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Eine kurze Chronik

VonFrank R. Max

Philipp Reclam jun. Stuttgart

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Universal-Bibliothek Nr. 18280Alle Rechte vorbehalten

© 2003 Philipp Reclam jun. GmbH & Co., StuttgartGesamtherstellung: Reclam, Ditzingen. Printed in Germany 2003RECLAM und UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken

der Philipp Reclam jun. GmbH & Co., StuttgartISBN 3-15-018280-8

www.reclam.de

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Vorbemerkung

175 Jahre sind eine lange Zeit – selbst für Verlage, die jaim Wesentlichen immer das gleiche tun: Bücher produ-zieren und vertreiben. Der politische, soziale, kulturelleWandel macht die Zeitläufte bunt; das färbt zweifellosauch auf die den historischen Prozeß begleitendenBücher ab – mal direkter, mal vermittelter – und ist vonZeit zu Zeit einen Rückblick wert. Anlaß für diese kurze Chronik ist das 175jährige Beste-hen des Reclam Verlags. Kurz darf sie sich nennen imVergleich zu der wesentlich ausführlicheren, reichhaltigillustrierten Chronik, die Dietrich Bode unter dem TitelReclam. Daten, Bilder und Dokumente zur Verlagsge-schichte. 1828–2003 vorgelegt hat und auf der diese klei-ne Chronik ganz und gar fußt. Wer es also genauer wis-sen will, ein detaillierteres Bild von der Geschichte undder Produktion des Verlags bekommen möchte, sei höf-lich dorthin verwiesen. Wer es indes – vita brevis est – ei-lig hat, findet auch in diesem Bändchen Exemplarischesaus der Produktion des Verlags genannt, Beispiele seinesErscheinungsbilds gezeigt, wie es sich in Buchumschlä-gen manifestiert, und die wichtigsten Stationen der Ver-lagsgeschichte nachgezeichnet.

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Anton Philipp ReclamJugendbildnis von einem unbekannten Maler

(Ausschnitt aus einem verschollenen Gemälde)

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1828 Anton Philipp Reclam (1807–1896), Abkömm-ling einer Hugenottenfamilie aus Savoyen, die über die Schweiz nach Preu-ßen und Sachsen gelangtwar, erwirbt am 1. April in Leipzig das »Literari-sche Museum«, eine Leih-bibliothek mit neuesterdeutscher, französischer,englischer und italieni-scher Literatur samt einem»Journalistikum«, das Zei-tungen und Zeitschriftenbot. Am 1. Oktober grün-det er den »Verlag des Li-terarischen Museums«.

1837 Reclam verkauftdas »Literarische Muse-um« und benennt seinenVerlag in »Philipp Reclamjun.« um. Das Verlagspro-gramm bietet Klassischesund Zeitgenössisches, Un-terhaltendes und politi-sche, einem bürgerlichenLiberalismus verpflichteteBroschüren.

1839 Erwerb der Haack-schen Buchdruckerei inLeipzig.

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Das »Literarische Museum« in der Grimmaischen Straße

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1842 Bei Reclam erscheinen zwei neue Zeitschriften,die satirisch-unterhaltende Wochenschrift Charivari,herausgegeben von Eduard Maria Öttinger, und die de-mokratische Wochenschrift Leipziger Locomotive, her-ausgegeben von Friedrich Wilhelm Alexander Held, diees innerhalb eines Jahres auf 20 000 Abonnenten brach-te, und schon bald von einem Geheimagenten Metter-nichs einer empörenden »Rohheit« und des aufrühreri-schen Sansculottismus bezichtigt wurde. Bereits im Juni1843, nach Konzessionsentzug durch die sächsischePressepolizei, muß die Leipziger Locomotive eingestelltwerden.

1844 Reclam gründet eine »Wohlfeile Unterhaltungs-bibliothek für die gebildete Lesewelt«, die versucht, Po-pularität mit niedrigen Preisen zu verbinden.

1846 Wegen Verbreitung antihabsburgischer Schriftenwird per Hofdekret der Vertrieb von Büchern desReclam Verlags in Österreich verboten.Aufgrund der Publikation von Thomas Paines Das Zeit-alter der Vernunft. Eine Untersuchung der wahren undunwahren Theologie (zuerst 1794/95 erschienen) wirdAnton Philipp Reclam von einem Leipziger Gericht zu-sammen mit dem Übersetzer »wegen öffentlicher Her-absetzung der Religion« zu vier Monaten Gefängnisverurteilt. Verzögerung durch Einspruch und schließ-lich die 1848er Revolution bewahren ihn davor, die Ge-fängnisstrafe antreten zu müssen.

1848 Produziert die Druckerei Reclam noch bis in die50er Jahre linksliberale und oppositionelle Schriften, so

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verlagert sich das Programm des Verlags auf Bibelaus-gaben, geschichtliche Werke, Klassiker der Antike undWörterbücher, Klavierauszüge oder Liedersammlun-gen, also auf Werke, die unverändert und – mittels desneuen drucktechnischen Verfahrens der Stereotypie –oft und kostengünstig nachgedruckt werden konnten.

1858 Eine zwölfbändige Shakespeare-Ausgabe er-scheint, die – auch dank des Stereotypie-Verfahrens –preislich alle damaligen Ausgaben deutlich unterbot undaußerordentlich erfolgreich war (1867 erschien bereitsdie 15. Auflage).

1862 Verlag und Druckerei beziehen ein eigenes Hausin der Leipziger Dörrienstraße 4.

1863 Hans Heinrich Reclam (1840–1920), einzigesKind Anton Philipps, tritt in die Firma ein.

1865 Aus der zwölfbändigen Shakespeare-Ausgabewerden (bis 1867) 25 Dramen als Einzelausgaben zumsensationellen Preis von je 2 Silbergroschen destilliert,womit das Muster für das Prinzip der Einzelausgabender Universal-Bibliothek geschaffen war.

1867 Am 9. November tritt eine Regelung in Kraft, diedem Werk deutscher Autoren nach ihrem Tod eine30jährige Schutzfrist garantiert (1934 auf 50, seit 1965auf 70 Jahre verlängert). Diese für die Länder des Deut-schen Bundes gültige Regelung verhindert die oft schonzu Lebzeiten der Autoren praktizierten illegalen Nach-drucke, bedeutet zu diesem Zeitpunkt aber auch das

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schlagartige Gemeinfreiwerden der wichtigsten deut-schen Klassiker wie Lessing, Schiller oder Goethe. VieleVerlage geben preiswerte Klassiker-Reihen und Gro-schenbibliotheken heraus, Reclam gründet die Univer-sal-Bibliothek, eine »Sammlung von Einzelausgaben all-gemein beliebter Werke«, die »in regelmäßiger Folge«erscheinen sollen, wie es in einer ersten Publikumsan-

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zeige heißt, wobei nicht daran gedacht ist, »Werke, de-nen das Prädikat ›classisch‹ nicht zukommt, die abernichts destoweniger sich einer allgemeinen Beliebtheiterfreuen«, aus der Sammlung auszuschließen. Es fällt indieser Anzeige vom 4. Februar 1868 der noch heute gül-tige Satz: »An der Fortsetzung dieser Sammlung wirdunausgesetzt gearbeitet.«Die neue Reihe wurde von Handel und Publikum her-vorragend an- und aufgenommen, und die programma-tische Mischung von zuvörderst klassischen, dann aberauch schlicht beliebten Werken hat dazu sicher beigetra-gen. So findet sich nach der hochklassischen Fanfare derdrei ersten Nummern – nämlich den beiden Teilen vonGoethes Faust und nach Lessings Nathan und noch vorShakespeares Romeo und Julia – als Nr. 4 Theodor Kör-ners freiheitskriegerische Lyriksammlung Leyer undSchwerdt. Diese ersten Nummern waren offensichtlichals Hitparade angelegt – aber eben nicht nur unter Qua-litätsaspekten, sondern auch in wirkungsästhetischerHinsicht. Daß Körners Lyrik längst weitgehend unge-nießbare Literaturhistorie geworden ist, zeigt im übri-gen, wie auch Klassiker ihre Konjunkturen haben undbisweilen ihr Verfallsdatum. – Die Universal-Bibliothekbewies von Anfang an ihre weltliterarische Tendenz:sehr rasch und reichlich war Shakespeare vertreten; aberauch Racine, Corneille, Molière, Cervantes, Calderon,Goldoni, Goldsmith, Holberg, Lesage, Homer, Aischy-los, Vergil, Ovid, Horaz, Apuleius, Puschkin, Longfel-low und andere fanden früh Eingang in die Reihe, in derEnde 1868 schon 110 Nummern, 10 Jahre nach demFaust schon knapp 1000 Nummern vorlagen.Wie die Idee, literarische Hochqualität mit niedrigsten

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Preisen zu kombinieren, einschlug, können die erstenAuflagen des Faust veranschaulichen (wobei relativie-rend bemerkt werden muß, daß Goethes Faust, zumal»der Tragödie erster Teil«, im deutschen Sprachraumimmer eine recht einsame Sonderstellung und Spitzen-position einnahm und -nimmt): Geben 1868 Verleger alsDurchschnittsauflage noch ganze 750 Exemplare an,startet Reclams Faust I mit 5000 Exemplaren. Vier Wo-chen nach Auslieferung werden weitere 5000, wiederzwei Monate später schon 10 000 Exemplare nachge-druckt. Die Mischung von gutgängigen und also lukrativen Ti-teln mit literaturhistorisch wichtigen, oft aber durchausnur zäh verkäuflichen Titeln bestimmt seit eh und je dasProgramm der Universal-Bibliothek. Wie gut dieseMischkalkulation funktionierte, das belegt die bemer-kenswerte Tatsache, daß der anfängliche Nummernpreisvon zwei Groschen ein halbes Jahrhundert lang unver-ändert gehalten werden konnte. Ebenso lange Bestandhatte auch der erste Umschlagentwurf mit Rosenranke. Neben der neuen Taschenbuchreihe erschienen abernatürlich weiterhin gebundene Ausgaben: 1867 allein ei-ne zwölfbändige Schiller-, eine sechsbändige Lessing-und eine 45bändige Goethe-Ausgabe, die ebenso Re-clams Ruf als Klassiker-Verlag etablierten.

1868 Hans Heinrich Reclam wird Teilhaber der Firma.

1869 Als erster Operntext erscheint das Libretto zuCarl Maria Webers Preciosa von P. A. Wolff. Ein konse-quenter Ausbau der Libretti in der Universal-Bibliothekerfolgt dann ab 1889.

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Band 1 der Universal-Bibliothek in der ersten Ausgabe

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1870 Mit Vergils Aeneis sowie Homers Ilias und Odys-see in den Übersetzungen von Johann Heinrich Voß be-ginnt sich das Spektrum der Universal-Bibliothek umdie antike Literatur zu erweitern, noch heute – oft inzweisprachigen Ausgaben – ein Schwerpunkt des Pro-gramms.

1873 Mit Kudrun, Beowulf und dem Armen HeinrichHartmanns von Aue beginnen Übersetzungen mittelal-terlicher Texte in der Universal-Bibliothek zu erschei-nen, deren Verfügbarkeit die Rezeptionsgeschichte gera-de der mittelalterlichen Literatur stark beeinflußt hat,zum Teil auch durch Erstübertragungen ins Neuhoch-deutsche wie beim Annolied (1881) oder dem Rolands-lied (1890) des Pfaffen Konrad.Ebenfalls 1873 erschien der 1. Teil von Gogols RomanDie toten Seelen in der Universal-Bibliothek (2. Teil:1881), dessen deutsche Erstausgabe schon 1846 bei Re-clam herausgekommen war. 1877 folgte Gogols erfolg-reichste Komödie Der Revisor und leitete eine breiteRezeption der russischen Literatur in Deutschland ein.Rund 100 Übersetzungen russischer Titel brachte dieUniversal-Bibliothek bis Anfang des 20. Jahrhundertsheraus, darunter Werke von Puschkin, Lermontow, Tur-genjew, Tolstoi (in je zwei Bänden auch die großen Ro-mane Anna Karenina, Krieg und Frieden und Auferste-hung), Dostojewskij, Tschechow oder Gorki.

1877 Seit diesem Jahr etabliert sich philosophischesSchrifttum in der Universal-Bibliothek: Neben drei Pla-ton-Dialogen erscheint Kants Kritik der reinen Ver-nunft; die beiden anderen großen »Kritiken« Kants, die

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Kritik der Urteilskraft und die Kritik der praktischenVernunft, folgen 1878.Mit Die Stützen der Gesellschaft erscheint das erste Ib-sen-Drama in der Universal-Bibliothek, dem – teils alsdeutsche Erstausgaben – bis 1893 weitere 17 Dramenfolgten. Mit Autoren wie Ibsen, der in den nächstenJahrzehnten zum erfolgreichsten ausländischen Autorder Universal-Bibliothek avancierte, mit Tegnér, Ander-sen, Hertz, Bjørnson, Jacobson, Strindberg oder Lager-löf wird Reclam der entscheidende Verlag für skandina-vische Literatur in Deutschland (später von S. Fischer indieser Rolle abgelöst).

1878 Im 50. Jahr des Verlags und als Nr. 1000 der Uni-versal-Bibliothek erscheint die Novelle Zwei Gefangenedes späteren Nobelpreisträgers Paul Heyse.

1881 Das sich als Standardwerk etablierende Lehrbuchdes Schachspiels von Jean Dufresne erscheint in der Uni-versal-Bibliothek; die 7. Auflage kommt 1901 heraus,überarbeitet von Jacques Mieses; seit 1956 bearbeitetRudolf Teschner das Werk, das heute in 30. Auflage vor-liegt.

1882 Die wichtigsten Gesetzestexte werden in preis-günstigen Ausgaben verfügbar gemacht, die der späte-re Landgerichtspräsident Karl Pannier (der nebenbeinoch mittelhochdeutsche Epen wie Wolframs Parzivalübersetzte) fast 50 Jahre lang betreut. Als erste Texte er-scheinen das Strafgesetzbuch und die Strafgesetzord-nung.

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1884 Franz Brümmer gibt ein Lexikon der deutschenDichter und Prosaisten von den ältesten Zeiten bis zumEnde des 18. Jahrhunderts heraus, dem 1885 das Lexi-kon der deutschen Dichter und Prosaisten des 19. Jahr-hunderts folgt. Vor allem letzteres ist ein großer Erfolg;1913 liegt die 6. Auflage in acht Bänden mit 9900 Ein-trägen vor (Reprint 1975).Von Annette von Droste-Hülshoff erscheinen Gedichteund Die Judenbuche; die Novelle entwickelt sich zu ei-nem der absatzstärksten Titel in der Universal-Biblio-thek, der nach rund 120 Jahren eine Auflage von 4,1 Mil-lionen Exemplaren erreicht.

1885 Als Nr.2000 erscheint mit Wilhelm Raabes Erzäh-lung Zum wilden Mann – wie schon mit Paul Heyse beider Nr. 1000 – das Werk eines Gegenwartsautors in derUniversal-Bibliothek, nicht-exklusiv und für 600 MarkPauschalhonorar: »Im Allgemeinen«, schrieb HansHeinrich Reclam an Raabe, »gestattet mir der billigePreis meiner Hefte nur geringere Honorare zu leisten.«

1886 Der anhaltende Erfolg der Universal-Bibliothekruft, wie üblich, Nachahmer auf den Plan; »MeyersVolksbücher« und »Hendels Bibliothek der Gesamt-Li-teratur des In- und Auslandes« beginnen zu erscheinen.Von 1895 bis 1905 wird in Prag eine »Jüdische Univer-sal-Bibliothek« produziert, 1903 bis 1920 erscheint»Hesses Volksbücherei« als vergleichbare Billigreihe.

1887 Der Verlag hat 15, die Druckerei über 100 Mitar-beiter. Nachdem das 1862 entstandene Gebäude in derLeipziger Dörrienstraße für Buchlager und neue Druck-

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maschinen zu klein geworden ist, kauft man an Kreuz-und Inselstraße, im sogenannten Graphischen Viertel,ein 15 000 Quadratmeter großes Gelände, auf dem zu-erst ein Druckerei- und Lagergebäude errichtet wird,das schon 1895 erweitert wird. 1905 wird ein weiteresgroßes Geschäftshaus auf dem Gelände fertiggestellt(Architekt: Max Bösenberg).

1891 Eine sechsbändige Schopenhauer-Ausgabe er-scheint (40 Nrn. der Universal-Bibliothek umfassend),von Eduard Grisebach herausgegeben. Von Schopen-hauers Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellungwerden in acht Jahren erstaunliche 35 000 (1. Bd.) bzw.25 000 Exemplare (2. Bd.) verkauft.

1896 Am 5. Januar stirbt Anton Philipp Reclam im Al-ter von 88 Jahren. Die Universal-Bibliothek, sein verle-

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gerisches Hauptwerk, umfaßt bei seinem Tod 3470Nummern. »Er ging seinen geraden Weg und ließ sichweder von oben noch von unten das Geringste gefallen«,schrieb sein Sohn Hans Heinrich Reclam, der die verle-gerische Arbeit seines Vaters fortsetzte, »der Bildungund dem Fortschritt« verpflichtet.Hans Heinrich Reclam kauft vom Verlag Alfred Hau-schild das Universum, eine »Illustrierte Familien-Zeit-schrift«, die nun wöchentlich bei Reclam erscheint, ab 1901 unter dem Titel Reclams Universum. Zeitweiseerreichte die Zeitschrift eine Auflage von 75 000 Exem-plaren. Als inhaltlich breit angelegte bürgerliche Kultur-zeitschrift bietet sie die Abteilungen Romane, No-vellen und Gedichte, Kritiken, Länder- und Völker-kunde, Städtebilder, Naturwissenschaft, Technologie,Bildende Kunst, Zeit- und Kulturgeschichte, Biogra-phien und Porträts, Kunstbeilagen, Rezepte, Bastel-anleitungen und anderes mehr. Ab 1902 wird sie um die Weltrundschau erweitert, die aktuelle Nachrich-ten aus Politik und Kultur bietet. Gebunden und durchRegister erschlossen, kann die Zeitschrift auch als Jahr-buch und Nachschlagewerk dienen. Im September 1944stellt Reclams Universum kriegsbedingt sein Erscheinenein.Innerhalb der Universal-Bibliothek startet eine Reihemit dem Titel »Erläuterungen zu Meisterwerken derdeutschen Literatur«.

1899 Als Nr. 4000 der Universal-Bibliothek erschei-nen Peter Roseggers Geschichten und Gestalten aus denAlpen.Zum 60jährigen Bestehen der Druckerei verfertigt das

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»Gesamtpersonal der Offizin« ein Jubiläumsbändchen,das das enorme Wachstum der Druckerei und den enor-men Materialaufwand vordigitaler Zeiten dokumentiert:»In dem Riesenbau, in dem Druckerei und Verlag jetztuntergebracht, sind von den ursprünglich vorhanden ge-wesenen 11 Handpressen nur zwei zu finden; alle ande-ren Pressen sind durch Schnellpressen ersetzt worden[…]; es sind heute ca. 100 000 Pfund Schriftmaterial vor-handen; das letzte […] Verzeichnis weist 360 verschiede-ne moderne Schriften auf, neben 122 ebensolchen Ver-zierungen und Satzschmuckstücken. Diese Verwand-lung der Druckerei ermöglicht es, jetzt neben demumfänglichen Werkdruck, auch den Illustrations- undKunstdruck zu pflegen. Das Personal der Buchdrucke-rei ist mit den Jahren bis zu einer Höhe von jetzt durch-schnittlich 135 Personen gewachsen, deren Etat wö-chentlich ca. 2600 Mark beträgt«.

1901 Der Koran erscheint in der (1960 von AnnemarieSchimmel mit Einleitung und Anmerkungen versehe-nen) Übersetzung von Max Henning, ein Pseudonym,hinter dem der Arabist August Müller vermutet wird.Im selben Jahr schließt Henning auch seine seit 1896 er-scheinende 24bändige Übersetzung der Geschichten ausTausendundeiner Nacht ab.

1903 Grillparzer erscheint mit 15 Titeln in der Univer-sal-Bibliothek. Wie in diesem Fall, so werden auch inZukunft bedeutende Autoren im Jahr ihres Gemeinfrei-werdens mit ihren wichtigsten Titeln in die Universal-Bibliothek genommen.

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1904 Wie sehr die frugalen Bändchen der Universal-Bibliothek inzwischen zu Grundnahrungsmitteln in Sa-chen literarischer Bildung geworden sind, mögen diebeiden folgenden Zitate bezeugen: In seiner Monographie über seinen 1904 verstorbenenFreund Peter Hille (sozialkritischer Dichter zwischenNaturalismus und Expressionismus und eine Kultfigurder Berliner Boheme der Jahrhundertwende) erzähltHeinrich Hart von dessen Mangel »an äußeren Gütern«.Hilles »tragbare Habe« bestand aus einem »Sack mitManuskripten, Büchern und alten Zeitungen […]. VorJahren sind wir beide einmal durch den Tiergarten ge-gangen; Peter nannte noch zwanzig Pfennig sein eigen,ich für den Augenblick nichts. Unsren Appetit suchtenwir mit den Eicheln, die am Wege lagen, zu betrügen.Und dann ging Peter hin und kaufte sich für seine letz-ten Zwanzig ein Reclambändchen. Diese billigen Ausga-ben waren so ganz nach Peters Herzen. Mit zwanzigHellern einen geistigen Goldschatz heben und heimtra-gen zu können, das hat ihm mehr als eine selige Stundeverschafft. Dankbar sagte er mir denn auch einmal:›Wenn die Aufklärung Heilige kreierte, ebenso wie dieUmneblung – die Kirche –, dann hätten wir sicherlichbald einen San Antonio Filippo Reclam. Ich selbst wür-de im Kanonisationsprozeß als Zeuge für erlebte Wun-der auftreten.‹«Der spätere Verleger Ernst Rowohlt, 1904 Banklehrlingin Bremen, erinnert sich: »In dieser Zeit legte ich denGrundstein zu meiner heute mit Recht so berühmtenliterarischen Bildung, denn ich hatte, während ich mitder Straßenbahn fuhr und bei den Großbanken, beidenen ich auf Abfertigung warten mußte, viel Zeit zum

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Lesen. Ja, Altersgenossen von mir behaupten, daß ichhäufig auf der Straße, im Gehen ein Reclam-Bänd-chen lesend, getroffen wurde und manchmal sogar La-ternenpfähle angerannt hätte. (Jede Behauptung, daß dasschon damals im Suff geschehen sei, bestreite ich ener-gisch.)«

1905 Mit einem musikwissenschaftlichen Kommentarzu Wagners Fliegendem Holländer erscheint der ersteBand einer Reihe mit »Erläuterungen zu Meisterwerkender Tonkunst«, die bis 1927 fortgeführt wird.Das vierstöckige Geschäftshaus an der Leipziger Insel-straße wird vollendet. Mit Druckerei und Lager bildet eseinen dreiteiligen Gebäudekomplex, der hufeisenförmigeinen Hof mit dem Maschinenhaus umschließt, das mitzwei Dampfmaschinen und einer großen Akkumulato-renbatterie Heizung und Strom, vor allem für die 56Schnellpressen der Druckerei, liefert.

1906 Hans Heinrich Reclams Söhne Dr. Ernst Reclam(1876–1953) und Hans Emil Reclam (1881–1943) wer-den Gesellschafter der Firma. Hans Emil Reclam hattesich in Leipzig, Zürich, Edinburgh und in den USA alsBuchdrucker ausgebildet und widmet sich dementspre-chend vor allem der Druckerei. Dr. Ernst Reclam, der inLeipzig und München Philologie, Philosophie undPädagogik studiert hatte, arbeitet vornehmlich im Ver-lag und unterzieht das in vier Jahrzehnten gewaltig ex-pandierte Programm der Universal-Bibliothek in dennächsten Jahren einer Revision. Zahlreiche Theater-stücke und -stückchen für Dilettantenbühnen werdenaus dem Programm genommen.

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Das Geschäftsgebäude Insel-/Kreuzstraße (1905)

Innenhof mit Maschinenhaus

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Welche Rolle seinerzeit die Reclam-Heftchen in Ruß-land nicht nur für die Verbreitung deutscher, sondern –in deutschen Übersetzungen – westeuropäischer Litera-tur überhaupt spielten, bezeugt der Bericht KonstantinPaustowskijs aus seiner Gymnasiastenzeit in Kiew:»Wir waren jung, und die westliche Literatur zog uns andurch ihre Schönheit, ihre Ruhe und die Vollkommen-heit der Darstellung. Der kühle und klare Mérimée waruns leichter faßlich als der quälerische Dostojewskij. BeiMérimée und bei Flaubert war alles licht wie an einemSommermorgen. […] Es kann auch sein, daß die billigengelben Heftchen der ›Universal-Bibliothek‹ an unsererBegeisterung für die westliche Literatur schuld waren.Sie überschwemmten damals die Buchhandlungen. Fürzwanzig Kopeken konnte man Mont Oriol, EugénieGrandet, Die Wildente und Die Kartause von Parma er-stehen.«

1907 In einer Neuübersetzung von Johannes Schlaf er-scheint Walt Whitmans lyrisches Großwerk Grashalme,dessen neopathetischer Ton nicht ohne Einfluß auf densich formierenden Expressionismus war.

1908 Als Nr. 5000 der Universal-Bibliothek erscheintals Erstveröffentlichung wieder der Text eines vielgele-senen Gegenwartsautors: Otto Ernsts Vom Strande desLebens. Novellen und Skizzen.Anläßlich der 5000sten Nummer werden Hans Hein-rich Reclam 1225 handschriftliche Widmungsblätterpräsentiert, die später in einem Riesenband als Faksi-miles erschienen. Aus diesen nostalgischen, gravitäti-schen, lyrischen oder ganz sachlichen Äußerungen von

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Zeitgenossen zur Universal-Bibliothek hier eine kleineAuswahl:

Wilhelm Bölsche: »›Reclam‹ bedeutet eine Station derVolksbildung auf der Erde.«

Georg Hermann Borchardt (d.i. Georg Hermann): »WirSchriftsteller leben immer unter Druck; aber bei Reclamist er am kleinsten.«

Hugo von Hofmannsthal: »Was dankt man nicht diesenkleinen Bändchen: unter der Schulbank, im Grünen, inder Packtasche auf Manövern – wo hätten sie uns nichtbegleitet und zu tausend Stunden erfreut und beschenkt!Gar zwischen 15 und 20! Aus dieser Lebenszeit könnteich das ›Reclam-Büchel‹ so wenig wegdenken als irgendetwas.«

Ricarda Huch:Japanpapier und Buchschmuck, edle Lettern,Ganz weiches Leder, Seide, PergamentErgötzt den Bücherfreund, der alles kennt.Vielleicht – wenn er so spielt mit theuren Blättern, Denkt er, wie wunderschön es einst gewesen,Wenn in der Schule, heimlich irgendwie,Ein mürbes Reclambändchen er gelesen,Das golden überfloß von Poesie.

Alfred Kerr: »Vor 15 Jahren ließ ich (in einem Aufsatz:›Schumanniana‹) den Satz drucken: ›Wär’ ich der Kul-tusminister, ich verliehe dem Herausgeber der Reclam-Bibliothek einen der höchsten Orden‹«.

Thomas Mann, der noch nicht ahnen konnte, daß die ge-setzliche Schutzfrist bei seinem Tod nicht mehr 30, son-

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dern 70 Jahre betragen sollte: »Im besonderen Maßeglaube ich der Zahl derer anzugehören, die dem Begrün-der und Ausgestalter der Reclam-Bibliothek zu Dankverpflichtet sind. Nicht wenige meiner Lieblingsbücherhabe ich als Jüngling in seiner Ausgabe gelesen, und im-mer werde ich mich gern der frühen, frischen Zeiten er-innern, wo meine Büchersammlung sich beinahe ganzaus Reclam-Nummern zusammensetzte. Ja, so sehr lieb-te ich die gelb-roten Heftchen, denen ich meine schön-sten Stunden verdankte, daß es mein Traum war, einWerk meines eigenen Geistes nach ihrer Art gedrucktvor mir zu sehen, und dieser Traum ist mir bis heutenicht fremd geworden. Wenn dreißig Jahre nach meinemTode das eine oder andere meiner Bücher in der Reclam-Bibliothek erschiene – wäre das nicht eine kleine Un-sterblichkeit? Und so mag mir erlaubt ein, mich demVerlage nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch inder Zukunft verbunden zu fühlen.«

Gustav Stresemann: »Zweierlei erscheint mir bedeu-tungsvoll bei dem Unternehmen der Reclam-Biblio-thek. Sie zeigt dem werdenden Geschlecht den Weg,kostbare Güter des Geistes in sich aufzunehmen, ohnedafür mehr Opfer zu bringen, als den Verzicht auf daswenige an materiellen Gütern, was für dieselbe Wertein-heit zu erringen wäre. Das Kind aber ist nach dem Dich-terwort der Vater des Mannes und vieles was in uns ruhtführt sich zurück auf die Anregungen, die unser jungesGemüt aus den gelben Heften empfing, zu denen unserAuge so sehnsüchtig emporsah, wenn sie uns aus denSchaukästen der Buchhandlungen winkten.«

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Jakob Wassermann: »Nur wer in seiner Jugend arm ge-wesen und mit mühsam ersparten Groschen sich denBesitz von Dichterwerken erringen konnte, vermag dasVerdienst des Reclam’schen Unternehmens zu ermessenund zu würdigen. Was mich betrifft, ich war in jener La-ge, und es macht mir Freude, meine Dankbarkeit zu be-kennen.«

Ab 1908 finden auf Anregung Ernst Reclams Naturwis-senschaft und Technik Aufnahme in die Universal-Bi-bliothek. Die Sachbuchreihe »Bücher der Naturwissen-schaft« bringt es bis 1930 auf 35 Bände, darunter Titelwie Elektrizität, Der Sternenhimmel, Das Klima oderPflanzenkunde.Schon im 19. Jahrhundert hatte es neben den Broschu-ren immer einzelne Titel in gebundenen Ausgaben gege-

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ben, im etwas stickigen Geschmack des Kaiserreichs mitreichlich Blind- und Goldprägung befrachtet. Jetzt ent-werfen Peter Behrens, Bruno Paul und Henry van derVelde neue Leineneinbände. Man wählt die Entwürfevon Peter Behrens, ein schwarzes Rahmenornament undschwarze Schrift – von Behrens eigens für diese Reclam-Ausgaben geschnitten – auf blauem, braunem oder ro-tem Leinen.

1910 Unter dem Reihennamen»Helios-Klassiker« erscheinen inLeinen oder Leder gebundeneGesamtausgaben oder mehrbän-dige Auswahleditionen. Gebotenwurde »Vollständigkeit bei unbe-dingter Texttreue, wertvolle Ein-führungen durch bedeutendeLiteraturhistoriker, künstlerischeBildnisbeilagen, scharfer Druck, holzfreies, nicht vergil-bendes Papier, handliches Format, solide Einbände mitFadenheftung.« Der Einzelband kostet nur 1,25 Mark,auch damals ein außergewöhnlich niedriger Preis.

1911 Drei Varianten des neuentwickelten platzsparen-den, auseinanderklappbaren Reclam-Schranks werdendem Buchhandel zur kompletten Lagerhaltung der Uni-versal-Bibliothek angeboten (s. Abb. S. 28).

1912 Die revolutionäre Marketingidee, Bücher perAutomaten zu verkaufen – für den Buchhandel ein»selbständiges Filialgeschäft« ohne »große Anlagekapi-talien und zu hohe Personalkosten« –, beschreibt ein

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Werbung für den auseinanderklappbaren Reclam-Schrank

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Prospekt folgendermaßen: »Die nebenstehende Abbil-dung [s. S. 30] veranschaulicht, daß der Bücherautomateine von dem berühmten Kunstgewerbler Prof. PeterBehrens entworfene höchst vornehme und ansprechen-de äußere Form besitzt und wie ein Schaufenster wirkt,indem er zwölf verschiedene Bände zur Auswahl anbie-tet. Jedes einzelne Buch ist mit einem Streifband umge-ben, auf dem in einer deutlichen Schrift mit kurzen präg-nanten Sätzen der Inhalt erläutert, die Neugierde durchein treffendes Urteil erregt oder eine Charakteristik desAutors gegeben wird – besser, als irgendein Verkäuferdazu in der Lage wäre, da er ja niemals über den einzel-nen Band so genau unterrichtet sein kann. Die Auswahlwechselt fortgesetzt, denn bei jedesmaligem Kauf fälltder vorderste Band von einem der zwölf sichtbaren Sta-pel, und ein neues Buch lockt zur Auswahl und zumKaufe. Da jeder Stapel 6–7 Bände enthält, bietet also eineinziger Apparat eine Auswahl von ca. 80 verschiedenenBüchern!«Das handliche Format, die große Titelvielfalt und derniedrige Preis prädestinieren die Universal-Bibliothekzum Automatenverkauf, »nicht nur am Eingang zumLaden, in viel frequentierten Straßendurchgängen derGroßstädte, in Cafés, Restaurants und Biergärten, aufBahnhöfen und in Hotels, in Sommerfrischen und Bade-orten, auf Schiffen und in Wartehallen, sondern auch«,wie es in dem Prospekt weiter heißt, »in Krankenhäu-sern und Kasernen, in Lesehallen und Volkshäusern, inden Vorhallen der Theater und Schulen«. – Bis 1917werden fast 2000 Automaten in Betrieb genommen, die,von umherreisenden Monteuren gewartet, bis etwa 1940im Einsatz sind.

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Der Verleger Ernst Heimeran erzählt 1955, anläßlich derFeier zum 50jährigen Bestehen des Verbandes der Bahn-hofsbuchhändler: »Ich will damit nur andeuten, was esfür eine Sensation machte, als neben dem alten Automa-ten, dessen Süßigkeiten man in drei herausziehbarenSchubladen offeriert bekam, ein neuer Automat auf-tauchte, bei dem das Gewünschte in einen offenenSchlitz herunterfiel, sobald man an einem Griff zog.Und das Allererstaunlichste: dieser Automat liefertenicht etwa Süßigkeiten, sondern eine ganz andere Artvon Lebensweckern: Reclam-Hefte.«

1914 Auf Anregung eines Soldaten wird die »TragbareFeldbücherei« entwickelt, Kästen, die je 100 Nummernder Universal-Bibliothek enthalten und im Ersten Welt-krieg an der Front, auf Schiffen oder in Lazaretten zum

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Einsatz kommen. Das Erscheinungsbild der Universal-Bibliothek wird von französischer Seite erstmals fürPropagandazwecke gegen die deutsche Heeresführungund Regierung benutzt. Richard Wagner kommt mit elf Opernlibretti und fünfBänden seiner Schriften in die Universal-Bibliothek.

1917 Nach einer 50jährigen Phase geradezu sensatio-neller Preisstabilität, in der die Reclam-Nummer 20Pfennig kostete, wird zum 1. Januar eine Preiserhöhungauf 25 Pfennig unumgänglich. Die kriegsbedingte Geld-entwertung zwingt sogar zur raschen weiteren Erhö-hung des Nummernpreises: Am 1. November muß erauf 30, am 15. Januar 1918 auf 40 und am 1. Oktober1918 nochmals auf 50 Pfennig angehoben werden.1917 wird auch das Format leicht vergrößert undschlanker (von 14,8 × 9,4auf 15,6 × 9,6 cm), Schrift-grad und Zeilenabstandwerden etwas erhöht, vorallem aber wird nach 50Jahren der Umschlag ver-ändert. Die Rosenrankewird durch ein sachliche-res Rahmenornament ab-gelöst, das Fritz HellmutEhmcke entworfen hat,der als Buchgestalter desVerlags Eugen Diede-richs bekannt gewordenwar. Unter dem in derEhmcke-Schwabacher ge-

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setzten Titel findet sich ein neu entworfenes Verlags-signet. Die Feier zum 50jährigen Bestehen der Universal-Bi-bliothek findet kriegsbedingt nur im Kreis der inzwi-schen fast 500 Mitarbeiter statt, ein Anlaß, erstmals Ab-satzzahlen bekannt zu geben: Spitzenreiter war damalsSchillers Wilhelm Tell mit 2,3 Millionen Exemplaren,von Shakespeares Dramen wurden insgesamt 4 Millio-nen, von Ibsens Dramen sogar erstaunliche 4,5 Millio-nen Exemplare abgesetzt.

1918 Geschenkausgaben in mehrfarbig gestaltetenPappeinbänden erscheinen ab 1921 mit aufgeklebtemTitelschildchen, in Konkurrenz zu den künstlerisch ge-stalteten und dennoch preiswerten Bändchen der seit1912 erscheinenden Insel-Bücherei.

1919 Als Nr. 6000 erscheint Hermann SudermannsDer verwandelte Fächer und andere Novellen. VonTheodor Storm kommen von 1919 bis 1921 über 30 Ti-tel ins Programm. Ein neuer Programmbereich sind staatsphilosophischeund gesellschaftspolitische Schriften unter dem Reihen-titel »Bücher für staatsbürgerliche Bildung«: LasallesArbeiter-Programm, Schriften von Marx unter dem Ti-tel Lohnarbeit und Kapital, die sog. Weimarer Verfas-sung (Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August1919), das Reichswahlgesetz oder die Reichsstimmord-nung für das Deutsche Reich.Hübsch, weil in seinen Argumentationsstrukturen fürjedes Verlagsgeschäft noch heute gültig, ist ein öffentli-cher Briefaustausch, den der Dichter Klabund (d. i. Al-

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fred Henschke) und der fast 80jährige Hans HeinrichReclam am 23. und 29. Oktober 1919 in der »VossischenZeitung« führten:

»Lieber Herr Reclam!Eigentlich bin ich gar nicht so gewiß, daß Sie wirklichexistieren, denn seit meiner Jugend leben Sie als Mär-chenfigur in meiner Vorstellung wie Rübezahl und wieKnecht Ruprecht. Am Samstag, wenn das Taschengeldausgezahlt wurde (50 Pfennig bis 1 Mark, welch einReichtum!), begannen in mir die martervollsten undaufregendsten Kämpfe. Die Bücher, die ich mir wünsch-te, waren in Ihrem Katalog mit Rotstift sorgsam ange-strichen: aber es waren so viele, daß die Wahl mir immerwieder schwer wurde. […] Ich fieberte förmlich, bis ichmit bebendem Herzen in die Buchhandlung vonHarnecker in der Oderstraße trat und den Napoleonvon Grabbe verlangte. Wie einen Schatz barg ich ihn anmeiner Brust und lief über die Oderbrücke und denDamm entlang, bis ich zum sogenannten Poetenwegkam. Da setzte ich mich auf eine einsame Bank und lasund las und lebte.Lieber Vater Reclam: ich habe Dir viel zu verdanken undich danke es Dir mit vollem Herzen. Aber inzwischenbin ich groß geworden, ein sogenannter erwachsenerMensch […]. Sieh: ich möchte Dir, gleichsam um Dir einwenig meinen Dank abzustatten, einen Vorschlag unter-breiten, eine Idee, einen Plan, nicht mehr mir, nichtmehr Dir, sondern dem deutschen Volke zum Nutzen,dem Du so treu gedient hast. […] Auch Homer, sagtman, war manchmal blind. Und Du, lieber guter VaterReclam, warst es […] leider mehr als einmal. Es findet

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sich viel zu viel Schund, Kitsch, verzeih die harten Aus-drücke, aber sie kommen vom Herzen, in Deiner Uni-versalbibliothek, der das Gute, das Beste, das Strahlend-ste nur allzu oft in den Schatten stellt und Verwirrung indie unkritischen Geister bringt, die Dir vertrauensvollnahen.Ich mache Dir den Vorschlag: ernenne aus ersten deut-schen Dichtern eine sagen wir Fünferkommission (ichschlage Gerhart Hauptmann, Heinrich und ThomasMann, Rainer Maria Rilke, Hugo von Hofmannsthalusw. vor), die die Nummern auswählt, die nach undnach in der Universalbibliothek gestrichen und durchwertvolle Neudrucke ersetzt werden sollen. Die Sa-che ist für die deutsche Volksbildung von so eminen-ter Wichtigkeit, daß keine Zeit versäumt werden sollte,sie samt und sonders, nicht nur in einzelnen Exem-plaren, auf das höchstmögliche Niveau zu heben. Viel-leicht übernimmt gar der Staat Deine Bibliothek undsozialisiert sie und unterstellt sie dem Ministerium für Volksbildung? Kurzum: es sollte sich ein Weg fin-den, die Universalbibliothek zu einer Musterbibliothekum- und auszubauen. Wenn nur der Wille da ist, dannwird sich der Weg schon finden. Man kann nicht einPantheon der Weltliteratur und einen Verlag für mittel-mäßigste Reiselektüre unterschiedslos durcheinander-mischen. Entweder – oder. Und ich glaube und hoffe,Du entschließest Dich für das Entweder – für das Pan-theon.«

Hans Heinrich Reclam antwortete unverzüglich undebenfalls öffentlich:

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»Lieber Klabund!Amüsante offene Briefe hat das Publikum immer gerngelesen. Aber eigentlich sind sie doch nur dann nötig,wenn der Briefschreiber in Wahrung berechtigter Inter-essen der Gesamtheit handelt, und alle anderen Versu-che, eine Besserung herbeizuführen, erfolglos gebliebensind. Hättest Du mir in dem Briefe, in dem Du mir neu-lich einen Verlagsvorschlag machtest, auch Deine Be-denken gegen die Universal-Bibliothek nahegelegt, sohätte ich Dir geschrieben, daß schon seit längerer Zeitdie Vorarbeiten zur gründlichen Erneuerung der Uni-versal-Bibliothek begonnen seien, die berechtigten In-teressen des deutschen Volkes also gewahrt würden. Soist es! Du darfst später nicht etwa glauben und sagen, dieErneuerung der Sammlung sei auf Deinen öffentlichenAufruf hin erfolgt. Du wirst einem alten Mann, dessenBart und Haupthaar weiß geworden sind und dessenHand anfängt, zu zittern, – Du wirst einem bald Acht-zigjährigen das doch glauben; nicht wahr, mein Lieber?Aber komm nur mal nach Leipzig! Dann werd’ ich Dirbeweisen, daß ich Euch Matthisson, Hölty, die schöneMelusine, den Napoleon von Grabbe, Jean Paul – o duVerlegerkreuz! – und Faust II und Immermann und tau-send andere Bücher – tausend, mein Klabund! – nur des-halb jahrzehntelang für ein paar Pfennig habe gebenkönnen – 7, 8, 9 Bogen für ein paar Pfennig! – weil ichauch harmlose Reiselektüre – keine Schundliteratur,Klabund! – in die Universal-Bibliothek aufnahm. Manhat mir altem Mann gesagt, das werde nun nicht mehrnötig sein; das Beste, Strahlendste allein werde Reclameine genügende wirtschaftliche Grundlage geben. Um sobesser! Die Zeiten mögen andere geworden sein. Ich

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mag mich täuschen über den Grad der Sehnsucht dervielen nach dem Strahlendsten, auf die allein das Panthe-on der Weltliteratur sich stützen kann. Meine Nachfol-ger mögen’s anders machen als ich. Aber langsam, rat’ich, langsam, meine jungen Herren! Der Rat der großenDichter sei willkommen! Herrlich, wenn sie auch nochVerständnis für die unbedingt nötigen nüchternen Kal-kulationen haben! Sie werden dann auch einsehen, daßich hinfort den lieben jungen Leuten mit dem schma-len Taschengeld nicht mehr 7, 8, 9 Bogen in einerReclam-Nummer geben kann, was mir – man kann esmir glauben – in der Seele weh tut. Also hört die Dich-ter! Aber laßt mir ja die Fünferkommission aus dem La-den! Die würde ihn bald so zugerichtet haben, daßReclam nicht nur keine Reiselektüre, sondern auch kei-nen Matthisson und keinen Hölty, keine schönen Volks-bücher und keinen Grabbe, keinen Goethe und keinenShakespeare mehr zu verkaufen hätte und – auch keinenKlabund.«

1920 Am 30. März stirbt 80jährig Hans HeinrichReclam. Die Firma wird nun von Dr. Ernst Reclam undHans Emil Reclam geleitet. Die Universal-Bibliothek öffnet sich nun entschiedenerfür Gegenwartsautoren. In den nächsten Jahren erschei-nen Titel von Johannes Schlaf, Clara Viebig, WilhelmSchmidtbonn, Hans Franck, Herbert Eulenberg, AlbertEhrenstein, Klabund, Thomas Mann, Hermann Bahr,Max Mell, Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal,Gerhart Hauptmann, Franz Werfel, Stefan und ArnoldZweig, Ricarda Huch und vielen anderen weniger nam-haften bzw. inzwischen wieder vergessenen Autoren.

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Die 1910 gegründeten »Helios-Klassiker« erhalten eineneue Ausstattung (Entwurf: Emil Rudolf Weiss). DieBände sind einzeln erhältlich zum Preis von 2,75 Mark,dank ihres Erfolgs dann sogar für 2,45 Mark, und sindbis zum Ende des Zweiten Weltkriegs lieferbar.

1921 Gottfried Keller kommt mit Gedichten, seinenRomanen Der grüne Heinrich und Martin Salander,dem Sinngedicht und vielen Erzählungen in die Univer-sal-Bibliothek.

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1922 Brehms Tierleben beginnt in insgesamt 20 Einzel-bänden zu erscheinen.Die progredierende Inflation läßt auch die Reclam-Prei-se explodieren: Im August kostet eine Nummer 10Mark, Ende des Jahres 180 Mark. Im August 1923 sindes dann schon 24 000 Mark, am 15. September 4,2 Mil-lionen, am 30. November 1923 wird der Rekordpreisvon aberwitzigen 330 Milliarden Mark für eine Reclam-Nummer erreicht.

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1924 Als »Helios-Bücher« vertreibt der Verlag nunauch klassische Einzelwerke in größerem Format, z. B.von Goethe Dichtung und Wahrheit, die ItalienischeReise oder Die Wahlverwandtschaften, aber auch Ro-mane wie Dostojewskijs Brüder Karamasow oderGustav Freitags populäres Soll und Haben. – In derUniversal-Bibliothek erscheint Thomas Manns NovelleTristan.

1925 In der Zeitschrift Das Tage-Buch erscheint EgonErwin Kischs Reportage »Im Elternhaus der Reclam-Bändchen«: »[…] das Reclambuch ist es, das die Weltmit der deutschen Literatur bekannt gemacht hat. An er-ster Stelle in der Reihe der bestellenden Länder steht –Japan; und es ist verständlich, daß in einer asiatischenReisebeschreibung berichtet wird, ein Japaner habe demDeutschen, den er kennenlernte, nur zwei deutscheWorte zu sagen gewußt: ›Bismarck‹ und ›Reclambook‹.Durch den bewundernden Ton, den er in diese einzigenWorte seines deutschen Sprachschatzes legte, wollte erdem Fremden seine Verehrung für dessen Heimatlandaussprechen.« Es folgt Kischs anschauliche Beschrei-bung der Leipziger Produktionsstätte über die Druck-säle, Buchbinderwerkstätten, Elektrizitätsanlagen unddas feuersichere Plattenmagazin. Schließlich betritt derLeser mit Kisch das Lager: »Ein Bergwerk geistigenSchaffens ist das Hauptlager; an 28 bis 30 MillionenNummern, geheftet und verkaufsfähig, beherbergt esvon den 6500 Werken, die bisher erschienen sind. Soklein diese Ziffer im Vergleich zu jener millionengroßender Auflage ist, – es ist doch wohl die größte Zahl vonPublikationen, die je ein Verlag herausgebracht hat.«

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1926 Zur Universal-Bibliothek wird ein 516 Seitenstarker Ausführlicher Schlag- und Stichwortkatalog er-arbeitet, der die bis Ende 1925 erschienenen Nummern1–6590 aufschlüsselt. Ein Nachtrag von 110 Seiten er-gänzt später die bis 1935 erschienenen Nummern6591–7310. Aus dem Repertoire der Opernlibretti entwickelt man,da nun Radioübertragungen von Opern üblich werden,eine »Rundfunk-Bibliothek« in 16 Bänden mit den Tex-ten der beliebtesten Opern und Singspiele. Eine weitere Marketingidee für »in den Tropen lebendeDeutsche« ist »Reclams Export-Bücherei« mit »50 No-vellen in dauerhafter Blechkassette«, die »sicherenSchutz gegen Regen, Staub, Insekten« zu bieten ver-sprach.

1927 Außerhalb der Universal-Bibliothek erscheintdie neue Reihe »Junge Deutsche«, in der unter dem Si-gnum eines munteren Fohlens junge, zum Teil nochganz unbekannte Autoren publizierten. Außer, viel-leicht, Ernst Penzoldt, Klaus Mann oder Manfred Haus-mann dürften die meisten Autorennamen längst in Ver-gessenheit geraten sein.Seit dem 2. August 1927 liefert die Wiener Firma von Dr.Emmerich Morawa die Reclam-Bücher für Österreich,und tut dies – nach der Fusion mit Mohr 1992 – alsMohr · Morawa noch heute.In Japan erscheint, als Gründung des Verlegers IwanamiShigeo, die in Programm, Format, gelbrotem Umschlagund Nummernzählung weitgehend dem Vorbild derUniversal-Bibliothek folgende »Iwanami Bunko«, diefür Japan bald eine vergleichbare Bedeutung gewinnt,

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Thomas Mann 1928 bei seiner Festrede. Zeichnung von Eugen Spiro

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wie die Universal-Bibliothek sie für Deutschland hat.Der Begriff »bunko«, der zunächst nur »Bibliothek« be-deutet, hat in der Folge zahlreicher »bunko«-Reihen-gründungen japanischer Verlage geradezu die Bedeu-tung »kleinformatige, billige Ausgabe« erhalten.

1928 Mit einer Aufführung von Kleists FragmentRobert Guiskard im Leipziger Alten Theater feiert derVerlag am 1. Oktober sein 100jähriges Bestehen. Tho-mas Mann hält die Festrede. Er rekapituliert die Ge-schichte des Verlags und attestiert seinem Gründer An-ton Philipp Reclam – »wir wollen das altmodische undgut deutsche Fremdwort gebrauchen – Ideal ismus[…]. Lassen Sie uns ihn näher bestimmen, diesen Idea-lismus! Er war sozialer Natur, sofort, von Anfang an.[…] Was er wollte, war die Massenauflage, ermöglichtdurch den Spottpreis. Aber der Spottpreis wird kalkula-torisch eben nur durch die Massenauflage, und zwar diesicher abzusetzende, ermöglicht, und das Problem ist al-so das der Nachfrage. Reclam glaubte an die Nachfrage[…], und dieser Glaube, mit Vorsicht erworben, mitVorsicht betätigt, wurde nicht enttäuscht«. Zusammen mit seiner Rede »Lübeck als geistige Le-bensform« erscheint Thomas Manns Jubiläumsanspra-che unter dem Titel Zwei Festreden in der Universal-Bi-bliothek.Die erste Ausgabe von Reclams Opernführer erscheint,der Grundstein eines umfangreichen Musik- und Thea-terführerprogramms, das vor allem nach dem ZweitenWeltkrieg systematisch ausgebaut und immer wieder ak-tualisiert wird.

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1929 Von Conrad Ferdinand Meyer erscheinen zwölf,von Fontane sechs Titel in der Universal-Bibliothek. Alserweiterte Fassung eines gleichnamigen Aufsatzes, der1927 für das Handbuch Reclams Praktisches Wissen ge-schrieben wurde, erscheint in der Universal-BibliothekHermann Hesses Eine Bibliothek der Weltliteratur, inder Hesse, seiner »ganz persönlichen Lebens- und Le-ser-Erfahrung folgend«, eine »ideale kleine Bibliothekder Weltliteratur zu beschreiben« sucht. Ein Riesenprojekt mit dem Titel Deutsche Literatur.Sammlung literarischer Kunst- und Kulturdenkmäler inEntwicklungsreihen wird in Angriff genommen. Diesesauf 300 Bände geplante »Monumentalwerk« soll den»Gesamtbesitz deutscher Dichtung« in historischenoder thematischen Entwicklungsreihen überschaubarmachen und damit wissenschaftsgeschichtlich die vomPositivismus des 19. Jahrhunderts geprägte SammlungKürschners Nationalliteratur ablösen. Durch konzep-tionelle Änderungen gegenüber der ursprünglichen Pla-nung – beeinflußt durch den Nationalsozialismus, sei-tens des Hauptherausgebers Heinz Kindermann sowiedurch Schwierigkeiten und Verzögerungen, die auf denZweiten Weltkrieg zurückzuführen sind –, bleibt dasProjekt ein Torso. Immerhin gelangen 110 Bände zumDruck, der letzte – als Abschluß der »Romantik«-Reihe– 1950 in Stuttgart. Reprints einzelner Reihen erschei-nen in den 1960er Jahren bei der WissenschaftlichenBuchgesellschaft, Darmstadt, bzw. bei Georg Olms,Hildesheim.

1931 Mit 13 Titeln erscheint Friedrich Nietzsche in derUniversal-Bibliothek.

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1932 Aufgrund der 4. Brüningschen Notverordnungmuß zum 1. Januar der Preis der Einfachnummer von 40auf 35 Pfennig herabgesetzt werden.

1933 Die Machtergreifung der Nationalsozialistenbringt auch für das Reclam-Programm einschneidendeÄnderungen. Verlegerische Arbeit gerät in Deutschlandsofort unter die Zwänge der nationalsozialistischenKulturpolitik, d. h. jüdische oder politisch mißliebigeAutoren sollen aus den Verlagsprogrammen entferntwerden. Noch vor der Bücherverbrennung vom 10. Maientstand im April eine »Schwarze Liste« für »SchöneLiteratur«, die zunächst der ›Säuberung‹ der öffent-lichen Büchereien dienen sollte. Als besondere »Schäd-linge« werden z.B. Feuchtwanger, Kerr, Kisch, HeinrichMann, Remarque, Tucholsky oder Arnold Zweig ge-brandmarkt. Das wohlwollende Interesse des »Kampf-bundes für Deutsche Kultur« wie des »Schutzverban-des Deutscher Schriftsteller« ist gegeben, wie es heißt.Auch der Börsenverein teilt ab November 1933 den Ver-lagen in Einschreiben und »unter Einschärfung stren-ger Vertraulichkeit« mit, welche Werke »aus nationa-len und kulturellen Gründen« nicht erwünscht sind. DieGleichschaltung trifft besonders Verlage wie S. Fischer,Rowohlt oder Ullstein, aber auch bei Reclam sind einer-seits ältere Autoren wie Börne, Heine, Lassalle oderAuerbach, andererseits Gegenwartsautoren wir Tho-mas und Heinrich Mann, Schnitzler, Wassermann, Wer-fel, Arnold und Stefan Zweig und andere betroffen. Sokann Adolf Bartels 1938 im Völkischen Beobachterkonstatieren: »Im allgemeinen kann man doch mit demgroßen Aufräumen bei Reclam zufrieden sein«. Aller-

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dings nennt Bartels dann noch eine lange Reihe vonAutoren und Titeln, die er eliminiert sehen möchte, unddavon finden sich 1943 dann tatsächlich nur noch zwei der inkriminierten Namen im Verlagskatalog,nämlich Rudolf Hirschberg-Jura und Hugo von Hof-mannsthal. Hermann Hesse lehnte alle vom Verlag gewünschtenpolitisch motivierten Änderungen in seiner 1929 er-schienenen Bibliothek der Weltliteratur in einem Briefvom 13. Dezember 1934 aus Montagnola kategorisch ab.Für den Fall eines Nachdrucks insistiert er: »Ausdrück-lich aber müßte ich mir in diesem Fall ausbedingen, daßweitere Änderungen an der Bücherliste, zum BeispielWeglassung jüdischer Autoren etc. nicht vorgenommenwerden dürfen. Sie deuten eine ganze Reihe solcherWeglassungen als wünschenswert an, und ich versteheIhren Standpunkt, er ist aber nicht der meinige. In die-sem Punkte sind Konzessionen mir unmöglich.« DerBand verschwand also aus dem Programm und erschienerst wieder 1950, mit einem kurzen Nachwort Hessesaus dem Dezember 1948. Die Reihe »Bücher für staatsbürgerliche Bildung« wirdaufgelöst. Eine »Wirtschaftslehre in Einzeldarstellun-gen« erscheint 1933/34 in 20 Bänden.

1935 Aus dem Schweizer Exil wünscht sich ThomasMann »eine Reihe Desiderata der Reklam-Bibliothek«und vermerkt im Tagebuch am 8. März 1935: »Zu mei-ner Freude kamen die Reclam-Bücher, eine bunte kleineHandbibliothek, in der mehr als eine Verheißung wich-tiger Erinnerung und anregender Eroberung.«

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1936 Einführung einer neuenUmschlaggestaltung (Entwurf:Friedrich Häder) und eines neuenSignets (Entwurf: Carl Bruns).Eine von Stefan Zweig 1927 her-ausgegebene Auswahl von Goe-thes Gedichten kann nur noch oh-ne Nennung Zweigs erscheinen,der am 9. Mai aus dem LondonerExil an Ernst Reclam schreibt: »Ich danke Ihnen sehr fürIhren freundlichen Brief und erkläre mich gern einver-standen, dass Sie die Auswahl der Goethe-Gedichte oh-ne Nennung meines Namens und des Vorworts weiter-hin verwerten. Ich weiss ja, dass Sie nicht persönlicheIntentionen zu diesem Entschluss geführt haben, wie ichja auch meinerseits nur sehr bedauere, dass die für michimmer so ehrenvolle Verbindung mit Ihrem Verlagedurch äussere Umstände unterbrochen worden ist.«Auch dieses Manöver trägt indes nicht weit, der Bandmuß zugunsten einer von Heinz Kindermann gemach-ten Auswahl aus Goethes Lyrik aus dem Programm ge-nommen werden. Stefan Zweigs Anthologie erscheinterst wieder 1948 in der Stuttgarter Produktion.

1937 Von Oktober an verlegt Reclam zwei Jahre langdie Deutsche Rundschau, die 1874 von Julius Rodenberggegründet und seit 1919 von Rudolf Pechel herausgege-ben wird. Ab Ende 1939 erscheint die Zeitschrift, dielaut Werner Bergengruen nicht fortzudenken ist »ausder Geschichte des deutschen Widerstandes«, unter ei-genem Verlag (Deutsche Rundschau, Leipzig/Berlin),wird aber weiter von Reclam gedruckt und vertrieben

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bis zum April 1942, als Pe-chel ins Konzentrations-lager deportiert und dieZeitschrift verboten wird.Pechel kommt im Früh-jahr 1945 wieder frei undläßt die Deutsche Rund-schau ab 1946 zuerst inBerlin, später in Baden-Baden wiedererscheinen.1962 stirbt Pechel, 1964stellt die Deutsche Rund-schau ihr Erscheinen ein.

1940 Edwin Redslob, Kunsthistoriker, Museumsmannund späterer Mitbegründer der Freien Universität Ber-lin, wird von den Nationalsozialisten entlassen. Er plantdas Buch Des Reiches Straße und stellt sich darin »dieAufgabe, ein Grundmotiv der deutschen Geschichte,den Weg unserer Kultur auf der sogenannten Straße desReiches von Rheinland, oder doch von Frankfurt amMain, auf den alten Wegen des Handels, bis hin nachLeipzig und Berlin zu verfolgen. Das Buch entstand inbewußtem Gegensatz zur nationalsozialistischen Denk-weise und ihren Fälschungen des Geschichtsbildes undzeigt das wahre Gesicht eines geistigen Deutschlands. Eshatte einen unerwarteten Erfolg, so daß es unter dem Ti-tel ›Des Reiches Straße‹ im Verlag Reclam mehrere Auf-lagen erlebte«. 1940 erscheint auch Redslobs Die Weltvor hundert Jahren. Menschen und Kulturen der Zeiten-wende um 1840; in der Universal-Bibliothek publizierter 1943 Charlotte von Stein und 1949 Goethes Leben.

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Zum 500jährigen Jubiläum der Erfindung des Buch-drucks erscheint von Hermann Barge eine umfangreicheund reich illustrierte Geschichte der Buchdruckkunstvon ihren Anfängen bis zur Gegenwart.

1941 Bedingt durch die Papierkontingentierung, er-scheinen nur elf neue Titel in der Universal-Bibliothek.

1942 Es erscheint eine 320seitige Verlagsgeschichtevon Annemarie Meiner: Reclam. Eine Geschichte derUniversal-Bibliothek zu ihrem 75jährigen Bestehen.Auslieferungen an den Buchhandel kann der Verlag nurnoch über einen Zuteilungsschlüssel vornehmen: »Wiebereits bekanntgegeben«, heißt es in einer Verlagsmittei-lung, »werden Einzelbestellungen nicht angenommen.Nach Maßgabe der verfügbaren Auflagen und unterBerücksichtigung der bisherigen Bezüge erfolgt viel-mehr eine Zuteilung vom Verlag aus.«

1943 Am 14. April stirbt Dr.h.c.Hans Emil Reclam.Der Papiermangel zwingt zu Noteditionen. »ReclamsReihenbändchen« erschienen als Feldpostausgaben mitmageren 20 Seiten Umfang, meist ohne Heftung; bis1944 liegen 45 Nummern vor, mit Texten klassischerund moderner Autoren, teilweise nur in Auszügen. DieBändchen kosten 10, später 15 Pfennig.Die Bekanntheit und große Verbreitung der Universal-Bibliothek führt dazu, daß unter der Tarnung ihres Er-scheinungsbilds Widerstandsgruppen antifaschistischeLiteratur und Propagandaschriften in Umlauf bringen.Auch englische und amerikanische Propagandabehör-den bedienen sich des Reclamschen Erscheinungsbildes.

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Bei Bombenangriffen auf Leipzig werden die Firmenge-bäude mehrfach schwer getroffen und schließlich in derNacht zum 4. Dezember zu mehr als einem Drittel zer-stört. Brandbomben vernichten das Hauptlager derUniversal-Bibliothek.

1944 Teile des Verlagsarchivs und Bestände an Hard-covern werden nach Passau und anderen Orten ausgela-gert. Die Druckerei ist relativ unversehrt geblieben, derVerlag stellt seine Aktivitäten in der letzten Kriegszeitfast völlig ein.

1945 Am 10. September erhält Reclam die Lizenz zurWiedereröffnung der Druckerei, die zunächst vor allemfür den Russischen Militärverlag arbeitet.

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Das Firmengebäude nach den Bombenangriffen 1943

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1946 Am 14. März erhält Ernst Reclam von der so-wjetischen Militärverwaltung die Lizenz zur Wieder-aufnahme der Verlagsarbeit. Im Juni erscheinen die er-sten nach dem Krieg gedruckten Exemplare der Univer-sal-Bibliothek.Ernst Reclam wird am 5. August zum Vorsteher des»Börsenvereins der Deutschen Buchhändler« gewähltund nimmt dieses Amt bis Ende 1947 wahr.Ab November wird im Rahmen der Reparationen an dieSowjetunion der größte Teil des graphischen Betriebsdemontiert. Die nicht zur Demontage benötigte Beleg-schaft wird entlassen. In der Druckerei verbleiben ledig-lich 18 Maschinen älterer Bauart, in der Setzerei eine Li-notype und zwei Typograph-Setzmaschinen. Die Abtei-lungen Stereotypie und Buchbinderei werden völligdemontiert.

1947 Am 1. April wird mit Lizenz der amerikanischenMilitärregierung in Stuttgart die Reclam Verlag GmbHgegründet, nachdem Verhandlungen über eine Verlagsli-zenz in München gescheitert waren. Geschäftsführer istGotthold Müller, der Prokurist im Leipziger Haus war.Zwischen dem Leipziger Stammhaus und dem Stuttgar-ter Verlag wird ein Lizenzvertrag geschlossen zu Her-stellung und Vertrieb der Universal-Bibliothek und zur Nutzung derVerlagsrechte in den westlichen Be-satzungszonen.Alfred Finsterer entwirft ein neuesVerlagssignet. Das Württembergi-sche Kultusministerium gibt achtTitel als Schullektüre in Auftrag,

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darunter erwartbare Werke von Schiller, Keller, Stifter,aber auch Sealsfield und Kipling.

1948 In Leipzig wird der Wiederaufbau der zerstörtenGebäude und die Instandsetzung der verbliebenen Ma-schinen betrieben.Die französische Militärregierung erteilt dem Stutt-garter Verlag die Lizenz für eine Baden-Badener Zweig-stelle.Am 15. August erscheint in Stuttgart die erste Nach-kriegsserie der Universal-Bibliothek mit 17 Titeln. EineNummer kostet 60 Pfennig.Dr. Heinrich Reclam (1910–1984), Sohn von ErnstReclam, wird ab 15. November im Stuttgarter Verlagtätig. Nach einem Studium der Germanistik, Philoso-phie und Volkswirtschaft, einer Sortimenterlehre beiGräfe & Unzer in Königsberg, Kriegsdienst und ameri-kanischer Gefangenschaft, ist er schon seit Januar 1946persönlich haftender Gesellschafter der Firma, tritt imDezember 1949 in die Stuttgarter Geschäftsführung einund leitet ab 1953 den Stuttgarter Verlag alleine.

1949 Am 1. Januar wird das Ausweichlager Passau zurselbständigen Zweigniederlassung der Leipziger Firmaerklärt. In der Folge der Leipziger Entwicklungen wirdPassau im Juni 1954 Hauptsitz der Firma Philipp Re-clam jun., der dann im Oktober 1954 von Passau nachStuttgart verlegt wird. Die 1947 gegründete Reclam Ver-lag GmbH wird 1958 in die nun ebenfalls in Stuttgartangesiedelte Stammfirma integriert.In Stuttgart fällt 1949 die Entscheidung für einen syste-matischen Wiederaufbau der Universal-Bibliothek. Bis

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1953 werden 360 Titel ins Programm genommen, vor-nehmlich aus dem Kanon der deutschen Literatur vonder Aufklärung bis zum Realismus, des weiteren Welt-literatur englischer, französischer, russischer und skan-dinavischer Autoren, Philosophie von der Antike bisNietzsche sowie Opernlibretti.Von den neuen Taschenbuchreihen bei Rowohlt (1951),S. Fischer und Goldmann (beide 1952), Ullstein (1953)und weiteren späteren Reihengründungen etwa durchHeyne, dtv, Suhrkamp unterscheidet sich die Universal-Bibliothek weiterhin durch ihr Format, den noch immerniedrigsten Preis und die Konzentration auf ein litera-risch-philosophisches Programm.

1950 Ernst Reclam fährt – nach zweimaliger Verhaf-tung und Wiederfreilassung in Leipzig – im Mai zur Kurnach Bad Heilbrunn in Oberbayern. Der Entschluß des74jährigen Verlegers, die Führung der Leipziger Firmakünftig von Westdeutschland aus zu betreiben, wird vonder seit Oktober 1949 als selbständige Republik agieren-den DDR nicht akzeptiert. Die Firma wird (ohne Infor-mation der nun ausschließlich in Westdeutschland le-benden Eigentümerfamilie) unter Treuhandverwaltunggestellt, was die Zusammenarbeit zwischen dem Leipzi-ger und dem Stuttgarter Haus für rund vier Jahrzehntebeendet. 1952 verbietet das Stuttgarter Haus die Einfuhrder Leipziger Produktion in die BRD, wie umgekehrtder Vertrieb der Stuttgarter Titel in der DDR unmöglichist. Im Juli 1950 wird in der Stuttgarter Mönchstraße 31 einVerlags- und Druckereigebäude angemietet. Rolf Re-clam (1913–1977), Sohn Hans Emil Reclams, wird per-

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sönlich haftender Gesellschafter und Leiter des Drucke-reibetriebs.Als erster Band in der Reihe der Musik- und Theater-führer wird Reclams Opernführer wiederaufgelegt, indieser 14. Auflage erweitert und neu bearbeitet von Wil-helm Zentner. Stetig revidiert, seit 1994 neugeschriebenvon Rudolf Fath, liegt Reclams Opernführer inzwischenin 37. Auflage von 2002 vor und wurde mit dem Kon-zertführer (zuerst 1952, 17. Aufl. 2001) und dem Schau-spielführer (zuerst 1953, 21. Aufl. 2001) zu einem der er-folgreichsten Bücher des Verlags. Es folgen der Kam-mermusikführer (1955), Ballettführer (1956) u. a. biszum jüngsten Band der Reihe, Reclams Musicalführervon 1989.

1953 Dr. Ernst Reclam stirbt am 6. März in Bad Heil-brunn. – Ende März scheidet Gotthold Müller als ge-schäftsführender Gesellschafter aus dem Verlag aus. Am 1. Mai wird das Leipziger Haus durch Erlaß desDDR-Ministeriums für Leichtindustrie zum »Volks-eigenen Betrieb« erklärt und firmiert nun als VEBReclam-Verlag Leipzig. Bereits am 17. Juni wird dieseVerstaatlichung rückgängig gemacht, da ihre Vorausset-zung (sog. Nazi-Aktivisten-Betrieb oder Kriegsgewinn-ler) nicht gegeben war.Am 15. Juni wird Hans Marquardt (geb. 1920) zumLeipziger Cheflektor berufen. Das Leipziger Programmwidmet sich verstärkt sozialistischer Gegenwartslitera-tur von Autoren wie Johannes R. Becher, Anna Seghers,Erich Weinert, Willi Bredel, Friedrich Wolf, BertoltBrecht, Lion Feuchtwanger u.a. Am 1. Oktober wird der Verlag 125 Jahre alt. Das Leip-

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ziger Haus feiert im Neuen Rathaus, Friedrich Wolf hältdie Festrede, im Schauspielhaus wird sein Drama DerArme Konrad aufgeführt. – In Stuttgart gibt es nur eineinterne Feier, bei der die Verlagshistorikerin AnnemarieMeiner eine Ansprache hält. Heinrich Reclam konsta-tiert anläßlich des Jubiläums: »Daß der Neubeginn imWesten ohne Grundstück, ohne Gebäude, ohne wesent-liche Geldmittel nicht leicht war, ist jedem klar, derebenfalls in jenen Jahren von vorn hat anfangen müssen.Der Name Reclam besaß aber genügend geistige Sub-stanz und Anziehungskraft, um seine alten Freundewieder um sich zu sammeln. […] Das erste war die Be-stellung einer modernen Spezialdruckmaschine für diekleinen Bändchen der Universal-Bibliothek, denn daswar ja schon eine Erfahrung meines Urgroßvaters gewe-sen, daß man einen raschen Ausbau in Verbindung miteinem volkstümlichen Preis nur durch die jeweils mo-dernsten technischen Methoden erreichen könne. Alsdie Maschine aus Augsburg kam, konnte sie natürlichnicht in Wind und Wetter stehen. Wir mußten ein Hausum sie herum bauen, so sind wir wieder zu einemReclam-Haus und zu einem zwar kleinen, aber durch-rationalisierten Betrieb mit modernsten Maschinen ge-kommen. Wir stellen hier täglich nicht weniger als10 000 Bändchen der Universal-Bibliothek her.«

1954 Reclams Literaturkalender, re-digiert vom Stuttgarter Lektor Dr.Albert Haueis, beginnt zu erscheinen.

1955 Neues Verlagssignet von Al-fred Finsterer.

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1956 In der Universal-Bibliothek beginnt mit zwölfTiteln die Reihe »Werkmonographien zur bildendenKunst«, die es auf 149 Titel bringt und 1975 eingestelltwird. Ein moderner Rotorbinder übernimmt das maschinelleKlebebinden der Universal-Bibliothek.

1957 In Leipzig beginnt die soge-nannte C-Reihe: Taschenbücher imFormat der Universal-Bibliothekmit individuell gestalteten, teilwei-se mehrfarbigen glanzkaschiertenUmschlägen. Irmgard Horlbeck-Kappler entwirft ein neues Verlags-signet.An Exemplaren gemessen, ist die

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Stuttgarter Universal-Bibliothek mit einer Nachkriegs-auflage von 35 Millionen die erfolgreichste BuchreiheDeutschlands.Mit zwei Titeln beginnt die Reihe der »Kunstführer«, inder bis in die 80er Jahre insgesamt 30 Bände erscheinen.

1958 Von Annemarie Meiner erscheint eine neue,kurzgefaßte Verlagsgeschichte.In Leipzig kommt es zu einer staatlichen Beteiligung anVerlag und Druckerei. Damit endet der Status der soge-nannten Treuhandverwaltung. Die Leipziger Firma istein »Betrieb mit staatlicher Beteiligung« und unterstehtbis 1962 der Vereinigung Volkseigener Betriebe (VVB)der polygraphischen Industrie.

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1. Auflage 1957 8. Auflage 1974

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1959 Die Stuttgarter Universal-Bi-bliothek umfaßt wieder 1000 Num-mern. Der Preis der Einfachnum-mer steigt von 60 auf 65 Pfennig.Neues Verlagssignet von Alfred Fin-sterer.

1961 Zum 1. April wird der seit 1953 als Cheflektor imLeipziger Verlag tätige Hans Marquardt zum Verlagslei-ter ernannt. Neben der staatsraisonistisch zur »soziali-stischen Taschenbuchreihe« zu entwickelnden LeipzigerUniversal-Bibliothek initiiert Marquardt größerforma-tige illustrierte Bände, an denen HAP Grieshaber, Jo-seph Hegenbarth, Bernhard Heisig, Werner Klemke u.a.gestalterisch mitwirken und die oft als »Schönste Bücherdes Jahres« ausgezeichnet werden. Graphik-Mappenund Pressen-Drucke erweitern später dieses ambitio-nierte Programmsegment. Am 5. Mai wird der Stuttgarter Neubau Mönchstraße27–29 für Verlag und Graphischen Betrieb eingeweiht.Zum 1. Juli Preiserhöhung der Einfachnummer auf 70Pfennig.

1962 »Reclam« und »Universal-Bibliothek« werden indie Warenzeichenrolle des Münchener Patentamts ein-getragen und für das Stuttgarter Haus geschützt. – Zum1. Juli Preiserhöhung auf 80 Pfennig.Mit Französische Erzähler der Gegenwart beginnt eineAnthologienreihe, die einen Überblick über die zeit-genössische Prosa in verschiedenen Ländern gibt; bis1970 erscheinen Bände zu Jugoslawien, Italien, USA,Ungarn, Irland, Niederlande, Spanien und Dänemark.

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1963 In Leipzig wird eine handelsrechtliche Trennungdes Verlags und des polygraphischen Betriebs voll-zogen. Als staatlicher Gesellschafter tritt der Aufbau-Verlag ein, die Druckerei wird dem Kombinat Inter-druck überschrieben. Mit dem Verlag Volk und Wissenwird eine Vereinbarung über den jährlichen Beitrag derUniversal-Bibliothek zur Schullektüre in der DDRgetroffen. – Der Leipziger Verlag beschließt eine »Re-konstruktion« der Universal-Bibliothek, wozu eineProgrammrevision, die Änderung des Nummernsy-stems, eine neue Umschlaggestaltung und die Ände-rung auf das in der DDR übliche Taschenbuchformat10,3 × 16,5 cm gehören.

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Rolf Reclam und Dr. Heinrich Reclam vor der Hofseite des Neubaus in der Mönchstraße

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1964 Das Programm der Stuttgarter Universal-Biblio-thek widmet sich neben der Schullektüre verstärkt demBedarf der universitären Ausbildung, was auch größereneditorischen Aufwand bedingt: textkritische Editionenwerden systematisch mit Anmerkungen, weiterführen-den Literaturhinweisen und Nachworten ausgestattet. – In Zusammenarbeit mit der UNESCO beginnt eineSammlung repräsentativer Werke aus den asiatischen Li-teraturen zu erscheinen.

1965 Mit kritischen und kommentierten Editionenvon Gryphius’ Papinian, Lohensteins Cleopatra und Bi-dermanns Cenodoxus beginnt der Ausbau der Ba-rockliteratur in der Universal-Bibliothek. Sukzessivewird das Programm durch Texte der frühen Neuzeit, des 17. und 18. Jahrhunderts bereichert, die nicht zumengeren Schulkanon gehören.

1966 Als Teil einer umfangreichen Geschichte derdeutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegen-wart erscheint der Band 2 (Vom Barock bis zur Klassik)von Werner Kohlschmidt. Ebenfalls von Kohlschmidtverfaßt, erscheinen 1974 Band 3 (Von der Romantik biszum späten Goethe) und 1975 Band 4 (Vom JungenDeutschland bis zum Naturalismus). 1978 erscheintBand 5 (Vom Jugendstil zum Expressionismus) von Her-bert Lehnert, 1980 der von Max Wehrli verfaßte Band 1(Vom frühen Mittelalter bis zur Zeit der Reformation).Der als Abschluß geplante Band 6 erscheint nicht.Mit den beiden Anthologien Das Junge Deutschlandund Der deutsche Vormärz beginnt ein umfangreichesProgramm von Epochen- und Gattungsanthologien, das

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repräsentativen literaturhistorischen Überblicken dient,auch unter Einbeziehung zweit- und drittrangiger Au-toren, von denen selbständig publizierte Werke gar nichtmehr oder nur noch in für Studenten unbezahlbarenAusgaben auf dem Markt sind.

1967 »Die revolutionärste Idee der Buchindustrie« –so der Spiegel – wird 100 Jahre alt. Zum Jubiläum derUniversal-Bibliothek erscheint ein Verfasser-, Schlag-und Stichwortkatalog und der Almanach Reclam. 100Jahre Universal-Bibliothek. Eine Feier findet am 10. November im StuttgarterSchauspielhaus statt mit einer Aufführung von LessingsMinna von Barnhelm undeiner Festrede von dem Au-tor und Mitherausgeber derAkzente Hans Bender. Eine Leipziger Festveran-staltung findet am 7. De-zember im Neuen Rathausstatt mit einer Rede desGermanisten Claus Trägerund einem Grußwort vonAnna Seghers. Von HansMarquardt herausgegeben,erscheint der Band 100 Jah-re Reclams Universal-Bi-bliothek 1867–1967. Beiträ-ge zur Verlagsgeschichte.

1969 Die ersten Bände der neuen, grünen Reihe »Er-läuterungen und Dokumente« erscheinen, Kommentare

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zu einzelnen Werken, die Wort- und Sacherläuterungen,Dokumente zur Entstehungs-, Rezeptions- und Inter-pretationsgeschichte samt weiterführender Literatur-hinweise bieten. Bei der farblichen Auffrischung derReihe 2003 sind in ihr über 140 Titel erschienen.Im Oktober erscheint Reclams Hörspielführer vonHeinz Schwitzke, der die zahlreichen Hörspieleditionenin der Universal-Bibliothek durch die Darstellung vonmehr als 400 Hörspielen ergänzt. Ab den 80er Jahren des20. Jahrhunderts führt die deutlich sinkende Popularitätdes Genres zu einer Reduzierung des zeitweise 35 Titelumfassenden Hörspiel-Segments in der Universal-Bi-bliothek.Mit Gilbert Ryles Der Begriff des Geistes beginnt in-nerhalb des Philosophiebereichs eine ganze Reihe vondeutschen Erstpublikationen der anglo-amerikanischenanalytischen Philosophie; es folgen Werke von Austin,Ayer, Moore, Quine, Strawson, Whitehead, Williamsu.a. Im Graphischen Betrieb wird eine Offset-Rollenrotati-on von M.A.N. installiert, deren Kapazität die Reclam-sche Druckerei in die Lage setzt, neben der Verlagspro-duktion auch zunehmend für Fremdkunden zu arbeiten.Die Umstellung auf den Offset-Druck bedeutet für ei-nen großen Teil des Klassikerprogramms die Notwen-digkeit zum Neusatz, was den Anlaß zu einer Revisionder editorisch-philologischen Kriterien der Verlagspro-duktion bietet.

1970 Beginn einer weiteren Reihe in der Universal-Bi-bliothek: orangefarbene Textausgaben, bei denen sichOriginaltext und deutsche Übersetzung gegenüberste-

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hen. Zahlreiche zweisprachige Ausgaben liegen inzwi-schen von griechischen, lateinischen, alt- und mittel-hochdeutschen, englischen, französischen, italienischen,spanischen und russischen Texten vor.Nach den neuen Umschlagfarben für die grünen »Erläu-terungen und Dokumente« und die Zweisprachenausga-ben wird die allgemeine Textbibliothek von dem beige-sandfarbenen Ton der Stuttgarter Nachkriegsprodukti-on auf ein leuchtendes Gelb umgestellt. Ab 1973 kommtdie blaue Reihe der »Arbeitstexte für den Unterricht«,1983 die rote Reihe der »Fremdsprachentexte« hinzu. Das Ensemble der Musikführer wird mit Reclams Jazz-führer von Carlo Bohländer und Karl Heinz Holler er-weitert. Die allgemeine inflationäre Entwicklung zwingt zur er-sten Preiserhöhung seit 1965. Ab dem 1. April 1970 ko-stet eine Einfachnummer der Universal-Bibliothek1 DM, bis 1975 steigt der Preis auf 1,60 DM.

1971 Nachdem ein Jahrzehnt lang auch die gebunde-nen Bücher ausschließlich im Format der Universal-Bi-bliothek erschienen waren, werden nun kontinuierlichauch größerformatige Bände vorgelegt: es erscheinenReclams Sportführer (hrsg. von Erich Beyer) und Wal-ter-Herwig Schuchhardts Geschichte der GriechischenKunst. Ebenfalls in größerem Format beginnt eine Pa-perbackreihe mit der Aufsatzsammlung Deutsche Lite-ratur der Gegenwart, der zahlreiche literatur- sowiemusik- und kulturwissenschaftliche Paperbacks folgen,etwa Hans Vogts Neue Musik seit 1945 (1972), Die deut-sche Exilliteratur 1933–1945 (1973), Die Stadt in derBundesrepublik Deutschland. Lebensbedingungen, Auf-

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gaben, Planung (1974), Die deutsche Literatur im Drit-ten Reich (1976), Zeitkritische Romane des 20. Jahrhun-derts (1977) u.v.a.

1972 Ein sich erst seit den 50er Jahren entwickelndesGenre wird von Eugen Gomringer, einem seiner Initia-toren, in der Anthologie konkrete poesie einem breitenPublikum vorgestellt. Da die Leipziger Reclam-Produktion aus namens- undmarkenrechtlichen Gründen nicht in die BRD einge-führt werden kann, nutzt der Leipziger Verlag den Rö-derberg-Verlag in Frankfurt a. M., um unter dessen Na-men über 140 Taschenbuchtitel in der BRD erscheinenzu lassen. – Der Leipziger Verlag verläßt das Firmenge-bäude in der Inselstraße und übersiedelt in die Nonnen-straße 38.

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1973 Reclams Filmführer erscheint und etabliert sichals Standardwerk. Jeweils aktualisiert, folgt 2003 bereitsdie 12. Auflage. Innerhalb der Reihe der zweisprachigen Ausgaben be-ginnt mit King Lear eine Neuübersetzung der wichtig-sten Shakespeare-Dramen; inzwischen liegen über 20Stücke vor. Mit blauer Umschlagfarbe erscheinen die ersten Bändeder Reihe »Arbeitstexte für den Unterricht«. Inklusiveder später hinzugekommenen Unterreihen »Literatur-wissen« (ab 1994) und »Lektüreschlüssel« (ab 2001) sindüber 200 Bände erschienen.

1974 Das 16-, später 17bändige Werk Die deutsche Li-teratur in Text und Darstellung (hrsg. von Otto F. Bestund Hans-Jürgen Schmitt) beginnt zu erscheinen. Die

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1. Auflage 1973 12. Auflage 2003

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Kombination aus repräsentativen literarischen und lite-raturtheoretischen Texten und Textauszügen, Epochen-und Gattungsüberblicken, Lektüreempfehlungen, Lite-raturhinweisen und Zeittafeln erweist sich bald als prak-tikabler und beliebter Abriß der deutschen Literaturvom Mittelalter bis in die Gegenwart. Reclams Lexikon der antiken Mythologie von EdwardTripp (6. Aufl. 1999) erscheint, ebenso mit Robert Éti-ennes Pompeji. Das Leben in einer antiken Stadt die er-ste von zahlreichen Übersetzungen historischer Werkezu überwiegend antiken Themen aus der Reihe »La viequotidienne« des Pariser Hachette-Verlags. Stefan Reclam-Klinkhardt (geb. 1929; Enkel ErnstReclams und Adoptivsohn Heinrich Reclams, seit 1963Leiter der Herstellungsabteilung) übernimmt die Lei-tung des Gesamtbereichs Produktion (Verlag und Gra-phischer Betrieb).

1975 Angesichts der Entwicklung, daß immer umfang-reichere Werke in die Universal-Bibliothek Aufnah-me finden, wird das althergebrachte Nummernsystem,das ja schon immer der Preiskennzeichnung diente,vereinfacht. Jeder Titel erhält nur noch eine Nummer,die durch einen für den Preis relevanten Multiplika-tor ergänzt wird: statt z. B. Nr. 9568–70 heißt es nun9568 [3].Von Lothar Lang und Hans Marquardt herausgegeben,beginnen in Leipzig Mappenwerke mit Originalgraphikzu erscheinen; bis 1991 erscheinen 33 Mappen.

1976 Das Verblassen verbindlicher (humanistisch ge-prägter) Bildungsnormen und die gleichzeitigen Spezia-

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lisierungstendenzen der Einzelwissenschaften führen,zumindest seitens der universitären Lehre, zu höherenAnsprüchen an die philologische Präzision und Trans-parenz wie an die Ausstattung von Texteditionen. Umdiesen Ansprüchen Rechnung zu tragen, wird in Stutt-gart neben dem programmverantwortlichen Lektorat ei-ne eigene Redaktionsabteilung eingerichtet.Die Leipziger Universal-Bibliothek ändert erneut ihrFormat auf 10,7 × 17,7 cm.

1978 Von Dietrich Bode erscheint 150 Jahre Reclam.Daten, Bilder und Dokumente zur Verlagsgeschichte.Neues Signet (Ent-wurf: Hanns Lohrer).Bei einer LeipzigerFestveranstaltung in der Alten Börse hält StephanHermlin eine »Rede auf Reclam«. Lothar Kretschmarlegt eine Bibliographie der Verlagspublikationen von1828 bis 1867 vor.In Stuttgart erscheint Reclams Bibellexikon (6. Aufl.2000) und die außerordentlich erfolgreiche Kleine Ge-schichte der deutschen Literatur von Kurt Rothmann(18. Aufl. 2003, Gesamtauflage über 330 000 Exempla-re). Eine von Rüdiger Bubner herausgegebene achtbän-dige Geschichte der Philosophie in Text und Darstellungbeginnt zu erscheinen. Da der Expansionsbedarf von Druckerei, Lager undVerlag die räumlichen Gegebenheiten der StuttgarterMönchstraße allmählich übersteigt, wird im Septemberim nordwestlich von Stuttgart gelegenen Ditzingen derGrundstein für ein neues Gebäude gelegt. Firmensitzwird weiter Stuttgart sein.

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1979 Roland Hampes Neuübersetzung von HomersIlias und Odyssee und Reclams Künstlerlexikon vonRobert Darmstaedter (für weitere Auflagen von UlrikeHaase-Schmundt bearbeitet) erscheinen.Ende des Jahres werden Druck- und Buchbinderei-Ma-schinen sowie das Buchlager nach Ditzingen verlegt.Die Setzerei stellt von Blei- auf Fotosatz um.

1980 Anläßlich des 70. Geburtstags von HeinrichReclam, Urenkel des Verlagsgründers, heißt es in einemArtikel des Buchreport vom 3. Oktober: »Weil textliche und erläuternde Sorgfalt oberstes Ver-lagsprinzip ist, muß ein unvermutet großer Mitarbeiter-stab unterhalten werden, um diesen Standard zu garan-tieren. Sechs Lektoren (und zwei Außenlektoren) be-treuen die Disziplinen der UB und bemühen sich inengem Kontakt mit den Autoren um Programmerweite-rung.Ebenfalls sechs Mitarbeiter umfaßt die Redaktion, derenAufgabe vor allem die Manuskript-Vorbereitung, alsodie Kleinarbeit ist. Das Unternehmen beschäftigt heuterund 150 Mitarbeiter, die sich jeweils zur Hälfte auf Ver-lag und graphischen Betrieb verteilen. Angesichts dieseshohen Beschäftigtenstandes im Verlagsbereich und ›weilfür uns das Büchermachen eine Aufgabe ist, bleibt‹ – soHeinrich Reclam – ›nicht viel unterm Strich‹. Mit Um-satzzahlen hält der Verlag hinterm Berg. An Prozentzahlen ist gleichwohl ablesbar, wie dieUmsätze in den einzelnen Verlagsbereichen gewichtetsind: – 72 % des Umsatzes entfallen auf die kartonierte Uni-versal-Bibliothek [. . . ]

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– 18 % werden mit Handbüchern und Führern einge-fahren– 10 % erzielt das seit 1970 forcierte Paperback-Pro-gramm, das in erster Linie Aufsatzsammlungen aus denBereichen Deutsch, Kunst, Philosophie und Musikbringt.Der Exportanteil des Verlags erreicht – Österreich undSchweiz eingeschlossen – stattliche 20 %.«Ende des Jahres ziehen die letzten Verlagsabteilungennach Ditzingen um.

1981 Zum 1. Januar nimmt die Stammfirma PhilippReclam jun. (KG) eine Aufspaltung vor und gründetzwei Betriebsgesellschaften: Philipp Reclam jun. VerlagGmbH (Geschäftsführer: Dr. Heinrich Reclam; Dr.

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Der Verlagsneubau in Ditzingen

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Dietrich Bode, geb. 1934, seit 1962 im Lektorat tätig)und Philipp Reclam jun. Graphischer Betrieb GmbH(Geschäftsführer: Dr. Heinrich Reclam, Stefan Reclam-Klinkhardt).Die Universal-Bibliothek kostet ab 1. April 1981 je Ein-heit 1,90 DM.Mit Abschied vom Prinzipiellen erscheint die erste Es-saysammlung des Gießener Philosophen Odo Mar-quard in der Universal-Bibliothek, der weitere folgen:Apologie des Zufälligen (1986), Skepsis und Zustimmung(1994), Philosophie des Stattdessen (2000); zu Marquards75. Geburtstag erscheint 2003 eine Auswahl seiner Es-says unter dem für das Reclam-Programm insgesamtleitsatztauglichen Titel Zukunft braucht Herkunft.

1982 Mit Deutsche Literatur 1981. Ein Jahresüberblickbeginnt in der Universal-Bibliothek ein von Volker Ha-ge begründetes Periodikum zu erscheinen, das eine Lite-raturgeschichte in status nascendi bietet (erscheint bis1998). Der jeweilige Jahresüberblick enthält einen Essayzur literarischen Situation, eine Chronik der Ereignissedes Literaturbetriebs, eine Auswahl der wichtigen Neu-erscheinungen samt Nachdruck wesentlicher Rezensio-nen und das abschließende Kapitel »Überblick und De-batte«.In der Leipziger »Dürer-Presse« gibt Hans Marquardt»erlesene Werke alter und neuer Literatur« heraus. Mit Edschmids Die Fürstin als 10. Druck, enthaltendsechs Reproduktionen nach Radierungen und eine Ori-ginalradierung von Max Beckmann, endet die Reihe1990.

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1983 Mit rotem Um-schlag erscheinen die er-sten Titel der neuen Rei-he »Fremdsprachentexte«,die englische und franzö-sische Originaltexte miteinem deutschen Glossarund Nachwort bietet. Die›Rote Reihe‹ erfährt in denfolgenden Jahren einen ra-schen Ausbau auf über250 Titel. Am 15. Dezember wirddie Reclam Geschäftsfüh-rung GmbH gegründet(Geschäftsführer: Dr. Heinrich Reclam, Stefan Reclam-Klinkhardt, Dr. Dietrich Bode).

1984 73jährig stirbt am 11. August Dr. HeinrichReclam, ein »Mann, den das aus der Mode gekommeneWort ›redlich‹ charakterisiert«, wie es im Nachruf desBörsenblatts heißt, und dessen Lebenswerk der Aufbaudes Stuttgarter Verlags war. Als Fachbuch erscheint der 1. Bandvon Reclams Handbuch der künstle-rischen Techniken (Bd. 2: 1990, Bd. 3:1986) sowie Stefan Kunzes umfang-reiche Analyse von Mozarts Opern.Der Leipziger Verlag gibt seiner Uni-versal-Bibliothek eine neue Um-schlaggestaltung mit neuem Signet(Entwurf: Lothar Reher).

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1985 Zum 1. Januar Umgründung der Firma in diePhilipp Reclam jun. GmbH & Co. Als persönlich haf-tender Gesellschafter fungiert die Reclam Geschäfts-führung GmbH. Die Leitung der Firmen liegt bei Dr.Dietrich Bode und Stefan Reclam-Klinkhardt.Im größeren Format und als Leinenbände im Schubererscheinen Titel aus der Universal-Bibliothek als »Re-clam Lese-Klassiker« zu Preisen zwischen 22 DM und28 DM. Die Reihe wird bis 1989 auf 30 Titel ausgebaut. Die bereits 1977 begonnene und 1984 vollendete Neu-übersetzung der sechs Romane Jane Austens durchUrsula und Christian Grawe erscheint in Kassette.Die griechische Literatur in Text und Darstellung sowieDie römische Literatur in Text und Darstellung begin-

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Heinrich Reclam

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nen zu erscheinen (jeweils 5 Bände, komplettiert bis1992).

1987 Nach der schon seit 1984 in Kassette vorliegen-den dreibändigen kommentierten Ausgabe der Kinder-und Hausmärchen der Brüder Grimm gibt Heinz Rölle-ke jetzt – ebenfalls dreibändig und in Kassette – eine kri-tische Ausgabe der von Achim von Arnim und ClemensBrentano gesammelten Lieder Des Knaben Wunderhornheraus. Als neues der inzwischen zahlreichen einbändi-gen Lexika erscheint Reclams Mode- und Kostümlexi-kon von Ingrid Loschek (4. Aufl. 1999).Am 1. Juli scheidet Dr. h. c. Marquardt als LeipzigerVerlagsdirektor aus. Als Nachfolger wird vom Mini-sterium für Kultur der DDR der Professor für Slavi-stik und Literaturtheorie Dr. Roland Opitz eingesetzt.Im Dezember findet in Stuttgart zwischen Opitz undder Stuttgarter Geschäftsleitung ein erstes Gesprächstatt. In Ditzingen installiert der Graphische Betrieb die neueM.A.N.-Offsetrotation Rotoman 40.

1988 Die Universal-Bibliothek erhält eine neue Um-schlaggestaltung von Professor Hans Peter und BrigitteWillberg. Der Entwurf ermöglicht eine rein typographi-sche Variante wie auch die Integration eines Bildes.Außerhalb der Reihengestaltung erscheinen nun regel-mäßig auch populäre Anthologien in farbiger Ausstat-tung. – Die achtbändige Reihe Deutsche Dichter, hrsg.von Gunter E. Grimm und Frank R. Max, beginnt zu er-scheinen (abgeschlossen bis 1990).

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1989 Die Hardcover-Sachbuchreihe »Reclams Musik-führer« beginnt mit einem Band zu Mozarts Instrumen-talmusik, dem 1990 die Vokalmusik folgt. Weitere Bän-de erscheinen zu Schubert (1991), Chopin (1991), Wag-ner (1992), Bach (2 Bde., 1993), Brahms (1994),Strawinsky (1995), Mahler (1996), Schumann (1997) undBeethoven (1998). – In der Universal-Bibliothek er-scheint eine zweibändige Studienausgabe von LuthersÜbersetzung des Neuen Testaments.In Zusammenarbeit mit der Leipziger Offizin AndersenNexö (später Haag-Drugulin) und der FrankfurterBüchergilde Gutenberg startet das Leipziger Haus die»Gutenberg-Presse«, hrsg. von Albert Kapr und RolandOpitz, die in numerierten Auflagen zwischen 525 und925 Exemplaren kürzere Prosa von Autoren des 20.Jahrhunderts bringt. Bis 1993 erscheinen 15 Titel.

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1990 Erleichtert durch den Mauerfall im Herbst 1989,werden Anfang des Jahres die stagnierenden Gesprächezwischen den Verlagsleitungen in Stuttgart und Leipzigwieder aufgenommen. Am 28. Februar wird eine Ko-operationsvereinbarung getroffen, zu der es in einerPresseinformation heißt: »Von den ursprünglich 33 na-mensgleichen Verlagen im Westen und Osten Deutsch-lands ist Reclam einer der letzten, der sich jetzt verstän-digt hat. Grundlage der Zusammenarbeit ist eine Diffe-renzierung in der Firmierung und Reihenbezeichnung›Philipp Reclam jun.‹ und ›Universal-Bibliothek‹ inStuttgart, ›Reclam-Verlag Leipzig‹ und ›Reclam-Biblio-thek‹ in Leipzig. Damit ist die jeweilige Herkunft derz. T. warenzeichenrechtlich geschützten Publikationenfür Handel und Publikum klar unterschieden. Konkur-renzsituationen sollen ausgeschlossen werden.«Der Leipziger Verlagsdirektor Roland Opitz scheidetaus dem Amt, Nachfolger wird der von der Belegschaftgewählte Leipziger Lektor Stefan Richter. Nach Inkraft-treten der Währungsunion am 1. Juli zeichnet sich eingemeinsamer Buchmarkt ab. Die Stuttgarter Handels-vertreter bieten ab Oktober das Stuttgarter Programmauch im Gebiet der ehemaligen DDR an; ab Frühjahr1991 reisen sie auch für die Leipziger Produktion. DieAuslieferung der Leipziger Titel geschieht nun von Dit-zingen aus. Bei der Treuhandanstalt wird ein Antrag auf Reprivati-sierung des Leipziger Verlags und Rückgängigmachungder Enteignung des Leipziger graphischen Betriebs unddes Firmengrundstücks Inselstraße/Kreuzstraße ge-stellt. Ende des Jahres erarbeitet die Leipziger Verlags-leitung ein Perspektivpapier, nach dessen Fazit der Leip-

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ziger Verlag wegen überhöhter Produktion, fehlendemUmsatz und zu hohen Personalkosten auf absehbareZeit wirtschaftlich nicht tragfähig sein wird.In Leipzig erscheint die Nr. 1 des Almanachs Kopfbahn-hof, von dem bis 1992 fünf Ausgaben herauskommen. In der Universal-Bibliothek erscheint die von RobertGernhardt selbst getroffene Auswahl seiner Gedichteunter dem Titel Reim und Zeit, die zu einem der erfolg-reichsten Bände deutscher Gegenwartsliteratur in derUniversal-Bibliothek wird. Von Auflage zu Auflagedurch neue Gedichte erweitert, erreicht Reim und Zeitschon 2000 eine Gesamtauflage von über 100 000 Exem-plaren. Wieder von Gernhardt selbst als Best-of-Samm-lungen angelegt, folgen mit Prosamen (1995) die schön-ste Kleinprosa und mit Hier spricht der Zeichner (1996)Cartoons, Bildergeschichten, Bildwitze u. ä. Weitere Ti-tel von Autoren der »Neuen Frankfurter Schule« er-scheinen: von Eckhard Henscheid der Opernführer Ver-di ist der Mozart Wagners (1992), Dummdeutsch (1993),Welche Tiere und warum das Himmelreich erlangenkönnen (1995) und Kulturgeschichte der Mißverständ-nisse (1997, zus. mit Gerhard Henschel und BrigitteKronauer); von F. W. Bernstein Reimweh (1994), vonFriedrich Karl Waechter Sehr witzig! (2000).

1991 Im Januar wird Franz Schäfer (geb. 1949), seit1988 Leiter der Abteilung Finanz- und Rechnungs-wesen in Ditzingen, zum Geschäftsführer der ReclamGeschäftsführung GmbH, der Philipp Reclam jun. Ver-lag GmbH und der Philipp Reclam jun. Graphischer Be-trieb GmbH berufen. Am 31. Juli zieht sich StefanReclam-Klinkhardt aus der Geschäftsführung zurück.

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Während der Leipziger Buchmesse präsentiert der Leip-ziger Verlagsleiter Stefan Richter seine Vorstellungen ei-ner neu zu schaffenden Reclam-Stiftung und einer Ver-lagsneugründung durch die Mitarbeiter. Die StuttgarterGeschäftsleitung legt dagegen im Mai den LeipzigerMitarbeitern und der Treuhandanstalt ein Konzept vor,das die Übernahme des inzwischen hochverschuldetenLeipziger Hauses und seine Weiterführung als »ReclamVerlag Leipzig« vorsieht. Am 15. Mai votieren die Leip-ziger Mitarbeiter für das Stuttgarter Konzept; zum1. Oktober setzt die Treuhandanstalt, bei gleichzeitigemAusscheiden von Stefan Richter, die Stuttgarter Ge-schäftsleitung in Leipzig ein. Juristisch wird die Re-privatisierung des Leipziger Verlags und Firmengrund-stücks erst im Juli 1992 (rückwirkend zum 1. Januar1992) abgeschlossen. – Am 1. September 1991 gibt sichdie Leipziger Oberschule »Georgi Dimitroff« den Na-men »Anton-Philipp-Reclam-Schule«.Im Oktober erscheint die erste Serie der Universal-Bi-bliothek mit Strichcode und aufgedrucktem Preis, wo-mit das seit 1867 praktizierte Prinzip aufgegeben wird,den Preis über Nummernzahl bzw. später über einenMultiplikator zu bestimmen. Der Preis der Einfach-nummer lag seit dem 1. April 1991 bei 3 DM; jetzt wer-den die Bandpreise individuell festgelegt. Von dem Reclam-Bücher-Automaten der Jahre 1912–40werden fünf Repliken gebaut, die an Buchhandlungenausgeliehen werden.Der Kunstführer Berlin erscheint in 4., bearbeiteter underweiterter Auflage in größerem Format, wie auch nochdie Kunstführer zu Florenz (1993) und Rom (1994); dieKunstführer-Reihe im traditionellen Format der Uni-

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versal-Bibliothek wirdnicht weiter ausgebaut.In der »Reclam Biblio-thek Leipzig« erscheintdie 11. Auflage von LTI.Notizen eines Philologen,Victor Klemperers Unter-suchung über die Sprachedes Dritten Reichs (zuerst1946, seit 1966 im Leipzi-ger Reclam Verlag). AlsHardcover erscheint derbeschriftete sessel, Gedich-te Ernst Jandls mit Repro-

duktionen von 20 Radierungen Thomas Ranfts: »Der›sessel‹ ist wohl das schönste Buch, das es je von mirgab«, findet der Autor.

1992 Die Universal-Bibliothek wird 125 Jahre alt. Sieführt wieder 2200 lieferbare Titel. Die Gesamtauflageseit 1867 beträgt knapp eine halbe Milliarde Exemplare.Es wird ein Reprint der 1. Auflage der Nummer 1 (Goe-thes Faust) produziert, eine Bibliographie zu ReclamsUniversal-Bibliothek 1947–1992 wird erstellt, eineSammlung von 25 Beiträgen mit dem Titel Reclam. 125Jahre Universal-Bibliothek arbeitet die Geschichte die-ser Taschenbuchreihe auf. Gebunden und in limitierterAuflage erscheint eine siebenbändige Jubiläumsedition.

Neues Verlagslogo (Ent-wurf: Werner Rüb). Das halbjährliche Ge-samtverzeichnis, das auf

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DIN-A5-Format umgestellt und jetzt vierfarbig ge-druckt wird, verzeichnet erstmals sowohl die Stuttgarterwie die Leipziger Produktion. Während der FrankfurterBuchmesse gibt Reclam einen Empfang für Autoren,Verlagskollegen, Buchhändler und Journalisten. Anstel-le einer Festrede berichtet der Autor Ludwig Harig vonseinen persönlichen Lebenserfahrungen mit ReclamsUniversal-Bibliothek: »Es waren Büchlein zum Anfas-sen, Bändchen zum Betrachten, Heftchen zum Lesen.Und es sollte sich erweisen, daß das Wort ›Bibliothek‹nicht nur ein großes und wohlklingendes, sondern fürmich ein lebensentscheidendes Wort wurde, das baldkein Fremdwort mehrwar. […] Von Reclam habeich gelernt, was eine Bi-bliothek und was das Uni-versale ist.«Im August erscheint inLeipzig – vorher von über20 Verlagen abgelehnt –Robert Schneiders De-bütroman Schlafes Bruder,der zum Bestseller wird(in fünf Jahren über eineMillion verkaufter Exem-plare), in mehr als 20 Spra-chen übersetzt und 1995von Josef Vilsmair ver-filmt wird.

1993 Die »Reclam Bibliothek Leipzig« erscheint inneuer Ausstattung und in neuem Format (11,7 × 18,5 cm;

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Reihenentwurf: ProfessorHans Peter Willberg).In Stuttgart erscheinen dieersten Bände der »Mythenalter Kulturen«, Überset-zungen einer Reihe desBritish Museum, London.

1994 Die »Reihe Re-clam« wird gegründet. DieLeinenbände bieten Belle-tristisches von Homer biszum Nibelungenlied, vonGrimmelshausen bis Kaf-ka und Joyce, Lyrik vonCatull über Rilke bisRobert Gernhardt, litera-rische Anthologien vonGedichten der Roman-tik bis zu Liebesgedich-ten aus aller Welt. Für die Ausstattung (Schutz-umschlag, farbiges Vor-satz, Lesebändchen, in-zwischen auch Fadenhef-tung) zeichnen ProfessorHans Peter und BrigitteWillberg verantwortlich.

1995 Umzug des Leipzi-ger Verlags von der Non-nenstraße 38 in die Insel-

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straße 22, also in das alte Reclam-Firmengebäude, das aneine Investorengruppe verkauft wurde, die das durchBomben beschädigte und in DDR-Zeiten herunterge-kommene Gebäude restauriert, saniert und im Innernmodernisiert hat. Cheflektor in Leipzig ist seit März Dr.Rainer Moritz, der das Taschenbuchprogramm durchneue Autorennamen wie Marlene Faro (Frauen die Pro-secco trinken, 1996), Sibylle Berg (Ein paar Leute suchendas Glück und lachen sich tot, 1997) u.a. belebt. Mit My-thos Prometheus beginnt eine Leipziger Anthologienrei-he zu mythischen Figuren (Aphrodite, Ikarus, Medea,Narziß, Orpheus, Sisyphos u.a.). Nach Auslaufen der Schutzfrist erscheinen die wichtig-sten Kafka-Titel in der Universal-Bibliothek. Mit dervierbändigen Kassette Filmklassiker (hrsg. von ThomasKoebner; 4. Aufl. 2002) beginnt – nach dem seit 1973

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Das restaurierte Leipziger Reclam-Haus

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immer wieder aufgelegteneinbändigen Filmführer –ein systematischer Ausbauder Filmliteratur. Mit den ersten Bänden ei-ner insgesamt elfbändigenReihe Deutsche Geschich-te in Quellen und Darstel-lung und mit Kleine deut-sche Geschichte, der ersteneiner ganzen Reihe vonNationalgeschichten, wirddie Geschichte als neuerBereich im Reclam-Pro-

gramm etabliert. Es erscheinen nun regelmäßig Mono-graphien zu historischen Epochen, ab 2001 die sieben-bändige Grundlagenreihe Aufriß der historischen Wis-senschaften (hrsg. von Michael Maurer) und 2002 dasLexikon der Geschichtswissenschaft (hrsg. von StefanJordan). Im Herbst erscheinen die ersten CD-ROMs. Das in Zu-sammenarbeit mit der Berliner Firma »directmedia«entwickelte Konzept bietet Klassikertexte mit Wort-und Sacherklärungen, Inhaltsangabe, Literaturhinwei-sen, Zeittafel, Nachwort sowie eine komplette Textle-sung, Volltextrecherche und Textexport zum Preis von14,90 DM.

1996 Am 5. Januar schreibt Ulrich Raulff in der F.A.Z.:»auf den Tag hundert Jahre ist Anton Philipp Reclam,der Gründer der ›Universal-Bibliothek‹, nun tot, seinWerk aber wirkt so lebendig wie am ersten Tag. […]

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Nicht der ist ein großer Autor (reif für den Schulranzen,welcher die Unsterblichkeit bedeutet), der in Faden-heftung und Dünndruck, mit Goldschnitt und Lese-bändchen den Markt der Eitelkeiten betritt. Sondern je-ner, der demütig in der unscheinbaren Gestalt einesReclambändchens auf den schmalen Bücherborden derJugend Platz nehmen darf: auch er nun ein Halbgott inGelb.«Das bis dahin größtformatige Reclam-Buch erscheint:Goethe-Zeichnungen (hrsg. von Petra Maisack, 3. Aufl.2001).

1997 Reclam geht unter www.reclam.de ins Inter-net, ab 2002 mit neuer Website und einer großen Daten-bank, die das umfangreiche Verlagsprogramm er-schließt.

1998 Die insgesamt 16 Musik- und Theaterführer er-halten sukzessive einen neueReihengestaltung (Entwurf:Werner Rüb). Das Leipziger Cheflektoratübernimmt Dr. AndreasAnter. Mit einem Fontane-ABC beginnt in Leipzigeine Reihe, die sich demLeben und Werk von Dich-tern und Philosophen wid-met (Shakespeare, Goethe,Proust, Hesse, Machiavelli,Schopenhauer, Nietzsche,Adorno u.a.).

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In der Universal-Biblio-thek erscheint der er-ste Band von ReclamsRomanlexikon. Deutsch-sprachige erzählende Li-teratur vom Mittelalterbis zur Gegenwart (hrsg.von Frank R. Max undChristine Ruhrberg), dasbis 1999 auf fünf Bän-de komplettiert wird und2000 nochmals als aktuali-sierte einbändige Editionim Lexikonformat vorge-legt wird.

1999 Im Jahr von Goethes 250. Geburtstag legt UlrichGaier die dreibändige Kassette Faust-Dichtungen vor,die einen neuedierten Faust-Text und einen – alles in al-lem – gut 2100seitigen Kommentar zu Goethes phäno-menaler Dichtung enthält. Neben sechs neuen Goethe-Titeln in der Universal-Bibliothek werden zudem diewichtigsten Werke Goethes in einer limitierten Auflagemit farbigen Sonderumschlägen (Entwurf: StefanSchmid) angeboten. Die Kölner Galerie ON veranstaltet in ihrem »Museumfür Gedankenloses« unter dem Titel »Kaba und Liebe«eine Ausstellung von Reclam-Bändchen, durch Schüler-hände verziert, verschmiert, bekritzelt, mit verballhorn-ten Autorennamen und Titeln. Unter der Devise»Schülerlektüre und Alltagskunst« wird die Ausstellungauch 2000 in Hannover und 2001 in Heidelberg gezeigt.

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Das mit einer Auswahl der Exponate produzierteReclam-Bändchen Kaba und Liebe, das demonstriert,wie Langeweile oder Aggression zu Kreativität führenkönnen, erfreut sich größter Beliebtheit und ruft ein un-geahntes Presseecho hervor. Mit jeweils fünf »Hörbüchern« auf CD im Frühjahr undim Herbst erweitert Reclam seine mediale Angebots-palette.Die Dokumentation des »Zensur- und Kriminalfalls›Das Zeitalter der Vernunft‹ 1846–1848« von Volker Ti-tel und Frank Wagner erscheint im Sax-Verlag, Beucha,unter dem Titel Angeklagt: Reclam & Consorten.Der Beschluß der Kultusministerkonferenz, an denSchulen ab 1998 neue Rechtschreibregeln verbindlicheinzuführen, zwingt – neben den Schulbuchverlagen –auch Reclam, ab 1999 die Textgestalt wichtiger Schul-lektüren zu reformieren.Am 31. Juli geht Dr. Dietrich Bode in den Ruhestandund scheidet aus der Geschäftsführung aus. Dr. Frank R. Max (geb. 1949), seit 1998 Geschäftsführer des Ver-lags, ist in dieser Funktion nun auch für die Reclam Gra-phischer Betrieb GmbH, die Reclam GeschäftsführungGmbH sowie – als Zweigstelle der Philipp ReclamGmbH & Co. – den Reclam Verlag Leipzig tätig.Von Manfred Fuhrmann erscheint eine Geschichte derrömischen Literatur, von Volker Meid das Sachwörter-buch zur deutschen Literatur, und Jochen Meyer, derLeiter der Handschriftenabteilung des Deutschen Lite-raturarchivs in Marbach a. N., gibt eine großformatigeEdition von reproduzierten und kommentierten Dich-terhandschriften. Von Martin Luther bis Sarah Kirschheraus.

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2000 Hugo von Hofmannsthal erscheint mit 10 Titelnin der Universal-Bibliothek. – Als Hommage zum100. Geburtstag des Heidelberger Philosophen er-scheint das Bändchen Begegnungen mit Hans-GeorgGadamer. Seit über 20 Jahren werden in der Universal-Bibliothek Aufsatzsammlungen von Gegenwartsphilo-sophen publiziert, die in ihrer Breite – über 80 Bändesind erschienen – einen Überblick über das zeitgenössi-sche philosophische Denken vermitteln.In der »Reihe Reclam«, seit 1994 auf über 60 Bände an-gewachsen, werfen die Lyrikanthologie Jahrhundertge-dächtnis (1999 hrsg. von Harald Hartung) und die Er-zählungsanthologie Jahrhundertchronik (2000 hrsg. von

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Walter Hinck) literarisch repräsentative Blicke auf dassich verabschiedende 20. Jahrhundert.Am 1. Juli übernimmt Maria Koettnitz das Cheflektoratdes Leipziger Verlags, der im Herbst innerhalb des sog.Reclam-Carré von Inselstraße 22 in die Nummer 26 um-zieht.

2001 Mit dem ReclamBuch der Kunst von Chri-stoph Wetzel und demReclam Buch der Musikvon Arnold Werner-Jen-sen (Mitarbeit: F. J. Ratteund M. Ernst) wird einneuer Buchtypus im Hard-cover-Programm etabliert,der mit konzisen themati-schen Einheiten histori-scher Abriß, Bildband undNachschlagewerk in ei-nem ist. Des weiteren er-scheint ein Shakespeare-Führer von Ulrich Suerbaum,Reclams Lexikon der deutschsprachigen Autoren vonVolker Meid und auf CD-ROM Reclams elektronischesFilmlexikon, das Information zu 2000 Filmen und 200Regisseuren bietet. Innerhalb der blauen Schulreihe erscheinen die erstenTitel der speziell für Schüler/innen entwickelten undrasch ausgebauten Reihe »Lektüreschlüssel«.Im Graphischen Betrieb werden zur Modernisierungdes Maschinenparks die 16-Seiten-Offsetrotation Hei-delberg M 600 (eine zweibahnige Ausführung mit

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zwei Trocknern, einemautomatischen Platten-wechsler, einer integrier-ten Gummituchwasch-einrichtung) und für denBogendruck eine Heidel-berger Speedmaster SM102-2P im IIIb-Formatsowie neue Falz- undSchneideaggregate instal-liert. Eine Computer-to-Plate-Anlage zur Ein-sparung von Filmbelich-tung und Montage wird2001 angeschafft.

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Offsetrotation Heidelberg M 600

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Die Reclam BibliothekLeipzig erhält einen neuenReihenentwurf des Berli-ner Graphikbüros Burde-Blank. Ab Herbst erschei-nen verstärkt Hardcover-titel in Leipzig; erfolg-reichste Novitäten sindder autobiographische Ro-man Sarah des jungenAmerikaners James T. Le-Roy und Robert Schnei-ders Der Papst und dasMädchen.

2002 In der Universal-Bibliothek erscheint Arthur Schnitzler mit neun Titeln,und es beginnt die auf zwölf Bände angelegte Reihe»Kunst-Epochen«. Die erfolgreichste Neuerscheinungder Universal-Bibliothek ist – sicher in einem gewissenZusammenhang zu sehen zu der, wieder einmal, virulen-ten Kanon-Diskussion und den Ergebnissen der soge-nannten PISA-Studie – ein schmaler Band von ManfredFuhrmann über »Europas kulturelle Identität« mit demschlichten Titel Bildung. Als Hardcover erscheinen eineKleine Geschichte der Fotografie von Boris von Brau-chitsch und in der Reihe von Zitatenlexika ReclamsLexikon der Shakespeare-Zitate und Reclams Lexikonder Bibelzitate; schon 1992 waren ein allgemeines Zita-tenlexikon (5. Aufl. 2002) und 1996 ein Lateinisches Zi-tatenlexikon (4. Aufl. 2003) erschienen. Als Pendant zuden großformatigen Dichterhandschriften, die 2003 als

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Sonderausgabe neu aufgelegt werden, erscheinen dieMusikerhandschriften, hrsg. von Günter Brosche. Im Leipziger Hardcover erscheinen u.a. Übersetzungenamerikanischer (J. T. LeRoy: Jeremiah), französischer(J.-P. Gattegno: Der Geschichtendieb) und griechischer(N. Panajotopoulos: Die Erfindung des Zweifels) Ro-mane sowie Schatten, der neue Roman von RobertSchneider; im Sachbuch von Marlene Faro eine »andereGeschichte der Gynäkologie« (›An heymlichen Orten‹.Männer und der weibliche Unterleib), sowie UlrikeBergmanns Biographie über Johanna Schopenhauer undKaroline Hilles Fünf Malerinnen der Moderne.

2003 Der Verlag renoviert seine Vorschau, Katalogeund Anzeigen. Die gebundenen Sachbücher des Stutt-garter Programms erhalten eine neue einheitliche Um-schlaggestaltung (Entwurf: büroecco!, Augsburg).

Reclams Musikprogrammwird durch die dreibändi-ge Kassette Rock-Klassi-ker und ein neues Jazzle-xikon erweitert und ak-tualisiert. Innerhalb derFilmliteratur startet mitWestern und Science Fic-tion eine Reihe zu einzel-nen Film-Genres. Nachdem Hardcover Auf denSpuren Alexanders desGroßen (2002) erscheintvon dem Historiker undDokumentarfilmer Mich-

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ael Wood der neue Band Auf den Spuren der Konquista-doren. Als großformatige Bände erscheinen Dichterpor-träts (hrsg. von Frank Möbus und Friederike Schmidt-Möbus), Reproduktionen charakteristischer Porträts(Gemälde, Zeichnungen, Fotografien) deutscher Dich-ter/innen, die aus literatur- und kunstwissenschaftlicherSicht kommentiert werden, und der Band Rembrandtund die Bibel. Radierungen, Zeichnungen, Kommenta-re, herausgegeben von Maria Kreutzer.Als Leipziger Hardcover erscheinen die deutschen Erst-ausgaben des Debütromans Die Nägel von Michail Jeli-

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sarow, der von der schwedischen Krimi-Akademie aus-gezeichnete Roman Camera von Eva-Maria Liffner, dieRomane Gold und Silber von Junichiro Tanizaki und NoExit des jungen Amerikaners Daniel Grey Marshall. ImSachbuch erscheint von Shimon Malin Dr. BertelmannsSocken. Wie die Quantenphysik unser Weltbild verän-dert und eine Kant-Biographie von Steffen Dietzsch. Dietrich Bode legt eine überarbeitete und aktualisierteFassung seiner (zuerst 1978 erschienenen) Verlagschro-nik vor: Reclam. Daten, Bilder und Dokumente zur Ver-lagsgeschichte. 1828–2003.

Am 1. Oktober 2003 wird der Reclam Verlag 175 Jahrealt.

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Bibliographie

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[Friedrich Wilhelm Binder: Rede zum fünfzigjährigen Bestehender Universal-Bibliothek.] In: 50 Jahre deutscher Kulturar-beit. Kurzer Bericht über die Feier des fünfzigjährigen Be-stehens von Reclams Universal-Bibliothek 15. November1867 bis 15. November 1917. Leipzig 1917. S. 5–23.

Thomas Mann: Hundert Jahre Reclam. In: Th. M.: Zwei Fest-reden. Leipzig 1928. (UB 6931.) S. 49–70. Neuausg. Stuttgart1967. S. 45–63.

Georg Witkowski: 100 Jahre Reclam. In: Reclams Universum45 (1928/29). S. 1–6.

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Dietrich Bode: Anton Philipp Reclam. Verleger im »Junior-Sta-tus«. In: Die großen Leipziger. 26 Annäherungen. Hrsg. vonVera Hauschild. Frankfurt a. M. / Leipzig 1996. S. 228–236.

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Volker Titel / Frank Wagner: Angeklagt: Reclam & Consorten.Der Zensur- und Kriminalfall »Das Zeitalter der Vernunft«1846–1848. (Mit einem Geleitwort von Dietrich Bode.)Beucha 1998.

Frank Rainer Max: Reclams »Gelbe Reihe« und der literarischeKanon. In: Warum wir lesen, was wir lesen. Beiträge zum Li-terarischen Kanon. Hrsg. von Olaf Kutzmutz. Wolfenbüttel2002. (Wolfenbütteler Akademie-Texte. Bd. 9.) S. 6–14.

Dietrich Bode: Reclam. Daten, Bilder und Dokumente zur Ver-lagsgeschichte 1828–2003. Stuttgart 2003.

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