationalitäten im Vielvölkerstaat.

    Der Imagegewinn, den sich Franz Joseph 1908 durch die Annexion der ehemals türkischen Provinzen Bosnien und

    Herzegowina erhoffte, trat nicht ein und brachte statt dessen eine akute Kriegsgefahr mit sich.

    Dieses „hausgemachte“ Nationalitätenproblem mündete in den Ersten Weltkrieg, den im Juli 1914 der 84-

    jährige Kaiser mit einer Kriegserklärung an Serbien begann. Sein Nachfolger, der österreichische Kaiser Karl I.42, ver-

    zichtete am 11. November 1918 auf jede Beteiligung an der Regierung im verbleibenden „Deutsch-Österreich“ – nicht

    jedoch auf den Thron. Am 23. März 1919 verließ Karl auf Drängen der neuen österreichischen Regierung das Land

    und ging ins Exil – in die Schweiz, wo die Wurzeln der Familie lagen. Eine Rückkehr an die Macht – zumindest in

    Ungarn – scheiterte gleich zweifach und am 6. November 1921 beschloss die ungarische Nationalversammlung, dem

    38 Rudolf IV., geb. 01.11.1339 in Wien, gest. 27.07.1365 in Mailand, begraben in der Fürstengruft von St. Stephan/Wien. 39 Friedrich III., Kaiser (als deutscher König Friedrich IV., als Herzog Friedrich V.), geb. 21.09.1415 in Innsbruck, gest. 19.08.1493 in Linz, begraben im Wiener Stephansdom 40 Philipp II., spanisch Felipe II., geb. 21.05.1527 in Valadolid, gest. 13.09.1598 im Escorial, begraben im Pantheon der Könige im Kloster San Lorenzo im Escorial 41 Franz Joseph, Kaiser von Österreich, geb. 18.08.1830 in Wien, gest. 21.11.1916 in Wien, begraben in der Kapuzinergruft Wien. 42 Karl I., Kaiser von Österreich (als ungarische König Karl IV. und als böhmischer König Karl III.), geb. 17.08.1887 in Persen-beug/NÖ, gest. 01.04.1922 auf Madeira, begraben in Nossa Senhora do Monte auf Madeira.

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    einstigen König Karl V. die Thronrechte zu entziehen. Karl starb 1922 mit 35 Jahren auf Madeira an einer Grippe.

    Zuvor jedoch hatte die Nationalversammlung am 3. April 1919 mit dem „Habsburgergesetzt“ für alle Zeiten der Fami-

    lie das Herrschaftsrecht für verlustig erklärt. Als erster und einziger Kaiser aus dem Haus Habsburg wurde Karl von

    Österreich am 3. Oktober 2004 von Papst Johannes Paul II. selig gesprochen.

    Während Karls Gattin Zita43 zeitlebens den Thronanspruch aufrecht erhielt und erst 1982 als Einundneunzig-

    jährige für einen privaten Besuch nach Österreich zurückkehren durfte, verzichtete der 1912 geborene Kronprinz und

    Thronfolger, Otto44, im Jahre 1961 auf seine Thronrechte. Die letzte Kaiserin von Österreich und Königin von Ungarn

    verstarb 1989 im St. Johannes-Stift45 in Zizers im Schweizer Kanton Graubünden – nahe jenem Ort, an dem rund 970

    Jahre zuvor mit dem Bau der Habichtsburg ihre Familie ihren Namen fand.

    „Mit dem Ende des Kalten Krieges rückte Österreich von seiner Randlage im demokratischen Europa in das

    Zentrum eines größeren Europa mit neuen Formen partnerschaftlicher Koexistenz. Österreich reagierte darauf mit ei-

    ner forcierten Nachbarschaftspolitik und intensiven Bemühungen um einen Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft.

    Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus (1989) intensivierten sich die Beziehungen zu den Ländern

    Ost- und Südosteuropas. Im Jugoslawien-Konflikt zu Beginn der neunziger Jahre drängte Österreich mit Deutschland

    1991 auf eine rasche Anerkennung von Slowenien und Kroatien. Enge wirtschaftliche und politische Beziehungen

    wurden zu den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien ebenso wie zu den Staaten Mittel- und Osteuropas auf-

    gebaut.

    Vor diesem Hintergrund vollzog Österreich 1995 eine bedeutende Weichenstellung: Seit 1. Jänner ist Öster-

    reich Mitglied der Europäischen Union (EU) sowie Beobachter bei der Westeuropäischen Union (WEU).46“

    43 Zita, Kaiserin von Österreich und Königin von Ungarn, geb. 09.05.1892 in Pianore, Lucca/Italien, gest. 1989 in Zizers/Schweiz, begraben in der Kapuzinergruft Wien 44 Otto, geb. 20.11.1912 in Reichenau/NÖ 45 Zita bewohnte seit 1962 einige Räume im St.-Johannes-Stift, einem kirchlich geführten Altenheim. Über ihrem Sterbebett hing jenes Kreuz, unter dem Kaiser Karl gestorben war; es befindet sich heute in Privatbesitz in Deutschland. 46 www.eu2006.at

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    Kapitel 1

    „Unheimlich ist die Stille“

    2

    Kaiserin Elisabeth und Kaiser Franz Joseph I.

    „Ihr lieben Völker im weiten Reich,

    So ganz in geheimen bewundre ich euch:

    Da nährt ihr mit eurem Schweisse und Blut

    Gutmütig diese verkommene Brut!“

    Kaiserin Elisabeth

    Gedicht, Januar 1887

    „Moral“, in „Eine wahre Geschichte“

    „Um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts war die Monarchie schweren Erschütterungen ausgesetzt gewe-

    sen. Es begann mit der Revolution 1848, der 1849 der Kampf mit Ungarn folgte. Die Nationen des Vielvölkerstaates

    waren erwacht. Diplomatische und militärische Misserfolge erschütterten das Reich in den folgenden Jahren: Im

    Krimkrieg 1853-1856 machte sich Österreich Russland zum Feind, 1859 ging die Lombardei verloren, 1866 Venetien,

    und nach der Niederlage von Königgrätz im Kampf gegen Preußen büßte Österreich im gleichen Jahr die Vorherr-

    schaft im Deutschen Bund ein. Für die Verdrängung aus Italien und Deutschland suchte Österreich in der Folge Kom-

    pensation auf dem Balkan.47“ Mit- und vielleicht sogar hauptverantwortlich für diese Politik der Niederlagen war Kai-

    ser Franz Joseph I.48, der nach dem ungarischen Ausgleich von 186749 auch Apostolischer König des magyarischen

    Reiches geworden war. An dieser politischen Entscheidung, welche die Monarchie in eine österreichische und eine

    47 Judtmann, Fritz: „Mayerling ohne Mythos“, Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 1968 48 Franz Joseph I., geboren am 18.08.1830 in Wien-Schönbrunn, gestorben am 21.11.1916 in Wien-Schönbrunn, ältester Sohn von Erzherzog Franz Karl und Prinzessin Sophie von Bayern; ab 02.12.1848 Kaiser von Österreich. Nahm bei der Thronbesteigung den Doppelnamen Franz Joseph I. an (ursprünglicher Name Franz). In jungen Jahren stand er stark unter dem Einfluss seiner Mut-ter und anderer Ratgeber, hatte großes Pflicht-, aber auch Sendungsbewusstsein. Am 24.04.1854 heiratete er Prinzessin Elisabeth in Bayern. Der äußerst schwierigen Ehe entstammten 4 Kinder. Unter dem Einfluss seiner Frau stimmte er 1867 dem österrei-chisch-ungarischen Ausgleich mit Ungarn zu. Er begann als absoluter Monarch, respektierte später aber alle Verpflichtungen aus der Verfassung und regierte als konstitutioneller Herrscher. Durch viele politische Fehlentscheidungen vorsichtig geworden und durch persönliche Schicksalsschläge (Erschießung seines Bruders Maximilian in Mexiko 1867, Tod seines Sohnes Rudolf 1889, Ermordung seiner Gattin 1898) schwer geprüft, konzentrierte er sich auf seine Aufgaben und zog sich zurück. Er wurde zum Symbol der österreichisch-ungarischen Monarchie schlechthin. Nach dem Scheitern seiner Ehe ging er eine enge Beziehung mit der Schauspielerin Katharina Schratt ein. In den letzten 20 Jahren seines Lebens war er die politische Integrationsfigur des Viel-völkerstaates und wurde von vielen Zeitgenossen als einzige Stütze seines Zusammenhalts gesehen. Im Alter starrsinnig gewor-den, widersetzte er sich allen Reformen, unterschrieb aber 1914 doch das Ultimatum und die Kriegserklärung an Serbien. Er fühl-te sich in erster Linie als Beamter und Soldat, war frommer Katholik, aber tolerant. Trotz der kulturellen Höhepunkte, die in seine Epoche fallen, war er wenig kunstinteressiert. 49 Die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn bildete ab 1867 einen Staatenbund unter der Führung eines Monarchen. Die gemein-samen Angelegenheiten besorgten 3 Reichsministerien (Außen-, Kriegs- und Finanzministerium), aus jedem Parlament wurden 60 Mitglieder für die gemeinsamen Angelegenheiten und die Aufteilung der Beiträge (Quoten) gewählt. Jede Reichshälfte hatte eine Verfassung, ein aus 2 Kammern bestehendes Parlament, eine Regierung sowie eine eigene Verwaltungsstruktur. Die westliche Reichshälfte (Zisleithanien, offizielle Bezeichnung: "die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder") hatte bis 1879 libe-

  • Das unredigierte Mayerling-Manuskript von Lars Friedrich – Forschungsergebnisse von 1989 bis 2009

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    ungarische Reichshälfte teilte, war Elisabeth50, die Gattin der Erbkaisers, viertes Kind des Herzogs Maximilian in

    Bayern und der bayerischen Königstochter Maria Ludowika, maßgeblich beteiligt. Am 24. April 1854 war die Ehe

    zwischen dem „Ersten Beamtens eines Staates“ und seiner Cousine vor dem Hintergrund der revolutionären Krise ge-

    feiert worden, um dem Haus und der Dynastie Habsburg mit der schnellen Geburt eines Thronfolgers „eine Zukunfts-

    perspektive zu geben51“.

    Die Ehe zeichnete sich anfänglich durch große Leidenschaft aus, und vier Kinder erblickten das Licht der

    Welt: 1855 Sophie (gestorben 1857), 1856 Gisela, 1858 Rudolf und 1868 Marie Valerie. Doch schon bald verlor die

    Ehe der Wittelsbacherin Prinzessin mit dem Habsburger Kaiser ihr Traumhaftes und Elisabeth ging auf Distanz zu

    Franz Joseph und dem Wiener Hof. Sie suchte ihre Selbstverwirklichung als Person – nicht als Kaiserin – im Reitsport

    und der Dichtkunst und nahm ihre Pflichten als Kaiserin kaum zur Kenntnis. Nach Konflikten mit ihrer Schwieger-

    mutter um Repräsentations- und Erziehungsfragen hielt sie sich fern vom Wiener Hof und lebte meist in ihrem ungari-

    schen Schloss in Gödöllö52, einem Geschenk des magyarischen Volkes an seine Königin. Nach Rudolfs Tod entfernte

    sich die wandelnde „Schmerzensmutter“ noch weiter von Pflicht und Familie, erkrankte an Depressionen und litt unter

    Selbstmordfantasien. Der Dolchstoß, mit dem der Italiener Luigi Lucheni53 1898 in Genf ihrem Leben ein Ende berei-

    tete, dürfte für die lebensüberdrüssige Kaiserin und Königin eine Erlösung gewesen sein.

    Auch die „engelsgleiche“ Kaiserin und Königin vermochte nicht die düsteren Wolken zu verjagen, die der Po-

    litik der Franzisko-josephinischen Ära54 erwuchsen, denn mit ihrem Einsatz für den ungarischen Ausgleich55 erschöpf-

    rale Regierungen, die die Aufhebung des Konkordats von 1855, das Reichsvolksschulgesetz von 1869, eine neue Strafprozessord-nung 1872 und die Einrichtung des Verwaltungsgerichtshofs 1875 durchsetzen 50 Elisabeth Amalie Eugenie, geboren am 24.12.1837 in München (Deutschland), gestorben am 10.09.1898 in Genf (Schweiz; er-mordet), Kaiserin von Österreich und Königin von Ungarn, Tochter von Herzog Max in Bayern; ab 1854 Gattin von Kaiser Franz Joseph I. Am Wiener Hof nie ganz glücklich, hatte sie große Sympathien für das ungarische Volk und setzte sich 1866/67 ver-stärkt für den Ausgleich mit Ungarn ein. Nach dem Selbstmord ihres Sohnes Kronprinz Rudolf 1889 dehnte sie ihre schon früher gepflegte Reisetätigkeit noch weiter aus. 51 Heimann, Heinz-Dieter, „Die Habsburger – Dynastie und Kaiserreiche“, C. H. Beck-Verlag, München, 2. Auflage 2004 52 Gödöllö liegt 30 Kilometer nord-östlich von Budapest, seit 1966 Stadt. Königliches Schloss: errichtet nach 1733 nach Plänen und unter Leitung von Andreas Mayerhofer (geb. 1690 in Salzburg, gest. 1771) durch Antal I. Graf Grassalkovich (geb. 1694, gest. 1771); kam nach Aussterben der Linie Grassalkovich 1850 in den Besitz des Bankiers Sina, der es 1864 an eine belgische Bank veräußerte. 1867 erwarb die ungarische Regierung das Schloss zurück und stellet es nach Parlamentsbeschluss dem jeweili-gen König zur Verfügung; 1919 war Gödöllö Hauptquartier der Ungarischen Räte-Republik. Von 1920 bis 1944 Sommerresidenz des Reichsverwesers; 1944 verwüsteten deutsche Truppen das Schloss, in das später ein russisches Feldlazarett einzog. Ab 1950 waren sowjetische und ungarische Soldaten in den Gebäuden stationiert, später wurden dort ein Altenheim und Notwohnungen eingerichtet; 1981 Verabschiedung des Schlossprogramms des Landesaufsichtsamtes für Denkmalschutz, 1986 bis 1991 erste Sa-nierung; 1990 Auszug der letzten Soldaten der Sowjetarmee aus dem Südflügel und Schließung des Altenheimes; 1994 Räumung der Notwohnungen und Beginn umfangreicher Renovierungsarbeiten unter Leitung des Ingenieurbüros Mahill; 17.08.1996 Eröff-nung des Hauptflügels mit den 23 Räumen des neuen Schlossmuseums; 1998 Eröffnung der Königin Elisabeth Gedächtnisausstel-lung und Start der Rekonstruktion des Barockgartens; 53 Lucheni, Luigi, (geb. am 22.04.1873 in Parigi/Italien, gest. am 19.10.1910 in Genfer Haft - Selbstmord) 54 Aufgrund der langen Regierungsdauer von Franz Joseph und der großen Veränderungen ist diese Ära sie in sechs Abschnitte zu gliedern: der Neoabsolutismus von 1848 bis 1860 (Niederwerfung Ungarns und der Lombardei, die Aufrechterhaltung der Füh-rung im Deutschen Bund sowie die Ausschaltung des 1848 gewählten Parlaments), die Übergangsperiode von 1860 bis 1867 (er-folgloses Bemühungen, eine konstitutionelle Monarchie mit Einbeziehung Ungarns zu installieren), die liberale Epoche von 1867 bis 1879 (stürmische Wirtschaftsentwicklung mit Eisenbahnbau und Gründerzeit, die 1873 von einer Rezession abgelöst wurde. Im Zeichen des Liberalismus wandelte sich Österreich zum modernen Staat mit industrieller bürgerlicher Gesellschaft), die „Peri-ode des Fortwurstelns" bzw. des politischen Aufbruchs des Volkes von 1879 bis 1893 (Ära Taaffe mit der Rückkehr der Tsche-chen in den Reichsrat, die Entstehung deutschnationaler Strömungen, die Ausdehnung der politischen Mitsprache und die politi-sche Organisation niedrigerer Volksschichten wie Arbeiter, Bauern, Kleinbürger), die Zeit der heftigen Nationalitätenkämpfe und der Demokratisierung von 1893 bis 1914 (Ab 1893 erfolgte der Übergang zur Massendemokratie (Eintritt der Volksmassen in die Politik) mit starken nationalen und sozialen Gegensätzen. Stationen dieser Entwicklung waren die Wahlrechtsreformen 1897 und 1907, durch die die Sozialdemokraten zu einem staatspolitischen Faktor wurden und auch eine föderalistische Umgestaltung des Staates angestrebt werden sollte) sowie der 1. Weltkrieg und das Ende der Monarchie. 55 Mit dem am 15.03.1867 abgeschlossenen Vertrag über das staatsrechtliche Verhältnis zwischen Österreich und Ungarn wurde das bisherige Kaisertum Österreich in die so genannte Doppelmonarchie Österreich-Ungarn umgewandelt.

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    te sich das politische Engagement der Kaiserin56, die in den 60-er Jahren als die „schönste Monarchin der Welt“ galt.

    „1878 besetzten österreichisch-ungarische Truppen Bosnien und die Herzegowina. 1879 wurde Eduard Graf Taaffe

    zum Ministerpräsident ernannt und mit Bildung einer Koalitionsregierung betraut, der er 14 Jahre lang führte. Mit ihm

    wurde die deutschliberale Ära durch eine eher slawenfreundliche Politik abgelöst. 1879 schloss Österreich-Ungarn mit

    Deutschland den Zweierbund, der 1882 durch Beitritt Italiens zum Dreierbund erweitert wurde.57“

    Schon allein durch die Dauer seiner Regentschaft – der 1830 geborene Franz Joseph saß 68 Jahre auf dem ös-

    terreichischen Thron – bescherte der Kaiser, aus heutiger Sicht DAS Symbol der Donaumonarchie, seinem Reich dy-

    nastische und politische Krisen. Auch familiär bröckelte das Haus Habsburg: Franz Joseph musste nicht nur das Aus-

    scheiden der Erzherzöge Ferdinand Karl58, Johann Salvator59 und Leopold Ferdinand Salvator60 aus dem Familienver-

    bund akzeptieren, sondern auch das Scheitern der eigenen Ehe anerkennen: als sich Elisabeth dem Regenten entfernte,

    näherte er sich anderen Frauen – wie Anna Nahowski und ab 1883 mit Billigung Elisabeths der Burgschauspielerin

    Katharina Schratt61, die – einzelnen Quellen folgend – nach Elisabeths Tod in einer Geheimehe die zweite Ehefrau

    des Kaisers wurde.

    56 Der volle Umfang von Elisabeths politischem Engagement kann man vermuten, wenn man ihren wichtigsten bisher bekannten politischen Brief vom 14. Juli 1866 an den ungarischen Hofkanzler Georg v. Mailáth in Wien liest: „Lieber Herr von Mailáth ...Vor allem eine Bitte, seien Sie mein Stellvertreter beim Kaiser, übernehmen Sie mein Amt, dem Kaiser die Augen zu öffnen über die Gefahr in die er sich unwiederbringlich stürzt, wenn Er noch immer keine Concessionen an Ungarn machen will, seien Sie unser Retter, darum beschwöre ich Sie jetzt im Namen unseres armen Vaterlandes und meines Sohnes - und zähle dabei auch auf die Freundschaft, die Sie, wie ich mir vielleicht einbilde, doch ein wenig für mich fühlen. Das Zugeständnis, zu dem ich den Kaiser zu bewegen trachtete, das er mir aber leider noch nicht machte, ist, die jetzigen Regierungs-Männer zu entlassen und als Minister des Äußeren Gf. Gyula Andrássy zu ernennen. Dies wäre eine Concession an Ungarn ohne sich durch Nachgeben jetzt zu compomittieren. Seine Popularität im Lande würde beruhigend und vertrauenserweckend wirken und das Königreich ruhig halten, bis endlich die Verhältnisse erlauben, dass die inneren Zustände geregelt werden. Was seine Tätigkeit für das Äußere betrifft, wird wohl ein Mann, der so lang im Ausland war, so viel durchgemacht hat, glücklichere Erfolge erzielen, als bisher Andere mit all ih-rer Ehrlichkeit und guten Willen erlangten. Ist der Kaiser zu diesem durchaus nicht zu bewegen, so sollte Er wenigstens Andrássy zum Minister Ungarns machen. Für jetzt ist ja das größte Bedürfnis, dass das Land beruhigt und durch einen Mann, der ihm die Bürgschaft einer besseren Zukunft gibt, dahin gebracht wird, dass es alle Kräfte, über die es nur zu gebieten vermag, dem Kaiser stellt. Wenn solche Freiwilligen Corps auch keine Armee wie die preußische schlagen können, so halten sie sie doch wenigstens für kurze Zeit auf, und sind so viele unruhige Elemente aus dem Land gezogen, dass dieses, sei nun das Ende des Krieges glück-lich oder unglücklich, so geschwächt sein wird, dass der Landtag gewiss ruhiger und anstandsloser zu Ende geführt werden kann, als es selbst vor dem Krieg der Fall gewesen wäre. Das sind Zugeständnisse, zu denen in zwei kurzen Tagen den Kaiser vergeb-lich zu überreden trachtete. In Ihre Hände lege ich nun Alles, Ihr Verstand, Ihre Überredungskraft werden mehr nützen als meine Bitten und Thränen. Wären nur Sie allein immer gewesen, wie anders stünde jetzt Alles, aber da wir nun einmal so weit sind, so gehen Sie wenigstens nicht ohne den Einfluss des Grafen Esterházy gebrochen zu haben, ohne das Resultat erzielt zu haben, dass er vom Kaiser entfernt ist, dessen wohlgemeinter aber verderblicher Rath so viel Unglück über uns bringt. Ohne Rücksicht habe ich mich an Sie gewendet, mein Vertrauen kann ich nur ganz oder gar nicht geben. Bringen Sie das zu Wege, was mir nicht ge-lang, dann werden Millionen Sie segnen, mein Sohn aber täglich für Sie bethen, wie für seinen größten Wohltäter. ...“; dieser 7 ½-seitige Brief der Kaiserin war bisher nicht bekannt und wurde am 21. Dezember 2005 im Wiener Palais Dorotheum versteigert. 57 Judtmann, Fritz: „Mayerling ohne Mythos“, Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 1968 58 Erzherzog Ferdinand Karl, geb. 27.12.1868 in Wien, gestorben 12.03.1915 München (Deutschland), Bruder des Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand und Neffe von Kaiser Franz Joseph I. Sein Interesse galt vor allem dem Theater, doch war er bis 1904 Offizier. Wegen eines Verhältnisses mit Berta Czuber, die er 1909 heimlich heiratete, veranlasste Kaiser Franz Joseph 1904 sein Ausscheiden aus dem Heeresdienst und 1911 seinen Austritt aus dem Haus Habsburg. Nach dem Reisepseudonym seines Vaters nannte er sich seither Ferdinand Burg und lebte auf ererbten Gütern in Südtirol. 59 Erzherzog Johann Salvator, geb. 25.11.1852 in Florenz (Italien), 1891 verschollen und 1911 für tot erklärt, jüngster Sohn von Großherzog Leopold II. von Toskana. Verzichtete 1889 freiwillig auf seinen Titel und nannte sich seither Johann Orth, heiratete 1889 in England die Balletttänzerin der Wiener Hofoper Milli Stubel. Unternahm 1890 mit einem Segelschiff eine Weltreise und kam wahrscheinlich vor der südamerikanischen Küste um. 60 Erzherzog Leopold Ferdinand Salvator, geb. 02.12.1868 in Salzburg, gest. 04.07.1935 Berlin (Deutschland), ältester Sohn von Großherzog Ferdinand IV. von Toskana. Verzichtete 1902 auf Titel und Rechte eines Erzherzogs und nannte sich seither Leopold Wölfling. 61 Schratt, Katharina, geb. 11.09.1853 in Baden (Niederösterreich), gest 17.04.1940 in Wien, Schauspielerin; ab 1873 am Wiener Stadttheater, 1883-1900 am Burgtheater, ab 1887 Hofschauspielerin, ab 1893 lebenslängliches Mitglied des Burgtheaters.

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    Während Wirtschaft und Kultur in dieser Zeit eine Blüte erlebten und Industrie und Technik, Wissenschaft

    und Kunst aufblühten, trug die schrittweise Liberalisierung und Demokratisierung erste Früchte. Die allgemeine Lage

    schien hoffnungsvoll... Dennoch: Franz Joseph wollte kein Risiko eingehen – als hätte er Angst, sein Reich würde

    beim nächsten Schicksalsschlag zusammenbrechen.

    Da es sowohl zu Kaiserin und Königin Elisabeth, als auch zu Kaiser und König Franz Joseph I. und seine Ära

    ausgezeichnete Literatur gibt – und beide Personen nicht Gegenstand unserer Forschung waren – werden wir an dieser

    Stelle nicht näher auf diese beiden sicher sehr interessanten historischen Persönlichkeiten eingehen und verweisen

    vielmehr auf in diesem Bereich berufenere Quellen.

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    Kapitel 1

    „Unheimlich ist die Stille“

    3.

    A: Rudolf von Österreich

    „Er ist noch ein sprudelndes Gemüt und

    hat das Herz leicht auf der Zunge“

    Friedrich Baron Beck-Rzikowski,

    Generalstabschef

    über den Kronprinzen

    Gödöllö o.D.

    „Am 30. Jänner 1889 wurde der einzige Sohn Kaiser Franz Josephs und Kronprinz von Österreich-Ungarn,

    Erzherzog Rudolf, in seinem Jagdschloss in Mayerling unter mysteriösen Umständen neben der Leiche der 18-

    jährigen Baroness Mary Vetsera62 tot aufgefunden.63“ Er wurde „am 21. August 1858 [um 22.15 Uhr] als drittes Kind

    des Kaisers Franz Joseph und der Kaiserin Elisabeth im Schloß Laxenburg bei Wien geboren. Dem zarten, nervösen

    Kind wurde eine äußerst sorgfältige Erziehung zuteil, die ihm aber ein Übermaß an Arbeit und Anstrengung aufbürde-

    te. Ausgewählte Lehrer erteilten ihm Unterricht in den verschiedensten Fächern; seine Tage waren so ausgefüllt, dass

    er kaum Zeit fand, seine Eltern zu sehen. Selbst das Familienleben war im Lehrplan eingebaut. So hieß es in den Stun-

    denplänen: 10-11 Uhr: zu den Majestäten.64“

    Nachdem die streng militärische Erziehung65 des kränklichen und zugleich hochsensiblen Kronprinzen im Jah-

    re 1865 nach ultimativer Forderung seiner Mutter abgebrochen wurde, erzogen liberale und bürgerliche Lehrer wie Jo-

    sef Zhisman66, Hyazinth von Rónay67, Anton Gindely68, Hermenegild Jirecek Ritter von Samokov69, Dionysius Grün70,

    62 An dieser Stelle irrt Judtmann. Mary Vetsera wurde am 19.03.1871 geboren und war somit zum Zeitpunkt ihres Todes 17 Jahre alt. 63 Judtmann, Fritz: Mayerling ohne Mythos, Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 1968 64 Judtmann, Fritz: Mayerling ohne Mythos, Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 1968 65 u.a. durch Wagner, Carl, Oberstleutnant: Terrainlehre, Waffenlehre, Heeresorganisation; von Grünewald, Oberstleutnant: Reg-lement der Fußtruppen und Exerzieren; von Rößler, Oberstleutnant: Feldbefestigung, permanente Befestigung, Festungskrieg; Kraus, Anton, Major: Exerzieren im Bataillon; Kerchnawe, Hugo, Hauptmann: Pionierdienst; Rheinländer, Oberst: Taktik und Strategie; Ritter von Eschenbach, Hauptmann: Reglement für Artillerie und Exerzieren mit der Batterie; Flügeladjutant Freiherr von Gemmingen, Major: Kavallerie-Reglement. 66 Zhisman, Josef; Slowene, stammt aus ärmlichen Verhältnissen, Professor am Theresianum, ab 1871 Ordinarius für Kirchenrecht an der Uni Wien; unterrichtet den Kronprinzen in Geschichte und Latein. Veröffentlichungen: „Die Unionsverhandlungen zwi-schen der orientalischen und römischen Kirche seit dem Anfang des 15. Jahrhunderts bis zum Kodizill von Ferrara“, Wien 1858. 67 Rónay, Hyazinth von; Benediktinermönch, Titularbischof, Freimaurer; unterrichtet den Kronprinzen in ungarischer Geschichte. 68 Gindely, Anton, Historiker, Landeshistograph, geb. 1829, gest. 1892; unterrichtet den Kronprinzen auf Forderung der Tsche-chen ab 1873 in böhmischer Geschichte, Werke: „Über die dogmatischen Ansichten der böhmisch-mährischen Brüder, nebst eini-gen Notizen zur Geschichte ihrer Entstehung“, Wien 1854, „Lehrbuch der allgemeinen Geschichte für die unteren Klassen der Mittelschulen“, Prag 1877, „Geschichte des dreißigjährigen Krieges in drei Abteilungen“, Prag 1882, „Lehrbuch der Geschichte

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    Matthias Wretschko71, Professor Dr. Josef Krist72, Ferdinand Hochstetter73, Adolf Exner74 und Karl Menger von Wol-

    fensgrün75 den Erzherzog. Ob auch der deutsche Siegfried Marcus zu diesen Lehrern des jungen Kronprinzen gezählt

    werden kann, ist nicht eindeutig belegt76. Diese in seiner Jugend vermittelten liberalen Ansichten, denen er zeitlebens

    treu blieb, brachte Rudolf immer wieder in schwere Konflikte mit dem konservativen, vom Spanischen Zeremoniell

    geprägten Wiener Hof, der dem „ständige Drang nach Veränderung des Bestehenden, nach Fortschritt in allen Berei-

    chen des menschlichen Lebens77“ fern stand.

    „Im Alter von 15 Jahren widmete [Rudolf] seinem Erzieher Latour ein Heft mit dem Titel „Einzelne Gedan-

    ken“, in dem sich erstaunliche Idee finden, die bezeugen, da0ß der Frühreife durch die auf ihn einstürmenden Proble-

    me in einem gefährlichen Seelischen Aufruhr geraten war.78“ Als Beleg für die These der inneren Zerrüttung zitiert

    Judtmann den Erzherzog mit folgenden Worten: „Durch meinen Kopf streichen Gedanken aller Art, es sieht wüst

    für Bürgerschulen. Ausgabe für Knabenschulen“, Prag 1886, „Waldstein während seines ersten Geralats im Lichte der gleichzeiti-gen Quellen 1625 – 1630“, 1886 69 Samokov, Hermenegild Jirecek Ritter von; geb. 1827, gest. 1909; unterrichtet den Kronprinzen in tschechischer Sprache. Veröf-fentlichungen: „Entstehen christlicher Reiche im Gebiete des heutigen österreichischen Kaiserstaates vom J. 500 bis 1000“, Wien 1865, „Über Eigenthumsverletzungen und deren Rechtsfolgen nach dem altböhmischen Rechte. Ein Beitrag zur Geschichte des Rechtes in Österreich“, Wien 1855, „Geographische Dichter – Bilder“, Wien 1881, „Unser Reich zur Zeit der Geburt Christi. Zweite Studie zum Historischen Atlas der Österreichisch-ungarischen Monarchie“, Wien 1896 70 Grün, Dionysius, geb. 1872, gest. 1875; in Mähren als Sohn jüdischer Eltern geboren, später Übertritt zum Katholizismus, Pro-fessor der Deutschen Universität Prag; unterrichtet den Kronprinzen in Geographie. 71 Wretschko, Matthias, geboren in der Steiermark; unterrichtet den Kronprinzen in Botanik. Werke: „Vorschule der Botanik für den Gebrauch an höheren Klassen d. Mittelschulen u. verwandter Lehranstalten“, Wien 1917. 72 Krist, Professor Dr. Josef, geb. 05.04.1830 in Altendorf/Stará Ves (Mähren), gest. 13.12.1899 in Graz; Realschullehrer; Wien, Schulreformer, Kustos am Physikalisch-astronomischen Hofkabinett, Landesschulinspektor für Niederösterreich und Oberöster-reich, unterrichtete den Kronprinzen in Naturgeschichte und führte seine sexuelle Aufklärung von 1866 bis 1876 durch; Werke: „Über Telegraphie, speciel über den Typendruck-Telegraphen von Hughes. Ein populärer Vortrag“, Wien 1869; Teilnachlass in der Handschriftensammlung, ca. 35 Inventarnummern: Erinnerungen an Kronprinz Rudolf von Österreich. - Briefe an und Brief-entwürfe von Krist (Verzeichnung: Zettelkatalog, Ankauf 1891). 73 Hochstetter, Ferdinand, geb. 05.02. 18461 in Schlesien, gest. 1954, beigesetzt am 20.11.1954 auf dem Grinzinger Friedhof in Wien (Gruppe MR/11); Universitätsprofessor, Hofrat, Geologe und Geophysiker, Präparator; studiert an der Wiener Universität und habilitierte sich als Privatdozent für Anatomie. 1896 bis 1908 wirkte er als 1. Dekan des Instituts für Anatomie der Universität Innsbruck, von wo er nach Wien berufen wurde. Im Studienjahr 1910/11 Dekan der medizinischen Fakultät, 1932 Emeritierung. Hochstetter, Mitglied der Österreichischen und Bayrischen Akademie der Wissenschaften, der Deutschen Akademie der Naturfor-scher in Halle und der Königlichen physiologischen Gesellschaft in Lund, verfasste Werke wie „Zur Entwicklungsgeschichte des Gehirns", „Über vergleichende Anatomie", „Entwicklungsgeschichte des Blutgefäßsystems" und zahlreiche Abhandlungen in Fachzeitschriften. Doktorvater u.a. von Konrad Lorenz. Vermittelt dem Kronprinzen den Kontakt zu Alfred Brehm und unterrich-tet ihn ab 1872 in Geologie 74 Exner Adolf, geb. am 05.02.1841 in Prag (Tschechische Republik), gest. am 10.09.1894 in Kufstein (Tirol), beigesetzt am 13.09.1894 auf dem Dornbacher Friedhof in Wien (Gruppe 9/23 A); Jurist, Universitätsprofessor in Zürich, ab 1872 in Wien; Mit-glied des Herrenhauses und des Reichsgerichts; unterrichtet den Kronprinzen in Staatsrecht 1875/76. Werke: „Die Lehre vom Rechtserwerb durch Tradition nach österreichischem und gemeinem Recht“, 1867, „Das österreichische Hypothekenrecht, 2 Bän-de, 1876/81“, „ Über politische Bildung“ (Rektoratsrede), 1891 75 Menger von Wolfensgrün, Karl, geb. am 23.02.1840 in Neusandez (Nowy Sacz, Polen), gest. am 26.02.1921 in Wien, Natio-nalökonom; Bruder von Anton Menger von Wolfensgrün und Max Menger von Wolfensgrün, Vater von Karl Menger. Studierte Jus in Prag, Wien und Krakau; ab 1867 mehrere Jahre im Pressebüro des Ministerratspräsidiums in Wien tätig, ab 1876 Lehrer des Kronprinzen Rudolf. Ab 1873 Universitätsprofessor für Politische Ökonomie in Wien. Erwarb als Mitwirkender in der Währungs-enquete-Kommission 1892 zur Einführung der Goldwährung in Österreich-Ungarn besondere Verdienste. Ab 1900 Herrenhaus-mitglied auf Lebenszeit. Gilt als Schöpfer der Grenznutzentheorie und als Vater der Österreichischen Schule der Nationalökono-mie. Werke: „Grundsätze der Volkswirtschaftslehre“ 1871, „Der Übergang zur Goldwährung“ 1883. 76 Marcus, Siegfried Samuel, geb. 18.09.1831 in Malchin (Deutschland), gest. 30.06.1898 in Wien, Mechaniker und Erfinder. Eh-rengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof (dort „Siegfried Markus“) . Ab 1852 in Wien; betrieb ab 1860 eine Mechanikerwerkstätte und baute gleichzeitig mit N. Otto Verbrennungsmotoren und Automobile. Am 21.06.1864 erwarb er ein Privileg auf eine mag-netelektrische Zündung, am 30.03.1865 auf einen Vergaser. Er montierte den ersten Benzinzweitaktmotor auf einem hölzernen Handwagen, der 1864 kurze Strecken fuhr. Ob sein zweiter Wagen 1872/75 oder 1888 fahrbereit war, ist unklar. Marcus erwarb mehr als 38 Patente für Verbrennungskraftmaschinen, Telegrafie, Gastechnik und Elektrotechnik. Die ihm vom österreichischen Kronprinzen Rudolf geschenkten Manschettenknöpfe und die Installation einer elektrischen Klingel im Schlafzimmer der Hofburg für Kaiserin Elisabeth belegen seine Verbindung zu Kaiserhaus. 77 Judtmann, Fritz: Mayerling ohne Mythos, Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 1968

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    drinnen aus, und es kocht und arbeitet den ganzen Tag in meinem Gehirn; ist einer draußen, kommt der andere hinein,

    jeder beschäftigt mich, jeder sagt mir anderes, einmal fröhlich und heiter, einmal rabenschwarz, erfüllt von Wut.“ Aus

    heutiger Sicht dürfte dieses Zitat weit weniger den „seelischen Aufruhr“ des „Frühreifen“ wieder spiegeln als vermu-

    tet; wir meinen, dass es sich um verständliche Gedanken eines jungen Menschen am Ende der Pubertät handelt, denen

    nicht zu viel Wertung beigemessen werden sollte.

    Ganz den Ideen des Liberalismus hingegeben versuchte Rudolf, die Politik seines kaiserlichen Vaters vom

    Reaktionismus fortzuführen. Der Erzherzog verfasste zahlreiche Denkschriften zur Lage der Monarchie, die Nationali-

    tätenprobleme und seine politische Zukunft, die jedoch von Franz Josef kaum beachtet oder ihm erst gar nicht bekannt

    wurden.

    78 Judtmann, Fritz: Mayerling ohne Mythos, Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 1968

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    Kapitel 1

    „Unheimlich ist die Stille“

    3.

    B: Stephanie von Belgien

    „Durfte ich mich mit einem Manne

    auf ewig verbinden, den ich

    noch gar nicht kannte?“

    Stefanie Gräfin Lónyay

    Lebenserinnerungen 1935

    Stephanie Clothilde Louise Hermine Marie Charlotte wurde am 21. Mai 1864 als zweitälteste Tochter79 König

    Leopold II. von Belgien80 und dessen zweiter Gattin, Erzherzogin Maria Henriette81, auf Schloss Laeken bei Brüssel

    geboren82. Die Tochter König Leopolds II. von Belgien war durch ihre Mutter, einer Tochter des Erzherzogs Josef,

    selbst eine halbe Habsburgerin. Stephanie verbrachte eine „freudlose Jugend“: in Erinnerung blieb die christliche Er-

    ziehung durch ihre bewunderte und verehrte Mutter, einer wohltätigen Frau der würdigen Ergebung und des Leids,

    und durch den Vater, der den „Weg der Gleichgültigkeit, der Ungerechtigkeit, der Untreue“ einschlug.

    1878 besuchte Erzherzogin Elisabeth Franziska Maria83 ihre Schwester, die belgische Königin Marie-

    Henriette, anlässlich ihrer Silbernen Hochzeit in Brüssel. Zu diesem Zeitpunkt, glaubt Stephanie, sei die Hochzeit zwi-

    schen ihr und dem Thronfolger von Österreich erstmals besprochen worden. Zumindest machte Kaiserin Elisabeth im

    Winter 1878/79 auf ihrer Reise nach England und Irland in Laeken Station. „Nur wenige Eingeweihte wussten, dass

    … der Erzieher des jungen Kronprinzen, General von Latour, den kaiserlichen Eltern geraten hatte, ihren Sohn mög-

    79 Geschwister: Louise-Marie Amélie, Prinzessin von Belgien, Herzogin von Sachsen, Prinzessin von Sachsen-Coburg-Gotha, geb. 18.02.1858 in Brüssel, gest. 01.03.1924 in Wiesbaden, verheiratet mit Prinz Philipp von Sachsen-Coburg und Gotha; Leopold Ferdinand Elie Victor Albert Marie, Prinz von Belgien, Herzog von Sachsen, Prinz von sachsen-Coburg-Gotha, Graf von Henne-gau (1859-1865), Herzog von Brabant (1865-1869), geb. 12.06.1859 auf Schloss Laeken/Brüssel, gest. 22.01.1869 auf Schloss Laeken/Brüssel an den Folgen des Sturzes in einen Teich (Lungenentzündung); Clémentine Albertine Marie Léopoldine, Prinzes-sin von Belgien, Herzogin von Sachsen, Prinzessin von Sachsen-Coburg-Gotha, geb. 30.07.1872 auf Schloss Laeken/Brüssel, gest. 08.03.1955 in Nizza, Frankreich, heiratete das Oberhaupt der Bonapartes, Prinz Victor Napoléon Jérôme Frédéric Bonaparte (18.07.1862 – 03.05.1926) 80 Leopold II., Prinz von Belgien, Herzog von Sachsen, Prinz von Sachsen-Coburg-Gotha, Herzog von Brabant, seit 17.12.1865 König der Belgier, geb. am 09.04.1835 in Brüssel, gest. am 17.12.1909 auf Schloss Laeken/Brüssel; eigentlich Louis Philippe Marie Victor. Da durch den frühen Tod seines Sohnes Leopold kein männlicher Nachkomme existierte, ging die Königswürde am 23.12.1909 auf seinen Neffen, Albert I. (geb. 08.04.1875, gest. am 17.02.1934) über. 81 Marie Henriette, Erzherzogin von Österreich, Königin der Belgier; geb. am 23.08. 1836 in Pest/Österreich-Ungarn, gest. am 19. 09.1902 in Spa/Belgien 82 Berger, Günther: „Kronprinzessin-Stephanie-Denkmale in Wien“, in: „Wiener Geschichte – Jahrbuch des Vereins für Geschich-te der Stadt Wien“, Wien 1993 83 Erzherzogin Elisabeth Franziska Maria (geb. 1831 in Buda, gest. 1903), Witwe nach Ferdinand d´Este, verheiratet in 2. Ehe mit ihrem Cousin, Erzherzog Karl Ferdinand (geb. am 29.07.1818 in Wien, gest. am 20.11.1874 in Židlochovice)

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    lichst bald zu verehelichen, um ihn an ein geordnetes und geregeltes Leben zu gewöhnen.84“ Schon eine Woche später

    erschien Herzog Ernst von Sachsen-Coburg und Gotha in Brüssel – der Chef des herzoglichen Hauses. Er hatte von

    den Heiratsgerüchten gehört und wollte sich selbst ein Bild der 14-jährigen Prinzessin machen.

    So abgesichert, besuchte am 4. März 1880 der 22-jährige Kronprinz den belgischen Hof in Brüssel, lernte die

    belgische Prinzessin kennen und hielt bei den Eltern um ihre Hand an. Immerhin: Eine Nacht gaben der König und die

    Königin von Belgien ihrer Tochter Bedenkzeit: „Betend und erwägend verbrachte ich die Nacht. Eine neue Welt stand

    verlockend vor meinen Augen. (…) Wie im Träume erblickte ich eine Krone, Edelsteine schmückten den goldenen

    Reif. (…) Aber inmitten dieser erhabenen Vorstellung befiel mich ängstliche Unsicherheit. Würde ich die Kraft zu

    solcher Mission haben? (…) Und war ich nicht noch viel zu jung für die hohe Stellung, die ich ausfüllen sollte?! Durf-

    te ich mich mit einem Manne auf ewig verbinden, den ich noch gar nicht kannte?85“ Doch allen bedenken trotzend, „in

    kindlicher Ehrfurcht fügte ich mich in das Unvermeidliche, mit innerem Zagen, aber vollkommenem Vertrauen auf die

    Weisheit meines Vaters. Ich ahnte nicht, wie schwer ich an den Ketten, an die er mich schmiedete, zu tragen haben

    würde.86“

    Über die erste Begegnung mit dem Kronprinzen nach ihrem „Ja“ schrieb Stephanie: „Der Kronprinz trat (in

    einen Empfangssalon der Kaiserin, Anm. d. Verf.) ein. Er trug die Uniform eines österreichischen Obersten mit dem

    Großkreuz des Stephansordens und das goldene Vlies. Mein Herz schlug zum Zerspringen. (…) Das Auftreten des

    Kronprinzen war vollendet und sicher. Er küsste mir die Hand (…) Dann sagte er mir einige schmeichelhafte, aber

    sehr förmliche Worte, und schon nach einigen Minuten stellte er die große Frage, die über unsere Zukunft entscheiden

    sollte.

    Hierauf reichte er mit den Arm, und so näherten wie uns meinen Eltern und baten sie, die Verlobung zu seg-

    nen.87“ Am folgenden Tag – Sonntag, dem 7. März – fand nach der Heiligen Messe die offizielle Verlobung statt und

    in den folgenden tagen, so erinnert sich die Kronprinzessin, fanden zahlreiche Feste am Hofe statt. „Da ich noch nicht

    sechzehn Jahre alt war, wurde meine Trauung erst für das Ende des Jahres festgesetzt. Bald darauf verließ der Kron-

    prinz Brüssel; er versprach im Juli wiederzukommen.88“ Doch die Hochzeit musste verschoben werden, da die Prin-

    zessin körperlich noch nicht voll entwickelt war. Als das Jahr 1880 zu Ende ging und Wien auf eine baldige Hochzeit

    drängte, wurde der 10. Mai 1881 festgelegt „ – ein unbegreiflicher Entschluss89“.

    Der Kronprinz hatte die gleiche Körpergröße wie Stephanie. „Man konnte nicht sagen, dass er schön war, je-

    doch war er mir nicht unsympathisch. Der Ausdruck seiner kleinen hellbraunen Augen war intelligent, aber sein Blick

    84 Prinzessin Stephanie von Belgien, Fürstin von Lónyay: „Ich sollte Kaiserin werden – Lebenserinnerungen der letzten Kronprin-zessin von Österreich-Ungarn“, herausgegeben von Graf und Gräfin Gatterburg, Verlag von Hase, Koehler und Amelang, Leipzig 1935 85 Prinzessin Stephanie von Belgien, Fürstin von Lónyay: „Ich sollte Kaiserin werden – Lebenserinnerungen der letzten Kronprin-zessin von Österreich-Ungarn“, herausgegeben von Graf und Gräfin Gatterburg, Verlag von Hase, Koehler und Amelang, Leipzig 1935 86 Prinzessin Stephanie von Belgien, Fürstin von Lónyay: „Ich sollte Kaiserin werden – Lebenserinnerungen der letzten Kronprin-zessin von Österreich-Ungarn“, herausgegeben von Graf und Gräfin Gatterburg, Verlag von Hase, Koehler und Amelang, Leipzig 1935 87 Prinzessin Stephanie von Belgien, Fürstin von Lónyay: „Ich sollte Kaiserin werden – Lebenserinnerungen der letzten Kronprin-zessin von Österreich-Ungarn“, herausgegeben von Graf und Gräfin Gatterburg, Verlag von Hase, Koehler und Amelang, Leipzig 1935 88 Prinzessin Stephanie von Belgien, Fürstin von Lónyay: „Ich sollte Kaiserin werden – Lebenserinnerungen der letzten Kronprin-zessin von Österreich-Ungarn“, herausgegeben von Graf und Gräfin Gatterburg, Verlag von Hase, Koehler und Amelang, Leipzig 1935

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    unstet und hart; er vertrug nicht, dass man ihm in die Augen sah. Um den von einem schwachen Schnurrbart über-

    schatteten breiten Mund hatte er einen seltsamen, schwer zu deutenden Zug“, erinnerte sich Stephanie über 40 Jahre

    danach.

    Am 2. Mai 1881 bestieg Stephanie, gerade 17 Jahre alt geworden, unter großer Anteilnahme der Bevölkerung

    und verabschiedet von politischen und geistlichen Würdenträgern des Landes, den Zug nach Österreich. Am Folgetag

    empfing sie Rudolf in Salzburg, verbrachte mit seiner Verlobten den Tag und reiste nachts zurück nach Wien. Stepha-

    nie und ihr Gefolgte übernachteten in einer Villa am Salzburger Stadtrand bei Anif. „Am Morgen des 6. Mai 18812

    trafen wir in Wien ein“, erinnert sich die Gräfin. Sie bezog bis zur Hochzeit Quartier im Schönbrunner Schloss und ei-

    ne wahre Festwoche begann ihren Lauf zu nehmen, an deren Ende am 10. Mai 1881 die von Kardinal Schwarzenberg

    zelebrierte Hochzeit in der Wiener Augustinerkirche stand.

    Über die Hochzeitsnacht, die Stephanie und Rudolf in den modrigen, kalten, unbehaglichen Gemächern des

    Blauen Hofes im Laxenburger Schloss verbrachten, berichtet die Kronprinzessin: „Welche Nacht! Welche Qual, wel-

    cher Abscheu! Ich hatte nichts gewusst, man hatte mich als ein ahnungsloses Kind zum Altar geführt. Meine Illusio-

    nen, meine jugendlichen Träumereien waren vernichtet. Ich glaubte, an meiner Enttäuschung sterben zu müssen.90“

    Im Spätsommer des Jahres 1881 dürfte Stephanie erstmals schwanger gewesen sein – die Geburt war für Feb-

    ruar 1882 angesagt. Im Oktober, dem vierten Schwangerschaftsmonat, erlitt sie jedoch eine Fehlgeburt. In späteren

    Jahren wurde die Schwangerschaft oftmals als Fehldiagnose des behandelnden Gynäkologen, Dr. Carl Ritter von

    Braun-Fernwald91, abgewertet. In einem Brief vom Spätsommer 1881 an ihre Schwester Louise schreibt Stephanie je-

    doch auf Französisch, sie habe an sich „mouvements“ – also Veränderungen – feststellen können92. Wir vermuteten,

    dass der Briefwechsel zwischen Stephanie und ihrer Mutter, der belgischen Königin Marie-Henriette, Auskunft über

    jene Schwangerschaft geben könnte. Die Korrespondenz der Frauen bricht jedoch im Oktober 1881 ab und fängt erst

    im September 1882 wieder an. Wahrscheinlich hat Stephanie die Briefe vernichtet93.

    Die zumindest in Grundzügen anfänglich glückliche Ehe entwickelte sich jedoch auf Grund der unterschiedli-

    chen Interessen und gegensätzlichen Wertvorstellungen des Ehepartner ungünstig: Beide suchten und fanden ihre se-

    xuelle Erfüllung außerhalb des Ehebundes. Stephanie: „Meine Ansichten, meine Gewohnheiten, mein Geschmack

    zählten nicht, ich musste sie begraben. Ich hatte nur das Zu tun, was mir vorgeschrieben wurde und was der Kronprinz

    anordnete. Es hieß, zu folgen und sich zu beugen.94“

    Oft wurde Stephanie von ihren Zeitzeugen als wenig attraktiv dargestellt, was jedoch sicher subjektive Wahr-

    nehmung ist95. Am 2. September 1883 wurde Stephanie in Laxenburg von einer Tochter entbunden, die drei Tage spä-

    ter auf den Namen Elisabeth Marie getauft wurde. Die Hoffnung, bald darauf auch einem Thronfolger das Leben zu

    89 Prinzessin Stephanie von Belgien, Fürstin von Lónyay: „Ich sollte Kaiserin werden – Lebenserinnerungen der letzten Kronprin-zessin von Österreich-Ungarn“, herausgegeben von Graf und Gräfin Gatterburg, Verlag von Hase, Koehler und Amelang, Leipzig 1935 90 Prinzessin Stephanie von Belgien, Fürstin von Lónyay: „Ich sollte Kaiserin werden – Lebenserinnerungen der letzten Kronprin-zessin von Österreich-Ungarn“, herausgegeben von Graf und Gräfin Gatterburg, Verlag von Hase, Koehler und Amelang, Leipzig 1935 91 Der Mediziner betreute auch Königin Marie-Henriette von Belgien und Stephanies Schwester, Louise von Coburg. 92 freundliche Mitteilung von Joseph van Loon an den Verfasser, Arendonk/Belgien , 21.05.2005 93 freundliche Mitteilung von Joseph van Loon an den Verfasser, Arendonk/Belgien , 21.05.2005 94 Prinzessin Stephanie von Belgien, Fürstin von Lónyay: „Ich sollte Kaiserin werden – Lebenserinnerungen der letzten Kronprin-zessin von Österreich-Ungarn“, herausgegeben von Graf und Gräfin Gatterburg, Verlag von Hase, Koehler und Amelang, Leipzig 1935 95 Hellblonde Haare der belgischen Prinzessin finden sich in einem kleinen Umschlag im Nachlass der Louise von Coburg, Öster-reichisches Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Bündel 4

  • Das unredigierte Mayerling-Manuskript von Lars Friedrich – Forschungsergebnisse von 1989 bis 2009

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    schenken, verflogen im Jahre 1886: Zu Beginn des Jahres erkrankte Rudolf und die Ärzte rieten ihm, im Süden auszu-

    spannen. Gemeinsam mit Stephanie reiste er auf der Jacht „Miramar“ auf die Mittelmeerinsel Lacroma. Kaum dort

    angekommen, erkrankte auch die Kronprinzessin und lag „mit namlosen Schmerzen“ zu Bett. „Die herbeigerufenen

    Ärzte aus Wien und Triest konstatierten Bauchfellentzündung. Auf hohen Befehl wurde das jedoch verheimlicht; die

    Ärzte wurden eidlich zum Schweigen verpflichtet.96“ Was war geschehen? „Durch die haltlose Lebensweise wurde

    Rudolfs Gesundheit erschüttert“, schreibt Judtmann und räumt mit vielen Vermutungen auf, die in über 70 Jahren Ma-

    yerling-Literatur – von Corti bis Zerzawy – angehäuft worden waren: nach einer gonorrhoischen Infektion durch Ru-

    dolf erlitt die Kronprinzessin eine von den Eierstöcken oder Eileitern ausgehende Beckenbauchfellentzündung, in de-

    ren Folge sich eine Sterilität einstellte. Rudolf hatte Stephanie mit dem Tripper infiziert97!

    In der Urfassung ihrer Lebenserinnerungen hatte Stephanie dies auch publizieren wollen: „Ich selbst ahnte den

    Grund meines Leidens nicht. Auf hohen Befehl wurde alles vertuscht, die Ärzte auf Schweigen beeidigt. Erst später

    entdeckte ich und erfuhr ich, dass der Kronprinz an meinem Leiden schuld war. Auch ihn hatte die furchtbare Seuche

    erfasst, die noch vor niemandem … Halt macht, sofern ihr Leichtsinn oder fluchwürdiges Erbe Tür und Tor öffnet98“ –

    doch dies verschwieg sie in der späteren Druckfassung. Juliane von Stockhausen jedoch bestätigte Fritz Judtmann ge-

    genüber, „Rudolf habe sie angesteckt! Erinnere ich mich richtig, so schwankte sie zwischen dem Wunsch, die Wahr-

    heit zu sagen (wobei gewisse Antriebe bei ihr zweifellos im Spiel waren) und der Scheu vor der Öffentlichkeit. Da die

    Wirkung eben auf die österreichische Gesellschaft nur zu genau vorzustellen war, legten wir ihr nahe, sich mit einer

    Andeutung zu begnügen.99“ Eine ähnliche Andeutung hatte die Gräfin selbst in ihren Erinnerungen an Stephanie ge-

    wählt: „Nach der Geburt meiner Tochter hat man mir vorgeworfen, ich sei nicht fähig, noch einmal ein Kind zu tra-

    gen. Der Hof wusste nur zu gut, wer daran Schuld hatte.100“ Während Judtmann auf Stephanies Erkrankung nur am

    Rande eingeht, widmet er sich ausführlich dem Krankheitsbild des Kronprinzen.

    Trotz aller Gegensätze, die Rudolf und Stephanie nicht zu überwinden vermochten, trat die belgische Prinzes-

    sin stets loyal ihrem Gatten gegenüber in der Öffentlichkeit auf. Ende 1888 versuchte sie – leider vergeblich – das

    Augenmerk des Kaisers auf die Veränderungen seines Sohnes zu richten. Doch der „Untergang des Kronprinzen“

    schien sie nicht aufzuhalten zu sein…

    Zu Stephanies Hofstab zählten im Jahre 1889 insgesamt 18 Personen101. Nach dem Tode des Kronprinzen er-

    hielt Stephanie offiziellen den Titel „Ihre k. u. k. Hoheit, die durchlauchtigste Frau Kronprinzessin-Witwe, Erzherzo-

    96 Prinzessin Stephanie von Belgien, Fürstin von Lónyay: „Ich sollte Kaiserin werden – Lebenserinnerungen der letzten Kronprin-zessin von Österreich-Ungarn“, herausgegeben von Graf und Gräfin Gatterburg, Verlag von Hase, Koehler und Amelang, Leipzig 1935 97 Gonorrhoe (Tripper) gehört zu den sexuell übertragbare Krankheiten, die durch die Bakterien Neisseria gonorrhoeae, auch Go-nokokken genannt, ausgelöst wird. Gonorrhoe wird in erster Linie durch Geschlechtsverkehr übertragen. Ungefähr die Hälfte aller infizierten Frauen haben keine Beschwerden. Bei den Männern ist nur etwa ein Viertel beschwerdefrei. Diese Menschen wissen auch nicht, dass sie eine ansteckende Krankheit haben, die sie weitergeben können. Beschwerden bei Männern: brennende Schmerzen beim Wasserlassen und zunächst schleimiger, später cremiger Ausfluss aus der Harnröhre; Beschwerden bei Frauen: Möglicherweise übel riechendem Ausfluss aus der Scheide, aufsteigende Entzündung der Gebärmutter, der Eileiter und Eierstö-cke, die mit Fieber, Unterbauchbeschwerden, Ausfluss und einer Schmierblutung einhergehen können. Je nach Infektionsweg kann es zu eitrige Bindehautentzündung oder unspezifische Symptome im Hals/Rachen (Halsschmerzen, übler Geschmack) kom-men. Wird eine Gonorrhoe nicht behandelt, kann es zu chronische Entzündungen der inneren Geschlechtsorgane mit anhaltenden Schmerzen, Verklebungen der Eileiter oder Samenleiter mit Unfruchtbarkeit oder Gelenkentzündungen kommen. 98 in Judtmann, Fritz: Mayerling ohne Mythos, Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 1968 99 Judtmann, Fritz: Mayerling ohne Mythos, Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 1968 100 Stockhausen, Juliana von: „Im Schatten der Hofburg. Gestalten, Puppen und Gespenster. Aus meinen Gesprächen mit Prinzes-sin Stephanie von Belgien Fürstin Lónyay, der letzten Kronprinzessin von Österreich Ungarn“ Kerle, Heidelberg 1952 101 Zum Hofstaat zählten die Obersthofmeisterin Helene Gräfin Sylva-Tarouca geb. Gräfin Kálnoky, die Hofdamen Therese Grä-fin Pálffy, Sidonie Gräfin Chotek, Melanie Gräfin Széchényi, der Adjutant Anton Perko und der Kanzlist Johann Riedl im Sekre-

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    gin Stephanie“ und rund 2150.000 Gulden Witwenbezüge102. Die Stellung der Kronprinzessin jedoch wurde ihr ver-

    wehrt, eine andere Erzherzogin vertrat die Kaiserin bei offiziellen Anlässen. Die Witwe reiste fortan viel, übernahm

    die weitere Herausgabe des „Kronprinzenwerkes“, bereicherte mit zahlreichen Affären den Tratsch der Wiener Ge-

    sellschaft und entschied sich zehn Jahre nach Rudolfs Tod, erneut zu heiraten. Am 22. März 1900 schloss Stephanie in

    der Kapelle von Schloss Miramar bei Triest eine zweite, jedoch nicht standesgemäßer Ehe103: sie heiratete den ungari-

    schen Grafen und k.k. Kämmerer Elemér Lónyay von Nagy-Lónyay und Vásáros-Namény104. In Folge verlor sie alle

    Rechte einer österreichischen Erzherzogin und belgischen Prinzessin – ihr Vater enterbte sie. Den Standesunterschied

    zwischen der einstigen Kronprinzessin und dem Grafen glich Kaiser Karl I. am 9. Februar 1917 aus, als er ihn in den

    erblichen Fürstenstand erhob.

    Ihren neuen Lebensmittelpunkt fand das Ehepaar Lónyay 1906 im wuchtigen, neugotischen Schloss105 des

    kleines Ortes Oroszvár 106 an der Donau, nur wenige Kilometer von Pressburg/Bratislava entfernt. Österreich hatte sei-

    ne letzte Kronprinzessin nach dem Ende der Monarchie nahezu vergessen, bis 1935 bekannt wurde, dass Stephanie ih-

    re Lebenserinnerungen veröffentlichen wollte. Das Buch „Ich sollte Kaiserin werden – Lebenserinnerungen der letzten

    Kronprinzessin von Österreich-Ungarn“ wurde dann auch prompt in der jungen Alpenrepublik verboten – auf Antrag

    ihrer Tochter, Elisabeth Windisch-Graetz. Jedoch: Bei den Memoiren von Lebenserinnerungen der Kronprinzessin zu

    sprechen, ist an dieser Stelle falsch. Das 1935 im Leipziger Verlag von Hase, Koehler und Amelang erschienenen

    Buch wurde von Juliane und Ferdinand Gatterburg herausgegeben107. Der Graf und die als „Juliane von Stockhausen“

    bekannte Gräfin hatten den Spagat geschafft, Stephanies Manuskript so redaktionell zu bearbeiten, dass es den Anfor-

    derungen eines Verlages gerecht wurde. Wie schwer und aufreibend diese Arbeit war, belegen die Erinnerungen des

    Herausgeberpaares an die Redaktionsarbeit108. Zuvor war bereits Graf Conte Corti daran gescheitert, eine Struktur in

    die Aufzeichnungen der Gräfin Lónyay zu bringen.

    tariat, die Kammerdienerinnen Fräulein Sophie von Plancker-Klaps (sie heiratete den Hofjäger Wodiczka und schied im Dezem-ber 1889 mit einer Gnadenpension von 1.000 Gulden jährlich freiwillig