Der Mythos Eines Völkermordes - Cem Özgönül Leseprobe

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Die Wegner-Photographien Im Kontext der Kontroversen um die defizitäre Beweislage bezüglich der Faktizität eines Genozids in der „armenischen Frage ist von Vertretern der Genozidthese häufig der simplifizierende Hinweis zu vernehmen, dass man ja auch von Hitler keinen signierten Vernichtungsbefehl habe und trotzdem zurecht und unzweifelhaft von Genozid spricht. Ein Vergleichsversuch, der vollkommen fehl geht. Denn zum einen – dies wird gerne übersehen – besteht Auschwitz eben nicht nur aus literarischen Abbildungen, genauso wenig wie die Massengräber in den polnischen oder ukrainischen Wäldern. Es sind diese befreiten KZ, die real existenten Gaskammern und Leichenberge, die erst nach dem Zweiten Weltkrieg einer schockierten Weltöffentlichkeit die ganze Dimension eines unvorstell- baren Schreckensregimes unzweifelhaft vor Augen geführt haben. Zudem gibt es sehr wohl zugenüge deutsche Dokumente und Belege, die nicht nur die Vernichtungsabsicht als solche, sondern auch dessen jahrelange Entstehungsgeschichte lückenlos nachzeichnen. „Mein Kampf“ ist genauso real und authentisch, wie die „Nürnberger Rassengesetze“, das „Wannseeprotokoll“ oder die Mitschnitte von Himmlers Reden gegenüber den „Totenkopfverbänden“ der Waffen- SS. Nichts dergleichen lässt sich über die Genozidthese hinsichtlich der „armenischen Frage“ behaupten, die sich im wesentlichen lediglich auf diese nicht verifizierbaren literarischen Abbildungen aus der Zeit während des Krieges stützt. Und zum anderen ist dieser Einwand zumindest dahingehend recht erstaunlich, da es ja letztlich die Vertreter der Genozidthese waren, die einem solchen Vernichtungsbefehl anscheinend doch immerhin eine solch hohe Bedeutung beimaßen, dass sie sich über Jahrzehnte hinweg auf diesbezügliche Fälschungen beriefen. Auch die Berichte von Überlebenden, die noch im hohen Alter in den achtziger und neunziger Jahren ihre Erinnerungen protokollieren ließen, sagen – ohne die Achtung und den Respekt vor ihren leidvollen Erinnerungen schmälern zu wollen – weder etwas über Quantität, also die tatsächlichen Opferzahlen, noch über Qualität, also die Hin- tergründe, Zusammenhänge und Verantwortlichkeiten der tatsächli- chen Ereignisse aus. Die weitenteils gängige türkische Historiographie schätzt die Zahl der Cem Özgönül: "Der Mythos eines Völkermordes" (Auszug Okt. 2005, Buch noch nicht erschienen) www.armenianquestion.org - www.turkcom.org – www.politikcity.de

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  • Die Wegner-Photographien

    Im Kontext der Kontroversen um die defizitre Beweislage bezglichder Faktizitt eines Genozids in der armenischen Frage ist vonVertretern der Genozidthese hufig der simplifizierende Hinweis zuvernehmen, dass man ja auch von Hitler keinen signiertenVernichtungsbefehl habe und trotzdem zurecht und unzweifelhaftvon Genozid spricht. Ein Vergleichsversuch, der vollkommen fehlgeht. Denn zum einen dies wird gerne bersehen bestehtAuschwitz eben nicht nur aus literarischen Abbildungen, genausowenig wie die Massengrber in den polnischen oder ukrainischenWldern. Es sind diese befreiten KZ, die real existenten Gaskammernund Leichenberge, die erst nach dem Zweiten Weltkrieg einerschockierten Weltffentlichkeit die ganze Dimension eines unvorstell-baren Schreckensregimes unzweifelhaft vor Augen gefhrt haben.Zudem gibt es sehr wohl zugenge deutsche Dokumente und Belege,die nicht nur die Vernichtungsabsicht als solche, sondern auchdessen jahrelange Entstehungsgeschichte lckenlos nachzeichnen.Mein Kampf ist genauso real und authentisch, wie die NrnbergerRassengesetze, das Wannseeprotokoll oder die Mitschnitte vonHimmlers Reden gegenber den Totenkopfverbnden der Waffen-SS. Nichts dergleichen lsst sich ber die Genozidthese hinsichtlichder armenischen Frage behaupten, die sich im wesentlichenlediglich auf diese nicht verifizierbaren literarischen Abbildungen ausder Zeit whrend des Krieges sttzt.

    Und zum anderen ist dieser Einwand zumindest dahingehend rechterstaunlich, da es ja letztlich die Vertreter der Genozidthese waren,die einem solchen Vernichtungsbefehl anscheinend doch immerhineine solch hohe Bedeutung beimaen, dass sie sich ber Jahrzehntehinweg auf diesbezgliche Flschungen beriefen. Auch die Berichtevon berlebenden, die noch im hohen Alter in den achtziger undneunziger Jahren ihre Erinnerungen protokollieren lieen, sagen ohne die Achtung und den Respekt vor ihren leidvollen Erinnerungenschmlern zu wollen weder etwas ber Quantitt, also dietatschlichen Opferzahlen, noch ber Qualitt, also die Hin-tergrnde, Zusammenhnge und Verantwortlichkeiten der tatschli-chen Ereignisse aus.

    Die weitenteils gngige trkische Historiographie schtzt die Zahl der

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  • armenischen Opfer je nach Autor auf bis zu 300 Tausend, die unko-ordinierten Massakern von marodierenden Banden, Hunger, Seuchensowie auch der Willkr von lokalen Beamten und Gendarmenanheimgefallen seien, welche die Gelegenheit dazu genutzt haben,sich persnlich zu bereichern oder anderen niederen Instinkten undMotiven nachzugehen. Diese Zahl von 300 Tausend armenischenTodesopfern unter besagten Umstnden soll der osmanische Kriegs-minister Enver Pascha auch gegenber seinem engen Freund, demdeutschen Marineattach Hans Humann geschtzt haben.1 DieZeitzeugenberichte von Betroffenen so bewegend und achtungs-wrdig sie auch sind - widersprechen dieser Historiographie nicht.

    Ja, es gibt und dies mag den interessierten und mit der Materieeinigermaen vertrauten Leser nun berraschen - nicht einmalphotographische Abbildungen der behaupteten Ereignisse. Ob imInternet oder in der gedruckten Presse; allenthalben trifft man aufdie Photographien des Armin T. Wegner, der, so die Legende,vorgeblich als Sanittsoffizier unter Feldmarschall von der GoltzGelegenheit gehabt habe, in den betreffenden Regionen das Grauenphotographisch zu dokumentieren. Diese Bilder kursieren seitnunmehr neunzig Jahren berall auf der Welt und drfen auf keinerGenozidgedenkveranstaltung fehlen. Indes ist ihre Authentizittmehr als fraglich. Nach dem Krieg aus der Trkei zurckgekehrt,nahm der frhere deutsche Konsul in Aleppo, Walter Rssler, am 24.Mrz 1919 an einem von Armin T. Wegner gehaltenen Vortrag berdie armenische Frage im Berliner Urania-Theater teil, in dessenRahmen Wegner auch eine Dia-Prsentation mit den besagtenPhotographien vorfhrte. Aus Rsslers Protokoll fr das AuswrtigeAmt sei hier folgende Passage auszugsweise zitiert:

    []Ehe der Vortragende zur Vorfhrung der Lichtbilder ber-ging, die den grten Teil des Abends einnahmen, erklrte er,dass ihm seine eigenen Photographien grtenteilsverdorben seien und das er dafr solche von frherenMassakres zeigen werde.[]2*

    1 Politisches Archiv des Auswrtigen Amtes Berlin, Mikrofiche 7198 (Frweitergehende Informationen, s. auch das Kapitel die Zahlen)

    2 Politisches Archiv des Auswrtigen Amtes, Trkei 183, Microfiche 7197 und7198

    * Hervorhebungen von mir

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  • Laut Rssler erklrt Wegner also selber, dass jene bis in unsere Tageweltweit als Photodokumentation eines Genozids kursierenden Pho-tographien weder seine eigenen, noch in jenem Zeitraum entstandenseien, dem sie bis heute zugeordnet werden, sondern solche von fr-heren Massakres. Seine eigenen so er denn tatschlich welche ge-habt haben sollte seien ihm also verdorben. Eine Idee davon, wo-her sie womglich stammen, erhlt man dann im weiteren Wortlautdes Rssler-Berichtes:

    []Das Publikum, unter dem eine ganze Zahl Trkenund Armenier waren, bemchtigte sich bei der Vorfhrungder zum Teil recht grausigen Bilder eine steigende Erregung,die wohl auch dadurch genhrt wurde, dass es einigen schar-fen Urteilen ber die Trken nicht fehlte. So fhrte der Vor-tragende ein Sprichwort an, dass, wenn ich recht verstandenhabe, etwa lautete: Der Trke kann vielleicht klug werden,aber er kann nie ein Mensch werden. Als der Vortragendevon der Folterung der Armenier durch die Trken sprach,dabei aber ein Lichtbild zeigte, auf dem die Bastonadedurch Perser dargestellt wurde, machte sich die Erre-gung in strmischen Protest Luft, die zu Prgeleien zwi-schen Armeniern und Trken fhrten.[]3

    Sind die berhmten Wegner-Photographien in Wirklichkeit unbe-kannter Herkunft und einer gnzlich anderen Zeit und Lokalitt ent-stammend? Vieles spricht dafr. brigens hat Wegner dieses Einge-stndnis wohl weniger in einem Anflug von Ehrlichkeit vorgenommensondern vielmehr deswegen, da er sich vielleicht fr ihn ber-raschend mit einer ganzen Reihe von Trken im Publikum kon-frontiert sah und es vorzog, die Flucht nach vorne anzutreten, da erwohl erkannte, dass er Gefahr lief, whrend des Vortrages von denanwesenden Trken ertappt zu werden. Denn zwei Jahre spter, alser im Rahmen des Prozesses gegen den Talaat-Pascha-MrderSholomon Teilerian als Zeuge geladen wurde, war er nicht mehr soehrlich. In den Prozessakten ist ber den Zeugen Wegner, sowieseine im Jahre 1919 noch als verdorben deklarierten Photographienfolgender Wortlaut nachlesbar:

    [] Der Zeuge war whrend des Krieges zunchst Mitglied

    3 ebd.

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  • einer deutschen Sanittsmission, und zwar im Jahre 1915 anden Dardanellen und Konstantinopel. Von hier hat er seinenUrlaub benutzt, um sich im Juli und August 1915 nachKleinasien zu begeben und sich von den gerchteweisegehrten Massaker zu berzeugen. Spter gehrte er demStab des Feldmarschalls von der Goltz an und kam durch ganzKleinasien ber Konstantinopel, Aleppo, Bagdad, und zurck:Bagdad-Der es Zor (Tigris- und Euphratlinie).() Er erbot sichbei der Verhandlung, den Geschworenen eine groeAnzahl meist eigener photographischer Aufnahmenvorzulegen, die das entsetzliche Elend der Deportationenund die Spuren der Massaker veranschaulichten.[]4*

    Noch dubioser wird die Frage nach der Person Wegners und den Hin-tergrnden der ihm zugeschriebenen Photographien allerdings, wennman sich der Legende vom Sanittsoffizier auf Urlaub widmet. Auchohne weiterreichende Kenntnisse hinsichtlich der Hintergrndemsste der gesunde Menschenverstand hier eigentlich ein Fragezei-chen setzen. Jemand, der an den Dardanellen in einer der spekta-kulrsten und blutigsten Schlachten des gesamten Ersten Welt-krieges Dienst an der Front geleistet hat, hat in seinem Front-urlaub nichts anderes zu tun, als Gerchte ber vermeintlicheMassaker in Tausenden von km Entfernung im Osten Anatoliens, inMesopotamien und Syrien berprfen zu wollen? Alleine derGedanke daran ist, mit Verlaub, doch sehr abwegig und legt denSchluss nahe, dass hier eine gezielte Legendenbildung beabsichtigtwurde, deren Zielgruppe primr ein deutsches, resp. europisches,mit den Verhltnissen Anatoliens zu jener Zeit nicht aus eigenerAnschauung vertrautes Publikum war. Aber nun gut, die Geschichtepasst durchaus ins Bild, das man von Menschen wie Wegner oderLepsius heutzutage auf Seiten der Vertreter der Vlkermordthesepflegt: Der Mythos von humanitr motivierten Menschen, die auseigenem Antrieb gegen vermeintliches Unrecht aufbegehrten.Beleuchtet man diesen Mythos kritisch, tritt mitunter erstaunlicheszu Tage. Auf den Namen Armin T. Wegner stt man nmlich auchan anderer Stelle. Nicht nur, dass er Vorstandsmitglied der Deutsch-

    4 Tessa Hofmann, Der Vlkermord an den Armeniern vor Gericht Der ProzeTalaat Pascha, S. 132, Gttingen 1980

    * Hervorhebungen von mir

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  • Armenischen Gesellschaft war, er gehrte zudem einer Organisationan, die im weiteren einen wichtigen Platz in dieser Arbeit einnehmenwird und die in unmittelbarem und kausalen Zusammenhang mitder Entwicklung der Ereignisse sowie ihrer Hintergrnde steht:Nmlich der Nachrichtenstelle fr den Orient, einer von zwei quasinachrichtendienstlich ttigen Organisationen, die neben dereigentlichen Spionageabwehr des Generalstabes, der Abteilung III B,aktiv war.

    Gegrndet am 02. August 1914, also unmittelbar mit Kriegsbeginnund am Tag der formellen Unterzeichnung des Bndnisses zwischendem Osmanischen Reich und Deutschland, zhlte zu ihrem Auf-gabengebiet: Nachrichten, Propaganda, Expeditionen, Revolu-tionierung des Kaukaus, Irans, Afghanistans, Indiens, gyptens.

    Chef der Abteilung: Max Freiherr von Oppenheim, sein StellvertreterKarl Emil Schabinger, spter Dr. Jur. Herbert Mller, Prof. Dr.Eugen Mittwoch (Orientalist), Armin T. Wegner, und Obergeheimratvon Wesendonk vom Auswrtigen Amt.5

    Doch wie gesagt, zu dieser Abteilung, sowie einer parallel zu ihrbestehenden und im Rahmen des Reichsmarineamtes gegrndetenNachrichtendienststelle fr das Ausland/ Trkei spter in einemgesonderten Kapitel mehr.

    Es ist auf jeden Fall kaum anzunehmen, dass Wegner tatschlich alsPrivatperson in jener Region unterwegs war, sowie man durchausZweifel daran hegen darf, dass die Wegner-Photographien woherund aus welcher Zeit sie letztlich auch stammen tatschlich ausprivater Motivation entstanden und publik gemacht wurden.

    Einiges spricht dafr, dass der Vortrag in der Urania Teil einer pro-armenischen Propagandakampagne war, die zumindest mittelbarvom Auenministerium ausging. Laut zitiertem Rssler-Berichtwurde der Vortrag von der Deutsch-Armenischen Gesellschaftveranstaltet, zu deren Vorstand Wegner zhlte. Zeitlich fiel er in jeneWochen, die der Lepsiusschen Aktenedition unmittelbar vorangingen.Den Akten ist ebenfalls zu entnehmen, dass sein Vortrag auf einentsprechendes mediales Interesse stie. Das Auswrtige Amt hatunmittelbar im Anschluss an den Rssler-Bericht zwei Zeitungs-

    5 Wolf-Dieter Bihl: Die Kaukasuspolitik der Mittelmchte Teil I, S. 101-112, Wien1975

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  • artikel ber diesen Vortrag archiviert.6 Nur kurze Zeit zuvor hatteWegner einen aufsehenerregenden offenen Brief an den damaligenUS-Prsidenten Woodrow Wilson verfasst und diesen aufgefordert, imRahmen des berhmten 14-Punkte-Planes die armenischen An-sprche auf Eigenstaatlichkeit in Ostanatolien besonders zu berck-sichtigen. Es ist durchaus denkbar, dass das Auenministerium miteiner ffentlichen Kampagne mittels der DAG den Boden fr dieffentliche Akzeptanz der armenischen Forderungen im Vorfeld derFriedensverhandlungen untersttzen und vorbereiten wollte. EineKampagne, die ihren Abschluss und zugleich ihren Hhepunkt dannin der Aktenedition Deutschland und Armenien 1914-1918... fand.Jedenfalls ist nicht von der Hand zu weisen, dass Wegner nochwhrend des Krieges und nach seiner Rckkehr nach Deutschlandzum Schriftleiter des Neuen Orient - dem Propagandamedium derbesagten Nachrichtenstelle - befrdert worden ist.7

    Und der gleiche Armin T. Wegner, der im Frhjahr 1919 Vortrgeber die vermeintliche Vernichtungspolitik der Jungtrken hielt oderzugunsten der Armenier offene Briefe an den US-Prsidentenaufsetzte, hatte nur etwas mehr als ein Jahr zuvor Vortrge darbergehalten, in denen er die Rechtmigkeit der jungtrkischenUmsiedlungsmanahme wegen der Kollaboration der Armeniermit den Russen verteidigte8, Artikel im Neuen Orient publiziert,in denen die neuerlichen Untaten der Russen und Armenier(gegenber der muslimischen Bevlkerung) beklagt wurden,welche den Armeniern zudem auch die moralische Qualifi-kation zur Leitung eines Staatswesens9 absprechen sowie berden nach dem Krieg zum Vlkermrder stilisierten und dmoni-sierten Talat Pascha stimmungsvoll ausgemalte Berichte berdessen frsorgliche Besuche in armenischen Lagern verfasst10. Bercksichtigt man das internationale politische Klima jener Monate,macht dieser vermeintliche Sinneswandel Wegners vom Saulus zumPaulus durchaus Sinn: Zum einen war im Frhjahr 1919 davon

    6 Politisches Archiv des Auswrtigen Amtes, Trkei 183, Mikrofiche 71987 Uwe Feigel, "Das evengelische Deutschland und Armenien", S. 228, Gttingen

    19898 ebd.9 ebd.10 ebd.

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  • auszugehen, dass die Siegermchte das Osmanische Reich auf denbevorstehenden Verhandlungen von Sevres und Versailles faktischendgltig zerschlagen wrden. Sptestens seit der Aufdeckung desSykes-Picot-Abkommens in Folge der russischen Revolution musstesowohl den Mittelmchten als auch den Osmanen klar sein, dasseine militrische Niederlage das historische Ende des OsmanischenReiches als souvernem Staatswesen bedeutete. Eine Erkenntnis, diemit dem besagten 14-Punkte-Plan nach dem Krieg zementiertwurde. Vllig auerhalb des Denkbaren lag zu jener Zeit dieVorstellung, dass sich in Anatolien unter Mustafa Kemal (Atatrk)eine nationale Widerstandsbewegung formieren wrde, die das Landvon der Besatzung befreien und in Lausanne eine Revision desDiktatfriedens von Sevres erzwingen und zugleich zur Grndungeines souvernen trkischen Nationalstaats fhren sollte.

    Zum anderen rechnete im Deutschland des Frhjahrs 1919 niemanddamit, dass Berlin selber wenige Monate spter in Versailles derartharte Bedingungen oktroyiert bekme, dass eine eigenstndigedeutsche Imperialpolitik im Orient auf absehbare Zeit unmglichwerden sollte. Zu jenem Zeitpunkt, zu dem ein Wegner seinenVortrag hielt, ein Lepsius die Aktenedition vorbereitete, musstedavon ausgegangen werden, dass Deutschland wenn auch nichtmehr als Monarchie, so doch fortan als Republik nach einerschmerzlichen militrischen Niederlage mittelfristig wieder eigeneInteressen im imperialen Konkurrenzkampf wrde verfolgen knnen.Das wilhelminische Deutschland hatte in seiner Orientpolitikjahrzehntelang auf die Osmanen gesetzt, ganz gleich, ob in dieserZeit in Istanbul nun Sultan Abdulhamid II. oder die Jungtrkenregierten. Das bedeutete aber auch, dass Deutschland gerade bei denArmeniern traditionell einen schweren Stand hatte, begrndete dieSolidaritt mit der Hohen Pforte doch eo ipso ein grundstzlichnegatives Verhltnis zu den Armeniern im Rahmen einer stetigeskalierenden Gewaltspirale zwischen diesen und den Muslimen.

    Kurzum war die Konstellation im Frhjahr 1919 also wie folgt: Manmusste davon ausgehen, dass es eine osmanische Trkei alsVerbndete der Deutschen knftig nicht mehr geben wird, und sichfolglich nach neuen potenziellen Partnern umsehen. In Anbetrachtder Tatsache, dass die arabischen Vlkerschaften des OsmanischenReiches unter den Siegermchten Grobritannien und Frankreich

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  • bereits verplant waren, hielt sich die Auswahl von potenziellenKandidaten in Grenzen. Deshalb galt es in dieser Phase um dieGunst der Armenier zu buhlen, ihnen bei ihren Bestrebungen nacheinem autonomen Armenien mglichst effektvoll zur Seite zu stehenund ihre Position bei den bevorstehenden Friedensverhandlungennach Mglichkeit zu strken. Teil dieser Strategie war natrlichauch, sich wie etwa durch die Lepsiussche Aktenedition dieHnde in Unschuld zu waschen.

    Das eigentlich erstaunliche an diesen Erkenntnissen ist nicht etwa,dass sie neu wren. Ganz im Gegenteil, Feigels Arbeit ist aus demJahre 1989 und jene von Bihl, in der der Name Wegner unter denmageblichen Persnlichkeiten der Nachrichtenstelle fr den Orientauftaucht, gar von 1975. Wir schreiben nunmehr das Jahr 2005 undnoch immer wimmelt es gerade in diesem Jahr im Internet oder inden Printmedien von verklrenden Darstellungen der PersonWegners, als einem der Humanitt verpflichteten Einzelkmpfer, derjenes brisante Photomaterial, das bislang seiner Urheberschaftzugeschrieben wurde, angeblich in seinem Grtel versteckt nachDeutschland geschmuggelt habe. Wegner war nichts anderes als einNachrichtendienstler und professioneller Propagandist, der einzigund allein gewissenhaft seine Auftrge erfllte. Ob sich dieseAuftrge nun auf antiarmenische oder antitrkische Propagandabezogen, drfte ihm relativ gleich gewesen sein. Wer wei, womglichwar das Photomaterial, das er am 26. Januar 1918 auf Einladungder Deutsch-Trkischen Gesellschaft in Breslau vorfhrte und mitdem er die armenischen Gruel gegenber den Muslimenillustrieren sollte11, das selbe, das 14 Monate spter seinem Licht-bildvortrag in der Berliner Urania zugrundelag, als er trkischeGruel gegen die Armenier abzubilden hatte.

    11 ebd.

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