Der Schönheitssalon 2 Der Triumph der Schwestern Roman

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Leseprobe Nora Elias Der Schönheitssalon 2 Der Triumph der Schwestern - Roman Bestellen Sie mit einem Klick für 10,00 € Seiten: 448 Erscheinungstermin: 20. September 2021 Mehr Informationen zum Buch gibt es auf www.penguinrandomhouse.de

Transcript of Der Schönheitssalon 2 Der Triumph der Schwestern Roman

Leseprobe

Nora Elias

Der Schoumlnheitssalon 2 Der Triumph der Schwestern - Roman

Bestellen Sie mit einem Klick fuumlr 1000 euro

Seiten 448

Erscheinungstermin 20 September 2021

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NORA ELIAS

Der Schoumlnheits-

salon Der Triumph der Schwestern

Roman

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Teil 1

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Mai 1952

raquoFraumlulein Franziska LichtenthallaquoMarion sah von ihrem Buch auf und ihre juumlngere Schwes-

ter Fanny an raquoIch glaube der Direktor ist gar nicht erst den Umweg uumlber Mutter gegangen sondern hat sich direkt an Vater gewandtlaquo

Fannys Blick huschte zur Tuumlr raquoWenn er dafuumlr extra nach Hause kommt ist er wirklich sauerlaquo

raquoWas hast du erwartetlaquoZu einer Antwort kam Fanny nicht mehr denn nun

stand ihr Vater in der offenen Tuumlr des Salons und taxierte das sechzehnjaumlhrige Maumldchen das auf dem Boden saszlig den Hund auf dem Schoszlig die Augen in gespielter Arglosig-keit geweitet raquoJa Papalaquo

raquoOberstudiendirektor Wendt hat mich gerade angeru-fen Kannst du dir denken warumlaquo

raquoHat ihn vielleicht ein Missgeschick ereiltlaquoUm Marions Mundwinkel zuckte es was ihrem Vater

nicht entging denn sein strafender Blick traf sie ehe er sich wieder auf die Juumlngere richtete raquoIch kann das wahr-haftig nicht komisch finden junge Damelaquo

Fanny schwieg und warf die blonden Locken zuruumlck sah

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ihren Vater auf eine Weise an die nicht anders als aufsaumls-sig zu bezeichnen war

raquoIch habe dir den Umgang mit diesem Kerl verbotenlaquoDieser Kerl war der achtzehnjaumlhrige Lukas von Buch-

wald in den sich Fanny rettungslos verliebt hatte und den ihr Vater fuumlr einen Taugenichts hielt

raquoDu hast zwei Wochen Hausarrestlaquo beschied er ihrraquoDas kannst du nicht machenlaquoraquoIch trete dir umgehend den Beweis anlaquoraquoUnd der ReitstalllaquoraquoDort wird man eine Weile ohne dich auskommen muumls-

sen Ein solches Verhalten wie du es derzeit an den Tag legst dulde ich nichtlaquo

Fanny presste die Lippen zusammen sah ihren Vater an dann wandte sie sich ab streichelte wieder den Hund der die Augen wohlig geschlossen hatte

raquoDu hast mir sonst also nichts dazu zu sagenlaquo fragte er erneut

SchweigenraquoAlso gutlaquo Ihr Vater wandte sich ab und verlieszlig den

SalonraquoUnd das ist es dir wirklich wertlaquo fragte Marion

raquoWas hatte er uumlberhaupt in deiner Schule zu suchen Hat er selbst keinen Unterrichtlaquo

raquoEr hat geschwaumlnzt um mich zu sehenlaquoMarion ersparte sich einen Kommentar darauf Sie

wusste nicht recht was sie davon halten sollte aber sie wollte sich nicht zu offen gegen den Jungen aussprechen da sie befuumlrchtete Fanny koumlnnte sich ihr sonst kuumlnftig nicht mehr anvertrauen Nachdem Lukas von Buchwald

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sich in die Schule geschlichen hatte waumlren die beiden bei-nahe zusammen erwischt worden und so waren sie schnell in den erstbesten Raum geschluumlpft der sich ihnen geboten hatte ndash das Direktorenzimmer Dort war Fanny gegen ein Tintenfass gestoszligen dessen Inhalt sich uumlber die Schreib-unterlage und die darauf liegenden Papiere ergossen hatte Die Schulsekretaumlrin hatte dem Herrn Direktor Kaffee bringen wollen und Fanny prompt erwischt Daraufhin war Wendt umgehend in seinem Buumlro erschienen hatte Fanny eine kraumlftige Ohrfeige verpasst und Lukas am Ohr aus der Schule gezogen

raquoDu haumlttest Vater sagen sollen dass er dich geschla-gen hatlaquo

raquoDas haumltte ja nichts geaumlndertlaquoraquoDu weiszligt dass er das nicht duldetlaquo Ein Lehrer hatte es

einmal gewagt Marion mit dem Zeigestock auf die Haumlnde zu klopfen als sie zehn Jahre alt gewesen war Ihr Vater war daraufhin in die Schule gegangen und hatte dem Leh-rer angedroht dass er ihn mit seinem eigenen Stock ver-pruumlgele wenn er das jemals wieder wagen sollte raquoMeine Tochter wird nicht geschlagenlaquo hatte er gesagt raquoGeben Sie ihr Strafaufgaben auf lassen Sie sie nachsitzen aber er-heben Sie nie wieder die Hand gegen sielaquo

raquoIst doch jetzt auch gleichlaquo Fanny stand auf raquoKomm Mortimerlaquo Mortimer war ein kleiner Mischlingsruumlde der seit sieben Jahren bei ihnen wohnte und Fanny nur selten von der Seite wich raquoGehen wir in den Garten das darf ich ja gewiss nochlaquo

Marion sah ihr nach dann schlug sie das Magazin zu und stand auf Es war gleich zwei Zeit sich fuumlr den Dienst

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im Krankenhaus umzukleiden Sie hatte im Vorjahr ihr letztes Examen absolviert und somit ihr Medizinstudium mit Bestleistungen beendet Nur war ihr schon waumlh-rend des Studiums aufgefallen dass sie zwar die Medizin liebte nicht jedoch den Alltag als Aumlrztin Urspruumlnglich hatte sie mit der Pharmazie geliebaumlugelt aber letzten En-des hatte ihr Interesse an der Medizin gesiegt insbeson-dere an der Dermatologie Conrad Rudorf der im Krieg gefallene Ehemann ihrer Tante Charlotte war Dermato-loge gewesen und gemeinsam hatten sie ein Unternehmen gegruumlndet das sich auf medizinische Kosmetik speziali-siert hatte Dabei war Charlotte zugutegekommen dass sie sich als Pharmazeutin mit Wirkstoffen gut auskannte Dieses Taumltig keitsfeld faszinierte Marion und obwohl ihre Tante und ihre Mutter kein gutes Verhaumlltnis zueinander hatten kam Marion mit ihrer Cousine Emma recht gut aus ebenso mit ihrem Cousin Leopold dem Haupterben von Dr Rudorf Kosmetik

In ihrem Zimmer zog Marion sich um sah ein weiteres Mal auf die Uhr und seufzte Den Entschluss sich auf ein anderes Betaumltigungsfeld zu konzentrieren hatte sie schon vor Monaten endguumlltig gefaumlllt bisher hatte sie es nur noch niemandem erzaumlhlt Ihr Vater war so stolz auf sie gewesen als sie als Aumlrztin an die Chariteacute gegangen war Wuumlrde er enttaumluscht von ihr sein All die Arbeit und das Geld das in ihr Studium geflossen waren ins Feld fuumlhren um sie von ihrem Entschluss abzubringen Sie hatte lange gezouml-gert und die Entscheidung gut durchdacht Den Muti-gen gehoumlrt die Welt sagte man doch Nun Marion wuumlrde sehen ob das auch fuumlr sie galt

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Das Haus in der Friedrichstraszlige wo alles begonnen hatte hatte Helena behalten und sie betrieb den Schoumlnheitssa-lon dort weiterhin wenngleich sie vor dem Krieg einen zweiten Standort mit groszligzuumlgigeren Raumlumlichkeiten er-oumlffnet hatte Aber an diesem Haus hingen so viele Erinne-rungen da hatte sie es nicht uumlbers Herz gebracht sich da-von zu trennen Aber baulich veraumlndert hatte sie es hatte innen die Waumlnde durchbrechen lassen sodass man vom Verkaufsraum durch einen Tuumlrbogen in den angrenzen-den Raum kam der fruumlher die Fertigung enthalten hatte Hier war jetzt ein weiterer Raum fuumlr Kosmetikbehand-lungen entstanden ebenfalls durch einen Durchbruch mit dem Raum dahinter verbunden wo sich der urspruumlngli-che Schoumlnheitssalon befand Fruumlher einmal hatte Helena auch die Wohnung oben in der sie und ihre Schwester in ihren Anfaumlngen gewohnt hatten in Raumlumlichkeiten fuumlr Kosmetik und Schoumlnheitsbehandlungen umwandeln wol-len doch dann waren durch den Krieg so viele Menschen heimatlos geworden dass es ihr dekadent erschienen waumlre intakten Wohnraum auf diese Art zu nutzen Es war ja nicht so dass sie das Geld noumltig hatte das Kosmetikun-ternehmen Rosenberg war schon waumlhrend der Dreiszligiger-jahre groszlig geworden und warf viel Geld ab Zu jener Zeit war der Schoumlnheitssalon lediglich eine weitere Einkom-mensquelle gewesen

Zunaumlchst hatte sie die Wohnung kostenfrei zwei hei-matlosen Familien uumlberlassen die jeweils zwei Raumlume be-wohnten und sich Kuumlche sowie Bad teilten Es war Hele-nas bescheidener Beitrag gewesen das Gefuumlhl endlich etwas tun zu koumlnnen und wenn es nur das war Menschen

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voruumlbergehend ein Zuhause zu geben Mittlerweile hatte sich die Situation entspannt aber Wohnraum wurde nach wie vor benoumltigt Dominik hatte die Wohnung renovieren lassen und seither wurde sie vermietet

Das Unternehmen Rosenberg hatte sich rasant entwickelt inzwischen wurde Helenas Kosmetik in einem eigenen Werk hergestellt in dem sie eine ganze Reihe an Angestell-ten beschaumlftigte Sie selbst war zwar Eigentuumlmerin hatte aber einen Geschaumlftsfuumlhrer sowie Mitarbeiter fuumlr Buchhal-tung und Finanzen Da Helena sich nach wie vor am meis-ten fuumlr die Entwicklung und Forschung interessierte war das der Bereich ihres Unternehmens in dem sie sich vor-zugsweise aufhielt

An diesem Nachmittag verlieszlig sie das Werk etwas fruuml-her denn Dominik hatte ihr am Telefon von dem Vorfall in Fannys Schule erzaumlhlt Das war wieder so typisch Ging es um Dinge wie ein Kuchen fuumlr den Schulbasar oder das Abholen eines Kindes weil ihm unwohl war dann rief man Helena an obwohl Dominik von seinem Werk in Charlottenburg Nord schneller an der Schule sein konnte als Helena aus Tegel War aber etwas vorgefallen das laut Meinung des Direktors dringend einer Sanktion beduumlrfe wendete er sich direkt an Dominik Helena haumltte laumlngst aufhoumlren sollen sich daruumlber aufzuregen denn schon zu Marions Schulzeiten war es nicht anders gewesen aber dennoch aumlrgerte sie sich jedes Mal von Neuem daruumlber

Als Helena die Tuumlr zu ihrer in Berlin-Grunewald gele-genen Villa oumlffnete kam ihr Hund Mortimer in die Ein-gangshalle gelaufen sprang um sie herum drehte eine Runde durch die Halle kam wieder zu ihr und stellte sich

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auf die Hinterbeine ndash das hatte Fanny mit ihm geuumlbt Helena ging in die Knie und kraulte den Hund dann er-hob sie sich und sah Fanny an die Mortimer gefolgt war und in der Tuumlr zum Salon stand

raquoLukas von BuchwaldlaquoFanny nickte schweigendraquoDir haumltte doch klar sein muumlssen dass das unweigerlich

zu Aumlrger fuumlhrtlaquoraquoIch wusste ja nicht dass er kommtlaquoraquoUnd trotzdem hast du dich darauf eingelassen dich

mit ihm in der Schule zu versteckenlaquoraquoWo er doch schon mal da war helliplaquoraquoUnd wie haben seine Eltern reagiertlaquoFanny zuckte mit den SchulternHelena erfuhr es noch vor dem Abendessen als Herr von

Buchwald anrief und nach Dominik fragteraquoSie werden mit mir vorliebnehmen muumlssenlaquo erklaumlrte

Helena kuumlhlDaraufhin erklaumlrte er ihr Dominik persoumlnlich habe da-

fuumlr zu sorgen dass seine Tochter seinen Sohn kein weiteres Mal zum Schuleschwaumlnzen ermutigte raquoDas kann ich nicht duldenlaquo fuhr er fort und beendete das Gespraumlch bruumlsk

raquoPapa hat mir zwei Wochen Hausarrest aufgebrummtlaquo beschwerte sich Fanny

raquoDann wirst du das wohl durchstehen muumlssenlaquo Eine Regel in ihrer Erziehung war dass sie einander nicht in den Ruumlcken fielen und sich nicht gegeneinander ausspie-len lieszligen

Fanny seufzte ergebenraquoHast du deine Hausaufgaben gemachtlaquo

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raquoJa Auch die StrafarbeitlaquoHelena nickte und ging in die Kuumlche wo das Abend-

essen vorbereitet auf der Anrichte stand Sie beschaumlftigten nach wie vor eine Haushaumllterin die zudem gelernte Kouml-chin war Im Gegensatz zu fruumlher kam die jetzige Haus-haumllterin morgens um acht ging um fuumlnf und hatte am Wochenende frei Auszligerdem hatten sie eine Zugehfrau die einmal woumlchentlich kam Die Zeiten da das Perso-nal im Haus naumlchtigte und staumlndig zur Verfuumlgung stand waren vorbei Dank der modernen Errungenschaften wie der elektrischen Waschmaschine ging die Arbeit mitt-lerweile schneller von der Hand und die Zeiten da man einen kompletten Tag fuumlr die Waumlsche einplanen musste waren vorbei

Der Hund kam in den Vorraum setzte sich auf die Hin-terpfoten und sah Helena aus dunklen glaumlnzenden Augen an den Kopf leicht schief gelegt

raquoIst schon Zeit fuumlrs Futterlaquo Helena sah auf die Uhr raquoEin Stuumlndchen musst du dich noch geduldenlaquo Sie ging zur Anrichte und zog eine Schublade auf Mortimer der wusste was sich dort fuumlr Schaumltze verbargen war ihr ge-folgt und stand nun aufgeregt neben ihr Wie Helenas ers-ter Hund Estelle hatte auch er eine Schwaumlche fuumlr Rinder-haut und so gab sie ihm ein gerolltes Stuumlck und ging mit ihm in den Salon der mittlerweile verwaist war Helena zuumlndete sich eine Zigarette an und rauchte waumlhrend sie den kleinen Hund beobachtete der auf der Leckerei he-rumkaute

Ihr damaliger Hund Estelle war im Alter von siebzehn Jahren ndash das schaumltzte Helena zumindest denn sie hatte

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Estelle auf der Straszlige aufgelesen ndash gestorben Sie war noch sehr jung gewesen als Helena sie gefunden und adop tiert hatte Nur ihre Kinder und ihre Mutter hatte sie mehr geliebt als Estelle was Dominik recht konsterniert zur Kenntnis genommen hatte

raquoDich liebe ich anderslaquo hatte sie ihm erklaumlrtSie war gluumlcklich daruumlber gewesen dass Estelle ein so

hohes Alter erreicht hatte obwohl mit jedem Jahr die Angst naumlher ruumlckte dass der Moment des Abschieds nicht mehr gar so fern war Eines Nachmittags war Estelle ge-schwankt als haumltte sie Schlagseite Fanny die damals erst sechs Jahre alt gewesen war hatte geglaubt der Hund mache Faxen

raquoGuck mal Mama wie komisch Estelle laumluftlaquoHelena jedoch hatte es in diesem Moment gespuumlrt hatte

gewusst dass es nun so weit war Den restlichen Tag uumlber lag Estelle in ihrem Koumlrbchen wollte dieses auch nicht zum Fressen verlassen verschmaumlhte selbst ihre geliebten Leckereien blickte nur hin und wieder auf und schaute Helena mit ihren lieben Hundeaugen an In dieser Nacht hatte Helena das Koumlrbchen in ihr Zimmer geholt es neben ihr Bett gestellt und fast die ganze Nacht wachgelegen eine Hand auf Estelles warmem Fell sodass sie spuumlrte wie sich die Flanke hob und senkte

Morgens war Helena in aller Fruumlhe aufgestanden waumlh-rend Dominik noch neben ihr schlief Dann setzte sie sich neben das Koumlrbchen auf den Boden und streichelte den kleinen Hund der die Augen geschlossen hielt aber noch atmete Vielleicht so dachte sie blieb ja doch noch Zeit Vielleicht brauchte Estelle nur Ruhe Dann jedoch oumlffnete

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ihr kleiner Hund die Augen sah sie an versuchte sich auf-zurichten aber Helena legte ihr beruhigend die Hand auf das Koumlpfchen streichelte sie

raquoScht meine Kleine ist ja gutlaquo hatte sie gemurmelt raquoDu darfst jetzt gehenlaquo

Estelle hatte die Augen wieder geschlossen und irgend-wann hatte sich die Flanke nach dem letzten Atemzug nicht mehr gehoben

Danach wollte Helena keinen Hund mehr Als Domi-niks Schwester Ariana vorgeschlagen hatte einen neuen zu kaufen vielleicht wuumlrde man sogar einen finden der aussah wie Estelle waumlre sie ihr fast ins Gesicht gesprun-gen Aber Mortimer hatte sie gefunden wie Estelle vor-mals Nach dem Krieg war Helena durch die Stadt ge-gangen hatte versucht von ihren Lebensmittelmarken etwas zu essen zu bekommen als sie den kleinen Hund bemerkte der in den Truumlmmern nach etwas zu fressen suchte Er war schmutzig weiszlig mit groszligen schwarzen Fle-cken und einem wolligen Fell das ganz verfilzt war Hoff-nungsvoll hatte er sie angesehen aber Helena war mit dem Korb im Arm weitergegangen

raquoEs tut mir leid mein Kleiner es reicht kaum fuumlr unslaquoEr war ihr gefolgt und hatte Schritt gehalten als Helena

die ihren beschleunigte raquoEs ist sinnloslaquo hatte sie gesagt raquoSuch dir jemanden der weniger Maumluler zu stopfen hatlaquo

Bis zum Eingangstor ihres Hauses war er ihr gefolgt und lieszlig sich nicht abwimmeln raquoSo hier trennen sich unsere Wegelaquo sagte sie ihm als koumlnnte er sie verstehen Aber er hob nur das Bein an der Mauer raquoDamit machst du dich bei Dominik gewiss beliebt So und jetzt geh unser

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Haushalt ertraumlgt keine zwei Maumlnner erst recht nicht wenn einer davon sein Revier markiertlaquo

Der Hund hatte sich auf die Hinterbeine gesetzt und sie angesehen Als Helena sich abgewandt hatte war der Hund ihr gefolgt und hinter ihr die Treppe hochgelau-fen In der Eingangshalle war ihr Dominik entgegenge-kommen

raquoMortimer wohnt jetzt hierlaquo hatte sie ihm erklaumlrt und dabei war es geblieben

Der Hund war nur noch wenig gewachsen ging ihr bis zur Mitte der Wade war kompakter als Estelle und auch frecher Zur Arbeit nahm Helena ihn nie mit er verbrachte viel Zeit mit Fanny sah auch jetzt auf als sie den Salon betrat die Leine in der Hand Sofort sprang der Hund auf und lief schwanzwedelnd zu ihr was mit dem kleinen Stummelschwanz immer sehr drollig aussah

raquoWir gehen noch eine Rundelaquo erklaumlrte sieraquoEine Rundelaquo betonte Helena raquoOhne Umwege oder

heimliche TreffenlaquoEin Schatten flog uumlber das Gesicht ihrer Tochter und

Helena hob eine BraueraquoJa eine Rundelaquo sagte Fanny so uumlberdeutlich dass man

es schon fast patzig nennen konnte Sie beugte sich zu Mortimer und befestigte die Leine am Halsband

Fanny fand es in houmlchstem Maszlige anstrengend dass ihre Eltern sie fortwaumlhrend wie ein Kind behandelten Da war Lukas ganz anders er behandelte sie wie eine junge Frau Ihre Eltern hingegen bezeichneten Lukas der immerhin im kommenden Jahr das Abitur machen wuumlrde als Halb-

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wuumlchsigen kaum mehr als ein Knabe Dabei wuumlrde er im Herbst achtzehn werden Ihr Vater hatte ihn sogar als un-verschaumlmten Bengel bezeichnet als sei er noch ein Kind

Mit Mortimer an der Leine verlieszlig sie das Haus und atmete auf als sie drauszligen war Zwei Wochen Hausar-rest das war doch nicht auszuhalten Sie schritt rasch aus atmete die fruumlhlingsmilde Luft ein in der schon die Vor-boten des Sommers lagen Mortimer blieb stehen schnup-perte hob einmal das Bein und lief dann wieder forsch vor-weg Aufmerksam sah Fanny sich um verlangsamte den Schritt als sie auf die Straszligenecke zuging Und da stand er wartete wie stets um diese Uhrzeit auf sie Fannys An-gespanntheit zerschmolz in einem Laumlcheln und sie ging nun wieder schneller raquoIch hatte schon befuumlrchtet deine Eltern verpassen dir auch Hausarrestlaquo

Lukas hatte sich eine Zigarette in den Mund gesteckt und zuckte laumlssig mit den Schultern raquoMein Vater hat he-rumlamentiert von wegen Schule und Verantwortung und ich hab so getan als wuumlrdrsquos mich interessieren aber das warrsquos dann auch schon Hier magst dulaquo Er hielt ihr seine Zigarette hin und Fanny nahm einen Zug obwohl sie den Geschmack scheuszliglich fand Aber sie gab sich laumls-sig und zog noch ein weiteres Mal daran unterdruumlckte da-bei ein Husten

Sie und Lukas trafen sich jeden Tag hier wenn Fanny ihre Hunderunde drehte raquoIch kann heute nur kurzlaquo sagte sie raquoEin Wunder dass meine Mutter mich uumlberhaupt rausgelassen hatlaquo

raquoImmerhin hast du es geschafft Schrecklich dass sie dich so kontrollieren Da ist es gut dass du den Hund hast

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da bietet sich immer ein Vorwandlaquo Lukas sah Mortimer an und blieb auf Abstand Einmal hatte er den Versuch ge-macht den Hund zu streicheln und Mortimer hatte nach ihm geschnappt Das hatte Fanny erschreckt denn an sich war er der liebste Hund den man sich vorstellen konnte raquoDas hat er noch nie getanlaquo hatte sie beteuert

raquoDas ist ganz normal bei diesen Winzlingenlaquo hatte Lukas geantwortet raquoDie sind immer so giftig vermut-lich weil sie sich minderwertig fuumlhlen Ein echter Hund beginnt ab Kniehoumlhelaquo

Das hatte Fanny ihm uumlbelgenommen aber er hatte sich entschuldigt und betont Mortimer habe genau die rich-tige Groumlszlige fuumlr einen Maumldchenhund

Ihre Freundinnen beneideten sie gluumlhend um diesen gutaussehenden Bankierssohn nur ihre beste Freundin Nele mochte ihn nicht und nannte ihn einen groszligspuri-gen Angeber raquoVertrau dem Urteil deines Hundeslaquo hatte sie gesagt Das blieb ein Streitpunkt zwischen ihnen ob-wohl Nele in manchem was sie sagte durchaus richtiglag Nachdem sie und Lukas in der Schule erwischt worden waren hatte Nele gesagt raquoUm was wetten wir dass nur du den Aumlrger bekommstlaquo

Fanny fand das ziemlich ungerecht denn schlieszliglich hatte Lukas die Grenze uumlberschritten und nicht sie Waumlh-rend sie nebeneinanderher gingen haderte sie mit dem harschen Urteil ihres Vaters uumlber Lukas Wenn er es ihr nicht staumlndig so schwermachen wuumlrde ihn zu sehen waumlren solche Eskapaden ja ganz und gar uumlberfluumlssig Bisher war-tete sie immer noch vergebens auf den ersten Kuss aber es ergab sich einfach nicht die Gelegenheit

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raquoBei Franz Heikamp findet naumlchstes Wochenende eine Party stattlaquo erzaumlhlte Lukas raquoSeine Eltern sind verreist Gehst du mit mir hinlaquo

Ein heftiges Kribbeln stob in Fannys Bauch auf ge-folgt von dem Gefuumlhl der Ernuumlchterung raquoDas erlauben mir meine Eltern nie und noch dazu habe ich Hausarrestlaquo Lukas stieszlig einen entnervten kleinen Pfiff aus und Fanny befuumlrchtete seine Geduld mit ihr arg zu strapazieren raquoEs tut mir leidlaquo fuumlgte sie hinzu

raquoSchon gut ist ja nicht deine Schuld Dann eben ein anderes Mallaquo

Sie haumltte sich gern bei ihm eingehakt wagte es aber nicht denn die Gefahr dass ein Bekannter sie sah war ein-fach zu groszlig und dann konnte sie sich nicht mit einer zu-faumllligen Begegnung herausreden Auch so blieb ihr Blick stets wachsam auf die Straszlige gerichtet Und so entdeckte sie ihren Cousin Erich der im Auto an ihr vorbeifuhr auch gerade noch ehe er sie sehen konnte Fanny unterdruumlckte ein Stoumlhnen Konnte man so viel Pech haben

raquoMein Vetterlaquo sagte sie raquoWenn der uns sieht erfaumlhrt mein Vater das sofortlaquo

Wieder verdrehte Lukas entnervt die Augen raquoWenn du nicht so ein tolles Maumldchen waumlrst wuumlrde mich das hier schwer nervenlaquo

raquoEs tut mir leidlaquoraquoSchon gutlaquo Er lieszlig sich zuruumlckfallen schenkte ihr ein

Laumlcheln bei dem ihr die Knie weich wurden dann drehte er sich um und ging in die entgegengesetzte Richtung davon

Erich war ihr Cousin vaumlterlicherseits und Geschaumlftsfuumlh-

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rer im Pharmaunternehmen Lichtenthal und da er sich mit ihrem Vater ausnehmend gut verstand war sich Fanny sicher er wuumlrde es ihm sofort zutragen wenn er sie mit Lukas gesehen haumltte Seufzend ging Fanny weiter und als sie zu Hause ankam sah sie Erichs Wagen an der Straszlige stehen Sie ging durch das Eingangstor auf die elterliche Villa zu lieszlig Mortimer von der Leine der begeistert uumlber die Einfahrt tollte In der Eingangshalle begegnete sie Erich Er sah Fanny an laumlchelte hob leicht die Brauen und unwillkuumlrlich fragte sie sich ob er sie nicht doch mit Lukas bemerkt hatte Allerdings sagte er kein Wort dazu gruumlszligte nur und fragte was die Schule mache

Marion fuhr mit der Elektrischen ins Werk ihres Vaters Nach und nach erhob sich Berlin aus den Truumlmmern lebte und pulsierte Ganze Straszligenzuumlge waren veraumlndert ehe-mals Vertrautes wirkte fremd und waumlhrend die Erwachse-nen damit beschaumlftigt waren aus den Uumlberbleibseln etwas Neues zu erschaffen waren die klaffenden Ruinen fuumlr die Kinder ein riesiger Abenteuer spielplatz

Berlin war nach dem Krieg von den Alliierten in vier Besatzungszonen aufgeteilt worden wurde von den Sieger-maumlchten Frankreich England USA und der Sowjet union verwaltet und kontrolliert und seither gab es Zonengren-zen ndash Schlagbaumlume Farbmarkierungen an Baumlumen oder weiszlig-gelbe Holzpfosten ndash und wer von einer Zone in die

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naumlchste wollte brauchte mancherorts eine Genehmigung Fuumlr Reisen zwischen der Westzone und der sowjetischen Besatzungszone gab es Interzonenpaumlsse und es waren erste Grenzanlagen auf der Ostseite errichtet worden Stachel-drahthindernisse in Waldgebieten Sperren an Straszligen und dabei blieb es nicht sondern es war im Jahr nach Kriegsende eine Grenzpolizei eingesetzt und sogar der Ge-brauch fuumlr Schusswaffen geregelt worden Die Abrieglung des Ostens war ein Schock fuumlr die Menschen in Berlin

raquoDas kann doch nicht seinlaquo hatte sich Marions Mutter empoumlrt raquoEs war ja ohnehin schon ein Aufwand von einem Teil der Stadt in den anderen zu kommen und jetzt soll man auch noch aufpassen nicht erschossen zu werdenlaquo

Was Marion jedoch weit mehr Sorge bereitete war der Umstand dass seit diesem Tag dem achtundzwanzigs-ten Mai West-Berlin durch die Regierung in der Sow-jetzone vom Umland getrennt wurde Schon an den bei-den Tagen zuvor war die innerdeutsche Demarkationslinie nach Unter zeichnung des Bonner Deutschlandvertrags ab-geriegelt worden und es gab nun einen zehn Meter langen Kontrollstreifen einen fuumlnfhundert Meter langen Schutz-streifen sowie eine fuumlnf Kilometer weite Sperrzone Damit war der bisher geduldete kleine Grenzverkehr eingestellt worden Selbst die Telefonverbindungen zwischen West- und Ost-Berlin waren von der Regierung gekappt wor- den

Marion fragte sich wie es jetzt mit dem Schoumlnheits-salon weitergehen sollte der in Berlin-Mitte lag und so-mit im Teil der Stadt der nun von der Deutschen Demo-kratischen Republik verwaltet wurde Da ihre Mutter das

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Geschaumlft zwar in Ost-Berlin betrieb aber in West-Berlin ihren Wohnsitz hatte war ihr ndash wie vielen anderen Ge-werbetreibenden auch ndash die Gewerbeerlaubnis entzogen worden Wer in West-Berlin lebte aber in einem Betrieb in Ost-Berlin angestellt war ndash so wie Marion in der Cha-riteacute ndash wurde zum Umzug aufgefordert oder entlassen Da-mit sparte Marion sich die Kuumlndigung

Die Straszligen ins Umland wurden gesperrt offen bleiben durften nur jene die von den Alliierten als Zufahrtswege in die Bundesrepublik festgelegt worden waren Fuumlr die Menschen in West-Berlin bedeutete das den Verlust ihrer Besitztuumlmer im Osten Natuumlrlich wurden Passierscheine in Aussicht gestellt aber das bedeutete nicht automatisch dass diese genehmigt wurden Auch der Anhalter Bahnhof war stillgelegt worden es gab keine Zuumlge mehr die aus dem Osten nach West-Berlin fuhren

raquoMittlerweile liegt Italien fuumlr uns naumlher als Potsdamlaquo hatte Helena geschimpft

Auch das Werksgebaumlude von Lichtenthal-Pharma hatte einen Treffer abbekommen als eine Sprenggranate in einen Fluumlgel eingeschlagen hatte Der Bereich war nach wie vor eingezaumlunt und die Bauarbeiten schritten stetig voran Ihr Vater hatte die Gelegenheit genutzt und legte den Fluumlgel etwas weitraumlumiger an was dem Gebaumlude ein asymmetri-sches Aussehen verlieh

Marion warf dem Portier einen Gruszlig zu wechselte ein paar Worte mit den Mitarbeitern an der Rezeption und fuhr dann mit dem Aufzug hinauf in die Chefetage Die Tuumlr zum Vorzimmer stand offen und Marion sah wie die Sekretaumlrin ihres Vaters Frau Weiller sich gerade an-

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schickte mit einem Tablett auf dem Kaffeekanne und Tasse standen die Tuumlr zum Buumlro ihres Vaters zu oumlffnen

raquoDas uumlbernehme ichlaquo bot Marion an und nahm der Frau das Tablett ab raquoIch moumlchte sowieso kurz zu ihmlaquo Waumlhrend sie das Tablett in der einen Hand balancierte druumlckte sie mit der anderen die Tuumlr auf raquoBringen Sie mir bitte auch noch eine Tasselaquo

raquoNatuumlrlich kommt sofort Fraumlulein LichtenthallaquoIhr Vater saszlig an seinem Schreibtisch und sah auf als sie

eintrat raquoNa so etwas Planst du einen beruflichen Wech-sellaquo

raquoIn der Tat nur werde ich dann nicht deine Empfangs-damelaquo Marion stellte das Tablett ab und schenkte Kaffee ein Im naumlchsten Moment trat Frau Weiller ein brachte ein zusaumltzliches Gedeck und ein Milchkaumlnnchen

raquoIch weiszlig doch dass Sie Ihren Kaffee nicht schwarz trinkenlaquo sagte sie an Marion gewandt

Nachdem sie gegangen war und die Tuumlr hinter sich ge-schlossen hatte setzte Marion sich ihrem Vater gegenuumlber in einen der beiden Besucherstuumlhle

raquoWas meintest du damit dass du in der Tat einen be-ruflichen Wechsel planstlaquo fragte Dominik Lichtenthal

Marion trank einen weiteren Schluck raquoIch hatte eigent-lich vorgehabt meine Kuumlndigung bei der Chariteacute einzu-reichen wobei das ja nun nicht mehr noumltig ist Ich liebe die Medizin doch der Alltag einer Aumlrztin ist nicht das Richtige fuumlr michlaquo

Das traf ihren Vater vollkommen unerwartet hatte er doch damit gerechnet dass sie in der naumlchsten Zeit ihren Facharzt anstreben wuumlrde raquoSo ploumltzlichlaquo

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raquoIch denke da tatsaumlchlich schon eine ganze Zeit lang druumlber nachlaquo

raquoUnd was willst du stattdessen tun In die Pharmazielaquo Offenbar erinnerte er sich gerade an die paar Semester Che-mie die sie nebenher studiert und waumlhrend derer sie eine kurze Liaison mit einem Chemieprofessor gehabt hatte

raquoNein auch das nichtlaquo Die Kenntnisse in Chemie waren indes durchaus zu etwas gut raquoIch moumlchte bei Mama mitarbeitenlaquo

Unglaumlubig sah ihr Vater sie an raquoDu hast ein komplettes Medizinstudium mit hervorragenden Noten abgeschlos-sen und dann sieht deine Berufswahl so aus Frauen Farbe ins Gesicht zu malenlaquo

Marion musste lachen raquoLass das bloszlig nie Mama houmlren Du weiszligt doch genau dass Kosmetik mehr ist als Frauen Farbe ins Gesicht zu malen Mich interessiert medizini-sche Kosmetik Wie du siehst ist mein Studium nicht vergebens gewesenlaquo

raquoDu kannst doch in die Dermatologie gehenlaquoraquoJa koumlnnte ich Ich koumlnnte aber auch in die Forschung

gehen und medizinische Kosmetik entwickelnlaquoraquoDu koumlnntest auch bei mir in die pharmazeutische For-

schung gehenlaquoraquoDas geht doch Hand in Hand Paps Ich weiszlig dass du

sicher enttaumluscht bist aber helliplaquoraquoNeinlaquo fiel er ihr ins Wort raquoIch bin nicht enttaumluscht

Es ging mir nie darum dass du meine Erwartungen er-fuumlllst sondern stets nur deine eigenen Ich gestehe ich war gluumlcklich als du mir eroumlffnet hast dass du Aumlrztin werden willst aber letzten Endes ist mir am wichtigsten dass du

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zufrieden bist mit dem was du tust Ich bitte dich nur die Entscheidung zu uumlberdenkenlaquo

raquoDu kannst davon ausgehen dass ich das getan habe Ich habe lange und gruumlndlich daruumlber nachgedachtlaquo

raquoWeiszlig deine Mutter bereits davonlaquoraquoNein ich bin zuerst zu dir gekommenlaquoIhr Vater nickte zog seine Zigaretten hervor und

steckte eine an raquoSie wird sich freuen dass du mit ihr zu-sammenarbeiten wirst Und die Taumltigkeit als Aumlrztin laumluft dir ja nicht davon du hast ein abgeschlossenes Studium und kannst jederzeit deinen Facharzt machen wenn du merkst dass das vielleicht doch nicht das Richtige fuumlr dich ist Dir ist aber klar dass du mit medizinischer Kosmetik in Konkurrenz zu deiner Tante Charlotte trittstlaquo

raquoJa durchaus Aber wie sagst du immer Konkurrenz belebt das Geschaumlftlaquo Mit ihrer Tante hatte Marion nur selten Kontakt Auf Feiern lief man sich hin und wieder uumlber den Weg aber damit erschoumlpfte es sich auch schon Im Grunde war das bedauerlich denn Charlottes Tochter Emma war ganz reizend und Marion hatte schon einige interessante Unterhaltungen mit ihr gefuumlhrt wenn sie sich denn mal begegnet waren Auch Emmas Bruder Leopold war sehr freundlich und umgaumlnglich wenngleich er seit dem Krieg verschlossen und in sich gekehrt wirkte Im letzten Jahr hatte er noch an die Front gemusst der arme Kerl Da war sein Vater gerade gestorben und Leopold hatte nicht nur den Verlust zu verkraften gehabt sondern war selbst in dem unheilvollen Mahlwerk des Krieges auf-gerieben worden

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Emma Rudorf saszlig mit einem Buch in der Hand im Wohn-zimmer und houmlrte ihren Bruder heimkommen Den gan-zen Tag war Leopold im Werk von Dr Rudorfs medizi-nische Kosmetik gewesen und an seinem schleppenden Schritt houmlrte Emma wie erschoumlpft er sein musste Ver-mutlich hatte er wieder mit Mutter gestritten und bei dem Gedanken daran wie diese ihm zusetzte packte sie die Wut Sie legte ihr Buch beiseite und stand auf ging in den Flur wo sich Leopold gerade die Schuhe auszog Er sah ihrem Vater aumlhnlich hatte zwar dunkleres Haar aber seine Gesichtszuumlge und er wirkte mit der Brille ein wenig professorenhaft

Als er Emma bemerkte laumlchelte er raquoWie gehtrsquoslaquo fragte er mit gespielter Munterkeit

raquoGut Und dirlaquoraquoViel zu tun Und bei dir Wie war die KlausurlaquoraquoIch denke ich habe bestandenlaquo Emma wuumlrde im

naumlchsten Sommer ihr Chemiestudium abschlieszligenraquoEtwas anderes habe ich auch nicht erwartetlaquoraquoIch habe Abendessen gemacht Kommt Mama auch

gleichlaquoraquoNein sie meinte sie haumltte noch viel zu tunlaquoWie immer Fuumlr Charlotte Rudorf gab es seit dem Tod

ihres Mannes nur noch das Werk sie arbeitete wie beses-sen als koumlnnte das den Schmerz des Verlustes betaumluben Emma hatte sich so oft gewuumlnscht sie wuumlrde daruumlber nicht staumlndig vergessen dass sie zwei Kinder hatte und sich nur dann an sie erinnern wenn es etwas auszusetzen gab Vor allem Leopold war ihr ein fortwaumlhrendes Aumlrgernis

raquoDu warst ein Jahr im Krieglaquo pflegte sie zu sagen

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raquound du bist in einem Stuumlck zuruumlckgekommen Wie lange willst du noch in Truumlbsal versinken anstatt endlich wieder mit beiden Beinen im Leben zu stehenlaquo

Was ihre Mutter Truumlbsal nannte war eine tiefe innere Wunde die der Krieg geschlagen hatte und Emma fragte sich warum sie diese sehen konnte nicht aber die Frau die ihn geboren hatte Dann kamen wieder diese Geschich-ten uumlber all die Kriegsheimkehrer die es auch schafften ihr Leben in den Griff zu bekommen obwohl sie deutlich laumlnger im Krieg aufgerieben worden waren Wie schlimm konnte da das eine Jahr schon gewesen sein Einzig fuumlr Emmas Albtraumlume durch die Bombardierung hatte sie Verstaumlndnis denn diese war zu der Zeit gerade vierzehn Jahre alt gewesen Da spielte wohl auch die Erinnerung mit hinein wie Emma an sie geschmiegt im Keller ge-sessen und gewartet hatte bis die Bombardierung vorbei war waumlhrend sie beide Angst gehabt hatten dass Leopold vielleicht schon tot war

raquoIsst du mit mir zu Abendlaquo fragte er nunraquoKlar ich habe auf dich gewartetlaquoLeopold wuumlrde im Juli vierundzwanzig werden und hatte

sein Pharmaziestudium im letzten Jahr abgeschlossen Er haumltte lieber Maschinenbau studiert war schon seit Kinder-tagen davon fasziniert gewesen Aber es war klar gewesen dass er das Familienwerk erben wuumlrde Allenfalls haumltte er noch Arzt werden koumlnnen um die Praxis ihres Vaters zu uumlbernehmen die nun ein anderer Arzt gemietet hatte

Da sie nur zu zweit waren aszligen sie zwanglos in der Kuumlche und Leopold deckte den Tisch waumlhrend Emma den Brotkorb Butter Kaumlse und Aufschnitt hinstellte und alles

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in den Dosen belieszlig was ihre Mutter stets als mangelnde Esskultur bezeichnete Emma hingegen war es zu viel Auf-wand jetzt alles auf Tellern anzuordnen nur um dann das meiste wieder zuruumlckzufuumlllen und wegzuraumlumen und mehr zum Abspuumllen zu haben Sie lieszlig sich ihrem Bruder gegen-uumlber am Tisch nieder Im Gegensatz zu ihrer Mutter hatte Emma bislang keine groszligen beruflichen Ambitionen ge-habt sie studierte Chemie allein aus dem Grund weil es sie interessierte aber sie hatte keine konkreten Plaumlne da-ruumlber hinaus ndash ein staumlndiges Aumlrgernis fuumlr Charlotte Ru-dorf Emmas Plan war gewesen zum Zeitvertreib etwas zu studieren das ihr Spaszlig machte und danach zu heiraten Im Laufe des Studiums hatte sich ihr Interesse allerdings ge-wandelt In der Fakultaumlt war sie hin und wieder ihrer Cou-sine Marion uumlber den Weg gelaufen die mit einem von Emmas Professoren ausgegangen war und sie fand sie glei-chermaszligen interessant wie inspirierend Sie hatte sogar kurz mit dem Gedanken gespielt sich im Pharmakonzern Lich-tenthal zu bewerben aber da haumltte vermutlich eine Andeu-tung gereicht und ihre Mutter waumlre die Waumlnde hochge-gangen Mit ihrer Schwester Helena hatte sie sich schon vor Jahren entzweit und eine Annaumlherung war nicht in Sicht

Beim Essen plauderten sie uumlber Allgemeines Leopold zog sie mit einem Dozenten auf von dem sie ndash seiner Mei-nung nach ndash verdaumlchtig oft sprach Daraufhin erinnerte sie an die Verkaumluferin aus dem KaDeWe mit der er fortwaumlh-rend ausging ohne dass die Sache von der Stelle kam Spauml-ter raumlumten sie zusammen ab erledigten den Abwasch und wollten gerade ins Wohnzimmer gehen um das Radio ein-zuschalten als ihre Mutter die Wohnungstuumlr aufschloss

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raquoGuten Abendlaquo Charlotte Rudorf sah muumlde aus und Emma ging zu ihr um ihr den Mantel abzunehmen und ihn an die Garderobe zu haumlngen

raquoSoll ich das Abendessen wieder auf den Tisch stellenlaquo fragte Emma

raquoNein lass nur ich habe im Werk eine Kleinigkeit ge-gessenlaquo

So war es fast jeden Abend im Grunde genommen aszligen sie nur noch am Wochenende regelmaumlszligig zusammen und fanden sich ansonsten morgens zu einem raschen Fruumlh-stuumlck in der Kuumlche ein Ihre Mutter wechselte einen kur-zen Blick mit Leopold aus dem klar ersichtlich wurde dass die beiden noch vor gar nicht langer Zeit gestritten hatten ndash ganz so wie von Emma vermutet Nun jedoch zeigte sich ein zoumlgerliches Laumlcheln auf den Lippen Char-lotte Rudorfs und auch das war typisch Zum Abend hin legte sie Streit gerne bei mochte es nicht unversoumlhnt schlafen zu gehen

Im Wohnzimmer schalteten sie das Radio ein Emma houmlrte nur mit halbem Ohr hin und hatte ihr Buch wie-der aufgeschlagen war aber auch hier nicht bei der Sache Schlieszliglich gab sie es auf und beschloss noch ein wenig spazieren zu gehen

raquoUm diese Uhrzeitlaquo fragte ihre Mutter die gerade mit einer Tasse Kraumlutertee ins Wohnzimmer trat

raquoEs ist kurz nach achtlaquoNun blickte auch Leopold auf sah sie an als witterte er

hinter ihrem Wunsch eine tiefere WahrheitraquoEs ist nur ein Spazierganglaquo sagte sie und haumltte am

liebsten die Augen verdreht raquoMir geht so viel im Kopf

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herum und ich kann meine Gedanken beim Gehen am besten sortierenlaquo

raquoWie war eigentlich deine Klausurlaquo wollte ihr Mut-ter nun wissen

raquoGut denke ichlaquo Emma ging in den Flur nahm einen leichten Mantel vom Haken legte sich einen Seidenschal um und warf noch einen kurzen Blick in den Spiegel Seit kurzem trug sie ihr hellbraunes Haar knapp schulterlang und in groszlige Locken gelegt die sie mit einer Spange seit-lich zuruumlckhielt Jetzt zupfte sie ein wenig daran herum bis sie schlieszliglich zufrieden war und verlieszlig die Wohnung Sie wohnten in der ersten Etage direkt uumlber der Arztpraxis die Wohnung im zweiten Stock stand derzeit leer Fruumlher einmal hatte Emmas Groszligmutter dort gewohnt aber sie lebte bereits seit fast dreiszligig Jahren bei ihrer Tochter erst in Hamburg und seit kurz vor dem Krieg in Muumlnchen da der Ehemann von Emmas Tante dorthin versetzt worden war Leider kam sie nur noch selten zu Besuch da lange Reisen sie zu sehr anstrengten Emma bedauerte das denn sie mochte ihre Groszligmutter die auch mit achtzig noch ruumlstiger und scharfsinniger war als manch junge Frau die Emma kannte

Es daumlmmerte bereits und die langen Schatten des spauml-ten Nachmittags waren ineinandergekrochen verdichte-ten sich langsam und entfaumlrbten den Tag zu einem lich-ten Grau Seit zwei Jahren stellte man die Uhren nicht mehr zur Sommerzeit um und anfangs war es ungewohnt gewesen dass die Sommertage nun um eine Stunde kuumlr-zer waren aber man gewoumlhnte sich daran Waumlhrend des Krieges hatte es eine Zeit gegeben in der fortwaumlhrend

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Sommerzeit gegolten hatte und man die Uhren uumlberhaupt nicht mehr umstellte irgendwann war ein konzeptloses Wechseln erfolgt Dann war die Regelung durch die Besat-zungsmaumlchte wieder geaumlndert worden und sie bestimm-ten eine Umstellung auf die Sommerzeit ndash wobei diese in der sowjetischen Besatzungszone Berlins 1945 ganze zwei Monate laumlnger gedauert hatte Jetzt endlich hatte die Regierung sich auf eine einheitliche Zeit festgelegt die fuumlr das gesamte Jahr galt ndash die Ruumlckkehr zur Normalzeit Emma hoffte dass das so blieb

Als sie durch die Straszlige spazierte hier und da einen heimkehrenden Nachbarn oder Bekannten gruumlszligte ndash die Tochter des Herrn Doktor kannte man im gesamten Vier-tel ndash fiel ihr ein Mann auf der gerade ein Haus verlieszlig sich noch einmal umdrehte einem weiteren Mann der in der offenen Tuumlr stand etwas sagte und dann durch den Vorgarten schritt und auf sein Auto zuging Dominik Lichtenthal Emma blieb stehen sah ihn an wusste nicht ob sie zu ihm gehen und houmlflich gruumlszligen oder ihn ignorie-ren sollte Er nahm ihr die Entscheidung ab als er sie be-merkte kurz stutzte als muumlsste er ihr Gesicht erst einem Namen zuordnen und sie dann anlaumlchelte

raquoGuten Abend Emma Wie geht es dirlaquoSie ging auf ihn zu raquoSehr gut vielen Danklaquo Sie wusste

nie so recht ob sie ihn duzen sollte oder nicht denn einer-seits war er ein Fremder andererseits aber der Ehemann ihrer Tante und damit praktisch ihr Onkel

raquoIch habe gehoumlrt du studierst ChemielaquoraquoJa ich werde diesen Sommer fertiglaquoraquoUnd dann geht es in den Konzern deiner Mutterlaquo

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Unschluumlssig hob Emma die Schultern raquoAch das weiszlig ich noch gar nichtlaquo

Dominik Lichtenthal schloss seinen Wagen auf raquoWenn du dich lieber auf dem freien Markt umsehen moumlchtest sag Bescheid ich kann faumlhige Chemiker immer gebrau-chenlaquo

Es war schon fast skurril dass Emma diesen Gedanken erst vor kurzem gehegt hatte und ihn nun ausgesprochen houmlrte Da sie nicht rundheraus ablehnen wollte dankte sie ihm und nachdem sie ihm gesagt hatte er moumlge seine Familie von ihr gruumlszligen stieg er in seinen Wagen und fuhr los Im Grunde genommen war das doch albern dass ihre Mutter immer noch nichts mit ihrer Schwester zu tun haben wollte Emma kannte die alte Geschichte und natuumlr lich war es hart auf einen Schlag sein gesam-tes Erbe zu verlieren und die unvermittelt aufgetauchte fremde Schwester als einzige Gewinnerin in dieser Situa-tion zu sehen aber das Ganze war jetzt gut fuumlnfundzwan-zig Jahre her irgendwann musste es doch mal gut sein Und es war ja nun wahrlich nicht so als wuumlrde der Besitz des Hauses in der Friedrichstraszlige noch einen nennenswer-ten Unter schied im Vermoumlgen ihrer Mutter machen Im Gegenteil ndash waumlre sie dort geblieben haumltte sie es vielleicht nie so weit gebracht

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Juni 1952

Die einstmals goldene Zeit merkte man der ehemaligen Amuumlsiermeile auf der Friedrichstraszlige nicht mehr an und Helena verspuumlrte jedes Mal beim Besuch ihres Schoumlnheits-salons diesen Stich des Bedauerns Als sie in den Zwan-zigern hier angekommen war hatte das Leben pulsiert mit Autos Bussen Bahnen Fuszliggaumlngern Radfahrern und noch vereinzelten Droschken Die Kreuzung an der Leip-ziger Straszlige war ein so verkehrsreicher Knotenpunkt ge-wesen dass es fuumlr die aus der Provinz stammende Helena anfangs schon eine Herausforderung gewesen war lebend von einer Straszligenseite auf die andere zu gelangen

Nach dem Krieg war die Straszlige eine von Ruinen ge-saumlumte Schuttwuumlste geworden und auch wenn die Truumlm-mer in weiten Teilen fortgeraumlumt waren so erinnerte doch nur wenig an fruumlher Helena hatte mehrfach uumlberlegt den Schoumlnheitssalon einfach aufzugeben aber das brachte sie nicht uumlber sich Vielleicht normalisierte sich hier ja alles irgendwann wieder das konnte doch nicht ewig so blei-ben Ihr Schoumlnheitssalon in der Friedrichstraszlige befand sich im Amerikanischen Sektor der in Berlin-Mitte gehoumlrte nun zur DDR ihr Werk wiederum zum Franzoumlsischen

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Sektor Dominiks sowie ihr Wohnsitz lagen im Britischen Sektor Das war doch auf Dauer kein Zustand Den Salon in Berlin-Mitte hatte sie aufgeben muumlssen und sie sah sich bereits nach Alternativen um

Als Helena in den Salon trat kam ihr Ida ndash fruumlher Wag-ner jetzt Zeller ndash entgegen raquoKaffeelaquo

raquoUnbedingtlaquo Helena haumlngte ihren Mantel an die Gar-derobe und betrat den Salon Es war noch fruumlh und sie wuumlrden erst in einer halben Stunde oumlffnen Ida hatte schon in den Dreiszligigern die Leitung des Salons uumlbernommen als Helena damit beschaumlftigt gewesen war einen weiteren in Berlin-Mitte zu eroumlffnen

raquoWie geht es den MaumldchenlaquoHelena setzte sich in einen der bequemen Besucher-

stuumlhle wo die Frauen sich bei einer Tasse Kaffee oder Tee und etwas Gebaumlck entspannen konnten raquoMarion faumlngt bei mir im Werk an der Termin steht jetztlaquo Das war Schock und freudige Uumlberraschung zugleich gewesen und Helena wusste selbst nicht ob ihre Bestuumlrzung oder ihre Freude uumlberwog Natuumlrlich hatte sie gehofft dass Marion als Aumlrztin praktizierte immerhin hatte sie stu-diert und damit ein klares Ziel vor Augen gehabt Ande-rerseits freute es sie dass ihre Tochter Interesse an ihrem Unternehmen zeigte ndash und nicht an Dominiks wie eine kleine nicht zu unterdruumlckende Stimme des Triumphs in ihr betonte raquoUnd Fanny schlieszligt das Schuljahr mit sehr guten Noten ablaquo

raquoMathematik macht ihr wieder SpaszliglaquoraquoNachdem Ferdinands Ehefrau es ihr erklaumlrt hat was

ihr unfaumlhiger Lehrer offenbar nicht hinbekommtlaquo Fer-

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dinand war der Patenonkel beider Toumlchter und seine Frau eine begabte Mathematikerin

Die Schwangerschaft mit Fanny hatte Helena seinerzeit einen gehoumlrigen Schrecken eingejagt All die Jahre hatte sie es erfolgreich vermieden zu empfangen und dann als die Welt am Abgrund stand kuumlndigte sich neues Leben an Schlimm genug mitanzusehen wie Marion bereits in der Schule darauf vorbereitet wurde in den BDM einzu-treten da wollte sie diesem System nicht noch ein Kind schenken Es war Rudolf Liliengrund gewesen dem Fanny es zu verdanken hatte dass Helena keinen Abbruch hatte vornehmen lassen

raquoGerade in diesen Zeiten sollten die Anstaumlndigen sich vermehrenlaquo

Ihr lieber Rudolf der seine gesamte Familie verloren und selbst nur knapp und unter Entbehrungen die Flucht geschafft hatte weil er zu lange gezoumlgert geglaubt hatte es wuumlrde alles gut werden Und so hatte Helena Fanny aus-getragen hatte schon in der Schwangerschaft eine so innige Beziehung zu dem Kind gehabt wie sie es sich nicht hatte vorstellen koumlnnen Es war ganz anders als mit Marion zu der sie erst eine enge Bindung hatte aufbauen koumlnnen als diese bereits ein Kleinkind gewesen war Waumlhrend Marion von Geburt an ein Papakind war so war Fanny von Geburt an ganz und gar ihre Tochter Helena hatte sie sogar mit zur Arbeit genommen weil sie sich nicht von ihr trennen mochte hatte sie im Buumlro gestillt und in der Wiege neben sich schlafen lassen Undenkbar dieses Baby jemand ande-rem anzuvertrauen Dabei liebte sie Marion nicht weniger und sie verstand auch im Nachhinein nicht warum sie bei

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beiden Kindern schon in der Schwangerschaft so unter-schiedlich empfunden hatte

raquoDu solltest endlich aufhoumlren das zu hinterfragenlaquo hatte ihre beste Freundin Irene Danelius gesagt raquoEs ist jetzt wie es ist Freu dich einfach Gerade jetzt haben wir alle wahrhaftig Probleme genug da muss man nicht auch noch welche hinzuredenlaquo

Als im November 1938 die Synagogen brannten hatte Irene das Land verlassen raquoIch komme zuruumlck wenn der Irrsinn vorbei istlaquo hatte sie gesagt und war nach Amerika gegangen Dort war sie zur Filmgroumlszlige geworden hatte einen bekannten Produzenten geheiratet und lebte nach wie vor in den Vereinigten Staaten Helena vermisste sie immer noch sehr und war auch schon einmal mit ihrer Familie in New York gewesen um sie zu besuchen

raquoFahrt ihr diesen Sommer weglaquo fragte Ida und setzte sich nun ebenfalls

raquoAuf jeden Fall fuumlr zwei Wochen zu meiner Mutter Und von da aus vielleicht weiter in Richtung Schweizlaquo Vor allem auf die Zeit bei ihrer Mutter freute sich Helena das waren jedes Mal schoumlne Tage mit all den fruumlheren Freunden und Bekannten sowie mit der Baronin fuumlr die sie und ihre Mutter fruumlher gearbeitet hatten und bei der ihre Mutter nun den Altersruhesitz hatte Fuumlr Helenas Familie standen immer Gaumlstezimmer bereit Ein wenig behandelte man sie dort wie eine Prominente die Dienst-botentochter die es in der Weltmetropole zu etwas ge-bracht hatte mit einem reichen Mann verheiratet war und mit Filmstars verkehrte

Kurz darauf trafen die uumlbrigen Mitarbeiterinnen ein

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und dann kamen auch schon die ersten Kundinnen Helena unterhielt sich mit einigen der Damen beriet hier und da persoumlnlich und machte sich dann auf den Weg ins Werk Unmittelbar nach dem Krieg war es schwierig gewesen die Rohstoffe fuumlr die Produktion von Kosmetik aufzutrei-ben vielfach waren sie nur zu Schwarzmarktpreisen zu be-kommen Viele Rohstoffe wurden in der Pharmaindustrie dringender benoumltigt und natuumlrlich hatte die medizini-sche Versorgung Vorrang vor der kosmetischen Gerade nach dem Krieg hatten sie alle andere Sorgen gehabt wes-halb Helenas Werk voruumlbergehend die Produktion um-stellte und der chemischen Industrie zuarbeitete waumlhrend die Schoumlnheitssalons Obdachlosen offenstanden Erst vier Jahre nach Kriegsende als der Hungerwinter vorbei war und die Menschen durch die Waumlhrungsreform wieder uumlber Geld verfuumlgten hatte Helena Kosmetikherstellung und Schoumlnheitsbehandlungen wieder aufgenommen

Im Werk ging Helena direkt in ihr Buumlro und sah sich Werbeentwuumlrfe an Sie liebte ihre Arbeit und sie machte ihr nach wie vor Spaszlig allerdings fehlte ihr die Heraus-forderung Die Kosmetik entwickelte sich stetig weiter und mittlerweile war Forschung und Entwicklung eine eigene Abteilung in ihrem Unternehmen Natuumlrlich freute sie sich daruumlber aber sie vermisste die Zeiten in denen sie selbst in ihrer Fertigung gesessen und experimentiert hatte Vielleicht war es wirklich gut dass Marion hier demnaumlchst etwas frischen Wind hereinbringen wuumlrde Wie wohl Charlotte darauf reagierte dass Helena ihr nun Konkurrenz machen wuumlrde

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Emma houmlrte den Streit bis ins Wohnzimmer Ihre Mutter hielt Leopold vor er naumlhme die Arbeit nicht ausreichend ernst und bringe sich zu wenig ein Wie er bei dem Ge-schaumlftstermin am Vortag nur dagesessen und auf einmal zu zittern begonnen habe Wenn es nicht anders ging dann solle er eben seine Medikamente wieder nehmen Und ndash verdammt noch mal ndash endlich mehr Nervenstaumlrke zei- gen

Auch an diesem Morgen hatte es schon wieder damit begonnen dass Leopold beim Fruumlhstuumlck sehr still gewe-sen war was fuumlr Emma immer ein Zeichen fuumlr schlimme Traumlume war Auf Ausfuumlhrungen ihrer Mutter zu dem heu-tigen Arbeitstag hatte er nur genickt was diese wiederum zu dem Schluss kommen lieszlig dass er sich nur unzurei-chend interessierte Uumlberhaupt habe er keine innovativen Ideen arbeite den Tag ab ohne echtes Interesse zu zeigen an dem was er tat Irgendwann war ein handfester Streit ausgebrochen der auch dann noch anhielt als Emma das Esszimmer verlassen hatte und nun in der Kuumlche den Ab-wasch machte Schlieszliglich hielt sie es nicht mehr aus lief ins Esszimmer zuruumlck

raquoWas willst du eigentlichlaquo fuhr sie ihre Mutter an raquoEr tut doch alles was er solllaquo

raquoEmma lass nurlaquo sagte Leopold raquoIch mache helliplaquoraquoNein ich lasse es nicht Koumlnnen wir nicht mal einen

Morgen friedlich verbringen wie andere Familien auch Muss hier immer den ganzen Tag uumlber Streit herrschen und abends gehen wir dann versoumlhnt schlafen Wozu Um am naumlchsten Tag wieder loszulegen Das ist doch nicht mehr auszuhaltenlaquo

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raquoWie redest du eigentlich mit mirlaquo Die Stimme ihrer Mutter war ganz kalt geworden bar jeder Emotion

raquoIch helliplaquo Die aufbrausende Wut fiel von Emma ab und sie wusste nicht mehr was sie nun sagen sollte raquoIch hellip ich habe heute keine Uni und wollte ohnehin fragen ob ich mit ins Werk kannlaquo Der Einfall war ihr gerade erst ge-kommen raquoIch koumlnnte Leo zuarbeiten und so schon einmal Einblicke bekommenlaquo

Die frostglitzernde Wut im Blick ihrer Mutter schmolz zu Uumlberraschung raquoAch waslaquo

raquoIch habe mir lange uumlberlegt was ich mit meinem Che-miestudium machelaquo

raquoHeiszligt das es steht nicht zu erwarten dass du dich nun nach einer passenden Partie umsiehstlaquo Fuumlr jemanden der selbst gluumlcklich verheiratet gewesen war zeigte ihre Mut-ter eine sehr ablehnende Haltung zu Emmas Eheplaumlnen

raquoNoch ist ja niemand in Aussicht nicht wahrlaquo ver-setzte Emma der Hoffnung einen Daumlmpfer

Ihre Mutter schien damit zufrieden zu sein raquoSchoumln dann beeil dich wir brechen gleich auflaquo

Sie und Leopold fuhren in der Regel gemeinsam los und Leopold lieszlig dann den Wagen fuumlr sie im Werk und kehrte puumlnktlich zum Buumlroschluss mit der Bahn nach Hause zu-ruumlck Das tat er vermutlich vor allem aus dem Grund weil er den Abstand brauchte

raquoIch habe uumlbrigens gehoumlrt dass Marion in der Chariteacute aufhoumlrtlaquo erzaumlhlte Emma als sie auf der Ruumlckbank des Wagens Platz genommen hatte

raquoWelche Marionlaquo fragte ihre Mutter und Emma haumltte gerne gewusst ob sie das wirklich nicht wusste

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raquoUnsere CousinelaquoraquoUnd warum sollte es mich interessieren was diese Per-

son tutlaquoraquoWeil sie deine Nichte ist moumlglicherweiselaquoVon hinten konnte Emma das Schulterzucken sehenraquoAuf jeden Fall heiszligt es sie wollte in das Unternehmen

von Tante Helena einsteigenlaquo Mit einiger Befriedigung bemerkte Emma dass ihre Mutter bei dieser persoumlnlichen Bezeichnung kaum merklich zusammenzuckte

raquoIn der TatlaquoraquoSie hat einige Semester Chemie studiert das hatte ich

doch erzaumlhltlaquoraquoJa hattest du Auch dass sie es mit deinem Chemie-

professor getrieben hatlaquoraquoMutterlaquo kam es von LeopoldraquoDas habe ich nie gesagtlaquo Emma lehnte sich vor als

koumlnne sie ihren Worten damit mehr Nachdruck verleihen raquoIch sagte sie gehen miteinander auslaquo

raquoWenn sie nach ihrer Mutter kommt gibt es das eine nicht ohne das andere Gerne auch zum Nachteil der eigenen Familie Sind deine Noten bei besagtem Profes-sor nicht danach schlechter gewordenlaquo

raquoDas war bei Professor Guenther nicht bei Professor Hellweg mit dem Marion aus war Meine Guumltelaquo Emma hatte langsam genug Dieser sture verbohrte Zorn ihrer Mutter war nicht mehr zu ertragen Mit Ende vierzig konnte sie sich auf jeden Fall noch nicht mit Altersstarr-sinn herausreden raquoHoumlr zu wenn das hier jeden Morgen der Beginn meines Arbeitstages wird sag es direkt dann reicht mir der einmalige Ausflug in dein Unternehmen

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und ich bewerbe mich morgen beim Pharmaunternehmen Lichtenthallaquo

Ihre Mutter fuhr herum raquoDas wagst du nichtlaquoraquoLass es gerne darauf ankommenlaquoLange sah ihre Mutter sie an dann zuckte es um ihre

Lippen Widerspruchsgeist gefiel ihr und sie schien auf einmal versoumlhnt Emma wuumlrde bleiben wuumlrde es allein um Leopolds willen tun Vielleicht wuumlrde es leichter fuumlr ihn mit ihr an seiner Seite

Das ehemalige Werksgelaumlnde hatte in Berlin-Oberschouml-neweide gestanden aber sie waren noch vor dem Krieg um-gezogen was sich als richtige Entscheidung erwiesen hatte wenngleich zu der Zeit noch niemand hatte wissen koumlnnen dass dieser Stadtteil unter sowjetische Verwaltung gestellt werden wuumlrde Das jetzige Werk stand in Berlin-Tempel-hof im Amerikanischen Sektor und hatte im Krieg ebenfalls gelitten Sie fuhren durch das Tor und Leopold parkte den Wagen auf der dafuumlr vorgesehenen Flaumlche auf der weitere Autos Motorraumlder und Mopeds standen

Ihre Mutter begleitete sie bis in die Etage in der sich die Raumlumlichkeiten der Geschaumlftsfuumlhrung befanden dann ging sie in ihr Buumlro waumlhrend Emma Leopold in seines be-gleitete

raquoWeiszligt dulaquo sagte er als er auf einen der Stuumlhle wies raquodu musst das nicht tunlaquo

raquoWas meinst dulaquo Emma lieszlig sich auf der Besucherseite seines Schreibtischs nieder

raquoDas weiszligt du genau Mich hierher zu begleiten ob-wohl du nie im Sinn hattest in der Firma zu arbeiten Du musst mich nicht vor Mutter beschuumltzenlaquo

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raquoDas tue ich doch gar nichtlaquoLeopold antwortete nicht ging nur zur Tuumlr oumlffnete sie

und rief in das gegenuumlberliegende Zimmer der beiden Sekretaumlrinnen dass man ihm und seiner Schwester bitte Kaffee bringen moumlge raquoEs war nie dein Plan hier zu ar-beitenlaquo

raquoPlaumlne koumlnnen sich aumlndernlaquoraquoVon einem Tag auf den anderenlaquoraquoJa warum denn nicht Und wer sagt uumlberhaupt dass

es so abrupt war Vielleicht denke ich ja schon laumlnger da-ruumlber nach und habe dir einfach noch nichts erzaumlhltlaquo Emma zog einen Bleistift aus dem Stiftebecher und drehte ihn zwischen den Fingern raquoUumlbrigens hat mir Dominik Lichtenthal ein Stellenangebot gemachtlaquo Gespannt be-obachtete sie Leopolds Reaktion

raquoWannlaquoraquoIch bin ihm mal abends beim Spaziergang begegnetlaquoraquoUnd da hat er dir ndash ohne dich und deine Befaumlhigung

so recht zu kennen ndash eine Stelle angebotenlaquoraquoWir haben uns kurz unterhalten und er weiszlig dass ich

Chemie studiere Da meinte er wenn ich nicht fuumlr Mutter arbeiten wolle solle ich mich bei ihm melden er koumlnne faumlhige Chemiker immer gebrauchenlaquo

raquoMutter enterbt dich wenn du das tustlaquoraquoDas waumlre nicht so schlimm denn dann erbst du alles

und wirst mir meinen Teil einfach auszahlenlaquoraquoIst das solaquoraquoNatuumlrlichlaquo Emma zog ihre Zigaretten hervorraquoDu willst doch wohl hier nicht rauchenlaquoAnstelle einer Antwort steckte sie sich eine Zigarette

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zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

bei Lichtenthal in Aussicht und einem groszligzuumlgigen Bru-der der dir deinen Erbanteil abtrittlaquo

Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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Informationen zu Nora Elias sowie zu weiteren Titeln der Autorin finden Sie am Ende des Buches

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NORA ELIAS

Der Schoumlnheits-

salon Der Triumph der Schwestern

Roman

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Teil 1

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Mai 1952

raquoFraumlulein Franziska LichtenthallaquoMarion sah von ihrem Buch auf und ihre juumlngere Schwes-

ter Fanny an raquoIch glaube der Direktor ist gar nicht erst den Umweg uumlber Mutter gegangen sondern hat sich direkt an Vater gewandtlaquo

Fannys Blick huschte zur Tuumlr raquoWenn er dafuumlr extra nach Hause kommt ist er wirklich sauerlaquo

raquoWas hast du erwartetlaquoZu einer Antwort kam Fanny nicht mehr denn nun

stand ihr Vater in der offenen Tuumlr des Salons und taxierte das sechzehnjaumlhrige Maumldchen das auf dem Boden saszlig den Hund auf dem Schoszlig die Augen in gespielter Arglosig-keit geweitet raquoJa Papalaquo

raquoOberstudiendirektor Wendt hat mich gerade angeru-fen Kannst du dir denken warumlaquo

raquoHat ihn vielleicht ein Missgeschick ereiltlaquoUm Marions Mundwinkel zuckte es was ihrem Vater

nicht entging denn sein strafender Blick traf sie ehe er sich wieder auf die Juumlngere richtete raquoIch kann das wahr-haftig nicht komisch finden junge Damelaquo

Fanny schwieg und warf die blonden Locken zuruumlck sah

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ihren Vater auf eine Weise an die nicht anders als aufsaumls-sig zu bezeichnen war

raquoIch habe dir den Umgang mit diesem Kerl verbotenlaquoDieser Kerl war der achtzehnjaumlhrige Lukas von Buch-

wald in den sich Fanny rettungslos verliebt hatte und den ihr Vater fuumlr einen Taugenichts hielt

raquoDu hast zwei Wochen Hausarrestlaquo beschied er ihrraquoDas kannst du nicht machenlaquoraquoIch trete dir umgehend den Beweis anlaquoraquoUnd der ReitstalllaquoraquoDort wird man eine Weile ohne dich auskommen muumls-

sen Ein solches Verhalten wie du es derzeit an den Tag legst dulde ich nichtlaquo

Fanny presste die Lippen zusammen sah ihren Vater an dann wandte sie sich ab streichelte wieder den Hund der die Augen wohlig geschlossen hatte

raquoDu hast mir sonst also nichts dazu zu sagenlaquo fragte er erneut

SchweigenraquoAlso gutlaquo Ihr Vater wandte sich ab und verlieszlig den

SalonraquoUnd das ist es dir wirklich wertlaquo fragte Marion

raquoWas hatte er uumlberhaupt in deiner Schule zu suchen Hat er selbst keinen Unterrichtlaquo

raquoEr hat geschwaumlnzt um mich zu sehenlaquoMarion ersparte sich einen Kommentar darauf Sie

wusste nicht recht was sie davon halten sollte aber sie wollte sich nicht zu offen gegen den Jungen aussprechen da sie befuumlrchtete Fanny koumlnnte sich ihr sonst kuumlnftig nicht mehr anvertrauen Nachdem Lukas von Buchwald

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sich in die Schule geschlichen hatte waumlren die beiden bei-nahe zusammen erwischt worden und so waren sie schnell in den erstbesten Raum geschluumlpft der sich ihnen geboten hatte ndash das Direktorenzimmer Dort war Fanny gegen ein Tintenfass gestoszligen dessen Inhalt sich uumlber die Schreib-unterlage und die darauf liegenden Papiere ergossen hatte Die Schulsekretaumlrin hatte dem Herrn Direktor Kaffee bringen wollen und Fanny prompt erwischt Daraufhin war Wendt umgehend in seinem Buumlro erschienen hatte Fanny eine kraumlftige Ohrfeige verpasst und Lukas am Ohr aus der Schule gezogen

raquoDu haumlttest Vater sagen sollen dass er dich geschla-gen hatlaquo

raquoDas haumltte ja nichts geaumlndertlaquoraquoDu weiszligt dass er das nicht duldetlaquo Ein Lehrer hatte es

einmal gewagt Marion mit dem Zeigestock auf die Haumlnde zu klopfen als sie zehn Jahre alt gewesen war Ihr Vater war daraufhin in die Schule gegangen und hatte dem Leh-rer angedroht dass er ihn mit seinem eigenen Stock ver-pruumlgele wenn er das jemals wieder wagen sollte raquoMeine Tochter wird nicht geschlagenlaquo hatte er gesagt raquoGeben Sie ihr Strafaufgaben auf lassen Sie sie nachsitzen aber er-heben Sie nie wieder die Hand gegen sielaquo

raquoIst doch jetzt auch gleichlaquo Fanny stand auf raquoKomm Mortimerlaquo Mortimer war ein kleiner Mischlingsruumlde der seit sieben Jahren bei ihnen wohnte und Fanny nur selten von der Seite wich raquoGehen wir in den Garten das darf ich ja gewiss nochlaquo

Marion sah ihr nach dann schlug sie das Magazin zu und stand auf Es war gleich zwei Zeit sich fuumlr den Dienst

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im Krankenhaus umzukleiden Sie hatte im Vorjahr ihr letztes Examen absolviert und somit ihr Medizinstudium mit Bestleistungen beendet Nur war ihr schon waumlh-rend des Studiums aufgefallen dass sie zwar die Medizin liebte nicht jedoch den Alltag als Aumlrztin Urspruumlnglich hatte sie mit der Pharmazie geliebaumlugelt aber letzten En-des hatte ihr Interesse an der Medizin gesiegt insbeson-dere an der Dermatologie Conrad Rudorf der im Krieg gefallene Ehemann ihrer Tante Charlotte war Dermato-loge gewesen und gemeinsam hatten sie ein Unternehmen gegruumlndet das sich auf medizinische Kosmetik speziali-siert hatte Dabei war Charlotte zugutegekommen dass sie sich als Pharmazeutin mit Wirkstoffen gut auskannte Dieses Taumltig keitsfeld faszinierte Marion und obwohl ihre Tante und ihre Mutter kein gutes Verhaumlltnis zueinander hatten kam Marion mit ihrer Cousine Emma recht gut aus ebenso mit ihrem Cousin Leopold dem Haupterben von Dr Rudorf Kosmetik

In ihrem Zimmer zog Marion sich um sah ein weiteres Mal auf die Uhr und seufzte Den Entschluss sich auf ein anderes Betaumltigungsfeld zu konzentrieren hatte sie schon vor Monaten endguumlltig gefaumlllt bisher hatte sie es nur noch niemandem erzaumlhlt Ihr Vater war so stolz auf sie gewesen als sie als Aumlrztin an die Chariteacute gegangen war Wuumlrde er enttaumluscht von ihr sein All die Arbeit und das Geld das in ihr Studium geflossen waren ins Feld fuumlhren um sie von ihrem Entschluss abzubringen Sie hatte lange gezouml-gert und die Entscheidung gut durchdacht Den Muti-gen gehoumlrt die Welt sagte man doch Nun Marion wuumlrde sehen ob das auch fuumlr sie galt

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Das Haus in der Friedrichstraszlige wo alles begonnen hatte hatte Helena behalten und sie betrieb den Schoumlnheitssa-lon dort weiterhin wenngleich sie vor dem Krieg einen zweiten Standort mit groszligzuumlgigeren Raumlumlichkeiten er-oumlffnet hatte Aber an diesem Haus hingen so viele Erinne-rungen da hatte sie es nicht uumlbers Herz gebracht sich da-von zu trennen Aber baulich veraumlndert hatte sie es hatte innen die Waumlnde durchbrechen lassen sodass man vom Verkaufsraum durch einen Tuumlrbogen in den angrenzen-den Raum kam der fruumlher die Fertigung enthalten hatte Hier war jetzt ein weiterer Raum fuumlr Kosmetikbehand-lungen entstanden ebenfalls durch einen Durchbruch mit dem Raum dahinter verbunden wo sich der urspruumlngli-che Schoumlnheitssalon befand Fruumlher einmal hatte Helena auch die Wohnung oben in der sie und ihre Schwester in ihren Anfaumlngen gewohnt hatten in Raumlumlichkeiten fuumlr Kosmetik und Schoumlnheitsbehandlungen umwandeln wol-len doch dann waren durch den Krieg so viele Menschen heimatlos geworden dass es ihr dekadent erschienen waumlre intakten Wohnraum auf diese Art zu nutzen Es war ja nicht so dass sie das Geld noumltig hatte das Kosmetikun-ternehmen Rosenberg war schon waumlhrend der Dreiszligiger-jahre groszlig geworden und warf viel Geld ab Zu jener Zeit war der Schoumlnheitssalon lediglich eine weitere Einkom-mensquelle gewesen

Zunaumlchst hatte sie die Wohnung kostenfrei zwei hei-matlosen Familien uumlberlassen die jeweils zwei Raumlume be-wohnten und sich Kuumlche sowie Bad teilten Es war Hele-nas bescheidener Beitrag gewesen das Gefuumlhl endlich etwas tun zu koumlnnen und wenn es nur das war Menschen

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voruumlbergehend ein Zuhause zu geben Mittlerweile hatte sich die Situation entspannt aber Wohnraum wurde nach wie vor benoumltigt Dominik hatte die Wohnung renovieren lassen und seither wurde sie vermietet

Das Unternehmen Rosenberg hatte sich rasant entwickelt inzwischen wurde Helenas Kosmetik in einem eigenen Werk hergestellt in dem sie eine ganze Reihe an Angestell-ten beschaumlftigte Sie selbst war zwar Eigentuumlmerin hatte aber einen Geschaumlftsfuumlhrer sowie Mitarbeiter fuumlr Buchhal-tung und Finanzen Da Helena sich nach wie vor am meis-ten fuumlr die Entwicklung und Forschung interessierte war das der Bereich ihres Unternehmens in dem sie sich vor-zugsweise aufhielt

An diesem Nachmittag verlieszlig sie das Werk etwas fruuml-her denn Dominik hatte ihr am Telefon von dem Vorfall in Fannys Schule erzaumlhlt Das war wieder so typisch Ging es um Dinge wie ein Kuchen fuumlr den Schulbasar oder das Abholen eines Kindes weil ihm unwohl war dann rief man Helena an obwohl Dominik von seinem Werk in Charlottenburg Nord schneller an der Schule sein konnte als Helena aus Tegel War aber etwas vorgefallen das laut Meinung des Direktors dringend einer Sanktion beduumlrfe wendete er sich direkt an Dominik Helena haumltte laumlngst aufhoumlren sollen sich daruumlber aufzuregen denn schon zu Marions Schulzeiten war es nicht anders gewesen aber dennoch aumlrgerte sie sich jedes Mal von Neuem daruumlber

Als Helena die Tuumlr zu ihrer in Berlin-Grunewald gele-genen Villa oumlffnete kam ihr Hund Mortimer in die Ein-gangshalle gelaufen sprang um sie herum drehte eine Runde durch die Halle kam wieder zu ihr und stellte sich

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auf die Hinterbeine ndash das hatte Fanny mit ihm geuumlbt Helena ging in die Knie und kraulte den Hund dann er-hob sie sich und sah Fanny an die Mortimer gefolgt war und in der Tuumlr zum Salon stand

raquoLukas von BuchwaldlaquoFanny nickte schweigendraquoDir haumltte doch klar sein muumlssen dass das unweigerlich

zu Aumlrger fuumlhrtlaquoraquoIch wusste ja nicht dass er kommtlaquoraquoUnd trotzdem hast du dich darauf eingelassen dich

mit ihm in der Schule zu versteckenlaquoraquoWo er doch schon mal da war helliplaquoraquoUnd wie haben seine Eltern reagiertlaquoFanny zuckte mit den SchulternHelena erfuhr es noch vor dem Abendessen als Herr von

Buchwald anrief und nach Dominik fragteraquoSie werden mit mir vorliebnehmen muumlssenlaquo erklaumlrte

Helena kuumlhlDaraufhin erklaumlrte er ihr Dominik persoumlnlich habe da-

fuumlr zu sorgen dass seine Tochter seinen Sohn kein weiteres Mal zum Schuleschwaumlnzen ermutigte raquoDas kann ich nicht duldenlaquo fuhr er fort und beendete das Gespraumlch bruumlsk

raquoPapa hat mir zwei Wochen Hausarrest aufgebrummtlaquo beschwerte sich Fanny

raquoDann wirst du das wohl durchstehen muumlssenlaquo Eine Regel in ihrer Erziehung war dass sie einander nicht in den Ruumlcken fielen und sich nicht gegeneinander ausspie-len lieszligen

Fanny seufzte ergebenraquoHast du deine Hausaufgaben gemachtlaquo

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raquoJa Auch die StrafarbeitlaquoHelena nickte und ging in die Kuumlche wo das Abend-

essen vorbereitet auf der Anrichte stand Sie beschaumlftigten nach wie vor eine Haushaumllterin die zudem gelernte Kouml-chin war Im Gegensatz zu fruumlher kam die jetzige Haus-haumllterin morgens um acht ging um fuumlnf und hatte am Wochenende frei Auszligerdem hatten sie eine Zugehfrau die einmal woumlchentlich kam Die Zeiten da das Perso-nal im Haus naumlchtigte und staumlndig zur Verfuumlgung stand waren vorbei Dank der modernen Errungenschaften wie der elektrischen Waschmaschine ging die Arbeit mitt-lerweile schneller von der Hand und die Zeiten da man einen kompletten Tag fuumlr die Waumlsche einplanen musste waren vorbei

Der Hund kam in den Vorraum setzte sich auf die Hin-terpfoten und sah Helena aus dunklen glaumlnzenden Augen an den Kopf leicht schief gelegt

raquoIst schon Zeit fuumlrs Futterlaquo Helena sah auf die Uhr raquoEin Stuumlndchen musst du dich noch geduldenlaquo Sie ging zur Anrichte und zog eine Schublade auf Mortimer der wusste was sich dort fuumlr Schaumltze verbargen war ihr ge-folgt und stand nun aufgeregt neben ihr Wie Helenas ers-ter Hund Estelle hatte auch er eine Schwaumlche fuumlr Rinder-haut und so gab sie ihm ein gerolltes Stuumlck und ging mit ihm in den Salon der mittlerweile verwaist war Helena zuumlndete sich eine Zigarette an und rauchte waumlhrend sie den kleinen Hund beobachtete der auf der Leckerei he-rumkaute

Ihr damaliger Hund Estelle war im Alter von siebzehn Jahren ndash das schaumltzte Helena zumindest denn sie hatte

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Estelle auf der Straszlige aufgelesen ndash gestorben Sie war noch sehr jung gewesen als Helena sie gefunden und adop tiert hatte Nur ihre Kinder und ihre Mutter hatte sie mehr geliebt als Estelle was Dominik recht konsterniert zur Kenntnis genommen hatte

raquoDich liebe ich anderslaquo hatte sie ihm erklaumlrtSie war gluumlcklich daruumlber gewesen dass Estelle ein so

hohes Alter erreicht hatte obwohl mit jedem Jahr die Angst naumlher ruumlckte dass der Moment des Abschieds nicht mehr gar so fern war Eines Nachmittags war Estelle ge-schwankt als haumltte sie Schlagseite Fanny die damals erst sechs Jahre alt gewesen war hatte geglaubt der Hund mache Faxen

raquoGuck mal Mama wie komisch Estelle laumluftlaquoHelena jedoch hatte es in diesem Moment gespuumlrt hatte

gewusst dass es nun so weit war Den restlichen Tag uumlber lag Estelle in ihrem Koumlrbchen wollte dieses auch nicht zum Fressen verlassen verschmaumlhte selbst ihre geliebten Leckereien blickte nur hin und wieder auf und schaute Helena mit ihren lieben Hundeaugen an In dieser Nacht hatte Helena das Koumlrbchen in ihr Zimmer geholt es neben ihr Bett gestellt und fast die ganze Nacht wachgelegen eine Hand auf Estelles warmem Fell sodass sie spuumlrte wie sich die Flanke hob und senkte

Morgens war Helena in aller Fruumlhe aufgestanden waumlh-rend Dominik noch neben ihr schlief Dann setzte sie sich neben das Koumlrbchen auf den Boden und streichelte den kleinen Hund der die Augen geschlossen hielt aber noch atmete Vielleicht so dachte sie blieb ja doch noch Zeit Vielleicht brauchte Estelle nur Ruhe Dann jedoch oumlffnete

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ihr kleiner Hund die Augen sah sie an versuchte sich auf-zurichten aber Helena legte ihr beruhigend die Hand auf das Koumlpfchen streichelte sie

raquoScht meine Kleine ist ja gutlaquo hatte sie gemurmelt raquoDu darfst jetzt gehenlaquo

Estelle hatte die Augen wieder geschlossen und irgend-wann hatte sich die Flanke nach dem letzten Atemzug nicht mehr gehoben

Danach wollte Helena keinen Hund mehr Als Domi-niks Schwester Ariana vorgeschlagen hatte einen neuen zu kaufen vielleicht wuumlrde man sogar einen finden der aussah wie Estelle waumlre sie ihr fast ins Gesicht gesprun-gen Aber Mortimer hatte sie gefunden wie Estelle vor-mals Nach dem Krieg war Helena durch die Stadt ge-gangen hatte versucht von ihren Lebensmittelmarken etwas zu essen zu bekommen als sie den kleinen Hund bemerkte der in den Truumlmmern nach etwas zu fressen suchte Er war schmutzig weiszlig mit groszligen schwarzen Fle-cken und einem wolligen Fell das ganz verfilzt war Hoff-nungsvoll hatte er sie angesehen aber Helena war mit dem Korb im Arm weitergegangen

raquoEs tut mir leid mein Kleiner es reicht kaum fuumlr unslaquoEr war ihr gefolgt und hatte Schritt gehalten als Helena

die ihren beschleunigte raquoEs ist sinnloslaquo hatte sie gesagt raquoSuch dir jemanden der weniger Maumluler zu stopfen hatlaquo

Bis zum Eingangstor ihres Hauses war er ihr gefolgt und lieszlig sich nicht abwimmeln raquoSo hier trennen sich unsere Wegelaquo sagte sie ihm als koumlnnte er sie verstehen Aber er hob nur das Bein an der Mauer raquoDamit machst du dich bei Dominik gewiss beliebt So und jetzt geh unser

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Haushalt ertraumlgt keine zwei Maumlnner erst recht nicht wenn einer davon sein Revier markiertlaquo

Der Hund hatte sich auf die Hinterbeine gesetzt und sie angesehen Als Helena sich abgewandt hatte war der Hund ihr gefolgt und hinter ihr die Treppe hochgelau-fen In der Eingangshalle war ihr Dominik entgegenge-kommen

raquoMortimer wohnt jetzt hierlaquo hatte sie ihm erklaumlrt und dabei war es geblieben

Der Hund war nur noch wenig gewachsen ging ihr bis zur Mitte der Wade war kompakter als Estelle und auch frecher Zur Arbeit nahm Helena ihn nie mit er verbrachte viel Zeit mit Fanny sah auch jetzt auf als sie den Salon betrat die Leine in der Hand Sofort sprang der Hund auf und lief schwanzwedelnd zu ihr was mit dem kleinen Stummelschwanz immer sehr drollig aussah

raquoWir gehen noch eine Rundelaquo erklaumlrte sieraquoEine Rundelaquo betonte Helena raquoOhne Umwege oder

heimliche TreffenlaquoEin Schatten flog uumlber das Gesicht ihrer Tochter und

Helena hob eine BraueraquoJa eine Rundelaquo sagte Fanny so uumlberdeutlich dass man

es schon fast patzig nennen konnte Sie beugte sich zu Mortimer und befestigte die Leine am Halsband

Fanny fand es in houmlchstem Maszlige anstrengend dass ihre Eltern sie fortwaumlhrend wie ein Kind behandelten Da war Lukas ganz anders er behandelte sie wie eine junge Frau Ihre Eltern hingegen bezeichneten Lukas der immerhin im kommenden Jahr das Abitur machen wuumlrde als Halb-

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wuumlchsigen kaum mehr als ein Knabe Dabei wuumlrde er im Herbst achtzehn werden Ihr Vater hatte ihn sogar als un-verschaumlmten Bengel bezeichnet als sei er noch ein Kind

Mit Mortimer an der Leine verlieszlig sie das Haus und atmete auf als sie drauszligen war Zwei Wochen Hausar-rest das war doch nicht auszuhalten Sie schritt rasch aus atmete die fruumlhlingsmilde Luft ein in der schon die Vor-boten des Sommers lagen Mortimer blieb stehen schnup-perte hob einmal das Bein und lief dann wieder forsch vor-weg Aufmerksam sah Fanny sich um verlangsamte den Schritt als sie auf die Straszligenecke zuging Und da stand er wartete wie stets um diese Uhrzeit auf sie Fannys An-gespanntheit zerschmolz in einem Laumlcheln und sie ging nun wieder schneller raquoIch hatte schon befuumlrchtet deine Eltern verpassen dir auch Hausarrestlaquo

Lukas hatte sich eine Zigarette in den Mund gesteckt und zuckte laumlssig mit den Schultern raquoMein Vater hat he-rumlamentiert von wegen Schule und Verantwortung und ich hab so getan als wuumlrdrsquos mich interessieren aber das warrsquos dann auch schon Hier magst dulaquo Er hielt ihr seine Zigarette hin und Fanny nahm einen Zug obwohl sie den Geschmack scheuszliglich fand Aber sie gab sich laumls-sig und zog noch ein weiteres Mal daran unterdruumlckte da-bei ein Husten

Sie und Lukas trafen sich jeden Tag hier wenn Fanny ihre Hunderunde drehte raquoIch kann heute nur kurzlaquo sagte sie raquoEin Wunder dass meine Mutter mich uumlberhaupt rausgelassen hatlaquo

raquoImmerhin hast du es geschafft Schrecklich dass sie dich so kontrollieren Da ist es gut dass du den Hund hast

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da bietet sich immer ein Vorwandlaquo Lukas sah Mortimer an und blieb auf Abstand Einmal hatte er den Versuch ge-macht den Hund zu streicheln und Mortimer hatte nach ihm geschnappt Das hatte Fanny erschreckt denn an sich war er der liebste Hund den man sich vorstellen konnte raquoDas hat er noch nie getanlaquo hatte sie beteuert

raquoDas ist ganz normal bei diesen Winzlingenlaquo hatte Lukas geantwortet raquoDie sind immer so giftig vermut-lich weil sie sich minderwertig fuumlhlen Ein echter Hund beginnt ab Kniehoumlhelaquo

Das hatte Fanny ihm uumlbelgenommen aber er hatte sich entschuldigt und betont Mortimer habe genau die rich-tige Groumlszlige fuumlr einen Maumldchenhund

Ihre Freundinnen beneideten sie gluumlhend um diesen gutaussehenden Bankierssohn nur ihre beste Freundin Nele mochte ihn nicht und nannte ihn einen groszligspuri-gen Angeber raquoVertrau dem Urteil deines Hundeslaquo hatte sie gesagt Das blieb ein Streitpunkt zwischen ihnen ob-wohl Nele in manchem was sie sagte durchaus richtiglag Nachdem sie und Lukas in der Schule erwischt worden waren hatte Nele gesagt raquoUm was wetten wir dass nur du den Aumlrger bekommstlaquo

Fanny fand das ziemlich ungerecht denn schlieszliglich hatte Lukas die Grenze uumlberschritten und nicht sie Waumlh-rend sie nebeneinanderher gingen haderte sie mit dem harschen Urteil ihres Vaters uumlber Lukas Wenn er es ihr nicht staumlndig so schwermachen wuumlrde ihn zu sehen waumlren solche Eskapaden ja ganz und gar uumlberfluumlssig Bisher war-tete sie immer noch vergebens auf den ersten Kuss aber es ergab sich einfach nicht die Gelegenheit

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raquoBei Franz Heikamp findet naumlchstes Wochenende eine Party stattlaquo erzaumlhlte Lukas raquoSeine Eltern sind verreist Gehst du mit mir hinlaquo

Ein heftiges Kribbeln stob in Fannys Bauch auf ge-folgt von dem Gefuumlhl der Ernuumlchterung raquoDas erlauben mir meine Eltern nie und noch dazu habe ich Hausarrestlaquo Lukas stieszlig einen entnervten kleinen Pfiff aus und Fanny befuumlrchtete seine Geduld mit ihr arg zu strapazieren raquoEs tut mir leidlaquo fuumlgte sie hinzu

raquoSchon gut ist ja nicht deine Schuld Dann eben ein anderes Mallaquo

Sie haumltte sich gern bei ihm eingehakt wagte es aber nicht denn die Gefahr dass ein Bekannter sie sah war ein-fach zu groszlig und dann konnte sie sich nicht mit einer zu-faumllligen Begegnung herausreden Auch so blieb ihr Blick stets wachsam auf die Straszlige gerichtet Und so entdeckte sie ihren Cousin Erich der im Auto an ihr vorbeifuhr auch gerade noch ehe er sie sehen konnte Fanny unterdruumlckte ein Stoumlhnen Konnte man so viel Pech haben

raquoMein Vetterlaquo sagte sie raquoWenn der uns sieht erfaumlhrt mein Vater das sofortlaquo

Wieder verdrehte Lukas entnervt die Augen raquoWenn du nicht so ein tolles Maumldchen waumlrst wuumlrde mich das hier schwer nervenlaquo

raquoEs tut mir leidlaquoraquoSchon gutlaquo Er lieszlig sich zuruumlckfallen schenkte ihr ein

Laumlcheln bei dem ihr die Knie weich wurden dann drehte er sich um und ging in die entgegengesetzte Richtung davon

Erich war ihr Cousin vaumlterlicherseits und Geschaumlftsfuumlh-

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rer im Pharmaunternehmen Lichtenthal und da er sich mit ihrem Vater ausnehmend gut verstand war sich Fanny sicher er wuumlrde es ihm sofort zutragen wenn er sie mit Lukas gesehen haumltte Seufzend ging Fanny weiter und als sie zu Hause ankam sah sie Erichs Wagen an der Straszlige stehen Sie ging durch das Eingangstor auf die elterliche Villa zu lieszlig Mortimer von der Leine der begeistert uumlber die Einfahrt tollte In der Eingangshalle begegnete sie Erich Er sah Fanny an laumlchelte hob leicht die Brauen und unwillkuumlrlich fragte sie sich ob er sie nicht doch mit Lukas bemerkt hatte Allerdings sagte er kein Wort dazu gruumlszligte nur und fragte was die Schule mache

Marion fuhr mit der Elektrischen ins Werk ihres Vaters Nach und nach erhob sich Berlin aus den Truumlmmern lebte und pulsierte Ganze Straszligenzuumlge waren veraumlndert ehe-mals Vertrautes wirkte fremd und waumlhrend die Erwachse-nen damit beschaumlftigt waren aus den Uumlberbleibseln etwas Neues zu erschaffen waren die klaffenden Ruinen fuumlr die Kinder ein riesiger Abenteuer spielplatz

Berlin war nach dem Krieg von den Alliierten in vier Besatzungszonen aufgeteilt worden wurde von den Sieger-maumlchten Frankreich England USA und der Sowjet union verwaltet und kontrolliert und seither gab es Zonengren-zen ndash Schlagbaumlume Farbmarkierungen an Baumlumen oder weiszlig-gelbe Holzpfosten ndash und wer von einer Zone in die

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naumlchste wollte brauchte mancherorts eine Genehmigung Fuumlr Reisen zwischen der Westzone und der sowjetischen Besatzungszone gab es Interzonenpaumlsse und es waren erste Grenzanlagen auf der Ostseite errichtet worden Stachel-drahthindernisse in Waldgebieten Sperren an Straszligen und dabei blieb es nicht sondern es war im Jahr nach Kriegsende eine Grenzpolizei eingesetzt und sogar der Ge-brauch fuumlr Schusswaffen geregelt worden Die Abrieglung des Ostens war ein Schock fuumlr die Menschen in Berlin

raquoDas kann doch nicht seinlaquo hatte sich Marions Mutter empoumlrt raquoEs war ja ohnehin schon ein Aufwand von einem Teil der Stadt in den anderen zu kommen und jetzt soll man auch noch aufpassen nicht erschossen zu werdenlaquo

Was Marion jedoch weit mehr Sorge bereitete war der Umstand dass seit diesem Tag dem achtundzwanzigs-ten Mai West-Berlin durch die Regierung in der Sow-jetzone vom Umland getrennt wurde Schon an den bei-den Tagen zuvor war die innerdeutsche Demarkationslinie nach Unter zeichnung des Bonner Deutschlandvertrags ab-geriegelt worden und es gab nun einen zehn Meter langen Kontrollstreifen einen fuumlnfhundert Meter langen Schutz-streifen sowie eine fuumlnf Kilometer weite Sperrzone Damit war der bisher geduldete kleine Grenzverkehr eingestellt worden Selbst die Telefonverbindungen zwischen West- und Ost-Berlin waren von der Regierung gekappt wor- den

Marion fragte sich wie es jetzt mit dem Schoumlnheits-salon weitergehen sollte der in Berlin-Mitte lag und so-mit im Teil der Stadt der nun von der Deutschen Demo-kratischen Republik verwaltet wurde Da ihre Mutter das

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Geschaumlft zwar in Ost-Berlin betrieb aber in West-Berlin ihren Wohnsitz hatte war ihr ndash wie vielen anderen Ge-werbetreibenden auch ndash die Gewerbeerlaubnis entzogen worden Wer in West-Berlin lebte aber in einem Betrieb in Ost-Berlin angestellt war ndash so wie Marion in der Cha-riteacute ndash wurde zum Umzug aufgefordert oder entlassen Da-mit sparte Marion sich die Kuumlndigung

Die Straszligen ins Umland wurden gesperrt offen bleiben durften nur jene die von den Alliierten als Zufahrtswege in die Bundesrepublik festgelegt worden waren Fuumlr die Menschen in West-Berlin bedeutete das den Verlust ihrer Besitztuumlmer im Osten Natuumlrlich wurden Passierscheine in Aussicht gestellt aber das bedeutete nicht automatisch dass diese genehmigt wurden Auch der Anhalter Bahnhof war stillgelegt worden es gab keine Zuumlge mehr die aus dem Osten nach West-Berlin fuhren

raquoMittlerweile liegt Italien fuumlr uns naumlher als Potsdamlaquo hatte Helena geschimpft

Auch das Werksgebaumlude von Lichtenthal-Pharma hatte einen Treffer abbekommen als eine Sprenggranate in einen Fluumlgel eingeschlagen hatte Der Bereich war nach wie vor eingezaumlunt und die Bauarbeiten schritten stetig voran Ihr Vater hatte die Gelegenheit genutzt und legte den Fluumlgel etwas weitraumlumiger an was dem Gebaumlude ein asymmetri-sches Aussehen verlieh

Marion warf dem Portier einen Gruszlig zu wechselte ein paar Worte mit den Mitarbeitern an der Rezeption und fuhr dann mit dem Aufzug hinauf in die Chefetage Die Tuumlr zum Vorzimmer stand offen und Marion sah wie die Sekretaumlrin ihres Vaters Frau Weiller sich gerade an-

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schickte mit einem Tablett auf dem Kaffeekanne und Tasse standen die Tuumlr zum Buumlro ihres Vaters zu oumlffnen

raquoDas uumlbernehme ichlaquo bot Marion an und nahm der Frau das Tablett ab raquoIch moumlchte sowieso kurz zu ihmlaquo Waumlhrend sie das Tablett in der einen Hand balancierte druumlckte sie mit der anderen die Tuumlr auf raquoBringen Sie mir bitte auch noch eine Tasselaquo

raquoNatuumlrlich kommt sofort Fraumlulein LichtenthallaquoIhr Vater saszlig an seinem Schreibtisch und sah auf als sie

eintrat raquoNa so etwas Planst du einen beruflichen Wech-sellaquo

raquoIn der Tat nur werde ich dann nicht deine Empfangs-damelaquo Marion stellte das Tablett ab und schenkte Kaffee ein Im naumlchsten Moment trat Frau Weiller ein brachte ein zusaumltzliches Gedeck und ein Milchkaumlnnchen

raquoIch weiszlig doch dass Sie Ihren Kaffee nicht schwarz trinkenlaquo sagte sie an Marion gewandt

Nachdem sie gegangen war und die Tuumlr hinter sich ge-schlossen hatte setzte Marion sich ihrem Vater gegenuumlber in einen der beiden Besucherstuumlhle

raquoWas meintest du damit dass du in der Tat einen be-ruflichen Wechsel planstlaquo fragte Dominik Lichtenthal

Marion trank einen weiteren Schluck raquoIch hatte eigent-lich vorgehabt meine Kuumlndigung bei der Chariteacute einzu-reichen wobei das ja nun nicht mehr noumltig ist Ich liebe die Medizin doch der Alltag einer Aumlrztin ist nicht das Richtige fuumlr michlaquo

Das traf ihren Vater vollkommen unerwartet hatte er doch damit gerechnet dass sie in der naumlchsten Zeit ihren Facharzt anstreben wuumlrde raquoSo ploumltzlichlaquo

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raquoIch denke da tatsaumlchlich schon eine ganze Zeit lang druumlber nachlaquo

raquoUnd was willst du stattdessen tun In die Pharmazielaquo Offenbar erinnerte er sich gerade an die paar Semester Che-mie die sie nebenher studiert und waumlhrend derer sie eine kurze Liaison mit einem Chemieprofessor gehabt hatte

raquoNein auch das nichtlaquo Die Kenntnisse in Chemie waren indes durchaus zu etwas gut raquoIch moumlchte bei Mama mitarbeitenlaquo

Unglaumlubig sah ihr Vater sie an raquoDu hast ein komplettes Medizinstudium mit hervorragenden Noten abgeschlos-sen und dann sieht deine Berufswahl so aus Frauen Farbe ins Gesicht zu malenlaquo

Marion musste lachen raquoLass das bloszlig nie Mama houmlren Du weiszligt doch genau dass Kosmetik mehr ist als Frauen Farbe ins Gesicht zu malen Mich interessiert medizini-sche Kosmetik Wie du siehst ist mein Studium nicht vergebens gewesenlaquo

raquoDu kannst doch in die Dermatologie gehenlaquoraquoJa koumlnnte ich Ich koumlnnte aber auch in die Forschung

gehen und medizinische Kosmetik entwickelnlaquoraquoDu koumlnntest auch bei mir in die pharmazeutische For-

schung gehenlaquoraquoDas geht doch Hand in Hand Paps Ich weiszlig dass du

sicher enttaumluscht bist aber helliplaquoraquoNeinlaquo fiel er ihr ins Wort raquoIch bin nicht enttaumluscht

Es ging mir nie darum dass du meine Erwartungen er-fuumlllst sondern stets nur deine eigenen Ich gestehe ich war gluumlcklich als du mir eroumlffnet hast dass du Aumlrztin werden willst aber letzten Endes ist mir am wichtigsten dass du

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zufrieden bist mit dem was du tust Ich bitte dich nur die Entscheidung zu uumlberdenkenlaquo

raquoDu kannst davon ausgehen dass ich das getan habe Ich habe lange und gruumlndlich daruumlber nachgedachtlaquo

raquoWeiszlig deine Mutter bereits davonlaquoraquoNein ich bin zuerst zu dir gekommenlaquoIhr Vater nickte zog seine Zigaretten hervor und

steckte eine an raquoSie wird sich freuen dass du mit ihr zu-sammenarbeiten wirst Und die Taumltigkeit als Aumlrztin laumluft dir ja nicht davon du hast ein abgeschlossenes Studium und kannst jederzeit deinen Facharzt machen wenn du merkst dass das vielleicht doch nicht das Richtige fuumlr dich ist Dir ist aber klar dass du mit medizinischer Kosmetik in Konkurrenz zu deiner Tante Charlotte trittstlaquo

raquoJa durchaus Aber wie sagst du immer Konkurrenz belebt das Geschaumlftlaquo Mit ihrer Tante hatte Marion nur selten Kontakt Auf Feiern lief man sich hin und wieder uumlber den Weg aber damit erschoumlpfte es sich auch schon Im Grunde war das bedauerlich denn Charlottes Tochter Emma war ganz reizend und Marion hatte schon einige interessante Unterhaltungen mit ihr gefuumlhrt wenn sie sich denn mal begegnet waren Auch Emmas Bruder Leopold war sehr freundlich und umgaumlnglich wenngleich er seit dem Krieg verschlossen und in sich gekehrt wirkte Im letzten Jahr hatte er noch an die Front gemusst der arme Kerl Da war sein Vater gerade gestorben und Leopold hatte nicht nur den Verlust zu verkraften gehabt sondern war selbst in dem unheilvollen Mahlwerk des Krieges auf-gerieben worden

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Emma Rudorf saszlig mit einem Buch in der Hand im Wohn-zimmer und houmlrte ihren Bruder heimkommen Den gan-zen Tag war Leopold im Werk von Dr Rudorfs medizi-nische Kosmetik gewesen und an seinem schleppenden Schritt houmlrte Emma wie erschoumlpft er sein musste Ver-mutlich hatte er wieder mit Mutter gestritten und bei dem Gedanken daran wie diese ihm zusetzte packte sie die Wut Sie legte ihr Buch beiseite und stand auf ging in den Flur wo sich Leopold gerade die Schuhe auszog Er sah ihrem Vater aumlhnlich hatte zwar dunkleres Haar aber seine Gesichtszuumlge und er wirkte mit der Brille ein wenig professorenhaft

Als er Emma bemerkte laumlchelte er raquoWie gehtrsquoslaquo fragte er mit gespielter Munterkeit

raquoGut Und dirlaquoraquoViel zu tun Und bei dir Wie war die KlausurlaquoraquoIch denke ich habe bestandenlaquo Emma wuumlrde im

naumlchsten Sommer ihr Chemiestudium abschlieszligenraquoEtwas anderes habe ich auch nicht erwartetlaquoraquoIch habe Abendessen gemacht Kommt Mama auch

gleichlaquoraquoNein sie meinte sie haumltte noch viel zu tunlaquoWie immer Fuumlr Charlotte Rudorf gab es seit dem Tod

ihres Mannes nur noch das Werk sie arbeitete wie beses-sen als koumlnnte das den Schmerz des Verlustes betaumluben Emma hatte sich so oft gewuumlnscht sie wuumlrde daruumlber nicht staumlndig vergessen dass sie zwei Kinder hatte und sich nur dann an sie erinnern wenn es etwas auszusetzen gab Vor allem Leopold war ihr ein fortwaumlhrendes Aumlrgernis

raquoDu warst ein Jahr im Krieglaquo pflegte sie zu sagen

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raquound du bist in einem Stuumlck zuruumlckgekommen Wie lange willst du noch in Truumlbsal versinken anstatt endlich wieder mit beiden Beinen im Leben zu stehenlaquo

Was ihre Mutter Truumlbsal nannte war eine tiefe innere Wunde die der Krieg geschlagen hatte und Emma fragte sich warum sie diese sehen konnte nicht aber die Frau die ihn geboren hatte Dann kamen wieder diese Geschich-ten uumlber all die Kriegsheimkehrer die es auch schafften ihr Leben in den Griff zu bekommen obwohl sie deutlich laumlnger im Krieg aufgerieben worden waren Wie schlimm konnte da das eine Jahr schon gewesen sein Einzig fuumlr Emmas Albtraumlume durch die Bombardierung hatte sie Verstaumlndnis denn diese war zu der Zeit gerade vierzehn Jahre alt gewesen Da spielte wohl auch die Erinnerung mit hinein wie Emma an sie geschmiegt im Keller ge-sessen und gewartet hatte bis die Bombardierung vorbei war waumlhrend sie beide Angst gehabt hatten dass Leopold vielleicht schon tot war

raquoIsst du mit mir zu Abendlaquo fragte er nunraquoKlar ich habe auf dich gewartetlaquoLeopold wuumlrde im Juli vierundzwanzig werden und hatte

sein Pharmaziestudium im letzten Jahr abgeschlossen Er haumltte lieber Maschinenbau studiert war schon seit Kinder-tagen davon fasziniert gewesen Aber es war klar gewesen dass er das Familienwerk erben wuumlrde Allenfalls haumltte er noch Arzt werden koumlnnen um die Praxis ihres Vaters zu uumlbernehmen die nun ein anderer Arzt gemietet hatte

Da sie nur zu zweit waren aszligen sie zwanglos in der Kuumlche und Leopold deckte den Tisch waumlhrend Emma den Brotkorb Butter Kaumlse und Aufschnitt hinstellte und alles

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in den Dosen belieszlig was ihre Mutter stets als mangelnde Esskultur bezeichnete Emma hingegen war es zu viel Auf-wand jetzt alles auf Tellern anzuordnen nur um dann das meiste wieder zuruumlckzufuumlllen und wegzuraumlumen und mehr zum Abspuumllen zu haben Sie lieszlig sich ihrem Bruder gegen-uumlber am Tisch nieder Im Gegensatz zu ihrer Mutter hatte Emma bislang keine groszligen beruflichen Ambitionen ge-habt sie studierte Chemie allein aus dem Grund weil es sie interessierte aber sie hatte keine konkreten Plaumlne da-ruumlber hinaus ndash ein staumlndiges Aumlrgernis fuumlr Charlotte Ru-dorf Emmas Plan war gewesen zum Zeitvertreib etwas zu studieren das ihr Spaszlig machte und danach zu heiraten Im Laufe des Studiums hatte sich ihr Interesse allerdings ge-wandelt In der Fakultaumlt war sie hin und wieder ihrer Cou-sine Marion uumlber den Weg gelaufen die mit einem von Emmas Professoren ausgegangen war und sie fand sie glei-chermaszligen interessant wie inspirierend Sie hatte sogar kurz mit dem Gedanken gespielt sich im Pharmakonzern Lich-tenthal zu bewerben aber da haumltte vermutlich eine Andeu-tung gereicht und ihre Mutter waumlre die Waumlnde hochge-gangen Mit ihrer Schwester Helena hatte sie sich schon vor Jahren entzweit und eine Annaumlherung war nicht in Sicht

Beim Essen plauderten sie uumlber Allgemeines Leopold zog sie mit einem Dozenten auf von dem sie ndash seiner Mei-nung nach ndash verdaumlchtig oft sprach Daraufhin erinnerte sie an die Verkaumluferin aus dem KaDeWe mit der er fortwaumlh-rend ausging ohne dass die Sache von der Stelle kam Spauml-ter raumlumten sie zusammen ab erledigten den Abwasch und wollten gerade ins Wohnzimmer gehen um das Radio ein-zuschalten als ihre Mutter die Wohnungstuumlr aufschloss

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raquoGuten Abendlaquo Charlotte Rudorf sah muumlde aus und Emma ging zu ihr um ihr den Mantel abzunehmen und ihn an die Garderobe zu haumlngen

raquoSoll ich das Abendessen wieder auf den Tisch stellenlaquo fragte Emma

raquoNein lass nur ich habe im Werk eine Kleinigkeit ge-gessenlaquo

So war es fast jeden Abend im Grunde genommen aszligen sie nur noch am Wochenende regelmaumlszligig zusammen und fanden sich ansonsten morgens zu einem raschen Fruumlh-stuumlck in der Kuumlche ein Ihre Mutter wechselte einen kur-zen Blick mit Leopold aus dem klar ersichtlich wurde dass die beiden noch vor gar nicht langer Zeit gestritten hatten ndash ganz so wie von Emma vermutet Nun jedoch zeigte sich ein zoumlgerliches Laumlcheln auf den Lippen Char-lotte Rudorfs und auch das war typisch Zum Abend hin legte sie Streit gerne bei mochte es nicht unversoumlhnt schlafen zu gehen

Im Wohnzimmer schalteten sie das Radio ein Emma houmlrte nur mit halbem Ohr hin und hatte ihr Buch wie-der aufgeschlagen war aber auch hier nicht bei der Sache Schlieszliglich gab sie es auf und beschloss noch ein wenig spazieren zu gehen

raquoUm diese Uhrzeitlaquo fragte ihre Mutter die gerade mit einer Tasse Kraumlutertee ins Wohnzimmer trat

raquoEs ist kurz nach achtlaquoNun blickte auch Leopold auf sah sie an als witterte er

hinter ihrem Wunsch eine tiefere WahrheitraquoEs ist nur ein Spazierganglaquo sagte sie und haumltte am

liebsten die Augen verdreht raquoMir geht so viel im Kopf

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herum und ich kann meine Gedanken beim Gehen am besten sortierenlaquo

raquoWie war eigentlich deine Klausurlaquo wollte ihr Mut-ter nun wissen

raquoGut denke ichlaquo Emma ging in den Flur nahm einen leichten Mantel vom Haken legte sich einen Seidenschal um und warf noch einen kurzen Blick in den Spiegel Seit kurzem trug sie ihr hellbraunes Haar knapp schulterlang und in groszlige Locken gelegt die sie mit einer Spange seit-lich zuruumlckhielt Jetzt zupfte sie ein wenig daran herum bis sie schlieszliglich zufrieden war und verlieszlig die Wohnung Sie wohnten in der ersten Etage direkt uumlber der Arztpraxis die Wohnung im zweiten Stock stand derzeit leer Fruumlher einmal hatte Emmas Groszligmutter dort gewohnt aber sie lebte bereits seit fast dreiszligig Jahren bei ihrer Tochter erst in Hamburg und seit kurz vor dem Krieg in Muumlnchen da der Ehemann von Emmas Tante dorthin versetzt worden war Leider kam sie nur noch selten zu Besuch da lange Reisen sie zu sehr anstrengten Emma bedauerte das denn sie mochte ihre Groszligmutter die auch mit achtzig noch ruumlstiger und scharfsinniger war als manch junge Frau die Emma kannte

Es daumlmmerte bereits und die langen Schatten des spauml-ten Nachmittags waren ineinandergekrochen verdichte-ten sich langsam und entfaumlrbten den Tag zu einem lich-ten Grau Seit zwei Jahren stellte man die Uhren nicht mehr zur Sommerzeit um und anfangs war es ungewohnt gewesen dass die Sommertage nun um eine Stunde kuumlr-zer waren aber man gewoumlhnte sich daran Waumlhrend des Krieges hatte es eine Zeit gegeben in der fortwaumlhrend

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Sommerzeit gegolten hatte und man die Uhren uumlberhaupt nicht mehr umstellte irgendwann war ein konzeptloses Wechseln erfolgt Dann war die Regelung durch die Besat-zungsmaumlchte wieder geaumlndert worden und sie bestimm-ten eine Umstellung auf die Sommerzeit ndash wobei diese in der sowjetischen Besatzungszone Berlins 1945 ganze zwei Monate laumlnger gedauert hatte Jetzt endlich hatte die Regierung sich auf eine einheitliche Zeit festgelegt die fuumlr das gesamte Jahr galt ndash die Ruumlckkehr zur Normalzeit Emma hoffte dass das so blieb

Als sie durch die Straszlige spazierte hier und da einen heimkehrenden Nachbarn oder Bekannten gruumlszligte ndash die Tochter des Herrn Doktor kannte man im gesamten Vier-tel ndash fiel ihr ein Mann auf der gerade ein Haus verlieszlig sich noch einmal umdrehte einem weiteren Mann der in der offenen Tuumlr stand etwas sagte und dann durch den Vorgarten schritt und auf sein Auto zuging Dominik Lichtenthal Emma blieb stehen sah ihn an wusste nicht ob sie zu ihm gehen und houmlflich gruumlszligen oder ihn ignorie-ren sollte Er nahm ihr die Entscheidung ab als er sie be-merkte kurz stutzte als muumlsste er ihr Gesicht erst einem Namen zuordnen und sie dann anlaumlchelte

raquoGuten Abend Emma Wie geht es dirlaquoSie ging auf ihn zu raquoSehr gut vielen Danklaquo Sie wusste

nie so recht ob sie ihn duzen sollte oder nicht denn einer-seits war er ein Fremder andererseits aber der Ehemann ihrer Tante und damit praktisch ihr Onkel

raquoIch habe gehoumlrt du studierst ChemielaquoraquoJa ich werde diesen Sommer fertiglaquoraquoUnd dann geht es in den Konzern deiner Mutterlaquo

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Unschluumlssig hob Emma die Schultern raquoAch das weiszlig ich noch gar nichtlaquo

Dominik Lichtenthal schloss seinen Wagen auf raquoWenn du dich lieber auf dem freien Markt umsehen moumlchtest sag Bescheid ich kann faumlhige Chemiker immer gebrau-chenlaquo

Es war schon fast skurril dass Emma diesen Gedanken erst vor kurzem gehegt hatte und ihn nun ausgesprochen houmlrte Da sie nicht rundheraus ablehnen wollte dankte sie ihm und nachdem sie ihm gesagt hatte er moumlge seine Familie von ihr gruumlszligen stieg er in seinen Wagen und fuhr los Im Grunde genommen war das doch albern dass ihre Mutter immer noch nichts mit ihrer Schwester zu tun haben wollte Emma kannte die alte Geschichte und natuumlr lich war es hart auf einen Schlag sein gesam-tes Erbe zu verlieren und die unvermittelt aufgetauchte fremde Schwester als einzige Gewinnerin in dieser Situa-tion zu sehen aber das Ganze war jetzt gut fuumlnfundzwan-zig Jahre her irgendwann musste es doch mal gut sein Und es war ja nun wahrlich nicht so als wuumlrde der Besitz des Hauses in der Friedrichstraszlige noch einen nennenswer-ten Unter schied im Vermoumlgen ihrer Mutter machen Im Gegenteil ndash waumlre sie dort geblieben haumltte sie es vielleicht nie so weit gebracht

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Juni 1952

Die einstmals goldene Zeit merkte man der ehemaligen Amuumlsiermeile auf der Friedrichstraszlige nicht mehr an und Helena verspuumlrte jedes Mal beim Besuch ihres Schoumlnheits-salons diesen Stich des Bedauerns Als sie in den Zwan-zigern hier angekommen war hatte das Leben pulsiert mit Autos Bussen Bahnen Fuszliggaumlngern Radfahrern und noch vereinzelten Droschken Die Kreuzung an der Leip-ziger Straszlige war ein so verkehrsreicher Knotenpunkt ge-wesen dass es fuumlr die aus der Provinz stammende Helena anfangs schon eine Herausforderung gewesen war lebend von einer Straszligenseite auf die andere zu gelangen

Nach dem Krieg war die Straszlige eine von Ruinen ge-saumlumte Schuttwuumlste geworden und auch wenn die Truumlm-mer in weiten Teilen fortgeraumlumt waren so erinnerte doch nur wenig an fruumlher Helena hatte mehrfach uumlberlegt den Schoumlnheitssalon einfach aufzugeben aber das brachte sie nicht uumlber sich Vielleicht normalisierte sich hier ja alles irgendwann wieder das konnte doch nicht ewig so blei-ben Ihr Schoumlnheitssalon in der Friedrichstraszlige befand sich im Amerikanischen Sektor der in Berlin-Mitte gehoumlrte nun zur DDR ihr Werk wiederum zum Franzoumlsischen

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Sektor Dominiks sowie ihr Wohnsitz lagen im Britischen Sektor Das war doch auf Dauer kein Zustand Den Salon in Berlin-Mitte hatte sie aufgeben muumlssen und sie sah sich bereits nach Alternativen um

Als Helena in den Salon trat kam ihr Ida ndash fruumlher Wag-ner jetzt Zeller ndash entgegen raquoKaffeelaquo

raquoUnbedingtlaquo Helena haumlngte ihren Mantel an die Gar-derobe und betrat den Salon Es war noch fruumlh und sie wuumlrden erst in einer halben Stunde oumlffnen Ida hatte schon in den Dreiszligigern die Leitung des Salons uumlbernommen als Helena damit beschaumlftigt gewesen war einen weiteren in Berlin-Mitte zu eroumlffnen

raquoWie geht es den MaumldchenlaquoHelena setzte sich in einen der bequemen Besucher-

stuumlhle wo die Frauen sich bei einer Tasse Kaffee oder Tee und etwas Gebaumlck entspannen konnten raquoMarion faumlngt bei mir im Werk an der Termin steht jetztlaquo Das war Schock und freudige Uumlberraschung zugleich gewesen und Helena wusste selbst nicht ob ihre Bestuumlrzung oder ihre Freude uumlberwog Natuumlrlich hatte sie gehofft dass Marion als Aumlrztin praktizierte immerhin hatte sie stu-diert und damit ein klares Ziel vor Augen gehabt Ande-rerseits freute es sie dass ihre Tochter Interesse an ihrem Unternehmen zeigte ndash und nicht an Dominiks wie eine kleine nicht zu unterdruumlckende Stimme des Triumphs in ihr betonte raquoUnd Fanny schlieszligt das Schuljahr mit sehr guten Noten ablaquo

raquoMathematik macht ihr wieder SpaszliglaquoraquoNachdem Ferdinands Ehefrau es ihr erklaumlrt hat was

ihr unfaumlhiger Lehrer offenbar nicht hinbekommtlaquo Fer-

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dinand war der Patenonkel beider Toumlchter und seine Frau eine begabte Mathematikerin

Die Schwangerschaft mit Fanny hatte Helena seinerzeit einen gehoumlrigen Schrecken eingejagt All die Jahre hatte sie es erfolgreich vermieden zu empfangen und dann als die Welt am Abgrund stand kuumlndigte sich neues Leben an Schlimm genug mitanzusehen wie Marion bereits in der Schule darauf vorbereitet wurde in den BDM einzu-treten da wollte sie diesem System nicht noch ein Kind schenken Es war Rudolf Liliengrund gewesen dem Fanny es zu verdanken hatte dass Helena keinen Abbruch hatte vornehmen lassen

raquoGerade in diesen Zeiten sollten die Anstaumlndigen sich vermehrenlaquo

Ihr lieber Rudolf der seine gesamte Familie verloren und selbst nur knapp und unter Entbehrungen die Flucht geschafft hatte weil er zu lange gezoumlgert geglaubt hatte es wuumlrde alles gut werden Und so hatte Helena Fanny aus-getragen hatte schon in der Schwangerschaft eine so innige Beziehung zu dem Kind gehabt wie sie es sich nicht hatte vorstellen koumlnnen Es war ganz anders als mit Marion zu der sie erst eine enge Bindung hatte aufbauen koumlnnen als diese bereits ein Kleinkind gewesen war Waumlhrend Marion von Geburt an ein Papakind war so war Fanny von Geburt an ganz und gar ihre Tochter Helena hatte sie sogar mit zur Arbeit genommen weil sie sich nicht von ihr trennen mochte hatte sie im Buumlro gestillt und in der Wiege neben sich schlafen lassen Undenkbar dieses Baby jemand ande-rem anzuvertrauen Dabei liebte sie Marion nicht weniger und sie verstand auch im Nachhinein nicht warum sie bei

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beiden Kindern schon in der Schwangerschaft so unter-schiedlich empfunden hatte

raquoDu solltest endlich aufhoumlren das zu hinterfragenlaquo hatte ihre beste Freundin Irene Danelius gesagt raquoEs ist jetzt wie es ist Freu dich einfach Gerade jetzt haben wir alle wahrhaftig Probleme genug da muss man nicht auch noch welche hinzuredenlaquo

Als im November 1938 die Synagogen brannten hatte Irene das Land verlassen raquoIch komme zuruumlck wenn der Irrsinn vorbei istlaquo hatte sie gesagt und war nach Amerika gegangen Dort war sie zur Filmgroumlszlige geworden hatte einen bekannten Produzenten geheiratet und lebte nach wie vor in den Vereinigten Staaten Helena vermisste sie immer noch sehr und war auch schon einmal mit ihrer Familie in New York gewesen um sie zu besuchen

raquoFahrt ihr diesen Sommer weglaquo fragte Ida und setzte sich nun ebenfalls

raquoAuf jeden Fall fuumlr zwei Wochen zu meiner Mutter Und von da aus vielleicht weiter in Richtung Schweizlaquo Vor allem auf die Zeit bei ihrer Mutter freute sich Helena das waren jedes Mal schoumlne Tage mit all den fruumlheren Freunden und Bekannten sowie mit der Baronin fuumlr die sie und ihre Mutter fruumlher gearbeitet hatten und bei der ihre Mutter nun den Altersruhesitz hatte Fuumlr Helenas Familie standen immer Gaumlstezimmer bereit Ein wenig behandelte man sie dort wie eine Prominente die Dienst-botentochter die es in der Weltmetropole zu etwas ge-bracht hatte mit einem reichen Mann verheiratet war und mit Filmstars verkehrte

Kurz darauf trafen die uumlbrigen Mitarbeiterinnen ein

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und dann kamen auch schon die ersten Kundinnen Helena unterhielt sich mit einigen der Damen beriet hier und da persoumlnlich und machte sich dann auf den Weg ins Werk Unmittelbar nach dem Krieg war es schwierig gewesen die Rohstoffe fuumlr die Produktion von Kosmetik aufzutrei-ben vielfach waren sie nur zu Schwarzmarktpreisen zu be-kommen Viele Rohstoffe wurden in der Pharmaindustrie dringender benoumltigt und natuumlrlich hatte die medizini-sche Versorgung Vorrang vor der kosmetischen Gerade nach dem Krieg hatten sie alle andere Sorgen gehabt wes-halb Helenas Werk voruumlbergehend die Produktion um-stellte und der chemischen Industrie zuarbeitete waumlhrend die Schoumlnheitssalons Obdachlosen offenstanden Erst vier Jahre nach Kriegsende als der Hungerwinter vorbei war und die Menschen durch die Waumlhrungsreform wieder uumlber Geld verfuumlgten hatte Helena Kosmetikherstellung und Schoumlnheitsbehandlungen wieder aufgenommen

Im Werk ging Helena direkt in ihr Buumlro und sah sich Werbeentwuumlrfe an Sie liebte ihre Arbeit und sie machte ihr nach wie vor Spaszlig allerdings fehlte ihr die Heraus-forderung Die Kosmetik entwickelte sich stetig weiter und mittlerweile war Forschung und Entwicklung eine eigene Abteilung in ihrem Unternehmen Natuumlrlich freute sie sich daruumlber aber sie vermisste die Zeiten in denen sie selbst in ihrer Fertigung gesessen und experimentiert hatte Vielleicht war es wirklich gut dass Marion hier demnaumlchst etwas frischen Wind hereinbringen wuumlrde Wie wohl Charlotte darauf reagierte dass Helena ihr nun Konkurrenz machen wuumlrde

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Emma houmlrte den Streit bis ins Wohnzimmer Ihre Mutter hielt Leopold vor er naumlhme die Arbeit nicht ausreichend ernst und bringe sich zu wenig ein Wie er bei dem Ge-schaumlftstermin am Vortag nur dagesessen und auf einmal zu zittern begonnen habe Wenn es nicht anders ging dann solle er eben seine Medikamente wieder nehmen Und ndash verdammt noch mal ndash endlich mehr Nervenstaumlrke zei- gen

Auch an diesem Morgen hatte es schon wieder damit begonnen dass Leopold beim Fruumlhstuumlck sehr still gewe-sen war was fuumlr Emma immer ein Zeichen fuumlr schlimme Traumlume war Auf Ausfuumlhrungen ihrer Mutter zu dem heu-tigen Arbeitstag hatte er nur genickt was diese wiederum zu dem Schluss kommen lieszlig dass er sich nur unzurei-chend interessierte Uumlberhaupt habe er keine innovativen Ideen arbeite den Tag ab ohne echtes Interesse zu zeigen an dem was er tat Irgendwann war ein handfester Streit ausgebrochen der auch dann noch anhielt als Emma das Esszimmer verlassen hatte und nun in der Kuumlche den Ab-wasch machte Schlieszliglich hielt sie es nicht mehr aus lief ins Esszimmer zuruumlck

raquoWas willst du eigentlichlaquo fuhr sie ihre Mutter an raquoEr tut doch alles was er solllaquo

raquoEmma lass nurlaquo sagte Leopold raquoIch mache helliplaquoraquoNein ich lasse es nicht Koumlnnen wir nicht mal einen

Morgen friedlich verbringen wie andere Familien auch Muss hier immer den ganzen Tag uumlber Streit herrschen und abends gehen wir dann versoumlhnt schlafen Wozu Um am naumlchsten Tag wieder loszulegen Das ist doch nicht mehr auszuhaltenlaquo

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raquoWie redest du eigentlich mit mirlaquo Die Stimme ihrer Mutter war ganz kalt geworden bar jeder Emotion

raquoIch helliplaquo Die aufbrausende Wut fiel von Emma ab und sie wusste nicht mehr was sie nun sagen sollte raquoIch hellip ich habe heute keine Uni und wollte ohnehin fragen ob ich mit ins Werk kannlaquo Der Einfall war ihr gerade erst ge-kommen raquoIch koumlnnte Leo zuarbeiten und so schon einmal Einblicke bekommenlaquo

Die frostglitzernde Wut im Blick ihrer Mutter schmolz zu Uumlberraschung raquoAch waslaquo

raquoIch habe mir lange uumlberlegt was ich mit meinem Che-miestudium machelaquo

raquoHeiszligt das es steht nicht zu erwarten dass du dich nun nach einer passenden Partie umsiehstlaquo Fuumlr jemanden der selbst gluumlcklich verheiratet gewesen war zeigte ihre Mut-ter eine sehr ablehnende Haltung zu Emmas Eheplaumlnen

raquoNoch ist ja niemand in Aussicht nicht wahrlaquo ver-setzte Emma der Hoffnung einen Daumlmpfer

Ihre Mutter schien damit zufrieden zu sein raquoSchoumln dann beeil dich wir brechen gleich auflaquo

Sie und Leopold fuhren in der Regel gemeinsam los und Leopold lieszlig dann den Wagen fuumlr sie im Werk und kehrte puumlnktlich zum Buumlroschluss mit der Bahn nach Hause zu-ruumlck Das tat er vermutlich vor allem aus dem Grund weil er den Abstand brauchte

raquoIch habe uumlbrigens gehoumlrt dass Marion in der Chariteacute aufhoumlrtlaquo erzaumlhlte Emma als sie auf der Ruumlckbank des Wagens Platz genommen hatte

raquoWelche Marionlaquo fragte ihre Mutter und Emma haumltte gerne gewusst ob sie das wirklich nicht wusste

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raquoUnsere CousinelaquoraquoUnd warum sollte es mich interessieren was diese Per-

son tutlaquoraquoWeil sie deine Nichte ist moumlglicherweiselaquoVon hinten konnte Emma das Schulterzucken sehenraquoAuf jeden Fall heiszligt es sie wollte in das Unternehmen

von Tante Helena einsteigenlaquo Mit einiger Befriedigung bemerkte Emma dass ihre Mutter bei dieser persoumlnlichen Bezeichnung kaum merklich zusammenzuckte

raquoIn der TatlaquoraquoSie hat einige Semester Chemie studiert das hatte ich

doch erzaumlhltlaquoraquoJa hattest du Auch dass sie es mit deinem Chemie-

professor getrieben hatlaquoraquoMutterlaquo kam es von LeopoldraquoDas habe ich nie gesagtlaquo Emma lehnte sich vor als

koumlnne sie ihren Worten damit mehr Nachdruck verleihen raquoIch sagte sie gehen miteinander auslaquo

raquoWenn sie nach ihrer Mutter kommt gibt es das eine nicht ohne das andere Gerne auch zum Nachteil der eigenen Familie Sind deine Noten bei besagtem Profes-sor nicht danach schlechter gewordenlaquo

raquoDas war bei Professor Guenther nicht bei Professor Hellweg mit dem Marion aus war Meine Guumltelaquo Emma hatte langsam genug Dieser sture verbohrte Zorn ihrer Mutter war nicht mehr zu ertragen Mit Ende vierzig konnte sie sich auf jeden Fall noch nicht mit Altersstarr-sinn herausreden raquoHoumlr zu wenn das hier jeden Morgen der Beginn meines Arbeitstages wird sag es direkt dann reicht mir der einmalige Ausflug in dein Unternehmen

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und ich bewerbe mich morgen beim Pharmaunternehmen Lichtenthallaquo

Ihre Mutter fuhr herum raquoDas wagst du nichtlaquoraquoLass es gerne darauf ankommenlaquoLange sah ihre Mutter sie an dann zuckte es um ihre

Lippen Widerspruchsgeist gefiel ihr und sie schien auf einmal versoumlhnt Emma wuumlrde bleiben wuumlrde es allein um Leopolds willen tun Vielleicht wuumlrde es leichter fuumlr ihn mit ihr an seiner Seite

Das ehemalige Werksgelaumlnde hatte in Berlin-Oberschouml-neweide gestanden aber sie waren noch vor dem Krieg um-gezogen was sich als richtige Entscheidung erwiesen hatte wenngleich zu der Zeit noch niemand hatte wissen koumlnnen dass dieser Stadtteil unter sowjetische Verwaltung gestellt werden wuumlrde Das jetzige Werk stand in Berlin-Tempel-hof im Amerikanischen Sektor und hatte im Krieg ebenfalls gelitten Sie fuhren durch das Tor und Leopold parkte den Wagen auf der dafuumlr vorgesehenen Flaumlche auf der weitere Autos Motorraumlder und Mopeds standen

Ihre Mutter begleitete sie bis in die Etage in der sich die Raumlumlichkeiten der Geschaumlftsfuumlhrung befanden dann ging sie in ihr Buumlro waumlhrend Emma Leopold in seines be-gleitete

raquoWeiszligt dulaquo sagte er als er auf einen der Stuumlhle wies raquodu musst das nicht tunlaquo

raquoWas meinst dulaquo Emma lieszlig sich auf der Besucherseite seines Schreibtischs nieder

raquoDas weiszligt du genau Mich hierher zu begleiten ob-wohl du nie im Sinn hattest in der Firma zu arbeiten Du musst mich nicht vor Mutter beschuumltzenlaquo

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raquoDas tue ich doch gar nichtlaquoLeopold antwortete nicht ging nur zur Tuumlr oumlffnete sie

und rief in das gegenuumlberliegende Zimmer der beiden Sekretaumlrinnen dass man ihm und seiner Schwester bitte Kaffee bringen moumlge raquoEs war nie dein Plan hier zu ar-beitenlaquo

raquoPlaumlne koumlnnen sich aumlndernlaquoraquoVon einem Tag auf den anderenlaquoraquoJa warum denn nicht Und wer sagt uumlberhaupt dass

es so abrupt war Vielleicht denke ich ja schon laumlnger da-ruumlber nach und habe dir einfach noch nichts erzaumlhltlaquo Emma zog einen Bleistift aus dem Stiftebecher und drehte ihn zwischen den Fingern raquoUumlbrigens hat mir Dominik Lichtenthal ein Stellenangebot gemachtlaquo Gespannt be-obachtete sie Leopolds Reaktion

raquoWannlaquoraquoIch bin ihm mal abends beim Spaziergang begegnetlaquoraquoUnd da hat er dir ndash ohne dich und deine Befaumlhigung

so recht zu kennen ndash eine Stelle angebotenlaquoraquoWir haben uns kurz unterhalten und er weiszlig dass ich

Chemie studiere Da meinte er wenn ich nicht fuumlr Mutter arbeiten wolle solle ich mich bei ihm melden er koumlnne faumlhige Chemiker immer gebrauchenlaquo

raquoMutter enterbt dich wenn du das tustlaquoraquoDas waumlre nicht so schlimm denn dann erbst du alles

und wirst mir meinen Teil einfach auszahlenlaquoraquoIst das solaquoraquoNatuumlrlichlaquo Emma zog ihre Zigaretten hervorraquoDu willst doch wohl hier nicht rauchenlaquoAnstelle einer Antwort steckte sie sich eine Zigarette

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zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

bei Lichtenthal in Aussicht und einem groszligzuumlgigen Bru-der der dir deinen Erbanteil abtrittlaquo

Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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NORA ELIAS

Der Schoumlnheits-

salon Der Triumph der Schwestern

Roman

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Teil 1

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Mai 1952

raquoFraumlulein Franziska LichtenthallaquoMarion sah von ihrem Buch auf und ihre juumlngere Schwes-

ter Fanny an raquoIch glaube der Direktor ist gar nicht erst den Umweg uumlber Mutter gegangen sondern hat sich direkt an Vater gewandtlaquo

Fannys Blick huschte zur Tuumlr raquoWenn er dafuumlr extra nach Hause kommt ist er wirklich sauerlaquo

raquoWas hast du erwartetlaquoZu einer Antwort kam Fanny nicht mehr denn nun

stand ihr Vater in der offenen Tuumlr des Salons und taxierte das sechzehnjaumlhrige Maumldchen das auf dem Boden saszlig den Hund auf dem Schoszlig die Augen in gespielter Arglosig-keit geweitet raquoJa Papalaquo

raquoOberstudiendirektor Wendt hat mich gerade angeru-fen Kannst du dir denken warumlaquo

raquoHat ihn vielleicht ein Missgeschick ereiltlaquoUm Marions Mundwinkel zuckte es was ihrem Vater

nicht entging denn sein strafender Blick traf sie ehe er sich wieder auf die Juumlngere richtete raquoIch kann das wahr-haftig nicht komisch finden junge Damelaquo

Fanny schwieg und warf die blonden Locken zuruumlck sah

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ihren Vater auf eine Weise an die nicht anders als aufsaumls-sig zu bezeichnen war

raquoIch habe dir den Umgang mit diesem Kerl verbotenlaquoDieser Kerl war der achtzehnjaumlhrige Lukas von Buch-

wald in den sich Fanny rettungslos verliebt hatte und den ihr Vater fuumlr einen Taugenichts hielt

raquoDu hast zwei Wochen Hausarrestlaquo beschied er ihrraquoDas kannst du nicht machenlaquoraquoIch trete dir umgehend den Beweis anlaquoraquoUnd der ReitstalllaquoraquoDort wird man eine Weile ohne dich auskommen muumls-

sen Ein solches Verhalten wie du es derzeit an den Tag legst dulde ich nichtlaquo

Fanny presste die Lippen zusammen sah ihren Vater an dann wandte sie sich ab streichelte wieder den Hund der die Augen wohlig geschlossen hatte

raquoDu hast mir sonst also nichts dazu zu sagenlaquo fragte er erneut

SchweigenraquoAlso gutlaquo Ihr Vater wandte sich ab und verlieszlig den

SalonraquoUnd das ist es dir wirklich wertlaquo fragte Marion

raquoWas hatte er uumlberhaupt in deiner Schule zu suchen Hat er selbst keinen Unterrichtlaquo

raquoEr hat geschwaumlnzt um mich zu sehenlaquoMarion ersparte sich einen Kommentar darauf Sie

wusste nicht recht was sie davon halten sollte aber sie wollte sich nicht zu offen gegen den Jungen aussprechen da sie befuumlrchtete Fanny koumlnnte sich ihr sonst kuumlnftig nicht mehr anvertrauen Nachdem Lukas von Buchwald

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sich in die Schule geschlichen hatte waumlren die beiden bei-nahe zusammen erwischt worden und so waren sie schnell in den erstbesten Raum geschluumlpft der sich ihnen geboten hatte ndash das Direktorenzimmer Dort war Fanny gegen ein Tintenfass gestoszligen dessen Inhalt sich uumlber die Schreib-unterlage und die darauf liegenden Papiere ergossen hatte Die Schulsekretaumlrin hatte dem Herrn Direktor Kaffee bringen wollen und Fanny prompt erwischt Daraufhin war Wendt umgehend in seinem Buumlro erschienen hatte Fanny eine kraumlftige Ohrfeige verpasst und Lukas am Ohr aus der Schule gezogen

raquoDu haumlttest Vater sagen sollen dass er dich geschla-gen hatlaquo

raquoDas haumltte ja nichts geaumlndertlaquoraquoDu weiszligt dass er das nicht duldetlaquo Ein Lehrer hatte es

einmal gewagt Marion mit dem Zeigestock auf die Haumlnde zu klopfen als sie zehn Jahre alt gewesen war Ihr Vater war daraufhin in die Schule gegangen und hatte dem Leh-rer angedroht dass er ihn mit seinem eigenen Stock ver-pruumlgele wenn er das jemals wieder wagen sollte raquoMeine Tochter wird nicht geschlagenlaquo hatte er gesagt raquoGeben Sie ihr Strafaufgaben auf lassen Sie sie nachsitzen aber er-heben Sie nie wieder die Hand gegen sielaquo

raquoIst doch jetzt auch gleichlaquo Fanny stand auf raquoKomm Mortimerlaquo Mortimer war ein kleiner Mischlingsruumlde der seit sieben Jahren bei ihnen wohnte und Fanny nur selten von der Seite wich raquoGehen wir in den Garten das darf ich ja gewiss nochlaquo

Marion sah ihr nach dann schlug sie das Magazin zu und stand auf Es war gleich zwei Zeit sich fuumlr den Dienst

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im Krankenhaus umzukleiden Sie hatte im Vorjahr ihr letztes Examen absolviert und somit ihr Medizinstudium mit Bestleistungen beendet Nur war ihr schon waumlh-rend des Studiums aufgefallen dass sie zwar die Medizin liebte nicht jedoch den Alltag als Aumlrztin Urspruumlnglich hatte sie mit der Pharmazie geliebaumlugelt aber letzten En-des hatte ihr Interesse an der Medizin gesiegt insbeson-dere an der Dermatologie Conrad Rudorf der im Krieg gefallene Ehemann ihrer Tante Charlotte war Dermato-loge gewesen und gemeinsam hatten sie ein Unternehmen gegruumlndet das sich auf medizinische Kosmetik speziali-siert hatte Dabei war Charlotte zugutegekommen dass sie sich als Pharmazeutin mit Wirkstoffen gut auskannte Dieses Taumltig keitsfeld faszinierte Marion und obwohl ihre Tante und ihre Mutter kein gutes Verhaumlltnis zueinander hatten kam Marion mit ihrer Cousine Emma recht gut aus ebenso mit ihrem Cousin Leopold dem Haupterben von Dr Rudorf Kosmetik

In ihrem Zimmer zog Marion sich um sah ein weiteres Mal auf die Uhr und seufzte Den Entschluss sich auf ein anderes Betaumltigungsfeld zu konzentrieren hatte sie schon vor Monaten endguumlltig gefaumlllt bisher hatte sie es nur noch niemandem erzaumlhlt Ihr Vater war so stolz auf sie gewesen als sie als Aumlrztin an die Chariteacute gegangen war Wuumlrde er enttaumluscht von ihr sein All die Arbeit und das Geld das in ihr Studium geflossen waren ins Feld fuumlhren um sie von ihrem Entschluss abzubringen Sie hatte lange gezouml-gert und die Entscheidung gut durchdacht Den Muti-gen gehoumlrt die Welt sagte man doch Nun Marion wuumlrde sehen ob das auch fuumlr sie galt

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Das Haus in der Friedrichstraszlige wo alles begonnen hatte hatte Helena behalten und sie betrieb den Schoumlnheitssa-lon dort weiterhin wenngleich sie vor dem Krieg einen zweiten Standort mit groszligzuumlgigeren Raumlumlichkeiten er-oumlffnet hatte Aber an diesem Haus hingen so viele Erinne-rungen da hatte sie es nicht uumlbers Herz gebracht sich da-von zu trennen Aber baulich veraumlndert hatte sie es hatte innen die Waumlnde durchbrechen lassen sodass man vom Verkaufsraum durch einen Tuumlrbogen in den angrenzen-den Raum kam der fruumlher die Fertigung enthalten hatte Hier war jetzt ein weiterer Raum fuumlr Kosmetikbehand-lungen entstanden ebenfalls durch einen Durchbruch mit dem Raum dahinter verbunden wo sich der urspruumlngli-che Schoumlnheitssalon befand Fruumlher einmal hatte Helena auch die Wohnung oben in der sie und ihre Schwester in ihren Anfaumlngen gewohnt hatten in Raumlumlichkeiten fuumlr Kosmetik und Schoumlnheitsbehandlungen umwandeln wol-len doch dann waren durch den Krieg so viele Menschen heimatlos geworden dass es ihr dekadent erschienen waumlre intakten Wohnraum auf diese Art zu nutzen Es war ja nicht so dass sie das Geld noumltig hatte das Kosmetikun-ternehmen Rosenberg war schon waumlhrend der Dreiszligiger-jahre groszlig geworden und warf viel Geld ab Zu jener Zeit war der Schoumlnheitssalon lediglich eine weitere Einkom-mensquelle gewesen

Zunaumlchst hatte sie die Wohnung kostenfrei zwei hei-matlosen Familien uumlberlassen die jeweils zwei Raumlume be-wohnten und sich Kuumlche sowie Bad teilten Es war Hele-nas bescheidener Beitrag gewesen das Gefuumlhl endlich etwas tun zu koumlnnen und wenn es nur das war Menschen

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voruumlbergehend ein Zuhause zu geben Mittlerweile hatte sich die Situation entspannt aber Wohnraum wurde nach wie vor benoumltigt Dominik hatte die Wohnung renovieren lassen und seither wurde sie vermietet

Das Unternehmen Rosenberg hatte sich rasant entwickelt inzwischen wurde Helenas Kosmetik in einem eigenen Werk hergestellt in dem sie eine ganze Reihe an Angestell-ten beschaumlftigte Sie selbst war zwar Eigentuumlmerin hatte aber einen Geschaumlftsfuumlhrer sowie Mitarbeiter fuumlr Buchhal-tung und Finanzen Da Helena sich nach wie vor am meis-ten fuumlr die Entwicklung und Forschung interessierte war das der Bereich ihres Unternehmens in dem sie sich vor-zugsweise aufhielt

An diesem Nachmittag verlieszlig sie das Werk etwas fruuml-her denn Dominik hatte ihr am Telefon von dem Vorfall in Fannys Schule erzaumlhlt Das war wieder so typisch Ging es um Dinge wie ein Kuchen fuumlr den Schulbasar oder das Abholen eines Kindes weil ihm unwohl war dann rief man Helena an obwohl Dominik von seinem Werk in Charlottenburg Nord schneller an der Schule sein konnte als Helena aus Tegel War aber etwas vorgefallen das laut Meinung des Direktors dringend einer Sanktion beduumlrfe wendete er sich direkt an Dominik Helena haumltte laumlngst aufhoumlren sollen sich daruumlber aufzuregen denn schon zu Marions Schulzeiten war es nicht anders gewesen aber dennoch aumlrgerte sie sich jedes Mal von Neuem daruumlber

Als Helena die Tuumlr zu ihrer in Berlin-Grunewald gele-genen Villa oumlffnete kam ihr Hund Mortimer in die Ein-gangshalle gelaufen sprang um sie herum drehte eine Runde durch die Halle kam wieder zu ihr und stellte sich

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auf die Hinterbeine ndash das hatte Fanny mit ihm geuumlbt Helena ging in die Knie und kraulte den Hund dann er-hob sie sich und sah Fanny an die Mortimer gefolgt war und in der Tuumlr zum Salon stand

raquoLukas von BuchwaldlaquoFanny nickte schweigendraquoDir haumltte doch klar sein muumlssen dass das unweigerlich

zu Aumlrger fuumlhrtlaquoraquoIch wusste ja nicht dass er kommtlaquoraquoUnd trotzdem hast du dich darauf eingelassen dich

mit ihm in der Schule zu versteckenlaquoraquoWo er doch schon mal da war helliplaquoraquoUnd wie haben seine Eltern reagiertlaquoFanny zuckte mit den SchulternHelena erfuhr es noch vor dem Abendessen als Herr von

Buchwald anrief und nach Dominik fragteraquoSie werden mit mir vorliebnehmen muumlssenlaquo erklaumlrte

Helena kuumlhlDaraufhin erklaumlrte er ihr Dominik persoumlnlich habe da-

fuumlr zu sorgen dass seine Tochter seinen Sohn kein weiteres Mal zum Schuleschwaumlnzen ermutigte raquoDas kann ich nicht duldenlaquo fuhr er fort und beendete das Gespraumlch bruumlsk

raquoPapa hat mir zwei Wochen Hausarrest aufgebrummtlaquo beschwerte sich Fanny

raquoDann wirst du das wohl durchstehen muumlssenlaquo Eine Regel in ihrer Erziehung war dass sie einander nicht in den Ruumlcken fielen und sich nicht gegeneinander ausspie-len lieszligen

Fanny seufzte ergebenraquoHast du deine Hausaufgaben gemachtlaquo

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raquoJa Auch die StrafarbeitlaquoHelena nickte und ging in die Kuumlche wo das Abend-

essen vorbereitet auf der Anrichte stand Sie beschaumlftigten nach wie vor eine Haushaumllterin die zudem gelernte Kouml-chin war Im Gegensatz zu fruumlher kam die jetzige Haus-haumllterin morgens um acht ging um fuumlnf und hatte am Wochenende frei Auszligerdem hatten sie eine Zugehfrau die einmal woumlchentlich kam Die Zeiten da das Perso-nal im Haus naumlchtigte und staumlndig zur Verfuumlgung stand waren vorbei Dank der modernen Errungenschaften wie der elektrischen Waschmaschine ging die Arbeit mitt-lerweile schneller von der Hand und die Zeiten da man einen kompletten Tag fuumlr die Waumlsche einplanen musste waren vorbei

Der Hund kam in den Vorraum setzte sich auf die Hin-terpfoten und sah Helena aus dunklen glaumlnzenden Augen an den Kopf leicht schief gelegt

raquoIst schon Zeit fuumlrs Futterlaquo Helena sah auf die Uhr raquoEin Stuumlndchen musst du dich noch geduldenlaquo Sie ging zur Anrichte und zog eine Schublade auf Mortimer der wusste was sich dort fuumlr Schaumltze verbargen war ihr ge-folgt und stand nun aufgeregt neben ihr Wie Helenas ers-ter Hund Estelle hatte auch er eine Schwaumlche fuumlr Rinder-haut und so gab sie ihm ein gerolltes Stuumlck und ging mit ihm in den Salon der mittlerweile verwaist war Helena zuumlndete sich eine Zigarette an und rauchte waumlhrend sie den kleinen Hund beobachtete der auf der Leckerei he-rumkaute

Ihr damaliger Hund Estelle war im Alter von siebzehn Jahren ndash das schaumltzte Helena zumindest denn sie hatte

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Estelle auf der Straszlige aufgelesen ndash gestorben Sie war noch sehr jung gewesen als Helena sie gefunden und adop tiert hatte Nur ihre Kinder und ihre Mutter hatte sie mehr geliebt als Estelle was Dominik recht konsterniert zur Kenntnis genommen hatte

raquoDich liebe ich anderslaquo hatte sie ihm erklaumlrtSie war gluumlcklich daruumlber gewesen dass Estelle ein so

hohes Alter erreicht hatte obwohl mit jedem Jahr die Angst naumlher ruumlckte dass der Moment des Abschieds nicht mehr gar so fern war Eines Nachmittags war Estelle ge-schwankt als haumltte sie Schlagseite Fanny die damals erst sechs Jahre alt gewesen war hatte geglaubt der Hund mache Faxen

raquoGuck mal Mama wie komisch Estelle laumluftlaquoHelena jedoch hatte es in diesem Moment gespuumlrt hatte

gewusst dass es nun so weit war Den restlichen Tag uumlber lag Estelle in ihrem Koumlrbchen wollte dieses auch nicht zum Fressen verlassen verschmaumlhte selbst ihre geliebten Leckereien blickte nur hin und wieder auf und schaute Helena mit ihren lieben Hundeaugen an In dieser Nacht hatte Helena das Koumlrbchen in ihr Zimmer geholt es neben ihr Bett gestellt und fast die ganze Nacht wachgelegen eine Hand auf Estelles warmem Fell sodass sie spuumlrte wie sich die Flanke hob und senkte

Morgens war Helena in aller Fruumlhe aufgestanden waumlh-rend Dominik noch neben ihr schlief Dann setzte sie sich neben das Koumlrbchen auf den Boden und streichelte den kleinen Hund der die Augen geschlossen hielt aber noch atmete Vielleicht so dachte sie blieb ja doch noch Zeit Vielleicht brauchte Estelle nur Ruhe Dann jedoch oumlffnete

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ihr kleiner Hund die Augen sah sie an versuchte sich auf-zurichten aber Helena legte ihr beruhigend die Hand auf das Koumlpfchen streichelte sie

raquoScht meine Kleine ist ja gutlaquo hatte sie gemurmelt raquoDu darfst jetzt gehenlaquo

Estelle hatte die Augen wieder geschlossen und irgend-wann hatte sich die Flanke nach dem letzten Atemzug nicht mehr gehoben

Danach wollte Helena keinen Hund mehr Als Domi-niks Schwester Ariana vorgeschlagen hatte einen neuen zu kaufen vielleicht wuumlrde man sogar einen finden der aussah wie Estelle waumlre sie ihr fast ins Gesicht gesprun-gen Aber Mortimer hatte sie gefunden wie Estelle vor-mals Nach dem Krieg war Helena durch die Stadt ge-gangen hatte versucht von ihren Lebensmittelmarken etwas zu essen zu bekommen als sie den kleinen Hund bemerkte der in den Truumlmmern nach etwas zu fressen suchte Er war schmutzig weiszlig mit groszligen schwarzen Fle-cken und einem wolligen Fell das ganz verfilzt war Hoff-nungsvoll hatte er sie angesehen aber Helena war mit dem Korb im Arm weitergegangen

raquoEs tut mir leid mein Kleiner es reicht kaum fuumlr unslaquoEr war ihr gefolgt und hatte Schritt gehalten als Helena

die ihren beschleunigte raquoEs ist sinnloslaquo hatte sie gesagt raquoSuch dir jemanden der weniger Maumluler zu stopfen hatlaquo

Bis zum Eingangstor ihres Hauses war er ihr gefolgt und lieszlig sich nicht abwimmeln raquoSo hier trennen sich unsere Wegelaquo sagte sie ihm als koumlnnte er sie verstehen Aber er hob nur das Bein an der Mauer raquoDamit machst du dich bei Dominik gewiss beliebt So und jetzt geh unser

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Haushalt ertraumlgt keine zwei Maumlnner erst recht nicht wenn einer davon sein Revier markiertlaquo

Der Hund hatte sich auf die Hinterbeine gesetzt und sie angesehen Als Helena sich abgewandt hatte war der Hund ihr gefolgt und hinter ihr die Treppe hochgelau-fen In der Eingangshalle war ihr Dominik entgegenge-kommen

raquoMortimer wohnt jetzt hierlaquo hatte sie ihm erklaumlrt und dabei war es geblieben

Der Hund war nur noch wenig gewachsen ging ihr bis zur Mitte der Wade war kompakter als Estelle und auch frecher Zur Arbeit nahm Helena ihn nie mit er verbrachte viel Zeit mit Fanny sah auch jetzt auf als sie den Salon betrat die Leine in der Hand Sofort sprang der Hund auf und lief schwanzwedelnd zu ihr was mit dem kleinen Stummelschwanz immer sehr drollig aussah

raquoWir gehen noch eine Rundelaquo erklaumlrte sieraquoEine Rundelaquo betonte Helena raquoOhne Umwege oder

heimliche TreffenlaquoEin Schatten flog uumlber das Gesicht ihrer Tochter und

Helena hob eine BraueraquoJa eine Rundelaquo sagte Fanny so uumlberdeutlich dass man

es schon fast patzig nennen konnte Sie beugte sich zu Mortimer und befestigte die Leine am Halsband

Fanny fand es in houmlchstem Maszlige anstrengend dass ihre Eltern sie fortwaumlhrend wie ein Kind behandelten Da war Lukas ganz anders er behandelte sie wie eine junge Frau Ihre Eltern hingegen bezeichneten Lukas der immerhin im kommenden Jahr das Abitur machen wuumlrde als Halb-

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wuumlchsigen kaum mehr als ein Knabe Dabei wuumlrde er im Herbst achtzehn werden Ihr Vater hatte ihn sogar als un-verschaumlmten Bengel bezeichnet als sei er noch ein Kind

Mit Mortimer an der Leine verlieszlig sie das Haus und atmete auf als sie drauszligen war Zwei Wochen Hausar-rest das war doch nicht auszuhalten Sie schritt rasch aus atmete die fruumlhlingsmilde Luft ein in der schon die Vor-boten des Sommers lagen Mortimer blieb stehen schnup-perte hob einmal das Bein und lief dann wieder forsch vor-weg Aufmerksam sah Fanny sich um verlangsamte den Schritt als sie auf die Straszligenecke zuging Und da stand er wartete wie stets um diese Uhrzeit auf sie Fannys An-gespanntheit zerschmolz in einem Laumlcheln und sie ging nun wieder schneller raquoIch hatte schon befuumlrchtet deine Eltern verpassen dir auch Hausarrestlaquo

Lukas hatte sich eine Zigarette in den Mund gesteckt und zuckte laumlssig mit den Schultern raquoMein Vater hat he-rumlamentiert von wegen Schule und Verantwortung und ich hab so getan als wuumlrdrsquos mich interessieren aber das warrsquos dann auch schon Hier magst dulaquo Er hielt ihr seine Zigarette hin und Fanny nahm einen Zug obwohl sie den Geschmack scheuszliglich fand Aber sie gab sich laumls-sig und zog noch ein weiteres Mal daran unterdruumlckte da-bei ein Husten

Sie und Lukas trafen sich jeden Tag hier wenn Fanny ihre Hunderunde drehte raquoIch kann heute nur kurzlaquo sagte sie raquoEin Wunder dass meine Mutter mich uumlberhaupt rausgelassen hatlaquo

raquoImmerhin hast du es geschafft Schrecklich dass sie dich so kontrollieren Da ist es gut dass du den Hund hast

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da bietet sich immer ein Vorwandlaquo Lukas sah Mortimer an und blieb auf Abstand Einmal hatte er den Versuch ge-macht den Hund zu streicheln und Mortimer hatte nach ihm geschnappt Das hatte Fanny erschreckt denn an sich war er der liebste Hund den man sich vorstellen konnte raquoDas hat er noch nie getanlaquo hatte sie beteuert

raquoDas ist ganz normal bei diesen Winzlingenlaquo hatte Lukas geantwortet raquoDie sind immer so giftig vermut-lich weil sie sich minderwertig fuumlhlen Ein echter Hund beginnt ab Kniehoumlhelaquo

Das hatte Fanny ihm uumlbelgenommen aber er hatte sich entschuldigt und betont Mortimer habe genau die rich-tige Groumlszlige fuumlr einen Maumldchenhund

Ihre Freundinnen beneideten sie gluumlhend um diesen gutaussehenden Bankierssohn nur ihre beste Freundin Nele mochte ihn nicht und nannte ihn einen groszligspuri-gen Angeber raquoVertrau dem Urteil deines Hundeslaquo hatte sie gesagt Das blieb ein Streitpunkt zwischen ihnen ob-wohl Nele in manchem was sie sagte durchaus richtiglag Nachdem sie und Lukas in der Schule erwischt worden waren hatte Nele gesagt raquoUm was wetten wir dass nur du den Aumlrger bekommstlaquo

Fanny fand das ziemlich ungerecht denn schlieszliglich hatte Lukas die Grenze uumlberschritten und nicht sie Waumlh-rend sie nebeneinanderher gingen haderte sie mit dem harschen Urteil ihres Vaters uumlber Lukas Wenn er es ihr nicht staumlndig so schwermachen wuumlrde ihn zu sehen waumlren solche Eskapaden ja ganz und gar uumlberfluumlssig Bisher war-tete sie immer noch vergebens auf den ersten Kuss aber es ergab sich einfach nicht die Gelegenheit

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raquoBei Franz Heikamp findet naumlchstes Wochenende eine Party stattlaquo erzaumlhlte Lukas raquoSeine Eltern sind verreist Gehst du mit mir hinlaquo

Ein heftiges Kribbeln stob in Fannys Bauch auf ge-folgt von dem Gefuumlhl der Ernuumlchterung raquoDas erlauben mir meine Eltern nie und noch dazu habe ich Hausarrestlaquo Lukas stieszlig einen entnervten kleinen Pfiff aus und Fanny befuumlrchtete seine Geduld mit ihr arg zu strapazieren raquoEs tut mir leidlaquo fuumlgte sie hinzu

raquoSchon gut ist ja nicht deine Schuld Dann eben ein anderes Mallaquo

Sie haumltte sich gern bei ihm eingehakt wagte es aber nicht denn die Gefahr dass ein Bekannter sie sah war ein-fach zu groszlig und dann konnte sie sich nicht mit einer zu-faumllligen Begegnung herausreden Auch so blieb ihr Blick stets wachsam auf die Straszlige gerichtet Und so entdeckte sie ihren Cousin Erich der im Auto an ihr vorbeifuhr auch gerade noch ehe er sie sehen konnte Fanny unterdruumlckte ein Stoumlhnen Konnte man so viel Pech haben

raquoMein Vetterlaquo sagte sie raquoWenn der uns sieht erfaumlhrt mein Vater das sofortlaquo

Wieder verdrehte Lukas entnervt die Augen raquoWenn du nicht so ein tolles Maumldchen waumlrst wuumlrde mich das hier schwer nervenlaquo

raquoEs tut mir leidlaquoraquoSchon gutlaquo Er lieszlig sich zuruumlckfallen schenkte ihr ein

Laumlcheln bei dem ihr die Knie weich wurden dann drehte er sich um und ging in die entgegengesetzte Richtung davon

Erich war ihr Cousin vaumlterlicherseits und Geschaumlftsfuumlh-

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rer im Pharmaunternehmen Lichtenthal und da er sich mit ihrem Vater ausnehmend gut verstand war sich Fanny sicher er wuumlrde es ihm sofort zutragen wenn er sie mit Lukas gesehen haumltte Seufzend ging Fanny weiter und als sie zu Hause ankam sah sie Erichs Wagen an der Straszlige stehen Sie ging durch das Eingangstor auf die elterliche Villa zu lieszlig Mortimer von der Leine der begeistert uumlber die Einfahrt tollte In der Eingangshalle begegnete sie Erich Er sah Fanny an laumlchelte hob leicht die Brauen und unwillkuumlrlich fragte sie sich ob er sie nicht doch mit Lukas bemerkt hatte Allerdings sagte er kein Wort dazu gruumlszligte nur und fragte was die Schule mache

Marion fuhr mit der Elektrischen ins Werk ihres Vaters Nach und nach erhob sich Berlin aus den Truumlmmern lebte und pulsierte Ganze Straszligenzuumlge waren veraumlndert ehe-mals Vertrautes wirkte fremd und waumlhrend die Erwachse-nen damit beschaumlftigt waren aus den Uumlberbleibseln etwas Neues zu erschaffen waren die klaffenden Ruinen fuumlr die Kinder ein riesiger Abenteuer spielplatz

Berlin war nach dem Krieg von den Alliierten in vier Besatzungszonen aufgeteilt worden wurde von den Sieger-maumlchten Frankreich England USA und der Sowjet union verwaltet und kontrolliert und seither gab es Zonengren-zen ndash Schlagbaumlume Farbmarkierungen an Baumlumen oder weiszlig-gelbe Holzpfosten ndash und wer von einer Zone in die

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naumlchste wollte brauchte mancherorts eine Genehmigung Fuumlr Reisen zwischen der Westzone und der sowjetischen Besatzungszone gab es Interzonenpaumlsse und es waren erste Grenzanlagen auf der Ostseite errichtet worden Stachel-drahthindernisse in Waldgebieten Sperren an Straszligen und dabei blieb es nicht sondern es war im Jahr nach Kriegsende eine Grenzpolizei eingesetzt und sogar der Ge-brauch fuumlr Schusswaffen geregelt worden Die Abrieglung des Ostens war ein Schock fuumlr die Menschen in Berlin

raquoDas kann doch nicht seinlaquo hatte sich Marions Mutter empoumlrt raquoEs war ja ohnehin schon ein Aufwand von einem Teil der Stadt in den anderen zu kommen und jetzt soll man auch noch aufpassen nicht erschossen zu werdenlaquo

Was Marion jedoch weit mehr Sorge bereitete war der Umstand dass seit diesem Tag dem achtundzwanzigs-ten Mai West-Berlin durch die Regierung in der Sow-jetzone vom Umland getrennt wurde Schon an den bei-den Tagen zuvor war die innerdeutsche Demarkationslinie nach Unter zeichnung des Bonner Deutschlandvertrags ab-geriegelt worden und es gab nun einen zehn Meter langen Kontrollstreifen einen fuumlnfhundert Meter langen Schutz-streifen sowie eine fuumlnf Kilometer weite Sperrzone Damit war der bisher geduldete kleine Grenzverkehr eingestellt worden Selbst die Telefonverbindungen zwischen West- und Ost-Berlin waren von der Regierung gekappt wor- den

Marion fragte sich wie es jetzt mit dem Schoumlnheits-salon weitergehen sollte der in Berlin-Mitte lag und so-mit im Teil der Stadt der nun von der Deutschen Demo-kratischen Republik verwaltet wurde Da ihre Mutter das

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Geschaumlft zwar in Ost-Berlin betrieb aber in West-Berlin ihren Wohnsitz hatte war ihr ndash wie vielen anderen Ge-werbetreibenden auch ndash die Gewerbeerlaubnis entzogen worden Wer in West-Berlin lebte aber in einem Betrieb in Ost-Berlin angestellt war ndash so wie Marion in der Cha-riteacute ndash wurde zum Umzug aufgefordert oder entlassen Da-mit sparte Marion sich die Kuumlndigung

Die Straszligen ins Umland wurden gesperrt offen bleiben durften nur jene die von den Alliierten als Zufahrtswege in die Bundesrepublik festgelegt worden waren Fuumlr die Menschen in West-Berlin bedeutete das den Verlust ihrer Besitztuumlmer im Osten Natuumlrlich wurden Passierscheine in Aussicht gestellt aber das bedeutete nicht automatisch dass diese genehmigt wurden Auch der Anhalter Bahnhof war stillgelegt worden es gab keine Zuumlge mehr die aus dem Osten nach West-Berlin fuhren

raquoMittlerweile liegt Italien fuumlr uns naumlher als Potsdamlaquo hatte Helena geschimpft

Auch das Werksgebaumlude von Lichtenthal-Pharma hatte einen Treffer abbekommen als eine Sprenggranate in einen Fluumlgel eingeschlagen hatte Der Bereich war nach wie vor eingezaumlunt und die Bauarbeiten schritten stetig voran Ihr Vater hatte die Gelegenheit genutzt und legte den Fluumlgel etwas weitraumlumiger an was dem Gebaumlude ein asymmetri-sches Aussehen verlieh

Marion warf dem Portier einen Gruszlig zu wechselte ein paar Worte mit den Mitarbeitern an der Rezeption und fuhr dann mit dem Aufzug hinauf in die Chefetage Die Tuumlr zum Vorzimmer stand offen und Marion sah wie die Sekretaumlrin ihres Vaters Frau Weiller sich gerade an-

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schickte mit einem Tablett auf dem Kaffeekanne und Tasse standen die Tuumlr zum Buumlro ihres Vaters zu oumlffnen

raquoDas uumlbernehme ichlaquo bot Marion an und nahm der Frau das Tablett ab raquoIch moumlchte sowieso kurz zu ihmlaquo Waumlhrend sie das Tablett in der einen Hand balancierte druumlckte sie mit der anderen die Tuumlr auf raquoBringen Sie mir bitte auch noch eine Tasselaquo

raquoNatuumlrlich kommt sofort Fraumlulein LichtenthallaquoIhr Vater saszlig an seinem Schreibtisch und sah auf als sie

eintrat raquoNa so etwas Planst du einen beruflichen Wech-sellaquo

raquoIn der Tat nur werde ich dann nicht deine Empfangs-damelaquo Marion stellte das Tablett ab und schenkte Kaffee ein Im naumlchsten Moment trat Frau Weiller ein brachte ein zusaumltzliches Gedeck und ein Milchkaumlnnchen

raquoIch weiszlig doch dass Sie Ihren Kaffee nicht schwarz trinkenlaquo sagte sie an Marion gewandt

Nachdem sie gegangen war und die Tuumlr hinter sich ge-schlossen hatte setzte Marion sich ihrem Vater gegenuumlber in einen der beiden Besucherstuumlhle

raquoWas meintest du damit dass du in der Tat einen be-ruflichen Wechsel planstlaquo fragte Dominik Lichtenthal

Marion trank einen weiteren Schluck raquoIch hatte eigent-lich vorgehabt meine Kuumlndigung bei der Chariteacute einzu-reichen wobei das ja nun nicht mehr noumltig ist Ich liebe die Medizin doch der Alltag einer Aumlrztin ist nicht das Richtige fuumlr michlaquo

Das traf ihren Vater vollkommen unerwartet hatte er doch damit gerechnet dass sie in der naumlchsten Zeit ihren Facharzt anstreben wuumlrde raquoSo ploumltzlichlaquo

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raquoIch denke da tatsaumlchlich schon eine ganze Zeit lang druumlber nachlaquo

raquoUnd was willst du stattdessen tun In die Pharmazielaquo Offenbar erinnerte er sich gerade an die paar Semester Che-mie die sie nebenher studiert und waumlhrend derer sie eine kurze Liaison mit einem Chemieprofessor gehabt hatte

raquoNein auch das nichtlaquo Die Kenntnisse in Chemie waren indes durchaus zu etwas gut raquoIch moumlchte bei Mama mitarbeitenlaquo

Unglaumlubig sah ihr Vater sie an raquoDu hast ein komplettes Medizinstudium mit hervorragenden Noten abgeschlos-sen und dann sieht deine Berufswahl so aus Frauen Farbe ins Gesicht zu malenlaquo

Marion musste lachen raquoLass das bloszlig nie Mama houmlren Du weiszligt doch genau dass Kosmetik mehr ist als Frauen Farbe ins Gesicht zu malen Mich interessiert medizini-sche Kosmetik Wie du siehst ist mein Studium nicht vergebens gewesenlaquo

raquoDu kannst doch in die Dermatologie gehenlaquoraquoJa koumlnnte ich Ich koumlnnte aber auch in die Forschung

gehen und medizinische Kosmetik entwickelnlaquoraquoDu koumlnntest auch bei mir in die pharmazeutische For-

schung gehenlaquoraquoDas geht doch Hand in Hand Paps Ich weiszlig dass du

sicher enttaumluscht bist aber helliplaquoraquoNeinlaquo fiel er ihr ins Wort raquoIch bin nicht enttaumluscht

Es ging mir nie darum dass du meine Erwartungen er-fuumlllst sondern stets nur deine eigenen Ich gestehe ich war gluumlcklich als du mir eroumlffnet hast dass du Aumlrztin werden willst aber letzten Endes ist mir am wichtigsten dass du

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zufrieden bist mit dem was du tust Ich bitte dich nur die Entscheidung zu uumlberdenkenlaquo

raquoDu kannst davon ausgehen dass ich das getan habe Ich habe lange und gruumlndlich daruumlber nachgedachtlaquo

raquoWeiszlig deine Mutter bereits davonlaquoraquoNein ich bin zuerst zu dir gekommenlaquoIhr Vater nickte zog seine Zigaretten hervor und

steckte eine an raquoSie wird sich freuen dass du mit ihr zu-sammenarbeiten wirst Und die Taumltigkeit als Aumlrztin laumluft dir ja nicht davon du hast ein abgeschlossenes Studium und kannst jederzeit deinen Facharzt machen wenn du merkst dass das vielleicht doch nicht das Richtige fuumlr dich ist Dir ist aber klar dass du mit medizinischer Kosmetik in Konkurrenz zu deiner Tante Charlotte trittstlaquo

raquoJa durchaus Aber wie sagst du immer Konkurrenz belebt das Geschaumlftlaquo Mit ihrer Tante hatte Marion nur selten Kontakt Auf Feiern lief man sich hin und wieder uumlber den Weg aber damit erschoumlpfte es sich auch schon Im Grunde war das bedauerlich denn Charlottes Tochter Emma war ganz reizend und Marion hatte schon einige interessante Unterhaltungen mit ihr gefuumlhrt wenn sie sich denn mal begegnet waren Auch Emmas Bruder Leopold war sehr freundlich und umgaumlnglich wenngleich er seit dem Krieg verschlossen und in sich gekehrt wirkte Im letzten Jahr hatte er noch an die Front gemusst der arme Kerl Da war sein Vater gerade gestorben und Leopold hatte nicht nur den Verlust zu verkraften gehabt sondern war selbst in dem unheilvollen Mahlwerk des Krieges auf-gerieben worden

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Emma Rudorf saszlig mit einem Buch in der Hand im Wohn-zimmer und houmlrte ihren Bruder heimkommen Den gan-zen Tag war Leopold im Werk von Dr Rudorfs medizi-nische Kosmetik gewesen und an seinem schleppenden Schritt houmlrte Emma wie erschoumlpft er sein musste Ver-mutlich hatte er wieder mit Mutter gestritten und bei dem Gedanken daran wie diese ihm zusetzte packte sie die Wut Sie legte ihr Buch beiseite und stand auf ging in den Flur wo sich Leopold gerade die Schuhe auszog Er sah ihrem Vater aumlhnlich hatte zwar dunkleres Haar aber seine Gesichtszuumlge und er wirkte mit der Brille ein wenig professorenhaft

Als er Emma bemerkte laumlchelte er raquoWie gehtrsquoslaquo fragte er mit gespielter Munterkeit

raquoGut Und dirlaquoraquoViel zu tun Und bei dir Wie war die KlausurlaquoraquoIch denke ich habe bestandenlaquo Emma wuumlrde im

naumlchsten Sommer ihr Chemiestudium abschlieszligenraquoEtwas anderes habe ich auch nicht erwartetlaquoraquoIch habe Abendessen gemacht Kommt Mama auch

gleichlaquoraquoNein sie meinte sie haumltte noch viel zu tunlaquoWie immer Fuumlr Charlotte Rudorf gab es seit dem Tod

ihres Mannes nur noch das Werk sie arbeitete wie beses-sen als koumlnnte das den Schmerz des Verlustes betaumluben Emma hatte sich so oft gewuumlnscht sie wuumlrde daruumlber nicht staumlndig vergessen dass sie zwei Kinder hatte und sich nur dann an sie erinnern wenn es etwas auszusetzen gab Vor allem Leopold war ihr ein fortwaumlhrendes Aumlrgernis

raquoDu warst ein Jahr im Krieglaquo pflegte sie zu sagen

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raquound du bist in einem Stuumlck zuruumlckgekommen Wie lange willst du noch in Truumlbsal versinken anstatt endlich wieder mit beiden Beinen im Leben zu stehenlaquo

Was ihre Mutter Truumlbsal nannte war eine tiefe innere Wunde die der Krieg geschlagen hatte und Emma fragte sich warum sie diese sehen konnte nicht aber die Frau die ihn geboren hatte Dann kamen wieder diese Geschich-ten uumlber all die Kriegsheimkehrer die es auch schafften ihr Leben in den Griff zu bekommen obwohl sie deutlich laumlnger im Krieg aufgerieben worden waren Wie schlimm konnte da das eine Jahr schon gewesen sein Einzig fuumlr Emmas Albtraumlume durch die Bombardierung hatte sie Verstaumlndnis denn diese war zu der Zeit gerade vierzehn Jahre alt gewesen Da spielte wohl auch die Erinnerung mit hinein wie Emma an sie geschmiegt im Keller ge-sessen und gewartet hatte bis die Bombardierung vorbei war waumlhrend sie beide Angst gehabt hatten dass Leopold vielleicht schon tot war

raquoIsst du mit mir zu Abendlaquo fragte er nunraquoKlar ich habe auf dich gewartetlaquoLeopold wuumlrde im Juli vierundzwanzig werden und hatte

sein Pharmaziestudium im letzten Jahr abgeschlossen Er haumltte lieber Maschinenbau studiert war schon seit Kinder-tagen davon fasziniert gewesen Aber es war klar gewesen dass er das Familienwerk erben wuumlrde Allenfalls haumltte er noch Arzt werden koumlnnen um die Praxis ihres Vaters zu uumlbernehmen die nun ein anderer Arzt gemietet hatte

Da sie nur zu zweit waren aszligen sie zwanglos in der Kuumlche und Leopold deckte den Tisch waumlhrend Emma den Brotkorb Butter Kaumlse und Aufschnitt hinstellte und alles

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in den Dosen belieszlig was ihre Mutter stets als mangelnde Esskultur bezeichnete Emma hingegen war es zu viel Auf-wand jetzt alles auf Tellern anzuordnen nur um dann das meiste wieder zuruumlckzufuumlllen und wegzuraumlumen und mehr zum Abspuumllen zu haben Sie lieszlig sich ihrem Bruder gegen-uumlber am Tisch nieder Im Gegensatz zu ihrer Mutter hatte Emma bislang keine groszligen beruflichen Ambitionen ge-habt sie studierte Chemie allein aus dem Grund weil es sie interessierte aber sie hatte keine konkreten Plaumlne da-ruumlber hinaus ndash ein staumlndiges Aumlrgernis fuumlr Charlotte Ru-dorf Emmas Plan war gewesen zum Zeitvertreib etwas zu studieren das ihr Spaszlig machte und danach zu heiraten Im Laufe des Studiums hatte sich ihr Interesse allerdings ge-wandelt In der Fakultaumlt war sie hin und wieder ihrer Cou-sine Marion uumlber den Weg gelaufen die mit einem von Emmas Professoren ausgegangen war und sie fand sie glei-chermaszligen interessant wie inspirierend Sie hatte sogar kurz mit dem Gedanken gespielt sich im Pharmakonzern Lich-tenthal zu bewerben aber da haumltte vermutlich eine Andeu-tung gereicht und ihre Mutter waumlre die Waumlnde hochge-gangen Mit ihrer Schwester Helena hatte sie sich schon vor Jahren entzweit und eine Annaumlherung war nicht in Sicht

Beim Essen plauderten sie uumlber Allgemeines Leopold zog sie mit einem Dozenten auf von dem sie ndash seiner Mei-nung nach ndash verdaumlchtig oft sprach Daraufhin erinnerte sie an die Verkaumluferin aus dem KaDeWe mit der er fortwaumlh-rend ausging ohne dass die Sache von der Stelle kam Spauml-ter raumlumten sie zusammen ab erledigten den Abwasch und wollten gerade ins Wohnzimmer gehen um das Radio ein-zuschalten als ihre Mutter die Wohnungstuumlr aufschloss

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raquoGuten Abendlaquo Charlotte Rudorf sah muumlde aus und Emma ging zu ihr um ihr den Mantel abzunehmen und ihn an die Garderobe zu haumlngen

raquoSoll ich das Abendessen wieder auf den Tisch stellenlaquo fragte Emma

raquoNein lass nur ich habe im Werk eine Kleinigkeit ge-gessenlaquo

So war es fast jeden Abend im Grunde genommen aszligen sie nur noch am Wochenende regelmaumlszligig zusammen und fanden sich ansonsten morgens zu einem raschen Fruumlh-stuumlck in der Kuumlche ein Ihre Mutter wechselte einen kur-zen Blick mit Leopold aus dem klar ersichtlich wurde dass die beiden noch vor gar nicht langer Zeit gestritten hatten ndash ganz so wie von Emma vermutet Nun jedoch zeigte sich ein zoumlgerliches Laumlcheln auf den Lippen Char-lotte Rudorfs und auch das war typisch Zum Abend hin legte sie Streit gerne bei mochte es nicht unversoumlhnt schlafen zu gehen

Im Wohnzimmer schalteten sie das Radio ein Emma houmlrte nur mit halbem Ohr hin und hatte ihr Buch wie-der aufgeschlagen war aber auch hier nicht bei der Sache Schlieszliglich gab sie es auf und beschloss noch ein wenig spazieren zu gehen

raquoUm diese Uhrzeitlaquo fragte ihre Mutter die gerade mit einer Tasse Kraumlutertee ins Wohnzimmer trat

raquoEs ist kurz nach achtlaquoNun blickte auch Leopold auf sah sie an als witterte er

hinter ihrem Wunsch eine tiefere WahrheitraquoEs ist nur ein Spazierganglaquo sagte sie und haumltte am

liebsten die Augen verdreht raquoMir geht so viel im Kopf

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herum und ich kann meine Gedanken beim Gehen am besten sortierenlaquo

raquoWie war eigentlich deine Klausurlaquo wollte ihr Mut-ter nun wissen

raquoGut denke ichlaquo Emma ging in den Flur nahm einen leichten Mantel vom Haken legte sich einen Seidenschal um und warf noch einen kurzen Blick in den Spiegel Seit kurzem trug sie ihr hellbraunes Haar knapp schulterlang und in groszlige Locken gelegt die sie mit einer Spange seit-lich zuruumlckhielt Jetzt zupfte sie ein wenig daran herum bis sie schlieszliglich zufrieden war und verlieszlig die Wohnung Sie wohnten in der ersten Etage direkt uumlber der Arztpraxis die Wohnung im zweiten Stock stand derzeit leer Fruumlher einmal hatte Emmas Groszligmutter dort gewohnt aber sie lebte bereits seit fast dreiszligig Jahren bei ihrer Tochter erst in Hamburg und seit kurz vor dem Krieg in Muumlnchen da der Ehemann von Emmas Tante dorthin versetzt worden war Leider kam sie nur noch selten zu Besuch da lange Reisen sie zu sehr anstrengten Emma bedauerte das denn sie mochte ihre Groszligmutter die auch mit achtzig noch ruumlstiger und scharfsinniger war als manch junge Frau die Emma kannte

Es daumlmmerte bereits und die langen Schatten des spauml-ten Nachmittags waren ineinandergekrochen verdichte-ten sich langsam und entfaumlrbten den Tag zu einem lich-ten Grau Seit zwei Jahren stellte man die Uhren nicht mehr zur Sommerzeit um und anfangs war es ungewohnt gewesen dass die Sommertage nun um eine Stunde kuumlr-zer waren aber man gewoumlhnte sich daran Waumlhrend des Krieges hatte es eine Zeit gegeben in der fortwaumlhrend

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Sommerzeit gegolten hatte und man die Uhren uumlberhaupt nicht mehr umstellte irgendwann war ein konzeptloses Wechseln erfolgt Dann war die Regelung durch die Besat-zungsmaumlchte wieder geaumlndert worden und sie bestimm-ten eine Umstellung auf die Sommerzeit ndash wobei diese in der sowjetischen Besatzungszone Berlins 1945 ganze zwei Monate laumlnger gedauert hatte Jetzt endlich hatte die Regierung sich auf eine einheitliche Zeit festgelegt die fuumlr das gesamte Jahr galt ndash die Ruumlckkehr zur Normalzeit Emma hoffte dass das so blieb

Als sie durch die Straszlige spazierte hier und da einen heimkehrenden Nachbarn oder Bekannten gruumlszligte ndash die Tochter des Herrn Doktor kannte man im gesamten Vier-tel ndash fiel ihr ein Mann auf der gerade ein Haus verlieszlig sich noch einmal umdrehte einem weiteren Mann der in der offenen Tuumlr stand etwas sagte und dann durch den Vorgarten schritt und auf sein Auto zuging Dominik Lichtenthal Emma blieb stehen sah ihn an wusste nicht ob sie zu ihm gehen und houmlflich gruumlszligen oder ihn ignorie-ren sollte Er nahm ihr die Entscheidung ab als er sie be-merkte kurz stutzte als muumlsste er ihr Gesicht erst einem Namen zuordnen und sie dann anlaumlchelte

raquoGuten Abend Emma Wie geht es dirlaquoSie ging auf ihn zu raquoSehr gut vielen Danklaquo Sie wusste

nie so recht ob sie ihn duzen sollte oder nicht denn einer-seits war er ein Fremder andererseits aber der Ehemann ihrer Tante und damit praktisch ihr Onkel

raquoIch habe gehoumlrt du studierst ChemielaquoraquoJa ich werde diesen Sommer fertiglaquoraquoUnd dann geht es in den Konzern deiner Mutterlaquo

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Unschluumlssig hob Emma die Schultern raquoAch das weiszlig ich noch gar nichtlaquo

Dominik Lichtenthal schloss seinen Wagen auf raquoWenn du dich lieber auf dem freien Markt umsehen moumlchtest sag Bescheid ich kann faumlhige Chemiker immer gebrau-chenlaquo

Es war schon fast skurril dass Emma diesen Gedanken erst vor kurzem gehegt hatte und ihn nun ausgesprochen houmlrte Da sie nicht rundheraus ablehnen wollte dankte sie ihm und nachdem sie ihm gesagt hatte er moumlge seine Familie von ihr gruumlszligen stieg er in seinen Wagen und fuhr los Im Grunde genommen war das doch albern dass ihre Mutter immer noch nichts mit ihrer Schwester zu tun haben wollte Emma kannte die alte Geschichte und natuumlr lich war es hart auf einen Schlag sein gesam-tes Erbe zu verlieren und die unvermittelt aufgetauchte fremde Schwester als einzige Gewinnerin in dieser Situa-tion zu sehen aber das Ganze war jetzt gut fuumlnfundzwan-zig Jahre her irgendwann musste es doch mal gut sein Und es war ja nun wahrlich nicht so als wuumlrde der Besitz des Hauses in der Friedrichstraszlige noch einen nennenswer-ten Unter schied im Vermoumlgen ihrer Mutter machen Im Gegenteil ndash waumlre sie dort geblieben haumltte sie es vielleicht nie so weit gebracht

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Juni 1952

Die einstmals goldene Zeit merkte man der ehemaligen Amuumlsiermeile auf der Friedrichstraszlige nicht mehr an und Helena verspuumlrte jedes Mal beim Besuch ihres Schoumlnheits-salons diesen Stich des Bedauerns Als sie in den Zwan-zigern hier angekommen war hatte das Leben pulsiert mit Autos Bussen Bahnen Fuszliggaumlngern Radfahrern und noch vereinzelten Droschken Die Kreuzung an der Leip-ziger Straszlige war ein so verkehrsreicher Knotenpunkt ge-wesen dass es fuumlr die aus der Provinz stammende Helena anfangs schon eine Herausforderung gewesen war lebend von einer Straszligenseite auf die andere zu gelangen

Nach dem Krieg war die Straszlige eine von Ruinen ge-saumlumte Schuttwuumlste geworden und auch wenn die Truumlm-mer in weiten Teilen fortgeraumlumt waren so erinnerte doch nur wenig an fruumlher Helena hatte mehrfach uumlberlegt den Schoumlnheitssalon einfach aufzugeben aber das brachte sie nicht uumlber sich Vielleicht normalisierte sich hier ja alles irgendwann wieder das konnte doch nicht ewig so blei-ben Ihr Schoumlnheitssalon in der Friedrichstraszlige befand sich im Amerikanischen Sektor der in Berlin-Mitte gehoumlrte nun zur DDR ihr Werk wiederum zum Franzoumlsischen

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Sektor Dominiks sowie ihr Wohnsitz lagen im Britischen Sektor Das war doch auf Dauer kein Zustand Den Salon in Berlin-Mitte hatte sie aufgeben muumlssen und sie sah sich bereits nach Alternativen um

Als Helena in den Salon trat kam ihr Ida ndash fruumlher Wag-ner jetzt Zeller ndash entgegen raquoKaffeelaquo

raquoUnbedingtlaquo Helena haumlngte ihren Mantel an die Gar-derobe und betrat den Salon Es war noch fruumlh und sie wuumlrden erst in einer halben Stunde oumlffnen Ida hatte schon in den Dreiszligigern die Leitung des Salons uumlbernommen als Helena damit beschaumlftigt gewesen war einen weiteren in Berlin-Mitte zu eroumlffnen

raquoWie geht es den MaumldchenlaquoHelena setzte sich in einen der bequemen Besucher-

stuumlhle wo die Frauen sich bei einer Tasse Kaffee oder Tee und etwas Gebaumlck entspannen konnten raquoMarion faumlngt bei mir im Werk an der Termin steht jetztlaquo Das war Schock und freudige Uumlberraschung zugleich gewesen und Helena wusste selbst nicht ob ihre Bestuumlrzung oder ihre Freude uumlberwog Natuumlrlich hatte sie gehofft dass Marion als Aumlrztin praktizierte immerhin hatte sie stu-diert und damit ein klares Ziel vor Augen gehabt Ande-rerseits freute es sie dass ihre Tochter Interesse an ihrem Unternehmen zeigte ndash und nicht an Dominiks wie eine kleine nicht zu unterdruumlckende Stimme des Triumphs in ihr betonte raquoUnd Fanny schlieszligt das Schuljahr mit sehr guten Noten ablaquo

raquoMathematik macht ihr wieder SpaszliglaquoraquoNachdem Ferdinands Ehefrau es ihr erklaumlrt hat was

ihr unfaumlhiger Lehrer offenbar nicht hinbekommtlaquo Fer-

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dinand war der Patenonkel beider Toumlchter und seine Frau eine begabte Mathematikerin

Die Schwangerschaft mit Fanny hatte Helena seinerzeit einen gehoumlrigen Schrecken eingejagt All die Jahre hatte sie es erfolgreich vermieden zu empfangen und dann als die Welt am Abgrund stand kuumlndigte sich neues Leben an Schlimm genug mitanzusehen wie Marion bereits in der Schule darauf vorbereitet wurde in den BDM einzu-treten da wollte sie diesem System nicht noch ein Kind schenken Es war Rudolf Liliengrund gewesen dem Fanny es zu verdanken hatte dass Helena keinen Abbruch hatte vornehmen lassen

raquoGerade in diesen Zeiten sollten die Anstaumlndigen sich vermehrenlaquo

Ihr lieber Rudolf der seine gesamte Familie verloren und selbst nur knapp und unter Entbehrungen die Flucht geschafft hatte weil er zu lange gezoumlgert geglaubt hatte es wuumlrde alles gut werden Und so hatte Helena Fanny aus-getragen hatte schon in der Schwangerschaft eine so innige Beziehung zu dem Kind gehabt wie sie es sich nicht hatte vorstellen koumlnnen Es war ganz anders als mit Marion zu der sie erst eine enge Bindung hatte aufbauen koumlnnen als diese bereits ein Kleinkind gewesen war Waumlhrend Marion von Geburt an ein Papakind war so war Fanny von Geburt an ganz und gar ihre Tochter Helena hatte sie sogar mit zur Arbeit genommen weil sie sich nicht von ihr trennen mochte hatte sie im Buumlro gestillt und in der Wiege neben sich schlafen lassen Undenkbar dieses Baby jemand ande-rem anzuvertrauen Dabei liebte sie Marion nicht weniger und sie verstand auch im Nachhinein nicht warum sie bei

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beiden Kindern schon in der Schwangerschaft so unter-schiedlich empfunden hatte

raquoDu solltest endlich aufhoumlren das zu hinterfragenlaquo hatte ihre beste Freundin Irene Danelius gesagt raquoEs ist jetzt wie es ist Freu dich einfach Gerade jetzt haben wir alle wahrhaftig Probleme genug da muss man nicht auch noch welche hinzuredenlaquo

Als im November 1938 die Synagogen brannten hatte Irene das Land verlassen raquoIch komme zuruumlck wenn der Irrsinn vorbei istlaquo hatte sie gesagt und war nach Amerika gegangen Dort war sie zur Filmgroumlszlige geworden hatte einen bekannten Produzenten geheiratet und lebte nach wie vor in den Vereinigten Staaten Helena vermisste sie immer noch sehr und war auch schon einmal mit ihrer Familie in New York gewesen um sie zu besuchen

raquoFahrt ihr diesen Sommer weglaquo fragte Ida und setzte sich nun ebenfalls

raquoAuf jeden Fall fuumlr zwei Wochen zu meiner Mutter Und von da aus vielleicht weiter in Richtung Schweizlaquo Vor allem auf die Zeit bei ihrer Mutter freute sich Helena das waren jedes Mal schoumlne Tage mit all den fruumlheren Freunden und Bekannten sowie mit der Baronin fuumlr die sie und ihre Mutter fruumlher gearbeitet hatten und bei der ihre Mutter nun den Altersruhesitz hatte Fuumlr Helenas Familie standen immer Gaumlstezimmer bereit Ein wenig behandelte man sie dort wie eine Prominente die Dienst-botentochter die es in der Weltmetropole zu etwas ge-bracht hatte mit einem reichen Mann verheiratet war und mit Filmstars verkehrte

Kurz darauf trafen die uumlbrigen Mitarbeiterinnen ein

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und dann kamen auch schon die ersten Kundinnen Helena unterhielt sich mit einigen der Damen beriet hier und da persoumlnlich und machte sich dann auf den Weg ins Werk Unmittelbar nach dem Krieg war es schwierig gewesen die Rohstoffe fuumlr die Produktion von Kosmetik aufzutrei-ben vielfach waren sie nur zu Schwarzmarktpreisen zu be-kommen Viele Rohstoffe wurden in der Pharmaindustrie dringender benoumltigt und natuumlrlich hatte die medizini-sche Versorgung Vorrang vor der kosmetischen Gerade nach dem Krieg hatten sie alle andere Sorgen gehabt wes-halb Helenas Werk voruumlbergehend die Produktion um-stellte und der chemischen Industrie zuarbeitete waumlhrend die Schoumlnheitssalons Obdachlosen offenstanden Erst vier Jahre nach Kriegsende als der Hungerwinter vorbei war und die Menschen durch die Waumlhrungsreform wieder uumlber Geld verfuumlgten hatte Helena Kosmetikherstellung und Schoumlnheitsbehandlungen wieder aufgenommen

Im Werk ging Helena direkt in ihr Buumlro und sah sich Werbeentwuumlrfe an Sie liebte ihre Arbeit und sie machte ihr nach wie vor Spaszlig allerdings fehlte ihr die Heraus-forderung Die Kosmetik entwickelte sich stetig weiter und mittlerweile war Forschung und Entwicklung eine eigene Abteilung in ihrem Unternehmen Natuumlrlich freute sie sich daruumlber aber sie vermisste die Zeiten in denen sie selbst in ihrer Fertigung gesessen und experimentiert hatte Vielleicht war es wirklich gut dass Marion hier demnaumlchst etwas frischen Wind hereinbringen wuumlrde Wie wohl Charlotte darauf reagierte dass Helena ihr nun Konkurrenz machen wuumlrde

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Emma houmlrte den Streit bis ins Wohnzimmer Ihre Mutter hielt Leopold vor er naumlhme die Arbeit nicht ausreichend ernst und bringe sich zu wenig ein Wie er bei dem Ge-schaumlftstermin am Vortag nur dagesessen und auf einmal zu zittern begonnen habe Wenn es nicht anders ging dann solle er eben seine Medikamente wieder nehmen Und ndash verdammt noch mal ndash endlich mehr Nervenstaumlrke zei- gen

Auch an diesem Morgen hatte es schon wieder damit begonnen dass Leopold beim Fruumlhstuumlck sehr still gewe-sen war was fuumlr Emma immer ein Zeichen fuumlr schlimme Traumlume war Auf Ausfuumlhrungen ihrer Mutter zu dem heu-tigen Arbeitstag hatte er nur genickt was diese wiederum zu dem Schluss kommen lieszlig dass er sich nur unzurei-chend interessierte Uumlberhaupt habe er keine innovativen Ideen arbeite den Tag ab ohne echtes Interesse zu zeigen an dem was er tat Irgendwann war ein handfester Streit ausgebrochen der auch dann noch anhielt als Emma das Esszimmer verlassen hatte und nun in der Kuumlche den Ab-wasch machte Schlieszliglich hielt sie es nicht mehr aus lief ins Esszimmer zuruumlck

raquoWas willst du eigentlichlaquo fuhr sie ihre Mutter an raquoEr tut doch alles was er solllaquo

raquoEmma lass nurlaquo sagte Leopold raquoIch mache helliplaquoraquoNein ich lasse es nicht Koumlnnen wir nicht mal einen

Morgen friedlich verbringen wie andere Familien auch Muss hier immer den ganzen Tag uumlber Streit herrschen und abends gehen wir dann versoumlhnt schlafen Wozu Um am naumlchsten Tag wieder loszulegen Das ist doch nicht mehr auszuhaltenlaquo

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raquoWie redest du eigentlich mit mirlaquo Die Stimme ihrer Mutter war ganz kalt geworden bar jeder Emotion

raquoIch helliplaquo Die aufbrausende Wut fiel von Emma ab und sie wusste nicht mehr was sie nun sagen sollte raquoIch hellip ich habe heute keine Uni und wollte ohnehin fragen ob ich mit ins Werk kannlaquo Der Einfall war ihr gerade erst ge-kommen raquoIch koumlnnte Leo zuarbeiten und so schon einmal Einblicke bekommenlaquo

Die frostglitzernde Wut im Blick ihrer Mutter schmolz zu Uumlberraschung raquoAch waslaquo

raquoIch habe mir lange uumlberlegt was ich mit meinem Che-miestudium machelaquo

raquoHeiszligt das es steht nicht zu erwarten dass du dich nun nach einer passenden Partie umsiehstlaquo Fuumlr jemanden der selbst gluumlcklich verheiratet gewesen war zeigte ihre Mut-ter eine sehr ablehnende Haltung zu Emmas Eheplaumlnen

raquoNoch ist ja niemand in Aussicht nicht wahrlaquo ver-setzte Emma der Hoffnung einen Daumlmpfer

Ihre Mutter schien damit zufrieden zu sein raquoSchoumln dann beeil dich wir brechen gleich auflaquo

Sie und Leopold fuhren in der Regel gemeinsam los und Leopold lieszlig dann den Wagen fuumlr sie im Werk und kehrte puumlnktlich zum Buumlroschluss mit der Bahn nach Hause zu-ruumlck Das tat er vermutlich vor allem aus dem Grund weil er den Abstand brauchte

raquoIch habe uumlbrigens gehoumlrt dass Marion in der Chariteacute aufhoumlrtlaquo erzaumlhlte Emma als sie auf der Ruumlckbank des Wagens Platz genommen hatte

raquoWelche Marionlaquo fragte ihre Mutter und Emma haumltte gerne gewusst ob sie das wirklich nicht wusste

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raquoUnsere CousinelaquoraquoUnd warum sollte es mich interessieren was diese Per-

son tutlaquoraquoWeil sie deine Nichte ist moumlglicherweiselaquoVon hinten konnte Emma das Schulterzucken sehenraquoAuf jeden Fall heiszligt es sie wollte in das Unternehmen

von Tante Helena einsteigenlaquo Mit einiger Befriedigung bemerkte Emma dass ihre Mutter bei dieser persoumlnlichen Bezeichnung kaum merklich zusammenzuckte

raquoIn der TatlaquoraquoSie hat einige Semester Chemie studiert das hatte ich

doch erzaumlhltlaquoraquoJa hattest du Auch dass sie es mit deinem Chemie-

professor getrieben hatlaquoraquoMutterlaquo kam es von LeopoldraquoDas habe ich nie gesagtlaquo Emma lehnte sich vor als

koumlnne sie ihren Worten damit mehr Nachdruck verleihen raquoIch sagte sie gehen miteinander auslaquo

raquoWenn sie nach ihrer Mutter kommt gibt es das eine nicht ohne das andere Gerne auch zum Nachteil der eigenen Familie Sind deine Noten bei besagtem Profes-sor nicht danach schlechter gewordenlaquo

raquoDas war bei Professor Guenther nicht bei Professor Hellweg mit dem Marion aus war Meine Guumltelaquo Emma hatte langsam genug Dieser sture verbohrte Zorn ihrer Mutter war nicht mehr zu ertragen Mit Ende vierzig konnte sie sich auf jeden Fall noch nicht mit Altersstarr-sinn herausreden raquoHoumlr zu wenn das hier jeden Morgen der Beginn meines Arbeitstages wird sag es direkt dann reicht mir der einmalige Ausflug in dein Unternehmen

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und ich bewerbe mich morgen beim Pharmaunternehmen Lichtenthallaquo

Ihre Mutter fuhr herum raquoDas wagst du nichtlaquoraquoLass es gerne darauf ankommenlaquoLange sah ihre Mutter sie an dann zuckte es um ihre

Lippen Widerspruchsgeist gefiel ihr und sie schien auf einmal versoumlhnt Emma wuumlrde bleiben wuumlrde es allein um Leopolds willen tun Vielleicht wuumlrde es leichter fuumlr ihn mit ihr an seiner Seite

Das ehemalige Werksgelaumlnde hatte in Berlin-Oberschouml-neweide gestanden aber sie waren noch vor dem Krieg um-gezogen was sich als richtige Entscheidung erwiesen hatte wenngleich zu der Zeit noch niemand hatte wissen koumlnnen dass dieser Stadtteil unter sowjetische Verwaltung gestellt werden wuumlrde Das jetzige Werk stand in Berlin-Tempel-hof im Amerikanischen Sektor und hatte im Krieg ebenfalls gelitten Sie fuhren durch das Tor und Leopold parkte den Wagen auf der dafuumlr vorgesehenen Flaumlche auf der weitere Autos Motorraumlder und Mopeds standen

Ihre Mutter begleitete sie bis in die Etage in der sich die Raumlumlichkeiten der Geschaumlftsfuumlhrung befanden dann ging sie in ihr Buumlro waumlhrend Emma Leopold in seines be-gleitete

raquoWeiszligt dulaquo sagte er als er auf einen der Stuumlhle wies raquodu musst das nicht tunlaquo

raquoWas meinst dulaquo Emma lieszlig sich auf der Besucherseite seines Schreibtischs nieder

raquoDas weiszligt du genau Mich hierher zu begleiten ob-wohl du nie im Sinn hattest in der Firma zu arbeiten Du musst mich nicht vor Mutter beschuumltzenlaquo

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raquoDas tue ich doch gar nichtlaquoLeopold antwortete nicht ging nur zur Tuumlr oumlffnete sie

und rief in das gegenuumlberliegende Zimmer der beiden Sekretaumlrinnen dass man ihm und seiner Schwester bitte Kaffee bringen moumlge raquoEs war nie dein Plan hier zu ar-beitenlaquo

raquoPlaumlne koumlnnen sich aumlndernlaquoraquoVon einem Tag auf den anderenlaquoraquoJa warum denn nicht Und wer sagt uumlberhaupt dass

es so abrupt war Vielleicht denke ich ja schon laumlnger da-ruumlber nach und habe dir einfach noch nichts erzaumlhltlaquo Emma zog einen Bleistift aus dem Stiftebecher und drehte ihn zwischen den Fingern raquoUumlbrigens hat mir Dominik Lichtenthal ein Stellenangebot gemachtlaquo Gespannt be-obachtete sie Leopolds Reaktion

raquoWannlaquoraquoIch bin ihm mal abends beim Spaziergang begegnetlaquoraquoUnd da hat er dir ndash ohne dich und deine Befaumlhigung

so recht zu kennen ndash eine Stelle angebotenlaquoraquoWir haben uns kurz unterhalten und er weiszlig dass ich

Chemie studiere Da meinte er wenn ich nicht fuumlr Mutter arbeiten wolle solle ich mich bei ihm melden er koumlnne faumlhige Chemiker immer gebrauchenlaquo

raquoMutter enterbt dich wenn du das tustlaquoraquoDas waumlre nicht so schlimm denn dann erbst du alles

und wirst mir meinen Teil einfach auszahlenlaquoraquoIst das solaquoraquoNatuumlrlichlaquo Emma zog ihre Zigaretten hervorraquoDu willst doch wohl hier nicht rauchenlaquoAnstelle einer Antwort steckte sie sich eine Zigarette

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zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

bei Lichtenthal in Aussicht und einem groszligzuumlgigen Bru-der der dir deinen Erbanteil abtrittlaquo

Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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Teil 1

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Mai 1952

raquoFraumlulein Franziska LichtenthallaquoMarion sah von ihrem Buch auf und ihre juumlngere Schwes-

ter Fanny an raquoIch glaube der Direktor ist gar nicht erst den Umweg uumlber Mutter gegangen sondern hat sich direkt an Vater gewandtlaquo

Fannys Blick huschte zur Tuumlr raquoWenn er dafuumlr extra nach Hause kommt ist er wirklich sauerlaquo

raquoWas hast du erwartetlaquoZu einer Antwort kam Fanny nicht mehr denn nun

stand ihr Vater in der offenen Tuumlr des Salons und taxierte das sechzehnjaumlhrige Maumldchen das auf dem Boden saszlig den Hund auf dem Schoszlig die Augen in gespielter Arglosig-keit geweitet raquoJa Papalaquo

raquoOberstudiendirektor Wendt hat mich gerade angeru-fen Kannst du dir denken warumlaquo

raquoHat ihn vielleicht ein Missgeschick ereiltlaquoUm Marions Mundwinkel zuckte es was ihrem Vater

nicht entging denn sein strafender Blick traf sie ehe er sich wieder auf die Juumlngere richtete raquoIch kann das wahr-haftig nicht komisch finden junge Damelaquo

Fanny schwieg und warf die blonden Locken zuruumlck sah

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ihren Vater auf eine Weise an die nicht anders als aufsaumls-sig zu bezeichnen war

raquoIch habe dir den Umgang mit diesem Kerl verbotenlaquoDieser Kerl war der achtzehnjaumlhrige Lukas von Buch-

wald in den sich Fanny rettungslos verliebt hatte und den ihr Vater fuumlr einen Taugenichts hielt

raquoDu hast zwei Wochen Hausarrestlaquo beschied er ihrraquoDas kannst du nicht machenlaquoraquoIch trete dir umgehend den Beweis anlaquoraquoUnd der ReitstalllaquoraquoDort wird man eine Weile ohne dich auskommen muumls-

sen Ein solches Verhalten wie du es derzeit an den Tag legst dulde ich nichtlaquo

Fanny presste die Lippen zusammen sah ihren Vater an dann wandte sie sich ab streichelte wieder den Hund der die Augen wohlig geschlossen hatte

raquoDu hast mir sonst also nichts dazu zu sagenlaquo fragte er erneut

SchweigenraquoAlso gutlaquo Ihr Vater wandte sich ab und verlieszlig den

SalonraquoUnd das ist es dir wirklich wertlaquo fragte Marion

raquoWas hatte er uumlberhaupt in deiner Schule zu suchen Hat er selbst keinen Unterrichtlaquo

raquoEr hat geschwaumlnzt um mich zu sehenlaquoMarion ersparte sich einen Kommentar darauf Sie

wusste nicht recht was sie davon halten sollte aber sie wollte sich nicht zu offen gegen den Jungen aussprechen da sie befuumlrchtete Fanny koumlnnte sich ihr sonst kuumlnftig nicht mehr anvertrauen Nachdem Lukas von Buchwald

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sich in die Schule geschlichen hatte waumlren die beiden bei-nahe zusammen erwischt worden und so waren sie schnell in den erstbesten Raum geschluumlpft der sich ihnen geboten hatte ndash das Direktorenzimmer Dort war Fanny gegen ein Tintenfass gestoszligen dessen Inhalt sich uumlber die Schreib-unterlage und die darauf liegenden Papiere ergossen hatte Die Schulsekretaumlrin hatte dem Herrn Direktor Kaffee bringen wollen und Fanny prompt erwischt Daraufhin war Wendt umgehend in seinem Buumlro erschienen hatte Fanny eine kraumlftige Ohrfeige verpasst und Lukas am Ohr aus der Schule gezogen

raquoDu haumlttest Vater sagen sollen dass er dich geschla-gen hatlaquo

raquoDas haumltte ja nichts geaumlndertlaquoraquoDu weiszligt dass er das nicht duldetlaquo Ein Lehrer hatte es

einmal gewagt Marion mit dem Zeigestock auf die Haumlnde zu klopfen als sie zehn Jahre alt gewesen war Ihr Vater war daraufhin in die Schule gegangen und hatte dem Leh-rer angedroht dass er ihn mit seinem eigenen Stock ver-pruumlgele wenn er das jemals wieder wagen sollte raquoMeine Tochter wird nicht geschlagenlaquo hatte er gesagt raquoGeben Sie ihr Strafaufgaben auf lassen Sie sie nachsitzen aber er-heben Sie nie wieder die Hand gegen sielaquo

raquoIst doch jetzt auch gleichlaquo Fanny stand auf raquoKomm Mortimerlaquo Mortimer war ein kleiner Mischlingsruumlde der seit sieben Jahren bei ihnen wohnte und Fanny nur selten von der Seite wich raquoGehen wir in den Garten das darf ich ja gewiss nochlaquo

Marion sah ihr nach dann schlug sie das Magazin zu und stand auf Es war gleich zwei Zeit sich fuumlr den Dienst

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im Krankenhaus umzukleiden Sie hatte im Vorjahr ihr letztes Examen absolviert und somit ihr Medizinstudium mit Bestleistungen beendet Nur war ihr schon waumlh-rend des Studiums aufgefallen dass sie zwar die Medizin liebte nicht jedoch den Alltag als Aumlrztin Urspruumlnglich hatte sie mit der Pharmazie geliebaumlugelt aber letzten En-des hatte ihr Interesse an der Medizin gesiegt insbeson-dere an der Dermatologie Conrad Rudorf der im Krieg gefallene Ehemann ihrer Tante Charlotte war Dermato-loge gewesen und gemeinsam hatten sie ein Unternehmen gegruumlndet das sich auf medizinische Kosmetik speziali-siert hatte Dabei war Charlotte zugutegekommen dass sie sich als Pharmazeutin mit Wirkstoffen gut auskannte Dieses Taumltig keitsfeld faszinierte Marion und obwohl ihre Tante und ihre Mutter kein gutes Verhaumlltnis zueinander hatten kam Marion mit ihrer Cousine Emma recht gut aus ebenso mit ihrem Cousin Leopold dem Haupterben von Dr Rudorf Kosmetik

In ihrem Zimmer zog Marion sich um sah ein weiteres Mal auf die Uhr und seufzte Den Entschluss sich auf ein anderes Betaumltigungsfeld zu konzentrieren hatte sie schon vor Monaten endguumlltig gefaumlllt bisher hatte sie es nur noch niemandem erzaumlhlt Ihr Vater war so stolz auf sie gewesen als sie als Aumlrztin an die Chariteacute gegangen war Wuumlrde er enttaumluscht von ihr sein All die Arbeit und das Geld das in ihr Studium geflossen waren ins Feld fuumlhren um sie von ihrem Entschluss abzubringen Sie hatte lange gezouml-gert und die Entscheidung gut durchdacht Den Muti-gen gehoumlrt die Welt sagte man doch Nun Marion wuumlrde sehen ob das auch fuumlr sie galt

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Das Haus in der Friedrichstraszlige wo alles begonnen hatte hatte Helena behalten und sie betrieb den Schoumlnheitssa-lon dort weiterhin wenngleich sie vor dem Krieg einen zweiten Standort mit groszligzuumlgigeren Raumlumlichkeiten er-oumlffnet hatte Aber an diesem Haus hingen so viele Erinne-rungen da hatte sie es nicht uumlbers Herz gebracht sich da-von zu trennen Aber baulich veraumlndert hatte sie es hatte innen die Waumlnde durchbrechen lassen sodass man vom Verkaufsraum durch einen Tuumlrbogen in den angrenzen-den Raum kam der fruumlher die Fertigung enthalten hatte Hier war jetzt ein weiterer Raum fuumlr Kosmetikbehand-lungen entstanden ebenfalls durch einen Durchbruch mit dem Raum dahinter verbunden wo sich der urspruumlngli-che Schoumlnheitssalon befand Fruumlher einmal hatte Helena auch die Wohnung oben in der sie und ihre Schwester in ihren Anfaumlngen gewohnt hatten in Raumlumlichkeiten fuumlr Kosmetik und Schoumlnheitsbehandlungen umwandeln wol-len doch dann waren durch den Krieg so viele Menschen heimatlos geworden dass es ihr dekadent erschienen waumlre intakten Wohnraum auf diese Art zu nutzen Es war ja nicht so dass sie das Geld noumltig hatte das Kosmetikun-ternehmen Rosenberg war schon waumlhrend der Dreiszligiger-jahre groszlig geworden und warf viel Geld ab Zu jener Zeit war der Schoumlnheitssalon lediglich eine weitere Einkom-mensquelle gewesen

Zunaumlchst hatte sie die Wohnung kostenfrei zwei hei-matlosen Familien uumlberlassen die jeweils zwei Raumlume be-wohnten und sich Kuumlche sowie Bad teilten Es war Hele-nas bescheidener Beitrag gewesen das Gefuumlhl endlich etwas tun zu koumlnnen und wenn es nur das war Menschen

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voruumlbergehend ein Zuhause zu geben Mittlerweile hatte sich die Situation entspannt aber Wohnraum wurde nach wie vor benoumltigt Dominik hatte die Wohnung renovieren lassen und seither wurde sie vermietet

Das Unternehmen Rosenberg hatte sich rasant entwickelt inzwischen wurde Helenas Kosmetik in einem eigenen Werk hergestellt in dem sie eine ganze Reihe an Angestell-ten beschaumlftigte Sie selbst war zwar Eigentuumlmerin hatte aber einen Geschaumlftsfuumlhrer sowie Mitarbeiter fuumlr Buchhal-tung und Finanzen Da Helena sich nach wie vor am meis-ten fuumlr die Entwicklung und Forschung interessierte war das der Bereich ihres Unternehmens in dem sie sich vor-zugsweise aufhielt

An diesem Nachmittag verlieszlig sie das Werk etwas fruuml-her denn Dominik hatte ihr am Telefon von dem Vorfall in Fannys Schule erzaumlhlt Das war wieder so typisch Ging es um Dinge wie ein Kuchen fuumlr den Schulbasar oder das Abholen eines Kindes weil ihm unwohl war dann rief man Helena an obwohl Dominik von seinem Werk in Charlottenburg Nord schneller an der Schule sein konnte als Helena aus Tegel War aber etwas vorgefallen das laut Meinung des Direktors dringend einer Sanktion beduumlrfe wendete er sich direkt an Dominik Helena haumltte laumlngst aufhoumlren sollen sich daruumlber aufzuregen denn schon zu Marions Schulzeiten war es nicht anders gewesen aber dennoch aumlrgerte sie sich jedes Mal von Neuem daruumlber

Als Helena die Tuumlr zu ihrer in Berlin-Grunewald gele-genen Villa oumlffnete kam ihr Hund Mortimer in die Ein-gangshalle gelaufen sprang um sie herum drehte eine Runde durch die Halle kam wieder zu ihr und stellte sich

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auf die Hinterbeine ndash das hatte Fanny mit ihm geuumlbt Helena ging in die Knie und kraulte den Hund dann er-hob sie sich und sah Fanny an die Mortimer gefolgt war und in der Tuumlr zum Salon stand

raquoLukas von BuchwaldlaquoFanny nickte schweigendraquoDir haumltte doch klar sein muumlssen dass das unweigerlich

zu Aumlrger fuumlhrtlaquoraquoIch wusste ja nicht dass er kommtlaquoraquoUnd trotzdem hast du dich darauf eingelassen dich

mit ihm in der Schule zu versteckenlaquoraquoWo er doch schon mal da war helliplaquoraquoUnd wie haben seine Eltern reagiertlaquoFanny zuckte mit den SchulternHelena erfuhr es noch vor dem Abendessen als Herr von

Buchwald anrief und nach Dominik fragteraquoSie werden mit mir vorliebnehmen muumlssenlaquo erklaumlrte

Helena kuumlhlDaraufhin erklaumlrte er ihr Dominik persoumlnlich habe da-

fuumlr zu sorgen dass seine Tochter seinen Sohn kein weiteres Mal zum Schuleschwaumlnzen ermutigte raquoDas kann ich nicht duldenlaquo fuhr er fort und beendete das Gespraumlch bruumlsk

raquoPapa hat mir zwei Wochen Hausarrest aufgebrummtlaquo beschwerte sich Fanny

raquoDann wirst du das wohl durchstehen muumlssenlaquo Eine Regel in ihrer Erziehung war dass sie einander nicht in den Ruumlcken fielen und sich nicht gegeneinander ausspie-len lieszligen

Fanny seufzte ergebenraquoHast du deine Hausaufgaben gemachtlaquo

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raquoJa Auch die StrafarbeitlaquoHelena nickte und ging in die Kuumlche wo das Abend-

essen vorbereitet auf der Anrichte stand Sie beschaumlftigten nach wie vor eine Haushaumllterin die zudem gelernte Kouml-chin war Im Gegensatz zu fruumlher kam die jetzige Haus-haumllterin morgens um acht ging um fuumlnf und hatte am Wochenende frei Auszligerdem hatten sie eine Zugehfrau die einmal woumlchentlich kam Die Zeiten da das Perso-nal im Haus naumlchtigte und staumlndig zur Verfuumlgung stand waren vorbei Dank der modernen Errungenschaften wie der elektrischen Waschmaschine ging die Arbeit mitt-lerweile schneller von der Hand und die Zeiten da man einen kompletten Tag fuumlr die Waumlsche einplanen musste waren vorbei

Der Hund kam in den Vorraum setzte sich auf die Hin-terpfoten und sah Helena aus dunklen glaumlnzenden Augen an den Kopf leicht schief gelegt

raquoIst schon Zeit fuumlrs Futterlaquo Helena sah auf die Uhr raquoEin Stuumlndchen musst du dich noch geduldenlaquo Sie ging zur Anrichte und zog eine Schublade auf Mortimer der wusste was sich dort fuumlr Schaumltze verbargen war ihr ge-folgt und stand nun aufgeregt neben ihr Wie Helenas ers-ter Hund Estelle hatte auch er eine Schwaumlche fuumlr Rinder-haut und so gab sie ihm ein gerolltes Stuumlck und ging mit ihm in den Salon der mittlerweile verwaist war Helena zuumlndete sich eine Zigarette an und rauchte waumlhrend sie den kleinen Hund beobachtete der auf der Leckerei he-rumkaute

Ihr damaliger Hund Estelle war im Alter von siebzehn Jahren ndash das schaumltzte Helena zumindest denn sie hatte

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Estelle auf der Straszlige aufgelesen ndash gestorben Sie war noch sehr jung gewesen als Helena sie gefunden und adop tiert hatte Nur ihre Kinder und ihre Mutter hatte sie mehr geliebt als Estelle was Dominik recht konsterniert zur Kenntnis genommen hatte

raquoDich liebe ich anderslaquo hatte sie ihm erklaumlrtSie war gluumlcklich daruumlber gewesen dass Estelle ein so

hohes Alter erreicht hatte obwohl mit jedem Jahr die Angst naumlher ruumlckte dass der Moment des Abschieds nicht mehr gar so fern war Eines Nachmittags war Estelle ge-schwankt als haumltte sie Schlagseite Fanny die damals erst sechs Jahre alt gewesen war hatte geglaubt der Hund mache Faxen

raquoGuck mal Mama wie komisch Estelle laumluftlaquoHelena jedoch hatte es in diesem Moment gespuumlrt hatte

gewusst dass es nun so weit war Den restlichen Tag uumlber lag Estelle in ihrem Koumlrbchen wollte dieses auch nicht zum Fressen verlassen verschmaumlhte selbst ihre geliebten Leckereien blickte nur hin und wieder auf und schaute Helena mit ihren lieben Hundeaugen an In dieser Nacht hatte Helena das Koumlrbchen in ihr Zimmer geholt es neben ihr Bett gestellt und fast die ganze Nacht wachgelegen eine Hand auf Estelles warmem Fell sodass sie spuumlrte wie sich die Flanke hob und senkte

Morgens war Helena in aller Fruumlhe aufgestanden waumlh-rend Dominik noch neben ihr schlief Dann setzte sie sich neben das Koumlrbchen auf den Boden und streichelte den kleinen Hund der die Augen geschlossen hielt aber noch atmete Vielleicht so dachte sie blieb ja doch noch Zeit Vielleicht brauchte Estelle nur Ruhe Dann jedoch oumlffnete

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ihr kleiner Hund die Augen sah sie an versuchte sich auf-zurichten aber Helena legte ihr beruhigend die Hand auf das Koumlpfchen streichelte sie

raquoScht meine Kleine ist ja gutlaquo hatte sie gemurmelt raquoDu darfst jetzt gehenlaquo

Estelle hatte die Augen wieder geschlossen und irgend-wann hatte sich die Flanke nach dem letzten Atemzug nicht mehr gehoben

Danach wollte Helena keinen Hund mehr Als Domi-niks Schwester Ariana vorgeschlagen hatte einen neuen zu kaufen vielleicht wuumlrde man sogar einen finden der aussah wie Estelle waumlre sie ihr fast ins Gesicht gesprun-gen Aber Mortimer hatte sie gefunden wie Estelle vor-mals Nach dem Krieg war Helena durch die Stadt ge-gangen hatte versucht von ihren Lebensmittelmarken etwas zu essen zu bekommen als sie den kleinen Hund bemerkte der in den Truumlmmern nach etwas zu fressen suchte Er war schmutzig weiszlig mit groszligen schwarzen Fle-cken und einem wolligen Fell das ganz verfilzt war Hoff-nungsvoll hatte er sie angesehen aber Helena war mit dem Korb im Arm weitergegangen

raquoEs tut mir leid mein Kleiner es reicht kaum fuumlr unslaquoEr war ihr gefolgt und hatte Schritt gehalten als Helena

die ihren beschleunigte raquoEs ist sinnloslaquo hatte sie gesagt raquoSuch dir jemanden der weniger Maumluler zu stopfen hatlaquo

Bis zum Eingangstor ihres Hauses war er ihr gefolgt und lieszlig sich nicht abwimmeln raquoSo hier trennen sich unsere Wegelaquo sagte sie ihm als koumlnnte er sie verstehen Aber er hob nur das Bein an der Mauer raquoDamit machst du dich bei Dominik gewiss beliebt So und jetzt geh unser

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Haushalt ertraumlgt keine zwei Maumlnner erst recht nicht wenn einer davon sein Revier markiertlaquo

Der Hund hatte sich auf die Hinterbeine gesetzt und sie angesehen Als Helena sich abgewandt hatte war der Hund ihr gefolgt und hinter ihr die Treppe hochgelau-fen In der Eingangshalle war ihr Dominik entgegenge-kommen

raquoMortimer wohnt jetzt hierlaquo hatte sie ihm erklaumlrt und dabei war es geblieben

Der Hund war nur noch wenig gewachsen ging ihr bis zur Mitte der Wade war kompakter als Estelle und auch frecher Zur Arbeit nahm Helena ihn nie mit er verbrachte viel Zeit mit Fanny sah auch jetzt auf als sie den Salon betrat die Leine in der Hand Sofort sprang der Hund auf und lief schwanzwedelnd zu ihr was mit dem kleinen Stummelschwanz immer sehr drollig aussah

raquoWir gehen noch eine Rundelaquo erklaumlrte sieraquoEine Rundelaquo betonte Helena raquoOhne Umwege oder

heimliche TreffenlaquoEin Schatten flog uumlber das Gesicht ihrer Tochter und

Helena hob eine BraueraquoJa eine Rundelaquo sagte Fanny so uumlberdeutlich dass man

es schon fast patzig nennen konnte Sie beugte sich zu Mortimer und befestigte die Leine am Halsband

Fanny fand es in houmlchstem Maszlige anstrengend dass ihre Eltern sie fortwaumlhrend wie ein Kind behandelten Da war Lukas ganz anders er behandelte sie wie eine junge Frau Ihre Eltern hingegen bezeichneten Lukas der immerhin im kommenden Jahr das Abitur machen wuumlrde als Halb-

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wuumlchsigen kaum mehr als ein Knabe Dabei wuumlrde er im Herbst achtzehn werden Ihr Vater hatte ihn sogar als un-verschaumlmten Bengel bezeichnet als sei er noch ein Kind

Mit Mortimer an der Leine verlieszlig sie das Haus und atmete auf als sie drauszligen war Zwei Wochen Hausar-rest das war doch nicht auszuhalten Sie schritt rasch aus atmete die fruumlhlingsmilde Luft ein in der schon die Vor-boten des Sommers lagen Mortimer blieb stehen schnup-perte hob einmal das Bein und lief dann wieder forsch vor-weg Aufmerksam sah Fanny sich um verlangsamte den Schritt als sie auf die Straszligenecke zuging Und da stand er wartete wie stets um diese Uhrzeit auf sie Fannys An-gespanntheit zerschmolz in einem Laumlcheln und sie ging nun wieder schneller raquoIch hatte schon befuumlrchtet deine Eltern verpassen dir auch Hausarrestlaquo

Lukas hatte sich eine Zigarette in den Mund gesteckt und zuckte laumlssig mit den Schultern raquoMein Vater hat he-rumlamentiert von wegen Schule und Verantwortung und ich hab so getan als wuumlrdrsquos mich interessieren aber das warrsquos dann auch schon Hier magst dulaquo Er hielt ihr seine Zigarette hin und Fanny nahm einen Zug obwohl sie den Geschmack scheuszliglich fand Aber sie gab sich laumls-sig und zog noch ein weiteres Mal daran unterdruumlckte da-bei ein Husten

Sie und Lukas trafen sich jeden Tag hier wenn Fanny ihre Hunderunde drehte raquoIch kann heute nur kurzlaquo sagte sie raquoEin Wunder dass meine Mutter mich uumlberhaupt rausgelassen hatlaquo

raquoImmerhin hast du es geschafft Schrecklich dass sie dich so kontrollieren Da ist es gut dass du den Hund hast

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da bietet sich immer ein Vorwandlaquo Lukas sah Mortimer an und blieb auf Abstand Einmal hatte er den Versuch ge-macht den Hund zu streicheln und Mortimer hatte nach ihm geschnappt Das hatte Fanny erschreckt denn an sich war er der liebste Hund den man sich vorstellen konnte raquoDas hat er noch nie getanlaquo hatte sie beteuert

raquoDas ist ganz normal bei diesen Winzlingenlaquo hatte Lukas geantwortet raquoDie sind immer so giftig vermut-lich weil sie sich minderwertig fuumlhlen Ein echter Hund beginnt ab Kniehoumlhelaquo

Das hatte Fanny ihm uumlbelgenommen aber er hatte sich entschuldigt und betont Mortimer habe genau die rich-tige Groumlszlige fuumlr einen Maumldchenhund

Ihre Freundinnen beneideten sie gluumlhend um diesen gutaussehenden Bankierssohn nur ihre beste Freundin Nele mochte ihn nicht und nannte ihn einen groszligspuri-gen Angeber raquoVertrau dem Urteil deines Hundeslaquo hatte sie gesagt Das blieb ein Streitpunkt zwischen ihnen ob-wohl Nele in manchem was sie sagte durchaus richtiglag Nachdem sie und Lukas in der Schule erwischt worden waren hatte Nele gesagt raquoUm was wetten wir dass nur du den Aumlrger bekommstlaquo

Fanny fand das ziemlich ungerecht denn schlieszliglich hatte Lukas die Grenze uumlberschritten und nicht sie Waumlh-rend sie nebeneinanderher gingen haderte sie mit dem harschen Urteil ihres Vaters uumlber Lukas Wenn er es ihr nicht staumlndig so schwermachen wuumlrde ihn zu sehen waumlren solche Eskapaden ja ganz und gar uumlberfluumlssig Bisher war-tete sie immer noch vergebens auf den ersten Kuss aber es ergab sich einfach nicht die Gelegenheit

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raquoBei Franz Heikamp findet naumlchstes Wochenende eine Party stattlaquo erzaumlhlte Lukas raquoSeine Eltern sind verreist Gehst du mit mir hinlaquo

Ein heftiges Kribbeln stob in Fannys Bauch auf ge-folgt von dem Gefuumlhl der Ernuumlchterung raquoDas erlauben mir meine Eltern nie und noch dazu habe ich Hausarrestlaquo Lukas stieszlig einen entnervten kleinen Pfiff aus und Fanny befuumlrchtete seine Geduld mit ihr arg zu strapazieren raquoEs tut mir leidlaquo fuumlgte sie hinzu

raquoSchon gut ist ja nicht deine Schuld Dann eben ein anderes Mallaquo

Sie haumltte sich gern bei ihm eingehakt wagte es aber nicht denn die Gefahr dass ein Bekannter sie sah war ein-fach zu groszlig und dann konnte sie sich nicht mit einer zu-faumllligen Begegnung herausreden Auch so blieb ihr Blick stets wachsam auf die Straszlige gerichtet Und so entdeckte sie ihren Cousin Erich der im Auto an ihr vorbeifuhr auch gerade noch ehe er sie sehen konnte Fanny unterdruumlckte ein Stoumlhnen Konnte man so viel Pech haben

raquoMein Vetterlaquo sagte sie raquoWenn der uns sieht erfaumlhrt mein Vater das sofortlaquo

Wieder verdrehte Lukas entnervt die Augen raquoWenn du nicht so ein tolles Maumldchen waumlrst wuumlrde mich das hier schwer nervenlaquo

raquoEs tut mir leidlaquoraquoSchon gutlaquo Er lieszlig sich zuruumlckfallen schenkte ihr ein

Laumlcheln bei dem ihr die Knie weich wurden dann drehte er sich um und ging in die entgegengesetzte Richtung davon

Erich war ihr Cousin vaumlterlicherseits und Geschaumlftsfuumlh-

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rer im Pharmaunternehmen Lichtenthal und da er sich mit ihrem Vater ausnehmend gut verstand war sich Fanny sicher er wuumlrde es ihm sofort zutragen wenn er sie mit Lukas gesehen haumltte Seufzend ging Fanny weiter und als sie zu Hause ankam sah sie Erichs Wagen an der Straszlige stehen Sie ging durch das Eingangstor auf die elterliche Villa zu lieszlig Mortimer von der Leine der begeistert uumlber die Einfahrt tollte In der Eingangshalle begegnete sie Erich Er sah Fanny an laumlchelte hob leicht die Brauen und unwillkuumlrlich fragte sie sich ob er sie nicht doch mit Lukas bemerkt hatte Allerdings sagte er kein Wort dazu gruumlszligte nur und fragte was die Schule mache

Marion fuhr mit der Elektrischen ins Werk ihres Vaters Nach und nach erhob sich Berlin aus den Truumlmmern lebte und pulsierte Ganze Straszligenzuumlge waren veraumlndert ehe-mals Vertrautes wirkte fremd und waumlhrend die Erwachse-nen damit beschaumlftigt waren aus den Uumlberbleibseln etwas Neues zu erschaffen waren die klaffenden Ruinen fuumlr die Kinder ein riesiger Abenteuer spielplatz

Berlin war nach dem Krieg von den Alliierten in vier Besatzungszonen aufgeteilt worden wurde von den Sieger-maumlchten Frankreich England USA und der Sowjet union verwaltet und kontrolliert und seither gab es Zonengren-zen ndash Schlagbaumlume Farbmarkierungen an Baumlumen oder weiszlig-gelbe Holzpfosten ndash und wer von einer Zone in die

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naumlchste wollte brauchte mancherorts eine Genehmigung Fuumlr Reisen zwischen der Westzone und der sowjetischen Besatzungszone gab es Interzonenpaumlsse und es waren erste Grenzanlagen auf der Ostseite errichtet worden Stachel-drahthindernisse in Waldgebieten Sperren an Straszligen und dabei blieb es nicht sondern es war im Jahr nach Kriegsende eine Grenzpolizei eingesetzt und sogar der Ge-brauch fuumlr Schusswaffen geregelt worden Die Abrieglung des Ostens war ein Schock fuumlr die Menschen in Berlin

raquoDas kann doch nicht seinlaquo hatte sich Marions Mutter empoumlrt raquoEs war ja ohnehin schon ein Aufwand von einem Teil der Stadt in den anderen zu kommen und jetzt soll man auch noch aufpassen nicht erschossen zu werdenlaquo

Was Marion jedoch weit mehr Sorge bereitete war der Umstand dass seit diesem Tag dem achtundzwanzigs-ten Mai West-Berlin durch die Regierung in der Sow-jetzone vom Umland getrennt wurde Schon an den bei-den Tagen zuvor war die innerdeutsche Demarkationslinie nach Unter zeichnung des Bonner Deutschlandvertrags ab-geriegelt worden und es gab nun einen zehn Meter langen Kontrollstreifen einen fuumlnfhundert Meter langen Schutz-streifen sowie eine fuumlnf Kilometer weite Sperrzone Damit war der bisher geduldete kleine Grenzverkehr eingestellt worden Selbst die Telefonverbindungen zwischen West- und Ost-Berlin waren von der Regierung gekappt wor- den

Marion fragte sich wie es jetzt mit dem Schoumlnheits-salon weitergehen sollte der in Berlin-Mitte lag und so-mit im Teil der Stadt der nun von der Deutschen Demo-kratischen Republik verwaltet wurde Da ihre Mutter das

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Geschaumlft zwar in Ost-Berlin betrieb aber in West-Berlin ihren Wohnsitz hatte war ihr ndash wie vielen anderen Ge-werbetreibenden auch ndash die Gewerbeerlaubnis entzogen worden Wer in West-Berlin lebte aber in einem Betrieb in Ost-Berlin angestellt war ndash so wie Marion in der Cha-riteacute ndash wurde zum Umzug aufgefordert oder entlassen Da-mit sparte Marion sich die Kuumlndigung

Die Straszligen ins Umland wurden gesperrt offen bleiben durften nur jene die von den Alliierten als Zufahrtswege in die Bundesrepublik festgelegt worden waren Fuumlr die Menschen in West-Berlin bedeutete das den Verlust ihrer Besitztuumlmer im Osten Natuumlrlich wurden Passierscheine in Aussicht gestellt aber das bedeutete nicht automatisch dass diese genehmigt wurden Auch der Anhalter Bahnhof war stillgelegt worden es gab keine Zuumlge mehr die aus dem Osten nach West-Berlin fuhren

raquoMittlerweile liegt Italien fuumlr uns naumlher als Potsdamlaquo hatte Helena geschimpft

Auch das Werksgebaumlude von Lichtenthal-Pharma hatte einen Treffer abbekommen als eine Sprenggranate in einen Fluumlgel eingeschlagen hatte Der Bereich war nach wie vor eingezaumlunt und die Bauarbeiten schritten stetig voran Ihr Vater hatte die Gelegenheit genutzt und legte den Fluumlgel etwas weitraumlumiger an was dem Gebaumlude ein asymmetri-sches Aussehen verlieh

Marion warf dem Portier einen Gruszlig zu wechselte ein paar Worte mit den Mitarbeitern an der Rezeption und fuhr dann mit dem Aufzug hinauf in die Chefetage Die Tuumlr zum Vorzimmer stand offen und Marion sah wie die Sekretaumlrin ihres Vaters Frau Weiller sich gerade an-

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schickte mit einem Tablett auf dem Kaffeekanne und Tasse standen die Tuumlr zum Buumlro ihres Vaters zu oumlffnen

raquoDas uumlbernehme ichlaquo bot Marion an und nahm der Frau das Tablett ab raquoIch moumlchte sowieso kurz zu ihmlaquo Waumlhrend sie das Tablett in der einen Hand balancierte druumlckte sie mit der anderen die Tuumlr auf raquoBringen Sie mir bitte auch noch eine Tasselaquo

raquoNatuumlrlich kommt sofort Fraumlulein LichtenthallaquoIhr Vater saszlig an seinem Schreibtisch und sah auf als sie

eintrat raquoNa so etwas Planst du einen beruflichen Wech-sellaquo

raquoIn der Tat nur werde ich dann nicht deine Empfangs-damelaquo Marion stellte das Tablett ab und schenkte Kaffee ein Im naumlchsten Moment trat Frau Weiller ein brachte ein zusaumltzliches Gedeck und ein Milchkaumlnnchen

raquoIch weiszlig doch dass Sie Ihren Kaffee nicht schwarz trinkenlaquo sagte sie an Marion gewandt

Nachdem sie gegangen war und die Tuumlr hinter sich ge-schlossen hatte setzte Marion sich ihrem Vater gegenuumlber in einen der beiden Besucherstuumlhle

raquoWas meintest du damit dass du in der Tat einen be-ruflichen Wechsel planstlaquo fragte Dominik Lichtenthal

Marion trank einen weiteren Schluck raquoIch hatte eigent-lich vorgehabt meine Kuumlndigung bei der Chariteacute einzu-reichen wobei das ja nun nicht mehr noumltig ist Ich liebe die Medizin doch der Alltag einer Aumlrztin ist nicht das Richtige fuumlr michlaquo

Das traf ihren Vater vollkommen unerwartet hatte er doch damit gerechnet dass sie in der naumlchsten Zeit ihren Facharzt anstreben wuumlrde raquoSo ploumltzlichlaquo

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raquoIch denke da tatsaumlchlich schon eine ganze Zeit lang druumlber nachlaquo

raquoUnd was willst du stattdessen tun In die Pharmazielaquo Offenbar erinnerte er sich gerade an die paar Semester Che-mie die sie nebenher studiert und waumlhrend derer sie eine kurze Liaison mit einem Chemieprofessor gehabt hatte

raquoNein auch das nichtlaquo Die Kenntnisse in Chemie waren indes durchaus zu etwas gut raquoIch moumlchte bei Mama mitarbeitenlaquo

Unglaumlubig sah ihr Vater sie an raquoDu hast ein komplettes Medizinstudium mit hervorragenden Noten abgeschlos-sen und dann sieht deine Berufswahl so aus Frauen Farbe ins Gesicht zu malenlaquo

Marion musste lachen raquoLass das bloszlig nie Mama houmlren Du weiszligt doch genau dass Kosmetik mehr ist als Frauen Farbe ins Gesicht zu malen Mich interessiert medizini-sche Kosmetik Wie du siehst ist mein Studium nicht vergebens gewesenlaquo

raquoDu kannst doch in die Dermatologie gehenlaquoraquoJa koumlnnte ich Ich koumlnnte aber auch in die Forschung

gehen und medizinische Kosmetik entwickelnlaquoraquoDu koumlnntest auch bei mir in die pharmazeutische For-

schung gehenlaquoraquoDas geht doch Hand in Hand Paps Ich weiszlig dass du

sicher enttaumluscht bist aber helliplaquoraquoNeinlaquo fiel er ihr ins Wort raquoIch bin nicht enttaumluscht

Es ging mir nie darum dass du meine Erwartungen er-fuumlllst sondern stets nur deine eigenen Ich gestehe ich war gluumlcklich als du mir eroumlffnet hast dass du Aumlrztin werden willst aber letzten Endes ist mir am wichtigsten dass du

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zufrieden bist mit dem was du tust Ich bitte dich nur die Entscheidung zu uumlberdenkenlaquo

raquoDu kannst davon ausgehen dass ich das getan habe Ich habe lange und gruumlndlich daruumlber nachgedachtlaquo

raquoWeiszlig deine Mutter bereits davonlaquoraquoNein ich bin zuerst zu dir gekommenlaquoIhr Vater nickte zog seine Zigaretten hervor und

steckte eine an raquoSie wird sich freuen dass du mit ihr zu-sammenarbeiten wirst Und die Taumltigkeit als Aumlrztin laumluft dir ja nicht davon du hast ein abgeschlossenes Studium und kannst jederzeit deinen Facharzt machen wenn du merkst dass das vielleicht doch nicht das Richtige fuumlr dich ist Dir ist aber klar dass du mit medizinischer Kosmetik in Konkurrenz zu deiner Tante Charlotte trittstlaquo

raquoJa durchaus Aber wie sagst du immer Konkurrenz belebt das Geschaumlftlaquo Mit ihrer Tante hatte Marion nur selten Kontakt Auf Feiern lief man sich hin und wieder uumlber den Weg aber damit erschoumlpfte es sich auch schon Im Grunde war das bedauerlich denn Charlottes Tochter Emma war ganz reizend und Marion hatte schon einige interessante Unterhaltungen mit ihr gefuumlhrt wenn sie sich denn mal begegnet waren Auch Emmas Bruder Leopold war sehr freundlich und umgaumlnglich wenngleich er seit dem Krieg verschlossen und in sich gekehrt wirkte Im letzten Jahr hatte er noch an die Front gemusst der arme Kerl Da war sein Vater gerade gestorben und Leopold hatte nicht nur den Verlust zu verkraften gehabt sondern war selbst in dem unheilvollen Mahlwerk des Krieges auf-gerieben worden

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Emma Rudorf saszlig mit einem Buch in der Hand im Wohn-zimmer und houmlrte ihren Bruder heimkommen Den gan-zen Tag war Leopold im Werk von Dr Rudorfs medizi-nische Kosmetik gewesen und an seinem schleppenden Schritt houmlrte Emma wie erschoumlpft er sein musste Ver-mutlich hatte er wieder mit Mutter gestritten und bei dem Gedanken daran wie diese ihm zusetzte packte sie die Wut Sie legte ihr Buch beiseite und stand auf ging in den Flur wo sich Leopold gerade die Schuhe auszog Er sah ihrem Vater aumlhnlich hatte zwar dunkleres Haar aber seine Gesichtszuumlge und er wirkte mit der Brille ein wenig professorenhaft

Als er Emma bemerkte laumlchelte er raquoWie gehtrsquoslaquo fragte er mit gespielter Munterkeit

raquoGut Und dirlaquoraquoViel zu tun Und bei dir Wie war die KlausurlaquoraquoIch denke ich habe bestandenlaquo Emma wuumlrde im

naumlchsten Sommer ihr Chemiestudium abschlieszligenraquoEtwas anderes habe ich auch nicht erwartetlaquoraquoIch habe Abendessen gemacht Kommt Mama auch

gleichlaquoraquoNein sie meinte sie haumltte noch viel zu tunlaquoWie immer Fuumlr Charlotte Rudorf gab es seit dem Tod

ihres Mannes nur noch das Werk sie arbeitete wie beses-sen als koumlnnte das den Schmerz des Verlustes betaumluben Emma hatte sich so oft gewuumlnscht sie wuumlrde daruumlber nicht staumlndig vergessen dass sie zwei Kinder hatte und sich nur dann an sie erinnern wenn es etwas auszusetzen gab Vor allem Leopold war ihr ein fortwaumlhrendes Aumlrgernis

raquoDu warst ein Jahr im Krieglaquo pflegte sie zu sagen

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raquound du bist in einem Stuumlck zuruumlckgekommen Wie lange willst du noch in Truumlbsal versinken anstatt endlich wieder mit beiden Beinen im Leben zu stehenlaquo

Was ihre Mutter Truumlbsal nannte war eine tiefe innere Wunde die der Krieg geschlagen hatte und Emma fragte sich warum sie diese sehen konnte nicht aber die Frau die ihn geboren hatte Dann kamen wieder diese Geschich-ten uumlber all die Kriegsheimkehrer die es auch schafften ihr Leben in den Griff zu bekommen obwohl sie deutlich laumlnger im Krieg aufgerieben worden waren Wie schlimm konnte da das eine Jahr schon gewesen sein Einzig fuumlr Emmas Albtraumlume durch die Bombardierung hatte sie Verstaumlndnis denn diese war zu der Zeit gerade vierzehn Jahre alt gewesen Da spielte wohl auch die Erinnerung mit hinein wie Emma an sie geschmiegt im Keller ge-sessen und gewartet hatte bis die Bombardierung vorbei war waumlhrend sie beide Angst gehabt hatten dass Leopold vielleicht schon tot war

raquoIsst du mit mir zu Abendlaquo fragte er nunraquoKlar ich habe auf dich gewartetlaquoLeopold wuumlrde im Juli vierundzwanzig werden und hatte

sein Pharmaziestudium im letzten Jahr abgeschlossen Er haumltte lieber Maschinenbau studiert war schon seit Kinder-tagen davon fasziniert gewesen Aber es war klar gewesen dass er das Familienwerk erben wuumlrde Allenfalls haumltte er noch Arzt werden koumlnnen um die Praxis ihres Vaters zu uumlbernehmen die nun ein anderer Arzt gemietet hatte

Da sie nur zu zweit waren aszligen sie zwanglos in der Kuumlche und Leopold deckte den Tisch waumlhrend Emma den Brotkorb Butter Kaumlse und Aufschnitt hinstellte und alles

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in den Dosen belieszlig was ihre Mutter stets als mangelnde Esskultur bezeichnete Emma hingegen war es zu viel Auf-wand jetzt alles auf Tellern anzuordnen nur um dann das meiste wieder zuruumlckzufuumlllen und wegzuraumlumen und mehr zum Abspuumllen zu haben Sie lieszlig sich ihrem Bruder gegen-uumlber am Tisch nieder Im Gegensatz zu ihrer Mutter hatte Emma bislang keine groszligen beruflichen Ambitionen ge-habt sie studierte Chemie allein aus dem Grund weil es sie interessierte aber sie hatte keine konkreten Plaumlne da-ruumlber hinaus ndash ein staumlndiges Aumlrgernis fuumlr Charlotte Ru-dorf Emmas Plan war gewesen zum Zeitvertreib etwas zu studieren das ihr Spaszlig machte und danach zu heiraten Im Laufe des Studiums hatte sich ihr Interesse allerdings ge-wandelt In der Fakultaumlt war sie hin und wieder ihrer Cou-sine Marion uumlber den Weg gelaufen die mit einem von Emmas Professoren ausgegangen war und sie fand sie glei-chermaszligen interessant wie inspirierend Sie hatte sogar kurz mit dem Gedanken gespielt sich im Pharmakonzern Lich-tenthal zu bewerben aber da haumltte vermutlich eine Andeu-tung gereicht und ihre Mutter waumlre die Waumlnde hochge-gangen Mit ihrer Schwester Helena hatte sie sich schon vor Jahren entzweit und eine Annaumlherung war nicht in Sicht

Beim Essen plauderten sie uumlber Allgemeines Leopold zog sie mit einem Dozenten auf von dem sie ndash seiner Mei-nung nach ndash verdaumlchtig oft sprach Daraufhin erinnerte sie an die Verkaumluferin aus dem KaDeWe mit der er fortwaumlh-rend ausging ohne dass die Sache von der Stelle kam Spauml-ter raumlumten sie zusammen ab erledigten den Abwasch und wollten gerade ins Wohnzimmer gehen um das Radio ein-zuschalten als ihre Mutter die Wohnungstuumlr aufschloss

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raquoGuten Abendlaquo Charlotte Rudorf sah muumlde aus und Emma ging zu ihr um ihr den Mantel abzunehmen und ihn an die Garderobe zu haumlngen

raquoSoll ich das Abendessen wieder auf den Tisch stellenlaquo fragte Emma

raquoNein lass nur ich habe im Werk eine Kleinigkeit ge-gessenlaquo

So war es fast jeden Abend im Grunde genommen aszligen sie nur noch am Wochenende regelmaumlszligig zusammen und fanden sich ansonsten morgens zu einem raschen Fruumlh-stuumlck in der Kuumlche ein Ihre Mutter wechselte einen kur-zen Blick mit Leopold aus dem klar ersichtlich wurde dass die beiden noch vor gar nicht langer Zeit gestritten hatten ndash ganz so wie von Emma vermutet Nun jedoch zeigte sich ein zoumlgerliches Laumlcheln auf den Lippen Char-lotte Rudorfs und auch das war typisch Zum Abend hin legte sie Streit gerne bei mochte es nicht unversoumlhnt schlafen zu gehen

Im Wohnzimmer schalteten sie das Radio ein Emma houmlrte nur mit halbem Ohr hin und hatte ihr Buch wie-der aufgeschlagen war aber auch hier nicht bei der Sache Schlieszliglich gab sie es auf und beschloss noch ein wenig spazieren zu gehen

raquoUm diese Uhrzeitlaquo fragte ihre Mutter die gerade mit einer Tasse Kraumlutertee ins Wohnzimmer trat

raquoEs ist kurz nach achtlaquoNun blickte auch Leopold auf sah sie an als witterte er

hinter ihrem Wunsch eine tiefere WahrheitraquoEs ist nur ein Spazierganglaquo sagte sie und haumltte am

liebsten die Augen verdreht raquoMir geht so viel im Kopf

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herum und ich kann meine Gedanken beim Gehen am besten sortierenlaquo

raquoWie war eigentlich deine Klausurlaquo wollte ihr Mut-ter nun wissen

raquoGut denke ichlaquo Emma ging in den Flur nahm einen leichten Mantel vom Haken legte sich einen Seidenschal um und warf noch einen kurzen Blick in den Spiegel Seit kurzem trug sie ihr hellbraunes Haar knapp schulterlang und in groszlige Locken gelegt die sie mit einer Spange seit-lich zuruumlckhielt Jetzt zupfte sie ein wenig daran herum bis sie schlieszliglich zufrieden war und verlieszlig die Wohnung Sie wohnten in der ersten Etage direkt uumlber der Arztpraxis die Wohnung im zweiten Stock stand derzeit leer Fruumlher einmal hatte Emmas Groszligmutter dort gewohnt aber sie lebte bereits seit fast dreiszligig Jahren bei ihrer Tochter erst in Hamburg und seit kurz vor dem Krieg in Muumlnchen da der Ehemann von Emmas Tante dorthin versetzt worden war Leider kam sie nur noch selten zu Besuch da lange Reisen sie zu sehr anstrengten Emma bedauerte das denn sie mochte ihre Groszligmutter die auch mit achtzig noch ruumlstiger und scharfsinniger war als manch junge Frau die Emma kannte

Es daumlmmerte bereits und die langen Schatten des spauml-ten Nachmittags waren ineinandergekrochen verdichte-ten sich langsam und entfaumlrbten den Tag zu einem lich-ten Grau Seit zwei Jahren stellte man die Uhren nicht mehr zur Sommerzeit um und anfangs war es ungewohnt gewesen dass die Sommertage nun um eine Stunde kuumlr-zer waren aber man gewoumlhnte sich daran Waumlhrend des Krieges hatte es eine Zeit gegeben in der fortwaumlhrend

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Sommerzeit gegolten hatte und man die Uhren uumlberhaupt nicht mehr umstellte irgendwann war ein konzeptloses Wechseln erfolgt Dann war die Regelung durch die Besat-zungsmaumlchte wieder geaumlndert worden und sie bestimm-ten eine Umstellung auf die Sommerzeit ndash wobei diese in der sowjetischen Besatzungszone Berlins 1945 ganze zwei Monate laumlnger gedauert hatte Jetzt endlich hatte die Regierung sich auf eine einheitliche Zeit festgelegt die fuumlr das gesamte Jahr galt ndash die Ruumlckkehr zur Normalzeit Emma hoffte dass das so blieb

Als sie durch die Straszlige spazierte hier und da einen heimkehrenden Nachbarn oder Bekannten gruumlszligte ndash die Tochter des Herrn Doktor kannte man im gesamten Vier-tel ndash fiel ihr ein Mann auf der gerade ein Haus verlieszlig sich noch einmal umdrehte einem weiteren Mann der in der offenen Tuumlr stand etwas sagte und dann durch den Vorgarten schritt und auf sein Auto zuging Dominik Lichtenthal Emma blieb stehen sah ihn an wusste nicht ob sie zu ihm gehen und houmlflich gruumlszligen oder ihn ignorie-ren sollte Er nahm ihr die Entscheidung ab als er sie be-merkte kurz stutzte als muumlsste er ihr Gesicht erst einem Namen zuordnen und sie dann anlaumlchelte

raquoGuten Abend Emma Wie geht es dirlaquoSie ging auf ihn zu raquoSehr gut vielen Danklaquo Sie wusste

nie so recht ob sie ihn duzen sollte oder nicht denn einer-seits war er ein Fremder andererseits aber der Ehemann ihrer Tante und damit praktisch ihr Onkel

raquoIch habe gehoumlrt du studierst ChemielaquoraquoJa ich werde diesen Sommer fertiglaquoraquoUnd dann geht es in den Konzern deiner Mutterlaquo

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Unschluumlssig hob Emma die Schultern raquoAch das weiszlig ich noch gar nichtlaquo

Dominik Lichtenthal schloss seinen Wagen auf raquoWenn du dich lieber auf dem freien Markt umsehen moumlchtest sag Bescheid ich kann faumlhige Chemiker immer gebrau-chenlaquo

Es war schon fast skurril dass Emma diesen Gedanken erst vor kurzem gehegt hatte und ihn nun ausgesprochen houmlrte Da sie nicht rundheraus ablehnen wollte dankte sie ihm und nachdem sie ihm gesagt hatte er moumlge seine Familie von ihr gruumlszligen stieg er in seinen Wagen und fuhr los Im Grunde genommen war das doch albern dass ihre Mutter immer noch nichts mit ihrer Schwester zu tun haben wollte Emma kannte die alte Geschichte und natuumlr lich war es hart auf einen Schlag sein gesam-tes Erbe zu verlieren und die unvermittelt aufgetauchte fremde Schwester als einzige Gewinnerin in dieser Situa-tion zu sehen aber das Ganze war jetzt gut fuumlnfundzwan-zig Jahre her irgendwann musste es doch mal gut sein Und es war ja nun wahrlich nicht so als wuumlrde der Besitz des Hauses in der Friedrichstraszlige noch einen nennenswer-ten Unter schied im Vermoumlgen ihrer Mutter machen Im Gegenteil ndash waumlre sie dort geblieben haumltte sie es vielleicht nie so weit gebracht

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Juni 1952

Die einstmals goldene Zeit merkte man der ehemaligen Amuumlsiermeile auf der Friedrichstraszlige nicht mehr an und Helena verspuumlrte jedes Mal beim Besuch ihres Schoumlnheits-salons diesen Stich des Bedauerns Als sie in den Zwan-zigern hier angekommen war hatte das Leben pulsiert mit Autos Bussen Bahnen Fuszliggaumlngern Radfahrern und noch vereinzelten Droschken Die Kreuzung an der Leip-ziger Straszlige war ein so verkehrsreicher Knotenpunkt ge-wesen dass es fuumlr die aus der Provinz stammende Helena anfangs schon eine Herausforderung gewesen war lebend von einer Straszligenseite auf die andere zu gelangen

Nach dem Krieg war die Straszlige eine von Ruinen ge-saumlumte Schuttwuumlste geworden und auch wenn die Truumlm-mer in weiten Teilen fortgeraumlumt waren so erinnerte doch nur wenig an fruumlher Helena hatte mehrfach uumlberlegt den Schoumlnheitssalon einfach aufzugeben aber das brachte sie nicht uumlber sich Vielleicht normalisierte sich hier ja alles irgendwann wieder das konnte doch nicht ewig so blei-ben Ihr Schoumlnheitssalon in der Friedrichstraszlige befand sich im Amerikanischen Sektor der in Berlin-Mitte gehoumlrte nun zur DDR ihr Werk wiederum zum Franzoumlsischen

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Sektor Dominiks sowie ihr Wohnsitz lagen im Britischen Sektor Das war doch auf Dauer kein Zustand Den Salon in Berlin-Mitte hatte sie aufgeben muumlssen und sie sah sich bereits nach Alternativen um

Als Helena in den Salon trat kam ihr Ida ndash fruumlher Wag-ner jetzt Zeller ndash entgegen raquoKaffeelaquo

raquoUnbedingtlaquo Helena haumlngte ihren Mantel an die Gar-derobe und betrat den Salon Es war noch fruumlh und sie wuumlrden erst in einer halben Stunde oumlffnen Ida hatte schon in den Dreiszligigern die Leitung des Salons uumlbernommen als Helena damit beschaumlftigt gewesen war einen weiteren in Berlin-Mitte zu eroumlffnen

raquoWie geht es den MaumldchenlaquoHelena setzte sich in einen der bequemen Besucher-

stuumlhle wo die Frauen sich bei einer Tasse Kaffee oder Tee und etwas Gebaumlck entspannen konnten raquoMarion faumlngt bei mir im Werk an der Termin steht jetztlaquo Das war Schock und freudige Uumlberraschung zugleich gewesen und Helena wusste selbst nicht ob ihre Bestuumlrzung oder ihre Freude uumlberwog Natuumlrlich hatte sie gehofft dass Marion als Aumlrztin praktizierte immerhin hatte sie stu-diert und damit ein klares Ziel vor Augen gehabt Ande-rerseits freute es sie dass ihre Tochter Interesse an ihrem Unternehmen zeigte ndash und nicht an Dominiks wie eine kleine nicht zu unterdruumlckende Stimme des Triumphs in ihr betonte raquoUnd Fanny schlieszligt das Schuljahr mit sehr guten Noten ablaquo

raquoMathematik macht ihr wieder SpaszliglaquoraquoNachdem Ferdinands Ehefrau es ihr erklaumlrt hat was

ihr unfaumlhiger Lehrer offenbar nicht hinbekommtlaquo Fer-

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dinand war der Patenonkel beider Toumlchter und seine Frau eine begabte Mathematikerin

Die Schwangerschaft mit Fanny hatte Helena seinerzeit einen gehoumlrigen Schrecken eingejagt All die Jahre hatte sie es erfolgreich vermieden zu empfangen und dann als die Welt am Abgrund stand kuumlndigte sich neues Leben an Schlimm genug mitanzusehen wie Marion bereits in der Schule darauf vorbereitet wurde in den BDM einzu-treten da wollte sie diesem System nicht noch ein Kind schenken Es war Rudolf Liliengrund gewesen dem Fanny es zu verdanken hatte dass Helena keinen Abbruch hatte vornehmen lassen

raquoGerade in diesen Zeiten sollten die Anstaumlndigen sich vermehrenlaquo

Ihr lieber Rudolf der seine gesamte Familie verloren und selbst nur knapp und unter Entbehrungen die Flucht geschafft hatte weil er zu lange gezoumlgert geglaubt hatte es wuumlrde alles gut werden Und so hatte Helena Fanny aus-getragen hatte schon in der Schwangerschaft eine so innige Beziehung zu dem Kind gehabt wie sie es sich nicht hatte vorstellen koumlnnen Es war ganz anders als mit Marion zu der sie erst eine enge Bindung hatte aufbauen koumlnnen als diese bereits ein Kleinkind gewesen war Waumlhrend Marion von Geburt an ein Papakind war so war Fanny von Geburt an ganz und gar ihre Tochter Helena hatte sie sogar mit zur Arbeit genommen weil sie sich nicht von ihr trennen mochte hatte sie im Buumlro gestillt und in der Wiege neben sich schlafen lassen Undenkbar dieses Baby jemand ande-rem anzuvertrauen Dabei liebte sie Marion nicht weniger und sie verstand auch im Nachhinein nicht warum sie bei

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beiden Kindern schon in der Schwangerschaft so unter-schiedlich empfunden hatte

raquoDu solltest endlich aufhoumlren das zu hinterfragenlaquo hatte ihre beste Freundin Irene Danelius gesagt raquoEs ist jetzt wie es ist Freu dich einfach Gerade jetzt haben wir alle wahrhaftig Probleme genug da muss man nicht auch noch welche hinzuredenlaquo

Als im November 1938 die Synagogen brannten hatte Irene das Land verlassen raquoIch komme zuruumlck wenn der Irrsinn vorbei istlaquo hatte sie gesagt und war nach Amerika gegangen Dort war sie zur Filmgroumlszlige geworden hatte einen bekannten Produzenten geheiratet und lebte nach wie vor in den Vereinigten Staaten Helena vermisste sie immer noch sehr und war auch schon einmal mit ihrer Familie in New York gewesen um sie zu besuchen

raquoFahrt ihr diesen Sommer weglaquo fragte Ida und setzte sich nun ebenfalls

raquoAuf jeden Fall fuumlr zwei Wochen zu meiner Mutter Und von da aus vielleicht weiter in Richtung Schweizlaquo Vor allem auf die Zeit bei ihrer Mutter freute sich Helena das waren jedes Mal schoumlne Tage mit all den fruumlheren Freunden und Bekannten sowie mit der Baronin fuumlr die sie und ihre Mutter fruumlher gearbeitet hatten und bei der ihre Mutter nun den Altersruhesitz hatte Fuumlr Helenas Familie standen immer Gaumlstezimmer bereit Ein wenig behandelte man sie dort wie eine Prominente die Dienst-botentochter die es in der Weltmetropole zu etwas ge-bracht hatte mit einem reichen Mann verheiratet war und mit Filmstars verkehrte

Kurz darauf trafen die uumlbrigen Mitarbeiterinnen ein

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und dann kamen auch schon die ersten Kundinnen Helena unterhielt sich mit einigen der Damen beriet hier und da persoumlnlich und machte sich dann auf den Weg ins Werk Unmittelbar nach dem Krieg war es schwierig gewesen die Rohstoffe fuumlr die Produktion von Kosmetik aufzutrei-ben vielfach waren sie nur zu Schwarzmarktpreisen zu be-kommen Viele Rohstoffe wurden in der Pharmaindustrie dringender benoumltigt und natuumlrlich hatte die medizini-sche Versorgung Vorrang vor der kosmetischen Gerade nach dem Krieg hatten sie alle andere Sorgen gehabt wes-halb Helenas Werk voruumlbergehend die Produktion um-stellte und der chemischen Industrie zuarbeitete waumlhrend die Schoumlnheitssalons Obdachlosen offenstanden Erst vier Jahre nach Kriegsende als der Hungerwinter vorbei war und die Menschen durch die Waumlhrungsreform wieder uumlber Geld verfuumlgten hatte Helena Kosmetikherstellung und Schoumlnheitsbehandlungen wieder aufgenommen

Im Werk ging Helena direkt in ihr Buumlro und sah sich Werbeentwuumlrfe an Sie liebte ihre Arbeit und sie machte ihr nach wie vor Spaszlig allerdings fehlte ihr die Heraus-forderung Die Kosmetik entwickelte sich stetig weiter und mittlerweile war Forschung und Entwicklung eine eigene Abteilung in ihrem Unternehmen Natuumlrlich freute sie sich daruumlber aber sie vermisste die Zeiten in denen sie selbst in ihrer Fertigung gesessen und experimentiert hatte Vielleicht war es wirklich gut dass Marion hier demnaumlchst etwas frischen Wind hereinbringen wuumlrde Wie wohl Charlotte darauf reagierte dass Helena ihr nun Konkurrenz machen wuumlrde

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Emma houmlrte den Streit bis ins Wohnzimmer Ihre Mutter hielt Leopold vor er naumlhme die Arbeit nicht ausreichend ernst und bringe sich zu wenig ein Wie er bei dem Ge-schaumlftstermin am Vortag nur dagesessen und auf einmal zu zittern begonnen habe Wenn es nicht anders ging dann solle er eben seine Medikamente wieder nehmen Und ndash verdammt noch mal ndash endlich mehr Nervenstaumlrke zei- gen

Auch an diesem Morgen hatte es schon wieder damit begonnen dass Leopold beim Fruumlhstuumlck sehr still gewe-sen war was fuumlr Emma immer ein Zeichen fuumlr schlimme Traumlume war Auf Ausfuumlhrungen ihrer Mutter zu dem heu-tigen Arbeitstag hatte er nur genickt was diese wiederum zu dem Schluss kommen lieszlig dass er sich nur unzurei-chend interessierte Uumlberhaupt habe er keine innovativen Ideen arbeite den Tag ab ohne echtes Interesse zu zeigen an dem was er tat Irgendwann war ein handfester Streit ausgebrochen der auch dann noch anhielt als Emma das Esszimmer verlassen hatte und nun in der Kuumlche den Ab-wasch machte Schlieszliglich hielt sie es nicht mehr aus lief ins Esszimmer zuruumlck

raquoWas willst du eigentlichlaquo fuhr sie ihre Mutter an raquoEr tut doch alles was er solllaquo

raquoEmma lass nurlaquo sagte Leopold raquoIch mache helliplaquoraquoNein ich lasse es nicht Koumlnnen wir nicht mal einen

Morgen friedlich verbringen wie andere Familien auch Muss hier immer den ganzen Tag uumlber Streit herrschen und abends gehen wir dann versoumlhnt schlafen Wozu Um am naumlchsten Tag wieder loszulegen Das ist doch nicht mehr auszuhaltenlaquo

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raquoWie redest du eigentlich mit mirlaquo Die Stimme ihrer Mutter war ganz kalt geworden bar jeder Emotion

raquoIch helliplaquo Die aufbrausende Wut fiel von Emma ab und sie wusste nicht mehr was sie nun sagen sollte raquoIch hellip ich habe heute keine Uni und wollte ohnehin fragen ob ich mit ins Werk kannlaquo Der Einfall war ihr gerade erst ge-kommen raquoIch koumlnnte Leo zuarbeiten und so schon einmal Einblicke bekommenlaquo

Die frostglitzernde Wut im Blick ihrer Mutter schmolz zu Uumlberraschung raquoAch waslaquo

raquoIch habe mir lange uumlberlegt was ich mit meinem Che-miestudium machelaquo

raquoHeiszligt das es steht nicht zu erwarten dass du dich nun nach einer passenden Partie umsiehstlaquo Fuumlr jemanden der selbst gluumlcklich verheiratet gewesen war zeigte ihre Mut-ter eine sehr ablehnende Haltung zu Emmas Eheplaumlnen

raquoNoch ist ja niemand in Aussicht nicht wahrlaquo ver-setzte Emma der Hoffnung einen Daumlmpfer

Ihre Mutter schien damit zufrieden zu sein raquoSchoumln dann beeil dich wir brechen gleich auflaquo

Sie und Leopold fuhren in der Regel gemeinsam los und Leopold lieszlig dann den Wagen fuumlr sie im Werk und kehrte puumlnktlich zum Buumlroschluss mit der Bahn nach Hause zu-ruumlck Das tat er vermutlich vor allem aus dem Grund weil er den Abstand brauchte

raquoIch habe uumlbrigens gehoumlrt dass Marion in der Chariteacute aufhoumlrtlaquo erzaumlhlte Emma als sie auf der Ruumlckbank des Wagens Platz genommen hatte

raquoWelche Marionlaquo fragte ihre Mutter und Emma haumltte gerne gewusst ob sie das wirklich nicht wusste

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raquoUnsere CousinelaquoraquoUnd warum sollte es mich interessieren was diese Per-

son tutlaquoraquoWeil sie deine Nichte ist moumlglicherweiselaquoVon hinten konnte Emma das Schulterzucken sehenraquoAuf jeden Fall heiszligt es sie wollte in das Unternehmen

von Tante Helena einsteigenlaquo Mit einiger Befriedigung bemerkte Emma dass ihre Mutter bei dieser persoumlnlichen Bezeichnung kaum merklich zusammenzuckte

raquoIn der TatlaquoraquoSie hat einige Semester Chemie studiert das hatte ich

doch erzaumlhltlaquoraquoJa hattest du Auch dass sie es mit deinem Chemie-

professor getrieben hatlaquoraquoMutterlaquo kam es von LeopoldraquoDas habe ich nie gesagtlaquo Emma lehnte sich vor als

koumlnne sie ihren Worten damit mehr Nachdruck verleihen raquoIch sagte sie gehen miteinander auslaquo

raquoWenn sie nach ihrer Mutter kommt gibt es das eine nicht ohne das andere Gerne auch zum Nachteil der eigenen Familie Sind deine Noten bei besagtem Profes-sor nicht danach schlechter gewordenlaquo

raquoDas war bei Professor Guenther nicht bei Professor Hellweg mit dem Marion aus war Meine Guumltelaquo Emma hatte langsam genug Dieser sture verbohrte Zorn ihrer Mutter war nicht mehr zu ertragen Mit Ende vierzig konnte sie sich auf jeden Fall noch nicht mit Altersstarr-sinn herausreden raquoHoumlr zu wenn das hier jeden Morgen der Beginn meines Arbeitstages wird sag es direkt dann reicht mir der einmalige Ausflug in dein Unternehmen

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und ich bewerbe mich morgen beim Pharmaunternehmen Lichtenthallaquo

Ihre Mutter fuhr herum raquoDas wagst du nichtlaquoraquoLass es gerne darauf ankommenlaquoLange sah ihre Mutter sie an dann zuckte es um ihre

Lippen Widerspruchsgeist gefiel ihr und sie schien auf einmal versoumlhnt Emma wuumlrde bleiben wuumlrde es allein um Leopolds willen tun Vielleicht wuumlrde es leichter fuumlr ihn mit ihr an seiner Seite

Das ehemalige Werksgelaumlnde hatte in Berlin-Oberschouml-neweide gestanden aber sie waren noch vor dem Krieg um-gezogen was sich als richtige Entscheidung erwiesen hatte wenngleich zu der Zeit noch niemand hatte wissen koumlnnen dass dieser Stadtteil unter sowjetische Verwaltung gestellt werden wuumlrde Das jetzige Werk stand in Berlin-Tempel-hof im Amerikanischen Sektor und hatte im Krieg ebenfalls gelitten Sie fuhren durch das Tor und Leopold parkte den Wagen auf der dafuumlr vorgesehenen Flaumlche auf der weitere Autos Motorraumlder und Mopeds standen

Ihre Mutter begleitete sie bis in die Etage in der sich die Raumlumlichkeiten der Geschaumlftsfuumlhrung befanden dann ging sie in ihr Buumlro waumlhrend Emma Leopold in seines be-gleitete

raquoWeiszligt dulaquo sagte er als er auf einen der Stuumlhle wies raquodu musst das nicht tunlaquo

raquoWas meinst dulaquo Emma lieszlig sich auf der Besucherseite seines Schreibtischs nieder

raquoDas weiszligt du genau Mich hierher zu begleiten ob-wohl du nie im Sinn hattest in der Firma zu arbeiten Du musst mich nicht vor Mutter beschuumltzenlaquo

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raquoDas tue ich doch gar nichtlaquoLeopold antwortete nicht ging nur zur Tuumlr oumlffnete sie

und rief in das gegenuumlberliegende Zimmer der beiden Sekretaumlrinnen dass man ihm und seiner Schwester bitte Kaffee bringen moumlge raquoEs war nie dein Plan hier zu ar-beitenlaquo

raquoPlaumlne koumlnnen sich aumlndernlaquoraquoVon einem Tag auf den anderenlaquoraquoJa warum denn nicht Und wer sagt uumlberhaupt dass

es so abrupt war Vielleicht denke ich ja schon laumlnger da-ruumlber nach und habe dir einfach noch nichts erzaumlhltlaquo Emma zog einen Bleistift aus dem Stiftebecher und drehte ihn zwischen den Fingern raquoUumlbrigens hat mir Dominik Lichtenthal ein Stellenangebot gemachtlaquo Gespannt be-obachtete sie Leopolds Reaktion

raquoWannlaquoraquoIch bin ihm mal abends beim Spaziergang begegnetlaquoraquoUnd da hat er dir ndash ohne dich und deine Befaumlhigung

so recht zu kennen ndash eine Stelle angebotenlaquoraquoWir haben uns kurz unterhalten und er weiszlig dass ich

Chemie studiere Da meinte er wenn ich nicht fuumlr Mutter arbeiten wolle solle ich mich bei ihm melden er koumlnne faumlhige Chemiker immer gebrauchenlaquo

raquoMutter enterbt dich wenn du das tustlaquoraquoDas waumlre nicht so schlimm denn dann erbst du alles

und wirst mir meinen Teil einfach auszahlenlaquoraquoIst das solaquoraquoNatuumlrlichlaquo Emma zog ihre Zigaretten hervorraquoDu willst doch wohl hier nicht rauchenlaquoAnstelle einer Antwort steckte sie sich eine Zigarette

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zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

bei Lichtenthal in Aussicht und einem groszligzuumlgigen Bru-der der dir deinen Erbanteil abtrittlaquo

Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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Mai 1952

raquoFraumlulein Franziska LichtenthallaquoMarion sah von ihrem Buch auf und ihre juumlngere Schwes-

ter Fanny an raquoIch glaube der Direktor ist gar nicht erst den Umweg uumlber Mutter gegangen sondern hat sich direkt an Vater gewandtlaquo

Fannys Blick huschte zur Tuumlr raquoWenn er dafuumlr extra nach Hause kommt ist er wirklich sauerlaquo

raquoWas hast du erwartetlaquoZu einer Antwort kam Fanny nicht mehr denn nun

stand ihr Vater in der offenen Tuumlr des Salons und taxierte das sechzehnjaumlhrige Maumldchen das auf dem Boden saszlig den Hund auf dem Schoszlig die Augen in gespielter Arglosig-keit geweitet raquoJa Papalaquo

raquoOberstudiendirektor Wendt hat mich gerade angeru-fen Kannst du dir denken warumlaquo

raquoHat ihn vielleicht ein Missgeschick ereiltlaquoUm Marions Mundwinkel zuckte es was ihrem Vater

nicht entging denn sein strafender Blick traf sie ehe er sich wieder auf die Juumlngere richtete raquoIch kann das wahr-haftig nicht komisch finden junge Damelaquo

Fanny schwieg und warf die blonden Locken zuruumlck sah

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ihren Vater auf eine Weise an die nicht anders als aufsaumls-sig zu bezeichnen war

raquoIch habe dir den Umgang mit diesem Kerl verbotenlaquoDieser Kerl war der achtzehnjaumlhrige Lukas von Buch-

wald in den sich Fanny rettungslos verliebt hatte und den ihr Vater fuumlr einen Taugenichts hielt

raquoDu hast zwei Wochen Hausarrestlaquo beschied er ihrraquoDas kannst du nicht machenlaquoraquoIch trete dir umgehend den Beweis anlaquoraquoUnd der ReitstalllaquoraquoDort wird man eine Weile ohne dich auskommen muumls-

sen Ein solches Verhalten wie du es derzeit an den Tag legst dulde ich nichtlaquo

Fanny presste die Lippen zusammen sah ihren Vater an dann wandte sie sich ab streichelte wieder den Hund der die Augen wohlig geschlossen hatte

raquoDu hast mir sonst also nichts dazu zu sagenlaquo fragte er erneut

SchweigenraquoAlso gutlaquo Ihr Vater wandte sich ab und verlieszlig den

SalonraquoUnd das ist es dir wirklich wertlaquo fragte Marion

raquoWas hatte er uumlberhaupt in deiner Schule zu suchen Hat er selbst keinen Unterrichtlaquo

raquoEr hat geschwaumlnzt um mich zu sehenlaquoMarion ersparte sich einen Kommentar darauf Sie

wusste nicht recht was sie davon halten sollte aber sie wollte sich nicht zu offen gegen den Jungen aussprechen da sie befuumlrchtete Fanny koumlnnte sich ihr sonst kuumlnftig nicht mehr anvertrauen Nachdem Lukas von Buchwald

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sich in die Schule geschlichen hatte waumlren die beiden bei-nahe zusammen erwischt worden und so waren sie schnell in den erstbesten Raum geschluumlpft der sich ihnen geboten hatte ndash das Direktorenzimmer Dort war Fanny gegen ein Tintenfass gestoszligen dessen Inhalt sich uumlber die Schreib-unterlage und die darauf liegenden Papiere ergossen hatte Die Schulsekretaumlrin hatte dem Herrn Direktor Kaffee bringen wollen und Fanny prompt erwischt Daraufhin war Wendt umgehend in seinem Buumlro erschienen hatte Fanny eine kraumlftige Ohrfeige verpasst und Lukas am Ohr aus der Schule gezogen

raquoDu haumlttest Vater sagen sollen dass er dich geschla-gen hatlaquo

raquoDas haumltte ja nichts geaumlndertlaquoraquoDu weiszligt dass er das nicht duldetlaquo Ein Lehrer hatte es

einmal gewagt Marion mit dem Zeigestock auf die Haumlnde zu klopfen als sie zehn Jahre alt gewesen war Ihr Vater war daraufhin in die Schule gegangen und hatte dem Leh-rer angedroht dass er ihn mit seinem eigenen Stock ver-pruumlgele wenn er das jemals wieder wagen sollte raquoMeine Tochter wird nicht geschlagenlaquo hatte er gesagt raquoGeben Sie ihr Strafaufgaben auf lassen Sie sie nachsitzen aber er-heben Sie nie wieder die Hand gegen sielaquo

raquoIst doch jetzt auch gleichlaquo Fanny stand auf raquoKomm Mortimerlaquo Mortimer war ein kleiner Mischlingsruumlde der seit sieben Jahren bei ihnen wohnte und Fanny nur selten von der Seite wich raquoGehen wir in den Garten das darf ich ja gewiss nochlaquo

Marion sah ihr nach dann schlug sie das Magazin zu und stand auf Es war gleich zwei Zeit sich fuumlr den Dienst

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im Krankenhaus umzukleiden Sie hatte im Vorjahr ihr letztes Examen absolviert und somit ihr Medizinstudium mit Bestleistungen beendet Nur war ihr schon waumlh-rend des Studiums aufgefallen dass sie zwar die Medizin liebte nicht jedoch den Alltag als Aumlrztin Urspruumlnglich hatte sie mit der Pharmazie geliebaumlugelt aber letzten En-des hatte ihr Interesse an der Medizin gesiegt insbeson-dere an der Dermatologie Conrad Rudorf der im Krieg gefallene Ehemann ihrer Tante Charlotte war Dermato-loge gewesen und gemeinsam hatten sie ein Unternehmen gegruumlndet das sich auf medizinische Kosmetik speziali-siert hatte Dabei war Charlotte zugutegekommen dass sie sich als Pharmazeutin mit Wirkstoffen gut auskannte Dieses Taumltig keitsfeld faszinierte Marion und obwohl ihre Tante und ihre Mutter kein gutes Verhaumlltnis zueinander hatten kam Marion mit ihrer Cousine Emma recht gut aus ebenso mit ihrem Cousin Leopold dem Haupterben von Dr Rudorf Kosmetik

In ihrem Zimmer zog Marion sich um sah ein weiteres Mal auf die Uhr und seufzte Den Entschluss sich auf ein anderes Betaumltigungsfeld zu konzentrieren hatte sie schon vor Monaten endguumlltig gefaumlllt bisher hatte sie es nur noch niemandem erzaumlhlt Ihr Vater war so stolz auf sie gewesen als sie als Aumlrztin an die Chariteacute gegangen war Wuumlrde er enttaumluscht von ihr sein All die Arbeit und das Geld das in ihr Studium geflossen waren ins Feld fuumlhren um sie von ihrem Entschluss abzubringen Sie hatte lange gezouml-gert und die Entscheidung gut durchdacht Den Muti-gen gehoumlrt die Welt sagte man doch Nun Marion wuumlrde sehen ob das auch fuumlr sie galt

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Das Haus in der Friedrichstraszlige wo alles begonnen hatte hatte Helena behalten und sie betrieb den Schoumlnheitssa-lon dort weiterhin wenngleich sie vor dem Krieg einen zweiten Standort mit groszligzuumlgigeren Raumlumlichkeiten er-oumlffnet hatte Aber an diesem Haus hingen so viele Erinne-rungen da hatte sie es nicht uumlbers Herz gebracht sich da-von zu trennen Aber baulich veraumlndert hatte sie es hatte innen die Waumlnde durchbrechen lassen sodass man vom Verkaufsraum durch einen Tuumlrbogen in den angrenzen-den Raum kam der fruumlher die Fertigung enthalten hatte Hier war jetzt ein weiterer Raum fuumlr Kosmetikbehand-lungen entstanden ebenfalls durch einen Durchbruch mit dem Raum dahinter verbunden wo sich der urspruumlngli-che Schoumlnheitssalon befand Fruumlher einmal hatte Helena auch die Wohnung oben in der sie und ihre Schwester in ihren Anfaumlngen gewohnt hatten in Raumlumlichkeiten fuumlr Kosmetik und Schoumlnheitsbehandlungen umwandeln wol-len doch dann waren durch den Krieg so viele Menschen heimatlos geworden dass es ihr dekadent erschienen waumlre intakten Wohnraum auf diese Art zu nutzen Es war ja nicht so dass sie das Geld noumltig hatte das Kosmetikun-ternehmen Rosenberg war schon waumlhrend der Dreiszligiger-jahre groszlig geworden und warf viel Geld ab Zu jener Zeit war der Schoumlnheitssalon lediglich eine weitere Einkom-mensquelle gewesen

Zunaumlchst hatte sie die Wohnung kostenfrei zwei hei-matlosen Familien uumlberlassen die jeweils zwei Raumlume be-wohnten und sich Kuumlche sowie Bad teilten Es war Hele-nas bescheidener Beitrag gewesen das Gefuumlhl endlich etwas tun zu koumlnnen und wenn es nur das war Menschen

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voruumlbergehend ein Zuhause zu geben Mittlerweile hatte sich die Situation entspannt aber Wohnraum wurde nach wie vor benoumltigt Dominik hatte die Wohnung renovieren lassen und seither wurde sie vermietet

Das Unternehmen Rosenberg hatte sich rasant entwickelt inzwischen wurde Helenas Kosmetik in einem eigenen Werk hergestellt in dem sie eine ganze Reihe an Angestell-ten beschaumlftigte Sie selbst war zwar Eigentuumlmerin hatte aber einen Geschaumlftsfuumlhrer sowie Mitarbeiter fuumlr Buchhal-tung und Finanzen Da Helena sich nach wie vor am meis-ten fuumlr die Entwicklung und Forschung interessierte war das der Bereich ihres Unternehmens in dem sie sich vor-zugsweise aufhielt

An diesem Nachmittag verlieszlig sie das Werk etwas fruuml-her denn Dominik hatte ihr am Telefon von dem Vorfall in Fannys Schule erzaumlhlt Das war wieder so typisch Ging es um Dinge wie ein Kuchen fuumlr den Schulbasar oder das Abholen eines Kindes weil ihm unwohl war dann rief man Helena an obwohl Dominik von seinem Werk in Charlottenburg Nord schneller an der Schule sein konnte als Helena aus Tegel War aber etwas vorgefallen das laut Meinung des Direktors dringend einer Sanktion beduumlrfe wendete er sich direkt an Dominik Helena haumltte laumlngst aufhoumlren sollen sich daruumlber aufzuregen denn schon zu Marions Schulzeiten war es nicht anders gewesen aber dennoch aumlrgerte sie sich jedes Mal von Neuem daruumlber

Als Helena die Tuumlr zu ihrer in Berlin-Grunewald gele-genen Villa oumlffnete kam ihr Hund Mortimer in die Ein-gangshalle gelaufen sprang um sie herum drehte eine Runde durch die Halle kam wieder zu ihr und stellte sich

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auf die Hinterbeine ndash das hatte Fanny mit ihm geuumlbt Helena ging in die Knie und kraulte den Hund dann er-hob sie sich und sah Fanny an die Mortimer gefolgt war und in der Tuumlr zum Salon stand

raquoLukas von BuchwaldlaquoFanny nickte schweigendraquoDir haumltte doch klar sein muumlssen dass das unweigerlich

zu Aumlrger fuumlhrtlaquoraquoIch wusste ja nicht dass er kommtlaquoraquoUnd trotzdem hast du dich darauf eingelassen dich

mit ihm in der Schule zu versteckenlaquoraquoWo er doch schon mal da war helliplaquoraquoUnd wie haben seine Eltern reagiertlaquoFanny zuckte mit den SchulternHelena erfuhr es noch vor dem Abendessen als Herr von

Buchwald anrief und nach Dominik fragteraquoSie werden mit mir vorliebnehmen muumlssenlaquo erklaumlrte

Helena kuumlhlDaraufhin erklaumlrte er ihr Dominik persoumlnlich habe da-

fuumlr zu sorgen dass seine Tochter seinen Sohn kein weiteres Mal zum Schuleschwaumlnzen ermutigte raquoDas kann ich nicht duldenlaquo fuhr er fort und beendete das Gespraumlch bruumlsk

raquoPapa hat mir zwei Wochen Hausarrest aufgebrummtlaquo beschwerte sich Fanny

raquoDann wirst du das wohl durchstehen muumlssenlaquo Eine Regel in ihrer Erziehung war dass sie einander nicht in den Ruumlcken fielen und sich nicht gegeneinander ausspie-len lieszligen

Fanny seufzte ergebenraquoHast du deine Hausaufgaben gemachtlaquo

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raquoJa Auch die StrafarbeitlaquoHelena nickte und ging in die Kuumlche wo das Abend-

essen vorbereitet auf der Anrichte stand Sie beschaumlftigten nach wie vor eine Haushaumllterin die zudem gelernte Kouml-chin war Im Gegensatz zu fruumlher kam die jetzige Haus-haumllterin morgens um acht ging um fuumlnf und hatte am Wochenende frei Auszligerdem hatten sie eine Zugehfrau die einmal woumlchentlich kam Die Zeiten da das Perso-nal im Haus naumlchtigte und staumlndig zur Verfuumlgung stand waren vorbei Dank der modernen Errungenschaften wie der elektrischen Waschmaschine ging die Arbeit mitt-lerweile schneller von der Hand und die Zeiten da man einen kompletten Tag fuumlr die Waumlsche einplanen musste waren vorbei

Der Hund kam in den Vorraum setzte sich auf die Hin-terpfoten und sah Helena aus dunklen glaumlnzenden Augen an den Kopf leicht schief gelegt

raquoIst schon Zeit fuumlrs Futterlaquo Helena sah auf die Uhr raquoEin Stuumlndchen musst du dich noch geduldenlaquo Sie ging zur Anrichte und zog eine Schublade auf Mortimer der wusste was sich dort fuumlr Schaumltze verbargen war ihr ge-folgt und stand nun aufgeregt neben ihr Wie Helenas ers-ter Hund Estelle hatte auch er eine Schwaumlche fuumlr Rinder-haut und so gab sie ihm ein gerolltes Stuumlck und ging mit ihm in den Salon der mittlerweile verwaist war Helena zuumlndete sich eine Zigarette an und rauchte waumlhrend sie den kleinen Hund beobachtete der auf der Leckerei he-rumkaute

Ihr damaliger Hund Estelle war im Alter von siebzehn Jahren ndash das schaumltzte Helena zumindest denn sie hatte

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Estelle auf der Straszlige aufgelesen ndash gestorben Sie war noch sehr jung gewesen als Helena sie gefunden und adop tiert hatte Nur ihre Kinder und ihre Mutter hatte sie mehr geliebt als Estelle was Dominik recht konsterniert zur Kenntnis genommen hatte

raquoDich liebe ich anderslaquo hatte sie ihm erklaumlrtSie war gluumlcklich daruumlber gewesen dass Estelle ein so

hohes Alter erreicht hatte obwohl mit jedem Jahr die Angst naumlher ruumlckte dass der Moment des Abschieds nicht mehr gar so fern war Eines Nachmittags war Estelle ge-schwankt als haumltte sie Schlagseite Fanny die damals erst sechs Jahre alt gewesen war hatte geglaubt der Hund mache Faxen

raquoGuck mal Mama wie komisch Estelle laumluftlaquoHelena jedoch hatte es in diesem Moment gespuumlrt hatte

gewusst dass es nun so weit war Den restlichen Tag uumlber lag Estelle in ihrem Koumlrbchen wollte dieses auch nicht zum Fressen verlassen verschmaumlhte selbst ihre geliebten Leckereien blickte nur hin und wieder auf und schaute Helena mit ihren lieben Hundeaugen an In dieser Nacht hatte Helena das Koumlrbchen in ihr Zimmer geholt es neben ihr Bett gestellt und fast die ganze Nacht wachgelegen eine Hand auf Estelles warmem Fell sodass sie spuumlrte wie sich die Flanke hob und senkte

Morgens war Helena in aller Fruumlhe aufgestanden waumlh-rend Dominik noch neben ihr schlief Dann setzte sie sich neben das Koumlrbchen auf den Boden und streichelte den kleinen Hund der die Augen geschlossen hielt aber noch atmete Vielleicht so dachte sie blieb ja doch noch Zeit Vielleicht brauchte Estelle nur Ruhe Dann jedoch oumlffnete

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ihr kleiner Hund die Augen sah sie an versuchte sich auf-zurichten aber Helena legte ihr beruhigend die Hand auf das Koumlpfchen streichelte sie

raquoScht meine Kleine ist ja gutlaquo hatte sie gemurmelt raquoDu darfst jetzt gehenlaquo

Estelle hatte die Augen wieder geschlossen und irgend-wann hatte sich die Flanke nach dem letzten Atemzug nicht mehr gehoben

Danach wollte Helena keinen Hund mehr Als Domi-niks Schwester Ariana vorgeschlagen hatte einen neuen zu kaufen vielleicht wuumlrde man sogar einen finden der aussah wie Estelle waumlre sie ihr fast ins Gesicht gesprun-gen Aber Mortimer hatte sie gefunden wie Estelle vor-mals Nach dem Krieg war Helena durch die Stadt ge-gangen hatte versucht von ihren Lebensmittelmarken etwas zu essen zu bekommen als sie den kleinen Hund bemerkte der in den Truumlmmern nach etwas zu fressen suchte Er war schmutzig weiszlig mit groszligen schwarzen Fle-cken und einem wolligen Fell das ganz verfilzt war Hoff-nungsvoll hatte er sie angesehen aber Helena war mit dem Korb im Arm weitergegangen

raquoEs tut mir leid mein Kleiner es reicht kaum fuumlr unslaquoEr war ihr gefolgt und hatte Schritt gehalten als Helena

die ihren beschleunigte raquoEs ist sinnloslaquo hatte sie gesagt raquoSuch dir jemanden der weniger Maumluler zu stopfen hatlaquo

Bis zum Eingangstor ihres Hauses war er ihr gefolgt und lieszlig sich nicht abwimmeln raquoSo hier trennen sich unsere Wegelaquo sagte sie ihm als koumlnnte er sie verstehen Aber er hob nur das Bein an der Mauer raquoDamit machst du dich bei Dominik gewiss beliebt So und jetzt geh unser

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Haushalt ertraumlgt keine zwei Maumlnner erst recht nicht wenn einer davon sein Revier markiertlaquo

Der Hund hatte sich auf die Hinterbeine gesetzt und sie angesehen Als Helena sich abgewandt hatte war der Hund ihr gefolgt und hinter ihr die Treppe hochgelau-fen In der Eingangshalle war ihr Dominik entgegenge-kommen

raquoMortimer wohnt jetzt hierlaquo hatte sie ihm erklaumlrt und dabei war es geblieben

Der Hund war nur noch wenig gewachsen ging ihr bis zur Mitte der Wade war kompakter als Estelle und auch frecher Zur Arbeit nahm Helena ihn nie mit er verbrachte viel Zeit mit Fanny sah auch jetzt auf als sie den Salon betrat die Leine in der Hand Sofort sprang der Hund auf und lief schwanzwedelnd zu ihr was mit dem kleinen Stummelschwanz immer sehr drollig aussah

raquoWir gehen noch eine Rundelaquo erklaumlrte sieraquoEine Rundelaquo betonte Helena raquoOhne Umwege oder

heimliche TreffenlaquoEin Schatten flog uumlber das Gesicht ihrer Tochter und

Helena hob eine BraueraquoJa eine Rundelaquo sagte Fanny so uumlberdeutlich dass man

es schon fast patzig nennen konnte Sie beugte sich zu Mortimer und befestigte die Leine am Halsband

Fanny fand es in houmlchstem Maszlige anstrengend dass ihre Eltern sie fortwaumlhrend wie ein Kind behandelten Da war Lukas ganz anders er behandelte sie wie eine junge Frau Ihre Eltern hingegen bezeichneten Lukas der immerhin im kommenden Jahr das Abitur machen wuumlrde als Halb-

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wuumlchsigen kaum mehr als ein Knabe Dabei wuumlrde er im Herbst achtzehn werden Ihr Vater hatte ihn sogar als un-verschaumlmten Bengel bezeichnet als sei er noch ein Kind

Mit Mortimer an der Leine verlieszlig sie das Haus und atmete auf als sie drauszligen war Zwei Wochen Hausar-rest das war doch nicht auszuhalten Sie schritt rasch aus atmete die fruumlhlingsmilde Luft ein in der schon die Vor-boten des Sommers lagen Mortimer blieb stehen schnup-perte hob einmal das Bein und lief dann wieder forsch vor-weg Aufmerksam sah Fanny sich um verlangsamte den Schritt als sie auf die Straszligenecke zuging Und da stand er wartete wie stets um diese Uhrzeit auf sie Fannys An-gespanntheit zerschmolz in einem Laumlcheln und sie ging nun wieder schneller raquoIch hatte schon befuumlrchtet deine Eltern verpassen dir auch Hausarrestlaquo

Lukas hatte sich eine Zigarette in den Mund gesteckt und zuckte laumlssig mit den Schultern raquoMein Vater hat he-rumlamentiert von wegen Schule und Verantwortung und ich hab so getan als wuumlrdrsquos mich interessieren aber das warrsquos dann auch schon Hier magst dulaquo Er hielt ihr seine Zigarette hin und Fanny nahm einen Zug obwohl sie den Geschmack scheuszliglich fand Aber sie gab sich laumls-sig und zog noch ein weiteres Mal daran unterdruumlckte da-bei ein Husten

Sie und Lukas trafen sich jeden Tag hier wenn Fanny ihre Hunderunde drehte raquoIch kann heute nur kurzlaquo sagte sie raquoEin Wunder dass meine Mutter mich uumlberhaupt rausgelassen hatlaquo

raquoImmerhin hast du es geschafft Schrecklich dass sie dich so kontrollieren Da ist es gut dass du den Hund hast

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da bietet sich immer ein Vorwandlaquo Lukas sah Mortimer an und blieb auf Abstand Einmal hatte er den Versuch ge-macht den Hund zu streicheln und Mortimer hatte nach ihm geschnappt Das hatte Fanny erschreckt denn an sich war er der liebste Hund den man sich vorstellen konnte raquoDas hat er noch nie getanlaquo hatte sie beteuert

raquoDas ist ganz normal bei diesen Winzlingenlaquo hatte Lukas geantwortet raquoDie sind immer so giftig vermut-lich weil sie sich minderwertig fuumlhlen Ein echter Hund beginnt ab Kniehoumlhelaquo

Das hatte Fanny ihm uumlbelgenommen aber er hatte sich entschuldigt und betont Mortimer habe genau die rich-tige Groumlszlige fuumlr einen Maumldchenhund

Ihre Freundinnen beneideten sie gluumlhend um diesen gutaussehenden Bankierssohn nur ihre beste Freundin Nele mochte ihn nicht und nannte ihn einen groszligspuri-gen Angeber raquoVertrau dem Urteil deines Hundeslaquo hatte sie gesagt Das blieb ein Streitpunkt zwischen ihnen ob-wohl Nele in manchem was sie sagte durchaus richtiglag Nachdem sie und Lukas in der Schule erwischt worden waren hatte Nele gesagt raquoUm was wetten wir dass nur du den Aumlrger bekommstlaquo

Fanny fand das ziemlich ungerecht denn schlieszliglich hatte Lukas die Grenze uumlberschritten und nicht sie Waumlh-rend sie nebeneinanderher gingen haderte sie mit dem harschen Urteil ihres Vaters uumlber Lukas Wenn er es ihr nicht staumlndig so schwermachen wuumlrde ihn zu sehen waumlren solche Eskapaden ja ganz und gar uumlberfluumlssig Bisher war-tete sie immer noch vergebens auf den ersten Kuss aber es ergab sich einfach nicht die Gelegenheit

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raquoBei Franz Heikamp findet naumlchstes Wochenende eine Party stattlaquo erzaumlhlte Lukas raquoSeine Eltern sind verreist Gehst du mit mir hinlaquo

Ein heftiges Kribbeln stob in Fannys Bauch auf ge-folgt von dem Gefuumlhl der Ernuumlchterung raquoDas erlauben mir meine Eltern nie und noch dazu habe ich Hausarrestlaquo Lukas stieszlig einen entnervten kleinen Pfiff aus und Fanny befuumlrchtete seine Geduld mit ihr arg zu strapazieren raquoEs tut mir leidlaquo fuumlgte sie hinzu

raquoSchon gut ist ja nicht deine Schuld Dann eben ein anderes Mallaquo

Sie haumltte sich gern bei ihm eingehakt wagte es aber nicht denn die Gefahr dass ein Bekannter sie sah war ein-fach zu groszlig und dann konnte sie sich nicht mit einer zu-faumllligen Begegnung herausreden Auch so blieb ihr Blick stets wachsam auf die Straszlige gerichtet Und so entdeckte sie ihren Cousin Erich der im Auto an ihr vorbeifuhr auch gerade noch ehe er sie sehen konnte Fanny unterdruumlckte ein Stoumlhnen Konnte man so viel Pech haben

raquoMein Vetterlaquo sagte sie raquoWenn der uns sieht erfaumlhrt mein Vater das sofortlaquo

Wieder verdrehte Lukas entnervt die Augen raquoWenn du nicht so ein tolles Maumldchen waumlrst wuumlrde mich das hier schwer nervenlaquo

raquoEs tut mir leidlaquoraquoSchon gutlaquo Er lieszlig sich zuruumlckfallen schenkte ihr ein

Laumlcheln bei dem ihr die Knie weich wurden dann drehte er sich um und ging in die entgegengesetzte Richtung davon

Erich war ihr Cousin vaumlterlicherseits und Geschaumlftsfuumlh-

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rer im Pharmaunternehmen Lichtenthal und da er sich mit ihrem Vater ausnehmend gut verstand war sich Fanny sicher er wuumlrde es ihm sofort zutragen wenn er sie mit Lukas gesehen haumltte Seufzend ging Fanny weiter und als sie zu Hause ankam sah sie Erichs Wagen an der Straszlige stehen Sie ging durch das Eingangstor auf die elterliche Villa zu lieszlig Mortimer von der Leine der begeistert uumlber die Einfahrt tollte In der Eingangshalle begegnete sie Erich Er sah Fanny an laumlchelte hob leicht die Brauen und unwillkuumlrlich fragte sie sich ob er sie nicht doch mit Lukas bemerkt hatte Allerdings sagte er kein Wort dazu gruumlszligte nur und fragte was die Schule mache

Marion fuhr mit der Elektrischen ins Werk ihres Vaters Nach und nach erhob sich Berlin aus den Truumlmmern lebte und pulsierte Ganze Straszligenzuumlge waren veraumlndert ehe-mals Vertrautes wirkte fremd und waumlhrend die Erwachse-nen damit beschaumlftigt waren aus den Uumlberbleibseln etwas Neues zu erschaffen waren die klaffenden Ruinen fuumlr die Kinder ein riesiger Abenteuer spielplatz

Berlin war nach dem Krieg von den Alliierten in vier Besatzungszonen aufgeteilt worden wurde von den Sieger-maumlchten Frankreich England USA und der Sowjet union verwaltet und kontrolliert und seither gab es Zonengren-zen ndash Schlagbaumlume Farbmarkierungen an Baumlumen oder weiszlig-gelbe Holzpfosten ndash und wer von einer Zone in die

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naumlchste wollte brauchte mancherorts eine Genehmigung Fuumlr Reisen zwischen der Westzone und der sowjetischen Besatzungszone gab es Interzonenpaumlsse und es waren erste Grenzanlagen auf der Ostseite errichtet worden Stachel-drahthindernisse in Waldgebieten Sperren an Straszligen und dabei blieb es nicht sondern es war im Jahr nach Kriegsende eine Grenzpolizei eingesetzt und sogar der Ge-brauch fuumlr Schusswaffen geregelt worden Die Abrieglung des Ostens war ein Schock fuumlr die Menschen in Berlin

raquoDas kann doch nicht seinlaquo hatte sich Marions Mutter empoumlrt raquoEs war ja ohnehin schon ein Aufwand von einem Teil der Stadt in den anderen zu kommen und jetzt soll man auch noch aufpassen nicht erschossen zu werdenlaquo

Was Marion jedoch weit mehr Sorge bereitete war der Umstand dass seit diesem Tag dem achtundzwanzigs-ten Mai West-Berlin durch die Regierung in der Sow-jetzone vom Umland getrennt wurde Schon an den bei-den Tagen zuvor war die innerdeutsche Demarkationslinie nach Unter zeichnung des Bonner Deutschlandvertrags ab-geriegelt worden und es gab nun einen zehn Meter langen Kontrollstreifen einen fuumlnfhundert Meter langen Schutz-streifen sowie eine fuumlnf Kilometer weite Sperrzone Damit war der bisher geduldete kleine Grenzverkehr eingestellt worden Selbst die Telefonverbindungen zwischen West- und Ost-Berlin waren von der Regierung gekappt wor- den

Marion fragte sich wie es jetzt mit dem Schoumlnheits-salon weitergehen sollte der in Berlin-Mitte lag und so-mit im Teil der Stadt der nun von der Deutschen Demo-kratischen Republik verwaltet wurde Da ihre Mutter das

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Geschaumlft zwar in Ost-Berlin betrieb aber in West-Berlin ihren Wohnsitz hatte war ihr ndash wie vielen anderen Ge-werbetreibenden auch ndash die Gewerbeerlaubnis entzogen worden Wer in West-Berlin lebte aber in einem Betrieb in Ost-Berlin angestellt war ndash so wie Marion in der Cha-riteacute ndash wurde zum Umzug aufgefordert oder entlassen Da-mit sparte Marion sich die Kuumlndigung

Die Straszligen ins Umland wurden gesperrt offen bleiben durften nur jene die von den Alliierten als Zufahrtswege in die Bundesrepublik festgelegt worden waren Fuumlr die Menschen in West-Berlin bedeutete das den Verlust ihrer Besitztuumlmer im Osten Natuumlrlich wurden Passierscheine in Aussicht gestellt aber das bedeutete nicht automatisch dass diese genehmigt wurden Auch der Anhalter Bahnhof war stillgelegt worden es gab keine Zuumlge mehr die aus dem Osten nach West-Berlin fuhren

raquoMittlerweile liegt Italien fuumlr uns naumlher als Potsdamlaquo hatte Helena geschimpft

Auch das Werksgebaumlude von Lichtenthal-Pharma hatte einen Treffer abbekommen als eine Sprenggranate in einen Fluumlgel eingeschlagen hatte Der Bereich war nach wie vor eingezaumlunt und die Bauarbeiten schritten stetig voran Ihr Vater hatte die Gelegenheit genutzt und legte den Fluumlgel etwas weitraumlumiger an was dem Gebaumlude ein asymmetri-sches Aussehen verlieh

Marion warf dem Portier einen Gruszlig zu wechselte ein paar Worte mit den Mitarbeitern an der Rezeption und fuhr dann mit dem Aufzug hinauf in die Chefetage Die Tuumlr zum Vorzimmer stand offen und Marion sah wie die Sekretaumlrin ihres Vaters Frau Weiller sich gerade an-

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schickte mit einem Tablett auf dem Kaffeekanne und Tasse standen die Tuumlr zum Buumlro ihres Vaters zu oumlffnen

raquoDas uumlbernehme ichlaquo bot Marion an und nahm der Frau das Tablett ab raquoIch moumlchte sowieso kurz zu ihmlaquo Waumlhrend sie das Tablett in der einen Hand balancierte druumlckte sie mit der anderen die Tuumlr auf raquoBringen Sie mir bitte auch noch eine Tasselaquo

raquoNatuumlrlich kommt sofort Fraumlulein LichtenthallaquoIhr Vater saszlig an seinem Schreibtisch und sah auf als sie

eintrat raquoNa so etwas Planst du einen beruflichen Wech-sellaquo

raquoIn der Tat nur werde ich dann nicht deine Empfangs-damelaquo Marion stellte das Tablett ab und schenkte Kaffee ein Im naumlchsten Moment trat Frau Weiller ein brachte ein zusaumltzliches Gedeck und ein Milchkaumlnnchen

raquoIch weiszlig doch dass Sie Ihren Kaffee nicht schwarz trinkenlaquo sagte sie an Marion gewandt

Nachdem sie gegangen war und die Tuumlr hinter sich ge-schlossen hatte setzte Marion sich ihrem Vater gegenuumlber in einen der beiden Besucherstuumlhle

raquoWas meintest du damit dass du in der Tat einen be-ruflichen Wechsel planstlaquo fragte Dominik Lichtenthal

Marion trank einen weiteren Schluck raquoIch hatte eigent-lich vorgehabt meine Kuumlndigung bei der Chariteacute einzu-reichen wobei das ja nun nicht mehr noumltig ist Ich liebe die Medizin doch der Alltag einer Aumlrztin ist nicht das Richtige fuumlr michlaquo

Das traf ihren Vater vollkommen unerwartet hatte er doch damit gerechnet dass sie in der naumlchsten Zeit ihren Facharzt anstreben wuumlrde raquoSo ploumltzlichlaquo

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raquoIch denke da tatsaumlchlich schon eine ganze Zeit lang druumlber nachlaquo

raquoUnd was willst du stattdessen tun In die Pharmazielaquo Offenbar erinnerte er sich gerade an die paar Semester Che-mie die sie nebenher studiert und waumlhrend derer sie eine kurze Liaison mit einem Chemieprofessor gehabt hatte

raquoNein auch das nichtlaquo Die Kenntnisse in Chemie waren indes durchaus zu etwas gut raquoIch moumlchte bei Mama mitarbeitenlaquo

Unglaumlubig sah ihr Vater sie an raquoDu hast ein komplettes Medizinstudium mit hervorragenden Noten abgeschlos-sen und dann sieht deine Berufswahl so aus Frauen Farbe ins Gesicht zu malenlaquo

Marion musste lachen raquoLass das bloszlig nie Mama houmlren Du weiszligt doch genau dass Kosmetik mehr ist als Frauen Farbe ins Gesicht zu malen Mich interessiert medizini-sche Kosmetik Wie du siehst ist mein Studium nicht vergebens gewesenlaquo

raquoDu kannst doch in die Dermatologie gehenlaquoraquoJa koumlnnte ich Ich koumlnnte aber auch in die Forschung

gehen und medizinische Kosmetik entwickelnlaquoraquoDu koumlnntest auch bei mir in die pharmazeutische For-

schung gehenlaquoraquoDas geht doch Hand in Hand Paps Ich weiszlig dass du

sicher enttaumluscht bist aber helliplaquoraquoNeinlaquo fiel er ihr ins Wort raquoIch bin nicht enttaumluscht

Es ging mir nie darum dass du meine Erwartungen er-fuumlllst sondern stets nur deine eigenen Ich gestehe ich war gluumlcklich als du mir eroumlffnet hast dass du Aumlrztin werden willst aber letzten Endes ist mir am wichtigsten dass du

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zufrieden bist mit dem was du tust Ich bitte dich nur die Entscheidung zu uumlberdenkenlaquo

raquoDu kannst davon ausgehen dass ich das getan habe Ich habe lange und gruumlndlich daruumlber nachgedachtlaquo

raquoWeiszlig deine Mutter bereits davonlaquoraquoNein ich bin zuerst zu dir gekommenlaquoIhr Vater nickte zog seine Zigaretten hervor und

steckte eine an raquoSie wird sich freuen dass du mit ihr zu-sammenarbeiten wirst Und die Taumltigkeit als Aumlrztin laumluft dir ja nicht davon du hast ein abgeschlossenes Studium und kannst jederzeit deinen Facharzt machen wenn du merkst dass das vielleicht doch nicht das Richtige fuumlr dich ist Dir ist aber klar dass du mit medizinischer Kosmetik in Konkurrenz zu deiner Tante Charlotte trittstlaquo

raquoJa durchaus Aber wie sagst du immer Konkurrenz belebt das Geschaumlftlaquo Mit ihrer Tante hatte Marion nur selten Kontakt Auf Feiern lief man sich hin und wieder uumlber den Weg aber damit erschoumlpfte es sich auch schon Im Grunde war das bedauerlich denn Charlottes Tochter Emma war ganz reizend und Marion hatte schon einige interessante Unterhaltungen mit ihr gefuumlhrt wenn sie sich denn mal begegnet waren Auch Emmas Bruder Leopold war sehr freundlich und umgaumlnglich wenngleich er seit dem Krieg verschlossen und in sich gekehrt wirkte Im letzten Jahr hatte er noch an die Front gemusst der arme Kerl Da war sein Vater gerade gestorben und Leopold hatte nicht nur den Verlust zu verkraften gehabt sondern war selbst in dem unheilvollen Mahlwerk des Krieges auf-gerieben worden

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Emma Rudorf saszlig mit einem Buch in der Hand im Wohn-zimmer und houmlrte ihren Bruder heimkommen Den gan-zen Tag war Leopold im Werk von Dr Rudorfs medizi-nische Kosmetik gewesen und an seinem schleppenden Schritt houmlrte Emma wie erschoumlpft er sein musste Ver-mutlich hatte er wieder mit Mutter gestritten und bei dem Gedanken daran wie diese ihm zusetzte packte sie die Wut Sie legte ihr Buch beiseite und stand auf ging in den Flur wo sich Leopold gerade die Schuhe auszog Er sah ihrem Vater aumlhnlich hatte zwar dunkleres Haar aber seine Gesichtszuumlge und er wirkte mit der Brille ein wenig professorenhaft

Als er Emma bemerkte laumlchelte er raquoWie gehtrsquoslaquo fragte er mit gespielter Munterkeit

raquoGut Und dirlaquoraquoViel zu tun Und bei dir Wie war die KlausurlaquoraquoIch denke ich habe bestandenlaquo Emma wuumlrde im

naumlchsten Sommer ihr Chemiestudium abschlieszligenraquoEtwas anderes habe ich auch nicht erwartetlaquoraquoIch habe Abendessen gemacht Kommt Mama auch

gleichlaquoraquoNein sie meinte sie haumltte noch viel zu tunlaquoWie immer Fuumlr Charlotte Rudorf gab es seit dem Tod

ihres Mannes nur noch das Werk sie arbeitete wie beses-sen als koumlnnte das den Schmerz des Verlustes betaumluben Emma hatte sich so oft gewuumlnscht sie wuumlrde daruumlber nicht staumlndig vergessen dass sie zwei Kinder hatte und sich nur dann an sie erinnern wenn es etwas auszusetzen gab Vor allem Leopold war ihr ein fortwaumlhrendes Aumlrgernis

raquoDu warst ein Jahr im Krieglaquo pflegte sie zu sagen

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raquound du bist in einem Stuumlck zuruumlckgekommen Wie lange willst du noch in Truumlbsal versinken anstatt endlich wieder mit beiden Beinen im Leben zu stehenlaquo

Was ihre Mutter Truumlbsal nannte war eine tiefe innere Wunde die der Krieg geschlagen hatte und Emma fragte sich warum sie diese sehen konnte nicht aber die Frau die ihn geboren hatte Dann kamen wieder diese Geschich-ten uumlber all die Kriegsheimkehrer die es auch schafften ihr Leben in den Griff zu bekommen obwohl sie deutlich laumlnger im Krieg aufgerieben worden waren Wie schlimm konnte da das eine Jahr schon gewesen sein Einzig fuumlr Emmas Albtraumlume durch die Bombardierung hatte sie Verstaumlndnis denn diese war zu der Zeit gerade vierzehn Jahre alt gewesen Da spielte wohl auch die Erinnerung mit hinein wie Emma an sie geschmiegt im Keller ge-sessen und gewartet hatte bis die Bombardierung vorbei war waumlhrend sie beide Angst gehabt hatten dass Leopold vielleicht schon tot war

raquoIsst du mit mir zu Abendlaquo fragte er nunraquoKlar ich habe auf dich gewartetlaquoLeopold wuumlrde im Juli vierundzwanzig werden und hatte

sein Pharmaziestudium im letzten Jahr abgeschlossen Er haumltte lieber Maschinenbau studiert war schon seit Kinder-tagen davon fasziniert gewesen Aber es war klar gewesen dass er das Familienwerk erben wuumlrde Allenfalls haumltte er noch Arzt werden koumlnnen um die Praxis ihres Vaters zu uumlbernehmen die nun ein anderer Arzt gemietet hatte

Da sie nur zu zweit waren aszligen sie zwanglos in der Kuumlche und Leopold deckte den Tisch waumlhrend Emma den Brotkorb Butter Kaumlse und Aufschnitt hinstellte und alles

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in den Dosen belieszlig was ihre Mutter stets als mangelnde Esskultur bezeichnete Emma hingegen war es zu viel Auf-wand jetzt alles auf Tellern anzuordnen nur um dann das meiste wieder zuruumlckzufuumlllen und wegzuraumlumen und mehr zum Abspuumllen zu haben Sie lieszlig sich ihrem Bruder gegen-uumlber am Tisch nieder Im Gegensatz zu ihrer Mutter hatte Emma bislang keine groszligen beruflichen Ambitionen ge-habt sie studierte Chemie allein aus dem Grund weil es sie interessierte aber sie hatte keine konkreten Plaumlne da-ruumlber hinaus ndash ein staumlndiges Aumlrgernis fuumlr Charlotte Ru-dorf Emmas Plan war gewesen zum Zeitvertreib etwas zu studieren das ihr Spaszlig machte und danach zu heiraten Im Laufe des Studiums hatte sich ihr Interesse allerdings ge-wandelt In der Fakultaumlt war sie hin und wieder ihrer Cou-sine Marion uumlber den Weg gelaufen die mit einem von Emmas Professoren ausgegangen war und sie fand sie glei-chermaszligen interessant wie inspirierend Sie hatte sogar kurz mit dem Gedanken gespielt sich im Pharmakonzern Lich-tenthal zu bewerben aber da haumltte vermutlich eine Andeu-tung gereicht und ihre Mutter waumlre die Waumlnde hochge-gangen Mit ihrer Schwester Helena hatte sie sich schon vor Jahren entzweit und eine Annaumlherung war nicht in Sicht

Beim Essen plauderten sie uumlber Allgemeines Leopold zog sie mit einem Dozenten auf von dem sie ndash seiner Mei-nung nach ndash verdaumlchtig oft sprach Daraufhin erinnerte sie an die Verkaumluferin aus dem KaDeWe mit der er fortwaumlh-rend ausging ohne dass die Sache von der Stelle kam Spauml-ter raumlumten sie zusammen ab erledigten den Abwasch und wollten gerade ins Wohnzimmer gehen um das Radio ein-zuschalten als ihre Mutter die Wohnungstuumlr aufschloss

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raquoGuten Abendlaquo Charlotte Rudorf sah muumlde aus und Emma ging zu ihr um ihr den Mantel abzunehmen und ihn an die Garderobe zu haumlngen

raquoSoll ich das Abendessen wieder auf den Tisch stellenlaquo fragte Emma

raquoNein lass nur ich habe im Werk eine Kleinigkeit ge-gessenlaquo

So war es fast jeden Abend im Grunde genommen aszligen sie nur noch am Wochenende regelmaumlszligig zusammen und fanden sich ansonsten morgens zu einem raschen Fruumlh-stuumlck in der Kuumlche ein Ihre Mutter wechselte einen kur-zen Blick mit Leopold aus dem klar ersichtlich wurde dass die beiden noch vor gar nicht langer Zeit gestritten hatten ndash ganz so wie von Emma vermutet Nun jedoch zeigte sich ein zoumlgerliches Laumlcheln auf den Lippen Char-lotte Rudorfs und auch das war typisch Zum Abend hin legte sie Streit gerne bei mochte es nicht unversoumlhnt schlafen zu gehen

Im Wohnzimmer schalteten sie das Radio ein Emma houmlrte nur mit halbem Ohr hin und hatte ihr Buch wie-der aufgeschlagen war aber auch hier nicht bei der Sache Schlieszliglich gab sie es auf und beschloss noch ein wenig spazieren zu gehen

raquoUm diese Uhrzeitlaquo fragte ihre Mutter die gerade mit einer Tasse Kraumlutertee ins Wohnzimmer trat

raquoEs ist kurz nach achtlaquoNun blickte auch Leopold auf sah sie an als witterte er

hinter ihrem Wunsch eine tiefere WahrheitraquoEs ist nur ein Spazierganglaquo sagte sie und haumltte am

liebsten die Augen verdreht raquoMir geht so viel im Kopf

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herum und ich kann meine Gedanken beim Gehen am besten sortierenlaquo

raquoWie war eigentlich deine Klausurlaquo wollte ihr Mut-ter nun wissen

raquoGut denke ichlaquo Emma ging in den Flur nahm einen leichten Mantel vom Haken legte sich einen Seidenschal um und warf noch einen kurzen Blick in den Spiegel Seit kurzem trug sie ihr hellbraunes Haar knapp schulterlang und in groszlige Locken gelegt die sie mit einer Spange seit-lich zuruumlckhielt Jetzt zupfte sie ein wenig daran herum bis sie schlieszliglich zufrieden war und verlieszlig die Wohnung Sie wohnten in der ersten Etage direkt uumlber der Arztpraxis die Wohnung im zweiten Stock stand derzeit leer Fruumlher einmal hatte Emmas Groszligmutter dort gewohnt aber sie lebte bereits seit fast dreiszligig Jahren bei ihrer Tochter erst in Hamburg und seit kurz vor dem Krieg in Muumlnchen da der Ehemann von Emmas Tante dorthin versetzt worden war Leider kam sie nur noch selten zu Besuch da lange Reisen sie zu sehr anstrengten Emma bedauerte das denn sie mochte ihre Groszligmutter die auch mit achtzig noch ruumlstiger und scharfsinniger war als manch junge Frau die Emma kannte

Es daumlmmerte bereits und die langen Schatten des spauml-ten Nachmittags waren ineinandergekrochen verdichte-ten sich langsam und entfaumlrbten den Tag zu einem lich-ten Grau Seit zwei Jahren stellte man die Uhren nicht mehr zur Sommerzeit um und anfangs war es ungewohnt gewesen dass die Sommertage nun um eine Stunde kuumlr-zer waren aber man gewoumlhnte sich daran Waumlhrend des Krieges hatte es eine Zeit gegeben in der fortwaumlhrend

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Sommerzeit gegolten hatte und man die Uhren uumlberhaupt nicht mehr umstellte irgendwann war ein konzeptloses Wechseln erfolgt Dann war die Regelung durch die Besat-zungsmaumlchte wieder geaumlndert worden und sie bestimm-ten eine Umstellung auf die Sommerzeit ndash wobei diese in der sowjetischen Besatzungszone Berlins 1945 ganze zwei Monate laumlnger gedauert hatte Jetzt endlich hatte die Regierung sich auf eine einheitliche Zeit festgelegt die fuumlr das gesamte Jahr galt ndash die Ruumlckkehr zur Normalzeit Emma hoffte dass das so blieb

Als sie durch die Straszlige spazierte hier und da einen heimkehrenden Nachbarn oder Bekannten gruumlszligte ndash die Tochter des Herrn Doktor kannte man im gesamten Vier-tel ndash fiel ihr ein Mann auf der gerade ein Haus verlieszlig sich noch einmal umdrehte einem weiteren Mann der in der offenen Tuumlr stand etwas sagte und dann durch den Vorgarten schritt und auf sein Auto zuging Dominik Lichtenthal Emma blieb stehen sah ihn an wusste nicht ob sie zu ihm gehen und houmlflich gruumlszligen oder ihn ignorie-ren sollte Er nahm ihr die Entscheidung ab als er sie be-merkte kurz stutzte als muumlsste er ihr Gesicht erst einem Namen zuordnen und sie dann anlaumlchelte

raquoGuten Abend Emma Wie geht es dirlaquoSie ging auf ihn zu raquoSehr gut vielen Danklaquo Sie wusste

nie so recht ob sie ihn duzen sollte oder nicht denn einer-seits war er ein Fremder andererseits aber der Ehemann ihrer Tante und damit praktisch ihr Onkel

raquoIch habe gehoumlrt du studierst ChemielaquoraquoJa ich werde diesen Sommer fertiglaquoraquoUnd dann geht es in den Konzern deiner Mutterlaquo

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Unschluumlssig hob Emma die Schultern raquoAch das weiszlig ich noch gar nichtlaquo

Dominik Lichtenthal schloss seinen Wagen auf raquoWenn du dich lieber auf dem freien Markt umsehen moumlchtest sag Bescheid ich kann faumlhige Chemiker immer gebrau-chenlaquo

Es war schon fast skurril dass Emma diesen Gedanken erst vor kurzem gehegt hatte und ihn nun ausgesprochen houmlrte Da sie nicht rundheraus ablehnen wollte dankte sie ihm und nachdem sie ihm gesagt hatte er moumlge seine Familie von ihr gruumlszligen stieg er in seinen Wagen und fuhr los Im Grunde genommen war das doch albern dass ihre Mutter immer noch nichts mit ihrer Schwester zu tun haben wollte Emma kannte die alte Geschichte und natuumlr lich war es hart auf einen Schlag sein gesam-tes Erbe zu verlieren und die unvermittelt aufgetauchte fremde Schwester als einzige Gewinnerin in dieser Situa-tion zu sehen aber das Ganze war jetzt gut fuumlnfundzwan-zig Jahre her irgendwann musste es doch mal gut sein Und es war ja nun wahrlich nicht so als wuumlrde der Besitz des Hauses in der Friedrichstraszlige noch einen nennenswer-ten Unter schied im Vermoumlgen ihrer Mutter machen Im Gegenteil ndash waumlre sie dort geblieben haumltte sie es vielleicht nie so weit gebracht

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Juni 1952

Die einstmals goldene Zeit merkte man der ehemaligen Amuumlsiermeile auf der Friedrichstraszlige nicht mehr an und Helena verspuumlrte jedes Mal beim Besuch ihres Schoumlnheits-salons diesen Stich des Bedauerns Als sie in den Zwan-zigern hier angekommen war hatte das Leben pulsiert mit Autos Bussen Bahnen Fuszliggaumlngern Radfahrern und noch vereinzelten Droschken Die Kreuzung an der Leip-ziger Straszlige war ein so verkehrsreicher Knotenpunkt ge-wesen dass es fuumlr die aus der Provinz stammende Helena anfangs schon eine Herausforderung gewesen war lebend von einer Straszligenseite auf die andere zu gelangen

Nach dem Krieg war die Straszlige eine von Ruinen ge-saumlumte Schuttwuumlste geworden und auch wenn die Truumlm-mer in weiten Teilen fortgeraumlumt waren so erinnerte doch nur wenig an fruumlher Helena hatte mehrfach uumlberlegt den Schoumlnheitssalon einfach aufzugeben aber das brachte sie nicht uumlber sich Vielleicht normalisierte sich hier ja alles irgendwann wieder das konnte doch nicht ewig so blei-ben Ihr Schoumlnheitssalon in der Friedrichstraszlige befand sich im Amerikanischen Sektor der in Berlin-Mitte gehoumlrte nun zur DDR ihr Werk wiederum zum Franzoumlsischen

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Sektor Dominiks sowie ihr Wohnsitz lagen im Britischen Sektor Das war doch auf Dauer kein Zustand Den Salon in Berlin-Mitte hatte sie aufgeben muumlssen und sie sah sich bereits nach Alternativen um

Als Helena in den Salon trat kam ihr Ida ndash fruumlher Wag-ner jetzt Zeller ndash entgegen raquoKaffeelaquo

raquoUnbedingtlaquo Helena haumlngte ihren Mantel an die Gar-derobe und betrat den Salon Es war noch fruumlh und sie wuumlrden erst in einer halben Stunde oumlffnen Ida hatte schon in den Dreiszligigern die Leitung des Salons uumlbernommen als Helena damit beschaumlftigt gewesen war einen weiteren in Berlin-Mitte zu eroumlffnen

raquoWie geht es den MaumldchenlaquoHelena setzte sich in einen der bequemen Besucher-

stuumlhle wo die Frauen sich bei einer Tasse Kaffee oder Tee und etwas Gebaumlck entspannen konnten raquoMarion faumlngt bei mir im Werk an der Termin steht jetztlaquo Das war Schock und freudige Uumlberraschung zugleich gewesen und Helena wusste selbst nicht ob ihre Bestuumlrzung oder ihre Freude uumlberwog Natuumlrlich hatte sie gehofft dass Marion als Aumlrztin praktizierte immerhin hatte sie stu-diert und damit ein klares Ziel vor Augen gehabt Ande-rerseits freute es sie dass ihre Tochter Interesse an ihrem Unternehmen zeigte ndash und nicht an Dominiks wie eine kleine nicht zu unterdruumlckende Stimme des Triumphs in ihr betonte raquoUnd Fanny schlieszligt das Schuljahr mit sehr guten Noten ablaquo

raquoMathematik macht ihr wieder SpaszliglaquoraquoNachdem Ferdinands Ehefrau es ihr erklaumlrt hat was

ihr unfaumlhiger Lehrer offenbar nicht hinbekommtlaquo Fer-

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dinand war der Patenonkel beider Toumlchter und seine Frau eine begabte Mathematikerin

Die Schwangerschaft mit Fanny hatte Helena seinerzeit einen gehoumlrigen Schrecken eingejagt All die Jahre hatte sie es erfolgreich vermieden zu empfangen und dann als die Welt am Abgrund stand kuumlndigte sich neues Leben an Schlimm genug mitanzusehen wie Marion bereits in der Schule darauf vorbereitet wurde in den BDM einzu-treten da wollte sie diesem System nicht noch ein Kind schenken Es war Rudolf Liliengrund gewesen dem Fanny es zu verdanken hatte dass Helena keinen Abbruch hatte vornehmen lassen

raquoGerade in diesen Zeiten sollten die Anstaumlndigen sich vermehrenlaquo

Ihr lieber Rudolf der seine gesamte Familie verloren und selbst nur knapp und unter Entbehrungen die Flucht geschafft hatte weil er zu lange gezoumlgert geglaubt hatte es wuumlrde alles gut werden Und so hatte Helena Fanny aus-getragen hatte schon in der Schwangerschaft eine so innige Beziehung zu dem Kind gehabt wie sie es sich nicht hatte vorstellen koumlnnen Es war ganz anders als mit Marion zu der sie erst eine enge Bindung hatte aufbauen koumlnnen als diese bereits ein Kleinkind gewesen war Waumlhrend Marion von Geburt an ein Papakind war so war Fanny von Geburt an ganz und gar ihre Tochter Helena hatte sie sogar mit zur Arbeit genommen weil sie sich nicht von ihr trennen mochte hatte sie im Buumlro gestillt und in der Wiege neben sich schlafen lassen Undenkbar dieses Baby jemand ande-rem anzuvertrauen Dabei liebte sie Marion nicht weniger und sie verstand auch im Nachhinein nicht warum sie bei

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beiden Kindern schon in der Schwangerschaft so unter-schiedlich empfunden hatte

raquoDu solltest endlich aufhoumlren das zu hinterfragenlaquo hatte ihre beste Freundin Irene Danelius gesagt raquoEs ist jetzt wie es ist Freu dich einfach Gerade jetzt haben wir alle wahrhaftig Probleme genug da muss man nicht auch noch welche hinzuredenlaquo

Als im November 1938 die Synagogen brannten hatte Irene das Land verlassen raquoIch komme zuruumlck wenn der Irrsinn vorbei istlaquo hatte sie gesagt und war nach Amerika gegangen Dort war sie zur Filmgroumlszlige geworden hatte einen bekannten Produzenten geheiratet und lebte nach wie vor in den Vereinigten Staaten Helena vermisste sie immer noch sehr und war auch schon einmal mit ihrer Familie in New York gewesen um sie zu besuchen

raquoFahrt ihr diesen Sommer weglaquo fragte Ida und setzte sich nun ebenfalls

raquoAuf jeden Fall fuumlr zwei Wochen zu meiner Mutter Und von da aus vielleicht weiter in Richtung Schweizlaquo Vor allem auf die Zeit bei ihrer Mutter freute sich Helena das waren jedes Mal schoumlne Tage mit all den fruumlheren Freunden und Bekannten sowie mit der Baronin fuumlr die sie und ihre Mutter fruumlher gearbeitet hatten und bei der ihre Mutter nun den Altersruhesitz hatte Fuumlr Helenas Familie standen immer Gaumlstezimmer bereit Ein wenig behandelte man sie dort wie eine Prominente die Dienst-botentochter die es in der Weltmetropole zu etwas ge-bracht hatte mit einem reichen Mann verheiratet war und mit Filmstars verkehrte

Kurz darauf trafen die uumlbrigen Mitarbeiterinnen ein

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und dann kamen auch schon die ersten Kundinnen Helena unterhielt sich mit einigen der Damen beriet hier und da persoumlnlich und machte sich dann auf den Weg ins Werk Unmittelbar nach dem Krieg war es schwierig gewesen die Rohstoffe fuumlr die Produktion von Kosmetik aufzutrei-ben vielfach waren sie nur zu Schwarzmarktpreisen zu be-kommen Viele Rohstoffe wurden in der Pharmaindustrie dringender benoumltigt und natuumlrlich hatte die medizini-sche Versorgung Vorrang vor der kosmetischen Gerade nach dem Krieg hatten sie alle andere Sorgen gehabt wes-halb Helenas Werk voruumlbergehend die Produktion um-stellte und der chemischen Industrie zuarbeitete waumlhrend die Schoumlnheitssalons Obdachlosen offenstanden Erst vier Jahre nach Kriegsende als der Hungerwinter vorbei war und die Menschen durch die Waumlhrungsreform wieder uumlber Geld verfuumlgten hatte Helena Kosmetikherstellung und Schoumlnheitsbehandlungen wieder aufgenommen

Im Werk ging Helena direkt in ihr Buumlro und sah sich Werbeentwuumlrfe an Sie liebte ihre Arbeit und sie machte ihr nach wie vor Spaszlig allerdings fehlte ihr die Heraus-forderung Die Kosmetik entwickelte sich stetig weiter und mittlerweile war Forschung und Entwicklung eine eigene Abteilung in ihrem Unternehmen Natuumlrlich freute sie sich daruumlber aber sie vermisste die Zeiten in denen sie selbst in ihrer Fertigung gesessen und experimentiert hatte Vielleicht war es wirklich gut dass Marion hier demnaumlchst etwas frischen Wind hereinbringen wuumlrde Wie wohl Charlotte darauf reagierte dass Helena ihr nun Konkurrenz machen wuumlrde

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Emma houmlrte den Streit bis ins Wohnzimmer Ihre Mutter hielt Leopold vor er naumlhme die Arbeit nicht ausreichend ernst und bringe sich zu wenig ein Wie er bei dem Ge-schaumlftstermin am Vortag nur dagesessen und auf einmal zu zittern begonnen habe Wenn es nicht anders ging dann solle er eben seine Medikamente wieder nehmen Und ndash verdammt noch mal ndash endlich mehr Nervenstaumlrke zei- gen

Auch an diesem Morgen hatte es schon wieder damit begonnen dass Leopold beim Fruumlhstuumlck sehr still gewe-sen war was fuumlr Emma immer ein Zeichen fuumlr schlimme Traumlume war Auf Ausfuumlhrungen ihrer Mutter zu dem heu-tigen Arbeitstag hatte er nur genickt was diese wiederum zu dem Schluss kommen lieszlig dass er sich nur unzurei-chend interessierte Uumlberhaupt habe er keine innovativen Ideen arbeite den Tag ab ohne echtes Interesse zu zeigen an dem was er tat Irgendwann war ein handfester Streit ausgebrochen der auch dann noch anhielt als Emma das Esszimmer verlassen hatte und nun in der Kuumlche den Ab-wasch machte Schlieszliglich hielt sie es nicht mehr aus lief ins Esszimmer zuruumlck

raquoWas willst du eigentlichlaquo fuhr sie ihre Mutter an raquoEr tut doch alles was er solllaquo

raquoEmma lass nurlaquo sagte Leopold raquoIch mache helliplaquoraquoNein ich lasse es nicht Koumlnnen wir nicht mal einen

Morgen friedlich verbringen wie andere Familien auch Muss hier immer den ganzen Tag uumlber Streit herrschen und abends gehen wir dann versoumlhnt schlafen Wozu Um am naumlchsten Tag wieder loszulegen Das ist doch nicht mehr auszuhaltenlaquo

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raquoWie redest du eigentlich mit mirlaquo Die Stimme ihrer Mutter war ganz kalt geworden bar jeder Emotion

raquoIch helliplaquo Die aufbrausende Wut fiel von Emma ab und sie wusste nicht mehr was sie nun sagen sollte raquoIch hellip ich habe heute keine Uni und wollte ohnehin fragen ob ich mit ins Werk kannlaquo Der Einfall war ihr gerade erst ge-kommen raquoIch koumlnnte Leo zuarbeiten und so schon einmal Einblicke bekommenlaquo

Die frostglitzernde Wut im Blick ihrer Mutter schmolz zu Uumlberraschung raquoAch waslaquo

raquoIch habe mir lange uumlberlegt was ich mit meinem Che-miestudium machelaquo

raquoHeiszligt das es steht nicht zu erwarten dass du dich nun nach einer passenden Partie umsiehstlaquo Fuumlr jemanden der selbst gluumlcklich verheiratet gewesen war zeigte ihre Mut-ter eine sehr ablehnende Haltung zu Emmas Eheplaumlnen

raquoNoch ist ja niemand in Aussicht nicht wahrlaquo ver-setzte Emma der Hoffnung einen Daumlmpfer

Ihre Mutter schien damit zufrieden zu sein raquoSchoumln dann beeil dich wir brechen gleich auflaquo

Sie und Leopold fuhren in der Regel gemeinsam los und Leopold lieszlig dann den Wagen fuumlr sie im Werk und kehrte puumlnktlich zum Buumlroschluss mit der Bahn nach Hause zu-ruumlck Das tat er vermutlich vor allem aus dem Grund weil er den Abstand brauchte

raquoIch habe uumlbrigens gehoumlrt dass Marion in der Chariteacute aufhoumlrtlaquo erzaumlhlte Emma als sie auf der Ruumlckbank des Wagens Platz genommen hatte

raquoWelche Marionlaquo fragte ihre Mutter und Emma haumltte gerne gewusst ob sie das wirklich nicht wusste

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raquoUnsere CousinelaquoraquoUnd warum sollte es mich interessieren was diese Per-

son tutlaquoraquoWeil sie deine Nichte ist moumlglicherweiselaquoVon hinten konnte Emma das Schulterzucken sehenraquoAuf jeden Fall heiszligt es sie wollte in das Unternehmen

von Tante Helena einsteigenlaquo Mit einiger Befriedigung bemerkte Emma dass ihre Mutter bei dieser persoumlnlichen Bezeichnung kaum merklich zusammenzuckte

raquoIn der TatlaquoraquoSie hat einige Semester Chemie studiert das hatte ich

doch erzaumlhltlaquoraquoJa hattest du Auch dass sie es mit deinem Chemie-

professor getrieben hatlaquoraquoMutterlaquo kam es von LeopoldraquoDas habe ich nie gesagtlaquo Emma lehnte sich vor als

koumlnne sie ihren Worten damit mehr Nachdruck verleihen raquoIch sagte sie gehen miteinander auslaquo

raquoWenn sie nach ihrer Mutter kommt gibt es das eine nicht ohne das andere Gerne auch zum Nachteil der eigenen Familie Sind deine Noten bei besagtem Profes-sor nicht danach schlechter gewordenlaquo

raquoDas war bei Professor Guenther nicht bei Professor Hellweg mit dem Marion aus war Meine Guumltelaquo Emma hatte langsam genug Dieser sture verbohrte Zorn ihrer Mutter war nicht mehr zu ertragen Mit Ende vierzig konnte sie sich auf jeden Fall noch nicht mit Altersstarr-sinn herausreden raquoHoumlr zu wenn das hier jeden Morgen der Beginn meines Arbeitstages wird sag es direkt dann reicht mir der einmalige Ausflug in dein Unternehmen

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und ich bewerbe mich morgen beim Pharmaunternehmen Lichtenthallaquo

Ihre Mutter fuhr herum raquoDas wagst du nichtlaquoraquoLass es gerne darauf ankommenlaquoLange sah ihre Mutter sie an dann zuckte es um ihre

Lippen Widerspruchsgeist gefiel ihr und sie schien auf einmal versoumlhnt Emma wuumlrde bleiben wuumlrde es allein um Leopolds willen tun Vielleicht wuumlrde es leichter fuumlr ihn mit ihr an seiner Seite

Das ehemalige Werksgelaumlnde hatte in Berlin-Oberschouml-neweide gestanden aber sie waren noch vor dem Krieg um-gezogen was sich als richtige Entscheidung erwiesen hatte wenngleich zu der Zeit noch niemand hatte wissen koumlnnen dass dieser Stadtteil unter sowjetische Verwaltung gestellt werden wuumlrde Das jetzige Werk stand in Berlin-Tempel-hof im Amerikanischen Sektor und hatte im Krieg ebenfalls gelitten Sie fuhren durch das Tor und Leopold parkte den Wagen auf der dafuumlr vorgesehenen Flaumlche auf der weitere Autos Motorraumlder und Mopeds standen

Ihre Mutter begleitete sie bis in die Etage in der sich die Raumlumlichkeiten der Geschaumlftsfuumlhrung befanden dann ging sie in ihr Buumlro waumlhrend Emma Leopold in seines be-gleitete

raquoWeiszligt dulaquo sagte er als er auf einen der Stuumlhle wies raquodu musst das nicht tunlaquo

raquoWas meinst dulaquo Emma lieszlig sich auf der Besucherseite seines Schreibtischs nieder

raquoDas weiszligt du genau Mich hierher zu begleiten ob-wohl du nie im Sinn hattest in der Firma zu arbeiten Du musst mich nicht vor Mutter beschuumltzenlaquo

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raquoDas tue ich doch gar nichtlaquoLeopold antwortete nicht ging nur zur Tuumlr oumlffnete sie

und rief in das gegenuumlberliegende Zimmer der beiden Sekretaumlrinnen dass man ihm und seiner Schwester bitte Kaffee bringen moumlge raquoEs war nie dein Plan hier zu ar-beitenlaquo

raquoPlaumlne koumlnnen sich aumlndernlaquoraquoVon einem Tag auf den anderenlaquoraquoJa warum denn nicht Und wer sagt uumlberhaupt dass

es so abrupt war Vielleicht denke ich ja schon laumlnger da-ruumlber nach und habe dir einfach noch nichts erzaumlhltlaquo Emma zog einen Bleistift aus dem Stiftebecher und drehte ihn zwischen den Fingern raquoUumlbrigens hat mir Dominik Lichtenthal ein Stellenangebot gemachtlaquo Gespannt be-obachtete sie Leopolds Reaktion

raquoWannlaquoraquoIch bin ihm mal abends beim Spaziergang begegnetlaquoraquoUnd da hat er dir ndash ohne dich und deine Befaumlhigung

so recht zu kennen ndash eine Stelle angebotenlaquoraquoWir haben uns kurz unterhalten und er weiszlig dass ich

Chemie studiere Da meinte er wenn ich nicht fuumlr Mutter arbeiten wolle solle ich mich bei ihm melden er koumlnne faumlhige Chemiker immer gebrauchenlaquo

raquoMutter enterbt dich wenn du das tustlaquoraquoDas waumlre nicht so schlimm denn dann erbst du alles

und wirst mir meinen Teil einfach auszahlenlaquoraquoIst das solaquoraquoNatuumlrlichlaquo Emma zog ihre Zigaretten hervorraquoDu willst doch wohl hier nicht rauchenlaquoAnstelle einer Antwort steckte sie sich eine Zigarette

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zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

bei Lichtenthal in Aussicht und einem groszligzuumlgigen Bru-der der dir deinen Erbanteil abtrittlaquo

Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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ihren Vater auf eine Weise an die nicht anders als aufsaumls-sig zu bezeichnen war

raquoIch habe dir den Umgang mit diesem Kerl verbotenlaquoDieser Kerl war der achtzehnjaumlhrige Lukas von Buch-

wald in den sich Fanny rettungslos verliebt hatte und den ihr Vater fuumlr einen Taugenichts hielt

raquoDu hast zwei Wochen Hausarrestlaquo beschied er ihrraquoDas kannst du nicht machenlaquoraquoIch trete dir umgehend den Beweis anlaquoraquoUnd der ReitstalllaquoraquoDort wird man eine Weile ohne dich auskommen muumls-

sen Ein solches Verhalten wie du es derzeit an den Tag legst dulde ich nichtlaquo

Fanny presste die Lippen zusammen sah ihren Vater an dann wandte sie sich ab streichelte wieder den Hund der die Augen wohlig geschlossen hatte

raquoDu hast mir sonst also nichts dazu zu sagenlaquo fragte er erneut

SchweigenraquoAlso gutlaquo Ihr Vater wandte sich ab und verlieszlig den

SalonraquoUnd das ist es dir wirklich wertlaquo fragte Marion

raquoWas hatte er uumlberhaupt in deiner Schule zu suchen Hat er selbst keinen Unterrichtlaquo

raquoEr hat geschwaumlnzt um mich zu sehenlaquoMarion ersparte sich einen Kommentar darauf Sie

wusste nicht recht was sie davon halten sollte aber sie wollte sich nicht zu offen gegen den Jungen aussprechen da sie befuumlrchtete Fanny koumlnnte sich ihr sonst kuumlnftig nicht mehr anvertrauen Nachdem Lukas von Buchwald

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sich in die Schule geschlichen hatte waumlren die beiden bei-nahe zusammen erwischt worden und so waren sie schnell in den erstbesten Raum geschluumlpft der sich ihnen geboten hatte ndash das Direktorenzimmer Dort war Fanny gegen ein Tintenfass gestoszligen dessen Inhalt sich uumlber die Schreib-unterlage und die darauf liegenden Papiere ergossen hatte Die Schulsekretaumlrin hatte dem Herrn Direktor Kaffee bringen wollen und Fanny prompt erwischt Daraufhin war Wendt umgehend in seinem Buumlro erschienen hatte Fanny eine kraumlftige Ohrfeige verpasst und Lukas am Ohr aus der Schule gezogen

raquoDu haumlttest Vater sagen sollen dass er dich geschla-gen hatlaquo

raquoDas haumltte ja nichts geaumlndertlaquoraquoDu weiszligt dass er das nicht duldetlaquo Ein Lehrer hatte es

einmal gewagt Marion mit dem Zeigestock auf die Haumlnde zu klopfen als sie zehn Jahre alt gewesen war Ihr Vater war daraufhin in die Schule gegangen und hatte dem Leh-rer angedroht dass er ihn mit seinem eigenen Stock ver-pruumlgele wenn er das jemals wieder wagen sollte raquoMeine Tochter wird nicht geschlagenlaquo hatte er gesagt raquoGeben Sie ihr Strafaufgaben auf lassen Sie sie nachsitzen aber er-heben Sie nie wieder die Hand gegen sielaquo

raquoIst doch jetzt auch gleichlaquo Fanny stand auf raquoKomm Mortimerlaquo Mortimer war ein kleiner Mischlingsruumlde der seit sieben Jahren bei ihnen wohnte und Fanny nur selten von der Seite wich raquoGehen wir in den Garten das darf ich ja gewiss nochlaquo

Marion sah ihr nach dann schlug sie das Magazin zu und stand auf Es war gleich zwei Zeit sich fuumlr den Dienst

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im Krankenhaus umzukleiden Sie hatte im Vorjahr ihr letztes Examen absolviert und somit ihr Medizinstudium mit Bestleistungen beendet Nur war ihr schon waumlh-rend des Studiums aufgefallen dass sie zwar die Medizin liebte nicht jedoch den Alltag als Aumlrztin Urspruumlnglich hatte sie mit der Pharmazie geliebaumlugelt aber letzten En-des hatte ihr Interesse an der Medizin gesiegt insbeson-dere an der Dermatologie Conrad Rudorf der im Krieg gefallene Ehemann ihrer Tante Charlotte war Dermato-loge gewesen und gemeinsam hatten sie ein Unternehmen gegruumlndet das sich auf medizinische Kosmetik speziali-siert hatte Dabei war Charlotte zugutegekommen dass sie sich als Pharmazeutin mit Wirkstoffen gut auskannte Dieses Taumltig keitsfeld faszinierte Marion und obwohl ihre Tante und ihre Mutter kein gutes Verhaumlltnis zueinander hatten kam Marion mit ihrer Cousine Emma recht gut aus ebenso mit ihrem Cousin Leopold dem Haupterben von Dr Rudorf Kosmetik

In ihrem Zimmer zog Marion sich um sah ein weiteres Mal auf die Uhr und seufzte Den Entschluss sich auf ein anderes Betaumltigungsfeld zu konzentrieren hatte sie schon vor Monaten endguumlltig gefaumlllt bisher hatte sie es nur noch niemandem erzaumlhlt Ihr Vater war so stolz auf sie gewesen als sie als Aumlrztin an die Chariteacute gegangen war Wuumlrde er enttaumluscht von ihr sein All die Arbeit und das Geld das in ihr Studium geflossen waren ins Feld fuumlhren um sie von ihrem Entschluss abzubringen Sie hatte lange gezouml-gert und die Entscheidung gut durchdacht Den Muti-gen gehoumlrt die Welt sagte man doch Nun Marion wuumlrde sehen ob das auch fuumlr sie galt

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Das Haus in der Friedrichstraszlige wo alles begonnen hatte hatte Helena behalten und sie betrieb den Schoumlnheitssa-lon dort weiterhin wenngleich sie vor dem Krieg einen zweiten Standort mit groszligzuumlgigeren Raumlumlichkeiten er-oumlffnet hatte Aber an diesem Haus hingen so viele Erinne-rungen da hatte sie es nicht uumlbers Herz gebracht sich da-von zu trennen Aber baulich veraumlndert hatte sie es hatte innen die Waumlnde durchbrechen lassen sodass man vom Verkaufsraum durch einen Tuumlrbogen in den angrenzen-den Raum kam der fruumlher die Fertigung enthalten hatte Hier war jetzt ein weiterer Raum fuumlr Kosmetikbehand-lungen entstanden ebenfalls durch einen Durchbruch mit dem Raum dahinter verbunden wo sich der urspruumlngli-che Schoumlnheitssalon befand Fruumlher einmal hatte Helena auch die Wohnung oben in der sie und ihre Schwester in ihren Anfaumlngen gewohnt hatten in Raumlumlichkeiten fuumlr Kosmetik und Schoumlnheitsbehandlungen umwandeln wol-len doch dann waren durch den Krieg so viele Menschen heimatlos geworden dass es ihr dekadent erschienen waumlre intakten Wohnraum auf diese Art zu nutzen Es war ja nicht so dass sie das Geld noumltig hatte das Kosmetikun-ternehmen Rosenberg war schon waumlhrend der Dreiszligiger-jahre groszlig geworden und warf viel Geld ab Zu jener Zeit war der Schoumlnheitssalon lediglich eine weitere Einkom-mensquelle gewesen

Zunaumlchst hatte sie die Wohnung kostenfrei zwei hei-matlosen Familien uumlberlassen die jeweils zwei Raumlume be-wohnten und sich Kuumlche sowie Bad teilten Es war Hele-nas bescheidener Beitrag gewesen das Gefuumlhl endlich etwas tun zu koumlnnen und wenn es nur das war Menschen

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voruumlbergehend ein Zuhause zu geben Mittlerweile hatte sich die Situation entspannt aber Wohnraum wurde nach wie vor benoumltigt Dominik hatte die Wohnung renovieren lassen und seither wurde sie vermietet

Das Unternehmen Rosenberg hatte sich rasant entwickelt inzwischen wurde Helenas Kosmetik in einem eigenen Werk hergestellt in dem sie eine ganze Reihe an Angestell-ten beschaumlftigte Sie selbst war zwar Eigentuumlmerin hatte aber einen Geschaumlftsfuumlhrer sowie Mitarbeiter fuumlr Buchhal-tung und Finanzen Da Helena sich nach wie vor am meis-ten fuumlr die Entwicklung und Forschung interessierte war das der Bereich ihres Unternehmens in dem sie sich vor-zugsweise aufhielt

An diesem Nachmittag verlieszlig sie das Werk etwas fruuml-her denn Dominik hatte ihr am Telefon von dem Vorfall in Fannys Schule erzaumlhlt Das war wieder so typisch Ging es um Dinge wie ein Kuchen fuumlr den Schulbasar oder das Abholen eines Kindes weil ihm unwohl war dann rief man Helena an obwohl Dominik von seinem Werk in Charlottenburg Nord schneller an der Schule sein konnte als Helena aus Tegel War aber etwas vorgefallen das laut Meinung des Direktors dringend einer Sanktion beduumlrfe wendete er sich direkt an Dominik Helena haumltte laumlngst aufhoumlren sollen sich daruumlber aufzuregen denn schon zu Marions Schulzeiten war es nicht anders gewesen aber dennoch aumlrgerte sie sich jedes Mal von Neuem daruumlber

Als Helena die Tuumlr zu ihrer in Berlin-Grunewald gele-genen Villa oumlffnete kam ihr Hund Mortimer in die Ein-gangshalle gelaufen sprang um sie herum drehte eine Runde durch die Halle kam wieder zu ihr und stellte sich

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auf die Hinterbeine ndash das hatte Fanny mit ihm geuumlbt Helena ging in die Knie und kraulte den Hund dann er-hob sie sich und sah Fanny an die Mortimer gefolgt war und in der Tuumlr zum Salon stand

raquoLukas von BuchwaldlaquoFanny nickte schweigendraquoDir haumltte doch klar sein muumlssen dass das unweigerlich

zu Aumlrger fuumlhrtlaquoraquoIch wusste ja nicht dass er kommtlaquoraquoUnd trotzdem hast du dich darauf eingelassen dich

mit ihm in der Schule zu versteckenlaquoraquoWo er doch schon mal da war helliplaquoraquoUnd wie haben seine Eltern reagiertlaquoFanny zuckte mit den SchulternHelena erfuhr es noch vor dem Abendessen als Herr von

Buchwald anrief und nach Dominik fragteraquoSie werden mit mir vorliebnehmen muumlssenlaquo erklaumlrte

Helena kuumlhlDaraufhin erklaumlrte er ihr Dominik persoumlnlich habe da-

fuumlr zu sorgen dass seine Tochter seinen Sohn kein weiteres Mal zum Schuleschwaumlnzen ermutigte raquoDas kann ich nicht duldenlaquo fuhr er fort und beendete das Gespraumlch bruumlsk

raquoPapa hat mir zwei Wochen Hausarrest aufgebrummtlaquo beschwerte sich Fanny

raquoDann wirst du das wohl durchstehen muumlssenlaquo Eine Regel in ihrer Erziehung war dass sie einander nicht in den Ruumlcken fielen und sich nicht gegeneinander ausspie-len lieszligen

Fanny seufzte ergebenraquoHast du deine Hausaufgaben gemachtlaquo

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raquoJa Auch die StrafarbeitlaquoHelena nickte und ging in die Kuumlche wo das Abend-

essen vorbereitet auf der Anrichte stand Sie beschaumlftigten nach wie vor eine Haushaumllterin die zudem gelernte Kouml-chin war Im Gegensatz zu fruumlher kam die jetzige Haus-haumllterin morgens um acht ging um fuumlnf und hatte am Wochenende frei Auszligerdem hatten sie eine Zugehfrau die einmal woumlchentlich kam Die Zeiten da das Perso-nal im Haus naumlchtigte und staumlndig zur Verfuumlgung stand waren vorbei Dank der modernen Errungenschaften wie der elektrischen Waschmaschine ging die Arbeit mitt-lerweile schneller von der Hand und die Zeiten da man einen kompletten Tag fuumlr die Waumlsche einplanen musste waren vorbei

Der Hund kam in den Vorraum setzte sich auf die Hin-terpfoten und sah Helena aus dunklen glaumlnzenden Augen an den Kopf leicht schief gelegt

raquoIst schon Zeit fuumlrs Futterlaquo Helena sah auf die Uhr raquoEin Stuumlndchen musst du dich noch geduldenlaquo Sie ging zur Anrichte und zog eine Schublade auf Mortimer der wusste was sich dort fuumlr Schaumltze verbargen war ihr ge-folgt und stand nun aufgeregt neben ihr Wie Helenas ers-ter Hund Estelle hatte auch er eine Schwaumlche fuumlr Rinder-haut und so gab sie ihm ein gerolltes Stuumlck und ging mit ihm in den Salon der mittlerweile verwaist war Helena zuumlndete sich eine Zigarette an und rauchte waumlhrend sie den kleinen Hund beobachtete der auf der Leckerei he-rumkaute

Ihr damaliger Hund Estelle war im Alter von siebzehn Jahren ndash das schaumltzte Helena zumindest denn sie hatte

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Estelle auf der Straszlige aufgelesen ndash gestorben Sie war noch sehr jung gewesen als Helena sie gefunden und adop tiert hatte Nur ihre Kinder und ihre Mutter hatte sie mehr geliebt als Estelle was Dominik recht konsterniert zur Kenntnis genommen hatte

raquoDich liebe ich anderslaquo hatte sie ihm erklaumlrtSie war gluumlcklich daruumlber gewesen dass Estelle ein so

hohes Alter erreicht hatte obwohl mit jedem Jahr die Angst naumlher ruumlckte dass der Moment des Abschieds nicht mehr gar so fern war Eines Nachmittags war Estelle ge-schwankt als haumltte sie Schlagseite Fanny die damals erst sechs Jahre alt gewesen war hatte geglaubt der Hund mache Faxen

raquoGuck mal Mama wie komisch Estelle laumluftlaquoHelena jedoch hatte es in diesem Moment gespuumlrt hatte

gewusst dass es nun so weit war Den restlichen Tag uumlber lag Estelle in ihrem Koumlrbchen wollte dieses auch nicht zum Fressen verlassen verschmaumlhte selbst ihre geliebten Leckereien blickte nur hin und wieder auf und schaute Helena mit ihren lieben Hundeaugen an In dieser Nacht hatte Helena das Koumlrbchen in ihr Zimmer geholt es neben ihr Bett gestellt und fast die ganze Nacht wachgelegen eine Hand auf Estelles warmem Fell sodass sie spuumlrte wie sich die Flanke hob und senkte

Morgens war Helena in aller Fruumlhe aufgestanden waumlh-rend Dominik noch neben ihr schlief Dann setzte sie sich neben das Koumlrbchen auf den Boden und streichelte den kleinen Hund der die Augen geschlossen hielt aber noch atmete Vielleicht so dachte sie blieb ja doch noch Zeit Vielleicht brauchte Estelle nur Ruhe Dann jedoch oumlffnete

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ihr kleiner Hund die Augen sah sie an versuchte sich auf-zurichten aber Helena legte ihr beruhigend die Hand auf das Koumlpfchen streichelte sie

raquoScht meine Kleine ist ja gutlaquo hatte sie gemurmelt raquoDu darfst jetzt gehenlaquo

Estelle hatte die Augen wieder geschlossen und irgend-wann hatte sich die Flanke nach dem letzten Atemzug nicht mehr gehoben

Danach wollte Helena keinen Hund mehr Als Domi-niks Schwester Ariana vorgeschlagen hatte einen neuen zu kaufen vielleicht wuumlrde man sogar einen finden der aussah wie Estelle waumlre sie ihr fast ins Gesicht gesprun-gen Aber Mortimer hatte sie gefunden wie Estelle vor-mals Nach dem Krieg war Helena durch die Stadt ge-gangen hatte versucht von ihren Lebensmittelmarken etwas zu essen zu bekommen als sie den kleinen Hund bemerkte der in den Truumlmmern nach etwas zu fressen suchte Er war schmutzig weiszlig mit groszligen schwarzen Fle-cken und einem wolligen Fell das ganz verfilzt war Hoff-nungsvoll hatte er sie angesehen aber Helena war mit dem Korb im Arm weitergegangen

raquoEs tut mir leid mein Kleiner es reicht kaum fuumlr unslaquoEr war ihr gefolgt und hatte Schritt gehalten als Helena

die ihren beschleunigte raquoEs ist sinnloslaquo hatte sie gesagt raquoSuch dir jemanden der weniger Maumluler zu stopfen hatlaquo

Bis zum Eingangstor ihres Hauses war er ihr gefolgt und lieszlig sich nicht abwimmeln raquoSo hier trennen sich unsere Wegelaquo sagte sie ihm als koumlnnte er sie verstehen Aber er hob nur das Bein an der Mauer raquoDamit machst du dich bei Dominik gewiss beliebt So und jetzt geh unser

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Haushalt ertraumlgt keine zwei Maumlnner erst recht nicht wenn einer davon sein Revier markiertlaquo

Der Hund hatte sich auf die Hinterbeine gesetzt und sie angesehen Als Helena sich abgewandt hatte war der Hund ihr gefolgt und hinter ihr die Treppe hochgelau-fen In der Eingangshalle war ihr Dominik entgegenge-kommen

raquoMortimer wohnt jetzt hierlaquo hatte sie ihm erklaumlrt und dabei war es geblieben

Der Hund war nur noch wenig gewachsen ging ihr bis zur Mitte der Wade war kompakter als Estelle und auch frecher Zur Arbeit nahm Helena ihn nie mit er verbrachte viel Zeit mit Fanny sah auch jetzt auf als sie den Salon betrat die Leine in der Hand Sofort sprang der Hund auf und lief schwanzwedelnd zu ihr was mit dem kleinen Stummelschwanz immer sehr drollig aussah

raquoWir gehen noch eine Rundelaquo erklaumlrte sieraquoEine Rundelaquo betonte Helena raquoOhne Umwege oder

heimliche TreffenlaquoEin Schatten flog uumlber das Gesicht ihrer Tochter und

Helena hob eine BraueraquoJa eine Rundelaquo sagte Fanny so uumlberdeutlich dass man

es schon fast patzig nennen konnte Sie beugte sich zu Mortimer und befestigte die Leine am Halsband

Fanny fand es in houmlchstem Maszlige anstrengend dass ihre Eltern sie fortwaumlhrend wie ein Kind behandelten Da war Lukas ganz anders er behandelte sie wie eine junge Frau Ihre Eltern hingegen bezeichneten Lukas der immerhin im kommenden Jahr das Abitur machen wuumlrde als Halb-

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wuumlchsigen kaum mehr als ein Knabe Dabei wuumlrde er im Herbst achtzehn werden Ihr Vater hatte ihn sogar als un-verschaumlmten Bengel bezeichnet als sei er noch ein Kind

Mit Mortimer an der Leine verlieszlig sie das Haus und atmete auf als sie drauszligen war Zwei Wochen Hausar-rest das war doch nicht auszuhalten Sie schritt rasch aus atmete die fruumlhlingsmilde Luft ein in der schon die Vor-boten des Sommers lagen Mortimer blieb stehen schnup-perte hob einmal das Bein und lief dann wieder forsch vor-weg Aufmerksam sah Fanny sich um verlangsamte den Schritt als sie auf die Straszligenecke zuging Und da stand er wartete wie stets um diese Uhrzeit auf sie Fannys An-gespanntheit zerschmolz in einem Laumlcheln und sie ging nun wieder schneller raquoIch hatte schon befuumlrchtet deine Eltern verpassen dir auch Hausarrestlaquo

Lukas hatte sich eine Zigarette in den Mund gesteckt und zuckte laumlssig mit den Schultern raquoMein Vater hat he-rumlamentiert von wegen Schule und Verantwortung und ich hab so getan als wuumlrdrsquos mich interessieren aber das warrsquos dann auch schon Hier magst dulaquo Er hielt ihr seine Zigarette hin und Fanny nahm einen Zug obwohl sie den Geschmack scheuszliglich fand Aber sie gab sich laumls-sig und zog noch ein weiteres Mal daran unterdruumlckte da-bei ein Husten

Sie und Lukas trafen sich jeden Tag hier wenn Fanny ihre Hunderunde drehte raquoIch kann heute nur kurzlaquo sagte sie raquoEin Wunder dass meine Mutter mich uumlberhaupt rausgelassen hatlaquo

raquoImmerhin hast du es geschafft Schrecklich dass sie dich so kontrollieren Da ist es gut dass du den Hund hast

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da bietet sich immer ein Vorwandlaquo Lukas sah Mortimer an und blieb auf Abstand Einmal hatte er den Versuch ge-macht den Hund zu streicheln und Mortimer hatte nach ihm geschnappt Das hatte Fanny erschreckt denn an sich war er der liebste Hund den man sich vorstellen konnte raquoDas hat er noch nie getanlaquo hatte sie beteuert

raquoDas ist ganz normal bei diesen Winzlingenlaquo hatte Lukas geantwortet raquoDie sind immer so giftig vermut-lich weil sie sich minderwertig fuumlhlen Ein echter Hund beginnt ab Kniehoumlhelaquo

Das hatte Fanny ihm uumlbelgenommen aber er hatte sich entschuldigt und betont Mortimer habe genau die rich-tige Groumlszlige fuumlr einen Maumldchenhund

Ihre Freundinnen beneideten sie gluumlhend um diesen gutaussehenden Bankierssohn nur ihre beste Freundin Nele mochte ihn nicht und nannte ihn einen groszligspuri-gen Angeber raquoVertrau dem Urteil deines Hundeslaquo hatte sie gesagt Das blieb ein Streitpunkt zwischen ihnen ob-wohl Nele in manchem was sie sagte durchaus richtiglag Nachdem sie und Lukas in der Schule erwischt worden waren hatte Nele gesagt raquoUm was wetten wir dass nur du den Aumlrger bekommstlaquo

Fanny fand das ziemlich ungerecht denn schlieszliglich hatte Lukas die Grenze uumlberschritten und nicht sie Waumlh-rend sie nebeneinanderher gingen haderte sie mit dem harschen Urteil ihres Vaters uumlber Lukas Wenn er es ihr nicht staumlndig so schwermachen wuumlrde ihn zu sehen waumlren solche Eskapaden ja ganz und gar uumlberfluumlssig Bisher war-tete sie immer noch vergebens auf den ersten Kuss aber es ergab sich einfach nicht die Gelegenheit

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raquoBei Franz Heikamp findet naumlchstes Wochenende eine Party stattlaquo erzaumlhlte Lukas raquoSeine Eltern sind verreist Gehst du mit mir hinlaquo

Ein heftiges Kribbeln stob in Fannys Bauch auf ge-folgt von dem Gefuumlhl der Ernuumlchterung raquoDas erlauben mir meine Eltern nie und noch dazu habe ich Hausarrestlaquo Lukas stieszlig einen entnervten kleinen Pfiff aus und Fanny befuumlrchtete seine Geduld mit ihr arg zu strapazieren raquoEs tut mir leidlaquo fuumlgte sie hinzu

raquoSchon gut ist ja nicht deine Schuld Dann eben ein anderes Mallaquo

Sie haumltte sich gern bei ihm eingehakt wagte es aber nicht denn die Gefahr dass ein Bekannter sie sah war ein-fach zu groszlig und dann konnte sie sich nicht mit einer zu-faumllligen Begegnung herausreden Auch so blieb ihr Blick stets wachsam auf die Straszlige gerichtet Und so entdeckte sie ihren Cousin Erich der im Auto an ihr vorbeifuhr auch gerade noch ehe er sie sehen konnte Fanny unterdruumlckte ein Stoumlhnen Konnte man so viel Pech haben

raquoMein Vetterlaquo sagte sie raquoWenn der uns sieht erfaumlhrt mein Vater das sofortlaquo

Wieder verdrehte Lukas entnervt die Augen raquoWenn du nicht so ein tolles Maumldchen waumlrst wuumlrde mich das hier schwer nervenlaquo

raquoEs tut mir leidlaquoraquoSchon gutlaquo Er lieszlig sich zuruumlckfallen schenkte ihr ein

Laumlcheln bei dem ihr die Knie weich wurden dann drehte er sich um und ging in die entgegengesetzte Richtung davon

Erich war ihr Cousin vaumlterlicherseits und Geschaumlftsfuumlh-

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rer im Pharmaunternehmen Lichtenthal und da er sich mit ihrem Vater ausnehmend gut verstand war sich Fanny sicher er wuumlrde es ihm sofort zutragen wenn er sie mit Lukas gesehen haumltte Seufzend ging Fanny weiter und als sie zu Hause ankam sah sie Erichs Wagen an der Straszlige stehen Sie ging durch das Eingangstor auf die elterliche Villa zu lieszlig Mortimer von der Leine der begeistert uumlber die Einfahrt tollte In der Eingangshalle begegnete sie Erich Er sah Fanny an laumlchelte hob leicht die Brauen und unwillkuumlrlich fragte sie sich ob er sie nicht doch mit Lukas bemerkt hatte Allerdings sagte er kein Wort dazu gruumlszligte nur und fragte was die Schule mache

Marion fuhr mit der Elektrischen ins Werk ihres Vaters Nach und nach erhob sich Berlin aus den Truumlmmern lebte und pulsierte Ganze Straszligenzuumlge waren veraumlndert ehe-mals Vertrautes wirkte fremd und waumlhrend die Erwachse-nen damit beschaumlftigt waren aus den Uumlberbleibseln etwas Neues zu erschaffen waren die klaffenden Ruinen fuumlr die Kinder ein riesiger Abenteuer spielplatz

Berlin war nach dem Krieg von den Alliierten in vier Besatzungszonen aufgeteilt worden wurde von den Sieger-maumlchten Frankreich England USA und der Sowjet union verwaltet und kontrolliert und seither gab es Zonengren-zen ndash Schlagbaumlume Farbmarkierungen an Baumlumen oder weiszlig-gelbe Holzpfosten ndash und wer von einer Zone in die

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naumlchste wollte brauchte mancherorts eine Genehmigung Fuumlr Reisen zwischen der Westzone und der sowjetischen Besatzungszone gab es Interzonenpaumlsse und es waren erste Grenzanlagen auf der Ostseite errichtet worden Stachel-drahthindernisse in Waldgebieten Sperren an Straszligen und dabei blieb es nicht sondern es war im Jahr nach Kriegsende eine Grenzpolizei eingesetzt und sogar der Ge-brauch fuumlr Schusswaffen geregelt worden Die Abrieglung des Ostens war ein Schock fuumlr die Menschen in Berlin

raquoDas kann doch nicht seinlaquo hatte sich Marions Mutter empoumlrt raquoEs war ja ohnehin schon ein Aufwand von einem Teil der Stadt in den anderen zu kommen und jetzt soll man auch noch aufpassen nicht erschossen zu werdenlaquo

Was Marion jedoch weit mehr Sorge bereitete war der Umstand dass seit diesem Tag dem achtundzwanzigs-ten Mai West-Berlin durch die Regierung in der Sow-jetzone vom Umland getrennt wurde Schon an den bei-den Tagen zuvor war die innerdeutsche Demarkationslinie nach Unter zeichnung des Bonner Deutschlandvertrags ab-geriegelt worden und es gab nun einen zehn Meter langen Kontrollstreifen einen fuumlnfhundert Meter langen Schutz-streifen sowie eine fuumlnf Kilometer weite Sperrzone Damit war der bisher geduldete kleine Grenzverkehr eingestellt worden Selbst die Telefonverbindungen zwischen West- und Ost-Berlin waren von der Regierung gekappt wor- den

Marion fragte sich wie es jetzt mit dem Schoumlnheits-salon weitergehen sollte der in Berlin-Mitte lag und so-mit im Teil der Stadt der nun von der Deutschen Demo-kratischen Republik verwaltet wurde Da ihre Mutter das

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Geschaumlft zwar in Ost-Berlin betrieb aber in West-Berlin ihren Wohnsitz hatte war ihr ndash wie vielen anderen Ge-werbetreibenden auch ndash die Gewerbeerlaubnis entzogen worden Wer in West-Berlin lebte aber in einem Betrieb in Ost-Berlin angestellt war ndash so wie Marion in der Cha-riteacute ndash wurde zum Umzug aufgefordert oder entlassen Da-mit sparte Marion sich die Kuumlndigung

Die Straszligen ins Umland wurden gesperrt offen bleiben durften nur jene die von den Alliierten als Zufahrtswege in die Bundesrepublik festgelegt worden waren Fuumlr die Menschen in West-Berlin bedeutete das den Verlust ihrer Besitztuumlmer im Osten Natuumlrlich wurden Passierscheine in Aussicht gestellt aber das bedeutete nicht automatisch dass diese genehmigt wurden Auch der Anhalter Bahnhof war stillgelegt worden es gab keine Zuumlge mehr die aus dem Osten nach West-Berlin fuhren

raquoMittlerweile liegt Italien fuumlr uns naumlher als Potsdamlaquo hatte Helena geschimpft

Auch das Werksgebaumlude von Lichtenthal-Pharma hatte einen Treffer abbekommen als eine Sprenggranate in einen Fluumlgel eingeschlagen hatte Der Bereich war nach wie vor eingezaumlunt und die Bauarbeiten schritten stetig voran Ihr Vater hatte die Gelegenheit genutzt und legte den Fluumlgel etwas weitraumlumiger an was dem Gebaumlude ein asymmetri-sches Aussehen verlieh

Marion warf dem Portier einen Gruszlig zu wechselte ein paar Worte mit den Mitarbeitern an der Rezeption und fuhr dann mit dem Aufzug hinauf in die Chefetage Die Tuumlr zum Vorzimmer stand offen und Marion sah wie die Sekretaumlrin ihres Vaters Frau Weiller sich gerade an-

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schickte mit einem Tablett auf dem Kaffeekanne und Tasse standen die Tuumlr zum Buumlro ihres Vaters zu oumlffnen

raquoDas uumlbernehme ichlaquo bot Marion an und nahm der Frau das Tablett ab raquoIch moumlchte sowieso kurz zu ihmlaquo Waumlhrend sie das Tablett in der einen Hand balancierte druumlckte sie mit der anderen die Tuumlr auf raquoBringen Sie mir bitte auch noch eine Tasselaquo

raquoNatuumlrlich kommt sofort Fraumlulein LichtenthallaquoIhr Vater saszlig an seinem Schreibtisch und sah auf als sie

eintrat raquoNa so etwas Planst du einen beruflichen Wech-sellaquo

raquoIn der Tat nur werde ich dann nicht deine Empfangs-damelaquo Marion stellte das Tablett ab und schenkte Kaffee ein Im naumlchsten Moment trat Frau Weiller ein brachte ein zusaumltzliches Gedeck und ein Milchkaumlnnchen

raquoIch weiszlig doch dass Sie Ihren Kaffee nicht schwarz trinkenlaquo sagte sie an Marion gewandt

Nachdem sie gegangen war und die Tuumlr hinter sich ge-schlossen hatte setzte Marion sich ihrem Vater gegenuumlber in einen der beiden Besucherstuumlhle

raquoWas meintest du damit dass du in der Tat einen be-ruflichen Wechsel planstlaquo fragte Dominik Lichtenthal

Marion trank einen weiteren Schluck raquoIch hatte eigent-lich vorgehabt meine Kuumlndigung bei der Chariteacute einzu-reichen wobei das ja nun nicht mehr noumltig ist Ich liebe die Medizin doch der Alltag einer Aumlrztin ist nicht das Richtige fuumlr michlaquo

Das traf ihren Vater vollkommen unerwartet hatte er doch damit gerechnet dass sie in der naumlchsten Zeit ihren Facharzt anstreben wuumlrde raquoSo ploumltzlichlaquo

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raquoIch denke da tatsaumlchlich schon eine ganze Zeit lang druumlber nachlaquo

raquoUnd was willst du stattdessen tun In die Pharmazielaquo Offenbar erinnerte er sich gerade an die paar Semester Che-mie die sie nebenher studiert und waumlhrend derer sie eine kurze Liaison mit einem Chemieprofessor gehabt hatte

raquoNein auch das nichtlaquo Die Kenntnisse in Chemie waren indes durchaus zu etwas gut raquoIch moumlchte bei Mama mitarbeitenlaquo

Unglaumlubig sah ihr Vater sie an raquoDu hast ein komplettes Medizinstudium mit hervorragenden Noten abgeschlos-sen und dann sieht deine Berufswahl so aus Frauen Farbe ins Gesicht zu malenlaquo

Marion musste lachen raquoLass das bloszlig nie Mama houmlren Du weiszligt doch genau dass Kosmetik mehr ist als Frauen Farbe ins Gesicht zu malen Mich interessiert medizini-sche Kosmetik Wie du siehst ist mein Studium nicht vergebens gewesenlaquo

raquoDu kannst doch in die Dermatologie gehenlaquoraquoJa koumlnnte ich Ich koumlnnte aber auch in die Forschung

gehen und medizinische Kosmetik entwickelnlaquoraquoDu koumlnntest auch bei mir in die pharmazeutische For-

schung gehenlaquoraquoDas geht doch Hand in Hand Paps Ich weiszlig dass du

sicher enttaumluscht bist aber helliplaquoraquoNeinlaquo fiel er ihr ins Wort raquoIch bin nicht enttaumluscht

Es ging mir nie darum dass du meine Erwartungen er-fuumlllst sondern stets nur deine eigenen Ich gestehe ich war gluumlcklich als du mir eroumlffnet hast dass du Aumlrztin werden willst aber letzten Endes ist mir am wichtigsten dass du

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zufrieden bist mit dem was du tust Ich bitte dich nur die Entscheidung zu uumlberdenkenlaquo

raquoDu kannst davon ausgehen dass ich das getan habe Ich habe lange und gruumlndlich daruumlber nachgedachtlaquo

raquoWeiszlig deine Mutter bereits davonlaquoraquoNein ich bin zuerst zu dir gekommenlaquoIhr Vater nickte zog seine Zigaretten hervor und

steckte eine an raquoSie wird sich freuen dass du mit ihr zu-sammenarbeiten wirst Und die Taumltigkeit als Aumlrztin laumluft dir ja nicht davon du hast ein abgeschlossenes Studium und kannst jederzeit deinen Facharzt machen wenn du merkst dass das vielleicht doch nicht das Richtige fuumlr dich ist Dir ist aber klar dass du mit medizinischer Kosmetik in Konkurrenz zu deiner Tante Charlotte trittstlaquo

raquoJa durchaus Aber wie sagst du immer Konkurrenz belebt das Geschaumlftlaquo Mit ihrer Tante hatte Marion nur selten Kontakt Auf Feiern lief man sich hin und wieder uumlber den Weg aber damit erschoumlpfte es sich auch schon Im Grunde war das bedauerlich denn Charlottes Tochter Emma war ganz reizend und Marion hatte schon einige interessante Unterhaltungen mit ihr gefuumlhrt wenn sie sich denn mal begegnet waren Auch Emmas Bruder Leopold war sehr freundlich und umgaumlnglich wenngleich er seit dem Krieg verschlossen und in sich gekehrt wirkte Im letzten Jahr hatte er noch an die Front gemusst der arme Kerl Da war sein Vater gerade gestorben und Leopold hatte nicht nur den Verlust zu verkraften gehabt sondern war selbst in dem unheilvollen Mahlwerk des Krieges auf-gerieben worden

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Emma Rudorf saszlig mit einem Buch in der Hand im Wohn-zimmer und houmlrte ihren Bruder heimkommen Den gan-zen Tag war Leopold im Werk von Dr Rudorfs medizi-nische Kosmetik gewesen und an seinem schleppenden Schritt houmlrte Emma wie erschoumlpft er sein musste Ver-mutlich hatte er wieder mit Mutter gestritten und bei dem Gedanken daran wie diese ihm zusetzte packte sie die Wut Sie legte ihr Buch beiseite und stand auf ging in den Flur wo sich Leopold gerade die Schuhe auszog Er sah ihrem Vater aumlhnlich hatte zwar dunkleres Haar aber seine Gesichtszuumlge und er wirkte mit der Brille ein wenig professorenhaft

Als er Emma bemerkte laumlchelte er raquoWie gehtrsquoslaquo fragte er mit gespielter Munterkeit

raquoGut Und dirlaquoraquoViel zu tun Und bei dir Wie war die KlausurlaquoraquoIch denke ich habe bestandenlaquo Emma wuumlrde im

naumlchsten Sommer ihr Chemiestudium abschlieszligenraquoEtwas anderes habe ich auch nicht erwartetlaquoraquoIch habe Abendessen gemacht Kommt Mama auch

gleichlaquoraquoNein sie meinte sie haumltte noch viel zu tunlaquoWie immer Fuumlr Charlotte Rudorf gab es seit dem Tod

ihres Mannes nur noch das Werk sie arbeitete wie beses-sen als koumlnnte das den Schmerz des Verlustes betaumluben Emma hatte sich so oft gewuumlnscht sie wuumlrde daruumlber nicht staumlndig vergessen dass sie zwei Kinder hatte und sich nur dann an sie erinnern wenn es etwas auszusetzen gab Vor allem Leopold war ihr ein fortwaumlhrendes Aumlrgernis

raquoDu warst ein Jahr im Krieglaquo pflegte sie zu sagen

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raquound du bist in einem Stuumlck zuruumlckgekommen Wie lange willst du noch in Truumlbsal versinken anstatt endlich wieder mit beiden Beinen im Leben zu stehenlaquo

Was ihre Mutter Truumlbsal nannte war eine tiefe innere Wunde die der Krieg geschlagen hatte und Emma fragte sich warum sie diese sehen konnte nicht aber die Frau die ihn geboren hatte Dann kamen wieder diese Geschich-ten uumlber all die Kriegsheimkehrer die es auch schafften ihr Leben in den Griff zu bekommen obwohl sie deutlich laumlnger im Krieg aufgerieben worden waren Wie schlimm konnte da das eine Jahr schon gewesen sein Einzig fuumlr Emmas Albtraumlume durch die Bombardierung hatte sie Verstaumlndnis denn diese war zu der Zeit gerade vierzehn Jahre alt gewesen Da spielte wohl auch die Erinnerung mit hinein wie Emma an sie geschmiegt im Keller ge-sessen und gewartet hatte bis die Bombardierung vorbei war waumlhrend sie beide Angst gehabt hatten dass Leopold vielleicht schon tot war

raquoIsst du mit mir zu Abendlaquo fragte er nunraquoKlar ich habe auf dich gewartetlaquoLeopold wuumlrde im Juli vierundzwanzig werden und hatte

sein Pharmaziestudium im letzten Jahr abgeschlossen Er haumltte lieber Maschinenbau studiert war schon seit Kinder-tagen davon fasziniert gewesen Aber es war klar gewesen dass er das Familienwerk erben wuumlrde Allenfalls haumltte er noch Arzt werden koumlnnen um die Praxis ihres Vaters zu uumlbernehmen die nun ein anderer Arzt gemietet hatte

Da sie nur zu zweit waren aszligen sie zwanglos in der Kuumlche und Leopold deckte den Tisch waumlhrend Emma den Brotkorb Butter Kaumlse und Aufschnitt hinstellte und alles

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in den Dosen belieszlig was ihre Mutter stets als mangelnde Esskultur bezeichnete Emma hingegen war es zu viel Auf-wand jetzt alles auf Tellern anzuordnen nur um dann das meiste wieder zuruumlckzufuumlllen und wegzuraumlumen und mehr zum Abspuumllen zu haben Sie lieszlig sich ihrem Bruder gegen-uumlber am Tisch nieder Im Gegensatz zu ihrer Mutter hatte Emma bislang keine groszligen beruflichen Ambitionen ge-habt sie studierte Chemie allein aus dem Grund weil es sie interessierte aber sie hatte keine konkreten Plaumlne da-ruumlber hinaus ndash ein staumlndiges Aumlrgernis fuumlr Charlotte Ru-dorf Emmas Plan war gewesen zum Zeitvertreib etwas zu studieren das ihr Spaszlig machte und danach zu heiraten Im Laufe des Studiums hatte sich ihr Interesse allerdings ge-wandelt In der Fakultaumlt war sie hin und wieder ihrer Cou-sine Marion uumlber den Weg gelaufen die mit einem von Emmas Professoren ausgegangen war und sie fand sie glei-chermaszligen interessant wie inspirierend Sie hatte sogar kurz mit dem Gedanken gespielt sich im Pharmakonzern Lich-tenthal zu bewerben aber da haumltte vermutlich eine Andeu-tung gereicht und ihre Mutter waumlre die Waumlnde hochge-gangen Mit ihrer Schwester Helena hatte sie sich schon vor Jahren entzweit und eine Annaumlherung war nicht in Sicht

Beim Essen plauderten sie uumlber Allgemeines Leopold zog sie mit einem Dozenten auf von dem sie ndash seiner Mei-nung nach ndash verdaumlchtig oft sprach Daraufhin erinnerte sie an die Verkaumluferin aus dem KaDeWe mit der er fortwaumlh-rend ausging ohne dass die Sache von der Stelle kam Spauml-ter raumlumten sie zusammen ab erledigten den Abwasch und wollten gerade ins Wohnzimmer gehen um das Radio ein-zuschalten als ihre Mutter die Wohnungstuumlr aufschloss

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raquoGuten Abendlaquo Charlotte Rudorf sah muumlde aus und Emma ging zu ihr um ihr den Mantel abzunehmen und ihn an die Garderobe zu haumlngen

raquoSoll ich das Abendessen wieder auf den Tisch stellenlaquo fragte Emma

raquoNein lass nur ich habe im Werk eine Kleinigkeit ge-gessenlaquo

So war es fast jeden Abend im Grunde genommen aszligen sie nur noch am Wochenende regelmaumlszligig zusammen und fanden sich ansonsten morgens zu einem raschen Fruumlh-stuumlck in der Kuumlche ein Ihre Mutter wechselte einen kur-zen Blick mit Leopold aus dem klar ersichtlich wurde dass die beiden noch vor gar nicht langer Zeit gestritten hatten ndash ganz so wie von Emma vermutet Nun jedoch zeigte sich ein zoumlgerliches Laumlcheln auf den Lippen Char-lotte Rudorfs und auch das war typisch Zum Abend hin legte sie Streit gerne bei mochte es nicht unversoumlhnt schlafen zu gehen

Im Wohnzimmer schalteten sie das Radio ein Emma houmlrte nur mit halbem Ohr hin und hatte ihr Buch wie-der aufgeschlagen war aber auch hier nicht bei der Sache Schlieszliglich gab sie es auf und beschloss noch ein wenig spazieren zu gehen

raquoUm diese Uhrzeitlaquo fragte ihre Mutter die gerade mit einer Tasse Kraumlutertee ins Wohnzimmer trat

raquoEs ist kurz nach achtlaquoNun blickte auch Leopold auf sah sie an als witterte er

hinter ihrem Wunsch eine tiefere WahrheitraquoEs ist nur ein Spazierganglaquo sagte sie und haumltte am

liebsten die Augen verdreht raquoMir geht so viel im Kopf

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herum und ich kann meine Gedanken beim Gehen am besten sortierenlaquo

raquoWie war eigentlich deine Klausurlaquo wollte ihr Mut-ter nun wissen

raquoGut denke ichlaquo Emma ging in den Flur nahm einen leichten Mantel vom Haken legte sich einen Seidenschal um und warf noch einen kurzen Blick in den Spiegel Seit kurzem trug sie ihr hellbraunes Haar knapp schulterlang und in groszlige Locken gelegt die sie mit einer Spange seit-lich zuruumlckhielt Jetzt zupfte sie ein wenig daran herum bis sie schlieszliglich zufrieden war und verlieszlig die Wohnung Sie wohnten in der ersten Etage direkt uumlber der Arztpraxis die Wohnung im zweiten Stock stand derzeit leer Fruumlher einmal hatte Emmas Groszligmutter dort gewohnt aber sie lebte bereits seit fast dreiszligig Jahren bei ihrer Tochter erst in Hamburg und seit kurz vor dem Krieg in Muumlnchen da der Ehemann von Emmas Tante dorthin versetzt worden war Leider kam sie nur noch selten zu Besuch da lange Reisen sie zu sehr anstrengten Emma bedauerte das denn sie mochte ihre Groszligmutter die auch mit achtzig noch ruumlstiger und scharfsinniger war als manch junge Frau die Emma kannte

Es daumlmmerte bereits und die langen Schatten des spauml-ten Nachmittags waren ineinandergekrochen verdichte-ten sich langsam und entfaumlrbten den Tag zu einem lich-ten Grau Seit zwei Jahren stellte man die Uhren nicht mehr zur Sommerzeit um und anfangs war es ungewohnt gewesen dass die Sommertage nun um eine Stunde kuumlr-zer waren aber man gewoumlhnte sich daran Waumlhrend des Krieges hatte es eine Zeit gegeben in der fortwaumlhrend

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Sommerzeit gegolten hatte und man die Uhren uumlberhaupt nicht mehr umstellte irgendwann war ein konzeptloses Wechseln erfolgt Dann war die Regelung durch die Besat-zungsmaumlchte wieder geaumlndert worden und sie bestimm-ten eine Umstellung auf die Sommerzeit ndash wobei diese in der sowjetischen Besatzungszone Berlins 1945 ganze zwei Monate laumlnger gedauert hatte Jetzt endlich hatte die Regierung sich auf eine einheitliche Zeit festgelegt die fuumlr das gesamte Jahr galt ndash die Ruumlckkehr zur Normalzeit Emma hoffte dass das so blieb

Als sie durch die Straszlige spazierte hier und da einen heimkehrenden Nachbarn oder Bekannten gruumlszligte ndash die Tochter des Herrn Doktor kannte man im gesamten Vier-tel ndash fiel ihr ein Mann auf der gerade ein Haus verlieszlig sich noch einmal umdrehte einem weiteren Mann der in der offenen Tuumlr stand etwas sagte und dann durch den Vorgarten schritt und auf sein Auto zuging Dominik Lichtenthal Emma blieb stehen sah ihn an wusste nicht ob sie zu ihm gehen und houmlflich gruumlszligen oder ihn ignorie-ren sollte Er nahm ihr die Entscheidung ab als er sie be-merkte kurz stutzte als muumlsste er ihr Gesicht erst einem Namen zuordnen und sie dann anlaumlchelte

raquoGuten Abend Emma Wie geht es dirlaquoSie ging auf ihn zu raquoSehr gut vielen Danklaquo Sie wusste

nie so recht ob sie ihn duzen sollte oder nicht denn einer-seits war er ein Fremder andererseits aber der Ehemann ihrer Tante und damit praktisch ihr Onkel

raquoIch habe gehoumlrt du studierst ChemielaquoraquoJa ich werde diesen Sommer fertiglaquoraquoUnd dann geht es in den Konzern deiner Mutterlaquo

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Unschluumlssig hob Emma die Schultern raquoAch das weiszlig ich noch gar nichtlaquo

Dominik Lichtenthal schloss seinen Wagen auf raquoWenn du dich lieber auf dem freien Markt umsehen moumlchtest sag Bescheid ich kann faumlhige Chemiker immer gebrau-chenlaquo

Es war schon fast skurril dass Emma diesen Gedanken erst vor kurzem gehegt hatte und ihn nun ausgesprochen houmlrte Da sie nicht rundheraus ablehnen wollte dankte sie ihm und nachdem sie ihm gesagt hatte er moumlge seine Familie von ihr gruumlszligen stieg er in seinen Wagen und fuhr los Im Grunde genommen war das doch albern dass ihre Mutter immer noch nichts mit ihrer Schwester zu tun haben wollte Emma kannte die alte Geschichte und natuumlr lich war es hart auf einen Schlag sein gesam-tes Erbe zu verlieren und die unvermittelt aufgetauchte fremde Schwester als einzige Gewinnerin in dieser Situa-tion zu sehen aber das Ganze war jetzt gut fuumlnfundzwan-zig Jahre her irgendwann musste es doch mal gut sein Und es war ja nun wahrlich nicht so als wuumlrde der Besitz des Hauses in der Friedrichstraszlige noch einen nennenswer-ten Unter schied im Vermoumlgen ihrer Mutter machen Im Gegenteil ndash waumlre sie dort geblieben haumltte sie es vielleicht nie so weit gebracht

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Juni 1952

Die einstmals goldene Zeit merkte man der ehemaligen Amuumlsiermeile auf der Friedrichstraszlige nicht mehr an und Helena verspuumlrte jedes Mal beim Besuch ihres Schoumlnheits-salons diesen Stich des Bedauerns Als sie in den Zwan-zigern hier angekommen war hatte das Leben pulsiert mit Autos Bussen Bahnen Fuszliggaumlngern Radfahrern und noch vereinzelten Droschken Die Kreuzung an der Leip-ziger Straszlige war ein so verkehrsreicher Knotenpunkt ge-wesen dass es fuumlr die aus der Provinz stammende Helena anfangs schon eine Herausforderung gewesen war lebend von einer Straszligenseite auf die andere zu gelangen

Nach dem Krieg war die Straszlige eine von Ruinen ge-saumlumte Schuttwuumlste geworden und auch wenn die Truumlm-mer in weiten Teilen fortgeraumlumt waren so erinnerte doch nur wenig an fruumlher Helena hatte mehrfach uumlberlegt den Schoumlnheitssalon einfach aufzugeben aber das brachte sie nicht uumlber sich Vielleicht normalisierte sich hier ja alles irgendwann wieder das konnte doch nicht ewig so blei-ben Ihr Schoumlnheitssalon in der Friedrichstraszlige befand sich im Amerikanischen Sektor der in Berlin-Mitte gehoumlrte nun zur DDR ihr Werk wiederum zum Franzoumlsischen

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Sektor Dominiks sowie ihr Wohnsitz lagen im Britischen Sektor Das war doch auf Dauer kein Zustand Den Salon in Berlin-Mitte hatte sie aufgeben muumlssen und sie sah sich bereits nach Alternativen um

Als Helena in den Salon trat kam ihr Ida ndash fruumlher Wag-ner jetzt Zeller ndash entgegen raquoKaffeelaquo

raquoUnbedingtlaquo Helena haumlngte ihren Mantel an die Gar-derobe und betrat den Salon Es war noch fruumlh und sie wuumlrden erst in einer halben Stunde oumlffnen Ida hatte schon in den Dreiszligigern die Leitung des Salons uumlbernommen als Helena damit beschaumlftigt gewesen war einen weiteren in Berlin-Mitte zu eroumlffnen

raquoWie geht es den MaumldchenlaquoHelena setzte sich in einen der bequemen Besucher-

stuumlhle wo die Frauen sich bei einer Tasse Kaffee oder Tee und etwas Gebaumlck entspannen konnten raquoMarion faumlngt bei mir im Werk an der Termin steht jetztlaquo Das war Schock und freudige Uumlberraschung zugleich gewesen und Helena wusste selbst nicht ob ihre Bestuumlrzung oder ihre Freude uumlberwog Natuumlrlich hatte sie gehofft dass Marion als Aumlrztin praktizierte immerhin hatte sie stu-diert und damit ein klares Ziel vor Augen gehabt Ande-rerseits freute es sie dass ihre Tochter Interesse an ihrem Unternehmen zeigte ndash und nicht an Dominiks wie eine kleine nicht zu unterdruumlckende Stimme des Triumphs in ihr betonte raquoUnd Fanny schlieszligt das Schuljahr mit sehr guten Noten ablaquo

raquoMathematik macht ihr wieder SpaszliglaquoraquoNachdem Ferdinands Ehefrau es ihr erklaumlrt hat was

ihr unfaumlhiger Lehrer offenbar nicht hinbekommtlaquo Fer-

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dinand war der Patenonkel beider Toumlchter und seine Frau eine begabte Mathematikerin

Die Schwangerschaft mit Fanny hatte Helena seinerzeit einen gehoumlrigen Schrecken eingejagt All die Jahre hatte sie es erfolgreich vermieden zu empfangen und dann als die Welt am Abgrund stand kuumlndigte sich neues Leben an Schlimm genug mitanzusehen wie Marion bereits in der Schule darauf vorbereitet wurde in den BDM einzu-treten da wollte sie diesem System nicht noch ein Kind schenken Es war Rudolf Liliengrund gewesen dem Fanny es zu verdanken hatte dass Helena keinen Abbruch hatte vornehmen lassen

raquoGerade in diesen Zeiten sollten die Anstaumlndigen sich vermehrenlaquo

Ihr lieber Rudolf der seine gesamte Familie verloren und selbst nur knapp und unter Entbehrungen die Flucht geschafft hatte weil er zu lange gezoumlgert geglaubt hatte es wuumlrde alles gut werden Und so hatte Helena Fanny aus-getragen hatte schon in der Schwangerschaft eine so innige Beziehung zu dem Kind gehabt wie sie es sich nicht hatte vorstellen koumlnnen Es war ganz anders als mit Marion zu der sie erst eine enge Bindung hatte aufbauen koumlnnen als diese bereits ein Kleinkind gewesen war Waumlhrend Marion von Geburt an ein Papakind war so war Fanny von Geburt an ganz und gar ihre Tochter Helena hatte sie sogar mit zur Arbeit genommen weil sie sich nicht von ihr trennen mochte hatte sie im Buumlro gestillt und in der Wiege neben sich schlafen lassen Undenkbar dieses Baby jemand ande-rem anzuvertrauen Dabei liebte sie Marion nicht weniger und sie verstand auch im Nachhinein nicht warum sie bei

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beiden Kindern schon in der Schwangerschaft so unter-schiedlich empfunden hatte

raquoDu solltest endlich aufhoumlren das zu hinterfragenlaquo hatte ihre beste Freundin Irene Danelius gesagt raquoEs ist jetzt wie es ist Freu dich einfach Gerade jetzt haben wir alle wahrhaftig Probleme genug da muss man nicht auch noch welche hinzuredenlaquo

Als im November 1938 die Synagogen brannten hatte Irene das Land verlassen raquoIch komme zuruumlck wenn der Irrsinn vorbei istlaquo hatte sie gesagt und war nach Amerika gegangen Dort war sie zur Filmgroumlszlige geworden hatte einen bekannten Produzenten geheiratet und lebte nach wie vor in den Vereinigten Staaten Helena vermisste sie immer noch sehr und war auch schon einmal mit ihrer Familie in New York gewesen um sie zu besuchen

raquoFahrt ihr diesen Sommer weglaquo fragte Ida und setzte sich nun ebenfalls

raquoAuf jeden Fall fuumlr zwei Wochen zu meiner Mutter Und von da aus vielleicht weiter in Richtung Schweizlaquo Vor allem auf die Zeit bei ihrer Mutter freute sich Helena das waren jedes Mal schoumlne Tage mit all den fruumlheren Freunden und Bekannten sowie mit der Baronin fuumlr die sie und ihre Mutter fruumlher gearbeitet hatten und bei der ihre Mutter nun den Altersruhesitz hatte Fuumlr Helenas Familie standen immer Gaumlstezimmer bereit Ein wenig behandelte man sie dort wie eine Prominente die Dienst-botentochter die es in der Weltmetropole zu etwas ge-bracht hatte mit einem reichen Mann verheiratet war und mit Filmstars verkehrte

Kurz darauf trafen die uumlbrigen Mitarbeiterinnen ein

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und dann kamen auch schon die ersten Kundinnen Helena unterhielt sich mit einigen der Damen beriet hier und da persoumlnlich und machte sich dann auf den Weg ins Werk Unmittelbar nach dem Krieg war es schwierig gewesen die Rohstoffe fuumlr die Produktion von Kosmetik aufzutrei-ben vielfach waren sie nur zu Schwarzmarktpreisen zu be-kommen Viele Rohstoffe wurden in der Pharmaindustrie dringender benoumltigt und natuumlrlich hatte die medizini-sche Versorgung Vorrang vor der kosmetischen Gerade nach dem Krieg hatten sie alle andere Sorgen gehabt wes-halb Helenas Werk voruumlbergehend die Produktion um-stellte und der chemischen Industrie zuarbeitete waumlhrend die Schoumlnheitssalons Obdachlosen offenstanden Erst vier Jahre nach Kriegsende als der Hungerwinter vorbei war und die Menschen durch die Waumlhrungsreform wieder uumlber Geld verfuumlgten hatte Helena Kosmetikherstellung und Schoumlnheitsbehandlungen wieder aufgenommen

Im Werk ging Helena direkt in ihr Buumlro und sah sich Werbeentwuumlrfe an Sie liebte ihre Arbeit und sie machte ihr nach wie vor Spaszlig allerdings fehlte ihr die Heraus-forderung Die Kosmetik entwickelte sich stetig weiter und mittlerweile war Forschung und Entwicklung eine eigene Abteilung in ihrem Unternehmen Natuumlrlich freute sie sich daruumlber aber sie vermisste die Zeiten in denen sie selbst in ihrer Fertigung gesessen und experimentiert hatte Vielleicht war es wirklich gut dass Marion hier demnaumlchst etwas frischen Wind hereinbringen wuumlrde Wie wohl Charlotte darauf reagierte dass Helena ihr nun Konkurrenz machen wuumlrde

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Emma houmlrte den Streit bis ins Wohnzimmer Ihre Mutter hielt Leopold vor er naumlhme die Arbeit nicht ausreichend ernst und bringe sich zu wenig ein Wie er bei dem Ge-schaumlftstermin am Vortag nur dagesessen und auf einmal zu zittern begonnen habe Wenn es nicht anders ging dann solle er eben seine Medikamente wieder nehmen Und ndash verdammt noch mal ndash endlich mehr Nervenstaumlrke zei- gen

Auch an diesem Morgen hatte es schon wieder damit begonnen dass Leopold beim Fruumlhstuumlck sehr still gewe-sen war was fuumlr Emma immer ein Zeichen fuumlr schlimme Traumlume war Auf Ausfuumlhrungen ihrer Mutter zu dem heu-tigen Arbeitstag hatte er nur genickt was diese wiederum zu dem Schluss kommen lieszlig dass er sich nur unzurei-chend interessierte Uumlberhaupt habe er keine innovativen Ideen arbeite den Tag ab ohne echtes Interesse zu zeigen an dem was er tat Irgendwann war ein handfester Streit ausgebrochen der auch dann noch anhielt als Emma das Esszimmer verlassen hatte und nun in der Kuumlche den Ab-wasch machte Schlieszliglich hielt sie es nicht mehr aus lief ins Esszimmer zuruumlck

raquoWas willst du eigentlichlaquo fuhr sie ihre Mutter an raquoEr tut doch alles was er solllaquo

raquoEmma lass nurlaquo sagte Leopold raquoIch mache helliplaquoraquoNein ich lasse es nicht Koumlnnen wir nicht mal einen

Morgen friedlich verbringen wie andere Familien auch Muss hier immer den ganzen Tag uumlber Streit herrschen und abends gehen wir dann versoumlhnt schlafen Wozu Um am naumlchsten Tag wieder loszulegen Das ist doch nicht mehr auszuhaltenlaquo

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raquoWie redest du eigentlich mit mirlaquo Die Stimme ihrer Mutter war ganz kalt geworden bar jeder Emotion

raquoIch helliplaquo Die aufbrausende Wut fiel von Emma ab und sie wusste nicht mehr was sie nun sagen sollte raquoIch hellip ich habe heute keine Uni und wollte ohnehin fragen ob ich mit ins Werk kannlaquo Der Einfall war ihr gerade erst ge-kommen raquoIch koumlnnte Leo zuarbeiten und so schon einmal Einblicke bekommenlaquo

Die frostglitzernde Wut im Blick ihrer Mutter schmolz zu Uumlberraschung raquoAch waslaquo

raquoIch habe mir lange uumlberlegt was ich mit meinem Che-miestudium machelaquo

raquoHeiszligt das es steht nicht zu erwarten dass du dich nun nach einer passenden Partie umsiehstlaquo Fuumlr jemanden der selbst gluumlcklich verheiratet gewesen war zeigte ihre Mut-ter eine sehr ablehnende Haltung zu Emmas Eheplaumlnen

raquoNoch ist ja niemand in Aussicht nicht wahrlaquo ver-setzte Emma der Hoffnung einen Daumlmpfer

Ihre Mutter schien damit zufrieden zu sein raquoSchoumln dann beeil dich wir brechen gleich auflaquo

Sie und Leopold fuhren in der Regel gemeinsam los und Leopold lieszlig dann den Wagen fuumlr sie im Werk und kehrte puumlnktlich zum Buumlroschluss mit der Bahn nach Hause zu-ruumlck Das tat er vermutlich vor allem aus dem Grund weil er den Abstand brauchte

raquoIch habe uumlbrigens gehoumlrt dass Marion in der Chariteacute aufhoumlrtlaquo erzaumlhlte Emma als sie auf der Ruumlckbank des Wagens Platz genommen hatte

raquoWelche Marionlaquo fragte ihre Mutter und Emma haumltte gerne gewusst ob sie das wirklich nicht wusste

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raquoUnsere CousinelaquoraquoUnd warum sollte es mich interessieren was diese Per-

son tutlaquoraquoWeil sie deine Nichte ist moumlglicherweiselaquoVon hinten konnte Emma das Schulterzucken sehenraquoAuf jeden Fall heiszligt es sie wollte in das Unternehmen

von Tante Helena einsteigenlaquo Mit einiger Befriedigung bemerkte Emma dass ihre Mutter bei dieser persoumlnlichen Bezeichnung kaum merklich zusammenzuckte

raquoIn der TatlaquoraquoSie hat einige Semester Chemie studiert das hatte ich

doch erzaumlhltlaquoraquoJa hattest du Auch dass sie es mit deinem Chemie-

professor getrieben hatlaquoraquoMutterlaquo kam es von LeopoldraquoDas habe ich nie gesagtlaquo Emma lehnte sich vor als

koumlnne sie ihren Worten damit mehr Nachdruck verleihen raquoIch sagte sie gehen miteinander auslaquo

raquoWenn sie nach ihrer Mutter kommt gibt es das eine nicht ohne das andere Gerne auch zum Nachteil der eigenen Familie Sind deine Noten bei besagtem Profes-sor nicht danach schlechter gewordenlaquo

raquoDas war bei Professor Guenther nicht bei Professor Hellweg mit dem Marion aus war Meine Guumltelaquo Emma hatte langsam genug Dieser sture verbohrte Zorn ihrer Mutter war nicht mehr zu ertragen Mit Ende vierzig konnte sie sich auf jeden Fall noch nicht mit Altersstarr-sinn herausreden raquoHoumlr zu wenn das hier jeden Morgen der Beginn meines Arbeitstages wird sag es direkt dann reicht mir der einmalige Ausflug in dein Unternehmen

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und ich bewerbe mich morgen beim Pharmaunternehmen Lichtenthallaquo

Ihre Mutter fuhr herum raquoDas wagst du nichtlaquoraquoLass es gerne darauf ankommenlaquoLange sah ihre Mutter sie an dann zuckte es um ihre

Lippen Widerspruchsgeist gefiel ihr und sie schien auf einmal versoumlhnt Emma wuumlrde bleiben wuumlrde es allein um Leopolds willen tun Vielleicht wuumlrde es leichter fuumlr ihn mit ihr an seiner Seite

Das ehemalige Werksgelaumlnde hatte in Berlin-Oberschouml-neweide gestanden aber sie waren noch vor dem Krieg um-gezogen was sich als richtige Entscheidung erwiesen hatte wenngleich zu der Zeit noch niemand hatte wissen koumlnnen dass dieser Stadtteil unter sowjetische Verwaltung gestellt werden wuumlrde Das jetzige Werk stand in Berlin-Tempel-hof im Amerikanischen Sektor und hatte im Krieg ebenfalls gelitten Sie fuhren durch das Tor und Leopold parkte den Wagen auf der dafuumlr vorgesehenen Flaumlche auf der weitere Autos Motorraumlder und Mopeds standen

Ihre Mutter begleitete sie bis in die Etage in der sich die Raumlumlichkeiten der Geschaumlftsfuumlhrung befanden dann ging sie in ihr Buumlro waumlhrend Emma Leopold in seines be-gleitete

raquoWeiszligt dulaquo sagte er als er auf einen der Stuumlhle wies raquodu musst das nicht tunlaquo

raquoWas meinst dulaquo Emma lieszlig sich auf der Besucherseite seines Schreibtischs nieder

raquoDas weiszligt du genau Mich hierher zu begleiten ob-wohl du nie im Sinn hattest in der Firma zu arbeiten Du musst mich nicht vor Mutter beschuumltzenlaquo

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raquoDas tue ich doch gar nichtlaquoLeopold antwortete nicht ging nur zur Tuumlr oumlffnete sie

und rief in das gegenuumlberliegende Zimmer der beiden Sekretaumlrinnen dass man ihm und seiner Schwester bitte Kaffee bringen moumlge raquoEs war nie dein Plan hier zu ar-beitenlaquo

raquoPlaumlne koumlnnen sich aumlndernlaquoraquoVon einem Tag auf den anderenlaquoraquoJa warum denn nicht Und wer sagt uumlberhaupt dass

es so abrupt war Vielleicht denke ich ja schon laumlnger da-ruumlber nach und habe dir einfach noch nichts erzaumlhltlaquo Emma zog einen Bleistift aus dem Stiftebecher und drehte ihn zwischen den Fingern raquoUumlbrigens hat mir Dominik Lichtenthal ein Stellenangebot gemachtlaquo Gespannt be-obachtete sie Leopolds Reaktion

raquoWannlaquoraquoIch bin ihm mal abends beim Spaziergang begegnetlaquoraquoUnd da hat er dir ndash ohne dich und deine Befaumlhigung

so recht zu kennen ndash eine Stelle angebotenlaquoraquoWir haben uns kurz unterhalten und er weiszlig dass ich

Chemie studiere Da meinte er wenn ich nicht fuumlr Mutter arbeiten wolle solle ich mich bei ihm melden er koumlnne faumlhige Chemiker immer gebrauchenlaquo

raquoMutter enterbt dich wenn du das tustlaquoraquoDas waumlre nicht so schlimm denn dann erbst du alles

und wirst mir meinen Teil einfach auszahlenlaquoraquoIst das solaquoraquoNatuumlrlichlaquo Emma zog ihre Zigaretten hervorraquoDu willst doch wohl hier nicht rauchenlaquoAnstelle einer Antwort steckte sie sich eine Zigarette

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zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

bei Lichtenthal in Aussicht und einem groszligzuumlgigen Bru-der der dir deinen Erbanteil abtrittlaquo

Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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sich in die Schule geschlichen hatte waumlren die beiden bei-nahe zusammen erwischt worden und so waren sie schnell in den erstbesten Raum geschluumlpft der sich ihnen geboten hatte ndash das Direktorenzimmer Dort war Fanny gegen ein Tintenfass gestoszligen dessen Inhalt sich uumlber die Schreib-unterlage und die darauf liegenden Papiere ergossen hatte Die Schulsekretaumlrin hatte dem Herrn Direktor Kaffee bringen wollen und Fanny prompt erwischt Daraufhin war Wendt umgehend in seinem Buumlro erschienen hatte Fanny eine kraumlftige Ohrfeige verpasst und Lukas am Ohr aus der Schule gezogen

raquoDu haumlttest Vater sagen sollen dass er dich geschla-gen hatlaquo

raquoDas haumltte ja nichts geaumlndertlaquoraquoDu weiszligt dass er das nicht duldetlaquo Ein Lehrer hatte es

einmal gewagt Marion mit dem Zeigestock auf die Haumlnde zu klopfen als sie zehn Jahre alt gewesen war Ihr Vater war daraufhin in die Schule gegangen und hatte dem Leh-rer angedroht dass er ihn mit seinem eigenen Stock ver-pruumlgele wenn er das jemals wieder wagen sollte raquoMeine Tochter wird nicht geschlagenlaquo hatte er gesagt raquoGeben Sie ihr Strafaufgaben auf lassen Sie sie nachsitzen aber er-heben Sie nie wieder die Hand gegen sielaquo

raquoIst doch jetzt auch gleichlaquo Fanny stand auf raquoKomm Mortimerlaquo Mortimer war ein kleiner Mischlingsruumlde der seit sieben Jahren bei ihnen wohnte und Fanny nur selten von der Seite wich raquoGehen wir in den Garten das darf ich ja gewiss nochlaquo

Marion sah ihr nach dann schlug sie das Magazin zu und stand auf Es war gleich zwei Zeit sich fuumlr den Dienst

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im Krankenhaus umzukleiden Sie hatte im Vorjahr ihr letztes Examen absolviert und somit ihr Medizinstudium mit Bestleistungen beendet Nur war ihr schon waumlh-rend des Studiums aufgefallen dass sie zwar die Medizin liebte nicht jedoch den Alltag als Aumlrztin Urspruumlnglich hatte sie mit der Pharmazie geliebaumlugelt aber letzten En-des hatte ihr Interesse an der Medizin gesiegt insbeson-dere an der Dermatologie Conrad Rudorf der im Krieg gefallene Ehemann ihrer Tante Charlotte war Dermato-loge gewesen und gemeinsam hatten sie ein Unternehmen gegruumlndet das sich auf medizinische Kosmetik speziali-siert hatte Dabei war Charlotte zugutegekommen dass sie sich als Pharmazeutin mit Wirkstoffen gut auskannte Dieses Taumltig keitsfeld faszinierte Marion und obwohl ihre Tante und ihre Mutter kein gutes Verhaumlltnis zueinander hatten kam Marion mit ihrer Cousine Emma recht gut aus ebenso mit ihrem Cousin Leopold dem Haupterben von Dr Rudorf Kosmetik

In ihrem Zimmer zog Marion sich um sah ein weiteres Mal auf die Uhr und seufzte Den Entschluss sich auf ein anderes Betaumltigungsfeld zu konzentrieren hatte sie schon vor Monaten endguumlltig gefaumlllt bisher hatte sie es nur noch niemandem erzaumlhlt Ihr Vater war so stolz auf sie gewesen als sie als Aumlrztin an die Chariteacute gegangen war Wuumlrde er enttaumluscht von ihr sein All die Arbeit und das Geld das in ihr Studium geflossen waren ins Feld fuumlhren um sie von ihrem Entschluss abzubringen Sie hatte lange gezouml-gert und die Entscheidung gut durchdacht Den Muti-gen gehoumlrt die Welt sagte man doch Nun Marion wuumlrde sehen ob das auch fuumlr sie galt

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Das Haus in der Friedrichstraszlige wo alles begonnen hatte hatte Helena behalten und sie betrieb den Schoumlnheitssa-lon dort weiterhin wenngleich sie vor dem Krieg einen zweiten Standort mit groszligzuumlgigeren Raumlumlichkeiten er-oumlffnet hatte Aber an diesem Haus hingen so viele Erinne-rungen da hatte sie es nicht uumlbers Herz gebracht sich da-von zu trennen Aber baulich veraumlndert hatte sie es hatte innen die Waumlnde durchbrechen lassen sodass man vom Verkaufsraum durch einen Tuumlrbogen in den angrenzen-den Raum kam der fruumlher die Fertigung enthalten hatte Hier war jetzt ein weiterer Raum fuumlr Kosmetikbehand-lungen entstanden ebenfalls durch einen Durchbruch mit dem Raum dahinter verbunden wo sich der urspruumlngli-che Schoumlnheitssalon befand Fruumlher einmal hatte Helena auch die Wohnung oben in der sie und ihre Schwester in ihren Anfaumlngen gewohnt hatten in Raumlumlichkeiten fuumlr Kosmetik und Schoumlnheitsbehandlungen umwandeln wol-len doch dann waren durch den Krieg so viele Menschen heimatlos geworden dass es ihr dekadent erschienen waumlre intakten Wohnraum auf diese Art zu nutzen Es war ja nicht so dass sie das Geld noumltig hatte das Kosmetikun-ternehmen Rosenberg war schon waumlhrend der Dreiszligiger-jahre groszlig geworden und warf viel Geld ab Zu jener Zeit war der Schoumlnheitssalon lediglich eine weitere Einkom-mensquelle gewesen

Zunaumlchst hatte sie die Wohnung kostenfrei zwei hei-matlosen Familien uumlberlassen die jeweils zwei Raumlume be-wohnten und sich Kuumlche sowie Bad teilten Es war Hele-nas bescheidener Beitrag gewesen das Gefuumlhl endlich etwas tun zu koumlnnen und wenn es nur das war Menschen

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voruumlbergehend ein Zuhause zu geben Mittlerweile hatte sich die Situation entspannt aber Wohnraum wurde nach wie vor benoumltigt Dominik hatte die Wohnung renovieren lassen und seither wurde sie vermietet

Das Unternehmen Rosenberg hatte sich rasant entwickelt inzwischen wurde Helenas Kosmetik in einem eigenen Werk hergestellt in dem sie eine ganze Reihe an Angestell-ten beschaumlftigte Sie selbst war zwar Eigentuumlmerin hatte aber einen Geschaumlftsfuumlhrer sowie Mitarbeiter fuumlr Buchhal-tung und Finanzen Da Helena sich nach wie vor am meis-ten fuumlr die Entwicklung und Forschung interessierte war das der Bereich ihres Unternehmens in dem sie sich vor-zugsweise aufhielt

An diesem Nachmittag verlieszlig sie das Werk etwas fruuml-her denn Dominik hatte ihr am Telefon von dem Vorfall in Fannys Schule erzaumlhlt Das war wieder so typisch Ging es um Dinge wie ein Kuchen fuumlr den Schulbasar oder das Abholen eines Kindes weil ihm unwohl war dann rief man Helena an obwohl Dominik von seinem Werk in Charlottenburg Nord schneller an der Schule sein konnte als Helena aus Tegel War aber etwas vorgefallen das laut Meinung des Direktors dringend einer Sanktion beduumlrfe wendete er sich direkt an Dominik Helena haumltte laumlngst aufhoumlren sollen sich daruumlber aufzuregen denn schon zu Marions Schulzeiten war es nicht anders gewesen aber dennoch aumlrgerte sie sich jedes Mal von Neuem daruumlber

Als Helena die Tuumlr zu ihrer in Berlin-Grunewald gele-genen Villa oumlffnete kam ihr Hund Mortimer in die Ein-gangshalle gelaufen sprang um sie herum drehte eine Runde durch die Halle kam wieder zu ihr und stellte sich

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auf die Hinterbeine ndash das hatte Fanny mit ihm geuumlbt Helena ging in die Knie und kraulte den Hund dann er-hob sie sich und sah Fanny an die Mortimer gefolgt war und in der Tuumlr zum Salon stand

raquoLukas von BuchwaldlaquoFanny nickte schweigendraquoDir haumltte doch klar sein muumlssen dass das unweigerlich

zu Aumlrger fuumlhrtlaquoraquoIch wusste ja nicht dass er kommtlaquoraquoUnd trotzdem hast du dich darauf eingelassen dich

mit ihm in der Schule zu versteckenlaquoraquoWo er doch schon mal da war helliplaquoraquoUnd wie haben seine Eltern reagiertlaquoFanny zuckte mit den SchulternHelena erfuhr es noch vor dem Abendessen als Herr von

Buchwald anrief und nach Dominik fragteraquoSie werden mit mir vorliebnehmen muumlssenlaquo erklaumlrte

Helena kuumlhlDaraufhin erklaumlrte er ihr Dominik persoumlnlich habe da-

fuumlr zu sorgen dass seine Tochter seinen Sohn kein weiteres Mal zum Schuleschwaumlnzen ermutigte raquoDas kann ich nicht duldenlaquo fuhr er fort und beendete das Gespraumlch bruumlsk

raquoPapa hat mir zwei Wochen Hausarrest aufgebrummtlaquo beschwerte sich Fanny

raquoDann wirst du das wohl durchstehen muumlssenlaquo Eine Regel in ihrer Erziehung war dass sie einander nicht in den Ruumlcken fielen und sich nicht gegeneinander ausspie-len lieszligen

Fanny seufzte ergebenraquoHast du deine Hausaufgaben gemachtlaquo

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raquoJa Auch die StrafarbeitlaquoHelena nickte und ging in die Kuumlche wo das Abend-

essen vorbereitet auf der Anrichte stand Sie beschaumlftigten nach wie vor eine Haushaumllterin die zudem gelernte Kouml-chin war Im Gegensatz zu fruumlher kam die jetzige Haus-haumllterin morgens um acht ging um fuumlnf und hatte am Wochenende frei Auszligerdem hatten sie eine Zugehfrau die einmal woumlchentlich kam Die Zeiten da das Perso-nal im Haus naumlchtigte und staumlndig zur Verfuumlgung stand waren vorbei Dank der modernen Errungenschaften wie der elektrischen Waschmaschine ging die Arbeit mitt-lerweile schneller von der Hand und die Zeiten da man einen kompletten Tag fuumlr die Waumlsche einplanen musste waren vorbei

Der Hund kam in den Vorraum setzte sich auf die Hin-terpfoten und sah Helena aus dunklen glaumlnzenden Augen an den Kopf leicht schief gelegt

raquoIst schon Zeit fuumlrs Futterlaquo Helena sah auf die Uhr raquoEin Stuumlndchen musst du dich noch geduldenlaquo Sie ging zur Anrichte und zog eine Schublade auf Mortimer der wusste was sich dort fuumlr Schaumltze verbargen war ihr ge-folgt und stand nun aufgeregt neben ihr Wie Helenas ers-ter Hund Estelle hatte auch er eine Schwaumlche fuumlr Rinder-haut und so gab sie ihm ein gerolltes Stuumlck und ging mit ihm in den Salon der mittlerweile verwaist war Helena zuumlndete sich eine Zigarette an und rauchte waumlhrend sie den kleinen Hund beobachtete der auf der Leckerei he-rumkaute

Ihr damaliger Hund Estelle war im Alter von siebzehn Jahren ndash das schaumltzte Helena zumindest denn sie hatte

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Estelle auf der Straszlige aufgelesen ndash gestorben Sie war noch sehr jung gewesen als Helena sie gefunden und adop tiert hatte Nur ihre Kinder und ihre Mutter hatte sie mehr geliebt als Estelle was Dominik recht konsterniert zur Kenntnis genommen hatte

raquoDich liebe ich anderslaquo hatte sie ihm erklaumlrtSie war gluumlcklich daruumlber gewesen dass Estelle ein so

hohes Alter erreicht hatte obwohl mit jedem Jahr die Angst naumlher ruumlckte dass der Moment des Abschieds nicht mehr gar so fern war Eines Nachmittags war Estelle ge-schwankt als haumltte sie Schlagseite Fanny die damals erst sechs Jahre alt gewesen war hatte geglaubt der Hund mache Faxen

raquoGuck mal Mama wie komisch Estelle laumluftlaquoHelena jedoch hatte es in diesem Moment gespuumlrt hatte

gewusst dass es nun so weit war Den restlichen Tag uumlber lag Estelle in ihrem Koumlrbchen wollte dieses auch nicht zum Fressen verlassen verschmaumlhte selbst ihre geliebten Leckereien blickte nur hin und wieder auf und schaute Helena mit ihren lieben Hundeaugen an In dieser Nacht hatte Helena das Koumlrbchen in ihr Zimmer geholt es neben ihr Bett gestellt und fast die ganze Nacht wachgelegen eine Hand auf Estelles warmem Fell sodass sie spuumlrte wie sich die Flanke hob und senkte

Morgens war Helena in aller Fruumlhe aufgestanden waumlh-rend Dominik noch neben ihr schlief Dann setzte sie sich neben das Koumlrbchen auf den Boden und streichelte den kleinen Hund der die Augen geschlossen hielt aber noch atmete Vielleicht so dachte sie blieb ja doch noch Zeit Vielleicht brauchte Estelle nur Ruhe Dann jedoch oumlffnete

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ihr kleiner Hund die Augen sah sie an versuchte sich auf-zurichten aber Helena legte ihr beruhigend die Hand auf das Koumlpfchen streichelte sie

raquoScht meine Kleine ist ja gutlaquo hatte sie gemurmelt raquoDu darfst jetzt gehenlaquo

Estelle hatte die Augen wieder geschlossen und irgend-wann hatte sich die Flanke nach dem letzten Atemzug nicht mehr gehoben

Danach wollte Helena keinen Hund mehr Als Domi-niks Schwester Ariana vorgeschlagen hatte einen neuen zu kaufen vielleicht wuumlrde man sogar einen finden der aussah wie Estelle waumlre sie ihr fast ins Gesicht gesprun-gen Aber Mortimer hatte sie gefunden wie Estelle vor-mals Nach dem Krieg war Helena durch die Stadt ge-gangen hatte versucht von ihren Lebensmittelmarken etwas zu essen zu bekommen als sie den kleinen Hund bemerkte der in den Truumlmmern nach etwas zu fressen suchte Er war schmutzig weiszlig mit groszligen schwarzen Fle-cken und einem wolligen Fell das ganz verfilzt war Hoff-nungsvoll hatte er sie angesehen aber Helena war mit dem Korb im Arm weitergegangen

raquoEs tut mir leid mein Kleiner es reicht kaum fuumlr unslaquoEr war ihr gefolgt und hatte Schritt gehalten als Helena

die ihren beschleunigte raquoEs ist sinnloslaquo hatte sie gesagt raquoSuch dir jemanden der weniger Maumluler zu stopfen hatlaquo

Bis zum Eingangstor ihres Hauses war er ihr gefolgt und lieszlig sich nicht abwimmeln raquoSo hier trennen sich unsere Wegelaquo sagte sie ihm als koumlnnte er sie verstehen Aber er hob nur das Bein an der Mauer raquoDamit machst du dich bei Dominik gewiss beliebt So und jetzt geh unser

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Haushalt ertraumlgt keine zwei Maumlnner erst recht nicht wenn einer davon sein Revier markiertlaquo

Der Hund hatte sich auf die Hinterbeine gesetzt und sie angesehen Als Helena sich abgewandt hatte war der Hund ihr gefolgt und hinter ihr die Treppe hochgelau-fen In der Eingangshalle war ihr Dominik entgegenge-kommen

raquoMortimer wohnt jetzt hierlaquo hatte sie ihm erklaumlrt und dabei war es geblieben

Der Hund war nur noch wenig gewachsen ging ihr bis zur Mitte der Wade war kompakter als Estelle und auch frecher Zur Arbeit nahm Helena ihn nie mit er verbrachte viel Zeit mit Fanny sah auch jetzt auf als sie den Salon betrat die Leine in der Hand Sofort sprang der Hund auf und lief schwanzwedelnd zu ihr was mit dem kleinen Stummelschwanz immer sehr drollig aussah

raquoWir gehen noch eine Rundelaquo erklaumlrte sieraquoEine Rundelaquo betonte Helena raquoOhne Umwege oder

heimliche TreffenlaquoEin Schatten flog uumlber das Gesicht ihrer Tochter und

Helena hob eine BraueraquoJa eine Rundelaquo sagte Fanny so uumlberdeutlich dass man

es schon fast patzig nennen konnte Sie beugte sich zu Mortimer und befestigte die Leine am Halsband

Fanny fand es in houmlchstem Maszlige anstrengend dass ihre Eltern sie fortwaumlhrend wie ein Kind behandelten Da war Lukas ganz anders er behandelte sie wie eine junge Frau Ihre Eltern hingegen bezeichneten Lukas der immerhin im kommenden Jahr das Abitur machen wuumlrde als Halb-

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wuumlchsigen kaum mehr als ein Knabe Dabei wuumlrde er im Herbst achtzehn werden Ihr Vater hatte ihn sogar als un-verschaumlmten Bengel bezeichnet als sei er noch ein Kind

Mit Mortimer an der Leine verlieszlig sie das Haus und atmete auf als sie drauszligen war Zwei Wochen Hausar-rest das war doch nicht auszuhalten Sie schritt rasch aus atmete die fruumlhlingsmilde Luft ein in der schon die Vor-boten des Sommers lagen Mortimer blieb stehen schnup-perte hob einmal das Bein und lief dann wieder forsch vor-weg Aufmerksam sah Fanny sich um verlangsamte den Schritt als sie auf die Straszligenecke zuging Und da stand er wartete wie stets um diese Uhrzeit auf sie Fannys An-gespanntheit zerschmolz in einem Laumlcheln und sie ging nun wieder schneller raquoIch hatte schon befuumlrchtet deine Eltern verpassen dir auch Hausarrestlaquo

Lukas hatte sich eine Zigarette in den Mund gesteckt und zuckte laumlssig mit den Schultern raquoMein Vater hat he-rumlamentiert von wegen Schule und Verantwortung und ich hab so getan als wuumlrdrsquos mich interessieren aber das warrsquos dann auch schon Hier magst dulaquo Er hielt ihr seine Zigarette hin und Fanny nahm einen Zug obwohl sie den Geschmack scheuszliglich fand Aber sie gab sich laumls-sig und zog noch ein weiteres Mal daran unterdruumlckte da-bei ein Husten

Sie und Lukas trafen sich jeden Tag hier wenn Fanny ihre Hunderunde drehte raquoIch kann heute nur kurzlaquo sagte sie raquoEin Wunder dass meine Mutter mich uumlberhaupt rausgelassen hatlaquo

raquoImmerhin hast du es geschafft Schrecklich dass sie dich so kontrollieren Da ist es gut dass du den Hund hast

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da bietet sich immer ein Vorwandlaquo Lukas sah Mortimer an und blieb auf Abstand Einmal hatte er den Versuch ge-macht den Hund zu streicheln und Mortimer hatte nach ihm geschnappt Das hatte Fanny erschreckt denn an sich war er der liebste Hund den man sich vorstellen konnte raquoDas hat er noch nie getanlaquo hatte sie beteuert

raquoDas ist ganz normal bei diesen Winzlingenlaquo hatte Lukas geantwortet raquoDie sind immer so giftig vermut-lich weil sie sich minderwertig fuumlhlen Ein echter Hund beginnt ab Kniehoumlhelaquo

Das hatte Fanny ihm uumlbelgenommen aber er hatte sich entschuldigt und betont Mortimer habe genau die rich-tige Groumlszlige fuumlr einen Maumldchenhund

Ihre Freundinnen beneideten sie gluumlhend um diesen gutaussehenden Bankierssohn nur ihre beste Freundin Nele mochte ihn nicht und nannte ihn einen groszligspuri-gen Angeber raquoVertrau dem Urteil deines Hundeslaquo hatte sie gesagt Das blieb ein Streitpunkt zwischen ihnen ob-wohl Nele in manchem was sie sagte durchaus richtiglag Nachdem sie und Lukas in der Schule erwischt worden waren hatte Nele gesagt raquoUm was wetten wir dass nur du den Aumlrger bekommstlaquo

Fanny fand das ziemlich ungerecht denn schlieszliglich hatte Lukas die Grenze uumlberschritten und nicht sie Waumlh-rend sie nebeneinanderher gingen haderte sie mit dem harschen Urteil ihres Vaters uumlber Lukas Wenn er es ihr nicht staumlndig so schwermachen wuumlrde ihn zu sehen waumlren solche Eskapaden ja ganz und gar uumlberfluumlssig Bisher war-tete sie immer noch vergebens auf den ersten Kuss aber es ergab sich einfach nicht die Gelegenheit

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raquoBei Franz Heikamp findet naumlchstes Wochenende eine Party stattlaquo erzaumlhlte Lukas raquoSeine Eltern sind verreist Gehst du mit mir hinlaquo

Ein heftiges Kribbeln stob in Fannys Bauch auf ge-folgt von dem Gefuumlhl der Ernuumlchterung raquoDas erlauben mir meine Eltern nie und noch dazu habe ich Hausarrestlaquo Lukas stieszlig einen entnervten kleinen Pfiff aus und Fanny befuumlrchtete seine Geduld mit ihr arg zu strapazieren raquoEs tut mir leidlaquo fuumlgte sie hinzu

raquoSchon gut ist ja nicht deine Schuld Dann eben ein anderes Mallaquo

Sie haumltte sich gern bei ihm eingehakt wagte es aber nicht denn die Gefahr dass ein Bekannter sie sah war ein-fach zu groszlig und dann konnte sie sich nicht mit einer zu-faumllligen Begegnung herausreden Auch so blieb ihr Blick stets wachsam auf die Straszlige gerichtet Und so entdeckte sie ihren Cousin Erich der im Auto an ihr vorbeifuhr auch gerade noch ehe er sie sehen konnte Fanny unterdruumlckte ein Stoumlhnen Konnte man so viel Pech haben

raquoMein Vetterlaquo sagte sie raquoWenn der uns sieht erfaumlhrt mein Vater das sofortlaquo

Wieder verdrehte Lukas entnervt die Augen raquoWenn du nicht so ein tolles Maumldchen waumlrst wuumlrde mich das hier schwer nervenlaquo

raquoEs tut mir leidlaquoraquoSchon gutlaquo Er lieszlig sich zuruumlckfallen schenkte ihr ein

Laumlcheln bei dem ihr die Knie weich wurden dann drehte er sich um und ging in die entgegengesetzte Richtung davon

Erich war ihr Cousin vaumlterlicherseits und Geschaumlftsfuumlh-

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rer im Pharmaunternehmen Lichtenthal und da er sich mit ihrem Vater ausnehmend gut verstand war sich Fanny sicher er wuumlrde es ihm sofort zutragen wenn er sie mit Lukas gesehen haumltte Seufzend ging Fanny weiter und als sie zu Hause ankam sah sie Erichs Wagen an der Straszlige stehen Sie ging durch das Eingangstor auf die elterliche Villa zu lieszlig Mortimer von der Leine der begeistert uumlber die Einfahrt tollte In der Eingangshalle begegnete sie Erich Er sah Fanny an laumlchelte hob leicht die Brauen und unwillkuumlrlich fragte sie sich ob er sie nicht doch mit Lukas bemerkt hatte Allerdings sagte er kein Wort dazu gruumlszligte nur und fragte was die Schule mache

Marion fuhr mit der Elektrischen ins Werk ihres Vaters Nach und nach erhob sich Berlin aus den Truumlmmern lebte und pulsierte Ganze Straszligenzuumlge waren veraumlndert ehe-mals Vertrautes wirkte fremd und waumlhrend die Erwachse-nen damit beschaumlftigt waren aus den Uumlberbleibseln etwas Neues zu erschaffen waren die klaffenden Ruinen fuumlr die Kinder ein riesiger Abenteuer spielplatz

Berlin war nach dem Krieg von den Alliierten in vier Besatzungszonen aufgeteilt worden wurde von den Sieger-maumlchten Frankreich England USA und der Sowjet union verwaltet und kontrolliert und seither gab es Zonengren-zen ndash Schlagbaumlume Farbmarkierungen an Baumlumen oder weiszlig-gelbe Holzpfosten ndash und wer von einer Zone in die

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naumlchste wollte brauchte mancherorts eine Genehmigung Fuumlr Reisen zwischen der Westzone und der sowjetischen Besatzungszone gab es Interzonenpaumlsse und es waren erste Grenzanlagen auf der Ostseite errichtet worden Stachel-drahthindernisse in Waldgebieten Sperren an Straszligen und dabei blieb es nicht sondern es war im Jahr nach Kriegsende eine Grenzpolizei eingesetzt und sogar der Ge-brauch fuumlr Schusswaffen geregelt worden Die Abrieglung des Ostens war ein Schock fuumlr die Menschen in Berlin

raquoDas kann doch nicht seinlaquo hatte sich Marions Mutter empoumlrt raquoEs war ja ohnehin schon ein Aufwand von einem Teil der Stadt in den anderen zu kommen und jetzt soll man auch noch aufpassen nicht erschossen zu werdenlaquo

Was Marion jedoch weit mehr Sorge bereitete war der Umstand dass seit diesem Tag dem achtundzwanzigs-ten Mai West-Berlin durch die Regierung in der Sow-jetzone vom Umland getrennt wurde Schon an den bei-den Tagen zuvor war die innerdeutsche Demarkationslinie nach Unter zeichnung des Bonner Deutschlandvertrags ab-geriegelt worden und es gab nun einen zehn Meter langen Kontrollstreifen einen fuumlnfhundert Meter langen Schutz-streifen sowie eine fuumlnf Kilometer weite Sperrzone Damit war der bisher geduldete kleine Grenzverkehr eingestellt worden Selbst die Telefonverbindungen zwischen West- und Ost-Berlin waren von der Regierung gekappt wor- den

Marion fragte sich wie es jetzt mit dem Schoumlnheits-salon weitergehen sollte der in Berlin-Mitte lag und so-mit im Teil der Stadt der nun von der Deutschen Demo-kratischen Republik verwaltet wurde Da ihre Mutter das

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Geschaumlft zwar in Ost-Berlin betrieb aber in West-Berlin ihren Wohnsitz hatte war ihr ndash wie vielen anderen Ge-werbetreibenden auch ndash die Gewerbeerlaubnis entzogen worden Wer in West-Berlin lebte aber in einem Betrieb in Ost-Berlin angestellt war ndash so wie Marion in der Cha-riteacute ndash wurde zum Umzug aufgefordert oder entlassen Da-mit sparte Marion sich die Kuumlndigung

Die Straszligen ins Umland wurden gesperrt offen bleiben durften nur jene die von den Alliierten als Zufahrtswege in die Bundesrepublik festgelegt worden waren Fuumlr die Menschen in West-Berlin bedeutete das den Verlust ihrer Besitztuumlmer im Osten Natuumlrlich wurden Passierscheine in Aussicht gestellt aber das bedeutete nicht automatisch dass diese genehmigt wurden Auch der Anhalter Bahnhof war stillgelegt worden es gab keine Zuumlge mehr die aus dem Osten nach West-Berlin fuhren

raquoMittlerweile liegt Italien fuumlr uns naumlher als Potsdamlaquo hatte Helena geschimpft

Auch das Werksgebaumlude von Lichtenthal-Pharma hatte einen Treffer abbekommen als eine Sprenggranate in einen Fluumlgel eingeschlagen hatte Der Bereich war nach wie vor eingezaumlunt und die Bauarbeiten schritten stetig voran Ihr Vater hatte die Gelegenheit genutzt und legte den Fluumlgel etwas weitraumlumiger an was dem Gebaumlude ein asymmetri-sches Aussehen verlieh

Marion warf dem Portier einen Gruszlig zu wechselte ein paar Worte mit den Mitarbeitern an der Rezeption und fuhr dann mit dem Aufzug hinauf in die Chefetage Die Tuumlr zum Vorzimmer stand offen und Marion sah wie die Sekretaumlrin ihres Vaters Frau Weiller sich gerade an-

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schickte mit einem Tablett auf dem Kaffeekanne und Tasse standen die Tuumlr zum Buumlro ihres Vaters zu oumlffnen

raquoDas uumlbernehme ichlaquo bot Marion an und nahm der Frau das Tablett ab raquoIch moumlchte sowieso kurz zu ihmlaquo Waumlhrend sie das Tablett in der einen Hand balancierte druumlckte sie mit der anderen die Tuumlr auf raquoBringen Sie mir bitte auch noch eine Tasselaquo

raquoNatuumlrlich kommt sofort Fraumlulein LichtenthallaquoIhr Vater saszlig an seinem Schreibtisch und sah auf als sie

eintrat raquoNa so etwas Planst du einen beruflichen Wech-sellaquo

raquoIn der Tat nur werde ich dann nicht deine Empfangs-damelaquo Marion stellte das Tablett ab und schenkte Kaffee ein Im naumlchsten Moment trat Frau Weiller ein brachte ein zusaumltzliches Gedeck und ein Milchkaumlnnchen

raquoIch weiszlig doch dass Sie Ihren Kaffee nicht schwarz trinkenlaquo sagte sie an Marion gewandt

Nachdem sie gegangen war und die Tuumlr hinter sich ge-schlossen hatte setzte Marion sich ihrem Vater gegenuumlber in einen der beiden Besucherstuumlhle

raquoWas meintest du damit dass du in der Tat einen be-ruflichen Wechsel planstlaquo fragte Dominik Lichtenthal

Marion trank einen weiteren Schluck raquoIch hatte eigent-lich vorgehabt meine Kuumlndigung bei der Chariteacute einzu-reichen wobei das ja nun nicht mehr noumltig ist Ich liebe die Medizin doch der Alltag einer Aumlrztin ist nicht das Richtige fuumlr michlaquo

Das traf ihren Vater vollkommen unerwartet hatte er doch damit gerechnet dass sie in der naumlchsten Zeit ihren Facharzt anstreben wuumlrde raquoSo ploumltzlichlaquo

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raquoIch denke da tatsaumlchlich schon eine ganze Zeit lang druumlber nachlaquo

raquoUnd was willst du stattdessen tun In die Pharmazielaquo Offenbar erinnerte er sich gerade an die paar Semester Che-mie die sie nebenher studiert und waumlhrend derer sie eine kurze Liaison mit einem Chemieprofessor gehabt hatte

raquoNein auch das nichtlaquo Die Kenntnisse in Chemie waren indes durchaus zu etwas gut raquoIch moumlchte bei Mama mitarbeitenlaquo

Unglaumlubig sah ihr Vater sie an raquoDu hast ein komplettes Medizinstudium mit hervorragenden Noten abgeschlos-sen und dann sieht deine Berufswahl so aus Frauen Farbe ins Gesicht zu malenlaquo

Marion musste lachen raquoLass das bloszlig nie Mama houmlren Du weiszligt doch genau dass Kosmetik mehr ist als Frauen Farbe ins Gesicht zu malen Mich interessiert medizini-sche Kosmetik Wie du siehst ist mein Studium nicht vergebens gewesenlaquo

raquoDu kannst doch in die Dermatologie gehenlaquoraquoJa koumlnnte ich Ich koumlnnte aber auch in die Forschung

gehen und medizinische Kosmetik entwickelnlaquoraquoDu koumlnntest auch bei mir in die pharmazeutische For-

schung gehenlaquoraquoDas geht doch Hand in Hand Paps Ich weiszlig dass du

sicher enttaumluscht bist aber helliplaquoraquoNeinlaquo fiel er ihr ins Wort raquoIch bin nicht enttaumluscht

Es ging mir nie darum dass du meine Erwartungen er-fuumlllst sondern stets nur deine eigenen Ich gestehe ich war gluumlcklich als du mir eroumlffnet hast dass du Aumlrztin werden willst aber letzten Endes ist mir am wichtigsten dass du

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zufrieden bist mit dem was du tust Ich bitte dich nur die Entscheidung zu uumlberdenkenlaquo

raquoDu kannst davon ausgehen dass ich das getan habe Ich habe lange und gruumlndlich daruumlber nachgedachtlaquo

raquoWeiszlig deine Mutter bereits davonlaquoraquoNein ich bin zuerst zu dir gekommenlaquoIhr Vater nickte zog seine Zigaretten hervor und

steckte eine an raquoSie wird sich freuen dass du mit ihr zu-sammenarbeiten wirst Und die Taumltigkeit als Aumlrztin laumluft dir ja nicht davon du hast ein abgeschlossenes Studium und kannst jederzeit deinen Facharzt machen wenn du merkst dass das vielleicht doch nicht das Richtige fuumlr dich ist Dir ist aber klar dass du mit medizinischer Kosmetik in Konkurrenz zu deiner Tante Charlotte trittstlaquo

raquoJa durchaus Aber wie sagst du immer Konkurrenz belebt das Geschaumlftlaquo Mit ihrer Tante hatte Marion nur selten Kontakt Auf Feiern lief man sich hin und wieder uumlber den Weg aber damit erschoumlpfte es sich auch schon Im Grunde war das bedauerlich denn Charlottes Tochter Emma war ganz reizend und Marion hatte schon einige interessante Unterhaltungen mit ihr gefuumlhrt wenn sie sich denn mal begegnet waren Auch Emmas Bruder Leopold war sehr freundlich und umgaumlnglich wenngleich er seit dem Krieg verschlossen und in sich gekehrt wirkte Im letzten Jahr hatte er noch an die Front gemusst der arme Kerl Da war sein Vater gerade gestorben und Leopold hatte nicht nur den Verlust zu verkraften gehabt sondern war selbst in dem unheilvollen Mahlwerk des Krieges auf-gerieben worden

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Emma Rudorf saszlig mit einem Buch in der Hand im Wohn-zimmer und houmlrte ihren Bruder heimkommen Den gan-zen Tag war Leopold im Werk von Dr Rudorfs medizi-nische Kosmetik gewesen und an seinem schleppenden Schritt houmlrte Emma wie erschoumlpft er sein musste Ver-mutlich hatte er wieder mit Mutter gestritten und bei dem Gedanken daran wie diese ihm zusetzte packte sie die Wut Sie legte ihr Buch beiseite und stand auf ging in den Flur wo sich Leopold gerade die Schuhe auszog Er sah ihrem Vater aumlhnlich hatte zwar dunkleres Haar aber seine Gesichtszuumlge und er wirkte mit der Brille ein wenig professorenhaft

Als er Emma bemerkte laumlchelte er raquoWie gehtrsquoslaquo fragte er mit gespielter Munterkeit

raquoGut Und dirlaquoraquoViel zu tun Und bei dir Wie war die KlausurlaquoraquoIch denke ich habe bestandenlaquo Emma wuumlrde im

naumlchsten Sommer ihr Chemiestudium abschlieszligenraquoEtwas anderes habe ich auch nicht erwartetlaquoraquoIch habe Abendessen gemacht Kommt Mama auch

gleichlaquoraquoNein sie meinte sie haumltte noch viel zu tunlaquoWie immer Fuumlr Charlotte Rudorf gab es seit dem Tod

ihres Mannes nur noch das Werk sie arbeitete wie beses-sen als koumlnnte das den Schmerz des Verlustes betaumluben Emma hatte sich so oft gewuumlnscht sie wuumlrde daruumlber nicht staumlndig vergessen dass sie zwei Kinder hatte und sich nur dann an sie erinnern wenn es etwas auszusetzen gab Vor allem Leopold war ihr ein fortwaumlhrendes Aumlrgernis

raquoDu warst ein Jahr im Krieglaquo pflegte sie zu sagen

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raquound du bist in einem Stuumlck zuruumlckgekommen Wie lange willst du noch in Truumlbsal versinken anstatt endlich wieder mit beiden Beinen im Leben zu stehenlaquo

Was ihre Mutter Truumlbsal nannte war eine tiefe innere Wunde die der Krieg geschlagen hatte und Emma fragte sich warum sie diese sehen konnte nicht aber die Frau die ihn geboren hatte Dann kamen wieder diese Geschich-ten uumlber all die Kriegsheimkehrer die es auch schafften ihr Leben in den Griff zu bekommen obwohl sie deutlich laumlnger im Krieg aufgerieben worden waren Wie schlimm konnte da das eine Jahr schon gewesen sein Einzig fuumlr Emmas Albtraumlume durch die Bombardierung hatte sie Verstaumlndnis denn diese war zu der Zeit gerade vierzehn Jahre alt gewesen Da spielte wohl auch die Erinnerung mit hinein wie Emma an sie geschmiegt im Keller ge-sessen und gewartet hatte bis die Bombardierung vorbei war waumlhrend sie beide Angst gehabt hatten dass Leopold vielleicht schon tot war

raquoIsst du mit mir zu Abendlaquo fragte er nunraquoKlar ich habe auf dich gewartetlaquoLeopold wuumlrde im Juli vierundzwanzig werden und hatte

sein Pharmaziestudium im letzten Jahr abgeschlossen Er haumltte lieber Maschinenbau studiert war schon seit Kinder-tagen davon fasziniert gewesen Aber es war klar gewesen dass er das Familienwerk erben wuumlrde Allenfalls haumltte er noch Arzt werden koumlnnen um die Praxis ihres Vaters zu uumlbernehmen die nun ein anderer Arzt gemietet hatte

Da sie nur zu zweit waren aszligen sie zwanglos in der Kuumlche und Leopold deckte den Tisch waumlhrend Emma den Brotkorb Butter Kaumlse und Aufschnitt hinstellte und alles

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in den Dosen belieszlig was ihre Mutter stets als mangelnde Esskultur bezeichnete Emma hingegen war es zu viel Auf-wand jetzt alles auf Tellern anzuordnen nur um dann das meiste wieder zuruumlckzufuumlllen und wegzuraumlumen und mehr zum Abspuumllen zu haben Sie lieszlig sich ihrem Bruder gegen-uumlber am Tisch nieder Im Gegensatz zu ihrer Mutter hatte Emma bislang keine groszligen beruflichen Ambitionen ge-habt sie studierte Chemie allein aus dem Grund weil es sie interessierte aber sie hatte keine konkreten Plaumlne da-ruumlber hinaus ndash ein staumlndiges Aumlrgernis fuumlr Charlotte Ru-dorf Emmas Plan war gewesen zum Zeitvertreib etwas zu studieren das ihr Spaszlig machte und danach zu heiraten Im Laufe des Studiums hatte sich ihr Interesse allerdings ge-wandelt In der Fakultaumlt war sie hin und wieder ihrer Cou-sine Marion uumlber den Weg gelaufen die mit einem von Emmas Professoren ausgegangen war und sie fand sie glei-chermaszligen interessant wie inspirierend Sie hatte sogar kurz mit dem Gedanken gespielt sich im Pharmakonzern Lich-tenthal zu bewerben aber da haumltte vermutlich eine Andeu-tung gereicht und ihre Mutter waumlre die Waumlnde hochge-gangen Mit ihrer Schwester Helena hatte sie sich schon vor Jahren entzweit und eine Annaumlherung war nicht in Sicht

Beim Essen plauderten sie uumlber Allgemeines Leopold zog sie mit einem Dozenten auf von dem sie ndash seiner Mei-nung nach ndash verdaumlchtig oft sprach Daraufhin erinnerte sie an die Verkaumluferin aus dem KaDeWe mit der er fortwaumlh-rend ausging ohne dass die Sache von der Stelle kam Spauml-ter raumlumten sie zusammen ab erledigten den Abwasch und wollten gerade ins Wohnzimmer gehen um das Radio ein-zuschalten als ihre Mutter die Wohnungstuumlr aufschloss

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raquoGuten Abendlaquo Charlotte Rudorf sah muumlde aus und Emma ging zu ihr um ihr den Mantel abzunehmen und ihn an die Garderobe zu haumlngen

raquoSoll ich das Abendessen wieder auf den Tisch stellenlaquo fragte Emma

raquoNein lass nur ich habe im Werk eine Kleinigkeit ge-gessenlaquo

So war es fast jeden Abend im Grunde genommen aszligen sie nur noch am Wochenende regelmaumlszligig zusammen und fanden sich ansonsten morgens zu einem raschen Fruumlh-stuumlck in der Kuumlche ein Ihre Mutter wechselte einen kur-zen Blick mit Leopold aus dem klar ersichtlich wurde dass die beiden noch vor gar nicht langer Zeit gestritten hatten ndash ganz so wie von Emma vermutet Nun jedoch zeigte sich ein zoumlgerliches Laumlcheln auf den Lippen Char-lotte Rudorfs und auch das war typisch Zum Abend hin legte sie Streit gerne bei mochte es nicht unversoumlhnt schlafen zu gehen

Im Wohnzimmer schalteten sie das Radio ein Emma houmlrte nur mit halbem Ohr hin und hatte ihr Buch wie-der aufgeschlagen war aber auch hier nicht bei der Sache Schlieszliglich gab sie es auf und beschloss noch ein wenig spazieren zu gehen

raquoUm diese Uhrzeitlaquo fragte ihre Mutter die gerade mit einer Tasse Kraumlutertee ins Wohnzimmer trat

raquoEs ist kurz nach achtlaquoNun blickte auch Leopold auf sah sie an als witterte er

hinter ihrem Wunsch eine tiefere WahrheitraquoEs ist nur ein Spazierganglaquo sagte sie und haumltte am

liebsten die Augen verdreht raquoMir geht so viel im Kopf

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herum und ich kann meine Gedanken beim Gehen am besten sortierenlaquo

raquoWie war eigentlich deine Klausurlaquo wollte ihr Mut-ter nun wissen

raquoGut denke ichlaquo Emma ging in den Flur nahm einen leichten Mantel vom Haken legte sich einen Seidenschal um und warf noch einen kurzen Blick in den Spiegel Seit kurzem trug sie ihr hellbraunes Haar knapp schulterlang und in groszlige Locken gelegt die sie mit einer Spange seit-lich zuruumlckhielt Jetzt zupfte sie ein wenig daran herum bis sie schlieszliglich zufrieden war und verlieszlig die Wohnung Sie wohnten in der ersten Etage direkt uumlber der Arztpraxis die Wohnung im zweiten Stock stand derzeit leer Fruumlher einmal hatte Emmas Groszligmutter dort gewohnt aber sie lebte bereits seit fast dreiszligig Jahren bei ihrer Tochter erst in Hamburg und seit kurz vor dem Krieg in Muumlnchen da der Ehemann von Emmas Tante dorthin versetzt worden war Leider kam sie nur noch selten zu Besuch da lange Reisen sie zu sehr anstrengten Emma bedauerte das denn sie mochte ihre Groszligmutter die auch mit achtzig noch ruumlstiger und scharfsinniger war als manch junge Frau die Emma kannte

Es daumlmmerte bereits und die langen Schatten des spauml-ten Nachmittags waren ineinandergekrochen verdichte-ten sich langsam und entfaumlrbten den Tag zu einem lich-ten Grau Seit zwei Jahren stellte man die Uhren nicht mehr zur Sommerzeit um und anfangs war es ungewohnt gewesen dass die Sommertage nun um eine Stunde kuumlr-zer waren aber man gewoumlhnte sich daran Waumlhrend des Krieges hatte es eine Zeit gegeben in der fortwaumlhrend

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Sommerzeit gegolten hatte und man die Uhren uumlberhaupt nicht mehr umstellte irgendwann war ein konzeptloses Wechseln erfolgt Dann war die Regelung durch die Besat-zungsmaumlchte wieder geaumlndert worden und sie bestimm-ten eine Umstellung auf die Sommerzeit ndash wobei diese in der sowjetischen Besatzungszone Berlins 1945 ganze zwei Monate laumlnger gedauert hatte Jetzt endlich hatte die Regierung sich auf eine einheitliche Zeit festgelegt die fuumlr das gesamte Jahr galt ndash die Ruumlckkehr zur Normalzeit Emma hoffte dass das so blieb

Als sie durch die Straszlige spazierte hier und da einen heimkehrenden Nachbarn oder Bekannten gruumlszligte ndash die Tochter des Herrn Doktor kannte man im gesamten Vier-tel ndash fiel ihr ein Mann auf der gerade ein Haus verlieszlig sich noch einmal umdrehte einem weiteren Mann der in der offenen Tuumlr stand etwas sagte und dann durch den Vorgarten schritt und auf sein Auto zuging Dominik Lichtenthal Emma blieb stehen sah ihn an wusste nicht ob sie zu ihm gehen und houmlflich gruumlszligen oder ihn ignorie-ren sollte Er nahm ihr die Entscheidung ab als er sie be-merkte kurz stutzte als muumlsste er ihr Gesicht erst einem Namen zuordnen und sie dann anlaumlchelte

raquoGuten Abend Emma Wie geht es dirlaquoSie ging auf ihn zu raquoSehr gut vielen Danklaquo Sie wusste

nie so recht ob sie ihn duzen sollte oder nicht denn einer-seits war er ein Fremder andererseits aber der Ehemann ihrer Tante und damit praktisch ihr Onkel

raquoIch habe gehoumlrt du studierst ChemielaquoraquoJa ich werde diesen Sommer fertiglaquoraquoUnd dann geht es in den Konzern deiner Mutterlaquo

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Unschluumlssig hob Emma die Schultern raquoAch das weiszlig ich noch gar nichtlaquo

Dominik Lichtenthal schloss seinen Wagen auf raquoWenn du dich lieber auf dem freien Markt umsehen moumlchtest sag Bescheid ich kann faumlhige Chemiker immer gebrau-chenlaquo

Es war schon fast skurril dass Emma diesen Gedanken erst vor kurzem gehegt hatte und ihn nun ausgesprochen houmlrte Da sie nicht rundheraus ablehnen wollte dankte sie ihm und nachdem sie ihm gesagt hatte er moumlge seine Familie von ihr gruumlszligen stieg er in seinen Wagen und fuhr los Im Grunde genommen war das doch albern dass ihre Mutter immer noch nichts mit ihrer Schwester zu tun haben wollte Emma kannte die alte Geschichte und natuumlr lich war es hart auf einen Schlag sein gesam-tes Erbe zu verlieren und die unvermittelt aufgetauchte fremde Schwester als einzige Gewinnerin in dieser Situa-tion zu sehen aber das Ganze war jetzt gut fuumlnfundzwan-zig Jahre her irgendwann musste es doch mal gut sein Und es war ja nun wahrlich nicht so als wuumlrde der Besitz des Hauses in der Friedrichstraszlige noch einen nennenswer-ten Unter schied im Vermoumlgen ihrer Mutter machen Im Gegenteil ndash waumlre sie dort geblieben haumltte sie es vielleicht nie so weit gebracht

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Juni 1952

Die einstmals goldene Zeit merkte man der ehemaligen Amuumlsiermeile auf der Friedrichstraszlige nicht mehr an und Helena verspuumlrte jedes Mal beim Besuch ihres Schoumlnheits-salons diesen Stich des Bedauerns Als sie in den Zwan-zigern hier angekommen war hatte das Leben pulsiert mit Autos Bussen Bahnen Fuszliggaumlngern Radfahrern und noch vereinzelten Droschken Die Kreuzung an der Leip-ziger Straszlige war ein so verkehrsreicher Knotenpunkt ge-wesen dass es fuumlr die aus der Provinz stammende Helena anfangs schon eine Herausforderung gewesen war lebend von einer Straszligenseite auf die andere zu gelangen

Nach dem Krieg war die Straszlige eine von Ruinen ge-saumlumte Schuttwuumlste geworden und auch wenn die Truumlm-mer in weiten Teilen fortgeraumlumt waren so erinnerte doch nur wenig an fruumlher Helena hatte mehrfach uumlberlegt den Schoumlnheitssalon einfach aufzugeben aber das brachte sie nicht uumlber sich Vielleicht normalisierte sich hier ja alles irgendwann wieder das konnte doch nicht ewig so blei-ben Ihr Schoumlnheitssalon in der Friedrichstraszlige befand sich im Amerikanischen Sektor der in Berlin-Mitte gehoumlrte nun zur DDR ihr Werk wiederum zum Franzoumlsischen

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Sektor Dominiks sowie ihr Wohnsitz lagen im Britischen Sektor Das war doch auf Dauer kein Zustand Den Salon in Berlin-Mitte hatte sie aufgeben muumlssen und sie sah sich bereits nach Alternativen um

Als Helena in den Salon trat kam ihr Ida ndash fruumlher Wag-ner jetzt Zeller ndash entgegen raquoKaffeelaquo

raquoUnbedingtlaquo Helena haumlngte ihren Mantel an die Gar-derobe und betrat den Salon Es war noch fruumlh und sie wuumlrden erst in einer halben Stunde oumlffnen Ida hatte schon in den Dreiszligigern die Leitung des Salons uumlbernommen als Helena damit beschaumlftigt gewesen war einen weiteren in Berlin-Mitte zu eroumlffnen

raquoWie geht es den MaumldchenlaquoHelena setzte sich in einen der bequemen Besucher-

stuumlhle wo die Frauen sich bei einer Tasse Kaffee oder Tee und etwas Gebaumlck entspannen konnten raquoMarion faumlngt bei mir im Werk an der Termin steht jetztlaquo Das war Schock und freudige Uumlberraschung zugleich gewesen und Helena wusste selbst nicht ob ihre Bestuumlrzung oder ihre Freude uumlberwog Natuumlrlich hatte sie gehofft dass Marion als Aumlrztin praktizierte immerhin hatte sie stu-diert und damit ein klares Ziel vor Augen gehabt Ande-rerseits freute es sie dass ihre Tochter Interesse an ihrem Unternehmen zeigte ndash und nicht an Dominiks wie eine kleine nicht zu unterdruumlckende Stimme des Triumphs in ihr betonte raquoUnd Fanny schlieszligt das Schuljahr mit sehr guten Noten ablaquo

raquoMathematik macht ihr wieder SpaszliglaquoraquoNachdem Ferdinands Ehefrau es ihr erklaumlrt hat was

ihr unfaumlhiger Lehrer offenbar nicht hinbekommtlaquo Fer-

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dinand war der Patenonkel beider Toumlchter und seine Frau eine begabte Mathematikerin

Die Schwangerschaft mit Fanny hatte Helena seinerzeit einen gehoumlrigen Schrecken eingejagt All die Jahre hatte sie es erfolgreich vermieden zu empfangen und dann als die Welt am Abgrund stand kuumlndigte sich neues Leben an Schlimm genug mitanzusehen wie Marion bereits in der Schule darauf vorbereitet wurde in den BDM einzu-treten da wollte sie diesem System nicht noch ein Kind schenken Es war Rudolf Liliengrund gewesen dem Fanny es zu verdanken hatte dass Helena keinen Abbruch hatte vornehmen lassen

raquoGerade in diesen Zeiten sollten die Anstaumlndigen sich vermehrenlaquo

Ihr lieber Rudolf der seine gesamte Familie verloren und selbst nur knapp und unter Entbehrungen die Flucht geschafft hatte weil er zu lange gezoumlgert geglaubt hatte es wuumlrde alles gut werden Und so hatte Helena Fanny aus-getragen hatte schon in der Schwangerschaft eine so innige Beziehung zu dem Kind gehabt wie sie es sich nicht hatte vorstellen koumlnnen Es war ganz anders als mit Marion zu der sie erst eine enge Bindung hatte aufbauen koumlnnen als diese bereits ein Kleinkind gewesen war Waumlhrend Marion von Geburt an ein Papakind war so war Fanny von Geburt an ganz und gar ihre Tochter Helena hatte sie sogar mit zur Arbeit genommen weil sie sich nicht von ihr trennen mochte hatte sie im Buumlro gestillt und in der Wiege neben sich schlafen lassen Undenkbar dieses Baby jemand ande-rem anzuvertrauen Dabei liebte sie Marion nicht weniger und sie verstand auch im Nachhinein nicht warum sie bei

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beiden Kindern schon in der Schwangerschaft so unter-schiedlich empfunden hatte

raquoDu solltest endlich aufhoumlren das zu hinterfragenlaquo hatte ihre beste Freundin Irene Danelius gesagt raquoEs ist jetzt wie es ist Freu dich einfach Gerade jetzt haben wir alle wahrhaftig Probleme genug da muss man nicht auch noch welche hinzuredenlaquo

Als im November 1938 die Synagogen brannten hatte Irene das Land verlassen raquoIch komme zuruumlck wenn der Irrsinn vorbei istlaquo hatte sie gesagt und war nach Amerika gegangen Dort war sie zur Filmgroumlszlige geworden hatte einen bekannten Produzenten geheiratet und lebte nach wie vor in den Vereinigten Staaten Helena vermisste sie immer noch sehr und war auch schon einmal mit ihrer Familie in New York gewesen um sie zu besuchen

raquoFahrt ihr diesen Sommer weglaquo fragte Ida und setzte sich nun ebenfalls

raquoAuf jeden Fall fuumlr zwei Wochen zu meiner Mutter Und von da aus vielleicht weiter in Richtung Schweizlaquo Vor allem auf die Zeit bei ihrer Mutter freute sich Helena das waren jedes Mal schoumlne Tage mit all den fruumlheren Freunden und Bekannten sowie mit der Baronin fuumlr die sie und ihre Mutter fruumlher gearbeitet hatten und bei der ihre Mutter nun den Altersruhesitz hatte Fuumlr Helenas Familie standen immer Gaumlstezimmer bereit Ein wenig behandelte man sie dort wie eine Prominente die Dienst-botentochter die es in der Weltmetropole zu etwas ge-bracht hatte mit einem reichen Mann verheiratet war und mit Filmstars verkehrte

Kurz darauf trafen die uumlbrigen Mitarbeiterinnen ein

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und dann kamen auch schon die ersten Kundinnen Helena unterhielt sich mit einigen der Damen beriet hier und da persoumlnlich und machte sich dann auf den Weg ins Werk Unmittelbar nach dem Krieg war es schwierig gewesen die Rohstoffe fuumlr die Produktion von Kosmetik aufzutrei-ben vielfach waren sie nur zu Schwarzmarktpreisen zu be-kommen Viele Rohstoffe wurden in der Pharmaindustrie dringender benoumltigt und natuumlrlich hatte die medizini-sche Versorgung Vorrang vor der kosmetischen Gerade nach dem Krieg hatten sie alle andere Sorgen gehabt wes-halb Helenas Werk voruumlbergehend die Produktion um-stellte und der chemischen Industrie zuarbeitete waumlhrend die Schoumlnheitssalons Obdachlosen offenstanden Erst vier Jahre nach Kriegsende als der Hungerwinter vorbei war und die Menschen durch die Waumlhrungsreform wieder uumlber Geld verfuumlgten hatte Helena Kosmetikherstellung und Schoumlnheitsbehandlungen wieder aufgenommen

Im Werk ging Helena direkt in ihr Buumlro und sah sich Werbeentwuumlrfe an Sie liebte ihre Arbeit und sie machte ihr nach wie vor Spaszlig allerdings fehlte ihr die Heraus-forderung Die Kosmetik entwickelte sich stetig weiter und mittlerweile war Forschung und Entwicklung eine eigene Abteilung in ihrem Unternehmen Natuumlrlich freute sie sich daruumlber aber sie vermisste die Zeiten in denen sie selbst in ihrer Fertigung gesessen und experimentiert hatte Vielleicht war es wirklich gut dass Marion hier demnaumlchst etwas frischen Wind hereinbringen wuumlrde Wie wohl Charlotte darauf reagierte dass Helena ihr nun Konkurrenz machen wuumlrde

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Emma houmlrte den Streit bis ins Wohnzimmer Ihre Mutter hielt Leopold vor er naumlhme die Arbeit nicht ausreichend ernst und bringe sich zu wenig ein Wie er bei dem Ge-schaumlftstermin am Vortag nur dagesessen und auf einmal zu zittern begonnen habe Wenn es nicht anders ging dann solle er eben seine Medikamente wieder nehmen Und ndash verdammt noch mal ndash endlich mehr Nervenstaumlrke zei- gen

Auch an diesem Morgen hatte es schon wieder damit begonnen dass Leopold beim Fruumlhstuumlck sehr still gewe-sen war was fuumlr Emma immer ein Zeichen fuumlr schlimme Traumlume war Auf Ausfuumlhrungen ihrer Mutter zu dem heu-tigen Arbeitstag hatte er nur genickt was diese wiederum zu dem Schluss kommen lieszlig dass er sich nur unzurei-chend interessierte Uumlberhaupt habe er keine innovativen Ideen arbeite den Tag ab ohne echtes Interesse zu zeigen an dem was er tat Irgendwann war ein handfester Streit ausgebrochen der auch dann noch anhielt als Emma das Esszimmer verlassen hatte und nun in der Kuumlche den Ab-wasch machte Schlieszliglich hielt sie es nicht mehr aus lief ins Esszimmer zuruumlck

raquoWas willst du eigentlichlaquo fuhr sie ihre Mutter an raquoEr tut doch alles was er solllaquo

raquoEmma lass nurlaquo sagte Leopold raquoIch mache helliplaquoraquoNein ich lasse es nicht Koumlnnen wir nicht mal einen

Morgen friedlich verbringen wie andere Familien auch Muss hier immer den ganzen Tag uumlber Streit herrschen und abends gehen wir dann versoumlhnt schlafen Wozu Um am naumlchsten Tag wieder loszulegen Das ist doch nicht mehr auszuhaltenlaquo

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raquoWie redest du eigentlich mit mirlaquo Die Stimme ihrer Mutter war ganz kalt geworden bar jeder Emotion

raquoIch helliplaquo Die aufbrausende Wut fiel von Emma ab und sie wusste nicht mehr was sie nun sagen sollte raquoIch hellip ich habe heute keine Uni und wollte ohnehin fragen ob ich mit ins Werk kannlaquo Der Einfall war ihr gerade erst ge-kommen raquoIch koumlnnte Leo zuarbeiten und so schon einmal Einblicke bekommenlaquo

Die frostglitzernde Wut im Blick ihrer Mutter schmolz zu Uumlberraschung raquoAch waslaquo

raquoIch habe mir lange uumlberlegt was ich mit meinem Che-miestudium machelaquo

raquoHeiszligt das es steht nicht zu erwarten dass du dich nun nach einer passenden Partie umsiehstlaquo Fuumlr jemanden der selbst gluumlcklich verheiratet gewesen war zeigte ihre Mut-ter eine sehr ablehnende Haltung zu Emmas Eheplaumlnen

raquoNoch ist ja niemand in Aussicht nicht wahrlaquo ver-setzte Emma der Hoffnung einen Daumlmpfer

Ihre Mutter schien damit zufrieden zu sein raquoSchoumln dann beeil dich wir brechen gleich auflaquo

Sie und Leopold fuhren in der Regel gemeinsam los und Leopold lieszlig dann den Wagen fuumlr sie im Werk und kehrte puumlnktlich zum Buumlroschluss mit der Bahn nach Hause zu-ruumlck Das tat er vermutlich vor allem aus dem Grund weil er den Abstand brauchte

raquoIch habe uumlbrigens gehoumlrt dass Marion in der Chariteacute aufhoumlrtlaquo erzaumlhlte Emma als sie auf der Ruumlckbank des Wagens Platz genommen hatte

raquoWelche Marionlaquo fragte ihre Mutter und Emma haumltte gerne gewusst ob sie das wirklich nicht wusste

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raquoUnsere CousinelaquoraquoUnd warum sollte es mich interessieren was diese Per-

son tutlaquoraquoWeil sie deine Nichte ist moumlglicherweiselaquoVon hinten konnte Emma das Schulterzucken sehenraquoAuf jeden Fall heiszligt es sie wollte in das Unternehmen

von Tante Helena einsteigenlaquo Mit einiger Befriedigung bemerkte Emma dass ihre Mutter bei dieser persoumlnlichen Bezeichnung kaum merklich zusammenzuckte

raquoIn der TatlaquoraquoSie hat einige Semester Chemie studiert das hatte ich

doch erzaumlhltlaquoraquoJa hattest du Auch dass sie es mit deinem Chemie-

professor getrieben hatlaquoraquoMutterlaquo kam es von LeopoldraquoDas habe ich nie gesagtlaquo Emma lehnte sich vor als

koumlnne sie ihren Worten damit mehr Nachdruck verleihen raquoIch sagte sie gehen miteinander auslaquo

raquoWenn sie nach ihrer Mutter kommt gibt es das eine nicht ohne das andere Gerne auch zum Nachteil der eigenen Familie Sind deine Noten bei besagtem Profes-sor nicht danach schlechter gewordenlaquo

raquoDas war bei Professor Guenther nicht bei Professor Hellweg mit dem Marion aus war Meine Guumltelaquo Emma hatte langsam genug Dieser sture verbohrte Zorn ihrer Mutter war nicht mehr zu ertragen Mit Ende vierzig konnte sie sich auf jeden Fall noch nicht mit Altersstarr-sinn herausreden raquoHoumlr zu wenn das hier jeden Morgen der Beginn meines Arbeitstages wird sag es direkt dann reicht mir der einmalige Ausflug in dein Unternehmen

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und ich bewerbe mich morgen beim Pharmaunternehmen Lichtenthallaquo

Ihre Mutter fuhr herum raquoDas wagst du nichtlaquoraquoLass es gerne darauf ankommenlaquoLange sah ihre Mutter sie an dann zuckte es um ihre

Lippen Widerspruchsgeist gefiel ihr und sie schien auf einmal versoumlhnt Emma wuumlrde bleiben wuumlrde es allein um Leopolds willen tun Vielleicht wuumlrde es leichter fuumlr ihn mit ihr an seiner Seite

Das ehemalige Werksgelaumlnde hatte in Berlin-Oberschouml-neweide gestanden aber sie waren noch vor dem Krieg um-gezogen was sich als richtige Entscheidung erwiesen hatte wenngleich zu der Zeit noch niemand hatte wissen koumlnnen dass dieser Stadtteil unter sowjetische Verwaltung gestellt werden wuumlrde Das jetzige Werk stand in Berlin-Tempel-hof im Amerikanischen Sektor und hatte im Krieg ebenfalls gelitten Sie fuhren durch das Tor und Leopold parkte den Wagen auf der dafuumlr vorgesehenen Flaumlche auf der weitere Autos Motorraumlder und Mopeds standen

Ihre Mutter begleitete sie bis in die Etage in der sich die Raumlumlichkeiten der Geschaumlftsfuumlhrung befanden dann ging sie in ihr Buumlro waumlhrend Emma Leopold in seines be-gleitete

raquoWeiszligt dulaquo sagte er als er auf einen der Stuumlhle wies raquodu musst das nicht tunlaquo

raquoWas meinst dulaquo Emma lieszlig sich auf der Besucherseite seines Schreibtischs nieder

raquoDas weiszligt du genau Mich hierher zu begleiten ob-wohl du nie im Sinn hattest in der Firma zu arbeiten Du musst mich nicht vor Mutter beschuumltzenlaquo

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raquoDas tue ich doch gar nichtlaquoLeopold antwortete nicht ging nur zur Tuumlr oumlffnete sie

und rief in das gegenuumlberliegende Zimmer der beiden Sekretaumlrinnen dass man ihm und seiner Schwester bitte Kaffee bringen moumlge raquoEs war nie dein Plan hier zu ar-beitenlaquo

raquoPlaumlne koumlnnen sich aumlndernlaquoraquoVon einem Tag auf den anderenlaquoraquoJa warum denn nicht Und wer sagt uumlberhaupt dass

es so abrupt war Vielleicht denke ich ja schon laumlnger da-ruumlber nach und habe dir einfach noch nichts erzaumlhltlaquo Emma zog einen Bleistift aus dem Stiftebecher und drehte ihn zwischen den Fingern raquoUumlbrigens hat mir Dominik Lichtenthal ein Stellenangebot gemachtlaquo Gespannt be-obachtete sie Leopolds Reaktion

raquoWannlaquoraquoIch bin ihm mal abends beim Spaziergang begegnetlaquoraquoUnd da hat er dir ndash ohne dich und deine Befaumlhigung

so recht zu kennen ndash eine Stelle angebotenlaquoraquoWir haben uns kurz unterhalten und er weiszlig dass ich

Chemie studiere Da meinte er wenn ich nicht fuumlr Mutter arbeiten wolle solle ich mich bei ihm melden er koumlnne faumlhige Chemiker immer gebrauchenlaquo

raquoMutter enterbt dich wenn du das tustlaquoraquoDas waumlre nicht so schlimm denn dann erbst du alles

und wirst mir meinen Teil einfach auszahlenlaquoraquoIst das solaquoraquoNatuumlrlichlaquo Emma zog ihre Zigaretten hervorraquoDu willst doch wohl hier nicht rauchenlaquoAnstelle einer Antwort steckte sie sich eine Zigarette

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zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

bei Lichtenthal in Aussicht und einem groszligzuumlgigen Bru-der der dir deinen Erbanteil abtrittlaquo

Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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im Krankenhaus umzukleiden Sie hatte im Vorjahr ihr letztes Examen absolviert und somit ihr Medizinstudium mit Bestleistungen beendet Nur war ihr schon waumlh-rend des Studiums aufgefallen dass sie zwar die Medizin liebte nicht jedoch den Alltag als Aumlrztin Urspruumlnglich hatte sie mit der Pharmazie geliebaumlugelt aber letzten En-des hatte ihr Interesse an der Medizin gesiegt insbeson-dere an der Dermatologie Conrad Rudorf der im Krieg gefallene Ehemann ihrer Tante Charlotte war Dermato-loge gewesen und gemeinsam hatten sie ein Unternehmen gegruumlndet das sich auf medizinische Kosmetik speziali-siert hatte Dabei war Charlotte zugutegekommen dass sie sich als Pharmazeutin mit Wirkstoffen gut auskannte Dieses Taumltig keitsfeld faszinierte Marion und obwohl ihre Tante und ihre Mutter kein gutes Verhaumlltnis zueinander hatten kam Marion mit ihrer Cousine Emma recht gut aus ebenso mit ihrem Cousin Leopold dem Haupterben von Dr Rudorf Kosmetik

In ihrem Zimmer zog Marion sich um sah ein weiteres Mal auf die Uhr und seufzte Den Entschluss sich auf ein anderes Betaumltigungsfeld zu konzentrieren hatte sie schon vor Monaten endguumlltig gefaumlllt bisher hatte sie es nur noch niemandem erzaumlhlt Ihr Vater war so stolz auf sie gewesen als sie als Aumlrztin an die Chariteacute gegangen war Wuumlrde er enttaumluscht von ihr sein All die Arbeit und das Geld das in ihr Studium geflossen waren ins Feld fuumlhren um sie von ihrem Entschluss abzubringen Sie hatte lange gezouml-gert und die Entscheidung gut durchdacht Den Muti-gen gehoumlrt die Welt sagte man doch Nun Marion wuumlrde sehen ob das auch fuumlr sie galt

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Das Haus in der Friedrichstraszlige wo alles begonnen hatte hatte Helena behalten und sie betrieb den Schoumlnheitssa-lon dort weiterhin wenngleich sie vor dem Krieg einen zweiten Standort mit groszligzuumlgigeren Raumlumlichkeiten er-oumlffnet hatte Aber an diesem Haus hingen so viele Erinne-rungen da hatte sie es nicht uumlbers Herz gebracht sich da-von zu trennen Aber baulich veraumlndert hatte sie es hatte innen die Waumlnde durchbrechen lassen sodass man vom Verkaufsraum durch einen Tuumlrbogen in den angrenzen-den Raum kam der fruumlher die Fertigung enthalten hatte Hier war jetzt ein weiterer Raum fuumlr Kosmetikbehand-lungen entstanden ebenfalls durch einen Durchbruch mit dem Raum dahinter verbunden wo sich der urspruumlngli-che Schoumlnheitssalon befand Fruumlher einmal hatte Helena auch die Wohnung oben in der sie und ihre Schwester in ihren Anfaumlngen gewohnt hatten in Raumlumlichkeiten fuumlr Kosmetik und Schoumlnheitsbehandlungen umwandeln wol-len doch dann waren durch den Krieg so viele Menschen heimatlos geworden dass es ihr dekadent erschienen waumlre intakten Wohnraum auf diese Art zu nutzen Es war ja nicht so dass sie das Geld noumltig hatte das Kosmetikun-ternehmen Rosenberg war schon waumlhrend der Dreiszligiger-jahre groszlig geworden und warf viel Geld ab Zu jener Zeit war der Schoumlnheitssalon lediglich eine weitere Einkom-mensquelle gewesen

Zunaumlchst hatte sie die Wohnung kostenfrei zwei hei-matlosen Familien uumlberlassen die jeweils zwei Raumlume be-wohnten und sich Kuumlche sowie Bad teilten Es war Hele-nas bescheidener Beitrag gewesen das Gefuumlhl endlich etwas tun zu koumlnnen und wenn es nur das war Menschen

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voruumlbergehend ein Zuhause zu geben Mittlerweile hatte sich die Situation entspannt aber Wohnraum wurde nach wie vor benoumltigt Dominik hatte die Wohnung renovieren lassen und seither wurde sie vermietet

Das Unternehmen Rosenberg hatte sich rasant entwickelt inzwischen wurde Helenas Kosmetik in einem eigenen Werk hergestellt in dem sie eine ganze Reihe an Angestell-ten beschaumlftigte Sie selbst war zwar Eigentuumlmerin hatte aber einen Geschaumlftsfuumlhrer sowie Mitarbeiter fuumlr Buchhal-tung und Finanzen Da Helena sich nach wie vor am meis-ten fuumlr die Entwicklung und Forschung interessierte war das der Bereich ihres Unternehmens in dem sie sich vor-zugsweise aufhielt

An diesem Nachmittag verlieszlig sie das Werk etwas fruuml-her denn Dominik hatte ihr am Telefon von dem Vorfall in Fannys Schule erzaumlhlt Das war wieder so typisch Ging es um Dinge wie ein Kuchen fuumlr den Schulbasar oder das Abholen eines Kindes weil ihm unwohl war dann rief man Helena an obwohl Dominik von seinem Werk in Charlottenburg Nord schneller an der Schule sein konnte als Helena aus Tegel War aber etwas vorgefallen das laut Meinung des Direktors dringend einer Sanktion beduumlrfe wendete er sich direkt an Dominik Helena haumltte laumlngst aufhoumlren sollen sich daruumlber aufzuregen denn schon zu Marions Schulzeiten war es nicht anders gewesen aber dennoch aumlrgerte sie sich jedes Mal von Neuem daruumlber

Als Helena die Tuumlr zu ihrer in Berlin-Grunewald gele-genen Villa oumlffnete kam ihr Hund Mortimer in die Ein-gangshalle gelaufen sprang um sie herum drehte eine Runde durch die Halle kam wieder zu ihr und stellte sich

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auf die Hinterbeine ndash das hatte Fanny mit ihm geuumlbt Helena ging in die Knie und kraulte den Hund dann er-hob sie sich und sah Fanny an die Mortimer gefolgt war und in der Tuumlr zum Salon stand

raquoLukas von BuchwaldlaquoFanny nickte schweigendraquoDir haumltte doch klar sein muumlssen dass das unweigerlich

zu Aumlrger fuumlhrtlaquoraquoIch wusste ja nicht dass er kommtlaquoraquoUnd trotzdem hast du dich darauf eingelassen dich

mit ihm in der Schule zu versteckenlaquoraquoWo er doch schon mal da war helliplaquoraquoUnd wie haben seine Eltern reagiertlaquoFanny zuckte mit den SchulternHelena erfuhr es noch vor dem Abendessen als Herr von

Buchwald anrief und nach Dominik fragteraquoSie werden mit mir vorliebnehmen muumlssenlaquo erklaumlrte

Helena kuumlhlDaraufhin erklaumlrte er ihr Dominik persoumlnlich habe da-

fuumlr zu sorgen dass seine Tochter seinen Sohn kein weiteres Mal zum Schuleschwaumlnzen ermutigte raquoDas kann ich nicht duldenlaquo fuhr er fort und beendete das Gespraumlch bruumlsk

raquoPapa hat mir zwei Wochen Hausarrest aufgebrummtlaquo beschwerte sich Fanny

raquoDann wirst du das wohl durchstehen muumlssenlaquo Eine Regel in ihrer Erziehung war dass sie einander nicht in den Ruumlcken fielen und sich nicht gegeneinander ausspie-len lieszligen

Fanny seufzte ergebenraquoHast du deine Hausaufgaben gemachtlaquo

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raquoJa Auch die StrafarbeitlaquoHelena nickte und ging in die Kuumlche wo das Abend-

essen vorbereitet auf der Anrichte stand Sie beschaumlftigten nach wie vor eine Haushaumllterin die zudem gelernte Kouml-chin war Im Gegensatz zu fruumlher kam die jetzige Haus-haumllterin morgens um acht ging um fuumlnf und hatte am Wochenende frei Auszligerdem hatten sie eine Zugehfrau die einmal woumlchentlich kam Die Zeiten da das Perso-nal im Haus naumlchtigte und staumlndig zur Verfuumlgung stand waren vorbei Dank der modernen Errungenschaften wie der elektrischen Waschmaschine ging die Arbeit mitt-lerweile schneller von der Hand und die Zeiten da man einen kompletten Tag fuumlr die Waumlsche einplanen musste waren vorbei

Der Hund kam in den Vorraum setzte sich auf die Hin-terpfoten und sah Helena aus dunklen glaumlnzenden Augen an den Kopf leicht schief gelegt

raquoIst schon Zeit fuumlrs Futterlaquo Helena sah auf die Uhr raquoEin Stuumlndchen musst du dich noch geduldenlaquo Sie ging zur Anrichte und zog eine Schublade auf Mortimer der wusste was sich dort fuumlr Schaumltze verbargen war ihr ge-folgt und stand nun aufgeregt neben ihr Wie Helenas ers-ter Hund Estelle hatte auch er eine Schwaumlche fuumlr Rinder-haut und so gab sie ihm ein gerolltes Stuumlck und ging mit ihm in den Salon der mittlerweile verwaist war Helena zuumlndete sich eine Zigarette an und rauchte waumlhrend sie den kleinen Hund beobachtete der auf der Leckerei he-rumkaute

Ihr damaliger Hund Estelle war im Alter von siebzehn Jahren ndash das schaumltzte Helena zumindest denn sie hatte

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Estelle auf der Straszlige aufgelesen ndash gestorben Sie war noch sehr jung gewesen als Helena sie gefunden und adop tiert hatte Nur ihre Kinder und ihre Mutter hatte sie mehr geliebt als Estelle was Dominik recht konsterniert zur Kenntnis genommen hatte

raquoDich liebe ich anderslaquo hatte sie ihm erklaumlrtSie war gluumlcklich daruumlber gewesen dass Estelle ein so

hohes Alter erreicht hatte obwohl mit jedem Jahr die Angst naumlher ruumlckte dass der Moment des Abschieds nicht mehr gar so fern war Eines Nachmittags war Estelle ge-schwankt als haumltte sie Schlagseite Fanny die damals erst sechs Jahre alt gewesen war hatte geglaubt der Hund mache Faxen

raquoGuck mal Mama wie komisch Estelle laumluftlaquoHelena jedoch hatte es in diesem Moment gespuumlrt hatte

gewusst dass es nun so weit war Den restlichen Tag uumlber lag Estelle in ihrem Koumlrbchen wollte dieses auch nicht zum Fressen verlassen verschmaumlhte selbst ihre geliebten Leckereien blickte nur hin und wieder auf und schaute Helena mit ihren lieben Hundeaugen an In dieser Nacht hatte Helena das Koumlrbchen in ihr Zimmer geholt es neben ihr Bett gestellt und fast die ganze Nacht wachgelegen eine Hand auf Estelles warmem Fell sodass sie spuumlrte wie sich die Flanke hob und senkte

Morgens war Helena in aller Fruumlhe aufgestanden waumlh-rend Dominik noch neben ihr schlief Dann setzte sie sich neben das Koumlrbchen auf den Boden und streichelte den kleinen Hund der die Augen geschlossen hielt aber noch atmete Vielleicht so dachte sie blieb ja doch noch Zeit Vielleicht brauchte Estelle nur Ruhe Dann jedoch oumlffnete

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ihr kleiner Hund die Augen sah sie an versuchte sich auf-zurichten aber Helena legte ihr beruhigend die Hand auf das Koumlpfchen streichelte sie

raquoScht meine Kleine ist ja gutlaquo hatte sie gemurmelt raquoDu darfst jetzt gehenlaquo

Estelle hatte die Augen wieder geschlossen und irgend-wann hatte sich die Flanke nach dem letzten Atemzug nicht mehr gehoben

Danach wollte Helena keinen Hund mehr Als Domi-niks Schwester Ariana vorgeschlagen hatte einen neuen zu kaufen vielleicht wuumlrde man sogar einen finden der aussah wie Estelle waumlre sie ihr fast ins Gesicht gesprun-gen Aber Mortimer hatte sie gefunden wie Estelle vor-mals Nach dem Krieg war Helena durch die Stadt ge-gangen hatte versucht von ihren Lebensmittelmarken etwas zu essen zu bekommen als sie den kleinen Hund bemerkte der in den Truumlmmern nach etwas zu fressen suchte Er war schmutzig weiszlig mit groszligen schwarzen Fle-cken und einem wolligen Fell das ganz verfilzt war Hoff-nungsvoll hatte er sie angesehen aber Helena war mit dem Korb im Arm weitergegangen

raquoEs tut mir leid mein Kleiner es reicht kaum fuumlr unslaquoEr war ihr gefolgt und hatte Schritt gehalten als Helena

die ihren beschleunigte raquoEs ist sinnloslaquo hatte sie gesagt raquoSuch dir jemanden der weniger Maumluler zu stopfen hatlaquo

Bis zum Eingangstor ihres Hauses war er ihr gefolgt und lieszlig sich nicht abwimmeln raquoSo hier trennen sich unsere Wegelaquo sagte sie ihm als koumlnnte er sie verstehen Aber er hob nur das Bein an der Mauer raquoDamit machst du dich bei Dominik gewiss beliebt So und jetzt geh unser

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Haushalt ertraumlgt keine zwei Maumlnner erst recht nicht wenn einer davon sein Revier markiertlaquo

Der Hund hatte sich auf die Hinterbeine gesetzt und sie angesehen Als Helena sich abgewandt hatte war der Hund ihr gefolgt und hinter ihr die Treppe hochgelau-fen In der Eingangshalle war ihr Dominik entgegenge-kommen

raquoMortimer wohnt jetzt hierlaquo hatte sie ihm erklaumlrt und dabei war es geblieben

Der Hund war nur noch wenig gewachsen ging ihr bis zur Mitte der Wade war kompakter als Estelle und auch frecher Zur Arbeit nahm Helena ihn nie mit er verbrachte viel Zeit mit Fanny sah auch jetzt auf als sie den Salon betrat die Leine in der Hand Sofort sprang der Hund auf und lief schwanzwedelnd zu ihr was mit dem kleinen Stummelschwanz immer sehr drollig aussah

raquoWir gehen noch eine Rundelaquo erklaumlrte sieraquoEine Rundelaquo betonte Helena raquoOhne Umwege oder

heimliche TreffenlaquoEin Schatten flog uumlber das Gesicht ihrer Tochter und

Helena hob eine BraueraquoJa eine Rundelaquo sagte Fanny so uumlberdeutlich dass man

es schon fast patzig nennen konnte Sie beugte sich zu Mortimer und befestigte die Leine am Halsband

Fanny fand es in houmlchstem Maszlige anstrengend dass ihre Eltern sie fortwaumlhrend wie ein Kind behandelten Da war Lukas ganz anders er behandelte sie wie eine junge Frau Ihre Eltern hingegen bezeichneten Lukas der immerhin im kommenden Jahr das Abitur machen wuumlrde als Halb-

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wuumlchsigen kaum mehr als ein Knabe Dabei wuumlrde er im Herbst achtzehn werden Ihr Vater hatte ihn sogar als un-verschaumlmten Bengel bezeichnet als sei er noch ein Kind

Mit Mortimer an der Leine verlieszlig sie das Haus und atmete auf als sie drauszligen war Zwei Wochen Hausar-rest das war doch nicht auszuhalten Sie schritt rasch aus atmete die fruumlhlingsmilde Luft ein in der schon die Vor-boten des Sommers lagen Mortimer blieb stehen schnup-perte hob einmal das Bein und lief dann wieder forsch vor-weg Aufmerksam sah Fanny sich um verlangsamte den Schritt als sie auf die Straszligenecke zuging Und da stand er wartete wie stets um diese Uhrzeit auf sie Fannys An-gespanntheit zerschmolz in einem Laumlcheln und sie ging nun wieder schneller raquoIch hatte schon befuumlrchtet deine Eltern verpassen dir auch Hausarrestlaquo

Lukas hatte sich eine Zigarette in den Mund gesteckt und zuckte laumlssig mit den Schultern raquoMein Vater hat he-rumlamentiert von wegen Schule und Verantwortung und ich hab so getan als wuumlrdrsquos mich interessieren aber das warrsquos dann auch schon Hier magst dulaquo Er hielt ihr seine Zigarette hin und Fanny nahm einen Zug obwohl sie den Geschmack scheuszliglich fand Aber sie gab sich laumls-sig und zog noch ein weiteres Mal daran unterdruumlckte da-bei ein Husten

Sie und Lukas trafen sich jeden Tag hier wenn Fanny ihre Hunderunde drehte raquoIch kann heute nur kurzlaquo sagte sie raquoEin Wunder dass meine Mutter mich uumlberhaupt rausgelassen hatlaquo

raquoImmerhin hast du es geschafft Schrecklich dass sie dich so kontrollieren Da ist es gut dass du den Hund hast

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da bietet sich immer ein Vorwandlaquo Lukas sah Mortimer an und blieb auf Abstand Einmal hatte er den Versuch ge-macht den Hund zu streicheln und Mortimer hatte nach ihm geschnappt Das hatte Fanny erschreckt denn an sich war er der liebste Hund den man sich vorstellen konnte raquoDas hat er noch nie getanlaquo hatte sie beteuert

raquoDas ist ganz normal bei diesen Winzlingenlaquo hatte Lukas geantwortet raquoDie sind immer so giftig vermut-lich weil sie sich minderwertig fuumlhlen Ein echter Hund beginnt ab Kniehoumlhelaquo

Das hatte Fanny ihm uumlbelgenommen aber er hatte sich entschuldigt und betont Mortimer habe genau die rich-tige Groumlszlige fuumlr einen Maumldchenhund

Ihre Freundinnen beneideten sie gluumlhend um diesen gutaussehenden Bankierssohn nur ihre beste Freundin Nele mochte ihn nicht und nannte ihn einen groszligspuri-gen Angeber raquoVertrau dem Urteil deines Hundeslaquo hatte sie gesagt Das blieb ein Streitpunkt zwischen ihnen ob-wohl Nele in manchem was sie sagte durchaus richtiglag Nachdem sie und Lukas in der Schule erwischt worden waren hatte Nele gesagt raquoUm was wetten wir dass nur du den Aumlrger bekommstlaquo

Fanny fand das ziemlich ungerecht denn schlieszliglich hatte Lukas die Grenze uumlberschritten und nicht sie Waumlh-rend sie nebeneinanderher gingen haderte sie mit dem harschen Urteil ihres Vaters uumlber Lukas Wenn er es ihr nicht staumlndig so schwermachen wuumlrde ihn zu sehen waumlren solche Eskapaden ja ganz und gar uumlberfluumlssig Bisher war-tete sie immer noch vergebens auf den ersten Kuss aber es ergab sich einfach nicht die Gelegenheit

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raquoBei Franz Heikamp findet naumlchstes Wochenende eine Party stattlaquo erzaumlhlte Lukas raquoSeine Eltern sind verreist Gehst du mit mir hinlaquo

Ein heftiges Kribbeln stob in Fannys Bauch auf ge-folgt von dem Gefuumlhl der Ernuumlchterung raquoDas erlauben mir meine Eltern nie und noch dazu habe ich Hausarrestlaquo Lukas stieszlig einen entnervten kleinen Pfiff aus und Fanny befuumlrchtete seine Geduld mit ihr arg zu strapazieren raquoEs tut mir leidlaquo fuumlgte sie hinzu

raquoSchon gut ist ja nicht deine Schuld Dann eben ein anderes Mallaquo

Sie haumltte sich gern bei ihm eingehakt wagte es aber nicht denn die Gefahr dass ein Bekannter sie sah war ein-fach zu groszlig und dann konnte sie sich nicht mit einer zu-faumllligen Begegnung herausreden Auch so blieb ihr Blick stets wachsam auf die Straszlige gerichtet Und so entdeckte sie ihren Cousin Erich der im Auto an ihr vorbeifuhr auch gerade noch ehe er sie sehen konnte Fanny unterdruumlckte ein Stoumlhnen Konnte man so viel Pech haben

raquoMein Vetterlaquo sagte sie raquoWenn der uns sieht erfaumlhrt mein Vater das sofortlaquo

Wieder verdrehte Lukas entnervt die Augen raquoWenn du nicht so ein tolles Maumldchen waumlrst wuumlrde mich das hier schwer nervenlaquo

raquoEs tut mir leidlaquoraquoSchon gutlaquo Er lieszlig sich zuruumlckfallen schenkte ihr ein

Laumlcheln bei dem ihr die Knie weich wurden dann drehte er sich um und ging in die entgegengesetzte Richtung davon

Erich war ihr Cousin vaumlterlicherseits und Geschaumlftsfuumlh-

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rer im Pharmaunternehmen Lichtenthal und da er sich mit ihrem Vater ausnehmend gut verstand war sich Fanny sicher er wuumlrde es ihm sofort zutragen wenn er sie mit Lukas gesehen haumltte Seufzend ging Fanny weiter und als sie zu Hause ankam sah sie Erichs Wagen an der Straszlige stehen Sie ging durch das Eingangstor auf die elterliche Villa zu lieszlig Mortimer von der Leine der begeistert uumlber die Einfahrt tollte In der Eingangshalle begegnete sie Erich Er sah Fanny an laumlchelte hob leicht die Brauen und unwillkuumlrlich fragte sie sich ob er sie nicht doch mit Lukas bemerkt hatte Allerdings sagte er kein Wort dazu gruumlszligte nur und fragte was die Schule mache

Marion fuhr mit der Elektrischen ins Werk ihres Vaters Nach und nach erhob sich Berlin aus den Truumlmmern lebte und pulsierte Ganze Straszligenzuumlge waren veraumlndert ehe-mals Vertrautes wirkte fremd und waumlhrend die Erwachse-nen damit beschaumlftigt waren aus den Uumlberbleibseln etwas Neues zu erschaffen waren die klaffenden Ruinen fuumlr die Kinder ein riesiger Abenteuer spielplatz

Berlin war nach dem Krieg von den Alliierten in vier Besatzungszonen aufgeteilt worden wurde von den Sieger-maumlchten Frankreich England USA und der Sowjet union verwaltet und kontrolliert und seither gab es Zonengren-zen ndash Schlagbaumlume Farbmarkierungen an Baumlumen oder weiszlig-gelbe Holzpfosten ndash und wer von einer Zone in die

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naumlchste wollte brauchte mancherorts eine Genehmigung Fuumlr Reisen zwischen der Westzone und der sowjetischen Besatzungszone gab es Interzonenpaumlsse und es waren erste Grenzanlagen auf der Ostseite errichtet worden Stachel-drahthindernisse in Waldgebieten Sperren an Straszligen und dabei blieb es nicht sondern es war im Jahr nach Kriegsende eine Grenzpolizei eingesetzt und sogar der Ge-brauch fuumlr Schusswaffen geregelt worden Die Abrieglung des Ostens war ein Schock fuumlr die Menschen in Berlin

raquoDas kann doch nicht seinlaquo hatte sich Marions Mutter empoumlrt raquoEs war ja ohnehin schon ein Aufwand von einem Teil der Stadt in den anderen zu kommen und jetzt soll man auch noch aufpassen nicht erschossen zu werdenlaquo

Was Marion jedoch weit mehr Sorge bereitete war der Umstand dass seit diesem Tag dem achtundzwanzigs-ten Mai West-Berlin durch die Regierung in der Sow-jetzone vom Umland getrennt wurde Schon an den bei-den Tagen zuvor war die innerdeutsche Demarkationslinie nach Unter zeichnung des Bonner Deutschlandvertrags ab-geriegelt worden und es gab nun einen zehn Meter langen Kontrollstreifen einen fuumlnfhundert Meter langen Schutz-streifen sowie eine fuumlnf Kilometer weite Sperrzone Damit war der bisher geduldete kleine Grenzverkehr eingestellt worden Selbst die Telefonverbindungen zwischen West- und Ost-Berlin waren von der Regierung gekappt wor- den

Marion fragte sich wie es jetzt mit dem Schoumlnheits-salon weitergehen sollte der in Berlin-Mitte lag und so-mit im Teil der Stadt der nun von der Deutschen Demo-kratischen Republik verwaltet wurde Da ihre Mutter das

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Geschaumlft zwar in Ost-Berlin betrieb aber in West-Berlin ihren Wohnsitz hatte war ihr ndash wie vielen anderen Ge-werbetreibenden auch ndash die Gewerbeerlaubnis entzogen worden Wer in West-Berlin lebte aber in einem Betrieb in Ost-Berlin angestellt war ndash so wie Marion in der Cha-riteacute ndash wurde zum Umzug aufgefordert oder entlassen Da-mit sparte Marion sich die Kuumlndigung

Die Straszligen ins Umland wurden gesperrt offen bleiben durften nur jene die von den Alliierten als Zufahrtswege in die Bundesrepublik festgelegt worden waren Fuumlr die Menschen in West-Berlin bedeutete das den Verlust ihrer Besitztuumlmer im Osten Natuumlrlich wurden Passierscheine in Aussicht gestellt aber das bedeutete nicht automatisch dass diese genehmigt wurden Auch der Anhalter Bahnhof war stillgelegt worden es gab keine Zuumlge mehr die aus dem Osten nach West-Berlin fuhren

raquoMittlerweile liegt Italien fuumlr uns naumlher als Potsdamlaquo hatte Helena geschimpft

Auch das Werksgebaumlude von Lichtenthal-Pharma hatte einen Treffer abbekommen als eine Sprenggranate in einen Fluumlgel eingeschlagen hatte Der Bereich war nach wie vor eingezaumlunt und die Bauarbeiten schritten stetig voran Ihr Vater hatte die Gelegenheit genutzt und legte den Fluumlgel etwas weitraumlumiger an was dem Gebaumlude ein asymmetri-sches Aussehen verlieh

Marion warf dem Portier einen Gruszlig zu wechselte ein paar Worte mit den Mitarbeitern an der Rezeption und fuhr dann mit dem Aufzug hinauf in die Chefetage Die Tuumlr zum Vorzimmer stand offen und Marion sah wie die Sekretaumlrin ihres Vaters Frau Weiller sich gerade an-

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schickte mit einem Tablett auf dem Kaffeekanne und Tasse standen die Tuumlr zum Buumlro ihres Vaters zu oumlffnen

raquoDas uumlbernehme ichlaquo bot Marion an und nahm der Frau das Tablett ab raquoIch moumlchte sowieso kurz zu ihmlaquo Waumlhrend sie das Tablett in der einen Hand balancierte druumlckte sie mit der anderen die Tuumlr auf raquoBringen Sie mir bitte auch noch eine Tasselaquo

raquoNatuumlrlich kommt sofort Fraumlulein LichtenthallaquoIhr Vater saszlig an seinem Schreibtisch und sah auf als sie

eintrat raquoNa so etwas Planst du einen beruflichen Wech-sellaquo

raquoIn der Tat nur werde ich dann nicht deine Empfangs-damelaquo Marion stellte das Tablett ab und schenkte Kaffee ein Im naumlchsten Moment trat Frau Weiller ein brachte ein zusaumltzliches Gedeck und ein Milchkaumlnnchen

raquoIch weiszlig doch dass Sie Ihren Kaffee nicht schwarz trinkenlaquo sagte sie an Marion gewandt

Nachdem sie gegangen war und die Tuumlr hinter sich ge-schlossen hatte setzte Marion sich ihrem Vater gegenuumlber in einen der beiden Besucherstuumlhle

raquoWas meintest du damit dass du in der Tat einen be-ruflichen Wechsel planstlaquo fragte Dominik Lichtenthal

Marion trank einen weiteren Schluck raquoIch hatte eigent-lich vorgehabt meine Kuumlndigung bei der Chariteacute einzu-reichen wobei das ja nun nicht mehr noumltig ist Ich liebe die Medizin doch der Alltag einer Aumlrztin ist nicht das Richtige fuumlr michlaquo

Das traf ihren Vater vollkommen unerwartet hatte er doch damit gerechnet dass sie in der naumlchsten Zeit ihren Facharzt anstreben wuumlrde raquoSo ploumltzlichlaquo

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raquoIch denke da tatsaumlchlich schon eine ganze Zeit lang druumlber nachlaquo

raquoUnd was willst du stattdessen tun In die Pharmazielaquo Offenbar erinnerte er sich gerade an die paar Semester Che-mie die sie nebenher studiert und waumlhrend derer sie eine kurze Liaison mit einem Chemieprofessor gehabt hatte

raquoNein auch das nichtlaquo Die Kenntnisse in Chemie waren indes durchaus zu etwas gut raquoIch moumlchte bei Mama mitarbeitenlaquo

Unglaumlubig sah ihr Vater sie an raquoDu hast ein komplettes Medizinstudium mit hervorragenden Noten abgeschlos-sen und dann sieht deine Berufswahl so aus Frauen Farbe ins Gesicht zu malenlaquo

Marion musste lachen raquoLass das bloszlig nie Mama houmlren Du weiszligt doch genau dass Kosmetik mehr ist als Frauen Farbe ins Gesicht zu malen Mich interessiert medizini-sche Kosmetik Wie du siehst ist mein Studium nicht vergebens gewesenlaquo

raquoDu kannst doch in die Dermatologie gehenlaquoraquoJa koumlnnte ich Ich koumlnnte aber auch in die Forschung

gehen und medizinische Kosmetik entwickelnlaquoraquoDu koumlnntest auch bei mir in die pharmazeutische For-

schung gehenlaquoraquoDas geht doch Hand in Hand Paps Ich weiszlig dass du

sicher enttaumluscht bist aber helliplaquoraquoNeinlaquo fiel er ihr ins Wort raquoIch bin nicht enttaumluscht

Es ging mir nie darum dass du meine Erwartungen er-fuumlllst sondern stets nur deine eigenen Ich gestehe ich war gluumlcklich als du mir eroumlffnet hast dass du Aumlrztin werden willst aber letzten Endes ist mir am wichtigsten dass du

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zufrieden bist mit dem was du tust Ich bitte dich nur die Entscheidung zu uumlberdenkenlaquo

raquoDu kannst davon ausgehen dass ich das getan habe Ich habe lange und gruumlndlich daruumlber nachgedachtlaquo

raquoWeiszlig deine Mutter bereits davonlaquoraquoNein ich bin zuerst zu dir gekommenlaquoIhr Vater nickte zog seine Zigaretten hervor und

steckte eine an raquoSie wird sich freuen dass du mit ihr zu-sammenarbeiten wirst Und die Taumltigkeit als Aumlrztin laumluft dir ja nicht davon du hast ein abgeschlossenes Studium und kannst jederzeit deinen Facharzt machen wenn du merkst dass das vielleicht doch nicht das Richtige fuumlr dich ist Dir ist aber klar dass du mit medizinischer Kosmetik in Konkurrenz zu deiner Tante Charlotte trittstlaquo

raquoJa durchaus Aber wie sagst du immer Konkurrenz belebt das Geschaumlftlaquo Mit ihrer Tante hatte Marion nur selten Kontakt Auf Feiern lief man sich hin und wieder uumlber den Weg aber damit erschoumlpfte es sich auch schon Im Grunde war das bedauerlich denn Charlottes Tochter Emma war ganz reizend und Marion hatte schon einige interessante Unterhaltungen mit ihr gefuumlhrt wenn sie sich denn mal begegnet waren Auch Emmas Bruder Leopold war sehr freundlich und umgaumlnglich wenngleich er seit dem Krieg verschlossen und in sich gekehrt wirkte Im letzten Jahr hatte er noch an die Front gemusst der arme Kerl Da war sein Vater gerade gestorben und Leopold hatte nicht nur den Verlust zu verkraften gehabt sondern war selbst in dem unheilvollen Mahlwerk des Krieges auf-gerieben worden

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Emma Rudorf saszlig mit einem Buch in der Hand im Wohn-zimmer und houmlrte ihren Bruder heimkommen Den gan-zen Tag war Leopold im Werk von Dr Rudorfs medizi-nische Kosmetik gewesen und an seinem schleppenden Schritt houmlrte Emma wie erschoumlpft er sein musste Ver-mutlich hatte er wieder mit Mutter gestritten und bei dem Gedanken daran wie diese ihm zusetzte packte sie die Wut Sie legte ihr Buch beiseite und stand auf ging in den Flur wo sich Leopold gerade die Schuhe auszog Er sah ihrem Vater aumlhnlich hatte zwar dunkleres Haar aber seine Gesichtszuumlge und er wirkte mit der Brille ein wenig professorenhaft

Als er Emma bemerkte laumlchelte er raquoWie gehtrsquoslaquo fragte er mit gespielter Munterkeit

raquoGut Und dirlaquoraquoViel zu tun Und bei dir Wie war die KlausurlaquoraquoIch denke ich habe bestandenlaquo Emma wuumlrde im

naumlchsten Sommer ihr Chemiestudium abschlieszligenraquoEtwas anderes habe ich auch nicht erwartetlaquoraquoIch habe Abendessen gemacht Kommt Mama auch

gleichlaquoraquoNein sie meinte sie haumltte noch viel zu tunlaquoWie immer Fuumlr Charlotte Rudorf gab es seit dem Tod

ihres Mannes nur noch das Werk sie arbeitete wie beses-sen als koumlnnte das den Schmerz des Verlustes betaumluben Emma hatte sich so oft gewuumlnscht sie wuumlrde daruumlber nicht staumlndig vergessen dass sie zwei Kinder hatte und sich nur dann an sie erinnern wenn es etwas auszusetzen gab Vor allem Leopold war ihr ein fortwaumlhrendes Aumlrgernis

raquoDu warst ein Jahr im Krieglaquo pflegte sie zu sagen

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raquound du bist in einem Stuumlck zuruumlckgekommen Wie lange willst du noch in Truumlbsal versinken anstatt endlich wieder mit beiden Beinen im Leben zu stehenlaquo

Was ihre Mutter Truumlbsal nannte war eine tiefe innere Wunde die der Krieg geschlagen hatte und Emma fragte sich warum sie diese sehen konnte nicht aber die Frau die ihn geboren hatte Dann kamen wieder diese Geschich-ten uumlber all die Kriegsheimkehrer die es auch schafften ihr Leben in den Griff zu bekommen obwohl sie deutlich laumlnger im Krieg aufgerieben worden waren Wie schlimm konnte da das eine Jahr schon gewesen sein Einzig fuumlr Emmas Albtraumlume durch die Bombardierung hatte sie Verstaumlndnis denn diese war zu der Zeit gerade vierzehn Jahre alt gewesen Da spielte wohl auch die Erinnerung mit hinein wie Emma an sie geschmiegt im Keller ge-sessen und gewartet hatte bis die Bombardierung vorbei war waumlhrend sie beide Angst gehabt hatten dass Leopold vielleicht schon tot war

raquoIsst du mit mir zu Abendlaquo fragte er nunraquoKlar ich habe auf dich gewartetlaquoLeopold wuumlrde im Juli vierundzwanzig werden und hatte

sein Pharmaziestudium im letzten Jahr abgeschlossen Er haumltte lieber Maschinenbau studiert war schon seit Kinder-tagen davon fasziniert gewesen Aber es war klar gewesen dass er das Familienwerk erben wuumlrde Allenfalls haumltte er noch Arzt werden koumlnnen um die Praxis ihres Vaters zu uumlbernehmen die nun ein anderer Arzt gemietet hatte

Da sie nur zu zweit waren aszligen sie zwanglos in der Kuumlche und Leopold deckte den Tisch waumlhrend Emma den Brotkorb Butter Kaumlse und Aufschnitt hinstellte und alles

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in den Dosen belieszlig was ihre Mutter stets als mangelnde Esskultur bezeichnete Emma hingegen war es zu viel Auf-wand jetzt alles auf Tellern anzuordnen nur um dann das meiste wieder zuruumlckzufuumlllen und wegzuraumlumen und mehr zum Abspuumllen zu haben Sie lieszlig sich ihrem Bruder gegen-uumlber am Tisch nieder Im Gegensatz zu ihrer Mutter hatte Emma bislang keine groszligen beruflichen Ambitionen ge-habt sie studierte Chemie allein aus dem Grund weil es sie interessierte aber sie hatte keine konkreten Plaumlne da-ruumlber hinaus ndash ein staumlndiges Aumlrgernis fuumlr Charlotte Ru-dorf Emmas Plan war gewesen zum Zeitvertreib etwas zu studieren das ihr Spaszlig machte und danach zu heiraten Im Laufe des Studiums hatte sich ihr Interesse allerdings ge-wandelt In der Fakultaumlt war sie hin und wieder ihrer Cou-sine Marion uumlber den Weg gelaufen die mit einem von Emmas Professoren ausgegangen war und sie fand sie glei-chermaszligen interessant wie inspirierend Sie hatte sogar kurz mit dem Gedanken gespielt sich im Pharmakonzern Lich-tenthal zu bewerben aber da haumltte vermutlich eine Andeu-tung gereicht und ihre Mutter waumlre die Waumlnde hochge-gangen Mit ihrer Schwester Helena hatte sie sich schon vor Jahren entzweit und eine Annaumlherung war nicht in Sicht

Beim Essen plauderten sie uumlber Allgemeines Leopold zog sie mit einem Dozenten auf von dem sie ndash seiner Mei-nung nach ndash verdaumlchtig oft sprach Daraufhin erinnerte sie an die Verkaumluferin aus dem KaDeWe mit der er fortwaumlh-rend ausging ohne dass die Sache von der Stelle kam Spauml-ter raumlumten sie zusammen ab erledigten den Abwasch und wollten gerade ins Wohnzimmer gehen um das Radio ein-zuschalten als ihre Mutter die Wohnungstuumlr aufschloss

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raquoGuten Abendlaquo Charlotte Rudorf sah muumlde aus und Emma ging zu ihr um ihr den Mantel abzunehmen und ihn an die Garderobe zu haumlngen

raquoSoll ich das Abendessen wieder auf den Tisch stellenlaquo fragte Emma

raquoNein lass nur ich habe im Werk eine Kleinigkeit ge-gessenlaquo

So war es fast jeden Abend im Grunde genommen aszligen sie nur noch am Wochenende regelmaumlszligig zusammen und fanden sich ansonsten morgens zu einem raschen Fruumlh-stuumlck in der Kuumlche ein Ihre Mutter wechselte einen kur-zen Blick mit Leopold aus dem klar ersichtlich wurde dass die beiden noch vor gar nicht langer Zeit gestritten hatten ndash ganz so wie von Emma vermutet Nun jedoch zeigte sich ein zoumlgerliches Laumlcheln auf den Lippen Char-lotte Rudorfs und auch das war typisch Zum Abend hin legte sie Streit gerne bei mochte es nicht unversoumlhnt schlafen zu gehen

Im Wohnzimmer schalteten sie das Radio ein Emma houmlrte nur mit halbem Ohr hin und hatte ihr Buch wie-der aufgeschlagen war aber auch hier nicht bei der Sache Schlieszliglich gab sie es auf und beschloss noch ein wenig spazieren zu gehen

raquoUm diese Uhrzeitlaquo fragte ihre Mutter die gerade mit einer Tasse Kraumlutertee ins Wohnzimmer trat

raquoEs ist kurz nach achtlaquoNun blickte auch Leopold auf sah sie an als witterte er

hinter ihrem Wunsch eine tiefere WahrheitraquoEs ist nur ein Spazierganglaquo sagte sie und haumltte am

liebsten die Augen verdreht raquoMir geht so viel im Kopf

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herum und ich kann meine Gedanken beim Gehen am besten sortierenlaquo

raquoWie war eigentlich deine Klausurlaquo wollte ihr Mut-ter nun wissen

raquoGut denke ichlaquo Emma ging in den Flur nahm einen leichten Mantel vom Haken legte sich einen Seidenschal um und warf noch einen kurzen Blick in den Spiegel Seit kurzem trug sie ihr hellbraunes Haar knapp schulterlang und in groszlige Locken gelegt die sie mit einer Spange seit-lich zuruumlckhielt Jetzt zupfte sie ein wenig daran herum bis sie schlieszliglich zufrieden war und verlieszlig die Wohnung Sie wohnten in der ersten Etage direkt uumlber der Arztpraxis die Wohnung im zweiten Stock stand derzeit leer Fruumlher einmal hatte Emmas Groszligmutter dort gewohnt aber sie lebte bereits seit fast dreiszligig Jahren bei ihrer Tochter erst in Hamburg und seit kurz vor dem Krieg in Muumlnchen da der Ehemann von Emmas Tante dorthin versetzt worden war Leider kam sie nur noch selten zu Besuch da lange Reisen sie zu sehr anstrengten Emma bedauerte das denn sie mochte ihre Groszligmutter die auch mit achtzig noch ruumlstiger und scharfsinniger war als manch junge Frau die Emma kannte

Es daumlmmerte bereits und die langen Schatten des spauml-ten Nachmittags waren ineinandergekrochen verdichte-ten sich langsam und entfaumlrbten den Tag zu einem lich-ten Grau Seit zwei Jahren stellte man die Uhren nicht mehr zur Sommerzeit um und anfangs war es ungewohnt gewesen dass die Sommertage nun um eine Stunde kuumlr-zer waren aber man gewoumlhnte sich daran Waumlhrend des Krieges hatte es eine Zeit gegeben in der fortwaumlhrend

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Sommerzeit gegolten hatte und man die Uhren uumlberhaupt nicht mehr umstellte irgendwann war ein konzeptloses Wechseln erfolgt Dann war die Regelung durch die Besat-zungsmaumlchte wieder geaumlndert worden und sie bestimm-ten eine Umstellung auf die Sommerzeit ndash wobei diese in der sowjetischen Besatzungszone Berlins 1945 ganze zwei Monate laumlnger gedauert hatte Jetzt endlich hatte die Regierung sich auf eine einheitliche Zeit festgelegt die fuumlr das gesamte Jahr galt ndash die Ruumlckkehr zur Normalzeit Emma hoffte dass das so blieb

Als sie durch die Straszlige spazierte hier und da einen heimkehrenden Nachbarn oder Bekannten gruumlszligte ndash die Tochter des Herrn Doktor kannte man im gesamten Vier-tel ndash fiel ihr ein Mann auf der gerade ein Haus verlieszlig sich noch einmal umdrehte einem weiteren Mann der in der offenen Tuumlr stand etwas sagte und dann durch den Vorgarten schritt und auf sein Auto zuging Dominik Lichtenthal Emma blieb stehen sah ihn an wusste nicht ob sie zu ihm gehen und houmlflich gruumlszligen oder ihn ignorie-ren sollte Er nahm ihr die Entscheidung ab als er sie be-merkte kurz stutzte als muumlsste er ihr Gesicht erst einem Namen zuordnen und sie dann anlaumlchelte

raquoGuten Abend Emma Wie geht es dirlaquoSie ging auf ihn zu raquoSehr gut vielen Danklaquo Sie wusste

nie so recht ob sie ihn duzen sollte oder nicht denn einer-seits war er ein Fremder andererseits aber der Ehemann ihrer Tante und damit praktisch ihr Onkel

raquoIch habe gehoumlrt du studierst ChemielaquoraquoJa ich werde diesen Sommer fertiglaquoraquoUnd dann geht es in den Konzern deiner Mutterlaquo

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Unschluumlssig hob Emma die Schultern raquoAch das weiszlig ich noch gar nichtlaquo

Dominik Lichtenthal schloss seinen Wagen auf raquoWenn du dich lieber auf dem freien Markt umsehen moumlchtest sag Bescheid ich kann faumlhige Chemiker immer gebrau-chenlaquo

Es war schon fast skurril dass Emma diesen Gedanken erst vor kurzem gehegt hatte und ihn nun ausgesprochen houmlrte Da sie nicht rundheraus ablehnen wollte dankte sie ihm und nachdem sie ihm gesagt hatte er moumlge seine Familie von ihr gruumlszligen stieg er in seinen Wagen und fuhr los Im Grunde genommen war das doch albern dass ihre Mutter immer noch nichts mit ihrer Schwester zu tun haben wollte Emma kannte die alte Geschichte und natuumlr lich war es hart auf einen Schlag sein gesam-tes Erbe zu verlieren und die unvermittelt aufgetauchte fremde Schwester als einzige Gewinnerin in dieser Situa-tion zu sehen aber das Ganze war jetzt gut fuumlnfundzwan-zig Jahre her irgendwann musste es doch mal gut sein Und es war ja nun wahrlich nicht so als wuumlrde der Besitz des Hauses in der Friedrichstraszlige noch einen nennenswer-ten Unter schied im Vermoumlgen ihrer Mutter machen Im Gegenteil ndash waumlre sie dort geblieben haumltte sie es vielleicht nie so weit gebracht

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Juni 1952

Die einstmals goldene Zeit merkte man der ehemaligen Amuumlsiermeile auf der Friedrichstraszlige nicht mehr an und Helena verspuumlrte jedes Mal beim Besuch ihres Schoumlnheits-salons diesen Stich des Bedauerns Als sie in den Zwan-zigern hier angekommen war hatte das Leben pulsiert mit Autos Bussen Bahnen Fuszliggaumlngern Radfahrern und noch vereinzelten Droschken Die Kreuzung an der Leip-ziger Straszlige war ein so verkehrsreicher Knotenpunkt ge-wesen dass es fuumlr die aus der Provinz stammende Helena anfangs schon eine Herausforderung gewesen war lebend von einer Straszligenseite auf die andere zu gelangen

Nach dem Krieg war die Straszlige eine von Ruinen ge-saumlumte Schuttwuumlste geworden und auch wenn die Truumlm-mer in weiten Teilen fortgeraumlumt waren so erinnerte doch nur wenig an fruumlher Helena hatte mehrfach uumlberlegt den Schoumlnheitssalon einfach aufzugeben aber das brachte sie nicht uumlber sich Vielleicht normalisierte sich hier ja alles irgendwann wieder das konnte doch nicht ewig so blei-ben Ihr Schoumlnheitssalon in der Friedrichstraszlige befand sich im Amerikanischen Sektor der in Berlin-Mitte gehoumlrte nun zur DDR ihr Werk wiederum zum Franzoumlsischen

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Sektor Dominiks sowie ihr Wohnsitz lagen im Britischen Sektor Das war doch auf Dauer kein Zustand Den Salon in Berlin-Mitte hatte sie aufgeben muumlssen und sie sah sich bereits nach Alternativen um

Als Helena in den Salon trat kam ihr Ida ndash fruumlher Wag-ner jetzt Zeller ndash entgegen raquoKaffeelaquo

raquoUnbedingtlaquo Helena haumlngte ihren Mantel an die Gar-derobe und betrat den Salon Es war noch fruumlh und sie wuumlrden erst in einer halben Stunde oumlffnen Ida hatte schon in den Dreiszligigern die Leitung des Salons uumlbernommen als Helena damit beschaumlftigt gewesen war einen weiteren in Berlin-Mitte zu eroumlffnen

raquoWie geht es den MaumldchenlaquoHelena setzte sich in einen der bequemen Besucher-

stuumlhle wo die Frauen sich bei einer Tasse Kaffee oder Tee und etwas Gebaumlck entspannen konnten raquoMarion faumlngt bei mir im Werk an der Termin steht jetztlaquo Das war Schock und freudige Uumlberraschung zugleich gewesen und Helena wusste selbst nicht ob ihre Bestuumlrzung oder ihre Freude uumlberwog Natuumlrlich hatte sie gehofft dass Marion als Aumlrztin praktizierte immerhin hatte sie stu-diert und damit ein klares Ziel vor Augen gehabt Ande-rerseits freute es sie dass ihre Tochter Interesse an ihrem Unternehmen zeigte ndash und nicht an Dominiks wie eine kleine nicht zu unterdruumlckende Stimme des Triumphs in ihr betonte raquoUnd Fanny schlieszligt das Schuljahr mit sehr guten Noten ablaquo

raquoMathematik macht ihr wieder SpaszliglaquoraquoNachdem Ferdinands Ehefrau es ihr erklaumlrt hat was

ihr unfaumlhiger Lehrer offenbar nicht hinbekommtlaquo Fer-

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dinand war der Patenonkel beider Toumlchter und seine Frau eine begabte Mathematikerin

Die Schwangerschaft mit Fanny hatte Helena seinerzeit einen gehoumlrigen Schrecken eingejagt All die Jahre hatte sie es erfolgreich vermieden zu empfangen und dann als die Welt am Abgrund stand kuumlndigte sich neues Leben an Schlimm genug mitanzusehen wie Marion bereits in der Schule darauf vorbereitet wurde in den BDM einzu-treten da wollte sie diesem System nicht noch ein Kind schenken Es war Rudolf Liliengrund gewesen dem Fanny es zu verdanken hatte dass Helena keinen Abbruch hatte vornehmen lassen

raquoGerade in diesen Zeiten sollten die Anstaumlndigen sich vermehrenlaquo

Ihr lieber Rudolf der seine gesamte Familie verloren und selbst nur knapp und unter Entbehrungen die Flucht geschafft hatte weil er zu lange gezoumlgert geglaubt hatte es wuumlrde alles gut werden Und so hatte Helena Fanny aus-getragen hatte schon in der Schwangerschaft eine so innige Beziehung zu dem Kind gehabt wie sie es sich nicht hatte vorstellen koumlnnen Es war ganz anders als mit Marion zu der sie erst eine enge Bindung hatte aufbauen koumlnnen als diese bereits ein Kleinkind gewesen war Waumlhrend Marion von Geburt an ein Papakind war so war Fanny von Geburt an ganz und gar ihre Tochter Helena hatte sie sogar mit zur Arbeit genommen weil sie sich nicht von ihr trennen mochte hatte sie im Buumlro gestillt und in der Wiege neben sich schlafen lassen Undenkbar dieses Baby jemand ande-rem anzuvertrauen Dabei liebte sie Marion nicht weniger und sie verstand auch im Nachhinein nicht warum sie bei

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beiden Kindern schon in der Schwangerschaft so unter-schiedlich empfunden hatte

raquoDu solltest endlich aufhoumlren das zu hinterfragenlaquo hatte ihre beste Freundin Irene Danelius gesagt raquoEs ist jetzt wie es ist Freu dich einfach Gerade jetzt haben wir alle wahrhaftig Probleme genug da muss man nicht auch noch welche hinzuredenlaquo

Als im November 1938 die Synagogen brannten hatte Irene das Land verlassen raquoIch komme zuruumlck wenn der Irrsinn vorbei istlaquo hatte sie gesagt und war nach Amerika gegangen Dort war sie zur Filmgroumlszlige geworden hatte einen bekannten Produzenten geheiratet und lebte nach wie vor in den Vereinigten Staaten Helena vermisste sie immer noch sehr und war auch schon einmal mit ihrer Familie in New York gewesen um sie zu besuchen

raquoFahrt ihr diesen Sommer weglaquo fragte Ida und setzte sich nun ebenfalls

raquoAuf jeden Fall fuumlr zwei Wochen zu meiner Mutter Und von da aus vielleicht weiter in Richtung Schweizlaquo Vor allem auf die Zeit bei ihrer Mutter freute sich Helena das waren jedes Mal schoumlne Tage mit all den fruumlheren Freunden und Bekannten sowie mit der Baronin fuumlr die sie und ihre Mutter fruumlher gearbeitet hatten und bei der ihre Mutter nun den Altersruhesitz hatte Fuumlr Helenas Familie standen immer Gaumlstezimmer bereit Ein wenig behandelte man sie dort wie eine Prominente die Dienst-botentochter die es in der Weltmetropole zu etwas ge-bracht hatte mit einem reichen Mann verheiratet war und mit Filmstars verkehrte

Kurz darauf trafen die uumlbrigen Mitarbeiterinnen ein

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und dann kamen auch schon die ersten Kundinnen Helena unterhielt sich mit einigen der Damen beriet hier und da persoumlnlich und machte sich dann auf den Weg ins Werk Unmittelbar nach dem Krieg war es schwierig gewesen die Rohstoffe fuumlr die Produktion von Kosmetik aufzutrei-ben vielfach waren sie nur zu Schwarzmarktpreisen zu be-kommen Viele Rohstoffe wurden in der Pharmaindustrie dringender benoumltigt und natuumlrlich hatte die medizini-sche Versorgung Vorrang vor der kosmetischen Gerade nach dem Krieg hatten sie alle andere Sorgen gehabt wes-halb Helenas Werk voruumlbergehend die Produktion um-stellte und der chemischen Industrie zuarbeitete waumlhrend die Schoumlnheitssalons Obdachlosen offenstanden Erst vier Jahre nach Kriegsende als der Hungerwinter vorbei war und die Menschen durch die Waumlhrungsreform wieder uumlber Geld verfuumlgten hatte Helena Kosmetikherstellung und Schoumlnheitsbehandlungen wieder aufgenommen

Im Werk ging Helena direkt in ihr Buumlro und sah sich Werbeentwuumlrfe an Sie liebte ihre Arbeit und sie machte ihr nach wie vor Spaszlig allerdings fehlte ihr die Heraus-forderung Die Kosmetik entwickelte sich stetig weiter und mittlerweile war Forschung und Entwicklung eine eigene Abteilung in ihrem Unternehmen Natuumlrlich freute sie sich daruumlber aber sie vermisste die Zeiten in denen sie selbst in ihrer Fertigung gesessen und experimentiert hatte Vielleicht war es wirklich gut dass Marion hier demnaumlchst etwas frischen Wind hereinbringen wuumlrde Wie wohl Charlotte darauf reagierte dass Helena ihr nun Konkurrenz machen wuumlrde

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Emma houmlrte den Streit bis ins Wohnzimmer Ihre Mutter hielt Leopold vor er naumlhme die Arbeit nicht ausreichend ernst und bringe sich zu wenig ein Wie er bei dem Ge-schaumlftstermin am Vortag nur dagesessen und auf einmal zu zittern begonnen habe Wenn es nicht anders ging dann solle er eben seine Medikamente wieder nehmen Und ndash verdammt noch mal ndash endlich mehr Nervenstaumlrke zei- gen

Auch an diesem Morgen hatte es schon wieder damit begonnen dass Leopold beim Fruumlhstuumlck sehr still gewe-sen war was fuumlr Emma immer ein Zeichen fuumlr schlimme Traumlume war Auf Ausfuumlhrungen ihrer Mutter zu dem heu-tigen Arbeitstag hatte er nur genickt was diese wiederum zu dem Schluss kommen lieszlig dass er sich nur unzurei-chend interessierte Uumlberhaupt habe er keine innovativen Ideen arbeite den Tag ab ohne echtes Interesse zu zeigen an dem was er tat Irgendwann war ein handfester Streit ausgebrochen der auch dann noch anhielt als Emma das Esszimmer verlassen hatte und nun in der Kuumlche den Ab-wasch machte Schlieszliglich hielt sie es nicht mehr aus lief ins Esszimmer zuruumlck

raquoWas willst du eigentlichlaquo fuhr sie ihre Mutter an raquoEr tut doch alles was er solllaquo

raquoEmma lass nurlaquo sagte Leopold raquoIch mache helliplaquoraquoNein ich lasse es nicht Koumlnnen wir nicht mal einen

Morgen friedlich verbringen wie andere Familien auch Muss hier immer den ganzen Tag uumlber Streit herrschen und abends gehen wir dann versoumlhnt schlafen Wozu Um am naumlchsten Tag wieder loszulegen Das ist doch nicht mehr auszuhaltenlaquo

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raquoWie redest du eigentlich mit mirlaquo Die Stimme ihrer Mutter war ganz kalt geworden bar jeder Emotion

raquoIch helliplaquo Die aufbrausende Wut fiel von Emma ab und sie wusste nicht mehr was sie nun sagen sollte raquoIch hellip ich habe heute keine Uni und wollte ohnehin fragen ob ich mit ins Werk kannlaquo Der Einfall war ihr gerade erst ge-kommen raquoIch koumlnnte Leo zuarbeiten und so schon einmal Einblicke bekommenlaquo

Die frostglitzernde Wut im Blick ihrer Mutter schmolz zu Uumlberraschung raquoAch waslaquo

raquoIch habe mir lange uumlberlegt was ich mit meinem Che-miestudium machelaquo

raquoHeiszligt das es steht nicht zu erwarten dass du dich nun nach einer passenden Partie umsiehstlaquo Fuumlr jemanden der selbst gluumlcklich verheiratet gewesen war zeigte ihre Mut-ter eine sehr ablehnende Haltung zu Emmas Eheplaumlnen

raquoNoch ist ja niemand in Aussicht nicht wahrlaquo ver-setzte Emma der Hoffnung einen Daumlmpfer

Ihre Mutter schien damit zufrieden zu sein raquoSchoumln dann beeil dich wir brechen gleich auflaquo

Sie und Leopold fuhren in der Regel gemeinsam los und Leopold lieszlig dann den Wagen fuumlr sie im Werk und kehrte puumlnktlich zum Buumlroschluss mit der Bahn nach Hause zu-ruumlck Das tat er vermutlich vor allem aus dem Grund weil er den Abstand brauchte

raquoIch habe uumlbrigens gehoumlrt dass Marion in der Chariteacute aufhoumlrtlaquo erzaumlhlte Emma als sie auf der Ruumlckbank des Wagens Platz genommen hatte

raquoWelche Marionlaquo fragte ihre Mutter und Emma haumltte gerne gewusst ob sie das wirklich nicht wusste

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raquoUnsere CousinelaquoraquoUnd warum sollte es mich interessieren was diese Per-

son tutlaquoraquoWeil sie deine Nichte ist moumlglicherweiselaquoVon hinten konnte Emma das Schulterzucken sehenraquoAuf jeden Fall heiszligt es sie wollte in das Unternehmen

von Tante Helena einsteigenlaquo Mit einiger Befriedigung bemerkte Emma dass ihre Mutter bei dieser persoumlnlichen Bezeichnung kaum merklich zusammenzuckte

raquoIn der TatlaquoraquoSie hat einige Semester Chemie studiert das hatte ich

doch erzaumlhltlaquoraquoJa hattest du Auch dass sie es mit deinem Chemie-

professor getrieben hatlaquoraquoMutterlaquo kam es von LeopoldraquoDas habe ich nie gesagtlaquo Emma lehnte sich vor als

koumlnne sie ihren Worten damit mehr Nachdruck verleihen raquoIch sagte sie gehen miteinander auslaquo

raquoWenn sie nach ihrer Mutter kommt gibt es das eine nicht ohne das andere Gerne auch zum Nachteil der eigenen Familie Sind deine Noten bei besagtem Profes-sor nicht danach schlechter gewordenlaquo

raquoDas war bei Professor Guenther nicht bei Professor Hellweg mit dem Marion aus war Meine Guumltelaquo Emma hatte langsam genug Dieser sture verbohrte Zorn ihrer Mutter war nicht mehr zu ertragen Mit Ende vierzig konnte sie sich auf jeden Fall noch nicht mit Altersstarr-sinn herausreden raquoHoumlr zu wenn das hier jeden Morgen der Beginn meines Arbeitstages wird sag es direkt dann reicht mir der einmalige Ausflug in dein Unternehmen

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und ich bewerbe mich morgen beim Pharmaunternehmen Lichtenthallaquo

Ihre Mutter fuhr herum raquoDas wagst du nichtlaquoraquoLass es gerne darauf ankommenlaquoLange sah ihre Mutter sie an dann zuckte es um ihre

Lippen Widerspruchsgeist gefiel ihr und sie schien auf einmal versoumlhnt Emma wuumlrde bleiben wuumlrde es allein um Leopolds willen tun Vielleicht wuumlrde es leichter fuumlr ihn mit ihr an seiner Seite

Das ehemalige Werksgelaumlnde hatte in Berlin-Oberschouml-neweide gestanden aber sie waren noch vor dem Krieg um-gezogen was sich als richtige Entscheidung erwiesen hatte wenngleich zu der Zeit noch niemand hatte wissen koumlnnen dass dieser Stadtteil unter sowjetische Verwaltung gestellt werden wuumlrde Das jetzige Werk stand in Berlin-Tempel-hof im Amerikanischen Sektor und hatte im Krieg ebenfalls gelitten Sie fuhren durch das Tor und Leopold parkte den Wagen auf der dafuumlr vorgesehenen Flaumlche auf der weitere Autos Motorraumlder und Mopeds standen

Ihre Mutter begleitete sie bis in die Etage in der sich die Raumlumlichkeiten der Geschaumlftsfuumlhrung befanden dann ging sie in ihr Buumlro waumlhrend Emma Leopold in seines be-gleitete

raquoWeiszligt dulaquo sagte er als er auf einen der Stuumlhle wies raquodu musst das nicht tunlaquo

raquoWas meinst dulaquo Emma lieszlig sich auf der Besucherseite seines Schreibtischs nieder

raquoDas weiszligt du genau Mich hierher zu begleiten ob-wohl du nie im Sinn hattest in der Firma zu arbeiten Du musst mich nicht vor Mutter beschuumltzenlaquo

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raquoDas tue ich doch gar nichtlaquoLeopold antwortete nicht ging nur zur Tuumlr oumlffnete sie

und rief in das gegenuumlberliegende Zimmer der beiden Sekretaumlrinnen dass man ihm und seiner Schwester bitte Kaffee bringen moumlge raquoEs war nie dein Plan hier zu ar-beitenlaquo

raquoPlaumlne koumlnnen sich aumlndernlaquoraquoVon einem Tag auf den anderenlaquoraquoJa warum denn nicht Und wer sagt uumlberhaupt dass

es so abrupt war Vielleicht denke ich ja schon laumlnger da-ruumlber nach und habe dir einfach noch nichts erzaumlhltlaquo Emma zog einen Bleistift aus dem Stiftebecher und drehte ihn zwischen den Fingern raquoUumlbrigens hat mir Dominik Lichtenthal ein Stellenangebot gemachtlaquo Gespannt be-obachtete sie Leopolds Reaktion

raquoWannlaquoraquoIch bin ihm mal abends beim Spaziergang begegnetlaquoraquoUnd da hat er dir ndash ohne dich und deine Befaumlhigung

so recht zu kennen ndash eine Stelle angebotenlaquoraquoWir haben uns kurz unterhalten und er weiszlig dass ich

Chemie studiere Da meinte er wenn ich nicht fuumlr Mutter arbeiten wolle solle ich mich bei ihm melden er koumlnne faumlhige Chemiker immer gebrauchenlaquo

raquoMutter enterbt dich wenn du das tustlaquoraquoDas waumlre nicht so schlimm denn dann erbst du alles

und wirst mir meinen Teil einfach auszahlenlaquoraquoIst das solaquoraquoNatuumlrlichlaquo Emma zog ihre Zigaretten hervorraquoDu willst doch wohl hier nicht rauchenlaquoAnstelle einer Antwort steckte sie sich eine Zigarette

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zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

bei Lichtenthal in Aussicht und einem groszligzuumlgigen Bru-der der dir deinen Erbanteil abtrittlaquo

Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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Das Haus in der Friedrichstraszlige wo alles begonnen hatte hatte Helena behalten und sie betrieb den Schoumlnheitssa-lon dort weiterhin wenngleich sie vor dem Krieg einen zweiten Standort mit groszligzuumlgigeren Raumlumlichkeiten er-oumlffnet hatte Aber an diesem Haus hingen so viele Erinne-rungen da hatte sie es nicht uumlbers Herz gebracht sich da-von zu trennen Aber baulich veraumlndert hatte sie es hatte innen die Waumlnde durchbrechen lassen sodass man vom Verkaufsraum durch einen Tuumlrbogen in den angrenzen-den Raum kam der fruumlher die Fertigung enthalten hatte Hier war jetzt ein weiterer Raum fuumlr Kosmetikbehand-lungen entstanden ebenfalls durch einen Durchbruch mit dem Raum dahinter verbunden wo sich der urspruumlngli-che Schoumlnheitssalon befand Fruumlher einmal hatte Helena auch die Wohnung oben in der sie und ihre Schwester in ihren Anfaumlngen gewohnt hatten in Raumlumlichkeiten fuumlr Kosmetik und Schoumlnheitsbehandlungen umwandeln wol-len doch dann waren durch den Krieg so viele Menschen heimatlos geworden dass es ihr dekadent erschienen waumlre intakten Wohnraum auf diese Art zu nutzen Es war ja nicht so dass sie das Geld noumltig hatte das Kosmetikun-ternehmen Rosenberg war schon waumlhrend der Dreiszligiger-jahre groszlig geworden und warf viel Geld ab Zu jener Zeit war der Schoumlnheitssalon lediglich eine weitere Einkom-mensquelle gewesen

Zunaumlchst hatte sie die Wohnung kostenfrei zwei hei-matlosen Familien uumlberlassen die jeweils zwei Raumlume be-wohnten und sich Kuumlche sowie Bad teilten Es war Hele-nas bescheidener Beitrag gewesen das Gefuumlhl endlich etwas tun zu koumlnnen und wenn es nur das war Menschen

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voruumlbergehend ein Zuhause zu geben Mittlerweile hatte sich die Situation entspannt aber Wohnraum wurde nach wie vor benoumltigt Dominik hatte die Wohnung renovieren lassen und seither wurde sie vermietet

Das Unternehmen Rosenberg hatte sich rasant entwickelt inzwischen wurde Helenas Kosmetik in einem eigenen Werk hergestellt in dem sie eine ganze Reihe an Angestell-ten beschaumlftigte Sie selbst war zwar Eigentuumlmerin hatte aber einen Geschaumlftsfuumlhrer sowie Mitarbeiter fuumlr Buchhal-tung und Finanzen Da Helena sich nach wie vor am meis-ten fuumlr die Entwicklung und Forschung interessierte war das der Bereich ihres Unternehmens in dem sie sich vor-zugsweise aufhielt

An diesem Nachmittag verlieszlig sie das Werk etwas fruuml-her denn Dominik hatte ihr am Telefon von dem Vorfall in Fannys Schule erzaumlhlt Das war wieder so typisch Ging es um Dinge wie ein Kuchen fuumlr den Schulbasar oder das Abholen eines Kindes weil ihm unwohl war dann rief man Helena an obwohl Dominik von seinem Werk in Charlottenburg Nord schneller an der Schule sein konnte als Helena aus Tegel War aber etwas vorgefallen das laut Meinung des Direktors dringend einer Sanktion beduumlrfe wendete er sich direkt an Dominik Helena haumltte laumlngst aufhoumlren sollen sich daruumlber aufzuregen denn schon zu Marions Schulzeiten war es nicht anders gewesen aber dennoch aumlrgerte sie sich jedes Mal von Neuem daruumlber

Als Helena die Tuumlr zu ihrer in Berlin-Grunewald gele-genen Villa oumlffnete kam ihr Hund Mortimer in die Ein-gangshalle gelaufen sprang um sie herum drehte eine Runde durch die Halle kam wieder zu ihr und stellte sich

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auf die Hinterbeine ndash das hatte Fanny mit ihm geuumlbt Helena ging in die Knie und kraulte den Hund dann er-hob sie sich und sah Fanny an die Mortimer gefolgt war und in der Tuumlr zum Salon stand

raquoLukas von BuchwaldlaquoFanny nickte schweigendraquoDir haumltte doch klar sein muumlssen dass das unweigerlich

zu Aumlrger fuumlhrtlaquoraquoIch wusste ja nicht dass er kommtlaquoraquoUnd trotzdem hast du dich darauf eingelassen dich

mit ihm in der Schule zu versteckenlaquoraquoWo er doch schon mal da war helliplaquoraquoUnd wie haben seine Eltern reagiertlaquoFanny zuckte mit den SchulternHelena erfuhr es noch vor dem Abendessen als Herr von

Buchwald anrief und nach Dominik fragteraquoSie werden mit mir vorliebnehmen muumlssenlaquo erklaumlrte

Helena kuumlhlDaraufhin erklaumlrte er ihr Dominik persoumlnlich habe da-

fuumlr zu sorgen dass seine Tochter seinen Sohn kein weiteres Mal zum Schuleschwaumlnzen ermutigte raquoDas kann ich nicht duldenlaquo fuhr er fort und beendete das Gespraumlch bruumlsk

raquoPapa hat mir zwei Wochen Hausarrest aufgebrummtlaquo beschwerte sich Fanny

raquoDann wirst du das wohl durchstehen muumlssenlaquo Eine Regel in ihrer Erziehung war dass sie einander nicht in den Ruumlcken fielen und sich nicht gegeneinander ausspie-len lieszligen

Fanny seufzte ergebenraquoHast du deine Hausaufgaben gemachtlaquo

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raquoJa Auch die StrafarbeitlaquoHelena nickte und ging in die Kuumlche wo das Abend-

essen vorbereitet auf der Anrichte stand Sie beschaumlftigten nach wie vor eine Haushaumllterin die zudem gelernte Kouml-chin war Im Gegensatz zu fruumlher kam die jetzige Haus-haumllterin morgens um acht ging um fuumlnf und hatte am Wochenende frei Auszligerdem hatten sie eine Zugehfrau die einmal woumlchentlich kam Die Zeiten da das Perso-nal im Haus naumlchtigte und staumlndig zur Verfuumlgung stand waren vorbei Dank der modernen Errungenschaften wie der elektrischen Waschmaschine ging die Arbeit mitt-lerweile schneller von der Hand und die Zeiten da man einen kompletten Tag fuumlr die Waumlsche einplanen musste waren vorbei

Der Hund kam in den Vorraum setzte sich auf die Hin-terpfoten und sah Helena aus dunklen glaumlnzenden Augen an den Kopf leicht schief gelegt

raquoIst schon Zeit fuumlrs Futterlaquo Helena sah auf die Uhr raquoEin Stuumlndchen musst du dich noch geduldenlaquo Sie ging zur Anrichte und zog eine Schublade auf Mortimer der wusste was sich dort fuumlr Schaumltze verbargen war ihr ge-folgt und stand nun aufgeregt neben ihr Wie Helenas ers-ter Hund Estelle hatte auch er eine Schwaumlche fuumlr Rinder-haut und so gab sie ihm ein gerolltes Stuumlck und ging mit ihm in den Salon der mittlerweile verwaist war Helena zuumlndete sich eine Zigarette an und rauchte waumlhrend sie den kleinen Hund beobachtete der auf der Leckerei he-rumkaute

Ihr damaliger Hund Estelle war im Alter von siebzehn Jahren ndash das schaumltzte Helena zumindest denn sie hatte

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Estelle auf der Straszlige aufgelesen ndash gestorben Sie war noch sehr jung gewesen als Helena sie gefunden und adop tiert hatte Nur ihre Kinder und ihre Mutter hatte sie mehr geliebt als Estelle was Dominik recht konsterniert zur Kenntnis genommen hatte

raquoDich liebe ich anderslaquo hatte sie ihm erklaumlrtSie war gluumlcklich daruumlber gewesen dass Estelle ein so

hohes Alter erreicht hatte obwohl mit jedem Jahr die Angst naumlher ruumlckte dass der Moment des Abschieds nicht mehr gar so fern war Eines Nachmittags war Estelle ge-schwankt als haumltte sie Schlagseite Fanny die damals erst sechs Jahre alt gewesen war hatte geglaubt der Hund mache Faxen

raquoGuck mal Mama wie komisch Estelle laumluftlaquoHelena jedoch hatte es in diesem Moment gespuumlrt hatte

gewusst dass es nun so weit war Den restlichen Tag uumlber lag Estelle in ihrem Koumlrbchen wollte dieses auch nicht zum Fressen verlassen verschmaumlhte selbst ihre geliebten Leckereien blickte nur hin und wieder auf und schaute Helena mit ihren lieben Hundeaugen an In dieser Nacht hatte Helena das Koumlrbchen in ihr Zimmer geholt es neben ihr Bett gestellt und fast die ganze Nacht wachgelegen eine Hand auf Estelles warmem Fell sodass sie spuumlrte wie sich die Flanke hob und senkte

Morgens war Helena in aller Fruumlhe aufgestanden waumlh-rend Dominik noch neben ihr schlief Dann setzte sie sich neben das Koumlrbchen auf den Boden und streichelte den kleinen Hund der die Augen geschlossen hielt aber noch atmete Vielleicht so dachte sie blieb ja doch noch Zeit Vielleicht brauchte Estelle nur Ruhe Dann jedoch oumlffnete

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ihr kleiner Hund die Augen sah sie an versuchte sich auf-zurichten aber Helena legte ihr beruhigend die Hand auf das Koumlpfchen streichelte sie

raquoScht meine Kleine ist ja gutlaquo hatte sie gemurmelt raquoDu darfst jetzt gehenlaquo

Estelle hatte die Augen wieder geschlossen und irgend-wann hatte sich die Flanke nach dem letzten Atemzug nicht mehr gehoben

Danach wollte Helena keinen Hund mehr Als Domi-niks Schwester Ariana vorgeschlagen hatte einen neuen zu kaufen vielleicht wuumlrde man sogar einen finden der aussah wie Estelle waumlre sie ihr fast ins Gesicht gesprun-gen Aber Mortimer hatte sie gefunden wie Estelle vor-mals Nach dem Krieg war Helena durch die Stadt ge-gangen hatte versucht von ihren Lebensmittelmarken etwas zu essen zu bekommen als sie den kleinen Hund bemerkte der in den Truumlmmern nach etwas zu fressen suchte Er war schmutzig weiszlig mit groszligen schwarzen Fle-cken und einem wolligen Fell das ganz verfilzt war Hoff-nungsvoll hatte er sie angesehen aber Helena war mit dem Korb im Arm weitergegangen

raquoEs tut mir leid mein Kleiner es reicht kaum fuumlr unslaquoEr war ihr gefolgt und hatte Schritt gehalten als Helena

die ihren beschleunigte raquoEs ist sinnloslaquo hatte sie gesagt raquoSuch dir jemanden der weniger Maumluler zu stopfen hatlaquo

Bis zum Eingangstor ihres Hauses war er ihr gefolgt und lieszlig sich nicht abwimmeln raquoSo hier trennen sich unsere Wegelaquo sagte sie ihm als koumlnnte er sie verstehen Aber er hob nur das Bein an der Mauer raquoDamit machst du dich bei Dominik gewiss beliebt So und jetzt geh unser

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Haushalt ertraumlgt keine zwei Maumlnner erst recht nicht wenn einer davon sein Revier markiertlaquo

Der Hund hatte sich auf die Hinterbeine gesetzt und sie angesehen Als Helena sich abgewandt hatte war der Hund ihr gefolgt und hinter ihr die Treppe hochgelau-fen In der Eingangshalle war ihr Dominik entgegenge-kommen

raquoMortimer wohnt jetzt hierlaquo hatte sie ihm erklaumlrt und dabei war es geblieben

Der Hund war nur noch wenig gewachsen ging ihr bis zur Mitte der Wade war kompakter als Estelle und auch frecher Zur Arbeit nahm Helena ihn nie mit er verbrachte viel Zeit mit Fanny sah auch jetzt auf als sie den Salon betrat die Leine in der Hand Sofort sprang der Hund auf und lief schwanzwedelnd zu ihr was mit dem kleinen Stummelschwanz immer sehr drollig aussah

raquoWir gehen noch eine Rundelaquo erklaumlrte sieraquoEine Rundelaquo betonte Helena raquoOhne Umwege oder

heimliche TreffenlaquoEin Schatten flog uumlber das Gesicht ihrer Tochter und

Helena hob eine BraueraquoJa eine Rundelaquo sagte Fanny so uumlberdeutlich dass man

es schon fast patzig nennen konnte Sie beugte sich zu Mortimer und befestigte die Leine am Halsband

Fanny fand es in houmlchstem Maszlige anstrengend dass ihre Eltern sie fortwaumlhrend wie ein Kind behandelten Da war Lukas ganz anders er behandelte sie wie eine junge Frau Ihre Eltern hingegen bezeichneten Lukas der immerhin im kommenden Jahr das Abitur machen wuumlrde als Halb-

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wuumlchsigen kaum mehr als ein Knabe Dabei wuumlrde er im Herbst achtzehn werden Ihr Vater hatte ihn sogar als un-verschaumlmten Bengel bezeichnet als sei er noch ein Kind

Mit Mortimer an der Leine verlieszlig sie das Haus und atmete auf als sie drauszligen war Zwei Wochen Hausar-rest das war doch nicht auszuhalten Sie schritt rasch aus atmete die fruumlhlingsmilde Luft ein in der schon die Vor-boten des Sommers lagen Mortimer blieb stehen schnup-perte hob einmal das Bein und lief dann wieder forsch vor-weg Aufmerksam sah Fanny sich um verlangsamte den Schritt als sie auf die Straszligenecke zuging Und da stand er wartete wie stets um diese Uhrzeit auf sie Fannys An-gespanntheit zerschmolz in einem Laumlcheln und sie ging nun wieder schneller raquoIch hatte schon befuumlrchtet deine Eltern verpassen dir auch Hausarrestlaquo

Lukas hatte sich eine Zigarette in den Mund gesteckt und zuckte laumlssig mit den Schultern raquoMein Vater hat he-rumlamentiert von wegen Schule und Verantwortung und ich hab so getan als wuumlrdrsquos mich interessieren aber das warrsquos dann auch schon Hier magst dulaquo Er hielt ihr seine Zigarette hin und Fanny nahm einen Zug obwohl sie den Geschmack scheuszliglich fand Aber sie gab sich laumls-sig und zog noch ein weiteres Mal daran unterdruumlckte da-bei ein Husten

Sie und Lukas trafen sich jeden Tag hier wenn Fanny ihre Hunderunde drehte raquoIch kann heute nur kurzlaquo sagte sie raquoEin Wunder dass meine Mutter mich uumlberhaupt rausgelassen hatlaquo

raquoImmerhin hast du es geschafft Schrecklich dass sie dich so kontrollieren Da ist es gut dass du den Hund hast

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da bietet sich immer ein Vorwandlaquo Lukas sah Mortimer an und blieb auf Abstand Einmal hatte er den Versuch ge-macht den Hund zu streicheln und Mortimer hatte nach ihm geschnappt Das hatte Fanny erschreckt denn an sich war er der liebste Hund den man sich vorstellen konnte raquoDas hat er noch nie getanlaquo hatte sie beteuert

raquoDas ist ganz normal bei diesen Winzlingenlaquo hatte Lukas geantwortet raquoDie sind immer so giftig vermut-lich weil sie sich minderwertig fuumlhlen Ein echter Hund beginnt ab Kniehoumlhelaquo

Das hatte Fanny ihm uumlbelgenommen aber er hatte sich entschuldigt und betont Mortimer habe genau die rich-tige Groumlszlige fuumlr einen Maumldchenhund

Ihre Freundinnen beneideten sie gluumlhend um diesen gutaussehenden Bankierssohn nur ihre beste Freundin Nele mochte ihn nicht und nannte ihn einen groszligspuri-gen Angeber raquoVertrau dem Urteil deines Hundeslaquo hatte sie gesagt Das blieb ein Streitpunkt zwischen ihnen ob-wohl Nele in manchem was sie sagte durchaus richtiglag Nachdem sie und Lukas in der Schule erwischt worden waren hatte Nele gesagt raquoUm was wetten wir dass nur du den Aumlrger bekommstlaquo

Fanny fand das ziemlich ungerecht denn schlieszliglich hatte Lukas die Grenze uumlberschritten und nicht sie Waumlh-rend sie nebeneinanderher gingen haderte sie mit dem harschen Urteil ihres Vaters uumlber Lukas Wenn er es ihr nicht staumlndig so schwermachen wuumlrde ihn zu sehen waumlren solche Eskapaden ja ganz und gar uumlberfluumlssig Bisher war-tete sie immer noch vergebens auf den ersten Kuss aber es ergab sich einfach nicht die Gelegenheit

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raquoBei Franz Heikamp findet naumlchstes Wochenende eine Party stattlaquo erzaumlhlte Lukas raquoSeine Eltern sind verreist Gehst du mit mir hinlaquo

Ein heftiges Kribbeln stob in Fannys Bauch auf ge-folgt von dem Gefuumlhl der Ernuumlchterung raquoDas erlauben mir meine Eltern nie und noch dazu habe ich Hausarrestlaquo Lukas stieszlig einen entnervten kleinen Pfiff aus und Fanny befuumlrchtete seine Geduld mit ihr arg zu strapazieren raquoEs tut mir leidlaquo fuumlgte sie hinzu

raquoSchon gut ist ja nicht deine Schuld Dann eben ein anderes Mallaquo

Sie haumltte sich gern bei ihm eingehakt wagte es aber nicht denn die Gefahr dass ein Bekannter sie sah war ein-fach zu groszlig und dann konnte sie sich nicht mit einer zu-faumllligen Begegnung herausreden Auch so blieb ihr Blick stets wachsam auf die Straszlige gerichtet Und so entdeckte sie ihren Cousin Erich der im Auto an ihr vorbeifuhr auch gerade noch ehe er sie sehen konnte Fanny unterdruumlckte ein Stoumlhnen Konnte man so viel Pech haben

raquoMein Vetterlaquo sagte sie raquoWenn der uns sieht erfaumlhrt mein Vater das sofortlaquo

Wieder verdrehte Lukas entnervt die Augen raquoWenn du nicht so ein tolles Maumldchen waumlrst wuumlrde mich das hier schwer nervenlaquo

raquoEs tut mir leidlaquoraquoSchon gutlaquo Er lieszlig sich zuruumlckfallen schenkte ihr ein

Laumlcheln bei dem ihr die Knie weich wurden dann drehte er sich um und ging in die entgegengesetzte Richtung davon

Erich war ihr Cousin vaumlterlicherseits und Geschaumlftsfuumlh-

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rer im Pharmaunternehmen Lichtenthal und da er sich mit ihrem Vater ausnehmend gut verstand war sich Fanny sicher er wuumlrde es ihm sofort zutragen wenn er sie mit Lukas gesehen haumltte Seufzend ging Fanny weiter und als sie zu Hause ankam sah sie Erichs Wagen an der Straszlige stehen Sie ging durch das Eingangstor auf die elterliche Villa zu lieszlig Mortimer von der Leine der begeistert uumlber die Einfahrt tollte In der Eingangshalle begegnete sie Erich Er sah Fanny an laumlchelte hob leicht die Brauen und unwillkuumlrlich fragte sie sich ob er sie nicht doch mit Lukas bemerkt hatte Allerdings sagte er kein Wort dazu gruumlszligte nur und fragte was die Schule mache

Marion fuhr mit der Elektrischen ins Werk ihres Vaters Nach und nach erhob sich Berlin aus den Truumlmmern lebte und pulsierte Ganze Straszligenzuumlge waren veraumlndert ehe-mals Vertrautes wirkte fremd und waumlhrend die Erwachse-nen damit beschaumlftigt waren aus den Uumlberbleibseln etwas Neues zu erschaffen waren die klaffenden Ruinen fuumlr die Kinder ein riesiger Abenteuer spielplatz

Berlin war nach dem Krieg von den Alliierten in vier Besatzungszonen aufgeteilt worden wurde von den Sieger-maumlchten Frankreich England USA und der Sowjet union verwaltet und kontrolliert und seither gab es Zonengren-zen ndash Schlagbaumlume Farbmarkierungen an Baumlumen oder weiszlig-gelbe Holzpfosten ndash und wer von einer Zone in die

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naumlchste wollte brauchte mancherorts eine Genehmigung Fuumlr Reisen zwischen der Westzone und der sowjetischen Besatzungszone gab es Interzonenpaumlsse und es waren erste Grenzanlagen auf der Ostseite errichtet worden Stachel-drahthindernisse in Waldgebieten Sperren an Straszligen und dabei blieb es nicht sondern es war im Jahr nach Kriegsende eine Grenzpolizei eingesetzt und sogar der Ge-brauch fuumlr Schusswaffen geregelt worden Die Abrieglung des Ostens war ein Schock fuumlr die Menschen in Berlin

raquoDas kann doch nicht seinlaquo hatte sich Marions Mutter empoumlrt raquoEs war ja ohnehin schon ein Aufwand von einem Teil der Stadt in den anderen zu kommen und jetzt soll man auch noch aufpassen nicht erschossen zu werdenlaquo

Was Marion jedoch weit mehr Sorge bereitete war der Umstand dass seit diesem Tag dem achtundzwanzigs-ten Mai West-Berlin durch die Regierung in der Sow-jetzone vom Umland getrennt wurde Schon an den bei-den Tagen zuvor war die innerdeutsche Demarkationslinie nach Unter zeichnung des Bonner Deutschlandvertrags ab-geriegelt worden und es gab nun einen zehn Meter langen Kontrollstreifen einen fuumlnfhundert Meter langen Schutz-streifen sowie eine fuumlnf Kilometer weite Sperrzone Damit war der bisher geduldete kleine Grenzverkehr eingestellt worden Selbst die Telefonverbindungen zwischen West- und Ost-Berlin waren von der Regierung gekappt wor- den

Marion fragte sich wie es jetzt mit dem Schoumlnheits-salon weitergehen sollte der in Berlin-Mitte lag und so-mit im Teil der Stadt der nun von der Deutschen Demo-kratischen Republik verwaltet wurde Da ihre Mutter das

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Geschaumlft zwar in Ost-Berlin betrieb aber in West-Berlin ihren Wohnsitz hatte war ihr ndash wie vielen anderen Ge-werbetreibenden auch ndash die Gewerbeerlaubnis entzogen worden Wer in West-Berlin lebte aber in einem Betrieb in Ost-Berlin angestellt war ndash so wie Marion in der Cha-riteacute ndash wurde zum Umzug aufgefordert oder entlassen Da-mit sparte Marion sich die Kuumlndigung

Die Straszligen ins Umland wurden gesperrt offen bleiben durften nur jene die von den Alliierten als Zufahrtswege in die Bundesrepublik festgelegt worden waren Fuumlr die Menschen in West-Berlin bedeutete das den Verlust ihrer Besitztuumlmer im Osten Natuumlrlich wurden Passierscheine in Aussicht gestellt aber das bedeutete nicht automatisch dass diese genehmigt wurden Auch der Anhalter Bahnhof war stillgelegt worden es gab keine Zuumlge mehr die aus dem Osten nach West-Berlin fuhren

raquoMittlerweile liegt Italien fuumlr uns naumlher als Potsdamlaquo hatte Helena geschimpft

Auch das Werksgebaumlude von Lichtenthal-Pharma hatte einen Treffer abbekommen als eine Sprenggranate in einen Fluumlgel eingeschlagen hatte Der Bereich war nach wie vor eingezaumlunt und die Bauarbeiten schritten stetig voran Ihr Vater hatte die Gelegenheit genutzt und legte den Fluumlgel etwas weitraumlumiger an was dem Gebaumlude ein asymmetri-sches Aussehen verlieh

Marion warf dem Portier einen Gruszlig zu wechselte ein paar Worte mit den Mitarbeitern an der Rezeption und fuhr dann mit dem Aufzug hinauf in die Chefetage Die Tuumlr zum Vorzimmer stand offen und Marion sah wie die Sekretaumlrin ihres Vaters Frau Weiller sich gerade an-

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schickte mit einem Tablett auf dem Kaffeekanne und Tasse standen die Tuumlr zum Buumlro ihres Vaters zu oumlffnen

raquoDas uumlbernehme ichlaquo bot Marion an und nahm der Frau das Tablett ab raquoIch moumlchte sowieso kurz zu ihmlaquo Waumlhrend sie das Tablett in der einen Hand balancierte druumlckte sie mit der anderen die Tuumlr auf raquoBringen Sie mir bitte auch noch eine Tasselaquo

raquoNatuumlrlich kommt sofort Fraumlulein LichtenthallaquoIhr Vater saszlig an seinem Schreibtisch und sah auf als sie

eintrat raquoNa so etwas Planst du einen beruflichen Wech-sellaquo

raquoIn der Tat nur werde ich dann nicht deine Empfangs-damelaquo Marion stellte das Tablett ab und schenkte Kaffee ein Im naumlchsten Moment trat Frau Weiller ein brachte ein zusaumltzliches Gedeck und ein Milchkaumlnnchen

raquoIch weiszlig doch dass Sie Ihren Kaffee nicht schwarz trinkenlaquo sagte sie an Marion gewandt

Nachdem sie gegangen war und die Tuumlr hinter sich ge-schlossen hatte setzte Marion sich ihrem Vater gegenuumlber in einen der beiden Besucherstuumlhle

raquoWas meintest du damit dass du in der Tat einen be-ruflichen Wechsel planstlaquo fragte Dominik Lichtenthal

Marion trank einen weiteren Schluck raquoIch hatte eigent-lich vorgehabt meine Kuumlndigung bei der Chariteacute einzu-reichen wobei das ja nun nicht mehr noumltig ist Ich liebe die Medizin doch der Alltag einer Aumlrztin ist nicht das Richtige fuumlr michlaquo

Das traf ihren Vater vollkommen unerwartet hatte er doch damit gerechnet dass sie in der naumlchsten Zeit ihren Facharzt anstreben wuumlrde raquoSo ploumltzlichlaquo

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raquoIch denke da tatsaumlchlich schon eine ganze Zeit lang druumlber nachlaquo

raquoUnd was willst du stattdessen tun In die Pharmazielaquo Offenbar erinnerte er sich gerade an die paar Semester Che-mie die sie nebenher studiert und waumlhrend derer sie eine kurze Liaison mit einem Chemieprofessor gehabt hatte

raquoNein auch das nichtlaquo Die Kenntnisse in Chemie waren indes durchaus zu etwas gut raquoIch moumlchte bei Mama mitarbeitenlaquo

Unglaumlubig sah ihr Vater sie an raquoDu hast ein komplettes Medizinstudium mit hervorragenden Noten abgeschlos-sen und dann sieht deine Berufswahl so aus Frauen Farbe ins Gesicht zu malenlaquo

Marion musste lachen raquoLass das bloszlig nie Mama houmlren Du weiszligt doch genau dass Kosmetik mehr ist als Frauen Farbe ins Gesicht zu malen Mich interessiert medizini-sche Kosmetik Wie du siehst ist mein Studium nicht vergebens gewesenlaquo

raquoDu kannst doch in die Dermatologie gehenlaquoraquoJa koumlnnte ich Ich koumlnnte aber auch in die Forschung

gehen und medizinische Kosmetik entwickelnlaquoraquoDu koumlnntest auch bei mir in die pharmazeutische For-

schung gehenlaquoraquoDas geht doch Hand in Hand Paps Ich weiszlig dass du

sicher enttaumluscht bist aber helliplaquoraquoNeinlaquo fiel er ihr ins Wort raquoIch bin nicht enttaumluscht

Es ging mir nie darum dass du meine Erwartungen er-fuumlllst sondern stets nur deine eigenen Ich gestehe ich war gluumlcklich als du mir eroumlffnet hast dass du Aumlrztin werden willst aber letzten Endes ist mir am wichtigsten dass du

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zufrieden bist mit dem was du tust Ich bitte dich nur die Entscheidung zu uumlberdenkenlaquo

raquoDu kannst davon ausgehen dass ich das getan habe Ich habe lange und gruumlndlich daruumlber nachgedachtlaquo

raquoWeiszlig deine Mutter bereits davonlaquoraquoNein ich bin zuerst zu dir gekommenlaquoIhr Vater nickte zog seine Zigaretten hervor und

steckte eine an raquoSie wird sich freuen dass du mit ihr zu-sammenarbeiten wirst Und die Taumltigkeit als Aumlrztin laumluft dir ja nicht davon du hast ein abgeschlossenes Studium und kannst jederzeit deinen Facharzt machen wenn du merkst dass das vielleicht doch nicht das Richtige fuumlr dich ist Dir ist aber klar dass du mit medizinischer Kosmetik in Konkurrenz zu deiner Tante Charlotte trittstlaquo

raquoJa durchaus Aber wie sagst du immer Konkurrenz belebt das Geschaumlftlaquo Mit ihrer Tante hatte Marion nur selten Kontakt Auf Feiern lief man sich hin und wieder uumlber den Weg aber damit erschoumlpfte es sich auch schon Im Grunde war das bedauerlich denn Charlottes Tochter Emma war ganz reizend und Marion hatte schon einige interessante Unterhaltungen mit ihr gefuumlhrt wenn sie sich denn mal begegnet waren Auch Emmas Bruder Leopold war sehr freundlich und umgaumlnglich wenngleich er seit dem Krieg verschlossen und in sich gekehrt wirkte Im letzten Jahr hatte er noch an die Front gemusst der arme Kerl Da war sein Vater gerade gestorben und Leopold hatte nicht nur den Verlust zu verkraften gehabt sondern war selbst in dem unheilvollen Mahlwerk des Krieges auf-gerieben worden

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Emma Rudorf saszlig mit einem Buch in der Hand im Wohn-zimmer und houmlrte ihren Bruder heimkommen Den gan-zen Tag war Leopold im Werk von Dr Rudorfs medizi-nische Kosmetik gewesen und an seinem schleppenden Schritt houmlrte Emma wie erschoumlpft er sein musste Ver-mutlich hatte er wieder mit Mutter gestritten und bei dem Gedanken daran wie diese ihm zusetzte packte sie die Wut Sie legte ihr Buch beiseite und stand auf ging in den Flur wo sich Leopold gerade die Schuhe auszog Er sah ihrem Vater aumlhnlich hatte zwar dunkleres Haar aber seine Gesichtszuumlge und er wirkte mit der Brille ein wenig professorenhaft

Als er Emma bemerkte laumlchelte er raquoWie gehtrsquoslaquo fragte er mit gespielter Munterkeit

raquoGut Und dirlaquoraquoViel zu tun Und bei dir Wie war die KlausurlaquoraquoIch denke ich habe bestandenlaquo Emma wuumlrde im

naumlchsten Sommer ihr Chemiestudium abschlieszligenraquoEtwas anderes habe ich auch nicht erwartetlaquoraquoIch habe Abendessen gemacht Kommt Mama auch

gleichlaquoraquoNein sie meinte sie haumltte noch viel zu tunlaquoWie immer Fuumlr Charlotte Rudorf gab es seit dem Tod

ihres Mannes nur noch das Werk sie arbeitete wie beses-sen als koumlnnte das den Schmerz des Verlustes betaumluben Emma hatte sich so oft gewuumlnscht sie wuumlrde daruumlber nicht staumlndig vergessen dass sie zwei Kinder hatte und sich nur dann an sie erinnern wenn es etwas auszusetzen gab Vor allem Leopold war ihr ein fortwaumlhrendes Aumlrgernis

raquoDu warst ein Jahr im Krieglaquo pflegte sie zu sagen

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raquound du bist in einem Stuumlck zuruumlckgekommen Wie lange willst du noch in Truumlbsal versinken anstatt endlich wieder mit beiden Beinen im Leben zu stehenlaquo

Was ihre Mutter Truumlbsal nannte war eine tiefe innere Wunde die der Krieg geschlagen hatte und Emma fragte sich warum sie diese sehen konnte nicht aber die Frau die ihn geboren hatte Dann kamen wieder diese Geschich-ten uumlber all die Kriegsheimkehrer die es auch schafften ihr Leben in den Griff zu bekommen obwohl sie deutlich laumlnger im Krieg aufgerieben worden waren Wie schlimm konnte da das eine Jahr schon gewesen sein Einzig fuumlr Emmas Albtraumlume durch die Bombardierung hatte sie Verstaumlndnis denn diese war zu der Zeit gerade vierzehn Jahre alt gewesen Da spielte wohl auch die Erinnerung mit hinein wie Emma an sie geschmiegt im Keller ge-sessen und gewartet hatte bis die Bombardierung vorbei war waumlhrend sie beide Angst gehabt hatten dass Leopold vielleicht schon tot war

raquoIsst du mit mir zu Abendlaquo fragte er nunraquoKlar ich habe auf dich gewartetlaquoLeopold wuumlrde im Juli vierundzwanzig werden und hatte

sein Pharmaziestudium im letzten Jahr abgeschlossen Er haumltte lieber Maschinenbau studiert war schon seit Kinder-tagen davon fasziniert gewesen Aber es war klar gewesen dass er das Familienwerk erben wuumlrde Allenfalls haumltte er noch Arzt werden koumlnnen um die Praxis ihres Vaters zu uumlbernehmen die nun ein anderer Arzt gemietet hatte

Da sie nur zu zweit waren aszligen sie zwanglos in der Kuumlche und Leopold deckte den Tisch waumlhrend Emma den Brotkorb Butter Kaumlse und Aufschnitt hinstellte und alles

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in den Dosen belieszlig was ihre Mutter stets als mangelnde Esskultur bezeichnete Emma hingegen war es zu viel Auf-wand jetzt alles auf Tellern anzuordnen nur um dann das meiste wieder zuruumlckzufuumlllen und wegzuraumlumen und mehr zum Abspuumllen zu haben Sie lieszlig sich ihrem Bruder gegen-uumlber am Tisch nieder Im Gegensatz zu ihrer Mutter hatte Emma bislang keine groszligen beruflichen Ambitionen ge-habt sie studierte Chemie allein aus dem Grund weil es sie interessierte aber sie hatte keine konkreten Plaumlne da-ruumlber hinaus ndash ein staumlndiges Aumlrgernis fuumlr Charlotte Ru-dorf Emmas Plan war gewesen zum Zeitvertreib etwas zu studieren das ihr Spaszlig machte und danach zu heiraten Im Laufe des Studiums hatte sich ihr Interesse allerdings ge-wandelt In der Fakultaumlt war sie hin und wieder ihrer Cou-sine Marion uumlber den Weg gelaufen die mit einem von Emmas Professoren ausgegangen war und sie fand sie glei-chermaszligen interessant wie inspirierend Sie hatte sogar kurz mit dem Gedanken gespielt sich im Pharmakonzern Lich-tenthal zu bewerben aber da haumltte vermutlich eine Andeu-tung gereicht und ihre Mutter waumlre die Waumlnde hochge-gangen Mit ihrer Schwester Helena hatte sie sich schon vor Jahren entzweit und eine Annaumlherung war nicht in Sicht

Beim Essen plauderten sie uumlber Allgemeines Leopold zog sie mit einem Dozenten auf von dem sie ndash seiner Mei-nung nach ndash verdaumlchtig oft sprach Daraufhin erinnerte sie an die Verkaumluferin aus dem KaDeWe mit der er fortwaumlh-rend ausging ohne dass die Sache von der Stelle kam Spauml-ter raumlumten sie zusammen ab erledigten den Abwasch und wollten gerade ins Wohnzimmer gehen um das Radio ein-zuschalten als ihre Mutter die Wohnungstuumlr aufschloss

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raquoGuten Abendlaquo Charlotte Rudorf sah muumlde aus und Emma ging zu ihr um ihr den Mantel abzunehmen und ihn an die Garderobe zu haumlngen

raquoSoll ich das Abendessen wieder auf den Tisch stellenlaquo fragte Emma

raquoNein lass nur ich habe im Werk eine Kleinigkeit ge-gessenlaquo

So war es fast jeden Abend im Grunde genommen aszligen sie nur noch am Wochenende regelmaumlszligig zusammen und fanden sich ansonsten morgens zu einem raschen Fruumlh-stuumlck in der Kuumlche ein Ihre Mutter wechselte einen kur-zen Blick mit Leopold aus dem klar ersichtlich wurde dass die beiden noch vor gar nicht langer Zeit gestritten hatten ndash ganz so wie von Emma vermutet Nun jedoch zeigte sich ein zoumlgerliches Laumlcheln auf den Lippen Char-lotte Rudorfs und auch das war typisch Zum Abend hin legte sie Streit gerne bei mochte es nicht unversoumlhnt schlafen zu gehen

Im Wohnzimmer schalteten sie das Radio ein Emma houmlrte nur mit halbem Ohr hin und hatte ihr Buch wie-der aufgeschlagen war aber auch hier nicht bei der Sache Schlieszliglich gab sie es auf und beschloss noch ein wenig spazieren zu gehen

raquoUm diese Uhrzeitlaquo fragte ihre Mutter die gerade mit einer Tasse Kraumlutertee ins Wohnzimmer trat

raquoEs ist kurz nach achtlaquoNun blickte auch Leopold auf sah sie an als witterte er

hinter ihrem Wunsch eine tiefere WahrheitraquoEs ist nur ein Spazierganglaquo sagte sie und haumltte am

liebsten die Augen verdreht raquoMir geht so viel im Kopf

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herum und ich kann meine Gedanken beim Gehen am besten sortierenlaquo

raquoWie war eigentlich deine Klausurlaquo wollte ihr Mut-ter nun wissen

raquoGut denke ichlaquo Emma ging in den Flur nahm einen leichten Mantel vom Haken legte sich einen Seidenschal um und warf noch einen kurzen Blick in den Spiegel Seit kurzem trug sie ihr hellbraunes Haar knapp schulterlang und in groszlige Locken gelegt die sie mit einer Spange seit-lich zuruumlckhielt Jetzt zupfte sie ein wenig daran herum bis sie schlieszliglich zufrieden war und verlieszlig die Wohnung Sie wohnten in der ersten Etage direkt uumlber der Arztpraxis die Wohnung im zweiten Stock stand derzeit leer Fruumlher einmal hatte Emmas Groszligmutter dort gewohnt aber sie lebte bereits seit fast dreiszligig Jahren bei ihrer Tochter erst in Hamburg und seit kurz vor dem Krieg in Muumlnchen da der Ehemann von Emmas Tante dorthin versetzt worden war Leider kam sie nur noch selten zu Besuch da lange Reisen sie zu sehr anstrengten Emma bedauerte das denn sie mochte ihre Groszligmutter die auch mit achtzig noch ruumlstiger und scharfsinniger war als manch junge Frau die Emma kannte

Es daumlmmerte bereits und die langen Schatten des spauml-ten Nachmittags waren ineinandergekrochen verdichte-ten sich langsam und entfaumlrbten den Tag zu einem lich-ten Grau Seit zwei Jahren stellte man die Uhren nicht mehr zur Sommerzeit um und anfangs war es ungewohnt gewesen dass die Sommertage nun um eine Stunde kuumlr-zer waren aber man gewoumlhnte sich daran Waumlhrend des Krieges hatte es eine Zeit gegeben in der fortwaumlhrend

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Sommerzeit gegolten hatte und man die Uhren uumlberhaupt nicht mehr umstellte irgendwann war ein konzeptloses Wechseln erfolgt Dann war die Regelung durch die Besat-zungsmaumlchte wieder geaumlndert worden und sie bestimm-ten eine Umstellung auf die Sommerzeit ndash wobei diese in der sowjetischen Besatzungszone Berlins 1945 ganze zwei Monate laumlnger gedauert hatte Jetzt endlich hatte die Regierung sich auf eine einheitliche Zeit festgelegt die fuumlr das gesamte Jahr galt ndash die Ruumlckkehr zur Normalzeit Emma hoffte dass das so blieb

Als sie durch die Straszlige spazierte hier und da einen heimkehrenden Nachbarn oder Bekannten gruumlszligte ndash die Tochter des Herrn Doktor kannte man im gesamten Vier-tel ndash fiel ihr ein Mann auf der gerade ein Haus verlieszlig sich noch einmal umdrehte einem weiteren Mann der in der offenen Tuumlr stand etwas sagte und dann durch den Vorgarten schritt und auf sein Auto zuging Dominik Lichtenthal Emma blieb stehen sah ihn an wusste nicht ob sie zu ihm gehen und houmlflich gruumlszligen oder ihn ignorie-ren sollte Er nahm ihr die Entscheidung ab als er sie be-merkte kurz stutzte als muumlsste er ihr Gesicht erst einem Namen zuordnen und sie dann anlaumlchelte

raquoGuten Abend Emma Wie geht es dirlaquoSie ging auf ihn zu raquoSehr gut vielen Danklaquo Sie wusste

nie so recht ob sie ihn duzen sollte oder nicht denn einer-seits war er ein Fremder andererseits aber der Ehemann ihrer Tante und damit praktisch ihr Onkel

raquoIch habe gehoumlrt du studierst ChemielaquoraquoJa ich werde diesen Sommer fertiglaquoraquoUnd dann geht es in den Konzern deiner Mutterlaquo

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Unschluumlssig hob Emma die Schultern raquoAch das weiszlig ich noch gar nichtlaquo

Dominik Lichtenthal schloss seinen Wagen auf raquoWenn du dich lieber auf dem freien Markt umsehen moumlchtest sag Bescheid ich kann faumlhige Chemiker immer gebrau-chenlaquo

Es war schon fast skurril dass Emma diesen Gedanken erst vor kurzem gehegt hatte und ihn nun ausgesprochen houmlrte Da sie nicht rundheraus ablehnen wollte dankte sie ihm und nachdem sie ihm gesagt hatte er moumlge seine Familie von ihr gruumlszligen stieg er in seinen Wagen und fuhr los Im Grunde genommen war das doch albern dass ihre Mutter immer noch nichts mit ihrer Schwester zu tun haben wollte Emma kannte die alte Geschichte und natuumlr lich war es hart auf einen Schlag sein gesam-tes Erbe zu verlieren und die unvermittelt aufgetauchte fremde Schwester als einzige Gewinnerin in dieser Situa-tion zu sehen aber das Ganze war jetzt gut fuumlnfundzwan-zig Jahre her irgendwann musste es doch mal gut sein Und es war ja nun wahrlich nicht so als wuumlrde der Besitz des Hauses in der Friedrichstraszlige noch einen nennenswer-ten Unter schied im Vermoumlgen ihrer Mutter machen Im Gegenteil ndash waumlre sie dort geblieben haumltte sie es vielleicht nie so weit gebracht

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Juni 1952

Die einstmals goldene Zeit merkte man der ehemaligen Amuumlsiermeile auf der Friedrichstraszlige nicht mehr an und Helena verspuumlrte jedes Mal beim Besuch ihres Schoumlnheits-salons diesen Stich des Bedauerns Als sie in den Zwan-zigern hier angekommen war hatte das Leben pulsiert mit Autos Bussen Bahnen Fuszliggaumlngern Radfahrern und noch vereinzelten Droschken Die Kreuzung an der Leip-ziger Straszlige war ein so verkehrsreicher Knotenpunkt ge-wesen dass es fuumlr die aus der Provinz stammende Helena anfangs schon eine Herausforderung gewesen war lebend von einer Straszligenseite auf die andere zu gelangen

Nach dem Krieg war die Straszlige eine von Ruinen ge-saumlumte Schuttwuumlste geworden und auch wenn die Truumlm-mer in weiten Teilen fortgeraumlumt waren so erinnerte doch nur wenig an fruumlher Helena hatte mehrfach uumlberlegt den Schoumlnheitssalon einfach aufzugeben aber das brachte sie nicht uumlber sich Vielleicht normalisierte sich hier ja alles irgendwann wieder das konnte doch nicht ewig so blei-ben Ihr Schoumlnheitssalon in der Friedrichstraszlige befand sich im Amerikanischen Sektor der in Berlin-Mitte gehoumlrte nun zur DDR ihr Werk wiederum zum Franzoumlsischen

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Sektor Dominiks sowie ihr Wohnsitz lagen im Britischen Sektor Das war doch auf Dauer kein Zustand Den Salon in Berlin-Mitte hatte sie aufgeben muumlssen und sie sah sich bereits nach Alternativen um

Als Helena in den Salon trat kam ihr Ida ndash fruumlher Wag-ner jetzt Zeller ndash entgegen raquoKaffeelaquo

raquoUnbedingtlaquo Helena haumlngte ihren Mantel an die Gar-derobe und betrat den Salon Es war noch fruumlh und sie wuumlrden erst in einer halben Stunde oumlffnen Ida hatte schon in den Dreiszligigern die Leitung des Salons uumlbernommen als Helena damit beschaumlftigt gewesen war einen weiteren in Berlin-Mitte zu eroumlffnen

raquoWie geht es den MaumldchenlaquoHelena setzte sich in einen der bequemen Besucher-

stuumlhle wo die Frauen sich bei einer Tasse Kaffee oder Tee und etwas Gebaumlck entspannen konnten raquoMarion faumlngt bei mir im Werk an der Termin steht jetztlaquo Das war Schock und freudige Uumlberraschung zugleich gewesen und Helena wusste selbst nicht ob ihre Bestuumlrzung oder ihre Freude uumlberwog Natuumlrlich hatte sie gehofft dass Marion als Aumlrztin praktizierte immerhin hatte sie stu-diert und damit ein klares Ziel vor Augen gehabt Ande-rerseits freute es sie dass ihre Tochter Interesse an ihrem Unternehmen zeigte ndash und nicht an Dominiks wie eine kleine nicht zu unterdruumlckende Stimme des Triumphs in ihr betonte raquoUnd Fanny schlieszligt das Schuljahr mit sehr guten Noten ablaquo

raquoMathematik macht ihr wieder SpaszliglaquoraquoNachdem Ferdinands Ehefrau es ihr erklaumlrt hat was

ihr unfaumlhiger Lehrer offenbar nicht hinbekommtlaquo Fer-

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dinand war der Patenonkel beider Toumlchter und seine Frau eine begabte Mathematikerin

Die Schwangerschaft mit Fanny hatte Helena seinerzeit einen gehoumlrigen Schrecken eingejagt All die Jahre hatte sie es erfolgreich vermieden zu empfangen und dann als die Welt am Abgrund stand kuumlndigte sich neues Leben an Schlimm genug mitanzusehen wie Marion bereits in der Schule darauf vorbereitet wurde in den BDM einzu-treten da wollte sie diesem System nicht noch ein Kind schenken Es war Rudolf Liliengrund gewesen dem Fanny es zu verdanken hatte dass Helena keinen Abbruch hatte vornehmen lassen

raquoGerade in diesen Zeiten sollten die Anstaumlndigen sich vermehrenlaquo

Ihr lieber Rudolf der seine gesamte Familie verloren und selbst nur knapp und unter Entbehrungen die Flucht geschafft hatte weil er zu lange gezoumlgert geglaubt hatte es wuumlrde alles gut werden Und so hatte Helena Fanny aus-getragen hatte schon in der Schwangerschaft eine so innige Beziehung zu dem Kind gehabt wie sie es sich nicht hatte vorstellen koumlnnen Es war ganz anders als mit Marion zu der sie erst eine enge Bindung hatte aufbauen koumlnnen als diese bereits ein Kleinkind gewesen war Waumlhrend Marion von Geburt an ein Papakind war so war Fanny von Geburt an ganz und gar ihre Tochter Helena hatte sie sogar mit zur Arbeit genommen weil sie sich nicht von ihr trennen mochte hatte sie im Buumlro gestillt und in der Wiege neben sich schlafen lassen Undenkbar dieses Baby jemand ande-rem anzuvertrauen Dabei liebte sie Marion nicht weniger und sie verstand auch im Nachhinein nicht warum sie bei

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beiden Kindern schon in der Schwangerschaft so unter-schiedlich empfunden hatte

raquoDu solltest endlich aufhoumlren das zu hinterfragenlaquo hatte ihre beste Freundin Irene Danelius gesagt raquoEs ist jetzt wie es ist Freu dich einfach Gerade jetzt haben wir alle wahrhaftig Probleme genug da muss man nicht auch noch welche hinzuredenlaquo

Als im November 1938 die Synagogen brannten hatte Irene das Land verlassen raquoIch komme zuruumlck wenn der Irrsinn vorbei istlaquo hatte sie gesagt und war nach Amerika gegangen Dort war sie zur Filmgroumlszlige geworden hatte einen bekannten Produzenten geheiratet und lebte nach wie vor in den Vereinigten Staaten Helena vermisste sie immer noch sehr und war auch schon einmal mit ihrer Familie in New York gewesen um sie zu besuchen

raquoFahrt ihr diesen Sommer weglaquo fragte Ida und setzte sich nun ebenfalls

raquoAuf jeden Fall fuumlr zwei Wochen zu meiner Mutter Und von da aus vielleicht weiter in Richtung Schweizlaquo Vor allem auf die Zeit bei ihrer Mutter freute sich Helena das waren jedes Mal schoumlne Tage mit all den fruumlheren Freunden und Bekannten sowie mit der Baronin fuumlr die sie und ihre Mutter fruumlher gearbeitet hatten und bei der ihre Mutter nun den Altersruhesitz hatte Fuumlr Helenas Familie standen immer Gaumlstezimmer bereit Ein wenig behandelte man sie dort wie eine Prominente die Dienst-botentochter die es in der Weltmetropole zu etwas ge-bracht hatte mit einem reichen Mann verheiratet war und mit Filmstars verkehrte

Kurz darauf trafen die uumlbrigen Mitarbeiterinnen ein

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und dann kamen auch schon die ersten Kundinnen Helena unterhielt sich mit einigen der Damen beriet hier und da persoumlnlich und machte sich dann auf den Weg ins Werk Unmittelbar nach dem Krieg war es schwierig gewesen die Rohstoffe fuumlr die Produktion von Kosmetik aufzutrei-ben vielfach waren sie nur zu Schwarzmarktpreisen zu be-kommen Viele Rohstoffe wurden in der Pharmaindustrie dringender benoumltigt und natuumlrlich hatte die medizini-sche Versorgung Vorrang vor der kosmetischen Gerade nach dem Krieg hatten sie alle andere Sorgen gehabt wes-halb Helenas Werk voruumlbergehend die Produktion um-stellte und der chemischen Industrie zuarbeitete waumlhrend die Schoumlnheitssalons Obdachlosen offenstanden Erst vier Jahre nach Kriegsende als der Hungerwinter vorbei war und die Menschen durch die Waumlhrungsreform wieder uumlber Geld verfuumlgten hatte Helena Kosmetikherstellung und Schoumlnheitsbehandlungen wieder aufgenommen

Im Werk ging Helena direkt in ihr Buumlro und sah sich Werbeentwuumlrfe an Sie liebte ihre Arbeit und sie machte ihr nach wie vor Spaszlig allerdings fehlte ihr die Heraus-forderung Die Kosmetik entwickelte sich stetig weiter und mittlerweile war Forschung und Entwicklung eine eigene Abteilung in ihrem Unternehmen Natuumlrlich freute sie sich daruumlber aber sie vermisste die Zeiten in denen sie selbst in ihrer Fertigung gesessen und experimentiert hatte Vielleicht war es wirklich gut dass Marion hier demnaumlchst etwas frischen Wind hereinbringen wuumlrde Wie wohl Charlotte darauf reagierte dass Helena ihr nun Konkurrenz machen wuumlrde

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Emma houmlrte den Streit bis ins Wohnzimmer Ihre Mutter hielt Leopold vor er naumlhme die Arbeit nicht ausreichend ernst und bringe sich zu wenig ein Wie er bei dem Ge-schaumlftstermin am Vortag nur dagesessen und auf einmal zu zittern begonnen habe Wenn es nicht anders ging dann solle er eben seine Medikamente wieder nehmen Und ndash verdammt noch mal ndash endlich mehr Nervenstaumlrke zei- gen

Auch an diesem Morgen hatte es schon wieder damit begonnen dass Leopold beim Fruumlhstuumlck sehr still gewe-sen war was fuumlr Emma immer ein Zeichen fuumlr schlimme Traumlume war Auf Ausfuumlhrungen ihrer Mutter zu dem heu-tigen Arbeitstag hatte er nur genickt was diese wiederum zu dem Schluss kommen lieszlig dass er sich nur unzurei-chend interessierte Uumlberhaupt habe er keine innovativen Ideen arbeite den Tag ab ohne echtes Interesse zu zeigen an dem was er tat Irgendwann war ein handfester Streit ausgebrochen der auch dann noch anhielt als Emma das Esszimmer verlassen hatte und nun in der Kuumlche den Ab-wasch machte Schlieszliglich hielt sie es nicht mehr aus lief ins Esszimmer zuruumlck

raquoWas willst du eigentlichlaquo fuhr sie ihre Mutter an raquoEr tut doch alles was er solllaquo

raquoEmma lass nurlaquo sagte Leopold raquoIch mache helliplaquoraquoNein ich lasse es nicht Koumlnnen wir nicht mal einen

Morgen friedlich verbringen wie andere Familien auch Muss hier immer den ganzen Tag uumlber Streit herrschen und abends gehen wir dann versoumlhnt schlafen Wozu Um am naumlchsten Tag wieder loszulegen Das ist doch nicht mehr auszuhaltenlaquo

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raquoWie redest du eigentlich mit mirlaquo Die Stimme ihrer Mutter war ganz kalt geworden bar jeder Emotion

raquoIch helliplaquo Die aufbrausende Wut fiel von Emma ab und sie wusste nicht mehr was sie nun sagen sollte raquoIch hellip ich habe heute keine Uni und wollte ohnehin fragen ob ich mit ins Werk kannlaquo Der Einfall war ihr gerade erst ge-kommen raquoIch koumlnnte Leo zuarbeiten und so schon einmal Einblicke bekommenlaquo

Die frostglitzernde Wut im Blick ihrer Mutter schmolz zu Uumlberraschung raquoAch waslaquo

raquoIch habe mir lange uumlberlegt was ich mit meinem Che-miestudium machelaquo

raquoHeiszligt das es steht nicht zu erwarten dass du dich nun nach einer passenden Partie umsiehstlaquo Fuumlr jemanden der selbst gluumlcklich verheiratet gewesen war zeigte ihre Mut-ter eine sehr ablehnende Haltung zu Emmas Eheplaumlnen

raquoNoch ist ja niemand in Aussicht nicht wahrlaquo ver-setzte Emma der Hoffnung einen Daumlmpfer

Ihre Mutter schien damit zufrieden zu sein raquoSchoumln dann beeil dich wir brechen gleich auflaquo

Sie und Leopold fuhren in der Regel gemeinsam los und Leopold lieszlig dann den Wagen fuumlr sie im Werk und kehrte puumlnktlich zum Buumlroschluss mit der Bahn nach Hause zu-ruumlck Das tat er vermutlich vor allem aus dem Grund weil er den Abstand brauchte

raquoIch habe uumlbrigens gehoumlrt dass Marion in der Chariteacute aufhoumlrtlaquo erzaumlhlte Emma als sie auf der Ruumlckbank des Wagens Platz genommen hatte

raquoWelche Marionlaquo fragte ihre Mutter und Emma haumltte gerne gewusst ob sie das wirklich nicht wusste

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raquoUnsere CousinelaquoraquoUnd warum sollte es mich interessieren was diese Per-

son tutlaquoraquoWeil sie deine Nichte ist moumlglicherweiselaquoVon hinten konnte Emma das Schulterzucken sehenraquoAuf jeden Fall heiszligt es sie wollte in das Unternehmen

von Tante Helena einsteigenlaquo Mit einiger Befriedigung bemerkte Emma dass ihre Mutter bei dieser persoumlnlichen Bezeichnung kaum merklich zusammenzuckte

raquoIn der TatlaquoraquoSie hat einige Semester Chemie studiert das hatte ich

doch erzaumlhltlaquoraquoJa hattest du Auch dass sie es mit deinem Chemie-

professor getrieben hatlaquoraquoMutterlaquo kam es von LeopoldraquoDas habe ich nie gesagtlaquo Emma lehnte sich vor als

koumlnne sie ihren Worten damit mehr Nachdruck verleihen raquoIch sagte sie gehen miteinander auslaquo

raquoWenn sie nach ihrer Mutter kommt gibt es das eine nicht ohne das andere Gerne auch zum Nachteil der eigenen Familie Sind deine Noten bei besagtem Profes-sor nicht danach schlechter gewordenlaquo

raquoDas war bei Professor Guenther nicht bei Professor Hellweg mit dem Marion aus war Meine Guumltelaquo Emma hatte langsam genug Dieser sture verbohrte Zorn ihrer Mutter war nicht mehr zu ertragen Mit Ende vierzig konnte sie sich auf jeden Fall noch nicht mit Altersstarr-sinn herausreden raquoHoumlr zu wenn das hier jeden Morgen der Beginn meines Arbeitstages wird sag es direkt dann reicht mir der einmalige Ausflug in dein Unternehmen

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und ich bewerbe mich morgen beim Pharmaunternehmen Lichtenthallaquo

Ihre Mutter fuhr herum raquoDas wagst du nichtlaquoraquoLass es gerne darauf ankommenlaquoLange sah ihre Mutter sie an dann zuckte es um ihre

Lippen Widerspruchsgeist gefiel ihr und sie schien auf einmal versoumlhnt Emma wuumlrde bleiben wuumlrde es allein um Leopolds willen tun Vielleicht wuumlrde es leichter fuumlr ihn mit ihr an seiner Seite

Das ehemalige Werksgelaumlnde hatte in Berlin-Oberschouml-neweide gestanden aber sie waren noch vor dem Krieg um-gezogen was sich als richtige Entscheidung erwiesen hatte wenngleich zu der Zeit noch niemand hatte wissen koumlnnen dass dieser Stadtteil unter sowjetische Verwaltung gestellt werden wuumlrde Das jetzige Werk stand in Berlin-Tempel-hof im Amerikanischen Sektor und hatte im Krieg ebenfalls gelitten Sie fuhren durch das Tor und Leopold parkte den Wagen auf der dafuumlr vorgesehenen Flaumlche auf der weitere Autos Motorraumlder und Mopeds standen

Ihre Mutter begleitete sie bis in die Etage in der sich die Raumlumlichkeiten der Geschaumlftsfuumlhrung befanden dann ging sie in ihr Buumlro waumlhrend Emma Leopold in seines be-gleitete

raquoWeiszligt dulaquo sagte er als er auf einen der Stuumlhle wies raquodu musst das nicht tunlaquo

raquoWas meinst dulaquo Emma lieszlig sich auf der Besucherseite seines Schreibtischs nieder

raquoDas weiszligt du genau Mich hierher zu begleiten ob-wohl du nie im Sinn hattest in der Firma zu arbeiten Du musst mich nicht vor Mutter beschuumltzenlaquo

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raquoDas tue ich doch gar nichtlaquoLeopold antwortete nicht ging nur zur Tuumlr oumlffnete sie

und rief in das gegenuumlberliegende Zimmer der beiden Sekretaumlrinnen dass man ihm und seiner Schwester bitte Kaffee bringen moumlge raquoEs war nie dein Plan hier zu ar-beitenlaquo

raquoPlaumlne koumlnnen sich aumlndernlaquoraquoVon einem Tag auf den anderenlaquoraquoJa warum denn nicht Und wer sagt uumlberhaupt dass

es so abrupt war Vielleicht denke ich ja schon laumlnger da-ruumlber nach und habe dir einfach noch nichts erzaumlhltlaquo Emma zog einen Bleistift aus dem Stiftebecher und drehte ihn zwischen den Fingern raquoUumlbrigens hat mir Dominik Lichtenthal ein Stellenangebot gemachtlaquo Gespannt be-obachtete sie Leopolds Reaktion

raquoWannlaquoraquoIch bin ihm mal abends beim Spaziergang begegnetlaquoraquoUnd da hat er dir ndash ohne dich und deine Befaumlhigung

so recht zu kennen ndash eine Stelle angebotenlaquoraquoWir haben uns kurz unterhalten und er weiszlig dass ich

Chemie studiere Da meinte er wenn ich nicht fuumlr Mutter arbeiten wolle solle ich mich bei ihm melden er koumlnne faumlhige Chemiker immer gebrauchenlaquo

raquoMutter enterbt dich wenn du das tustlaquoraquoDas waumlre nicht so schlimm denn dann erbst du alles

und wirst mir meinen Teil einfach auszahlenlaquoraquoIst das solaquoraquoNatuumlrlichlaquo Emma zog ihre Zigaretten hervorraquoDu willst doch wohl hier nicht rauchenlaquoAnstelle einer Antwort steckte sie sich eine Zigarette

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zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

bei Lichtenthal in Aussicht und einem groszligzuumlgigen Bru-der der dir deinen Erbanteil abtrittlaquo

Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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voruumlbergehend ein Zuhause zu geben Mittlerweile hatte sich die Situation entspannt aber Wohnraum wurde nach wie vor benoumltigt Dominik hatte die Wohnung renovieren lassen und seither wurde sie vermietet

Das Unternehmen Rosenberg hatte sich rasant entwickelt inzwischen wurde Helenas Kosmetik in einem eigenen Werk hergestellt in dem sie eine ganze Reihe an Angestell-ten beschaumlftigte Sie selbst war zwar Eigentuumlmerin hatte aber einen Geschaumlftsfuumlhrer sowie Mitarbeiter fuumlr Buchhal-tung und Finanzen Da Helena sich nach wie vor am meis-ten fuumlr die Entwicklung und Forschung interessierte war das der Bereich ihres Unternehmens in dem sie sich vor-zugsweise aufhielt

An diesem Nachmittag verlieszlig sie das Werk etwas fruuml-her denn Dominik hatte ihr am Telefon von dem Vorfall in Fannys Schule erzaumlhlt Das war wieder so typisch Ging es um Dinge wie ein Kuchen fuumlr den Schulbasar oder das Abholen eines Kindes weil ihm unwohl war dann rief man Helena an obwohl Dominik von seinem Werk in Charlottenburg Nord schneller an der Schule sein konnte als Helena aus Tegel War aber etwas vorgefallen das laut Meinung des Direktors dringend einer Sanktion beduumlrfe wendete er sich direkt an Dominik Helena haumltte laumlngst aufhoumlren sollen sich daruumlber aufzuregen denn schon zu Marions Schulzeiten war es nicht anders gewesen aber dennoch aumlrgerte sie sich jedes Mal von Neuem daruumlber

Als Helena die Tuumlr zu ihrer in Berlin-Grunewald gele-genen Villa oumlffnete kam ihr Hund Mortimer in die Ein-gangshalle gelaufen sprang um sie herum drehte eine Runde durch die Halle kam wieder zu ihr und stellte sich

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auf die Hinterbeine ndash das hatte Fanny mit ihm geuumlbt Helena ging in die Knie und kraulte den Hund dann er-hob sie sich und sah Fanny an die Mortimer gefolgt war und in der Tuumlr zum Salon stand

raquoLukas von BuchwaldlaquoFanny nickte schweigendraquoDir haumltte doch klar sein muumlssen dass das unweigerlich

zu Aumlrger fuumlhrtlaquoraquoIch wusste ja nicht dass er kommtlaquoraquoUnd trotzdem hast du dich darauf eingelassen dich

mit ihm in der Schule zu versteckenlaquoraquoWo er doch schon mal da war helliplaquoraquoUnd wie haben seine Eltern reagiertlaquoFanny zuckte mit den SchulternHelena erfuhr es noch vor dem Abendessen als Herr von

Buchwald anrief und nach Dominik fragteraquoSie werden mit mir vorliebnehmen muumlssenlaquo erklaumlrte

Helena kuumlhlDaraufhin erklaumlrte er ihr Dominik persoumlnlich habe da-

fuumlr zu sorgen dass seine Tochter seinen Sohn kein weiteres Mal zum Schuleschwaumlnzen ermutigte raquoDas kann ich nicht duldenlaquo fuhr er fort und beendete das Gespraumlch bruumlsk

raquoPapa hat mir zwei Wochen Hausarrest aufgebrummtlaquo beschwerte sich Fanny

raquoDann wirst du das wohl durchstehen muumlssenlaquo Eine Regel in ihrer Erziehung war dass sie einander nicht in den Ruumlcken fielen und sich nicht gegeneinander ausspie-len lieszligen

Fanny seufzte ergebenraquoHast du deine Hausaufgaben gemachtlaquo

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raquoJa Auch die StrafarbeitlaquoHelena nickte und ging in die Kuumlche wo das Abend-

essen vorbereitet auf der Anrichte stand Sie beschaumlftigten nach wie vor eine Haushaumllterin die zudem gelernte Kouml-chin war Im Gegensatz zu fruumlher kam die jetzige Haus-haumllterin morgens um acht ging um fuumlnf und hatte am Wochenende frei Auszligerdem hatten sie eine Zugehfrau die einmal woumlchentlich kam Die Zeiten da das Perso-nal im Haus naumlchtigte und staumlndig zur Verfuumlgung stand waren vorbei Dank der modernen Errungenschaften wie der elektrischen Waschmaschine ging die Arbeit mitt-lerweile schneller von der Hand und die Zeiten da man einen kompletten Tag fuumlr die Waumlsche einplanen musste waren vorbei

Der Hund kam in den Vorraum setzte sich auf die Hin-terpfoten und sah Helena aus dunklen glaumlnzenden Augen an den Kopf leicht schief gelegt

raquoIst schon Zeit fuumlrs Futterlaquo Helena sah auf die Uhr raquoEin Stuumlndchen musst du dich noch geduldenlaquo Sie ging zur Anrichte und zog eine Schublade auf Mortimer der wusste was sich dort fuumlr Schaumltze verbargen war ihr ge-folgt und stand nun aufgeregt neben ihr Wie Helenas ers-ter Hund Estelle hatte auch er eine Schwaumlche fuumlr Rinder-haut und so gab sie ihm ein gerolltes Stuumlck und ging mit ihm in den Salon der mittlerweile verwaist war Helena zuumlndete sich eine Zigarette an und rauchte waumlhrend sie den kleinen Hund beobachtete der auf der Leckerei he-rumkaute

Ihr damaliger Hund Estelle war im Alter von siebzehn Jahren ndash das schaumltzte Helena zumindest denn sie hatte

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Estelle auf der Straszlige aufgelesen ndash gestorben Sie war noch sehr jung gewesen als Helena sie gefunden und adop tiert hatte Nur ihre Kinder und ihre Mutter hatte sie mehr geliebt als Estelle was Dominik recht konsterniert zur Kenntnis genommen hatte

raquoDich liebe ich anderslaquo hatte sie ihm erklaumlrtSie war gluumlcklich daruumlber gewesen dass Estelle ein so

hohes Alter erreicht hatte obwohl mit jedem Jahr die Angst naumlher ruumlckte dass der Moment des Abschieds nicht mehr gar so fern war Eines Nachmittags war Estelle ge-schwankt als haumltte sie Schlagseite Fanny die damals erst sechs Jahre alt gewesen war hatte geglaubt der Hund mache Faxen

raquoGuck mal Mama wie komisch Estelle laumluftlaquoHelena jedoch hatte es in diesem Moment gespuumlrt hatte

gewusst dass es nun so weit war Den restlichen Tag uumlber lag Estelle in ihrem Koumlrbchen wollte dieses auch nicht zum Fressen verlassen verschmaumlhte selbst ihre geliebten Leckereien blickte nur hin und wieder auf und schaute Helena mit ihren lieben Hundeaugen an In dieser Nacht hatte Helena das Koumlrbchen in ihr Zimmer geholt es neben ihr Bett gestellt und fast die ganze Nacht wachgelegen eine Hand auf Estelles warmem Fell sodass sie spuumlrte wie sich die Flanke hob und senkte

Morgens war Helena in aller Fruumlhe aufgestanden waumlh-rend Dominik noch neben ihr schlief Dann setzte sie sich neben das Koumlrbchen auf den Boden und streichelte den kleinen Hund der die Augen geschlossen hielt aber noch atmete Vielleicht so dachte sie blieb ja doch noch Zeit Vielleicht brauchte Estelle nur Ruhe Dann jedoch oumlffnete

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ihr kleiner Hund die Augen sah sie an versuchte sich auf-zurichten aber Helena legte ihr beruhigend die Hand auf das Koumlpfchen streichelte sie

raquoScht meine Kleine ist ja gutlaquo hatte sie gemurmelt raquoDu darfst jetzt gehenlaquo

Estelle hatte die Augen wieder geschlossen und irgend-wann hatte sich die Flanke nach dem letzten Atemzug nicht mehr gehoben

Danach wollte Helena keinen Hund mehr Als Domi-niks Schwester Ariana vorgeschlagen hatte einen neuen zu kaufen vielleicht wuumlrde man sogar einen finden der aussah wie Estelle waumlre sie ihr fast ins Gesicht gesprun-gen Aber Mortimer hatte sie gefunden wie Estelle vor-mals Nach dem Krieg war Helena durch die Stadt ge-gangen hatte versucht von ihren Lebensmittelmarken etwas zu essen zu bekommen als sie den kleinen Hund bemerkte der in den Truumlmmern nach etwas zu fressen suchte Er war schmutzig weiszlig mit groszligen schwarzen Fle-cken und einem wolligen Fell das ganz verfilzt war Hoff-nungsvoll hatte er sie angesehen aber Helena war mit dem Korb im Arm weitergegangen

raquoEs tut mir leid mein Kleiner es reicht kaum fuumlr unslaquoEr war ihr gefolgt und hatte Schritt gehalten als Helena

die ihren beschleunigte raquoEs ist sinnloslaquo hatte sie gesagt raquoSuch dir jemanden der weniger Maumluler zu stopfen hatlaquo

Bis zum Eingangstor ihres Hauses war er ihr gefolgt und lieszlig sich nicht abwimmeln raquoSo hier trennen sich unsere Wegelaquo sagte sie ihm als koumlnnte er sie verstehen Aber er hob nur das Bein an der Mauer raquoDamit machst du dich bei Dominik gewiss beliebt So und jetzt geh unser

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Haushalt ertraumlgt keine zwei Maumlnner erst recht nicht wenn einer davon sein Revier markiertlaquo

Der Hund hatte sich auf die Hinterbeine gesetzt und sie angesehen Als Helena sich abgewandt hatte war der Hund ihr gefolgt und hinter ihr die Treppe hochgelau-fen In der Eingangshalle war ihr Dominik entgegenge-kommen

raquoMortimer wohnt jetzt hierlaquo hatte sie ihm erklaumlrt und dabei war es geblieben

Der Hund war nur noch wenig gewachsen ging ihr bis zur Mitte der Wade war kompakter als Estelle und auch frecher Zur Arbeit nahm Helena ihn nie mit er verbrachte viel Zeit mit Fanny sah auch jetzt auf als sie den Salon betrat die Leine in der Hand Sofort sprang der Hund auf und lief schwanzwedelnd zu ihr was mit dem kleinen Stummelschwanz immer sehr drollig aussah

raquoWir gehen noch eine Rundelaquo erklaumlrte sieraquoEine Rundelaquo betonte Helena raquoOhne Umwege oder

heimliche TreffenlaquoEin Schatten flog uumlber das Gesicht ihrer Tochter und

Helena hob eine BraueraquoJa eine Rundelaquo sagte Fanny so uumlberdeutlich dass man

es schon fast patzig nennen konnte Sie beugte sich zu Mortimer und befestigte die Leine am Halsband

Fanny fand es in houmlchstem Maszlige anstrengend dass ihre Eltern sie fortwaumlhrend wie ein Kind behandelten Da war Lukas ganz anders er behandelte sie wie eine junge Frau Ihre Eltern hingegen bezeichneten Lukas der immerhin im kommenden Jahr das Abitur machen wuumlrde als Halb-

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wuumlchsigen kaum mehr als ein Knabe Dabei wuumlrde er im Herbst achtzehn werden Ihr Vater hatte ihn sogar als un-verschaumlmten Bengel bezeichnet als sei er noch ein Kind

Mit Mortimer an der Leine verlieszlig sie das Haus und atmete auf als sie drauszligen war Zwei Wochen Hausar-rest das war doch nicht auszuhalten Sie schritt rasch aus atmete die fruumlhlingsmilde Luft ein in der schon die Vor-boten des Sommers lagen Mortimer blieb stehen schnup-perte hob einmal das Bein und lief dann wieder forsch vor-weg Aufmerksam sah Fanny sich um verlangsamte den Schritt als sie auf die Straszligenecke zuging Und da stand er wartete wie stets um diese Uhrzeit auf sie Fannys An-gespanntheit zerschmolz in einem Laumlcheln und sie ging nun wieder schneller raquoIch hatte schon befuumlrchtet deine Eltern verpassen dir auch Hausarrestlaquo

Lukas hatte sich eine Zigarette in den Mund gesteckt und zuckte laumlssig mit den Schultern raquoMein Vater hat he-rumlamentiert von wegen Schule und Verantwortung und ich hab so getan als wuumlrdrsquos mich interessieren aber das warrsquos dann auch schon Hier magst dulaquo Er hielt ihr seine Zigarette hin und Fanny nahm einen Zug obwohl sie den Geschmack scheuszliglich fand Aber sie gab sich laumls-sig und zog noch ein weiteres Mal daran unterdruumlckte da-bei ein Husten

Sie und Lukas trafen sich jeden Tag hier wenn Fanny ihre Hunderunde drehte raquoIch kann heute nur kurzlaquo sagte sie raquoEin Wunder dass meine Mutter mich uumlberhaupt rausgelassen hatlaquo

raquoImmerhin hast du es geschafft Schrecklich dass sie dich so kontrollieren Da ist es gut dass du den Hund hast

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da bietet sich immer ein Vorwandlaquo Lukas sah Mortimer an und blieb auf Abstand Einmal hatte er den Versuch ge-macht den Hund zu streicheln und Mortimer hatte nach ihm geschnappt Das hatte Fanny erschreckt denn an sich war er der liebste Hund den man sich vorstellen konnte raquoDas hat er noch nie getanlaquo hatte sie beteuert

raquoDas ist ganz normal bei diesen Winzlingenlaquo hatte Lukas geantwortet raquoDie sind immer so giftig vermut-lich weil sie sich minderwertig fuumlhlen Ein echter Hund beginnt ab Kniehoumlhelaquo

Das hatte Fanny ihm uumlbelgenommen aber er hatte sich entschuldigt und betont Mortimer habe genau die rich-tige Groumlszlige fuumlr einen Maumldchenhund

Ihre Freundinnen beneideten sie gluumlhend um diesen gutaussehenden Bankierssohn nur ihre beste Freundin Nele mochte ihn nicht und nannte ihn einen groszligspuri-gen Angeber raquoVertrau dem Urteil deines Hundeslaquo hatte sie gesagt Das blieb ein Streitpunkt zwischen ihnen ob-wohl Nele in manchem was sie sagte durchaus richtiglag Nachdem sie und Lukas in der Schule erwischt worden waren hatte Nele gesagt raquoUm was wetten wir dass nur du den Aumlrger bekommstlaquo

Fanny fand das ziemlich ungerecht denn schlieszliglich hatte Lukas die Grenze uumlberschritten und nicht sie Waumlh-rend sie nebeneinanderher gingen haderte sie mit dem harschen Urteil ihres Vaters uumlber Lukas Wenn er es ihr nicht staumlndig so schwermachen wuumlrde ihn zu sehen waumlren solche Eskapaden ja ganz und gar uumlberfluumlssig Bisher war-tete sie immer noch vergebens auf den ersten Kuss aber es ergab sich einfach nicht die Gelegenheit

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raquoBei Franz Heikamp findet naumlchstes Wochenende eine Party stattlaquo erzaumlhlte Lukas raquoSeine Eltern sind verreist Gehst du mit mir hinlaquo

Ein heftiges Kribbeln stob in Fannys Bauch auf ge-folgt von dem Gefuumlhl der Ernuumlchterung raquoDas erlauben mir meine Eltern nie und noch dazu habe ich Hausarrestlaquo Lukas stieszlig einen entnervten kleinen Pfiff aus und Fanny befuumlrchtete seine Geduld mit ihr arg zu strapazieren raquoEs tut mir leidlaquo fuumlgte sie hinzu

raquoSchon gut ist ja nicht deine Schuld Dann eben ein anderes Mallaquo

Sie haumltte sich gern bei ihm eingehakt wagte es aber nicht denn die Gefahr dass ein Bekannter sie sah war ein-fach zu groszlig und dann konnte sie sich nicht mit einer zu-faumllligen Begegnung herausreden Auch so blieb ihr Blick stets wachsam auf die Straszlige gerichtet Und so entdeckte sie ihren Cousin Erich der im Auto an ihr vorbeifuhr auch gerade noch ehe er sie sehen konnte Fanny unterdruumlckte ein Stoumlhnen Konnte man so viel Pech haben

raquoMein Vetterlaquo sagte sie raquoWenn der uns sieht erfaumlhrt mein Vater das sofortlaquo

Wieder verdrehte Lukas entnervt die Augen raquoWenn du nicht so ein tolles Maumldchen waumlrst wuumlrde mich das hier schwer nervenlaquo

raquoEs tut mir leidlaquoraquoSchon gutlaquo Er lieszlig sich zuruumlckfallen schenkte ihr ein

Laumlcheln bei dem ihr die Knie weich wurden dann drehte er sich um und ging in die entgegengesetzte Richtung davon

Erich war ihr Cousin vaumlterlicherseits und Geschaumlftsfuumlh-

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rer im Pharmaunternehmen Lichtenthal und da er sich mit ihrem Vater ausnehmend gut verstand war sich Fanny sicher er wuumlrde es ihm sofort zutragen wenn er sie mit Lukas gesehen haumltte Seufzend ging Fanny weiter und als sie zu Hause ankam sah sie Erichs Wagen an der Straszlige stehen Sie ging durch das Eingangstor auf die elterliche Villa zu lieszlig Mortimer von der Leine der begeistert uumlber die Einfahrt tollte In der Eingangshalle begegnete sie Erich Er sah Fanny an laumlchelte hob leicht die Brauen und unwillkuumlrlich fragte sie sich ob er sie nicht doch mit Lukas bemerkt hatte Allerdings sagte er kein Wort dazu gruumlszligte nur und fragte was die Schule mache

Marion fuhr mit der Elektrischen ins Werk ihres Vaters Nach und nach erhob sich Berlin aus den Truumlmmern lebte und pulsierte Ganze Straszligenzuumlge waren veraumlndert ehe-mals Vertrautes wirkte fremd und waumlhrend die Erwachse-nen damit beschaumlftigt waren aus den Uumlberbleibseln etwas Neues zu erschaffen waren die klaffenden Ruinen fuumlr die Kinder ein riesiger Abenteuer spielplatz

Berlin war nach dem Krieg von den Alliierten in vier Besatzungszonen aufgeteilt worden wurde von den Sieger-maumlchten Frankreich England USA und der Sowjet union verwaltet und kontrolliert und seither gab es Zonengren-zen ndash Schlagbaumlume Farbmarkierungen an Baumlumen oder weiszlig-gelbe Holzpfosten ndash und wer von einer Zone in die

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naumlchste wollte brauchte mancherorts eine Genehmigung Fuumlr Reisen zwischen der Westzone und der sowjetischen Besatzungszone gab es Interzonenpaumlsse und es waren erste Grenzanlagen auf der Ostseite errichtet worden Stachel-drahthindernisse in Waldgebieten Sperren an Straszligen und dabei blieb es nicht sondern es war im Jahr nach Kriegsende eine Grenzpolizei eingesetzt und sogar der Ge-brauch fuumlr Schusswaffen geregelt worden Die Abrieglung des Ostens war ein Schock fuumlr die Menschen in Berlin

raquoDas kann doch nicht seinlaquo hatte sich Marions Mutter empoumlrt raquoEs war ja ohnehin schon ein Aufwand von einem Teil der Stadt in den anderen zu kommen und jetzt soll man auch noch aufpassen nicht erschossen zu werdenlaquo

Was Marion jedoch weit mehr Sorge bereitete war der Umstand dass seit diesem Tag dem achtundzwanzigs-ten Mai West-Berlin durch die Regierung in der Sow-jetzone vom Umland getrennt wurde Schon an den bei-den Tagen zuvor war die innerdeutsche Demarkationslinie nach Unter zeichnung des Bonner Deutschlandvertrags ab-geriegelt worden und es gab nun einen zehn Meter langen Kontrollstreifen einen fuumlnfhundert Meter langen Schutz-streifen sowie eine fuumlnf Kilometer weite Sperrzone Damit war der bisher geduldete kleine Grenzverkehr eingestellt worden Selbst die Telefonverbindungen zwischen West- und Ost-Berlin waren von der Regierung gekappt wor- den

Marion fragte sich wie es jetzt mit dem Schoumlnheits-salon weitergehen sollte der in Berlin-Mitte lag und so-mit im Teil der Stadt der nun von der Deutschen Demo-kratischen Republik verwaltet wurde Da ihre Mutter das

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Geschaumlft zwar in Ost-Berlin betrieb aber in West-Berlin ihren Wohnsitz hatte war ihr ndash wie vielen anderen Ge-werbetreibenden auch ndash die Gewerbeerlaubnis entzogen worden Wer in West-Berlin lebte aber in einem Betrieb in Ost-Berlin angestellt war ndash so wie Marion in der Cha-riteacute ndash wurde zum Umzug aufgefordert oder entlassen Da-mit sparte Marion sich die Kuumlndigung

Die Straszligen ins Umland wurden gesperrt offen bleiben durften nur jene die von den Alliierten als Zufahrtswege in die Bundesrepublik festgelegt worden waren Fuumlr die Menschen in West-Berlin bedeutete das den Verlust ihrer Besitztuumlmer im Osten Natuumlrlich wurden Passierscheine in Aussicht gestellt aber das bedeutete nicht automatisch dass diese genehmigt wurden Auch der Anhalter Bahnhof war stillgelegt worden es gab keine Zuumlge mehr die aus dem Osten nach West-Berlin fuhren

raquoMittlerweile liegt Italien fuumlr uns naumlher als Potsdamlaquo hatte Helena geschimpft

Auch das Werksgebaumlude von Lichtenthal-Pharma hatte einen Treffer abbekommen als eine Sprenggranate in einen Fluumlgel eingeschlagen hatte Der Bereich war nach wie vor eingezaumlunt und die Bauarbeiten schritten stetig voran Ihr Vater hatte die Gelegenheit genutzt und legte den Fluumlgel etwas weitraumlumiger an was dem Gebaumlude ein asymmetri-sches Aussehen verlieh

Marion warf dem Portier einen Gruszlig zu wechselte ein paar Worte mit den Mitarbeitern an der Rezeption und fuhr dann mit dem Aufzug hinauf in die Chefetage Die Tuumlr zum Vorzimmer stand offen und Marion sah wie die Sekretaumlrin ihres Vaters Frau Weiller sich gerade an-

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schickte mit einem Tablett auf dem Kaffeekanne und Tasse standen die Tuumlr zum Buumlro ihres Vaters zu oumlffnen

raquoDas uumlbernehme ichlaquo bot Marion an und nahm der Frau das Tablett ab raquoIch moumlchte sowieso kurz zu ihmlaquo Waumlhrend sie das Tablett in der einen Hand balancierte druumlckte sie mit der anderen die Tuumlr auf raquoBringen Sie mir bitte auch noch eine Tasselaquo

raquoNatuumlrlich kommt sofort Fraumlulein LichtenthallaquoIhr Vater saszlig an seinem Schreibtisch und sah auf als sie

eintrat raquoNa so etwas Planst du einen beruflichen Wech-sellaquo

raquoIn der Tat nur werde ich dann nicht deine Empfangs-damelaquo Marion stellte das Tablett ab und schenkte Kaffee ein Im naumlchsten Moment trat Frau Weiller ein brachte ein zusaumltzliches Gedeck und ein Milchkaumlnnchen

raquoIch weiszlig doch dass Sie Ihren Kaffee nicht schwarz trinkenlaquo sagte sie an Marion gewandt

Nachdem sie gegangen war und die Tuumlr hinter sich ge-schlossen hatte setzte Marion sich ihrem Vater gegenuumlber in einen der beiden Besucherstuumlhle

raquoWas meintest du damit dass du in der Tat einen be-ruflichen Wechsel planstlaquo fragte Dominik Lichtenthal

Marion trank einen weiteren Schluck raquoIch hatte eigent-lich vorgehabt meine Kuumlndigung bei der Chariteacute einzu-reichen wobei das ja nun nicht mehr noumltig ist Ich liebe die Medizin doch der Alltag einer Aumlrztin ist nicht das Richtige fuumlr michlaquo

Das traf ihren Vater vollkommen unerwartet hatte er doch damit gerechnet dass sie in der naumlchsten Zeit ihren Facharzt anstreben wuumlrde raquoSo ploumltzlichlaquo

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raquoIch denke da tatsaumlchlich schon eine ganze Zeit lang druumlber nachlaquo

raquoUnd was willst du stattdessen tun In die Pharmazielaquo Offenbar erinnerte er sich gerade an die paar Semester Che-mie die sie nebenher studiert und waumlhrend derer sie eine kurze Liaison mit einem Chemieprofessor gehabt hatte

raquoNein auch das nichtlaquo Die Kenntnisse in Chemie waren indes durchaus zu etwas gut raquoIch moumlchte bei Mama mitarbeitenlaquo

Unglaumlubig sah ihr Vater sie an raquoDu hast ein komplettes Medizinstudium mit hervorragenden Noten abgeschlos-sen und dann sieht deine Berufswahl so aus Frauen Farbe ins Gesicht zu malenlaquo

Marion musste lachen raquoLass das bloszlig nie Mama houmlren Du weiszligt doch genau dass Kosmetik mehr ist als Frauen Farbe ins Gesicht zu malen Mich interessiert medizini-sche Kosmetik Wie du siehst ist mein Studium nicht vergebens gewesenlaquo

raquoDu kannst doch in die Dermatologie gehenlaquoraquoJa koumlnnte ich Ich koumlnnte aber auch in die Forschung

gehen und medizinische Kosmetik entwickelnlaquoraquoDu koumlnntest auch bei mir in die pharmazeutische For-

schung gehenlaquoraquoDas geht doch Hand in Hand Paps Ich weiszlig dass du

sicher enttaumluscht bist aber helliplaquoraquoNeinlaquo fiel er ihr ins Wort raquoIch bin nicht enttaumluscht

Es ging mir nie darum dass du meine Erwartungen er-fuumlllst sondern stets nur deine eigenen Ich gestehe ich war gluumlcklich als du mir eroumlffnet hast dass du Aumlrztin werden willst aber letzten Endes ist mir am wichtigsten dass du

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zufrieden bist mit dem was du tust Ich bitte dich nur die Entscheidung zu uumlberdenkenlaquo

raquoDu kannst davon ausgehen dass ich das getan habe Ich habe lange und gruumlndlich daruumlber nachgedachtlaquo

raquoWeiszlig deine Mutter bereits davonlaquoraquoNein ich bin zuerst zu dir gekommenlaquoIhr Vater nickte zog seine Zigaretten hervor und

steckte eine an raquoSie wird sich freuen dass du mit ihr zu-sammenarbeiten wirst Und die Taumltigkeit als Aumlrztin laumluft dir ja nicht davon du hast ein abgeschlossenes Studium und kannst jederzeit deinen Facharzt machen wenn du merkst dass das vielleicht doch nicht das Richtige fuumlr dich ist Dir ist aber klar dass du mit medizinischer Kosmetik in Konkurrenz zu deiner Tante Charlotte trittstlaquo

raquoJa durchaus Aber wie sagst du immer Konkurrenz belebt das Geschaumlftlaquo Mit ihrer Tante hatte Marion nur selten Kontakt Auf Feiern lief man sich hin und wieder uumlber den Weg aber damit erschoumlpfte es sich auch schon Im Grunde war das bedauerlich denn Charlottes Tochter Emma war ganz reizend und Marion hatte schon einige interessante Unterhaltungen mit ihr gefuumlhrt wenn sie sich denn mal begegnet waren Auch Emmas Bruder Leopold war sehr freundlich und umgaumlnglich wenngleich er seit dem Krieg verschlossen und in sich gekehrt wirkte Im letzten Jahr hatte er noch an die Front gemusst der arme Kerl Da war sein Vater gerade gestorben und Leopold hatte nicht nur den Verlust zu verkraften gehabt sondern war selbst in dem unheilvollen Mahlwerk des Krieges auf-gerieben worden

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Emma Rudorf saszlig mit einem Buch in der Hand im Wohn-zimmer und houmlrte ihren Bruder heimkommen Den gan-zen Tag war Leopold im Werk von Dr Rudorfs medizi-nische Kosmetik gewesen und an seinem schleppenden Schritt houmlrte Emma wie erschoumlpft er sein musste Ver-mutlich hatte er wieder mit Mutter gestritten und bei dem Gedanken daran wie diese ihm zusetzte packte sie die Wut Sie legte ihr Buch beiseite und stand auf ging in den Flur wo sich Leopold gerade die Schuhe auszog Er sah ihrem Vater aumlhnlich hatte zwar dunkleres Haar aber seine Gesichtszuumlge und er wirkte mit der Brille ein wenig professorenhaft

Als er Emma bemerkte laumlchelte er raquoWie gehtrsquoslaquo fragte er mit gespielter Munterkeit

raquoGut Und dirlaquoraquoViel zu tun Und bei dir Wie war die KlausurlaquoraquoIch denke ich habe bestandenlaquo Emma wuumlrde im

naumlchsten Sommer ihr Chemiestudium abschlieszligenraquoEtwas anderes habe ich auch nicht erwartetlaquoraquoIch habe Abendessen gemacht Kommt Mama auch

gleichlaquoraquoNein sie meinte sie haumltte noch viel zu tunlaquoWie immer Fuumlr Charlotte Rudorf gab es seit dem Tod

ihres Mannes nur noch das Werk sie arbeitete wie beses-sen als koumlnnte das den Schmerz des Verlustes betaumluben Emma hatte sich so oft gewuumlnscht sie wuumlrde daruumlber nicht staumlndig vergessen dass sie zwei Kinder hatte und sich nur dann an sie erinnern wenn es etwas auszusetzen gab Vor allem Leopold war ihr ein fortwaumlhrendes Aumlrgernis

raquoDu warst ein Jahr im Krieglaquo pflegte sie zu sagen

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raquound du bist in einem Stuumlck zuruumlckgekommen Wie lange willst du noch in Truumlbsal versinken anstatt endlich wieder mit beiden Beinen im Leben zu stehenlaquo

Was ihre Mutter Truumlbsal nannte war eine tiefe innere Wunde die der Krieg geschlagen hatte und Emma fragte sich warum sie diese sehen konnte nicht aber die Frau die ihn geboren hatte Dann kamen wieder diese Geschich-ten uumlber all die Kriegsheimkehrer die es auch schafften ihr Leben in den Griff zu bekommen obwohl sie deutlich laumlnger im Krieg aufgerieben worden waren Wie schlimm konnte da das eine Jahr schon gewesen sein Einzig fuumlr Emmas Albtraumlume durch die Bombardierung hatte sie Verstaumlndnis denn diese war zu der Zeit gerade vierzehn Jahre alt gewesen Da spielte wohl auch die Erinnerung mit hinein wie Emma an sie geschmiegt im Keller ge-sessen und gewartet hatte bis die Bombardierung vorbei war waumlhrend sie beide Angst gehabt hatten dass Leopold vielleicht schon tot war

raquoIsst du mit mir zu Abendlaquo fragte er nunraquoKlar ich habe auf dich gewartetlaquoLeopold wuumlrde im Juli vierundzwanzig werden und hatte

sein Pharmaziestudium im letzten Jahr abgeschlossen Er haumltte lieber Maschinenbau studiert war schon seit Kinder-tagen davon fasziniert gewesen Aber es war klar gewesen dass er das Familienwerk erben wuumlrde Allenfalls haumltte er noch Arzt werden koumlnnen um die Praxis ihres Vaters zu uumlbernehmen die nun ein anderer Arzt gemietet hatte

Da sie nur zu zweit waren aszligen sie zwanglos in der Kuumlche und Leopold deckte den Tisch waumlhrend Emma den Brotkorb Butter Kaumlse und Aufschnitt hinstellte und alles

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in den Dosen belieszlig was ihre Mutter stets als mangelnde Esskultur bezeichnete Emma hingegen war es zu viel Auf-wand jetzt alles auf Tellern anzuordnen nur um dann das meiste wieder zuruumlckzufuumlllen und wegzuraumlumen und mehr zum Abspuumllen zu haben Sie lieszlig sich ihrem Bruder gegen-uumlber am Tisch nieder Im Gegensatz zu ihrer Mutter hatte Emma bislang keine groszligen beruflichen Ambitionen ge-habt sie studierte Chemie allein aus dem Grund weil es sie interessierte aber sie hatte keine konkreten Plaumlne da-ruumlber hinaus ndash ein staumlndiges Aumlrgernis fuumlr Charlotte Ru-dorf Emmas Plan war gewesen zum Zeitvertreib etwas zu studieren das ihr Spaszlig machte und danach zu heiraten Im Laufe des Studiums hatte sich ihr Interesse allerdings ge-wandelt In der Fakultaumlt war sie hin und wieder ihrer Cou-sine Marion uumlber den Weg gelaufen die mit einem von Emmas Professoren ausgegangen war und sie fand sie glei-chermaszligen interessant wie inspirierend Sie hatte sogar kurz mit dem Gedanken gespielt sich im Pharmakonzern Lich-tenthal zu bewerben aber da haumltte vermutlich eine Andeu-tung gereicht und ihre Mutter waumlre die Waumlnde hochge-gangen Mit ihrer Schwester Helena hatte sie sich schon vor Jahren entzweit und eine Annaumlherung war nicht in Sicht

Beim Essen plauderten sie uumlber Allgemeines Leopold zog sie mit einem Dozenten auf von dem sie ndash seiner Mei-nung nach ndash verdaumlchtig oft sprach Daraufhin erinnerte sie an die Verkaumluferin aus dem KaDeWe mit der er fortwaumlh-rend ausging ohne dass die Sache von der Stelle kam Spauml-ter raumlumten sie zusammen ab erledigten den Abwasch und wollten gerade ins Wohnzimmer gehen um das Radio ein-zuschalten als ihre Mutter die Wohnungstuumlr aufschloss

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raquoGuten Abendlaquo Charlotte Rudorf sah muumlde aus und Emma ging zu ihr um ihr den Mantel abzunehmen und ihn an die Garderobe zu haumlngen

raquoSoll ich das Abendessen wieder auf den Tisch stellenlaquo fragte Emma

raquoNein lass nur ich habe im Werk eine Kleinigkeit ge-gessenlaquo

So war es fast jeden Abend im Grunde genommen aszligen sie nur noch am Wochenende regelmaumlszligig zusammen und fanden sich ansonsten morgens zu einem raschen Fruumlh-stuumlck in der Kuumlche ein Ihre Mutter wechselte einen kur-zen Blick mit Leopold aus dem klar ersichtlich wurde dass die beiden noch vor gar nicht langer Zeit gestritten hatten ndash ganz so wie von Emma vermutet Nun jedoch zeigte sich ein zoumlgerliches Laumlcheln auf den Lippen Char-lotte Rudorfs und auch das war typisch Zum Abend hin legte sie Streit gerne bei mochte es nicht unversoumlhnt schlafen zu gehen

Im Wohnzimmer schalteten sie das Radio ein Emma houmlrte nur mit halbem Ohr hin und hatte ihr Buch wie-der aufgeschlagen war aber auch hier nicht bei der Sache Schlieszliglich gab sie es auf und beschloss noch ein wenig spazieren zu gehen

raquoUm diese Uhrzeitlaquo fragte ihre Mutter die gerade mit einer Tasse Kraumlutertee ins Wohnzimmer trat

raquoEs ist kurz nach achtlaquoNun blickte auch Leopold auf sah sie an als witterte er

hinter ihrem Wunsch eine tiefere WahrheitraquoEs ist nur ein Spazierganglaquo sagte sie und haumltte am

liebsten die Augen verdreht raquoMir geht so viel im Kopf

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herum und ich kann meine Gedanken beim Gehen am besten sortierenlaquo

raquoWie war eigentlich deine Klausurlaquo wollte ihr Mut-ter nun wissen

raquoGut denke ichlaquo Emma ging in den Flur nahm einen leichten Mantel vom Haken legte sich einen Seidenschal um und warf noch einen kurzen Blick in den Spiegel Seit kurzem trug sie ihr hellbraunes Haar knapp schulterlang und in groszlige Locken gelegt die sie mit einer Spange seit-lich zuruumlckhielt Jetzt zupfte sie ein wenig daran herum bis sie schlieszliglich zufrieden war und verlieszlig die Wohnung Sie wohnten in der ersten Etage direkt uumlber der Arztpraxis die Wohnung im zweiten Stock stand derzeit leer Fruumlher einmal hatte Emmas Groszligmutter dort gewohnt aber sie lebte bereits seit fast dreiszligig Jahren bei ihrer Tochter erst in Hamburg und seit kurz vor dem Krieg in Muumlnchen da der Ehemann von Emmas Tante dorthin versetzt worden war Leider kam sie nur noch selten zu Besuch da lange Reisen sie zu sehr anstrengten Emma bedauerte das denn sie mochte ihre Groszligmutter die auch mit achtzig noch ruumlstiger und scharfsinniger war als manch junge Frau die Emma kannte

Es daumlmmerte bereits und die langen Schatten des spauml-ten Nachmittags waren ineinandergekrochen verdichte-ten sich langsam und entfaumlrbten den Tag zu einem lich-ten Grau Seit zwei Jahren stellte man die Uhren nicht mehr zur Sommerzeit um und anfangs war es ungewohnt gewesen dass die Sommertage nun um eine Stunde kuumlr-zer waren aber man gewoumlhnte sich daran Waumlhrend des Krieges hatte es eine Zeit gegeben in der fortwaumlhrend

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Sommerzeit gegolten hatte und man die Uhren uumlberhaupt nicht mehr umstellte irgendwann war ein konzeptloses Wechseln erfolgt Dann war die Regelung durch die Besat-zungsmaumlchte wieder geaumlndert worden und sie bestimm-ten eine Umstellung auf die Sommerzeit ndash wobei diese in der sowjetischen Besatzungszone Berlins 1945 ganze zwei Monate laumlnger gedauert hatte Jetzt endlich hatte die Regierung sich auf eine einheitliche Zeit festgelegt die fuumlr das gesamte Jahr galt ndash die Ruumlckkehr zur Normalzeit Emma hoffte dass das so blieb

Als sie durch die Straszlige spazierte hier und da einen heimkehrenden Nachbarn oder Bekannten gruumlszligte ndash die Tochter des Herrn Doktor kannte man im gesamten Vier-tel ndash fiel ihr ein Mann auf der gerade ein Haus verlieszlig sich noch einmal umdrehte einem weiteren Mann der in der offenen Tuumlr stand etwas sagte und dann durch den Vorgarten schritt und auf sein Auto zuging Dominik Lichtenthal Emma blieb stehen sah ihn an wusste nicht ob sie zu ihm gehen und houmlflich gruumlszligen oder ihn ignorie-ren sollte Er nahm ihr die Entscheidung ab als er sie be-merkte kurz stutzte als muumlsste er ihr Gesicht erst einem Namen zuordnen und sie dann anlaumlchelte

raquoGuten Abend Emma Wie geht es dirlaquoSie ging auf ihn zu raquoSehr gut vielen Danklaquo Sie wusste

nie so recht ob sie ihn duzen sollte oder nicht denn einer-seits war er ein Fremder andererseits aber der Ehemann ihrer Tante und damit praktisch ihr Onkel

raquoIch habe gehoumlrt du studierst ChemielaquoraquoJa ich werde diesen Sommer fertiglaquoraquoUnd dann geht es in den Konzern deiner Mutterlaquo

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Unschluumlssig hob Emma die Schultern raquoAch das weiszlig ich noch gar nichtlaquo

Dominik Lichtenthal schloss seinen Wagen auf raquoWenn du dich lieber auf dem freien Markt umsehen moumlchtest sag Bescheid ich kann faumlhige Chemiker immer gebrau-chenlaquo

Es war schon fast skurril dass Emma diesen Gedanken erst vor kurzem gehegt hatte und ihn nun ausgesprochen houmlrte Da sie nicht rundheraus ablehnen wollte dankte sie ihm und nachdem sie ihm gesagt hatte er moumlge seine Familie von ihr gruumlszligen stieg er in seinen Wagen und fuhr los Im Grunde genommen war das doch albern dass ihre Mutter immer noch nichts mit ihrer Schwester zu tun haben wollte Emma kannte die alte Geschichte und natuumlr lich war es hart auf einen Schlag sein gesam-tes Erbe zu verlieren und die unvermittelt aufgetauchte fremde Schwester als einzige Gewinnerin in dieser Situa-tion zu sehen aber das Ganze war jetzt gut fuumlnfundzwan-zig Jahre her irgendwann musste es doch mal gut sein Und es war ja nun wahrlich nicht so als wuumlrde der Besitz des Hauses in der Friedrichstraszlige noch einen nennenswer-ten Unter schied im Vermoumlgen ihrer Mutter machen Im Gegenteil ndash waumlre sie dort geblieben haumltte sie es vielleicht nie so weit gebracht

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Juni 1952

Die einstmals goldene Zeit merkte man der ehemaligen Amuumlsiermeile auf der Friedrichstraszlige nicht mehr an und Helena verspuumlrte jedes Mal beim Besuch ihres Schoumlnheits-salons diesen Stich des Bedauerns Als sie in den Zwan-zigern hier angekommen war hatte das Leben pulsiert mit Autos Bussen Bahnen Fuszliggaumlngern Radfahrern und noch vereinzelten Droschken Die Kreuzung an der Leip-ziger Straszlige war ein so verkehrsreicher Knotenpunkt ge-wesen dass es fuumlr die aus der Provinz stammende Helena anfangs schon eine Herausforderung gewesen war lebend von einer Straszligenseite auf die andere zu gelangen

Nach dem Krieg war die Straszlige eine von Ruinen ge-saumlumte Schuttwuumlste geworden und auch wenn die Truumlm-mer in weiten Teilen fortgeraumlumt waren so erinnerte doch nur wenig an fruumlher Helena hatte mehrfach uumlberlegt den Schoumlnheitssalon einfach aufzugeben aber das brachte sie nicht uumlber sich Vielleicht normalisierte sich hier ja alles irgendwann wieder das konnte doch nicht ewig so blei-ben Ihr Schoumlnheitssalon in der Friedrichstraszlige befand sich im Amerikanischen Sektor der in Berlin-Mitte gehoumlrte nun zur DDR ihr Werk wiederum zum Franzoumlsischen

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Sektor Dominiks sowie ihr Wohnsitz lagen im Britischen Sektor Das war doch auf Dauer kein Zustand Den Salon in Berlin-Mitte hatte sie aufgeben muumlssen und sie sah sich bereits nach Alternativen um

Als Helena in den Salon trat kam ihr Ida ndash fruumlher Wag-ner jetzt Zeller ndash entgegen raquoKaffeelaquo

raquoUnbedingtlaquo Helena haumlngte ihren Mantel an die Gar-derobe und betrat den Salon Es war noch fruumlh und sie wuumlrden erst in einer halben Stunde oumlffnen Ida hatte schon in den Dreiszligigern die Leitung des Salons uumlbernommen als Helena damit beschaumlftigt gewesen war einen weiteren in Berlin-Mitte zu eroumlffnen

raquoWie geht es den MaumldchenlaquoHelena setzte sich in einen der bequemen Besucher-

stuumlhle wo die Frauen sich bei einer Tasse Kaffee oder Tee und etwas Gebaumlck entspannen konnten raquoMarion faumlngt bei mir im Werk an der Termin steht jetztlaquo Das war Schock und freudige Uumlberraschung zugleich gewesen und Helena wusste selbst nicht ob ihre Bestuumlrzung oder ihre Freude uumlberwog Natuumlrlich hatte sie gehofft dass Marion als Aumlrztin praktizierte immerhin hatte sie stu-diert und damit ein klares Ziel vor Augen gehabt Ande-rerseits freute es sie dass ihre Tochter Interesse an ihrem Unternehmen zeigte ndash und nicht an Dominiks wie eine kleine nicht zu unterdruumlckende Stimme des Triumphs in ihr betonte raquoUnd Fanny schlieszligt das Schuljahr mit sehr guten Noten ablaquo

raquoMathematik macht ihr wieder SpaszliglaquoraquoNachdem Ferdinands Ehefrau es ihr erklaumlrt hat was

ihr unfaumlhiger Lehrer offenbar nicht hinbekommtlaquo Fer-

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dinand war der Patenonkel beider Toumlchter und seine Frau eine begabte Mathematikerin

Die Schwangerschaft mit Fanny hatte Helena seinerzeit einen gehoumlrigen Schrecken eingejagt All die Jahre hatte sie es erfolgreich vermieden zu empfangen und dann als die Welt am Abgrund stand kuumlndigte sich neues Leben an Schlimm genug mitanzusehen wie Marion bereits in der Schule darauf vorbereitet wurde in den BDM einzu-treten da wollte sie diesem System nicht noch ein Kind schenken Es war Rudolf Liliengrund gewesen dem Fanny es zu verdanken hatte dass Helena keinen Abbruch hatte vornehmen lassen

raquoGerade in diesen Zeiten sollten die Anstaumlndigen sich vermehrenlaquo

Ihr lieber Rudolf der seine gesamte Familie verloren und selbst nur knapp und unter Entbehrungen die Flucht geschafft hatte weil er zu lange gezoumlgert geglaubt hatte es wuumlrde alles gut werden Und so hatte Helena Fanny aus-getragen hatte schon in der Schwangerschaft eine so innige Beziehung zu dem Kind gehabt wie sie es sich nicht hatte vorstellen koumlnnen Es war ganz anders als mit Marion zu der sie erst eine enge Bindung hatte aufbauen koumlnnen als diese bereits ein Kleinkind gewesen war Waumlhrend Marion von Geburt an ein Papakind war so war Fanny von Geburt an ganz und gar ihre Tochter Helena hatte sie sogar mit zur Arbeit genommen weil sie sich nicht von ihr trennen mochte hatte sie im Buumlro gestillt und in der Wiege neben sich schlafen lassen Undenkbar dieses Baby jemand ande-rem anzuvertrauen Dabei liebte sie Marion nicht weniger und sie verstand auch im Nachhinein nicht warum sie bei

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beiden Kindern schon in der Schwangerschaft so unter-schiedlich empfunden hatte

raquoDu solltest endlich aufhoumlren das zu hinterfragenlaquo hatte ihre beste Freundin Irene Danelius gesagt raquoEs ist jetzt wie es ist Freu dich einfach Gerade jetzt haben wir alle wahrhaftig Probleme genug da muss man nicht auch noch welche hinzuredenlaquo

Als im November 1938 die Synagogen brannten hatte Irene das Land verlassen raquoIch komme zuruumlck wenn der Irrsinn vorbei istlaquo hatte sie gesagt und war nach Amerika gegangen Dort war sie zur Filmgroumlszlige geworden hatte einen bekannten Produzenten geheiratet und lebte nach wie vor in den Vereinigten Staaten Helena vermisste sie immer noch sehr und war auch schon einmal mit ihrer Familie in New York gewesen um sie zu besuchen

raquoFahrt ihr diesen Sommer weglaquo fragte Ida und setzte sich nun ebenfalls

raquoAuf jeden Fall fuumlr zwei Wochen zu meiner Mutter Und von da aus vielleicht weiter in Richtung Schweizlaquo Vor allem auf die Zeit bei ihrer Mutter freute sich Helena das waren jedes Mal schoumlne Tage mit all den fruumlheren Freunden und Bekannten sowie mit der Baronin fuumlr die sie und ihre Mutter fruumlher gearbeitet hatten und bei der ihre Mutter nun den Altersruhesitz hatte Fuumlr Helenas Familie standen immer Gaumlstezimmer bereit Ein wenig behandelte man sie dort wie eine Prominente die Dienst-botentochter die es in der Weltmetropole zu etwas ge-bracht hatte mit einem reichen Mann verheiratet war und mit Filmstars verkehrte

Kurz darauf trafen die uumlbrigen Mitarbeiterinnen ein

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und dann kamen auch schon die ersten Kundinnen Helena unterhielt sich mit einigen der Damen beriet hier und da persoumlnlich und machte sich dann auf den Weg ins Werk Unmittelbar nach dem Krieg war es schwierig gewesen die Rohstoffe fuumlr die Produktion von Kosmetik aufzutrei-ben vielfach waren sie nur zu Schwarzmarktpreisen zu be-kommen Viele Rohstoffe wurden in der Pharmaindustrie dringender benoumltigt und natuumlrlich hatte die medizini-sche Versorgung Vorrang vor der kosmetischen Gerade nach dem Krieg hatten sie alle andere Sorgen gehabt wes-halb Helenas Werk voruumlbergehend die Produktion um-stellte und der chemischen Industrie zuarbeitete waumlhrend die Schoumlnheitssalons Obdachlosen offenstanden Erst vier Jahre nach Kriegsende als der Hungerwinter vorbei war und die Menschen durch die Waumlhrungsreform wieder uumlber Geld verfuumlgten hatte Helena Kosmetikherstellung und Schoumlnheitsbehandlungen wieder aufgenommen

Im Werk ging Helena direkt in ihr Buumlro und sah sich Werbeentwuumlrfe an Sie liebte ihre Arbeit und sie machte ihr nach wie vor Spaszlig allerdings fehlte ihr die Heraus-forderung Die Kosmetik entwickelte sich stetig weiter und mittlerweile war Forschung und Entwicklung eine eigene Abteilung in ihrem Unternehmen Natuumlrlich freute sie sich daruumlber aber sie vermisste die Zeiten in denen sie selbst in ihrer Fertigung gesessen und experimentiert hatte Vielleicht war es wirklich gut dass Marion hier demnaumlchst etwas frischen Wind hereinbringen wuumlrde Wie wohl Charlotte darauf reagierte dass Helena ihr nun Konkurrenz machen wuumlrde

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Emma houmlrte den Streit bis ins Wohnzimmer Ihre Mutter hielt Leopold vor er naumlhme die Arbeit nicht ausreichend ernst und bringe sich zu wenig ein Wie er bei dem Ge-schaumlftstermin am Vortag nur dagesessen und auf einmal zu zittern begonnen habe Wenn es nicht anders ging dann solle er eben seine Medikamente wieder nehmen Und ndash verdammt noch mal ndash endlich mehr Nervenstaumlrke zei- gen

Auch an diesem Morgen hatte es schon wieder damit begonnen dass Leopold beim Fruumlhstuumlck sehr still gewe-sen war was fuumlr Emma immer ein Zeichen fuumlr schlimme Traumlume war Auf Ausfuumlhrungen ihrer Mutter zu dem heu-tigen Arbeitstag hatte er nur genickt was diese wiederum zu dem Schluss kommen lieszlig dass er sich nur unzurei-chend interessierte Uumlberhaupt habe er keine innovativen Ideen arbeite den Tag ab ohne echtes Interesse zu zeigen an dem was er tat Irgendwann war ein handfester Streit ausgebrochen der auch dann noch anhielt als Emma das Esszimmer verlassen hatte und nun in der Kuumlche den Ab-wasch machte Schlieszliglich hielt sie es nicht mehr aus lief ins Esszimmer zuruumlck

raquoWas willst du eigentlichlaquo fuhr sie ihre Mutter an raquoEr tut doch alles was er solllaquo

raquoEmma lass nurlaquo sagte Leopold raquoIch mache helliplaquoraquoNein ich lasse es nicht Koumlnnen wir nicht mal einen

Morgen friedlich verbringen wie andere Familien auch Muss hier immer den ganzen Tag uumlber Streit herrschen und abends gehen wir dann versoumlhnt schlafen Wozu Um am naumlchsten Tag wieder loszulegen Das ist doch nicht mehr auszuhaltenlaquo

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raquoWie redest du eigentlich mit mirlaquo Die Stimme ihrer Mutter war ganz kalt geworden bar jeder Emotion

raquoIch helliplaquo Die aufbrausende Wut fiel von Emma ab und sie wusste nicht mehr was sie nun sagen sollte raquoIch hellip ich habe heute keine Uni und wollte ohnehin fragen ob ich mit ins Werk kannlaquo Der Einfall war ihr gerade erst ge-kommen raquoIch koumlnnte Leo zuarbeiten und so schon einmal Einblicke bekommenlaquo

Die frostglitzernde Wut im Blick ihrer Mutter schmolz zu Uumlberraschung raquoAch waslaquo

raquoIch habe mir lange uumlberlegt was ich mit meinem Che-miestudium machelaquo

raquoHeiszligt das es steht nicht zu erwarten dass du dich nun nach einer passenden Partie umsiehstlaquo Fuumlr jemanden der selbst gluumlcklich verheiratet gewesen war zeigte ihre Mut-ter eine sehr ablehnende Haltung zu Emmas Eheplaumlnen

raquoNoch ist ja niemand in Aussicht nicht wahrlaquo ver-setzte Emma der Hoffnung einen Daumlmpfer

Ihre Mutter schien damit zufrieden zu sein raquoSchoumln dann beeil dich wir brechen gleich auflaquo

Sie und Leopold fuhren in der Regel gemeinsam los und Leopold lieszlig dann den Wagen fuumlr sie im Werk und kehrte puumlnktlich zum Buumlroschluss mit der Bahn nach Hause zu-ruumlck Das tat er vermutlich vor allem aus dem Grund weil er den Abstand brauchte

raquoIch habe uumlbrigens gehoumlrt dass Marion in der Chariteacute aufhoumlrtlaquo erzaumlhlte Emma als sie auf der Ruumlckbank des Wagens Platz genommen hatte

raquoWelche Marionlaquo fragte ihre Mutter und Emma haumltte gerne gewusst ob sie das wirklich nicht wusste

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raquoUnsere CousinelaquoraquoUnd warum sollte es mich interessieren was diese Per-

son tutlaquoraquoWeil sie deine Nichte ist moumlglicherweiselaquoVon hinten konnte Emma das Schulterzucken sehenraquoAuf jeden Fall heiszligt es sie wollte in das Unternehmen

von Tante Helena einsteigenlaquo Mit einiger Befriedigung bemerkte Emma dass ihre Mutter bei dieser persoumlnlichen Bezeichnung kaum merklich zusammenzuckte

raquoIn der TatlaquoraquoSie hat einige Semester Chemie studiert das hatte ich

doch erzaumlhltlaquoraquoJa hattest du Auch dass sie es mit deinem Chemie-

professor getrieben hatlaquoraquoMutterlaquo kam es von LeopoldraquoDas habe ich nie gesagtlaquo Emma lehnte sich vor als

koumlnne sie ihren Worten damit mehr Nachdruck verleihen raquoIch sagte sie gehen miteinander auslaquo

raquoWenn sie nach ihrer Mutter kommt gibt es das eine nicht ohne das andere Gerne auch zum Nachteil der eigenen Familie Sind deine Noten bei besagtem Profes-sor nicht danach schlechter gewordenlaquo

raquoDas war bei Professor Guenther nicht bei Professor Hellweg mit dem Marion aus war Meine Guumltelaquo Emma hatte langsam genug Dieser sture verbohrte Zorn ihrer Mutter war nicht mehr zu ertragen Mit Ende vierzig konnte sie sich auf jeden Fall noch nicht mit Altersstarr-sinn herausreden raquoHoumlr zu wenn das hier jeden Morgen der Beginn meines Arbeitstages wird sag es direkt dann reicht mir der einmalige Ausflug in dein Unternehmen

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und ich bewerbe mich morgen beim Pharmaunternehmen Lichtenthallaquo

Ihre Mutter fuhr herum raquoDas wagst du nichtlaquoraquoLass es gerne darauf ankommenlaquoLange sah ihre Mutter sie an dann zuckte es um ihre

Lippen Widerspruchsgeist gefiel ihr und sie schien auf einmal versoumlhnt Emma wuumlrde bleiben wuumlrde es allein um Leopolds willen tun Vielleicht wuumlrde es leichter fuumlr ihn mit ihr an seiner Seite

Das ehemalige Werksgelaumlnde hatte in Berlin-Oberschouml-neweide gestanden aber sie waren noch vor dem Krieg um-gezogen was sich als richtige Entscheidung erwiesen hatte wenngleich zu der Zeit noch niemand hatte wissen koumlnnen dass dieser Stadtteil unter sowjetische Verwaltung gestellt werden wuumlrde Das jetzige Werk stand in Berlin-Tempel-hof im Amerikanischen Sektor und hatte im Krieg ebenfalls gelitten Sie fuhren durch das Tor und Leopold parkte den Wagen auf der dafuumlr vorgesehenen Flaumlche auf der weitere Autos Motorraumlder und Mopeds standen

Ihre Mutter begleitete sie bis in die Etage in der sich die Raumlumlichkeiten der Geschaumlftsfuumlhrung befanden dann ging sie in ihr Buumlro waumlhrend Emma Leopold in seines be-gleitete

raquoWeiszligt dulaquo sagte er als er auf einen der Stuumlhle wies raquodu musst das nicht tunlaquo

raquoWas meinst dulaquo Emma lieszlig sich auf der Besucherseite seines Schreibtischs nieder

raquoDas weiszligt du genau Mich hierher zu begleiten ob-wohl du nie im Sinn hattest in der Firma zu arbeiten Du musst mich nicht vor Mutter beschuumltzenlaquo

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raquoDas tue ich doch gar nichtlaquoLeopold antwortete nicht ging nur zur Tuumlr oumlffnete sie

und rief in das gegenuumlberliegende Zimmer der beiden Sekretaumlrinnen dass man ihm und seiner Schwester bitte Kaffee bringen moumlge raquoEs war nie dein Plan hier zu ar-beitenlaquo

raquoPlaumlne koumlnnen sich aumlndernlaquoraquoVon einem Tag auf den anderenlaquoraquoJa warum denn nicht Und wer sagt uumlberhaupt dass

es so abrupt war Vielleicht denke ich ja schon laumlnger da-ruumlber nach und habe dir einfach noch nichts erzaumlhltlaquo Emma zog einen Bleistift aus dem Stiftebecher und drehte ihn zwischen den Fingern raquoUumlbrigens hat mir Dominik Lichtenthal ein Stellenangebot gemachtlaquo Gespannt be-obachtete sie Leopolds Reaktion

raquoWannlaquoraquoIch bin ihm mal abends beim Spaziergang begegnetlaquoraquoUnd da hat er dir ndash ohne dich und deine Befaumlhigung

so recht zu kennen ndash eine Stelle angebotenlaquoraquoWir haben uns kurz unterhalten und er weiszlig dass ich

Chemie studiere Da meinte er wenn ich nicht fuumlr Mutter arbeiten wolle solle ich mich bei ihm melden er koumlnne faumlhige Chemiker immer gebrauchenlaquo

raquoMutter enterbt dich wenn du das tustlaquoraquoDas waumlre nicht so schlimm denn dann erbst du alles

und wirst mir meinen Teil einfach auszahlenlaquoraquoIst das solaquoraquoNatuumlrlichlaquo Emma zog ihre Zigaretten hervorraquoDu willst doch wohl hier nicht rauchenlaquoAnstelle einer Antwort steckte sie sich eine Zigarette

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zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

bei Lichtenthal in Aussicht und einem groszligzuumlgigen Bru-der der dir deinen Erbanteil abtrittlaquo

Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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auf die Hinterbeine ndash das hatte Fanny mit ihm geuumlbt Helena ging in die Knie und kraulte den Hund dann er-hob sie sich und sah Fanny an die Mortimer gefolgt war und in der Tuumlr zum Salon stand

raquoLukas von BuchwaldlaquoFanny nickte schweigendraquoDir haumltte doch klar sein muumlssen dass das unweigerlich

zu Aumlrger fuumlhrtlaquoraquoIch wusste ja nicht dass er kommtlaquoraquoUnd trotzdem hast du dich darauf eingelassen dich

mit ihm in der Schule zu versteckenlaquoraquoWo er doch schon mal da war helliplaquoraquoUnd wie haben seine Eltern reagiertlaquoFanny zuckte mit den SchulternHelena erfuhr es noch vor dem Abendessen als Herr von

Buchwald anrief und nach Dominik fragteraquoSie werden mit mir vorliebnehmen muumlssenlaquo erklaumlrte

Helena kuumlhlDaraufhin erklaumlrte er ihr Dominik persoumlnlich habe da-

fuumlr zu sorgen dass seine Tochter seinen Sohn kein weiteres Mal zum Schuleschwaumlnzen ermutigte raquoDas kann ich nicht duldenlaquo fuhr er fort und beendete das Gespraumlch bruumlsk

raquoPapa hat mir zwei Wochen Hausarrest aufgebrummtlaquo beschwerte sich Fanny

raquoDann wirst du das wohl durchstehen muumlssenlaquo Eine Regel in ihrer Erziehung war dass sie einander nicht in den Ruumlcken fielen und sich nicht gegeneinander ausspie-len lieszligen

Fanny seufzte ergebenraquoHast du deine Hausaufgaben gemachtlaquo

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raquoJa Auch die StrafarbeitlaquoHelena nickte und ging in die Kuumlche wo das Abend-

essen vorbereitet auf der Anrichte stand Sie beschaumlftigten nach wie vor eine Haushaumllterin die zudem gelernte Kouml-chin war Im Gegensatz zu fruumlher kam die jetzige Haus-haumllterin morgens um acht ging um fuumlnf und hatte am Wochenende frei Auszligerdem hatten sie eine Zugehfrau die einmal woumlchentlich kam Die Zeiten da das Perso-nal im Haus naumlchtigte und staumlndig zur Verfuumlgung stand waren vorbei Dank der modernen Errungenschaften wie der elektrischen Waschmaschine ging die Arbeit mitt-lerweile schneller von der Hand und die Zeiten da man einen kompletten Tag fuumlr die Waumlsche einplanen musste waren vorbei

Der Hund kam in den Vorraum setzte sich auf die Hin-terpfoten und sah Helena aus dunklen glaumlnzenden Augen an den Kopf leicht schief gelegt

raquoIst schon Zeit fuumlrs Futterlaquo Helena sah auf die Uhr raquoEin Stuumlndchen musst du dich noch geduldenlaquo Sie ging zur Anrichte und zog eine Schublade auf Mortimer der wusste was sich dort fuumlr Schaumltze verbargen war ihr ge-folgt und stand nun aufgeregt neben ihr Wie Helenas ers-ter Hund Estelle hatte auch er eine Schwaumlche fuumlr Rinder-haut und so gab sie ihm ein gerolltes Stuumlck und ging mit ihm in den Salon der mittlerweile verwaist war Helena zuumlndete sich eine Zigarette an und rauchte waumlhrend sie den kleinen Hund beobachtete der auf der Leckerei he-rumkaute

Ihr damaliger Hund Estelle war im Alter von siebzehn Jahren ndash das schaumltzte Helena zumindest denn sie hatte

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Estelle auf der Straszlige aufgelesen ndash gestorben Sie war noch sehr jung gewesen als Helena sie gefunden und adop tiert hatte Nur ihre Kinder und ihre Mutter hatte sie mehr geliebt als Estelle was Dominik recht konsterniert zur Kenntnis genommen hatte

raquoDich liebe ich anderslaquo hatte sie ihm erklaumlrtSie war gluumlcklich daruumlber gewesen dass Estelle ein so

hohes Alter erreicht hatte obwohl mit jedem Jahr die Angst naumlher ruumlckte dass der Moment des Abschieds nicht mehr gar so fern war Eines Nachmittags war Estelle ge-schwankt als haumltte sie Schlagseite Fanny die damals erst sechs Jahre alt gewesen war hatte geglaubt der Hund mache Faxen

raquoGuck mal Mama wie komisch Estelle laumluftlaquoHelena jedoch hatte es in diesem Moment gespuumlrt hatte

gewusst dass es nun so weit war Den restlichen Tag uumlber lag Estelle in ihrem Koumlrbchen wollte dieses auch nicht zum Fressen verlassen verschmaumlhte selbst ihre geliebten Leckereien blickte nur hin und wieder auf und schaute Helena mit ihren lieben Hundeaugen an In dieser Nacht hatte Helena das Koumlrbchen in ihr Zimmer geholt es neben ihr Bett gestellt und fast die ganze Nacht wachgelegen eine Hand auf Estelles warmem Fell sodass sie spuumlrte wie sich die Flanke hob und senkte

Morgens war Helena in aller Fruumlhe aufgestanden waumlh-rend Dominik noch neben ihr schlief Dann setzte sie sich neben das Koumlrbchen auf den Boden und streichelte den kleinen Hund der die Augen geschlossen hielt aber noch atmete Vielleicht so dachte sie blieb ja doch noch Zeit Vielleicht brauchte Estelle nur Ruhe Dann jedoch oumlffnete

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ihr kleiner Hund die Augen sah sie an versuchte sich auf-zurichten aber Helena legte ihr beruhigend die Hand auf das Koumlpfchen streichelte sie

raquoScht meine Kleine ist ja gutlaquo hatte sie gemurmelt raquoDu darfst jetzt gehenlaquo

Estelle hatte die Augen wieder geschlossen und irgend-wann hatte sich die Flanke nach dem letzten Atemzug nicht mehr gehoben

Danach wollte Helena keinen Hund mehr Als Domi-niks Schwester Ariana vorgeschlagen hatte einen neuen zu kaufen vielleicht wuumlrde man sogar einen finden der aussah wie Estelle waumlre sie ihr fast ins Gesicht gesprun-gen Aber Mortimer hatte sie gefunden wie Estelle vor-mals Nach dem Krieg war Helena durch die Stadt ge-gangen hatte versucht von ihren Lebensmittelmarken etwas zu essen zu bekommen als sie den kleinen Hund bemerkte der in den Truumlmmern nach etwas zu fressen suchte Er war schmutzig weiszlig mit groszligen schwarzen Fle-cken und einem wolligen Fell das ganz verfilzt war Hoff-nungsvoll hatte er sie angesehen aber Helena war mit dem Korb im Arm weitergegangen

raquoEs tut mir leid mein Kleiner es reicht kaum fuumlr unslaquoEr war ihr gefolgt und hatte Schritt gehalten als Helena

die ihren beschleunigte raquoEs ist sinnloslaquo hatte sie gesagt raquoSuch dir jemanden der weniger Maumluler zu stopfen hatlaquo

Bis zum Eingangstor ihres Hauses war er ihr gefolgt und lieszlig sich nicht abwimmeln raquoSo hier trennen sich unsere Wegelaquo sagte sie ihm als koumlnnte er sie verstehen Aber er hob nur das Bein an der Mauer raquoDamit machst du dich bei Dominik gewiss beliebt So und jetzt geh unser

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Haushalt ertraumlgt keine zwei Maumlnner erst recht nicht wenn einer davon sein Revier markiertlaquo

Der Hund hatte sich auf die Hinterbeine gesetzt und sie angesehen Als Helena sich abgewandt hatte war der Hund ihr gefolgt und hinter ihr die Treppe hochgelau-fen In der Eingangshalle war ihr Dominik entgegenge-kommen

raquoMortimer wohnt jetzt hierlaquo hatte sie ihm erklaumlrt und dabei war es geblieben

Der Hund war nur noch wenig gewachsen ging ihr bis zur Mitte der Wade war kompakter als Estelle und auch frecher Zur Arbeit nahm Helena ihn nie mit er verbrachte viel Zeit mit Fanny sah auch jetzt auf als sie den Salon betrat die Leine in der Hand Sofort sprang der Hund auf und lief schwanzwedelnd zu ihr was mit dem kleinen Stummelschwanz immer sehr drollig aussah

raquoWir gehen noch eine Rundelaquo erklaumlrte sieraquoEine Rundelaquo betonte Helena raquoOhne Umwege oder

heimliche TreffenlaquoEin Schatten flog uumlber das Gesicht ihrer Tochter und

Helena hob eine BraueraquoJa eine Rundelaquo sagte Fanny so uumlberdeutlich dass man

es schon fast patzig nennen konnte Sie beugte sich zu Mortimer und befestigte die Leine am Halsband

Fanny fand es in houmlchstem Maszlige anstrengend dass ihre Eltern sie fortwaumlhrend wie ein Kind behandelten Da war Lukas ganz anders er behandelte sie wie eine junge Frau Ihre Eltern hingegen bezeichneten Lukas der immerhin im kommenden Jahr das Abitur machen wuumlrde als Halb-

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wuumlchsigen kaum mehr als ein Knabe Dabei wuumlrde er im Herbst achtzehn werden Ihr Vater hatte ihn sogar als un-verschaumlmten Bengel bezeichnet als sei er noch ein Kind

Mit Mortimer an der Leine verlieszlig sie das Haus und atmete auf als sie drauszligen war Zwei Wochen Hausar-rest das war doch nicht auszuhalten Sie schritt rasch aus atmete die fruumlhlingsmilde Luft ein in der schon die Vor-boten des Sommers lagen Mortimer blieb stehen schnup-perte hob einmal das Bein und lief dann wieder forsch vor-weg Aufmerksam sah Fanny sich um verlangsamte den Schritt als sie auf die Straszligenecke zuging Und da stand er wartete wie stets um diese Uhrzeit auf sie Fannys An-gespanntheit zerschmolz in einem Laumlcheln und sie ging nun wieder schneller raquoIch hatte schon befuumlrchtet deine Eltern verpassen dir auch Hausarrestlaquo

Lukas hatte sich eine Zigarette in den Mund gesteckt und zuckte laumlssig mit den Schultern raquoMein Vater hat he-rumlamentiert von wegen Schule und Verantwortung und ich hab so getan als wuumlrdrsquos mich interessieren aber das warrsquos dann auch schon Hier magst dulaquo Er hielt ihr seine Zigarette hin und Fanny nahm einen Zug obwohl sie den Geschmack scheuszliglich fand Aber sie gab sich laumls-sig und zog noch ein weiteres Mal daran unterdruumlckte da-bei ein Husten

Sie und Lukas trafen sich jeden Tag hier wenn Fanny ihre Hunderunde drehte raquoIch kann heute nur kurzlaquo sagte sie raquoEin Wunder dass meine Mutter mich uumlberhaupt rausgelassen hatlaquo

raquoImmerhin hast du es geschafft Schrecklich dass sie dich so kontrollieren Da ist es gut dass du den Hund hast

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da bietet sich immer ein Vorwandlaquo Lukas sah Mortimer an und blieb auf Abstand Einmal hatte er den Versuch ge-macht den Hund zu streicheln und Mortimer hatte nach ihm geschnappt Das hatte Fanny erschreckt denn an sich war er der liebste Hund den man sich vorstellen konnte raquoDas hat er noch nie getanlaquo hatte sie beteuert

raquoDas ist ganz normal bei diesen Winzlingenlaquo hatte Lukas geantwortet raquoDie sind immer so giftig vermut-lich weil sie sich minderwertig fuumlhlen Ein echter Hund beginnt ab Kniehoumlhelaquo

Das hatte Fanny ihm uumlbelgenommen aber er hatte sich entschuldigt und betont Mortimer habe genau die rich-tige Groumlszlige fuumlr einen Maumldchenhund

Ihre Freundinnen beneideten sie gluumlhend um diesen gutaussehenden Bankierssohn nur ihre beste Freundin Nele mochte ihn nicht und nannte ihn einen groszligspuri-gen Angeber raquoVertrau dem Urteil deines Hundeslaquo hatte sie gesagt Das blieb ein Streitpunkt zwischen ihnen ob-wohl Nele in manchem was sie sagte durchaus richtiglag Nachdem sie und Lukas in der Schule erwischt worden waren hatte Nele gesagt raquoUm was wetten wir dass nur du den Aumlrger bekommstlaquo

Fanny fand das ziemlich ungerecht denn schlieszliglich hatte Lukas die Grenze uumlberschritten und nicht sie Waumlh-rend sie nebeneinanderher gingen haderte sie mit dem harschen Urteil ihres Vaters uumlber Lukas Wenn er es ihr nicht staumlndig so schwermachen wuumlrde ihn zu sehen waumlren solche Eskapaden ja ganz und gar uumlberfluumlssig Bisher war-tete sie immer noch vergebens auf den ersten Kuss aber es ergab sich einfach nicht die Gelegenheit

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raquoBei Franz Heikamp findet naumlchstes Wochenende eine Party stattlaquo erzaumlhlte Lukas raquoSeine Eltern sind verreist Gehst du mit mir hinlaquo

Ein heftiges Kribbeln stob in Fannys Bauch auf ge-folgt von dem Gefuumlhl der Ernuumlchterung raquoDas erlauben mir meine Eltern nie und noch dazu habe ich Hausarrestlaquo Lukas stieszlig einen entnervten kleinen Pfiff aus und Fanny befuumlrchtete seine Geduld mit ihr arg zu strapazieren raquoEs tut mir leidlaquo fuumlgte sie hinzu

raquoSchon gut ist ja nicht deine Schuld Dann eben ein anderes Mallaquo

Sie haumltte sich gern bei ihm eingehakt wagte es aber nicht denn die Gefahr dass ein Bekannter sie sah war ein-fach zu groszlig und dann konnte sie sich nicht mit einer zu-faumllligen Begegnung herausreden Auch so blieb ihr Blick stets wachsam auf die Straszlige gerichtet Und so entdeckte sie ihren Cousin Erich der im Auto an ihr vorbeifuhr auch gerade noch ehe er sie sehen konnte Fanny unterdruumlckte ein Stoumlhnen Konnte man so viel Pech haben

raquoMein Vetterlaquo sagte sie raquoWenn der uns sieht erfaumlhrt mein Vater das sofortlaquo

Wieder verdrehte Lukas entnervt die Augen raquoWenn du nicht so ein tolles Maumldchen waumlrst wuumlrde mich das hier schwer nervenlaquo

raquoEs tut mir leidlaquoraquoSchon gutlaquo Er lieszlig sich zuruumlckfallen schenkte ihr ein

Laumlcheln bei dem ihr die Knie weich wurden dann drehte er sich um und ging in die entgegengesetzte Richtung davon

Erich war ihr Cousin vaumlterlicherseits und Geschaumlftsfuumlh-

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rer im Pharmaunternehmen Lichtenthal und da er sich mit ihrem Vater ausnehmend gut verstand war sich Fanny sicher er wuumlrde es ihm sofort zutragen wenn er sie mit Lukas gesehen haumltte Seufzend ging Fanny weiter und als sie zu Hause ankam sah sie Erichs Wagen an der Straszlige stehen Sie ging durch das Eingangstor auf die elterliche Villa zu lieszlig Mortimer von der Leine der begeistert uumlber die Einfahrt tollte In der Eingangshalle begegnete sie Erich Er sah Fanny an laumlchelte hob leicht die Brauen und unwillkuumlrlich fragte sie sich ob er sie nicht doch mit Lukas bemerkt hatte Allerdings sagte er kein Wort dazu gruumlszligte nur und fragte was die Schule mache

Marion fuhr mit der Elektrischen ins Werk ihres Vaters Nach und nach erhob sich Berlin aus den Truumlmmern lebte und pulsierte Ganze Straszligenzuumlge waren veraumlndert ehe-mals Vertrautes wirkte fremd und waumlhrend die Erwachse-nen damit beschaumlftigt waren aus den Uumlberbleibseln etwas Neues zu erschaffen waren die klaffenden Ruinen fuumlr die Kinder ein riesiger Abenteuer spielplatz

Berlin war nach dem Krieg von den Alliierten in vier Besatzungszonen aufgeteilt worden wurde von den Sieger-maumlchten Frankreich England USA und der Sowjet union verwaltet und kontrolliert und seither gab es Zonengren-zen ndash Schlagbaumlume Farbmarkierungen an Baumlumen oder weiszlig-gelbe Holzpfosten ndash und wer von einer Zone in die

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naumlchste wollte brauchte mancherorts eine Genehmigung Fuumlr Reisen zwischen der Westzone und der sowjetischen Besatzungszone gab es Interzonenpaumlsse und es waren erste Grenzanlagen auf der Ostseite errichtet worden Stachel-drahthindernisse in Waldgebieten Sperren an Straszligen und dabei blieb es nicht sondern es war im Jahr nach Kriegsende eine Grenzpolizei eingesetzt und sogar der Ge-brauch fuumlr Schusswaffen geregelt worden Die Abrieglung des Ostens war ein Schock fuumlr die Menschen in Berlin

raquoDas kann doch nicht seinlaquo hatte sich Marions Mutter empoumlrt raquoEs war ja ohnehin schon ein Aufwand von einem Teil der Stadt in den anderen zu kommen und jetzt soll man auch noch aufpassen nicht erschossen zu werdenlaquo

Was Marion jedoch weit mehr Sorge bereitete war der Umstand dass seit diesem Tag dem achtundzwanzigs-ten Mai West-Berlin durch die Regierung in der Sow-jetzone vom Umland getrennt wurde Schon an den bei-den Tagen zuvor war die innerdeutsche Demarkationslinie nach Unter zeichnung des Bonner Deutschlandvertrags ab-geriegelt worden und es gab nun einen zehn Meter langen Kontrollstreifen einen fuumlnfhundert Meter langen Schutz-streifen sowie eine fuumlnf Kilometer weite Sperrzone Damit war der bisher geduldete kleine Grenzverkehr eingestellt worden Selbst die Telefonverbindungen zwischen West- und Ost-Berlin waren von der Regierung gekappt wor- den

Marion fragte sich wie es jetzt mit dem Schoumlnheits-salon weitergehen sollte der in Berlin-Mitte lag und so-mit im Teil der Stadt der nun von der Deutschen Demo-kratischen Republik verwaltet wurde Da ihre Mutter das

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Geschaumlft zwar in Ost-Berlin betrieb aber in West-Berlin ihren Wohnsitz hatte war ihr ndash wie vielen anderen Ge-werbetreibenden auch ndash die Gewerbeerlaubnis entzogen worden Wer in West-Berlin lebte aber in einem Betrieb in Ost-Berlin angestellt war ndash so wie Marion in der Cha-riteacute ndash wurde zum Umzug aufgefordert oder entlassen Da-mit sparte Marion sich die Kuumlndigung

Die Straszligen ins Umland wurden gesperrt offen bleiben durften nur jene die von den Alliierten als Zufahrtswege in die Bundesrepublik festgelegt worden waren Fuumlr die Menschen in West-Berlin bedeutete das den Verlust ihrer Besitztuumlmer im Osten Natuumlrlich wurden Passierscheine in Aussicht gestellt aber das bedeutete nicht automatisch dass diese genehmigt wurden Auch der Anhalter Bahnhof war stillgelegt worden es gab keine Zuumlge mehr die aus dem Osten nach West-Berlin fuhren

raquoMittlerweile liegt Italien fuumlr uns naumlher als Potsdamlaquo hatte Helena geschimpft

Auch das Werksgebaumlude von Lichtenthal-Pharma hatte einen Treffer abbekommen als eine Sprenggranate in einen Fluumlgel eingeschlagen hatte Der Bereich war nach wie vor eingezaumlunt und die Bauarbeiten schritten stetig voran Ihr Vater hatte die Gelegenheit genutzt und legte den Fluumlgel etwas weitraumlumiger an was dem Gebaumlude ein asymmetri-sches Aussehen verlieh

Marion warf dem Portier einen Gruszlig zu wechselte ein paar Worte mit den Mitarbeitern an der Rezeption und fuhr dann mit dem Aufzug hinauf in die Chefetage Die Tuumlr zum Vorzimmer stand offen und Marion sah wie die Sekretaumlrin ihres Vaters Frau Weiller sich gerade an-

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schickte mit einem Tablett auf dem Kaffeekanne und Tasse standen die Tuumlr zum Buumlro ihres Vaters zu oumlffnen

raquoDas uumlbernehme ichlaquo bot Marion an und nahm der Frau das Tablett ab raquoIch moumlchte sowieso kurz zu ihmlaquo Waumlhrend sie das Tablett in der einen Hand balancierte druumlckte sie mit der anderen die Tuumlr auf raquoBringen Sie mir bitte auch noch eine Tasselaquo

raquoNatuumlrlich kommt sofort Fraumlulein LichtenthallaquoIhr Vater saszlig an seinem Schreibtisch und sah auf als sie

eintrat raquoNa so etwas Planst du einen beruflichen Wech-sellaquo

raquoIn der Tat nur werde ich dann nicht deine Empfangs-damelaquo Marion stellte das Tablett ab und schenkte Kaffee ein Im naumlchsten Moment trat Frau Weiller ein brachte ein zusaumltzliches Gedeck und ein Milchkaumlnnchen

raquoIch weiszlig doch dass Sie Ihren Kaffee nicht schwarz trinkenlaquo sagte sie an Marion gewandt

Nachdem sie gegangen war und die Tuumlr hinter sich ge-schlossen hatte setzte Marion sich ihrem Vater gegenuumlber in einen der beiden Besucherstuumlhle

raquoWas meintest du damit dass du in der Tat einen be-ruflichen Wechsel planstlaquo fragte Dominik Lichtenthal

Marion trank einen weiteren Schluck raquoIch hatte eigent-lich vorgehabt meine Kuumlndigung bei der Chariteacute einzu-reichen wobei das ja nun nicht mehr noumltig ist Ich liebe die Medizin doch der Alltag einer Aumlrztin ist nicht das Richtige fuumlr michlaquo

Das traf ihren Vater vollkommen unerwartet hatte er doch damit gerechnet dass sie in der naumlchsten Zeit ihren Facharzt anstreben wuumlrde raquoSo ploumltzlichlaquo

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raquoIch denke da tatsaumlchlich schon eine ganze Zeit lang druumlber nachlaquo

raquoUnd was willst du stattdessen tun In die Pharmazielaquo Offenbar erinnerte er sich gerade an die paar Semester Che-mie die sie nebenher studiert und waumlhrend derer sie eine kurze Liaison mit einem Chemieprofessor gehabt hatte

raquoNein auch das nichtlaquo Die Kenntnisse in Chemie waren indes durchaus zu etwas gut raquoIch moumlchte bei Mama mitarbeitenlaquo

Unglaumlubig sah ihr Vater sie an raquoDu hast ein komplettes Medizinstudium mit hervorragenden Noten abgeschlos-sen und dann sieht deine Berufswahl so aus Frauen Farbe ins Gesicht zu malenlaquo

Marion musste lachen raquoLass das bloszlig nie Mama houmlren Du weiszligt doch genau dass Kosmetik mehr ist als Frauen Farbe ins Gesicht zu malen Mich interessiert medizini-sche Kosmetik Wie du siehst ist mein Studium nicht vergebens gewesenlaquo

raquoDu kannst doch in die Dermatologie gehenlaquoraquoJa koumlnnte ich Ich koumlnnte aber auch in die Forschung

gehen und medizinische Kosmetik entwickelnlaquoraquoDu koumlnntest auch bei mir in die pharmazeutische For-

schung gehenlaquoraquoDas geht doch Hand in Hand Paps Ich weiszlig dass du

sicher enttaumluscht bist aber helliplaquoraquoNeinlaquo fiel er ihr ins Wort raquoIch bin nicht enttaumluscht

Es ging mir nie darum dass du meine Erwartungen er-fuumlllst sondern stets nur deine eigenen Ich gestehe ich war gluumlcklich als du mir eroumlffnet hast dass du Aumlrztin werden willst aber letzten Endes ist mir am wichtigsten dass du

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zufrieden bist mit dem was du tust Ich bitte dich nur die Entscheidung zu uumlberdenkenlaquo

raquoDu kannst davon ausgehen dass ich das getan habe Ich habe lange und gruumlndlich daruumlber nachgedachtlaquo

raquoWeiszlig deine Mutter bereits davonlaquoraquoNein ich bin zuerst zu dir gekommenlaquoIhr Vater nickte zog seine Zigaretten hervor und

steckte eine an raquoSie wird sich freuen dass du mit ihr zu-sammenarbeiten wirst Und die Taumltigkeit als Aumlrztin laumluft dir ja nicht davon du hast ein abgeschlossenes Studium und kannst jederzeit deinen Facharzt machen wenn du merkst dass das vielleicht doch nicht das Richtige fuumlr dich ist Dir ist aber klar dass du mit medizinischer Kosmetik in Konkurrenz zu deiner Tante Charlotte trittstlaquo

raquoJa durchaus Aber wie sagst du immer Konkurrenz belebt das Geschaumlftlaquo Mit ihrer Tante hatte Marion nur selten Kontakt Auf Feiern lief man sich hin und wieder uumlber den Weg aber damit erschoumlpfte es sich auch schon Im Grunde war das bedauerlich denn Charlottes Tochter Emma war ganz reizend und Marion hatte schon einige interessante Unterhaltungen mit ihr gefuumlhrt wenn sie sich denn mal begegnet waren Auch Emmas Bruder Leopold war sehr freundlich und umgaumlnglich wenngleich er seit dem Krieg verschlossen und in sich gekehrt wirkte Im letzten Jahr hatte er noch an die Front gemusst der arme Kerl Da war sein Vater gerade gestorben und Leopold hatte nicht nur den Verlust zu verkraften gehabt sondern war selbst in dem unheilvollen Mahlwerk des Krieges auf-gerieben worden

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Emma Rudorf saszlig mit einem Buch in der Hand im Wohn-zimmer und houmlrte ihren Bruder heimkommen Den gan-zen Tag war Leopold im Werk von Dr Rudorfs medizi-nische Kosmetik gewesen und an seinem schleppenden Schritt houmlrte Emma wie erschoumlpft er sein musste Ver-mutlich hatte er wieder mit Mutter gestritten und bei dem Gedanken daran wie diese ihm zusetzte packte sie die Wut Sie legte ihr Buch beiseite und stand auf ging in den Flur wo sich Leopold gerade die Schuhe auszog Er sah ihrem Vater aumlhnlich hatte zwar dunkleres Haar aber seine Gesichtszuumlge und er wirkte mit der Brille ein wenig professorenhaft

Als er Emma bemerkte laumlchelte er raquoWie gehtrsquoslaquo fragte er mit gespielter Munterkeit

raquoGut Und dirlaquoraquoViel zu tun Und bei dir Wie war die KlausurlaquoraquoIch denke ich habe bestandenlaquo Emma wuumlrde im

naumlchsten Sommer ihr Chemiestudium abschlieszligenraquoEtwas anderes habe ich auch nicht erwartetlaquoraquoIch habe Abendessen gemacht Kommt Mama auch

gleichlaquoraquoNein sie meinte sie haumltte noch viel zu tunlaquoWie immer Fuumlr Charlotte Rudorf gab es seit dem Tod

ihres Mannes nur noch das Werk sie arbeitete wie beses-sen als koumlnnte das den Schmerz des Verlustes betaumluben Emma hatte sich so oft gewuumlnscht sie wuumlrde daruumlber nicht staumlndig vergessen dass sie zwei Kinder hatte und sich nur dann an sie erinnern wenn es etwas auszusetzen gab Vor allem Leopold war ihr ein fortwaumlhrendes Aumlrgernis

raquoDu warst ein Jahr im Krieglaquo pflegte sie zu sagen

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raquound du bist in einem Stuumlck zuruumlckgekommen Wie lange willst du noch in Truumlbsal versinken anstatt endlich wieder mit beiden Beinen im Leben zu stehenlaquo

Was ihre Mutter Truumlbsal nannte war eine tiefe innere Wunde die der Krieg geschlagen hatte und Emma fragte sich warum sie diese sehen konnte nicht aber die Frau die ihn geboren hatte Dann kamen wieder diese Geschich-ten uumlber all die Kriegsheimkehrer die es auch schafften ihr Leben in den Griff zu bekommen obwohl sie deutlich laumlnger im Krieg aufgerieben worden waren Wie schlimm konnte da das eine Jahr schon gewesen sein Einzig fuumlr Emmas Albtraumlume durch die Bombardierung hatte sie Verstaumlndnis denn diese war zu der Zeit gerade vierzehn Jahre alt gewesen Da spielte wohl auch die Erinnerung mit hinein wie Emma an sie geschmiegt im Keller ge-sessen und gewartet hatte bis die Bombardierung vorbei war waumlhrend sie beide Angst gehabt hatten dass Leopold vielleicht schon tot war

raquoIsst du mit mir zu Abendlaquo fragte er nunraquoKlar ich habe auf dich gewartetlaquoLeopold wuumlrde im Juli vierundzwanzig werden und hatte

sein Pharmaziestudium im letzten Jahr abgeschlossen Er haumltte lieber Maschinenbau studiert war schon seit Kinder-tagen davon fasziniert gewesen Aber es war klar gewesen dass er das Familienwerk erben wuumlrde Allenfalls haumltte er noch Arzt werden koumlnnen um die Praxis ihres Vaters zu uumlbernehmen die nun ein anderer Arzt gemietet hatte

Da sie nur zu zweit waren aszligen sie zwanglos in der Kuumlche und Leopold deckte den Tisch waumlhrend Emma den Brotkorb Butter Kaumlse und Aufschnitt hinstellte und alles

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in den Dosen belieszlig was ihre Mutter stets als mangelnde Esskultur bezeichnete Emma hingegen war es zu viel Auf-wand jetzt alles auf Tellern anzuordnen nur um dann das meiste wieder zuruumlckzufuumlllen und wegzuraumlumen und mehr zum Abspuumllen zu haben Sie lieszlig sich ihrem Bruder gegen-uumlber am Tisch nieder Im Gegensatz zu ihrer Mutter hatte Emma bislang keine groszligen beruflichen Ambitionen ge-habt sie studierte Chemie allein aus dem Grund weil es sie interessierte aber sie hatte keine konkreten Plaumlne da-ruumlber hinaus ndash ein staumlndiges Aumlrgernis fuumlr Charlotte Ru-dorf Emmas Plan war gewesen zum Zeitvertreib etwas zu studieren das ihr Spaszlig machte und danach zu heiraten Im Laufe des Studiums hatte sich ihr Interesse allerdings ge-wandelt In der Fakultaumlt war sie hin und wieder ihrer Cou-sine Marion uumlber den Weg gelaufen die mit einem von Emmas Professoren ausgegangen war und sie fand sie glei-chermaszligen interessant wie inspirierend Sie hatte sogar kurz mit dem Gedanken gespielt sich im Pharmakonzern Lich-tenthal zu bewerben aber da haumltte vermutlich eine Andeu-tung gereicht und ihre Mutter waumlre die Waumlnde hochge-gangen Mit ihrer Schwester Helena hatte sie sich schon vor Jahren entzweit und eine Annaumlherung war nicht in Sicht

Beim Essen plauderten sie uumlber Allgemeines Leopold zog sie mit einem Dozenten auf von dem sie ndash seiner Mei-nung nach ndash verdaumlchtig oft sprach Daraufhin erinnerte sie an die Verkaumluferin aus dem KaDeWe mit der er fortwaumlh-rend ausging ohne dass die Sache von der Stelle kam Spauml-ter raumlumten sie zusammen ab erledigten den Abwasch und wollten gerade ins Wohnzimmer gehen um das Radio ein-zuschalten als ihre Mutter die Wohnungstuumlr aufschloss

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raquoGuten Abendlaquo Charlotte Rudorf sah muumlde aus und Emma ging zu ihr um ihr den Mantel abzunehmen und ihn an die Garderobe zu haumlngen

raquoSoll ich das Abendessen wieder auf den Tisch stellenlaquo fragte Emma

raquoNein lass nur ich habe im Werk eine Kleinigkeit ge-gessenlaquo

So war es fast jeden Abend im Grunde genommen aszligen sie nur noch am Wochenende regelmaumlszligig zusammen und fanden sich ansonsten morgens zu einem raschen Fruumlh-stuumlck in der Kuumlche ein Ihre Mutter wechselte einen kur-zen Blick mit Leopold aus dem klar ersichtlich wurde dass die beiden noch vor gar nicht langer Zeit gestritten hatten ndash ganz so wie von Emma vermutet Nun jedoch zeigte sich ein zoumlgerliches Laumlcheln auf den Lippen Char-lotte Rudorfs und auch das war typisch Zum Abend hin legte sie Streit gerne bei mochte es nicht unversoumlhnt schlafen zu gehen

Im Wohnzimmer schalteten sie das Radio ein Emma houmlrte nur mit halbem Ohr hin und hatte ihr Buch wie-der aufgeschlagen war aber auch hier nicht bei der Sache Schlieszliglich gab sie es auf und beschloss noch ein wenig spazieren zu gehen

raquoUm diese Uhrzeitlaquo fragte ihre Mutter die gerade mit einer Tasse Kraumlutertee ins Wohnzimmer trat

raquoEs ist kurz nach achtlaquoNun blickte auch Leopold auf sah sie an als witterte er

hinter ihrem Wunsch eine tiefere WahrheitraquoEs ist nur ein Spazierganglaquo sagte sie und haumltte am

liebsten die Augen verdreht raquoMir geht so viel im Kopf

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herum und ich kann meine Gedanken beim Gehen am besten sortierenlaquo

raquoWie war eigentlich deine Klausurlaquo wollte ihr Mut-ter nun wissen

raquoGut denke ichlaquo Emma ging in den Flur nahm einen leichten Mantel vom Haken legte sich einen Seidenschal um und warf noch einen kurzen Blick in den Spiegel Seit kurzem trug sie ihr hellbraunes Haar knapp schulterlang und in groszlige Locken gelegt die sie mit einer Spange seit-lich zuruumlckhielt Jetzt zupfte sie ein wenig daran herum bis sie schlieszliglich zufrieden war und verlieszlig die Wohnung Sie wohnten in der ersten Etage direkt uumlber der Arztpraxis die Wohnung im zweiten Stock stand derzeit leer Fruumlher einmal hatte Emmas Groszligmutter dort gewohnt aber sie lebte bereits seit fast dreiszligig Jahren bei ihrer Tochter erst in Hamburg und seit kurz vor dem Krieg in Muumlnchen da der Ehemann von Emmas Tante dorthin versetzt worden war Leider kam sie nur noch selten zu Besuch da lange Reisen sie zu sehr anstrengten Emma bedauerte das denn sie mochte ihre Groszligmutter die auch mit achtzig noch ruumlstiger und scharfsinniger war als manch junge Frau die Emma kannte

Es daumlmmerte bereits und die langen Schatten des spauml-ten Nachmittags waren ineinandergekrochen verdichte-ten sich langsam und entfaumlrbten den Tag zu einem lich-ten Grau Seit zwei Jahren stellte man die Uhren nicht mehr zur Sommerzeit um und anfangs war es ungewohnt gewesen dass die Sommertage nun um eine Stunde kuumlr-zer waren aber man gewoumlhnte sich daran Waumlhrend des Krieges hatte es eine Zeit gegeben in der fortwaumlhrend

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Sommerzeit gegolten hatte und man die Uhren uumlberhaupt nicht mehr umstellte irgendwann war ein konzeptloses Wechseln erfolgt Dann war die Regelung durch die Besat-zungsmaumlchte wieder geaumlndert worden und sie bestimm-ten eine Umstellung auf die Sommerzeit ndash wobei diese in der sowjetischen Besatzungszone Berlins 1945 ganze zwei Monate laumlnger gedauert hatte Jetzt endlich hatte die Regierung sich auf eine einheitliche Zeit festgelegt die fuumlr das gesamte Jahr galt ndash die Ruumlckkehr zur Normalzeit Emma hoffte dass das so blieb

Als sie durch die Straszlige spazierte hier und da einen heimkehrenden Nachbarn oder Bekannten gruumlszligte ndash die Tochter des Herrn Doktor kannte man im gesamten Vier-tel ndash fiel ihr ein Mann auf der gerade ein Haus verlieszlig sich noch einmal umdrehte einem weiteren Mann der in der offenen Tuumlr stand etwas sagte und dann durch den Vorgarten schritt und auf sein Auto zuging Dominik Lichtenthal Emma blieb stehen sah ihn an wusste nicht ob sie zu ihm gehen und houmlflich gruumlszligen oder ihn ignorie-ren sollte Er nahm ihr die Entscheidung ab als er sie be-merkte kurz stutzte als muumlsste er ihr Gesicht erst einem Namen zuordnen und sie dann anlaumlchelte

raquoGuten Abend Emma Wie geht es dirlaquoSie ging auf ihn zu raquoSehr gut vielen Danklaquo Sie wusste

nie so recht ob sie ihn duzen sollte oder nicht denn einer-seits war er ein Fremder andererseits aber der Ehemann ihrer Tante und damit praktisch ihr Onkel

raquoIch habe gehoumlrt du studierst ChemielaquoraquoJa ich werde diesen Sommer fertiglaquoraquoUnd dann geht es in den Konzern deiner Mutterlaquo

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Unschluumlssig hob Emma die Schultern raquoAch das weiszlig ich noch gar nichtlaquo

Dominik Lichtenthal schloss seinen Wagen auf raquoWenn du dich lieber auf dem freien Markt umsehen moumlchtest sag Bescheid ich kann faumlhige Chemiker immer gebrau-chenlaquo

Es war schon fast skurril dass Emma diesen Gedanken erst vor kurzem gehegt hatte und ihn nun ausgesprochen houmlrte Da sie nicht rundheraus ablehnen wollte dankte sie ihm und nachdem sie ihm gesagt hatte er moumlge seine Familie von ihr gruumlszligen stieg er in seinen Wagen und fuhr los Im Grunde genommen war das doch albern dass ihre Mutter immer noch nichts mit ihrer Schwester zu tun haben wollte Emma kannte die alte Geschichte und natuumlr lich war es hart auf einen Schlag sein gesam-tes Erbe zu verlieren und die unvermittelt aufgetauchte fremde Schwester als einzige Gewinnerin in dieser Situa-tion zu sehen aber das Ganze war jetzt gut fuumlnfundzwan-zig Jahre her irgendwann musste es doch mal gut sein Und es war ja nun wahrlich nicht so als wuumlrde der Besitz des Hauses in der Friedrichstraszlige noch einen nennenswer-ten Unter schied im Vermoumlgen ihrer Mutter machen Im Gegenteil ndash waumlre sie dort geblieben haumltte sie es vielleicht nie so weit gebracht

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Juni 1952

Die einstmals goldene Zeit merkte man der ehemaligen Amuumlsiermeile auf der Friedrichstraszlige nicht mehr an und Helena verspuumlrte jedes Mal beim Besuch ihres Schoumlnheits-salons diesen Stich des Bedauerns Als sie in den Zwan-zigern hier angekommen war hatte das Leben pulsiert mit Autos Bussen Bahnen Fuszliggaumlngern Radfahrern und noch vereinzelten Droschken Die Kreuzung an der Leip-ziger Straszlige war ein so verkehrsreicher Knotenpunkt ge-wesen dass es fuumlr die aus der Provinz stammende Helena anfangs schon eine Herausforderung gewesen war lebend von einer Straszligenseite auf die andere zu gelangen

Nach dem Krieg war die Straszlige eine von Ruinen ge-saumlumte Schuttwuumlste geworden und auch wenn die Truumlm-mer in weiten Teilen fortgeraumlumt waren so erinnerte doch nur wenig an fruumlher Helena hatte mehrfach uumlberlegt den Schoumlnheitssalon einfach aufzugeben aber das brachte sie nicht uumlber sich Vielleicht normalisierte sich hier ja alles irgendwann wieder das konnte doch nicht ewig so blei-ben Ihr Schoumlnheitssalon in der Friedrichstraszlige befand sich im Amerikanischen Sektor der in Berlin-Mitte gehoumlrte nun zur DDR ihr Werk wiederum zum Franzoumlsischen

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Sektor Dominiks sowie ihr Wohnsitz lagen im Britischen Sektor Das war doch auf Dauer kein Zustand Den Salon in Berlin-Mitte hatte sie aufgeben muumlssen und sie sah sich bereits nach Alternativen um

Als Helena in den Salon trat kam ihr Ida ndash fruumlher Wag-ner jetzt Zeller ndash entgegen raquoKaffeelaquo

raquoUnbedingtlaquo Helena haumlngte ihren Mantel an die Gar-derobe und betrat den Salon Es war noch fruumlh und sie wuumlrden erst in einer halben Stunde oumlffnen Ida hatte schon in den Dreiszligigern die Leitung des Salons uumlbernommen als Helena damit beschaumlftigt gewesen war einen weiteren in Berlin-Mitte zu eroumlffnen

raquoWie geht es den MaumldchenlaquoHelena setzte sich in einen der bequemen Besucher-

stuumlhle wo die Frauen sich bei einer Tasse Kaffee oder Tee und etwas Gebaumlck entspannen konnten raquoMarion faumlngt bei mir im Werk an der Termin steht jetztlaquo Das war Schock und freudige Uumlberraschung zugleich gewesen und Helena wusste selbst nicht ob ihre Bestuumlrzung oder ihre Freude uumlberwog Natuumlrlich hatte sie gehofft dass Marion als Aumlrztin praktizierte immerhin hatte sie stu-diert und damit ein klares Ziel vor Augen gehabt Ande-rerseits freute es sie dass ihre Tochter Interesse an ihrem Unternehmen zeigte ndash und nicht an Dominiks wie eine kleine nicht zu unterdruumlckende Stimme des Triumphs in ihr betonte raquoUnd Fanny schlieszligt das Schuljahr mit sehr guten Noten ablaquo

raquoMathematik macht ihr wieder SpaszliglaquoraquoNachdem Ferdinands Ehefrau es ihr erklaumlrt hat was

ihr unfaumlhiger Lehrer offenbar nicht hinbekommtlaquo Fer-

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dinand war der Patenonkel beider Toumlchter und seine Frau eine begabte Mathematikerin

Die Schwangerschaft mit Fanny hatte Helena seinerzeit einen gehoumlrigen Schrecken eingejagt All die Jahre hatte sie es erfolgreich vermieden zu empfangen und dann als die Welt am Abgrund stand kuumlndigte sich neues Leben an Schlimm genug mitanzusehen wie Marion bereits in der Schule darauf vorbereitet wurde in den BDM einzu-treten da wollte sie diesem System nicht noch ein Kind schenken Es war Rudolf Liliengrund gewesen dem Fanny es zu verdanken hatte dass Helena keinen Abbruch hatte vornehmen lassen

raquoGerade in diesen Zeiten sollten die Anstaumlndigen sich vermehrenlaquo

Ihr lieber Rudolf der seine gesamte Familie verloren und selbst nur knapp und unter Entbehrungen die Flucht geschafft hatte weil er zu lange gezoumlgert geglaubt hatte es wuumlrde alles gut werden Und so hatte Helena Fanny aus-getragen hatte schon in der Schwangerschaft eine so innige Beziehung zu dem Kind gehabt wie sie es sich nicht hatte vorstellen koumlnnen Es war ganz anders als mit Marion zu der sie erst eine enge Bindung hatte aufbauen koumlnnen als diese bereits ein Kleinkind gewesen war Waumlhrend Marion von Geburt an ein Papakind war so war Fanny von Geburt an ganz und gar ihre Tochter Helena hatte sie sogar mit zur Arbeit genommen weil sie sich nicht von ihr trennen mochte hatte sie im Buumlro gestillt und in der Wiege neben sich schlafen lassen Undenkbar dieses Baby jemand ande-rem anzuvertrauen Dabei liebte sie Marion nicht weniger und sie verstand auch im Nachhinein nicht warum sie bei

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beiden Kindern schon in der Schwangerschaft so unter-schiedlich empfunden hatte

raquoDu solltest endlich aufhoumlren das zu hinterfragenlaquo hatte ihre beste Freundin Irene Danelius gesagt raquoEs ist jetzt wie es ist Freu dich einfach Gerade jetzt haben wir alle wahrhaftig Probleme genug da muss man nicht auch noch welche hinzuredenlaquo

Als im November 1938 die Synagogen brannten hatte Irene das Land verlassen raquoIch komme zuruumlck wenn der Irrsinn vorbei istlaquo hatte sie gesagt und war nach Amerika gegangen Dort war sie zur Filmgroumlszlige geworden hatte einen bekannten Produzenten geheiratet und lebte nach wie vor in den Vereinigten Staaten Helena vermisste sie immer noch sehr und war auch schon einmal mit ihrer Familie in New York gewesen um sie zu besuchen

raquoFahrt ihr diesen Sommer weglaquo fragte Ida und setzte sich nun ebenfalls

raquoAuf jeden Fall fuumlr zwei Wochen zu meiner Mutter Und von da aus vielleicht weiter in Richtung Schweizlaquo Vor allem auf die Zeit bei ihrer Mutter freute sich Helena das waren jedes Mal schoumlne Tage mit all den fruumlheren Freunden und Bekannten sowie mit der Baronin fuumlr die sie und ihre Mutter fruumlher gearbeitet hatten und bei der ihre Mutter nun den Altersruhesitz hatte Fuumlr Helenas Familie standen immer Gaumlstezimmer bereit Ein wenig behandelte man sie dort wie eine Prominente die Dienst-botentochter die es in der Weltmetropole zu etwas ge-bracht hatte mit einem reichen Mann verheiratet war und mit Filmstars verkehrte

Kurz darauf trafen die uumlbrigen Mitarbeiterinnen ein

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und dann kamen auch schon die ersten Kundinnen Helena unterhielt sich mit einigen der Damen beriet hier und da persoumlnlich und machte sich dann auf den Weg ins Werk Unmittelbar nach dem Krieg war es schwierig gewesen die Rohstoffe fuumlr die Produktion von Kosmetik aufzutrei-ben vielfach waren sie nur zu Schwarzmarktpreisen zu be-kommen Viele Rohstoffe wurden in der Pharmaindustrie dringender benoumltigt und natuumlrlich hatte die medizini-sche Versorgung Vorrang vor der kosmetischen Gerade nach dem Krieg hatten sie alle andere Sorgen gehabt wes-halb Helenas Werk voruumlbergehend die Produktion um-stellte und der chemischen Industrie zuarbeitete waumlhrend die Schoumlnheitssalons Obdachlosen offenstanden Erst vier Jahre nach Kriegsende als der Hungerwinter vorbei war und die Menschen durch die Waumlhrungsreform wieder uumlber Geld verfuumlgten hatte Helena Kosmetikherstellung und Schoumlnheitsbehandlungen wieder aufgenommen

Im Werk ging Helena direkt in ihr Buumlro und sah sich Werbeentwuumlrfe an Sie liebte ihre Arbeit und sie machte ihr nach wie vor Spaszlig allerdings fehlte ihr die Heraus-forderung Die Kosmetik entwickelte sich stetig weiter und mittlerweile war Forschung und Entwicklung eine eigene Abteilung in ihrem Unternehmen Natuumlrlich freute sie sich daruumlber aber sie vermisste die Zeiten in denen sie selbst in ihrer Fertigung gesessen und experimentiert hatte Vielleicht war es wirklich gut dass Marion hier demnaumlchst etwas frischen Wind hereinbringen wuumlrde Wie wohl Charlotte darauf reagierte dass Helena ihr nun Konkurrenz machen wuumlrde

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Emma houmlrte den Streit bis ins Wohnzimmer Ihre Mutter hielt Leopold vor er naumlhme die Arbeit nicht ausreichend ernst und bringe sich zu wenig ein Wie er bei dem Ge-schaumlftstermin am Vortag nur dagesessen und auf einmal zu zittern begonnen habe Wenn es nicht anders ging dann solle er eben seine Medikamente wieder nehmen Und ndash verdammt noch mal ndash endlich mehr Nervenstaumlrke zei- gen

Auch an diesem Morgen hatte es schon wieder damit begonnen dass Leopold beim Fruumlhstuumlck sehr still gewe-sen war was fuumlr Emma immer ein Zeichen fuumlr schlimme Traumlume war Auf Ausfuumlhrungen ihrer Mutter zu dem heu-tigen Arbeitstag hatte er nur genickt was diese wiederum zu dem Schluss kommen lieszlig dass er sich nur unzurei-chend interessierte Uumlberhaupt habe er keine innovativen Ideen arbeite den Tag ab ohne echtes Interesse zu zeigen an dem was er tat Irgendwann war ein handfester Streit ausgebrochen der auch dann noch anhielt als Emma das Esszimmer verlassen hatte und nun in der Kuumlche den Ab-wasch machte Schlieszliglich hielt sie es nicht mehr aus lief ins Esszimmer zuruumlck

raquoWas willst du eigentlichlaquo fuhr sie ihre Mutter an raquoEr tut doch alles was er solllaquo

raquoEmma lass nurlaquo sagte Leopold raquoIch mache helliplaquoraquoNein ich lasse es nicht Koumlnnen wir nicht mal einen

Morgen friedlich verbringen wie andere Familien auch Muss hier immer den ganzen Tag uumlber Streit herrschen und abends gehen wir dann versoumlhnt schlafen Wozu Um am naumlchsten Tag wieder loszulegen Das ist doch nicht mehr auszuhaltenlaquo

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raquoWie redest du eigentlich mit mirlaquo Die Stimme ihrer Mutter war ganz kalt geworden bar jeder Emotion

raquoIch helliplaquo Die aufbrausende Wut fiel von Emma ab und sie wusste nicht mehr was sie nun sagen sollte raquoIch hellip ich habe heute keine Uni und wollte ohnehin fragen ob ich mit ins Werk kannlaquo Der Einfall war ihr gerade erst ge-kommen raquoIch koumlnnte Leo zuarbeiten und so schon einmal Einblicke bekommenlaquo

Die frostglitzernde Wut im Blick ihrer Mutter schmolz zu Uumlberraschung raquoAch waslaquo

raquoIch habe mir lange uumlberlegt was ich mit meinem Che-miestudium machelaquo

raquoHeiszligt das es steht nicht zu erwarten dass du dich nun nach einer passenden Partie umsiehstlaquo Fuumlr jemanden der selbst gluumlcklich verheiratet gewesen war zeigte ihre Mut-ter eine sehr ablehnende Haltung zu Emmas Eheplaumlnen

raquoNoch ist ja niemand in Aussicht nicht wahrlaquo ver-setzte Emma der Hoffnung einen Daumlmpfer

Ihre Mutter schien damit zufrieden zu sein raquoSchoumln dann beeil dich wir brechen gleich auflaquo

Sie und Leopold fuhren in der Regel gemeinsam los und Leopold lieszlig dann den Wagen fuumlr sie im Werk und kehrte puumlnktlich zum Buumlroschluss mit der Bahn nach Hause zu-ruumlck Das tat er vermutlich vor allem aus dem Grund weil er den Abstand brauchte

raquoIch habe uumlbrigens gehoumlrt dass Marion in der Chariteacute aufhoumlrtlaquo erzaumlhlte Emma als sie auf der Ruumlckbank des Wagens Platz genommen hatte

raquoWelche Marionlaquo fragte ihre Mutter und Emma haumltte gerne gewusst ob sie das wirklich nicht wusste

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raquoUnsere CousinelaquoraquoUnd warum sollte es mich interessieren was diese Per-

son tutlaquoraquoWeil sie deine Nichte ist moumlglicherweiselaquoVon hinten konnte Emma das Schulterzucken sehenraquoAuf jeden Fall heiszligt es sie wollte in das Unternehmen

von Tante Helena einsteigenlaquo Mit einiger Befriedigung bemerkte Emma dass ihre Mutter bei dieser persoumlnlichen Bezeichnung kaum merklich zusammenzuckte

raquoIn der TatlaquoraquoSie hat einige Semester Chemie studiert das hatte ich

doch erzaumlhltlaquoraquoJa hattest du Auch dass sie es mit deinem Chemie-

professor getrieben hatlaquoraquoMutterlaquo kam es von LeopoldraquoDas habe ich nie gesagtlaquo Emma lehnte sich vor als

koumlnne sie ihren Worten damit mehr Nachdruck verleihen raquoIch sagte sie gehen miteinander auslaquo

raquoWenn sie nach ihrer Mutter kommt gibt es das eine nicht ohne das andere Gerne auch zum Nachteil der eigenen Familie Sind deine Noten bei besagtem Profes-sor nicht danach schlechter gewordenlaquo

raquoDas war bei Professor Guenther nicht bei Professor Hellweg mit dem Marion aus war Meine Guumltelaquo Emma hatte langsam genug Dieser sture verbohrte Zorn ihrer Mutter war nicht mehr zu ertragen Mit Ende vierzig konnte sie sich auf jeden Fall noch nicht mit Altersstarr-sinn herausreden raquoHoumlr zu wenn das hier jeden Morgen der Beginn meines Arbeitstages wird sag es direkt dann reicht mir der einmalige Ausflug in dein Unternehmen

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und ich bewerbe mich morgen beim Pharmaunternehmen Lichtenthallaquo

Ihre Mutter fuhr herum raquoDas wagst du nichtlaquoraquoLass es gerne darauf ankommenlaquoLange sah ihre Mutter sie an dann zuckte es um ihre

Lippen Widerspruchsgeist gefiel ihr und sie schien auf einmal versoumlhnt Emma wuumlrde bleiben wuumlrde es allein um Leopolds willen tun Vielleicht wuumlrde es leichter fuumlr ihn mit ihr an seiner Seite

Das ehemalige Werksgelaumlnde hatte in Berlin-Oberschouml-neweide gestanden aber sie waren noch vor dem Krieg um-gezogen was sich als richtige Entscheidung erwiesen hatte wenngleich zu der Zeit noch niemand hatte wissen koumlnnen dass dieser Stadtteil unter sowjetische Verwaltung gestellt werden wuumlrde Das jetzige Werk stand in Berlin-Tempel-hof im Amerikanischen Sektor und hatte im Krieg ebenfalls gelitten Sie fuhren durch das Tor und Leopold parkte den Wagen auf der dafuumlr vorgesehenen Flaumlche auf der weitere Autos Motorraumlder und Mopeds standen

Ihre Mutter begleitete sie bis in die Etage in der sich die Raumlumlichkeiten der Geschaumlftsfuumlhrung befanden dann ging sie in ihr Buumlro waumlhrend Emma Leopold in seines be-gleitete

raquoWeiszligt dulaquo sagte er als er auf einen der Stuumlhle wies raquodu musst das nicht tunlaquo

raquoWas meinst dulaquo Emma lieszlig sich auf der Besucherseite seines Schreibtischs nieder

raquoDas weiszligt du genau Mich hierher zu begleiten ob-wohl du nie im Sinn hattest in der Firma zu arbeiten Du musst mich nicht vor Mutter beschuumltzenlaquo

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raquoDas tue ich doch gar nichtlaquoLeopold antwortete nicht ging nur zur Tuumlr oumlffnete sie

und rief in das gegenuumlberliegende Zimmer der beiden Sekretaumlrinnen dass man ihm und seiner Schwester bitte Kaffee bringen moumlge raquoEs war nie dein Plan hier zu ar-beitenlaquo

raquoPlaumlne koumlnnen sich aumlndernlaquoraquoVon einem Tag auf den anderenlaquoraquoJa warum denn nicht Und wer sagt uumlberhaupt dass

es so abrupt war Vielleicht denke ich ja schon laumlnger da-ruumlber nach und habe dir einfach noch nichts erzaumlhltlaquo Emma zog einen Bleistift aus dem Stiftebecher und drehte ihn zwischen den Fingern raquoUumlbrigens hat mir Dominik Lichtenthal ein Stellenangebot gemachtlaquo Gespannt be-obachtete sie Leopolds Reaktion

raquoWannlaquoraquoIch bin ihm mal abends beim Spaziergang begegnetlaquoraquoUnd da hat er dir ndash ohne dich und deine Befaumlhigung

so recht zu kennen ndash eine Stelle angebotenlaquoraquoWir haben uns kurz unterhalten und er weiszlig dass ich

Chemie studiere Da meinte er wenn ich nicht fuumlr Mutter arbeiten wolle solle ich mich bei ihm melden er koumlnne faumlhige Chemiker immer gebrauchenlaquo

raquoMutter enterbt dich wenn du das tustlaquoraquoDas waumlre nicht so schlimm denn dann erbst du alles

und wirst mir meinen Teil einfach auszahlenlaquoraquoIst das solaquoraquoNatuumlrlichlaquo Emma zog ihre Zigaretten hervorraquoDu willst doch wohl hier nicht rauchenlaquoAnstelle einer Antwort steckte sie sich eine Zigarette

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zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

bei Lichtenthal in Aussicht und einem groszligzuumlgigen Bru-der der dir deinen Erbanteil abtrittlaquo

Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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raquoJa Auch die StrafarbeitlaquoHelena nickte und ging in die Kuumlche wo das Abend-

essen vorbereitet auf der Anrichte stand Sie beschaumlftigten nach wie vor eine Haushaumllterin die zudem gelernte Kouml-chin war Im Gegensatz zu fruumlher kam die jetzige Haus-haumllterin morgens um acht ging um fuumlnf und hatte am Wochenende frei Auszligerdem hatten sie eine Zugehfrau die einmal woumlchentlich kam Die Zeiten da das Perso-nal im Haus naumlchtigte und staumlndig zur Verfuumlgung stand waren vorbei Dank der modernen Errungenschaften wie der elektrischen Waschmaschine ging die Arbeit mitt-lerweile schneller von der Hand und die Zeiten da man einen kompletten Tag fuumlr die Waumlsche einplanen musste waren vorbei

Der Hund kam in den Vorraum setzte sich auf die Hin-terpfoten und sah Helena aus dunklen glaumlnzenden Augen an den Kopf leicht schief gelegt

raquoIst schon Zeit fuumlrs Futterlaquo Helena sah auf die Uhr raquoEin Stuumlndchen musst du dich noch geduldenlaquo Sie ging zur Anrichte und zog eine Schublade auf Mortimer der wusste was sich dort fuumlr Schaumltze verbargen war ihr ge-folgt und stand nun aufgeregt neben ihr Wie Helenas ers-ter Hund Estelle hatte auch er eine Schwaumlche fuumlr Rinder-haut und so gab sie ihm ein gerolltes Stuumlck und ging mit ihm in den Salon der mittlerweile verwaist war Helena zuumlndete sich eine Zigarette an und rauchte waumlhrend sie den kleinen Hund beobachtete der auf der Leckerei he-rumkaute

Ihr damaliger Hund Estelle war im Alter von siebzehn Jahren ndash das schaumltzte Helena zumindest denn sie hatte

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Estelle auf der Straszlige aufgelesen ndash gestorben Sie war noch sehr jung gewesen als Helena sie gefunden und adop tiert hatte Nur ihre Kinder und ihre Mutter hatte sie mehr geliebt als Estelle was Dominik recht konsterniert zur Kenntnis genommen hatte

raquoDich liebe ich anderslaquo hatte sie ihm erklaumlrtSie war gluumlcklich daruumlber gewesen dass Estelle ein so

hohes Alter erreicht hatte obwohl mit jedem Jahr die Angst naumlher ruumlckte dass der Moment des Abschieds nicht mehr gar so fern war Eines Nachmittags war Estelle ge-schwankt als haumltte sie Schlagseite Fanny die damals erst sechs Jahre alt gewesen war hatte geglaubt der Hund mache Faxen

raquoGuck mal Mama wie komisch Estelle laumluftlaquoHelena jedoch hatte es in diesem Moment gespuumlrt hatte

gewusst dass es nun so weit war Den restlichen Tag uumlber lag Estelle in ihrem Koumlrbchen wollte dieses auch nicht zum Fressen verlassen verschmaumlhte selbst ihre geliebten Leckereien blickte nur hin und wieder auf und schaute Helena mit ihren lieben Hundeaugen an In dieser Nacht hatte Helena das Koumlrbchen in ihr Zimmer geholt es neben ihr Bett gestellt und fast die ganze Nacht wachgelegen eine Hand auf Estelles warmem Fell sodass sie spuumlrte wie sich die Flanke hob und senkte

Morgens war Helena in aller Fruumlhe aufgestanden waumlh-rend Dominik noch neben ihr schlief Dann setzte sie sich neben das Koumlrbchen auf den Boden und streichelte den kleinen Hund der die Augen geschlossen hielt aber noch atmete Vielleicht so dachte sie blieb ja doch noch Zeit Vielleicht brauchte Estelle nur Ruhe Dann jedoch oumlffnete

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ihr kleiner Hund die Augen sah sie an versuchte sich auf-zurichten aber Helena legte ihr beruhigend die Hand auf das Koumlpfchen streichelte sie

raquoScht meine Kleine ist ja gutlaquo hatte sie gemurmelt raquoDu darfst jetzt gehenlaquo

Estelle hatte die Augen wieder geschlossen und irgend-wann hatte sich die Flanke nach dem letzten Atemzug nicht mehr gehoben

Danach wollte Helena keinen Hund mehr Als Domi-niks Schwester Ariana vorgeschlagen hatte einen neuen zu kaufen vielleicht wuumlrde man sogar einen finden der aussah wie Estelle waumlre sie ihr fast ins Gesicht gesprun-gen Aber Mortimer hatte sie gefunden wie Estelle vor-mals Nach dem Krieg war Helena durch die Stadt ge-gangen hatte versucht von ihren Lebensmittelmarken etwas zu essen zu bekommen als sie den kleinen Hund bemerkte der in den Truumlmmern nach etwas zu fressen suchte Er war schmutzig weiszlig mit groszligen schwarzen Fle-cken und einem wolligen Fell das ganz verfilzt war Hoff-nungsvoll hatte er sie angesehen aber Helena war mit dem Korb im Arm weitergegangen

raquoEs tut mir leid mein Kleiner es reicht kaum fuumlr unslaquoEr war ihr gefolgt und hatte Schritt gehalten als Helena

die ihren beschleunigte raquoEs ist sinnloslaquo hatte sie gesagt raquoSuch dir jemanden der weniger Maumluler zu stopfen hatlaquo

Bis zum Eingangstor ihres Hauses war er ihr gefolgt und lieszlig sich nicht abwimmeln raquoSo hier trennen sich unsere Wegelaquo sagte sie ihm als koumlnnte er sie verstehen Aber er hob nur das Bein an der Mauer raquoDamit machst du dich bei Dominik gewiss beliebt So und jetzt geh unser

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Haushalt ertraumlgt keine zwei Maumlnner erst recht nicht wenn einer davon sein Revier markiertlaquo

Der Hund hatte sich auf die Hinterbeine gesetzt und sie angesehen Als Helena sich abgewandt hatte war der Hund ihr gefolgt und hinter ihr die Treppe hochgelau-fen In der Eingangshalle war ihr Dominik entgegenge-kommen

raquoMortimer wohnt jetzt hierlaquo hatte sie ihm erklaumlrt und dabei war es geblieben

Der Hund war nur noch wenig gewachsen ging ihr bis zur Mitte der Wade war kompakter als Estelle und auch frecher Zur Arbeit nahm Helena ihn nie mit er verbrachte viel Zeit mit Fanny sah auch jetzt auf als sie den Salon betrat die Leine in der Hand Sofort sprang der Hund auf und lief schwanzwedelnd zu ihr was mit dem kleinen Stummelschwanz immer sehr drollig aussah

raquoWir gehen noch eine Rundelaquo erklaumlrte sieraquoEine Rundelaquo betonte Helena raquoOhne Umwege oder

heimliche TreffenlaquoEin Schatten flog uumlber das Gesicht ihrer Tochter und

Helena hob eine BraueraquoJa eine Rundelaquo sagte Fanny so uumlberdeutlich dass man

es schon fast patzig nennen konnte Sie beugte sich zu Mortimer und befestigte die Leine am Halsband

Fanny fand es in houmlchstem Maszlige anstrengend dass ihre Eltern sie fortwaumlhrend wie ein Kind behandelten Da war Lukas ganz anders er behandelte sie wie eine junge Frau Ihre Eltern hingegen bezeichneten Lukas der immerhin im kommenden Jahr das Abitur machen wuumlrde als Halb-

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wuumlchsigen kaum mehr als ein Knabe Dabei wuumlrde er im Herbst achtzehn werden Ihr Vater hatte ihn sogar als un-verschaumlmten Bengel bezeichnet als sei er noch ein Kind

Mit Mortimer an der Leine verlieszlig sie das Haus und atmete auf als sie drauszligen war Zwei Wochen Hausar-rest das war doch nicht auszuhalten Sie schritt rasch aus atmete die fruumlhlingsmilde Luft ein in der schon die Vor-boten des Sommers lagen Mortimer blieb stehen schnup-perte hob einmal das Bein und lief dann wieder forsch vor-weg Aufmerksam sah Fanny sich um verlangsamte den Schritt als sie auf die Straszligenecke zuging Und da stand er wartete wie stets um diese Uhrzeit auf sie Fannys An-gespanntheit zerschmolz in einem Laumlcheln und sie ging nun wieder schneller raquoIch hatte schon befuumlrchtet deine Eltern verpassen dir auch Hausarrestlaquo

Lukas hatte sich eine Zigarette in den Mund gesteckt und zuckte laumlssig mit den Schultern raquoMein Vater hat he-rumlamentiert von wegen Schule und Verantwortung und ich hab so getan als wuumlrdrsquos mich interessieren aber das warrsquos dann auch schon Hier magst dulaquo Er hielt ihr seine Zigarette hin und Fanny nahm einen Zug obwohl sie den Geschmack scheuszliglich fand Aber sie gab sich laumls-sig und zog noch ein weiteres Mal daran unterdruumlckte da-bei ein Husten

Sie und Lukas trafen sich jeden Tag hier wenn Fanny ihre Hunderunde drehte raquoIch kann heute nur kurzlaquo sagte sie raquoEin Wunder dass meine Mutter mich uumlberhaupt rausgelassen hatlaquo

raquoImmerhin hast du es geschafft Schrecklich dass sie dich so kontrollieren Da ist es gut dass du den Hund hast

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da bietet sich immer ein Vorwandlaquo Lukas sah Mortimer an und blieb auf Abstand Einmal hatte er den Versuch ge-macht den Hund zu streicheln und Mortimer hatte nach ihm geschnappt Das hatte Fanny erschreckt denn an sich war er der liebste Hund den man sich vorstellen konnte raquoDas hat er noch nie getanlaquo hatte sie beteuert

raquoDas ist ganz normal bei diesen Winzlingenlaquo hatte Lukas geantwortet raquoDie sind immer so giftig vermut-lich weil sie sich minderwertig fuumlhlen Ein echter Hund beginnt ab Kniehoumlhelaquo

Das hatte Fanny ihm uumlbelgenommen aber er hatte sich entschuldigt und betont Mortimer habe genau die rich-tige Groumlszlige fuumlr einen Maumldchenhund

Ihre Freundinnen beneideten sie gluumlhend um diesen gutaussehenden Bankierssohn nur ihre beste Freundin Nele mochte ihn nicht und nannte ihn einen groszligspuri-gen Angeber raquoVertrau dem Urteil deines Hundeslaquo hatte sie gesagt Das blieb ein Streitpunkt zwischen ihnen ob-wohl Nele in manchem was sie sagte durchaus richtiglag Nachdem sie und Lukas in der Schule erwischt worden waren hatte Nele gesagt raquoUm was wetten wir dass nur du den Aumlrger bekommstlaquo

Fanny fand das ziemlich ungerecht denn schlieszliglich hatte Lukas die Grenze uumlberschritten und nicht sie Waumlh-rend sie nebeneinanderher gingen haderte sie mit dem harschen Urteil ihres Vaters uumlber Lukas Wenn er es ihr nicht staumlndig so schwermachen wuumlrde ihn zu sehen waumlren solche Eskapaden ja ganz und gar uumlberfluumlssig Bisher war-tete sie immer noch vergebens auf den ersten Kuss aber es ergab sich einfach nicht die Gelegenheit

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raquoBei Franz Heikamp findet naumlchstes Wochenende eine Party stattlaquo erzaumlhlte Lukas raquoSeine Eltern sind verreist Gehst du mit mir hinlaquo

Ein heftiges Kribbeln stob in Fannys Bauch auf ge-folgt von dem Gefuumlhl der Ernuumlchterung raquoDas erlauben mir meine Eltern nie und noch dazu habe ich Hausarrestlaquo Lukas stieszlig einen entnervten kleinen Pfiff aus und Fanny befuumlrchtete seine Geduld mit ihr arg zu strapazieren raquoEs tut mir leidlaquo fuumlgte sie hinzu

raquoSchon gut ist ja nicht deine Schuld Dann eben ein anderes Mallaquo

Sie haumltte sich gern bei ihm eingehakt wagte es aber nicht denn die Gefahr dass ein Bekannter sie sah war ein-fach zu groszlig und dann konnte sie sich nicht mit einer zu-faumllligen Begegnung herausreden Auch so blieb ihr Blick stets wachsam auf die Straszlige gerichtet Und so entdeckte sie ihren Cousin Erich der im Auto an ihr vorbeifuhr auch gerade noch ehe er sie sehen konnte Fanny unterdruumlckte ein Stoumlhnen Konnte man so viel Pech haben

raquoMein Vetterlaquo sagte sie raquoWenn der uns sieht erfaumlhrt mein Vater das sofortlaquo

Wieder verdrehte Lukas entnervt die Augen raquoWenn du nicht so ein tolles Maumldchen waumlrst wuumlrde mich das hier schwer nervenlaquo

raquoEs tut mir leidlaquoraquoSchon gutlaquo Er lieszlig sich zuruumlckfallen schenkte ihr ein

Laumlcheln bei dem ihr die Knie weich wurden dann drehte er sich um und ging in die entgegengesetzte Richtung davon

Erich war ihr Cousin vaumlterlicherseits und Geschaumlftsfuumlh-

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rer im Pharmaunternehmen Lichtenthal und da er sich mit ihrem Vater ausnehmend gut verstand war sich Fanny sicher er wuumlrde es ihm sofort zutragen wenn er sie mit Lukas gesehen haumltte Seufzend ging Fanny weiter und als sie zu Hause ankam sah sie Erichs Wagen an der Straszlige stehen Sie ging durch das Eingangstor auf die elterliche Villa zu lieszlig Mortimer von der Leine der begeistert uumlber die Einfahrt tollte In der Eingangshalle begegnete sie Erich Er sah Fanny an laumlchelte hob leicht die Brauen und unwillkuumlrlich fragte sie sich ob er sie nicht doch mit Lukas bemerkt hatte Allerdings sagte er kein Wort dazu gruumlszligte nur und fragte was die Schule mache

Marion fuhr mit der Elektrischen ins Werk ihres Vaters Nach und nach erhob sich Berlin aus den Truumlmmern lebte und pulsierte Ganze Straszligenzuumlge waren veraumlndert ehe-mals Vertrautes wirkte fremd und waumlhrend die Erwachse-nen damit beschaumlftigt waren aus den Uumlberbleibseln etwas Neues zu erschaffen waren die klaffenden Ruinen fuumlr die Kinder ein riesiger Abenteuer spielplatz

Berlin war nach dem Krieg von den Alliierten in vier Besatzungszonen aufgeteilt worden wurde von den Sieger-maumlchten Frankreich England USA und der Sowjet union verwaltet und kontrolliert und seither gab es Zonengren-zen ndash Schlagbaumlume Farbmarkierungen an Baumlumen oder weiszlig-gelbe Holzpfosten ndash und wer von einer Zone in die

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naumlchste wollte brauchte mancherorts eine Genehmigung Fuumlr Reisen zwischen der Westzone und der sowjetischen Besatzungszone gab es Interzonenpaumlsse und es waren erste Grenzanlagen auf der Ostseite errichtet worden Stachel-drahthindernisse in Waldgebieten Sperren an Straszligen und dabei blieb es nicht sondern es war im Jahr nach Kriegsende eine Grenzpolizei eingesetzt und sogar der Ge-brauch fuumlr Schusswaffen geregelt worden Die Abrieglung des Ostens war ein Schock fuumlr die Menschen in Berlin

raquoDas kann doch nicht seinlaquo hatte sich Marions Mutter empoumlrt raquoEs war ja ohnehin schon ein Aufwand von einem Teil der Stadt in den anderen zu kommen und jetzt soll man auch noch aufpassen nicht erschossen zu werdenlaquo

Was Marion jedoch weit mehr Sorge bereitete war der Umstand dass seit diesem Tag dem achtundzwanzigs-ten Mai West-Berlin durch die Regierung in der Sow-jetzone vom Umland getrennt wurde Schon an den bei-den Tagen zuvor war die innerdeutsche Demarkationslinie nach Unter zeichnung des Bonner Deutschlandvertrags ab-geriegelt worden und es gab nun einen zehn Meter langen Kontrollstreifen einen fuumlnfhundert Meter langen Schutz-streifen sowie eine fuumlnf Kilometer weite Sperrzone Damit war der bisher geduldete kleine Grenzverkehr eingestellt worden Selbst die Telefonverbindungen zwischen West- und Ost-Berlin waren von der Regierung gekappt wor- den

Marion fragte sich wie es jetzt mit dem Schoumlnheits-salon weitergehen sollte der in Berlin-Mitte lag und so-mit im Teil der Stadt der nun von der Deutschen Demo-kratischen Republik verwaltet wurde Da ihre Mutter das

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Geschaumlft zwar in Ost-Berlin betrieb aber in West-Berlin ihren Wohnsitz hatte war ihr ndash wie vielen anderen Ge-werbetreibenden auch ndash die Gewerbeerlaubnis entzogen worden Wer in West-Berlin lebte aber in einem Betrieb in Ost-Berlin angestellt war ndash so wie Marion in der Cha-riteacute ndash wurde zum Umzug aufgefordert oder entlassen Da-mit sparte Marion sich die Kuumlndigung

Die Straszligen ins Umland wurden gesperrt offen bleiben durften nur jene die von den Alliierten als Zufahrtswege in die Bundesrepublik festgelegt worden waren Fuumlr die Menschen in West-Berlin bedeutete das den Verlust ihrer Besitztuumlmer im Osten Natuumlrlich wurden Passierscheine in Aussicht gestellt aber das bedeutete nicht automatisch dass diese genehmigt wurden Auch der Anhalter Bahnhof war stillgelegt worden es gab keine Zuumlge mehr die aus dem Osten nach West-Berlin fuhren

raquoMittlerweile liegt Italien fuumlr uns naumlher als Potsdamlaquo hatte Helena geschimpft

Auch das Werksgebaumlude von Lichtenthal-Pharma hatte einen Treffer abbekommen als eine Sprenggranate in einen Fluumlgel eingeschlagen hatte Der Bereich war nach wie vor eingezaumlunt und die Bauarbeiten schritten stetig voran Ihr Vater hatte die Gelegenheit genutzt und legte den Fluumlgel etwas weitraumlumiger an was dem Gebaumlude ein asymmetri-sches Aussehen verlieh

Marion warf dem Portier einen Gruszlig zu wechselte ein paar Worte mit den Mitarbeitern an der Rezeption und fuhr dann mit dem Aufzug hinauf in die Chefetage Die Tuumlr zum Vorzimmer stand offen und Marion sah wie die Sekretaumlrin ihres Vaters Frau Weiller sich gerade an-

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schickte mit einem Tablett auf dem Kaffeekanne und Tasse standen die Tuumlr zum Buumlro ihres Vaters zu oumlffnen

raquoDas uumlbernehme ichlaquo bot Marion an und nahm der Frau das Tablett ab raquoIch moumlchte sowieso kurz zu ihmlaquo Waumlhrend sie das Tablett in der einen Hand balancierte druumlckte sie mit der anderen die Tuumlr auf raquoBringen Sie mir bitte auch noch eine Tasselaquo

raquoNatuumlrlich kommt sofort Fraumlulein LichtenthallaquoIhr Vater saszlig an seinem Schreibtisch und sah auf als sie

eintrat raquoNa so etwas Planst du einen beruflichen Wech-sellaquo

raquoIn der Tat nur werde ich dann nicht deine Empfangs-damelaquo Marion stellte das Tablett ab und schenkte Kaffee ein Im naumlchsten Moment trat Frau Weiller ein brachte ein zusaumltzliches Gedeck und ein Milchkaumlnnchen

raquoIch weiszlig doch dass Sie Ihren Kaffee nicht schwarz trinkenlaquo sagte sie an Marion gewandt

Nachdem sie gegangen war und die Tuumlr hinter sich ge-schlossen hatte setzte Marion sich ihrem Vater gegenuumlber in einen der beiden Besucherstuumlhle

raquoWas meintest du damit dass du in der Tat einen be-ruflichen Wechsel planstlaquo fragte Dominik Lichtenthal

Marion trank einen weiteren Schluck raquoIch hatte eigent-lich vorgehabt meine Kuumlndigung bei der Chariteacute einzu-reichen wobei das ja nun nicht mehr noumltig ist Ich liebe die Medizin doch der Alltag einer Aumlrztin ist nicht das Richtige fuumlr michlaquo

Das traf ihren Vater vollkommen unerwartet hatte er doch damit gerechnet dass sie in der naumlchsten Zeit ihren Facharzt anstreben wuumlrde raquoSo ploumltzlichlaquo

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raquoIch denke da tatsaumlchlich schon eine ganze Zeit lang druumlber nachlaquo

raquoUnd was willst du stattdessen tun In die Pharmazielaquo Offenbar erinnerte er sich gerade an die paar Semester Che-mie die sie nebenher studiert und waumlhrend derer sie eine kurze Liaison mit einem Chemieprofessor gehabt hatte

raquoNein auch das nichtlaquo Die Kenntnisse in Chemie waren indes durchaus zu etwas gut raquoIch moumlchte bei Mama mitarbeitenlaquo

Unglaumlubig sah ihr Vater sie an raquoDu hast ein komplettes Medizinstudium mit hervorragenden Noten abgeschlos-sen und dann sieht deine Berufswahl so aus Frauen Farbe ins Gesicht zu malenlaquo

Marion musste lachen raquoLass das bloszlig nie Mama houmlren Du weiszligt doch genau dass Kosmetik mehr ist als Frauen Farbe ins Gesicht zu malen Mich interessiert medizini-sche Kosmetik Wie du siehst ist mein Studium nicht vergebens gewesenlaquo

raquoDu kannst doch in die Dermatologie gehenlaquoraquoJa koumlnnte ich Ich koumlnnte aber auch in die Forschung

gehen und medizinische Kosmetik entwickelnlaquoraquoDu koumlnntest auch bei mir in die pharmazeutische For-

schung gehenlaquoraquoDas geht doch Hand in Hand Paps Ich weiszlig dass du

sicher enttaumluscht bist aber helliplaquoraquoNeinlaquo fiel er ihr ins Wort raquoIch bin nicht enttaumluscht

Es ging mir nie darum dass du meine Erwartungen er-fuumlllst sondern stets nur deine eigenen Ich gestehe ich war gluumlcklich als du mir eroumlffnet hast dass du Aumlrztin werden willst aber letzten Endes ist mir am wichtigsten dass du

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zufrieden bist mit dem was du tust Ich bitte dich nur die Entscheidung zu uumlberdenkenlaquo

raquoDu kannst davon ausgehen dass ich das getan habe Ich habe lange und gruumlndlich daruumlber nachgedachtlaquo

raquoWeiszlig deine Mutter bereits davonlaquoraquoNein ich bin zuerst zu dir gekommenlaquoIhr Vater nickte zog seine Zigaretten hervor und

steckte eine an raquoSie wird sich freuen dass du mit ihr zu-sammenarbeiten wirst Und die Taumltigkeit als Aumlrztin laumluft dir ja nicht davon du hast ein abgeschlossenes Studium und kannst jederzeit deinen Facharzt machen wenn du merkst dass das vielleicht doch nicht das Richtige fuumlr dich ist Dir ist aber klar dass du mit medizinischer Kosmetik in Konkurrenz zu deiner Tante Charlotte trittstlaquo

raquoJa durchaus Aber wie sagst du immer Konkurrenz belebt das Geschaumlftlaquo Mit ihrer Tante hatte Marion nur selten Kontakt Auf Feiern lief man sich hin und wieder uumlber den Weg aber damit erschoumlpfte es sich auch schon Im Grunde war das bedauerlich denn Charlottes Tochter Emma war ganz reizend und Marion hatte schon einige interessante Unterhaltungen mit ihr gefuumlhrt wenn sie sich denn mal begegnet waren Auch Emmas Bruder Leopold war sehr freundlich und umgaumlnglich wenngleich er seit dem Krieg verschlossen und in sich gekehrt wirkte Im letzten Jahr hatte er noch an die Front gemusst der arme Kerl Da war sein Vater gerade gestorben und Leopold hatte nicht nur den Verlust zu verkraften gehabt sondern war selbst in dem unheilvollen Mahlwerk des Krieges auf-gerieben worden

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Emma Rudorf saszlig mit einem Buch in der Hand im Wohn-zimmer und houmlrte ihren Bruder heimkommen Den gan-zen Tag war Leopold im Werk von Dr Rudorfs medizi-nische Kosmetik gewesen und an seinem schleppenden Schritt houmlrte Emma wie erschoumlpft er sein musste Ver-mutlich hatte er wieder mit Mutter gestritten und bei dem Gedanken daran wie diese ihm zusetzte packte sie die Wut Sie legte ihr Buch beiseite und stand auf ging in den Flur wo sich Leopold gerade die Schuhe auszog Er sah ihrem Vater aumlhnlich hatte zwar dunkleres Haar aber seine Gesichtszuumlge und er wirkte mit der Brille ein wenig professorenhaft

Als er Emma bemerkte laumlchelte er raquoWie gehtrsquoslaquo fragte er mit gespielter Munterkeit

raquoGut Und dirlaquoraquoViel zu tun Und bei dir Wie war die KlausurlaquoraquoIch denke ich habe bestandenlaquo Emma wuumlrde im

naumlchsten Sommer ihr Chemiestudium abschlieszligenraquoEtwas anderes habe ich auch nicht erwartetlaquoraquoIch habe Abendessen gemacht Kommt Mama auch

gleichlaquoraquoNein sie meinte sie haumltte noch viel zu tunlaquoWie immer Fuumlr Charlotte Rudorf gab es seit dem Tod

ihres Mannes nur noch das Werk sie arbeitete wie beses-sen als koumlnnte das den Schmerz des Verlustes betaumluben Emma hatte sich so oft gewuumlnscht sie wuumlrde daruumlber nicht staumlndig vergessen dass sie zwei Kinder hatte und sich nur dann an sie erinnern wenn es etwas auszusetzen gab Vor allem Leopold war ihr ein fortwaumlhrendes Aumlrgernis

raquoDu warst ein Jahr im Krieglaquo pflegte sie zu sagen

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raquound du bist in einem Stuumlck zuruumlckgekommen Wie lange willst du noch in Truumlbsal versinken anstatt endlich wieder mit beiden Beinen im Leben zu stehenlaquo

Was ihre Mutter Truumlbsal nannte war eine tiefe innere Wunde die der Krieg geschlagen hatte und Emma fragte sich warum sie diese sehen konnte nicht aber die Frau die ihn geboren hatte Dann kamen wieder diese Geschich-ten uumlber all die Kriegsheimkehrer die es auch schafften ihr Leben in den Griff zu bekommen obwohl sie deutlich laumlnger im Krieg aufgerieben worden waren Wie schlimm konnte da das eine Jahr schon gewesen sein Einzig fuumlr Emmas Albtraumlume durch die Bombardierung hatte sie Verstaumlndnis denn diese war zu der Zeit gerade vierzehn Jahre alt gewesen Da spielte wohl auch die Erinnerung mit hinein wie Emma an sie geschmiegt im Keller ge-sessen und gewartet hatte bis die Bombardierung vorbei war waumlhrend sie beide Angst gehabt hatten dass Leopold vielleicht schon tot war

raquoIsst du mit mir zu Abendlaquo fragte er nunraquoKlar ich habe auf dich gewartetlaquoLeopold wuumlrde im Juli vierundzwanzig werden und hatte

sein Pharmaziestudium im letzten Jahr abgeschlossen Er haumltte lieber Maschinenbau studiert war schon seit Kinder-tagen davon fasziniert gewesen Aber es war klar gewesen dass er das Familienwerk erben wuumlrde Allenfalls haumltte er noch Arzt werden koumlnnen um die Praxis ihres Vaters zu uumlbernehmen die nun ein anderer Arzt gemietet hatte

Da sie nur zu zweit waren aszligen sie zwanglos in der Kuumlche und Leopold deckte den Tisch waumlhrend Emma den Brotkorb Butter Kaumlse und Aufschnitt hinstellte und alles

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in den Dosen belieszlig was ihre Mutter stets als mangelnde Esskultur bezeichnete Emma hingegen war es zu viel Auf-wand jetzt alles auf Tellern anzuordnen nur um dann das meiste wieder zuruumlckzufuumlllen und wegzuraumlumen und mehr zum Abspuumllen zu haben Sie lieszlig sich ihrem Bruder gegen-uumlber am Tisch nieder Im Gegensatz zu ihrer Mutter hatte Emma bislang keine groszligen beruflichen Ambitionen ge-habt sie studierte Chemie allein aus dem Grund weil es sie interessierte aber sie hatte keine konkreten Plaumlne da-ruumlber hinaus ndash ein staumlndiges Aumlrgernis fuumlr Charlotte Ru-dorf Emmas Plan war gewesen zum Zeitvertreib etwas zu studieren das ihr Spaszlig machte und danach zu heiraten Im Laufe des Studiums hatte sich ihr Interesse allerdings ge-wandelt In der Fakultaumlt war sie hin und wieder ihrer Cou-sine Marion uumlber den Weg gelaufen die mit einem von Emmas Professoren ausgegangen war und sie fand sie glei-chermaszligen interessant wie inspirierend Sie hatte sogar kurz mit dem Gedanken gespielt sich im Pharmakonzern Lich-tenthal zu bewerben aber da haumltte vermutlich eine Andeu-tung gereicht und ihre Mutter waumlre die Waumlnde hochge-gangen Mit ihrer Schwester Helena hatte sie sich schon vor Jahren entzweit und eine Annaumlherung war nicht in Sicht

Beim Essen plauderten sie uumlber Allgemeines Leopold zog sie mit einem Dozenten auf von dem sie ndash seiner Mei-nung nach ndash verdaumlchtig oft sprach Daraufhin erinnerte sie an die Verkaumluferin aus dem KaDeWe mit der er fortwaumlh-rend ausging ohne dass die Sache von der Stelle kam Spauml-ter raumlumten sie zusammen ab erledigten den Abwasch und wollten gerade ins Wohnzimmer gehen um das Radio ein-zuschalten als ihre Mutter die Wohnungstuumlr aufschloss

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raquoGuten Abendlaquo Charlotte Rudorf sah muumlde aus und Emma ging zu ihr um ihr den Mantel abzunehmen und ihn an die Garderobe zu haumlngen

raquoSoll ich das Abendessen wieder auf den Tisch stellenlaquo fragte Emma

raquoNein lass nur ich habe im Werk eine Kleinigkeit ge-gessenlaquo

So war es fast jeden Abend im Grunde genommen aszligen sie nur noch am Wochenende regelmaumlszligig zusammen und fanden sich ansonsten morgens zu einem raschen Fruumlh-stuumlck in der Kuumlche ein Ihre Mutter wechselte einen kur-zen Blick mit Leopold aus dem klar ersichtlich wurde dass die beiden noch vor gar nicht langer Zeit gestritten hatten ndash ganz so wie von Emma vermutet Nun jedoch zeigte sich ein zoumlgerliches Laumlcheln auf den Lippen Char-lotte Rudorfs und auch das war typisch Zum Abend hin legte sie Streit gerne bei mochte es nicht unversoumlhnt schlafen zu gehen

Im Wohnzimmer schalteten sie das Radio ein Emma houmlrte nur mit halbem Ohr hin und hatte ihr Buch wie-der aufgeschlagen war aber auch hier nicht bei der Sache Schlieszliglich gab sie es auf und beschloss noch ein wenig spazieren zu gehen

raquoUm diese Uhrzeitlaquo fragte ihre Mutter die gerade mit einer Tasse Kraumlutertee ins Wohnzimmer trat

raquoEs ist kurz nach achtlaquoNun blickte auch Leopold auf sah sie an als witterte er

hinter ihrem Wunsch eine tiefere WahrheitraquoEs ist nur ein Spazierganglaquo sagte sie und haumltte am

liebsten die Augen verdreht raquoMir geht so viel im Kopf

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herum und ich kann meine Gedanken beim Gehen am besten sortierenlaquo

raquoWie war eigentlich deine Klausurlaquo wollte ihr Mut-ter nun wissen

raquoGut denke ichlaquo Emma ging in den Flur nahm einen leichten Mantel vom Haken legte sich einen Seidenschal um und warf noch einen kurzen Blick in den Spiegel Seit kurzem trug sie ihr hellbraunes Haar knapp schulterlang und in groszlige Locken gelegt die sie mit einer Spange seit-lich zuruumlckhielt Jetzt zupfte sie ein wenig daran herum bis sie schlieszliglich zufrieden war und verlieszlig die Wohnung Sie wohnten in der ersten Etage direkt uumlber der Arztpraxis die Wohnung im zweiten Stock stand derzeit leer Fruumlher einmal hatte Emmas Groszligmutter dort gewohnt aber sie lebte bereits seit fast dreiszligig Jahren bei ihrer Tochter erst in Hamburg und seit kurz vor dem Krieg in Muumlnchen da der Ehemann von Emmas Tante dorthin versetzt worden war Leider kam sie nur noch selten zu Besuch da lange Reisen sie zu sehr anstrengten Emma bedauerte das denn sie mochte ihre Groszligmutter die auch mit achtzig noch ruumlstiger und scharfsinniger war als manch junge Frau die Emma kannte

Es daumlmmerte bereits und die langen Schatten des spauml-ten Nachmittags waren ineinandergekrochen verdichte-ten sich langsam und entfaumlrbten den Tag zu einem lich-ten Grau Seit zwei Jahren stellte man die Uhren nicht mehr zur Sommerzeit um und anfangs war es ungewohnt gewesen dass die Sommertage nun um eine Stunde kuumlr-zer waren aber man gewoumlhnte sich daran Waumlhrend des Krieges hatte es eine Zeit gegeben in der fortwaumlhrend

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Sommerzeit gegolten hatte und man die Uhren uumlberhaupt nicht mehr umstellte irgendwann war ein konzeptloses Wechseln erfolgt Dann war die Regelung durch die Besat-zungsmaumlchte wieder geaumlndert worden und sie bestimm-ten eine Umstellung auf die Sommerzeit ndash wobei diese in der sowjetischen Besatzungszone Berlins 1945 ganze zwei Monate laumlnger gedauert hatte Jetzt endlich hatte die Regierung sich auf eine einheitliche Zeit festgelegt die fuumlr das gesamte Jahr galt ndash die Ruumlckkehr zur Normalzeit Emma hoffte dass das so blieb

Als sie durch die Straszlige spazierte hier und da einen heimkehrenden Nachbarn oder Bekannten gruumlszligte ndash die Tochter des Herrn Doktor kannte man im gesamten Vier-tel ndash fiel ihr ein Mann auf der gerade ein Haus verlieszlig sich noch einmal umdrehte einem weiteren Mann der in der offenen Tuumlr stand etwas sagte und dann durch den Vorgarten schritt und auf sein Auto zuging Dominik Lichtenthal Emma blieb stehen sah ihn an wusste nicht ob sie zu ihm gehen und houmlflich gruumlszligen oder ihn ignorie-ren sollte Er nahm ihr die Entscheidung ab als er sie be-merkte kurz stutzte als muumlsste er ihr Gesicht erst einem Namen zuordnen und sie dann anlaumlchelte

raquoGuten Abend Emma Wie geht es dirlaquoSie ging auf ihn zu raquoSehr gut vielen Danklaquo Sie wusste

nie so recht ob sie ihn duzen sollte oder nicht denn einer-seits war er ein Fremder andererseits aber der Ehemann ihrer Tante und damit praktisch ihr Onkel

raquoIch habe gehoumlrt du studierst ChemielaquoraquoJa ich werde diesen Sommer fertiglaquoraquoUnd dann geht es in den Konzern deiner Mutterlaquo

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Unschluumlssig hob Emma die Schultern raquoAch das weiszlig ich noch gar nichtlaquo

Dominik Lichtenthal schloss seinen Wagen auf raquoWenn du dich lieber auf dem freien Markt umsehen moumlchtest sag Bescheid ich kann faumlhige Chemiker immer gebrau-chenlaquo

Es war schon fast skurril dass Emma diesen Gedanken erst vor kurzem gehegt hatte und ihn nun ausgesprochen houmlrte Da sie nicht rundheraus ablehnen wollte dankte sie ihm und nachdem sie ihm gesagt hatte er moumlge seine Familie von ihr gruumlszligen stieg er in seinen Wagen und fuhr los Im Grunde genommen war das doch albern dass ihre Mutter immer noch nichts mit ihrer Schwester zu tun haben wollte Emma kannte die alte Geschichte und natuumlr lich war es hart auf einen Schlag sein gesam-tes Erbe zu verlieren und die unvermittelt aufgetauchte fremde Schwester als einzige Gewinnerin in dieser Situa-tion zu sehen aber das Ganze war jetzt gut fuumlnfundzwan-zig Jahre her irgendwann musste es doch mal gut sein Und es war ja nun wahrlich nicht so als wuumlrde der Besitz des Hauses in der Friedrichstraszlige noch einen nennenswer-ten Unter schied im Vermoumlgen ihrer Mutter machen Im Gegenteil ndash waumlre sie dort geblieben haumltte sie es vielleicht nie so weit gebracht

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Juni 1952

Die einstmals goldene Zeit merkte man der ehemaligen Amuumlsiermeile auf der Friedrichstraszlige nicht mehr an und Helena verspuumlrte jedes Mal beim Besuch ihres Schoumlnheits-salons diesen Stich des Bedauerns Als sie in den Zwan-zigern hier angekommen war hatte das Leben pulsiert mit Autos Bussen Bahnen Fuszliggaumlngern Radfahrern und noch vereinzelten Droschken Die Kreuzung an der Leip-ziger Straszlige war ein so verkehrsreicher Knotenpunkt ge-wesen dass es fuumlr die aus der Provinz stammende Helena anfangs schon eine Herausforderung gewesen war lebend von einer Straszligenseite auf die andere zu gelangen

Nach dem Krieg war die Straszlige eine von Ruinen ge-saumlumte Schuttwuumlste geworden und auch wenn die Truumlm-mer in weiten Teilen fortgeraumlumt waren so erinnerte doch nur wenig an fruumlher Helena hatte mehrfach uumlberlegt den Schoumlnheitssalon einfach aufzugeben aber das brachte sie nicht uumlber sich Vielleicht normalisierte sich hier ja alles irgendwann wieder das konnte doch nicht ewig so blei-ben Ihr Schoumlnheitssalon in der Friedrichstraszlige befand sich im Amerikanischen Sektor der in Berlin-Mitte gehoumlrte nun zur DDR ihr Werk wiederum zum Franzoumlsischen

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Sektor Dominiks sowie ihr Wohnsitz lagen im Britischen Sektor Das war doch auf Dauer kein Zustand Den Salon in Berlin-Mitte hatte sie aufgeben muumlssen und sie sah sich bereits nach Alternativen um

Als Helena in den Salon trat kam ihr Ida ndash fruumlher Wag-ner jetzt Zeller ndash entgegen raquoKaffeelaquo

raquoUnbedingtlaquo Helena haumlngte ihren Mantel an die Gar-derobe und betrat den Salon Es war noch fruumlh und sie wuumlrden erst in einer halben Stunde oumlffnen Ida hatte schon in den Dreiszligigern die Leitung des Salons uumlbernommen als Helena damit beschaumlftigt gewesen war einen weiteren in Berlin-Mitte zu eroumlffnen

raquoWie geht es den MaumldchenlaquoHelena setzte sich in einen der bequemen Besucher-

stuumlhle wo die Frauen sich bei einer Tasse Kaffee oder Tee und etwas Gebaumlck entspannen konnten raquoMarion faumlngt bei mir im Werk an der Termin steht jetztlaquo Das war Schock und freudige Uumlberraschung zugleich gewesen und Helena wusste selbst nicht ob ihre Bestuumlrzung oder ihre Freude uumlberwog Natuumlrlich hatte sie gehofft dass Marion als Aumlrztin praktizierte immerhin hatte sie stu-diert und damit ein klares Ziel vor Augen gehabt Ande-rerseits freute es sie dass ihre Tochter Interesse an ihrem Unternehmen zeigte ndash und nicht an Dominiks wie eine kleine nicht zu unterdruumlckende Stimme des Triumphs in ihr betonte raquoUnd Fanny schlieszligt das Schuljahr mit sehr guten Noten ablaquo

raquoMathematik macht ihr wieder SpaszliglaquoraquoNachdem Ferdinands Ehefrau es ihr erklaumlrt hat was

ihr unfaumlhiger Lehrer offenbar nicht hinbekommtlaquo Fer-

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dinand war der Patenonkel beider Toumlchter und seine Frau eine begabte Mathematikerin

Die Schwangerschaft mit Fanny hatte Helena seinerzeit einen gehoumlrigen Schrecken eingejagt All die Jahre hatte sie es erfolgreich vermieden zu empfangen und dann als die Welt am Abgrund stand kuumlndigte sich neues Leben an Schlimm genug mitanzusehen wie Marion bereits in der Schule darauf vorbereitet wurde in den BDM einzu-treten da wollte sie diesem System nicht noch ein Kind schenken Es war Rudolf Liliengrund gewesen dem Fanny es zu verdanken hatte dass Helena keinen Abbruch hatte vornehmen lassen

raquoGerade in diesen Zeiten sollten die Anstaumlndigen sich vermehrenlaquo

Ihr lieber Rudolf der seine gesamte Familie verloren und selbst nur knapp und unter Entbehrungen die Flucht geschafft hatte weil er zu lange gezoumlgert geglaubt hatte es wuumlrde alles gut werden Und so hatte Helena Fanny aus-getragen hatte schon in der Schwangerschaft eine so innige Beziehung zu dem Kind gehabt wie sie es sich nicht hatte vorstellen koumlnnen Es war ganz anders als mit Marion zu der sie erst eine enge Bindung hatte aufbauen koumlnnen als diese bereits ein Kleinkind gewesen war Waumlhrend Marion von Geburt an ein Papakind war so war Fanny von Geburt an ganz und gar ihre Tochter Helena hatte sie sogar mit zur Arbeit genommen weil sie sich nicht von ihr trennen mochte hatte sie im Buumlro gestillt und in der Wiege neben sich schlafen lassen Undenkbar dieses Baby jemand ande-rem anzuvertrauen Dabei liebte sie Marion nicht weniger und sie verstand auch im Nachhinein nicht warum sie bei

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beiden Kindern schon in der Schwangerschaft so unter-schiedlich empfunden hatte

raquoDu solltest endlich aufhoumlren das zu hinterfragenlaquo hatte ihre beste Freundin Irene Danelius gesagt raquoEs ist jetzt wie es ist Freu dich einfach Gerade jetzt haben wir alle wahrhaftig Probleme genug da muss man nicht auch noch welche hinzuredenlaquo

Als im November 1938 die Synagogen brannten hatte Irene das Land verlassen raquoIch komme zuruumlck wenn der Irrsinn vorbei istlaquo hatte sie gesagt und war nach Amerika gegangen Dort war sie zur Filmgroumlszlige geworden hatte einen bekannten Produzenten geheiratet und lebte nach wie vor in den Vereinigten Staaten Helena vermisste sie immer noch sehr und war auch schon einmal mit ihrer Familie in New York gewesen um sie zu besuchen

raquoFahrt ihr diesen Sommer weglaquo fragte Ida und setzte sich nun ebenfalls

raquoAuf jeden Fall fuumlr zwei Wochen zu meiner Mutter Und von da aus vielleicht weiter in Richtung Schweizlaquo Vor allem auf die Zeit bei ihrer Mutter freute sich Helena das waren jedes Mal schoumlne Tage mit all den fruumlheren Freunden und Bekannten sowie mit der Baronin fuumlr die sie und ihre Mutter fruumlher gearbeitet hatten und bei der ihre Mutter nun den Altersruhesitz hatte Fuumlr Helenas Familie standen immer Gaumlstezimmer bereit Ein wenig behandelte man sie dort wie eine Prominente die Dienst-botentochter die es in der Weltmetropole zu etwas ge-bracht hatte mit einem reichen Mann verheiratet war und mit Filmstars verkehrte

Kurz darauf trafen die uumlbrigen Mitarbeiterinnen ein

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und dann kamen auch schon die ersten Kundinnen Helena unterhielt sich mit einigen der Damen beriet hier und da persoumlnlich und machte sich dann auf den Weg ins Werk Unmittelbar nach dem Krieg war es schwierig gewesen die Rohstoffe fuumlr die Produktion von Kosmetik aufzutrei-ben vielfach waren sie nur zu Schwarzmarktpreisen zu be-kommen Viele Rohstoffe wurden in der Pharmaindustrie dringender benoumltigt und natuumlrlich hatte die medizini-sche Versorgung Vorrang vor der kosmetischen Gerade nach dem Krieg hatten sie alle andere Sorgen gehabt wes-halb Helenas Werk voruumlbergehend die Produktion um-stellte und der chemischen Industrie zuarbeitete waumlhrend die Schoumlnheitssalons Obdachlosen offenstanden Erst vier Jahre nach Kriegsende als der Hungerwinter vorbei war und die Menschen durch die Waumlhrungsreform wieder uumlber Geld verfuumlgten hatte Helena Kosmetikherstellung und Schoumlnheitsbehandlungen wieder aufgenommen

Im Werk ging Helena direkt in ihr Buumlro und sah sich Werbeentwuumlrfe an Sie liebte ihre Arbeit und sie machte ihr nach wie vor Spaszlig allerdings fehlte ihr die Heraus-forderung Die Kosmetik entwickelte sich stetig weiter und mittlerweile war Forschung und Entwicklung eine eigene Abteilung in ihrem Unternehmen Natuumlrlich freute sie sich daruumlber aber sie vermisste die Zeiten in denen sie selbst in ihrer Fertigung gesessen und experimentiert hatte Vielleicht war es wirklich gut dass Marion hier demnaumlchst etwas frischen Wind hereinbringen wuumlrde Wie wohl Charlotte darauf reagierte dass Helena ihr nun Konkurrenz machen wuumlrde

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Emma houmlrte den Streit bis ins Wohnzimmer Ihre Mutter hielt Leopold vor er naumlhme die Arbeit nicht ausreichend ernst und bringe sich zu wenig ein Wie er bei dem Ge-schaumlftstermin am Vortag nur dagesessen und auf einmal zu zittern begonnen habe Wenn es nicht anders ging dann solle er eben seine Medikamente wieder nehmen Und ndash verdammt noch mal ndash endlich mehr Nervenstaumlrke zei- gen

Auch an diesem Morgen hatte es schon wieder damit begonnen dass Leopold beim Fruumlhstuumlck sehr still gewe-sen war was fuumlr Emma immer ein Zeichen fuumlr schlimme Traumlume war Auf Ausfuumlhrungen ihrer Mutter zu dem heu-tigen Arbeitstag hatte er nur genickt was diese wiederum zu dem Schluss kommen lieszlig dass er sich nur unzurei-chend interessierte Uumlberhaupt habe er keine innovativen Ideen arbeite den Tag ab ohne echtes Interesse zu zeigen an dem was er tat Irgendwann war ein handfester Streit ausgebrochen der auch dann noch anhielt als Emma das Esszimmer verlassen hatte und nun in der Kuumlche den Ab-wasch machte Schlieszliglich hielt sie es nicht mehr aus lief ins Esszimmer zuruumlck

raquoWas willst du eigentlichlaquo fuhr sie ihre Mutter an raquoEr tut doch alles was er solllaquo

raquoEmma lass nurlaquo sagte Leopold raquoIch mache helliplaquoraquoNein ich lasse es nicht Koumlnnen wir nicht mal einen

Morgen friedlich verbringen wie andere Familien auch Muss hier immer den ganzen Tag uumlber Streit herrschen und abends gehen wir dann versoumlhnt schlafen Wozu Um am naumlchsten Tag wieder loszulegen Das ist doch nicht mehr auszuhaltenlaquo

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raquoWie redest du eigentlich mit mirlaquo Die Stimme ihrer Mutter war ganz kalt geworden bar jeder Emotion

raquoIch helliplaquo Die aufbrausende Wut fiel von Emma ab und sie wusste nicht mehr was sie nun sagen sollte raquoIch hellip ich habe heute keine Uni und wollte ohnehin fragen ob ich mit ins Werk kannlaquo Der Einfall war ihr gerade erst ge-kommen raquoIch koumlnnte Leo zuarbeiten und so schon einmal Einblicke bekommenlaquo

Die frostglitzernde Wut im Blick ihrer Mutter schmolz zu Uumlberraschung raquoAch waslaquo

raquoIch habe mir lange uumlberlegt was ich mit meinem Che-miestudium machelaquo

raquoHeiszligt das es steht nicht zu erwarten dass du dich nun nach einer passenden Partie umsiehstlaquo Fuumlr jemanden der selbst gluumlcklich verheiratet gewesen war zeigte ihre Mut-ter eine sehr ablehnende Haltung zu Emmas Eheplaumlnen

raquoNoch ist ja niemand in Aussicht nicht wahrlaquo ver-setzte Emma der Hoffnung einen Daumlmpfer

Ihre Mutter schien damit zufrieden zu sein raquoSchoumln dann beeil dich wir brechen gleich auflaquo

Sie und Leopold fuhren in der Regel gemeinsam los und Leopold lieszlig dann den Wagen fuumlr sie im Werk und kehrte puumlnktlich zum Buumlroschluss mit der Bahn nach Hause zu-ruumlck Das tat er vermutlich vor allem aus dem Grund weil er den Abstand brauchte

raquoIch habe uumlbrigens gehoumlrt dass Marion in der Chariteacute aufhoumlrtlaquo erzaumlhlte Emma als sie auf der Ruumlckbank des Wagens Platz genommen hatte

raquoWelche Marionlaquo fragte ihre Mutter und Emma haumltte gerne gewusst ob sie das wirklich nicht wusste

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raquoUnsere CousinelaquoraquoUnd warum sollte es mich interessieren was diese Per-

son tutlaquoraquoWeil sie deine Nichte ist moumlglicherweiselaquoVon hinten konnte Emma das Schulterzucken sehenraquoAuf jeden Fall heiszligt es sie wollte in das Unternehmen

von Tante Helena einsteigenlaquo Mit einiger Befriedigung bemerkte Emma dass ihre Mutter bei dieser persoumlnlichen Bezeichnung kaum merklich zusammenzuckte

raquoIn der TatlaquoraquoSie hat einige Semester Chemie studiert das hatte ich

doch erzaumlhltlaquoraquoJa hattest du Auch dass sie es mit deinem Chemie-

professor getrieben hatlaquoraquoMutterlaquo kam es von LeopoldraquoDas habe ich nie gesagtlaquo Emma lehnte sich vor als

koumlnne sie ihren Worten damit mehr Nachdruck verleihen raquoIch sagte sie gehen miteinander auslaquo

raquoWenn sie nach ihrer Mutter kommt gibt es das eine nicht ohne das andere Gerne auch zum Nachteil der eigenen Familie Sind deine Noten bei besagtem Profes-sor nicht danach schlechter gewordenlaquo

raquoDas war bei Professor Guenther nicht bei Professor Hellweg mit dem Marion aus war Meine Guumltelaquo Emma hatte langsam genug Dieser sture verbohrte Zorn ihrer Mutter war nicht mehr zu ertragen Mit Ende vierzig konnte sie sich auf jeden Fall noch nicht mit Altersstarr-sinn herausreden raquoHoumlr zu wenn das hier jeden Morgen der Beginn meines Arbeitstages wird sag es direkt dann reicht mir der einmalige Ausflug in dein Unternehmen

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und ich bewerbe mich morgen beim Pharmaunternehmen Lichtenthallaquo

Ihre Mutter fuhr herum raquoDas wagst du nichtlaquoraquoLass es gerne darauf ankommenlaquoLange sah ihre Mutter sie an dann zuckte es um ihre

Lippen Widerspruchsgeist gefiel ihr und sie schien auf einmal versoumlhnt Emma wuumlrde bleiben wuumlrde es allein um Leopolds willen tun Vielleicht wuumlrde es leichter fuumlr ihn mit ihr an seiner Seite

Das ehemalige Werksgelaumlnde hatte in Berlin-Oberschouml-neweide gestanden aber sie waren noch vor dem Krieg um-gezogen was sich als richtige Entscheidung erwiesen hatte wenngleich zu der Zeit noch niemand hatte wissen koumlnnen dass dieser Stadtteil unter sowjetische Verwaltung gestellt werden wuumlrde Das jetzige Werk stand in Berlin-Tempel-hof im Amerikanischen Sektor und hatte im Krieg ebenfalls gelitten Sie fuhren durch das Tor und Leopold parkte den Wagen auf der dafuumlr vorgesehenen Flaumlche auf der weitere Autos Motorraumlder und Mopeds standen

Ihre Mutter begleitete sie bis in die Etage in der sich die Raumlumlichkeiten der Geschaumlftsfuumlhrung befanden dann ging sie in ihr Buumlro waumlhrend Emma Leopold in seines be-gleitete

raquoWeiszligt dulaquo sagte er als er auf einen der Stuumlhle wies raquodu musst das nicht tunlaquo

raquoWas meinst dulaquo Emma lieszlig sich auf der Besucherseite seines Schreibtischs nieder

raquoDas weiszligt du genau Mich hierher zu begleiten ob-wohl du nie im Sinn hattest in der Firma zu arbeiten Du musst mich nicht vor Mutter beschuumltzenlaquo

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raquoDas tue ich doch gar nichtlaquoLeopold antwortete nicht ging nur zur Tuumlr oumlffnete sie

und rief in das gegenuumlberliegende Zimmer der beiden Sekretaumlrinnen dass man ihm und seiner Schwester bitte Kaffee bringen moumlge raquoEs war nie dein Plan hier zu ar-beitenlaquo

raquoPlaumlne koumlnnen sich aumlndernlaquoraquoVon einem Tag auf den anderenlaquoraquoJa warum denn nicht Und wer sagt uumlberhaupt dass

es so abrupt war Vielleicht denke ich ja schon laumlnger da-ruumlber nach und habe dir einfach noch nichts erzaumlhltlaquo Emma zog einen Bleistift aus dem Stiftebecher und drehte ihn zwischen den Fingern raquoUumlbrigens hat mir Dominik Lichtenthal ein Stellenangebot gemachtlaquo Gespannt be-obachtete sie Leopolds Reaktion

raquoWannlaquoraquoIch bin ihm mal abends beim Spaziergang begegnetlaquoraquoUnd da hat er dir ndash ohne dich und deine Befaumlhigung

so recht zu kennen ndash eine Stelle angebotenlaquoraquoWir haben uns kurz unterhalten und er weiszlig dass ich

Chemie studiere Da meinte er wenn ich nicht fuumlr Mutter arbeiten wolle solle ich mich bei ihm melden er koumlnne faumlhige Chemiker immer gebrauchenlaquo

raquoMutter enterbt dich wenn du das tustlaquoraquoDas waumlre nicht so schlimm denn dann erbst du alles

und wirst mir meinen Teil einfach auszahlenlaquoraquoIst das solaquoraquoNatuumlrlichlaquo Emma zog ihre Zigaretten hervorraquoDu willst doch wohl hier nicht rauchenlaquoAnstelle einer Antwort steckte sie sich eine Zigarette

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zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

bei Lichtenthal in Aussicht und einem groszligzuumlgigen Bru-der der dir deinen Erbanteil abtrittlaquo

Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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Estelle auf der Straszlige aufgelesen ndash gestorben Sie war noch sehr jung gewesen als Helena sie gefunden und adop tiert hatte Nur ihre Kinder und ihre Mutter hatte sie mehr geliebt als Estelle was Dominik recht konsterniert zur Kenntnis genommen hatte

raquoDich liebe ich anderslaquo hatte sie ihm erklaumlrtSie war gluumlcklich daruumlber gewesen dass Estelle ein so

hohes Alter erreicht hatte obwohl mit jedem Jahr die Angst naumlher ruumlckte dass der Moment des Abschieds nicht mehr gar so fern war Eines Nachmittags war Estelle ge-schwankt als haumltte sie Schlagseite Fanny die damals erst sechs Jahre alt gewesen war hatte geglaubt der Hund mache Faxen

raquoGuck mal Mama wie komisch Estelle laumluftlaquoHelena jedoch hatte es in diesem Moment gespuumlrt hatte

gewusst dass es nun so weit war Den restlichen Tag uumlber lag Estelle in ihrem Koumlrbchen wollte dieses auch nicht zum Fressen verlassen verschmaumlhte selbst ihre geliebten Leckereien blickte nur hin und wieder auf und schaute Helena mit ihren lieben Hundeaugen an In dieser Nacht hatte Helena das Koumlrbchen in ihr Zimmer geholt es neben ihr Bett gestellt und fast die ganze Nacht wachgelegen eine Hand auf Estelles warmem Fell sodass sie spuumlrte wie sich die Flanke hob und senkte

Morgens war Helena in aller Fruumlhe aufgestanden waumlh-rend Dominik noch neben ihr schlief Dann setzte sie sich neben das Koumlrbchen auf den Boden und streichelte den kleinen Hund der die Augen geschlossen hielt aber noch atmete Vielleicht so dachte sie blieb ja doch noch Zeit Vielleicht brauchte Estelle nur Ruhe Dann jedoch oumlffnete

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ihr kleiner Hund die Augen sah sie an versuchte sich auf-zurichten aber Helena legte ihr beruhigend die Hand auf das Koumlpfchen streichelte sie

raquoScht meine Kleine ist ja gutlaquo hatte sie gemurmelt raquoDu darfst jetzt gehenlaquo

Estelle hatte die Augen wieder geschlossen und irgend-wann hatte sich die Flanke nach dem letzten Atemzug nicht mehr gehoben

Danach wollte Helena keinen Hund mehr Als Domi-niks Schwester Ariana vorgeschlagen hatte einen neuen zu kaufen vielleicht wuumlrde man sogar einen finden der aussah wie Estelle waumlre sie ihr fast ins Gesicht gesprun-gen Aber Mortimer hatte sie gefunden wie Estelle vor-mals Nach dem Krieg war Helena durch die Stadt ge-gangen hatte versucht von ihren Lebensmittelmarken etwas zu essen zu bekommen als sie den kleinen Hund bemerkte der in den Truumlmmern nach etwas zu fressen suchte Er war schmutzig weiszlig mit groszligen schwarzen Fle-cken und einem wolligen Fell das ganz verfilzt war Hoff-nungsvoll hatte er sie angesehen aber Helena war mit dem Korb im Arm weitergegangen

raquoEs tut mir leid mein Kleiner es reicht kaum fuumlr unslaquoEr war ihr gefolgt und hatte Schritt gehalten als Helena

die ihren beschleunigte raquoEs ist sinnloslaquo hatte sie gesagt raquoSuch dir jemanden der weniger Maumluler zu stopfen hatlaquo

Bis zum Eingangstor ihres Hauses war er ihr gefolgt und lieszlig sich nicht abwimmeln raquoSo hier trennen sich unsere Wegelaquo sagte sie ihm als koumlnnte er sie verstehen Aber er hob nur das Bein an der Mauer raquoDamit machst du dich bei Dominik gewiss beliebt So und jetzt geh unser

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Haushalt ertraumlgt keine zwei Maumlnner erst recht nicht wenn einer davon sein Revier markiertlaquo

Der Hund hatte sich auf die Hinterbeine gesetzt und sie angesehen Als Helena sich abgewandt hatte war der Hund ihr gefolgt und hinter ihr die Treppe hochgelau-fen In der Eingangshalle war ihr Dominik entgegenge-kommen

raquoMortimer wohnt jetzt hierlaquo hatte sie ihm erklaumlrt und dabei war es geblieben

Der Hund war nur noch wenig gewachsen ging ihr bis zur Mitte der Wade war kompakter als Estelle und auch frecher Zur Arbeit nahm Helena ihn nie mit er verbrachte viel Zeit mit Fanny sah auch jetzt auf als sie den Salon betrat die Leine in der Hand Sofort sprang der Hund auf und lief schwanzwedelnd zu ihr was mit dem kleinen Stummelschwanz immer sehr drollig aussah

raquoWir gehen noch eine Rundelaquo erklaumlrte sieraquoEine Rundelaquo betonte Helena raquoOhne Umwege oder

heimliche TreffenlaquoEin Schatten flog uumlber das Gesicht ihrer Tochter und

Helena hob eine BraueraquoJa eine Rundelaquo sagte Fanny so uumlberdeutlich dass man

es schon fast patzig nennen konnte Sie beugte sich zu Mortimer und befestigte die Leine am Halsband

Fanny fand es in houmlchstem Maszlige anstrengend dass ihre Eltern sie fortwaumlhrend wie ein Kind behandelten Da war Lukas ganz anders er behandelte sie wie eine junge Frau Ihre Eltern hingegen bezeichneten Lukas der immerhin im kommenden Jahr das Abitur machen wuumlrde als Halb-

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wuumlchsigen kaum mehr als ein Knabe Dabei wuumlrde er im Herbst achtzehn werden Ihr Vater hatte ihn sogar als un-verschaumlmten Bengel bezeichnet als sei er noch ein Kind

Mit Mortimer an der Leine verlieszlig sie das Haus und atmete auf als sie drauszligen war Zwei Wochen Hausar-rest das war doch nicht auszuhalten Sie schritt rasch aus atmete die fruumlhlingsmilde Luft ein in der schon die Vor-boten des Sommers lagen Mortimer blieb stehen schnup-perte hob einmal das Bein und lief dann wieder forsch vor-weg Aufmerksam sah Fanny sich um verlangsamte den Schritt als sie auf die Straszligenecke zuging Und da stand er wartete wie stets um diese Uhrzeit auf sie Fannys An-gespanntheit zerschmolz in einem Laumlcheln und sie ging nun wieder schneller raquoIch hatte schon befuumlrchtet deine Eltern verpassen dir auch Hausarrestlaquo

Lukas hatte sich eine Zigarette in den Mund gesteckt und zuckte laumlssig mit den Schultern raquoMein Vater hat he-rumlamentiert von wegen Schule und Verantwortung und ich hab so getan als wuumlrdrsquos mich interessieren aber das warrsquos dann auch schon Hier magst dulaquo Er hielt ihr seine Zigarette hin und Fanny nahm einen Zug obwohl sie den Geschmack scheuszliglich fand Aber sie gab sich laumls-sig und zog noch ein weiteres Mal daran unterdruumlckte da-bei ein Husten

Sie und Lukas trafen sich jeden Tag hier wenn Fanny ihre Hunderunde drehte raquoIch kann heute nur kurzlaquo sagte sie raquoEin Wunder dass meine Mutter mich uumlberhaupt rausgelassen hatlaquo

raquoImmerhin hast du es geschafft Schrecklich dass sie dich so kontrollieren Da ist es gut dass du den Hund hast

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da bietet sich immer ein Vorwandlaquo Lukas sah Mortimer an und blieb auf Abstand Einmal hatte er den Versuch ge-macht den Hund zu streicheln und Mortimer hatte nach ihm geschnappt Das hatte Fanny erschreckt denn an sich war er der liebste Hund den man sich vorstellen konnte raquoDas hat er noch nie getanlaquo hatte sie beteuert

raquoDas ist ganz normal bei diesen Winzlingenlaquo hatte Lukas geantwortet raquoDie sind immer so giftig vermut-lich weil sie sich minderwertig fuumlhlen Ein echter Hund beginnt ab Kniehoumlhelaquo

Das hatte Fanny ihm uumlbelgenommen aber er hatte sich entschuldigt und betont Mortimer habe genau die rich-tige Groumlszlige fuumlr einen Maumldchenhund

Ihre Freundinnen beneideten sie gluumlhend um diesen gutaussehenden Bankierssohn nur ihre beste Freundin Nele mochte ihn nicht und nannte ihn einen groszligspuri-gen Angeber raquoVertrau dem Urteil deines Hundeslaquo hatte sie gesagt Das blieb ein Streitpunkt zwischen ihnen ob-wohl Nele in manchem was sie sagte durchaus richtiglag Nachdem sie und Lukas in der Schule erwischt worden waren hatte Nele gesagt raquoUm was wetten wir dass nur du den Aumlrger bekommstlaquo

Fanny fand das ziemlich ungerecht denn schlieszliglich hatte Lukas die Grenze uumlberschritten und nicht sie Waumlh-rend sie nebeneinanderher gingen haderte sie mit dem harschen Urteil ihres Vaters uumlber Lukas Wenn er es ihr nicht staumlndig so schwermachen wuumlrde ihn zu sehen waumlren solche Eskapaden ja ganz und gar uumlberfluumlssig Bisher war-tete sie immer noch vergebens auf den ersten Kuss aber es ergab sich einfach nicht die Gelegenheit

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raquoBei Franz Heikamp findet naumlchstes Wochenende eine Party stattlaquo erzaumlhlte Lukas raquoSeine Eltern sind verreist Gehst du mit mir hinlaquo

Ein heftiges Kribbeln stob in Fannys Bauch auf ge-folgt von dem Gefuumlhl der Ernuumlchterung raquoDas erlauben mir meine Eltern nie und noch dazu habe ich Hausarrestlaquo Lukas stieszlig einen entnervten kleinen Pfiff aus und Fanny befuumlrchtete seine Geduld mit ihr arg zu strapazieren raquoEs tut mir leidlaquo fuumlgte sie hinzu

raquoSchon gut ist ja nicht deine Schuld Dann eben ein anderes Mallaquo

Sie haumltte sich gern bei ihm eingehakt wagte es aber nicht denn die Gefahr dass ein Bekannter sie sah war ein-fach zu groszlig und dann konnte sie sich nicht mit einer zu-faumllligen Begegnung herausreden Auch so blieb ihr Blick stets wachsam auf die Straszlige gerichtet Und so entdeckte sie ihren Cousin Erich der im Auto an ihr vorbeifuhr auch gerade noch ehe er sie sehen konnte Fanny unterdruumlckte ein Stoumlhnen Konnte man so viel Pech haben

raquoMein Vetterlaquo sagte sie raquoWenn der uns sieht erfaumlhrt mein Vater das sofortlaquo

Wieder verdrehte Lukas entnervt die Augen raquoWenn du nicht so ein tolles Maumldchen waumlrst wuumlrde mich das hier schwer nervenlaquo

raquoEs tut mir leidlaquoraquoSchon gutlaquo Er lieszlig sich zuruumlckfallen schenkte ihr ein

Laumlcheln bei dem ihr die Knie weich wurden dann drehte er sich um und ging in die entgegengesetzte Richtung davon

Erich war ihr Cousin vaumlterlicherseits und Geschaumlftsfuumlh-

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rer im Pharmaunternehmen Lichtenthal und da er sich mit ihrem Vater ausnehmend gut verstand war sich Fanny sicher er wuumlrde es ihm sofort zutragen wenn er sie mit Lukas gesehen haumltte Seufzend ging Fanny weiter und als sie zu Hause ankam sah sie Erichs Wagen an der Straszlige stehen Sie ging durch das Eingangstor auf die elterliche Villa zu lieszlig Mortimer von der Leine der begeistert uumlber die Einfahrt tollte In der Eingangshalle begegnete sie Erich Er sah Fanny an laumlchelte hob leicht die Brauen und unwillkuumlrlich fragte sie sich ob er sie nicht doch mit Lukas bemerkt hatte Allerdings sagte er kein Wort dazu gruumlszligte nur und fragte was die Schule mache

Marion fuhr mit der Elektrischen ins Werk ihres Vaters Nach und nach erhob sich Berlin aus den Truumlmmern lebte und pulsierte Ganze Straszligenzuumlge waren veraumlndert ehe-mals Vertrautes wirkte fremd und waumlhrend die Erwachse-nen damit beschaumlftigt waren aus den Uumlberbleibseln etwas Neues zu erschaffen waren die klaffenden Ruinen fuumlr die Kinder ein riesiger Abenteuer spielplatz

Berlin war nach dem Krieg von den Alliierten in vier Besatzungszonen aufgeteilt worden wurde von den Sieger-maumlchten Frankreich England USA und der Sowjet union verwaltet und kontrolliert und seither gab es Zonengren-zen ndash Schlagbaumlume Farbmarkierungen an Baumlumen oder weiszlig-gelbe Holzpfosten ndash und wer von einer Zone in die

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naumlchste wollte brauchte mancherorts eine Genehmigung Fuumlr Reisen zwischen der Westzone und der sowjetischen Besatzungszone gab es Interzonenpaumlsse und es waren erste Grenzanlagen auf der Ostseite errichtet worden Stachel-drahthindernisse in Waldgebieten Sperren an Straszligen und dabei blieb es nicht sondern es war im Jahr nach Kriegsende eine Grenzpolizei eingesetzt und sogar der Ge-brauch fuumlr Schusswaffen geregelt worden Die Abrieglung des Ostens war ein Schock fuumlr die Menschen in Berlin

raquoDas kann doch nicht seinlaquo hatte sich Marions Mutter empoumlrt raquoEs war ja ohnehin schon ein Aufwand von einem Teil der Stadt in den anderen zu kommen und jetzt soll man auch noch aufpassen nicht erschossen zu werdenlaquo

Was Marion jedoch weit mehr Sorge bereitete war der Umstand dass seit diesem Tag dem achtundzwanzigs-ten Mai West-Berlin durch die Regierung in der Sow-jetzone vom Umland getrennt wurde Schon an den bei-den Tagen zuvor war die innerdeutsche Demarkationslinie nach Unter zeichnung des Bonner Deutschlandvertrags ab-geriegelt worden und es gab nun einen zehn Meter langen Kontrollstreifen einen fuumlnfhundert Meter langen Schutz-streifen sowie eine fuumlnf Kilometer weite Sperrzone Damit war der bisher geduldete kleine Grenzverkehr eingestellt worden Selbst die Telefonverbindungen zwischen West- und Ost-Berlin waren von der Regierung gekappt wor- den

Marion fragte sich wie es jetzt mit dem Schoumlnheits-salon weitergehen sollte der in Berlin-Mitte lag und so-mit im Teil der Stadt der nun von der Deutschen Demo-kratischen Republik verwaltet wurde Da ihre Mutter das

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Geschaumlft zwar in Ost-Berlin betrieb aber in West-Berlin ihren Wohnsitz hatte war ihr ndash wie vielen anderen Ge-werbetreibenden auch ndash die Gewerbeerlaubnis entzogen worden Wer in West-Berlin lebte aber in einem Betrieb in Ost-Berlin angestellt war ndash so wie Marion in der Cha-riteacute ndash wurde zum Umzug aufgefordert oder entlassen Da-mit sparte Marion sich die Kuumlndigung

Die Straszligen ins Umland wurden gesperrt offen bleiben durften nur jene die von den Alliierten als Zufahrtswege in die Bundesrepublik festgelegt worden waren Fuumlr die Menschen in West-Berlin bedeutete das den Verlust ihrer Besitztuumlmer im Osten Natuumlrlich wurden Passierscheine in Aussicht gestellt aber das bedeutete nicht automatisch dass diese genehmigt wurden Auch der Anhalter Bahnhof war stillgelegt worden es gab keine Zuumlge mehr die aus dem Osten nach West-Berlin fuhren

raquoMittlerweile liegt Italien fuumlr uns naumlher als Potsdamlaquo hatte Helena geschimpft

Auch das Werksgebaumlude von Lichtenthal-Pharma hatte einen Treffer abbekommen als eine Sprenggranate in einen Fluumlgel eingeschlagen hatte Der Bereich war nach wie vor eingezaumlunt und die Bauarbeiten schritten stetig voran Ihr Vater hatte die Gelegenheit genutzt und legte den Fluumlgel etwas weitraumlumiger an was dem Gebaumlude ein asymmetri-sches Aussehen verlieh

Marion warf dem Portier einen Gruszlig zu wechselte ein paar Worte mit den Mitarbeitern an der Rezeption und fuhr dann mit dem Aufzug hinauf in die Chefetage Die Tuumlr zum Vorzimmer stand offen und Marion sah wie die Sekretaumlrin ihres Vaters Frau Weiller sich gerade an-

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schickte mit einem Tablett auf dem Kaffeekanne und Tasse standen die Tuumlr zum Buumlro ihres Vaters zu oumlffnen

raquoDas uumlbernehme ichlaquo bot Marion an und nahm der Frau das Tablett ab raquoIch moumlchte sowieso kurz zu ihmlaquo Waumlhrend sie das Tablett in der einen Hand balancierte druumlckte sie mit der anderen die Tuumlr auf raquoBringen Sie mir bitte auch noch eine Tasselaquo

raquoNatuumlrlich kommt sofort Fraumlulein LichtenthallaquoIhr Vater saszlig an seinem Schreibtisch und sah auf als sie

eintrat raquoNa so etwas Planst du einen beruflichen Wech-sellaquo

raquoIn der Tat nur werde ich dann nicht deine Empfangs-damelaquo Marion stellte das Tablett ab und schenkte Kaffee ein Im naumlchsten Moment trat Frau Weiller ein brachte ein zusaumltzliches Gedeck und ein Milchkaumlnnchen

raquoIch weiszlig doch dass Sie Ihren Kaffee nicht schwarz trinkenlaquo sagte sie an Marion gewandt

Nachdem sie gegangen war und die Tuumlr hinter sich ge-schlossen hatte setzte Marion sich ihrem Vater gegenuumlber in einen der beiden Besucherstuumlhle

raquoWas meintest du damit dass du in der Tat einen be-ruflichen Wechsel planstlaquo fragte Dominik Lichtenthal

Marion trank einen weiteren Schluck raquoIch hatte eigent-lich vorgehabt meine Kuumlndigung bei der Chariteacute einzu-reichen wobei das ja nun nicht mehr noumltig ist Ich liebe die Medizin doch der Alltag einer Aumlrztin ist nicht das Richtige fuumlr michlaquo

Das traf ihren Vater vollkommen unerwartet hatte er doch damit gerechnet dass sie in der naumlchsten Zeit ihren Facharzt anstreben wuumlrde raquoSo ploumltzlichlaquo

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raquoIch denke da tatsaumlchlich schon eine ganze Zeit lang druumlber nachlaquo

raquoUnd was willst du stattdessen tun In die Pharmazielaquo Offenbar erinnerte er sich gerade an die paar Semester Che-mie die sie nebenher studiert und waumlhrend derer sie eine kurze Liaison mit einem Chemieprofessor gehabt hatte

raquoNein auch das nichtlaquo Die Kenntnisse in Chemie waren indes durchaus zu etwas gut raquoIch moumlchte bei Mama mitarbeitenlaquo

Unglaumlubig sah ihr Vater sie an raquoDu hast ein komplettes Medizinstudium mit hervorragenden Noten abgeschlos-sen und dann sieht deine Berufswahl so aus Frauen Farbe ins Gesicht zu malenlaquo

Marion musste lachen raquoLass das bloszlig nie Mama houmlren Du weiszligt doch genau dass Kosmetik mehr ist als Frauen Farbe ins Gesicht zu malen Mich interessiert medizini-sche Kosmetik Wie du siehst ist mein Studium nicht vergebens gewesenlaquo

raquoDu kannst doch in die Dermatologie gehenlaquoraquoJa koumlnnte ich Ich koumlnnte aber auch in die Forschung

gehen und medizinische Kosmetik entwickelnlaquoraquoDu koumlnntest auch bei mir in die pharmazeutische For-

schung gehenlaquoraquoDas geht doch Hand in Hand Paps Ich weiszlig dass du

sicher enttaumluscht bist aber helliplaquoraquoNeinlaquo fiel er ihr ins Wort raquoIch bin nicht enttaumluscht

Es ging mir nie darum dass du meine Erwartungen er-fuumlllst sondern stets nur deine eigenen Ich gestehe ich war gluumlcklich als du mir eroumlffnet hast dass du Aumlrztin werden willst aber letzten Endes ist mir am wichtigsten dass du

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zufrieden bist mit dem was du tust Ich bitte dich nur die Entscheidung zu uumlberdenkenlaquo

raquoDu kannst davon ausgehen dass ich das getan habe Ich habe lange und gruumlndlich daruumlber nachgedachtlaquo

raquoWeiszlig deine Mutter bereits davonlaquoraquoNein ich bin zuerst zu dir gekommenlaquoIhr Vater nickte zog seine Zigaretten hervor und

steckte eine an raquoSie wird sich freuen dass du mit ihr zu-sammenarbeiten wirst Und die Taumltigkeit als Aumlrztin laumluft dir ja nicht davon du hast ein abgeschlossenes Studium und kannst jederzeit deinen Facharzt machen wenn du merkst dass das vielleicht doch nicht das Richtige fuumlr dich ist Dir ist aber klar dass du mit medizinischer Kosmetik in Konkurrenz zu deiner Tante Charlotte trittstlaquo

raquoJa durchaus Aber wie sagst du immer Konkurrenz belebt das Geschaumlftlaquo Mit ihrer Tante hatte Marion nur selten Kontakt Auf Feiern lief man sich hin und wieder uumlber den Weg aber damit erschoumlpfte es sich auch schon Im Grunde war das bedauerlich denn Charlottes Tochter Emma war ganz reizend und Marion hatte schon einige interessante Unterhaltungen mit ihr gefuumlhrt wenn sie sich denn mal begegnet waren Auch Emmas Bruder Leopold war sehr freundlich und umgaumlnglich wenngleich er seit dem Krieg verschlossen und in sich gekehrt wirkte Im letzten Jahr hatte er noch an die Front gemusst der arme Kerl Da war sein Vater gerade gestorben und Leopold hatte nicht nur den Verlust zu verkraften gehabt sondern war selbst in dem unheilvollen Mahlwerk des Krieges auf-gerieben worden

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Emma Rudorf saszlig mit einem Buch in der Hand im Wohn-zimmer und houmlrte ihren Bruder heimkommen Den gan-zen Tag war Leopold im Werk von Dr Rudorfs medizi-nische Kosmetik gewesen und an seinem schleppenden Schritt houmlrte Emma wie erschoumlpft er sein musste Ver-mutlich hatte er wieder mit Mutter gestritten und bei dem Gedanken daran wie diese ihm zusetzte packte sie die Wut Sie legte ihr Buch beiseite und stand auf ging in den Flur wo sich Leopold gerade die Schuhe auszog Er sah ihrem Vater aumlhnlich hatte zwar dunkleres Haar aber seine Gesichtszuumlge und er wirkte mit der Brille ein wenig professorenhaft

Als er Emma bemerkte laumlchelte er raquoWie gehtrsquoslaquo fragte er mit gespielter Munterkeit

raquoGut Und dirlaquoraquoViel zu tun Und bei dir Wie war die KlausurlaquoraquoIch denke ich habe bestandenlaquo Emma wuumlrde im

naumlchsten Sommer ihr Chemiestudium abschlieszligenraquoEtwas anderes habe ich auch nicht erwartetlaquoraquoIch habe Abendessen gemacht Kommt Mama auch

gleichlaquoraquoNein sie meinte sie haumltte noch viel zu tunlaquoWie immer Fuumlr Charlotte Rudorf gab es seit dem Tod

ihres Mannes nur noch das Werk sie arbeitete wie beses-sen als koumlnnte das den Schmerz des Verlustes betaumluben Emma hatte sich so oft gewuumlnscht sie wuumlrde daruumlber nicht staumlndig vergessen dass sie zwei Kinder hatte und sich nur dann an sie erinnern wenn es etwas auszusetzen gab Vor allem Leopold war ihr ein fortwaumlhrendes Aumlrgernis

raquoDu warst ein Jahr im Krieglaquo pflegte sie zu sagen

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raquound du bist in einem Stuumlck zuruumlckgekommen Wie lange willst du noch in Truumlbsal versinken anstatt endlich wieder mit beiden Beinen im Leben zu stehenlaquo

Was ihre Mutter Truumlbsal nannte war eine tiefe innere Wunde die der Krieg geschlagen hatte und Emma fragte sich warum sie diese sehen konnte nicht aber die Frau die ihn geboren hatte Dann kamen wieder diese Geschich-ten uumlber all die Kriegsheimkehrer die es auch schafften ihr Leben in den Griff zu bekommen obwohl sie deutlich laumlnger im Krieg aufgerieben worden waren Wie schlimm konnte da das eine Jahr schon gewesen sein Einzig fuumlr Emmas Albtraumlume durch die Bombardierung hatte sie Verstaumlndnis denn diese war zu der Zeit gerade vierzehn Jahre alt gewesen Da spielte wohl auch die Erinnerung mit hinein wie Emma an sie geschmiegt im Keller ge-sessen und gewartet hatte bis die Bombardierung vorbei war waumlhrend sie beide Angst gehabt hatten dass Leopold vielleicht schon tot war

raquoIsst du mit mir zu Abendlaquo fragte er nunraquoKlar ich habe auf dich gewartetlaquoLeopold wuumlrde im Juli vierundzwanzig werden und hatte

sein Pharmaziestudium im letzten Jahr abgeschlossen Er haumltte lieber Maschinenbau studiert war schon seit Kinder-tagen davon fasziniert gewesen Aber es war klar gewesen dass er das Familienwerk erben wuumlrde Allenfalls haumltte er noch Arzt werden koumlnnen um die Praxis ihres Vaters zu uumlbernehmen die nun ein anderer Arzt gemietet hatte

Da sie nur zu zweit waren aszligen sie zwanglos in der Kuumlche und Leopold deckte den Tisch waumlhrend Emma den Brotkorb Butter Kaumlse und Aufschnitt hinstellte und alles

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in den Dosen belieszlig was ihre Mutter stets als mangelnde Esskultur bezeichnete Emma hingegen war es zu viel Auf-wand jetzt alles auf Tellern anzuordnen nur um dann das meiste wieder zuruumlckzufuumlllen und wegzuraumlumen und mehr zum Abspuumllen zu haben Sie lieszlig sich ihrem Bruder gegen-uumlber am Tisch nieder Im Gegensatz zu ihrer Mutter hatte Emma bislang keine groszligen beruflichen Ambitionen ge-habt sie studierte Chemie allein aus dem Grund weil es sie interessierte aber sie hatte keine konkreten Plaumlne da-ruumlber hinaus ndash ein staumlndiges Aumlrgernis fuumlr Charlotte Ru-dorf Emmas Plan war gewesen zum Zeitvertreib etwas zu studieren das ihr Spaszlig machte und danach zu heiraten Im Laufe des Studiums hatte sich ihr Interesse allerdings ge-wandelt In der Fakultaumlt war sie hin und wieder ihrer Cou-sine Marion uumlber den Weg gelaufen die mit einem von Emmas Professoren ausgegangen war und sie fand sie glei-chermaszligen interessant wie inspirierend Sie hatte sogar kurz mit dem Gedanken gespielt sich im Pharmakonzern Lich-tenthal zu bewerben aber da haumltte vermutlich eine Andeu-tung gereicht und ihre Mutter waumlre die Waumlnde hochge-gangen Mit ihrer Schwester Helena hatte sie sich schon vor Jahren entzweit und eine Annaumlherung war nicht in Sicht

Beim Essen plauderten sie uumlber Allgemeines Leopold zog sie mit einem Dozenten auf von dem sie ndash seiner Mei-nung nach ndash verdaumlchtig oft sprach Daraufhin erinnerte sie an die Verkaumluferin aus dem KaDeWe mit der er fortwaumlh-rend ausging ohne dass die Sache von der Stelle kam Spauml-ter raumlumten sie zusammen ab erledigten den Abwasch und wollten gerade ins Wohnzimmer gehen um das Radio ein-zuschalten als ihre Mutter die Wohnungstuumlr aufschloss

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raquoGuten Abendlaquo Charlotte Rudorf sah muumlde aus und Emma ging zu ihr um ihr den Mantel abzunehmen und ihn an die Garderobe zu haumlngen

raquoSoll ich das Abendessen wieder auf den Tisch stellenlaquo fragte Emma

raquoNein lass nur ich habe im Werk eine Kleinigkeit ge-gessenlaquo

So war es fast jeden Abend im Grunde genommen aszligen sie nur noch am Wochenende regelmaumlszligig zusammen und fanden sich ansonsten morgens zu einem raschen Fruumlh-stuumlck in der Kuumlche ein Ihre Mutter wechselte einen kur-zen Blick mit Leopold aus dem klar ersichtlich wurde dass die beiden noch vor gar nicht langer Zeit gestritten hatten ndash ganz so wie von Emma vermutet Nun jedoch zeigte sich ein zoumlgerliches Laumlcheln auf den Lippen Char-lotte Rudorfs und auch das war typisch Zum Abend hin legte sie Streit gerne bei mochte es nicht unversoumlhnt schlafen zu gehen

Im Wohnzimmer schalteten sie das Radio ein Emma houmlrte nur mit halbem Ohr hin und hatte ihr Buch wie-der aufgeschlagen war aber auch hier nicht bei der Sache Schlieszliglich gab sie es auf und beschloss noch ein wenig spazieren zu gehen

raquoUm diese Uhrzeitlaquo fragte ihre Mutter die gerade mit einer Tasse Kraumlutertee ins Wohnzimmer trat

raquoEs ist kurz nach achtlaquoNun blickte auch Leopold auf sah sie an als witterte er

hinter ihrem Wunsch eine tiefere WahrheitraquoEs ist nur ein Spazierganglaquo sagte sie und haumltte am

liebsten die Augen verdreht raquoMir geht so viel im Kopf

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herum und ich kann meine Gedanken beim Gehen am besten sortierenlaquo

raquoWie war eigentlich deine Klausurlaquo wollte ihr Mut-ter nun wissen

raquoGut denke ichlaquo Emma ging in den Flur nahm einen leichten Mantel vom Haken legte sich einen Seidenschal um und warf noch einen kurzen Blick in den Spiegel Seit kurzem trug sie ihr hellbraunes Haar knapp schulterlang und in groszlige Locken gelegt die sie mit einer Spange seit-lich zuruumlckhielt Jetzt zupfte sie ein wenig daran herum bis sie schlieszliglich zufrieden war und verlieszlig die Wohnung Sie wohnten in der ersten Etage direkt uumlber der Arztpraxis die Wohnung im zweiten Stock stand derzeit leer Fruumlher einmal hatte Emmas Groszligmutter dort gewohnt aber sie lebte bereits seit fast dreiszligig Jahren bei ihrer Tochter erst in Hamburg und seit kurz vor dem Krieg in Muumlnchen da der Ehemann von Emmas Tante dorthin versetzt worden war Leider kam sie nur noch selten zu Besuch da lange Reisen sie zu sehr anstrengten Emma bedauerte das denn sie mochte ihre Groszligmutter die auch mit achtzig noch ruumlstiger und scharfsinniger war als manch junge Frau die Emma kannte

Es daumlmmerte bereits und die langen Schatten des spauml-ten Nachmittags waren ineinandergekrochen verdichte-ten sich langsam und entfaumlrbten den Tag zu einem lich-ten Grau Seit zwei Jahren stellte man die Uhren nicht mehr zur Sommerzeit um und anfangs war es ungewohnt gewesen dass die Sommertage nun um eine Stunde kuumlr-zer waren aber man gewoumlhnte sich daran Waumlhrend des Krieges hatte es eine Zeit gegeben in der fortwaumlhrend

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Sommerzeit gegolten hatte und man die Uhren uumlberhaupt nicht mehr umstellte irgendwann war ein konzeptloses Wechseln erfolgt Dann war die Regelung durch die Besat-zungsmaumlchte wieder geaumlndert worden und sie bestimm-ten eine Umstellung auf die Sommerzeit ndash wobei diese in der sowjetischen Besatzungszone Berlins 1945 ganze zwei Monate laumlnger gedauert hatte Jetzt endlich hatte die Regierung sich auf eine einheitliche Zeit festgelegt die fuumlr das gesamte Jahr galt ndash die Ruumlckkehr zur Normalzeit Emma hoffte dass das so blieb

Als sie durch die Straszlige spazierte hier und da einen heimkehrenden Nachbarn oder Bekannten gruumlszligte ndash die Tochter des Herrn Doktor kannte man im gesamten Vier-tel ndash fiel ihr ein Mann auf der gerade ein Haus verlieszlig sich noch einmal umdrehte einem weiteren Mann der in der offenen Tuumlr stand etwas sagte und dann durch den Vorgarten schritt und auf sein Auto zuging Dominik Lichtenthal Emma blieb stehen sah ihn an wusste nicht ob sie zu ihm gehen und houmlflich gruumlszligen oder ihn ignorie-ren sollte Er nahm ihr die Entscheidung ab als er sie be-merkte kurz stutzte als muumlsste er ihr Gesicht erst einem Namen zuordnen und sie dann anlaumlchelte

raquoGuten Abend Emma Wie geht es dirlaquoSie ging auf ihn zu raquoSehr gut vielen Danklaquo Sie wusste

nie so recht ob sie ihn duzen sollte oder nicht denn einer-seits war er ein Fremder andererseits aber der Ehemann ihrer Tante und damit praktisch ihr Onkel

raquoIch habe gehoumlrt du studierst ChemielaquoraquoJa ich werde diesen Sommer fertiglaquoraquoUnd dann geht es in den Konzern deiner Mutterlaquo

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Unschluumlssig hob Emma die Schultern raquoAch das weiszlig ich noch gar nichtlaquo

Dominik Lichtenthal schloss seinen Wagen auf raquoWenn du dich lieber auf dem freien Markt umsehen moumlchtest sag Bescheid ich kann faumlhige Chemiker immer gebrau-chenlaquo

Es war schon fast skurril dass Emma diesen Gedanken erst vor kurzem gehegt hatte und ihn nun ausgesprochen houmlrte Da sie nicht rundheraus ablehnen wollte dankte sie ihm und nachdem sie ihm gesagt hatte er moumlge seine Familie von ihr gruumlszligen stieg er in seinen Wagen und fuhr los Im Grunde genommen war das doch albern dass ihre Mutter immer noch nichts mit ihrer Schwester zu tun haben wollte Emma kannte die alte Geschichte und natuumlr lich war es hart auf einen Schlag sein gesam-tes Erbe zu verlieren und die unvermittelt aufgetauchte fremde Schwester als einzige Gewinnerin in dieser Situa-tion zu sehen aber das Ganze war jetzt gut fuumlnfundzwan-zig Jahre her irgendwann musste es doch mal gut sein Und es war ja nun wahrlich nicht so als wuumlrde der Besitz des Hauses in der Friedrichstraszlige noch einen nennenswer-ten Unter schied im Vermoumlgen ihrer Mutter machen Im Gegenteil ndash waumlre sie dort geblieben haumltte sie es vielleicht nie so weit gebracht

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Juni 1952

Die einstmals goldene Zeit merkte man der ehemaligen Amuumlsiermeile auf der Friedrichstraszlige nicht mehr an und Helena verspuumlrte jedes Mal beim Besuch ihres Schoumlnheits-salons diesen Stich des Bedauerns Als sie in den Zwan-zigern hier angekommen war hatte das Leben pulsiert mit Autos Bussen Bahnen Fuszliggaumlngern Radfahrern und noch vereinzelten Droschken Die Kreuzung an der Leip-ziger Straszlige war ein so verkehrsreicher Knotenpunkt ge-wesen dass es fuumlr die aus der Provinz stammende Helena anfangs schon eine Herausforderung gewesen war lebend von einer Straszligenseite auf die andere zu gelangen

Nach dem Krieg war die Straszlige eine von Ruinen ge-saumlumte Schuttwuumlste geworden und auch wenn die Truumlm-mer in weiten Teilen fortgeraumlumt waren so erinnerte doch nur wenig an fruumlher Helena hatte mehrfach uumlberlegt den Schoumlnheitssalon einfach aufzugeben aber das brachte sie nicht uumlber sich Vielleicht normalisierte sich hier ja alles irgendwann wieder das konnte doch nicht ewig so blei-ben Ihr Schoumlnheitssalon in der Friedrichstraszlige befand sich im Amerikanischen Sektor der in Berlin-Mitte gehoumlrte nun zur DDR ihr Werk wiederum zum Franzoumlsischen

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Sektor Dominiks sowie ihr Wohnsitz lagen im Britischen Sektor Das war doch auf Dauer kein Zustand Den Salon in Berlin-Mitte hatte sie aufgeben muumlssen und sie sah sich bereits nach Alternativen um

Als Helena in den Salon trat kam ihr Ida ndash fruumlher Wag-ner jetzt Zeller ndash entgegen raquoKaffeelaquo

raquoUnbedingtlaquo Helena haumlngte ihren Mantel an die Gar-derobe und betrat den Salon Es war noch fruumlh und sie wuumlrden erst in einer halben Stunde oumlffnen Ida hatte schon in den Dreiszligigern die Leitung des Salons uumlbernommen als Helena damit beschaumlftigt gewesen war einen weiteren in Berlin-Mitte zu eroumlffnen

raquoWie geht es den MaumldchenlaquoHelena setzte sich in einen der bequemen Besucher-

stuumlhle wo die Frauen sich bei einer Tasse Kaffee oder Tee und etwas Gebaumlck entspannen konnten raquoMarion faumlngt bei mir im Werk an der Termin steht jetztlaquo Das war Schock und freudige Uumlberraschung zugleich gewesen und Helena wusste selbst nicht ob ihre Bestuumlrzung oder ihre Freude uumlberwog Natuumlrlich hatte sie gehofft dass Marion als Aumlrztin praktizierte immerhin hatte sie stu-diert und damit ein klares Ziel vor Augen gehabt Ande-rerseits freute es sie dass ihre Tochter Interesse an ihrem Unternehmen zeigte ndash und nicht an Dominiks wie eine kleine nicht zu unterdruumlckende Stimme des Triumphs in ihr betonte raquoUnd Fanny schlieszligt das Schuljahr mit sehr guten Noten ablaquo

raquoMathematik macht ihr wieder SpaszliglaquoraquoNachdem Ferdinands Ehefrau es ihr erklaumlrt hat was

ihr unfaumlhiger Lehrer offenbar nicht hinbekommtlaquo Fer-

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dinand war der Patenonkel beider Toumlchter und seine Frau eine begabte Mathematikerin

Die Schwangerschaft mit Fanny hatte Helena seinerzeit einen gehoumlrigen Schrecken eingejagt All die Jahre hatte sie es erfolgreich vermieden zu empfangen und dann als die Welt am Abgrund stand kuumlndigte sich neues Leben an Schlimm genug mitanzusehen wie Marion bereits in der Schule darauf vorbereitet wurde in den BDM einzu-treten da wollte sie diesem System nicht noch ein Kind schenken Es war Rudolf Liliengrund gewesen dem Fanny es zu verdanken hatte dass Helena keinen Abbruch hatte vornehmen lassen

raquoGerade in diesen Zeiten sollten die Anstaumlndigen sich vermehrenlaquo

Ihr lieber Rudolf der seine gesamte Familie verloren und selbst nur knapp und unter Entbehrungen die Flucht geschafft hatte weil er zu lange gezoumlgert geglaubt hatte es wuumlrde alles gut werden Und so hatte Helena Fanny aus-getragen hatte schon in der Schwangerschaft eine so innige Beziehung zu dem Kind gehabt wie sie es sich nicht hatte vorstellen koumlnnen Es war ganz anders als mit Marion zu der sie erst eine enge Bindung hatte aufbauen koumlnnen als diese bereits ein Kleinkind gewesen war Waumlhrend Marion von Geburt an ein Papakind war so war Fanny von Geburt an ganz und gar ihre Tochter Helena hatte sie sogar mit zur Arbeit genommen weil sie sich nicht von ihr trennen mochte hatte sie im Buumlro gestillt und in der Wiege neben sich schlafen lassen Undenkbar dieses Baby jemand ande-rem anzuvertrauen Dabei liebte sie Marion nicht weniger und sie verstand auch im Nachhinein nicht warum sie bei

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beiden Kindern schon in der Schwangerschaft so unter-schiedlich empfunden hatte

raquoDu solltest endlich aufhoumlren das zu hinterfragenlaquo hatte ihre beste Freundin Irene Danelius gesagt raquoEs ist jetzt wie es ist Freu dich einfach Gerade jetzt haben wir alle wahrhaftig Probleme genug da muss man nicht auch noch welche hinzuredenlaquo

Als im November 1938 die Synagogen brannten hatte Irene das Land verlassen raquoIch komme zuruumlck wenn der Irrsinn vorbei istlaquo hatte sie gesagt und war nach Amerika gegangen Dort war sie zur Filmgroumlszlige geworden hatte einen bekannten Produzenten geheiratet und lebte nach wie vor in den Vereinigten Staaten Helena vermisste sie immer noch sehr und war auch schon einmal mit ihrer Familie in New York gewesen um sie zu besuchen

raquoFahrt ihr diesen Sommer weglaquo fragte Ida und setzte sich nun ebenfalls

raquoAuf jeden Fall fuumlr zwei Wochen zu meiner Mutter Und von da aus vielleicht weiter in Richtung Schweizlaquo Vor allem auf die Zeit bei ihrer Mutter freute sich Helena das waren jedes Mal schoumlne Tage mit all den fruumlheren Freunden und Bekannten sowie mit der Baronin fuumlr die sie und ihre Mutter fruumlher gearbeitet hatten und bei der ihre Mutter nun den Altersruhesitz hatte Fuumlr Helenas Familie standen immer Gaumlstezimmer bereit Ein wenig behandelte man sie dort wie eine Prominente die Dienst-botentochter die es in der Weltmetropole zu etwas ge-bracht hatte mit einem reichen Mann verheiratet war und mit Filmstars verkehrte

Kurz darauf trafen die uumlbrigen Mitarbeiterinnen ein

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und dann kamen auch schon die ersten Kundinnen Helena unterhielt sich mit einigen der Damen beriet hier und da persoumlnlich und machte sich dann auf den Weg ins Werk Unmittelbar nach dem Krieg war es schwierig gewesen die Rohstoffe fuumlr die Produktion von Kosmetik aufzutrei-ben vielfach waren sie nur zu Schwarzmarktpreisen zu be-kommen Viele Rohstoffe wurden in der Pharmaindustrie dringender benoumltigt und natuumlrlich hatte die medizini-sche Versorgung Vorrang vor der kosmetischen Gerade nach dem Krieg hatten sie alle andere Sorgen gehabt wes-halb Helenas Werk voruumlbergehend die Produktion um-stellte und der chemischen Industrie zuarbeitete waumlhrend die Schoumlnheitssalons Obdachlosen offenstanden Erst vier Jahre nach Kriegsende als der Hungerwinter vorbei war und die Menschen durch die Waumlhrungsreform wieder uumlber Geld verfuumlgten hatte Helena Kosmetikherstellung und Schoumlnheitsbehandlungen wieder aufgenommen

Im Werk ging Helena direkt in ihr Buumlro und sah sich Werbeentwuumlrfe an Sie liebte ihre Arbeit und sie machte ihr nach wie vor Spaszlig allerdings fehlte ihr die Heraus-forderung Die Kosmetik entwickelte sich stetig weiter und mittlerweile war Forschung und Entwicklung eine eigene Abteilung in ihrem Unternehmen Natuumlrlich freute sie sich daruumlber aber sie vermisste die Zeiten in denen sie selbst in ihrer Fertigung gesessen und experimentiert hatte Vielleicht war es wirklich gut dass Marion hier demnaumlchst etwas frischen Wind hereinbringen wuumlrde Wie wohl Charlotte darauf reagierte dass Helena ihr nun Konkurrenz machen wuumlrde

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Emma houmlrte den Streit bis ins Wohnzimmer Ihre Mutter hielt Leopold vor er naumlhme die Arbeit nicht ausreichend ernst und bringe sich zu wenig ein Wie er bei dem Ge-schaumlftstermin am Vortag nur dagesessen und auf einmal zu zittern begonnen habe Wenn es nicht anders ging dann solle er eben seine Medikamente wieder nehmen Und ndash verdammt noch mal ndash endlich mehr Nervenstaumlrke zei- gen

Auch an diesem Morgen hatte es schon wieder damit begonnen dass Leopold beim Fruumlhstuumlck sehr still gewe-sen war was fuumlr Emma immer ein Zeichen fuumlr schlimme Traumlume war Auf Ausfuumlhrungen ihrer Mutter zu dem heu-tigen Arbeitstag hatte er nur genickt was diese wiederum zu dem Schluss kommen lieszlig dass er sich nur unzurei-chend interessierte Uumlberhaupt habe er keine innovativen Ideen arbeite den Tag ab ohne echtes Interesse zu zeigen an dem was er tat Irgendwann war ein handfester Streit ausgebrochen der auch dann noch anhielt als Emma das Esszimmer verlassen hatte und nun in der Kuumlche den Ab-wasch machte Schlieszliglich hielt sie es nicht mehr aus lief ins Esszimmer zuruumlck

raquoWas willst du eigentlichlaquo fuhr sie ihre Mutter an raquoEr tut doch alles was er solllaquo

raquoEmma lass nurlaquo sagte Leopold raquoIch mache helliplaquoraquoNein ich lasse es nicht Koumlnnen wir nicht mal einen

Morgen friedlich verbringen wie andere Familien auch Muss hier immer den ganzen Tag uumlber Streit herrschen und abends gehen wir dann versoumlhnt schlafen Wozu Um am naumlchsten Tag wieder loszulegen Das ist doch nicht mehr auszuhaltenlaquo

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raquoWie redest du eigentlich mit mirlaquo Die Stimme ihrer Mutter war ganz kalt geworden bar jeder Emotion

raquoIch helliplaquo Die aufbrausende Wut fiel von Emma ab und sie wusste nicht mehr was sie nun sagen sollte raquoIch hellip ich habe heute keine Uni und wollte ohnehin fragen ob ich mit ins Werk kannlaquo Der Einfall war ihr gerade erst ge-kommen raquoIch koumlnnte Leo zuarbeiten und so schon einmal Einblicke bekommenlaquo

Die frostglitzernde Wut im Blick ihrer Mutter schmolz zu Uumlberraschung raquoAch waslaquo

raquoIch habe mir lange uumlberlegt was ich mit meinem Che-miestudium machelaquo

raquoHeiszligt das es steht nicht zu erwarten dass du dich nun nach einer passenden Partie umsiehstlaquo Fuumlr jemanden der selbst gluumlcklich verheiratet gewesen war zeigte ihre Mut-ter eine sehr ablehnende Haltung zu Emmas Eheplaumlnen

raquoNoch ist ja niemand in Aussicht nicht wahrlaquo ver-setzte Emma der Hoffnung einen Daumlmpfer

Ihre Mutter schien damit zufrieden zu sein raquoSchoumln dann beeil dich wir brechen gleich auflaquo

Sie und Leopold fuhren in der Regel gemeinsam los und Leopold lieszlig dann den Wagen fuumlr sie im Werk und kehrte puumlnktlich zum Buumlroschluss mit der Bahn nach Hause zu-ruumlck Das tat er vermutlich vor allem aus dem Grund weil er den Abstand brauchte

raquoIch habe uumlbrigens gehoumlrt dass Marion in der Chariteacute aufhoumlrtlaquo erzaumlhlte Emma als sie auf der Ruumlckbank des Wagens Platz genommen hatte

raquoWelche Marionlaquo fragte ihre Mutter und Emma haumltte gerne gewusst ob sie das wirklich nicht wusste

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raquoUnsere CousinelaquoraquoUnd warum sollte es mich interessieren was diese Per-

son tutlaquoraquoWeil sie deine Nichte ist moumlglicherweiselaquoVon hinten konnte Emma das Schulterzucken sehenraquoAuf jeden Fall heiszligt es sie wollte in das Unternehmen

von Tante Helena einsteigenlaquo Mit einiger Befriedigung bemerkte Emma dass ihre Mutter bei dieser persoumlnlichen Bezeichnung kaum merklich zusammenzuckte

raquoIn der TatlaquoraquoSie hat einige Semester Chemie studiert das hatte ich

doch erzaumlhltlaquoraquoJa hattest du Auch dass sie es mit deinem Chemie-

professor getrieben hatlaquoraquoMutterlaquo kam es von LeopoldraquoDas habe ich nie gesagtlaquo Emma lehnte sich vor als

koumlnne sie ihren Worten damit mehr Nachdruck verleihen raquoIch sagte sie gehen miteinander auslaquo

raquoWenn sie nach ihrer Mutter kommt gibt es das eine nicht ohne das andere Gerne auch zum Nachteil der eigenen Familie Sind deine Noten bei besagtem Profes-sor nicht danach schlechter gewordenlaquo

raquoDas war bei Professor Guenther nicht bei Professor Hellweg mit dem Marion aus war Meine Guumltelaquo Emma hatte langsam genug Dieser sture verbohrte Zorn ihrer Mutter war nicht mehr zu ertragen Mit Ende vierzig konnte sie sich auf jeden Fall noch nicht mit Altersstarr-sinn herausreden raquoHoumlr zu wenn das hier jeden Morgen der Beginn meines Arbeitstages wird sag es direkt dann reicht mir der einmalige Ausflug in dein Unternehmen

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und ich bewerbe mich morgen beim Pharmaunternehmen Lichtenthallaquo

Ihre Mutter fuhr herum raquoDas wagst du nichtlaquoraquoLass es gerne darauf ankommenlaquoLange sah ihre Mutter sie an dann zuckte es um ihre

Lippen Widerspruchsgeist gefiel ihr und sie schien auf einmal versoumlhnt Emma wuumlrde bleiben wuumlrde es allein um Leopolds willen tun Vielleicht wuumlrde es leichter fuumlr ihn mit ihr an seiner Seite

Das ehemalige Werksgelaumlnde hatte in Berlin-Oberschouml-neweide gestanden aber sie waren noch vor dem Krieg um-gezogen was sich als richtige Entscheidung erwiesen hatte wenngleich zu der Zeit noch niemand hatte wissen koumlnnen dass dieser Stadtteil unter sowjetische Verwaltung gestellt werden wuumlrde Das jetzige Werk stand in Berlin-Tempel-hof im Amerikanischen Sektor und hatte im Krieg ebenfalls gelitten Sie fuhren durch das Tor und Leopold parkte den Wagen auf der dafuumlr vorgesehenen Flaumlche auf der weitere Autos Motorraumlder und Mopeds standen

Ihre Mutter begleitete sie bis in die Etage in der sich die Raumlumlichkeiten der Geschaumlftsfuumlhrung befanden dann ging sie in ihr Buumlro waumlhrend Emma Leopold in seines be-gleitete

raquoWeiszligt dulaquo sagte er als er auf einen der Stuumlhle wies raquodu musst das nicht tunlaquo

raquoWas meinst dulaquo Emma lieszlig sich auf der Besucherseite seines Schreibtischs nieder

raquoDas weiszligt du genau Mich hierher zu begleiten ob-wohl du nie im Sinn hattest in der Firma zu arbeiten Du musst mich nicht vor Mutter beschuumltzenlaquo

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raquoDas tue ich doch gar nichtlaquoLeopold antwortete nicht ging nur zur Tuumlr oumlffnete sie

und rief in das gegenuumlberliegende Zimmer der beiden Sekretaumlrinnen dass man ihm und seiner Schwester bitte Kaffee bringen moumlge raquoEs war nie dein Plan hier zu ar-beitenlaquo

raquoPlaumlne koumlnnen sich aumlndernlaquoraquoVon einem Tag auf den anderenlaquoraquoJa warum denn nicht Und wer sagt uumlberhaupt dass

es so abrupt war Vielleicht denke ich ja schon laumlnger da-ruumlber nach und habe dir einfach noch nichts erzaumlhltlaquo Emma zog einen Bleistift aus dem Stiftebecher und drehte ihn zwischen den Fingern raquoUumlbrigens hat mir Dominik Lichtenthal ein Stellenangebot gemachtlaquo Gespannt be-obachtete sie Leopolds Reaktion

raquoWannlaquoraquoIch bin ihm mal abends beim Spaziergang begegnetlaquoraquoUnd da hat er dir ndash ohne dich und deine Befaumlhigung

so recht zu kennen ndash eine Stelle angebotenlaquoraquoWir haben uns kurz unterhalten und er weiszlig dass ich

Chemie studiere Da meinte er wenn ich nicht fuumlr Mutter arbeiten wolle solle ich mich bei ihm melden er koumlnne faumlhige Chemiker immer gebrauchenlaquo

raquoMutter enterbt dich wenn du das tustlaquoraquoDas waumlre nicht so schlimm denn dann erbst du alles

und wirst mir meinen Teil einfach auszahlenlaquoraquoIst das solaquoraquoNatuumlrlichlaquo Emma zog ihre Zigaretten hervorraquoDu willst doch wohl hier nicht rauchenlaquoAnstelle einer Antwort steckte sie sich eine Zigarette

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zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

bei Lichtenthal in Aussicht und einem groszligzuumlgigen Bru-der der dir deinen Erbanteil abtrittlaquo

Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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ihr kleiner Hund die Augen sah sie an versuchte sich auf-zurichten aber Helena legte ihr beruhigend die Hand auf das Koumlpfchen streichelte sie

raquoScht meine Kleine ist ja gutlaquo hatte sie gemurmelt raquoDu darfst jetzt gehenlaquo

Estelle hatte die Augen wieder geschlossen und irgend-wann hatte sich die Flanke nach dem letzten Atemzug nicht mehr gehoben

Danach wollte Helena keinen Hund mehr Als Domi-niks Schwester Ariana vorgeschlagen hatte einen neuen zu kaufen vielleicht wuumlrde man sogar einen finden der aussah wie Estelle waumlre sie ihr fast ins Gesicht gesprun-gen Aber Mortimer hatte sie gefunden wie Estelle vor-mals Nach dem Krieg war Helena durch die Stadt ge-gangen hatte versucht von ihren Lebensmittelmarken etwas zu essen zu bekommen als sie den kleinen Hund bemerkte der in den Truumlmmern nach etwas zu fressen suchte Er war schmutzig weiszlig mit groszligen schwarzen Fle-cken und einem wolligen Fell das ganz verfilzt war Hoff-nungsvoll hatte er sie angesehen aber Helena war mit dem Korb im Arm weitergegangen

raquoEs tut mir leid mein Kleiner es reicht kaum fuumlr unslaquoEr war ihr gefolgt und hatte Schritt gehalten als Helena

die ihren beschleunigte raquoEs ist sinnloslaquo hatte sie gesagt raquoSuch dir jemanden der weniger Maumluler zu stopfen hatlaquo

Bis zum Eingangstor ihres Hauses war er ihr gefolgt und lieszlig sich nicht abwimmeln raquoSo hier trennen sich unsere Wegelaquo sagte sie ihm als koumlnnte er sie verstehen Aber er hob nur das Bein an der Mauer raquoDamit machst du dich bei Dominik gewiss beliebt So und jetzt geh unser

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Haushalt ertraumlgt keine zwei Maumlnner erst recht nicht wenn einer davon sein Revier markiertlaquo

Der Hund hatte sich auf die Hinterbeine gesetzt und sie angesehen Als Helena sich abgewandt hatte war der Hund ihr gefolgt und hinter ihr die Treppe hochgelau-fen In der Eingangshalle war ihr Dominik entgegenge-kommen

raquoMortimer wohnt jetzt hierlaquo hatte sie ihm erklaumlrt und dabei war es geblieben

Der Hund war nur noch wenig gewachsen ging ihr bis zur Mitte der Wade war kompakter als Estelle und auch frecher Zur Arbeit nahm Helena ihn nie mit er verbrachte viel Zeit mit Fanny sah auch jetzt auf als sie den Salon betrat die Leine in der Hand Sofort sprang der Hund auf und lief schwanzwedelnd zu ihr was mit dem kleinen Stummelschwanz immer sehr drollig aussah

raquoWir gehen noch eine Rundelaquo erklaumlrte sieraquoEine Rundelaquo betonte Helena raquoOhne Umwege oder

heimliche TreffenlaquoEin Schatten flog uumlber das Gesicht ihrer Tochter und

Helena hob eine BraueraquoJa eine Rundelaquo sagte Fanny so uumlberdeutlich dass man

es schon fast patzig nennen konnte Sie beugte sich zu Mortimer und befestigte die Leine am Halsband

Fanny fand es in houmlchstem Maszlige anstrengend dass ihre Eltern sie fortwaumlhrend wie ein Kind behandelten Da war Lukas ganz anders er behandelte sie wie eine junge Frau Ihre Eltern hingegen bezeichneten Lukas der immerhin im kommenden Jahr das Abitur machen wuumlrde als Halb-

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wuumlchsigen kaum mehr als ein Knabe Dabei wuumlrde er im Herbst achtzehn werden Ihr Vater hatte ihn sogar als un-verschaumlmten Bengel bezeichnet als sei er noch ein Kind

Mit Mortimer an der Leine verlieszlig sie das Haus und atmete auf als sie drauszligen war Zwei Wochen Hausar-rest das war doch nicht auszuhalten Sie schritt rasch aus atmete die fruumlhlingsmilde Luft ein in der schon die Vor-boten des Sommers lagen Mortimer blieb stehen schnup-perte hob einmal das Bein und lief dann wieder forsch vor-weg Aufmerksam sah Fanny sich um verlangsamte den Schritt als sie auf die Straszligenecke zuging Und da stand er wartete wie stets um diese Uhrzeit auf sie Fannys An-gespanntheit zerschmolz in einem Laumlcheln und sie ging nun wieder schneller raquoIch hatte schon befuumlrchtet deine Eltern verpassen dir auch Hausarrestlaquo

Lukas hatte sich eine Zigarette in den Mund gesteckt und zuckte laumlssig mit den Schultern raquoMein Vater hat he-rumlamentiert von wegen Schule und Verantwortung und ich hab so getan als wuumlrdrsquos mich interessieren aber das warrsquos dann auch schon Hier magst dulaquo Er hielt ihr seine Zigarette hin und Fanny nahm einen Zug obwohl sie den Geschmack scheuszliglich fand Aber sie gab sich laumls-sig und zog noch ein weiteres Mal daran unterdruumlckte da-bei ein Husten

Sie und Lukas trafen sich jeden Tag hier wenn Fanny ihre Hunderunde drehte raquoIch kann heute nur kurzlaquo sagte sie raquoEin Wunder dass meine Mutter mich uumlberhaupt rausgelassen hatlaquo

raquoImmerhin hast du es geschafft Schrecklich dass sie dich so kontrollieren Da ist es gut dass du den Hund hast

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da bietet sich immer ein Vorwandlaquo Lukas sah Mortimer an und blieb auf Abstand Einmal hatte er den Versuch ge-macht den Hund zu streicheln und Mortimer hatte nach ihm geschnappt Das hatte Fanny erschreckt denn an sich war er der liebste Hund den man sich vorstellen konnte raquoDas hat er noch nie getanlaquo hatte sie beteuert

raquoDas ist ganz normal bei diesen Winzlingenlaquo hatte Lukas geantwortet raquoDie sind immer so giftig vermut-lich weil sie sich minderwertig fuumlhlen Ein echter Hund beginnt ab Kniehoumlhelaquo

Das hatte Fanny ihm uumlbelgenommen aber er hatte sich entschuldigt und betont Mortimer habe genau die rich-tige Groumlszlige fuumlr einen Maumldchenhund

Ihre Freundinnen beneideten sie gluumlhend um diesen gutaussehenden Bankierssohn nur ihre beste Freundin Nele mochte ihn nicht und nannte ihn einen groszligspuri-gen Angeber raquoVertrau dem Urteil deines Hundeslaquo hatte sie gesagt Das blieb ein Streitpunkt zwischen ihnen ob-wohl Nele in manchem was sie sagte durchaus richtiglag Nachdem sie und Lukas in der Schule erwischt worden waren hatte Nele gesagt raquoUm was wetten wir dass nur du den Aumlrger bekommstlaquo

Fanny fand das ziemlich ungerecht denn schlieszliglich hatte Lukas die Grenze uumlberschritten und nicht sie Waumlh-rend sie nebeneinanderher gingen haderte sie mit dem harschen Urteil ihres Vaters uumlber Lukas Wenn er es ihr nicht staumlndig so schwermachen wuumlrde ihn zu sehen waumlren solche Eskapaden ja ganz und gar uumlberfluumlssig Bisher war-tete sie immer noch vergebens auf den ersten Kuss aber es ergab sich einfach nicht die Gelegenheit

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raquoBei Franz Heikamp findet naumlchstes Wochenende eine Party stattlaquo erzaumlhlte Lukas raquoSeine Eltern sind verreist Gehst du mit mir hinlaquo

Ein heftiges Kribbeln stob in Fannys Bauch auf ge-folgt von dem Gefuumlhl der Ernuumlchterung raquoDas erlauben mir meine Eltern nie und noch dazu habe ich Hausarrestlaquo Lukas stieszlig einen entnervten kleinen Pfiff aus und Fanny befuumlrchtete seine Geduld mit ihr arg zu strapazieren raquoEs tut mir leidlaquo fuumlgte sie hinzu

raquoSchon gut ist ja nicht deine Schuld Dann eben ein anderes Mallaquo

Sie haumltte sich gern bei ihm eingehakt wagte es aber nicht denn die Gefahr dass ein Bekannter sie sah war ein-fach zu groszlig und dann konnte sie sich nicht mit einer zu-faumllligen Begegnung herausreden Auch so blieb ihr Blick stets wachsam auf die Straszlige gerichtet Und so entdeckte sie ihren Cousin Erich der im Auto an ihr vorbeifuhr auch gerade noch ehe er sie sehen konnte Fanny unterdruumlckte ein Stoumlhnen Konnte man so viel Pech haben

raquoMein Vetterlaquo sagte sie raquoWenn der uns sieht erfaumlhrt mein Vater das sofortlaquo

Wieder verdrehte Lukas entnervt die Augen raquoWenn du nicht so ein tolles Maumldchen waumlrst wuumlrde mich das hier schwer nervenlaquo

raquoEs tut mir leidlaquoraquoSchon gutlaquo Er lieszlig sich zuruumlckfallen schenkte ihr ein

Laumlcheln bei dem ihr die Knie weich wurden dann drehte er sich um und ging in die entgegengesetzte Richtung davon

Erich war ihr Cousin vaumlterlicherseits und Geschaumlftsfuumlh-

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rer im Pharmaunternehmen Lichtenthal und da er sich mit ihrem Vater ausnehmend gut verstand war sich Fanny sicher er wuumlrde es ihm sofort zutragen wenn er sie mit Lukas gesehen haumltte Seufzend ging Fanny weiter und als sie zu Hause ankam sah sie Erichs Wagen an der Straszlige stehen Sie ging durch das Eingangstor auf die elterliche Villa zu lieszlig Mortimer von der Leine der begeistert uumlber die Einfahrt tollte In der Eingangshalle begegnete sie Erich Er sah Fanny an laumlchelte hob leicht die Brauen und unwillkuumlrlich fragte sie sich ob er sie nicht doch mit Lukas bemerkt hatte Allerdings sagte er kein Wort dazu gruumlszligte nur und fragte was die Schule mache

Marion fuhr mit der Elektrischen ins Werk ihres Vaters Nach und nach erhob sich Berlin aus den Truumlmmern lebte und pulsierte Ganze Straszligenzuumlge waren veraumlndert ehe-mals Vertrautes wirkte fremd und waumlhrend die Erwachse-nen damit beschaumlftigt waren aus den Uumlberbleibseln etwas Neues zu erschaffen waren die klaffenden Ruinen fuumlr die Kinder ein riesiger Abenteuer spielplatz

Berlin war nach dem Krieg von den Alliierten in vier Besatzungszonen aufgeteilt worden wurde von den Sieger-maumlchten Frankreich England USA und der Sowjet union verwaltet und kontrolliert und seither gab es Zonengren-zen ndash Schlagbaumlume Farbmarkierungen an Baumlumen oder weiszlig-gelbe Holzpfosten ndash und wer von einer Zone in die

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naumlchste wollte brauchte mancherorts eine Genehmigung Fuumlr Reisen zwischen der Westzone und der sowjetischen Besatzungszone gab es Interzonenpaumlsse und es waren erste Grenzanlagen auf der Ostseite errichtet worden Stachel-drahthindernisse in Waldgebieten Sperren an Straszligen und dabei blieb es nicht sondern es war im Jahr nach Kriegsende eine Grenzpolizei eingesetzt und sogar der Ge-brauch fuumlr Schusswaffen geregelt worden Die Abrieglung des Ostens war ein Schock fuumlr die Menschen in Berlin

raquoDas kann doch nicht seinlaquo hatte sich Marions Mutter empoumlrt raquoEs war ja ohnehin schon ein Aufwand von einem Teil der Stadt in den anderen zu kommen und jetzt soll man auch noch aufpassen nicht erschossen zu werdenlaquo

Was Marion jedoch weit mehr Sorge bereitete war der Umstand dass seit diesem Tag dem achtundzwanzigs-ten Mai West-Berlin durch die Regierung in der Sow-jetzone vom Umland getrennt wurde Schon an den bei-den Tagen zuvor war die innerdeutsche Demarkationslinie nach Unter zeichnung des Bonner Deutschlandvertrags ab-geriegelt worden und es gab nun einen zehn Meter langen Kontrollstreifen einen fuumlnfhundert Meter langen Schutz-streifen sowie eine fuumlnf Kilometer weite Sperrzone Damit war der bisher geduldete kleine Grenzverkehr eingestellt worden Selbst die Telefonverbindungen zwischen West- und Ost-Berlin waren von der Regierung gekappt wor- den

Marion fragte sich wie es jetzt mit dem Schoumlnheits-salon weitergehen sollte der in Berlin-Mitte lag und so-mit im Teil der Stadt der nun von der Deutschen Demo-kratischen Republik verwaltet wurde Da ihre Mutter das

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Geschaumlft zwar in Ost-Berlin betrieb aber in West-Berlin ihren Wohnsitz hatte war ihr ndash wie vielen anderen Ge-werbetreibenden auch ndash die Gewerbeerlaubnis entzogen worden Wer in West-Berlin lebte aber in einem Betrieb in Ost-Berlin angestellt war ndash so wie Marion in der Cha-riteacute ndash wurde zum Umzug aufgefordert oder entlassen Da-mit sparte Marion sich die Kuumlndigung

Die Straszligen ins Umland wurden gesperrt offen bleiben durften nur jene die von den Alliierten als Zufahrtswege in die Bundesrepublik festgelegt worden waren Fuumlr die Menschen in West-Berlin bedeutete das den Verlust ihrer Besitztuumlmer im Osten Natuumlrlich wurden Passierscheine in Aussicht gestellt aber das bedeutete nicht automatisch dass diese genehmigt wurden Auch der Anhalter Bahnhof war stillgelegt worden es gab keine Zuumlge mehr die aus dem Osten nach West-Berlin fuhren

raquoMittlerweile liegt Italien fuumlr uns naumlher als Potsdamlaquo hatte Helena geschimpft

Auch das Werksgebaumlude von Lichtenthal-Pharma hatte einen Treffer abbekommen als eine Sprenggranate in einen Fluumlgel eingeschlagen hatte Der Bereich war nach wie vor eingezaumlunt und die Bauarbeiten schritten stetig voran Ihr Vater hatte die Gelegenheit genutzt und legte den Fluumlgel etwas weitraumlumiger an was dem Gebaumlude ein asymmetri-sches Aussehen verlieh

Marion warf dem Portier einen Gruszlig zu wechselte ein paar Worte mit den Mitarbeitern an der Rezeption und fuhr dann mit dem Aufzug hinauf in die Chefetage Die Tuumlr zum Vorzimmer stand offen und Marion sah wie die Sekretaumlrin ihres Vaters Frau Weiller sich gerade an-

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schickte mit einem Tablett auf dem Kaffeekanne und Tasse standen die Tuumlr zum Buumlro ihres Vaters zu oumlffnen

raquoDas uumlbernehme ichlaquo bot Marion an und nahm der Frau das Tablett ab raquoIch moumlchte sowieso kurz zu ihmlaquo Waumlhrend sie das Tablett in der einen Hand balancierte druumlckte sie mit der anderen die Tuumlr auf raquoBringen Sie mir bitte auch noch eine Tasselaquo

raquoNatuumlrlich kommt sofort Fraumlulein LichtenthallaquoIhr Vater saszlig an seinem Schreibtisch und sah auf als sie

eintrat raquoNa so etwas Planst du einen beruflichen Wech-sellaquo

raquoIn der Tat nur werde ich dann nicht deine Empfangs-damelaquo Marion stellte das Tablett ab und schenkte Kaffee ein Im naumlchsten Moment trat Frau Weiller ein brachte ein zusaumltzliches Gedeck und ein Milchkaumlnnchen

raquoIch weiszlig doch dass Sie Ihren Kaffee nicht schwarz trinkenlaquo sagte sie an Marion gewandt

Nachdem sie gegangen war und die Tuumlr hinter sich ge-schlossen hatte setzte Marion sich ihrem Vater gegenuumlber in einen der beiden Besucherstuumlhle

raquoWas meintest du damit dass du in der Tat einen be-ruflichen Wechsel planstlaquo fragte Dominik Lichtenthal

Marion trank einen weiteren Schluck raquoIch hatte eigent-lich vorgehabt meine Kuumlndigung bei der Chariteacute einzu-reichen wobei das ja nun nicht mehr noumltig ist Ich liebe die Medizin doch der Alltag einer Aumlrztin ist nicht das Richtige fuumlr michlaquo

Das traf ihren Vater vollkommen unerwartet hatte er doch damit gerechnet dass sie in der naumlchsten Zeit ihren Facharzt anstreben wuumlrde raquoSo ploumltzlichlaquo

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raquoIch denke da tatsaumlchlich schon eine ganze Zeit lang druumlber nachlaquo

raquoUnd was willst du stattdessen tun In die Pharmazielaquo Offenbar erinnerte er sich gerade an die paar Semester Che-mie die sie nebenher studiert und waumlhrend derer sie eine kurze Liaison mit einem Chemieprofessor gehabt hatte

raquoNein auch das nichtlaquo Die Kenntnisse in Chemie waren indes durchaus zu etwas gut raquoIch moumlchte bei Mama mitarbeitenlaquo

Unglaumlubig sah ihr Vater sie an raquoDu hast ein komplettes Medizinstudium mit hervorragenden Noten abgeschlos-sen und dann sieht deine Berufswahl so aus Frauen Farbe ins Gesicht zu malenlaquo

Marion musste lachen raquoLass das bloszlig nie Mama houmlren Du weiszligt doch genau dass Kosmetik mehr ist als Frauen Farbe ins Gesicht zu malen Mich interessiert medizini-sche Kosmetik Wie du siehst ist mein Studium nicht vergebens gewesenlaquo

raquoDu kannst doch in die Dermatologie gehenlaquoraquoJa koumlnnte ich Ich koumlnnte aber auch in die Forschung

gehen und medizinische Kosmetik entwickelnlaquoraquoDu koumlnntest auch bei mir in die pharmazeutische For-

schung gehenlaquoraquoDas geht doch Hand in Hand Paps Ich weiszlig dass du

sicher enttaumluscht bist aber helliplaquoraquoNeinlaquo fiel er ihr ins Wort raquoIch bin nicht enttaumluscht

Es ging mir nie darum dass du meine Erwartungen er-fuumlllst sondern stets nur deine eigenen Ich gestehe ich war gluumlcklich als du mir eroumlffnet hast dass du Aumlrztin werden willst aber letzten Endes ist mir am wichtigsten dass du

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zufrieden bist mit dem was du tust Ich bitte dich nur die Entscheidung zu uumlberdenkenlaquo

raquoDu kannst davon ausgehen dass ich das getan habe Ich habe lange und gruumlndlich daruumlber nachgedachtlaquo

raquoWeiszlig deine Mutter bereits davonlaquoraquoNein ich bin zuerst zu dir gekommenlaquoIhr Vater nickte zog seine Zigaretten hervor und

steckte eine an raquoSie wird sich freuen dass du mit ihr zu-sammenarbeiten wirst Und die Taumltigkeit als Aumlrztin laumluft dir ja nicht davon du hast ein abgeschlossenes Studium und kannst jederzeit deinen Facharzt machen wenn du merkst dass das vielleicht doch nicht das Richtige fuumlr dich ist Dir ist aber klar dass du mit medizinischer Kosmetik in Konkurrenz zu deiner Tante Charlotte trittstlaquo

raquoJa durchaus Aber wie sagst du immer Konkurrenz belebt das Geschaumlftlaquo Mit ihrer Tante hatte Marion nur selten Kontakt Auf Feiern lief man sich hin und wieder uumlber den Weg aber damit erschoumlpfte es sich auch schon Im Grunde war das bedauerlich denn Charlottes Tochter Emma war ganz reizend und Marion hatte schon einige interessante Unterhaltungen mit ihr gefuumlhrt wenn sie sich denn mal begegnet waren Auch Emmas Bruder Leopold war sehr freundlich und umgaumlnglich wenngleich er seit dem Krieg verschlossen und in sich gekehrt wirkte Im letzten Jahr hatte er noch an die Front gemusst der arme Kerl Da war sein Vater gerade gestorben und Leopold hatte nicht nur den Verlust zu verkraften gehabt sondern war selbst in dem unheilvollen Mahlwerk des Krieges auf-gerieben worden

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Emma Rudorf saszlig mit einem Buch in der Hand im Wohn-zimmer und houmlrte ihren Bruder heimkommen Den gan-zen Tag war Leopold im Werk von Dr Rudorfs medizi-nische Kosmetik gewesen und an seinem schleppenden Schritt houmlrte Emma wie erschoumlpft er sein musste Ver-mutlich hatte er wieder mit Mutter gestritten und bei dem Gedanken daran wie diese ihm zusetzte packte sie die Wut Sie legte ihr Buch beiseite und stand auf ging in den Flur wo sich Leopold gerade die Schuhe auszog Er sah ihrem Vater aumlhnlich hatte zwar dunkleres Haar aber seine Gesichtszuumlge und er wirkte mit der Brille ein wenig professorenhaft

Als er Emma bemerkte laumlchelte er raquoWie gehtrsquoslaquo fragte er mit gespielter Munterkeit

raquoGut Und dirlaquoraquoViel zu tun Und bei dir Wie war die KlausurlaquoraquoIch denke ich habe bestandenlaquo Emma wuumlrde im

naumlchsten Sommer ihr Chemiestudium abschlieszligenraquoEtwas anderes habe ich auch nicht erwartetlaquoraquoIch habe Abendessen gemacht Kommt Mama auch

gleichlaquoraquoNein sie meinte sie haumltte noch viel zu tunlaquoWie immer Fuumlr Charlotte Rudorf gab es seit dem Tod

ihres Mannes nur noch das Werk sie arbeitete wie beses-sen als koumlnnte das den Schmerz des Verlustes betaumluben Emma hatte sich so oft gewuumlnscht sie wuumlrde daruumlber nicht staumlndig vergessen dass sie zwei Kinder hatte und sich nur dann an sie erinnern wenn es etwas auszusetzen gab Vor allem Leopold war ihr ein fortwaumlhrendes Aumlrgernis

raquoDu warst ein Jahr im Krieglaquo pflegte sie zu sagen

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raquound du bist in einem Stuumlck zuruumlckgekommen Wie lange willst du noch in Truumlbsal versinken anstatt endlich wieder mit beiden Beinen im Leben zu stehenlaquo

Was ihre Mutter Truumlbsal nannte war eine tiefe innere Wunde die der Krieg geschlagen hatte und Emma fragte sich warum sie diese sehen konnte nicht aber die Frau die ihn geboren hatte Dann kamen wieder diese Geschich-ten uumlber all die Kriegsheimkehrer die es auch schafften ihr Leben in den Griff zu bekommen obwohl sie deutlich laumlnger im Krieg aufgerieben worden waren Wie schlimm konnte da das eine Jahr schon gewesen sein Einzig fuumlr Emmas Albtraumlume durch die Bombardierung hatte sie Verstaumlndnis denn diese war zu der Zeit gerade vierzehn Jahre alt gewesen Da spielte wohl auch die Erinnerung mit hinein wie Emma an sie geschmiegt im Keller ge-sessen und gewartet hatte bis die Bombardierung vorbei war waumlhrend sie beide Angst gehabt hatten dass Leopold vielleicht schon tot war

raquoIsst du mit mir zu Abendlaquo fragte er nunraquoKlar ich habe auf dich gewartetlaquoLeopold wuumlrde im Juli vierundzwanzig werden und hatte

sein Pharmaziestudium im letzten Jahr abgeschlossen Er haumltte lieber Maschinenbau studiert war schon seit Kinder-tagen davon fasziniert gewesen Aber es war klar gewesen dass er das Familienwerk erben wuumlrde Allenfalls haumltte er noch Arzt werden koumlnnen um die Praxis ihres Vaters zu uumlbernehmen die nun ein anderer Arzt gemietet hatte

Da sie nur zu zweit waren aszligen sie zwanglos in der Kuumlche und Leopold deckte den Tisch waumlhrend Emma den Brotkorb Butter Kaumlse und Aufschnitt hinstellte und alles

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in den Dosen belieszlig was ihre Mutter stets als mangelnde Esskultur bezeichnete Emma hingegen war es zu viel Auf-wand jetzt alles auf Tellern anzuordnen nur um dann das meiste wieder zuruumlckzufuumlllen und wegzuraumlumen und mehr zum Abspuumllen zu haben Sie lieszlig sich ihrem Bruder gegen-uumlber am Tisch nieder Im Gegensatz zu ihrer Mutter hatte Emma bislang keine groszligen beruflichen Ambitionen ge-habt sie studierte Chemie allein aus dem Grund weil es sie interessierte aber sie hatte keine konkreten Plaumlne da-ruumlber hinaus ndash ein staumlndiges Aumlrgernis fuumlr Charlotte Ru-dorf Emmas Plan war gewesen zum Zeitvertreib etwas zu studieren das ihr Spaszlig machte und danach zu heiraten Im Laufe des Studiums hatte sich ihr Interesse allerdings ge-wandelt In der Fakultaumlt war sie hin und wieder ihrer Cou-sine Marion uumlber den Weg gelaufen die mit einem von Emmas Professoren ausgegangen war und sie fand sie glei-chermaszligen interessant wie inspirierend Sie hatte sogar kurz mit dem Gedanken gespielt sich im Pharmakonzern Lich-tenthal zu bewerben aber da haumltte vermutlich eine Andeu-tung gereicht und ihre Mutter waumlre die Waumlnde hochge-gangen Mit ihrer Schwester Helena hatte sie sich schon vor Jahren entzweit und eine Annaumlherung war nicht in Sicht

Beim Essen plauderten sie uumlber Allgemeines Leopold zog sie mit einem Dozenten auf von dem sie ndash seiner Mei-nung nach ndash verdaumlchtig oft sprach Daraufhin erinnerte sie an die Verkaumluferin aus dem KaDeWe mit der er fortwaumlh-rend ausging ohne dass die Sache von der Stelle kam Spauml-ter raumlumten sie zusammen ab erledigten den Abwasch und wollten gerade ins Wohnzimmer gehen um das Radio ein-zuschalten als ihre Mutter die Wohnungstuumlr aufschloss

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raquoGuten Abendlaquo Charlotte Rudorf sah muumlde aus und Emma ging zu ihr um ihr den Mantel abzunehmen und ihn an die Garderobe zu haumlngen

raquoSoll ich das Abendessen wieder auf den Tisch stellenlaquo fragte Emma

raquoNein lass nur ich habe im Werk eine Kleinigkeit ge-gessenlaquo

So war es fast jeden Abend im Grunde genommen aszligen sie nur noch am Wochenende regelmaumlszligig zusammen und fanden sich ansonsten morgens zu einem raschen Fruumlh-stuumlck in der Kuumlche ein Ihre Mutter wechselte einen kur-zen Blick mit Leopold aus dem klar ersichtlich wurde dass die beiden noch vor gar nicht langer Zeit gestritten hatten ndash ganz so wie von Emma vermutet Nun jedoch zeigte sich ein zoumlgerliches Laumlcheln auf den Lippen Char-lotte Rudorfs und auch das war typisch Zum Abend hin legte sie Streit gerne bei mochte es nicht unversoumlhnt schlafen zu gehen

Im Wohnzimmer schalteten sie das Radio ein Emma houmlrte nur mit halbem Ohr hin und hatte ihr Buch wie-der aufgeschlagen war aber auch hier nicht bei der Sache Schlieszliglich gab sie es auf und beschloss noch ein wenig spazieren zu gehen

raquoUm diese Uhrzeitlaquo fragte ihre Mutter die gerade mit einer Tasse Kraumlutertee ins Wohnzimmer trat

raquoEs ist kurz nach achtlaquoNun blickte auch Leopold auf sah sie an als witterte er

hinter ihrem Wunsch eine tiefere WahrheitraquoEs ist nur ein Spazierganglaquo sagte sie und haumltte am

liebsten die Augen verdreht raquoMir geht so viel im Kopf

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herum und ich kann meine Gedanken beim Gehen am besten sortierenlaquo

raquoWie war eigentlich deine Klausurlaquo wollte ihr Mut-ter nun wissen

raquoGut denke ichlaquo Emma ging in den Flur nahm einen leichten Mantel vom Haken legte sich einen Seidenschal um und warf noch einen kurzen Blick in den Spiegel Seit kurzem trug sie ihr hellbraunes Haar knapp schulterlang und in groszlige Locken gelegt die sie mit einer Spange seit-lich zuruumlckhielt Jetzt zupfte sie ein wenig daran herum bis sie schlieszliglich zufrieden war und verlieszlig die Wohnung Sie wohnten in der ersten Etage direkt uumlber der Arztpraxis die Wohnung im zweiten Stock stand derzeit leer Fruumlher einmal hatte Emmas Groszligmutter dort gewohnt aber sie lebte bereits seit fast dreiszligig Jahren bei ihrer Tochter erst in Hamburg und seit kurz vor dem Krieg in Muumlnchen da der Ehemann von Emmas Tante dorthin versetzt worden war Leider kam sie nur noch selten zu Besuch da lange Reisen sie zu sehr anstrengten Emma bedauerte das denn sie mochte ihre Groszligmutter die auch mit achtzig noch ruumlstiger und scharfsinniger war als manch junge Frau die Emma kannte

Es daumlmmerte bereits und die langen Schatten des spauml-ten Nachmittags waren ineinandergekrochen verdichte-ten sich langsam und entfaumlrbten den Tag zu einem lich-ten Grau Seit zwei Jahren stellte man die Uhren nicht mehr zur Sommerzeit um und anfangs war es ungewohnt gewesen dass die Sommertage nun um eine Stunde kuumlr-zer waren aber man gewoumlhnte sich daran Waumlhrend des Krieges hatte es eine Zeit gegeben in der fortwaumlhrend

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Sommerzeit gegolten hatte und man die Uhren uumlberhaupt nicht mehr umstellte irgendwann war ein konzeptloses Wechseln erfolgt Dann war die Regelung durch die Besat-zungsmaumlchte wieder geaumlndert worden und sie bestimm-ten eine Umstellung auf die Sommerzeit ndash wobei diese in der sowjetischen Besatzungszone Berlins 1945 ganze zwei Monate laumlnger gedauert hatte Jetzt endlich hatte die Regierung sich auf eine einheitliche Zeit festgelegt die fuumlr das gesamte Jahr galt ndash die Ruumlckkehr zur Normalzeit Emma hoffte dass das so blieb

Als sie durch die Straszlige spazierte hier und da einen heimkehrenden Nachbarn oder Bekannten gruumlszligte ndash die Tochter des Herrn Doktor kannte man im gesamten Vier-tel ndash fiel ihr ein Mann auf der gerade ein Haus verlieszlig sich noch einmal umdrehte einem weiteren Mann der in der offenen Tuumlr stand etwas sagte und dann durch den Vorgarten schritt und auf sein Auto zuging Dominik Lichtenthal Emma blieb stehen sah ihn an wusste nicht ob sie zu ihm gehen und houmlflich gruumlszligen oder ihn ignorie-ren sollte Er nahm ihr die Entscheidung ab als er sie be-merkte kurz stutzte als muumlsste er ihr Gesicht erst einem Namen zuordnen und sie dann anlaumlchelte

raquoGuten Abend Emma Wie geht es dirlaquoSie ging auf ihn zu raquoSehr gut vielen Danklaquo Sie wusste

nie so recht ob sie ihn duzen sollte oder nicht denn einer-seits war er ein Fremder andererseits aber der Ehemann ihrer Tante und damit praktisch ihr Onkel

raquoIch habe gehoumlrt du studierst ChemielaquoraquoJa ich werde diesen Sommer fertiglaquoraquoUnd dann geht es in den Konzern deiner Mutterlaquo

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Unschluumlssig hob Emma die Schultern raquoAch das weiszlig ich noch gar nichtlaquo

Dominik Lichtenthal schloss seinen Wagen auf raquoWenn du dich lieber auf dem freien Markt umsehen moumlchtest sag Bescheid ich kann faumlhige Chemiker immer gebrau-chenlaquo

Es war schon fast skurril dass Emma diesen Gedanken erst vor kurzem gehegt hatte und ihn nun ausgesprochen houmlrte Da sie nicht rundheraus ablehnen wollte dankte sie ihm und nachdem sie ihm gesagt hatte er moumlge seine Familie von ihr gruumlszligen stieg er in seinen Wagen und fuhr los Im Grunde genommen war das doch albern dass ihre Mutter immer noch nichts mit ihrer Schwester zu tun haben wollte Emma kannte die alte Geschichte und natuumlr lich war es hart auf einen Schlag sein gesam-tes Erbe zu verlieren und die unvermittelt aufgetauchte fremde Schwester als einzige Gewinnerin in dieser Situa-tion zu sehen aber das Ganze war jetzt gut fuumlnfundzwan-zig Jahre her irgendwann musste es doch mal gut sein Und es war ja nun wahrlich nicht so als wuumlrde der Besitz des Hauses in der Friedrichstraszlige noch einen nennenswer-ten Unter schied im Vermoumlgen ihrer Mutter machen Im Gegenteil ndash waumlre sie dort geblieben haumltte sie es vielleicht nie so weit gebracht

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Juni 1952

Die einstmals goldene Zeit merkte man der ehemaligen Amuumlsiermeile auf der Friedrichstraszlige nicht mehr an und Helena verspuumlrte jedes Mal beim Besuch ihres Schoumlnheits-salons diesen Stich des Bedauerns Als sie in den Zwan-zigern hier angekommen war hatte das Leben pulsiert mit Autos Bussen Bahnen Fuszliggaumlngern Radfahrern und noch vereinzelten Droschken Die Kreuzung an der Leip-ziger Straszlige war ein so verkehrsreicher Knotenpunkt ge-wesen dass es fuumlr die aus der Provinz stammende Helena anfangs schon eine Herausforderung gewesen war lebend von einer Straszligenseite auf die andere zu gelangen

Nach dem Krieg war die Straszlige eine von Ruinen ge-saumlumte Schuttwuumlste geworden und auch wenn die Truumlm-mer in weiten Teilen fortgeraumlumt waren so erinnerte doch nur wenig an fruumlher Helena hatte mehrfach uumlberlegt den Schoumlnheitssalon einfach aufzugeben aber das brachte sie nicht uumlber sich Vielleicht normalisierte sich hier ja alles irgendwann wieder das konnte doch nicht ewig so blei-ben Ihr Schoumlnheitssalon in der Friedrichstraszlige befand sich im Amerikanischen Sektor der in Berlin-Mitte gehoumlrte nun zur DDR ihr Werk wiederum zum Franzoumlsischen

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Sektor Dominiks sowie ihr Wohnsitz lagen im Britischen Sektor Das war doch auf Dauer kein Zustand Den Salon in Berlin-Mitte hatte sie aufgeben muumlssen und sie sah sich bereits nach Alternativen um

Als Helena in den Salon trat kam ihr Ida ndash fruumlher Wag-ner jetzt Zeller ndash entgegen raquoKaffeelaquo

raquoUnbedingtlaquo Helena haumlngte ihren Mantel an die Gar-derobe und betrat den Salon Es war noch fruumlh und sie wuumlrden erst in einer halben Stunde oumlffnen Ida hatte schon in den Dreiszligigern die Leitung des Salons uumlbernommen als Helena damit beschaumlftigt gewesen war einen weiteren in Berlin-Mitte zu eroumlffnen

raquoWie geht es den MaumldchenlaquoHelena setzte sich in einen der bequemen Besucher-

stuumlhle wo die Frauen sich bei einer Tasse Kaffee oder Tee und etwas Gebaumlck entspannen konnten raquoMarion faumlngt bei mir im Werk an der Termin steht jetztlaquo Das war Schock und freudige Uumlberraschung zugleich gewesen und Helena wusste selbst nicht ob ihre Bestuumlrzung oder ihre Freude uumlberwog Natuumlrlich hatte sie gehofft dass Marion als Aumlrztin praktizierte immerhin hatte sie stu-diert und damit ein klares Ziel vor Augen gehabt Ande-rerseits freute es sie dass ihre Tochter Interesse an ihrem Unternehmen zeigte ndash und nicht an Dominiks wie eine kleine nicht zu unterdruumlckende Stimme des Triumphs in ihr betonte raquoUnd Fanny schlieszligt das Schuljahr mit sehr guten Noten ablaquo

raquoMathematik macht ihr wieder SpaszliglaquoraquoNachdem Ferdinands Ehefrau es ihr erklaumlrt hat was

ihr unfaumlhiger Lehrer offenbar nicht hinbekommtlaquo Fer-

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dinand war der Patenonkel beider Toumlchter und seine Frau eine begabte Mathematikerin

Die Schwangerschaft mit Fanny hatte Helena seinerzeit einen gehoumlrigen Schrecken eingejagt All die Jahre hatte sie es erfolgreich vermieden zu empfangen und dann als die Welt am Abgrund stand kuumlndigte sich neues Leben an Schlimm genug mitanzusehen wie Marion bereits in der Schule darauf vorbereitet wurde in den BDM einzu-treten da wollte sie diesem System nicht noch ein Kind schenken Es war Rudolf Liliengrund gewesen dem Fanny es zu verdanken hatte dass Helena keinen Abbruch hatte vornehmen lassen

raquoGerade in diesen Zeiten sollten die Anstaumlndigen sich vermehrenlaquo

Ihr lieber Rudolf der seine gesamte Familie verloren und selbst nur knapp und unter Entbehrungen die Flucht geschafft hatte weil er zu lange gezoumlgert geglaubt hatte es wuumlrde alles gut werden Und so hatte Helena Fanny aus-getragen hatte schon in der Schwangerschaft eine so innige Beziehung zu dem Kind gehabt wie sie es sich nicht hatte vorstellen koumlnnen Es war ganz anders als mit Marion zu der sie erst eine enge Bindung hatte aufbauen koumlnnen als diese bereits ein Kleinkind gewesen war Waumlhrend Marion von Geburt an ein Papakind war so war Fanny von Geburt an ganz und gar ihre Tochter Helena hatte sie sogar mit zur Arbeit genommen weil sie sich nicht von ihr trennen mochte hatte sie im Buumlro gestillt und in der Wiege neben sich schlafen lassen Undenkbar dieses Baby jemand ande-rem anzuvertrauen Dabei liebte sie Marion nicht weniger und sie verstand auch im Nachhinein nicht warum sie bei

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beiden Kindern schon in der Schwangerschaft so unter-schiedlich empfunden hatte

raquoDu solltest endlich aufhoumlren das zu hinterfragenlaquo hatte ihre beste Freundin Irene Danelius gesagt raquoEs ist jetzt wie es ist Freu dich einfach Gerade jetzt haben wir alle wahrhaftig Probleme genug da muss man nicht auch noch welche hinzuredenlaquo

Als im November 1938 die Synagogen brannten hatte Irene das Land verlassen raquoIch komme zuruumlck wenn der Irrsinn vorbei istlaquo hatte sie gesagt und war nach Amerika gegangen Dort war sie zur Filmgroumlszlige geworden hatte einen bekannten Produzenten geheiratet und lebte nach wie vor in den Vereinigten Staaten Helena vermisste sie immer noch sehr und war auch schon einmal mit ihrer Familie in New York gewesen um sie zu besuchen

raquoFahrt ihr diesen Sommer weglaquo fragte Ida und setzte sich nun ebenfalls

raquoAuf jeden Fall fuumlr zwei Wochen zu meiner Mutter Und von da aus vielleicht weiter in Richtung Schweizlaquo Vor allem auf die Zeit bei ihrer Mutter freute sich Helena das waren jedes Mal schoumlne Tage mit all den fruumlheren Freunden und Bekannten sowie mit der Baronin fuumlr die sie und ihre Mutter fruumlher gearbeitet hatten und bei der ihre Mutter nun den Altersruhesitz hatte Fuumlr Helenas Familie standen immer Gaumlstezimmer bereit Ein wenig behandelte man sie dort wie eine Prominente die Dienst-botentochter die es in der Weltmetropole zu etwas ge-bracht hatte mit einem reichen Mann verheiratet war und mit Filmstars verkehrte

Kurz darauf trafen die uumlbrigen Mitarbeiterinnen ein

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und dann kamen auch schon die ersten Kundinnen Helena unterhielt sich mit einigen der Damen beriet hier und da persoumlnlich und machte sich dann auf den Weg ins Werk Unmittelbar nach dem Krieg war es schwierig gewesen die Rohstoffe fuumlr die Produktion von Kosmetik aufzutrei-ben vielfach waren sie nur zu Schwarzmarktpreisen zu be-kommen Viele Rohstoffe wurden in der Pharmaindustrie dringender benoumltigt und natuumlrlich hatte die medizini-sche Versorgung Vorrang vor der kosmetischen Gerade nach dem Krieg hatten sie alle andere Sorgen gehabt wes-halb Helenas Werk voruumlbergehend die Produktion um-stellte und der chemischen Industrie zuarbeitete waumlhrend die Schoumlnheitssalons Obdachlosen offenstanden Erst vier Jahre nach Kriegsende als der Hungerwinter vorbei war und die Menschen durch die Waumlhrungsreform wieder uumlber Geld verfuumlgten hatte Helena Kosmetikherstellung und Schoumlnheitsbehandlungen wieder aufgenommen

Im Werk ging Helena direkt in ihr Buumlro und sah sich Werbeentwuumlrfe an Sie liebte ihre Arbeit und sie machte ihr nach wie vor Spaszlig allerdings fehlte ihr die Heraus-forderung Die Kosmetik entwickelte sich stetig weiter und mittlerweile war Forschung und Entwicklung eine eigene Abteilung in ihrem Unternehmen Natuumlrlich freute sie sich daruumlber aber sie vermisste die Zeiten in denen sie selbst in ihrer Fertigung gesessen und experimentiert hatte Vielleicht war es wirklich gut dass Marion hier demnaumlchst etwas frischen Wind hereinbringen wuumlrde Wie wohl Charlotte darauf reagierte dass Helena ihr nun Konkurrenz machen wuumlrde

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Emma houmlrte den Streit bis ins Wohnzimmer Ihre Mutter hielt Leopold vor er naumlhme die Arbeit nicht ausreichend ernst und bringe sich zu wenig ein Wie er bei dem Ge-schaumlftstermin am Vortag nur dagesessen und auf einmal zu zittern begonnen habe Wenn es nicht anders ging dann solle er eben seine Medikamente wieder nehmen Und ndash verdammt noch mal ndash endlich mehr Nervenstaumlrke zei- gen

Auch an diesem Morgen hatte es schon wieder damit begonnen dass Leopold beim Fruumlhstuumlck sehr still gewe-sen war was fuumlr Emma immer ein Zeichen fuumlr schlimme Traumlume war Auf Ausfuumlhrungen ihrer Mutter zu dem heu-tigen Arbeitstag hatte er nur genickt was diese wiederum zu dem Schluss kommen lieszlig dass er sich nur unzurei-chend interessierte Uumlberhaupt habe er keine innovativen Ideen arbeite den Tag ab ohne echtes Interesse zu zeigen an dem was er tat Irgendwann war ein handfester Streit ausgebrochen der auch dann noch anhielt als Emma das Esszimmer verlassen hatte und nun in der Kuumlche den Ab-wasch machte Schlieszliglich hielt sie es nicht mehr aus lief ins Esszimmer zuruumlck

raquoWas willst du eigentlichlaquo fuhr sie ihre Mutter an raquoEr tut doch alles was er solllaquo

raquoEmma lass nurlaquo sagte Leopold raquoIch mache helliplaquoraquoNein ich lasse es nicht Koumlnnen wir nicht mal einen

Morgen friedlich verbringen wie andere Familien auch Muss hier immer den ganzen Tag uumlber Streit herrschen und abends gehen wir dann versoumlhnt schlafen Wozu Um am naumlchsten Tag wieder loszulegen Das ist doch nicht mehr auszuhaltenlaquo

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raquoWie redest du eigentlich mit mirlaquo Die Stimme ihrer Mutter war ganz kalt geworden bar jeder Emotion

raquoIch helliplaquo Die aufbrausende Wut fiel von Emma ab und sie wusste nicht mehr was sie nun sagen sollte raquoIch hellip ich habe heute keine Uni und wollte ohnehin fragen ob ich mit ins Werk kannlaquo Der Einfall war ihr gerade erst ge-kommen raquoIch koumlnnte Leo zuarbeiten und so schon einmal Einblicke bekommenlaquo

Die frostglitzernde Wut im Blick ihrer Mutter schmolz zu Uumlberraschung raquoAch waslaquo

raquoIch habe mir lange uumlberlegt was ich mit meinem Che-miestudium machelaquo

raquoHeiszligt das es steht nicht zu erwarten dass du dich nun nach einer passenden Partie umsiehstlaquo Fuumlr jemanden der selbst gluumlcklich verheiratet gewesen war zeigte ihre Mut-ter eine sehr ablehnende Haltung zu Emmas Eheplaumlnen

raquoNoch ist ja niemand in Aussicht nicht wahrlaquo ver-setzte Emma der Hoffnung einen Daumlmpfer

Ihre Mutter schien damit zufrieden zu sein raquoSchoumln dann beeil dich wir brechen gleich auflaquo

Sie und Leopold fuhren in der Regel gemeinsam los und Leopold lieszlig dann den Wagen fuumlr sie im Werk und kehrte puumlnktlich zum Buumlroschluss mit der Bahn nach Hause zu-ruumlck Das tat er vermutlich vor allem aus dem Grund weil er den Abstand brauchte

raquoIch habe uumlbrigens gehoumlrt dass Marion in der Chariteacute aufhoumlrtlaquo erzaumlhlte Emma als sie auf der Ruumlckbank des Wagens Platz genommen hatte

raquoWelche Marionlaquo fragte ihre Mutter und Emma haumltte gerne gewusst ob sie das wirklich nicht wusste

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raquoUnsere CousinelaquoraquoUnd warum sollte es mich interessieren was diese Per-

son tutlaquoraquoWeil sie deine Nichte ist moumlglicherweiselaquoVon hinten konnte Emma das Schulterzucken sehenraquoAuf jeden Fall heiszligt es sie wollte in das Unternehmen

von Tante Helena einsteigenlaquo Mit einiger Befriedigung bemerkte Emma dass ihre Mutter bei dieser persoumlnlichen Bezeichnung kaum merklich zusammenzuckte

raquoIn der TatlaquoraquoSie hat einige Semester Chemie studiert das hatte ich

doch erzaumlhltlaquoraquoJa hattest du Auch dass sie es mit deinem Chemie-

professor getrieben hatlaquoraquoMutterlaquo kam es von LeopoldraquoDas habe ich nie gesagtlaquo Emma lehnte sich vor als

koumlnne sie ihren Worten damit mehr Nachdruck verleihen raquoIch sagte sie gehen miteinander auslaquo

raquoWenn sie nach ihrer Mutter kommt gibt es das eine nicht ohne das andere Gerne auch zum Nachteil der eigenen Familie Sind deine Noten bei besagtem Profes-sor nicht danach schlechter gewordenlaquo

raquoDas war bei Professor Guenther nicht bei Professor Hellweg mit dem Marion aus war Meine Guumltelaquo Emma hatte langsam genug Dieser sture verbohrte Zorn ihrer Mutter war nicht mehr zu ertragen Mit Ende vierzig konnte sie sich auf jeden Fall noch nicht mit Altersstarr-sinn herausreden raquoHoumlr zu wenn das hier jeden Morgen der Beginn meines Arbeitstages wird sag es direkt dann reicht mir der einmalige Ausflug in dein Unternehmen

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und ich bewerbe mich morgen beim Pharmaunternehmen Lichtenthallaquo

Ihre Mutter fuhr herum raquoDas wagst du nichtlaquoraquoLass es gerne darauf ankommenlaquoLange sah ihre Mutter sie an dann zuckte es um ihre

Lippen Widerspruchsgeist gefiel ihr und sie schien auf einmal versoumlhnt Emma wuumlrde bleiben wuumlrde es allein um Leopolds willen tun Vielleicht wuumlrde es leichter fuumlr ihn mit ihr an seiner Seite

Das ehemalige Werksgelaumlnde hatte in Berlin-Oberschouml-neweide gestanden aber sie waren noch vor dem Krieg um-gezogen was sich als richtige Entscheidung erwiesen hatte wenngleich zu der Zeit noch niemand hatte wissen koumlnnen dass dieser Stadtteil unter sowjetische Verwaltung gestellt werden wuumlrde Das jetzige Werk stand in Berlin-Tempel-hof im Amerikanischen Sektor und hatte im Krieg ebenfalls gelitten Sie fuhren durch das Tor und Leopold parkte den Wagen auf der dafuumlr vorgesehenen Flaumlche auf der weitere Autos Motorraumlder und Mopeds standen

Ihre Mutter begleitete sie bis in die Etage in der sich die Raumlumlichkeiten der Geschaumlftsfuumlhrung befanden dann ging sie in ihr Buumlro waumlhrend Emma Leopold in seines be-gleitete

raquoWeiszligt dulaquo sagte er als er auf einen der Stuumlhle wies raquodu musst das nicht tunlaquo

raquoWas meinst dulaquo Emma lieszlig sich auf der Besucherseite seines Schreibtischs nieder

raquoDas weiszligt du genau Mich hierher zu begleiten ob-wohl du nie im Sinn hattest in der Firma zu arbeiten Du musst mich nicht vor Mutter beschuumltzenlaquo

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raquoDas tue ich doch gar nichtlaquoLeopold antwortete nicht ging nur zur Tuumlr oumlffnete sie

und rief in das gegenuumlberliegende Zimmer der beiden Sekretaumlrinnen dass man ihm und seiner Schwester bitte Kaffee bringen moumlge raquoEs war nie dein Plan hier zu ar-beitenlaquo

raquoPlaumlne koumlnnen sich aumlndernlaquoraquoVon einem Tag auf den anderenlaquoraquoJa warum denn nicht Und wer sagt uumlberhaupt dass

es so abrupt war Vielleicht denke ich ja schon laumlnger da-ruumlber nach und habe dir einfach noch nichts erzaumlhltlaquo Emma zog einen Bleistift aus dem Stiftebecher und drehte ihn zwischen den Fingern raquoUumlbrigens hat mir Dominik Lichtenthal ein Stellenangebot gemachtlaquo Gespannt be-obachtete sie Leopolds Reaktion

raquoWannlaquoraquoIch bin ihm mal abends beim Spaziergang begegnetlaquoraquoUnd da hat er dir ndash ohne dich und deine Befaumlhigung

so recht zu kennen ndash eine Stelle angebotenlaquoraquoWir haben uns kurz unterhalten und er weiszlig dass ich

Chemie studiere Da meinte er wenn ich nicht fuumlr Mutter arbeiten wolle solle ich mich bei ihm melden er koumlnne faumlhige Chemiker immer gebrauchenlaquo

raquoMutter enterbt dich wenn du das tustlaquoraquoDas waumlre nicht so schlimm denn dann erbst du alles

und wirst mir meinen Teil einfach auszahlenlaquoraquoIst das solaquoraquoNatuumlrlichlaquo Emma zog ihre Zigaretten hervorraquoDu willst doch wohl hier nicht rauchenlaquoAnstelle einer Antwort steckte sie sich eine Zigarette

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zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

bei Lichtenthal in Aussicht und einem groszligzuumlgigen Bru-der der dir deinen Erbanteil abtrittlaquo

Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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Haushalt ertraumlgt keine zwei Maumlnner erst recht nicht wenn einer davon sein Revier markiertlaquo

Der Hund hatte sich auf die Hinterbeine gesetzt und sie angesehen Als Helena sich abgewandt hatte war der Hund ihr gefolgt und hinter ihr die Treppe hochgelau-fen In der Eingangshalle war ihr Dominik entgegenge-kommen

raquoMortimer wohnt jetzt hierlaquo hatte sie ihm erklaumlrt und dabei war es geblieben

Der Hund war nur noch wenig gewachsen ging ihr bis zur Mitte der Wade war kompakter als Estelle und auch frecher Zur Arbeit nahm Helena ihn nie mit er verbrachte viel Zeit mit Fanny sah auch jetzt auf als sie den Salon betrat die Leine in der Hand Sofort sprang der Hund auf und lief schwanzwedelnd zu ihr was mit dem kleinen Stummelschwanz immer sehr drollig aussah

raquoWir gehen noch eine Rundelaquo erklaumlrte sieraquoEine Rundelaquo betonte Helena raquoOhne Umwege oder

heimliche TreffenlaquoEin Schatten flog uumlber das Gesicht ihrer Tochter und

Helena hob eine BraueraquoJa eine Rundelaquo sagte Fanny so uumlberdeutlich dass man

es schon fast patzig nennen konnte Sie beugte sich zu Mortimer und befestigte die Leine am Halsband

Fanny fand es in houmlchstem Maszlige anstrengend dass ihre Eltern sie fortwaumlhrend wie ein Kind behandelten Da war Lukas ganz anders er behandelte sie wie eine junge Frau Ihre Eltern hingegen bezeichneten Lukas der immerhin im kommenden Jahr das Abitur machen wuumlrde als Halb-

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wuumlchsigen kaum mehr als ein Knabe Dabei wuumlrde er im Herbst achtzehn werden Ihr Vater hatte ihn sogar als un-verschaumlmten Bengel bezeichnet als sei er noch ein Kind

Mit Mortimer an der Leine verlieszlig sie das Haus und atmete auf als sie drauszligen war Zwei Wochen Hausar-rest das war doch nicht auszuhalten Sie schritt rasch aus atmete die fruumlhlingsmilde Luft ein in der schon die Vor-boten des Sommers lagen Mortimer blieb stehen schnup-perte hob einmal das Bein und lief dann wieder forsch vor-weg Aufmerksam sah Fanny sich um verlangsamte den Schritt als sie auf die Straszligenecke zuging Und da stand er wartete wie stets um diese Uhrzeit auf sie Fannys An-gespanntheit zerschmolz in einem Laumlcheln und sie ging nun wieder schneller raquoIch hatte schon befuumlrchtet deine Eltern verpassen dir auch Hausarrestlaquo

Lukas hatte sich eine Zigarette in den Mund gesteckt und zuckte laumlssig mit den Schultern raquoMein Vater hat he-rumlamentiert von wegen Schule und Verantwortung und ich hab so getan als wuumlrdrsquos mich interessieren aber das warrsquos dann auch schon Hier magst dulaquo Er hielt ihr seine Zigarette hin und Fanny nahm einen Zug obwohl sie den Geschmack scheuszliglich fand Aber sie gab sich laumls-sig und zog noch ein weiteres Mal daran unterdruumlckte da-bei ein Husten

Sie und Lukas trafen sich jeden Tag hier wenn Fanny ihre Hunderunde drehte raquoIch kann heute nur kurzlaquo sagte sie raquoEin Wunder dass meine Mutter mich uumlberhaupt rausgelassen hatlaquo

raquoImmerhin hast du es geschafft Schrecklich dass sie dich so kontrollieren Da ist es gut dass du den Hund hast

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da bietet sich immer ein Vorwandlaquo Lukas sah Mortimer an und blieb auf Abstand Einmal hatte er den Versuch ge-macht den Hund zu streicheln und Mortimer hatte nach ihm geschnappt Das hatte Fanny erschreckt denn an sich war er der liebste Hund den man sich vorstellen konnte raquoDas hat er noch nie getanlaquo hatte sie beteuert

raquoDas ist ganz normal bei diesen Winzlingenlaquo hatte Lukas geantwortet raquoDie sind immer so giftig vermut-lich weil sie sich minderwertig fuumlhlen Ein echter Hund beginnt ab Kniehoumlhelaquo

Das hatte Fanny ihm uumlbelgenommen aber er hatte sich entschuldigt und betont Mortimer habe genau die rich-tige Groumlszlige fuumlr einen Maumldchenhund

Ihre Freundinnen beneideten sie gluumlhend um diesen gutaussehenden Bankierssohn nur ihre beste Freundin Nele mochte ihn nicht und nannte ihn einen groszligspuri-gen Angeber raquoVertrau dem Urteil deines Hundeslaquo hatte sie gesagt Das blieb ein Streitpunkt zwischen ihnen ob-wohl Nele in manchem was sie sagte durchaus richtiglag Nachdem sie und Lukas in der Schule erwischt worden waren hatte Nele gesagt raquoUm was wetten wir dass nur du den Aumlrger bekommstlaquo

Fanny fand das ziemlich ungerecht denn schlieszliglich hatte Lukas die Grenze uumlberschritten und nicht sie Waumlh-rend sie nebeneinanderher gingen haderte sie mit dem harschen Urteil ihres Vaters uumlber Lukas Wenn er es ihr nicht staumlndig so schwermachen wuumlrde ihn zu sehen waumlren solche Eskapaden ja ganz und gar uumlberfluumlssig Bisher war-tete sie immer noch vergebens auf den ersten Kuss aber es ergab sich einfach nicht die Gelegenheit

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raquoBei Franz Heikamp findet naumlchstes Wochenende eine Party stattlaquo erzaumlhlte Lukas raquoSeine Eltern sind verreist Gehst du mit mir hinlaquo

Ein heftiges Kribbeln stob in Fannys Bauch auf ge-folgt von dem Gefuumlhl der Ernuumlchterung raquoDas erlauben mir meine Eltern nie und noch dazu habe ich Hausarrestlaquo Lukas stieszlig einen entnervten kleinen Pfiff aus und Fanny befuumlrchtete seine Geduld mit ihr arg zu strapazieren raquoEs tut mir leidlaquo fuumlgte sie hinzu

raquoSchon gut ist ja nicht deine Schuld Dann eben ein anderes Mallaquo

Sie haumltte sich gern bei ihm eingehakt wagte es aber nicht denn die Gefahr dass ein Bekannter sie sah war ein-fach zu groszlig und dann konnte sie sich nicht mit einer zu-faumllligen Begegnung herausreden Auch so blieb ihr Blick stets wachsam auf die Straszlige gerichtet Und so entdeckte sie ihren Cousin Erich der im Auto an ihr vorbeifuhr auch gerade noch ehe er sie sehen konnte Fanny unterdruumlckte ein Stoumlhnen Konnte man so viel Pech haben

raquoMein Vetterlaquo sagte sie raquoWenn der uns sieht erfaumlhrt mein Vater das sofortlaquo

Wieder verdrehte Lukas entnervt die Augen raquoWenn du nicht so ein tolles Maumldchen waumlrst wuumlrde mich das hier schwer nervenlaquo

raquoEs tut mir leidlaquoraquoSchon gutlaquo Er lieszlig sich zuruumlckfallen schenkte ihr ein

Laumlcheln bei dem ihr die Knie weich wurden dann drehte er sich um und ging in die entgegengesetzte Richtung davon

Erich war ihr Cousin vaumlterlicherseits und Geschaumlftsfuumlh-

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rer im Pharmaunternehmen Lichtenthal und da er sich mit ihrem Vater ausnehmend gut verstand war sich Fanny sicher er wuumlrde es ihm sofort zutragen wenn er sie mit Lukas gesehen haumltte Seufzend ging Fanny weiter und als sie zu Hause ankam sah sie Erichs Wagen an der Straszlige stehen Sie ging durch das Eingangstor auf die elterliche Villa zu lieszlig Mortimer von der Leine der begeistert uumlber die Einfahrt tollte In der Eingangshalle begegnete sie Erich Er sah Fanny an laumlchelte hob leicht die Brauen und unwillkuumlrlich fragte sie sich ob er sie nicht doch mit Lukas bemerkt hatte Allerdings sagte er kein Wort dazu gruumlszligte nur und fragte was die Schule mache

Marion fuhr mit der Elektrischen ins Werk ihres Vaters Nach und nach erhob sich Berlin aus den Truumlmmern lebte und pulsierte Ganze Straszligenzuumlge waren veraumlndert ehe-mals Vertrautes wirkte fremd und waumlhrend die Erwachse-nen damit beschaumlftigt waren aus den Uumlberbleibseln etwas Neues zu erschaffen waren die klaffenden Ruinen fuumlr die Kinder ein riesiger Abenteuer spielplatz

Berlin war nach dem Krieg von den Alliierten in vier Besatzungszonen aufgeteilt worden wurde von den Sieger-maumlchten Frankreich England USA und der Sowjet union verwaltet und kontrolliert und seither gab es Zonengren-zen ndash Schlagbaumlume Farbmarkierungen an Baumlumen oder weiszlig-gelbe Holzpfosten ndash und wer von einer Zone in die

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naumlchste wollte brauchte mancherorts eine Genehmigung Fuumlr Reisen zwischen der Westzone und der sowjetischen Besatzungszone gab es Interzonenpaumlsse und es waren erste Grenzanlagen auf der Ostseite errichtet worden Stachel-drahthindernisse in Waldgebieten Sperren an Straszligen und dabei blieb es nicht sondern es war im Jahr nach Kriegsende eine Grenzpolizei eingesetzt und sogar der Ge-brauch fuumlr Schusswaffen geregelt worden Die Abrieglung des Ostens war ein Schock fuumlr die Menschen in Berlin

raquoDas kann doch nicht seinlaquo hatte sich Marions Mutter empoumlrt raquoEs war ja ohnehin schon ein Aufwand von einem Teil der Stadt in den anderen zu kommen und jetzt soll man auch noch aufpassen nicht erschossen zu werdenlaquo

Was Marion jedoch weit mehr Sorge bereitete war der Umstand dass seit diesem Tag dem achtundzwanzigs-ten Mai West-Berlin durch die Regierung in der Sow-jetzone vom Umland getrennt wurde Schon an den bei-den Tagen zuvor war die innerdeutsche Demarkationslinie nach Unter zeichnung des Bonner Deutschlandvertrags ab-geriegelt worden und es gab nun einen zehn Meter langen Kontrollstreifen einen fuumlnfhundert Meter langen Schutz-streifen sowie eine fuumlnf Kilometer weite Sperrzone Damit war der bisher geduldete kleine Grenzverkehr eingestellt worden Selbst die Telefonverbindungen zwischen West- und Ost-Berlin waren von der Regierung gekappt wor- den

Marion fragte sich wie es jetzt mit dem Schoumlnheits-salon weitergehen sollte der in Berlin-Mitte lag und so-mit im Teil der Stadt der nun von der Deutschen Demo-kratischen Republik verwaltet wurde Da ihre Mutter das

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Geschaumlft zwar in Ost-Berlin betrieb aber in West-Berlin ihren Wohnsitz hatte war ihr ndash wie vielen anderen Ge-werbetreibenden auch ndash die Gewerbeerlaubnis entzogen worden Wer in West-Berlin lebte aber in einem Betrieb in Ost-Berlin angestellt war ndash so wie Marion in der Cha-riteacute ndash wurde zum Umzug aufgefordert oder entlassen Da-mit sparte Marion sich die Kuumlndigung

Die Straszligen ins Umland wurden gesperrt offen bleiben durften nur jene die von den Alliierten als Zufahrtswege in die Bundesrepublik festgelegt worden waren Fuumlr die Menschen in West-Berlin bedeutete das den Verlust ihrer Besitztuumlmer im Osten Natuumlrlich wurden Passierscheine in Aussicht gestellt aber das bedeutete nicht automatisch dass diese genehmigt wurden Auch der Anhalter Bahnhof war stillgelegt worden es gab keine Zuumlge mehr die aus dem Osten nach West-Berlin fuhren

raquoMittlerweile liegt Italien fuumlr uns naumlher als Potsdamlaquo hatte Helena geschimpft

Auch das Werksgebaumlude von Lichtenthal-Pharma hatte einen Treffer abbekommen als eine Sprenggranate in einen Fluumlgel eingeschlagen hatte Der Bereich war nach wie vor eingezaumlunt und die Bauarbeiten schritten stetig voran Ihr Vater hatte die Gelegenheit genutzt und legte den Fluumlgel etwas weitraumlumiger an was dem Gebaumlude ein asymmetri-sches Aussehen verlieh

Marion warf dem Portier einen Gruszlig zu wechselte ein paar Worte mit den Mitarbeitern an der Rezeption und fuhr dann mit dem Aufzug hinauf in die Chefetage Die Tuumlr zum Vorzimmer stand offen und Marion sah wie die Sekretaumlrin ihres Vaters Frau Weiller sich gerade an-

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schickte mit einem Tablett auf dem Kaffeekanne und Tasse standen die Tuumlr zum Buumlro ihres Vaters zu oumlffnen

raquoDas uumlbernehme ichlaquo bot Marion an und nahm der Frau das Tablett ab raquoIch moumlchte sowieso kurz zu ihmlaquo Waumlhrend sie das Tablett in der einen Hand balancierte druumlckte sie mit der anderen die Tuumlr auf raquoBringen Sie mir bitte auch noch eine Tasselaquo

raquoNatuumlrlich kommt sofort Fraumlulein LichtenthallaquoIhr Vater saszlig an seinem Schreibtisch und sah auf als sie

eintrat raquoNa so etwas Planst du einen beruflichen Wech-sellaquo

raquoIn der Tat nur werde ich dann nicht deine Empfangs-damelaquo Marion stellte das Tablett ab und schenkte Kaffee ein Im naumlchsten Moment trat Frau Weiller ein brachte ein zusaumltzliches Gedeck und ein Milchkaumlnnchen

raquoIch weiszlig doch dass Sie Ihren Kaffee nicht schwarz trinkenlaquo sagte sie an Marion gewandt

Nachdem sie gegangen war und die Tuumlr hinter sich ge-schlossen hatte setzte Marion sich ihrem Vater gegenuumlber in einen der beiden Besucherstuumlhle

raquoWas meintest du damit dass du in der Tat einen be-ruflichen Wechsel planstlaquo fragte Dominik Lichtenthal

Marion trank einen weiteren Schluck raquoIch hatte eigent-lich vorgehabt meine Kuumlndigung bei der Chariteacute einzu-reichen wobei das ja nun nicht mehr noumltig ist Ich liebe die Medizin doch der Alltag einer Aumlrztin ist nicht das Richtige fuumlr michlaquo

Das traf ihren Vater vollkommen unerwartet hatte er doch damit gerechnet dass sie in der naumlchsten Zeit ihren Facharzt anstreben wuumlrde raquoSo ploumltzlichlaquo

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raquoIch denke da tatsaumlchlich schon eine ganze Zeit lang druumlber nachlaquo

raquoUnd was willst du stattdessen tun In die Pharmazielaquo Offenbar erinnerte er sich gerade an die paar Semester Che-mie die sie nebenher studiert und waumlhrend derer sie eine kurze Liaison mit einem Chemieprofessor gehabt hatte

raquoNein auch das nichtlaquo Die Kenntnisse in Chemie waren indes durchaus zu etwas gut raquoIch moumlchte bei Mama mitarbeitenlaquo

Unglaumlubig sah ihr Vater sie an raquoDu hast ein komplettes Medizinstudium mit hervorragenden Noten abgeschlos-sen und dann sieht deine Berufswahl so aus Frauen Farbe ins Gesicht zu malenlaquo

Marion musste lachen raquoLass das bloszlig nie Mama houmlren Du weiszligt doch genau dass Kosmetik mehr ist als Frauen Farbe ins Gesicht zu malen Mich interessiert medizini-sche Kosmetik Wie du siehst ist mein Studium nicht vergebens gewesenlaquo

raquoDu kannst doch in die Dermatologie gehenlaquoraquoJa koumlnnte ich Ich koumlnnte aber auch in die Forschung

gehen und medizinische Kosmetik entwickelnlaquoraquoDu koumlnntest auch bei mir in die pharmazeutische For-

schung gehenlaquoraquoDas geht doch Hand in Hand Paps Ich weiszlig dass du

sicher enttaumluscht bist aber helliplaquoraquoNeinlaquo fiel er ihr ins Wort raquoIch bin nicht enttaumluscht

Es ging mir nie darum dass du meine Erwartungen er-fuumlllst sondern stets nur deine eigenen Ich gestehe ich war gluumlcklich als du mir eroumlffnet hast dass du Aumlrztin werden willst aber letzten Endes ist mir am wichtigsten dass du

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zufrieden bist mit dem was du tust Ich bitte dich nur die Entscheidung zu uumlberdenkenlaquo

raquoDu kannst davon ausgehen dass ich das getan habe Ich habe lange und gruumlndlich daruumlber nachgedachtlaquo

raquoWeiszlig deine Mutter bereits davonlaquoraquoNein ich bin zuerst zu dir gekommenlaquoIhr Vater nickte zog seine Zigaretten hervor und

steckte eine an raquoSie wird sich freuen dass du mit ihr zu-sammenarbeiten wirst Und die Taumltigkeit als Aumlrztin laumluft dir ja nicht davon du hast ein abgeschlossenes Studium und kannst jederzeit deinen Facharzt machen wenn du merkst dass das vielleicht doch nicht das Richtige fuumlr dich ist Dir ist aber klar dass du mit medizinischer Kosmetik in Konkurrenz zu deiner Tante Charlotte trittstlaquo

raquoJa durchaus Aber wie sagst du immer Konkurrenz belebt das Geschaumlftlaquo Mit ihrer Tante hatte Marion nur selten Kontakt Auf Feiern lief man sich hin und wieder uumlber den Weg aber damit erschoumlpfte es sich auch schon Im Grunde war das bedauerlich denn Charlottes Tochter Emma war ganz reizend und Marion hatte schon einige interessante Unterhaltungen mit ihr gefuumlhrt wenn sie sich denn mal begegnet waren Auch Emmas Bruder Leopold war sehr freundlich und umgaumlnglich wenngleich er seit dem Krieg verschlossen und in sich gekehrt wirkte Im letzten Jahr hatte er noch an die Front gemusst der arme Kerl Da war sein Vater gerade gestorben und Leopold hatte nicht nur den Verlust zu verkraften gehabt sondern war selbst in dem unheilvollen Mahlwerk des Krieges auf-gerieben worden

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Emma Rudorf saszlig mit einem Buch in der Hand im Wohn-zimmer und houmlrte ihren Bruder heimkommen Den gan-zen Tag war Leopold im Werk von Dr Rudorfs medizi-nische Kosmetik gewesen und an seinem schleppenden Schritt houmlrte Emma wie erschoumlpft er sein musste Ver-mutlich hatte er wieder mit Mutter gestritten und bei dem Gedanken daran wie diese ihm zusetzte packte sie die Wut Sie legte ihr Buch beiseite und stand auf ging in den Flur wo sich Leopold gerade die Schuhe auszog Er sah ihrem Vater aumlhnlich hatte zwar dunkleres Haar aber seine Gesichtszuumlge und er wirkte mit der Brille ein wenig professorenhaft

Als er Emma bemerkte laumlchelte er raquoWie gehtrsquoslaquo fragte er mit gespielter Munterkeit

raquoGut Und dirlaquoraquoViel zu tun Und bei dir Wie war die KlausurlaquoraquoIch denke ich habe bestandenlaquo Emma wuumlrde im

naumlchsten Sommer ihr Chemiestudium abschlieszligenraquoEtwas anderes habe ich auch nicht erwartetlaquoraquoIch habe Abendessen gemacht Kommt Mama auch

gleichlaquoraquoNein sie meinte sie haumltte noch viel zu tunlaquoWie immer Fuumlr Charlotte Rudorf gab es seit dem Tod

ihres Mannes nur noch das Werk sie arbeitete wie beses-sen als koumlnnte das den Schmerz des Verlustes betaumluben Emma hatte sich so oft gewuumlnscht sie wuumlrde daruumlber nicht staumlndig vergessen dass sie zwei Kinder hatte und sich nur dann an sie erinnern wenn es etwas auszusetzen gab Vor allem Leopold war ihr ein fortwaumlhrendes Aumlrgernis

raquoDu warst ein Jahr im Krieglaquo pflegte sie zu sagen

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raquound du bist in einem Stuumlck zuruumlckgekommen Wie lange willst du noch in Truumlbsal versinken anstatt endlich wieder mit beiden Beinen im Leben zu stehenlaquo

Was ihre Mutter Truumlbsal nannte war eine tiefe innere Wunde die der Krieg geschlagen hatte und Emma fragte sich warum sie diese sehen konnte nicht aber die Frau die ihn geboren hatte Dann kamen wieder diese Geschich-ten uumlber all die Kriegsheimkehrer die es auch schafften ihr Leben in den Griff zu bekommen obwohl sie deutlich laumlnger im Krieg aufgerieben worden waren Wie schlimm konnte da das eine Jahr schon gewesen sein Einzig fuumlr Emmas Albtraumlume durch die Bombardierung hatte sie Verstaumlndnis denn diese war zu der Zeit gerade vierzehn Jahre alt gewesen Da spielte wohl auch die Erinnerung mit hinein wie Emma an sie geschmiegt im Keller ge-sessen und gewartet hatte bis die Bombardierung vorbei war waumlhrend sie beide Angst gehabt hatten dass Leopold vielleicht schon tot war

raquoIsst du mit mir zu Abendlaquo fragte er nunraquoKlar ich habe auf dich gewartetlaquoLeopold wuumlrde im Juli vierundzwanzig werden und hatte

sein Pharmaziestudium im letzten Jahr abgeschlossen Er haumltte lieber Maschinenbau studiert war schon seit Kinder-tagen davon fasziniert gewesen Aber es war klar gewesen dass er das Familienwerk erben wuumlrde Allenfalls haumltte er noch Arzt werden koumlnnen um die Praxis ihres Vaters zu uumlbernehmen die nun ein anderer Arzt gemietet hatte

Da sie nur zu zweit waren aszligen sie zwanglos in der Kuumlche und Leopold deckte den Tisch waumlhrend Emma den Brotkorb Butter Kaumlse und Aufschnitt hinstellte und alles

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in den Dosen belieszlig was ihre Mutter stets als mangelnde Esskultur bezeichnete Emma hingegen war es zu viel Auf-wand jetzt alles auf Tellern anzuordnen nur um dann das meiste wieder zuruumlckzufuumlllen und wegzuraumlumen und mehr zum Abspuumllen zu haben Sie lieszlig sich ihrem Bruder gegen-uumlber am Tisch nieder Im Gegensatz zu ihrer Mutter hatte Emma bislang keine groszligen beruflichen Ambitionen ge-habt sie studierte Chemie allein aus dem Grund weil es sie interessierte aber sie hatte keine konkreten Plaumlne da-ruumlber hinaus ndash ein staumlndiges Aumlrgernis fuumlr Charlotte Ru-dorf Emmas Plan war gewesen zum Zeitvertreib etwas zu studieren das ihr Spaszlig machte und danach zu heiraten Im Laufe des Studiums hatte sich ihr Interesse allerdings ge-wandelt In der Fakultaumlt war sie hin und wieder ihrer Cou-sine Marion uumlber den Weg gelaufen die mit einem von Emmas Professoren ausgegangen war und sie fand sie glei-chermaszligen interessant wie inspirierend Sie hatte sogar kurz mit dem Gedanken gespielt sich im Pharmakonzern Lich-tenthal zu bewerben aber da haumltte vermutlich eine Andeu-tung gereicht und ihre Mutter waumlre die Waumlnde hochge-gangen Mit ihrer Schwester Helena hatte sie sich schon vor Jahren entzweit und eine Annaumlherung war nicht in Sicht

Beim Essen plauderten sie uumlber Allgemeines Leopold zog sie mit einem Dozenten auf von dem sie ndash seiner Mei-nung nach ndash verdaumlchtig oft sprach Daraufhin erinnerte sie an die Verkaumluferin aus dem KaDeWe mit der er fortwaumlh-rend ausging ohne dass die Sache von der Stelle kam Spauml-ter raumlumten sie zusammen ab erledigten den Abwasch und wollten gerade ins Wohnzimmer gehen um das Radio ein-zuschalten als ihre Mutter die Wohnungstuumlr aufschloss

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raquoGuten Abendlaquo Charlotte Rudorf sah muumlde aus und Emma ging zu ihr um ihr den Mantel abzunehmen und ihn an die Garderobe zu haumlngen

raquoSoll ich das Abendessen wieder auf den Tisch stellenlaquo fragte Emma

raquoNein lass nur ich habe im Werk eine Kleinigkeit ge-gessenlaquo

So war es fast jeden Abend im Grunde genommen aszligen sie nur noch am Wochenende regelmaumlszligig zusammen und fanden sich ansonsten morgens zu einem raschen Fruumlh-stuumlck in der Kuumlche ein Ihre Mutter wechselte einen kur-zen Blick mit Leopold aus dem klar ersichtlich wurde dass die beiden noch vor gar nicht langer Zeit gestritten hatten ndash ganz so wie von Emma vermutet Nun jedoch zeigte sich ein zoumlgerliches Laumlcheln auf den Lippen Char-lotte Rudorfs und auch das war typisch Zum Abend hin legte sie Streit gerne bei mochte es nicht unversoumlhnt schlafen zu gehen

Im Wohnzimmer schalteten sie das Radio ein Emma houmlrte nur mit halbem Ohr hin und hatte ihr Buch wie-der aufgeschlagen war aber auch hier nicht bei der Sache Schlieszliglich gab sie es auf und beschloss noch ein wenig spazieren zu gehen

raquoUm diese Uhrzeitlaquo fragte ihre Mutter die gerade mit einer Tasse Kraumlutertee ins Wohnzimmer trat

raquoEs ist kurz nach achtlaquoNun blickte auch Leopold auf sah sie an als witterte er

hinter ihrem Wunsch eine tiefere WahrheitraquoEs ist nur ein Spazierganglaquo sagte sie und haumltte am

liebsten die Augen verdreht raquoMir geht so viel im Kopf

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herum und ich kann meine Gedanken beim Gehen am besten sortierenlaquo

raquoWie war eigentlich deine Klausurlaquo wollte ihr Mut-ter nun wissen

raquoGut denke ichlaquo Emma ging in den Flur nahm einen leichten Mantel vom Haken legte sich einen Seidenschal um und warf noch einen kurzen Blick in den Spiegel Seit kurzem trug sie ihr hellbraunes Haar knapp schulterlang und in groszlige Locken gelegt die sie mit einer Spange seit-lich zuruumlckhielt Jetzt zupfte sie ein wenig daran herum bis sie schlieszliglich zufrieden war und verlieszlig die Wohnung Sie wohnten in der ersten Etage direkt uumlber der Arztpraxis die Wohnung im zweiten Stock stand derzeit leer Fruumlher einmal hatte Emmas Groszligmutter dort gewohnt aber sie lebte bereits seit fast dreiszligig Jahren bei ihrer Tochter erst in Hamburg und seit kurz vor dem Krieg in Muumlnchen da der Ehemann von Emmas Tante dorthin versetzt worden war Leider kam sie nur noch selten zu Besuch da lange Reisen sie zu sehr anstrengten Emma bedauerte das denn sie mochte ihre Groszligmutter die auch mit achtzig noch ruumlstiger und scharfsinniger war als manch junge Frau die Emma kannte

Es daumlmmerte bereits und die langen Schatten des spauml-ten Nachmittags waren ineinandergekrochen verdichte-ten sich langsam und entfaumlrbten den Tag zu einem lich-ten Grau Seit zwei Jahren stellte man die Uhren nicht mehr zur Sommerzeit um und anfangs war es ungewohnt gewesen dass die Sommertage nun um eine Stunde kuumlr-zer waren aber man gewoumlhnte sich daran Waumlhrend des Krieges hatte es eine Zeit gegeben in der fortwaumlhrend

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Sommerzeit gegolten hatte und man die Uhren uumlberhaupt nicht mehr umstellte irgendwann war ein konzeptloses Wechseln erfolgt Dann war die Regelung durch die Besat-zungsmaumlchte wieder geaumlndert worden und sie bestimm-ten eine Umstellung auf die Sommerzeit ndash wobei diese in der sowjetischen Besatzungszone Berlins 1945 ganze zwei Monate laumlnger gedauert hatte Jetzt endlich hatte die Regierung sich auf eine einheitliche Zeit festgelegt die fuumlr das gesamte Jahr galt ndash die Ruumlckkehr zur Normalzeit Emma hoffte dass das so blieb

Als sie durch die Straszlige spazierte hier und da einen heimkehrenden Nachbarn oder Bekannten gruumlszligte ndash die Tochter des Herrn Doktor kannte man im gesamten Vier-tel ndash fiel ihr ein Mann auf der gerade ein Haus verlieszlig sich noch einmal umdrehte einem weiteren Mann der in der offenen Tuumlr stand etwas sagte und dann durch den Vorgarten schritt und auf sein Auto zuging Dominik Lichtenthal Emma blieb stehen sah ihn an wusste nicht ob sie zu ihm gehen und houmlflich gruumlszligen oder ihn ignorie-ren sollte Er nahm ihr die Entscheidung ab als er sie be-merkte kurz stutzte als muumlsste er ihr Gesicht erst einem Namen zuordnen und sie dann anlaumlchelte

raquoGuten Abend Emma Wie geht es dirlaquoSie ging auf ihn zu raquoSehr gut vielen Danklaquo Sie wusste

nie so recht ob sie ihn duzen sollte oder nicht denn einer-seits war er ein Fremder andererseits aber der Ehemann ihrer Tante und damit praktisch ihr Onkel

raquoIch habe gehoumlrt du studierst ChemielaquoraquoJa ich werde diesen Sommer fertiglaquoraquoUnd dann geht es in den Konzern deiner Mutterlaquo

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Unschluumlssig hob Emma die Schultern raquoAch das weiszlig ich noch gar nichtlaquo

Dominik Lichtenthal schloss seinen Wagen auf raquoWenn du dich lieber auf dem freien Markt umsehen moumlchtest sag Bescheid ich kann faumlhige Chemiker immer gebrau-chenlaquo

Es war schon fast skurril dass Emma diesen Gedanken erst vor kurzem gehegt hatte und ihn nun ausgesprochen houmlrte Da sie nicht rundheraus ablehnen wollte dankte sie ihm und nachdem sie ihm gesagt hatte er moumlge seine Familie von ihr gruumlszligen stieg er in seinen Wagen und fuhr los Im Grunde genommen war das doch albern dass ihre Mutter immer noch nichts mit ihrer Schwester zu tun haben wollte Emma kannte die alte Geschichte und natuumlr lich war es hart auf einen Schlag sein gesam-tes Erbe zu verlieren und die unvermittelt aufgetauchte fremde Schwester als einzige Gewinnerin in dieser Situa-tion zu sehen aber das Ganze war jetzt gut fuumlnfundzwan-zig Jahre her irgendwann musste es doch mal gut sein Und es war ja nun wahrlich nicht so als wuumlrde der Besitz des Hauses in der Friedrichstraszlige noch einen nennenswer-ten Unter schied im Vermoumlgen ihrer Mutter machen Im Gegenteil ndash waumlre sie dort geblieben haumltte sie es vielleicht nie so weit gebracht

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Juni 1952

Die einstmals goldene Zeit merkte man der ehemaligen Amuumlsiermeile auf der Friedrichstraszlige nicht mehr an und Helena verspuumlrte jedes Mal beim Besuch ihres Schoumlnheits-salons diesen Stich des Bedauerns Als sie in den Zwan-zigern hier angekommen war hatte das Leben pulsiert mit Autos Bussen Bahnen Fuszliggaumlngern Radfahrern und noch vereinzelten Droschken Die Kreuzung an der Leip-ziger Straszlige war ein so verkehrsreicher Knotenpunkt ge-wesen dass es fuumlr die aus der Provinz stammende Helena anfangs schon eine Herausforderung gewesen war lebend von einer Straszligenseite auf die andere zu gelangen

Nach dem Krieg war die Straszlige eine von Ruinen ge-saumlumte Schuttwuumlste geworden und auch wenn die Truumlm-mer in weiten Teilen fortgeraumlumt waren so erinnerte doch nur wenig an fruumlher Helena hatte mehrfach uumlberlegt den Schoumlnheitssalon einfach aufzugeben aber das brachte sie nicht uumlber sich Vielleicht normalisierte sich hier ja alles irgendwann wieder das konnte doch nicht ewig so blei-ben Ihr Schoumlnheitssalon in der Friedrichstraszlige befand sich im Amerikanischen Sektor der in Berlin-Mitte gehoumlrte nun zur DDR ihr Werk wiederum zum Franzoumlsischen

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Sektor Dominiks sowie ihr Wohnsitz lagen im Britischen Sektor Das war doch auf Dauer kein Zustand Den Salon in Berlin-Mitte hatte sie aufgeben muumlssen und sie sah sich bereits nach Alternativen um

Als Helena in den Salon trat kam ihr Ida ndash fruumlher Wag-ner jetzt Zeller ndash entgegen raquoKaffeelaquo

raquoUnbedingtlaquo Helena haumlngte ihren Mantel an die Gar-derobe und betrat den Salon Es war noch fruumlh und sie wuumlrden erst in einer halben Stunde oumlffnen Ida hatte schon in den Dreiszligigern die Leitung des Salons uumlbernommen als Helena damit beschaumlftigt gewesen war einen weiteren in Berlin-Mitte zu eroumlffnen

raquoWie geht es den MaumldchenlaquoHelena setzte sich in einen der bequemen Besucher-

stuumlhle wo die Frauen sich bei einer Tasse Kaffee oder Tee und etwas Gebaumlck entspannen konnten raquoMarion faumlngt bei mir im Werk an der Termin steht jetztlaquo Das war Schock und freudige Uumlberraschung zugleich gewesen und Helena wusste selbst nicht ob ihre Bestuumlrzung oder ihre Freude uumlberwog Natuumlrlich hatte sie gehofft dass Marion als Aumlrztin praktizierte immerhin hatte sie stu-diert und damit ein klares Ziel vor Augen gehabt Ande-rerseits freute es sie dass ihre Tochter Interesse an ihrem Unternehmen zeigte ndash und nicht an Dominiks wie eine kleine nicht zu unterdruumlckende Stimme des Triumphs in ihr betonte raquoUnd Fanny schlieszligt das Schuljahr mit sehr guten Noten ablaquo

raquoMathematik macht ihr wieder SpaszliglaquoraquoNachdem Ferdinands Ehefrau es ihr erklaumlrt hat was

ihr unfaumlhiger Lehrer offenbar nicht hinbekommtlaquo Fer-

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dinand war der Patenonkel beider Toumlchter und seine Frau eine begabte Mathematikerin

Die Schwangerschaft mit Fanny hatte Helena seinerzeit einen gehoumlrigen Schrecken eingejagt All die Jahre hatte sie es erfolgreich vermieden zu empfangen und dann als die Welt am Abgrund stand kuumlndigte sich neues Leben an Schlimm genug mitanzusehen wie Marion bereits in der Schule darauf vorbereitet wurde in den BDM einzu-treten da wollte sie diesem System nicht noch ein Kind schenken Es war Rudolf Liliengrund gewesen dem Fanny es zu verdanken hatte dass Helena keinen Abbruch hatte vornehmen lassen

raquoGerade in diesen Zeiten sollten die Anstaumlndigen sich vermehrenlaquo

Ihr lieber Rudolf der seine gesamte Familie verloren und selbst nur knapp und unter Entbehrungen die Flucht geschafft hatte weil er zu lange gezoumlgert geglaubt hatte es wuumlrde alles gut werden Und so hatte Helena Fanny aus-getragen hatte schon in der Schwangerschaft eine so innige Beziehung zu dem Kind gehabt wie sie es sich nicht hatte vorstellen koumlnnen Es war ganz anders als mit Marion zu der sie erst eine enge Bindung hatte aufbauen koumlnnen als diese bereits ein Kleinkind gewesen war Waumlhrend Marion von Geburt an ein Papakind war so war Fanny von Geburt an ganz und gar ihre Tochter Helena hatte sie sogar mit zur Arbeit genommen weil sie sich nicht von ihr trennen mochte hatte sie im Buumlro gestillt und in der Wiege neben sich schlafen lassen Undenkbar dieses Baby jemand ande-rem anzuvertrauen Dabei liebte sie Marion nicht weniger und sie verstand auch im Nachhinein nicht warum sie bei

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beiden Kindern schon in der Schwangerschaft so unter-schiedlich empfunden hatte

raquoDu solltest endlich aufhoumlren das zu hinterfragenlaquo hatte ihre beste Freundin Irene Danelius gesagt raquoEs ist jetzt wie es ist Freu dich einfach Gerade jetzt haben wir alle wahrhaftig Probleme genug da muss man nicht auch noch welche hinzuredenlaquo

Als im November 1938 die Synagogen brannten hatte Irene das Land verlassen raquoIch komme zuruumlck wenn der Irrsinn vorbei istlaquo hatte sie gesagt und war nach Amerika gegangen Dort war sie zur Filmgroumlszlige geworden hatte einen bekannten Produzenten geheiratet und lebte nach wie vor in den Vereinigten Staaten Helena vermisste sie immer noch sehr und war auch schon einmal mit ihrer Familie in New York gewesen um sie zu besuchen

raquoFahrt ihr diesen Sommer weglaquo fragte Ida und setzte sich nun ebenfalls

raquoAuf jeden Fall fuumlr zwei Wochen zu meiner Mutter Und von da aus vielleicht weiter in Richtung Schweizlaquo Vor allem auf die Zeit bei ihrer Mutter freute sich Helena das waren jedes Mal schoumlne Tage mit all den fruumlheren Freunden und Bekannten sowie mit der Baronin fuumlr die sie und ihre Mutter fruumlher gearbeitet hatten und bei der ihre Mutter nun den Altersruhesitz hatte Fuumlr Helenas Familie standen immer Gaumlstezimmer bereit Ein wenig behandelte man sie dort wie eine Prominente die Dienst-botentochter die es in der Weltmetropole zu etwas ge-bracht hatte mit einem reichen Mann verheiratet war und mit Filmstars verkehrte

Kurz darauf trafen die uumlbrigen Mitarbeiterinnen ein

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und dann kamen auch schon die ersten Kundinnen Helena unterhielt sich mit einigen der Damen beriet hier und da persoumlnlich und machte sich dann auf den Weg ins Werk Unmittelbar nach dem Krieg war es schwierig gewesen die Rohstoffe fuumlr die Produktion von Kosmetik aufzutrei-ben vielfach waren sie nur zu Schwarzmarktpreisen zu be-kommen Viele Rohstoffe wurden in der Pharmaindustrie dringender benoumltigt und natuumlrlich hatte die medizini-sche Versorgung Vorrang vor der kosmetischen Gerade nach dem Krieg hatten sie alle andere Sorgen gehabt wes-halb Helenas Werk voruumlbergehend die Produktion um-stellte und der chemischen Industrie zuarbeitete waumlhrend die Schoumlnheitssalons Obdachlosen offenstanden Erst vier Jahre nach Kriegsende als der Hungerwinter vorbei war und die Menschen durch die Waumlhrungsreform wieder uumlber Geld verfuumlgten hatte Helena Kosmetikherstellung und Schoumlnheitsbehandlungen wieder aufgenommen

Im Werk ging Helena direkt in ihr Buumlro und sah sich Werbeentwuumlrfe an Sie liebte ihre Arbeit und sie machte ihr nach wie vor Spaszlig allerdings fehlte ihr die Heraus-forderung Die Kosmetik entwickelte sich stetig weiter und mittlerweile war Forschung und Entwicklung eine eigene Abteilung in ihrem Unternehmen Natuumlrlich freute sie sich daruumlber aber sie vermisste die Zeiten in denen sie selbst in ihrer Fertigung gesessen und experimentiert hatte Vielleicht war es wirklich gut dass Marion hier demnaumlchst etwas frischen Wind hereinbringen wuumlrde Wie wohl Charlotte darauf reagierte dass Helena ihr nun Konkurrenz machen wuumlrde

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Emma houmlrte den Streit bis ins Wohnzimmer Ihre Mutter hielt Leopold vor er naumlhme die Arbeit nicht ausreichend ernst und bringe sich zu wenig ein Wie er bei dem Ge-schaumlftstermin am Vortag nur dagesessen und auf einmal zu zittern begonnen habe Wenn es nicht anders ging dann solle er eben seine Medikamente wieder nehmen Und ndash verdammt noch mal ndash endlich mehr Nervenstaumlrke zei- gen

Auch an diesem Morgen hatte es schon wieder damit begonnen dass Leopold beim Fruumlhstuumlck sehr still gewe-sen war was fuumlr Emma immer ein Zeichen fuumlr schlimme Traumlume war Auf Ausfuumlhrungen ihrer Mutter zu dem heu-tigen Arbeitstag hatte er nur genickt was diese wiederum zu dem Schluss kommen lieszlig dass er sich nur unzurei-chend interessierte Uumlberhaupt habe er keine innovativen Ideen arbeite den Tag ab ohne echtes Interesse zu zeigen an dem was er tat Irgendwann war ein handfester Streit ausgebrochen der auch dann noch anhielt als Emma das Esszimmer verlassen hatte und nun in der Kuumlche den Ab-wasch machte Schlieszliglich hielt sie es nicht mehr aus lief ins Esszimmer zuruumlck

raquoWas willst du eigentlichlaquo fuhr sie ihre Mutter an raquoEr tut doch alles was er solllaquo

raquoEmma lass nurlaquo sagte Leopold raquoIch mache helliplaquoraquoNein ich lasse es nicht Koumlnnen wir nicht mal einen

Morgen friedlich verbringen wie andere Familien auch Muss hier immer den ganzen Tag uumlber Streit herrschen und abends gehen wir dann versoumlhnt schlafen Wozu Um am naumlchsten Tag wieder loszulegen Das ist doch nicht mehr auszuhaltenlaquo

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raquoWie redest du eigentlich mit mirlaquo Die Stimme ihrer Mutter war ganz kalt geworden bar jeder Emotion

raquoIch helliplaquo Die aufbrausende Wut fiel von Emma ab und sie wusste nicht mehr was sie nun sagen sollte raquoIch hellip ich habe heute keine Uni und wollte ohnehin fragen ob ich mit ins Werk kannlaquo Der Einfall war ihr gerade erst ge-kommen raquoIch koumlnnte Leo zuarbeiten und so schon einmal Einblicke bekommenlaquo

Die frostglitzernde Wut im Blick ihrer Mutter schmolz zu Uumlberraschung raquoAch waslaquo

raquoIch habe mir lange uumlberlegt was ich mit meinem Che-miestudium machelaquo

raquoHeiszligt das es steht nicht zu erwarten dass du dich nun nach einer passenden Partie umsiehstlaquo Fuumlr jemanden der selbst gluumlcklich verheiratet gewesen war zeigte ihre Mut-ter eine sehr ablehnende Haltung zu Emmas Eheplaumlnen

raquoNoch ist ja niemand in Aussicht nicht wahrlaquo ver-setzte Emma der Hoffnung einen Daumlmpfer

Ihre Mutter schien damit zufrieden zu sein raquoSchoumln dann beeil dich wir brechen gleich auflaquo

Sie und Leopold fuhren in der Regel gemeinsam los und Leopold lieszlig dann den Wagen fuumlr sie im Werk und kehrte puumlnktlich zum Buumlroschluss mit der Bahn nach Hause zu-ruumlck Das tat er vermutlich vor allem aus dem Grund weil er den Abstand brauchte

raquoIch habe uumlbrigens gehoumlrt dass Marion in der Chariteacute aufhoumlrtlaquo erzaumlhlte Emma als sie auf der Ruumlckbank des Wagens Platz genommen hatte

raquoWelche Marionlaquo fragte ihre Mutter und Emma haumltte gerne gewusst ob sie das wirklich nicht wusste

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raquoUnsere CousinelaquoraquoUnd warum sollte es mich interessieren was diese Per-

son tutlaquoraquoWeil sie deine Nichte ist moumlglicherweiselaquoVon hinten konnte Emma das Schulterzucken sehenraquoAuf jeden Fall heiszligt es sie wollte in das Unternehmen

von Tante Helena einsteigenlaquo Mit einiger Befriedigung bemerkte Emma dass ihre Mutter bei dieser persoumlnlichen Bezeichnung kaum merklich zusammenzuckte

raquoIn der TatlaquoraquoSie hat einige Semester Chemie studiert das hatte ich

doch erzaumlhltlaquoraquoJa hattest du Auch dass sie es mit deinem Chemie-

professor getrieben hatlaquoraquoMutterlaquo kam es von LeopoldraquoDas habe ich nie gesagtlaquo Emma lehnte sich vor als

koumlnne sie ihren Worten damit mehr Nachdruck verleihen raquoIch sagte sie gehen miteinander auslaquo

raquoWenn sie nach ihrer Mutter kommt gibt es das eine nicht ohne das andere Gerne auch zum Nachteil der eigenen Familie Sind deine Noten bei besagtem Profes-sor nicht danach schlechter gewordenlaquo

raquoDas war bei Professor Guenther nicht bei Professor Hellweg mit dem Marion aus war Meine Guumltelaquo Emma hatte langsam genug Dieser sture verbohrte Zorn ihrer Mutter war nicht mehr zu ertragen Mit Ende vierzig konnte sie sich auf jeden Fall noch nicht mit Altersstarr-sinn herausreden raquoHoumlr zu wenn das hier jeden Morgen der Beginn meines Arbeitstages wird sag es direkt dann reicht mir der einmalige Ausflug in dein Unternehmen

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und ich bewerbe mich morgen beim Pharmaunternehmen Lichtenthallaquo

Ihre Mutter fuhr herum raquoDas wagst du nichtlaquoraquoLass es gerne darauf ankommenlaquoLange sah ihre Mutter sie an dann zuckte es um ihre

Lippen Widerspruchsgeist gefiel ihr und sie schien auf einmal versoumlhnt Emma wuumlrde bleiben wuumlrde es allein um Leopolds willen tun Vielleicht wuumlrde es leichter fuumlr ihn mit ihr an seiner Seite

Das ehemalige Werksgelaumlnde hatte in Berlin-Oberschouml-neweide gestanden aber sie waren noch vor dem Krieg um-gezogen was sich als richtige Entscheidung erwiesen hatte wenngleich zu der Zeit noch niemand hatte wissen koumlnnen dass dieser Stadtteil unter sowjetische Verwaltung gestellt werden wuumlrde Das jetzige Werk stand in Berlin-Tempel-hof im Amerikanischen Sektor und hatte im Krieg ebenfalls gelitten Sie fuhren durch das Tor und Leopold parkte den Wagen auf der dafuumlr vorgesehenen Flaumlche auf der weitere Autos Motorraumlder und Mopeds standen

Ihre Mutter begleitete sie bis in die Etage in der sich die Raumlumlichkeiten der Geschaumlftsfuumlhrung befanden dann ging sie in ihr Buumlro waumlhrend Emma Leopold in seines be-gleitete

raquoWeiszligt dulaquo sagte er als er auf einen der Stuumlhle wies raquodu musst das nicht tunlaquo

raquoWas meinst dulaquo Emma lieszlig sich auf der Besucherseite seines Schreibtischs nieder

raquoDas weiszligt du genau Mich hierher zu begleiten ob-wohl du nie im Sinn hattest in der Firma zu arbeiten Du musst mich nicht vor Mutter beschuumltzenlaquo

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raquoDas tue ich doch gar nichtlaquoLeopold antwortete nicht ging nur zur Tuumlr oumlffnete sie

und rief in das gegenuumlberliegende Zimmer der beiden Sekretaumlrinnen dass man ihm und seiner Schwester bitte Kaffee bringen moumlge raquoEs war nie dein Plan hier zu ar-beitenlaquo

raquoPlaumlne koumlnnen sich aumlndernlaquoraquoVon einem Tag auf den anderenlaquoraquoJa warum denn nicht Und wer sagt uumlberhaupt dass

es so abrupt war Vielleicht denke ich ja schon laumlnger da-ruumlber nach und habe dir einfach noch nichts erzaumlhltlaquo Emma zog einen Bleistift aus dem Stiftebecher und drehte ihn zwischen den Fingern raquoUumlbrigens hat mir Dominik Lichtenthal ein Stellenangebot gemachtlaquo Gespannt be-obachtete sie Leopolds Reaktion

raquoWannlaquoraquoIch bin ihm mal abends beim Spaziergang begegnetlaquoraquoUnd da hat er dir ndash ohne dich und deine Befaumlhigung

so recht zu kennen ndash eine Stelle angebotenlaquoraquoWir haben uns kurz unterhalten und er weiszlig dass ich

Chemie studiere Da meinte er wenn ich nicht fuumlr Mutter arbeiten wolle solle ich mich bei ihm melden er koumlnne faumlhige Chemiker immer gebrauchenlaquo

raquoMutter enterbt dich wenn du das tustlaquoraquoDas waumlre nicht so schlimm denn dann erbst du alles

und wirst mir meinen Teil einfach auszahlenlaquoraquoIst das solaquoraquoNatuumlrlichlaquo Emma zog ihre Zigaretten hervorraquoDu willst doch wohl hier nicht rauchenlaquoAnstelle einer Antwort steckte sie sich eine Zigarette

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zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

bei Lichtenthal in Aussicht und einem groszligzuumlgigen Bru-der der dir deinen Erbanteil abtrittlaquo

Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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wuumlchsigen kaum mehr als ein Knabe Dabei wuumlrde er im Herbst achtzehn werden Ihr Vater hatte ihn sogar als un-verschaumlmten Bengel bezeichnet als sei er noch ein Kind

Mit Mortimer an der Leine verlieszlig sie das Haus und atmete auf als sie drauszligen war Zwei Wochen Hausar-rest das war doch nicht auszuhalten Sie schritt rasch aus atmete die fruumlhlingsmilde Luft ein in der schon die Vor-boten des Sommers lagen Mortimer blieb stehen schnup-perte hob einmal das Bein und lief dann wieder forsch vor-weg Aufmerksam sah Fanny sich um verlangsamte den Schritt als sie auf die Straszligenecke zuging Und da stand er wartete wie stets um diese Uhrzeit auf sie Fannys An-gespanntheit zerschmolz in einem Laumlcheln und sie ging nun wieder schneller raquoIch hatte schon befuumlrchtet deine Eltern verpassen dir auch Hausarrestlaquo

Lukas hatte sich eine Zigarette in den Mund gesteckt und zuckte laumlssig mit den Schultern raquoMein Vater hat he-rumlamentiert von wegen Schule und Verantwortung und ich hab so getan als wuumlrdrsquos mich interessieren aber das warrsquos dann auch schon Hier magst dulaquo Er hielt ihr seine Zigarette hin und Fanny nahm einen Zug obwohl sie den Geschmack scheuszliglich fand Aber sie gab sich laumls-sig und zog noch ein weiteres Mal daran unterdruumlckte da-bei ein Husten

Sie und Lukas trafen sich jeden Tag hier wenn Fanny ihre Hunderunde drehte raquoIch kann heute nur kurzlaquo sagte sie raquoEin Wunder dass meine Mutter mich uumlberhaupt rausgelassen hatlaquo

raquoImmerhin hast du es geschafft Schrecklich dass sie dich so kontrollieren Da ist es gut dass du den Hund hast

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da bietet sich immer ein Vorwandlaquo Lukas sah Mortimer an und blieb auf Abstand Einmal hatte er den Versuch ge-macht den Hund zu streicheln und Mortimer hatte nach ihm geschnappt Das hatte Fanny erschreckt denn an sich war er der liebste Hund den man sich vorstellen konnte raquoDas hat er noch nie getanlaquo hatte sie beteuert

raquoDas ist ganz normal bei diesen Winzlingenlaquo hatte Lukas geantwortet raquoDie sind immer so giftig vermut-lich weil sie sich minderwertig fuumlhlen Ein echter Hund beginnt ab Kniehoumlhelaquo

Das hatte Fanny ihm uumlbelgenommen aber er hatte sich entschuldigt und betont Mortimer habe genau die rich-tige Groumlszlige fuumlr einen Maumldchenhund

Ihre Freundinnen beneideten sie gluumlhend um diesen gutaussehenden Bankierssohn nur ihre beste Freundin Nele mochte ihn nicht und nannte ihn einen groszligspuri-gen Angeber raquoVertrau dem Urteil deines Hundeslaquo hatte sie gesagt Das blieb ein Streitpunkt zwischen ihnen ob-wohl Nele in manchem was sie sagte durchaus richtiglag Nachdem sie und Lukas in der Schule erwischt worden waren hatte Nele gesagt raquoUm was wetten wir dass nur du den Aumlrger bekommstlaquo

Fanny fand das ziemlich ungerecht denn schlieszliglich hatte Lukas die Grenze uumlberschritten und nicht sie Waumlh-rend sie nebeneinanderher gingen haderte sie mit dem harschen Urteil ihres Vaters uumlber Lukas Wenn er es ihr nicht staumlndig so schwermachen wuumlrde ihn zu sehen waumlren solche Eskapaden ja ganz und gar uumlberfluumlssig Bisher war-tete sie immer noch vergebens auf den ersten Kuss aber es ergab sich einfach nicht die Gelegenheit

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raquoBei Franz Heikamp findet naumlchstes Wochenende eine Party stattlaquo erzaumlhlte Lukas raquoSeine Eltern sind verreist Gehst du mit mir hinlaquo

Ein heftiges Kribbeln stob in Fannys Bauch auf ge-folgt von dem Gefuumlhl der Ernuumlchterung raquoDas erlauben mir meine Eltern nie und noch dazu habe ich Hausarrestlaquo Lukas stieszlig einen entnervten kleinen Pfiff aus und Fanny befuumlrchtete seine Geduld mit ihr arg zu strapazieren raquoEs tut mir leidlaquo fuumlgte sie hinzu

raquoSchon gut ist ja nicht deine Schuld Dann eben ein anderes Mallaquo

Sie haumltte sich gern bei ihm eingehakt wagte es aber nicht denn die Gefahr dass ein Bekannter sie sah war ein-fach zu groszlig und dann konnte sie sich nicht mit einer zu-faumllligen Begegnung herausreden Auch so blieb ihr Blick stets wachsam auf die Straszlige gerichtet Und so entdeckte sie ihren Cousin Erich der im Auto an ihr vorbeifuhr auch gerade noch ehe er sie sehen konnte Fanny unterdruumlckte ein Stoumlhnen Konnte man so viel Pech haben

raquoMein Vetterlaquo sagte sie raquoWenn der uns sieht erfaumlhrt mein Vater das sofortlaquo

Wieder verdrehte Lukas entnervt die Augen raquoWenn du nicht so ein tolles Maumldchen waumlrst wuumlrde mich das hier schwer nervenlaquo

raquoEs tut mir leidlaquoraquoSchon gutlaquo Er lieszlig sich zuruumlckfallen schenkte ihr ein

Laumlcheln bei dem ihr die Knie weich wurden dann drehte er sich um und ging in die entgegengesetzte Richtung davon

Erich war ihr Cousin vaumlterlicherseits und Geschaumlftsfuumlh-

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rer im Pharmaunternehmen Lichtenthal und da er sich mit ihrem Vater ausnehmend gut verstand war sich Fanny sicher er wuumlrde es ihm sofort zutragen wenn er sie mit Lukas gesehen haumltte Seufzend ging Fanny weiter und als sie zu Hause ankam sah sie Erichs Wagen an der Straszlige stehen Sie ging durch das Eingangstor auf die elterliche Villa zu lieszlig Mortimer von der Leine der begeistert uumlber die Einfahrt tollte In der Eingangshalle begegnete sie Erich Er sah Fanny an laumlchelte hob leicht die Brauen und unwillkuumlrlich fragte sie sich ob er sie nicht doch mit Lukas bemerkt hatte Allerdings sagte er kein Wort dazu gruumlszligte nur und fragte was die Schule mache

Marion fuhr mit der Elektrischen ins Werk ihres Vaters Nach und nach erhob sich Berlin aus den Truumlmmern lebte und pulsierte Ganze Straszligenzuumlge waren veraumlndert ehe-mals Vertrautes wirkte fremd und waumlhrend die Erwachse-nen damit beschaumlftigt waren aus den Uumlberbleibseln etwas Neues zu erschaffen waren die klaffenden Ruinen fuumlr die Kinder ein riesiger Abenteuer spielplatz

Berlin war nach dem Krieg von den Alliierten in vier Besatzungszonen aufgeteilt worden wurde von den Sieger-maumlchten Frankreich England USA und der Sowjet union verwaltet und kontrolliert und seither gab es Zonengren-zen ndash Schlagbaumlume Farbmarkierungen an Baumlumen oder weiszlig-gelbe Holzpfosten ndash und wer von einer Zone in die

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naumlchste wollte brauchte mancherorts eine Genehmigung Fuumlr Reisen zwischen der Westzone und der sowjetischen Besatzungszone gab es Interzonenpaumlsse und es waren erste Grenzanlagen auf der Ostseite errichtet worden Stachel-drahthindernisse in Waldgebieten Sperren an Straszligen und dabei blieb es nicht sondern es war im Jahr nach Kriegsende eine Grenzpolizei eingesetzt und sogar der Ge-brauch fuumlr Schusswaffen geregelt worden Die Abrieglung des Ostens war ein Schock fuumlr die Menschen in Berlin

raquoDas kann doch nicht seinlaquo hatte sich Marions Mutter empoumlrt raquoEs war ja ohnehin schon ein Aufwand von einem Teil der Stadt in den anderen zu kommen und jetzt soll man auch noch aufpassen nicht erschossen zu werdenlaquo

Was Marion jedoch weit mehr Sorge bereitete war der Umstand dass seit diesem Tag dem achtundzwanzigs-ten Mai West-Berlin durch die Regierung in der Sow-jetzone vom Umland getrennt wurde Schon an den bei-den Tagen zuvor war die innerdeutsche Demarkationslinie nach Unter zeichnung des Bonner Deutschlandvertrags ab-geriegelt worden und es gab nun einen zehn Meter langen Kontrollstreifen einen fuumlnfhundert Meter langen Schutz-streifen sowie eine fuumlnf Kilometer weite Sperrzone Damit war der bisher geduldete kleine Grenzverkehr eingestellt worden Selbst die Telefonverbindungen zwischen West- und Ost-Berlin waren von der Regierung gekappt wor- den

Marion fragte sich wie es jetzt mit dem Schoumlnheits-salon weitergehen sollte der in Berlin-Mitte lag und so-mit im Teil der Stadt der nun von der Deutschen Demo-kratischen Republik verwaltet wurde Da ihre Mutter das

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Geschaumlft zwar in Ost-Berlin betrieb aber in West-Berlin ihren Wohnsitz hatte war ihr ndash wie vielen anderen Ge-werbetreibenden auch ndash die Gewerbeerlaubnis entzogen worden Wer in West-Berlin lebte aber in einem Betrieb in Ost-Berlin angestellt war ndash so wie Marion in der Cha-riteacute ndash wurde zum Umzug aufgefordert oder entlassen Da-mit sparte Marion sich die Kuumlndigung

Die Straszligen ins Umland wurden gesperrt offen bleiben durften nur jene die von den Alliierten als Zufahrtswege in die Bundesrepublik festgelegt worden waren Fuumlr die Menschen in West-Berlin bedeutete das den Verlust ihrer Besitztuumlmer im Osten Natuumlrlich wurden Passierscheine in Aussicht gestellt aber das bedeutete nicht automatisch dass diese genehmigt wurden Auch der Anhalter Bahnhof war stillgelegt worden es gab keine Zuumlge mehr die aus dem Osten nach West-Berlin fuhren

raquoMittlerweile liegt Italien fuumlr uns naumlher als Potsdamlaquo hatte Helena geschimpft

Auch das Werksgebaumlude von Lichtenthal-Pharma hatte einen Treffer abbekommen als eine Sprenggranate in einen Fluumlgel eingeschlagen hatte Der Bereich war nach wie vor eingezaumlunt und die Bauarbeiten schritten stetig voran Ihr Vater hatte die Gelegenheit genutzt und legte den Fluumlgel etwas weitraumlumiger an was dem Gebaumlude ein asymmetri-sches Aussehen verlieh

Marion warf dem Portier einen Gruszlig zu wechselte ein paar Worte mit den Mitarbeitern an der Rezeption und fuhr dann mit dem Aufzug hinauf in die Chefetage Die Tuumlr zum Vorzimmer stand offen und Marion sah wie die Sekretaumlrin ihres Vaters Frau Weiller sich gerade an-

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schickte mit einem Tablett auf dem Kaffeekanne und Tasse standen die Tuumlr zum Buumlro ihres Vaters zu oumlffnen

raquoDas uumlbernehme ichlaquo bot Marion an und nahm der Frau das Tablett ab raquoIch moumlchte sowieso kurz zu ihmlaquo Waumlhrend sie das Tablett in der einen Hand balancierte druumlckte sie mit der anderen die Tuumlr auf raquoBringen Sie mir bitte auch noch eine Tasselaquo

raquoNatuumlrlich kommt sofort Fraumlulein LichtenthallaquoIhr Vater saszlig an seinem Schreibtisch und sah auf als sie

eintrat raquoNa so etwas Planst du einen beruflichen Wech-sellaquo

raquoIn der Tat nur werde ich dann nicht deine Empfangs-damelaquo Marion stellte das Tablett ab und schenkte Kaffee ein Im naumlchsten Moment trat Frau Weiller ein brachte ein zusaumltzliches Gedeck und ein Milchkaumlnnchen

raquoIch weiszlig doch dass Sie Ihren Kaffee nicht schwarz trinkenlaquo sagte sie an Marion gewandt

Nachdem sie gegangen war und die Tuumlr hinter sich ge-schlossen hatte setzte Marion sich ihrem Vater gegenuumlber in einen der beiden Besucherstuumlhle

raquoWas meintest du damit dass du in der Tat einen be-ruflichen Wechsel planstlaquo fragte Dominik Lichtenthal

Marion trank einen weiteren Schluck raquoIch hatte eigent-lich vorgehabt meine Kuumlndigung bei der Chariteacute einzu-reichen wobei das ja nun nicht mehr noumltig ist Ich liebe die Medizin doch der Alltag einer Aumlrztin ist nicht das Richtige fuumlr michlaquo

Das traf ihren Vater vollkommen unerwartet hatte er doch damit gerechnet dass sie in der naumlchsten Zeit ihren Facharzt anstreben wuumlrde raquoSo ploumltzlichlaquo

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raquoIch denke da tatsaumlchlich schon eine ganze Zeit lang druumlber nachlaquo

raquoUnd was willst du stattdessen tun In die Pharmazielaquo Offenbar erinnerte er sich gerade an die paar Semester Che-mie die sie nebenher studiert und waumlhrend derer sie eine kurze Liaison mit einem Chemieprofessor gehabt hatte

raquoNein auch das nichtlaquo Die Kenntnisse in Chemie waren indes durchaus zu etwas gut raquoIch moumlchte bei Mama mitarbeitenlaquo

Unglaumlubig sah ihr Vater sie an raquoDu hast ein komplettes Medizinstudium mit hervorragenden Noten abgeschlos-sen und dann sieht deine Berufswahl so aus Frauen Farbe ins Gesicht zu malenlaquo

Marion musste lachen raquoLass das bloszlig nie Mama houmlren Du weiszligt doch genau dass Kosmetik mehr ist als Frauen Farbe ins Gesicht zu malen Mich interessiert medizini-sche Kosmetik Wie du siehst ist mein Studium nicht vergebens gewesenlaquo

raquoDu kannst doch in die Dermatologie gehenlaquoraquoJa koumlnnte ich Ich koumlnnte aber auch in die Forschung

gehen und medizinische Kosmetik entwickelnlaquoraquoDu koumlnntest auch bei mir in die pharmazeutische For-

schung gehenlaquoraquoDas geht doch Hand in Hand Paps Ich weiszlig dass du

sicher enttaumluscht bist aber helliplaquoraquoNeinlaquo fiel er ihr ins Wort raquoIch bin nicht enttaumluscht

Es ging mir nie darum dass du meine Erwartungen er-fuumlllst sondern stets nur deine eigenen Ich gestehe ich war gluumlcklich als du mir eroumlffnet hast dass du Aumlrztin werden willst aber letzten Endes ist mir am wichtigsten dass du

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zufrieden bist mit dem was du tust Ich bitte dich nur die Entscheidung zu uumlberdenkenlaquo

raquoDu kannst davon ausgehen dass ich das getan habe Ich habe lange und gruumlndlich daruumlber nachgedachtlaquo

raquoWeiszlig deine Mutter bereits davonlaquoraquoNein ich bin zuerst zu dir gekommenlaquoIhr Vater nickte zog seine Zigaretten hervor und

steckte eine an raquoSie wird sich freuen dass du mit ihr zu-sammenarbeiten wirst Und die Taumltigkeit als Aumlrztin laumluft dir ja nicht davon du hast ein abgeschlossenes Studium und kannst jederzeit deinen Facharzt machen wenn du merkst dass das vielleicht doch nicht das Richtige fuumlr dich ist Dir ist aber klar dass du mit medizinischer Kosmetik in Konkurrenz zu deiner Tante Charlotte trittstlaquo

raquoJa durchaus Aber wie sagst du immer Konkurrenz belebt das Geschaumlftlaquo Mit ihrer Tante hatte Marion nur selten Kontakt Auf Feiern lief man sich hin und wieder uumlber den Weg aber damit erschoumlpfte es sich auch schon Im Grunde war das bedauerlich denn Charlottes Tochter Emma war ganz reizend und Marion hatte schon einige interessante Unterhaltungen mit ihr gefuumlhrt wenn sie sich denn mal begegnet waren Auch Emmas Bruder Leopold war sehr freundlich und umgaumlnglich wenngleich er seit dem Krieg verschlossen und in sich gekehrt wirkte Im letzten Jahr hatte er noch an die Front gemusst der arme Kerl Da war sein Vater gerade gestorben und Leopold hatte nicht nur den Verlust zu verkraften gehabt sondern war selbst in dem unheilvollen Mahlwerk des Krieges auf-gerieben worden

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Emma Rudorf saszlig mit einem Buch in der Hand im Wohn-zimmer und houmlrte ihren Bruder heimkommen Den gan-zen Tag war Leopold im Werk von Dr Rudorfs medizi-nische Kosmetik gewesen und an seinem schleppenden Schritt houmlrte Emma wie erschoumlpft er sein musste Ver-mutlich hatte er wieder mit Mutter gestritten und bei dem Gedanken daran wie diese ihm zusetzte packte sie die Wut Sie legte ihr Buch beiseite und stand auf ging in den Flur wo sich Leopold gerade die Schuhe auszog Er sah ihrem Vater aumlhnlich hatte zwar dunkleres Haar aber seine Gesichtszuumlge und er wirkte mit der Brille ein wenig professorenhaft

Als er Emma bemerkte laumlchelte er raquoWie gehtrsquoslaquo fragte er mit gespielter Munterkeit

raquoGut Und dirlaquoraquoViel zu tun Und bei dir Wie war die KlausurlaquoraquoIch denke ich habe bestandenlaquo Emma wuumlrde im

naumlchsten Sommer ihr Chemiestudium abschlieszligenraquoEtwas anderes habe ich auch nicht erwartetlaquoraquoIch habe Abendessen gemacht Kommt Mama auch

gleichlaquoraquoNein sie meinte sie haumltte noch viel zu tunlaquoWie immer Fuumlr Charlotte Rudorf gab es seit dem Tod

ihres Mannes nur noch das Werk sie arbeitete wie beses-sen als koumlnnte das den Schmerz des Verlustes betaumluben Emma hatte sich so oft gewuumlnscht sie wuumlrde daruumlber nicht staumlndig vergessen dass sie zwei Kinder hatte und sich nur dann an sie erinnern wenn es etwas auszusetzen gab Vor allem Leopold war ihr ein fortwaumlhrendes Aumlrgernis

raquoDu warst ein Jahr im Krieglaquo pflegte sie zu sagen

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raquound du bist in einem Stuumlck zuruumlckgekommen Wie lange willst du noch in Truumlbsal versinken anstatt endlich wieder mit beiden Beinen im Leben zu stehenlaquo

Was ihre Mutter Truumlbsal nannte war eine tiefe innere Wunde die der Krieg geschlagen hatte und Emma fragte sich warum sie diese sehen konnte nicht aber die Frau die ihn geboren hatte Dann kamen wieder diese Geschich-ten uumlber all die Kriegsheimkehrer die es auch schafften ihr Leben in den Griff zu bekommen obwohl sie deutlich laumlnger im Krieg aufgerieben worden waren Wie schlimm konnte da das eine Jahr schon gewesen sein Einzig fuumlr Emmas Albtraumlume durch die Bombardierung hatte sie Verstaumlndnis denn diese war zu der Zeit gerade vierzehn Jahre alt gewesen Da spielte wohl auch die Erinnerung mit hinein wie Emma an sie geschmiegt im Keller ge-sessen und gewartet hatte bis die Bombardierung vorbei war waumlhrend sie beide Angst gehabt hatten dass Leopold vielleicht schon tot war

raquoIsst du mit mir zu Abendlaquo fragte er nunraquoKlar ich habe auf dich gewartetlaquoLeopold wuumlrde im Juli vierundzwanzig werden und hatte

sein Pharmaziestudium im letzten Jahr abgeschlossen Er haumltte lieber Maschinenbau studiert war schon seit Kinder-tagen davon fasziniert gewesen Aber es war klar gewesen dass er das Familienwerk erben wuumlrde Allenfalls haumltte er noch Arzt werden koumlnnen um die Praxis ihres Vaters zu uumlbernehmen die nun ein anderer Arzt gemietet hatte

Da sie nur zu zweit waren aszligen sie zwanglos in der Kuumlche und Leopold deckte den Tisch waumlhrend Emma den Brotkorb Butter Kaumlse und Aufschnitt hinstellte und alles

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in den Dosen belieszlig was ihre Mutter stets als mangelnde Esskultur bezeichnete Emma hingegen war es zu viel Auf-wand jetzt alles auf Tellern anzuordnen nur um dann das meiste wieder zuruumlckzufuumlllen und wegzuraumlumen und mehr zum Abspuumllen zu haben Sie lieszlig sich ihrem Bruder gegen-uumlber am Tisch nieder Im Gegensatz zu ihrer Mutter hatte Emma bislang keine groszligen beruflichen Ambitionen ge-habt sie studierte Chemie allein aus dem Grund weil es sie interessierte aber sie hatte keine konkreten Plaumlne da-ruumlber hinaus ndash ein staumlndiges Aumlrgernis fuumlr Charlotte Ru-dorf Emmas Plan war gewesen zum Zeitvertreib etwas zu studieren das ihr Spaszlig machte und danach zu heiraten Im Laufe des Studiums hatte sich ihr Interesse allerdings ge-wandelt In der Fakultaumlt war sie hin und wieder ihrer Cou-sine Marion uumlber den Weg gelaufen die mit einem von Emmas Professoren ausgegangen war und sie fand sie glei-chermaszligen interessant wie inspirierend Sie hatte sogar kurz mit dem Gedanken gespielt sich im Pharmakonzern Lich-tenthal zu bewerben aber da haumltte vermutlich eine Andeu-tung gereicht und ihre Mutter waumlre die Waumlnde hochge-gangen Mit ihrer Schwester Helena hatte sie sich schon vor Jahren entzweit und eine Annaumlherung war nicht in Sicht

Beim Essen plauderten sie uumlber Allgemeines Leopold zog sie mit einem Dozenten auf von dem sie ndash seiner Mei-nung nach ndash verdaumlchtig oft sprach Daraufhin erinnerte sie an die Verkaumluferin aus dem KaDeWe mit der er fortwaumlh-rend ausging ohne dass die Sache von der Stelle kam Spauml-ter raumlumten sie zusammen ab erledigten den Abwasch und wollten gerade ins Wohnzimmer gehen um das Radio ein-zuschalten als ihre Mutter die Wohnungstuumlr aufschloss

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raquoGuten Abendlaquo Charlotte Rudorf sah muumlde aus und Emma ging zu ihr um ihr den Mantel abzunehmen und ihn an die Garderobe zu haumlngen

raquoSoll ich das Abendessen wieder auf den Tisch stellenlaquo fragte Emma

raquoNein lass nur ich habe im Werk eine Kleinigkeit ge-gessenlaquo

So war es fast jeden Abend im Grunde genommen aszligen sie nur noch am Wochenende regelmaumlszligig zusammen und fanden sich ansonsten morgens zu einem raschen Fruumlh-stuumlck in der Kuumlche ein Ihre Mutter wechselte einen kur-zen Blick mit Leopold aus dem klar ersichtlich wurde dass die beiden noch vor gar nicht langer Zeit gestritten hatten ndash ganz so wie von Emma vermutet Nun jedoch zeigte sich ein zoumlgerliches Laumlcheln auf den Lippen Char-lotte Rudorfs und auch das war typisch Zum Abend hin legte sie Streit gerne bei mochte es nicht unversoumlhnt schlafen zu gehen

Im Wohnzimmer schalteten sie das Radio ein Emma houmlrte nur mit halbem Ohr hin und hatte ihr Buch wie-der aufgeschlagen war aber auch hier nicht bei der Sache Schlieszliglich gab sie es auf und beschloss noch ein wenig spazieren zu gehen

raquoUm diese Uhrzeitlaquo fragte ihre Mutter die gerade mit einer Tasse Kraumlutertee ins Wohnzimmer trat

raquoEs ist kurz nach achtlaquoNun blickte auch Leopold auf sah sie an als witterte er

hinter ihrem Wunsch eine tiefere WahrheitraquoEs ist nur ein Spazierganglaquo sagte sie und haumltte am

liebsten die Augen verdreht raquoMir geht so viel im Kopf

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herum und ich kann meine Gedanken beim Gehen am besten sortierenlaquo

raquoWie war eigentlich deine Klausurlaquo wollte ihr Mut-ter nun wissen

raquoGut denke ichlaquo Emma ging in den Flur nahm einen leichten Mantel vom Haken legte sich einen Seidenschal um und warf noch einen kurzen Blick in den Spiegel Seit kurzem trug sie ihr hellbraunes Haar knapp schulterlang und in groszlige Locken gelegt die sie mit einer Spange seit-lich zuruumlckhielt Jetzt zupfte sie ein wenig daran herum bis sie schlieszliglich zufrieden war und verlieszlig die Wohnung Sie wohnten in der ersten Etage direkt uumlber der Arztpraxis die Wohnung im zweiten Stock stand derzeit leer Fruumlher einmal hatte Emmas Groszligmutter dort gewohnt aber sie lebte bereits seit fast dreiszligig Jahren bei ihrer Tochter erst in Hamburg und seit kurz vor dem Krieg in Muumlnchen da der Ehemann von Emmas Tante dorthin versetzt worden war Leider kam sie nur noch selten zu Besuch da lange Reisen sie zu sehr anstrengten Emma bedauerte das denn sie mochte ihre Groszligmutter die auch mit achtzig noch ruumlstiger und scharfsinniger war als manch junge Frau die Emma kannte

Es daumlmmerte bereits und die langen Schatten des spauml-ten Nachmittags waren ineinandergekrochen verdichte-ten sich langsam und entfaumlrbten den Tag zu einem lich-ten Grau Seit zwei Jahren stellte man die Uhren nicht mehr zur Sommerzeit um und anfangs war es ungewohnt gewesen dass die Sommertage nun um eine Stunde kuumlr-zer waren aber man gewoumlhnte sich daran Waumlhrend des Krieges hatte es eine Zeit gegeben in der fortwaumlhrend

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Sommerzeit gegolten hatte und man die Uhren uumlberhaupt nicht mehr umstellte irgendwann war ein konzeptloses Wechseln erfolgt Dann war die Regelung durch die Besat-zungsmaumlchte wieder geaumlndert worden und sie bestimm-ten eine Umstellung auf die Sommerzeit ndash wobei diese in der sowjetischen Besatzungszone Berlins 1945 ganze zwei Monate laumlnger gedauert hatte Jetzt endlich hatte die Regierung sich auf eine einheitliche Zeit festgelegt die fuumlr das gesamte Jahr galt ndash die Ruumlckkehr zur Normalzeit Emma hoffte dass das so blieb

Als sie durch die Straszlige spazierte hier und da einen heimkehrenden Nachbarn oder Bekannten gruumlszligte ndash die Tochter des Herrn Doktor kannte man im gesamten Vier-tel ndash fiel ihr ein Mann auf der gerade ein Haus verlieszlig sich noch einmal umdrehte einem weiteren Mann der in der offenen Tuumlr stand etwas sagte und dann durch den Vorgarten schritt und auf sein Auto zuging Dominik Lichtenthal Emma blieb stehen sah ihn an wusste nicht ob sie zu ihm gehen und houmlflich gruumlszligen oder ihn ignorie-ren sollte Er nahm ihr die Entscheidung ab als er sie be-merkte kurz stutzte als muumlsste er ihr Gesicht erst einem Namen zuordnen und sie dann anlaumlchelte

raquoGuten Abend Emma Wie geht es dirlaquoSie ging auf ihn zu raquoSehr gut vielen Danklaquo Sie wusste

nie so recht ob sie ihn duzen sollte oder nicht denn einer-seits war er ein Fremder andererseits aber der Ehemann ihrer Tante und damit praktisch ihr Onkel

raquoIch habe gehoumlrt du studierst ChemielaquoraquoJa ich werde diesen Sommer fertiglaquoraquoUnd dann geht es in den Konzern deiner Mutterlaquo

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Unschluumlssig hob Emma die Schultern raquoAch das weiszlig ich noch gar nichtlaquo

Dominik Lichtenthal schloss seinen Wagen auf raquoWenn du dich lieber auf dem freien Markt umsehen moumlchtest sag Bescheid ich kann faumlhige Chemiker immer gebrau-chenlaquo

Es war schon fast skurril dass Emma diesen Gedanken erst vor kurzem gehegt hatte und ihn nun ausgesprochen houmlrte Da sie nicht rundheraus ablehnen wollte dankte sie ihm und nachdem sie ihm gesagt hatte er moumlge seine Familie von ihr gruumlszligen stieg er in seinen Wagen und fuhr los Im Grunde genommen war das doch albern dass ihre Mutter immer noch nichts mit ihrer Schwester zu tun haben wollte Emma kannte die alte Geschichte und natuumlr lich war es hart auf einen Schlag sein gesam-tes Erbe zu verlieren und die unvermittelt aufgetauchte fremde Schwester als einzige Gewinnerin in dieser Situa-tion zu sehen aber das Ganze war jetzt gut fuumlnfundzwan-zig Jahre her irgendwann musste es doch mal gut sein Und es war ja nun wahrlich nicht so als wuumlrde der Besitz des Hauses in der Friedrichstraszlige noch einen nennenswer-ten Unter schied im Vermoumlgen ihrer Mutter machen Im Gegenteil ndash waumlre sie dort geblieben haumltte sie es vielleicht nie so weit gebracht

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Juni 1952

Die einstmals goldene Zeit merkte man der ehemaligen Amuumlsiermeile auf der Friedrichstraszlige nicht mehr an und Helena verspuumlrte jedes Mal beim Besuch ihres Schoumlnheits-salons diesen Stich des Bedauerns Als sie in den Zwan-zigern hier angekommen war hatte das Leben pulsiert mit Autos Bussen Bahnen Fuszliggaumlngern Radfahrern und noch vereinzelten Droschken Die Kreuzung an der Leip-ziger Straszlige war ein so verkehrsreicher Knotenpunkt ge-wesen dass es fuumlr die aus der Provinz stammende Helena anfangs schon eine Herausforderung gewesen war lebend von einer Straszligenseite auf die andere zu gelangen

Nach dem Krieg war die Straszlige eine von Ruinen ge-saumlumte Schuttwuumlste geworden und auch wenn die Truumlm-mer in weiten Teilen fortgeraumlumt waren so erinnerte doch nur wenig an fruumlher Helena hatte mehrfach uumlberlegt den Schoumlnheitssalon einfach aufzugeben aber das brachte sie nicht uumlber sich Vielleicht normalisierte sich hier ja alles irgendwann wieder das konnte doch nicht ewig so blei-ben Ihr Schoumlnheitssalon in der Friedrichstraszlige befand sich im Amerikanischen Sektor der in Berlin-Mitte gehoumlrte nun zur DDR ihr Werk wiederum zum Franzoumlsischen

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Sektor Dominiks sowie ihr Wohnsitz lagen im Britischen Sektor Das war doch auf Dauer kein Zustand Den Salon in Berlin-Mitte hatte sie aufgeben muumlssen und sie sah sich bereits nach Alternativen um

Als Helena in den Salon trat kam ihr Ida ndash fruumlher Wag-ner jetzt Zeller ndash entgegen raquoKaffeelaquo

raquoUnbedingtlaquo Helena haumlngte ihren Mantel an die Gar-derobe und betrat den Salon Es war noch fruumlh und sie wuumlrden erst in einer halben Stunde oumlffnen Ida hatte schon in den Dreiszligigern die Leitung des Salons uumlbernommen als Helena damit beschaumlftigt gewesen war einen weiteren in Berlin-Mitte zu eroumlffnen

raquoWie geht es den MaumldchenlaquoHelena setzte sich in einen der bequemen Besucher-

stuumlhle wo die Frauen sich bei einer Tasse Kaffee oder Tee und etwas Gebaumlck entspannen konnten raquoMarion faumlngt bei mir im Werk an der Termin steht jetztlaquo Das war Schock und freudige Uumlberraschung zugleich gewesen und Helena wusste selbst nicht ob ihre Bestuumlrzung oder ihre Freude uumlberwog Natuumlrlich hatte sie gehofft dass Marion als Aumlrztin praktizierte immerhin hatte sie stu-diert und damit ein klares Ziel vor Augen gehabt Ande-rerseits freute es sie dass ihre Tochter Interesse an ihrem Unternehmen zeigte ndash und nicht an Dominiks wie eine kleine nicht zu unterdruumlckende Stimme des Triumphs in ihr betonte raquoUnd Fanny schlieszligt das Schuljahr mit sehr guten Noten ablaquo

raquoMathematik macht ihr wieder SpaszliglaquoraquoNachdem Ferdinands Ehefrau es ihr erklaumlrt hat was

ihr unfaumlhiger Lehrer offenbar nicht hinbekommtlaquo Fer-

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dinand war der Patenonkel beider Toumlchter und seine Frau eine begabte Mathematikerin

Die Schwangerschaft mit Fanny hatte Helena seinerzeit einen gehoumlrigen Schrecken eingejagt All die Jahre hatte sie es erfolgreich vermieden zu empfangen und dann als die Welt am Abgrund stand kuumlndigte sich neues Leben an Schlimm genug mitanzusehen wie Marion bereits in der Schule darauf vorbereitet wurde in den BDM einzu-treten da wollte sie diesem System nicht noch ein Kind schenken Es war Rudolf Liliengrund gewesen dem Fanny es zu verdanken hatte dass Helena keinen Abbruch hatte vornehmen lassen

raquoGerade in diesen Zeiten sollten die Anstaumlndigen sich vermehrenlaquo

Ihr lieber Rudolf der seine gesamte Familie verloren und selbst nur knapp und unter Entbehrungen die Flucht geschafft hatte weil er zu lange gezoumlgert geglaubt hatte es wuumlrde alles gut werden Und so hatte Helena Fanny aus-getragen hatte schon in der Schwangerschaft eine so innige Beziehung zu dem Kind gehabt wie sie es sich nicht hatte vorstellen koumlnnen Es war ganz anders als mit Marion zu der sie erst eine enge Bindung hatte aufbauen koumlnnen als diese bereits ein Kleinkind gewesen war Waumlhrend Marion von Geburt an ein Papakind war so war Fanny von Geburt an ganz und gar ihre Tochter Helena hatte sie sogar mit zur Arbeit genommen weil sie sich nicht von ihr trennen mochte hatte sie im Buumlro gestillt und in der Wiege neben sich schlafen lassen Undenkbar dieses Baby jemand ande-rem anzuvertrauen Dabei liebte sie Marion nicht weniger und sie verstand auch im Nachhinein nicht warum sie bei

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beiden Kindern schon in der Schwangerschaft so unter-schiedlich empfunden hatte

raquoDu solltest endlich aufhoumlren das zu hinterfragenlaquo hatte ihre beste Freundin Irene Danelius gesagt raquoEs ist jetzt wie es ist Freu dich einfach Gerade jetzt haben wir alle wahrhaftig Probleme genug da muss man nicht auch noch welche hinzuredenlaquo

Als im November 1938 die Synagogen brannten hatte Irene das Land verlassen raquoIch komme zuruumlck wenn der Irrsinn vorbei istlaquo hatte sie gesagt und war nach Amerika gegangen Dort war sie zur Filmgroumlszlige geworden hatte einen bekannten Produzenten geheiratet und lebte nach wie vor in den Vereinigten Staaten Helena vermisste sie immer noch sehr und war auch schon einmal mit ihrer Familie in New York gewesen um sie zu besuchen

raquoFahrt ihr diesen Sommer weglaquo fragte Ida und setzte sich nun ebenfalls

raquoAuf jeden Fall fuumlr zwei Wochen zu meiner Mutter Und von da aus vielleicht weiter in Richtung Schweizlaquo Vor allem auf die Zeit bei ihrer Mutter freute sich Helena das waren jedes Mal schoumlne Tage mit all den fruumlheren Freunden und Bekannten sowie mit der Baronin fuumlr die sie und ihre Mutter fruumlher gearbeitet hatten und bei der ihre Mutter nun den Altersruhesitz hatte Fuumlr Helenas Familie standen immer Gaumlstezimmer bereit Ein wenig behandelte man sie dort wie eine Prominente die Dienst-botentochter die es in der Weltmetropole zu etwas ge-bracht hatte mit einem reichen Mann verheiratet war und mit Filmstars verkehrte

Kurz darauf trafen die uumlbrigen Mitarbeiterinnen ein

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und dann kamen auch schon die ersten Kundinnen Helena unterhielt sich mit einigen der Damen beriet hier und da persoumlnlich und machte sich dann auf den Weg ins Werk Unmittelbar nach dem Krieg war es schwierig gewesen die Rohstoffe fuumlr die Produktion von Kosmetik aufzutrei-ben vielfach waren sie nur zu Schwarzmarktpreisen zu be-kommen Viele Rohstoffe wurden in der Pharmaindustrie dringender benoumltigt und natuumlrlich hatte die medizini-sche Versorgung Vorrang vor der kosmetischen Gerade nach dem Krieg hatten sie alle andere Sorgen gehabt wes-halb Helenas Werk voruumlbergehend die Produktion um-stellte und der chemischen Industrie zuarbeitete waumlhrend die Schoumlnheitssalons Obdachlosen offenstanden Erst vier Jahre nach Kriegsende als der Hungerwinter vorbei war und die Menschen durch die Waumlhrungsreform wieder uumlber Geld verfuumlgten hatte Helena Kosmetikherstellung und Schoumlnheitsbehandlungen wieder aufgenommen

Im Werk ging Helena direkt in ihr Buumlro und sah sich Werbeentwuumlrfe an Sie liebte ihre Arbeit und sie machte ihr nach wie vor Spaszlig allerdings fehlte ihr die Heraus-forderung Die Kosmetik entwickelte sich stetig weiter und mittlerweile war Forschung und Entwicklung eine eigene Abteilung in ihrem Unternehmen Natuumlrlich freute sie sich daruumlber aber sie vermisste die Zeiten in denen sie selbst in ihrer Fertigung gesessen und experimentiert hatte Vielleicht war es wirklich gut dass Marion hier demnaumlchst etwas frischen Wind hereinbringen wuumlrde Wie wohl Charlotte darauf reagierte dass Helena ihr nun Konkurrenz machen wuumlrde

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Emma houmlrte den Streit bis ins Wohnzimmer Ihre Mutter hielt Leopold vor er naumlhme die Arbeit nicht ausreichend ernst und bringe sich zu wenig ein Wie er bei dem Ge-schaumlftstermin am Vortag nur dagesessen und auf einmal zu zittern begonnen habe Wenn es nicht anders ging dann solle er eben seine Medikamente wieder nehmen Und ndash verdammt noch mal ndash endlich mehr Nervenstaumlrke zei- gen

Auch an diesem Morgen hatte es schon wieder damit begonnen dass Leopold beim Fruumlhstuumlck sehr still gewe-sen war was fuumlr Emma immer ein Zeichen fuumlr schlimme Traumlume war Auf Ausfuumlhrungen ihrer Mutter zu dem heu-tigen Arbeitstag hatte er nur genickt was diese wiederum zu dem Schluss kommen lieszlig dass er sich nur unzurei-chend interessierte Uumlberhaupt habe er keine innovativen Ideen arbeite den Tag ab ohne echtes Interesse zu zeigen an dem was er tat Irgendwann war ein handfester Streit ausgebrochen der auch dann noch anhielt als Emma das Esszimmer verlassen hatte und nun in der Kuumlche den Ab-wasch machte Schlieszliglich hielt sie es nicht mehr aus lief ins Esszimmer zuruumlck

raquoWas willst du eigentlichlaquo fuhr sie ihre Mutter an raquoEr tut doch alles was er solllaquo

raquoEmma lass nurlaquo sagte Leopold raquoIch mache helliplaquoraquoNein ich lasse es nicht Koumlnnen wir nicht mal einen

Morgen friedlich verbringen wie andere Familien auch Muss hier immer den ganzen Tag uumlber Streit herrschen und abends gehen wir dann versoumlhnt schlafen Wozu Um am naumlchsten Tag wieder loszulegen Das ist doch nicht mehr auszuhaltenlaquo

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raquoWie redest du eigentlich mit mirlaquo Die Stimme ihrer Mutter war ganz kalt geworden bar jeder Emotion

raquoIch helliplaquo Die aufbrausende Wut fiel von Emma ab und sie wusste nicht mehr was sie nun sagen sollte raquoIch hellip ich habe heute keine Uni und wollte ohnehin fragen ob ich mit ins Werk kannlaquo Der Einfall war ihr gerade erst ge-kommen raquoIch koumlnnte Leo zuarbeiten und so schon einmal Einblicke bekommenlaquo

Die frostglitzernde Wut im Blick ihrer Mutter schmolz zu Uumlberraschung raquoAch waslaquo

raquoIch habe mir lange uumlberlegt was ich mit meinem Che-miestudium machelaquo

raquoHeiszligt das es steht nicht zu erwarten dass du dich nun nach einer passenden Partie umsiehstlaquo Fuumlr jemanden der selbst gluumlcklich verheiratet gewesen war zeigte ihre Mut-ter eine sehr ablehnende Haltung zu Emmas Eheplaumlnen

raquoNoch ist ja niemand in Aussicht nicht wahrlaquo ver-setzte Emma der Hoffnung einen Daumlmpfer

Ihre Mutter schien damit zufrieden zu sein raquoSchoumln dann beeil dich wir brechen gleich auflaquo

Sie und Leopold fuhren in der Regel gemeinsam los und Leopold lieszlig dann den Wagen fuumlr sie im Werk und kehrte puumlnktlich zum Buumlroschluss mit der Bahn nach Hause zu-ruumlck Das tat er vermutlich vor allem aus dem Grund weil er den Abstand brauchte

raquoIch habe uumlbrigens gehoumlrt dass Marion in der Chariteacute aufhoumlrtlaquo erzaumlhlte Emma als sie auf der Ruumlckbank des Wagens Platz genommen hatte

raquoWelche Marionlaquo fragte ihre Mutter und Emma haumltte gerne gewusst ob sie das wirklich nicht wusste

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raquoUnsere CousinelaquoraquoUnd warum sollte es mich interessieren was diese Per-

son tutlaquoraquoWeil sie deine Nichte ist moumlglicherweiselaquoVon hinten konnte Emma das Schulterzucken sehenraquoAuf jeden Fall heiszligt es sie wollte in das Unternehmen

von Tante Helena einsteigenlaquo Mit einiger Befriedigung bemerkte Emma dass ihre Mutter bei dieser persoumlnlichen Bezeichnung kaum merklich zusammenzuckte

raquoIn der TatlaquoraquoSie hat einige Semester Chemie studiert das hatte ich

doch erzaumlhltlaquoraquoJa hattest du Auch dass sie es mit deinem Chemie-

professor getrieben hatlaquoraquoMutterlaquo kam es von LeopoldraquoDas habe ich nie gesagtlaquo Emma lehnte sich vor als

koumlnne sie ihren Worten damit mehr Nachdruck verleihen raquoIch sagte sie gehen miteinander auslaquo

raquoWenn sie nach ihrer Mutter kommt gibt es das eine nicht ohne das andere Gerne auch zum Nachteil der eigenen Familie Sind deine Noten bei besagtem Profes-sor nicht danach schlechter gewordenlaquo

raquoDas war bei Professor Guenther nicht bei Professor Hellweg mit dem Marion aus war Meine Guumltelaquo Emma hatte langsam genug Dieser sture verbohrte Zorn ihrer Mutter war nicht mehr zu ertragen Mit Ende vierzig konnte sie sich auf jeden Fall noch nicht mit Altersstarr-sinn herausreden raquoHoumlr zu wenn das hier jeden Morgen der Beginn meines Arbeitstages wird sag es direkt dann reicht mir der einmalige Ausflug in dein Unternehmen

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und ich bewerbe mich morgen beim Pharmaunternehmen Lichtenthallaquo

Ihre Mutter fuhr herum raquoDas wagst du nichtlaquoraquoLass es gerne darauf ankommenlaquoLange sah ihre Mutter sie an dann zuckte es um ihre

Lippen Widerspruchsgeist gefiel ihr und sie schien auf einmal versoumlhnt Emma wuumlrde bleiben wuumlrde es allein um Leopolds willen tun Vielleicht wuumlrde es leichter fuumlr ihn mit ihr an seiner Seite

Das ehemalige Werksgelaumlnde hatte in Berlin-Oberschouml-neweide gestanden aber sie waren noch vor dem Krieg um-gezogen was sich als richtige Entscheidung erwiesen hatte wenngleich zu der Zeit noch niemand hatte wissen koumlnnen dass dieser Stadtteil unter sowjetische Verwaltung gestellt werden wuumlrde Das jetzige Werk stand in Berlin-Tempel-hof im Amerikanischen Sektor und hatte im Krieg ebenfalls gelitten Sie fuhren durch das Tor und Leopold parkte den Wagen auf der dafuumlr vorgesehenen Flaumlche auf der weitere Autos Motorraumlder und Mopeds standen

Ihre Mutter begleitete sie bis in die Etage in der sich die Raumlumlichkeiten der Geschaumlftsfuumlhrung befanden dann ging sie in ihr Buumlro waumlhrend Emma Leopold in seines be-gleitete

raquoWeiszligt dulaquo sagte er als er auf einen der Stuumlhle wies raquodu musst das nicht tunlaquo

raquoWas meinst dulaquo Emma lieszlig sich auf der Besucherseite seines Schreibtischs nieder

raquoDas weiszligt du genau Mich hierher zu begleiten ob-wohl du nie im Sinn hattest in der Firma zu arbeiten Du musst mich nicht vor Mutter beschuumltzenlaquo

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raquoDas tue ich doch gar nichtlaquoLeopold antwortete nicht ging nur zur Tuumlr oumlffnete sie

und rief in das gegenuumlberliegende Zimmer der beiden Sekretaumlrinnen dass man ihm und seiner Schwester bitte Kaffee bringen moumlge raquoEs war nie dein Plan hier zu ar-beitenlaquo

raquoPlaumlne koumlnnen sich aumlndernlaquoraquoVon einem Tag auf den anderenlaquoraquoJa warum denn nicht Und wer sagt uumlberhaupt dass

es so abrupt war Vielleicht denke ich ja schon laumlnger da-ruumlber nach und habe dir einfach noch nichts erzaumlhltlaquo Emma zog einen Bleistift aus dem Stiftebecher und drehte ihn zwischen den Fingern raquoUumlbrigens hat mir Dominik Lichtenthal ein Stellenangebot gemachtlaquo Gespannt be-obachtete sie Leopolds Reaktion

raquoWannlaquoraquoIch bin ihm mal abends beim Spaziergang begegnetlaquoraquoUnd da hat er dir ndash ohne dich und deine Befaumlhigung

so recht zu kennen ndash eine Stelle angebotenlaquoraquoWir haben uns kurz unterhalten und er weiszlig dass ich

Chemie studiere Da meinte er wenn ich nicht fuumlr Mutter arbeiten wolle solle ich mich bei ihm melden er koumlnne faumlhige Chemiker immer gebrauchenlaquo

raquoMutter enterbt dich wenn du das tustlaquoraquoDas waumlre nicht so schlimm denn dann erbst du alles

und wirst mir meinen Teil einfach auszahlenlaquoraquoIst das solaquoraquoNatuumlrlichlaquo Emma zog ihre Zigaretten hervorraquoDu willst doch wohl hier nicht rauchenlaquoAnstelle einer Antwort steckte sie sich eine Zigarette

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zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

bei Lichtenthal in Aussicht und einem groszligzuumlgigen Bru-der der dir deinen Erbanteil abtrittlaquo

Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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da bietet sich immer ein Vorwandlaquo Lukas sah Mortimer an und blieb auf Abstand Einmal hatte er den Versuch ge-macht den Hund zu streicheln und Mortimer hatte nach ihm geschnappt Das hatte Fanny erschreckt denn an sich war er der liebste Hund den man sich vorstellen konnte raquoDas hat er noch nie getanlaquo hatte sie beteuert

raquoDas ist ganz normal bei diesen Winzlingenlaquo hatte Lukas geantwortet raquoDie sind immer so giftig vermut-lich weil sie sich minderwertig fuumlhlen Ein echter Hund beginnt ab Kniehoumlhelaquo

Das hatte Fanny ihm uumlbelgenommen aber er hatte sich entschuldigt und betont Mortimer habe genau die rich-tige Groumlszlige fuumlr einen Maumldchenhund

Ihre Freundinnen beneideten sie gluumlhend um diesen gutaussehenden Bankierssohn nur ihre beste Freundin Nele mochte ihn nicht und nannte ihn einen groszligspuri-gen Angeber raquoVertrau dem Urteil deines Hundeslaquo hatte sie gesagt Das blieb ein Streitpunkt zwischen ihnen ob-wohl Nele in manchem was sie sagte durchaus richtiglag Nachdem sie und Lukas in der Schule erwischt worden waren hatte Nele gesagt raquoUm was wetten wir dass nur du den Aumlrger bekommstlaquo

Fanny fand das ziemlich ungerecht denn schlieszliglich hatte Lukas die Grenze uumlberschritten und nicht sie Waumlh-rend sie nebeneinanderher gingen haderte sie mit dem harschen Urteil ihres Vaters uumlber Lukas Wenn er es ihr nicht staumlndig so schwermachen wuumlrde ihn zu sehen waumlren solche Eskapaden ja ganz und gar uumlberfluumlssig Bisher war-tete sie immer noch vergebens auf den ersten Kuss aber es ergab sich einfach nicht die Gelegenheit

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raquoBei Franz Heikamp findet naumlchstes Wochenende eine Party stattlaquo erzaumlhlte Lukas raquoSeine Eltern sind verreist Gehst du mit mir hinlaquo

Ein heftiges Kribbeln stob in Fannys Bauch auf ge-folgt von dem Gefuumlhl der Ernuumlchterung raquoDas erlauben mir meine Eltern nie und noch dazu habe ich Hausarrestlaquo Lukas stieszlig einen entnervten kleinen Pfiff aus und Fanny befuumlrchtete seine Geduld mit ihr arg zu strapazieren raquoEs tut mir leidlaquo fuumlgte sie hinzu

raquoSchon gut ist ja nicht deine Schuld Dann eben ein anderes Mallaquo

Sie haumltte sich gern bei ihm eingehakt wagte es aber nicht denn die Gefahr dass ein Bekannter sie sah war ein-fach zu groszlig und dann konnte sie sich nicht mit einer zu-faumllligen Begegnung herausreden Auch so blieb ihr Blick stets wachsam auf die Straszlige gerichtet Und so entdeckte sie ihren Cousin Erich der im Auto an ihr vorbeifuhr auch gerade noch ehe er sie sehen konnte Fanny unterdruumlckte ein Stoumlhnen Konnte man so viel Pech haben

raquoMein Vetterlaquo sagte sie raquoWenn der uns sieht erfaumlhrt mein Vater das sofortlaquo

Wieder verdrehte Lukas entnervt die Augen raquoWenn du nicht so ein tolles Maumldchen waumlrst wuumlrde mich das hier schwer nervenlaquo

raquoEs tut mir leidlaquoraquoSchon gutlaquo Er lieszlig sich zuruumlckfallen schenkte ihr ein

Laumlcheln bei dem ihr die Knie weich wurden dann drehte er sich um und ging in die entgegengesetzte Richtung davon

Erich war ihr Cousin vaumlterlicherseits und Geschaumlftsfuumlh-

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rer im Pharmaunternehmen Lichtenthal und da er sich mit ihrem Vater ausnehmend gut verstand war sich Fanny sicher er wuumlrde es ihm sofort zutragen wenn er sie mit Lukas gesehen haumltte Seufzend ging Fanny weiter und als sie zu Hause ankam sah sie Erichs Wagen an der Straszlige stehen Sie ging durch das Eingangstor auf die elterliche Villa zu lieszlig Mortimer von der Leine der begeistert uumlber die Einfahrt tollte In der Eingangshalle begegnete sie Erich Er sah Fanny an laumlchelte hob leicht die Brauen und unwillkuumlrlich fragte sie sich ob er sie nicht doch mit Lukas bemerkt hatte Allerdings sagte er kein Wort dazu gruumlszligte nur und fragte was die Schule mache

Marion fuhr mit der Elektrischen ins Werk ihres Vaters Nach und nach erhob sich Berlin aus den Truumlmmern lebte und pulsierte Ganze Straszligenzuumlge waren veraumlndert ehe-mals Vertrautes wirkte fremd und waumlhrend die Erwachse-nen damit beschaumlftigt waren aus den Uumlberbleibseln etwas Neues zu erschaffen waren die klaffenden Ruinen fuumlr die Kinder ein riesiger Abenteuer spielplatz

Berlin war nach dem Krieg von den Alliierten in vier Besatzungszonen aufgeteilt worden wurde von den Sieger-maumlchten Frankreich England USA und der Sowjet union verwaltet und kontrolliert und seither gab es Zonengren-zen ndash Schlagbaumlume Farbmarkierungen an Baumlumen oder weiszlig-gelbe Holzpfosten ndash und wer von einer Zone in die

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naumlchste wollte brauchte mancherorts eine Genehmigung Fuumlr Reisen zwischen der Westzone und der sowjetischen Besatzungszone gab es Interzonenpaumlsse und es waren erste Grenzanlagen auf der Ostseite errichtet worden Stachel-drahthindernisse in Waldgebieten Sperren an Straszligen und dabei blieb es nicht sondern es war im Jahr nach Kriegsende eine Grenzpolizei eingesetzt und sogar der Ge-brauch fuumlr Schusswaffen geregelt worden Die Abrieglung des Ostens war ein Schock fuumlr die Menschen in Berlin

raquoDas kann doch nicht seinlaquo hatte sich Marions Mutter empoumlrt raquoEs war ja ohnehin schon ein Aufwand von einem Teil der Stadt in den anderen zu kommen und jetzt soll man auch noch aufpassen nicht erschossen zu werdenlaquo

Was Marion jedoch weit mehr Sorge bereitete war der Umstand dass seit diesem Tag dem achtundzwanzigs-ten Mai West-Berlin durch die Regierung in der Sow-jetzone vom Umland getrennt wurde Schon an den bei-den Tagen zuvor war die innerdeutsche Demarkationslinie nach Unter zeichnung des Bonner Deutschlandvertrags ab-geriegelt worden und es gab nun einen zehn Meter langen Kontrollstreifen einen fuumlnfhundert Meter langen Schutz-streifen sowie eine fuumlnf Kilometer weite Sperrzone Damit war der bisher geduldete kleine Grenzverkehr eingestellt worden Selbst die Telefonverbindungen zwischen West- und Ost-Berlin waren von der Regierung gekappt wor- den

Marion fragte sich wie es jetzt mit dem Schoumlnheits-salon weitergehen sollte der in Berlin-Mitte lag und so-mit im Teil der Stadt der nun von der Deutschen Demo-kratischen Republik verwaltet wurde Da ihre Mutter das

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Geschaumlft zwar in Ost-Berlin betrieb aber in West-Berlin ihren Wohnsitz hatte war ihr ndash wie vielen anderen Ge-werbetreibenden auch ndash die Gewerbeerlaubnis entzogen worden Wer in West-Berlin lebte aber in einem Betrieb in Ost-Berlin angestellt war ndash so wie Marion in der Cha-riteacute ndash wurde zum Umzug aufgefordert oder entlassen Da-mit sparte Marion sich die Kuumlndigung

Die Straszligen ins Umland wurden gesperrt offen bleiben durften nur jene die von den Alliierten als Zufahrtswege in die Bundesrepublik festgelegt worden waren Fuumlr die Menschen in West-Berlin bedeutete das den Verlust ihrer Besitztuumlmer im Osten Natuumlrlich wurden Passierscheine in Aussicht gestellt aber das bedeutete nicht automatisch dass diese genehmigt wurden Auch der Anhalter Bahnhof war stillgelegt worden es gab keine Zuumlge mehr die aus dem Osten nach West-Berlin fuhren

raquoMittlerweile liegt Italien fuumlr uns naumlher als Potsdamlaquo hatte Helena geschimpft

Auch das Werksgebaumlude von Lichtenthal-Pharma hatte einen Treffer abbekommen als eine Sprenggranate in einen Fluumlgel eingeschlagen hatte Der Bereich war nach wie vor eingezaumlunt und die Bauarbeiten schritten stetig voran Ihr Vater hatte die Gelegenheit genutzt und legte den Fluumlgel etwas weitraumlumiger an was dem Gebaumlude ein asymmetri-sches Aussehen verlieh

Marion warf dem Portier einen Gruszlig zu wechselte ein paar Worte mit den Mitarbeitern an der Rezeption und fuhr dann mit dem Aufzug hinauf in die Chefetage Die Tuumlr zum Vorzimmer stand offen und Marion sah wie die Sekretaumlrin ihres Vaters Frau Weiller sich gerade an-

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schickte mit einem Tablett auf dem Kaffeekanne und Tasse standen die Tuumlr zum Buumlro ihres Vaters zu oumlffnen

raquoDas uumlbernehme ichlaquo bot Marion an und nahm der Frau das Tablett ab raquoIch moumlchte sowieso kurz zu ihmlaquo Waumlhrend sie das Tablett in der einen Hand balancierte druumlckte sie mit der anderen die Tuumlr auf raquoBringen Sie mir bitte auch noch eine Tasselaquo

raquoNatuumlrlich kommt sofort Fraumlulein LichtenthallaquoIhr Vater saszlig an seinem Schreibtisch und sah auf als sie

eintrat raquoNa so etwas Planst du einen beruflichen Wech-sellaquo

raquoIn der Tat nur werde ich dann nicht deine Empfangs-damelaquo Marion stellte das Tablett ab und schenkte Kaffee ein Im naumlchsten Moment trat Frau Weiller ein brachte ein zusaumltzliches Gedeck und ein Milchkaumlnnchen

raquoIch weiszlig doch dass Sie Ihren Kaffee nicht schwarz trinkenlaquo sagte sie an Marion gewandt

Nachdem sie gegangen war und die Tuumlr hinter sich ge-schlossen hatte setzte Marion sich ihrem Vater gegenuumlber in einen der beiden Besucherstuumlhle

raquoWas meintest du damit dass du in der Tat einen be-ruflichen Wechsel planstlaquo fragte Dominik Lichtenthal

Marion trank einen weiteren Schluck raquoIch hatte eigent-lich vorgehabt meine Kuumlndigung bei der Chariteacute einzu-reichen wobei das ja nun nicht mehr noumltig ist Ich liebe die Medizin doch der Alltag einer Aumlrztin ist nicht das Richtige fuumlr michlaquo

Das traf ihren Vater vollkommen unerwartet hatte er doch damit gerechnet dass sie in der naumlchsten Zeit ihren Facharzt anstreben wuumlrde raquoSo ploumltzlichlaquo

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raquoIch denke da tatsaumlchlich schon eine ganze Zeit lang druumlber nachlaquo

raquoUnd was willst du stattdessen tun In die Pharmazielaquo Offenbar erinnerte er sich gerade an die paar Semester Che-mie die sie nebenher studiert und waumlhrend derer sie eine kurze Liaison mit einem Chemieprofessor gehabt hatte

raquoNein auch das nichtlaquo Die Kenntnisse in Chemie waren indes durchaus zu etwas gut raquoIch moumlchte bei Mama mitarbeitenlaquo

Unglaumlubig sah ihr Vater sie an raquoDu hast ein komplettes Medizinstudium mit hervorragenden Noten abgeschlos-sen und dann sieht deine Berufswahl so aus Frauen Farbe ins Gesicht zu malenlaquo

Marion musste lachen raquoLass das bloszlig nie Mama houmlren Du weiszligt doch genau dass Kosmetik mehr ist als Frauen Farbe ins Gesicht zu malen Mich interessiert medizini-sche Kosmetik Wie du siehst ist mein Studium nicht vergebens gewesenlaquo

raquoDu kannst doch in die Dermatologie gehenlaquoraquoJa koumlnnte ich Ich koumlnnte aber auch in die Forschung

gehen und medizinische Kosmetik entwickelnlaquoraquoDu koumlnntest auch bei mir in die pharmazeutische For-

schung gehenlaquoraquoDas geht doch Hand in Hand Paps Ich weiszlig dass du

sicher enttaumluscht bist aber helliplaquoraquoNeinlaquo fiel er ihr ins Wort raquoIch bin nicht enttaumluscht

Es ging mir nie darum dass du meine Erwartungen er-fuumlllst sondern stets nur deine eigenen Ich gestehe ich war gluumlcklich als du mir eroumlffnet hast dass du Aumlrztin werden willst aber letzten Endes ist mir am wichtigsten dass du

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zufrieden bist mit dem was du tust Ich bitte dich nur die Entscheidung zu uumlberdenkenlaquo

raquoDu kannst davon ausgehen dass ich das getan habe Ich habe lange und gruumlndlich daruumlber nachgedachtlaquo

raquoWeiszlig deine Mutter bereits davonlaquoraquoNein ich bin zuerst zu dir gekommenlaquoIhr Vater nickte zog seine Zigaretten hervor und

steckte eine an raquoSie wird sich freuen dass du mit ihr zu-sammenarbeiten wirst Und die Taumltigkeit als Aumlrztin laumluft dir ja nicht davon du hast ein abgeschlossenes Studium und kannst jederzeit deinen Facharzt machen wenn du merkst dass das vielleicht doch nicht das Richtige fuumlr dich ist Dir ist aber klar dass du mit medizinischer Kosmetik in Konkurrenz zu deiner Tante Charlotte trittstlaquo

raquoJa durchaus Aber wie sagst du immer Konkurrenz belebt das Geschaumlftlaquo Mit ihrer Tante hatte Marion nur selten Kontakt Auf Feiern lief man sich hin und wieder uumlber den Weg aber damit erschoumlpfte es sich auch schon Im Grunde war das bedauerlich denn Charlottes Tochter Emma war ganz reizend und Marion hatte schon einige interessante Unterhaltungen mit ihr gefuumlhrt wenn sie sich denn mal begegnet waren Auch Emmas Bruder Leopold war sehr freundlich und umgaumlnglich wenngleich er seit dem Krieg verschlossen und in sich gekehrt wirkte Im letzten Jahr hatte er noch an die Front gemusst der arme Kerl Da war sein Vater gerade gestorben und Leopold hatte nicht nur den Verlust zu verkraften gehabt sondern war selbst in dem unheilvollen Mahlwerk des Krieges auf-gerieben worden

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Emma Rudorf saszlig mit einem Buch in der Hand im Wohn-zimmer und houmlrte ihren Bruder heimkommen Den gan-zen Tag war Leopold im Werk von Dr Rudorfs medizi-nische Kosmetik gewesen und an seinem schleppenden Schritt houmlrte Emma wie erschoumlpft er sein musste Ver-mutlich hatte er wieder mit Mutter gestritten und bei dem Gedanken daran wie diese ihm zusetzte packte sie die Wut Sie legte ihr Buch beiseite und stand auf ging in den Flur wo sich Leopold gerade die Schuhe auszog Er sah ihrem Vater aumlhnlich hatte zwar dunkleres Haar aber seine Gesichtszuumlge und er wirkte mit der Brille ein wenig professorenhaft

Als er Emma bemerkte laumlchelte er raquoWie gehtrsquoslaquo fragte er mit gespielter Munterkeit

raquoGut Und dirlaquoraquoViel zu tun Und bei dir Wie war die KlausurlaquoraquoIch denke ich habe bestandenlaquo Emma wuumlrde im

naumlchsten Sommer ihr Chemiestudium abschlieszligenraquoEtwas anderes habe ich auch nicht erwartetlaquoraquoIch habe Abendessen gemacht Kommt Mama auch

gleichlaquoraquoNein sie meinte sie haumltte noch viel zu tunlaquoWie immer Fuumlr Charlotte Rudorf gab es seit dem Tod

ihres Mannes nur noch das Werk sie arbeitete wie beses-sen als koumlnnte das den Schmerz des Verlustes betaumluben Emma hatte sich so oft gewuumlnscht sie wuumlrde daruumlber nicht staumlndig vergessen dass sie zwei Kinder hatte und sich nur dann an sie erinnern wenn es etwas auszusetzen gab Vor allem Leopold war ihr ein fortwaumlhrendes Aumlrgernis

raquoDu warst ein Jahr im Krieglaquo pflegte sie zu sagen

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raquound du bist in einem Stuumlck zuruumlckgekommen Wie lange willst du noch in Truumlbsal versinken anstatt endlich wieder mit beiden Beinen im Leben zu stehenlaquo

Was ihre Mutter Truumlbsal nannte war eine tiefe innere Wunde die der Krieg geschlagen hatte und Emma fragte sich warum sie diese sehen konnte nicht aber die Frau die ihn geboren hatte Dann kamen wieder diese Geschich-ten uumlber all die Kriegsheimkehrer die es auch schafften ihr Leben in den Griff zu bekommen obwohl sie deutlich laumlnger im Krieg aufgerieben worden waren Wie schlimm konnte da das eine Jahr schon gewesen sein Einzig fuumlr Emmas Albtraumlume durch die Bombardierung hatte sie Verstaumlndnis denn diese war zu der Zeit gerade vierzehn Jahre alt gewesen Da spielte wohl auch die Erinnerung mit hinein wie Emma an sie geschmiegt im Keller ge-sessen und gewartet hatte bis die Bombardierung vorbei war waumlhrend sie beide Angst gehabt hatten dass Leopold vielleicht schon tot war

raquoIsst du mit mir zu Abendlaquo fragte er nunraquoKlar ich habe auf dich gewartetlaquoLeopold wuumlrde im Juli vierundzwanzig werden und hatte

sein Pharmaziestudium im letzten Jahr abgeschlossen Er haumltte lieber Maschinenbau studiert war schon seit Kinder-tagen davon fasziniert gewesen Aber es war klar gewesen dass er das Familienwerk erben wuumlrde Allenfalls haumltte er noch Arzt werden koumlnnen um die Praxis ihres Vaters zu uumlbernehmen die nun ein anderer Arzt gemietet hatte

Da sie nur zu zweit waren aszligen sie zwanglos in der Kuumlche und Leopold deckte den Tisch waumlhrend Emma den Brotkorb Butter Kaumlse und Aufschnitt hinstellte und alles

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in den Dosen belieszlig was ihre Mutter stets als mangelnde Esskultur bezeichnete Emma hingegen war es zu viel Auf-wand jetzt alles auf Tellern anzuordnen nur um dann das meiste wieder zuruumlckzufuumlllen und wegzuraumlumen und mehr zum Abspuumllen zu haben Sie lieszlig sich ihrem Bruder gegen-uumlber am Tisch nieder Im Gegensatz zu ihrer Mutter hatte Emma bislang keine groszligen beruflichen Ambitionen ge-habt sie studierte Chemie allein aus dem Grund weil es sie interessierte aber sie hatte keine konkreten Plaumlne da-ruumlber hinaus ndash ein staumlndiges Aumlrgernis fuumlr Charlotte Ru-dorf Emmas Plan war gewesen zum Zeitvertreib etwas zu studieren das ihr Spaszlig machte und danach zu heiraten Im Laufe des Studiums hatte sich ihr Interesse allerdings ge-wandelt In der Fakultaumlt war sie hin und wieder ihrer Cou-sine Marion uumlber den Weg gelaufen die mit einem von Emmas Professoren ausgegangen war und sie fand sie glei-chermaszligen interessant wie inspirierend Sie hatte sogar kurz mit dem Gedanken gespielt sich im Pharmakonzern Lich-tenthal zu bewerben aber da haumltte vermutlich eine Andeu-tung gereicht und ihre Mutter waumlre die Waumlnde hochge-gangen Mit ihrer Schwester Helena hatte sie sich schon vor Jahren entzweit und eine Annaumlherung war nicht in Sicht

Beim Essen plauderten sie uumlber Allgemeines Leopold zog sie mit einem Dozenten auf von dem sie ndash seiner Mei-nung nach ndash verdaumlchtig oft sprach Daraufhin erinnerte sie an die Verkaumluferin aus dem KaDeWe mit der er fortwaumlh-rend ausging ohne dass die Sache von der Stelle kam Spauml-ter raumlumten sie zusammen ab erledigten den Abwasch und wollten gerade ins Wohnzimmer gehen um das Radio ein-zuschalten als ihre Mutter die Wohnungstuumlr aufschloss

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raquoGuten Abendlaquo Charlotte Rudorf sah muumlde aus und Emma ging zu ihr um ihr den Mantel abzunehmen und ihn an die Garderobe zu haumlngen

raquoSoll ich das Abendessen wieder auf den Tisch stellenlaquo fragte Emma

raquoNein lass nur ich habe im Werk eine Kleinigkeit ge-gessenlaquo

So war es fast jeden Abend im Grunde genommen aszligen sie nur noch am Wochenende regelmaumlszligig zusammen und fanden sich ansonsten morgens zu einem raschen Fruumlh-stuumlck in der Kuumlche ein Ihre Mutter wechselte einen kur-zen Blick mit Leopold aus dem klar ersichtlich wurde dass die beiden noch vor gar nicht langer Zeit gestritten hatten ndash ganz so wie von Emma vermutet Nun jedoch zeigte sich ein zoumlgerliches Laumlcheln auf den Lippen Char-lotte Rudorfs und auch das war typisch Zum Abend hin legte sie Streit gerne bei mochte es nicht unversoumlhnt schlafen zu gehen

Im Wohnzimmer schalteten sie das Radio ein Emma houmlrte nur mit halbem Ohr hin und hatte ihr Buch wie-der aufgeschlagen war aber auch hier nicht bei der Sache Schlieszliglich gab sie es auf und beschloss noch ein wenig spazieren zu gehen

raquoUm diese Uhrzeitlaquo fragte ihre Mutter die gerade mit einer Tasse Kraumlutertee ins Wohnzimmer trat

raquoEs ist kurz nach achtlaquoNun blickte auch Leopold auf sah sie an als witterte er

hinter ihrem Wunsch eine tiefere WahrheitraquoEs ist nur ein Spazierganglaquo sagte sie und haumltte am

liebsten die Augen verdreht raquoMir geht so viel im Kopf

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herum und ich kann meine Gedanken beim Gehen am besten sortierenlaquo

raquoWie war eigentlich deine Klausurlaquo wollte ihr Mut-ter nun wissen

raquoGut denke ichlaquo Emma ging in den Flur nahm einen leichten Mantel vom Haken legte sich einen Seidenschal um und warf noch einen kurzen Blick in den Spiegel Seit kurzem trug sie ihr hellbraunes Haar knapp schulterlang und in groszlige Locken gelegt die sie mit einer Spange seit-lich zuruumlckhielt Jetzt zupfte sie ein wenig daran herum bis sie schlieszliglich zufrieden war und verlieszlig die Wohnung Sie wohnten in der ersten Etage direkt uumlber der Arztpraxis die Wohnung im zweiten Stock stand derzeit leer Fruumlher einmal hatte Emmas Groszligmutter dort gewohnt aber sie lebte bereits seit fast dreiszligig Jahren bei ihrer Tochter erst in Hamburg und seit kurz vor dem Krieg in Muumlnchen da der Ehemann von Emmas Tante dorthin versetzt worden war Leider kam sie nur noch selten zu Besuch da lange Reisen sie zu sehr anstrengten Emma bedauerte das denn sie mochte ihre Groszligmutter die auch mit achtzig noch ruumlstiger und scharfsinniger war als manch junge Frau die Emma kannte

Es daumlmmerte bereits und die langen Schatten des spauml-ten Nachmittags waren ineinandergekrochen verdichte-ten sich langsam und entfaumlrbten den Tag zu einem lich-ten Grau Seit zwei Jahren stellte man die Uhren nicht mehr zur Sommerzeit um und anfangs war es ungewohnt gewesen dass die Sommertage nun um eine Stunde kuumlr-zer waren aber man gewoumlhnte sich daran Waumlhrend des Krieges hatte es eine Zeit gegeben in der fortwaumlhrend

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Sommerzeit gegolten hatte und man die Uhren uumlberhaupt nicht mehr umstellte irgendwann war ein konzeptloses Wechseln erfolgt Dann war die Regelung durch die Besat-zungsmaumlchte wieder geaumlndert worden und sie bestimm-ten eine Umstellung auf die Sommerzeit ndash wobei diese in der sowjetischen Besatzungszone Berlins 1945 ganze zwei Monate laumlnger gedauert hatte Jetzt endlich hatte die Regierung sich auf eine einheitliche Zeit festgelegt die fuumlr das gesamte Jahr galt ndash die Ruumlckkehr zur Normalzeit Emma hoffte dass das so blieb

Als sie durch die Straszlige spazierte hier und da einen heimkehrenden Nachbarn oder Bekannten gruumlszligte ndash die Tochter des Herrn Doktor kannte man im gesamten Vier-tel ndash fiel ihr ein Mann auf der gerade ein Haus verlieszlig sich noch einmal umdrehte einem weiteren Mann der in der offenen Tuumlr stand etwas sagte und dann durch den Vorgarten schritt und auf sein Auto zuging Dominik Lichtenthal Emma blieb stehen sah ihn an wusste nicht ob sie zu ihm gehen und houmlflich gruumlszligen oder ihn ignorie-ren sollte Er nahm ihr die Entscheidung ab als er sie be-merkte kurz stutzte als muumlsste er ihr Gesicht erst einem Namen zuordnen und sie dann anlaumlchelte

raquoGuten Abend Emma Wie geht es dirlaquoSie ging auf ihn zu raquoSehr gut vielen Danklaquo Sie wusste

nie so recht ob sie ihn duzen sollte oder nicht denn einer-seits war er ein Fremder andererseits aber der Ehemann ihrer Tante und damit praktisch ihr Onkel

raquoIch habe gehoumlrt du studierst ChemielaquoraquoJa ich werde diesen Sommer fertiglaquoraquoUnd dann geht es in den Konzern deiner Mutterlaquo

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Unschluumlssig hob Emma die Schultern raquoAch das weiszlig ich noch gar nichtlaquo

Dominik Lichtenthal schloss seinen Wagen auf raquoWenn du dich lieber auf dem freien Markt umsehen moumlchtest sag Bescheid ich kann faumlhige Chemiker immer gebrau-chenlaquo

Es war schon fast skurril dass Emma diesen Gedanken erst vor kurzem gehegt hatte und ihn nun ausgesprochen houmlrte Da sie nicht rundheraus ablehnen wollte dankte sie ihm und nachdem sie ihm gesagt hatte er moumlge seine Familie von ihr gruumlszligen stieg er in seinen Wagen und fuhr los Im Grunde genommen war das doch albern dass ihre Mutter immer noch nichts mit ihrer Schwester zu tun haben wollte Emma kannte die alte Geschichte und natuumlr lich war es hart auf einen Schlag sein gesam-tes Erbe zu verlieren und die unvermittelt aufgetauchte fremde Schwester als einzige Gewinnerin in dieser Situa-tion zu sehen aber das Ganze war jetzt gut fuumlnfundzwan-zig Jahre her irgendwann musste es doch mal gut sein Und es war ja nun wahrlich nicht so als wuumlrde der Besitz des Hauses in der Friedrichstraszlige noch einen nennenswer-ten Unter schied im Vermoumlgen ihrer Mutter machen Im Gegenteil ndash waumlre sie dort geblieben haumltte sie es vielleicht nie so weit gebracht

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Juni 1952

Die einstmals goldene Zeit merkte man der ehemaligen Amuumlsiermeile auf der Friedrichstraszlige nicht mehr an und Helena verspuumlrte jedes Mal beim Besuch ihres Schoumlnheits-salons diesen Stich des Bedauerns Als sie in den Zwan-zigern hier angekommen war hatte das Leben pulsiert mit Autos Bussen Bahnen Fuszliggaumlngern Radfahrern und noch vereinzelten Droschken Die Kreuzung an der Leip-ziger Straszlige war ein so verkehrsreicher Knotenpunkt ge-wesen dass es fuumlr die aus der Provinz stammende Helena anfangs schon eine Herausforderung gewesen war lebend von einer Straszligenseite auf die andere zu gelangen

Nach dem Krieg war die Straszlige eine von Ruinen ge-saumlumte Schuttwuumlste geworden und auch wenn die Truumlm-mer in weiten Teilen fortgeraumlumt waren so erinnerte doch nur wenig an fruumlher Helena hatte mehrfach uumlberlegt den Schoumlnheitssalon einfach aufzugeben aber das brachte sie nicht uumlber sich Vielleicht normalisierte sich hier ja alles irgendwann wieder das konnte doch nicht ewig so blei-ben Ihr Schoumlnheitssalon in der Friedrichstraszlige befand sich im Amerikanischen Sektor der in Berlin-Mitte gehoumlrte nun zur DDR ihr Werk wiederum zum Franzoumlsischen

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Sektor Dominiks sowie ihr Wohnsitz lagen im Britischen Sektor Das war doch auf Dauer kein Zustand Den Salon in Berlin-Mitte hatte sie aufgeben muumlssen und sie sah sich bereits nach Alternativen um

Als Helena in den Salon trat kam ihr Ida ndash fruumlher Wag-ner jetzt Zeller ndash entgegen raquoKaffeelaquo

raquoUnbedingtlaquo Helena haumlngte ihren Mantel an die Gar-derobe und betrat den Salon Es war noch fruumlh und sie wuumlrden erst in einer halben Stunde oumlffnen Ida hatte schon in den Dreiszligigern die Leitung des Salons uumlbernommen als Helena damit beschaumlftigt gewesen war einen weiteren in Berlin-Mitte zu eroumlffnen

raquoWie geht es den MaumldchenlaquoHelena setzte sich in einen der bequemen Besucher-

stuumlhle wo die Frauen sich bei einer Tasse Kaffee oder Tee und etwas Gebaumlck entspannen konnten raquoMarion faumlngt bei mir im Werk an der Termin steht jetztlaquo Das war Schock und freudige Uumlberraschung zugleich gewesen und Helena wusste selbst nicht ob ihre Bestuumlrzung oder ihre Freude uumlberwog Natuumlrlich hatte sie gehofft dass Marion als Aumlrztin praktizierte immerhin hatte sie stu-diert und damit ein klares Ziel vor Augen gehabt Ande-rerseits freute es sie dass ihre Tochter Interesse an ihrem Unternehmen zeigte ndash und nicht an Dominiks wie eine kleine nicht zu unterdruumlckende Stimme des Triumphs in ihr betonte raquoUnd Fanny schlieszligt das Schuljahr mit sehr guten Noten ablaquo

raquoMathematik macht ihr wieder SpaszliglaquoraquoNachdem Ferdinands Ehefrau es ihr erklaumlrt hat was

ihr unfaumlhiger Lehrer offenbar nicht hinbekommtlaquo Fer-

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dinand war der Patenonkel beider Toumlchter und seine Frau eine begabte Mathematikerin

Die Schwangerschaft mit Fanny hatte Helena seinerzeit einen gehoumlrigen Schrecken eingejagt All die Jahre hatte sie es erfolgreich vermieden zu empfangen und dann als die Welt am Abgrund stand kuumlndigte sich neues Leben an Schlimm genug mitanzusehen wie Marion bereits in der Schule darauf vorbereitet wurde in den BDM einzu-treten da wollte sie diesem System nicht noch ein Kind schenken Es war Rudolf Liliengrund gewesen dem Fanny es zu verdanken hatte dass Helena keinen Abbruch hatte vornehmen lassen

raquoGerade in diesen Zeiten sollten die Anstaumlndigen sich vermehrenlaquo

Ihr lieber Rudolf der seine gesamte Familie verloren und selbst nur knapp und unter Entbehrungen die Flucht geschafft hatte weil er zu lange gezoumlgert geglaubt hatte es wuumlrde alles gut werden Und so hatte Helena Fanny aus-getragen hatte schon in der Schwangerschaft eine so innige Beziehung zu dem Kind gehabt wie sie es sich nicht hatte vorstellen koumlnnen Es war ganz anders als mit Marion zu der sie erst eine enge Bindung hatte aufbauen koumlnnen als diese bereits ein Kleinkind gewesen war Waumlhrend Marion von Geburt an ein Papakind war so war Fanny von Geburt an ganz und gar ihre Tochter Helena hatte sie sogar mit zur Arbeit genommen weil sie sich nicht von ihr trennen mochte hatte sie im Buumlro gestillt und in der Wiege neben sich schlafen lassen Undenkbar dieses Baby jemand ande-rem anzuvertrauen Dabei liebte sie Marion nicht weniger und sie verstand auch im Nachhinein nicht warum sie bei

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beiden Kindern schon in der Schwangerschaft so unter-schiedlich empfunden hatte

raquoDu solltest endlich aufhoumlren das zu hinterfragenlaquo hatte ihre beste Freundin Irene Danelius gesagt raquoEs ist jetzt wie es ist Freu dich einfach Gerade jetzt haben wir alle wahrhaftig Probleme genug da muss man nicht auch noch welche hinzuredenlaquo

Als im November 1938 die Synagogen brannten hatte Irene das Land verlassen raquoIch komme zuruumlck wenn der Irrsinn vorbei istlaquo hatte sie gesagt und war nach Amerika gegangen Dort war sie zur Filmgroumlszlige geworden hatte einen bekannten Produzenten geheiratet und lebte nach wie vor in den Vereinigten Staaten Helena vermisste sie immer noch sehr und war auch schon einmal mit ihrer Familie in New York gewesen um sie zu besuchen

raquoFahrt ihr diesen Sommer weglaquo fragte Ida und setzte sich nun ebenfalls

raquoAuf jeden Fall fuumlr zwei Wochen zu meiner Mutter Und von da aus vielleicht weiter in Richtung Schweizlaquo Vor allem auf die Zeit bei ihrer Mutter freute sich Helena das waren jedes Mal schoumlne Tage mit all den fruumlheren Freunden und Bekannten sowie mit der Baronin fuumlr die sie und ihre Mutter fruumlher gearbeitet hatten und bei der ihre Mutter nun den Altersruhesitz hatte Fuumlr Helenas Familie standen immer Gaumlstezimmer bereit Ein wenig behandelte man sie dort wie eine Prominente die Dienst-botentochter die es in der Weltmetropole zu etwas ge-bracht hatte mit einem reichen Mann verheiratet war und mit Filmstars verkehrte

Kurz darauf trafen die uumlbrigen Mitarbeiterinnen ein

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und dann kamen auch schon die ersten Kundinnen Helena unterhielt sich mit einigen der Damen beriet hier und da persoumlnlich und machte sich dann auf den Weg ins Werk Unmittelbar nach dem Krieg war es schwierig gewesen die Rohstoffe fuumlr die Produktion von Kosmetik aufzutrei-ben vielfach waren sie nur zu Schwarzmarktpreisen zu be-kommen Viele Rohstoffe wurden in der Pharmaindustrie dringender benoumltigt und natuumlrlich hatte die medizini-sche Versorgung Vorrang vor der kosmetischen Gerade nach dem Krieg hatten sie alle andere Sorgen gehabt wes-halb Helenas Werk voruumlbergehend die Produktion um-stellte und der chemischen Industrie zuarbeitete waumlhrend die Schoumlnheitssalons Obdachlosen offenstanden Erst vier Jahre nach Kriegsende als der Hungerwinter vorbei war und die Menschen durch die Waumlhrungsreform wieder uumlber Geld verfuumlgten hatte Helena Kosmetikherstellung und Schoumlnheitsbehandlungen wieder aufgenommen

Im Werk ging Helena direkt in ihr Buumlro und sah sich Werbeentwuumlrfe an Sie liebte ihre Arbeit und sie machte ihr nach wie vor Spaszlig allerdings fehlte ihr die Heraus-forderung Die Kosmetik entwickelte sich stetig weiter und mittlerweile war Forschung und Entwicklung eine eigene Abteilung in ihrem Unternehmen Natuumlrlich freute sie sich daruumlber aber sie vermisste die Zeiten in denen sie selbst in ihrer Fertigung gesessen und experimentiert hatte Vielleicht war es wirklich gut dass Marion hier demnaumlchst etwas frischen Wind hereinbringen wuumlrde Wie wohl Charlotte darauf reagierte dass Helena ihr nun Konkurrenz machen wuumlrde

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Emma houmlrte den Streit bis ins Wohnzimmer Ihre Mutter hielt Leopold vor er naumlhme die Arbeit nicht ausreichend ernst und bringe sich zu wenig ein Wie er bei dem Ge-schaumlftstermin am Vortag nur dagesessen und auf einmal zu zittern begonnen habe Wenn es nicht anders ging dann solle er eben seine Medikamente wieder nehmen Und ndash verdammt noch mal ndash endlich mehr Nervenstaumlrke zei- gen

Auch an diesem Morgen hatte es schon wieder damit begonnen dass Leopold beim Fruumlhstuumlck sehr still gewe-sen war was fuumlr Emma immer ein Zeichen fuumlr schlimme Traumlume war Auf Ausfuumlhrungen ihrer Mutter zu dem heu-tigen Arbeitstag hatte er nur genickt was diese wiederum zu dem Schluss kommen lieszlig dass er sich nur unzurei-chend interessierte Uumlberhaupt habe er keine innovativen Ideen arbeite den Tag ab ohne echtes Interesse zu zeigen an dem was er tat Irgendwann war ein handfester Streit ausgebrochen der auch dann noch anhielt als Emma das Esszimmer verlassen hatte und nun in der Kuumlche den Ab-wasch machte Schlieszliglich hielt sie es nicht mehr aus lief ins Esszimmer zuruumlck

raquoWas willst du eigentlichlaquo fuhr sie ihre Mutter an raquoEr tut doch alles was er solllaquo

raquoEmma lass nurlaquo sagte Leopold raquoIch mache helliplaquoraquoNein ich lasse es nicht Koumlnnen wir nicht mal einen

Morgen friedlich verbringen wie andere Familien auch Muss hier immer den ganzen Tag uumlber Streit herrschen und abends gehen wir dann versoumlhnt schlafen Wozu Um am naumlchsten Tag wieder loszulegen Das ist doch nicht mehr auszuhaltenlaquo

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raquoWie redest du eigentlich mit mirlaquo Die Stimme ihrer Mutter war ganz kalt geworden bar jeder Emotion

raquoIch helliplaquo Die aufbrausende Wut fiel von Emma ab und sie wusste nicht mehr was sie nun sagen sollte raquoIch hellip ich habe heute keine Uni und wollte ohnehin fragen ob ich mit ins Werk kannlaquo Der Einfall war ihr gerade erst ge-kommen raquoIch koumlnnte Leo zuarbeiten und so schon einmal Einblicke bekommenlaquo

Die frostglitzernde Wut im Blick ihrer Mutter schmolz zu Uumlberraschung raquoAch waslaquo

raquoIch habe mir lange uumlberlegt was ich mit meinem Che-miestudium machelaquo

raquoHeiszligt das es steht nicht zu erwarten dass du dich nun nach einer passenden Partie umsiehstlaquo Fuumlr jemanden der selbst gluumlcklich verheiratet gewesen war zeigte ihre Mut-ter eine sehr ablehnende Haltung zu Emmas Eheplaumlnen

raquoNoch ist ja niemand in Aussicht nicht wahrlaquo ver-setzte Emma der Hoffnung einen Daumlmpfer

Ihre Mutter schien damit zufrieden zu sein raquoSchoumln dann beeil dich wir brechen gleich auflaquo

Sie und Leopold fuhren in der Regel gemeinsam los und Leopold lieszlig dann den Wagen fuumlr sie im Werk und kehrte puumlnktlich zum Buumlroschluss mit der Bahn nach Hause zu-ruumlck Das tat er vermutlich vor allem aus dem Grund weil er den Abstand brauchte

raquoIch habe uumlbrigens gehoumlrt dass Marion in der Chariteacute aufhoumlrtlaquo erzaumlhlte Emma als sie auf der Ruumlckbank des Wagens Platz genommen hatte

raquoWelche Marionlaquo fragte ihre Mutter und Emma haumltte gerne gewusst ob sie das wirklich nicht wusste

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raquoUnsere CousinelaquoraquoUnd warum sollte es mich interessieren was diese Per-

son tutlaquoraquoWeil sie deine Nichte ist moumlglicherweiselaquoVon hinten konnte Emma das Schulterzucken sehenraquoAuf jeden Fall heiszligt es sie wollte in das Unternehmen

von Tante Helena einsteigenlaquo Mit einiger Befriedigung bemerkte Emma dass ihre Mutter bei dieser persoumlnlichen Bezeichnung kaum merklich zusammenzuckte

raquoIn der TatlaquoraquoSie hat einige Semester Chemie studiert das hatte ich

doch erzaumlhltlaquoraquoJa hattest du Auch dass sie es mit deinem Chemie-

professor getrieben hatlaquoraquoMutterlaquo kam es von LeopoldraquoDas habe ich nie gesagtlaquo Emma lehnte sich vor als

koumlnne sie ihren Worten damit mehr Nachdruck verleihen raquoIch sagte sie gehen miteinander auslaquo

raquoWenn sie nach ihrer Mutter kommt gibt es das eine nicht ohne das andere Gerne auch zum Nachteil der eigenen Familie Sind deine Noten bei besagtem Profes-sor nicht danach schlechter gewordenlaquo

raquoDas war bei Professor Guenther nicht bei Professor Hellweg mit dem Marion aus war Meine Guumltelaquo Emma hatte langsam genug Dieser sture verbohrte Zorn ihrer Mutter war nicht mehr zu ertragen Mit Ende vierzig konnte sie sich auf jeden Fall noch nicht mit Altersstarr-sinn herausreden raquoHoumlr zu wenn das hier jeden Morgen der Beginn meines Arbeitstages wird sag es direkt dann reicht mir der einmalige Ausflug in dein Unternehmen

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und ich bewerbe mich morgen beim Pharmaunternehmen Lichtenthallaquo

Ihre Mutter fuhr herum raquoDas wagst du nichtlaquoraquoLass es gerne darauf ankommenlaquoLange sah ihre Mutter sie an dann zuckte es um ihre

Lippen Widerspruchsgeist gefiel ihr und sie schien auf einmal versoumlhnt Emma wuumlrde bleiben wuumlrde es allein um Leopolds willen tun Vielleicht wuumlrde es leichter fuumlr ihn mit ihr an seiner Seite

Das ehemalige Werksgelaumlnde hatte in Berlin-Oberschouml-neweide gestanden aber sie waren noch vor dem Krieg um-gezogen was sich als richtige Entscheidung erwiesen hatte wenngleich zu der Zeit noch niemand hatte wissen koumlnnen dass dieser Stadtteil unter sowjetische Verwaltung gestellt werden wuumlrde Das jetzige Werk stand in Berlin-Tempel-hof im Amerikanischen Sektor und hatte im Krieg ebenfalls gelitten Sie fuhren durch das Tor und Leopold parkte den Wagen auf der dafuumlr vorgesehenen Flaumlche auf der weitere Autos Motorraumlder und Mopeds standen

Ihre Mutter begleitete sie bis in die Etage in der sich die Raumlumlichkeiten der Geschaumlftsfuumlhrung befanden dann ging sie in ihr Buumlro waumlhrend Emma Leopold in seines be-gleitete

raquoWeiszligt dulaquo sagte er als er auf einen der Stuumlhle wies raquodu musst das nicht tunlaquo

raquoWas meinst dulaquo Emma lieszlig sich auf der Besucherseite seines Schreibtischs nieder

raquoDas weiszligt du genau Mich hierher zu begleiten ob-wohl du nie im Sinn hattest in der Firma zu arbeiten Du musst mich nicht vor Mutter beschuumltzenlaquo

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raquoDas tue ich doch gar nichtlaquoLeopold antwortete nicht ging nur zur Tuumlr oumlffnete sie

und rief in das gegenuumlberliegende Zimmer der beiden Sekretaumlrinnen dass man ihm und seiner Schwester bitte Kaffee bringen moumlge raquoEs war nie dein Plan hier zu ar-beitenlaquo

raquoPlaumlne koumlnnen sich aumlndernlaquoraquoVon einem Tag auf den anderenlaquoraquoJa warum denn nicht Und wer sagt uumlberhaupt dass

es so abrupt war Vielleicht denke ich ja schon laumlnger da-ruumlber nach und habe dir einfach noch nichts erzaumlhltlaquo Emma zog einen Bleistift aus dem Stiftebecher und drehte ihn zwischen den Fingern raquoUumlbrigens hat mir Dominik Lichtenthal ein Stellenangebot gemachtlaquo Gespannt be-obachtete sie Leopolds Reaktion

raquoWannlaquoraquoIch bin ihm mal abends beim Spaziergang begegnetlaquoraquoUnd da hat er dir ndash ohne dich und deine Befaumlhigung

so recht zu kennen ndash eine Stelle angebotenlaquoraquoWir haben uns kurz unterhalten und er weiszlig dass ich

Chemie studiere Da meinte er wenn ich nicht fuumlr Mutter arbeiten wolle solle ich mich bei ihm melden er koumlnne faumlhige Chemiker immer gebrauchenlaquo

raquoMutter enterbt dich wenn du das tustlaquoraquoDas waumlre nicht so schlimm denn dann erbst du alles

und wirst mir meinen Teil einfach auszahlenlaquoraquoIst das solaquoraquoNatuumlrlichlaquo Emma zog ihre Zigaretten hervorraquoDu willst doch wohl hier nicht rauchenlaquoAnstelle einer Antwort steckte sie sich eine Zigarette

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zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

bei Lichtenthal in Aussicht und einem groszligzuumlgigen Bru-der der dir deinen Erbanteil abtrittlaquo

Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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raquoBei Franz Heikamp findet naumlchstes Wochenende eine Party stattlaquo erzaumlhlte Lukas raquoSeine Eltern sind verreist Gehst du mit mir hinlaquo

Ein heftiges Kribbeln stob in Fannys Bauch auf ge-folgt von dem Gefuumlhl der Ernuumlchterung raquoDas erlauben mir meine Eltern nie und noch dazu habe ich Hausarrestlaquo Lukas stieszlig einen entnervten kleinen Pfiff aus und Fanny befuumlrchtete seine Geduld mit ihr arg zu strapazieren raquoEs tut mir leidlaquo fuumlgte sie hinzu

raquoSchon gut ist ja nicht deine Schuld Dann eben ein anderes Mallaquo

Sie haumltte sich gern bei ihm eingehakt wagte es aber nicht denn die Gefahr dass ein Bekannter sie sah war ein-fach zu groszlig und dann konnte sie sich nicht mit einer zu-faumllligen Begegnung herausreden Auch so blieb ihr Blick stets wachsam auf die Straszlige gerichtet Und so entdeckte sie ihren Cousin Erich der im Auto an ihr vorbeifuhr auch gerade noch ehe er sie sehen konnte Fanny unterdruumlckte ein Stoumlhnen Konnte man so viel Pech haben

raquoMein Vetterlaquo sagte sie raquoWenn der uns sieht erfaumlhrt mein Vater das sofortlaquo

Wieder verdrehte Lukas entnervt die Augen raquoWenn du nicht so ein tolles Maumldchen waumlrst wuumlrde mich das hier schwer nervenlaquo

raquoEs tut mir leidlaquoraquoSchon gutlaquo Er lieszlig sich zuruumlckfallen schenkte ihr ein

Laumlcheln bei dem ihr die Knie weich wurden dann drehte er sich um und ging in die entgegengesetzte Richtung davon

Erich war ihr Cousin vaumlterlicherseits und Geschaumlftsfuumlh-

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rer im Pharmaunternehmen Lichtenthal und da er sich mit ihrem Vater ausnehmend gut verstand war sich Fanny sicher er wuumlrde es ihm sofort zutragen wenn er sie mit Lukas gesehen haumltte Seufzend ging Fanny weiter und als sie zu Hause ankam sah sie Erichs Wagen an der Straszlige stehen Sie ging durch das Eingangstor auf die elterliche Villa zu lieszlig Mortimer von der Leine der begeistert uumlber die Einfahrt tollte In der Eingangshalle begegnete sie Erich Er sah Fanny an laumlchelte hob leicht die Brauen und unwillkuumlrlich fragte sie sich ob er sie nicht doch mit Lukas bemerkt hatte Allerdings sagte er kein Wort dazu gruumlszligte nur und fragte was die Schule mache

Marion fuhr mit der Elektrischen ins Werk ihres Vaters Nach und nach erhob sich Berlin aus den Truumlmmern lebte und pulsierte Ganze Straszligenzuumlge waren veraumlndert ehe-mals Vertrautes wirkte fremd und waumlhrend die Erwachse-nen damit beschaumlftigt waren aus den Uumlberbleibseln etwas Neues zu erschaffen waren die klaffenden Ruinen fuumlr die Kinder ein riesiger Abenteuer spielplatz

Berlin war nach dem Krieg von den Alliierten in vier Besatzungszonen aufgeteilt worden wurde von den Sieger-maumlchten Frankreich England USA und der Sowjet union verwaltet und kontrolliert und seither gab es Zonengren-zen ndash Schlagbaumlume Farbmarkierungen an Baumlumen oder weiszlig-gelbe Holzpfosten ndash und wer von einer Zone in die

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naumlchste wollte brauchte mancherorts eine Genehmigung Fuumlr Reisen zwischen der Westzone und der sowjetischen Besatzungszone gab es Interzonenpaumlsse und es waren erste Grenzanlagen auf der Ostseite errichtet worden Stachel-drahthindernisse in Waldgebieten Sperren an Straszligen und dabei blieb es nicht sondern es war im Jahr nach Kriegsende eine Grenzpolizei eingesetzt und sogar der Ge-brauch fuumlr Schusswaffen geregelt worden Die Abrieglung des Ostens war ein Schock fuumlr die Menschen in Berlin

raquoDas kann doch nicht seinlaquo hatte sich Marions Mutter empoumlrt raquoEs war ja ohnehin schon ein Aufwand von einem Teil der Stadt in den anderen zu kommen und jetzt soll man auch noch aufpassen nicht erschossen zu werdenlaquo

Was Marion jedoch weit mehr Sorge bereitete war der Umstand dass seit diesem Tag dem achtundzwanzigs-ten Mai West-Berlin durch die Regierung in der Sow-jetzone vom Umland getrennt wurde Schon an den bei-den Tagen zuvor war die innerdeutsche Demarkationslinie nach Unter zeichnung des Bonner Deutschlandvertrags ab-geriegelt worden und es gab nun einen zehn Meter langen Kontrollstreifen einen fuumlnfhundert Meter langen Schutz-streifen sowie eine fuumlnf Kilometer weite Sperrzone Damit war der bisher geduldete kleine Grenzverkehr eingestellt worden Selbst die Telefonverbindungen zwischen West- und Ost-Berlin waren von der Regierung gekappt wor- den

Marion fragte sich wie es jetzt mit dem Schoumlnheits-salon weitergehen sollte der in Berlin-Mitte lag und so-mit im Teil der Stadt der nun von der Deutschen Demo-kratischen Republik verwaltet wurde Da ihre Mutter das

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Geschaumlft zwar in Ost-Berlin betrieb aber in West-Berlin ihren Wohnsitz hatte war ihr ndash wie vielen anderen Ge-werbetreibenden auch ndash die Gewerbeerlaubnis entzogen worden Wer in West-Berlin lebte aber in einem Betrieb in Ost-Berlin angestellt war ndash so wie Marion in der Cha-riteacute ndash wurde zum Umzug aufgefordert oder entlassen Da-mit sparte Marion sich die Kuumlndigung

Die Straszligen ins Umland wurden gesperrt offen bleiben durften nur jene die von den Alliierten als Zufahrtswege in die Bundesrepublik festgelegt worden waren Fuumlr die Menschen in West-Berlin bedeutete das den Verlust ihrer Besitztuumlmer im Osten Natuumlrlich wurden Passierscheine in Aussicht gestellt aber das bedeutete nicht automatisch dass diese genehmigt wurden Auch der Anhalter Bahnhof war stillgelegt worden es gab keine Zuumlge mehr die aus dem Osten nach West-Berlin fuhren

raquoMittlerweile liegt Italien fuumlr uns naumlher als Potsdamlaquo hatte Helena geschimpft

Auch das Werksgebaumlude von Lichtenthal-Pharma hatte einen Treffer abbekommen als eine Sprenggranate in einen Fluumlgel eingeschlagen hatte Der Bereich war nach wie vor eingezaumlunt und die Bauarbeiten schritten stetig voran Ihr Vater hatte die Gelegenheit genutzt und legte den Fluumlgel etwas weitraumlumiger an was dem Gebaumlude ein asymmetri-sches Aussehen verlieh

Marion warf dem Portier einen Gruszlig zu wechselte ein paar Worte mit den Mitarbeitern an der Rezeption und fuhr dann mit dem Aufzug hinauf in die Chefetage Die Tuumlr zum Vorzimmer stand offen und Marion sah wie die Sekretaumlrin ihres Vaters Frau Weiller sich gerade an-

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schickte mit einem Tablett auf dem Kaffeekanne und Tasse standen die Tuumlr zum Buumlro ihres Vaters zu oumlffnen

raquoDas uumlbernehme ichlaquo bot Marion an und nahm der Frau das Tablett ab raquoIch moumlchte sowieso kurz zu ihmlaquo Waumlhrend sie das Tablett in der einen Hand balancierte druumlckte sie mit der anderen die Tuumlr auf raquoBringen Sie mir bitte auch noch eine Tasselaquo

raquoNatuumlrlich kommt sofort Fraumlulein LichtenthallaquoIhr Vater saszlig an seinem Schreibtisch und sah auf als sie

eintrat raquoNa so etwas Planst du einen beruflichen Wech-sellaquo

raquoIn der Tat nur werde ich dann nicht deine Empfangs-damelaquo Marion stellte das Tablett ab und schenkte Kaffee ein Im naumlchsten Moment trat Frau Weiller ein brachte ein zusaumltzliches Gedeck und ein Milchkaumlnnchen

raquoIch weiszlig doch dass Sie Ihren Kaffee nicht schwarz trinkenlaquo sagte sie an Marion gewandt

Nachdem sie gegangen war und die Tuumlr hinter sich ge-schlossen hatte setzte Marion sich ihrem Vater gegenuumlber in einen der beiden Besucherstuumlhle

raquoWas meintest du damit dass du in der Tat einen be-ruflichen Wechsel planstlaquo fragte Dominik Lichtenthal

Marion trank einen weiteren Schluck raquoIch hatte eigent-lich vorgehabt meine Kuumlndigung bei der Chariteacute einzu-reichen wobei das ja nun nicht mehr noumltig ist Ich liebe die Medizin doch der Alltag einer Aumlrztin ist nicht das Richtige fuumlr michlaquo

Das traf ihren Vater vollkommen unerwartet hatte er doch damit gerechnet dass sie in der naumlchsten Zeit ihren Facharzt anstreben wuumlrde raquoSo ploumltzlichlaquo

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raquoIch denke da tatsaumlchlich schon eine ganze Zeit lang druumlber nachlaquo

raquoUnd was willst du stattdessen tun In die Pharmazielaquo Offenbar erinnerte er sich gerade an die paar Semester Che-mie die sie nebenher studiert und waumlhrend derer sie eine kurze Liaison mit einem Chemieprofessor gehabt hatte

raquoNein auch das nichtlaquo Die Kenntnisse in Chemie waren indes durchaus zu etwas gut raquoIch moumlchte bei Mama mitarbeitenlaquo

Unglaumlubig sah ihr Vater sie an raquoDu hast ein komplettes Medizinstudium mit hervorragenden Noten abgeschlos-sen und dann sieht deine Berufswahl so aus Frauen Farbe ins Gesicht zu malenlaquo

Marion musste lachen raquoLass das bloszlig nie Mama houmlren Du weiszligt doch genau dass Kosmetik mehr ist als Frauen Farbe ins Gesicht zu malen Mich interessiert medizini-sche Kosmetik Wie du siehst ist mein Studium nicht vergebens gewesenlaquo

raquoDu kannst doch in die Dermatologie gehenlaquoraquoJa koumlnnte ich Ich koumlnnte aber auch in die Forschung

gehen und medizinische Kosmetik entwickelnlaquoraquoDu koumlnntest auch bei mir in die pharmazeutische For-

schung gehenlaquoraquoDas geht doch Hand in Hand Paps Ich weiszlig dass du

sicher enttaumluscht bist aber helliplaquoraquoNeinlaquo fiel er ihr ins Wort raquoIch bin nicht enttaumluscht

Es ging mir nie darum dass du meine Erwartungen er-fuumlllst sondern stets nur deine eigenen Ich gestehe ich war gluumlcklich als du mir eroumlffnet hast dass du Aumlrztin werden willst aber letzten Endes ist mir am wichtigsten dass du

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zufrieden bist mit dem was du tust Ich bitte dich nur die Entscheidung zu uumlberdenkenlaquo

raquoDu kannst davon ausgehen dass ich das getan habe Ich habe lange und gruumlndlich daruumlber nachgedachtlaquo

raquoWeiszlig deine Mutter bereits davonlaquoraquoNein ich bin zuerst zu dir gekommenlaquoIhr Vater nickte zog seine Zigaretten hervor und

steckte eine an raquoSie wird sich freuen dass du mit ihr zu-sammenarbeiten wirst Und die Taumltigkeit als Aumlrztin laumluft dir ja nicht davon du hast ein abgeschlossenes Studium und kannst jederzeit deinen Facharzt machen wenn du merkst dass das vielleicht doch nicht das Richtige fuumlr dich ist Dir ist aber klar dass du mit medizinischer Kosmetik in Konkurrenz zu deiner Tante Charlotte trittstlaquo

raquoJa durchaus Aber wie sagst du immer Konkurrenz belebt das Geschaumlftlaquo Mit ihrer Tante hatte Marion nur selten Kontakt Auf Feiern lief man sich hin und wieder uumlber den Weg aber damit erschoumlpfte es sich auch schon Im Grunde war das bedauerlich denn Charlottes Tochter Emma war ganz reizend und Marion hatte schon einige interessante Unterhaltungen mit ihr gefuumlhrt wenn sie sich denn mal begegnet waren Auch Emmas Bruder Leopold war sehr freundlich und umgaumlnglich wenngleich er seit dem Krieg verschlossen und in sich gekehrt wirkte Im letzten Jahr hatte er noch an die Front gemusst der arme Kerl Da war sein Vater gerade gestorben und Leopold hatte nicht nur den Verlust zu verkraften gehabt sondern war selbst in dem unheilvollen Mahlwerk des Krieges auf-gerieben worden

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Emma Rudorf saszlig mit einem Buch in der Hand im Wohn-zimmer und houmlrte ihren Bruder heimkommen Den gan-zen Tag war Leopold im Werk von Dr Rudorfs medizi-nische Kosmetik gewesen und an seinem schleppenden Schritt houmlrte Emma wie erschoumlpft er sein musste Ver-mutlich hatte er wieder mit Mutter gestritten und bei dem Gedanken daran wie diese ihm zusetzte packte sie die Wut Sie legte ihr Buch beiseite und stand auf ging in den Flur wo sich Leopold gerade die Schuhe auszog Er sah ihrem Vater aumlhnlich hatte zwar dunkleres Haar aber seine Gesichtszuumlge und er wirkte mit der Brille ein wenig professorenhaft

Als er Emma bemerkte laumlchelte er raquoWie gehtrsquoslaquo fragte er mit gespielter Munterkeit

raquoGut Und dirlaquoraquoViel zu tun Und bei dir Wie war die KlausurlaquoraquoIch denke ich habe bestandenlaquo Emma wuumlrde im

naumlchsten Sommer ihr Chemiestudium abschlieszligenraquoEtwas anderes habe ich auch nicht erwartetlaquoraquoIch habe Abendessen gemacht Kommt Mama auch

gleichlaquoraquoNein sie meinte sie haumltte noch viel zu tunlaquoWie immer Fuumlr Charlotte Rudorf gab es seit dem Tod

ihres Mannes nur noch das Werk sie arbeitete wie beses-sen als koumlnnte das den Schmerz des Verlustes betaumluben Emma hatte sich so oft gewuumlnscht sie wuumlrde daruumlber nicht staumlndig vergessen dass sie zwei Kinder hatte und sich nur dann an sie erinnern wenn es etwas auszusetzen gab Vor allem Leopold war ihr ein fortwaumlhrendes Aumlrgernis

raquoDu warst ein Jahr im Krieglaquo pflegte sie zu sagen

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raquound du bist in einem Stuumlck zuruumlckgekommen Wie lange willst du noch in Truumlbsal versinken anstatt endlich wieder mit beiden Beinen im Leben zu stehenlaquo

Was ihre Mutter Truumlbsal nannte war eine tiefe innere Wunde die der Krieg geschlagen hatte und Emma fragte sich warum sie diese sehen konnte nicht aber die Frau die ihn geboren hatte Dann kamen wieder diese Geschich-ten uumlber all die Kriegsheimkehrer die es auch schafften ihr Leben in den Griff zu bekommen obwohl sie deutlich laumlnger im Krieg aufgerieben worden waren Wie schlimm konnte da das eine Jahr schon gewesen sein Einzig fuumlr Emmas Albtraumlume durch die Bombardierung hatte sie Verstaumlndnis denn diese war zu der Zeit gerade vierzehn Jahre alt gewesen Da spielte wohl auch die Erinnerung mit hinein wie Emma an sie geschmiegt im Keller ge-sessen und gewartet hatte bis die Bombardierung vorbei war waumlhrend sie beide Angst gehabt hatten dass Leopold vielleicht schon tot war

raquoIsst du mit mir zu Abendlaquo fragte er nunraquoKlar ich habe auf dich gewartetlaquoLeopold wuumlrde im Juli vierundzwanzig werden und hatte

sein Pharmaziestudium im letzten Jahr abgeschlossen Er haumltte lieber Maschinenbau studiert war schon seit Kinder-tagen davon fasziniert gewesen Aber es war klar gewesen dass er das Familienwerk erben wuumlrde Allenfalls haumltte er noch Arzt werden koumlnnen um die Praxis ihres Vaters zu uumlbernehmen die nun ein anderer Arzt gemietet hatte

Da sie nur zu zweit waren aszligen sie zwanglos in der Kuumlche und Leopold deckte den Tisch waumlhrend Emma den Brotkorb Butter Kaumlse und Aufschnitt hinstellte und alles

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in den Dosen belieszlig was ihre Mutter stets als mangelnde Esskultur bezeichnete Emma hingegen war es zu viel Auf-wand jetzt alles auf Tellern anzuordnen nur um dann das meiste wieder zuruumlckzufuumlllen und wegzuraumlumen und mehr zum Abspuumllen zu haben Sie lieszlig sich ihrem Bruder gegen-uumlber am Tisch nieder Im Gegensatz zu ihrer Mutter hatte Emma bislang keine groszligen beruflichen Ambitionen ge-habt sie studierte Chemie allein aus dem Grund weil es sie interessierte aber sie hatte keine konkreten Plaumlne da-ruumlber hinaus ndash ein staumlndiges Aumlrgernis fuumlr Charlotte Ru-dorf Emmas Plan war gewesen zum Zeitvertreib etwas zu studieren das ihr Spaszlig machte und danach zu heiraten Im Laufe des Studiums hatte sich ihr Interesse allerdings ge-wandelt In der Fakultaumlt war sie hin und wieder ihrer Cou-sine Marion uumlber den Weg gelaufen die mit einem von Emmas Professoren ausgegangen war und sie fand sie glei-chermaszligen interessant wie inspirierend Sie hatte sogar kurz mit dem Gedanken gespielt sich im Pharmakonzern Lich-tenthal zu bewerben aber da haumltte vermutlich eine Andeu-tung gereicht und ihre Mutter waumlre die Waumlnde hochge-gangen Mit ihrer Schwester Helena hatte sie sich schon vor Jahren entzweit und eine Annaumlherung war nicht in Sicht

Beim Essen plauderten sie uumlber Allgemeines Leopold zog sie mit einem Dozenten auf von dem sie ndash seiner Mei-nung nach ndash verdaumlchtig oft sprach Daraufhin erinnerte sie an die Verkaumluferin aus dem KaDeWe mit der er fortwaumlh-rend ausging ohne dass die Sache von der Stelle kam Spauml-ter raumlumten sie zusammen ab erledigten den Abwasch und wollten gerade ins Wohnzimmer gehen um das Radio ein-zuschalten als ihre Mutter die Wohnungstuumlr aufschloss

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raquoGuten Abendlaquo Charlotte Rudorf sah muumlde aus und Emma ging zu ihr um ihr den Mantel abzunehmen und ihn an die Garderobe zu haumlngen

raquoSoll ich das Abendessen wieder auf den Tisch stellenlaquo fragte Emma

raquoNein lass nur ich habe im Werk eine Kleinigkeit ge-gessenlaquo

So war es fast jeden Abend im Grunde genommen aszligen sie nur noch am Wochenende regelmaumlszligig zusammen und fanden sich ansonsten morgens zu einem raschen Fruumlh-stuumlck in der Kuumlche ein Ihre Mutter wechselte einen kur-zen Blick mit Leopold aus dem klar ersichtlich wurde dass die beiden noch vor gar nicht langer Zeit gestritten hatten ndash ganz so wie von Emma vermutet Nun jedoch zeigte sich ein zoumlgerliches Laumlcheln auf den Lippen Char-lotte Rudorfs und auch das war typisch Zum Abend hin legte sie Streit gerne bei mochte es nicht unversoumlhnt schlafen zu gehen

Im Wohnzimmer schalteten sie das Radio ein Emma houmlrte nur mit halbem Ohr hin und hatte ihr Buch wie-der aufgeschlagen war aber auch hier nicht bei der Sache Schlieszliglich gab sie es auf und beschloss noch ein wenig spazieren zu gehen

raquoUm diese Uhrzeitlaquo fragte ihre Mutter die gerade mit einer Tasse Kraumlutertee ins Wohnzimmer trat

raquoEs ist kurz nach achtlaquoNun blickte auch Leopold auf sah sie an als witterte er

hinter ihrem Wunsch eine tiefere WahrheitraquoEs ist nur ein Spazierganglaquo sagte sie und haumltte am

liebsten die Augen verdreht raquoMir geht so viel im Kopf

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herum und ich kann meine Gedanken beim Gehen am besten sortierenlaquo

raquoWie war eigentlich deine Klausurlaquo wollte ihr Mut-ter nun wissen

raquoGut denke ichlaquo Emma ging in den Flur nahm einen leichten Mantel vom Haken legte sich einen Seidenschal um und warf noch einen kurzen Blick in den Spiegel Seit kurzem trug sie ihr hellbraunes Haar knapp schulterlang und in groszlige Locken gelegt die sie mit einer Spange seit-lich zuruumlckhielt Jetzt zupfte sie ein wenig daran herum bis sie schlieszliglich zufrieden war und verlieszlig die Wohnung Sie wohnten in der ersten Etage direkt uumlber der Arztpraxis die Wohnung im zweiten Stock stand derzeit leer Fruumlher einmal hatte Emmas Groszligmutter dort gewohnt aber sie lebte bereits seit fast dreiszligig Jahren bei ihrer Tochter erst in Hamburg und seit kurz vor dem Krieg in Muumlnchen da der Ehemann von Emmas Tante dorthin versetzt worden war Leider kam sie nur noch selten zu Besuch da lange Reisen sie zu sehr anstrengten Emma bedauerte das denn sie mochte ihre Groszligmutter die auch mit achtzig noch ruumlstiger und scharfsinniger war als manch junge Frau die Emma kannte

Es daumlmmerte bereits und die langen Schatten des spauml-ten Nachmittags waren ineinandergekrochen verdichte-ten sich langsam und entfaumlrbten den Tag zu einem lich-ten Grau Seit zwei Jahren stellte man die Uhren nicht mehr zur Sommerzeit um und anfangs war es ungewohnt gewesen dass die Sommertage nun um eine Stunde kuumlr-zer waren aber man gewoumlhnte sich daran Waumlhrend des Krieges hatte es eine Zeit gegeben in der fortwaumlhrend

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Sommerzeit gegolten hatte und man die Uhren uumlberhaupt nicht mehr umstellte irgendwann war ein konzeptloses Wechseln erfolgt Dann war die Regelung durch die Besat-zungsmaumlchte wieder geaumlndert worden und sie bestimm-ten eine Umstellung auf die Sommerzeit ndash wobei diese in der sowjetischen Besatzungszone Berlins 1945 ganze zwei Monate laumlnger gedauert hatte Jetzt endlich hatte die Regierung sich auf eine einheitliche Zeit festgelegt die fuumlr das gesamte Jahr galt ndash die Ruumlckkehr zur Normalzeit Emma hoffte dass das so blieb

Als sie durch die Straszlige spazierte hier und da einen heimkehrenden Nachbarn oder Bekannten gruumlszligte ndash die Tochter des Herrn Doktor kannte man im gesamten Vier-tel ndash fiel ihr ein Mann auf der gerade ein Haus verlieszlig sich noch einmal umdrehte einem weiteren Mann der in der offenen Tuumlr stand etwas sagte und dann durch den Vorgarten schritt und auf sein Auto zuging Dominik Lichtenthal Emma blieb stehen sah ihn an wusste nicht ob sie zu ihm gehen und houmlflich gruumlszligen oder ihn ignorie-ren sollte Er nahm ihr die Entscheidung ab als er sie be-merkte kurz stutzte als muumlsste er ihr Gesicht erst einem Namen zuordnen und sie dann anlaumlchelte

raquoGuten Abend Emma Wie geht es dirlaquoSie ging auf ihn zu raquoSehr gut vielen Danklaquo Sie wusste

nie so recht ob sie ihn duzen sollte oder nicht denn einer-seits war er ein Fremder andererseits aber der Ehemann ihrer Tante und damit praktisch ihr Onkel

raquoIch habe gehoumlrt du studierst ChemielaquoraquoJa ich werde diesen Sommer fertiglaquoraquoUnd dann geht es in den Konzern deiner Mutterlaquo

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Unschluumlssig hob Emma die Schultern raquoAch das weiszlig ich noch gar nichtlaquo

Dominik Lichtenthal schloss seinen Wagen auf raquoWenn du dich lieber auf dem freien Markt umsehen moumlchtest sag Bescheid ich kann faumlhige Chemiker immer gebrau-chenlaquo

Es war schon fast skurril dass Emma diesen Gedanken erst vor kurzem gehegt hatte und ihn nun ausgesprochen houmlrte Da sie nicht rundheraus ablehnen wollte dankte sie ihm und nachdem sie ihm gesagt hatte er moumlge seine Familie von ihr gruumlszligen stieg er in seinen Wagen und fuhr los Im Grunde genommen war das doch albern dass ihre Mutter immer noch nichts mit ihrer Schwester zu tun haben wollte Emma kannte die alte Geschichte und natuumlr lich war es hart auf einen Schlag sein gesam-tes Erbe zu verlieren und die unvermittelt aufgetauchte fremde Schwester als einzige Gewinnerin in dieser Situa-tion zu sehen aber das Ganze war jetzt gut fuumlnfundzwan-zig Jahre her irgendwann musste es doch mal gut sein Und es war ja nun wahrlich nicht so als wuumlrde der Besitz des Hauses in der Friedrichstraszlige noch einen nennenswer-ten Unter schied im Vermoumlgen ihrer Mutter machen Im Gegenteil ndash waumlre sie dort geblieben haumltte sie es vielleicht nie so weit gebracht

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Juni 1952

Die einstmals goldene Zeit merkte man der ehemaligen Amuumlsiermeile auf der Friedrichstraszlige nicht mehr an und Helena verspuumlrte jedes Mal beim Besuch ihres Schoumlnheits-salons diesen Stich des Bedauerns Als sie in den Zwan-zigern hier angekommen war hatte das Leben pulsiert mit Autos Bussen Bahnen Fuszliggaumlngern Radfahrern und noch vereinzelten Droschken Die Kreuzung an der Leip-ziger Straszlige war ein so verkehrsreicher Knotenpunkt ge-wesen dass es fuumlr die aus der Provinz stammende Helena anfangs schon eine Herausforderung gewesen war lebend von einer Straszligenseite auf die andere zu gelangen

Nach dem Krieg war die Straszlige eine von Ruinen ge-saumlumte Schuttwuumlste geworden und auch wenn die Truumlm-mer in weiten Teilen fortgeraumlumt waren so erinnerte doch nur wenig an fruumlher Helena hatte mehrfach uumlberlegt den Schoumlnheitssalon einfach aufzugeben aber das brachte sie nicht uumlber sich Vielleicht normalisierte sich hier ja alles irgendwann wieder das konnte doch nicht ewig so blei-ben Ihr Schoumlnheitssalon in der Friedrichstraszlige befand sich im Amerikanischen Sektor der in Berlin-Mitte gehoumlrte nun zur DDR ihr Werk wiederum zum Franzoumlsischen

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Sektor Dominiks sowie ihr Wohnsitz lagen im Britischen Sektor Das war doch auf Dauer kein Zustand Den Salon in Berlin-Mitte hatte sie aufgeben muumlssen und sie sah sich bereits nach Alternativen um

Als Helena in den Salon trat kam ihr Ida ndash fruumlher Wag-ner jetzt Zeller ndash entgegen raquoKaffeelaquo

raquoUnbedingtlaquo Helena haumlngte ihren Mantel an die Gar-derobe und betrat den Salon Es war noch fruumlh und sie wuumlrden erst in einer halben Stunde oumlffnen Ida hatte schon in den Dreiszligigern die Leitung des Salons uumlbernommen als Helena damit beschaumlftigt gewesen war einen weiteren in Berlin-Mitte zu eroumlffnen

raquoWie geht es den MaumldchenlaquoHelena setzte sich in einen der bequemen Besucher-

stuumlhle wo die Frauen sich bei einer Tasse Kaffee oder Tee und etwas Gebaumlck entspannen konnten raquoMarion faumlngt bei mir im Werk an der Termin steht jetztlaquo Das war Schock und freudige Uumlberraschung zugleich gewesen und Helena wusste selbst nicht ob ihre Bestuumlrzung oder ihre Freude uumlberwog Natuumlrlich hatte sie gehofft dass Marion als Aumlrztin praktizierte immerhin hatte sie stu-diert und damit ein klares Ziel vor Augen gehabt Ande-rerseits freute es sie dass ihre Tochter Interesse an ihrem Unternehmen zeigte ndash und nicht an Dominiks wie eine kleine nicht zu unterdruumlckende Stimme des Triumphs in ihr betonte raquoUnd Fanny schlieszligt das Schuljahr mit sehr guten Noten ablaquo

raquoMathematik macht ihr wieder SpaszliglaquoraquoNachdem Ferdinands Ehefrau es ihr erklaumlrt hat was

ihr unfaumlhiger Lehrer offenbar nicht hinbekommtlaquo Fer-

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dinand war der Patenonkel beider Toumlchter und seine Frau eine begabte Mathematikerin

Die Schwangerschaft mit Fanny hatte Helena seinerzeit einen gehoumlrigen Schrecken eingejagt All die Jahre hatte sie es erfolgreich vermieden zu empfangen und dann als die Welt am Abgrund stand kuumlndigte sich neues Leben an Schlimm genug mitanzusehen wie Marion bereits in der Schule darauf vorbereitet wurde in den BDM einzu-treten da wollte sie diesem System nicht noch ein Kind schenken Es war Rudolf Liliengrund gewesen dem Fanny es zu verdanken hatte dass Helena keinen Abbruch hatte vornehmen lassen

raquoGerade in diesen Zeiten sollten die Anstaumlndigen sich vermehrenlaquo

Ihr lieber Rudolf der seine gesamte Familie verloren und selbst nur knapp und unter Entbehrungen die Flucht geschafft hatte weil er zu lange gezoumlgert geglaubt hatte es wuumlrde alles gut werden Und so hatte Helena Fanny aus-getragen hatte schon in der Schwangerschaft eine so innige Beziehung zu dem Kind gehabt wie sie es sich nicht hatte vorstellen koumlnnen Es war ganz anders als mit Marion zu der sie erst eine enge Bindung hatte aufbauen koumlnnen als diese bereits ein Kleinkind gewesen war Waumlhrend Marion von Geburt an ein Papakind war so war Fanny von Geburt an ganz und gar ihre Tochter Helena hatte sie sogar mit zur Arbeit genommen weil sie sich nicht von ihr trennen mochte hatte sie im Buumlro gestillt und in der Wiege neben sich schlafen lassen Undenkbar dieses Baby jemand ande-rem anzuvertrauen Dabei liebte sie Marion nicht weniger und sie verstand auch im Nachhinein nicht warum sie bei

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beiden Kindern schon in der Schwangerschaft so unter-schiedlich empfunden hatte

raquoDu solltest endlich aufhoumlren das zu hinterfragenlaquo hatte ihre beste Freundin Irene Danelius gesagt raquoEs ist jetzt wie es ist Freu dich einfach Gerade jetzt haben wir alle wahrhaftig Probleme genug da muss man nicht auch noch welche hinzuredenlaquo

Als im November 1938 die Synagogen brannten hatte Irene das Land verlassen raquoIch komme zuruumlck wenn der Irrsinn vorbei istlaquo hatte sie gesagt und war nach Amerika gegangen Dort war sie zur Filmgroumlszlige geworden hatte einen bekannten Produzenten geheiratet und lebte nach wie vor in den Vereinigten Staaten Helena vermisste sie immer noch sehr und war auch schon einmal mit ihrer Familie in New York gewesen um sie zu besuchen

raquoFahrt ihr diesen Sommer weglaquo fragte Ida und setzte sich nun ebenfalls

raquoAuf jeden Fall fuumlr zwei Wochen zu meiner Mutter Und von da aus vielleicht weiter in Richtung Schweizlaquo Vor allem auf die Zeit bei ihrer Mutter freute sich Helena das waren jedes Mal schoumlne Tage mit all den fruumlheren Freunden und Bekannten sowie mit der Baronin fuumlr die sie und ihre Mutter fruumlher gearbeitet hatten und bei der ihre Mutter nun den Altersruhesitz hatte Fuumlr Helenas Familie standen immer Gaumlstezimmer bereit Ein wenig behandelte man sie dort wie eine Prominente die Dienst-botentochter die es in der Weltmetropole zu etwas ge-bracht hatte mit einem reichen Mann verheiratet war und mit Filmstars verkehrte

Kurz darauf trafen die uumlbrigen Mitarbeiterinnen ein

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und dann kamen auch schon die ersten Kundinnen Helena unterhielt sich mit einigen der Damen beriet hier und da persoumlnlich und machte sich dann auf den Weg ins Werk Unmittelbar nach dem Krieg war es schwierig gewesen die Rohstoffe fuumlr die Produktion von Kosmetik aufzutrei-ben vielfach waren sie nur zu Schwarzmarktpreisen zu be-kommen Viele Rohstoffe wurden in der Pharmaindustrie dringender benoumltigt und natuumlrlich hatte die medizini-sche Versorgung Vorrang vor der kosmetischen Gerade nach dem Krieg hatten sie alle andere Sorgen gehabt wes-halb Helenas Werk voruumlbergehend die Produktion um-stellte und der chemischen Industrie zuarbeitete waumlhrend die Schoumlnheitssalons Obdachlosen offenstanden Erst vier Jahre nach Kriegsende als der Hungerwinter vorbei war und die Menschen durch die Waumlhrungsreform wieder uumlber Geld verfuumlgten hatte Helena Kosmetikherstellung und Schoumlnheitsbehandlungen wieder aufgenommen

Im Werk ging Helena direkt in ihr Buumlro und sah sich Werbeentwuumlrfe an Sie liebte ihre Arbeit und sie machte ihr nach wie vor Spaszlig allerdings fehlte ihr die Heraus-forderung Die Kosmetik entwickelte sich stetig weiter und mittlerweile war Forschung und Entwicklung eine eigene Abteilung in ihrem Unternehmen Natuumlrlich freute sie sich daruumlber aber sie vermisste die Zeiten in denen sie selbst in ihrer Fertigung gesessen und experimentiert hatte Vielleicht war es wirklich gut dass Marion hier demnaumlchst etwas frischen Wind hereinbringen wuumlrde Wie wohl Charlotte darauf reagierte dass Helena ihr nun Konkurrenz machen wuumlrde

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Emma houmlrte den Streit bis ins Wohnzimmer Ihre Mutter hielt Leopold vor er naumlhme die Arbeit nicht ausreichend ernst und bringe sich zu wenig ein Wie er bei dem Ge-schaumlftstermin am Vortag nur dagesessen und auf einmal zu zittern begonnen habe Wenn es nicht anders ging dann solle er eben seine Medikamente wieder nehmen Und ndash verdammt noch mal ndash endlich mehr Nervenstaumlrke zei- gen

Auch an diesem Morgen hatte es schon wieder damit begonnen dass Leopold beim Fruumlhstuumlck sehr still gewe-sen war was fuumlr Emma immer ein Zeichen fuumlr schlimme Traumlume war Auf Ausfuumlhrungen ihrer Mutter zu dem heu-tigen Arbeitstag hatte er nur genickt was diese wiederum zu dem Schluss kommen lieszlig dass er sich nur unzurei-chend interessierte Uumlberhaupt habe er keine innovativen Ideen arbeite den Tag ab ohne echtes Interesse zu zeigen an dem was er tat Irgendwann war ein handfester Streit ausgebrochen der auch dann noch anhielt als Emma das Esszimmer verlassen hatte und nun in der Kuumlche den Ab-wasch machte Schlieszliglich hielt sie es nicht mehr aus lief ins Esszimmer zuruumlck

raquoWas willst du eigentlichlaquo fuhr sie ihre Mutter an raquoEr tut doch alles was er solllaquo

raquoEmma lass nurlaquo sagte Leopold raquoIch mache helliplaquoraquoNein ich lasse es nicht Koumlnnen wir nicht mal einen

Morgen friedlich verbringen wie andere Familien auch Muss hier immer den ganzen Tag uumlber Streit herrschen und abends gehen wir dann versoumlhnt schlafen Wozu Um am naumlchsten Tag wieder loszulegen Das ist doch nicht mehr auszuhaltenlaquo

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raquoWie redest du eigentlich mit mirlaquo Die Stimme ihrer Mutter war ganz kalt geworden bar jeder Emotion

raquoIch helliplaquo Die aufbrausende Wut fiel von Emma ab und sie wusste nicht mehr was sie nun sagen sollte raquoIch hellip ich habe heute keine Uni und wollte ohnehin fragen ob ich mit ins Werk kannlaquo Der Einfall war ihr gerade erst ge-kommen raquoIch koumlnnte Leo zuarbeiten und so schon einmal Einblicke bekommenlaquo

Die frostglitzernde Wut im Blick ihrer Mutter schmolz zu Uumlberraschung raquoAch waslaquo

raquoIch habe mir lange uumlberlegt was ich mit meinem Che-miestudium machelaquo

raquoHeiszligt das es steht nicht zu erwarten dass du dich nun nach einer passenden Partie umsiehstlaquo Fuumlr jemanden der selbst gluumlcklich verheiratet gewesen war zeigte ihre Mut-ter eine sehr ablehnende Haltung zu Emmas Eheplaumlnen

raquoNoch ist ja niemand in Aussicht nicht wahrlaquo ver-setzte Emma der Hoffnung einen Daumlmpfer

Ihre Mutter schien damit zufrieden zu sein raquoSchoumln dann beeil dich wir brechen gleich auflaquo

Sie und Leopold fuhren in der Regel gemeinsam los und Leopold lieszlig dann den Wagen fuumlr sie im Werk und kehrte puumlnktlich zum Buumlroschluss mit der Bahn nach Hause zu-ruumlck Das tat er vermutlich vor allem aus dem Grund weil er den Abstand brauchte

raquoIch habe uumlbrigens gehoumlrt dass Marion in der Chariteacute aufhoumlrtlaquo erzaumlhlte Emma als sie auf der Ruumlckbank des Wagens Platz genommen hatte

raquoWelche Marionlaquo fragte ihre Mutter und Emma haumltte gerne gewusst ob sie das wirklich nicht wusste

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raquoUnsere CousinelaquoraquoUnd warum sollte es mich interessieren was diese Per-

son tutlaquoraquoWeil sie deine Nichte ist moumlglicherweiselaquoVon hinten konnte Emma das Schulterzucken sehenraquoAuf jeden Fall heiszligt es sie wollte in das Unternehmen

von Tante Helena einsteigenlaquo Mit einiger Befriedigung bemerkte Emma dass ihre Mutter bei dieser persoumlnlichen Bezeichnung kaum merklich zusammenzuckte

raquoIn der TatlaquoraquoSie hat einige Semester Chemie studiert das hatte ich

doch erzaumlhltlaquoraquoJa hattest du Auch dass sie es mit deinem Chemie-

professor getrieben hatlaquoraquoMutterlaquo kam es von LeopoldraquoDas habe ich nie gesagtlaquo Emma lehnte sich vor als

koumlnne sie ihren Worten damit mehr Nachdruck verleihen raquoIch sagte sie gehen miteinander auslaquo

raquoWenn sie nach ihrer Mutter kommt gibt es das eine nicht ohne das andere Gerne auch zum Nachteil der eigenen Familie Sind deine Noten bei besagtem Profes-sor nicht danach schlechter gewordenlaquo

raquoDas war bei Professor Guenther nicht bei Professor Hellweg mit dem Marion aus war Meine Guumltelaquo Emma hatte langsam genug Dieser sture verbohrte Zorn ihrer Mutter war nicht mehr zu ertragen Mit Ende vierzig konnte sie sich auf jeden Fall noch nicht mit Altersstarr-sinn herausreden raquoHoumlr zu wenn das hier jeden Morgen der Beginn meines Arbeitstages wird sag es direkt dann reicht mir der einmalige Ausflug in dein Unternehmen

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und ich bewerbe mich morgen beim Pharmaunternehmen Lichtenthallaquo

Ihre Mutter fuhr herum raquoDas wagst du nichtlaquoraquoLass es gerne darauf ankommenlaquoLange sah ihre Mutter sie an dann zuckte es um ihre

Lippen Widerspruchsgeist gefiel ihr und sie schien auf einmal versoumlhnt Emma wuumlrde bleiben wuumlrde es allein um Leopolds willen tun Vielleicht wuumlrde es leichter fuumlr ihn mit ihr an seiner Seite

Das ehemalige Werksgelaumlnde hatte in Berlin-Oberschouml-neweide gestanden aber sie waren noch vor dem Krieg um-gezogen was sich als richtige Entscheidung erwiesen hatte wenngleich zu der Zeit noch niemand hatte wissen koumlnnen dass dieser Stadtteil unter sowjetische Verwaltung gestellt werden wuumlrde Das jetzige Werk stand in Berlin-Tempel-hof im Amerikanischen Sektor und hatte im Krieg ebenfalls gelitten Sie fuhren durch das Tor und Leopold parkte den Wagen auf der dafuumlr vorgesehenen Flaumlche auf der weitere Autos Motorraumlder und Mopeds standen

Ihre Mutter begleitete sie bis in die Etage in der sich die Raumlumlichkeiten der Geschaumlftsfuumlhrung befanden dann ging sie in ihr Buumlro waumlhrend Emma Leopold in seines be-gleitete

raquoWeiszligt dulaquo sagte er als er auf einen der Stuumlhle wies raquodu musst das nicht tunlaquo

raquoWas meinst dulaquo Emma lieszlig sich auf der Besucherseite seines Schreibtischs nieder

raquoDas weiszligt du genau Mich hierher zu begleiten ob-wohl du nie im Sinn hattest in der Firma zu arbeiten Du musst mich nicht vor Mutter beschuumltzenlaquo

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raquoDas tue ich doch gar nichtlaquoLeopold antwortete nicht ging nur zur Tuumlr oumlffnete sie

und rief in das gegenuumlberliegende Zimmer der beiden Sekretaumlrinnen dass man ihm und seiner Schwester bitte Kaffee bringen moumlge raquoEs war nie dein Plan hier zu ar-beitenlaquo

raquoPlaumlne koumlnnen sich aumlndernlaquoraquoVon einem Tag auf den anderenlaquoraquoJa warum denn nicht Und wer sagt uumlberhaupt dass

es so abrupt war Vielleicht denke ich ja schon laumlnger da-ruumlber nach und habe dir einfach noch nichts erzaumlhltlaquo Emma zog einen Bleistift aus dem Stiftebecher und drehte ihn zwischen den Fingern raquoUumlbrigens hat mir Dominik Lichtenthal ein Stellenangebot gemachtlaquo Gespannt be-obachtete sie Leopolds Reaktion

raquoWannlaquoraquoIch bin ihm mal abends beim Spaziergang begegnetlaquoraquoUnd da hat er dir ndash ohne dich und deine Befaumlhigung

so recht zu kennen ndash eine Stelle angebotenlaquoraquoWir haben uns kurz unterhalten und er weiszlig dass ich

Chemie studiere Da meinte er wenn ich nicht fuumlr Mutter arbeiten wolle solle ich mich bei ihm melden er koumlnne faumlhige Chemiker immer gebrauchenlaquo

raquoMutter enterbt dich wenn du das tustlaquoraquoDas waumlre nicht so schlimm denn dann erbst du alles

und wirst mir meinen Teil einfach auszahlenlaquoraquoIst das solaquoraquoNatuumlrlichlaquo Emma zog ihre Zigaretten hervorraquoDu willst doch wohl hier nicht rauchenlaquoAnstelle einer Antwort steckte sie sich eine Zigarette

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zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

bei Lichtenthal in Aussicht und einem groszligzuumlgigen Bru-der der dir deinen Erbanteil abtrittlaquo

Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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rer im Pharmaunternehmen Lichtenthal und da er sich mit ihrem Vater ausnehmend gut verstand war sich Fanny sicher er wuumlrde es ihm sofort zutragen wenn er sie mit Lukas gesehen haumltte Seufzend ging Fanny weiter und als sie zu Hause ankam sah sie Erichs Wagen an der Straszlige stehen Sie ging durch das Eingangstor auf die elterliche Villa zu lieszlig Mortimer von der Leine der begeistert uumlber die Einfahrt tollte In der Eingangshalle begegnete sie Erich Er sah Fanny an laumlchelte hob leicht die Brauen und unwillkuumlrlich fragte sie sich ob er sie nicht doch mit Lukas bemerkt hatte Allerdings sagte er kein Wort dazu gruumlszligte nur und fragte was die Schule mache

Marion fuhr mit der Elektrischen ins Werk ihres Vaters Nach und nach erhob sich Berlin aus den Truumlmmern lebte und pulsierte Ganze Straszligenzuumlge waren veraumlndert ehe-mals Vertrautes wirkte fremd und waumlhrend die Erwachse-nen damit beschaumlftigt waren aus den Uumlberbleibseln etwas Neues zu erschaffen waren die klaffenden Ruinen fuumlr die Kinder ein riesiger Abenteuer spielplatz

Berlin war nach dem Krieg von den Alliierten in vier Besatzungszonen aufgeteilt worden wurde von den Sieger-maumlchten Frankreich England USA und der Sowjet union verwaltet und kontrolliert und seither gab es Zonengren-zen ndash Schlagbaumlume Farbmarkierungen an Baumlumen oder weiszlig-gelbe Holzpfosten ndash und wer von einer Zone in die

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naumlchste wollte brauchte mancherorts eine Genehmigung Fuumlr Reisen zwischen der Westzone und der sowjetischen Besatzungszone gab es Interzonenpaumlsse und es waren erste Grenzanlagen auf der Ostseite errichtet worden Stachel-drahthindernisse in Waldgebieten Sperren an Straszligen und dabei blieb es nicht sondern es war im Jahr nach Kriegsende eine Grenzpolizei eingesetzt und sogar der Ge-brauch fuumlr Schusswaffen geregelt worden Die Abrieglung des Ostens war ein Schock fuumlr die Menschen in Berlin

raquoDas kann doch nicht seinlaquo hatte sich Marions Mutter empoumlrt raquoEs war ja ohnehin schon ein Aufwand von einem Teil der Stadt in den anderen zu kommen und jetzt soll man auch noch aufpassen nicht erschossen zu werdenlaquo

Was Marion jedoch weit mehr Sorge bereitete war der Umstand dass seit diesem Tag dem achtundzwanzigs-ten Mai West-Berlin durch die Regierung in der Sow-jetzone vom Umland getrennt wurde Schon an den bei-den Tagen zuvor war die innerdeutsche Demarkationslinie nach Unter zeichnung des Bonner Deutschlandvertrags ab-geriegelt worden und es gab nun einen zehn Meter langen Kontrollstreifen einen fuumlnfhundert Meter langen Schutz-streifen sowie eine fuumlnf Kilometer weite Sperrzone Damit war der bisher geduldete kleine Grenzverkehr eingestellt worden Selbst die Telefonverbindungen zwischen West- und Ost-Berlin waren von der Regierung gekappt wor- den

Marion fragte sich wie es jetzt mit dem Schoumlnheits-salon weitergehen sollte der in Berlin-Mitte lag und so-mit im Teil der Stadt der nun von der Deutschen Demo-kratischen Republik verwaltet wurde Da ihre Mutter das

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Geschaumlft zwar in Ost-Berlin betrieb aber in West-Berlin ihren Wohnsitz hatte war ihr ndash wie vielen anderen Ge-werbetreibenden auch ndash die Gewerbeerlaubnis entzogen worden Wer in West-Berlin lebte aber in einem Betrieb in Ost-Berlin angestellt war ndash so wie Marion in der Cha-riteacute ndash wurde zum Umzug aufgefordert oder entlassen Da-mit sparte Marion sich die Kuumlndigung

Die Straszligen ins Umland wurden gesperrt offen bleiben durften nur jene die von den Alliierten als Zufahrtswege in die Bundesrepublik festgelegt worden waren Fuumlr die Menschen in West-Berlin bedeutete das den Verlust ihrer Besitztuumlmer im Osten Natuumlrlich wurden Passierscheine in Aussicht gestellt aber das bedeutete nicht automatisch dass diese genehmigt wurden Auch der Anhalter Bahnhof war stillgelegt worden es gab keine Zuumlge mehr die aus dem Osten nach West-Berlin fuhren

raquoMittlerweile liegt Italien fuumlr uns naumlher als Potsdamlaquo hatte Helena geschimpft

Auch das Werksgebaumlude von Lichtenthal-Pharma hatte einen Treffer abbekommen als eine Sprenggranate in einen Fluumlgel eingeschlagen hatte Der Bereich war nach wie vor eingezaumlunt und die Bauarbeiten schritten stetig voran Ihr Vater hatte die Gelegenheit genutzt und legte den Fluumlgel etwas weitraumlumiger an was dem Gebaumlude ein asymmetri-sches Aussehen verlieh

Marion warf dem Portier einen Gruszlig zu wechselte ein paar Worte mit den Mitarbeitern an der Rezeption und fuhr dann mit dem Aufzug hinauf in die Chefetage Die Tuumlr zum Vorzimmer stand offen und Marion sah wie die Sekretaumlrin ihres Vaters Frau Weiller sich gerade an-

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schickte mit einem Tablett auf dem Kaffeekanne und Tasse standen die Tuumlr zum Buumlro ihres Vaters zu oumlffnen

raquoDas uumlbernehme ichlaquo bot Marion an und nahm der Frau das Tablett ab raquoIch moumlchte sowieso kurz zu ihmlaquo Waumlhrend sie das Tablett in der einen Hand balancierte druumlckte sie mit der anderen die Tuumlr auf raquoBringen Sie mir bitte auch noch eine Tasselaquo

raquoNatuumlrlich kommt sofort Fraumlulein LichtenthallaquoIhr Vater saszlig an seinem Schreibtisch und sah auf als sie

eintrat raquoNa so etwas Planst du einen beruflichen Wech-sellaquo

raquoIn der Tat nur werde ich dann nicht deine Empfangs-damelaquo Marion stellte das Tablett ab und schenkte Kaffee ein Im naumlchsten Moment trat Frau Weiller ein brachte ein zusaumltzliches Gedeck und ein Milchkaumlnnchen

raquoIch weiszlig doch dass Sie Ihren Kaffee nicht schwarz trinkenlaquo sagte sie an Marion gewandt

Nachdem sie gegangen war und die Tuumlr hinter sich ge-schlossen hatte setzte Marion sich ihrem Vater gegenuumlber in einen der beiden Besucherstuumlhle

raquoWas meintest du damit dass du in der Tat einen be-ruflichen Wechsel planstlaquo fragte Dominik Lichtenthal

Marion trank einen weiteren Schluck raquoIch hatte eigent-lich vorgehabt meine Kuumlndigung bei der Chariteacute einzu-reichen wobei das ja nun nicht mehr noumltig ist Ich liebe die Medizin doch der Alltag einer Aumlrztin ist nicht das Richtige fuumlr michlaquo

Das traf ihren Vater vollkommen unerwartet hatte er doch damit gerechnet dass sie in der naumlchsten Zeit ihren Facharzt anstreben wuumlrde raquoSo ploumltzlichlaquo

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raquoIch denke da tatsaumlchlich schon eine ganze Zeit lang druumlber nachlaquo

raquoUnd was willst du stattdessen tun In die Pharmazielaquo Offenbar erinnerte er sich gerade an die paar Semester Che-mie die sie nebenher studiert und waumlhrend derer sie eine kurze Liaison mit einem Chemieprofessor gehabt hatte

raquoNein auch das nichtlaquo Die Kenntnisse in Chemie waren indes durchaus zu etwas gut raquoIch moumlchte bei Mama mitarbeitenlaquo

Unglaumlubig sah ihr Vater sie an raquoDu hast ein komplettes Medizinstudium mit hervorragenden Noten abgeschlos-sen und dann sieht deine Berufswahl so aus Frauen Farbe ins Gesicht zu malenlaquo

Marion musste lachen raquoLass das bloszlig nie Mama houmlren Du weiszligt doch genau dass Kosmetik mehr ist als Frauen Farbe ins Gesicht zu malen Mich interessiert medizini-sche Kosmetik Wie du siehst ist mein Studium nicht vergebens gewesenlaquo

raquoDu kannst doch in die Dermatologie gehenlaquoraquoJa koumlnnte ich Ich koumlnnte aber auch in die Forschung

gehen und medizinische Kosmetik entwickelnlaquoraquoDu koumlnntest auch bei mir in die pharmazeutische For-

schung gehenlaquoraquoDas geht doch Hand in Hand Paps Ich weiszlig dass du

sicher enttaumluscht bist aber helliplaquoraquoNeinlaquo fiel er ihr ins Wort raquoIch bin nicht enttaumluscht

Es ging mir nie darum dass du meine Erwartungen er-fuumlllst sondern stets nur deine eigenen Ich gestehe ich war gluumlcklich als du mir eroumlffnet hast dass du Aumlrztin werden willst aber letzten Endes ist mir am wichtigsten dass du

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zufrieden bist mit dem was du tust Ich bitte dich nur die Entscheidung zu uumlberdenkenlaquo

raquoDu kannst davon ausgehen dass ich das getan habe Ich habe lange und gruumlndlich daruumlber nachgedachtlaquo

raquoWeiszlig deine Mutter bereits davonlaquoraquoNein ich bin zuerst zu dir gekommenlaquoIhr Vater nickte zog seine Zigaretten hervor und

steckte eine an raquoSie wird sich freuen dass du mit ihr zu-sammenarbeiten wirst Und die Taumltigkeit als Aumlrztin laumluft dir ja nicht davon du hast ein abgeschlossenes Studium und kannst jederzeit deinen Facharzt machen wenn du merkst dass das vielleicht doch nicht das Richtige fuumlr dich ist Dir ist aber klar dass du mit medizinischer Kosmetik in Konkurrenz zu deiner Tante Charlotte trittstlaquo

raquoJa durchaus Aber wie sagst du immer Konkurrenz belebt das Geschaumlftlaquo Mit ihrer Tante hatte Marion nur selten Kontakt Auf Feiern lief man sich hin und wieder uumlber den Weg aber damit erschoumlpfte es sich auch schon Im Grunde war das bedauerlich denn Charlottes Tochter Emma war ganz reizend und Marion hatte schon einige interessante Unterhaltungen mit ihr gefuumlhrt wenn sie sich denn mal begegnet waren Auch Emmas Bruder Leopold war sehr freundlich und umgaumlnglich wenngleich er seit dem Krieg verschlossen und in sich gekehrt wirkte Im letzten Jahr hatte er noch an die Front gemusst der arme Kerl Da war sein Vater gerade gestorben und Leopold hatte nicht nur den Verlust zu verkraften gehabt sondern war selbst in dem unheilvollen Mahlwerk des Krieges auf-gerieben worden

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Emma Rudorf saszlig mit einem Buch in der Hand im Wohn-zimmer und houmlrte ihren Bruder heimkommen Den gan-zen Tag war Leopold im Werk von Dr Rudorfs medizi-nische Kosmetik gewesen und an seinem schleppenden Schritt houmlrte Emma wie erschoumlpft er sein musste Ver-mutlich hatte er wieder mit Mutter gestritten und bei dem Gedanken daran wie diese ihm zusetzte packte sie die Wut Sie legte ihr Buch beiseite und stand auf ging in den Flur wo sich Leopold gerade die Schuhe auszog Er sah ihrem Vater aumlhnlich hatte zwar dunkleres Haar aber seine Gesichtszuumlge und er wirkte mit der Brille ein wenig professorenhaft

Als er Emma bemerkte laumlchelte er raquoWie gehtrsquoslaquo fragte er mit gespielter Munterkeit

raquoGut Und dirlaquoraquoViel zu tun Und bei dir Wie war die KlausurlaquoraquoIch denke ich habe bestandenlaquo Emma wuumlrde im

naumlchsten Sommer ihr Chemiestudium abschlieszligenraquoEtwas anderes habe ich auch nicht erwartetlaquoraquoIch habe Abendessen gemacht Kommt Mama auch

gleichlaquoraquoNein sie meinte sie haumltte noch viel zu tunlaquoWie immer Fuumlr Charlotte Rudorf gab es seit dem Tod

ihres Mannes nur noch das Werk sie arbeitete wie beses-sen als koumlnnte das den Schmerz des Verlustes betaumluben Emma hatte sich so oft gewuumlnscht sie wuumlrde daruumlber nicht staumlndig vergessen dass sie zwei Kinder hatte und sich nur dann an sie erinnern wenn es etwas auszusetzen gab Vor allem Leopold war ihr ein fortwaumlhrendes Aumlrgernis

raquoDu warst ein Jahr im Krieglaquo pflegte sie zu sagen

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raquound du bist in einem Stuumlck zuruumlckgekommen Wie lange willst du noch in Truumlbsal versinken anstatt endlich wieder mit beiden Beinen im Leben zu stehenlaquo

Was ihre Mutter Truumlbsal nannte war eine tiefe innere Wunde die der Krieg geschlagen hatte und Emma fragte sich warum sie diese sehen konnte nicht aber die Frau die ihn geboren hatte Dann kamen wieder diese Geschich-ten uumlber all die Kriegsheimkehrer die es auch schafften ihr Leben in den Griff zu bekommen obwohl sie deutlich laumlnger im Krieg aufgerieben worden waren Wie schlimm konnte da das eine Jahr schon gewesen sein Einzig fuumlr Emmas Albtraumlume durch die Bombardierung hatte sie Verstaumlndnis denn diese war zu der Zeit gerade vierzehn Jahre alt gewesen Da spielte wohl auch die Erinnerung mit hinein wie Emma an sie geschmiegt im Keller ge-sessen und gewartet hatte bis die Bombardierung vorbei war waumlhrend sie beide Angst gehabt hatten dass Leopold vielleicht schon tot war

raquoIsst du mit mir zu Abendlaquo fragte er nunraquoKlar ich habe auf dich gewartetlaquoLeopold wuumlrde im Juli vierundzwanzig werden und hatte

sein Pharmaziestudium im letzten Jahr abgeschlossen Er haumltte lieber Maschinenbau studiert war schon seit Kinder-tagen davon fasziniert gewesen Aber es war klar gewesen dass er das Familienwerk erben wuumlrde Allenfalls haumltte er noch Arzt werden koumlnnen um die Praxis ihres Vaters zu uumlbernehmen die nun ein anderer Arzt gemietet hatte

Da sie nur zu zweit waren aszligen sie zwanglos in der Kuumlche und Leopold deckte den Tisch waumlhrend Emma den Brotkorb Butter Kaumlse und Aufschnitt hinstellte und alles

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in den Dosen belieszlig was ihre Mutter stets als mangelnde Esskultur bezeichnete Emma hingegen war es zu viel Auf-wand jetzt alles auf Tellern anzuordnen nur um dann das meiste wieder zuruumlckzufuumlllen und wegzuraumlumen und mehr zum Abspuumllen zu haben Sie lieszlig sich ihrem Bruder gegen-uumlber am Tisch nieder Im Gegensatz zu ihrer Mutter hatte Emma bislang keine groszligen beruflichen Ambitionen ge-habt sie studierte Chemie allein aus dem Grund weil es sie interessierte aber sie hatte keine konkreten Plaumlne da-ruumlber hinaus ndash ein staumlndiges Aumlrgernis fuumlr Charlotte Ru-dorf Emmas Plan war gewesen zum Zeitvertreib etwas zu studieren das ihr Spaszlig machte und danach zu heiraten Im Laufe des Studiums hatte sich ihr Interesse allerdings ge-wandelt In der Fakultaumlt war sie hin und wieder ihrer Cou-sine Marion uumlber den Weg gelaufen die mit einem von Emmas Professoren ausgegangen war und sie fand sie glei-chermaszligen interessant wie inspirierend Sie hatte sogar kurz mit dem Gedanken gespielt sich im Pharmakonzern Lich-tenthal zu bewerben aber da haumltte vermutlich eine Andeu-tung gereicht und ihre Mutter waumlre die Waumlnde hochge-gangen Mit ihrer Schwester Helena hatte sie sich schon vor Jahren entzweit und eine Annaumlherung war nicht in Sicht

Beim Essen plauderten sie uumlber Allgemeines Leopold zog sie mit einem Dozenten auf von dem sie ndash seiner Mei-nung nach ndash verdaumlchtig oft sprach Daraufhin erinnerte sie an die Verkaumluferin aus dem KaDeWe mit der er fortwaumlh-rend ausging ohne dass die Sache von der Stelle kam Spauml-ter raumlumten sie zusammen ab erledigten den Abwasch und wollten gerade ins Wohnzimmer gehen um das Radio ein-zuschalten als ihre Mutter die Wohnungstuumlr aufschloss

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raquoGuten Abendlaquo Charlotte Rudorf sah muumlde aus und Emma ging zu ihr um ihr den Mantel abzunehmen und ihn an die Garderobe zu haumlngen

raquoSoll ich das Abendessen wieder auf den Tisch stellenlaquo fragte Emma

raquoNein lass nur ich habe im Werk eine Kleinigkeit ge-gessenlaquo

So war es fast jeden Abend im Grunde genommen aszligen sie nur noch am Wochenende regelmaumlszligig zusammen und fanden sich ansonsten morgens zu einem raschen Fruumlh-stuumlck in der Kuumlche ein Ihre Mutter wechselte einen kur-zen Blick mit Leopold aus dem klar ersichtlich wurde dass die beiden noch vor gar nicht langer Zeit gestritten hatten ndash ganz so wie von Emma vermutet Nun jedoch zeigte sich ein zoumlgerliches Laumlcheln auf den Lippen Char-lotte Rudorfs und auch das war typisch Zum Abend hin legte sie Streit gerne bei mochte es nicht unversoumlhnt schlafen zu gehen

Im Wohnzimmer schalteten sie das Radio ein Emma houmlrte nur mit halbem Ohr hin und hatte ihr Buch wie-der aufgeschlagen war aber auch hier nicht bei der Sache Schlieszliglich gab sie es auf und beschloss noch ein wenig spazieren zu gehen

raquoUm diese Uhrzeitlaquo fragte ihre Mutter die gerade mit einer Tasse Kraumlutertee ins Wohnzimmer trat

raquoEs ist kurz nach achtlaquoNun blickte auch Leopold auf sah sie an als witterte er

hinter ihrem Wunsch eine tiefere WahrheitraquoEs ist nur ein Spazierganglaquo sagte sie und haumltte am

liebsten die Augen verdreht raquoMir geht so viel im Kopf

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herum und ich kann meine Gedanken beim Gehen am besten sortierenlaquo

raquoWie war eigentlich deine Klausurlaquo wollte ihr Mut-ter nun wissen

raquoGut denke ichlaquo Emma ging in den Flur nahm einen leichten Mantel vom Haken legte sich einen Seidenschal um und warf noch einen kurzen Blick in den Spiegel Seit kurzem trug sie ihr hellbraunes Haar knapp schulterlang und in groszlige Locken gelegt die sie mit einer Spange seit-lich zuruumlckhielt Jetzt zupfte sie ein wenig daran herum bis sie schlieszliglich zufrieden war und verlieszlig die Wohnung Sie wohnten in der ersten Etage direkt uumlber der Arztpraxis die Wohnung im zweiten Stock stand derzeit leer Fruumlher einmal hatte Emmas Groszligmutter dort gewohnt aber sie lebte bereits seit fast dreiszligig Jahren bei ihrer Tochter erst in Hamburg und seit kurz vor dem Krieg in Muumlnchen da der Ehemann von Emmas Tante dorthin versetzt worden war Leider kam sie nur noch selten zu Besuch da lange Reisen sie zu sehr anstrengten Emma bedauerte das denn sie mochte ihre Groszligmutter die auch mit achtzig noch ruumlstiger und scharfsinniger war als manch junge Frau die Emma kannte

Es daumlmmerte bereits und die langen Schatten des spauml-ten Nachmittags waren ineinandergekrochen verdichte-ten sich langsam und entfaumlrbten den Tag zu einem lich-ten Grau Seit zwei Jahren stellte man die Uhren nicht mehr zur Sommerzeit um und anfangs war es ungewohnt gewesen dass die Sommertage nun um eine Stunde kuumlr-zer waren aber man gewoumlhnte sich daran Waumlhrend des Krieges hatte es eine Zeit gegeben in der fortwaumlhrend

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Sommerzeit gegolten hatte und man die Uhren uumlberhaupt nicht mehr umstellte irgendwann war ein konzeptloses Wechseln erfolgt Dann war die Regelung durch die Besat-zungsmaumlchte wieder geaumlndert worden und sie bestimm-ten eine Umstellung auf die Sommerzeit ndash wobei diese in der sowjetischen Besatzungszone Berlins 1945 ganze zwei Monate laumlnger gedauert hatte Jetzt endlich hatte die Regierung sich auf eine einheitliche Zeit festgelegt die fuumlr das gesamte Jahr galt ndash die Ruumlckkehr zur Normalzeit Emma hoffte dass das so blieb

Als sie durch die Straszlige spazierte hier und da einen heimkehrenden Nachbarn oder Bekannten gruumlszligte ndash die Tochter des Herrn Doktor kannte man im gesamten Vier-tel ndash fiel ihr ein Mann auf der gerade ein Haus verlieszlig sich noch einmal umdrehte einem weiteren Mann der in der offenen Tuumlr stand etwas sagte und dann durch den Vorgarten schritt und auf sein Auto zuging Dominik Lichtenthal Emma blieb stehen sah ihn an wusste nicht ob sie zu ihm gehen und houmlflich gruumlszligen oder ihn ignorie-ren sollte Er nahm ihr die Entscheidung ab als er sie be-merkte kurz stutzte als muumlsste er ihr Gesicht erst einem Namen zuordnen und sie dann anlaumlchelte

raquoGuten Abend Emma Wie geht es dirlaquoSie ging auf ihn zu raquoSehr gut vielen Danklaquo Sie wusste

nie so recht ob sie ihn duzen sollte oder nicht denn einer-seits war er ein Fremder andererseits aber der Ehemann ihrer Tante und damit praktisch ihr Onkel

raquoIch habe gehoumlrt du studierst ChemielaquoraquoJa ich werde diesen Sommer fertiglaquoraquoUnd dann geht es in den Konzern deiner Mutterlaquo

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Unschluumlssig hob Emma die Schultern raquoAch das weiszlig ich noch gar nichtlaquo

Dominik Lichtenthal schloss seinen Wagen auf raquoWenn du dich lieber auf dem freien Markt umsehen moumlchtest sag Bescheid ich kann faumlhige Chemiker immer gebrau-chenlaquo

Es war schon fast skurril dass Emma diesen Gedanken erst vor kurzem gehegt hatte und ihn nun ausgesprochen houmlrte Da sie nicht rundheraus ablehnen wollte dankte sie ihm und nachdem sie ihm gesagt hatte er moumlge seine Familie von ihr gruumlszligen stieg er in seinen Wagen und fuhr los Im Grunde genommen war das doch albern dass ihre Mutter immer noch nichts mit ihrer Schwester zu tun haben wollte Emma kannte die alte Geschichte und natuumlr lich war es hart auf einen Schlag sein gesam-tes Erbe zu verlieren und die unvermittelt aufgetauchte fremde Schwester als einzige Gewinnerin in dieser Situa-tion zu sehen aber das Ganze war jetzt gut fuumlnfundzwan-zig Jahre her irgendwann musste es doch mal gut sein Und es war ja nun wahrlich nicht so als wuumlrde der Besitz des Hauses in der Friedrichstraszlige noch einen nennenswer-ten Unter schied im Vermoumlgen ihrer Mutter machen Im Gegenteil ndash waumlre sie dort geblieben haumltte sie es vielleicht nie so weit gebracht

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Juni 1952

Die einstmals goldene Zeit merkte man der ehemaligen Amuumlsiermeile auf der Friedrichstraszlige nicht mehr an und Helena verspuumlrte jedes Mal beim Besuch ihres Schoumlnheits-salons diesen Stich des Bedauerns Als sie in den Zwan-zigern hier angekommen war hatte das Leben pulsiert mit Autos Bussen Bahnen Fuszliggaumlngern Radfahrern und noch vereinzelten Droschken Die Kreuzung an der Leip-ziger Straszlige war ein so verkehrsreicher Knotenpunkt ge-wesen dass es fuumlr die aus der Provinz stammende Helena anfangs schon eine Herausforderung gewesen war lebend von einer Straszligenseite auf die andere zu gelangen

Nach dem Krieg war die Straszlige eine von Ruinen ge-saumlumte Schuttwuumlste geworden und auch wenn die Truumlm-mer in weiten Teilen fortgeraumlumt waren so erinnerte doch nur wenig an fruumlher Helena hatte mehrfach uumlberlegt den Schoumlnheitssalon einfach aufzugeben aber das brachte sie nicht uumlber sich Vielleicht normalisierte sich hier ja alles irgendwann wieder das konnte doch nicht ewig so blei-ben Ihr Schoumlnheitssalon in der Friedrichstraszlige befand sich im Amerikanischen Sektor der in Berlin-Mitte gehoumlrte nun zur DDR ihr Werk wiederum zum Franzoumlsischen

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Sektor Dominiks sowie ihr Wohnsitz lagen im Britischen Sektor Das war doch auf Dauer kein Zustand Den Salon in Berlin-Mitte hatte sie aufgeben muumlssen und sie sah sich bereits nach Alternativen um

Als Helena in den Salon trat kam ihr Ida ndash fruumlher Wag-ner jetzt Zeller ndash entgegen raquoKaffeelaquo

raquoUnbedingtlaquo Helena haumlngte ihren Mantel an die Gar-derobe und betrat den Salon Es war noch fruumlh und sie wuumlrden erst in einer halben Stunde oumlffnen Ida hatte schon in den Dreiszligigern die Leitung des Salons uumlbernommen als Helena damit beschaumlftigt gewesen war einen weiteren in Berlin-Mitte zu eroumlffnen

raquoWie geht es den MaumldchenlaquoHelena setzte sich in einen der bequemen Besucher-

stuumlhle wo die Frauen sich bei einer Tasse Kaffee oder Tee und etwas Gebaumlck entspannen konnten raquoMarion faumlngt bei mir im Werk an der Termin steht jetztlaquo Das war Schock und freudige Uumlberraschung zugleich gewesen und Helena wusste selbst nicht ob ihre Bestuumlrzung oder ihre Freude uumlberwog Natuumlrlich hatte sie gehofft dass Marion als Aumlrztin praktizierte immerhin hatte sie stu-diert und damit ein klares Ziel vor Augen gehabt Ande-rerseits freute es sie dass ihre Tochter Interesse an ihrem Unternehmen zeigte ndash und nicht an Dominiks wie eine kleine nicht zu unterdruumlckende Stimme des Triumphs in ihr betonte raquoUnd Fanny schlieszligt das Schuljahr mit sehr guten Noten ablaquo

raquoMathematik macht ihr wieder SpaszliglaquoraquoNachdem Ferdinands Ehefrau es ihr erklaumlrt hat was

ihr unfaumlhiger Lehrer offenbar nicht hinbekommtlaquo Fer-

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dinand war der Patenonkel beider Toumlchter und seine Frau eine begabte Mathematikerin

Die Schwangerschaft mit Fanny hatte Helena seinerzeit einen gehoumlrigen Schrecken eingejagt All die Jahre hatte sie es erfolgreich vermieden zu empfangen und dann als die Welt am Abgrund stand kuumlndigte sich neues Leben an Schlimm genug mitanzusehen wie Marion bereits in der Schule darauf vorbereitet wurde in den BDM einzu-treten da wollte sie diesem System nicht noch ein Kind schenken Es war Rudolf Liliengrund gewesen dem Fanny es zu verdanken hatte dass Helena keinen Abbruch hatte vornehmen lassen

raquoGerade in diesen Zeiten sollten die Anstaumlndigen sich vermehrenlaquo

Ihr lieber Rudolf der seine gesamte Familie verloren und selbst nur knapp und unter Entbehrungen die Flucht geschafft hatte weil er zu lange gezoumlgert geglaubt hatte es wuumlrde alles gut werden Und so hatte Helena Fanny aus-getragen hatte schon in der Schwangerschaft eine so innige Beziehung zu dem Kind gehabt wie sie es sich nicht hatte vorstellen koumlnnen Es war ganz anders als mit Marion zu der sie erst eine enge Bindung hatte aufbauen koumlnnen als diese bereits ein Kleinkind gewesen war Waumlhrend Marion von Geburt an ein Papakind war so war Fanny von Geburt an ganz und gar ihre Tochter Helena hatte sie sogar mit zur Arbeit genommen weil sie sich nicht von ihr trennen mochte hatte sie im Buumlro gestillt und in der Wiege neben sich schlafen lassen Undenkbar dieses Baby jemand ande-rem anzuvertrauen Dabei liebte sie Marion nicht weniger und sie verstand auch im Nachhinein nicht warum sie bei

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beiden Kindern schon in der Schwangerschaft so unter-schiedlich empfunden hatte

raquoDu solltest endlich aufhoumlren das zu hinterfragenlaquo hatte ihre beste Freundin Irene Danelius gesagt raquoEs ist jetzt wie es ist Freu dich einfach Gerade jetzt haben wir alle wahrhaftig Probleme genug da muss man nicht auch noch welche hinzuredenlaquo

Als im November 1938 die Synagogen brannten hatte Irene das Land verlassen raquoIch komme zuruumlck wenn der Irrsinn vorbei istlaquo hatte sie gesagt und war nach Amerika gegangen Dort war sie zur Filmgroumlszlige geworden hatte einen bekannten Produzenten geheiratet und lebte nach wie vor in den Vereinigten Staaten Helena vermisste sie immer noch sehr und war auch schon einmal mit ihrer Familie in New York gewesen um sie zu besuchen

raquoFahrt ihr diesen Sommer weglaquo fragte Ida und setzte sich nun ebenfalls

raquoAuf jeden Fall fuumlr zwei Wochen zu meiner Mutter Und von da aus vielleicht weiter in Richtung Schweizlaquo Vor allem auf die Zeit bei ihrer Mutter freute sich Helena das waren jedes Mal schoumlne Tage mit all den fruumlheren Freunden und Bekannten sowie mit der Baronin fuumlr die sie und ihre Mutter fruumlher gearbeitet hatten und bei der ihre Mutter nun den Altersruhesitz hatte Fuumlr Helenas Familie standen immer Gaumlstezimmer bereit Ein wenig behandelte man sie dort wie eine Prominente die Dienst-botentochter die es in der Weltmetropole zu etwas ge-bracht hatte mit einem reichen Mann verheiratet war und mit Filmstars verkehrte

Kurz darauf trafen die uumlbrigen Mitarbeiterinnen ein

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und dann kamen auch schon die ersten Kundinnen Helena unterhielt sich mit einigen der Damen beriet hier und da persoumlnlich und machte sich dann auf den Weg ins Werk Unmittelbar nach dem Krieg war es schwierig gewesen die Rohstoffe fuumlr die Produktion von Kosmetik aufzutrei-ben vielfach waren sie nur zu Schwarzmarktpreisen zu be-kommen Viele Rohstoffe wurden in der Pharmaindustrie dringender benoumltigt und natuumlrlich hatte die medizini-sche Versorgung Vorrang vor der kosmetischen Gerade nach dem Krieg hatten sie alle andere Sorgen gehabt wes-halb Helenas Werk voruumlbergehend die Produktion um-stellte und der chemischen Industrie zuarbeitete waumlhrend die Schoumlnheitssalons Obdachlosen offenstanden Erst vier Jahre nach Kriegsende als der Hungerwinter vorbei war und die Menschen durch die Waumlhrungsreform wieder uumlber Geld verfuumlgten hatte Helena Kosmetikherstellung und Schoumlnheitsbehandlungen wieder aufgenommen

Im Werk ging Helena direkt in ihr Buumlro und sah sich Werbeentwuumlrfe an Sie liebte ihre Arbeit und sie machte ihr nach wie vor Spaszlig allerdings fehlte ihr die Heraus-forderung Die Kosmetik entwickelte sich stetig weiter und mittlerweile war Forschung und Entwicklung eine eigene Abteilung in ihrem Unternehmen Natuumlrlich freute sie sich daruumlber aber sie vermisste die Zeiten in denen sie selbst in ihrer Fertigung gesessen und experimentiert hatte Vielleicht war es wirklich gut dass Marion hier demnaumlchst etwas frischen Wind hereinbringen wuumlrde Wie wohl Charlotte darauf reagierte dass Helena ihr nun Konkurrenz machen wuumlrde

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Emma houmlrte den Streit bis ins Wohnzimmer Ihre Mutter hielt Leopold vor er naumlhme die Arbeit nicht ausreichend ernst und bringe sich zu wenig ein Wie er bei dem Ge-schaumlftstermin am Vortag nur dagesessen und auf einmal zu zittern begonnen habe Wenn es nicht anders ging dann solle er eben seine Medikamente wieder nehmen Und ndash verdammt noch mal ndash endlich mehr Nervenstaumlrke zei- gen

Auch an diesem Morgen hatte es schon wieder damit begonnen dass Leopold beim Fruumlhstuumlck sehr still gewe-sen war was fuumlr Emma immer ein Zeichen fuumlr schlimme Traumlume war Auf Ausfuumlhrungen ihrer Mutter zu dem heu-tigen Arbeitstag hatte er nur genickt was diese wiederum zu dem Schluss kommen lieszlig dass er sich nur unzurei-chend interessierte Uumlberhaupt habe er keine innovativen Ideen arbeite den Tag ab ohne echtes Interesse zu zeigen an dem was er tat Irgendwann war ein handfester Streit ausgebrochen der auch dann noch anhielt als Emma das Esszimmer verlassen hatte und nun in der Kuumlche den Ab-wasch machte Schlieszliglich hielt sie es nicht mehr aus lief ins Esszimmer zuruumlck

raquoWas willst du eigentlichlaquo fuhr sie ihre Mutter an raquoEr tut doch alles was er solllaquo

raquoEmma lass nurlaquo sagte Leopold raquoIch mache helliplaquoraquoNein ich lasse es nicht Koumlnnen wir nicht mal einen

Morgen friedlich verbringen wie andere Familien auch Muss hier immer den ganzen Tag uumlber Streit herrschen und abends gehen wir dann versoumlhnt schlafen Wozu Um am naumlchsten Tag wieder loszulegen Das ist doch nicht mehr auszuhaltenlaquo

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raquoWie redest du eigentlich mit mirlaquo Die Stimme ihrer Mutter war ganz kalt geworden bar jeder Emotion

raquoIch helliplaquo Die aufbrausende Wut fiel von Emma ab und sie wusste nicht mehr was sie nun sagen sollte raquoIch hellip ich habe heute keine Uni und wollte ohnehin fragen ob ich mit ins Werk kannlaquo Der Einfall war ihr gerade erst ge-kommen raquoIch koumlnnte Leo zuarbeiten und so schon einmal Einblicke bekommenlaquo

Die frostglitzernde Wut im Blick ihrer Mutter schmolz zu Uumlberraschung raquoAch waslaquo

raquoIch habe mir lange uumlberlegt was ich mit meinem Che-miestudium machelaquo

raquoHeiszligt das es steht nicht zu erwarten dass du dich nun nach einer passenden Partie umsiehstlaquo Fuumlr jemanden der selbst gluumlcklich verheiratet gewesen war zeigte ihre Mut-ter eine sehr ablehnende Haltung zu Emmas Eheplaumlnen

raquoNoch ist ja niemand in Aussicht nicht wahrlaquo ver-setzte Emma der Hoffnung einen Daumlmpfer

Ihre Mutter schien damit zufrieden zu sein raquoSchoumln dann beeil dich wir brechen gleich auflaquo

Sie und Leopold fuhren in der Regel gemeinsam los und Leopold lieszlig dann den Wagen fuumlr sie im Werk und kehrte puumlnktlich zum Buumlroschluss mit der Bahn nach Hause zu-ruumlck Das tat er vermutlich vor allem aus dem Grund weil er den Abstand brauchte

raquoIch habe uumlbrigens gehoumlrt dass Marion in der Chariteacute aufhoumlrtlaquo erzaumlhlte Emma als sie auf der Ruumlckbank des Wagens Platz genommen hatte

raquoWelche Marionlaquo fragte ihre Mutter und Emma haumltte gerne gewusst ob sie das wirklich nicht wusste

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raquoUnsere CousinelaquoraquoUnd warum sollte es mich interessieren was diese Per-

son tutlaquoraquoWeil sie deine Nichte ist moumlglicherweiselaquoVon hinten konnte Emma das Schulterzucken sehenraquoAuf jeden Fall heiszligt es sie wollte in das Unternehmen

von Tante Helena einsteigenlaquo Mit einiger Befriedigung bemerkte Emma dass ihre Mutter bei dieser persoumlnlichen Bezeichnung kaum merklich zusammenzuckte

raquoIn der TatlaquoraquoSie hat einige Semester Chemie studiert das hatte ich

doch erzaumlhltlaquoraquoJa hattest du Auch dass sie es mit deinem Chemie-

professor getrieben hatlaquoraquoMutterlaquo kam es von LeopoldraquoDas habe ich nie gesagtlaquo Emma lehnte sich vor als

koumlnne sie ihren Worten damit mehr Nachdruck verleihen raquoIch sagte sie gehen miteinander auslaquo

raquoWenn sie nach ihrer Mutter kommt gibt es das eine nicht ohne das andere Gerne auch zum Nachteil der eigenen Familie Sind deine Noten bei besagtem Profes-sor nicht danach schlechter gewordenlaquo

raquoDas war bei Professor Guenther nicht bei Professor Hellweg mit dem Marion aus war Meine Guumltelaquo Emma hatte langsam genug Dieser sture verbohrte Zorn ihrer Mutter war nicht mehr zu ertragen Mit Ende vierzig konnte sie sich auf jeden Fall noch nicht mit Altersstarr-sinn herausreden raquoHoumlr zu wenn das hier jeden Morgen der Beginn meines Arbeitstages wird sag es direkt dann reicht mir der einmalige Ausflug in dein Unternehmen

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und ich bewerbe mich morgen beim Pharmaunternehmen Lichtenthallaquo

Ihre Mutter fuhr herum raquoDas wagst du nichtlaquoraquoLass es gerne darauf ankommenlaquoLange sah ihre Mutter sie an dann zuckte es um ihre

Lippen Widerspruchsgeist gefiel ihr und sie schien auf einmal versoumlhnt Emma wuumlrde bleiben wuumlrde es allein um Leopolds willen tun Vielleicht wuumlrde es leichter fuumlr ihn mit ihr an seiner Seite

Das ehemalige Werksgelaumlnde hatte in Berlin-Oberschouml-neweide gestanden aber sie waren noch vor dem Krieg um-gezogen was sich als richtige Entscheidung erwiesen hatte wenngleich zu der Zeit noch niemand hatte wissen koumlnnen dass dieser Stadtteil unter sowjetische Verwaltung gestellt werden wuumlrde Das jetzige Werk stand in Berlin-Tempel-hof im Amerikanischen Sektor und hatte im Krieg ebenfalls gelitten Sie fuhren durch das Tor und Leopold parkte den Wagen auf der dafuumlr vorgesehenen Flaumlche auf der weitere Autos Motorraumlder und Mopeds standen

Ihre Mutter begleitete sie bis in die Etage in der sich die Raumlumlichkeiten der Geschaumlftsfuumlhrung befanden dann ging sie in ihr Buumlro waumlhrend Emma Leopold in seines be-gleitete

raquoWeiszligt dulaquo sagte er als er auf einen der Stuumlhle wies raquodu musst das nicht tunlaquo

raquoWas meinst dulaquo Emma lieszlig sich auf der Besucherseite seines Schreibtischs nieder

raquoDas weiszligt du genau Mich hierher zu begleiten ob-wohl du nie im Sinn hattest in der Firma zu arbeiten Du musst mich nicht vor Mutter beschuumltzenlaquo

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raquoDas tue ich doch gar nichtlaquoLeopold antwortete nicht ging nur zur Tuumlr oumlffnete sie

und rief in das gegenuumlberliegende Zimmer der beiden Sekretaumlrinnen dass man ihm und seiner Schwester bitte Kaffee bringen moumlge raquoEs war nie dein Plan hier zu ar-beitenlaquo

raquoPlaumlne koumlnnen sich aumlndernlaquoraquoVon einem Tag auf den anderenlaquoraquoJa warum denn nicht Und wer sagt uumlberhaupt dass

es so abrupt war Vielleicht denke ich ja schon laumlnger da-ruumlber nach und habe dir einfach noch nichts erzaumlhltlaquo Emma zog einen Bleistift aus dem Stiftebecher und drehte ihn zwischen den Fingern raquoUumlbrigens hat mir Dominik Lichtenthal ein Stellenangebot gemachtlaquo Gespannt be-obachtete sie Leopolds Reaktion

raquoWannlaquoraquoIch bin ihm mal abends beim Spaziergang begegnetlaquoraquoUnd da hat er dir ndash ohne dich und deine Befaumlhigung

so recht zu kennen ndash eine Stelle angebotenlaquoraquoWir haben uns kurz unterhalten und er weiszlig dass ich

Chemie studiere Da meinte er wenn ich nicht fuumlr Mutter arbeiten wolle solle ich mich bei ihm melden er koumlnne faumlhige Chemiker immer gebrauchenlaquo

raquoMutter enterbt dich wenn du das tustlaquoraquoDas waumlre nicht so schlimm denn dann erbst du alles

und wirst mir meinen Teil einfach auszahlenlaquoraquoIst das solaquoraquoNatuumlrlichlaquo Emma zog ihre Zigaretten hervorraquoDu willst doch wohl hier nicht rauchenlaquoAnstelle einer Antwort steckte sie sich eine Zigarette

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zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

bei Lichtenthal in Aussicht und einem groszligzuumlgigen Bru-der der dir deinen Erbanteil abtrittlaquo

Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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naumlchste wollte brauchte mancherorts eine Genehmigung Fuumlr Reisen zwischen der Westzone und der sowjetischen Besatzungszone gab es Interzonenpaumlsse und es waren erste Grenzanlagen auf der Ostseite errichtet worden Stachel-drahthindernisse in Waldgebieten Sperren an Straszligen und dabei blieb es nicht sondern es war im Jahr nach Kriegsende eine Grenzpolizei eingesetzt und sogar der Ge-brauch fuumlr Schusswaffen geregelt worden Die Abrieglung des Ostens war ein Schock fuumlr die Menschen in Berlin

raquoDas kann doch nicht seinlaquo hatte sich Marions Mutter empoumlrt raquoEs war ja ohnehin schon ein Aufwand von einem Teil der Stadt in den anderen zu kommen und jetzt soll man auch noch aufpassen nicht erschossen zu werdenlaquo

Was Marion jedoch weit mehr Sorge bereitete war der Umstand dass seit diesem Tag dem achtundzwanzigs-ten Mai West-Berlin durch die Regierung in der Sow-jetzone vom Umland getrennt wurde Schon an den bei-den Tagen zuvor war die innerdeutsche Demarkationslinie nach Unter zeichnung des Bonner Deutschlandvertrags ab-geriegelt worden und es gab nun einen zehn Meter langen Kontrollstreifen einen fuumlnfhundert Meter langen Schutz-streifen sowie eine fuumlnf Kilometer weite Sperrzone Damit war der bisher geduldete kleine Grenzverkehr eingestellt worden Selbst die Telefonverbindungen zwischen West- und Ost-Berlin waren von der Regierung gekappt wor- den

Marion fragte sich wie es jetzt mit dem Schoumlnheits-salon weitergehen sollte der in Berlin-Mitte lag und so-mit im Teil der Stadt der nun von der Deutschen Demo-kratischen Republik verwaltet wurde Da ihre Mutter das

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Geschaumlft zwar in Ost-Berlin betrieb aber in West-Berlin ihren Wohnsitz hatte war ihr ndash wie vielen anderen Ge-werbetreibenden auch ndash die Gewerbeerlaubnis entzogen worden Wer in West-Berlin lebte aber in einem Betrieb in Ost-Berlin angestellt war ndash so wie Marion in der Cha-riteacute ndash wurde zum Umzug aufgefordert oder entlassen Da-mit sparte Marion sich die Kuumlndigung

Die Straszligen ins Umland wurden gesperrt offen bleiben durften nur jene die von den Alliierten als Zufahrtswege in die Bundesrepublik festgelegt worden waren Fuumlr die Menschen in West-Berlin bedeutete das den Verlust ihrer Besitztuumlmer im Osten Natuumlrlich wurden Passierscheine in Aussicht gestellt aber das bedeutete nicht automatisch dass diese genehmigt wurden Auch der Anhalter Bahnhof war stillgelegt worden es gab keine Zuumlge mehr die aus dem Osten nach West-Berlin fuhren

raquoMittlerweile liegt Italien fuumlr uns naumlher als Potsdamlaquo hatte Helena geschimpft

Auch das Werksgebaumlude von Lichtenthal-Pharma hatte einen Treffer abbekommen als eine Sprenggranate in einen Fluumlgel eingeschlagen hatte Der Bereich war nach wie vor eingezaumlunt und die Bauarbeiten schritten stetig voran Ihr Vater hatte die Gelegenheit genutzt und legte den Fluumlgel etwas weitraumlumiger an was dem Gebaumlude ein asymmetri-sches Aussehen verlieh

Marion warf dem Portier einen Gruszlig zu wechselte ein paar Worte mit den Mitarbeitern an der Rezeption und fuhr dann mit dem Aufzug hinauf in die Chefetage Die Tuumlr zum Vorzimmer stand offen und Marion sah wie die Sekretaumlrin ihres Vaters Frau Weiller sich gerade an-

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schickte mit einem Tablett auf dem Kaffeekanne und Tasse standen die Tuumlr zum Buumlro ihres Vaters zu oumlffnen

raquoDas uumlbernehme ichlaquo bot Marion an und nahm der Frau das Tablett ab raquoIch moumlchte sowieso kurz zu ihmlaquo Waumlhrend sie das Tablett in der einen Hand balancierte druumlckte sie mit der anderen die Tuumlr auf raquoBringen Sie mir bitte auch noch eine Tasselaquo

raquoNatuumlrlich kommt sofort Fraumlulein LichtenthallaquoIhr Vater saszlig an seinem Schreibtisch und sah auf als sie

eintrat raquoNa so etwas Planst du einen beruflichen Wech-sellaquo

raquoIn der Tat nur werde ich dann nicht deine Empfangs-damelaquo Marion stellte das Tablett ab und schenkte Kaffee ein Im naumlchsten Moment trat Frau Weiller ein brachte ein zusaumltzliches Gedeck und ein Milchkaumlnnchen

raquoIch weiszlig doch dass Sie Ihren Kaffee nicht schwarz trinkenlaquo sagte sie an Marion gewandt

Nachdem sie gegangen war und die Tuumlr hinter sich ge-schlossen hatte setzte Marion sich ihrem Vater gegenuumlber in einen der beiden Besucherstuumlhle

raquoWas meintest du damit dass du in der Tat einen be-ruflichen Wechsel planstlaquo fragte Dominik Lichtenthal

Marion trank einen weiteren Schluck raquoIch hatte eigent-lich vorgehabt meine Kuumlndigung bei der Chariteacute einzu-reichen wobei das ja nun nicht mehr noumltig ist Ich liebe die Medizin doch der Alltag einer Aumlrztin ist nicht das Richtige fuumlr michlaquo

Das traf ihren Vater vollkommen unerwartet hatte er doch damit gerechnet dass sie in der naumlchsten Zeit ihren Facharzt anstreben wuumlrde raquoSo ploumltzlichlaquo

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raquoIch denke da tatsaumlchlich schon eine ganze Zeit lang druumlber nachlaquo

raquoUnd was willst du stattdessen tun In die Pharmazielaquo Offenbar erinnerte er sich gerade an die paar Semester Che-mie die sie nebenher studiert und waumlhrend derer sie eine kurze Liaison mit einem Chemieprofessor gehabt hatte

raquoNein auch das nichtlaquo Die Kenntnisse in Chemie waren indes durchaus zu etwas gut raquoIch moumlchte bei Mama mitarbeitenlaquo

Unglaumlubig sah ihr Vater sie an raquoDu hast ein komplettes Medizinstudium mit hervorragenden Noten abgeschlos-sen und dann sieht deine Berufswahl so aus Frauen Farbe ins Gesicht zu malenlaquo

Marion musste lachen raquoLass das bloszlig nie Mama houmlren Du weiszligt doch genau dass Kosmetik mehr ist als Frauen Farbe ins Gesicht zu malen Mich interessiert medizini-sche Kosmetik Wie du siehst ist mein Studium nicht vergebens gewesenlaquo

raquoDu kannst doch in die Dermatologie gehenlaquoraquoJa koumlnnte ich Ich koumlnnte aber auch in die Forschung

gehen und medizinische Kosmetik entwickelnlaquoraquoDu koumlnntest auch bei mir in die pharmazeutische For-

schung gehenlaquoraquoDas geht doch Hand in Hand Paps Ich weiszlig dass du

sicher enttaumluscht bist aber helliplaquoraquoNeinlaquo fiel er ihr ins Wort raquoIch bin nicht enttaumluscht

Es ging mir nie darum dass du meine Erwartungen er-fuumlllst sondern stets nur deine eigenen Ich gestehe ich war gluumlcklich als du mir eroumlffnet hast dass du Aumlrztin werden willst aber letzten Endes ist mir am wichtigsten dass du

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zufrieden bist mit dem was du tust Ich bitte dich nur die Entscheidung zu uumlberdenkenlaquo

raquoDu kannst davon ausgehen dass ich das getan habe Ich habe lange und gruumlndlich daruumlber nachgedachtlaquo

raquoWeiszlig deine Mutter bereits davonlaquoraquoNein ich bin zuerst zu dir gekommenlaquoIhr Vater nickte zog seine Zigaretten hervor und

steckte eine an raquoSie wird sich freuen dass du mit ihr zu-sammenarbeiten wirst Und die Taumltigkeit als Aumlrztin laumluft dir ja nicht davon du hast ein abgeschlossenes Studium und kannst jederzeit deinen Facharzt machen wenn du merkst dass das vielleicht doch nicht das Richtige fuumlr dich ist Dir ist aber klar dass du mit medizinischer Kosmetik in Konkurrenz zu deiner Tante Charlotte trittstlaquo

raquoJa durchaus Aber wie sagst du immer Konkurrenz belebt das Geschaumlftlaquo Mit ihrer Tante hatte Marion nur selten Kontakt Auf Feiern lief man sich hin und wieder uumlber den Weg aber damit erschoumlpfte es sich auch schon Im Grunde war das bedauerlich denn Charlottes Tochter Emma war ganz reizend und Marion hatte schon einige interessante Unterhaltungen mit ihr gefuumlhrt wenn sie sich denn mal begegnet waren Auch Emmas Bruder Leopold war sehr freundlich und umgaumlnglich wenngleich er seit dem Krieg verschlossen und in sich gekehrt wirkte Im letzten Jahr hatte er noch an die Front gemusst der arme Kerl Da war sein Vater gerade gestorben und Leopold hatte nicht nur den Verlust zu verkraften gehabt sondern war selbst in dem unheilvollen Mahlwerk des Krieges auf-gerieben worden

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Emma Rudorf saszlig mit einem Buch in der Hand im Wohn-zimmer und houmlrte ihren Bruder heimkommen Den gan-zen Tag war Leopold im Werk von Dr Rudorfs medizi-nische Kosmetik gewesen und an seinem schleppenden Schritt houmlrte Emma wie erschoumlpft er sein musste Ver-mutlich hatte er wieder mit Mutter gestritten und bei dem Gedanken daran wie diese ihm zusetzte packte sie die Wut Sie legte ihr Buch beiseite und stand auf ging in den Flur wo sich Leopold gerade die Schuhe auszog Er sah ihrem Vater aumlhnlich hatte zwar dunkleres Haar aber seine Gesichtszuumlge und er wirkte mit der Brille ein wenig professorenhaft

Als er Emma bemerkte laumlchelte er raquoWie gehtrsquoslaquo fragte er mit gespielter Munterkeit

raquoGut Und dirlaquoraquoViel zu tun Und bei dir Wie war die KlausurlaquoraquoIch denke ich habe bestandenlaquo Emma wuumlrde im

naumlchsten Sommer ihr Chemiestudium abschlieszligenraquoEtwas anderes habe ich auch nicht erwartetlaquoraquoIch habe Abendessen gemacht Kommt Mama auch

gleichlaquoraquoNein sie meinte sie haumltte noch viel zu tunlaquoWie immer Fuumlr Charlotte Rudorf gab es seit dem Tod

ihres Mannes nur noch das Werk sie arbeitete wie beses-sen als koumlnnte das den Schmerz des Verlustes betaumluben Emma hatte sich so oft gewuumlnscht sie wuumlrde daruumlber nicht staumlndig vergessen dass sie zwei Kinder hatte und sich nur dann an sie erinnern wenn es etwas auszusetzen gab Vor allem Leopold war ihr ein fortwaumlhrendes Aumlrgernis

raquoDu warst ein Jahr im Krieglaquo pflegte sie zu sagen

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raquound du bist in einem Stuumlck zuruumlckgekommen Wie lange willst du noch in Truumlbsal versinken anstatt endlich wieder mit beiden Beinen im Leben zu stehenlaquo

Was ihre Mutter Truumlbsal nannte war eine tiefe innere Wunde die der Krieg geschlagen hatte und Emma fragte sich warum sie diese sehen konnte nicht aber die Frau die ihn geboren hatte Dann kamen wieder diese Geschich-ten uumlber all die Kriegsheimkehrer die es auch schafften ihr Leben in den Griff zu bekommen obwohl sie deutlich laumlnger im Krieg aufgerieben worden waren Wie schlimm konnte da das eine Jahr schon gewesen sein Einzig fuumlr Emmas Albtraumlume durch die Bombardierung hatte sie Verstaumlndnis denn diese war zu der Zeit gerade vierzehn Jahre alt gewesen Da spielte wohl auch die Erinnerung mit hinein wie Emma an sie geschmiegt im Keller ge-sessen und gewartet hatte bis die Bombardierung vorbei war waumlhrend sie beide Angst gehabt hatten dass Leopold vielleicht schon tot war

raquoIsst du mit mir zu Abendlaquo fragte er nunraquoKlar ich habe auf dich gewartetlaquoLeopold wuumlrde im Juli vierundzwanzig werden und hatte

sein Pharmaziestudium im letzten Jahr abgeschlossen Er haumltte lieber Maschinenbau studiert war schon seit Kinder-tagen davon fasziniert gewesen Aber es war klar gewesen dass er das Familienwerk erben wuumlrde Allenfalls haumltte er noch Arzt werden koumlnnen um die Praxis ihres Vaters zu uumlbernehmen die nun ein anderer Arzt gemietet hatte

Da sie nur zu zweit waren aszligen sie zwanglos in der Kuumlche und Leopold deckte den Tisch waumlhrend Emma den Brotkorb Butter Kaumlse und Aufschnitt hinstellte und alles

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in den Dosen belieszlig was ihre Mutter stets als mangelnde Esskultur bezeichnete Emma hingegen war es zu viel Auf-wand jetzt alles auf Tellern anzuordnen nur um dann das meiste wieder zuruumlckzufuumlllen und wegzuraumlumen und mehr zum Abspuumllen zu haben Sie lieszlig sich ihrem Bruder gegen-uumlber am Tisch nieder Im Gegensatz zu ihrer Mutter hatte Emma bislang keine groszligen beruflichen Ambitionen ge-habt sie studierte Chemie allein aus dem Grund weil es sie interessierte aber sie hatte keine konkreten Plaumlne da-ruumlber hinaus ndash ein staumlndiges Aumlrgernis fuumlr Charlotte Ru-dorf Emmas Plan war gewesen zum Zeitvertreib etwas zu studieren das ihr Spaszlig machte und danach zu heiraten Im Laufe des Studiums hatte sich ihr Interesse allerdings ge-wandelt In der Fakultaumlt war sie hin und wieder ihrer Cou-sine Marion uumlber den Weg gelaufen die mit einem von Emmas Professoren ausgegangen war und sie fand sie glei-chermaszligen interessant wie inspirierend Sie hatte sogar kurz mit dem Gedanken gespielt sich im Pharmakonzern Lich-tenthal zu bewerben aber da haumltte vermutlich eine Andeu-tung gereicht und ihre Mutter waumlre die Waumlnde hochge-gangen Mit ihrer Schwester Helena hatte sie sich schon vor Jahren entzweit und eine Annaumlherung war nicht in Sicht

Beim Essen plauderten sie uumlber Allgemeines Leopold zog sie mit einem Dozenten auf von dem sie ndash seiner Mei-nung nach ndash verdaumlchtig oft sprach Daraufhin erinnerte sie an die Verkaumluferin aus dem KaDeWe mit der er fortwaumlh-rend ausging ohne dass die Sache von der Stelle kam Spauml-ter raumlumten sie zusammen ab erledigten den Abwasch und wollten gerade ins Wohnzimmer gehen um das Radio ein-zuschalten als ihre Mutter die Wohnungstuumlr aufschloss

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raquoGuten Abendlaquo Charlotte Rudorf sah muumlde aus und Emma ging zu ihr um ihr den Mantel abzunehmen und ihn an die Garderobe zu haumlngen

raquoSoll ich das Abendessen wieder auf den Tisch stellenlaquo fragte Emma

raquoNein lass nur ich habe im Werk eine Kleinigkeit ge-gessenlaquo

So war es fast jeden Abend im Grunde genommen aszligen sie nur noch am Wochenende regelmaumlszligig zusammen und fanden sich ansonsten morgens zu einem raschen Fruumlh-stuumlck in der Kuumlche ein Ihre Mutter wechselte einen kur-zen Blick mit Leopold aus dem klar ersichtlich wurde dass die beiden noch vor gar nicht langer Zeit gestritten hatten ndash ganz so wie von Emma vermutet Nun jedoch zeigte sich ein zoumlgerliches Laumlcheln auf den Lippen Char-lotte Rudorfs und auch das war typisch Zum Abend hin legte sie Streit gerne bei mochte es nicht unversoumlhnt schlafen zu gehen

Im Wohnzimmer schalteten sie das Radio ein Emma houmlrte nur mit halbem Ohr hin und hatte ihr Buch wie-der aufgeschlagen war aber auch hier nicht bei der Sache Schlieszliglich gab sie es auf und beschloss noch ein wenig spazieren zu gehen

raquoUm diese Uhrzeitlaquo fragte ihre Mutter die gerade mit einer Tasse Kraumlutertee ins Wohnzimmer trat

raquoEs ist kurz nach achtlaquoNun blickte auch Leopold auf sah sie an als witterte er

hinter ihrem Wunsch eine tiefere WahrheitraquoEs ist nur ein Spazierganglaquo sagte sie und haumltte am

liebsten die Augen verdreht raquoMir geht so viel im Kopf

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herum und ich kann meine Gedanken beim Gehen am besten sortierenlaquo

raquoWie war eigentlich deine Klausurlaquo wollte ihr Mut-ter nun wissen

raquoGut denke ichlaquo Emma ging in den Flur nahm einen leichten Mantel vom Haken legte sich einen Seidenschal um und warf noch einen kurzen Blick in den Spiegel Seit kurzem trug sie ihr hellbraunes Haar knapp schulterlang und in groszlige Locken gelegt die sie mit einer Spange seit-lich zuruumlckhielt Jetzt zupfte sie ein wenig daran herum bis sie schlieszliglich zufrieden war und verlieszlig die Wohnung Sie wohnten in der ersten Etage direkt uumlber der Arztpraxis die Wohnung im zweiten Stock stand derzeit leer Fruumlher einmal hatte Emmas Groszligmutter dort gewohnt aber sie lebte bereits seit fast dreiszligig Jahren bei ihrer Tochter erst in Hamburg und seit kurz vor dem Krieg in Muumlnchen da der Ehemann von Emmas Tante dorthin versetzt worden war Leider kam sie nur noch selten zu Besuch da lange Reisen sie zu sehr anstrengten Emma bedauerte das denn sie mochte ihre Groszligmutter die auch mit achtzig noch ruumlstiger und scharfsinniger war als manch junge Frau die Emma kannte

Es daumlmmerte bereits und die langen Schatten des spauml-ten Nachmittags waren ineinandergekrochen verdichte-ten sich langsam und entfaumlrbten den Tag zu einem lich-ten Grau Seit zwei Jahren stellte man die Uhren nicht mehr zur Sommerzeit um und anfangs war es ungewohnt gewesen dass die Sommertage nun um eine Stunde kuumlr-zer waren aber man gewoumlhnte sich daran Waumlhrend des Krieges hatte es eine Zeit gegeben in der fortwaumlhrend

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Sommerzeit gegolten hatte und man die Uhren uumlberhaupt nicht mehr umstellte irgendwann war ein konzeptloses Wechseln erfolgt Dann war die Regelung durch die Besat-zungsmaumlchte wieder geaumlndert worden und sie bestimm-ten eine Umstellung auf die Sommerzeit ndash wobei diese in der sowjetischen Besatzungszone Berlins 1945 ganze zwei Monate laumlnger gedauert hatte Jetzt endlich hatte die Regierung sich auf eine einheitliche Zeit festgelegt die fuumlr das gesamte Jahr galt ndash die Ruumlckkehr zur Normalzeit Emma hoffte dass das so blieb

Als sie durch die Straszlige spazierte hier und da einen heimkehrenden Nachbarn oder Bekannten gruumlszligte ndash die Tochter des Herrn Doktor kannte man im gesamten Vier-tel ndash fiel ihr ein Mann auf der gerade ein Haus verlieszlig sich noch einmal umdrehte einem weiteren Mann der in der offenen Tuumlr stand etwas sagte und dann durch den Vorgarten schritt und auf sein Auto zuging Dominik Lichtenthal Emma blieb stehen sah ihn an wusste nicht ob sie zu ihm gehen und houmlflich gruumlszligen oder ihn ignorie-ren sollte Er nahm ihr die Entscheidung ab als er sie be-merkte kurz stutzte als muumlsste er ihr Gesicht erst einem Namen zuordnen und sie dann anlaumlchelte

raquoGuten Abend Emma Wie geht es dirlaquoSie ging auf ihn zu raquoSehr gut vielen Danklaquo Sie wusste

nie so recht ob sie ihn duzen sollte oder nicht denn einer-seits war er ein Fremder andererseits aber der Ehemann ihrer Tante und damit praktisch ihr Onkel

raquoIch habe gehoumlrt du studierst ChemielaquoraquoJa ich werde diesen Sommer fertiglaquoraquoUnd dann geht es in den Konzern deiner Mutterlaquo

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Unschluumlssig hob Emma die Schultern raquoAch das weiszlig ich noch gar nichtlaquo

Dominik Lichtenthal schloss seinen Wagen auf raquoWenn du dich lieber auf dem freien Markt umsehen moumlchtest sag Bescheid ich kann faumlhige Chemiker immer gebrau-chenlaquo

Es war schon fast skurril dass Emma diesen Gedanken erst vor kurzem gehegt hatte und ihn nun ausgesprochen houmlrte Da sie nicht rundheraus ablehnen wollte dankte sie ihm und nachdem sie ihm gesagt hatte er moumlge seine Familie von ihr gruumlszligen stieg er in seinen Wagen und fuhr los Im Grunde genommen war das doch albern dass ihre Mutter immer noch nichts mit ihrer Schwester zu tun haben wollte Emma kannte die alte Geschichte und natuumlr lich war es hart auf einen Schlag sein gesam-tes Erbe zu verlieren und die unvermittelt aufgetauchte fremde Schwester als einzige Gewinnerin in dieser Situa-tion zu sehen aber das Ganze war jetzt gut fuumlnfundzwan-zig Jahre her irgendwann musste es doch mal gut sein Und es war ja nun wahrlich nicht so als wuumlrde der Besitz des Hauses in der Friedrichstraszlige noch einen nennenswer-ten Unter schied im Vermoumlgen ihrer Mutter machen Im Gegenteil ndash waumlre sie dort geblieben haumltte sie es vielleicht nie so weit gebracht

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Juni 1952

Die einstmals goldene Zeit merkte man der ehemaligen Amuumlsiermeile auf der Friedrichstraszlige nicht mehr an und Helena verspuumlrte jedes Mal beim Besuch ihres Schoumlnheits-salons diesen Stich des Bedauerns Als sie in den Zwan-zigern hier angekommen war hatte das Leben pulsiert mit Autos Bussen Bahnen Fuszliggaumlngern Radfahrern und noch vereinzelten Droschken Die Kreuzung an der Leip-ziger Straszlige war ein so verkehrsreicher Knotenpunkt ge-wesen dass es fuumlr die aus der Provinz stammende Helena anfangs schon eine Herausforderung gewesen war lebend von einer Straszligenseite auf die andere zu gelangen

Nach dem Krieg war die Straszlige eine von Ruinen ge-saumlumte Schuttwuumlste geworden und auch wenn die Truumlm-mer in weiten Teilen fortgeraumlumt waren so erinnerte doch nur wenig an fruumlher Helena hatte mehrfach uumlberlegt den Schoumlnheitssalon einfach aufzugeben aber das brachte sie nicht uumlber sich Vielleicht normalisierte sich hier ja alles irgendwann wieder das konnte doch nicht ewig so blei-ben Ihr Schoumlnheitssalon in der Friedrichstraszlige befand sich im Amerikanischen Sektor der in Berlin-Mitte gehoumlrte nun zur DDR ihr Werk wiederum zum Franzoumlsischen

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Sektor Dominiks sowie ihr Wohnsitz lagen im Britischen Sektor Das war doch auf Dauer kein Zustand Den Salon in Berlin-Mitte hatte sie aufgeben muumlssen und sie sah sich bereits nach Alternativen um

Als Helena in den Salon trat kam ihr Ida ndash fruumlher Wag-ner jetzt Zeller ndash entgegen raquoKaffeelaquo

raquoUnbedingtlaquo Helena haumlngte ihren Mantel an die Gar-derobe und betrat den Salon Es war noch fruumlh und sie wuumlrden erst in einer halben Stunde oumlffnen Ida hatte schon in den Dreiszligigern die Leitung des Salons uumlbernommen als Helena damit beschaumlftigt gewesen war einen weiteren in Berlin-Mitte zu eroumlffnen

raquoWie geht es den MaumldchenlaquoHelena setzte sich in einen der bequemen Besucher-

stuumlhle wo die Frauen sich bei einer Tasse Kaffee oder Tee und etwas Gebaumlck entspannen konnten raquoMarion faumlngt bei mir im Werk an der Termin steht jetztlaquo Das war Schock und freudige Uumlberraschung zugleich gewesen und Helena wusste selbst nicht ob ihre Bestuumlrzung oder ihre Freude uumlberwog Natuumlrlich hatte sie gehofft dass Marion als Aumlrztin praktizierte immerhin hatte sie stu-diert und damit ein klares Ziel vor Augen gehabt Ande-rerseits freute es sie dass ihre Tochter Interesse an ihrem Unternehmen zeigte ndash und nicht an Dominiks wie eine kleine nicht zu unterdruumlckende Stimme des Triumphs in ihr betonte raquoUnd Fanny schlieszligt das Schuljahr mit sehr guten Noten ablaquo

raquoMathematik macht ihr wieder SpaszliglaquoraquoNachdem Ferdinands Ehefrau es ihr erklaumlrt hat was

ihr unfaumlhiger Lehrer offenbar nicht hinbekommtlaquo Fer-

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dinand war der Patenonkel beider Toumlchter und seine Frau eine begabte Mathematikerin

Die Schwangerschaft mit Fanny hatte Helena seinerzeit einen gehoumlrigen Schrecken eingejagt All die Jahre hatte sie es erfolgreich vermieden zu empfangen und dann als die Welt am Abgrund stand kuumlndigte sich neues Leben an Schlimm genug mitanzusehen wie Marion bereits in der Schule darauf vorbereitet wurde in den BDM einzu-treten da wollte sie diesem System nicht noch ein Kind schenken Es war Rudolf Liliengrund gewesen dem Fanny es zu verdanken hatte dass Helena keinen Abbruch hatte vornehmen lassen

raquoGerade in diesen Zeiten sollten die Anstaumlndigen sich vermehrenlaquo

Ihr lieber Rudolf der seine gesamte Familie verloren und selbst nur knapp und unter Entbehrungen die Flucht geschafft hatte weil er zu lange gezoumlgert geglaubt hatte es wuumlrde alles gut werden Und so hatte Helena Fanny aus-getragen hatte schon in der Schwangerschaft eine so innige Beziehung zu dem Kind gehabt wie sie es sich nicht hatte vorstellen koumlnnen Es war ganz anders als mit Marion zu der sie erst eine enge Bindung hatte aufbauen koumlnnen als diese bereits ein Kleinkind gewesen war Waumlhrend Marion von Geburt an ein Papakind war so war Fanny von Geburt an ganz und gar ihre Tochter Helena hatte sie sogar mit zur Arbeit genommen weil sie sich nicht von ihr trennen mochte hatte sie im Buumlro gestillt und in der Wiege neben sich schlafen lassen Undenkbar dieses Baby jemand ande-rem anzuvertrauen Dabei liebte sie Marion nicht weniger und sie verstand auch im Nachhinein nicht warum sie bei

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beiden Kindern schon in der Schwangerschaft so unter-schiedlich empfunden hatte

raquoDu solltest endlich aufhoumlren das zu hinterfragenlaquo hatte ihre beste Freundin Irene Danelius gesagt raquoEs ist jetzt wie es ist Freu dich einfach Gerade jetzt haben wir alle wahrhaftig Probleme genug da muss man nicht auch noch welche hinzuredenlaquo

Als im November 1938 die Synagogen brannten hatte Irene das Land verlassen raquoIch komme zuruumlck wenn der Irrsinn vorbei istlaquo hatte sie gesagt und war nach Amerika gegangen Dort war sie zur Filmgroumlszlige geworden hatte einen bekannten Produzenten geheiratet und lebte nach wie vor in den Vereinigten Staaten Helena vermisste sie immer noch sehr und war auch schon einmal mit ihrer Familie in New York gewesen um sie zu besuchen

raquoFahrt ihr diesen Sommer weglaquo fragte Ida und setzte sich nun ebenfalls

raquoAuf jeden Fall fuumlr zwei Wochen zu meiner Mutter Und von da aus vielleicht weiter in Richtung Schweizlaquo Vor allem auf die Zeit bei ihrer Mutter freute sich Helena das waren jedes Mal schoumlne Tage mit all den fruumlheren Freunden und Bekannten sowie mit der Baronin fuumlr die sie und ihre Mutter fruumlher gearbeitet hatten und bei der ihre Mutter nun den Altersruhesitz hatte Fuumlr Helenas Familie standen immer Gaumlstezimmer bereit Ein wenig behandelte man sie dort wie eine Prominente die Dienst-botentochter die es in der Weltmetropole zu etwas ge-bracht hatte mit einem reichen Mann verheiratet war und mit Filmstars verkehrte

Kurz darauf trafen die uumlbrigen Mitarbeiterinnen ein

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und dann kamen auch schon die ersten Kundinnen Helena unterhielt sich mit einigen der Damen beriet hier und da persoumlnlich und machte sich dann auf den Weg ins Werk Unmittelbar nach dem Krieg war es schwierig gewesen die Rohstoffe fuumlr die Produktion von Kosmetik aufzutrei-ben vielfach waren sie nur zu Schwarzmarktpreisen zu be-kommen Viele Rohstoffe wurden in der Pharmaindustrie dringender benoumltigt und natuumlrlich hatte die medizini-sche Versorgung Vorrang vor der kosmetischen Gerade nach dem Krieg hatten sie alle andere Sorgen gehabt wes-halb Helenas Werk voruumlbergehend die Produktion um-stellte und der chemischen Industrie zuarbeitete waumlhrend die Schoumlnheitssalons Obdachlosen offenstanden Erst vier Jahre nach Kriegsende als der Hungerwinter vorbei war und die Menschen durch die Waumlhrungsreform wieder uumlber Geld verfuumlgten hatte Helena Kosmetikherstellung und Schoumlnheitsbehandlungen wieder aufgenommen

Im Werk ging Helena direkt in ihr Buumlro und sah sich Werbeentwuumlrfe an Sie liebte ihre Arbeit und sie machte ihr nach wie vor Spaszlig allerdings fehlte ihr die Heraus-forderung Die Kosmetik entwickelte sich stetig weiter und mittlerweile war Forschung und Entwicklung eine eigene Abteilung in ihrem Unternehmen Natuumlrlich freute sie sich daruumlber aber sie vermisste die Zeiten in denen sie selbst in ihrer Fertigung gesessen und experimentiert hatte Vielleicht war es wirklich gut dass Marion hier demnaumlchst etwas frischen Wind hereinbringen wuumlrde Wie wohl Charlotte darauf reagierte dass Helena ihr nun Konkurrenz machen wuumlrde

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Emma houmlrte den Streit bis ins Wohnzimmer Ihre Mutter hielt Leopold vor er naumlhme die Arbeit nicht ausreichend ernst und bringe sich zu wenig ein Wie er bei dem Ge-schaumlftstermin am Vortag nur dagesessen und auf einmal zu zittern begonnen habe Wenn es nicht anders ging dann solle er eben seine Medikamente wieder nehmen Und ndash verdammt noch mal ndash endlich mehr Nervenstaumlrke zei- gen

Auch an diesem Morgen hatte es schon wieder damit begonnen dass Leopold beim Fruumlhstuumlck sehr still gewe-sen war was fuumlr Emma immer ein Zeichen fuumlr schlimme Traumlume war Auf Ausfuumlhrungen ihrer Mutter zu dem heu-tigen Arbeitstag hatte er nur genickt was diese wiederum zu dem Schluss kommen lieszlig dass er sich nur unzurei-chend interessierte Uumlberhaupt habe er keine innovativen Ideen arbeite den Tag ab ohne echtes Interesse zu zeigen an dem was er tat Irgendwann war ein handfester Streit ausgebrochen der auch dann noch anhielt als Emma das Esszimmer verlassen hatte und nun in der Kuumlche den Ab-wasch machte Schlieszliglich hielt sie es nicht mehr aus lief ins Esszimmer zuruumlck

raquoWas willst du eigentlichlaquo fuhr sie ihre Mutter an raquoEr tut doch alles was er solllaquo

raquoEmma lass nurlaquo sagte Leopold raquoIch mache helliplaquoraquoNein ich lasse es nicht Koumlnnen wir nicht mal einen

Morgen friedlich verbringen wie andere Familien auch Muss hier immer den ganzen Tag uumlber Streit herrschen und abends gehen wir dann versoumlhnt schlafen Wozu Um am naumlchsten Tag wieder loszulegen Das ist doch nicht mehr auszuhaltenlaquo

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raquoWie redest du eigentlich mit mirlaquo Die Stimme ihrer Mutter war ganz kalt geworden bar jeder Emotion

raquoIch helliplaquo Die aufbrausende Wut fiel von Emma ab und sie wusste nicht mehr was sie nun sagen sollte raquoIch hellip ich habe heute keine Uni und wollte ohnehin fragen ob ich mit ins Werk kannlaquo Der Einfall war ihr gerade erst ge-kommen raquoIch koumlnnte Leo zuarbeiten und so schon einmal Einblicke bekommenlaquo

Die frostglitzernde Wut im Blick ihrer Mutter schmolz zu Uumlberraschung raquoAch waslaquo

raquoIch habe mir lange uumlberlegt was ich mit meinem Che-miestudium machelaquo

raquoHeiszligt das es steht nicht zu erwarten dass du dich nun nach einer passenden Partie umsiehstlaquo Fuumlr jemanden der selbst gluumlcklich verheiratet gewesen war zeigte ihre Mut-ter eine sehr ablehnende Haltung zu Emmas Eheplaumlnen

raquoNoch ist ja niemand in Aussicht nicht wahrlaquo ver-setzte Emma der Hoffnung einen Daumlmpfer

Ihre Mutter schien damit zufrieden zu sein raquoSchoumln dann beeil dich wir brechen gleich auflaquo

Sie und Leopold fuhren in der Regel gemeinsam los und Leopold lieszlig dann den Wagen fuumlr sie im Werk und kehrte puumlnktlich zum Buumlroschluss mit der Bahn nach Hause zu-ruumlck Das tat er vermutlich vor allem aus dem Grund weil er den Abstand brauchte

raquoIch habe uumlbrigens gehoumlrt dass Marion in der Chariteacute aufhoumlrtlaquo erzaumlhlte Emma als sie auf der Ruumlckbank des Wagens Platz genommen hatte

raquoWelche Marionlaquo fragte ihre Mutter und Emma haumltte gerne gewusst ob sie das wirklich nicht wusste

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raquoUnsere CousinelaquoraquoUnd warum sollte es mich interessieren was diese Per-

son tutlaquoraquoWeil sie deine Nichte ist moumlglicherweiselaquoVon hinten konnte Emma das Schulterzucken sehenraquoAuf jeden Fall heiszligt es sie wollte in das Unternehmen

von Tante Helena einsteigenlaquo Mit einiger Befriedigung bemerkte Emma dass ihre Mutter bei dieser persoumlnlichen Bezeichnung kaum merklich zusammenzuckte

raquoIn der TatlaquoraquoSie hat einige Semester Chemie studiert das hatte ich

doch erzaumlhltlaquoraquoJa hattest du Auch dass sie es mit deinem Chemie-

professor getrieben hatlaquoraquoMutterlaquo kam es von LeopoldraquoDas habe ich nie gesagtlaquo Emma lehnte sich vor als

koumlnne sie ihren Worten damit mehr Nachdruck verleihen raquoIch sagte sie gehen miteinander auslaquo

raquoWenn sie nach ihrer Mutter kommt gibt es das eine nicht ohne das andere Gerne auch zum Nachteil der eigenen Familie Sind deine Noten bei besagtem Profes-sor nicht danach schlechter gewordenlaquo

raquoDas war bei Professor Guenther nicht bei Professor Hellweg mit dem Marion aus war Meine Guumltelaquo Emma hatte langsam genug Dieser sture verbohrte Zorn ihrer Mutter war nicht mehr zu ertragen Mit Ende vierzig konnte sie sich auf jeden Fall noch nicht mit Altersstarr-sinn herausreden raquoHoumlr zu wenn das hier jeden Morgen der Beginn meines Arbeitstages wird sag es direkt dann reicht mir der einmalige Ausflug in dein Unternehmen

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und ich bewerbe mich morgen beim Pharmaunternehmen Lichtenthallaquo

Ihre Mutter fuhr herum raquoDas wagst du nichtlaquoraquoLass es gerne darauf ankommenlaquoLange sah ihre Mutter sie an dann zuckte es um ihre

Lippen Widerspruchsgeist gefiel ihr und sie schien auf einmal versoumlhnt Emma wuumlrde bleiben wuumlrde es allein um Leopolds willen tun Vielleicht wuumlrde es leichter fuumlr ihn mit ihr an seiner Seite

Das ehemalige Werksgelaumlnde hatte in Berlin-Oberschouml-neweide gestanden aber sie waren noch vor dem Krieg um-gezogen was sich als richtige Entscheidung erwiesen hatte wenngleich zu der Zeit noch niemand hatte wissen koumlnnen dass dieser Stadtteil unter sowjetische Verwaltung gestellt werden wuumlrde Das jetzige Werk stand in Berlin-Tempel-hof im Amerikanischen Sektor und hatte im Krieg ebenfalls gelitten Sie fuhren durch das Tor und Leopold parkte den Wagen auf der dafuumlr vorgesehenen Flaumlche auf der weitere Autos Motorraumlder und Mopeds standen

Ihre Mutter begleitete sie bis in die Etage in der sich die Raumlumlichkeiten der Geschaumlftsfuumlhrung befanden dann ging sie in ihr Buumlro waumlhrend Emma Leopold in seines be-gleitete

raquoWeiszligt dulaquo sagte er als er auf einen der Stuumlhle wies raquodu musst das nicht tunlaquo

raquoWas meinst dulaquo Emma lieszlig sich auf der Besucherseite seines Schreibtischs nieder

raquoDas weiszligt du genau Mich hierher zu begleiten ob-wohl du nie im Sinn hattest in der Firma zu arbeiten Du musst mich nicht vor Mutter beschuumltzenlaquo

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raquoDas tue ich doch gar nichtlaquoLeopold antwortete nicht ging nur zur Tuumlr oumlffnete sie

und rief in das gegenuumlberliegende Zimmer der beiden Sekretaumlrinnen dass man ihm und seiner Schwester bitte Kaffee bringen moumlge raquoEs war nie dein Plan hier zu ar-beitenlaquo

raquoPlaumlne koumlnnen sich aumlndernlaquoraquoVon einem Tag auf den anderenlaquoraquoJa warum denn nicht Und wer sagt uumlberhaupt dass

es so abrupt war Vielleicht denke ich ja schon laumlnger da-ruumlber nach und habe dir einfach noch nichts erzaumlhltlaquo Emma zog einen Bleistift aus dem Stiftebecher und drehte ihn zwischen den Fingern raquoUumlbrigens hat mir Dominik Lichtenthal ein Stellenangebot gemachtlaquo Gespannt be-obachtete sie Leopolds Reaktion

raquoWannlaquoraquoIch bin ihm mal abends beim Spaziergang begegnetlaquoraquoUnd da hat er dir ndash ohne dich und deine Befaumlhigung

so recht zu kennen ndash eine Stelle angebotenlaquoraquoWir haben uns kurz unterhalten und er weiszlig dass ich

Chemie studiere Da meinte er wenn ich nicht fuumlr Mutter arbeiten wolle solle ich mich bei ihm melden er koumlnne faumlhige Chemiker immer gebrauchenlaquo

raquoMutter enterbt dich wenn du das tustlaquoraquoDas waumlre nicht so schlimm denn dann erbst du alles

und wirst mir meinen Teil einfach auszahlenlaquoraquoIst das solaquoraquoNatuumlrlichlaquo Emma zog ihre Zigaretten hervorraquoDu willst doch wohl hier nicht rauchenlaquoAnstelle einer Antwort steckte sie sich eine Zigarette

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zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

bei Lichtenthal in Aussicht und einem groszligzuumlgigen Bru-der der dir deinen Erbanteil abtrittlaquo

Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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Geschaumlft zwar in Ost-Berlin betrieb aber in West-Berlin ihren Wohnsitz hatte war ihr ndash wie vielen anderen Ge-werbetreibenden auch ndash die Gewerbeerlaubnis entzogen worden Wer in West-Berlin lebte aber in einem Betrieb in Ost-Berlin angestellt war ndash so wie Marion in der Cha-riteacute ndash wurde zum Umzug aufgefordert oder entlassen Da-mit sparte Marion sich die Kuumlndigung

Die Straszligen ins Umland wurden gesperrt offen bleiben durften nur jene die von den Alliierten als Zufahrtswege in die Bundesrepublik festgelegt worden waren Fuumlr die Menschen in West-Berlin bedeutete das den Verlust ihrer Besitztuumlmer im Osten Natuumlrlich wurden Passierscheine in Aussicht gestellt aber das bedeutete nicht automatisch dass diese genehmigt wurden Auch der Anhalter Bahnhof war stillgelegt worden es gab keine Zuumlge mehr die aus dem Osten nach West-Berlin fuhren

raquoMittlerweile liegt Italien fuumlr uns naumlher als Potsdamlaquo hatte Helena geschimpft

Auch das Werksgebaumlude von Lichtenthal-Pharma hatte einen Treffer abbekommen als eine Sprenggranate in einen Fluumlgel eingeschlagen hatte Der Bereich war nach wie vor eingezaumlunt und die Bauarbeiten schritten stetig voran Ihr Vater hatte die Gelegenheit genutzt und legte den Fluumlgel etwas weitraumlumiger an was dem Gebaumlude ein asymmetri-sches Aussehen verlieh

Marion warf dem Portier einen Gruszlig zu wechselte ein paar Worte mit den Mitarbeitern an der Rezeption und fuhr dann mit dem Aufzug hinauf in die Chefetage Die Tuumlr zum Vorzimmer stand offen und Marion sah wie die Sekretaumlrin ihres Vaters Frau Weiller sich gerade an-

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schickte mit einem Tablett auf dem Kaffeekanne und Tasse standen die Tuumlr zum Buumlro ihres Vaters zu oumlffnen

raquoDas uumlbernehme ichlaquo bot Marion an und nahm der Frau das Tablett ab raquoIch moumlchte sowieso kurz zu ihmlaquo Waumlhrend sie das Tablett in der einen Hand balancierte druumlckte sie mit der anderen die Tuumlr auf raquoBringen Sie mir bitte auch noch eine Tasselaquo

raquoNatuumlrlich kommt sofort Fraumlulein LichtenthallaquoIhr Vater saszlig an seinem Schreibtisch und sah auf als sie

eintrat raquoNa so etwas Planst du einen beruflichen Wech-sellaquo

raquoIn der Tat nur werde ich dann nicht deine Empfangs-damelaquo Marion stellte das Tablett ab und schenkte Kaffee ein Im naumlchsten Moment trat Frau Weiller ein brachte ein zusaumltzliches Gedeck und ein Milchkaumlnnchen

raquoIch weiszlig doch dass Sie Ihren Kaffee nicht schwarz trinkenlaquo sagte sie an Marion gewandt

Nachdem sie gegangen war und die Tuumlr hinter sich ge-schlossen hatte setzte Marion sich ihrem Vater gegenuumlber in einen der beiden Besucherstuumlhle

raquoWas meintest du damit dass du in der Tat einen be-ruflichen Wechsel planstlaquo fragte Dominik Lichtenthal

Marion trank einen weiteren Schluck raquoIch hatte eigent-lich vorgehabt meine Kuumlndigung bei der Chariteacute einzu-reichen wobei das ja nun nicht mehr noumltig ist Ich liebe die Medizin doch der Alltag einer Aumlrztin ist nicht das Richtige fuumlr michlaquo

Das traf ihren Vater vollkommen unerwartet hatte er doch damit gerechnet dass sie in der naumlchsten Zeit ihren Facharzt anstreben wuumlrde raquoSo ploumltzlichlaquo

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raquoIch denke da tatsaumlchlich schon eine ganze Zeit lang druumlber nachlaquo

raquoUnd was willst du stattdessen tun In die Pharmazielaquo Offenbar erinnerte er sich gerade an die paar Semester Che-mie die sie nebenher studiert und waumlhrend derer sie eine kurze Liaison mit einem Chemieprofessor gehabt hatte

raquoNein auch das nichtlaquo Die Kenntnisse in Chemie waren indes durchaus zu etwas gut raquoIch moumlchte bei Mama mitarbeitenlaquo

Unglaumlubig sah ihr Vater sie an raquoDu hast ein komplettes Medizinstudium mit hervorragenden Noten abgeschlos-sen und dann sieht deine Berufswahl so aus Frauen Farbe ins Gesicht zu malenlaquo

Marion musste lachen raquoLass das bloszlig nie Mama houmlren Du weiszligt doch genau dass Kosmetik mehr ist als Frauen Farbe ins Gesicht zu malen Mich interessiert medizini-sche Kosmetik Wie du siehst ist mein Studium nicht vergebens gewesenlaquo

raquoDu kannst doch in die Dermatologie gehenlaquoraquoJa koumlnnte ich Ich koumlnnte aber auch in die Forschung

gehen und medizinische Kosmetik entwickelnlaquoraquoDu koumlnntest auch bei mir in die pharmazeutische For-

schung gehenlaquoraquoDas geht doch Hand in Hand Paps Ich weiszlig dass du

sicher enttaumluscht bist aber helliplaquoraquoNeinlaquo fiel er ihr ins Wort raquoIch bin nicht enttaumluscht

Es ging mir nie darum dass du meine Erwartungen er-fuumlllst sondern stets nur deine eigenen Ich gestehe ich war gluumlcklich als du mir eroumlffnet hast dass du Aumlrztin werden willst aber letzten Endes ist mir am wichtigsten dass du

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zufrieden bist mit dem was du tust Ich bitte dich nur die Entscheidung zu uumlberdenkenlaquo

raquoDu kannst davon ausgehen dass ich das getan habe Ich habe lange und gruumlndlich daruumlber nachgedachtlaquo

raquoWeiszlig deine Mutter bereits davonlaquoraquoNein ich bin zuerst zu dir gekommenlaquoIhr Vater nickte zog seine Zigaretten hervor und

steckte eine an raquoSie wird sich freuen dass du mit ihr zu-sammenarbeiten wirst Und die Taumltigkeit als Aumlrztin laumluft dir ja nicht davon du hast ein abgeschlossenes Studium und kannst jederzeit deinen Facharzt machen wenn du merkst dass das vielleicht doch nicht das Richtige fuumlr dich ist Dir ist aber klar dass du mit medizinischer Kosmetik in Konkurrenz zu deiner Tante Charlotte trittstlaquo

raquoJa durchaus Aber wie sagst du immer Konkurrenz belebt das Geschaumlftlaquo Mit ihrer Tante hatte Marion nur selten Kontakt Auf Feiern lief man sich hin und wieder uumlber den Weg aber damit erschoumlpfte es sich auch schon Im Grunde war das bedauerlich denn Charlottes Tochter Emma war ganz reizend und Marion hatte schon einige interessante Unterhaltungen mit ihr gefuumlhrt wenn sie sich denn mal begegnet waren Auch Emmas Bruder Leopold war sehr freundlich und umgaumlnglich wenngleich er seit dem Krieg verschlossen und in sich gekehrt wirkte Im letzten Jahr hatte er noch an die Front gemusst der arme Kerl Da war sein Vater gerade gestorben und Leopold hatte nicht nur den Verlust zu verkraften gehabt sondern war selbst in dem unheilvollen Mahlwerk des Krieges auf-gerieben worden

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Emma Rudorf saszlig mit einem Buch in der Hand im Wohn-zimmer und houmlrte ihren Bruder heimkommen Den gan-zen Tag war Leopold im Werk von Dr Rudorfs medizi-nische Kosmetik gewesen und an seinem schleppenden Schritt houmlrte Emma wie erschoumlpft er sein musste Ver-mutlich hatte er wieder mit Mutter gestritten und bei dem Gedanken daran wie diese ihm zusetzte packte sie die Wut Sie legte ihr Buch beiseite und stand auf ging in den Flur wo sich Leopold gerade die Schuhe auszog Er sah ihrem Vater aumlhnlich hatte zwar dunkleres Haar aber seine Gesichtszuumlge und er wirkte mit der Brille ein wenig professorenhaft

Als er Emma bemerkte laumlchelte er raquoWie gehtrsquoslaquo fragte er mit gespielter Munterkeit

raquoGut Und dirlaquoraquoViel zu tun Und bei dir Wie war die KlausurlaquoraquoIch denke ich habe bestandenlaquo Emma wuumlrde im

naumlchsten Sommer ihr Chemiestudium abschlieszligenraquoEtwas anderes habe ich auch nicht erwartetlaquoraquoIch habe Abendessen gemacht Kommt Mama auch

gleichlaquoraquoNein sie meinte sie haumltte noch viel zu tunlaquoWie immer Fuumlr Charlotte Rudorf gab es seit dem Tod

ihres Mannes nur noch das Werk sie arbeitete wie beses-sen als koumlnnte das den Schmerz des Verlustes betaumluben Emma hatte sich so oft gewuumlnscht sie wuumlrde daruumlber nicht staumlndig vergessen dass sie zwei Kinder hatte und sich nur dann an sie erinnern wenn es etwas auszusetzen gab Vor allem Leopold war ihr ein fortwaumlhrendes Aumlrgernis

raquoDu warst ein Jahr im Krieglaquo pflegte sie zu sagen

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raquound du bist in einem Stuumlck zuruumlckgekommen Wie lange willst du noch in Truumlbsal versinken anstatt endlich wieder mit beiden Beinen im Leben zu stehenlaquo

Was ihre Mutter Truumlbsal nannte war eine tiefe innere Wunde die der Krieg geschlagen hatte und Emma fragte sich warum sie diese sehen konnte nicht aber die Frau die ihn geboren hatte Dann kamen wieder diese Geschich-ten uumlber all die Kriegsheimkehrer die es auch schafften ihr Leben in den Griff zu bekommen obwohl sie deutlich laumlnger im Krieg aufgerieben worden waren Wie schlimm konnte da das eine Jahr schon gewesen sein Einzig fuumlr Emmas Albtraumlume durch die Bombardierung hatte sie Verstaumlndnis denn diese war zu der Zeit gerade vierzehn Jahre alt gewesen Da spielte wohl auch die Erinnerung mit hinein wie Emma an sie geschmiegt im Keller ge-sessen und gewartet hatte bis die Bombardierung vorbei war waumlhrend sie beide Angst gehabt hatten dass Leopold vielleicht schon tot war

raquoIsst du mit mir zu Abendlaquo fragte er nunraquoKlar ich habe auf dich gewartetlaquoLeopold wuumlrde im Juli vierundzwanzig werden und hatte

sein Pharmaziestudium im letzten Jahr abgeschlossen Er haumltte lieber Maschinenbau studiert war schon seit Kinder-tagen davon fasziniert gewesen Aber es war klar gewesen dass er das Familienwerk erben wuumlrde Allenfalls haumltte er noch Arzt werden koumlnnen um die Praxis ihres Vaters zu uumlbernehmen die nun ein anderer Arzt gemietet hatte

Da sie nur zu zweit waren aszligen sie zwanglos in der Kuumlche und Leopold deckte den Tisch waumlhrend Emma den Brotkorb Butter Kaumlse und Aufschnitt hinstellte und alles

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in den Dosen belieszlig was ihre Mutter stets als mangelnde Esskultur bezeichnete Emma hingegen war es zu viel Auf-wand jetzt alles auf Tellern anzuordnen nur um dann das meiste wieder zuruumlckzufuumlllen und wegzuraumlumen und mehr zum Abspuumllen zu haben Sie lieszlig sich ihrem Bruder gegen-uumlber am Tisch nieder Im Gegensatz zu ihrer Mutter hatte Emma bislang keine groszligen beruflichen Ambitionen ge-habt sie studierte Chemie allein aus dem Grund weil es sie interessierte aber sie hatte keine konkreten Plaumlne da-ruumlber hinaus ndash ein staumlndiges Aumlrgernis fuumlr Charlotte Ru-dorf Emmas Plan war gewesen zum Zeitvertreib etwas zu studieren das ihr Spaszlig machte und danach zu heiraten Im Laufe des Studiums hatte sich ihr Interesse allerdings ge-wandelt In der Fakultaumlt war sie hin und wieder ihrer Cou-sine Marion uumlber den Weg gelaufen die mit einem von Emmas Professoren ausgegangen war und sie fand sie glei-chermaszligen interessant wie inspirierend Sie hatte sogar kurz mit dem Gedanken gespielt sich im Pharmakonzern Lich-tenthal zu bewerben aber da haumltte vermutlich eine Andeu-tung gereicht und ihre Mutter waumlre die Waumlnde hochge-gangen Mit ihrer Schwester Helena hatte sie sich schon vor Jahren entzweit und eine Annaumlherung war nicht in Sicht

Beim Essen plauderten sie uumlber Allgemeines Leopold zog sie mit einem Dozenten auf von dem sie ndash seiner Mei-nung nach ndash verdaumlchtig oft sprach Daraufhin erinnerte sie an die Verkaumluferin aus dem KaDeWe mit der er fortwaumlh-rend ausging ohne dass die Sache von der Stelle kam Spauml-ter raumlumten sie zusammen ab erledigten den Abwasch und wollten gerade ins Wohnzimmer gehen um das Radio ein-zuschalten als ihre Mutter die Wohnungstuumlr aufschloss

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raquoGuten Abendlaquo Charlotte Rudorf sah muumlde aus und Emma ging zu ihr um ihr den Mantel abzunehmen und ihn an die Garderobe zu haumlngen

raquoSoll ich das Abendessen wieder auf den Tisch stellenlaquo fragte Emma

raquoNein lass nur ich habe im Werk eine Kleinigkeit ge-gessenlaquo

So war es fast jeden Abend im Grunde genommen aszligen sie nur noch am Wochenende regelmaumlszligig zusammen und fanden sich ansonsten morgens zu einem raschen Fruumlh-stuumlck in der Kuumlche ein Ihre Mutter wechselte einen kur-zen Blick mit Leopold aus dem klar ersichtlich wurde dass die beiden noch vor gar nicht langer Zeit gestritten hatten ndash ganz so wie von Emma vermutet Nun jedoch zeigte sich ein zoumlgerliches Laumlcheln auf den Lippen Char-lotte Rudorfs und auch das war typisch Zum Abend hin legte sie Streit gerne bei mochte es nicht unversoumlhnt schlafen zu gehen

Im Wohnzimmer schalteten sie das Radio ein Emma houmlrte nur mit halbem Ohr hin und hatte ihr Buch wie-der aufgeschlagen war aber auch hier nicht bei der Sache Schlieszliglich gab sie es auf und beschloss noch ein wenig spazieren zu gehen

raquoUm diese Uhrzeitlaquo fragte ihre Mutter die gerade mit einer Tasse Kraumlutertee ins Wohnzimmer trat

raquoEs ist kurz nach achtlaquoNun blickte auch Leopold auf sah sie an als witterte er

hinter ihrem Wunsch eine tiefere WahrheitraquoEs ist nur ein Spazierganglaquo sagte sie und haumltte am

liebsten die Augen verdreht raquoMir geht so viel im Kopf

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herum und ich kann meine Gedanken beim Gehen am besten sortierenlaquo

raquoWie war eigentlich deine Klausurlaquo wollte ihr Mut-ter nun wissen

raquoGut denke ichlaquo Emma ging in den Flur nahm einen leichten Mantel vom Haken legte sich einen Seidenschal um und warf noch einen kurzen Blick in den Spiegel Seit kurzem trug sie ihr hellbraunes Haar knapp schulterlang und in groszlige Locken gelegt die sie mit einer Spange seit-lich zuruumlckhielt Jetzt zupfte sie ein wenig daran herum bis sie schlieszliglich zufrieden war und verlieszlig die Wohnung Sie wohnten in der ersten Etage direkt uumlber der Arztpraxis die Wohnung im zweiten Stock stand derzeit leer Fruumlher einmal hatte Emmas Groszligmutter dort gewohnt aber sie lebte bereits seit fast dreiszligig Jahren bei ihrer Tochter erst in Hamburg und seit kurz vor dem Krieg in Muumlnchen da der Ehemann von Emmas Tante dorthin versetzt worden war Leider kam sie nur noch selten zu Besuch da lange Reisen sie zu sehr anstrengten Emma bedauerte das denn sie mochte ihre Groszligmutter die auch mit achtzig noch ruumlstiger und scharfsinniger war als manch junge Frau die Emma kannte

Es daumlmmerte bereits und die langen Schatten des spauml-ten Nachmittags waren ineinandergekrochen verdichte-ten sich langsam und entfaumlrbten den Tag zu einem lich-ten Grau Seit zwei Jahren stellte man die Uhren nicht mehr zur Sommerzeit um und anfangs war es ungewohnt gewesen dass die Sommertage nun um eine Stunde kuumlr-zer waren aber man gewoumlhnte sich daran Waumlhrend des Krieges hatte es eine Zeit gegeben in der fortwaumlhrend

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Sommerzeit gegolten hatte und man die Uhren uumlberhaupt nicht mehr umstellte irgendwann war ein konzeptloses Wechseln erfolgt Dann war die Regelung durch die Besat-zungsmaumlchte wieder geaumlndert worden und sie bestimm-ten eine Umstellung auf die Sommerzeit ndash wobei diese in der sowjetischen Besatzungszone Berlins 1945 ganze zwei Monate laumlnger gedauert hatte Jetzt endlich hatte die Regierung sich auf eine einheitliche Zeit festgelegt die fuumlr das gesamte Jahr galt ndash die Ruumlckkehr zur Normalzeit Emma hoffte dass das so blieb

Als sie durch die Straszlige spazierte hier und da einen heimkehrenden Nachbarn oder Bekannten gruumlszligte ndash die Tochter des Herrn Doktor kannte man im gesamten Vier-tel ndash fiel ihr ein Mann auf der gerade ein Haus verlieszlig sich noch einmal umdrehte einem weiteren Mann der in der offenen Tuumlr stand etwas sagte und dann durch den Vorgarten schritt und auf sein Auto zuging Dominik Lichtenthal Emma blieb stehen sah ihn an wusste nicht ob sie zu ihm gehen und houmlflich gruumlszligen oder ihn ignorie-ren sollte Er nahm ihr die Entscheidung ab als er sie be-merkte kurz stutzte als muumlsste er ihr Gesicht erst einem Namen zuordnen und sie dann anlaumlchelte

raquoGuten Abend Emma Wie geht es dirlaquoSie ging auf ihn zu raquoSehr gut vielen Danklaquo Sie wusste

nie so recht ob sie ihn duzen sollte oder nicht denn einer-seits war er ein Fremder andererseits aber der Ehemann ihrer Tante und damit praktisch ihr Onkel

raquoIch habe gehoumlrt du studierst ChemielaquoraquoJa ich werde diesen Sommer fertiglaquoraquoUnd dann geht es in den Konzern deiner Mutterlaquo

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Unschluumlssig hob Emma die Schultern raquoAch das weiszlig ich noch gar nichtlaquo

Dominik Lichtenthal schloss seinen Wagen auf raquoWenn du dich lieber auf dem freien Markt umsehen moumlchtest sag Bescheid ich kann faumlhige Chemiker immer gebrau-chenlaquo

Es war schon fast skurril dass Emma diesen Gedanken erst vor kurzem gehegt hatte und ihn nun ausgesprochen houmlrte Da sie nicht rundheraus ablehnen wollte dankte sie ihm und nachdem sie ihm gesagt hatte er moumlge seine Familie von ihr gruumlszligen stieg er in seinen Wagen und fuhr los Im Grunde genommen war das doch albern dass ihre Mutter immer noch nichts mit ihrer Schwester zu tun haben wollte Emma kannte die alte Geschichte und natuumlr lich war es hart auf einen Schlag sein gesam-tes Erbe zu verlieren und die unvermittelt aufgetauchte fremde Schwester als einzige Gewinnerin in dieser Situa-tion zu sehen aber das Ganze war jetzt gut fuumlnfundzwan-zig Jahre her irgendwann musste es doch mal gut sein Und es war ja nun wahrlich nicht so als wuumlrde der Besitz des Hauses in der Friedrichstraszlige noch einen nennenswer-ten Unter schied im Vermoumlgen ihrer Mutter machen Im Gegenteil ndash waumlre sie dort geblieben haumltte sie es vielleicht nie so weit gebracht

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Juni 1952

Die einstmals goldene Zeit merkte man der ehemaligen Amuumlsiermeile auf der Friedrichstraszlige nicht mehr an und Helena verspuumlrte jedes Mal beim Besuch ihres Schoumlnheits-salons diesen Stich des Bedauerns Als sie in den Zwan-zigern hier angekommen war hatte das Leben pulsiert mit Autos Bussen Bahnen Fuszliggaumlngern Radfahrern und noch vereinzelten Droschken Die Kreuzung an der Leip-ziger Straszlige war ein so verkehrsreicher Knotenpunkt ge-wesen dass es fuumlr die aus der Provinz stammende Helena anfangs schon eine Herausforderung gewesen war lebend von einer Straszligenseite auf die andere zu gelangen

Nach dem Krieg war die Straszlige eine von Ruinen ge-saumlumte Schuttwuumlste geworden und auch wenn die Truumlm-mer in weiten Teilen fortgeraumlumt waren so erinnerte doch nur wenig an fruumlher Helena hatte mehrfach uumlberlegt den Schoumlnheitssalon einfach aufzugeben aber das brachte sie nicht uumlber sich Vielleicht normalisierte sich hier ja alles irgendwann wieder das konnte doch nicht ewig so blei-ben Ihr Schoumlnheitssalon in der Friedrichstraszlige befand sich im Amerikanischen Sektor der in Berlin-Mitte gehoumlrte nun zur DDR ihr Werk wiederum zum Franzoumlsischen

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Sektor Dominiks sowie ihr Wohnsitz lagen im Britischen Sektor Das war doch auf Dauer kein Zustand Den Salon in Berlin-Mitte hatte sie aufgeben muumlssen und sie sah sich bereits nach Alternativen um

Als Helena in den Salon trat kam ihr Ida ndash fruumlher Wag-ner jetzt Zeller ndash entgegen raquoKaffeelaquo

raquoUnbedingtlaquo Helena haumlngte ihren Mantel an die Gar-derobe und betrat den Salon Es war noch fruumlh und sie wuumlrden erst in einer halben Stunde oumlffnen Ida hatte schon in den Dreiszligigern die Leitung des Salons uumlbernommen als Helena damit beschaumlftigt gewesen war einen weiteren in Berlin-Mitte zu eroumlffnen

raquoWie geht es den MaumldchenlaquoHelena setzte sich in einen der bequemen Besucher-

stuumlhle wo die Frauen sich bei einer Tasse Kaffee oder Tee und etwas Gebaumlck entspannen konnten raquoMarion faumlngt bei mir im Werk an der Termin steht jetztlaquo Das war Schock und freudige Uumlberraschung zugleich gewesen und Helena wusste selbst nicht ob ihre Bestuumlrzung oder ihre Freude uumlberwog Natuumlrlich hatte sie gehofft dass Marion als Aumlrztin praktizierte immerhin hatte sie stu-diert und damit ein klares Ziel vor Augen gehabt Ande-rerseits freute es sie dass ihre Tochter Interesse an ihrem Unternehmen zeigte ndash und nicht an Dominiks wie eine kleine nicht zu unterdruumlckende Stimme des Triumphs in ihr betonte raquoUnd Fanny schlieszligt das Schuljahr mit sehr guten Noten ablaquo

raquoMathematik macht ihr wieder SpaszliglaquoraquoNachdem Ferdinands Ehefrau es ihr erklaumlrt hat was

ihr unfaumlhiger Lehrer offenbar nicht hinbekommtlaquo Fer-

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dinand war der Patenonkel beider Toumlchter und seine Frau eine begabte Mathematikerin

Die Schwangerschaft mit Fanny hatte Helena seinerzeit einen gehoumlrigen Schrecken eingejagt All die Jahre hatte sie es erfolgreich vermieden zu empfangen und dann als die Welt am Abgrund stand kuumlndigte sich neues Leben an Schlimm genug mitanzusehen wie Marion bereits in der Schule darauf vorbereitet wurde in den BDM einzu-treten da wollte sie diesem System nicht noch ein Kind schenken Es war Rudolf Liliengrund gewesen dem Fanny es zu verdanken hatte dass Helena keinen Abbruch hatte vornehmen lassen

raquoGerade in diesen Zeiten sollten die Anstaumlndigen sich vermehrenlaquo

Ihr lieber Rudolf der seine gesamte Familie verloren und selbst nur knapp und unter Entbehrungen die Flucht geschafft hatte weil er zu lange gezoumlgert geglaubt hatte es wuumlrde alles gut werden Und so hatte Helena Fanny aus-getragen hatte schon in der Schwangerschaft eine so innige Beziehung zu dem Kind gehabt wie sie es sich nicht hatte vorstellen koumlnnen Es war ganz anders als mit Marion zu der sie erst eine enge Bindung hatte aufbauen koumlnnen als diese bereits ein Kleinkind gewesen war Waumlhrend Marion von Geburt an ein Papakind war so war Fanny von Geburt an ganz und gar ihre Tochter Helena hatte sie sogar mit zur Arbeit genommen weil sie sich nicht von ihr trennen mochte hatte sie im Buumlro gestillt und in der Wiege neben sich schlafen lassen Undenkbar dieses Baby jemand ande-rem anzuvertrauen Dabei liebte sie Marion nicht weniger und sie verstand auch im Nachhinein nicht warum sie bei

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beiden Kindern schon in der Schwangerschaft so unter-schiedlich empfunden hatte

raquoDu solltest endlich aufhoumlren das zu hinterfragenlaquo hatte ihre beste Freundin Irene Danelius gesagt raquoEs ist jetzt wie es ist Freu dich einfach Gerade jetzt haben wir alle wahrhaftig Probleme genug da muss man nicht auch noch welche hinzuredenlaquo

Als im November 1938 die Synagogen brannten hatte Irene das Land verlassen raquoIch komme zuruumlck wenn der Irrsinn vorbei istlaquo hatte sie gesagt und war nach Amerika gegangen Dort war sie zur Filmgroumlszlige geworden hatte einen bekannten Produzenten geheiratet und lebte nach wie vor in den Vereinigten Staaten Helena vermisste sie immer noch sehr und war auch schon einmal mit ihrer Familie in New York gewesen um sie zu besuchen

raquoFahrt ihr diesen Sommer weglaquo fragte Ida und setzte sich nun ebenfalls

raquoAuf jeden Fall fuumlr zwei Wochen zu meiner Mutter Und von da aus vielleicht weiter in Richtung Schweizlaquo Vor allem auf die Zeit bei ihrer Mutter freute sich Helena das waren jedes Mal schoumlne Tage mit all den fruumlheren Freunden und Bekannten sowie mit der Baronin fuumlr die sie und ihre Mutter fruumlher gearbeitet hatten und bei der ihre Mutter nun den Altersruhesitz hatte Fuumlr Helenas Familie standen immer Gaumlstezimmer bereit Ein wenig behandelte man sie dort wie eine Prominente die Dienst-botentochter die es in der Weltmetropole zu etwas ge-bracht hatte mit einem reichen Mann verheiratet war und mit Filmstars verkehrte

Kurz darauf trafen die uumlbrigen Mitarbeiterinnen ein

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und dann kamen auch schon die ersten Kundinnen Helena unterhielt sich mit einigen der Damen beriet hier und da persoumlnlich und machte sich dann auf den Weg ins Werk Unmittelbar nach dem Krieg war es schwierig gewesen die Rohstoffe fuumlr die Produktion von Kosmetik aufzutrei-ben vielfach waren sie nur zu Schwarzmarktpreisen zu be-kommen Viele Rohstoffe wurden in der Pharmaindustrie dringender benoumltigt und natuumlrlich hatte die medizini-sche Versorgung Vorrang vor der kosmetischen Gerade nach dem Krieg hatten sie alle andere Sorgen gehabt wes-halb Helenas Werk voruumlbergehend die Produktion um-stellte und der chemischen Industrie zuarbeitete waumlhrend die Schoumlnheitssalons Obdachlosen offenstanden Erst vier Jahre nach Kriegsende als der Hungerwinter vorbei war und die Menschen durch die Waumlhrungsreform wieder uumlber Geld verfuumlgten hatte Helena Kosmetikherstellung und Schoumlnheitsbehandlungen wieder aufgenommen

Im Werk ging Helena direkt in ihr Buumlro und sah sich Werbeentwuumlrfe an Sie liebte ihre Arbeit und sie machte ihr nach wie vor Spaszlig allerdings fehlte ihr die Heraus-forderung Die Kosmetik entwickelte sich stetig weiter und mittlerweile war Forschung und Entwicklung eine eigene Abteilung in ihrem Unternehmen Natuumlrlich freute sie sich daruumlber aber sie vermisste die Zeiten in denen sie selbst in ihrer Fertigung gesessen und experimentiert hatte Vielleicht war es wirklich gut dass Marion hier demnaumlchst etwas frischen Wind hereinbringen wuumlrde Wie wohl Charlotte darauf reagierte dass Helena ihr nun Konkurrenz machen wuumlrde

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Emma houmlrte den Streit bis ins Wohnzimmer Ihre Mutter hielt Leopold vor er naumlhme die Arbeit nicht ausreichend ernst und bringe sich zu wenig ein Wie er bei dem Ge-schaumlftstermin am Vortag nur dagesessen und auf einmal zu zittern begonnen habe Wenn es nicht anders ging dann solle er eben seine Medikamente wieder nehmen Und ndash verdammt noch mal ndash endlich mehr Nervenstaumlrke zei- gen

Auch an diesem Morgen hatte es schon wieder damit begonnen dass Leopold beim Fruumlhstuumlck sehr still gewe-sen war was fuumlr Emma immer ein Zeichen fuumlr schlimme Traumlume war Auf Ausfuumlhrungen ihrer Mutter zu dem heu-tigen Arbeitstag hatte er nur genickt was diese wiederum zu dem Schluss kommen lieszlig dass er sich nur unzurei-chend interessierte Uumlberhaupt habe er keine innovativen Ideen arbeite den Tag ab ohne echtes Interesse zu zeigen an dem was er tat Irgendwann war ein handfester Streit ausgebrochen der auch dann noch anhielt als Emma das Esszimmer verlassen hatte und nun in der Kuumlche den Ab-wasch machte Schlieszliglich hielt sie es nicht mehr aus lief ins Esszimmer zuruumlck

raquoWas willst du eigentlichlaquo fuhr sie ihre Mutter an raquoEr tut doch alles was er solllaquo

raquoEmma lass nurlaquo sagte Leopold raquoIch mache helliplaquoraquoNein ich lasse es nicht Koumlnnen wir nicht mal einen

Morgen friedlich verbringen wie andere Familien auch Muss hier immer den ganzen Tag uumlber Streit herrschen und abends gehen wir dann versoumlhnt schlafen Wozu Um am naumlchsten Tag wieder loszulegen Das ist doch nicht mehr auszuhaltenlaquo

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raquoWie redest du eigentlich mit mirlaquo Die Stimme ihrer Mutter war ganz kalt geworden bar jeder Emotion

raquoIch helliplaquo Die aufbrausende Wut fiel von Emma ab und sie wusste nicht mehr was sie nun sagen sollte raquoIch hellip ich habe heute keine Uni und wollte ohnehin fragen ob ich mit ins Werk kannlaquo Der Einfall war ihr gerade erst ge-kommen raquoIch koumlnnte Leo zuarbeiten und so schon einmal Einblicke bekommenlaquo

Die frostglitzernde Wut im Blick ihrer Mutter schmolz zu Uumlberraschung raquoAch waslaquo

raquoIch habe mir lange uumlberlegt was ich mit meinem Che-miestudium machelaquo

raquoHeiszligt das es steht nicht zu erwarten dass du dich nun nach einer passenden Partie umsiehstlaquo Fuumlr jemanden der selbst gluumlcklich verheiratet gewesen war zeigte ihre Mut-ter eine sehr ablehnende Haltung zu Emmas Eheplaumlnen

raquoNoch ist ja niemand in Aussicht nicht wahrlaquo ver-setzte Emma der Hoffnung einen Daumlmpfer

Ihre Mutter schien damit zufrieden zu sein raquoSchoumln dann beeil dich wir brechen gleich auflaquo

Sie und Leopold fuhren in der Regel gemeinsam los und Leopold lieszlig dann den Wagen fuumlr sie im Werk und kehrte puumlnktlich zum Buumlroschluss mit der Bahn nach Hause zu-ruumlck Das tat er vermutlich vor allem aus dem Grund weil er den Abstand brauchte

raquoIch habe uumlbrigens gehoumlrt dass Marion in der Chariteacute aufhoumlrtlaquo erzaumlhlte Emma als sie auf der Ruumlckbank des Wagens Platz genommen hatte

raquoWelche Marionlaquo fragte ihre Mutter und Emma haumltte gerne gewusst ob sie das wirklich nicht wusste

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raquoUnsere CousinelaquoraquoUnd warum sollte es mich interessieren was diese Per-

son tutlaquoraquoWeil sie deine Nichte ist moumlglicherweiselaquoVon hinten konnte Emma das Schulterzucken sehenraquoAuf jeden Fall heiszligt es sie wollte in das Unternehmen

von Tante Helena einsteigenlaquo Mit einiger Befriedigung bemerkte Emma dass ihre Mutter bei dieser persoumlnlichen Bezeichnung kaum merklich zusammenzuckte

raquoIn der TatlaquoraquoSie hat einige Semester Chemie studiert das hatte ich

doch erzaumlhltlaquoraquoJa hattest du Auch dass sie es mit deinem Chemie-

professor getrieben hatlaquoraquoMutterlaquo kam es von LeopoldraquoDas habe ich nie gesagtlaquo Emma lehnte sich vor als

koumlnne sie ihren Worten damit mehr Nachdruck verleihen raquoIch sagte sie gehen miteinander auslaquo

raquoWenn sie nach ihrer Mutter kommt gibt es das eine nicht ohne das andere Gerne auch zum Nachteil der eigenen Familie Sind deine Noten bei besagtem Profes-sor nicht danach schlechter gewordenlaquo

raquoDas war bei Professor Guenther nicht bei Professor Hellweg mit dem Marion aus war Meine Guumltelaquo Emma hatte langsam genug Dieser sture verbohrte Zorn ihrer Mutter war nicht mehr zu ertragen Mit Ende vierzig konnte sie sich auf jeden Fall noch nicht mit Altersstarr-sinn herausreden raquoHoumlr zu wenn das hier jeden Morgen der Beginn meines Arbeitstages wird sag es direkt dann reicht mir der einmalige Ausflug in dein Unternehmen

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und ich bewerbe mich morgen beim Pharmaunternehmen Lichtenthallaquo

Ihre Mutter fuhr herum raquoDas wagst du nichtlaquoraquoLass es gerne darauf ankommenlaquoLange sah ihre Mutter sie an dann zuckte es um ihre

Lippen Widerspruchsgeist gefiel ihr und sie schien auf einmal versoumlhnt Emma wuumlrde bleiben wuumlrde es allein um Leopolds willen tun Vielleicht wuumlrde es leichter fuumlr ihn mit ihr an seiner Seite

Das ehemalige Werksgelaumlnde hatte in Berlin-Oberschouml-neweide gestanden aber sie waren noch vor dem Krieg um-gezogen was sich als richtige Entscheidung erwiesen hatte wenngleich zu der Zeit noch niemand hatte wissen koumlnnen dass dieser Stadtteil unter sowjetische Verwaltung gestellt werden wuumlrde Das jetzige Werk stand in Berlin-Tempel-hof im Amerikanischen Sektor und hatte im Krieg ebenfalls gelitten Sie fuhren durch das Tor und Leopold parkte den Wagen auf der dafuumlr vorgesehenen Flaumlche auf der weitere Autos Motorraumlder und Mopeds standen

Ihre Mutter begleitete sie bis in die Etage in der sich die Raumlumlichkeiten der Geschaumlftsfuumlhrung befanden dann ging sie in ihr Buumlro waumlhrend Emma Leopold in seines be-gleitete

raquoWeiszligt dulaquo sagte er als er auf einen der Stuumlhle wies raquodu musst das nicht tunlaquo

raquoWas meinst dulaquo Emma lieszlig sich auf der Besucherseite seines Schreibtischs nieder

raquoDas weiszligt du genau Mich hierher zu begleiten ob-wohl du nie im Sinn hattest in der Firma zu arbeiten Du musst mich nicht vor Mutter beschuumltzenlaquo

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raquoDas tue ich doch gar nichtlaquoLeopold antwortete nicht ging nur zur Tuumlr oumlffnete sie

und rief in das gegenuumlberliegende Zimmer der beiden Sekretaumlrinnen dass man ihm und seiner Schwester bitte Kaffee bringen moumlge raquoEs war nie dein Plan hier zu ar-beitenlaquo

raquoPlaumlne koumlnnen sich aumlndernlaquoraquoVon einem Tag auf den anderenlaquoraquoJa warum denn nicht Und wer sagt uumlberhaupt dass

es so abrupt war Vielleicht denke ich ja schon laumlnger da-ruumlber nach und habe dir einfach noch nichts erzaumlhltlaquo Emma zog einen Bleistift aus dem Stiftebecher und drehte ihn zwischen den Fingern raquoUumlbrigens hat mir Dominik Lichtenthal ein Stellenangebot gemachtlaquo Gespannt be-obachtete sie Leopolds Reaktion

raquoWannlaquoraquoIch bin ihm mal abends beim Spaziergang begegnetlaquoraquoUnd da hat er dir ndash ohne dich und deine Befaumlhigung

so recht zu kennen ndash eine Stelle angebotenlaquoraquoWir haben uns kurz unterhalten und er weiszlig dass ich

Chemie studiere Da meinte er wenn ich nicht fuumlr Mutter arbeiten wolle solle ich mich bei ihm melden er koumlnne faumlhige Chemiker immer gebrauchenlaquo

raquoMutter enterbt dich wenn du das tustlaquoraquoDas waumlre nicht so schlimm denn dann erbst du alles

und wirst mir meinen Teil einfach auszahlenlaquoraquoIst das solaquoraquoNatuumlrlichlaquo Emma zog ihre Zigaretten hervorraquoDu willst doch wohl hier nicht rauchenlaquoAnstelle einer Antwort steckte sie sich eine Zigarette

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zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

bei Lichtenthal in Aussicht und einem groszligzuumlgigen Bru-der der dir deinen Erbanteil abtrittlaquo

Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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schickte mit einem Tablett auf dem Kaffeekanne und Tasse standen die Tuumlr zum Buumlro ihres Vaters zu oumlffnen

raquoDas uumlbernehme ichlaquo bot Marion an und nahm der Frau das Tablett ab raquoIch moumlchte sowieso kurz zu ihmlaquo Waumlhrend sie das Tablett in der einen Hand balancierte druumlckte sie mit der anderen die Tuumlr auf raquoBringen Sie mir bitte auch noch eine Tasselaquo

raquoNatuumlrlich kommt sofort Fraumlulein LichtenthallaquoIhr Vater saszlig an seinem Schreibtisch und sah auf als sie

eintrat raquoNa so etwas Planst du einen beruflichen Wech-sellaquo

raquoIn der Tat nur werde ich dann nicht deine Empfangs-damelaquo Marion stellte das Tablett ab und schenkte Kaffee ein Im naumlchsten Moment trat Frau Weiller ein brachte ein zusaumltzliches Gedeck und ein Milchkaumlnnchen

raquoIch weiszlig doch dass Sie Ihren Kaffee nicht schwarz trinkenlaquo sagte sie an Marion gewandt

Nachdem sie gegangen war und die Tuumlr hinter sich ge-schlossen hatte setzte Marion sich ihrem Vater gegenuumlber in einen der beiden Besucherstuumlhle

raquoWas meintest du damit dass du in der Tat einen be-ruflichen Wechsel planstlaquo fragte Dominik Lichtenthal

Marion trank einen weiteren Schluck raquoIch hatte eigent-lich vorgehabt meine Kuumlndigung bei der Chariteacute einzu-reichen wobei das ja nun nicht mehr noumltig ist Ich liebe die Medizin doch der Alltag einer Aumlrztin ist nicht das Richtige fuumlr michlaquo

Das traf ihren Vater vollkommen unerwartet hatte er doch damit gerechnet dass sie in der naumlchsten Zeit ihren Facharzt anstreben wuumlrde raquoSo ploumltzlichlaquo

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raquoIch denke da tatsaumlchlich schon eine ganze Zeit lang druumlber nachlaquo

raquoUnd was willst du stattdessen tun In die Pharmazielaquo Offenbar erinnerte er sich gerade an die paar Semester Che-mie die sie nebenher studiert und waumlhrend derer sie eine kurze Liaison mit einem Chemieprofessor gehabt hatte

raquoNein auch das nichtlaquo Die Kenntnisse in Chemie waren indes durchaus zu etwas gut raquoIch moumlchte bei Mama mitarbeitenlaquo

Unglaumlubig sah ihr Vater sie an raquoDu hast ein komplettes Medizinstudium mit hervorragenden Noten abgeschlos-sen und dann sieht deine Berufswahl so aus Frauen Farbe ins Gesicht zu malenlaquo

Marion musste lachen raquoLass das bloszlig nie Mama houmlren Du weiszligt doch genau dass Kosmetik mehr ist als Frauen Farbe ins Gesicht zu malen Mich interessiert medizini-sche Kosmetik Wie du siehst ist mein Studium nicht vergebens gewesenlaquo

raquoDu kannst doch in die Dermatologie gehenlaquoraquoJa koumlnnte ich Ich koumlnnte aber auch in die Forschung

gehen und medizinische Kosmetik entwickelnlaquoraquoDu koumlnntest auch bei mir in die pharmazeutische For-

schung gehenlaquoraquoDas geht doch Hand in Hand Paps Ich weiszlig dass du

sicher enttaumluscht bist aber helliplaquoraquoNeinlaquo fiel er ihr ins Wort raquoIch bin nicht enttaumluscht

Es ging mir nie darum dass du meine Erwartungen er-fuumlllst sondern stets nur deine eigenen Ich gestehe ich war gluumlcklich als du mir eroumlffnet hast dass du Aumlrztin werden willst aber letzten Endes ist mir am wichtigsten dass du

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zufrieden bist mit dem was du tust Ich bitte dich nur die Entscheidung zu uumlberdenkenlaquo

raquoDu kannst davon ausgehen dass ich das getan habe Ich habe lange und gruumlndlich daruumlber nachgedachtlaquo

raquoWeiszlig deine Mutter bereits davonlaquoraquoNein ich bin zuerst zu dir gekommenlaquoIhr Vater nickte zog seine Zigaretten hervor und

steckte eine an raquoSie wird sich freuen dass du mit ihr zu-sammenarbeiten wirst Und die Taumltigkeit als Aumlrztin laumluft dir ja nicht davon du hast ein abgeschlossenes Studium und kannst jederzeit deinen Facharzt machen wenn du merkst dass das vielleicht doch nicht das Richtige fuumlr dich ist Dir ist aber klar dass du mit medizinischer Kosmetik in Konkurrenz zu deiner Tante Charlotte trittstlaquo

raquoJa durchaus Aber wie sagst du immer Konkurrenz belebt das Geschaumlftlaquo Mit ihrer Tante hatte Marion nur selten Kontakt Auf Feiern lief man sich hin und wieder uumlber den Weg aber damit erschoumlpfte es sich auch schon Im Grunde war das bedauerlich denn Charlottes Tochter Emma war ganz reizend und Marion hatte schon einige interessante Unterhaltungen mit ihr gefuumlhrt wenn sie sich denn mal begegnet waren Auch Emmas Bruder Leopold war sehr freundlich und umgaumlnglich wenngleich er seit dem Krieg verschlossen und in sich gekehrt wirkte Im letzten Jahr hatte er noch an die Front gemusst der arme Kerl Da war sein Vater gerade gestorben und Leopold hatte nicht nur den Verlust zu verkraften gehabt sondern war selbst in dem unheilvollen Mahlwerk des Krieges auf-gerieben worden

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Emma Rudorf saszlig mit einem Buch in der Hand im Wohn-zimmer und houmlrte ihren Bruder heimkommen Den gan-zen Tag war Leopold im Werk von Dr Rudorfs medizi-nische Kosmetik gewesen und an seinem schleppenden Schritt houmlrte Emma wie erschoumlpft er sein musste Ver-mutlich hatte er wieder mit Mutter gestritten und bei dem Gedanken daran wie diese ihm zusetzte packte sie die Wut Sie legte ihr Buch beiseite und stand auf ging in den Flur wo sich Leopold gerade die Schuhe auszog Er sah ihrem Vater aumlhnlich hatte zwar dunkleres Haar aber seine Gesichtszuumlge und er wirkte mit der Brille ein wenig professorenhaft

Als er Emma bemerkte laumlchelte er raquoWie gehtrsquoslaquo fragte er mit gespielter Munterkeit

raquoGut Und dirlaquoraquoViel zu tun Und bei dir Wie war die KlausurlaquoraquoIch denke ich habe bestandenlaquo Emma wuumlrde im

naumlchsten Sommer ihr Chemiestudium abschlieszligenraquoEtwas anderes habe ich auch nicht erwartetlaquoraquoIch habe Abendessen gemacht Kommt Mama auch

gleichlaquoraquoNein sie meinte sie haumltte noch viel zu tunlaquoWie immer Fuumlr Charlotte Rudorf gab es seit dem Tod

ihres Mannes nur noch das Werk sie arbeitete wie beses-sen als koumlnnte das den Schmerz des Verlustes betaumluben Emma hatte sich so oft gewuumlnscht sie wuumlrde daruumlber nicht staumlndig vergessen dass sie zwei Kinder hatte und sich nur dann an sie erinnern wenn es etwas auszusetzen gab Vor allem Leopold war ihr ein fortwaumlhrendes Aumlrgernis

raquoDu warst ein Jahr im Krieglaquo pflegte sie zu sagen

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raquound du bist in einem Stuumlck zuruumlckgekommen Wie lange willst du noch in Truumlbsal versinken anstatt endlich wieder mit beiden Beinen im Leben zu stehenlaquo

Was ihre Mutter Truumlbsal nannte war eine tiefe innere Wunde die der Krieg geschlagen hatte und Emma fragte sich warum sie diese sehen konnte nicht aber die Frau die ihn geboren hatte Dann kamen wieder diese Geschich-ten uumlber all die Kriegsheimkehrer die es auch schafften ihr Leben in den Griff zu bekommen obwohl sie deutlich laumlnger im Krieg aufgerieben worden waren Wie schlimm konnte da das eine Jahr schon gewesen sein Einzig fuumlr Emmas Albtraumlume durch die Bombardierung hatte sie Verstaumlndnis denn diese war zu der Zeit gerade vierzehn Jahre alt gewesen Da spielte wohl auch die Erinnerung mit hinein wie Emma an sie geschmiegt im Keller ge-sessen und gewartet hatte bis die Bombardierung vorbei war waumlhrend sie beide Angst gehabt hatten dass Leopold vielleicht schon tot war

raquoIsst du mit mir zu Abendlaquo fragte er nunraquoKlar ich habe auf dich gewartetlaquoLeopold wuumlrde im Juli vierundzwanzig werden und hatte

sein Pharmaziestudium im letzten Jahr abgeschlossen Er haumltte lieber Maschinenbau studiert war schon seit Kinder-tagen davon fasziniert gewesen Aber es war klar gewesen dass er das Familienwerk erben wuumlrde Allenfalls haumltte er noch Arzt werden koumlnnen um die Praxis ihres Vaters zu uumlbernehmen die nun ein anderer Arzt gemietet hatte

Da sie nur zu zweit waren aszligen sie zwanglos in der Kuumlche und Leopold deckte den Tisch waumlhrend Emma den Brotkorb Butter Kaumlse und Aufschnitt hinstellte und alles

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in den Dosen belieszlig was ihre Mutter stets als mangelnde Esskultur bezeichnete Emma hingegen war es zu viel Auf-wand jetzt alles auf Tellern anzuordnen nur um dann das meiste wieder zuruumlckzufuumlllen und wegzuraumlumen und mehr zum Abspuumllen zu haben Sie lieszlig sich ihrem Bruder gegen-uumlber am Tisch nieder Im Gegensatz zu ihrer Mutter hatte Emma bislang keine groszligen beruflichen Ambitionen ge-habt sie studierte Chemie allein aus dem Grund weil es sie interessierte aber sie hatte keine konkreten Plaumlne da-ruumlber hinaus ndash ein staumlndiges Aumlrgernis fuumlr Charlotte Ru-dorf Emmas Plan war gewesen zum Zeitvertreib etwas zu studieren das ihr Spaszlig machte und danach zu heiraten Im Laufe des Studiums hatte sich ihr Interesse allerdings ge-wandelt In der Fakultaumlt war sie hin und wieder ihrer Cou-sine Marion uumlber den Weg gelaufen die mit einem von Emmas Professoren ausgegangen war und sie fand sie glei-chermaszligen interessant wie inspirierend Sie hatte sogar kurz mit dem Gedanken gespielt sich im Pharmakonzern Lich-tenthal zu bewerben aber da haumltte vermutlich eine Andeu-tung gereicht und ihre Mutter waumlre die Waumlnde hochge-gangen Mit ihrer Schwester Helena hatte sie sich schon vor Jahren entzweit und eine Annaumlherung war nicht in Sicht

Beim Essen plauderten sie uumlber Allgemeines Leopold zog sie mit einem Dozenten auf von dem sie ndash seiner Mei-nung nach ndash verdaumlchtig oft sprach Daraufhin erinnerte sie an die Verkaumluferin aus dem KaDeWe mit der er fortwaumlh-rend ausging ohne dass die Sache von der Stelle kam Spauml-ter raumlumten sie zusammen ab erledigten den Abwasch und wollten gerade ins Wohnzimmer gehen um das Radio ein-zuschalten als ihre Mutter die Wohnungstuumlr aufschloss

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raquoGuten Abendlaquo Charlotte Rudorf sah muumlde aus und Emma ging zu ihr um ihr den Mantel abzunehmen und ihn an die Garderobe zu haumlngen

raquoSoll ich das Abendessen wieder auf den Tisch stellenlaquo fragte Emma

raquoNein lass nur ich habe im Werk eine Kleinigkeit ge-gessenlaquo

So war es fast jeden Abend im Grunde genommen aszligen sie nur noch am Wochenende regelmaumlszligig zusammen und fanden sich ansonsten morgens zu einem raschen Fruumlh-stuumlck in der Kuumlche ein Ihre Mutter wechselte einen kur-zen Blick mit Leopold aus dem klar ersichtlich wurde dass die beiden noch vor gar nicht langer Zeit gestritten hatten ndash ganz so wie von Emma vermutet Nun jedoch zeigte sich ein zoumlgerliches Laumlcheln auf den Lippen Char-lotte Rudorfs und auch das war typisch Zum Abend hin legte sie Streit gerne bei mochte es nicht unversoumlhnt schlafen zu gehen

Im Wohnzimmer schalteten sie das Radio ein Emma houmlrte nur mit halbem Ohr hin und hatte ihr Buch wie-der aufgeschlagen war aber auch hier nicht bei der Sache Schlieszliglich gab sie es auf und beschloss noch ein wenig spazieren zu gehen

raquoUm diese Uhrzeitlaquo fragte ihre Mutter die gerade mit einer Tasse Kraumlutertee ins Wohnzimmer trat

raquoEs ist kurz nach achtlaquoNun blickte auch Leopold auf sah sie an als witterte er

hinter ihrem Wunsch eine tiefere WahrheitraquoEs ist nur ein Spazierganglaquo sagte sie und haumltte am

liebsten die Augen verdreht raquoMir geht so viel im Kopf

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herum und ich kann meine Gedanken beim Gehen am besten sortierenlaquo

raquoWie war eigentlich deine Klausurlaquo wollte ihr Mut-ter nun wissen

raquoGut denke ichlaquo Emma ging in den Flur nahm einen leichten Mantel vom Haken legte sich einen Seidenschal um und warf noch einen kurzen Blick in den Spiegel Seit kurzem trug sie ihr hellbraunes Haar knapp schulterlang und in groszlige Locken gelegt die sie mit einer Spange seit-lich zuruumlckhielt Jetzt zupfte sie ein wenig daran herum bis sie schlieszliglich zufrieden war und verlieszlig die Wohnung Sie wohnten in der ersten Etage direkt uumlber der Arztpraxis die Wohnung im zweiten Stock stand derzeit leer Fruumlher einmal hatte Emmas Groszligmutter dort gewohnt aber sie lebte bereits seit fast dreiszligig Jahren bei ihrer Tochter erst in Hamburg und seit kurz vor dem Krieg in Muumlnchen da der Ehemann von Emmas Tante dorthin versetzt worden war Leider kam sie nur noch selten zu Besuch da lange Reisen sie zu sehr anstrengten Emma bedauerte das denn sie mochte ihre Groszligmutter die auch mit achtzig noch ruumlstiger und scharfsinniger war als manch junge Frau die Emma kannte

Es daumlmmerte bereits und die langen Schatten des spauml-ten Nachmittags waren ineinandergekrochen verdichte-ten sich langsam und entfaumlrbten den Tag zu einem lich-ten Grau Seit zwei Jahren stellte man die Uhren nicht mehr zur Sommerzeit um und anfangs war es ungewohnt gewesen dass die Sommertage nun um eine Stunde kuumlr-zer waren aber man gewoumlhnte sich daran Waumlhrend des Krieges hatte es eine Zeit gegeben in der fortwaumlhrend

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Sommerzeit gegolten hatte und man die Uhren uumlberhaupt nicht mehr umstellte irgendwann war ein konzeptloses Wechseln erfolgt Dann war die Regelung durch die Besat-zungsmaumlchte wieder geaumlndert worden und sie bestimm-ten eine Umstellung auf die Sommerzeit ndash wobei diese in der sowjetischen Besatzungszone Berlins 1945 ganze zwei Monate laumlnger gedauert hatte Jetzt endlich hatte die Regierung sich auf eine einheitliche Zeit festgelegt die fuumlr das gesamte Jahr galt ndash die Ruumlckkehr zur Normalzeit Emma hoffte dass das so blieb

Als sie durch die Straszlige spazierte hier und da einen heimkehrenden Nachbarn oder Bekannten gruumlszligte ndash die Tochter des Herrn Doktor kannte man im gesamten Vier-tel ndash fiel ihr ein Mann auf der gerade ein Haus verlieszlig sich noch einmal umdrehte einem weiteren Mann der in der offenen Tuumlr stand etwas sagte und dann durch den Vorgarten schritt und auf sein Auto zuging Dominik Lichtenthal Emma blieb stehen sah ihn an wusste nicht ob sie zu ihm gehen und houmlflich gruumlszligen oder ihn ignorie-ren sollte Er nahm ihr die Entscheidung ab als er sie be-merkte kurz stutzte als muumlsste er ihr Gesicht erst einem Namen zuordnen und sie dann anlaumlchelte

raquoGuten Abend Emma Wie geht es dirlaquoSie ging auf ihn zu raquoSehr gut vielen Danklaquo Sie wusste

nie so recht ob sie ihn duzen sollte oder nicht denn einer-seits war er ein Fremder andererseits aber der Ehemann ihrer Tante und damit praktisch ihr Onkel

raquoIch habe gehoumlrt du studierst ChemielaquoraquoJa ich werde diesen Sommer fertiglaquoraquoUnd dann geht es in den Konzern deiner Mutterlaquo

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Unschluumlssig hob Emma die Schultern raquoAch das weiszlig ich noch gar nichtlaquo

Dominik Lichtenthal schloss seinen Wagen auf raquoWenn du dich lieber auf dem freien Markt umsehen moumlchtest sag Bescheid ich kann faumlhige Chemiker immer gebrau-chenlaquo

Es war schon fast skurril dass Emma diesen Gedanken erst vor kurzem gehegt hatte und ihn nun ausgesprochen houmlrte Da sie nicht rundheraus ablehnen wollte dankte sie ihm und nachdem sie ihm gesagt hatte er moumlge seine Familie von ihr gruumlszligen stieg er in seinen Wagen und fuhr los Im Grunde genommen war das doch albern dass ihre Mutter immer noch nichts mit ihrer Schwester zu tun haben wollte Emma kannte die alte Geschichte und natuumlr lich war es hart auf einen Schlag sein gesam-tes Erbe zu verlieren und die unvermittelt aufgetauchte fremde Schwester als einzige Gewinnerin in dieser Situa-tion zu sehen aber das Ganze war jetzt gut fuumlnfundzwan-zig Jahre her irgendwann musste es doch mal gut sein Und es war ja nun wahrlich nicht so als wuumlrde der Besitz des Hauses in der Friedrichstraszlige noch einen nennenswer-ten Unter schied im Vermoumlgen ihrer Mutter machen Im Gegenteil ndash waumlre sie dort geblieben haumltte sie es vielleicht nie so weit gebracht

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Juni 1952

Die einstmals goldene Zeit merkte man der ehemaligen Amuumlsiermeile auf der Friedrichstraszlige nicht mehr an und Helena verspuumlrte jedes Mal beim Besuch ihres Schoumlnheits-salons diesen Stich des Bedauerns Als sie in den Zwan-zigern hier angekommen war hatte das Leben pulsiert mit Autos Bussen Bahnen Fuszliggaumlngern Radfahrern und noch vereinzelten Droschken Die Kreuzung an der Leip-ziger Straszlige war ein so verkehrsreicher Knotenpunkt ge-wesen dass es fuumlr die aus der Provinz stammende Helena anfangs schon eine Herausforderung gewesen war lebend von einer Straszligenseite auf die andere zu gelangen

Nach dem Krieg war die Straszlige eine von Ruinen ge-saumlumte Schuttwuumlste geworden und auch wenn die Truumlm-mer in weiten Teilen fortgeraumlumt waren so erinnerte doch nur wenig an fruumlher Helena hatte mehrfach uumlberlegt den Schoumlnheitssalon einfach aufzugeben aber das brachte sie nicht uumlber sich Vielleicht normalisierte sich hier ja alles irgendwann wieder das konnte doch nicht ewig so blei-ben Ihr Schoumlnheitssalon in der Friedrichstraszlige befand sich im Amerikanischen Sektor der in Berlin-Mitte gehoumlrte nun zur DDR ihr Werk wiederum zum Franzoumlsischen

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Sektor Dominiks sowie ihr Wohnsitz lagen im Britischen Sektor Das war doch auf Dauer kein Zustand Den Salon in Berlin-Mitte hatte sie aufgeben muumlssen und sie sah sich bereits nach Alternativen um

Als Helena in den Salon trat kam ihr Ida ndash fruumlher Wag-ner jetzt Zeller ndash entgegen raquoKaffeelaquo

raquoUnbedingtlaquo Helena haumlngte ihren Mantel an die Gar-derobe und betrat den Salon Es war noch fruumlh und sie wuumlrden erst in einer halben Stunde oumlffnen Ida hatte schon in den Dreiszligigern die Leitung des Salons uumlbernommen als Helena damit beschaumlftigt gewesen war einen weiteren in Berlin-Mitte zu eroumlffnen

raquoWie geht es den MaumldchenlaquoHelena setzte sich in einen der bequemen Besucher-

stuumlhle wo die Frauen sich bei einer Tasse Kaffee oder Tee und etwas Gebaumlck entspannen konnten raquoMarion faumlngt bei mir im Werk an der Termin steht jetztlaquo Das war Schock und freudige Uumlberraschung zugleich gewesen und Helena wusste selbst nicht ob ihre Bestuumlrzung oder ihre Freude uumlberwog Natuumlrlich hatte sie gehofft dass Marion als Aumlrztin praktizierte immerhin hatte sie stu-diert und damit ein klares Ziel vor Augen gehabt Ande-rerseits freute es sie dass ihre Tochter Interesse an ihrem Unternehmen zeigte ndash und nicht an Dominiks wie eine kleine nicht zu unterdruumlckende Stimme des Triumphs in ihr betonte raquoUnd Fanny schlieszligt das Schuljahr mit sehr guten Noten ablaquo

raquoMathematik macht ihr wieder SpaszliglaquoraquoNachdem Ferdinands Ehefrau es ihr erklaumlrt hat was

ihr unfaumlhiger Lehrer offenbar nicht hinbekommtlaquo Fer-

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dinand war der Patenonkel beider Toumlchter und seine Frau eine begabte Mathematikerin

Die Schwangerschaft mit Fanny hatte Helena seinerzeit einen gehoumlrigen Schrecken eingejagt All die Jahre hatte sie es erfolgreich vermieden zu empfangen und dann als die Welt am Abgrund stand kuumlndigte sich neues Leben an Schlimm genug mitanzusehen wie Marion bereits in der Schule darauf vorbereitet wurde in den BDM einzu-treten da wollte sie diesem System nicht noch ein Kind schenken Es war Rudolf Liliengrund gewesen dem Fanny es zu verdanken hatte dass Helena keinen Abbruch hatte vornehmen lassen

raquoGerade in diesen Zeiten sollten die Anstaumlndigen sich vermehrenlaquo

Ihr lieber Rudolf der seine gesamte Familie verloren und selbst nur knapp und unter Entbehrungen die Flucht geschafft hatte weil er zu lange gezoumlgert geglaubt hatte es wuumlrde alles gut werden Und so hatte Helena Fanny aus-getragen hatte schon in der Schwangerschaft eine so innige Beziehung zu dem Kind gehabt wie sie es sich nicht hatte vorstellen koumlnnen Es war ganz anders als mit Marion zu der sie erst eine enge Bindung hatte aufbauen koumlnnen als diese bereits ein Kleinkind gewesen war Waumlhrend Marion von Geburt an ein Papakind war so war Fanny von Geburt an ganz und gar ihre Tochter Helena hatte sie sogar mit zur Arbeit genommen weil sie sich nicht von ihr trennen mochte hatte sie im Buumlro gestillt und in der Wiege neben sich schlafen lassen Undenkbar dieses Baby jemand ande-rem anzuvertrauen Dabei liebte sie Marion nicht weniger und sie verstand auch im Nachhinein nicht warum sie bei

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beiden Kindern schon in der Schwangerschaft so unter-schiedlich empfunden hatte

raquoDu solltest endlich aufhoumlren das zu hinterfragenlaquo hatte ihre beste Freundin Irene Danelius gesagt raquoEs ist jetzt wie es ist Freu dich einfach Gerade jetzt haben wir alle wahrhaftig Probleme genug da muss man nicht auch noch welche hinzuredenlaquo

Als im November 1938 die Synagogen brannten hatte Irene das Land verlassen raquoIch komme zuruumlck wenn der Irrsinn vorbei istlaquo hatte sie gesagt und war nach Amerika gegangen Dort war sie zur Filmgroumlszlige geworden hatte einen bekannten Produzenten geheiratet und lebte nach wie vor in den Vereinigten Staaten Helena vermisste sie immer noch sehr und war auch schon einmal mit ihrer Familie in New York gewesen um sie zu besuchen

raquoFahrt ihr diesen Sommer weglaquo fragte Ida und setzte sich nun ebenfalls

raquoAuf jeden Fall fuumlr zwei Wochen zu meiner Mutter Und von da aus vielleicht weiter in Richtung Schweizlaquo Vor allem auf die Zeit bei ihrer Mutter freute sich Helena das waren jedes Mal schoumlne Tage mit all den fruumlheren Freunden und Bekannten sowie mit der Baronin fuumlr die sie und ihre Mutter fruumlher gearbeitet hatten und bei der ihre Mutter nun den Altersruhesitz hatte Fuumlr Helenas Familie standen immer Gaumlstezimmer bereit Ein wenig behandelte man sie dort wie eine Prominente die Dienst-botentochter die es in der Weltmetropole zu etwas ge-bracht hatte mit einem reichen Mann verheiratet war und mit Filmstars verkehrte

Kurz darauf trafen die uumlbrigen Mitarbeiterinnen ein

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und dann kamen auch schon die ersten Kundinnen Helena unterhielt sich mit einigen der Damen beriet hier und da persoumlnlich und machte sich dann auf den Weg ins Werk Unmittelbar nach dem Krieg war es schwierig gewesen die Rohstoffe fuumlr die Produktion von Kosmetik aufzutrei-ben vielfach waren sie nur zu Schwarzmarktpreisen zu be-kommen Viele Rohstoffe wurden in der Pharmaindustrie dringender benoumltigt und natuumlrlich hatte die medizini-sche Versorgung Vorrang vor der kosmetischen Gerade nach dem Krieg hatten sie alle andere Sorgen gehabt wes-halb Helenas Werk voruumlbergehend die Produktion um-stellte und der chemischen Industrie zuarbeitete waumlhrend die Schoumlnheitssalons Obdachlosen offenstanden Erst vier Jahre nach Kriegsende als der Hungerwinter vorbei war und die Menschen durch die Waumlhrungsreform wieder uumlber Geld verfuumlgten hatte Helena Kosmetikherstellung und Schoumlnheitsbehandlungen wieder aufgenommen

Im Werk ging Helena direkt in ihr Buumlro und sah sich Werbeentwuumlrfe an Sie liebte ihre Arbeit und sie machte ihr nach wie vor Spaszlig allerdings fehlte ihr die Heraus-forderung Die Kosmetik entwickelte sich stetig weiter und mittlerweile war Forschung und Entwicklung eine eigene Abteilung in ihrem Unternehmen Natuumlrlich freute sie sich daruumlber aber sie vermisste die Zeiten in denen sie selbst in ihrer Fertigung gesessen und experimentiert hatte Vielleicht war es wirklich gut dass Marion hier demnaumlchst etwas frischen Wind hereinbringen wuumlrde Wie wohl Charlotte darauf reagierte dass Helena ihr nun Konkurrenz machen wuumlrde

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Emma houmlrte den Streit bis ins Wohnzimmer Ihre Mutter hielt Leopold vor er naumlhme die Arbeit nicht ausreichend ernst und bringe sich zu wenig ein Wie er bei dem Ge-schaumlftstermin am Vortag nur dagesessen und auf einmal zu zittern begonnen habe Wenn es nicht anders ging dann solle er eben seine Medikamente wieder nehmen Und ndash verdammt noch mal ndash endlich mehr Nervenstaumlrke zei- gen

Auch an diesem Morgen hatte es schon wieder damit begonnen dass Leopold beim Fruumlhstuumlck sehr still gewe-sen war was fuumlr Emma immer ein Zeichen fuumlr schlimme Traumlume war Auf Ausfuumlhrungen ihrer Mutter zu dem heu-tigen Arbeitstag hatte er nur genickt was diese wiederum zu dem Schluss kommen lieszlig dass er sich nur unzurei-chend interessierte Uumlberhaupt habe er keine innovativen Ideen arbeite den Tag ab ohne echtes Interesse zu zeigen an dem was er tat Irgendwann war ein handfester Streit ausgebrochen der auch dann noch anhielt als Emma das Esszimmer verlassen hatte und nun in der Kuumlche den Ab-wasch machte Schlieszliglich hielt sie es nicht mehr aus lief ins Esszimmer zuruumlck

raquoWas willst du eigentlichlaquo fuhr sie ihre Mutter an raquoEr tut doch alles was er solllaquo

raquoEmma lass nurlaquo sagte Leopold raquoIch mache helliplaquoraquoNein ich lasse es nicht Koumlnnen wir nicht mal einen

Morgen friedlich verbringen wie andere Familien auch Muss hier immer den ganzen Tag uumlber Streit herrschen und abends gehen wir dann versoumlhnt schlafen Wozu Um am naumlchsten Tag wieder loszulegen Das ist doch nicht mehr auszuhaltenlaquo

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raquoWie redest du eigentlich mit mirlaquo Die Stimme ihrer Mutter war ganz kalt geworden bar jeder Emotion

raquoIch helliplaquo Die aufbrausende Wut fiel von Emma ab und sie wusste nicht mehr was sie nun sagen sollte raquoIch hellip ich habe heute keine Uni und wollte ohnehin fragen ob ich mit ins Werk kannlaquo Der Einfall war ihr gerade erst ge-kommen raquoIch koumlnnte Leo zuarbeiten und so schon einmal Einblicke bekommenlaquo

Die frostglitzernde Wut im Blick ihrer Mutter schmolz zu Uumlberraschung raquoAch waslaquo

raquoIch habe mir lange uumlberlegt was ich mit meinem Che-miestudium machelaquo

raquoHeiszligt das es steht nicht zu erwarten dass du dich nun nach einer passenden Partie umsiehstlaquo Fuumlr jemanden der selbst gluumlcklich verheiratet gewesen war zeigte ihre Mut-ter eine sehr ablehnende Haltung zu Emmas Eheplaumlnen

raquoNoch ist ja niemand in Aussicht nicht wahrlaquo ver-setzte Emma der Hoffnung einen Daumlmpfer

Ihre Mutter schien damit zufrieden zu sein raquoSchoumln dann beeil dich wir brechen gleich auflaquo

Sie und Leopold fuhren in der Regel gemeinsam los und Leopold lieszlig dann den Wagen fuumlr sie im Werk und kehrte puumlnktlich zum Buumlroschluss mit der Bahn nach Hause zu-ruumlck Das tat er vermutlich vor allem aus dem Grund weil er den Abstand brauchte

raquoIch habe uumlbrigens gehoumlrt dass Marion in der Chariteacute aufhoumlrtlaquo erzaumlhlte Emma als sie auf der Ruumlckbank des Wagens Platz genommen hatte

raquoWelche Marionlaquo fragte ihre Mutter und Emma haumltte gerne gewusst ob sie das wirklich nicht wusste

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raquoUnsere CousinelaquoraquoUnd warum sollte es mich interessieren was diese Per-

son tutlaquoraquoWeil sie deine Nichte ist moumlglicherweiselaquoVon hinten konnte Emma das Schulterzucken sehenraquoAuf jeden Fall heiszligt es sie wollte in das Unternehmen

von Tante Helena einsteigenlaquo Mit einiger Befriedigung bemerkte Emma dass ihre Mutter bei dieser persoumlnlichen Bezeichnung kaum merklich zusammenzuckte

raquoIn der TatlaquoraquoSie hat einige Semester Chemie studiert das hatte ich

doch erzaumlhltlaquoraquoJa hattest du Auch dass sie es mit deinem Chemie-

professor getrieben hatlaquoraquoMutterlaquo kam es von LeopoldraquoDas habe ich nie gesagtlaquo Emma lehnte sich vor als

koumlnne sie ihren Worten damit mehr Nachdruck verleihen raquoIch sagte sie gehen miteinander auslaquo

raquoWenn sie nach ihrer Mutter kommt gibt es das eine nicht ohne das andere Gerne auch zum Nachteil der eigenen Familie Sind deine Noten bei besagtem Profes-sor nicht danach schlechter gewordenlaquo

raquoDas war bei Professor Guenther nicht bei Professor Hellweg mit dem Marion aus war Meine Guumltelaquo Emma hatte langsam genug Dieser sture verbohrte Zorn ihrer Mutter war nicht mehr zu ertragen Mit Ende vierzig konnte sie sich auf jeden Fall noch nicht mit Altersstarr-sinn herausreden raquoHoumlr zu wenn das hier jeden Morgen der Beginn meines Arbeitstages wird sag es direkt dann reicht mir der einmalige Ausflug in dein Unternehmen

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und ich bewerbe mich morgen beim Pharmaunternehmen Lichtenthallaquo

Ihre Mutter fuhr herum raquoDas wagst du nichtlaquoraquoLass es gerne darauf ankommenlaquoLange sah ihre Mutter sie an dann zuckte es um ihre

Lippen Widerspruchsgeist gefiel ihr und sie schien auf einmal versoumlhnt Emma wuumlrde bleiben wuumlrde es allein um Leopolds willen tun Vielleicht wuumlrde es leichter fuumlr ihn mit ihr an seiner Seite

Das ehemalige Werksgelaumlnde hatte in Berlin-Oberschouml-neweide gestanden aber sie waren noch vor dem Krieg um-gezogen was sich als richtige Entscheidung erwiesen hatte wenngleich zu der Zeit noch niemand hatte wissen koumlnnen dass dieser Stadtteil unter sowjetische Verwaltung gestellt werden wuumlrde Das jetzige Werk stand in Berlin-Tempel-hof im Amerikanischen Sektor und hatte im Krieg ebenfalls gelitten Sie fuhren durch das Tor und Leopold parkte den Wagen auf der dafuumlr vorgesehenen Flaumlche auf der weitere Autos Motorraumlder und Mopeds standen

Ihre Mutter begleitete sie bis in die Etage in der sich die Raumlumlichkeiten der Geschaumlftsfuumlhrung befanden dann ging sie in ihr Buumlro waumlhrend Emma Leopold in seines be-gleitete

raquoWeiszligt dulaquo sagte er als er auf einen der Stuumlhle wies raquodu musst das nicht tunlaquo

raquoWas meinst dulaquo Emma lieszlig sich auf der Besucherseite seines Schreibtischs nieder

raquoDas weiszligt du genau Mich hierher zu begleiten ob-wohl du nie im Sinn hattest in der Firma zu arbeiten Du musst mich nicht vor Mutter beschuumltzenlaquo

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raquoDas tue ich doch gar nichtlaquoLeopold antwortete nicht ging nur zur Tuumlr oumlffnete sie

und rief in das gegenuumlberliegende Zimmer der beiden Sekretaumlrinnen dass man ihm und seiner Schwester bitte Kaffee bringen moumlge raquoEs war nie dein Plan hier zu ar-beitenlaquo

raquoPlaumlne koumlnnen sich aumlndernlaquoraquoVon einem Tag auf den anderenlaquoraquoJa warum denn nicht Und wer sagt uumlberhaupt dass

es so abrupt war Vielleicht denke ich ja schon laumlnger da-ruumlber nach und habe dir einfach noch nichts erzaumlhltlaquo Emma zog einen Bleistift aus dem Stiftebecher und drehte ihn zwischen den Fingern raquoUumlbrigens hat mir Dominik Lichtenthal ein Stellenangebot gemachtlaquo Gespannt be-obachtete sie Leopolds Reaktion

raquoWannlaquoraquoIch bin ihm mal abends beim Spaziergang begegnetlaquoraquoUnd da hat er dir ndash ohne dich und deine Befaumlhigung

so recht zu kennen ndash eine Stelle angebotenlaquoraquoWir haben uns kurz unterhalten und er weiszlig dass ich

Chemie studiere Da meinte er wenn ich nicht fuumlr Mutter arbeiten wolle solle ich mich bei ihm melden er koumlnne faumlhige Chemiker immer gebrauchenlaquo

raquoMutter enterbt dich wenn du das tustlaquoraquoDas waumlre nicht so schlimm denn dann erbst du alles

und wirst mir meinen Teil einfach auszahlenlaquoraquoIst das solaquoraquoNatuumlrlichlaquo Emma zog ihre Zigaretten hervorraquoDu willst doch wohl hier nicht rauchenlaquoAnstelle einer Antwort steckte sie sich eine Zigarette

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zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

bei Lichtenthal in Aussicht und einem groszligzuumlgigen Bru-der der dir deinen Erbanteil abtrittlaquo

Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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raquoIch denke da tatsaumlchlich schon eine ganze Zeit lang druumlber nachlaquo

raquoUnd was willst du stattdessen tun In die Pharmazielaquo Offenbar erinnerte er sich gerade an die paar Semester Che-mie die sie nebenher studiert und waumlhrend derer sie eine kurze Liaison mit einem Chemieprofessor gehabt hatte

raquoNein auch das nichtlaquo Die Kenntnisse in Chemie waren indes durchaus zu etwas gut raquoIch moumlchte bei Mama mitarbeitenlaquo

Unglaumlubig sah ihr Vater sie an raquoDu hast ein komplettes Medizinstudium mit hervorragenden Noten abgeschlos-sen und dann sieht deine Berufswahl so aus Frauen Farbe ins Gesicht zu malenlaquo

Marion musste lachen raquoLass das bloszlig nie Mama houmlren Du weiszligt doch genau dass Kosmetik mehr ist als Frauen Farbe ins Gesicht zu malen Mich interessiert medizini-sche Kosmetik Wie du siehst ist mein Studium nicht vergebens gewesenlaquo

raquoDu kannst doch in die Dermatologie gehenlaquoraquoJa koumlnnte ich Ich koumlnnte aber auch in die Forschung

gehen und medizinische Kosmetik entwickelnlaquoraquoDu koumlnntest auch bei mir in die pharmazeutische For-

schung gehenlaquoraquoDas geht doch Hand in Hand Paps Ich weiszlig dass du

sicher enttaumluscht bist aber helliplaquoraquoNeinlaquo fiel er ihr ins Wort raquoIch bin nicht enttaumluscht

Es ging mir nie darum dass du meine Erwartungen er-fuumlllst sondern stets nur deine eigenen Ich gestehe ich war gluumlcklich als du mir eroumlffnet hast dass du Aumlrztin werden willst aber letzten Endes ist mir am wichtigsten dass du

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zufrieden bist mit dem was du tust Ich bitte dich nur die Entscheidung zu uumlberdenkenlaquo

raquoDu kannst davon ausgehen dass ich das getan habe Ich habe lange und gruumlndlich daruumlber nachgedachtlaquo

raquoWeiszlig deine Mutter bereits davonlaquoraquoNein ich bin zuerst zu dir gekommenlaquoIhr Vater nickte zog seine Zigaretten hervor und

steckte eine an raquoSie wird sich freuen dass du mit ihr zu-sammenarbeiten wirst Und die Taumltigkeit als Aumlrztin laumluft dir ja nicht davon du hast ein abgeschlossenes Studium und kannst jederzeit deinen Facharzt machen wenn du merkst dass das vielleicht doch nicht das Richtige fuumlr dich ist Dir ist aber klar dass du mit medizinischer Kosmetik in Konkurrenz zu deiner Tante Charlotte trittstlaquo

raquoJa durchaus Aber wie sagst du immer Konkurrenz belebt das Geschaumlftlaquo Mit ihrer Tante hatte Marion nur selten Kontakt Auf Feiern lief man sich hin und wieder uumlber den Weg aber damit erschoumlpfte es sich auch schon Im Grunde war das bedauerlich denn Charlottes Tochter Emma war ganz reizend und Marion hatte schon einige interessante Unterhaltungen mit ihr gefuumlhrt wenn sie sich denn mal begegnet waren Auch Emmas Bruder Leopold war sehr freundlich und umgaumlnglich wenngleich er seit dem Krieg verschlossen und in sich gekehrt wirkte Im letzten Jahr hatte er noch an die Front gemusst der arme Kerl Da war sein Vater gerade gestorben und Leopold hatte nicht nur den Verlust zu verkraften gehabt sondern war selbst in dem unheilvollen Mahlwerk des Krieges auf-gerieben worden

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Emma Rudorf saszlig mit einem Buch in der Hand im Wohn-zimmer und houmlrte ihren Bruder heimkommen Den gan-zen Tag war Leopold im Werk von Dr Rudorfs medizi-nische Kosmetik gewesen und an seinem schleppenden Schritt houmlrte Emma wie erschoumlpft er sein musste Ver-mutlich hatte er wieder mit Mutter gestritten und bei dem Gedanken daran wie diese ihm zusetzte packte sie die Wut Sie legte ihr Buch beiseite und stand auf ging in den Flur wo sich Leopold gerade die Schuhe auszog Er sah ihrem Vater aumlhnlich hatte zwar dunkleres Haar aber seine Gesichtszuumlge und er wirkte mit der Brille ein wenig professorenhaft

Als er Emma bemerkte laumlchelte er raquoWie gehtrsquoslaquo fragte er mit gespielter Munterkeit

raquoGut Und dirlaquoraquoViel zu tun Und bei dir Wie war die KlausurlaquoraquoIch denke ich habe bestandenlaquo Emma wuumlrde im

naumlchsten Sommer ihr Chemiestudium abschlieszligenraquoEtwas anderes habe ich auch nicht erwartetlaquoraquoIch habe Abendessen gemacht Kommt Mama auch

gleichlaquoraquoNein sie meinte sie haumltte noch viel zu tunlaquoWie immer Fuumlr Charlotte Rudorf gab es seit dem Tod

ihres Mannes nur noch das Werk sie arbeitete wie beses-sen als koumlnnte das den Schmerz des Verlustes betaumluben Emma hatte sich so oft gewuumlnscht sie wuumlrde daruumlber nicht staumlndig vergessen dass sie zwei Kinder hatte und sich nur dann an sie erinnern wenn es etwas auszusetzen gab Vor allem Leopold war ihr ein fortwaumlhrendes Aumlrgernis

raquoDu warst ein Jahr im Krieglaquo pflegte sie zu sagen

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raquound du bist in einem Stuumlck zuruumlckgekommen Wie lange willst du noch in Truumlbsal versinken anstatt endlich wieder mit beiden Beinen im Leben zu stehenlaquo

Was ihre Mutter Truumlbsal nannte war eine tiefe innere Wunde die der Krieg geschlagen hatte und Emma fragte sich warum sie diese sehen konnte nicht aber die Frau die ihn geboren hatte Dann kamen wieder diese Geschich-ten uumlber all die Kriegsheimkehrer die es auch schafften ihr Leben in den Griff zu bekommen obwohl sie deutlich laumlnger im Krieg aufgerieben worden waren Wie schlimm konnte da das eine Jahr schon gewesen sein Einzig fuumlr Emmas Albtraumlume durch die Bombardierung hatte sie Verstaumlndnis denn diese war zu der Zeit gerade vierzehn Jahre alt gewesen Da spielte wohl auch die Erinnerung mit hinein wie Emma an sie geschmiegt im Keller ge-sessen und gewartet hatte bis die Bombardierung vorbei war waumlhrend sie beide Angst gehabt hatten dass Leopold vielleicht schon tot war

raquoIsst du mit mir zu Abendlaquo fragte er nunraquoKlar ich habe auf dich gewartetlaquoLeopold wuumlrde im Juli vierundzwanzig werden und hatte

sein Pharmaziestudium im letzten Jahr abgeschlossen Er haumltte lieber Maschinenbau studiert war schon seit Kinder-tagen davon fasziniert gewesen Aber es war klar gewesen dass er das Familienwerk erben wuumlrde Allenfalls haumltte er noch Arzt werden koumlnnen um die Praxis ihres Vaters zu uumlbernehmen die nun ein anderer Arzt gemietet hatte

Da sie nur zu zweit waren aszligen sie zwanglos in der Kuumlche und Leopold deckte den Tisch waumlhrend Emma den Brotkorb Butter Kaumlse und Aufschnitt hinstellte und alles

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in den Dosen belieszlig was ihre Mutter stets als mangelnde Esskultur bezeichnete Emma hingegen war es zu viel Auf-wand jetzt alles auf Tellern anzuordnen nur um dann das meiste wieder zuruumlckzufuumlllen und wegzuraumlumen und mehr zum Abspuumllen zu haben Sie lieszlig sich ihrem Bruder gegen-uumlber am Tisch nieder Im Gegensatz zu ihrer Mutter hatte Emma bislang keine groszligen beruflichen Ambitionen ge-habt sie studierte Chemie allein aus dem Grund weil es sie interessierte aber sie hatte keine konkreten Plaumlne da-ruumlber hinaus ndash ein staumlndiges Aumlrgernis fuumlr Charlotte Ru-dorf Emmas Plan war gewesen zum Zeitvertreib etwas zu studieren das ihr Spaszlig machte und danach zu heiraten Im Laufe des Studiums hatte sich ihr Interesse allerdings ge-wandelt In der Fakultaumlt war sie hin und wieder ihrer Cou-sine Marion uumlber den Weg gelaufen die mit einem von Emmas Professoren ausgegangen war und sie fand sie glei-chermaszligen interessant wie inspirierend Sie hatte sogar kurz mit dem Gedanken gespielt sich im Pharmakonzern Lich-tenthal zu bewerben aber da haumltte vermutlich eine Andeu-tung gereicht und ihre Mutter waumlre die Waumlnde hochge-gangen Mit ihrer Schwester Helena hatte sie sich schon vor Jahren entzweit und eine Annaumlherung war nicht in Sicht

Beim Essen plauderten sie uumlber Allgemeines Leopold zog sie mit einem Dozenten auf von dem sie ndash seiner Mei-nung nach ndash verdaumlchtig oft sprach Daraufhin erinnerte sie an die Verkaumluferin aus dem KaDeWe mit der er fortwaumlh-rend ausging ohne dass die Sache von der Stelle kam Spauml-ter raumlumten sie zusammen ab erledigten den Abwasch und wollten gerade ins Wohnzimmer gehen um das Radio ein-zuschalten als ihre Mutter die Wohnungstuumlr aufschloss

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raquoGuten Abendlaquo Charlotte Rudorf sah muumlde aus und Emma ging zu ihr um ihr den Mantel abzunehmen und ihn an die Garderobe zu haumlngen

raquoSoll ich das Abendessen wieder auf den Tisch stellenlaquo fragte Emma

raquoNein lass nur ich habe im Werk eine Kleinigkeit ge-gessenlaquo

So war es fast jeden Abend im Grunde genommen aszligen sie nur noch am Wochenende regelmaumlszligig zusammen und fanden sich ansonsten morgens zu einem raschen Fruumlh-stuumlck in der Kuumlche ein Ihre Mutter wechselte einen kur-zen Blick mit Leopold aus dem klar ersichtlich wurde dass die beiden noch vor gar nicht langer Zeit gestritten hatten ndash ganz so wie von Emma vermutet Nun jedoch zeigte sich ein zoumlgerliches Laumlcheln auf den Lippen Char-lotte Rudorfs und auch das war typisch Zum Abend hin legte sie Streit gerne bei mochte es nicht unversoumlhnt schlafen zu gehen

Im Wohnzimmer schalteten sie das Radio ein Emma houmlrte nur mit halbem Ohr hin und hatte ihr Buch wie-der aufgeschlagen war aber auch hier nicht bei der Sache Schlieszliglich gab sie es auf und beschloss noch ein wenig spazieren zu gehen

raquoUm diese Uhrzeitlaquo fragte ihre Mutter die gerade mit einer Tasse Kraumlutertee ins Wohnzimmer trat

raquoEs ist kurz nach achtlaquoNun blickte auch Leopold auf sah sie an als witterte er

hinter ihrem Wunsch eine tiefere WahrheitraquoEs ist nur ein Spazierganglaquo sagte sie und haumltte am

liebsten die Augen verdreht raquoMir geht so viel im Kopf

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herum und ich kann meine Gedanken beim Gehen am besten sortierenlaquo

raquoWie war eigentlich deine Klausurlaquo wollte ihr Mut-ter nun wissen

raquoGut denke ichlaquo Emma ging in den Flur nahm einen leichten Mantel vom Haken legte sich einen Seidenschal um und warf noch einen kurzen Blick in den Spiegel Seit kurzem trug sie ihr hellbraunes Haar knapp schulterlang und in groszlige Locken gelegt die sie mit einer Spange seit-lich zuruumlckhielt Jetzt zupfte sie ein wenig daran herum bis sie schlieszliglich zufrieden war und verlieszlig die Wohnung Sie wohnten in der ersten Etage direkt uumlber der Arztpraxis die Wohnung im zweiten Stock stand derzeit leer Fruumlher einmal hatte Emmas Groszligmutter dort gewohnt aber sie lebte bereits seit fast dreiszligig Jahren bei ihrer Tochter erst in Hamburg und seit kurz vor dem Krieg in Muumlnchen da der Ehemann von Emmas Tante dorthin versetzt worden war Leider kam sie nur noch selten zu Besuch da lange Reisen sie zu sehr anstrengten Emma bedauerte das denn sie mochte ihre Groszligmutter die auch mit achtzig noch ruumlstiger und scharfsinniger war als manch junge Frau die Emma kannte

Es daumlmmerte bereits und die langen Schatten des spauml-ten Nachmittags waren ineinandergekrochen verdichte-ten sich langsam und entfaumlrbten den Tag zu einem lich-ten Grau Seit zwei Jahren stellte man die Uhren nicht mehr zur Sommerzeit um und anfangs war es ungewohnt gewesen dass die Sommertage nun um eine Stunde kuumlr-zer waren aber man gewoumlhnte sich daran Waumlhrend des Krieges hatte es eine Zeit gegeben in der fortwaumlhrend

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Sommerzeit gegolten hatte und man die Uhren uumlberhaupt nicht mehr umstellte irgendwann war ein konzeptloses Wechseln erfolgt Dann war die Regelung durch die Besat-zungsmaumlchte wieder geaumlndert worden und sie bestimm-ten eine Umstellung auf die Sommerzeit ndash wobei diese in der sowjetischen Besatzungszone Berlins 1945 ganze zwei Monate laumlnger gedauert hatte Jetzt endlich hatte die Regierung sich auf eine einheitliche Zeit festgelegt die fuumlr das gesamte Jahr galt ndash die Ruumlckkehr zur Normalzeit Emma hoffte dass das so blieb

Als sie durch die Straszlige spazierte hier und da einen heimkehrenden Nachbarn oder Bekannten gruumlszligte ndash die Tochter des Herrn Doktor kannte man im gesamten Vier-tel ndash fiel ihr ein Mann auf der gerade ein Haus verlieszlig sich noch einmal umdrehte einem weiteren Mann der in der offenen Tuumlr stand etwas sagte und dann durch den Vorgarten schritt und auf sein Auto zuging Dominik Lichtenthal Emma blieb stehen sah ihn an wusste nicht ob sie zu ihm gehen und houmlflich gruumlszligen oder ihn ignorie-ren sollte Er nahm ihr die Entscheidung ab als er sie be-merkte kurz stutzte als muumlsste er ihr Gesicht erst einem Namen zuordnen und sie dann anlaumlchelte

raquoGuten Abend Emma Wie geht es dirlaquoSie ging auf ihn zu raquoSehr gut vielen Danklaquo Sie wusste

nie so recht ob sie ihn duzen sollte oder nicht denn einer-seits war er ein Fremder andererseits aber der Ehemann ihrer Tante und damit praktisch ihr Onkel

raquoIch habe gehoumlrt du studierst ChemielaquoraquoJa ich werde diesen Sommer fertiglaquoraquoUnd dann geht es in den Konzern deiner Mutterlaquo

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Unschluumlssig hob Emma die Schultern raquoAch das weiszlig ich noch gar nichtlaquo

Dominik Lichtenthal schloss seinen Wagen auf raquoWenn du dich lieber auf dem freien Markt umsehen moumlchtest sag Bescheid ich kann faumlhige Chemiker immer gebrau-chenlaquo

Es war schon fast skurril dass Emma diesen Gedanken erst vor kurzem gehegt hatte und ihn nun ausgesprochen houmlrte Da sie nicht rundheraus ablehnen wollte dankte sie ihm und nachdem sie ihm gesagt hatte er moumlge seine Familie von ihr gruumlszligen stieg er in seinen Wagen und fuhr los Im Grunde genommen war das doch albern dass ihre Mutter immer noch nichts mit ihrer Schwester zu tun haben wollte Emma kannte die alte Geschichte und natuumlr lich war es hart auf einen Schlag sein gesam-tes Erbe zu verlieren und die unvermittelt aufgetauchte fremde Schwester als einzige Gewinnerin in dieser Situa-tion zu sehen aber das Ganze war jetzt gut fuumlnfundzwan-zig Jahre her irgendwann musste es doch mal gut sein Und es war ja nun wahrlich nicht so als wuumlrde der Besitz des Hauses in der Friedrichstraszlige noch einen nennenswer-ten Unter schied im Vermoumlgen ihrer Mutter machen Im Gegenteil ndash waumlre sie dort geblieben haumltte sie es vielleicht nie so weit gebracht

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Juni 1952

Die einstmals goldene Zeit merkte man der ehemaligen Amuumlsiermeile auf der Friedrichstraszlige nicht mehr an und Helena verspuumlrte jedes Mal beim Besuch ihres Schoumlnheits-salons diesen Stich des Bedauerns Als sie in den Zwan-zigern hier angekommen war hatte das Leben pulsiert mit Autos Bussen Bahnen Fuszliggaumlngern Radfahrern und noch vereinzelten Droschken Die Kreuzung an der Leip-ziger Straszlige war ein so verkehrsreicher Knotenpunkt ge-wesen dass es fuumlr die aus der Provinz stammende Helena anfangs schon eine Herausforderung gewesen war lebend von einer Straszligenseite auf die andere zu gelangen

Nach dem Krieg war die Straszlige eine von Ruinen ge-saumlumte Schuttwuumlste geworden und auch wenn die Truumlm-mer in weiten Teilen fortgeraumlumt waren so erinnerte doch nur wenig an fruumlher Helena hatte mehrfach uumlberlegt den Schoumlnheitssalon einfach aufzugeben aber das brachte sie nicht uumlber sich Vielleicht normalisierte sich hier ja alles irgendwann wieder das konnte doch nicht ewig so blei-ben Ihr Schoumlnheitssalon in der Friedrichstraszlige befand sich im Amerikanischen Sektor der in Berlin-Mitte gehoumlrte nun zur DDR ihr Werk wiederum zum Franzoumlsischen

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Sektor Dominiks sowie ihr Wohnsitz lagen im Britischen Sektor Das war doch auf Dauer kein Zustand Den Salon in Berlin-Mitte hatte sie aufgeben muumlssen und sie sah sich bereits nach Alternativen um

Als Helena in den Salon trat kam ihr Ida ndash fruumlher Wag-ner jetzt Zeller ndash entgegen raquoKaffeelaquo

raquoUnbedingtlaquo Helena haumlngte ihren Mantel an die Gar-derobe und betrat den Salon Es war noch fruumlh und sie wuumlrden erst in einer halben Stunde oumlffnen Ida hatte schon in den Dreiszligigern die Leitung des Salons uumlbernommen als Helena damit beschaumlftigt gewesen war einen weiteren in Berlin-Mitte zu eroumlffnen

raquoWie geht es den MaumldchenlaquoHelena setzte sich in einen der bequemen Besucher-

stuumlhle wo die Frauen sich bei einer Tasse Kaffee oder Tee und etwas Gebaumlck entspannen konnten raquoMarion faumlngt bei mir im Werk an der Termin steht jetztlaquo Das war Schock und freudige Uumlberraschung zugleich gewesen und Helena wusste selbst nicht ob ihre Bestuumlrzung oder ihre Freude uumlberwog Natuumlrlich hatte sie gehofft dass Marion als Aumlrztin praktizierte immerhin hatte sie stu-diert und damit ein klares Ziel vor Augen gehabt Ande-rerseits freute es sie dass ihre Tochter Interesse an ihrem Unternehmen zeigte ndash und nicht an Dominiks wie eine kleine nicht zu unterdruumlckende Stimme des Triumphs in ihr betonte raquoUnd Fanny schlieszligt das Schuljahr mit sehr guten Noten ablaquo

raquoMathematik macht ihr wieder SpaszliglaquoraquoNachdem Ferdinands Ehefrau es ihr erklaumlrt hat was

ihr unfaumlhiger Lehrer offenbar nicht hinbekommtlaquo Fer-

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dinand war der Patenonkel beider Toumlchter und seine Frau eine begabte Mathematikerin

Die Schwangerschaft mit Fanny hatte Helena seinerzeit einen gehoumlrigen Schrecken eingejagt All die Jahre hatte sie es erfolgreich vermieden zu empfangen und dann als die Welt am Abgrund stand kuumlndigte sich neues Leben an Schlimm genug mitanzusehen wie Marion bereits in der Schule darauf vorbereitet wurde in den BDM einzu-treten da wollte sie diesem System nicht noch ein Kind schenken Es war Rudolf Liliengrund gewesen dem Fanny es zu verdanken hatte dass Helena keinen Abbruch hatte vornehmen lassen

raquoGerade in diesen Zeiten sollten die Anstaumlndigen sich vermehrenlaquo

Ihr lieber Rudolf der seine gesamte Familie verloren und selbst nur knapp und unter Entbehrungen die Flucht geschafft hatte weil er zu lange gezoumlgert geglaubt hatte es wuumlrde alles gut werden Und so hatte Helena Fanny aus-getragen hatte schon in der Schwangerschaft eine so innige Beziehung zu dem Kind gehabt wie sie es sich nicht hatte vorstellen koumlnnen Es war ganz anders als mit Marion zu der sie erst eine enge Bindung hatte aufbauen koumlnnen als diese bereits ein Kleinkind gewesen war Waumlhrend Marion von Geburt an ein Papakind war so war Fanny von Geburt an ganz und gar ihre Tochter Helena hatte sie sogar mit zur Arbeit genommen weil sie sich nicht von ihr trennen mochte hatte sie im Buumlro gestillt und in der Wiege neben sich schlafen lassen Undenkbar dieses Baby jemand ande-rem anzuvertrauen Dabei liebte sie Marion nicht weniger und sie verstand auch im Nachhinein nicht warum sie bei

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beiden Kindern schon in der Schwangerschaft so unter-schiedlich empfunden hatte

raquoDu solltest endlich aufhoumlren das zu hinterfragenlaquo hatte ihre beste Freundin Irene Danelius gesagt raquoEs ist jetzt wie es ist Freu dich einfach Gerade jetzt haben wir alle wahrhaftig Probleme genug da muss man nicht auch noch welche hinzuredenlaquo

Als im November 1938 die Synagogen brannten hatte Irene das Land verlassen raquoIch komme zuruumlck wenn der Irrsinn vorbei istlaquo hatte sie gesagt und war nach Amerika gegangen Dort war sie zur Filmgroumlszlige geworden hatte einen bekannten Produzenten geheiratet und lebte nach wie vor in den Vereinigten Staaten Helena vermisste sie immer noch sehr und war auch schon einmal mit ihrer Familie in New York gewesen um sie zu besuchen

raquoFahrt ihr diesen Sommer weglaquo fragte Ida und setzte sich nun ebenfalls

raquoAuf jeden Fall fuumlr zwei Wochen zu meiner Mutter Und von da aus vielleicht weiter in Richtung Schweizlaquo Vor allem auf die Zeit bei ihrer Mutter freute sich Helena das waren jedes Mal schoumlne Tage mit all den fruumlheren Freunden und Bekannten sowie mit der Baronin fuumlr die sie und ihre Mutter fruumlher gearbeitet hatten und bei der ihre Mutter nun den Altersruhesitz hatte Fuumlr Helenas Familie standen immer Gaumlstezimmer bereit Ein wenig behandelte man sie dort wie eine Prominente die Dienst-botentochter die es in der Weltmetropole zu etwas ge-bracht hatte mit einem reichen Mann verheiratet war und mit Filmstars verkehrte

Kurz darauf trafen die uumlbrigen Mitarbeiterinnen ein

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und dann kamen auch schon die ersten Kundinnen Helena unterhielt sich mit einigen der Damen beriet hier und da persoumlnlich und machte sich dann auf den Weg ins Werk Unmittelbar nach dem Krieg war es schwierig gewesen die Rohstoffe fuumlr die Produktion von Kosmetik aufzutrei-ben vielfach waren sie nur zu Schwarzmarktpreisen zu be-kommen Viele Rohstoffe wurden in der Pharmaindustrie dringender benoumltigt und natuumlrlich hatte die medizini-sche Versorgung Vorrang vor der kosmetischen Gerade nach dem Krieg hatten sie alle andere Sorgen gehabt wes-halb Helenas Werk voruumlbergehend die Produktion um-stellte und der chemischen Industrie zuarbeitete waumlhrend die Schoumlnheitssalons Obdachlosen offenstanden Erst vier Jahre nach Kriegsende als der Hungerwinter vorbei war und die Menschen durch die Waumlhrungsreform wieder uumlber Geld verfuumlgten hatte Helena Kosmetikherstellung und Schoumlnheitsbehandlungen wieder aufgenommen

Im Werk ging Helena direkt in ihr Buumlro und sah sich Werbeentwuumlrfe an Sie liebte ihre Arbeit und sie machte ihr nach wie vor Spaszlig allerdings fehlte ihr die Heraus-forderung Die Kosmetik entwickelte sich stetig weiter und mittlerweile war Forschung und Entwicklung eine eigene Abteilung in ihrem Unternehmen Natuumlrlich freute sie sich daruumlber aber sie vermisste die Zeiten in denen sie selbst in ihrer Fertigung gesessen und experimentiert hatte Vielleicht war es wirklich gut dass Marion hier demnaumlchst etwas frischen Wind hereinbringen wuumlrde Wie wohl Charlotte darauf reagierte dass Helena ihr nun Konkurrenz machen wuumlrde

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Emma houmlrte den Streit bis ins Wohnzimmer Ihre Mutter hielt Leopold vor er naumlhme die Arbeit nicht ausreichend ernst und bringe sich zu wenig ein Wie er bei dem Ge-schaumlftstermin am Vortag nur dagesessen und auf einmal zu zittern begonnen habe Wenn es nicht anders ging dann solle er eben seine Medikamente wieder nehmen Und ndash verdammt noch mal ndash endlich mehr Nervenstaumlrke zei- gen

Auch an diesem Morgen hatte es schon wieder damit begonnen dass Leopold beim Fruumlhstuumlck sehr still gewe-sen war was fuumlr Emma immer ein Zeichen fuumlr schlimme Traumlume war Auf Ausfuumlhrungen ihrer Mutter zu dem heu-tigen Arbeitstag hatte er nur genickt was diese wiederum zu dem Schluss kommen lieszlig dass er sich nur unzurei-chend interessierte Uumlberhaupt habe er keine innovativen Ideen arbeite den Tag ab ohne echtes Interesse zu zeigen an dem was er tat Irgendwann war ein handfester Streit ausgebrochen der auch dann noch anhielt als Emma das Esszimmer verlassen hatte und nun in der Kuumlche den Ab-wasch machte Schlieszliglich hielt sie es nicht mehr aus lief ins Esszimmer zuruumlck

raquoWas willst du eigentlichlaquo fuhr sie ihre Mutter an raquoEr tut doch alles was er solllaquo

raquoEmma lass nurlaquo sagte Leopold raquoIch mache helliplaquoraquoNein ich lasse es nicht Koumlnnen wir nicht mal einen

Morgen friedlich verbringen wie andere Familien auch Muss hier immer den ganzen Tag uumlber Streit herrschen und abends gehen wir dann versoumlhnt schlafen Wozu Um am naumlchsten Tag wieder loszulegen Das ist doch nicht mehr auszuhaltenlaquo

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raquoWie redest du eigentlich mit mirlaquo Die Stimme ihrer Mutter war ganz kalt geworden bar jeder Emotion

raquoIch helliplaquo Die aufbrausende Wut fiel von Emma ab und sie wusste nicht mehr was sie nun sagen sollte raquoIch hellip ich habe heute keine Uni und wollte ohnehin fragen ob ich mit ins Werk kannlaquo Der Einfall war ihr gerade erst ge-kommen raquoIch koumlnnte Leo zuarbeiten und so schon einmal Einblicke bekommenlaquo

Die frostglitzernde Wut im Blick ihrer Mutter schmolz zu Uumlberraschung raquoAch waslaquo

raquoIch habe mir lange uumlberlegt was ich mit meinem Che-miestudium machelaquo

raquoHeiszligt das es steht nicht zu erwarten dass du dich nun nach einer passenden Partie umsiehstlaquo Fuumlr jemanden der selbst gluumlcklich verheiratet gewesen war zeigte ihre Mut-ter eine sehr ablehnende Haltung zu Emmas Eheplaumlnen

raquoNoch ist ja niemand in Aussicht nicht wahrlaquo ver-setzte Emma der Hoffnung einen Daumlmpfer

Ihre Mutter schien damit zufrieden zu sein raquoSchoumln dann beeil dich wir brechen gleich auflaquo

Sie und Leopold fuhren in der Regel gemeinsam los und Leopold lieszlig dann den Wagen fuumlr sie im Werk und kehrte puumlnktlich zum Buumlroschluss mit der Bahn nach Hause zu-ruumlck Das tat er vermutlich vor allem aus dem Grund weil er den Abstand brauchte

raquoIch habe uumlbrigens gehoumlrt dass Marion in der Chariteacute aufhoumlrtlaquo erzaumlhlte Emma als sie auf der Ruumlckbank des Wagens Platz genommen hatte

raquoWelche Marionlaquo fragte ihre Mutter und Emma haumltte gerne gewusst ob sie das wirklich nicht wusste

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raquoUnsere CousinelaquoraquoUnd warum sollte es mich interessieren was diese Per-

son tutlaquoraquoWeil sie deine Nichte ist moumlglicherweiselaquoVon hinten konnte Emma das Schulterzucken sehenraquoAuf jeden Fall heiszligt es sie wollte in das Unternehmen

von Tante Helena einsteigenlaquo Mit einiger Befriedigung bemerkte Emma dass ihre Mutter bei dieser persoumlnlichen Bezeichnung kaum merklich zusammenzuckte

raquoIn der TatlaquoraquoSie hat einige Semester Chemie studiert das hatte ich

doch erzaumlhltlaquoraquoJa hattest du Auch dass sie es mit deinem Chemie-

professor getrieben hatlaquoraquoMutterlaquo kam es von LeopoldraquoDas habe ich nie gesagtlaquo Emma lehnte sich vor als

koumlnne sie ihren Worten damit mehr Nachdruck verleihen raquoIch sagte sie gehen miteinander auslaquo

raquoWenn sie nach ihrer Mutter kommt gibt es das eine nicht ohne das andere Gerne auch zum Nachteil der eigenen Familie Sind deine Noten bei besagtem Profes-sor nicht danach schlechter gewordenlaquo

raquoDas war bei Professor Guenther nicht bei Professor Hellweg mit dem Marion aus war Meine Guumltelaquo Emma hatte langsam genug Dieser sture verbohrte Zorn ihrer Mutter war nicht mehr zu ertragen Mit Ende vierzig konnte sie sich auf jeden Fall noch nicht mit Altersstarr-sinn herausreden raquoHoumlr zu wenn das hier jeden Morgen der Beginn meines Arbeitstages wird sag es direkt dann reicht mir der einmalige Ausflug in dein Unternehmen

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und ich bewerbe mich morgen beim Pharmaunternehmen Lichtenthallaquo

Ihre Mutter fuhr herum raquoDas wagst du nichtlaquoraquoLass es gerne darauf ankommenlaquoLange sah ihre Mutter sie an dann zuckte es um ihre

Lippen Widerspruchsgeist gefiel ihr und sie schien auf einmal versoumlhnt Emma wuumlrde bleiben wuumlrde es allein um Leopolds willen tun Vielleicht wuumlrde es leichter fuumlr ihn mit ihr an seiner Seite

Das ehemalige Werksgelaumlnde hatte in Berlin-Oberschouml-neweide gestanden aber sie waren noch vor dem Krieg um-gezogen was sich als richtige Entscheidung erwiesen hatte wenngleich zu der Zeit noch niemand hatte wissen koumlnnen dass dieser Stadtteil unter sowjetische Verwaltung gestellt werden wuumlrde Das jetzige Werk stand in Berlin-Tempel-hof im Amerikanischen Sektor und hatte im Krieg ebenfalls gelitten Sie fuhren durch das Tor und Leopold parkte den Wagen auf der dafuumlr vorgesehenen Flaumlche auf der weitere Autos Motorraumlder und Mopeds standen

Ihre Mutter begleitete sie bis in die Etage in der sich die Raumlumlichkeiten der Geschaumlftsfuumlhrung befanden dann ging sie in ihr Buumlro waumlhrend Emma Leopold in seines be-gleitete

raquoWeiszligt dulaquo sagte er als er auf einen der Stuumlhle wies raquodu musst das nicht tunlaquo

raquoWas meinst dulaquo Emma lieszlig sich auf der Besucherseite seines Schreibtischs nieder

raquoDas weiszligt du genau Mich hierher zu begleiten ob-wohl du nie im Sinn hattest in der Firma zu arbeiten Du musst mich nicht vor Mutter beschuumltzenlaquo

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raquoDas tue ich doch gar nichtlaquoLeopold antwortete nicht ging nur zur Tuumlr oumlffnete sie

und rief in das gegenuumlberliegende Zimmer der beiden Sekretaumlrinnen dass man ihm und seiner Schwester bitte Kaffee bringen moumlge raquoEs war nie dein Plan hier zu ar-beitenlaquo

raquoPlaumlne koumlnnen sich aumlndernlaquoraquoVon einem Tag auf den anderenlaquoraquoJa warum denn nicht Und wer sagt uumlberhaupt dass

es so abrupt war Vielleicht denke ich ja schon laumlnger da-ruumlber nach und habe dir einfach noch nichts erzaumlhltlaquo Emma zog einen Bleistift aus dem Stiftebecher und drehte ihn zwischen den Fingern raquoUumlbrigens hat mir Dominik Lichtenthal ein Stellenangebot gemachtlaquo Gespannt be-obachtete sie Leopolds Reaktion

raquoWannlaquoraquoIch bin ihm mal abends beim Spaziergang begegnetlaquoraquoUnd da hat er dir ndash ohne dich und deine Befaumlhigung

so recht zu kennen ndash eine Stelle angebotenlaquoraquoWir haben uns kurz unterhalten und er weiszlig dass ich

Chemie studiere Da meinte er wenn ich nicht fuumlr Mutter arbeiten wolle solle ich mich bei ihm melden er koumlnne faumlhige Chemiker immer gebrauchenlaquo

raquoMutter enterbt dich wenn du das tustlaquoraquoDas waumlre nicht so schlimm denn dann erbst du alles

und wirst mir meinen Teil einfach auszahlenlaquoraquoIst das solaquoraquoNatuumlrlichlaquo Emma zog ihre Zigaretten hervorraquoDu willst doch wohl hier nicht rauchenlaquoAnstelle einer Antwort steckte sie sich eine Zigarette

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zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

bei Lichtenthal in Aussicht und einem groszligzuumlgigen Bru-der der dir deinen Erbanteil abtrittlaquo

Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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zufrieden bist mit dem was du tust Ich bitte dich nur die Entscheidung zu uumlberdenkenlaquo

raquoDu kannst davon ausgehen dass ich das getan habe Ich habe lange und gruumlndlich daruumlber nachgedachtlaquo

raquoWeiszlig deine Mutter bereits davonlaquoraquoNein ich bin zuerst zu dir gekommenlaquoIhr Vater nickte zog seine Zigaretten hervor und

steckte eine an raquoSie wird sich freuen dass du mit ihr zu-sammenarbeiten wirst Und die Taumltigkeit als Aumlrztin laumluft dir ja nicht davon du hast ein abgeschlossenes Studium und kannst jederzeit deinen Facharzt machen wenn du merkst dass das vielleicht doch nicht das Richtige fuumlr dich ist Dir ist aber klar dass du mit medizinischer Kosmetik in Konkurrenz zu deiner Tante Charlotte trittstlaquo

raquoJa durchaus Aber wie sagst du immer Konkurrenz belebt das Geschaumlftlaquo Mit ihrer Tante hatte Marion nur selten Kontakt Auf Feiern lief man sich hin und wieder uumlber den Weg aber damit erschoumlpfte es sich auch schon Im Grunde war das bedauerlich denn Charlottes Tochter Emma war ganz reizend und Marion hatte schon einige interessante Unterhaltungen mit ihr gefuumlhrt wenn sie sich denn mal begegnet waren Auch Emmas Bruder Leopold war sehr freundlich und umgaumlnglich wenngleich er seit dem Krieg verschlossen und in sich gekehrt wirkte Im letzten Jahr hatte er noch an die Front gemusst der arme Kerl Da war sein Vater gerade gestorben und Leopold hatte nicht nur den Verlust zu verkraften gehabt sondern war selbst in dem unheilvollen Mahlwerk des Krieges auf-gerieben worden

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Emma Rudorf saszlig mit einem Buch in der Hand im Wohn-zimmer und houmlrte ihren Bruder heimkommen Den gan-zen Tag war Leopold im Werk von Dr Rudorfs medizi-nische Kosmetik gewesen und an seinem schleppenden Schritt houmlrte Emma wie erschoumlpft er sein musste Ver-mutlich hatte er wieder mit Mutter gestritten und bei dem Gedanken daran wie diese ihm zusetzte packte sie die Wut Sie legte ihr Buch beiseite und stand auf ging in den Flur wo sich Leopold gerade die Schuhe auszog Er sah ihrem Vater aumlhnlich hatte zwar dunkleres Haar aber seine Gesichtszuumlge und er wirkte mit der Brille ein wenig professorenhaft

Als er Emma bemerkte laumlchelte er raquoWie gehtrsquoslaquo fragte er mit gespielter Munterkeit

raquoGut Und dirlaquoraquoViel zu tun Und bei dir Wie war die KlausurlaquoraquoIch denke ich habe bestandenlaquo Emma wuumlrde im

naumlchsten Sommer ihr Chemiestudium abschlieszligenraquoEtwas anderes habe ich auch nicht erwartetlaquoraquoIch habe Abendessen gemacht Kommt Mama auch

gleichlaquoraquoNein sie meinte sie haumltte noch viel zu tunlaquoWie immer Fuumlr Charlotte Rudorf gab es seit dem Tod

ihres Mannes nur noch das Werk sie arbeitete wie beses-sen als koumlnnte das den Schmerz des Verlustes betaumluben Emma hatte sich so oft gewuumlnscht sie wuumlrde daruumlber nicht staumlndig vergessen dass sie zwei Kinder hatte und sich nur dann an sie erinnern wenn es etwas auszusetzen gab Vor allem Leopold war ihr ein fortwaumlhrendes Aumlrgernis

raquoDu warst ein Jahr im Krieglaquo pflegte sie zu sagen

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raquound du bist in einem Stuumlck zuruumlckgekommen Wie lange willst du noch in Truumlbsal versinken anstatt endlich wieder mit beiden Beinen im Leben zu stehenlaquo

Was ihre Mutter Truumlbsal nannte war eine tiefe innere Wunde die der Krieg geschlagen hatte und Emma fragte sich warum sie diese sehen konnte nicht aber die Frau die ihn geboren hatte Dann kamen wieder diese Geschich-ten uumlber all die Kriegsheimkehrer die es auch schafften ihr Leben in den Griff zu bekommen obwohl sie deutlich laumlnger im Krieg aufgerieben worden waren Wie schlimm konnte da das eine Jahr schon gewesen sein Einzig fuumlr Emmas Albtraumlume durch die Bombardierung hatte sie Verstaumlndnis denn diese war zu der Zeit gerade vierzehn Jahre alt gewesen Da spielte wohl auch die Erinnerung mit hinein wie Emma an sie geschmiegt im Keller ge-sessen und gewartet hatte bis die Bombardierung vorbei war waumlhrend sie beide Angst gehabt hatten dass Leopold vielleicht schon tot war

raquoIsst du mit mir zu Abendlaquo fragte er nunraquoKlar ich habe auf dich gewartetlaquoLeopold wuumlrde im Juli vierundzwanzig werden und hatte

sein Pharmaziestudium im letzten Jahr abgeschlossen Er haumltte lieber Maschinenbau studiert war schon seit Kinder-tagen davon fasziniert gewesen Aber es war klar gewesen dass er das Familienwerk erben wuumlrde Allenfalls haumltte er noch Arzt werden koumlnnen um die Praxis ihres Vaters zu uumlbernehmen die nun ein anderer Arzt gemietet hatte

Da sie nur zu zweit waren aszligen sie zwanglos in der Kuumlche und Leopold deckte den Tisch waumlhrend Emma den Brotkorb Butter Kaumlse und Aufschnitt hinstellte und alles

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in den Dosen belieszlig was ihre Mutter stets als mangelnde Esskultur bezeichnete Emma hingegen war es zu viel Auf-wand jetzt alles auf Tellern anzuordnen nur um dann das meiste wieder zuruumlckzufuumlllen und wegzuraumlumen und mehr zum Abspuumllen zu haben Sie lieszlig sich ihrem Bruder gegen-uumlber am Tisch nieder Im Gegensatz zu ihrer Mutter hatte Emma bislang keine groszligen beruflichen Ambitionen ge-habt sie studierte Chemie allein aus dem Grund weil es sie interessierte aber sie hatte keine konkreten Plaumlne da-ruumlber hinaus ndash ein staumlndiges Aumlrgernis fuumlr Charlotte Ru-dorf Emmas Plan war gewesen zum Zeitvertreib etwas zu studieren das ihr Spaszlig machte und danach zu heiraten Im Laufe des Studiums hatte sich ihr Interesse allerdings ge-wandelt In der Fakultaumlt war sie hin und wieder ihrer Cou-sine Marion uumlber den Weg gelaufen die mit einem von Emmas Professoren ausgegangen war und sie fand sie glei-chermaszligen interessant wie inspirierend Sie hatte sogar kurz mit dem Gedanken gespielt sich im Pharmakonzern Lich-tenthal zu bewerben aber da haumltte vermutlich eine Andeu-tung gereicht und ihre Mutter waumlre die Waumlnde hochge-gangen Mit ihrer Schwester Helena hatte sie sich schon vor Jahren entzweit und eine Annaumlherung war nicht in Sicht

Beim Essen plauderten sie uumlber Allgemeines Leopold zog sie mit einem Dozenten auf von dem sie ndash seiner Mei-nung nach ndash verdaumlchtig oft sprach Daraufhin erinnerte sie an die Verkaumluferin aus dem KaDeWe mit der er fortwaumlh-rend ausging ohne dass die Sache von der Stelle kam Spauml-ter raumlumten sie zusammen ab erledigten den Abwasch und wollten gerade ins Wohnzimmer gehen um das Radio ein-zuschalten als ihre Mutter die Wohnungstuumlr aufschloss

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raquoGuten Abendlaquo Charlotte Rudorf sah muumlde aus und Emma ging zu ihr um ihr den Mantel abzunehmen und ihn an die Garderobe zu haumlngen

raquoSoll ich das Abendessen wieder auf den Tisch stellenlaquo fragte Emma

raquoNein lass nur ich habe im Werk eine Kleinigkeit ge-gessenlaquo

So war es fast jeden Abend im Grunde genommen aszligen sie nur noch am Wochenende regelmaumlszligig zusammen und fanden sich ansonsten morgens zu einem raschen Fruumlh-stuumlck in der Kuumlche ein Ihre Mutter wechselte einen kur-zen Blick mit Leopold aus dem klar ersichtlich wurde dass die beiden noch vor gar nicht langer Zeit gestritten hatten ndash ganz so wie von Emma vermutet Nun jedoch zeigte sich ein zoumlgerliches Laumlcheln auf den Lippen Char-lotte Rudorfs und auch das war typisch Zum Abend hin legte sie Streit gerne bei mochte es nicht unversoumlhnt schlafen zu gehen

Im Wohnzimmer schalteten sie das Radio ein Emma houmlrte nur mit halbem Ohr hin und hatte ihr Buch wie-der aufgeschlagen war aber auch hier nicht bei der Sache Schlieszliglich gab sie es auf und beschloss noch ein wenig spazieren zu gehen

raquoUm diese Uhrzeitlaquo fragte ihre Mutter die gerade mit einer Tasse Kraumlutertee ins Wohnzimmer trat

raquoEs ist kurz nach achtlaquoNun blickte auch Leopold auf sah sie an als witterte er

hinter ihrem Wunsch eine tiefere WahrheitraquoEs ist nur ein Spazierganglaquo sagte sie und haumltte am

liebsten die Augen verdreht raquoMir geht so viel im Kopf

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herum und ich kann meine Gedanken beim Gehen am besten sortierenlaquo

raquoWie war eigentlich deine Klausurlaquo wollte ihr Mut-ter nun wissen

raquoGut denke ichlaquo Emma ging in den Flur nahm einen leichten Mantel vom Haken legte sich einen Seidenschal um und warf noch einen kurzen Blick in den Spiegel Seit kurzem trug sie ihr hellbraunes Haar knapp schulterlang und in groszlige Locken gelegt die sie mit einer Spange seit-lich zuruumlckhielt Jetzt zupfte sie ein wenig daran herum bis sie schlieszliglich zufrieden war und verlieszlig die Wohnung Sie wohnten in der ersten Etage direkt uumlber der Arztpraxis die Wohnung im zweiten Stock stand derzeit leer Fruumlher einmal hatte Emmas Groszligmutter dort gewohnt aber sie lebte bereits seit fast dreiszligig Jahren bei ihrer Tochter erst in Hamburg und seit kurz vor dem Krieg in Muumlnchen da der Ehemann von Emmas Tante dorthin versetzt worden war Leider kam sie nur noch selten zu Besuch da lange Reisen sie zu sehr anstrengten Emma bedauerte das denn sie mochte ihre Groszligmutter die auch mit achtzig noch ruumlstiger und scharfsinniger war als manch junge Frau die Emma kannte

Es daumlmmerte bereits und die langen Schatten des spauml-ten Nachmittags waren ineinandergekrochen verdichte-ten sich langsam und entfaumlrbten den Tag zu einem lich-ten Grau Seit zwei Jahren stellte man die Uhren nicht mehr zur Sommerzeit um und anfangs war es ungewohnt gewesen dass die Sommertage nun um eine Stunde kuumlr-zer waren aber man gewoumlhnte sich daran Waumlhrend des Krieges hatte es eine Zeit gegeben in der fortwaumlhrend

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Sommerzeit gegolten hatte und man die Uhren uumlberhaupt nicht mehr umstellte irgendwann war ein konzeptloses Wechseln erfolgt Dann war die Regelung durch die Besat-zungsmaumlchte wieder geaumlndert worden und sie bestimm-ten eine Umstellung auf die Sommerzeit ndash wobei diese in der sowjetischen Besatzungszone Berlins 1945 ganze zwei Monate laumlnger gedauert hatte Jetzt endlich hatte die Regierung sich auf eine einheitliche Zeit festgelegt die fuumlr das gesamte Jahr galt ndash die Ruumlckkehr zur Normalzeit Emma hoffte dass das so blieb

Als sie durch die Straszlige spazierte hier und da einen heimkehrenden Nachbarn oder Bekannten gruumlszligte ndash die Tochter des Herrn Doktor kannte man im gesamten Vier-tel ndash fiel ihr ein Mann auf der gerade ein Haus verlieszlig sich noch einmal umdrehte einem weiteren Mann der in der offenen Tuumlr stand etwas sagte und dann durch den Vorgarten schritt und auf sein Auto zuging Dominik Lichtenthal Emma blieb stehen sah ihn an wusste nicht ob sie zu ihm gehen und houmlflich gruumlszligen oder ihn ignorie-ren sollte Er nahm ihr die Entscheidung ab als er sie be-merkte kurz stutzte als muumlsste er ihr Gesicht erst einem Namen zuordnen und sie dann anlaumlchelte

raquoGuten Abend Emma Wie geht es dirlaquoSie ging auf ihn zu raquoSehr gut vielen Danklaquo Sie wusste

nie so recht ob sie ihn duzen sollte oder nicht denn einer-seits war er ein Fremder andererseits aber der Ehemann ihrer Tante und damit praktisch ihr Onkel

raquoIch habe gehoumlrt du studierst ChemielaquoraquoJa ich werde diesen Sommer fertiglaquoraquoUnd dann geht es in den Konzern deiner Mutterlaquo

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Unschluumlssig hob Emma die Schultern raquoAch das weiszlig ich noch gar nichtlaquo

Dominik Lichtenthal schloss seinen Wagen auf raquoWenn du dich lieber auf dem freien Markt umsehen moumlchtest sag Bescheid ich kann faumlhige Chemiker immer gebrau-chenlaquo

Es war schon fast skurril dass Emma diesen Gedanken erst vor kurzem gehegt hatte und ihn nun ausgesprochen houmlrte Da sie nicht rundheraus ablehnen wollte dankte sie ihm und nachdem sie ihm gesagt hatte er moumlge seine Familie von ihr gruumlszligen stieg er in seinen Wagen und fuhr los Im Grunde genommen war das doch albern dass ihre Mutter immer noch nichts mit ihrer Schwester zu tun haben wollte Emma kannte die alte Geschichte und natuumlr lich war es hart auf einen Schlag sein gesam-tes Erbe zu verlieren und die unvermittelt aufgetauchte fremde Schwester als einzige Gewinnerin in dieser Situa-tion zu sehen aber das Ganze war jetzt gut fuumlnfundzwan-zig Jahre her irgendwann musste es doch mal gut sein Und es war ja nun wahrlich nicht so als wuumlrde der Besitz des Hauses in der Friedrichstraszlige noch einen nennenswer-ten Unter schied im Vermoumlgen ihrer Mutter machen Im Gegenteil ndash waumlre sie dort geblieben haumltte sie es vielleicht nie so weit gebracht

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Juni 1952

Die einstmals goldene Zeit merkte man der ehemaligen Amuumlsiermeile auf der Friedrichstraszlige nicht mehr an und Helena verspuumlrte jedes Mal beim Besuch ihres Schoumlnheits-salons diesen Stich des Bedauerns Als sie in den Zwan-zigern hier angekommen war hatte das Leben pulsiert mit Autos Bussen Bahnen Fuszliggaumlngern Radfahrern und noch vereinzelten Droschken Die Kreuzung an der Leip-ziger Straszlige war ein so verkehrsreicher Knotenpunkt ge-wesen dass es fuumlr die aus der Provinz stammende Helena anfangs schon eine Herausforderung gewesen war lebend von einer Straszligenseite auf die andere zu gelangen

Nach dem Krieg war die Straszlige eine von Ruinen ge-saumlumte Schuttwuumlste geworden und auch wenn die Truumlm-mer in weiten Teilen fortgeraumlumt waren so erinnerte doch nur wenig an fruumlher Helena hatte mehrfach uumlberlegt den Schoumlnheitssalon einfach aufzugeben aber das brachte sie nicht uumlber sich Vielleicht normalisierte sich hier ja alles irgendwann wieder das konnte doch nicht ewig so blei-ben Ihr Schoumlnheitssalon in der Friedrichstraszlige befand sich im Amerikanischen Sektor der in Berlin-Mitte gehoumlrte nun zur DDR ihr Werk wiederum zum Franzoumlsischen

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Sektor Dominiks sowie ihr Wohnsitz lagen im Britischen Sektor Das war doch auf Dauer kein Zustand Den Salon in Berlin-Mitte hatte sie aufgeben muumlssen und sie sah sich bereits nach Alternativen um

Als Helena in den Salon trat kam ihr Ida ndash fruumlher Wag-ner jetzt Zeller ndash entgegen raquoKaffeelaquo

raquoUnbedingtlaquo Helena haumlngte ihren Mantel an die Gar-derobe und betrat den Salon Es war noch fruumlh und sie wuumlrden erst in einer halben Stunde oumlffnen Ida hatte schon in den Dreiszligigern die Leitung des Salons uumlbernommen als Helena damit beschaumlftigt gewesen war einen weiteren in Berlin-Mitte zu eroumlffnen

raquoWie geht es den MaumldchenlaquoHelena setzte sich in einen der bequemen Besucher-

stuumlhle wo die Frauen sich bei einer Tasse Kaffee oder Tee und etwas Gebaumlck entspannen konnten raquoMarion faumlngt bei mir im Werk an der Termin steht jetztlaquo Das war Schock und freudige Uumlberraschung zugleich gewesen und Helena wusste selbst nicht ob ihre Bestuumlrzung oder ihre Freude uumlberwog Natuumlrlich hatte sie gehofft dass Marion als Aumlrztin praktizierte immerhin hatte sie stu-diert und damit ein klares Ziel vor Augen gehabt Ande-rerseits freute es sie dass ihre Tochter Interesse an ihrem Unternehmen zeigte ndash und nicht an Dominiks wie eine kleine nicht zu unterdruumlckende Stimme des Triumphs in ihr betonte raquoUnd Fanny schlieszligt das Schuljahr mit sehr guten Noten ablaquo

raquoMathematik macht ihr wieder SpaszliglaquoraquoNachdem Ferdinands Ehefrau es ihr erklaumlrt hat was

ihr unfaumlhiger Lehrer offenbar nicht hinbekommtlaquo Fer-

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dinand war der Patenonkel beider Toumlchter und seine Frau eine begabte Mathematikerin

Die Schwangerschaft mit Fanny hatte Helena seinerzeit einen gehoumlrigen Schrecken eingejagt All die Jahre hatte sie es erfolgreich vermieden zu empfangen und dann als die Welt am Abgrund stand kuumlndigte sich neues Leben an Schlimm genug mitanzusehen wie Marion bereits in der Schule darauf vorbereitet wurde in den BDM einzu-treten da wollte sie diesem System nicht noch ein Kind schenken Es war Rudolf Liliengrund gewesen dem Fanny es zu verdanken hatte dass Helena keinen Abbruch hatte vornehmen lassen

raquoGerade in diesen Zeiten sollten die Anstaumlndigen sich vermehrenlaquo

Ihr lieber Rudolf der seine gesamte Familie verloren und selbst nur knapp und unter Entbehrungen die Flucht geschafft hatte weil er zu lange gezoumlgert geglaubt hatte es wuumlrde alles gut werden Und so hatte Helena Fanny aus-getragen hatte schon in der Schwangerschaft eine so innige Beziehung zu dem Kind gehabt wie sie es sich nicht hatte vorstellen koumlnnen Es war ganz anders als mit Marion zu der sie erst eine enge Bindung hatte aufbauen koumlnnen als diese bereits ein Kleinkind gewesen war Waumlhrend Marion von Geburt an ein Papakind war so war Fanny von Geburt an ganz und gar ihre Tochter Helena hatte sie sogar mit zur Arbeit genommen weil sie sich nicht von ihr trennen mochte hatte sie im Buumlro gestillt und in der Wiege neben sich schlafen lassen Undenkbar dieses Baby jemand ande-rem anzuvertrauen Dabei liebte sie Marion nicht weniger und sie verstand auch im Nachhinein nicht warum sie bei

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beiden Kindern schon in der Schwangerschaft so unter-schiedlich empfunden hatte

raquoDu solltest endlich aufhoumlren das zu hinterfragenlaquo hatte ihre beste Freundin Irene Danelius gesagt raquoEs ist jetzt wie es ist Freu dich einfach Gerade jetzt haben wir alle wahrhaftig Probleme genug da muss man nicht auch noch welche hinzuredenlaquo

Als im November 1938 die Synagogen brannten hatte Irene das Land verlassen raquoIch komme zuruumlck wenn der Irrsinn vorbei istlaquo hatte sie gesagt und war nach Amerika gegangen Dort war sie zur Filmgroumlszlige geworden hatte einen bekannten Produzenten geheiratet und lebte nach wie vor in den Vereinigten Staaten Helena vermisste sie immer noch sehr und war auch schon einmal mit ihrer Familie in New York gewesen um sie zu besuchen

raquoFahrt ihr diesen Sommer weglaquo fragte Ida und setzte sich nun ebenfalls

raquoAuf jeden Fall fuumlr zwei Wochen zu meiner Mutter Und von da aus vielleicht weiter in Richtung Schweizlaquo Vor allem auf die Zeit bei ihrer Mutter freute sich Helena das waren jedes Mal schoumlne Tage mit all den fruumlheren Freunden und Bekannten sowie mit der Baronin fuumlr die sie und ihre Mutter fruumlher gearbeitet hatten und bei der ihre Mutter nun den Altersruhesitz hatte Fuumlr Helenas Familie standen immer Gaumlstezimmer bereit Ein wenig behandelte man sie dort wie eine Prominente die Dienst-botentochter die es in der Weltmetropole zu etwas ge-bracht hatte mit einem reichen Mann verheiratet war und mit Filmstars verkehrte

Kurz darauf trafen die uumlbrigen Mitarbeiterinnen ein

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und dann kamen auch schon die ersten Kundinnen Helena unterhielt sich mit einigen der Damen beriet hier und da persoumlnlich und machte sich dann auf den Weg ins Werk Unmittelbar nach dem Krieg war es schwierig gewesen die Rohstoffe fuumlr die Produktion von Kosmetik aufzutrei-ben vielfach waren sie nur zu Schwarzmarktpreisen zu be-kommen Viele Rohstoffe wurden in der Pharmaindustrie dringender benoumltigt und natuumlrlich hatte die medizini-sche Versorgung Vorrang vor der kosmetischen Gerade nach dem Krieg hatten sie alle andere Sorgen gehabt wes-halb Helenas Werk voruumlbergehend die Produktion um-stellte und der chemischen Industrie zuarbeitete waumlhrend die Schoumlnheitssalons Obdachlosen offenstanden Erst vier Jahre nach Kriegsende als der Hungerwinter vorbei war und die Menschen durch die Waumlhrungsreform wieder uumlber Geld verfuumlgten hatte Helena Kosmetikherstellung und Schoumlnheitsbehandlungen wieder aufgenommen

Im Werk ging Helena direkt in ihr Buumlro und sah sich Werbeentwuumlrfe an Sie liebte ihre Arbeit und sie machte ihr nach wie vor Spaszlig allerdings fehlte ihr die Heraus-forderung Die Kosmetik entwickelte sich stetig weiter und mittlerweile war Forschung und Entwicklung eine eigene Abteilung in ihrem Unternehmen Natuumlrlich freute sie sich daruumlber aber sie vermisste die Zeiten in denen sie selbst in ihrer Fertigung gesessen und experimentiert hatte Vielleicht war es wirklich gut dass Marion hier demnaumlchst etwas frischen Wind hereinbringen wuumlrde Wie wohl Charlotte darauf reagierte dass Helena ihr nun Konkurrenz machen wuumlrde

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Emma houmlrte den Streit bis ins Wohnzimmer Ihre Mutter hielt Leopold vor er naumlhme die Arbeit nicht ausreichend ernst und bringe sich zu wenig ein Wie er bei dem Ge-schaumlftstermin am Vortag nur dagesessen und auf einmal zu zittern begonnen habe Wenn es nicht anders ging dann solle er eben seine Medikamente wieder nehmen Und ndash verdammt noch mal ndash endlich mehr Nervenstaumlrke zei- gen

Auch an diesem Morgen hatte es schon wieder damit begonnen dass Leopold beim Fruumlhstuumlck sehr still gewe-sen war was fuumlr Emma immer ein Zeichen fuumlr schlimme Traumlume war Auf Ausfuumlhrungen ihrer Mutter zu dem heu-tigen Arbeitstag hatte er nur genickt was diese wiederum zu dem Schluss kommen lieszlig dass er sich nur unzurei-chend interessierte Uumlberhaupt habe er keine innovativen Ideen arbeite den Tag ab ohne echtes Interesse zu zeigen an dem was er tat Irgendwann war ein handfester Streit ausgebrochen der auch dann noch anhielt als Emma das Esszimmer verlassen hatte und nun in der Kuumlche den Ab-wasch machte Schlieszliglich hielt sie es nicht mehr aus lief ins Esszimmer zuruumlck

raquoWas willst du eigentlichlaquo fuhr sie ihre Mutter an raquoEr tut doch alles was er solllaquo

raquoEmma lass nurlaquo sagte Leopold raquoIch mache helliplaquoraquoNein ich lasse es nicht Koumlnnen wir nicht mal einen

Morgen friedlich verbringen wie andere Familien auch Muss hier immer den ganzen Tag uumlber Streit herrschen und abends gehen wir dann versoumlhnt schlafen Wozu Um am naumlchsten Tag wieder loszulegen Das ist doch nicht mehr auszuhaltenlaquo

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raquoWie redest du eigentlich mit mirlaquo Die Stimme ihrer Mutter war ganz kalt geworden bar jeder Emotion

raquoIch helliplaquo Die aufbrausende Wut fiel von Emma ab und sie wusste nicht mehr was sie nun sagen sollte raquoIch hellip ich habe heute keine Uni und wollte ohnehin fragen ob ich mit ins Werk kannlaquo Der Einfall war ihr gerade erst ge-kommen raquoIch koumlnnte Leo zuarbeiten und so schon einmal Einblicke bekommenlaquo

Die frostglitzernde Wut im Blick ihrer Mutter schmolz zu Uumlberraschung raquoAch waslaquo

raquoIch habe mir lange uumlberlegt was ich mit meinem Che-miestudium machelaquo

raquoHeiszligt das es steht nicht zu erwarten dass du dich nun nach einer passenden Partie umsiehstlaquo Fuumlr jemanden der selbst gluumlcklich verheiratet gewesen war zeigte ihre Mut-ter eine sehr ablehnende Haltung zu Emmas Eheplaumlnen

raquoNoch ist ja niemand in Aussicht nicht wahrlaquo ver-setzte Emma der Hoffnung einen Daumlmpfer

Ihre Mutter schien damit zufrieden zu sein raquoSchoumln dann beeil dich wir brechen gleich auflaquo

Sie und Leopold fuhren in der Regel gemeinsam los und Leopold lieszlig dann den Wagen fuumlr sie im Werk und kehrte puumlnktlich zum Buumlroschluss mit der Bahn nach Hause zu-ruumlck Das tat er vermutlich vor allem aus dem Grund weil er den Abstand brauchte

raquoIch habe uumlbrigens gehoumlrt dass Marion in der Chariteacute aufhoumlrtlaquo erzaumlhlte Emma als sie auf der Ruumlckbank des Wagens Platz genommen hatte

raquoWelche Marionlaquo fragte ihre Mutter und Emma haumltte gerne gewusst ob sie das wirklich nicht wusste

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raquoUnsere CousinelaquoraquoUnd warum sollte es mich interessieren was diese Per-

son tutlaquoraquoWeil sie deine Nichte ist moumlglicherweiselaquoVon hinten konnte Emma das Schulterzucken sehenraquoAuf jeden Fall heiszligt es sie wollte in das Unternehmen

von Tante Helena einsteigenlaquo Mit einiger Befriedigung bemerkte Emma dass ihre Mutter bei dieser persoumlnlichen Bezeichnung kaum merklich zusammenzuckte

raquoIn der TatlaquoraquoSie hat einige Semester Chemie studiert das hatte ich

doch erzaumlhltlaquoraquoJa hattest du Auch dass sie es mit deinem Chemie-

professor getrieben hatlaquoraquoMutterlaquo kam es von LeopoldraquoDas habe ich nie gesagtlaquo Emma lehnte sich vor als

koumlnne sie ihren Worten damit mehr Nachdruck verleihen raquoIch sagte sie gehen miteinander auslaquo

raquoWenn sie nach ihrer Mutter kommt gibt es das eine nicht ohne das andere Gerne auch zum Nachteil der eigenen Familie Sind deine Noten bei besagtem Profes-sor nicht danach schlechter gewordenlaquo

raquoDas war bei Professor Guenther nicht bei Professor Hellweg mit dem Marion aus war Meine Guumltelaquo Emma hatte langsam genug Dieser sture verbohrte Zorn ihrer Mutter war nicht mehr zu ertragen Mit Ende vierzig konnte sie sich auf jeden Fall noch nicht mit Altersstarr-sinn herausreden raquoHoumlr zu wenn das hier jeden Morgen der Beginn meines Arbeitstages wird sag es direkt dann reicht mir der einmalige Ausflug in dein Unternehmen

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und ich bewerbe mich morgen beim Pharmaunternehmen Lichtenthallaquo

Ihre Mutter fuhr herum raquoDas wagst du nichtlaquoraquoLass es gerne darauf ankommenlaquoLange sah ihre Mutter sie an dann zuckte es um ihre

Lippen Widerspruchsgeist gefiel ihr und sie schien auf einmal versoumlhnt Emma wuumlrde bleiben wuumlrde es allein um Leopolds willen tun Vielleicht wuumlrde es leichter fuumlr ihn mit ihr an seiner Seite

Das ehemalige Werksgelaumlnde hatte in Berlin-Oberschouml-neweide gestanden aber sie waren noch vor dem Krieg um-gezogen was sich als richtige Entscheidung erwiesen hatte wenngleich zu der Zeit noch niemand hatte wissen koumlnnen dass dieser Stadtteil unter sowjetische Verwaltung gestellt werden wuumlrde Das jetzige Werk stand in Berlin-Tempel-hof im Amerikanischen Sektor und hatte im Krieg ebenfalls gelitten Sie fuhren durch das Tor und Leopold parkte den Wagen auf der dafuumlr vorgesehenen Flaumlche auf der weitere Autos Motorraumlder und Mopeds standen

Ihre Mutter begleitete sie bis in die Etage in der sich die Raumlumlichkeiten der Geschaumlftsfuumlhrung befanden dann ging sie in ihr Buumlro waumlhrend Emma Leopold in seines be-gleitete

raquoWeiszligt dulaquo sagte er als er auf einen der Stuumlhle wies raquodu musst das nicht tunlaquo

raquoWas meinst dulaquo Emma lieszlig sich auf der Besucherseite seines Schreibtischs nieder

raquoDas weiszligt du genau Mich hierher zu begleiten ob-wohl du nie im Sinn hattest in der Firma zu arbeiten Du musst mich nicht vor Mutter beschuumltzenlaquo

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raquoDas tue ich doch gar nichtlaquoLeopold antwortete nicht ging nur zur Tuumlr oumlffnete sie

und rief in das gegenuumlberliegende Zimmer der beiden Sekretaumlrinnen dass man ihm und seiner Schwester bitte Kaffee bringen moumlge raquoEs war nie dein Plan hier zu ar-beitenlaquo

raquoPlaumlne koumlnnen sich aumlndernlaquoraquoVon einem Tag auf den anderenlaquoraquoJa warum denn nicht Und wer sagt uumlberhaupt dass

es so abrupt war Vielleicht denke ich ja schon laumlnger da-ruumlber nach und habe dir einfach noch nichts erzaumlhltlaquo Emma zog einen Bleistift aus dem Stiftebecher und drehte ihn zwischen den Fingern raquoUumlbrigens hat mir Dominik Lichtenthal ein Stellenangebot gemachtlaquo Gespannt be-obachtete sie Leopolds Reaktion

raquoWannlaquoraquoIch bin ihm mal abends beim Spaziergang begegnetlaquoraquoUnd da hat er dir ndash ohne dich und deine Befaumlhigung

so recht zu kennen ndash eine Stelle angebotenlaquoraquoWir haben uns kurz unterhalten und er weiszlig dass ich

Chemie studiere Da meinte er wenn ich nicht fuumlr Mutter arbeiten wolle solle ich mich bei ihm melden er koumlnne faumlhige Chemiker immer gebrauchenlaquo

raquoMutter enterbt dich wenn du das tustlaquoraquoDas waumlre nicht so schlimm denn dann erbst du alles

und wirst mir meinen Teil einfach auszahlenlaquoraquoIst das solaquoraquoNatuumlrlichlaquo Emma zog ihre Zigaretten hervorraquoDu willst doch wohl hier nicht rauchenlaquoAnstelle einer Antwort steckte sie sich eine Zigarette

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zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

bei Lichtenthal in Aussicht und einem groszligzuumlgigen Bru-der der dir deinen Erbanteil abtrittlaquo

Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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Emma Rudorf saszlig mit einem Buch in der Hand im Wohn-zimmer und houmlrte ihren Bruder heimkommen Den gan-zen Tag war Leopold im Werk von Dr Rudorfs medizi-nische Kosmetik gewesen und an seinem schleppenden Schritt houmlrte Emma wie erschoumlpft er sein musste Ver-mutlich hatte er wieder mit Mutter gestritten und bei dem Gedanken daran wie diese ihm zusetzte packte sie die Wut Sie legte ihr Buch beiseite und stand auf ging in den Flur wo sich Leopold gerade die Schuhe auszog Er sah ihrem Vater aumlhnlich hatte zwar dunkleres Haar aber seine Gesichtszuumlge und er wirkte mit der Brille ein wenig professorenhaft

Als er Emma bemerkte laumlchelte er raquoWie gehtrsquoslaquo fragte er mit gespielter Munterkeit

raquoGut Und dirlaquoraquoViel zu tun Und bei dir Wie war die KlausurlaquoraquoIch denke ich habe bestandenlaquo Emma wuumlrde im

naumlchsten Sommer ihr Chemiestudium abschlieszligenraquoEtwas anderes habe ich auch nicht erwartetlaquoraquoIch habe Abendessen gemacht Kommt Mama auch

gleichlaquoraquoNein sie meinte sie haumltte noch viel zu tunlaquoWie immer Fuumlr Charlotte Rudorf gab es seit dem Tod

ihres Mannes nur noch das Werk sie arbeitete wie beses-sen als koumlnnte das den Schmerz des Verlustes betaumluben Emma hatte sich so oft gewuumlnscht sie wuumlrde daruumlber nicht staumlndig vergessen dass sie zwei Kinder hatte und sich nur dann an sie erinnern wenn es etwas auszusetzen gab Vor allem Leopold war ihr ein fortwaumlhrendes Aumlrgernis

raquoDu warst ein Jahr im Krieglaquo pflegte sie zu sagen

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raquound du bist in einem Stuumlck zuruumlckgekommen Wie lange willst du noch in Truumlbsal versinken anstatt endlich wieder mit beiden Beinen im Leben zu stehenlaquo

Was ihre Mutter Truumlbsal nannte war eine tiefe innere Wunde die der Krieg geschlagen hatte und Emma fragte sich warum sie diese sehen konnte nicht aber die Frau die ihn geboren hatte Dann kamen wieder diese Geschich-ten uumlber all die Kriegsheimkehrer die es auch schafften ihr Leben in den Griff zu bekommen obwohl sie deutlich laumlnger im Krieg aufgerieben worden waren Wie schlimm konnte da das eine Jahr schon gewesen sein Einzig fuumlr Emmas Albtraumlume durch die Bombardierung hatte sie Verstaumlndnis denn diese war zu der Zeit gerade vierzehn Jahre alt gewesen Da spielte wohl auch die Erinnerung mit hinein wie Emma an sie geschmiegt im Keller ge-sessen und gewartet hatte bis die Bombardierung vorbei war waumlhrend sie beide Angst gehabt hatten dass Leopold vielleicht schon tot war

raquoIsst du mit mir zu Abendlaquo fragte er nunraquoKlar ich habe auf dich gewartetlaquoLeopold wuumlrde im Juli vierundzwanzig werden und hatte

sein Pharmaziestudium im letzten Jahr abgeschlossen Er haumltte lieber Maschinenbau studiert war schon seit Kinder-tagen davon fasziniert gewesen Aber es war klar gewesen dass er das Familienwerk erben wuumlrde Allenfalls haumltte er noch Arzt werden koumlnnen um die Praxis ihres Vaters zu uumlbernehmen die nun ein anderer Arzt gemietet hatte

Da sie nur zu zweit waren aszligen sie zwanglos in der Kuumlche und Leopold deckte den Tisch waumlhrend Emma den Brotkorb Butter Kaumlse und Aufschnitt hinstellte und alles

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in den Dosen belieszlig was ihre Mutter stets als mangelnde Esskultur bezeichnete Emma hingegen war es zu viel Auf-wand jetzt alles auf Tellern anzuordnen nur um dann das meiste wieder zuruumlckzufuumlllen und wegzuraumlumen und mehr zum Abspuumllen zu haben Sie lieszlig sich ihrem Bruder gegen-uumlber am Tisch nieder Im Gegensatz zu ihrer Mutter hatte Emma bislang keine groszligen beruflichen Ambitionen ge-habt sie studierte Chemie allein aus dem Grund weil es sie interessierte aber sie hatte keine konkreten Plaumlne da-ruumlber hinaus ndash ein staumlndiges Aumlrgernis fuumlr Charlotte Ru-dorf Emmas Plan war gewesen zum Zeitvertreib etwas zu studieren das ihr Spaszlig machte und danach zu heiraten Im Laufe des Studiums hatte sich ihr Interesse allerdings ge-wandelt In der Fakultaumlt war sie hin und wieder ihrer Cou-sine Marion uumlber den Weg gelaufen die mit einem von Emmas Professoren ausgegangen war und sie fand sie glei-chermaszligen interessant wie inspirierend Sie hatte sogar kurz mit dem Gedanken gespielt sich im Pharmakonzern Lich-tenthal zu bewerben aber da haumltte vermutlich eine Andeu-tung gereicht und ihre Mutter waumlre die Waumlnde hochge-gangen Mit ihrer Schwester Helena hatte sie sich schon vor Jahren entzweit und eine Annaumlherung war nicht in Sicht

Beim Essen plauderten sie uumlber Allgemeines Leopold zog sie mit einem Dozenten auf von dem sie ndash seiner Mei-nung nach ndash verdaumlchtig oft sprach Daraufhin erinnerte sie an die Verkaumluferin aus dem KaDeWe mit der er fortwaumlh-rend ausging ohne dass die Sache von der Stelle kam Spauml-ter raumlumten sie zusammen ab erledigten den Abwasch und wollten gerade ins Wohnzimmer gehen um das Radio ein-zuschalten als ihre Mutter die Wohnungstuumlr aufschloss

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raquoGuten Abendlaquo Charlotte Rudorf sah muumlde aus und Emma ging zu ihr um ihr den Mantel abzunehmen und ihn an die Garderobe zu haumlngen

raquoSoll ich das Abendessen wieder auf den Tisch stellenlaquo fragte Emma

raquoNein lass nur ich habe im Werk eine Kleinigkeit ge-gessenlaquo

So war es fast jeden Abend im Grunde genommen aszligen sie nur noch am Wochenende regelmaumlszligig zusammen und fanden sich ansonsten morgens zu einem raschen Fruumlh-stuumlck in der Kuumlche ein Ihre Mutter wechselte einen kur-zen Blick mit Leopold aus dem klar ersichtlich wurde dass die beiden noch vor gar nicht langer Zeit gestritten hatten ndash ganz so wie von Emma vermutet Nun jedoch zeigte sich ein zoumlgerliches Laumlcheln auf den Lippen Char-lotte Rudorfs und auch das war typisch Zum Abend hin legte sie Streit gerne bei mochte es nicht unversoumlhnt schlafen zu gehen

Im Wohnzimmer schalteten sie das Radio ein Emma houmlrte nur mit halbem Ohr hin und hatte ihr Buch wie-der aufgeschlagen war aber auch hier nicht bei der Sache Schlieszliglich gab sie es auf und beschloss noch ein wenig spazieren zu gehen

raquoUm diese Uhrzeitlaquo fragte ihre Mutter die gerade mit einer Tasse Kraumlutertee ins Wohnzimmer trat

raquoEs ist kurz nach achtlaquoNun blickte auch Leopold auf sah sie an als witterte er

hinter ihrem Wunsch eine tiefere WahrheitraquoEs ist nur ein Spazierganglaquo sagte sie und haumltte am

liebsten die Augen verdreht raquoMir geht so viel im Kopf

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herum und ich kann meine Gedanken beim Gehen am besten sortierenlaquo

raquoWie war eigentlich deine Klausurlaquo wollte ihr Mut-ter nun wissen

raquoGut denke ichlaquo Emma ging in den Flur nahm einen leichten Mantel vom Haken legte sich einen Seidenschal um und warf noch einen kurzen Blick in den Spiegel Seit kurzem trug sie ihr hellbraunes Haar knapp schulterlang und in groszlige Locken gelegt die sie mit einer Spange seit-lich zuruumlckhielt Jetzt zupfte sie ein wenig daran herum bis sie schlieszliglich zufrieden war und verlieszlig die Wohnung Sie wohnten in der ersten Etage direkt uumlber der Arztpraxis die Wohnung im zweiten Stock stand derzeit leer Fruumlher einmal hatte Emmas Groszligmutter dort gewohnt aber sie lebte bereits seit fast dreiszligig Jahren bei ihrer Tochter erst in Hamburg und seit kurz vor dem Krieg in Muumlnchen da der Ehemann von Emmas Tante dorthin versetzt worden war Leider kam sie nur noch selten zu Besuch da lange Reisen sie zu sehr anstrengten Emma bedauerte das denn sie mochte ihre Groszligmutter die auch mit achtzig noch ruumlstiger und scharfsinniger war als manch junge Frau die Emma kannte

Es daumlmmerte bereits und die langen Schatten des spauml-ten Nachmittags waren ineinandergekrochen verdichte-ten sich langsam und entfaumlrbten den Tag zu einem lich-ten Grau Seit zwei Jahren stellte man die Uhren nicht mehr zur Sommerzeit um und anfangs war es ungewohnt gewesen dass die Sommertage nun um eine Stunde kuumlr-zer waren aber man gewoumlhnte sich daran Waumlhrend des Krieges hatte es eine Zeit gegeben in der fortwaumlhrend

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Sommerzeit gegolten hatte und man die Uhren uumlberhaupt nicht mehr umstellte irgendwann war ein konzeptloses Wechseln erfolgt Dann war die Regelung durch die Besat-zungsmaumlchte wieder geaumlndert worden und sie bestimm-ten eine Umstellung auf die Sommerzeit ndash wobei diese in der sowjetischen Besatzungszone Berlins 1945 ganze zwei Monate laumlnger gedauert hatte Jetzt endlich hatte die Regierung sich auf eine einheitliche Zeit festgelegt die fuumlr das gesamte Jahr galt ndash die Ruumlckkehr zur Normalzeit Emma hoffte dass das so blieb

Als sie durch die Straszlige spazierte hier und da einen heimkehrenden Nachbarn oder Bekannten gruumlszligte ndash die Tochter des Herrn Doktor kannte man im gesamten Vier-tel ndash fiel ihr ein Mann auf der gerade ein Haus verlieszlig sich noch einmal umdrehte einem weiteren Mann der in der offenen Tuumlr stand etwas sagte und dann durch den Vorgarten schritt und auf sein Auto zuging Dominik Lichtenthal Emma blieb stehen sah ihn an wusste nicht ob sie zu ihm gehen und houmlflich gruumlszligen oder ihn ignorie-ren sollte Er nahm ihr die Entscheidung ab als er sie be-merkte kurz stutzte als muumlsste er ihr Gesicht erst einem Namen zuordnen und sie dann anlaumlchelte

raquoGuten Abend Emma Wie geht es dirlaquoSie ging auf ihn zu raquoSehr gut vielen Danklaquo Sie wusste

nie so recht ob sie ihn duzen sollte oder nicht denn einer-seits war er ein Fremder andererseits aber der Ehemann ihrer Tante und damit praktisch ihr Onkel

raquoIch habe gehoumlrt du studierst ChemielaquoraquoJa ich werde diesen Sommer fertiglaquoraquoUnd dann geht es in den Konzern deiner Mutterlaquo

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Unschluumlssig hob Emma die Schultern raquoAch das weiszlig ich noch gar nichtlaquo

Dominik Lichtenthal schloss seinen Wagen auf raquoWenn du dich lieber auf dem freien Markt umsehen moumlchtest sag Bescheid ich kann faumlhige Chemiker immer gebrau-chenlaquo

Es war schon fast skurril dass Emma diesen Gedanken erst vor kurzem gehegt hatte und ihn nun ausgesprochen houmlrte Da sie nicht rundheraus ablehnen wollte dankte sie ihm und nachdem sie ihm gesagt hatte er moumlge seine Familie von ihr gruumlszligen stieg er in seinen Wagen und fuhr los Im Grunde genommen war das doch albern dass ihre Mutter immer noch nichts mit ihrer Schwester zu tun haben wollte Emma kannte die alte Geschichte und natuumlr lich war es hart auf einen Schlag sein gesam-tes Erbe zu verlieren und die unvermittelt aufgetauchte fremde Schwester als einzige Gewinnerin in dieser Situa-tion zu sehen aber das Ganze war jetzt gut fuumlnfundzwan-zig Jahre her irgendwann musste es doch mal gut sein Und es war ja nun wahrlich nicht so als wuumlrde der Besitz des Hauses in der Friedrichstraszlige noch einen nennenswer-ten Unter schied im Vermoumlgen ihrer Mutter machen Im Gegenteil ndash waumlre sie dort geblieben haumltte sie es vielleicht nie so weit gebracht

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Juni 1952

Die einstmals goldene Zeit merkte man der ehemaligen Amuumlsiermeile auf der Friedrichstraszlige nicht mehr an und Helena verspuumlrte jedes Mal beim Besuch ihres Schoumlnheits-salons diesen Stich des Bedauerns Als sie in den Zwan-zigern hier angekommen war hatte das Leben pulsiert mit Autos Bussen Bahnen Fuszliggaumlngern Radfahrern und noch vereinzelten Droschken Die Kreuzung an der Leip-ziger Straszlige war ein so verkehrsreicher Knotenpunkt ge-wesen dass es fuumlr die aus der Provinz stammende Helena anfangs schon eine Herausforderung gewesen war lebend von einer Straszligenseite auf die andere zu gelangen

Nach dem Krieg war die Straszlige eine von Ruinen ge-saumlumte Schuttwuumlste geworden und auch wenn die Truumlm-mer in weiten Teilen fortgeraumlumt waren so erinnerte doch nur wenig an fruumlher Helena hatte mehrfach uumlberlegt den Schoumlnheitssalon einfach aufzugeben aber das brachte sie nicht uumlber sich Vielleicht normalisierte sich hier ja alles irgendwann wieder das konnte doch nicht ewig so blei-ben Ihr Schoumlnheitssalon in der Friedrichstraszlige befand sich im Amerikanischen Sektor der in Berlin-Mitte gehoumlrte nun zur DDR ihr Werk wiederum zum Franzoumlsischen

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Sektor Dominiks sowie ihr Wohnsitz lagen im Britischen Sektor Das war doch auf Dauer kein Zustand Den Salon in Berlin-Mitte hatte sie aufgeben muumlssen und sie sah sich bereits nach Alternativen um

Als Helena in den Salon trat kam ihr Ida ndash fruumlher Wag-ner jetzt Zeller ndash entgegen raquoKaffeelaquo

raquoUnbedingtlaquo Helena haumlngte ihren Mantel an die Gar-derobe und betrat den Salon Es war noch fruumlh und sie wuumlrden erst in einer halben Stunde oumlffnen Ida hatte schon in den Dreiszligigern die Leitung des Salons uumlbernommen als Helena damit beschaumlftigt gewesen war einen weiteren in Berlin-Mitte zu eroumlffnen

raquoWie geht es den MaumldchenlaquoHelena setzte sich in einen der bequemen Besucher-

stuumlhle wo die Frauen sich bei einer Tasse Kaffee oder Tee und etwas Gebaumlck entspannen konnten raquoMarion faumlngt bei mir im Werk an der Termin steht jetztlaquo Das war Schock und freudige Uumlberraschung zugleich gewesen und Helena wusste selbst nicht ob ihre Bestuumlrzung oder ihre Freude uumlberwog Natuumlrlich hatte sie gehofft dass Marion als Aumlrztin praktizierte immerhin hatte sie stu-diert und damit ein klares Ziel vor Augen gehabt Ande-rerseits freute es sie dass ihre Tochter Interesse an ihrem Unternehmen zeigte ndash und nicht an Dominiks wie eine kleine nicht zu unterdruumlckende Stimme des Triumphs in ihr betonte raquoUnd Fanny schlieszligt das Schuljahr mit sehr guten Noten ablaquo

raquoMathematik macht ihr wieder SpaszliglaquoraquoNachdem Ferdinands Ehefrau es ihr erklaumlrt hat was

ihr unfaumlhiger Lehrer offenbar nicht hinbekommtlaquo Fer-

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dinand war der Patenonkel beider Toumlchter und seine Frau eine begabte Mathematikerin

Die Schwangerschaft mit Fanny hatte Helena seinerzeit einen gehoumlrigen Schrecken eingejagt All die Jahre hatte sie es erfolgreich vermieden zu empfangen und dann als die Welt am Abgrund stand kuumlndigte sich neues Leben an Schlimm genug mitanzusehen wie Marion bereits in der Schule darauf vorbereitet wurde in den BDM einzu-treten da wollte sie diesem System nicht noch ein Kind schenken Es war Rudolf Liliengrund gewesen dem Fanny es zu verdanken hatte dass Helena keinen Abbruch hatte vornehmen lassen

raquoGerade in diesen Zeiten sollten die Anstaumlndigen sich vermehrenlaquo

Ihr lieber Rudolf der seine gesamte Familie verloren und selbst nur knapp und unter Entbehrungen die Flucht geschafft hatte weil er zu lange gezoumlgert geglaubt hatte es wuumlrde alles gut werden Und so hatte Helena Fanny aus-getragen hatte schon in der Schwangerschaft eine so innige Beziehung zu dem Kind gehabt wie sie es sich nicht hatte vorstellen koumlnnen Es war ganz anders als mit Marion zu der sie erst eine enge Bindung hatte aufbauen koumlnnen als diese bereits ein Kleinkind gewesen war Waumlhrend Marion von Geburt an ein Papakind war so war Fanny von Geburt an ganz und gar ihre Tochter Helena hatte sie sogar mit zur Arbeit genommen weil sie sich nicht von ihr trennen mochte hatte sie im Buumlro gestillt und in der Wiege neben sich schlafen lassen Undenkbar dieses Baby jemand ande-rem anzuvertrauen Dabei liebte sie Marion nicht weniger und sie verstand auch im Nachhinein nicht warum sie bei

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beiden Kindern schon in der Schwangerschaft so unter-schiedlich empfunden hatte

raquoDu solltest endlich aufhoumlren das zu hinterfragenlaquo hatte ihre beste Freundin Irene Danelius gesagt raquoEs ist jetzt wie es ist Freu dich einfach Gerade jetzt haben wir alle wahrhaftig Probleme genug da muss man nicht auch noch welche hinzuredenlaquo

Als im November 1938 die Synagogen brannten hatte Irene das Land verlassen raquoIch komme zuruumlck wenn der Irrsinn vorbei istlaquo hatte sie gesagt und war nach Amerika gegangen Dort war sie zur Filmgroumlszlige geworden hatte einen bekannten Produzenten geheiratet und lebte nach wie vor in den Vereinigten Staaten Helena vermisste sie immer noch sehr und war auch schon einmal mit ihrer Familie in New York gewesen um sie zu besuchen

raquoFahrt ihr diesen Sommer weglaquo fragte Ida und setzte sich nun ebenfalls

raquoAuf jeden Fall fuumlr zwei Wochen zu meiner Mutter Und von da aus vielleicht weiter in Richtung Schweizlaquo Vor allem auf die Zeit bei ihrer Mutter freute sich Helena das waren jedes Mal schoumlne Tage mit all den fruumlheren Freunden und Bekannten sowie mit der Baronin fuumlr die sie und ihre Mutter fruumlher gearbeitet hatten und bei der ihre Mutter nun den Altersruhesitz hatte Fuumlr Helenas Familie standen immer Gaumlstezimmer bereit Ein wenig behandelte man sie dort wie eine Prominente die Dienst-botentochter die es in der Weltmetropole zu etwas ge-bracht hatte mit einem reichen Mann verheiratet war und mit Filmstars verkehrte

Kurz darauf trafen die uumlbrigen Mitarbeiterinnen ein

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und dann kamen auch schon die ersten Kundinnen Helena unterhielt sich mit einigen der Damen beriet hier und da persoumlnlich und machte sich dann auf den Weg ins Werk Unmittelbar nach dem Krieg war es schwierig gewesen die Rohstoffe fuumlr die Produktion von Kosmetik aufzutrei-ben vielfach waren sie nur zu Schwarzmarktpreisen zu be-kommen Viele Rohstoffe wurden in der Pharmaindustrie dringender benoumltigt und natuumlrlich hatte die medizini-sche Versorgung Vorrang vor der kosmetischen Gerade nach dem Krieg hatten sie alle andere Sorgen gehabt wes-halb Helenas Werk voruumlbergehend die Produktion um-stellte und der chemischen Industrie zuarbeitete waumlhrend die Schoumlnheitssalons Obdachlosen offenstanden Erst vier Jahre nach Kriegsende als der Hungerwinter vorbei war und die Menschen durch die Waumlhrungsreform wieder uumlber Geld verfuumlgten hatte Helena Kosmetikherstellung und Schoumlnheitsbehandlungen wieder aufgenommen

Im Werk ging Helena direkt in ihr Buumlro und sah sich Werbeentwuumlrfe an Sie liebte ihre Arbeit und sie machte ihr nach wie vor Spaszlig allerdings fehlte ihr die Heraus-forderung Die Kosmetik entwickelte sich stetig weiter und mittlerweile war Forschung und Entwicklung eine eigene Abteilung in ihrem Unternehmen Natuumlrlich freute sie sich daruumlber aber sie vermisste die Zeiten in denen sie selbst in ihrer Fertigung gesessen und experimentiert hatte Vielleicht war es wirklich gut dass Marion hier demnaumlchst etwas frischen Wind hereinbringen wuumlrde Wie wohl Charlotte darauf reagierte dass Helena ihr nun Konkurrenz machen wuumlrde

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Emma houmlrte den Streit bis ins Wohnzimmer Ihre Mutter hielt Leopold vor er naumlhme die Arbeit nicht ausreichend ernst und bringe sich zu wenig ein Wie er bei dem Ge-schaumlftstermin am Vortag nur dagesessen und auf einmal zu zittern begonnen habe Wenn es nicht anders ging dann solle er eben seine Medikamente wieder nehmen Und ndash verdammt noch mal ndash endlich mehr Nervenstaumlrke zei- gen

Auch an diesem Morgen hatte es schon wieder damit begonnen dass Leopold beim Fruumlhstuumlck sehr still gewe-sen war was fuumlr Emma immer ein Zeichen fuumlr schlimme Traumlume war Auf Ausfuumlhrungen ihrer Mutter zu dem heu-tigen Arbeitstag hatte er nur genickt was diese wiederum zu dem Schluss kommen lieszlig dass er sich nur unzurei-chend interessierte Uumlberhaupt habe er keine innovativen Ideen arbeite den Tag ab ohne echtes Interesse zu zeigen an dem was er tat Irgendwann war ein handfester Streit ausgebrochen der auch dann noch anhielt als Emma das Esszimmer verlassen hatte und nun in der Kuumlche den Ab-wasch machte Schlieszliglich hielt sie es nicht mehr aus lief ins Esszimmer zuruumlck

raquoWas willst du eigentlichlaquo fuhr sie ihre Mutter an raquoEr tut doch alles was er solllaquo

raquoEmma lass nurlaquo sagte Leopold raquoIch mache helliplaquoraquoNein ich lasse es nicht Koumlnnen wir nicht mal einen

Morgen friedlich verbringen wie andere Familien auch Muss hier immer den ganzen Tag uumlber Streit herrschen und abends gehen wir dann versoumlhnt schlafen Wozu Um am naumlchsten Tag wieder loszulegen Das ist doch nicht mehr auszuhaltenlaquo

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raquoWie redest du eigentlich mit mirlaquo Die Stimme ihrer Mutter war ganz kalt geworden bar jeder Emotion

raquoIch helliplaquo Die aufbrausende Wut fiel von Emma ab und sie wusste nicht mehr was sie nun sagen sollte raquoIch hellip ich habe heute keine Uni und wollte ohnehin fragen ob ich mit ins Werk kannlaquo Der Einfall war ihr gerade erst ge-kommen raquoIch koumlnnte Leo zuarbeiten und so schon einmal Einblicke bekommenlaquo

Die frostglitzernde Wut im Blick ihrer Mutter schmolz zu Uumlberraschung raquoAch waslaquo

raquoIch habe mir lange uumlberlegt was ich mit meinem Che-miestudium machelaquo

raquoHeiszligt das es steht nicht zu erwarten dass du dich nun nach einer passenden Partie umsiehstlaquo Fuumlr jemanden der selbst gluumlcklich verheiratet gewesen war zeigte ihre Mut-ter eine sehr ablehnende Haltung zu Emmas Eheplaumlnen

raquoNoch ist ja niemand in Aussicht nicht wahrlaquo ver-setzte Emma der Hoffnung einen Daumlmpfer

Ihre Mutter schien damit zufrieden zu sein raquoSchoumln dann beeil dich wir brechen gleich auflaquo

Sie und Leopold fuhren in der Regel gemeinsam los und Leopold lieszlig dann den Wagen fuumlr sie im Werk und kehrte puumlnktlich zum Buumlroschluss mit der Bahn nach Hause zu-ruumlck Das tat er vermutlich vor allem aus dem Grund weil er den Abstand brauchte

raquoIch habe uumlbrigens gehoumlrt dass Marion in der Chariteacute aufhoumlrtlaquo erzaumlhlte Emma als sie auf der Ruumlckbank des Wagens Platz genommen hatte

raquoWelche Marionlaquo fragte ihre Mutter und Emma haumltte gerne gewusst ob sie das wirklich nicht wusste

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raquoUnsere CousinelaquoraquoUnd warum sollte es mich interessieren was diese Per-

son tutlaquoraquoWeil sie deine Nichte ist moumlglicherweiselaquoVon hinten konnte Emma das Schulterzucken sehenraquoAuf jeden Fall heiszligt es sie wollte in das Unternehmen

von Tante Helena einsteigenlaquo Mit einiger Befriedigung bemerkte Emma dass ihre Mutter bei dieser persoumlnlichen Bezeichnung kaum merklich zusammenzuckte

raquoIn der TatlaquoraquoSie hat einige Semester Chemie studiert das hatte ich

doch erzaumlhltlaquoraquoJa hattest du Auch dass sie es mit deinem Chemie-

professor getrieben hatlaquoraquoMutterlaquo kam es von LeopoldraquoDas habe ich nie gesagtlaquo Emma lehnte sich vor als

koumlnne sie ihren Worten damit mehr Nachdruck verleihen raquoIch sagte sie gehen miteinander auslaquo

raquoWenn sie nach ihrer Mutter kommt gibt es das eine nicht ohne das andere Gerne auch zum Nachteil der eigenen Familie Sind deine Noten bei besagtem Profes-sor nicht danach schlechter gewordenlaquo

raquoDas war bei Professor Guenther nicht bei Professor Hellweg mit dem Marion aus war Meine Guumltelaquo Emma hatte langsam genug Dieser sture verbohrte Zorn ihrer Mutter war nicht mehr zu ertragen Mit Ende vierzig konnte sie sich auf jeden Fall noch nicht mit Altersstarr-sinn herausreden raquoHoumlr zu wenn das hier jeden Morgen der Beginn meines Arbeitstages wird sag es direkt dann reicht mir der einmalige Ausflug in dein Unternehmen

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und ich bewerbe mich morgen beim Pharmaunternehmen Lichtenthallaquo

Ihre Mutter fuhr herum raquoDas wagst du nichtlaquoraquoLass es gerne darauf ankommenlaquoLange sah ihre Mutter sie an dann zuckte es um ihre

Lippen Widerspruchsgeist gefiel ihr und sie schien auf einmal versoumlhnt Emma wuumlrde bleiben wuumlrde es allein um Leopolds willen tun Vielleicht wuumlrde es leichter fuumlr ihn mit ihr an seiner Seite

Das ehemalige Werksgelaumlnde hatte in Berlin-Oberschouml-neweide gestanden aber sie waren noch vor dem Krieg um-gezogen was sich als richtige Entscheidung erwiesen hatte wenngleich zu der Zeit noch niemand hatte wissen koumlnnen dass dieser Stadtteil unter sowjetische Verwaltung gestellt werden wuumlrde Das jetzige Werk stand in Berlin-Tempel-hof im Amerikanischen Sektor und hatte im Krieg ebenfalls gelitten Sie fuhren durch das Tor und Leopold parkte den Wagen auf der dafuumlr vorgesehenen Flaumlche auf der weitere Autos Motorraumlder und Mopeds standen

Ihre Mutter begleitete sie bis in die Etage in der sich die Raumlumlichkeiten der Geschaumlftsfuumlhrung befanden dann ging sie in ihr Buumlro waumlhrend Emma Leopold in seines be-gleitete

raquoWeiszligt dulaquo sagte er als er auf einen der Stuumlhle wies raquodu musst das nicht tunlaquo

raquoWas meinst dulaquo Emma lieszlig sich auf der Besucherseite seines Schreibtischs nieder

raquoDas weiszligt du genau Mich hierher zu begleiten ob-wohl du nie im Sinn hattest in der Firma zu arbeiten Du musst mich nicht vor Mutter beschuumltzenlaquo

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raquoDas tue ich doch gar nichtlaquoLeopold antwortete nicht ging nur zur Tuumlr oumlffnete sie

und rief in das gegenuumlberliegende Zimmer der beiden Sekretaumlrinnen dass man ihm und seiner Schwester bitte Kaffee bringen moumlge raquoEs war nie dein Plan hier zu ar-beitenlaquo

raquoPlaumlne koumlnnen sich aumlndernlaquoraquoVon einem Tag auf den anderenlaquoraquoJa warum denn nicht Und wer sagt uumlberhaupt dass

es so abrupt war Vielleicht denke ich ja schon laumlnger da-ruumlber nach und habe dir einfach noch nichts erzaumlhltlaquo Emma zog einen Bleistift aus dem Stiftebecher und drehte ihn zwischen den Fingern raquoUumlbrigens hat mir Dominik Lichtenthal ein Stellenangebot gemachtlaquo Gespannt be-obachtete sie Leopolds Reaktion

raquoWannlaquoraquoIch bin ihm mal abends beim Spaziergang begegnetlaquoraquoUnd da hat er dir ndash ohne dich und deine Befaumlhigung

so recht zu kennen ndash eine Stelle angebotenlaquoraquoWir haben uns kurz unterhalten und er weiszlig dass ich

Chemie studiere Da meinte er wenn ich nicht fuumlr Mutter arbeiten wolle solle ich mich bei ihm melden er koumlnne faumlhige Chemiker immer gebrauchenlaquo

raquoMutter enterbt dich wenn du das tustlaquoraquoDas waumlre nicht so schlimm denn dann erbst du alles

und wirst mir meinen Teil einfach auszahlenlaquoraquoIst das solaquoraquoNatuumlrlichlaquo Emma zog ihre Zigaretten hervorraquoDu willst doch wohl hier nicht rauchenlaquoAnstelle einer Antwort steckte sie sich eine Zigarette

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zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

bei Lichtenthal in Aussicht und einem groszligzuumlgigen Bru-der der dir deinen Erbanteil abtrittlaquo

Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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raquound du bist in einem Stuumlck zuruumlckgekommen Wie lange willst du noch in Truumlbsal versinken anstatt endlich wieder mit beiden Beinen im Leben zu stehenlaquo

Was ihre Mutter Truumlbsal nannte war eine tiefe innere Wunde die der Krieg geschlagen hatte und Emma fragte sich warum sie diese sehen konnte nicht aber die Frau die ihn geboren hatte Dann kamen wieder diese Geschich-ten uumlber all die Kriegsheimkehrer die es auch schafften ihr Leben in den Griff zu bekommen obwohl sie deutlich laumlnger im Krieg aufgerieben worden waren Wie schlimm konnte da das eine Jahr schon gewesen sein Einzig fuumlr Emmas Albtraumlume durch die Bombardierung hatte sie Verstaumlndnis denn diese war zu der Zeit gerade vierzehn Jahre alt gewesen Da spielte wohl auch die Erinnerung mit hinein wie Emma an sie geschmiegt im Keller ge-sessen und gewartet hatte bis die Bombardierung vorbei war waumlhrend sie beide Angst gehabt hatten dass Leopold vielleicht schon tot war

raquoIsst du mit mir zu Abendlaquo fragte er nunraquoKlar ich habe auf dich gewartetlaquoLeopold wuumlrde im Juli vierundzwanzig werden und hatte

sein Pharmaziestudium im letzten Jahr abgeschlossen Er haumltte lieber Maschinenbau studiert war schon seit Kinder-tagen davon fasziniert gewesen Aber es war klar gewesen dass er das Familienwerk erben wuumlrde Allenfalls haumltte er noch Arzt werden koumlnnen um die Praxis ihres Vaters zu uumlbernehmen die nun ein anderer Arzt gemietet hatte

Da sie nur zu zweit waren aszligen sie zwanglos in der Kuumlche und Leopold deckte den Tisch waumlhrend Emma den Brotkorb Butter Kaumlse und Aufschnitt hinstellte und alles

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in den Dosen belieszlig was ihre Mutter stets als mangelnde Esskultur bezeichnete Emma hingegen war es zu viel Auf-wand jetzt alles auf Tellern anzuordnen nur um dann das meiste wieder zuruumlckzufuumlllen und wegzuraumlumen und mehr zum Abspuumllen zu haben Sie lieszlig sich ihrem Bruder gegen-uumlber am Tisch nieder Im Gegensatz zu ihrer Mutter hatte Emma bislang keine groszligen beruflichen Ambitionen ge-habt sie studierte Chemie allein aus dem Grund weil es sie interessierte aber sie hatte keine konkreten Plaumlne da-ruumlber hinaus ndash ein staumlndiges Aumlrgernis fuumlr Charlotte Ru-dorf Emmas Plan war gewesen zum Zeitvertreib etwas zu studieren das ihr Spaszlig machte und danach zu heiraten Im Laufe des Studiums hatte sich ihr Interesse allerdings ge-wandelt In der Fakultaumlt war sie hin und wieder ihrer Cou-sine Marion uumlber den Weg gelaufen die mit einem von Emmas Professoren ausgegangen war und sie fand sie glei-chermaszligen interessant wie inspirierend Sie hatte sogar kurz mit dem Gedanken gespielt sich im Pharmakonzern Lich-tenthal zu bewerben aber da haumltte vermutlich eine Andeu-tung gereicht und ihre Mutter waumlre die Waumlnde hochge-gangen Mit ihrer Schwester Helena hatte sie sich schon vor Jahren entzweit und eine Annaumlherung war nicht in Sicht

Beim Essen plauderten sie uumlber Allgemeines Leopold zog sie mit einem Dozenten auf von dem sie ndash seiner Mei-nung nach ndash verdaumlchtig oft sprach Daraufhin erinnerte sie an die Verkaumluferin aus dem KaDeWe mit der er fortwaumlh-rend ausging ohne dass die Sache von der Stelle kam Spauml-ter raumlumten sie zusammen ab erledigten den Abwasch und wollten gerade ins Wohnzimmer gehen um das Radio ein-zuschalten als ihre Mutter die Wohnungstuumlr aufschloss

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raquoGuten Abendlaquo Charlotte Rudorf sah muumlde aus und Emma ging zu ihr um ihr den Mantel abzunehmen und ihn an die Garderobe zu haumlngen

raquoSoll ich das Abendessen wieder auf den Tisch stellenlaquo fragte Emma

raquoNein lass nur ich habe im Werk eine Kleinigkeit ge-gessenlaquo

So war es fast jeden Abend im Grunde genommen aszligen sie nur noch am Wochenende regelmaumlszligig zusammen und fanden sich ansonsten morgens zu einem raschen Fruumlh-stuumlck in der Kuumlche ein Ihre Mutter wechselte einen kur-zen Blick mit Leopold aus dem klar ersichtlich wurde dass die beiden noch vor gar nicht langer Zeit gestritten hatten ndash ganz so wie von Emma vermutet Nun jedoch zeigte sich ein zoumlgerliches Laumlcheln auf den Lippen Char-lotte Rudorfs und auch das war typisch Zum Abend hin legte sie Streit gerne bei mochte es nicht unversoumlhnt schlafen zu gehen

Im Wohnzimmer schalteten sie das Radio ein Emma houmlrte nur mit halbem Ohr hin und hatte ihr Buch wie-der aufgeschlagen war aber auch hier nicht bei der Sache Schlieszliglich gab sie es auf und beschloss noch ein wenig spazieren zu gehen

raquoUm diese Uhrzeitlaquo fragte ihre Mutter die gerade mit einer Tasse Kraumlutertee ins Wohnzimmer trat

raquoEs ist kurz nach achtlaquoNun blickte auch Leopold auf sah sie an als witterte er

hinter ihrem Wunsch eine tiefere WahrheitraquoEs ist nur ein Spazierganglaquo sagte sie und haumltte am

liebsten die Augen verdreht raquoMir geht so viel im Kopf

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herum und ich kann meine Gedanken beim Gehen am besten sortierenlaquo

raquoWie war eigentlich deine Klausurlaquo wollte ihr Mut-ter nun wissen

raquoGut denke ichlaquo Emma ging in den Flur nahm einen leichten Mantel vom Haken legte sich einen Seidenschal um und warf noch einen kurzen Blick in den Spiegel Seit kurzem trug sie ihr hellbraunes Haar knapp schulterlang und in groszlige Locken gelegt die sie mit einer Spange seit-lich zuruumlckhielt Jetzt zupfte sie ein wenig daran herum bis sie schlieszliglich zufrieden war und verlieszlig die Wohnung Sie wohnten in der ersten Etage direkt uumlber der Arztpraxis die Wohnung im zweiten Stock stand derzeit leer Fruumlher einmal hatte Emmas Groszligmutter dort gewohnt aber sie lebte bereits seit fast dreiszligig Jahren bei ihrer Tochter erst in Hamburg und seit kurz vor dem Krieg in Muumlnchen da der Ehemann von Emmas Tante dorthin versetzt worden war Leider kam sie nur noch selten zu Besuch da lange Reisen sie zu sehr anstrengten Emma bedauerte das denn sie mochte ihre Groszligmutter die auch mit achtzig noch ruumlstiger und scharfsinniger war als manch junge Frau die Emma kannte

Es daumlmmerte bereits und die langen Schatten des spauml-ten Nachmittags waren ineinandergekrochen verdichte-ten sich langsam und entfaumlrbten den Tag zu einem lich-ten Grau Seit zwei Jahren stellte man die Uhren nicht mehr zur Sommerzeit um und anfangs war es ungewohnt gewesen dass die Sommertage nun um eine Stunde kuumlr-zer waren aber man gewoumlhnte sich daran Waumlhrend des Krieges hatte es eine Zeit gegeben in der fortwaumlhrend

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Sommerzeit gegolten hatte und man die Uhren uumlberhaupt nicht mehr umstellte irgendwann war ein konzeptloses Wechseln erfolgt Dann war die Regelung durch die Besat-zungsmaumlchte wieder geaumlndert worden und sie bestimm-ten eine Umstellung auf die Sommerzeit ndash wobei diese in der sowjetischen Besatzungszone Berlins 1945 ganze zwei Monate laumlnger gedauert hatte Jetzt endlich hatte die Regierung sich auf eine einheitliche Zeit festgelegt die fuumlr das gesamte Jahr galt ndash die Ruumlckkehr zur Normalzeit Emma hoffte dass das so blieb

Als sie durch die Straszlige spazierte hier und da einen heimkehrenden Nachbarn oder Bekannten gruumlszligte ndash die Tochter des Herrn Doktor kannte man im gesamten Vier-tel ndash fiel ihr ein Mann auf der gerade ein Haus verlieszlig sich noch einmal umdrehte einem weiteren Mann der in der offenen Tuumlr stand etwas sagte und dann durch den Vorgarten schritt und auf sein Auto zuging Dominik Lichtenthal Emma blieb stehen sah ihn an wusste nicht ob sie zu ihm gehen und houmlflich gruumlszligen oder ihn ignorie-ren sollte Er nahm ihr die Entscheidung ab als er sie be-merkte kurz stutzte als muumlsste er ihr Gesicht erst einem Namen zuordnen und sie dann anlaumlchelte

raquoGuten Abend Emma Wie geht es dirlaquoSie ging auf ihn zu raquoSehr gut vielen Danklaquo Sie wusste

nie so recht ob sie ihn duzen sollte oder nicht denn einer-seits war er ein Fremder andererseits aber der Ehemann ihrer Tante und damit praktisch ihr Onkel

raquoIch habe gehoumlrt du studierst ChemielaquoraquoJa ich werde diesen Sommer fertiglaquoraquoUnd dann geht es in den Konzern deiner Mutterlaquo

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Unschluumlssig hob Emma die Schultern raquoAch das weiszlig ich noch gar nichtlaquo

Dominik Lichtenthal schloss seinen Wagen auf raquoWenn du dich lieber auf dem freien Markt umsehen moumlchtest sag Bescheid ich kann faumlhige Chemiker immer gebrau-chenlaquo

Es war schon fast skurril dass Emma diesen Gedanken erst vor kurzem gehegt hatte und ihn nun ausgesprochen houmlrte Da sie nicht rundheraus ablehnen wollte dankte sie ihm und nachdem sie ihm gesagt hatte er moumlge seine Familie von ihr gruumlszligen stieg er in seinen Wagen und fuhr los Im Grunde genommen war das doch albern dass ihre Mutter immer noch nichts mit ihrer Schwester zu tun haben wollte Emma kannte die alte Geschichte und natuumlr lich war es hart auf einen Schlag sein gesam-tes Erbe zu verlieren und die unvermittelt aufgetauchte fremde Schwester als einzige Gewinnerin in dieser Situa-tion zu sehen aber das Ganze war jetzt gut fuumlnfundzwan-zig Jahre her irgendwann musste es doch mal gut sein Und es war ja nun wahrlich nicht so als wuumlrde der Besitz des Hauses in der Friedrichstraszlige noch einen nennenswer-ten Unter schied im Vermoumlgen ihrer Mutter machen Im Gegenteil ndash waumlre sie dort geblieben haumltte sie es vielleicht nie so weit gebracht

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Juni 1952

Die einstmals goldene Zeit merkte man der ehemaligen Amuumlsiermeile auf der Friedrichstraszlige nicht mehr an und Helena verspuumlrte jedes Mal beim Besuch ihres Schoumlnheits-salons diesen Stich des Bedauerns Als sie in den Zwan-zigern hier angekommen war hatte das Leben pulsiert mit Autos Bussen Bahnen Fuszliggaumlngern Radfahrern und noch vereinzelten Droschken Die Kreuzung an der Leip-ziger Straszlige war ein so verkehrsreicher Knotenpunkt ge-wesen dass es fuumlr die aus der Provinz stammende Helena anfangs schon eine Herausforderung gewesen war lebend von einer Straszligenseite auf die andere zu gelangen

Nach dem Krieg war die Straszlige eine von Ruinen ge-saumlumte Schuttwuumlste geworden und auch wenn die Truumlm-mer in weiten Teilen fortgeraumlumt waren so erinnerte doch nur wenig an fruumlher Helena hatte mehrfach uumlberlegt den Schoumlnheitssalon einfach aufzugeben aber das brachte sie nicht uumlber sich Vielleicht normalisierte sich hier ja alles irgendwann wieder das konnte doch nicht ewig so blei-ben Ihr Schoumlnheitssalon in der Friedrichstraszlige befand sich im Amerikanischen Sektor der in Berlin-Mitte gehoumlrte nun zur DDR ihr Werk wiederum zum Franzoumlsischen

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Sektor Dominiks sowie ihr Wohnsitz lagen im Britischen Sektor Das war doch auf Dauer kein Zustand Den Salon in Berlin-Mitte hatte sie aufgeben muumlssen und sie sah sich bereits nach Alternativen um

Als Helena in den Salon trat kam ihr Ida ndash fruumlher Wag-ner jetzt Zeller ndash entgegen raquoKaffeelaquo

raquoUnbedingtlaquo Helena haumlngte ihren Mantel an die Gar-derobe und betrat den Salon Es war noch fruumlh und sie wuumlrden erst in einer halben Stunde oumlffnen Ida hatte schon in den Dreiszligigern die Leitung des Salons uumlbernommen als Helena damit beschaumlftigt gewesen war einen weiteren in Berlin-Mitte zu eroumlffnen

raquoWie geht es den MaumldchenlaquoHelena setzte sich in einen der bequemen Besucher-

stuumlhle wo die Frauen sich bei einer Tasse Kaffee oder Tee und etwas Gebaumlck entspannen konnten raquoMarion faumlngt bei mir im Werk an der Termin steht jetztlaquo Das war Schock und freudige Uumlberraschung zugleich gewesen und Helena wusste selbst nicht ob ihre Bestuumlrzung oder ihre Freude uumlberwog Natuumlrlich hatte sie gehofft dass Marion als Aumlrztin praktizierte immerhin hatte sie stu-diert und damit ein klares Ziel vor Augen gehabt Ande-rerseits freute es sie dass ihre Tochter Interesse an ihrem Unternehmen zeigte ndash und nicht an Dominiks wie eine kleine nicht zu unterdruumlckende Stimme des Triumphs in ihr betonte raquoUnd Fanny schlieszligt das Schuljahr mit sehr guten Noten ablaquo

raquoMathematik macht ihr wieder SpaszliglaquoraquoNachdem Ferdinands Ehefrau es ihr erklaumlrt hat was

ihr unfaumlhiger Lehrer offenbar nicht hinbekommtlaquo Fer-

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dinand war der Patenonkel beider Toumlchter und seine Frau eine begabte Mathematikerin

Die Schwangerschaft mit Fanny hatte Helena seinerzeit einen gehoumlrigen Schrecken eingejagt All die Jahre hatte sie es erfolgreich vermieden zu empfangen und dann als die Welt am Abgrund stand kuumlndigte sich neues Leben an Schlimm genug mitanzusehen wie Marion bereits in der Schule darauf vorbereitet wurde in den BDM einzu-treten da wollte sie diesem System nicht noch ein Kind schenken Es war Rudolf Liliengrund gewesen dem Fanny es zu verdanken hatte dass Helena keinen Abbruch hatte vornehmen lassen

raquoGerade in diesen Zeiten sollten die Anstaumlndigen sich vermehrenlaquo

Ihr lieber Rudolf der seine gesamte Familie verloren und selbst nur knapp und unter Entbehrungen die Flucht geschafft hatte weil er zu lange gezoumlgert geglaubt hatte es wuumlrde alles gut werden Und so hatte Helena Fanny aus-getragen hatte schon in der Schwangerschaft eine so innige Beziehung zu dem Kind gehabt wie sie es sich nicht hatte vorstellen koumlnnen Es war ganz anders als mit Marion zu der sie erst eine enge Bindung hatte aufbauen koumlnnen als diese bereits ein Kleinkind gewesen war Waumlhrend Marion von Geburt an ein Papakind war so war Fanny von Geburt an ganz und gar ihre Tochter Helena hatte sie sogar mit zur Arbeit genommen weil sie sich nicht von ihr trennen mochte hatte sie im Buumlro gestillt und in der Wiege neben sich schlafen lassen Undenkbar dieses Baby jemand ande-rem anzuvertrauen Dabei liebte sie Marion nicht weniger und sie verstand auch im Nachhinein nicht warum sie bei

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beiden Kindern schon in der Schwangerschaft so unter-schiedlich empfunden hatte

raquoDu solltest endlich aufhoumlren das zu hinterfragenlaquo hatte ihre beste Freundin Irene Danelius gesagt raquoEs ist jetzt wie es ist Freu dich einfach Gerade jetzt haben wir alle wahrhaftig Probleme genug da muss man nicht auch noch welche hinzuredenlaquo

Als im November 1938 die Synagogen brannten hatte Irene das Land verlassen raquoIch komme zuruumlck wenn der Irrsinn vorbei istlaquo hatte sie gesagt und war nach Amerika gegangen Dort war sie zur Filmgroumlszlige geworden hatte einen bekannten Produzenten geheiratet und lebte nach wie vor in den Vereinigten Staaten Helena vermisste sie immer noch sehr und war auch schon einmal mit ihrer Familie in New York gewesen um sie zu besuchen

raquoFahrt ihr diesen Sommer weglaquo fragte Ida und setzte sich nun ebenfalls

raquoAuf jeden Fall fuumlr zwei Wochen zu meiner Mutter Und von da aus vielleicht weiter in Richtung Schweizlaquo Vor allem auf die Zeit bei ihrer Mutter freute sich Helena das waren jedes Mal schoumlne Tage mit all den fruumlheren Freunden und Bekannten sowie mit der Baronin fuumlr die sie und ihre Mutter fruumlher gearbeitet hatten und bei der ihre Mutter nun den Altersruhesitz hatte Fuumlr Helenas Familie standen immer Gaumlstezimmer bereit Ein wenig behandelte man sie dort wie eine Prominente die Dienst-botentochter die es in der Weltmetropole zu etwas ge-bracht hatte mit einem reichen Mann verheiratet war und mit Filmstars verkehrte

Kurz darauf trafen die uumlbrigen Mitarbeiterinnen ein

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und dann kamen auch schon die ersten Kundinnen Helena unterhielt sich mit einigen der Damen beriet hier und da persoumlnlich und machte sich dann auf den Weg ins Werk Unmittelbar nach dem Krieg war es schwierig gewesen die Rohstoffe fuumlr die Produktion von Kosmetik aufzutrei-ben vielfach waren sie nur zu Schwarzmarktpreisen zu be-kommen Viele Rohstoffe wurden in der Pharmaindustrie dringender benoumltigt und natuumlrlich hatte die medizini-sche Versorgung Vorrang vor der kosmetischen Gerade nach dem Krieg hatten sie alle andere Sorgen gehabt wes-halb Helenas Werk voruumlbergehend die Produktion um-stellte und der chemischen Industrie zuarbeitete waumlhrend die Schoumlnheitssalons Obdachlosen offenstanden Erst vier Jahre nach Kriegsende als der Hungerwinter vorbei war und die Menschen durch die Waumlhrungsreform wieder uumlber Geld verfuumlgten hatte Helena Kosmetikherstellung und Schoumlnheitsbehandlungen wieder aufgenommen

Im Werk ging Helena direkt in ihr Buumlro und sah sich Werbeentwuumlrfe an Sie liebte ihre Arbeit und sie machte ihr nach wie vor Spaszlig allerdings fehlte ihr die Heraus-forderung Die Kosmetik entwickelte sich stetig weiter und mittlerweile war Forschung und Entwicklung eine eigene Abteilung in ihrem Unternehmen Natuumlrlich freute sie sich daruumlber aber sie vermisste die Zeiten in denen sie selbst in ihrer Fertigung gesessen und experimentiert hatte Vielleicht war es wirklich gut dass Marion hier demnaumlchst etwas frischen Wind hereinbringen wuumlrde Wie wohl Charlotte darauf reagierte dass Helena ihr nun Konkurrenz machen wuumlrde

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Emma houmlrte den Streit bis ins Wohnzimmer Ihre Mutter hielt Leopold vor er naumlhme die Arbeit nicht ausreichend ernst und bringe sich zu wenig ein Wie er bei dem Ge-schaumlftstermin am Vortag nur dagesessen und auf einmal zu zittern begonnen habe Wenn es nicht anders ging dann solle er eben seine Medikamente wieder nehmen Und ndash verdammt noch mal ndash endlich mehr Nervenstaumlrke zei- gen

Auch an diesem Morgen hatte es schon wieder damit begonnen dass Leopold beim Fruumlhstuumlck sehr still gewe-sen war was fuumlr Emma immer ein Zeichen fuumlr schlimme Traumlume war Auf Ausfuumlhrungen ihrer Mutter zu dem heu-tigen Arbeitstag hatte er nur genickt was diese wiederum zu dem Schluss kommen lieszlig dass er sich nur unzurei-chend interessierte Uumlberhaupt habe er keine innovativen Ideen arbeite den Tag ab ohne echtes Interesse zu zeigen an dem was er tat Irgendwann war ein handfester Streit ausgebrochen der auch dann noch anhielt als Emma das Esszimmer verlassen hatte und nun in der Kuumlche den Ab-wasch machte Schlieszliglich hielt sie es nicht mehr aus lief ins Esszimmer zuruumlck

raquoWas willst du eigentlichlaquo fuhr sie ihre Mutter an raquoEr tut doch alles was er solllaquo

raquoEmma lass nurlaquo sagte Leopold raquoIch mache helliplaquoraquoNein ich lasse es nicht Koumlnnen wir nicht mal einen

Morgen friedlich verbringen wie andere Familien auch Muss hier immer den ganzen Tag uumlber Streit herrschen und abends gehen wir dann versoumlhnt schlafen Wozu Um am naumlchsten Tag wieder loszulegen Das ist doch nicht mehr auszuhaltenlaquo

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raquoWie redest du eigentlich mit mirlaquo Die Stimme ihrer Mutter war ganz kalt geworden bar jeder Emotion

raquoIch helliplaquo Die aufbrausende Wut fiel von Emma ab und sie wusste nicht mehr was sie nun sagen sollte raquoIch hellip ich habe heute keine Uni und wollte ohnehin fragen ob ich mit ins Werk kannlaquo Der Einfall war ihr gerade erst ge-kommen raquoIch koumlnnte Leo zuarbeiten und so schon einmal Einblicke bekommenlaquo

Die frostglitzernde Wut im Blick ihrer Mutter schmolz zu Uumlberraschung raquoAch waslaquo

raquoIch habe mir lange uumlberlegt was ich mit meinem Che-miestudium machelaquo

raquoHeiszligt das es steht nicht zu erwarten dass du dich nun nach einer passenden Partie umsiehstlaquo Fuumlr jemanden der selbst gluumlcklich verheiratet gewesen war zeigte ihre Mut-ter eine sehr ablehnende Haltung zu Emmas Eheplaumlnen

raquoNoch ist ja niemand in Aussicht nicht wahrlaquo ver-setzte Emma der Hoffnung einen Daumlmpfer

Ihre Mutter schien damit zufrieden zu sein raquoSchoumln dann beeil dich wir brechen gleich auflaquo

Sie und Leopold fuhren in der Regel gemeinsam los und Leopold lieszlig dann den Wagen fuumlr sie im Werk und kehrte puumlnktlich zum Buumlroschluss mit der Bahn nach Hause zu-ruumlck Das tat er vermutlich vor allem aus dem Grund weil er den Abstand brauchte

raquoIch habe uumlbrigens gehoumlrt dass Marion in der Chariteacute aufhoumlrtlaquo erzaumlhlte Emma als sie auf der Ruumlckbank des Wagens Platz genommen hatte

raquoWelche Marionlaquo fragte ihre Mutter und Emma haumltte gerne gewusst ob sie das wirklich nicht wusste

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raquoUnsere CousinelaquoraquoUnd warum sollte es mich interessieren was diese Per-

son tutlaquoraquoWeil sie deine Nichte ist moumlglicherweiselaquoVon hinten konnte Emma das Schulterzucken sehenraquoAuf jeden Fall heiszligt es sie wollte in das Unternehmen

von Tante Helena einsteigenlaquo Mit einiger Befriedigung bemerkte Emma dass ihre Mutter bei dieser persoumlnlichen Bezeichnung kaum merklich zusammenzuckte

raquoIn der TatlaquoraquoSie hat einige Semester Chemie studiert das hatte ich

doch erzaumlhltlaquoraquoJa hattest du Auch dass sie es mit deinem Chemie-

professor getrieben hatlaquoraquoMutterlaquo kam es von LeopoldraquoDas habe ich nie gesagtlaquo Emma lehnte sich vor als

koumlnne sie ihren Worten damit mehr Nachdruck verleihen raquoIch sagte sie gehen miteinander auslaquo

raquoWenn sie nach ihrer Mutter kommt gibt es das eine nicht ohne das andere Gerne auch zum Nachteil der eigenen Familie Sind deine Noten bei besagtem Profes-sor nicht danach schlechter gewordenlaquo

raquoDas war bei Professor Guenther nicht bei Professor Hellweg mit dem Marion aus war Meine Guumltelaquo Emma hatte langsam genug Dieser sture verbohrte Zorn ihrer Mutter war nicht mehr zu ertragen Mit Ende vierzig konnte sie sich auf jeden Fall noch nicht mit Altersstarr-sinn herausreden raquoHoumlr zu wenn das hier jeden Morgen der Beginn meines Arbeitstages wird sag es direkt dann reicht mir der einmalige Ausflug in dein Unternehmen

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und ich bewerbe mich morgen beim Pharmaunternehmen Lichtenthallaquo

Ihre Mutter fuhr herum raquoDas wagst du nichtlaquoraquoLass es gerne darauf ankommenlaquoLange sah ihre Mutter sie an dann zuckte es um ihre

Lippen Widerspruchsgeist gefiel ihr und sie schien auf einmal versoumlhnt Emma wuumlrde bleiben wuumlrde es allein um Leopolds willen tun Vielleicht wuumlrde es leichter fuumlr ihn mit ihr an seiner Seite

Das ehemalige Werksgelaumlnde hatte in Berlin-Oberschouml-neweide gestanden aber sie waren noch vor dem Krieg um-gezogen was sich als richtige Entscheidung erwiesen hatte wenngleich zu der Zeit noch niemand hatte wissen koumlnnen dass dieser Stadtteil unter sowjetische Verwaltung gestellt werden wuumlrde Das jetzige Werk stand in Berlin-Tempel-hof im Amerikanischen Sektor und hatte im Krieg ebenfalls gelitten Sie fuhren durch das Tor und Leopold parkte den Wagen auf der dafuumlr vorgesehenen Flaumlche auf der weitere Autos Motorraumlder und Mopeds standen

Ihre Mutter begleitete sie bis in die Etage in der sich die Raumlumlichkeiten der Geschaumlftsfuumlhrung befanden dann ging sie in ihr Buumlro waumlhrend Emma Leopold in seines be-gleitete

raquoWeiszligt dulaquo sagte er als er auf einen der Stuumlhle wies raquodu musst das nicht tunlaquo

raquoWas meinst dulaquo Emma lieszlig sich auf der Besucherseite seines Schreibtischs nieder

raquoDas weiszligt du genau Mich hierher zu begleiten ob-wohl du nie im Sinn hattest in der Firma zu arbeiten Du musst mich nicht vor Mutter beschuumltzenlaquo

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raquoDas tue ich doch gar nichtlaquoLeopold antwortete nicht ging nur zur Tuumlr oumlffnete sie

und rief in das gegenuumlberliegende Zimmer der beiden Sekretaumlrinnen dass man ihm und seiner Schwester bitte Kaffee bringen moumlge raquoEs war nie dein Plan hier zu ar-beitenlaquo

raquoPlaumlne koumlnnen sich aumlndernlaquoraquoVon einem Tag auf den anderenlaquoraquoJa warum denn nicht Und wer sagt uumlberhaupt dass

es so abrupt war Vielleicht denke ich ja schon laumlnger da-ruumlber nach und habe dir einfach noch nichts erzaumlhltlaquo Emma zog einen Bleistift aus dem Stiftebecher und drehte ihn zwischen den Fingern raquoUumlbrigens hat mir Dominik Lichtenthal ein Stellenangebot gemachtlaquo Gespannt be-obachtete sie Leopolds Reaktion

raquoWannlaquoraquoIch bin ihm mal abends beim Spaziergang begegnetlaquoraquoUnd da hat er dir ndash ohne dich und deine Befaumlhigung

so recht zu kennen ndash eine Stelle angebotenlaquoraquoWir haben uns kurz unterhalten und er weiszlig dass ich

Chemie studiere Da meinte er wenn ich nicht fuumlr Mutter arbeiten wolle solle ich mich bei ihm melden er koumlnne faumlhige Chemiker immer gebrauchenlaquo

raquoMutter enterbt dich wenn du das tustlaquoraquoDas waumlre nicht so schlimm denn dann erbst du alles

und wirst mir meinen Teil einfach auszahlenlaquoraquoIst das solaquoraquoNatuumlrlichlaquo Emma zog ihre Zigaretten hervorraquoDu willst doch wohl hier nicht rauchenlaquoAnstelle einer Antwort steckte sie sich eine Zigarette

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zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

bei Lichtenthal in Aussicht und einem groszligzuumlgigen Bru-der der dir deinen Erbanteil abtrittlaquo

Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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in den Dosen belieszlig was ihre Mutter stets als mangelnde Esskultur bezeichnete Emma hingegen war es zu viel Auf-wand jetzt alles auf Tellern anzuordnen nur um dann das meiste wieder zuruumlckzufuumlllen und wegzuraumlumen und mehr zum Abspuumllen zu haben Sie lieszlig sich ihrem Bruder gegen-uumlber am Tisch nieder Im Gegensatz zu ihrer Mutter hatte Emma bislang keine groszligen beruflichen Ambitionen ge-habt sie studierte Chemie allein aus dem Grund weil es sie interessierte aber sie hatte keine konkreten Plaumlne da-ruumlber hinaus ndash ein staumlndiges Aumlrgernis fuumlr Charlotte Ru-dorf Emmas Plan war gewesen zum Zeitvertreib etwas zu studieren das ihr Spaszlig machte und danach zu heiraten Im Laufe des Studiums hatte sich ihr Interesse allerdings ge-wandelt In der Fakultaumlt war sie hin und wieder ihrer Cou-sine Marion uumlber den Weg gelaufen die mit einem von Emmas Professoren ausgegangen war und sie fand sie glei-chermaszligen interessant wie inspirierend Sie hatte sogar kurz mit dem Gedanken gespielt sich im Pharmakonzern Lich-tenthal zu bewerben aber da haumltte vermutlich eine Andeu-tung gereicht und ihre Mutter waumlre die Waumlnde hochge-gangen Mit ihrer Schwester Helena hatte sie sich schon vor Jahren entzweit und eine Annaumlherung war nicht in Sicht

Beim Essen plauderten sie uumlber Allgemeines Leopold zog sie mit einem Dozenten auf von dem sie ndash seiner Mei-nung nach ndash verdaumlchtig oft sprach Daraufhin erinnerte sie an die Verkaumluferin aus dem KaDeWe mit der er fortwaumlh-rend ausging ohne dass die Sache von der Stelle kam Spauml-ter raumlumten sie zusammen ab erledigten den Abwasch und wollten gerade ins Wohnzimmer gehen um das Radio ein-zuschalten als ihre Mutter die Wohnungstuumlr aufschloss

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raquoGuten Abendlaquo Charlotte Rudorf sah muumlde aus und Emma ging zu ihr um ihr den Mantel abzunehmen und ihn an die Garderobe zu haumlngen

raquoSoll ich das Abendessen wieder auf den Tisch stellenlaquo fragte Emma

raquoNein lass nur ich habe im Werk eine Kleinigkeit ge-gessenlaquo

So war es fast jeden Abend im Grunde genommen aszligen sie nur noch am Wochenende regelmaumlszligig zusammen und fanden sich ansonsten morgens zu einem raschen Fruumlh-stuumlck in der Kuumlche ein Ihre Mutter wechselte einen kur-zen Blick mit Leopold aus dem klar ersichtlich wurde dass die beiden noch vor gar nicht langer Zeit gestritten hatten ndash ganz so wie von Emma vermutet Nun jedoch zeigte sich ein zoumlgerliches Laumlcheln auf den Lippen Char-lotte Rudorfs und auch das war typisch Zum Abend hin legte sie Streit gerne bei mochte es nicht unversoumlhnt schlafen zu gehen

Im Wohnzimmer schalteten sie das Radio ein Emma houmlrte nur mit halbem Ohr hin und hatte ihr Buch wie-der aufgeschlagen war aber auch hier nicht bei der Sache Schlieszliglich gab sie es auf und beschloss noch ein wenig spazieren zu gehen

raquoUm diese Uhrzeitlaquo fragte ihre Mutter die gerade mit einer Tasse Kraumlutertee ins Wohnzimmer trat

raquoEs ist kurz nach achtlaquoNun blickte auch Leopold auf sah sie an als witterte er

hinter ihrem Wunsch eine tiefere WahrheitraquoEs ist nur ein Spazierganglaquo sagte sie und haumltte am

liebsten die Augen verdreht raquoMir geht so viel im Kopf

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herum und ich kann meine Gedanken beim Gehen am besten sortierenlaquo

raquoWie war eigentlich deine Klausurlaquo wollte ihr Mut-ter nun wissen

raquoGut denke ichlaquo Emma ging in den Flur nahm einen leichten Mantel vom Haken legte sich einen Seidenschal um und warf noch einen kurzen Blick in den Spiegel Seit kurzem trug sie ihr hellbraunes Haar knapp schulterlang und in groszlige Locken gelegt die sie mit einer Spange seit-lich zuruumlckhielt Jetzt zupfte sie ein wenig daran herum bis sie schlieszliglich zufrieden war und verlieszlig die Wohnung Sie wohnten in der ersten Etage direkt uumlber der Arztpraxis die Wohnung im zweiten Stock stand derzeit leer Fruumlher einmal hatte Emmas Groszligmutter dort gewohnt aber sie lebte bereits seit fast dreiszligig Jahren bei ihrer Tochter erst in Hamburg und seit kurz vor dem Krieg in Muumlnchen da der Ehemann von Emmas Tante dorthin versetzt worden war Leider kam sie nur noch selten zu Besuch da lange Reisen sie zu sehr anstrengten Emma bedauerte das denn sie mochte ihre Groszligmutter die auch mit achtzig noch ruumlstiger und scharfsinniger war als manch junge Frau die Emma kannte

Es daumlmmerte bereits und die langen Schatten des spauml-ten Nachmittags waren ineinandergekrochen verdichte-ten sich langsam und entfaumlrbten den Tag zu einem lich-ten Grau Seit zwei Jahren stellte man die Uhren nicht mehr zur Sommerzeit um und anfangs war es ungewohnt gewesen dass die Sommertage nun um eine Stunde kuumlr-zer waren aber man gewoumlhnte sich daran Waumlhrend des Krieges hatte es eine Zeit gegeben in der fortwaumlhrend

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Sommerzeit gegolten hatte und man die Uhren uumlberhaupt nicht mehr umstellte irgendwann war ein konzeptloses Wechseln erfolgt Dann war die Regelung durch die Besat-zungsmaumlchte wieder geaumlndert worden und sie bestimm-ten eine Umstellung auf die Sommerzeit ndash wobei diese in der sowjetischen Besatzungszone Berlins 1945 ganze zwei Monate laumlnger gedauert hatte Jetzt endlich hatte die Regierung sich auf eine einheitliche Zeit festgelegt die fuumlr das gesamte Jahr galt ndash die Ruumlckkehr zur Normalzeit Emma hoffte dass das so blieb

Als sie durch die Straszlige spazierte hier und da einen heimkehrenden Nachbarn oder Bekannten gruumlszligte ndash die Tochter des Herrn Doktor kannte man im gesamten Vier-tel ndash fiel ihr ein Mann auf der gerade ein Haus verlieszlig sich noch einmal umdrehte einem weiteren Mann der in der offenen Tuumlr stand etwas sagte und dann durch den Vorgarten schritt und auf sein Auto zuging Dominik Lichtenthal Emma blieb stehen sah ihn an wusste nicht ob sie zu ihm gehen und houmlflich gruumlszligen oder ihn ignorie-ren sollte Er nahm ihr die Entscheidung ab als er sie be-merkte kurz stutzte als muumlsste er ihr Gesicht erst einem Namen zuordnen und sie dann anlaumlchelte

raquoGuten Abend Emma Wie geht es dirlaquoSie ging auf ihn zu raquoSehr gut vielen Danklaquo Sie wusste

nie so recht ob sie ihn duzen sollte oder nicht denn einer-seits war er ein Fremder andererseits aber der Ehemann ihrer Tante und damit praktisch ihr Onkel

raquoIch habe gehoumlrt du studierst ChemielaquoraquoJa ich werde diesen Sommer fertiglaquoraquoUnd dann geht es in den Konzern deiner Mutterlaquo

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Unschluumlssig hob Emma die Schultern raquoAch das weiszlig ich noch gar nichtlaquo

Dominik Lichtenthal schloss seinen Wagen auf raquoWenn du dich lieber auf dem freien Markt umsehen moumlchtest sag Bescheid ich kann faumlhige Chemiker immer gebrau-chenlaquo

Es war schon fast skurril dass Emma diesen Gedanken erst vor kurzem gehegt hatte und ihn nun ausgesprochen houmlrte Da sie nicht rundheraus ablehnen wollte dankte sie ihm und nachdem sie ihm gesagt hatte er moumlge seine Familie von ihr gruumlszligen stieg er in seinen Wagen und fuhr los Im Grunde genommen war das doch albern dass ihre Mutter immer noch nichts mit ihrer Schwester zu tun haben wollte Emma kannte die alte Geschichte und natuumlr lich war es hart auf einen Schlag sein gesam-tes Erbe zu verlieren und die unvermittelt aufgetauchte fremde Schwester als einzige Gewinnerin in dieser Situa-tion zu sehen aber das Ganze war jetzt gut fuumlnfundzwan-zig Jahre her irgendwann musste es doch mal gut sein Und es war ja nun wahrlich nicht so als wuumlrde der Besitz des Hauses in der Friedrichstraszlige noch einen nennenswer-ten Unter schied im Vermoumlgen ihrer Mutter machen Im Gegenteil ndash waumlre sie dort geblieben haumltte sie es vielleicht nie so weit gebracht

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Juni 1952

Die einstmals goldene Zeit merkte man der ehemaligen Amuumlsiermeile auf der Friedrichstraszlige nicht mehr an und Helena verspuumlrte jedes Mal beim Besuch ihres Schoumlnheits-salons diesen Stich des Bedauerns Als sie in den Zwan-zigern hier angekommen war hatte das Leben pulsiert mit Autos Bussen Bahnen Fuszliggaumlngern Radfahrern und noch vereinzelten Droschken Die Kreuzung an der Leip-ziger Straszlige war ein so verkehrsreicher Knotenpunkt ge-wesen dass es fuumlr die aus der Provinz stammende Helena anfangs schon eine Herausforderung gewesen war lebend von einer Straszligenseite auf die andere zu gelangen

Nach dem Krieg war die Straszlige eine von Ruinen ge-saumlumte Schuttwuumlste geworden und auch wenn die Truumlm-mer in weiten Teilen fortgeraumlumt waren so erinnerte doch nur wenig an fruumlher Helena hatte mehrfach uumlberlegt den Schoumlnheitssalon einfach aufzugeben aber das brachte sie nicht uumlber sich Vielleicht normalisierte sich hier ja alles irgendwann wieder das konnte doch nicht ewig so blei-ben Ihr Schoumlnheitssalon in der Friedrichstraszlige befand sich im Amerikanischen Sektor der in Berlin-Mitte gehoumlrte nun zur DDR ihr Werk wiederum zum Franzoumlsischen

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Sektor Dominiks sowie ihr Wohnsitz lagen im Britischen Sektor Das war doch auf Dauer kein Zustand Den Salon in Berlin-Mitte hatte sie aufgeben muumlssen und sie sah sich bereits nach Alternativen um

Als Helena in den Salon trat kam ihr Ida ndash fruumlher Wag-ner jetzt Zeller ndash entgegen raquoKaffeelaquo

raquoUnbedingtlaquo Helena haumlngte ihren Mantel an die Gar-derobe und betrat den Salon Es war noch fruumlh und sie wuumlrden erst in einer halben Stunde oumlffnen Ida hatte schon in den Dreiszligigern die Leitung des Salons uumlbernommen als Helena damit beschaumlftigt gewesen war einen weiteren in Berlin-Mitte zu eroumlffnen

raquoWie geht es den MaumldchenlaquoHelena setzte sich in einen der bequemen Besucher-

stuumlhle wo die Frauen sich bei einer Tasse Kaffee oder Tee und etwas Gebaumlck entspannen konnten raquoMarion faumlngt bei mir im Werk an der Termin steht jetztlaquo Das war Schock und freudige Uumlberraschung zugleich gewesen und Helena wusste selbst nicht ob ihre Bestuumlrzung oder ihre Freude uumlberwog Natuumlrlich hatte sie gehofft dass Marion als Aumlrztin praktizierte immerhin hatte sie stu-diert und damit ein klares Ziel vor Augen gehabt Ande-rerseits freute es sie dass ihre Tochter Interesse an ihrem Unternehmen zeigte ndash und nicht an Dominiks wie eine kleine nicht zu unterdruumlckende Stimme des Triumphs in ihr betonte raquoUnd Fanny schlieszligt das Schuljahr mit sehr guten Noten ablaquo

raquoMathematik macht ihr wieder SpaszliglaquoraquoNachdem Ferdinands Ehefrau es ihr erklaumlrt hat was

ihr unfaumlhiger Lehrer offenbar nicht hinbekommtlaquo Fer-

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dinand war der Patenonkel beider Toumlchter und seine Frau eine begabte Mathematikerin

Die Schwangerschaft mit Fanny hatte Helena seinerzeit einen gehoumlrigen Schrecken eingejagt All die Jahre hatte sie es erfolgreich vermieden zu empfangen und dann als die Welt am Abgrund stand kuumlndigte sich neues Leben an Schlimm genug mitanzusehen wie Marion bereits in der Schule darauf vorbereitet wurde in den BDM einzu-treten da wollte sie diesem System nicht noch ein Kind schenken Es war Rudolf Liliengrund gewesen dem Fanny es zu verdanken hatte dass Helena keinen Abbruch hatte vornehmen lassen

raquoGerade in diesen Zeiten sollten die Anstaumlndigen sich vermehrenlaquo

Ihr lieber Rudolf der seine gesamte Familie verloren und selbst nur knapp und unter Entbehrungen die Flucht geschafft hatte weil er zu lange gezoumlgert geglaubt hatte es wuumlrde alles gut werden Und so hatte Helena Fanny aus-getragen hatte schon in der Schwangerschaft eine so innige Beziehung zu dem Kind gehabt wie sie es sich nicht hatte vorstellen koumlnnen Es war ganz anders als mit Marion zu der sie erst eine enge Bindung hatte aufbauen koumlnnen als diese bereits ein Kleinkind gewesen war Waumlhrend Marion von Geburt an ein Papakind war so war Fanny von Geburt an ganz und gar ihre Tochter Helena hatte sie sogar mit zur Arbeit genommen weil sie sich nicht von ihr trennen mochte hatte sie im Buumlro gestillt und in der Wiege neben sich schlafen lassen Undenkbar dieses Baby jemand ande-rem anzuvertrauen Dabei liebte sie Marion nicht weniger und sie verstand auch im Nachhinein nicht warum sie bei

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beiden Kindern schon in der Schwangerschaft so unter-schiedlich empfunden hatte

raquoDu solltest endlich aufhoumlren das zu hinterfragenlaquo hatte ihre beste Freundin Irene Danelius gesagt raquoEs ist jetzt wie es ist Freu dich einfach Gerade jetzt haben wir alle wahrhaftig Probleme genug da muss man nicht auch noch welche hinzuredenlaquo

Als im November 1938 die Synagogen brannten hatte Irene das Land verlassen raquoIch komme zuruumlck wenn der Irrsinn vorbei istlaquo hatte sie gesagt und war nach Amerika gegangen Dort war sie zur Filmgroumlszlige geworden hatte einen bekannten Produzenten geheiratet und lebte nach wie vor in den Vereinigten Staaten Helena vermisste sie immer noch sehr und war auch schon einmal mit ihrer Familie in New York gewesen um sie zu besuchen

raquoFahrt ihr diesen Sommer weglaquo fragte Ida und setzte sich nun ebenfalls

raquoAuf jeden Fall fuumlr zwei Wochen zu meiner Mutter Und von da aus vielleicht weiter in Richtung Schweizlaquo Vor allem auf die Zeit bei ihrer Mutter freute sich Helena das waren jedes Mal schoumlne Tage mit all den fruumlheren Freunden und Bekannten sowie mit der Baronin fuumlr die sie und ihre Mutter fruumlher gearbeitet hatten und bei der ihre Mutter nun den Altersruhesitz hatte Fuumlr Helenas Familie standen immer Gaumlstezimmer bereit Ein wenig behandelte man sie dort wie eine Prominente die Dienst-botentochter die es in der Weltmetropole zu etwas ge-bracht hatte mit einem reichen Mann verheiratet war und mit Filmstars verkehrte

Kurz darauf trafen die uumlbrigen Mitarbeiterinnen ein

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und dann kamen auch schon die ersten Kundinnen Helena unterhielt sich mit einigen der Damen beriet hier und da persoumlnlich und machte sich dann auf den Weg ins Werk Unmittelbar nach dem Krieg war es schwierig gewesen die Rohstoffe fuumlr die Produktion von Kosmetik aufzutrei-ben vielfach waren sie nur zu Schwarzmarktpreisen zu be-kommen Viele Rohstoffe wurden in der Pharmaindustrie dringender benoumltigt und natuumlrlich hatte die medizini-sche Versorgung Vorrang vor der kosmetischen Gerade nach dem Krieg hatten sie alle andere Sorgen gehabt wes-halb Helenas Werk voruumlbergehend die Produktion um-stellte und der chemischen Industrie zuarbeitete waumlhrend die Schoumlnheitssalons Obdachlosen offenstanden Erst vier Jahre nach Kriegsende als der Hungerwinter vorbei war und die Menschen durch die Waumlhrungsreform wieder uumlber Geld verfuumlgten hatte Helena Kosmetikherstellung und Schoumlnheitsbehandlungen wieder aufgenommen

Im Werk ging Helena direkt in ihr Buumlro und sah sich Werbeentwuumlrfe an Sie liebte ihre Arbeit und sie machte ihr nach wie vor Spaszlig allerdings fehlte ihr die Heraus-forderung Die Kosmetik entwickelte sich stetig weiter und mittlerweile war Forschung und Entwicklung eine eigene Abteilung in ihrem Unternehmen Natuumlrlich freute sie sich daruumlber aber sie vermisste die Zeiten in denen sie selbst in ihrer Fertigung gesessen und experimentiert hatte Vielleicht war es wirklich gut dass Marion hier demnaumlchst etwas frischen Wind hereinbringen wuumlrde Wie wohl Charlotte darauf reagierte dass Helena ihr nun Konkurrenz machen wuumlrde

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Emma houmlrte den Streit bis ins Wohnzimmer Ihre Mutter hielt Leopold vor er naumlhme die Arbeit nicht ausreichend ernst und bringe sich zu wenig ein Wie er bei dem Ge-schaumlftstermin am Vortag nur dagesessen und auf einmal zu zittern begonnen habe Wenn es nicht anders ging dann solle er eben seine Medikamente wieder nehmen Und ndash verdammt noch mal ndash endlich mehr Nervenstaumlrke zei- gen

Auch an diesem Morgen hatte es schon wieder damit begonnen dass Leopold beim Fruumlhstuumlck sehr still gewe-sen war was fuumlr Emma immer ein Zeichen fuumlr schlimme Traumlume war Auf Ausfuumlhrungen ihrer Mutter zu dem heu-tigen Arbeitstag hatte er nur genickt was diese wiederum zu dem Schluss kommen lieszlig dass er sich nur unzurei-chend interessierte Uumlberhaupt habe er keine innovativen Ideen arbeite den Tag ab ohne echtes Interesse zu zeigen an dem was er tat Irgendwann war ein handfester Streit ausgebrochen der auch dann noch anhielt als Emma das Esszimmer verlassen hatte und nun in der Kuumlche den Ab-wasch machte Schlieszliglich hielt sie es nicht mehr aus lief ins Esszimmer zuruumlck

raquoWas willst du eigentlichlaquo fuhr sie ihre Mutter an raquoEr tut doch alles was er solllaquo

raquoEmma lass nurlaquo sagte Leopold raquoIch mache helliplaquoraquoNein ich lasse es nicht Koumlnnen wir nicht mal einen

Morgen friedlich verbringen wie andere Familien auch Muss hier immer den ganzen Tag uumlber Streit herrschen und abends gehen wir dann versoumlhnt schlafen Wozu Um am naumlchsten Tag wieder loszulegen Das ist doch nicht mehr auszuhaltenlaquo

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raquoWie redest du eigentlich mit mirlaquo Die Stimme ihrer Mutter war ganz kalt geworden bar jeder Emotion

raquoIch helliplaquo Die aufbrausende Wut fiel von Emma ab und sie wusste nicht mehr was sie nun sagen sollte raquoIch hellip ich habe heute keine Uni und wollte ohnehin fragen ob ich mit ins Werk kannlaquo Der Einfall war ihr gerade erst ge-kommen raquoIch koumlnnte Leo zuarbeiten und so schon einmal Einblicke bekommenlaquo

Die frostglitzernde Wut im Blick ihrer Mutter schmolz zu Uumlberraschung raquoAch waslaquo

raquoIch habe mir lange uumlberlegt was ich mit meinem Che-miestudium machelaquo

raquoHeiszligt das es steht nicht zu erwarten dass du dich nun nach einer passenden Partie umsiehstlaquo Fuumlr jemanden der selbst gluumlcklich verheiratet gewesen war zeigte ihre Mut-ter eine sehr ablehnende Haltung zu Emmas Eheplaumlnen

raquoNoch ist ja niemand in Aussicht nicht wahrlaquo ver-setzte Emma der Hoffnung einen Daumlmpfer

Ihre Mutter schien damit zufrieden zu sein raquoSchoumln dann beeil dich wir brechen gleich auflaquo

Sie und Leopold fuhren in der Regel gemeinsam los und Leopold lieszlig dann den Wagen fuumlr sie im Werk und kehrte puumlnktlich zum Buumlroschluss mit der Bahn nach Hause zu-ruumlck Das tat er vermutlich vor allem aus dem Grund weil er den Abstand brauchte

raquoIch habe uumlbrigens gehoumlrt dass Marion in der Chariteacute aufhoumlrtlaquo erzaumlhlte Emma als sie auf der Ruumlckbank des Wagens Platz genommen hatte

raquoWelche Marionlaquo fragte ihre Mutter und Emma haumltte gerne gewusst ob sie das wirklich nicht wusste

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raquoUnsere CousinelaquoraquoUnd warum sollte es mich interessieren was diese Per-

son tutlaquoraquoWeil sie deine Nichte ist moumlglicherweiselaquoVon hinten konnte Emma das Schulterzucken sehenraquoAuf jeden Fall heiszligt es sie wollte in das Unternehmen

von Tante Helena einsteigenlaquo Mit einiger Befriedigung bemerkte Emma dass ihre Mutter bei dieser persoumlnlichen Bezeichnung kaum merklich zusammenzuckte

raquoIn der TatlaquoraquoSie hat einige Semester Chemie studiert das hatte ich

doch erzaumlhltlaquoraquoJa hattest du Auch dass sie es mit deinem Chemie-

professor getrieben hatlaquoraquoMutterlaquo kam es von LeopoldraquoDas habe ich nie gesagtlaquo Emma lehnte sich vor als

koumlnne sie ihren Worten damit mehr Nachdruck verleihen raquoIch sagte sie gehen miteinander auslaquo

raquoWenn sie nach ihrer Mutter kommt gibt es das eine nicht ohne das andere Gerne auch zum Nachteil der eigenen Familie Sind deine Noten bei besagtem Profes-sor nicht danach schlechter gewordenlaquo

raquoDas war bei Professor Guenther nicht bei Professor Hellweg mit dem Marion aus war Meine Guumltelaquo Emma hatte langsam genug Dieser sture verbohrte Zorn ihrer Mutter war nicht mehr zu ertragen Mit Ende vierzig konnte sie sich auf jeden Fall noch nicht mit Altersstarr-sinn herausreden raquoHoumlr zu wenn das hier jeden Morgen der Beginn meines Arbeitstages wird sag es direkt dann reicht mir der einmalige Ausflug in dein Unternehmen

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und ich bewerbe mich morgen beim Pharmaunternehmen Lichtenthallaquo

Ihre Mutter fuhr herum raquoDas wagst du nichtlaquoraquoLass es gerne darauf ankommenlaquoLange sah ihre Mutter sie an dann zuckte es um ihre

Lippen Widerspruchsgeist gefiel ihr und sie schien auf einmal versoumlhnt Emma wuumlrde bleiben wuumlrde es allein um Leopolds willen tun Vielleicht wuumlrde es leichter fuumlr ihn mit ihr an seiner Seite

Das ehemalige Werksgelaumlnde hatte in Berlin-Oberschouml-neweide gestanden aber sie waren noch vor dem Krieg um-gezogen was sich als richtige Entscheidung erwiesen hatte wenngleich zu der Zeit noch niemand hatte wissen koumlnnen dass dieser Stadtteil unter sowjetische Verwaltung gestellt werden wuumlrde Das jetzige Werk stand in Berlin-Tempel-hof im Amerikanischen Sektor und hatte im Krieg ebenfalls gelitten Sie fuhren durch das Tor und Leopold parkte den Wagen auf der dafuumlr vorgesehenen Flaumlche auf der weitere Autos Motorraumlder und Mopeds standen

Ihre Mutter begleitete sie bis in die Etage in der sich die Raumlumlichkeiten der Geschaumlftsfuumlhrung befanden dann ging sie in ihr Buumlro waumlhrend Emma Leopold in seines be-gleitete

raquoWeiszligt dulaquo sagte er als er auf einen der Stuumlhle wies raquodu musst das nicht tunlaquo

raquoWas meinst dulaquo Emma lieszlig sich auf der Besucherseite seines Schreibtischs nieder

raquoDas weiszligt du genau Mich hierher zu begleiten ob-wohl du nie im Sinn hattest in der Firma zu arbeiten Du musst mich nicht vor Mutter beschuumltzenlaquo

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raquoDas tue ich doch gar nichtlaquoLeopold antwortete nicht ging nur zur Tuumlr oumlffnete sie

und rief in das gegenuumlberliegende Zimmer der beiden Sekretaumlrinnen dass man ihm und seiner Schwester bitte Kaffee bringen moumlge raquoEs war nie dein Plan hier zu ar-beitenlaquo

raquoPlaumlne koumlnnen sich aumlndernlaquoraquoVon einem Tag auf den anderenlaquoraquoJa warum denn nicht Und wer sagt uumlberhaupt dass

es so abrupt war Vielleicht denke ich ja schon laumlnger da-ruumlber nach und habe dir einfach noch nichts erzaumlhltlaquo Emma zog einen Bleistift aus dem Stiftebecher und drehte ihn zwischen den Fingern raquoUumlbrigens hat mir Dominik Lichtenthal ein Stellenangebot gemachtlaquo Gespannt be-obachtete sie Leopolds Reaktion

raquoWannlaquoraquoIch bin ihm mal abends beim Spaziergang begegnetlaquoraquoUnd da hat er dir ndash ohne dich und deine Befaumlhigung

so recht zu kennen ndash eine Stelle angebotenlaquoraquoWir haben uns kurz unterhalten und er weiszlig dass ich

Chemie studiere Da meinte er wenn ich nicht fuumlr Mutter arbeiten wolle solle ich mich bei ihm melden er koumlnne faumlhige Chemiker immer gebrauchenlaquo

raquoMutter enterbt dich wenn du das tustlaquoraquoDas waumlre nicht so schlimm denn dann erbst du alles

und wirst mir meinen Teil einfach auszahlenlaquoraquoIst das solaquoraquoNatuumlrlichlaquo Emma zog ihre Zigaretten hervorraquoDu willst doch wohl hier nicht rauchenlaquoAnstelle einer Antwort steckte sie sich eine Zigarette

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zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

bei Lichtenthal in Aussicht und einem groszligzuumlgigen Bru-der der dir deinen Erbanteil abtrittlaquo

Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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raquoGuten Abendlaquo Charlotte Rudorf sah muumlde aus und Emma ging zu ihr um ihr den Mantel abzunehmen und ihn an die Garderobe zu haumlngen

raquoSoll ich das Abendessen wieder auf den Tisch stellenlaquo fragte Emma

raquoNein lass nur ich habe im Werk eine Kleinigkeit ge-gessenlaquo

So war es fast jeden Abend im Grunde genommen aszligen sie nur noch am Wochenende regelmaumlszligig zusammen und fanden sich ansonsten morgens zu einem raschen Fruumlh-stuumlck in der Kuumlche ein Ihre Mutter wechselte einen kur-zen Blick mit Leopold aus dem klar ersichtlich wurde dass die beiden noch vor gar nicht langer Zeit gestritten hatten ndash ganz so wie von Emma vermutet Nun jedoch zeigte sich ein zoumlgerliches Laumlcheln auf den Lippen Char-lotte Rudorfs und auch das war typisch Zum Abend hin legte sie Streit gerne bei mochte es nicht unversoumlhnt schlafen zu gehen

Im Wohnzimmer schalteten sie das Radio ein Emma houmlrte nur mit halbem Ohr hin und hatte ihr Buch wie-der aufgeschlagen war aber auch hier nicht bei der Sache Schlieszliglich gab sie es auf und beschloss noch ein wenig spazieren zu gehen

raquoUm diese Uhrzeitlaquo fragte ihre Mutter die gerade mit einer Tasse Kraumlutertee ins Wohnzimmer trat

raquoEs ist kurz nach achtlaquoNun blickte auch Leopold auf sah sie an als witterte er

hinter ihrem Wunsch eine tiefere WahrheitraquoEs ist nur ein Spazierganglaquo sagte sie und haumltte am

liebsten die Augen verdreht raquoMir geht so viel im Kopf

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herum und ich kann meine Gedanken beim Gehen am besten sortierenlaquo

raquoWie war eigentlich deine Klausurlaquo wollte ihr Mut-ter nun wissen

raquoGut denke ichlaquo Emma ging in den Flur nahm einen leichten Mantel vom Haken legte sich einen Seidenschal um und warf noch einen kurzen Blick in den Spiegel Seit kurzem trug sie ihr hellbraunes Haar knapp schulterlang und in groszlige Locken gelegt die sie mit einer Spange seit-lich zuruumlckhielt Jetzt zupfte sie ein wenig daran herum bis sie schlieszliglich zufrieden war und verlieszlig die Wohnung Sie wohnten in der ersten Etage direkt uumlber der Arztpraxis die Wohnung im zweiten Stock stand derzeit leer Fruumlher einmal hatte Emmas Groszligmutter dort gewohnt aber sie lebte bereits seit fast dreiszligig Jahren bei ihrer Tochter erst in Hamburg und seit kurz vor dem Krieg in Muumlnchen da der Ehemann von Emmas Tante dorthin versetzt worden war Leider kam sie nur noch selten zu Besuch da lange Reisen sie zu sehr anstrengten Emma bedauerte das denn sie mochte ihre Groszligmutter die auch mit achtzig noch ruumlstiger und scharfsinniger war als manch junge Frau die Emma kannte

Es daumlmmerte bereits und die langen Schatten des spauml-ten Nachmittags waren ineinandergekrochen verdichte-ten sich langsam und entfaumlrbten den Tag zu einem lich-ten Grau Seit zwei Jahren stellte man die Uhren nicht mehr zur Sommerzeit um und anfangs war es ungewohnt gewesen dass die Sommertage nun um eine Stunde kuumlr-zer waren aber man gewoumlhnte sich daran Waumlhrend des Krieges hatte es eine Zeit gegeben in der fortwaumlhrend

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Sommerzeit gegolten hatte und man die Uhren uumlberhaupt nicht mehr umstellte irgendwann war ein konzeptloses Wechseln erfolgt Dann war die Regelung durch die Besat-zungsmaumlchte wieder geaumlndert worden und sie bestimm-ten eine Umstellung auf die Sommerzeit ndash wobei diese in der sowjetischen Besatzungszone Berlins 1945 ganze zwei Monate laumlnger gedauert hatte Jetzt endlich hatte die Regierung sich auf eine einheitliche Zeit festgelegt die fuumlr das gesamte Jahr galt ndash die Ruumlckkehr zur Normalzeit Emma hoffte dass das so blieb

Als sie durch die Straszlige spazierte hier und da einen heimkehrenden Nachbarn oder Bekannten gruumlszligte ndash die Tochter des Herrn Doktor kannte man im gesamten Vier-tel ndash fiel ihr ein Mann auf der gerade ein Haus verlieszlig sich noch einmal umdrehte einem weiteren Mann der in der offenen Tuumlr stand etwas sagte und dann durch den Vorgarten schritt und auf sein Auto zuging Dominik Lichtenthal Emma blieb stehen sah ihn an wusste nicht ob sie zu ihm gehen und houmlflich gruumlszligen oder ihn ignorie-ren sollte Er nahm ihr die Entscheidung ab als er sie be-merkte kurz stutzte als muumlsste er ihr Gesicht erst einem Namen zuordnen und sie dann anlaumlchelte

raquoGuten Abend Emma Wie geht es dirlaquoSie ging auf ihn zu raquoSehr gut vielen Danklaquo Sie wusste

nie so recht ob sie ihn duzen sollte oder nicht denn einer-seits war er ein Fremder andererseits aber der Ehemann ihrer Tante und damit praktisch ihr Onkel

raquoIch habe gehoumlrt du studierst ChemielaquoraquoJa ich werde diesen Sommer fertiglaquoraquoUnd dann geht es in den Konzern deiner Mutterlaquo

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Unschluumlssig hob Emma die Schultern raquoAch das weiszlig ich noch gar nichtlaquo

Dominik Lichtenthal schloss seinen Wagen auf raquoWenn du dich lieber auf dem freien Markt umsehen moumlchtest sag Bescheid ich kann faumlhige Chemiker immer gebrau-chenlaquo

Es war schon fast skurril dass Emma diesen Gedanken erst vor kurzem gehegt hatte und ihn nun ausgesprochen houmlrte Da sie nicht rundheraus ablehnen wollte dankte sie ihm und nachdem sie ihm gesagt hatte er moumlge seine Familie von ihr gruumlszligen stieg er in seinen Wagen und fuhr los Im Grunde genommen war das doch albern dass ihre Mutter immer noch nichts mit ihrer Schwester zu tun haben wollte Emma kannte die alte Geschichte und natuumlr lich war es hart auf einen Schlag sein gesam-tes Erbe zu verlieren und die unvermittelt aufgetauchte fremde Schwester als einzige Gewinnerin in dieser Situa-tion zu sehen aber das Ganze war jetzt gut fuumlnfundzwan-zig Jahre her irgendwann musste es doch mal gut sein Und es war ja nun wahrlich nicht so als wuumlrde der Besitz des Hauses in der Friedrichstraszlige noch einen nennenswer-ten Unter schied im Vermoumlgen ihrer Mutter machen Im Gegenteil ndash waumlre sie dort geblieben haumltte sie es vielleicht nie so weit gebracht

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Juni 1952

Die einstmals goldene Zeit merkte man der ehemaligen Amuumlsiermeile auf der Friedrichstraszlige nicht mehr an und Helena verspuumlrte jedes Mal beim Besuch ihres Schoumlnheits-salons diesen Stich des Bedauerns Als sie in den Zwan-zigern hier angekommen war hatte das Leben pulsiert mit Autos Bussen Bahnen Fuszliggaumlngern Radfahrern und noch vereinzelten Droschken Die Kreuzung an der Leip-ziger Straszlige war ein so verkehrsreicher Knotenpunkt ge-wesen dass es fuumlr die aus der Provinz stammende Helena anfangs schon eine Herausforderung gewesen war lebend von einer Straszligenseite auf die andere zu gelangen

Nach dem Krieg war die Straszlige eine von Ruinen ge-saumlumte Schuttwuumlste geworden und auch wenn die Truumlm-mer in weiten Teilen fortgeraumlumt waren so erinnerte doch nur wenig an fruumlher Helena hatte mehrfach uumlberlegt den Schoumlnheitssalon einfach aufzugeben aber das brachte sie nicht uumlber sich Vielleicht normalisierte sich hier ja alles irgendwann wieder das konnte doch nicht ewig so blei-ben Ihr Schoumlnheitssalon in der Friedrichstraszlige befand sich im Amerikanischen Sektor der in Berlin-Mitte gehoumlrte nun zur DDR ihr Werk wiederum zum Franzoumlsischen

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Sektor Dominiks sowie ihr Wohnsitz lagen im Britischen Sektor Das war doch auf Dauer kein Zustand Den Salon in Berlin-Mitte hatte sie aufgeben muumlssen und sie sah sich bereits nach Alternativen um

Als Helena in den Salon trat kam ihr Ida ndash fruumlher Wag-ner jetzt Zeller ndash entgegen raquoKaffeelaquo

raquoUnbedingtlaquo Helena haumlngte ihren Mantel an die Gar-derobe und betrat den Salon Es war noch fruumlh und sie wuumlrden erst in einer halben Stunde oumlffnen Ida hatte schon in den Dreiszligigern die Leitung des Salons uumlbernommen als Helena damit beschaumlftigt gewesen war einen weiteren in Berlin-Mitte zu eroumlffnen

raquoWie geht es den MaumldchenlaquoHelena setzte sich in einen der bequemen Besucher-

stuumlhle wo die Frauen sich bei einer Tasse Kaffee oder Tee und etwas Gebaumlck entspannen konnten raquoMarion faumlngt bei mir im Werk an der Termin steht jetztlaquo Das war Schock und freudige Uumlberraschung zugleich gewesen und Helena wusste selbst nicht ob ihre Bestuumlrzung oder ihre Freude uumlberwog Natuumlrlich hatte sie gehofft dass Marion als Aumlrztin praktizierte immerhin hatte sie stu-diert und damit ein klares Ziel vor Augen gehabt Ande-rerseits freute es sie dass ihre Tochter Interesse an ihrem Unternehmen zeigte ndash und nicht an Dominiks wie eine kleine nicht zu unterdruumlckende Stimme des Triumphs in ihr betonte raquoUnd Fanny schlieszligt das Schuljahr mit sehr guten Noten ablaquo

raquoMathematik macht ihr wieder SpaszliglaquoraquoNachdem Ferdinands Ehefrau es ihr erklaumlrt hat was

ihr unfaumlhiger Lehrer offenbar nicht hinbekommtlaquo Fer-

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dinand war der Patenonkel beider Toumlchter und seine Frau eine begabte Mathematikerin

Die Schwangerschaft mit Fanny hatte Helena seinerzeit einen gehoumlrigen Schrecken eingejagt All die Jahre hatte sie es erfolgreich vermieden zu empfangen und dann als die Welt am Abgrund stand kuumlndigte sich neues Leben an Schlimm genug mitanzusehen wie Marion bereits in der Schule darauf vorbereitet wurde in den BDM einzu-treten da wollte sie diesem System nicht noch ein Kind schenken Es war Rudolf Liliengrund gewesen dem Fanny es zu verdanken hatte dass Helena keinen Abbruch hatte vornehmen lassen

raquoGerade in diesen Zeiten sollten die Anstaumlndigen sich vermehrenlaquo

Ihr lieber Rudolf der seine gesamte Familie verloren und selbst nur knapp und unter Entbehrungen die Flucht geschafft hatte weil er zu lange gezoumlgert geglaubt hatte es wuumlrde alles gut werden Und so hatte Helena Fanny aus-getragen hatte schon in der Schwangerschaft eine so innige Beziehung zu dem Kind gehabt wie sie es sich nicht hatte vorstellen koumlnnen Es war ganz anders als mit Marion zu der sie erst eine enge Bindung hatte aufbauen koumlnnen als diese bereits ein Kleinkind gewesen war Waumlhrend Marion von Geburt an ein Papakind war so war Fanny von Geburt an ganz und gar ihre Tochter Helena hatte sie sogar mit zur Arbeit genommen weil sie sich nicht von ihr trennen mochte hatte sie im Buumlro gestillt und in der Wiege neben sich schlafen lassen Undenkbar dieses Baby jemand ande-rem anzuvertrauen Dabei liebte sie Marion nicht weniger und sie verstand auch im Nachhinein nicht warum sie bei

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beiden Kindern schon in der Schwangerschaft so unter-schiedlich empfunden hatte

raquoDu solltest endlich aufhoumlren das zu hinterfragenlaquo hatte ihre beste Freundin Irene Danelius gesagt raquoEs ist jetzt wie es ist Freu dich einfach Gerade jetzt haben wir alle wahrhaftig Probleme genug da muss man nicht auch noch welche hinzuredenlaquo

Als im November 1938 die Synagogen brannten hatte Irene das Land verlassen raquoIch komme zuruumlck wenn der Irrsinn vorbei istlaquo hatte sie gesagt und war nach Amerika gegangen Dort war sie zur Filmgroumlszlige geworden hatte einen bekannten Produzenten geheiratet und lebte nach wie vor in den Vereinigten Staaten Helena vermisste sie immer noch sehr und war auch schon einmal mit ihrer Familie in New York gewesen um sie zu besuchen

raquoFahrt ihr diesen Sommer weglaquo fragte Ida und setzte sich nun ebenfalls

raquoAuf jeden Fall fuumlr zwei Wochen zu meiner Mutter Und von da aus vielleicht weiter in Richtung Schweizlaquo Vor allem auf die Zeit bei ihrer Mutter freute sich Helena das waren jedes Mal schoumlne Tage mit all den fruumlheren Freunden und Bekannten sowie mit der Baronin fuumlr die sie und ihre Mutter fruumlher gearbeitet hatten und bei der ihre Mutter nun den Altersruhesitz hatte Fuumlr Helenas Familie standen immer Gaumlstezimmer bereit Ein wenig behandelte man sie dort wie eine Prominente die Dienst-botentochter die es in der Weltmetropole zu etwas ge-bracht hatte mit einem reichen Mann verheiratet war und mit Filmstars verkehrte

Kurz darauf trafen die uumlbrigen Mitarbeiterinnen ein

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und dann kamen auch schon die ersten Kundinnen Helena unterhielt sich mit einigen der Damen beriet hier und da persoumlnlich und machte sich dann auf den Weg ins Werk Unmittelbar nach dem Krieg war es schwierig gewesen die Rohstoffe fuumlr die Produktion von Kosmetik aufzutrei-ben vielfach waren sie nur zu Schwarzmarktpreisen zu be-kommen Viele Rohstoffe wurden in der Pharmaindustrie dringender benoumltigt und natuumlrlich hatte die medizini-sche Versorgung Vorrang vor der kosmetischen Gerade nach dem Krieg hatten sie alle andere Sorgen gehabt wes-halb Helenas Werk voruumlbergehend die Produktion um-stellte und der chemischen Industrie zuarbeitete waumlhrend die Schoumlnheitssalons Obdachlosen offenstanden Erst vier Jahre nach Kriegsende als der Hungerwinter vorbei war und die Menschen durch die Waumlhrungsreform wieder uumlber Geld verfuumlgten hatte Helena Kosmetikherstellung und Schoumlnheitsbehandlungen wieder aufgenommen

Im Werk ging Helena direkt in ihr Buumlro und sah sich Werbeentwuumlrfe an Sie liebte ihre Arbeit und sie machte ihr nach wie vor Spaszlig allerdings fehlte ihr die Heraus-forderung Die Kosmetik entwickelte sich stetig weiter und mittlerweile war Forschung und Entwicklung eine eigene Abteilung in ihrem Unternehmen Natuumlrlich freute sie sich daruumlber aber sie vermisste die Zeiten in denen sie selbst in ihrer Fertigung gesessen und experimentiert hatte Vielleicht war es wirklich gut dass Marion hier demnaumlchst etwas frischen Wind hereinbringen wuumlrde Wie wohl Charlotte darauf reagierte dass Helena ihr nun Konkurrenz machen wuumlrde

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Emma houmlrte den Streit bis ins Wohnzimmer Ihre Mutter hielt Leopold vor er naumlhme die Arbeit nicht ausreichend ernst und bringe sich zu wenig ein Wie er bei dem Ge-schaumlftstermin am Vortag nur dagesessen und auf einmal zu zittern begonnen habe Wenn es nicht anders ging dann solle er eben seine Medikamente wieder nehmen Und ndash verdammt noch mal ndash endlich mehr Nervenstaumlrke zei- gen

Auch an diesem Morgen hatte es schon wieder damit begonnen dass Leopold beim Fruumlhstuumlck sehr still gewe-sen war was fuumlr Emma immer ein Zeichen fuumlr schlimme Traumlume war Auf Ausfuumlhrungen ihrer Mutter zu dem heu-tigen Arbeitstag hatte er nur genickt was diese wiederum zu dem Schluss kommen lieszlig dass er sich nur unzurei-chend interessierte Uumlberhaupt habe er keine innovativen Ideen arbeite den Tag ab ohne echtes Interesse zu zeigen an dem was er tat Irgendwann war ein handfester Streit ausgebrochen der auch dann noch anhielt als Emma das Esszimmer verlassen hatte und nun in der Kuumlche den Ab-wasch machte Schlieszliglich hielt sie es nicht mehr aus lief ins Esszimmer zuruumlck

raquoWas willst du eigentlichlaquo fuhr sie ihre Mutter an raquoEr tut doch alles was er solllaquo

raquoEmma lass nurlaquo sagte Leopold raquoIch mache helliplaquoraquoNein ich lasse es nicht Koumlnnen wir nicht mal einen

Morgen friedlich verbringen wie andere Familien auch Muss hier immer den ganzen Tag uumlber Streit herrschen und abends gehen wir dann versoumlhnt schlafen Wozu Um am naumlchsten Tag wieder loszulegen Das ist doch nicht mehr auszuhaltenlaquo

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raquoWie redest du eigentlich mit mirlaquo Die Stimme ihrer Mutter war ganz kalt geworden bar jeder Emotion

raquoIch helliplaquo Die aufbrausende Wut fiel von Emma ab und sie wusste nicht mehr was sie nun sagen sollte raquoIch hellip ich habe heute keine Uni und wollte ohnehin fragen ob ich mit ins Werk kannlaquo Der Einfall war ihr gerade erst ge-kommen raquoIch koumlnnte Leo zuarbeiten und so schon einmal Einblicke bekommenlaquo

Die frostglitzernde Wut im Blick ihrer Mutter schmolz zu Uumlberraschung raquoAch waslaquo

raquoIch habe mir lange uumlberlegt was ich mit meinem Che-miestudium machelaquo

raquoHeiszligt das es steht nicht zu erwarten dass du dich nun nach einer passenden Partie umsiehstlaquo Fuumlr jemanden der selbst gluumlcklich verheiratet gewesen war zeigte ihre Mut-ter eine sehr ablehnende Haltung zu Emmas Eheplaumlnen

raquoNoch ist ja niemand in Aussicht nicht wahrlaquo ver-setzte Emma der Hoffnung einen Daumlmpfer

Ihre Mutter schien damit zufrieden zu sein raquoSchoumln dann beeil dich wir brechen gleich auflaquo

Sie und Leopold fuhren in der Regel gemeinsam los und Leopold lieszlig dann den Wagen fuumlr sie im Werk und kehrte puumlnktlich zum Buumlroschluss mit der Bahn nach Hause zu-ruumlck Das tat er vermutlich vor allem aus dem Grund weil er den Abstand brauchte

raquoIch habe uumlbrigens gehoumlrt dass Marion in der Chariteacute aufhoumlrtlaquo erzaumlhlte Emma als sie auf der Ruumlckbank des Wagens Platz genommen hatte

raquoWelche Marionlaquo fragte ihre Mutter und Emma haumltte gerne gewusst ob sie das wirklich nicht wusste

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raquoUnsere CousinelaquoraquoUnd warum sollte es mich interessieren was diese Per-

son tutlaquoraquoWeil sie deine Nichte ist moumlglicherweiselaquoVon hinten konnte Emma das Schulterzucken sehenraquoAuf jeden Fall heiszligt es sie wollte in das Unternehmen

von Tante Helena einsteigenlaquo Mit einiger Befriedigung bemerkte Emma dass ihre Mutter bei dieser persoumlnlichen Bezeichnung kaum merklich zusammenzuckte

raquoIn der TatlaquoraquoSie hat einige Semester Chemie studiert das hatte ich

doch erzaumlhltlaquoraquoJa hattest du Auch dass sie es mit deinem Chemie-

professor getrieben hatlaquoraquoMutterlaquo kam es von LeopoldraquoDas habe ich nie gesagtlaquo Emma lehnte sich vor als

koumlnne sie ihren Worten damit mehr Nachdruck verleihen raquoIch sagte sie gehen miteinander auslaquo

raquoWenn sie nach ihrer Mutter kommt gibt es das eine nicht ohne das andere Gerne auch zum Nachteil der eigenen Familie Sind deine Noten bei besagtem Profes-sor nicht danach schlechter gewordenlaquo

raquoDas war bei Professor Guenther nicht bei Professor Hellweg mit dem Marion aus war Meine Guumltelaquo Emma hatte langsam genug Dieser sture verbohrte Zorn ihrer Mutter war nicht mehr zu ertragen Mit Ende vierzig konnte sie sich auf jeden Fall noch nicht mit Altersstarr-sinn herausreden raquoHoumlr zu wenn das hier jeden Morgen der Beginn meines Arbeitstages wird sag es direkt dann reicht mir der einmalige Ausflug in dein Unternehmen

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und ich bewerbe mich morgen beim Pharmaunternehmen Lichtenthallaquo

Ihre Mutter fuhr herum raquoDas wagst du nichtlaquoraquoLass es gerne darauf ankommenlaquoLange sah ihre Mutter sie an dann zuckte es um ihre

Lippen Widerspruchsgeist gefiel ihr und sie schien auf einmal versoumlhnt Emma wuumlrde bleiben wuumlrde es allein um Leopolds willen tun Vielleicht wuumlrde es leichter fuumlr ihn mit ihr an seiner Seite

Das ehemalige Werksgelaumlnde hatte in Berlin-Oberschouml-neweide gestanden aber sie waren noch vor dem Krieg um-gezogen was sich als richtige Entscheidung erwiesen hatte wenngleich zu der Zeit noch niemand hatte wissen koumlnnen dass dieser Stadtteil unter sowjetische Verwaltung gestellt werden wuumlrde Das jetzige Werk stand in Berlin-Tempel-hof im Amerikanischen Sektor und hatte im Krieg ebenfalls gelitten Sie fuhren durch das Tor und Leopold parkte den Wagen auf der dafuumlr vorgesehenen Flaumlche auf der weitere Autos Motorraumlder und Mopeds standen

Ihre Mutter begleitete sie bis in die Etage in der sich die Raumlumlichkeiten der Geschaumlftsfuumlhrung befanden dann ging sie in ihr Buumlro waumlhrend Emma Leopold in seines be-gleitete

raquoWeiszligt dulaquo sagte er als er auf einen der Stuumlhle wies raquodu musst das nicht tunlaquo

raquoWas meinst dulaquo Emma lieszlig sich auf der Besucherseite seines Schreibtischs nieder

raquoDas weiszligt du genau Mich hierher zu begleiten ob-wohl du nie im Sinn hattest in der Firma zu arbeiten Du musst mich nicht vor Mutter beschuumltzenlaquo

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raquoDas tue ich doch gar nichtlaquoLeopold antwortete nicht ging nur zur Tuumlr oumlffnete sie

und rief in das gegenuumlberliegende Zimmer der beiden Sekretaumlrinnen dass man ihm und seiner Schwester bitte Kaffee bringen moumlge raquoEs war nie dein Plan hier zu ar-beitenlaquo

raquoPlaumlne koumlnnen sich aumlndernlaquoraquoVon einem Tag auf den anderenlaquoraquoJa warum denn nicht Und wer sagt uumlberhaupt dass

es so abrupt war Vielleicht denke ich ja schon laumlnger da-ruumlber nach und habe dir einfach noch nichts erzaumlhltlaquo Emma zog einen Bleistift aus dem Stiftebecher und drehte ihn zwischen den Fingern raquoUumlbrigens hat mir Dominik Lichtenthal ein Stellenangebot gemachtlaquo Gespannt be-obachtete sie Leopolds Reaktion

raquoWannlaquoraquoIch bin ihm mal abends beim Spaziergang begegnetlaquoraquoUnd da hat er dir ndash ohne dich und deine Befaumlhigung

so recht zu kennen ndash eine Stelle angebotenlaquoraquoWir haben uns kurz unterhalten und er weiszlig dass ich

Chemie studiere Da meinte er wenn ich nicht fuumlr Mutter arbeiten wolle solle ich mich bei ihm melden er koumlnne faumlhige Chemiker immer gebrauchenlaquo

raquoMutter enterbt dich wenn du das tustlaquoraquoDas waumlre nicht so schlimm denn dann erbst du alles

und wirst mir meinen Teil einfach auszahlenlaquoraquoIst das solaquoraquoNatuumlrlichlaquo Emma zog ihre Zigaretten hervorraquoDu willst doch wohl hier nicht rauchenlaquoAnstelle einer Antwort steckte sie sich eine Zigarette

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zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

bei Lichtenthal in Aussicht und einem groszligzuumlgigen Bru-der der dir deinen Erbanteil abtrittlaquo

Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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herum und ich kann meine Gedanken beim Gehen am besten sortierenlaquo

raquoWie war eigentlich deine Klausurlaquo wollte ihr Mut-ter nun wissen

raquoGut denke ichlaquo Emma ging in den Flur nahm einen leichten Mantel vom Haken legte sich einen Seidenschal um und warf noch einen kurzen Blick in den Spiegel Seit kurzem trug sie ihr hellbraunes Haar knapp schulterlang und in groszlige Locken gelegt die sie mit einer Spange seit-lich zuruumlckhielt Jetzt zupfte sie ein wenig daran herum bis sie schlieszliglich zufrieden war und verlieszlig die Wohnung Sie wohnten in der ersten Etage direkt uumlber der Arztpraxis die Wohnung im zweiten Stock stand derzeit leer Fruumlher einmal hatte Emmas Groszligmutter dort gewohnt aber sie lebte bereits seit fast dreiszligig Jahren bei ihrer Tochter erst in Hamburg und seit kurz vor dem Krieg in Muumlnchen da der Ehemann von Emmas Tante dorthin versetzt worden war Leider kam sie nur noch selten zu Besuch da lange Reisen sie zu sehr anstrengten Emma bedauerte das denn sie mochte ihre Groszligmutter die auch mit achtzig noch ruumlstiger und scharfsinniger war als manch junge Frau die Emma kannte

Es daumlmmerte bereits und die langen Schatten des spauml-ten Nachmittags waren ineinandergekrochen verdichte-ten sich langsam und entfaumlrbten den Tag zu einem lich-ten Grau Seit zwei Jahren stellte man die Uhren nicht mehr zur Sommerzeit um und anfangs war es ungewohnt gewesen dass die Sommertage nun um eine Stunde kuumlr-zer waren aber man gewoumlhnte sich daran Waumlhrend des Krieges hatte es eine Zeit gegeben in der fortwaumlhrend

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Sommerzeit gegolten hatte und man die Uhren uumlberhaupt nicht mehr umstellte irgendwann war ein konzeptloses Wechseln erfolgt Dann war die Regelung durch die Besat-zungsmaumlchte wieder geaumlndert worden und sie bestimm-ten eine Umstellung auf die Sommerzeit ndash wobei diese in der sowjetischen Besatzungszone Berlins 1945 ganze zwei Monate laumlnger gedauert hatte Jetzt endlich hatte die Regierung sich auf eine einheitliche Zeit festgelegt die fuumlr das gesamte Jahr galt ndash die Ruumlckkehr zur Normalzeit Emma hoffte dass das so blieb

Als sie durch die Straszlige spazierte hier und da einen heimkehrenden Nachbarn oder Bekannten gruumlszligte ndash die Tochter des Herrn Doktor kannte man im gesamten Vier-tel ndash fiel ihr ein Mann auf der gerade ein Haus verlieszlig sich noch einmal umdrehte einem weiteren Mann der in der offenen Tuumlr stand etwas sagte und dann durch den Vorgarten schritt und auf sein Auto zuging Dominik Lichtenthal Emma blieb stehen sah ihn an wusste nicht ob sie zu ihm gehen und houmlflich gruumlszligen oder ihn ignorie-ren sollte Er nahm ihr die Entscheidung ab als er sie be-merkte kurz stutzte als muumlsste er ihr Gesicht erst einem Namen zuordnen und sie dann anlaumlchelte

raquoGuten Abend Emma Wie geht es dirlaquoSie ging auf ihn zu raquoSehr gut vielen Danklaquo Sie wusste

nie so recht ob sie ihn duzen sollte oder nicht denn einer-seits war er ein Fremder andererseits aber der Ehemann ihrer Tante und damit praktisch ihr Onkel

raquoIch habe gehoumlrt du studierst ChemielaquoraquoJa ich werde diesen Sommer fertiglaquoraquoUnd dann geht es in den Konzern deiner Mutterlaquo

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Unschluumlssig hob Emma die Schultern raquoAch das weiszlig ich noch gar nichtlaquo

Dominik Lichtenthal schloss seinen Wagen auf raquoWenn du dich lieber auf dem freien Markt umsehen moumlchtest sag Bescheid ich kann faumlhige Chemiker immer gebrau-chenlaquo

Es war schon fast skurril dass Emma diesen Gedanken erst vor kurzem gehegt hatte und ihn nun ausgesprochen houmlrte Da sie nicht rundheraus ablehnen wollte dankte sie ihm und nachdem sie ihm gesagt hatte er moumlge seine Familie von ihr gruumlszligen stieg er in seinen Wagen und fuhr los Im Grunde genommen war das doch albern dass ihre Mutter immer noch nichts mit ihrer Schwester zu tun haben wollte Emma kannte die alte Geschichte und natuumlr lich war es hart auf einen Schlag sein gesam-tes Erbe zu verlieren und die unvermittelt aufgetauchte fremde Schwester als einzige Gewinnerin in dieser Situa-tion zu sehen aber das Ganze war jetzt gut fuumlnfundzwan-zig Jahre her irgendwann musste es doch mal gut sein Und es war ja nun wahrlich nicht so als wuumlrde der Besitz des Hauses in der Friedrichstraszlige noch einen nennenswer-ten Unter schied im Vermoumlgen ihrer Mutter machen Im Gegenteil ndash waumlre sie dort geblieben haumltte sie es vielleicht nie so weit gebracht

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Juni 1952

Die einstmals goldene Zeit merkte man der ehemaligen Amuumlsiermeile auf der Friedrichstraszlige nicht mehr an und Helena verspuumlrte jedes Mal beim Besuch ihres Schoumlnheits-salons diesen Stich des Bedauerns Als sie in den Zwan-zigern hier angekommen war hatte das Leben pulsiert mit Autos Bussen Bahnen Fuszliggaumlngern Radfahrern und noch vereinzelten Droschken Die Kreuzung an der Leip-ziger Straszlige war ein so verkehrsreicher Knotenpunkt ge-wesen dass es fuumlr die aus der Provinz stammende Helena anfangs schon eine Herausforderung gewesen war lebend von einer Straszligenseite auf die andere zu gelangen

Nach dem Krieg war die Straszlige eine von Ruinen ge-saumlumte Schuttwuumlste geworden und auch wenn die Truumlm-mer in weiten Teilen fortgeraumlumt waren so erinnerte doch nur wenig an fruumlher Helena hatte mehrfach uumlberlegt den Schoumlnheitssalon einfach aufzugeben aber das brachte sie nicht uumlber sich Vielleicht normalisierte sich hier ja alles irgendwann wieder das konnte doch nicht ewig so blei-ben Ihr Schoumlnheitssalon in der Friedrichstraszlige befand sich im Amerikanischen Sektor der in Berlin-Mitte gehoumlrte nun zur DDR ihr Werk wiederum zum Franzoumlsischen

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Sektor Dominiks sowie ihr Wohnsitz lagen im Britischen Sektor Das war doch auf Dauer kein Zustand Den Salon in Berlin-Mitte hatte sie aufgeben muumlssen und sie sah sich bereits nach Alternativen um

Als Helena in den Salon trat kam ihr Ida ndash fruumlher Wag-ner jetzt Zeller ndash entgegen raquoKaffeelaquo

raquoUnbedingtlaquo Helena haumlngte ihren Mantel an die Gar-derobe und betrat den Salon Es war noch fruumlh und sie wuumlrden erst in einer halben Stunde oumlffnen Ida hatte schon in den Dreiszligigern die Leitung des Salons uumlbernommen als Helena damit beschaumlftigt gewesen war einen weiteren in Berlin-Mitte zu eroumlffnen

raquoWie geht es den MaumldchenlaquoHelena setzte sich in einen der bequemen Besucher-

stuumlhle wo die Frauen sich bei einer Tasse Kaffee oder Tee und etwas Gebaumlck entspannen konnten raquoMarion faumlngt bei mir im Werk an der Termin steht jetztlaquo Das war Schock und freudige Uumlberraschung zugleich gewesen und Helena wusste selbst nicht ob ihre Bestuumlrzung oder ihre Freude uumlberwog Natuumlrlich hatte sie gehofft dass Marion als Aumlrztin praktizierte immerhin hatte sie stu-diert und damit ein klares Ziel vor Augen gehabt Ande-rerseits freute es sie dass ihre Tochter Interesse an ihrem Unternehmen zeigte ndash und nicht an Dominiks wie eine kleine nicht zu unterdruumlckende Stimme des Triumphs in ihr betonte raquoUnd Fanny schlieszligt das Schuljahr mit sehr guten Noten ablaquo

raquoMathematik macht ihr wieder SpaszliglaquoraquoNachdem Ferdinands Ehefrau es ihr erklaumlrt hat was

ihr unfaumlhiger Lehrer offenbar nicht hinbekommtlaquo Fer-

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dinand war der Patenonkel beider Toumlchter und seine Frau eine begabte Mathematikerin

Die Schwangerschaft mit Fanny hatte Helena seinerzeit einen gehoumlrigen Schrecken eingejagt All die Jahre hatte sie es erfolgreich vermieden zu empfangen und dann als die Welt am Abgrund stand kuumlndigte sich neues Leben an Schlimm genug mitanzusehen wie Marion bereits in der Schule darauf vorbereitet wurde in den BDM einzu-treten da wollte sie diesem System nicht noch ein Kind schenken Es war Rudolf Liliengrund gewesen dem Fanny es zu verdanken hatte dass Helena keinen Abbruch hatte vornehmen lassen

raquoGerade in diesen Zeiten sollten die Anstaumlndigen sich vermehrenlaquo

Ihr lieber Rudolf der seine gesamte Familie verloren und selbst nur knapp und unter Entbehrungen die Flucht geschafft hatte weil er zu lange gezoumlgert geglaubt hatte es wuumlrde alles gut werden Und so hatte Helena Fanny aus-getragen hatte schon in der Schwangerschaft eine so innige Beziehung zu dem Kind gehabt wie sie es sich nicht hatte vorstellen koumlnnen Es war ganz anders als mit Marion zu der sie erst eine enge Bindung hatte aufbauen koumlnnen als diese bereits ein Kleinkind gewesen war Waumlhrend Marion von Geburt an ein Papakind war so war Fanny von Geburt an ganz und gar ihre Tochter Helena hatte sie sogar mit zur Arbeit genommen weil sie sich nicht von ihr trennen mochte hatte sie im Buumlro gestillt und in der Wiege neben sich schlafen lassen Undenkbar dieses Baby jemand ande-rem anzuvertrauen Dabei liebte sie Marion nicht weniger und sie verstand auch im Nachhinein nicht warum sie bei

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beiden Kindern schon in der Schwangerschaft so unter-schiedlich empfunden hatte

raquoDu solltest endlich aufhoumlren das zu hinterfragenlaquo hatte ihre beste Freundin Irene Danelius gesagt raquoEs ist jetzt wie es ist Freu dich einfach Gerade jetzt haben wir alle wahrhaftig Probleme genug da muss man nicht auch noch welche hinzuredenlaquo

Als im November 1938 die Synagogen brannten hatte Irene das Land verlassen raquoIch komme zuruumlck wenn der Irrsinn vorbei istlaquo hatte sie gesagt und war nach Amerika gegangen Dort war sie zur Filmgroumlszlige geworden hatte einen bekannten Produzenten geheiratet und lebte nach wie vor in den Vereinigten Staaten Helena vermisste sie immer noch sehr und war auch schon einmal mit ihrer Familie in New York gewesen um sie zu besuchen

raquoFahrt ihr diesen Sommer weglaquo fragte Ida und setzte sich nun ebenfalls

raquoAuf jeden Fall fuumlr zwei Wochen zu meiner Mutter Und von da aus vielleicht weiter in Richtung Schweizlaquo Vor allem auf die Zeit bei ihrer Mutter freute sich Helena das waren jedes Mal schoumlne Tage mit all den fruumlheren Freunden und Bekannten sowie mit der Baronin fuumlr die sie und ihre Mutter fruumlher gearbeitet hatten und bei der ihre Mutter nun den Altersruhesitz hatte Fuumlr Helenas Familie standen immer Gaumlstezimmer bereit Ein wenig behandelte man sie dort wie eine Prominente die Dienst-botentochter die es in der Weltmetropole zu etwas ge-bracht hatte mit einem reichen Mann verheiratet war und mit Filmstars verkehrte

Kurz darauf trafen die uumlbrigen Mitarbeiterinnen ein

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und dann kamen auch schon die ersten Kundinnen Helena unterhielt sich mit einigen der Damen beriet hier und da persoumlnlich und machte sich dann auf den Weg ins Werk Unmittelbar nach dem Krieg war es schwierig gewesen die Rohstoffe fuumlr die Produktion von Kosmetik aufzutrei-ben vielfach waren sie nur zu Schwarzmarktpreisen zu be-kommen Viele Rohstoffe wurden in der Pharmaindustrie dringender benoumltigt und natuumlrlich hatte die medizini-sche Versorgung Vorrang vor der kosmetischen Gerade nach dem Krieg hatten sie alle andere Sorgen gehabt wes-halb Helenas Werk voruumlbergehend die Produktion um-stellte und der chemischen Industrie zuarbeitete waumlhrend die Schoumlnheitssalons Obdachlosen offenstanden Erst vier Jahre nach Kriegsende als der Hungerwinter vorbei war und die Menschen durch die Waumlhrungsreform wieder uumlber Geld verfuumlgten hatte Helena Kosmetikherstellung und Schoumlnheitsbehandlungen wieder aufgenommen

Im Werk ging Helena direkt in ihr Buumlro und sah sich Werbeentwuumlrfe an Sie liebte ihre Arbeit und sie machte ihr nach wie vor Spaszlig allerdings fehlte ihr die Heraus-forderung Die Kosmetik entwickelte sich stetig weiter und mittlerweile war Forschung und Entwicklung eine eigene Abteilung in ihrem Unternehmen Natuumlrlich freute sie sich daruumlber aber sie vermisste die Zeiten in denen sie selbst in ihrer Fertigung gesessen und experimentiert hatte Vielleicht war es wirklich gut dass Marion hier demnaumlchst etwas frischen Wind hereinbringen wuumlrde Wie wohl Charlotte darauf reagierte dass Helena ihr nun Konkurrenz machen wuumlrde

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Emma houmlrte den Streit bis ins Wohnzimmer Ihre Mutter hielt Leopold vor er naumlhme die Arbeit nicht ausreichend ernst und bringe sich zu wenig ein Wie er bei dem Ge-schaumlftstermin am Vortag nur dagesessen und auf einmal zu zittern begonnen habe Wenn es nicht anders ging dann solle er eben seine Medikamente wieder nehmen Und ndash verdammt noch mal ndash endlich mehr Nervenstaumlrke zei- gen

Auch an diesem Morgen hatte es schon wieder damit begonnen dass Leopold beim Fruumlhstuumlck sehr still gewe-sen war was fuumlr Emma immer ein Zeichen fuumlr schlimme Traumlume war Auf Ausfuumlhrungen ihrer Mutter zu dem heu-tigen Arbeitstag hatte er nur genickt was diese wiederum zu dem Schluss kommen lieszlig dass er sich nur unzurei-chend interessierte Uumlberhaupt habe er keine innovativen Ideen arbeite den Tag ab ohne echtes Interesse zu zeigen an dem was er tat Irgendwann war ein handfester Streit ausgebrochen der auch dann noch anhielt als Emma das Esszimmer verlassen hatte und nun in der Kuumlche den Ab-wasch machte Schlieszliglich hielt sie es nicht mehr aus lief ins Esszimmer zuruumlck

raquoWas willst du eigentlichlaquo fuhr sie ihre Mutter an raquoEr tut doch alles was er solllaquo

raquoEmma lass nurlaquo sagte Leopold raquoIch mache helliplaquoraquoNein ich lasse es nicht Koumlnnen wir nicht mal einen

Morgen friedlich verbringen wie andere Familien auch Muss hier immer den ganzen Tag uumlber Streit herrschen und abends gehen wir dann versoumlhnt schlafen Wozu Um am naumlchsten Tag wieder loszulegen Das ist doch nicht mehr auszuhaltenlaquo

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raquoWie redest du eigentlich mit mirlaquo Die Stimme ihrer Mutter war ganz kalt geworden bar jeder Emotion

raquoIch helliplaquo Die aufbrausende Wut fiel von Emma ab und sie wusste nicht mehr was sie nun sagen sollte raquoIch hellip ich habe heute keine Uni und wollte ohnehin fragen ob ich mit ins Werk kannlaquo Der Einfall war ihr gerade erst ge-kommen raquoIch koumlnnte Leo zuarbeiten und so schon einmal Einblicke bekommenlaquo

Die frostglitzernde Wut im Blick ihrer Mutter schmolz zu Uumlberraschung raquoAch waslaquo

raquoIch habe mir lange uumlberlegt was ich mit meinem Che-miestudium machelaquo

raquoHeiszligt das es steht nicht zu erwarten dass du dich nun nach einer passenden Partie umsiehstlaquo Fuumlr jemanden der selbst gluumlcklich verheiratet gewesen war zeigte ihre Mut-ter eine sehr ablehnende Haltung zu Emmas Eheplaumlnen

raquoNoch ist ja niemand in Aussicht nicht wahrlaquo ver-setzte Emma der Hoffnung einen Daumlmpfer

Ihre Mutter schien damit zufrieden zu sein raquoSchoumln dann beeil dich wir brechen gleich auflaquo

Sie und Leopold fuhren in der Regel gemeinsam los und Leopold lieszlig dann den Wagen fuumlr sie im Werk und kehrte puumlnktlich zum Buumlroschluss mit der Bahn nach Hause zu-ruumlck Das tat er vermutlich vor allem aus dem Grund weil er den Abstand brauchte

raquoIch habe uumlbrigens gehoumlrt dass Marion in der Chariteacute aufhoumlrtlaquo erzaumlhlte Emma als sie auf der Ruumlckbank des Wagens Platz genommen hatte

raquoWelche Marionlaquo fragte ihre Mutter und Emma haumltte gerne gewusst ob sie das wirklich nicht wusste

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raquoUnsere CousinelaquoraquoUnd warum sollte es mich interessieren was diese Per-

son tutlaquoraquoWeil sie deine Nichte ist moumlglicherweiselaquoVon hinten konnte Emma das Schulterzucken sehenraquoAuf jeden Fall heiszligt es sie wollte in das Unternehmen

von Tante Helena einsteigenlaquo Mit einiger Befriedigung bemerkte Emma dass ihre Mutter bei dieser persoumlnlichen Bezeichnung kaum merklich zusammenzuckte

raquoIn der TatlaquoraquoSie hat einige Semester Chemie studiert das hatte ich

doch erzaumlhltlaquoraquoJa hattest du Auch dass sie es mit deinem Chemie-

professor getrieben hatlaquoraquoMutterlaquo kam es von LeopoldraquoDas habe ich nie gesagtlaquo Emma lehnte sich vor als

koumlnne sie ihren Worten damit mehr Nachdruck verleihen raquoIch sagte sie gehen miteinander auslaquo

raquoWenn sie nach ihrer Mutter kommt gibt es das eine nicht ohne das andere Gerne auch zum Nachteil der eigenen Familie Sind deine Noten bei besagtem Profes-sor nicht danach schlechter gewordenlaquo

raquoDas war bei Professor Guenther nicht bei Professor Hellweg mit dem Marion aus war Meine Guumltelaquo Emma hatte langsam genug Dieser sture verbohrte Zorn ihrer Mutter war nicht mehr zu ertragen Mit Ende vierzig konnte sie sich auf jeden Fall noch nicht mit Altersstarr-sinn herausreden raquoHoumlr zu wenn das hier jeden Morgen der Beginn meines Arbeitstages wird sag es direkt dann reicht mir der einmalige Ausflug in dein Unternehmen

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und ich bewerbe mich morgen beim Pharmaunternehmen Lichtenthallaquo

Ihre Mutter fuhr herum raquoDas wagst du nichtlaquoraquoLass es gerne darauf ankommenlaquoLange sah ihre Mutter sie an dann zuckte es um ihre

Lippen Widerspruchsgeist gefiel ihr und sie schien auf einmal versoumlhnt Emma wuumlrde bleiben wuumlrde es allein um Leopolds willen tun Vielleicht wuumlrde es leichter fuumlr ihn mit ihr an seiner Seite

Das ehemalige Werksgelaumlnde hatte in Berlin-Oberschouml-neweide gestanden aber sie waren noch vor dem Krieg um-gezogen was sich als richtige Entscheidung erwiesen hatte wenngleich zu der Zeit noch niemand hatte wissen koumlnnen dass dieser Stadtteil unter sowjetische Verwaltung gestellt werden wuumlrde Das jetzige Werk stand in Berlin-Tempel-hof im Amerikanischen Sektor und hatte im Krieg ebenfalls gelitten Sie fuhren durch das Tor und Leopold parkte den Wagen auf der dafuumlr vorgesehenen Flaumlche auf der weitere Autos Motorraumlder und Mopeds standen

Ihre Mutter begleitete sie bis in die Etage in der sich die Raumlumlichkeiten der Geschaumlftsfuumlhrung befanden dann ging sie in ihr Buumlro waumlhrend Emma Leopold in seines be-gleitete

raquoWeiszligt dulaquo sagte er als er auf einen der Stuumlhle wies raquodu musst das nicht tunlaquo

raquoWas meinst dulaquo Emma lieszlig sich auf der Besucherseite seines Schreibtischs nieder

raquoDas weiszligt du genau Mich hierher zu begleiten ob-wohl du nie im Sinn hattest in der Firma zu arbeiten Du musst mich nicht vor Mutter beschuumltzenlaquo

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raquoDas tue ich doch gar nichtlaquoLeopold antwortete nicht ging nur zur Tuumlr oumlffnete sie

und rief in das gegenuumlberliegende Zimmer der beiden Sekretaumlrinnen dass man ihm und seiner Schwester bitte Kaffee bringen moumlge raquoEs war nie dein Plan hier zu ar-beitenlaquo

raquoPlaumlne koumlnnen sich aumlndernlaquoraquoVon einem Tag auf den anderenlaquoraquoJa warum denn nicht Und wer sagt uumlberhaupt dass

es so abrupt war Vielleicht denke ich ja schon laumlnger da-ruumlber nach und habe dir einfach noch nichts erzaumlhltlaquo Emma zog einen Bleistift aus dem Stiftebecher und drehte ihn zwischen den Fingern raquoUumlbrigens hat mir Dominik Lichtenthal ein Stellenangebot gemachtlaquo Gespannt be-obachtete sie Leopolds Reaktion

raquoWannlaquoraquoIch bin ihm mal abends beim Spaziergang begegnetlaquoraquoUnd da hat er dir ndash ohne dich und deine Befaumlhigung

so recht zu kennen ndash eine Stelle angebotenlaquoraquoWir haben uns kurz unterhalten und er weiszlig dass ich

Chemie studiere Da meinte er wenn ich nicht fuumlr Mutter arbeiten wolle solle ich mich bei ihm melden er koumlnne faumlhige Chemiker immer gebrauchenlaquo

raquoMutter enterbt dich wenn du das tustlaquoraquoDas waumlre nicht so schlimm denn dann erbst du alles

und wirst mir meinen Teil einfach auszahlenlaquoraquoIst das solaquoraquoNatuumlrlichlaquo Emma zog ihre Zigaretten hervorraquoDu willst doch wohl hier nicht rauchenlaquoAnstelle einer Antwort steckte sie sich eine Zigarette

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zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

bei Lichtenthal in Aussicht und einem groszligzuumlgigen Bru-der der dir deinen Erbanteil abtrittlaquo

Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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Sommerzeit gegolten hatte und man die Uhren uumlberhaupt nicht mehr umstellte irgendwann war ein konzeptloses Wechseln erfolgt Dann war die Regelung durch die Besat-zungsmaumlchte wieder geaumlndert worden und sie bestimm-ten eine Umstellung auf die Sommerzeit ndash wobei diese in der sowjetischen Besatzungszone Berlins 1945 ganze zwei Monate laumlnger gedauert hatte Jetzt endlich hatte die Regierung sich auf eine einheitliche Zeit festgelegt die fuumlr das gesamte Jahr galt ndash die Ruumlckkehr zur Normalzeit Emma hoffte dass das so blieb

Als sie durch die Straszlige spazierte hier und da einen heimkehrenden Nachbarn oder Bekannten gruumlszligte ndash die Tochter des Herrn Doktor kannte man im gesamten Vier-tel ndash fiel ihr ein Mann auf der gerade ein Haus verlieszlig sich noch einmal umdrehte einem weiteren Mann der in der offenen Tuumlr stand etwas sagte und dann durch den Vorgarten schritt und auf sein Auto zuging Dominik Lichtenthal Emma blieb stehen sah ihn an wusste nicht ob sie zu ihm gehen und houmlflich gruumlszligen oder ihn ignorie-ren sollte Er nahm ihr die Entscheidung ab als er sie be-merkte kurz stutzte als muumlsste er ihr Gesicht erst einem Namen zuordnen und sie dann anlaumlchelte

raquoGuten Abend Emma Wie geht es dirlaquoSie ging auf ihn zu raquoSehr gut vielen Danklaquo Sie wusste

nie so recht ob sie ihn duzen sollte oder nicht denn einer-seits war er ein Fremder andererseits aber der Ehemann ihrer Tante und damit praktisch ihr Onkel

raquoIch habe gehoumlrt du studierst ChemielaquoraquoJa ich werde diesen Sommer fertiglaquoraquoUnd dann geht es in den Konzern deiner Mutterlaquo

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Unschluumlssig hob Emma die Schultern raquoAch das weiszlig ich noch gar nichtlaquo

Dominik Lichtenthal schloss seinen Wagen auf raquoWenn du dich lieber auf dem freien Markt umsehen moumlchtest sag Bescheid ich kann faumlhige Chemiker immer gebrau-chenlaquo

Es war schon fast skurril dass Emma diesen Gedanken erst vor kurzem gehegt hatte und ihn nun ausgesprochen houmlrte Da sie nicht rundheraus ablehnen wollte dankte sie ihm und nachdem sie ihm gesagt hatte er moumlge seine Familie von ihr gruumlszligen stieg er in seinen Wagen und fuhr los Im Grunde genommen war das doch albern dass ihre Mutter immer noch nichts mit ihrer Schwester zu tun haben wollte Emma kannte die alte Geschichte und natuumlr lich war es hart auf einen Schlag sein gesam-tes Erbe zu verlieren und die unvermittelt aufgetauchte fremde Schwester als einzige Gewinnerin in dieser Situa-tion zu sehen aber das Ganze war jetzt gut fuumlnfundzwan-zig Jahre her irgendwann musste es doch mal gut sein Und es war ja nun wahrlich nicht so als wuumlrde der Besitz des Hauses in der Friedrichstraszlige noch einen nennenswer-ten Unter schied im Vermoumlgen ihrer Mutter machen Im Gegenteil ndash waumlre sie dort geblieben haumltte sie es vielleicht nie so weit gebracht

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Juni 1952

Die einstmals goldene Zeit merkte man der ehemaligen Amuumlsiermeile auf der Friedrichstraszlige nicht mehr an und Helena verspuumlrte jedes Mal beim Besuch ihres Schoumlnheits-salons diesen Stich des Bedauerns Als sie in den Zwan-zigern hier angekommen war hatte das Leben pulsiert mit Autos Bussen Bahnen Fuszliggaumlngern Radfahrern und noch vereinzelten Droschken Die Kreuzung an der Leip-ziger Straszlige war ein so verkehrsreicher Knotenpunkt ge-wesen dass es fuumlr die aus der Provinz stammende Helena anfangs schon eine Herausforderung gewesen war lebend von einer Straszligenseite auf die andere zu gelangen

Nach dem Krieg war die Straszlige eine von Ruinen ge-saumlumte Schuttwuumlste geworden und auch wenn die Truumlm-mer in weiten Teilen fortgeraumlumt waren so erinnerte doch nur wenig an fruumlher Helena hatte mehrfach uumlberlegt den Schoumlnheitssalon einfach aufzugeben aber das brachte sie nicht uumlber sich Vielleicht normalisierte sich hier ja alles irgendwann wieder das konnte doch nicht ewig so blei-ben Ihr Schoumlnheitssalon in der Friedrichstraszlige befand sich im Amerikanischen Sektor der in Berlin-Mitte gehoumlrte nun zur DDR ihr Werk wiederum zum Franzoumlsischen

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Sektor Dominiks sowie ihr Wohnsitz lagen im Britischen Sektor Das war doch auf Dauer kein Zustand Den Salon in Berlin-Mitte hatte sie aufgeben muumlssen und sie sah sich bereits nach Alternativen um

Als Helena in den Salon trat kam ihr Ida ndash fruumlher Wag-ner jetzt Zeller ndash entgegen raquoKaffeelaquo

raquoUnbedingtlaquo Helena haumlngte ihren Mantel an die Gar-derobe und betrat den Salon Es war noch fruumlh und sie wuumlrden erst in einer halben Stunde oumlffnen Ida hatte schon in den Dreiszligigern die Leitung des Salons uumlbernommen als Helena damit beschaumlftigt gewesen war einen weiteren in Berlin-Mitte zu eroumlffnen

raquoWie geht es den MaumldchenlaquoHelena setzte sich in einen der bequemen Besucher-

stuumlhle wo die Frauen sich bei einer Tasse Kaffee oder Tee und etwas Gebaumlck entspannen konnten raquoMarion faumlngt bei mir im Werk an der Termin steht jetztlaquo Das war Schock und freudige Uumlberraschung zugleich gewesen und Helena wusste selbst nicht ob ihre Bestuumlrzung oder ihre Freude uumlberwog Natuumlrlich hatte sie gehofft dass Marion als Aumlrztin praktizierte immerhin hatte sie stu-diert und damit ein klares Ziel vor Augen gehabt Ande-rerseits freute es sie dass ihre Tochter Interesse an ihrem Unternehmen zeigte ndash und nicht an Dominiks wie eine kleine nicht zu unterdruumlckende Stimme des Triumphs in ihr betonte raquoUnd Fanny schlieszligt das Schuljahr mit sehr guten Noten ablaquo

raquoMathematik macht ihr wieder SpaszliglaquoraquoNachdem Ferdinands Ehefrau es ihr erklaumlrt hat was

ihr unfaumlhiger Lehrer offenbar nicht hinbekommtlaquo Fer-

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dinand war der Patenonkel beider Toumlchter und seine Frau eine begabte Mathematikerin

Die Schwangerschaft mit Fanny hatte Helena seinerzeit einen gehoumlrigen Schrecken eingejagt All die Jahre hatte sie es erfolgreich vermieden zu empfangen und dann als die Welt am Abgrund stand kuumlndigte sich neues Leben an Schlimm genug mitanzusehen wie Marion bereits in der Schule darauf vorbereitet wurde in den BDM einzu-treten da wollte sie diesem System nicht noch ein Kind schenken Es war Rudolf Liliengrund gewesen dem Fanny es zu verdanken hatte dass Helena keinen Abbruch hatte vornehmen lassen

raquoGerade in diesen Zeiten sollten die Anstaumlndigen sich vermehrenlaquo

Ihr lieber Rudolf der seine gesamte Familie verloren und selbst nur knapp und unter Entbehrungen die Flucht geschafft hatte weil er zu lange gezoumlgert geglaubt hatte es wuumlrde alles gut werden Und so hatte Helena Fanny aus-getragen hatte schon in der Schwangerschaft eine so innige Beziehung zu dem Kind gehabt wie sie es sich nicht hatte vorstellen koumlnnen Es war ganz anders als mit Marion zu der sie erst eine enge Bindung hatte aufbauen koumlnnen als diese bereits ein Kleinkind gewesen war Waumlhrend Marion von Geburt an ein Papakind war so war Fanny von Geburt an ganz und gar ihre Tochter Helena hatte sie sogar mit zur Arbeit genommen weil sie sich nicht von ihr trennen mochte hatte sie im Buumlro gestillt und in der Wiege neben sich schlafen lassen Undenkbar dieses Baby jemand ande-rem anzuvertrauen Dabei liebte sie Marion nicht weniger und sie verstand auch im Nachhinein nicht warum sie bei

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beiden Kindern schon in der Schwangerschaft so unter-schiedlich empfunden hatte

raquoDu solltest endlich aufhoumlren das zu hinterfragenlaquo hatte ihre beste Freundin Irene Danelius gesagt raquoEs ist jetzt wie es ist Freu dich einfach Gerade jetzt haben wir alle wahrhaftig Probleme genug da muss man nicht auch noch welche hinzuredenlaquo

Als im November 1938 die Synagogen brannten hatte Irene das Land verlassen raquoIch komme zuruumlck wenn der Irrsinn vorbei istlaquo hatte sie gesagt und war nach Amerika gegangen Dort war sie zur Filmgroumlszlige geworden hatte einen bekannten Produzenten geheiratet und lebte nach wie vor in den Vereinigten Staaten Helena vermisste sie immer noch sehr und war auch schon einmal mit ihrer Familie in New York gewesen um sie zu besuchen

raquoFahrt ihr diesen Sommer weglaquo fragte Ida und setzte sich nun ebenfalls

raquoAuf jeden Fall fuumlr zwei Wochen zu meiner Mutter Und von da aus vielleicht weiter in Richtung Schweizlaquo Vor allem auf die Zeit bei ihrer Mutter freute sich Helena das waren jedes Mal schoumlne Tage mit all den fruumlheren Freunden und Bekannten sowie mit der Baronin fuumlr die sie und ihre Mutter fruumlher gearbeitet hatten und bei der ihre Mutter nun den Altersruhesitz hatte Fuumlr Helenas Familie standen immer Gaumlstezimmer bereit Ein wenig behandelte man sie dort wie eine Prominente die Dienst-botentochter die es in der Weltmetropole zu etwas ge-bracht hatte mit einem reichen Mann verheiratet war und mit Filmstars verkehrte

Kurz darauf trafen die uumlbrigen Mitarbeiterinnen ein

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und dann kamen auch schon die ersten Kundinnen Helena unterhielt sich mit einigen der Damen beriet hier und da persoumlnlich und machte sich dann auf den Weg ins Werk Unmittelbar nach dem Krieg war es schwierig gewesen die Rohstoffe fuumlr die Produktion von Kosmetik aufzutrei-ben vielfach waren sie nur zu Schwarzmarktpreisen zu be-kommen Viele Rohstoffe wurden in der Pharmaindustrie dringender benoumltigt und natuumlrlich hatte die medizini-sche Versorgung Vorrang vor der kosmetischen Gerade nach dem Krieg hatten sie alle andere Sorgen gehabt wes-halb Helenas Werk voruumlbergehend die Produktion um-stellte und der chemischen Industrie zuarbeitete waumlhrend die Schoumlnheitssalons Obdachlosen offenstanden Erst vier Jahre nach Kriegsende als der Hungerwinter vorbei war und die Menschen durch die Waumlhrungsreform wieder uumlber Geld verfuumlgten hatte Helena Kosmetikherstellung und Schoumlnheitsbehandlungen wieder aufgenommen

Im Werk ging Helena direkt in ihr Buumlro und sah sich Werbeentwuumlrfe an Sie liebte ihre Arbeit und sie machte ihr nach wie vor Spaszlig allerdings fehlte ihr die Heraus-forderung Die Kosmetik entwickelte sich stetig weiter und mittlerweile war Forschung und Entwicklung eine eigene Abteilung in ihrem Unternehmen Natuumlrlich freute sie sich daruumlber aber sie vermisste die Zeiten in denen sie selbst in ihrer Fertigung gesessen und experimentiert hatte Vielleicht war es wirklich gut dass Marion hier demnaumlchst etwas frischen Wind hereinbringen wuumlrde Wie wohl Charlotte darauf reagierte dass Helena ihr nun Konkurrenz machen wuumlrde

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Emma houmlrte den Streit bis ins Wohnzimmer Ihre Mutter hielt Leopold vor er naumlhme die Arbeit nicht ausreichend ernst und bringe sich zu wenig ein Wie er bei dem Ge-schaumlftstermin am Vortag nur dagesessen und auf einmal zu zittern begonnen habe Wenn es nicht anders ging dann solle er eben seine Medikamente wieder nehmen Und ndash verdammt noch mal ndash endlich mehr Nervenstaumlrke zei- gen

Auch an diesem Morgen hatte es schon wieder damit begonnen dass Leopold beim Fruumlhstuumlck sehr still gewe-sen war was fuumlr Emma immer ein Zeichen fuumlr schlimme Traumlume war Auf Ausfuumlhrungen ihrer Mutter zu dem heu-tigen Arbeitstag hatte er nur genickt was diese wiederum zu dem Schluss kommen lieszlig dass er sich nur unzurei-chend interessierte Uumlberhaupt habe er keine innovativen Ideen arbeite den Tag ab ohne echtes Interesse zu zeigen an dem was er tat Irgendwann war ein handfester Streit ausgebrochen der auch dann noch anhielt als Emma das Esszimmer verlassen hatte und nun in der Kuumlche den Ab-wasch machte Schlieszliglich hielt sie es nicht mehr aus lief ins Esszimmer zuruumlck

raquoWas willst du eigentlichlaquo fuhr sie ihre Mutter an raquoEr tut doch alles was er solllaquo

raquoEmma lass nurlaquo sagte Leopold raquoIch mache helliplaquoraquoNein ich lasse es nicht Koumlnnen wir nicht mal einen

Morgen friedlich verbringen wie andere Familien auch Muss hier immer den ganzen Tag uumlber Streit herrschen und abends gehen wir dann versoumlhnt schlafen Wozu Um am naumlchsten Tag wieder loszulegen Das ist doch nicht mehr auszuhaltenlaquo

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raquoWie redest du eigentlich mit mirlaquo Die Stimme ihrer Mutter war ganz kalt geworden bar jeder Emotion

raquoIch helliplaquo Die aufbrausende Wut fiel von Emma ab und sie wusste nicht mehr was sie nun sagen sollte raquoIch hellip ich habe heute keine Uni und wollte ohnehin fragen ob ich mit ins Werk kannlaquo Der Einfall war ihr gerade erst ge-kommen raquoIch koumlnnte Leo zuarbeiten und so schon einmal Einblicke bekommenlaquo

Die frostglitzernde Wut im Blick ihrer Mutter schmolz zu Uumlberraschung raquoAch waslaquo

raquoIch habe mir lange uumlberlegt was ich mit meinem Che-miestudium machelaquo

raquoHeiszligt das es steht nicht zu erwarten dass du dich nun nach einer passenden Partie umsiehstlaquo Fuumlr jemanden der selbst gluumlcklich verheiratet gewesen war zeigte ihre Mut-ter eine sehr ablehnende Haltung zu Emmas Eheplaumlnen

raquoNoch ist ja niemand in Aussicht nicht wahrlaquo ver-setzte Emma der Hoffnung einen Daumlmpfer

Ihre Mutter schien damit zufrieden zu sein raquoSchoumln dann beeil dich wir brechen gleich auflaquo

Sie und Leopold fuhren in der Regel gemeinsam los und Leopold lieszlig dann den Wagen fuumlr sie im Werk und kehrte puumlnktlich zum Buumlroschluss mit der Bahn nach Hause zu-ruumlck Das tat er vermutlich vor allem aus dem Grund weil er den Abstand brauchte

raquoIch habe uumlbrigens gehoumlrt dass Marion in der Chariteacute aufhoumlrtlaquo erzaumlhlte Emma als sie auf der Ruumlckbank des Wagens Platz genommen hatte

raquoWelche Marionlaquo fragte ihre Mutter und Emma haumltte gerne gewusst ob sie das wirklich nicht wusste

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raquoUnsere CousinelaquoraquoUnd warum sollte es mich interessieren was diese Per-

son tutlaquoraquoWeil sie deine Nichte ist moumlglicherweiselaquoVon hinten konnte Emma das Schulterzucken sehenraquoAuf jeden Fall heiszligt es sie wollte in das Unternehmen

von Tante Helena einsteigenlaquo Mit einiger Befriedigung bemerkte Emma dass ihre Mutter bei dieser persoumlnlichen Bezeichnung kaum merklich zusammenzuckte

raquoIn der TatlaquoraquoSie hat einige Semester Chemie studiert das hatte ich

doch erzaumlhltlaquoraquoJa hattest du Auch dass sie es mit deinem Chemie-

professor getrieben hatlaquoraquoMutterlaquo kam es von LeopoldraquoDas habe ich nie gesagtlaquo Emma lehnte sich vor als

koumlnne sie ihren Worten damit mehr Nachdruck verleihen raquoIch sagte sie gehen miteinander auslaquo

raquoWenn sie nach ihrer Mutter kommt gibt es das eine nicht ohne das andere Gerne auch zum Nachteil der eigenen Familie Sind deine Noten bei besagtem Profes-sor nicht danach schlechter gewordenlaquo

raquoDas war bei Professor Guenther nicht bei Professor Hellweg mit dem Marion aus war Meine Guumltelaquo Emma hatte langsam genug Dieser sture verbohrte Zorn ihrer Mutter war nicht mehr zu ertragen Mit Ende vierzig konnte sie sich auf jeden Fall noch nicht mit Altersstarr-sinn herausreden raquoHoumlr zu wenn das hier jeden Morgen der Beginn meines Arbeitstages wird sag es direkt dann reicht mir der einmalige Ausflug in dein Unternehmen

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und ich bewerbe mich morgen beim Pharmaunternehmen Lichtenthallaquo

Ihre Mutter fuhr herum raquoDas wagst du nichtlaquoraquoLass es gerne darauf ankommenlaquoLange sah ihre Mutter sie an dann zuckte es um ihre

Lippen Widerspruchsgeist gefiel ihr und sie schien auf einmal versoumlhnt Emma wuumlrde bleiben wuumlrde es allein um Leopolds willen tun Vielleicht wuumlrde es leichter fuumlr ihn mit ihr an seiner Seite

Das ehemalige Werksgelaumlnde hatte in Berlin-Oberschouml-neweide gestanden aber sie waren noch vor dem Krieg um-gezogen was sich als richtige Entscheidung erwiesen hatte wenngleich zu der Zeit noch niemand hatte wissen koumlnnen dass dieser Stadtteil unter sowjetische Verwaltung gestellt werden wuumlrde Das jetzige Werk stand in Berlin-Tempel-hof im Amerikanischen Sektor und hatte im Krieg ebenfalls gelitten Sie fuhren durch das Tor und Leopold parkte den Wagen auf der dafuumlr vorgesehenen Flaumlche auf der weitere Autos Motorraumlder und Mopeds standen

Ihre Mutter begleitete sie bis in die Etage in der sich die Raumlumlichkeiten der Geschaumlftsfuumlhrung befanden dann ging sie in ihr Buumlro waumlhrend Emma Leopold in seines be-gleitete

raquoWeiszligt dulaquo sagte er als er auf einen der Stuumlhle wies raquodu musst das nicht tunlaquo

raquoWas meinst dulaquo Emma lieszlig sich auf der Besucherseite seines Schreibtischs nieder

raquoDas weiszligt du genau Mich hierher zu begleiten ob-wohl du nie im Sinn hattest in der Firma zu arbeiten Du musst mich nicht vor Mutter beschuumltzenlaquo

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raquoDas tue ich doch gar nichtlaquoLeopold antwortete nicht ging nur zur Tuumlr oumlffnete sie

und rief in das gegenuumlberliegende Zimmer der beiden Sekretaumlrinnen dass man ihm und seiner Schwester bitte Kaffee bringen moumlge raquoEs war nie dein Plan hier zu ar-beitenlaquo

raquoPlaumlne koumlnnen sich aumlndernlaquoraquoVon einem Tag auf den anderenlaquoraquoJa warum denn nicht Und wer sagt uumlberhaupt dass

es so abrupt war Vielleicht denke ich ja schon laumlnger da-ruumlber nach und habe dir einfach noch nichts erzaumlhltlaquo Emma zog einen Bleistift aus dem Stiftebecher und drehte ihn zwischen den Fingern raquoUumlbrigens hat mir Dominik Lichtenthal ein Stellenangebot gemachtlaquo Gespannt be-obachtete sie Leopolds Reaktion

raquoWannlaquoraquoIch bin ihm mal abends beim Spaziergang begegnetlaquoraquoUnd da hat er dir ndash ohne dich und deine Befaumlhigung

so recht zu kennen ndash eine Stelle angebotenlaquoraquoWir haben uns kurz unterhalten und er weiszlig dass ich

Chemie studiere Da meinte er wenn ich nicht fuumlr Mutter arbeiten wolle solle ich mich bei ihm melden er koumlnne faumlhige Chemiker immer gebrauchenlaquo

raquoMutter enterbt dich wenn du das tustlaquoraquoDas waumlre nicht so schlimm denn dann erbst du alles

und wirst mir meinen Teil einfach auszahlenlaquoraquoIst das solaquoraquoNatuumlrlichlaquo Emma zog ihre Zigaretten hervorraquoDu willst doch wohl hier nicht rauchenlaquoAnstelle einer Antwort steckte sie sich eine Zigarette

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zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

bei Lichtenthal in Aussicht und einem groszligzuumlgigen Bru-der der dir deinen Erbanteil abtrittlaquo

Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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Unschluumlssig hob Emma die Schultern raquoAch das weiszlig ich noch gar nichtlaquo

Dominik Lichtenthal schloss seinen Wagen auf raquoWenn du dich lieber auf dem freien Markt umsehen moumlchtest sag Bescheid ich kann faumlhige Chemiker immer gebrau-chenlaquo

Es war schon fast skurril dass Emma diesen Gedanken erst vor kurzem gehegt hatte und ihn nun ausgesprochen houmlrte Da sie nicht rundheraus ablehnen wollte dankte sie ihm und nachdem sie ihm gesagt hatte er moumlge seine Familie von ihr gruumlszligen stieg er in seinen Wagen und fuhr los Im Grunde genommen war das doch albern dass ihre Mutter immer noch nichts mit ihrer Schwester zu tun haben wollte Emma kannte die alte Geschichte und natuumlr lich war es hart auf einen Schlag sein gesam-tes Erbe zu verlieren und die unvermittelt aufgetauchte fremde Schwester als einzige Gewinnerin in dieser Situa-tion zu sehen aber das Ganze war jetzt gut fuumlnfundzwan-zig Jahre her irgendwann musste es doch mal gut sein Und es war ja nun wahrlich nicht so als wuumlrde der Besitz des Hauses in der Friedrichstraszlige noch einen nennenswer-ten Unter schied im Vermoumlgen ihrer Mutter machen Im Gegenteil ndash waumlre sie dort geblieben haumltte sie es vielleicht nie so weit gebracht

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Juni 1952

Die einstmals goldene Zeit merkte man der ehemaligen Amuumlsiermeile auf der Friedrichstraszlige nicht mehr an und Helena verspuumlrte jedes Mal beim Besuch ihres Schoumlnheits-salons diesen Stich des Bedauerns Als sie in den Zwan-zigern hier angekommen war hatte das Leben pulsiert mit Autos Bussen Bahnen Fuszliggaumlngern Radfahrern und noch vereinzelten Droschken Die Kreuzung an der Leip-ziger Straszlige war ein so verkehrsreicher Knotenpunkt ge-wesen dass es fuumlr die aus der Provinz stammende Helena anfangs schon eine Herausforderung gewesen war lebend von einer Straszligenseite auf die andere zu gelangen

Nach dem Krieg war die Straszlige eine von Ruinen ge-saumlumte Schuttwuumlste geworden und auch wenn die Truumlm-mer in weiten Teilen fortgeraumlumt waren so erinnerte doch nur wenig an fruumlher Helena hatte mehrfach uumlberlegt den Schoumlnheitssalon einfach aufzugeben aber das brachte sie nicht uumlber sich Vielleicht normalisierte sich hier ja alles irgendwann wieder das konnte doch nicht ewig so blei-ben Ihr Schoumlnheitssalon in der Friedrichstraszlige befand sich im Amerikanischen Sektor der in Berlin-Mitte gehoumlrte nun zur DDR ihr Werk wiederum zum Franzoumlsischen

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Sektor Dominiks sowie ihr Wohnsitz lagen im Britischen Sektor Das war doch auf Dauer kein Zustand Den Salon in Berlin-Mitte hatte sie aufgeben muumlssen und sie sah sich bereits nach Alternativen um

Als Helena in den Salon trat kam ihr Ida ndash fruumlher Wag-ner jetzt Zeller ndash entgegen raquoKaffeelaquo

raquoUnbedingtlaquo Helena haumlngte ihren Mantel an die Gar-derobe und betrat den Salon Es war noch fruumlh und sie wuumlrden erst in einer halben Stunde oumlffnen Ida hatte schon in den Dreiszligigern die Leitung des Salons uumlbernommen als Helena damit beschaumlftigt gewesen war einen weiteren in Berlin-Mitte zu eroumlffnen

raquoWie geht es den MaumldchenlaquoHelena setzte sich in einen der bequemen Besucher-

stuumlhle wo die Frauen sich bei einer Tasse Kaffee oder Tee und etwas Gebaumlck entspannen konnten raquoMarion faumlngt bei mir im Werk an der Termin steht jetztlaquo Das war Schock und freudige Uumlberraschung zugleich gewesen und Helena wusste selbst nicht ob ihre Bestuumlrzung oder ihre Freude uumlberwog Natuumlrlich hatte sie gehofft dass Marion als Aumlrztin praktizierte immerhin hatte sie stu-diert und damit ein klares Ziel vor Augen gehabt Ande-rerseits freute es sie dass ihre Tochter Interesse an ihrem Unternehmen zeigte ndash und nicht an Dominiks wie eine kleine nicht zu unterdruumlckende Stimme des Triumphs in ihr betonte raquoUnd Fanny schlieszligt das Schuljahr mit sehr guten Noten ablaquo

raquoMathematik macht ihr wieder SpaszliglaquoraquoNachdem Ferdinands Ehefrau es ihr erklaumlrt hat was

ihr unfaumlhiger Lehrer offenbar nicht hinbekommtlaquo Fer-

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dinand war der Patenonkel beider Toumlchter und seine Frau eine begabte Mathematikerin

Die Schwangerschaft mit Fanny hatte Helena seinerzeit einen gehoumlrigen Schrecken eingejagt All die Jahre hatte sie es erfolgreich vermieden zu empfangen und dann als die Welt am Abgrund stand kuumlndigte sich neues Leben an Schlimm genug mitanzusehen wie Marion bereits in der Schule darauf vorbereitet wurde in den BDM einzu-treten da wollte sie diesem System nicht noch ein Kind schenken Es war Rudolf Liliengrund gewesen dem Fanny es zu verdanken hatte dass Helena keinen Abbruch hatte vornehmen lassen

raquoGerade in diesen Zeiten sollten die Anstaumlndigen sich vermehrenlaquo

Ihr lieber Rudolf der seine gesamte Familie verloren und selbst nur knapp und unter Entbehrungen die Flucht geschafft hatte weil er zu lange gezoumlgert geglaubt hatte es wuumlrde alles gut werden Und so hatte Helena Fanny aus-getragen hatte schon in der Schwangerschaft eine so innige Beziehung zu dem Kind gehabt wie sie es sich nicht hatte vorstellen koumlnnen Es war ganz anders als mit Marion zu der sie erst eine enge Bindung hatte aufbauen koumlnnen als diese bereits ein Kleinkind gewesen war Waumlhrend Marion von Geburt an ein Papakind war so war Fanny von Geburt an ganz und gar ihre Tochter Helena hatte sie sogar mit zur Arbeit genommen weil sie sich nicht von ihr trennen mochte hatte sie im Buumlro gestillt und in der Wiege neben sich schlafen lassen Undenkbar dieses Baby jemand ande-rem anzuvertrauen Dabei liebte sie Marion nicht weniger und sie verstand auch im Nachhinein nicht warum sie bei

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beiden Kindern schon in der Schwangerschaft so unter-schiedlich empfunden hatte

raquoDu solltest endlich aufhoumlren das zu hinterfragenlaquo hatte ihre beste Freundin Irene Danelius gesagt raquoEs ist jetzt wie es ist Freu dich einfach Gerade jetzt haben wir alle wahrhaftig Probleme genug da muss man nicht auch noch welche hinzuredenlaquo

Als im November 1938 die Synagogen brannten hatte Irene das Land verlassen raquoIch komme zuruumlck wenn der Irrsinn vorbei istlaquo hatte sie gesagt und war nach Amerika gegangen Dort war sie zur Filmgroumlszlige geworden hatte einen bekannten Produzenten geheiratet und lebte nach wie vor in den Vereinigten Staaten Helena vermisste sie immer noch sehr und war auch schon einmal mit ihrer Familie in New York gewesen um sie zu besuchen

raquoFahrt ihr diesen Sommer weglaquo fragte Ida und setzte sich nun ebenfalls

raquoAuf jeden Fall fuumlr zwei Wochen zu meiner Mutter Und von da aus vielleicht weiter in Richtung Schweizlaquo Vor allem auf die Zeit bei ihrer Mutter freute sich Helena das waren jedes Mal schoumlne Tage mit all den fruumlheren Freunden und Bekannten sowie mit der Baronin fuumlr die sie und ihre Mutter fruumlher gearbeitet hatten und bei der ihre Mutter nun den Altersruhesitz hatte Fuumlr Helenas Familie standen immer Gaumlstezimmer bereit Ein wenig behandelte man sie dort wie eine Prominente die Dienst-botentochter die es in der Weltmetropole zu etwas ge-bracht hatte mit einem reichen Mann verheiratet war und mit Filmstars verkehrte

Kurz darauf trafen die uumlbrigen Mitarbeiterinnen ein

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und dann kamen auch schon die ersten Kundinnen Helena unterhielt sich mit einigen der Damen beriet hier und da persoumlnlich und machte sich dann auf den Weg ins Werk Unmittelbar nach dem Krieg war es schwierig gewesen die Rohstoffe fuumlr die Produktion von Kosmetik aufzutrei-ben vielfach waren sie nur zu Schwarzmarktpreisen zu be-kommen Viele Rohstoffe wurden in der Pharmaindustrie dringender benoumltigt und natuumlrlich hatte die medizini-sche Versorgung Vorrang vor der kosmetischen Gerade nach dem Krieg hatten sie alle andere Sorgen gehabt wes-halb Helenas Werk voruumlbergehend die Produktion um-stellte und der chemischen Industrie zuarbeitete waumlhrend die Schoumlnheitssalons Obdachlosen offenstanden Erst vier Jahre nach Kriegsende als der Hungerwinter vorbei war und die Menschen durch die Waumlhrungsreform wieder uumlber Geld verfuumlgten hatte Helena Kosmetikherstellung und Schoumlnheitsbehandlungen wieder aufgenommen

Im Werk ging Helena direkt in ihr Buumlro und sah sich Werbeentwuumlrfe an Sie liebte ihre Arbeit und sie machte ihr nach wie vor Spaszlig allerdings fehlte ihr die Heraus-forderung Die Kosmetik entwickelte sich stetig weiter und mittlerweile war Forschung und Entwicklung eine eigene Abteilung in ihrem Unternehmen Natuumlrlich freute sie sich daruumlber aber sie vermisste die Zeiten in denen sie selbst in ihrer Fertigung gesessen und experimentiert hatte Vielleicht war es wirklich gut dass Marion hier demnaumlchst etwas frischen Wind hereinbringen wuumlrde Wie wohl Charlotte darauf reagierte dass Helena ihr nun Konkurrenz machen wuumlrde

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Emma houmlrte den Streit bis ins Wohnzimmer Ihre Mutter hielt Leopold vor er naumlhme die Arbeit nicht ausreichend ernst und bringe sich zu wenig ein Wie er bei dem Ge-schaumlftstermin am Vortag nur dagesessen und auf einmal zu zittern begonnen habe Wenn es nicht anders ging dann solle er eben seine Medikamente wieder nehmen Und ndash verdammt noch mal ndash endlich mehr Nervenstaumlrke zei- gen

Auch an diesem Morgen hatte es schon wieder damit begonnen dass Leopold beim Fruumlhstuumlck sehr still gewe-sen war was fuumlr Emma immer ein Zeichen fuumlr schlimme Traumlume war Auf Ausfuumlhrungen ihrer Mutter zu dem heu-tigen Arbeitstag hatte er nur genickt was diese wiederum zu dem Schluss kommen lieszlig dass er sich nur unzurei-chend interessierte Uumlberhaupt habe er keine innovativen Ideen arbeite den Tag ab ohne echtes Interesse zu zeigen an dem was er tat Irgendwann war ein handfester Streit ausgebrochen der auch dann noch anhielt als Emma das Esszimmer verlassen hatte und nun in der Kuumlche den Ab-wasch machte Schlieszliglich hielt sie es nicht mehr aus lief ins Esszimmer zuruumlck

raquoWas willst du eigentlichlaquo fuhr sie ihre Mutter an raquoEr tut doch alles was er solllaquo

raquoEmma lass nurlaquo sagte Leopold raquoIch mache helliplaquoraquoNein ich lasse es nicht Koumlnnen wir nicht mal einen

Morgen friedlich verbringen wie andere Familien auch Muss hier immer den ganzen Tag uumlber Streit herrschen und abends gehen wir dann versoumlhnt schlafen Wozu Um am naumlchsten Tag wieder loszulegen Das ist doch nicht mehr auszuhaltenlaquo

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raquoWie redest du eigentlich mit mirlaquo Die Stimme ihrer Mutter war ganz kalt geworden bar jeder Emotion

raquoIch helliplaquo Die aufbrausende Wut fiel von Emma ab und sie wusste nicht mehr was sie nun sagen sollte raquoIch hellip ich habe heute keine Uni und wollte ohnehin fragen ob ich mit ins Werk kannlaquo Der Einfall war ihr gerade erst ge-kommen raquoIch koumlnnte Leo zuarbeiten und so schon einmal Einblicke bekommenlaquo

Die frostglitzernde Wut im Blick ihrer Mutter schmolz zu Uumlberraschung raquoAch waslaquo

raquoIch habe mir lange uumlberlegt was ich mit meinem Che-miestudium machelaquo

raquoHeiszligt das es steht nicht zu erwarten dass du dich nun nach einer passenden Partie umsiehstlaquo Fuumlr jemanden der selbst gluumlcklich verheiratet gewesen war zeigte ihre Mut-ter eine sehr ablehnende Haltung zu Emmas Eheplaumlnen

raquoNoch ist ja niemand in Aussicht nicht wahrlaquo ver-setzte Emma der Hoffnung einen Daumlmpfer

Ihre Mutter schien damit zufrieden zu sein raquoSchoumln dann beeil dich wir brechen gleich auflaquo

Sie und Leopold fuhren in der Regel gemeinsam los und Leopold lieszlig dann den Wagen fuumlr sie im Werk und kehrte puumlnktlich zum Buumlroschluss mit der Bahn nach Hause zu-ruumlck Das tat er vermutlich vor allem aus dem Grund weil er den Abstand brauchte

raquoIch habe uumlbrigens gehoumlrt dass Marion in der Chariteacute aufhoumlrtlaquo erzaumlhlte Emma als sie auf der Ruumlckbank des Wagens Platz genommen hatte

raquoWelche Marionlaquo fragte ihre Mutter und Emma haumltte gerne gewusst ob sie das wirklich nicht wusste

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raquoUnsere CousinelaquoraquoUnd warum sollte es mich interessieren was diese Per-

son tutlaquoraquoWeil sie deine Nichte ist moumlglicherweiselaquoVon hinten konnte Emma das Schulterzucken sehenraquoAuf jeden Fall heiszligt es sie wollte in das Unternehmen

von Tante Helena einsteigenlaquo Mit einiger Befriedigung bemerkte Emma dass ihre Mutter bei dieser persoumlnlichen Bezeichnung kaum merklich zusammenzuckte

raquoIn der TatlaquoraquoSie hat einige Semester Chemie studiert das hatte ich

doch erzaumlhltlaquoraquoJa hattest du Auch dass sie es mit deinem Chemie-

professor getrieben hatlaquoraquoMutterlaquo kam es von LeopoldraquoDas habe ich nie gesagtlaquo Emma lehnte sich vor als

koumlnne sie ihren Worten damit mehr Nachdruck verleihen raquoIch sagte sie gehen miteinander auslaquo

raquoWenn sie nach ihrer Mutter kommt gibt es das eine nicht ohne das andere Gerne auch zum Nachteil der eigenen Familie Sind deine Noten bei besagtem Profes-sor nicht danach schlechter gewordenlaquo

raquoDas war bei Professor Guenther nicht bei Professor Hellweg mit dem Marion aus war Meine Guumltelaquo Emma hatte langsam genug Dieser sture verbohrte Zorn ihrer Mutter war nicht mehr zu ertragen Mit Ende vierzig konnte sie sich auf jeden Fall noch nicht mit Altersstarr-sinn herausreden raquoHoumlr zu wenn das hier jeden Morgen der Beginn meines Arbeitstages wird sag es direkt dann reicht mir der einmalige Ausflug in dein Unternehmen

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und ich bewerbe mich morgen beim Pharmaunternehmen Lichtenthallaquo

Ihre Mutter fuhr herum raquoDas wagst du nichtlaquoraquoLass es gerne darauf ankommenlaquoLange sah ihre Mutter sie an dann zuckte es um ihre

Lippen Widerspruchsgeist gefiel ihr und sie schien auf einmal versoumlhnt Emma wuumlrde bleiben wuumlrde es allein um Leopolds willen tun Vielleicht wuumlrde es leichter fuumlr ihn mit ihr an seiner Seite

Das ehemalige Werksgelaumlnde hatte in Berlin-Oberschouml-neweide gestanden aber sie waren noch vor dem Krieg um-gezogen was sich als richtige Entscheidung erwiesen hatte wenngleich zu der Zeit noch niemand hatte wissen koumlnnen dass dieser Stadtteil unter sowjetische Verwaltung gestellt werden wuumlrde Das jetzige Werk stand in Berlin-Tempel-hof im Amerikanischen Sektor und hatte im Krieg ebenfalls gelitten Sie fuhren durch das Tor und Leopold parkte den Wagen auf der dafuumlr vorgesehenen Flaumlche auf der weitere Autos Motorraumlder und Mopeds standen

Ihre Mutter begleitete sie bis in die Etage in der sich die Raumlumlichkeiten der Geschaumlftsfuumlhrung befanden dann ging sie in ihr Buumlro waumlhrend Emma Leopold in seines be-gleitete

raquoWeiszligt dulaquo sagte er als er auf einen der Stuumlhle wies raquodu musst das nicht tunlaquo

raquoWas meinst dulaquo Emma lieszlig sich auf der Besucherseite seines Schreibtischs nieder

raquoDas weiszligt du genau Mich hierher zu begleiten ob-wohl du nie im Sinn hattest in der Firma zu arbeiten Du musst mich nicht vor Mutter beschuumltzenlaquo

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raquoDas tue ich doch gar nichtlaquoLeopold antwortete nicht ging nur zur Tuumlr oumlffnete sie

und rief in das gegenuumlberliegende Zimmer der beiden Sekretaumlrinnen dass man ihm und seiner Schwester bitte Kaffee bringen moumlge raquoEs war nie dein Plan hier zu ar-beitenlaquo

raquoPlaumlne koumlnnen sich aumlndernlaquoraquoVon einem Tag auf den anderenlaquoraquoJa warum denn nicht Und wer sagt uumlberhaupt dass

es so abrupt war Vielleicht denke ich ja schon laumlnger da-ruumlber nach und habe dir einfach noch nichts erzaumlhltlaquo Emma zog einen Bleistift aus dem Stiftebecher und drehte ihn zwischen den Fingern raquoUumlbrigens hat mir Dominik Lichtenthal ein Stellenangebot gemachtlaquo Gespannt be-obachtete sie Leopolds Reaktion

raquoWannlaquoraquoIch bin ihm mal abends beim Spaziergang begegnetlaquoraquoUnd da hat er dir ndash ohne dich und deine Befaumlhigung

so recht zu kennen ndash eine Stelle angebotenlaquoraquoWir haben uns kurz unterhalten und er weiszlig dass ich

Chemie studiere Da meinte er wenn ich nicht fuumlr Mutter arbeiten wolle solle ich mich bei ihm melden er koumlnne faumlhige Chemiker immer gebrauchenlaquo

raquoMutter enterbt dich wenn du das tustlaquoraquoDas waumlre nicht so schlimm denn dann erbst du alles

und wirst mir meinen Teil einfach auszahlenlaquoraquoIst das solaquoraquoNatuumlrlichlaquo Emma zog ihre Zigaretten hervorraquoDu willst doch wohl hier nicht rauchenlaquoAnstelle einer Antwort steckte sie sich eine Zigarette

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zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

bei Lichtenthal in Aussicht und einem groszligzuumlgigen Bru-der der dir deinen Erbanteil abtrittlaquo

Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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Juni 1952

Die einstmals goldene Zeit merkte man der ehemaligen Amuumlsiermeile auf der Friedrichstraszlige nicht mehr an und Helena verspuumlrte jedes Mal beim Besuch ihres Schoumlnheits-salons diesen Stich des Bedauerns Als sie in den Zwan-zigern hier angekommen war hatte das Leben pulsiert mit Autos Bussen Bahnen Fuszliggaumlngern Radfahrern und noch vereinzelten Droschken Die Kreuzung an der Leip-ziger Straszlige war ein so verkehrsreicher Knotenpunkt ge-wesen dass es fuumlr die aus der Provinz stammende Helena anfangs schon eine Herausforderung gewesen war lebend von einer Straszligenseite auf die andere zu gelangen

Nach dem Krieg war die Straszlige eine von Ruinen ge-saumlumte Schuttwuumlste geworden und auch wenn die Truumlm-mer in weiten Teilen fortgeraumlumt waren so erinnerte doch nur wenig an fruumlher Helena hatte mehrfach uumlberlegt den Schoumlnheitssalon einfach aufzugeben aber das brachte sie nicht uumlber sich Vielleicht normalisierte sich hier ja alles irgendwann wieder das konnte doch nicht ewig so blei-ben Ihr Schoumlnheitssalon in der Friedrichstraszlige befand sich im Amerikanischen Sektor der in Berlin-Mitte gehoumlrte nun zur DDR ihr Werk wiederum zum Franzoumlsischen

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Sektor Dominiks sowie ihr Wohnsitz lagen im Britischen Sektor Das war doch auf Dauer kein Zustand Den Salon in Berlin-Mitte hatte sie aufgeben muumlssen und sie sah sich bereits nach Alternativen um

Als Helena in den Salon trat kam ihr Ida ndash fruumlher Wag-ner jetzt Zeller ndash entgegen raquoKaffeelaquo

raquoUnbedingtlaquo Helena haumlngte ihren Mantel an die Gar-derobe und betrat den Salon Es war noch fruumlh und sie wuumlrden erst in einer halben Stunde oumlffnen Ida hatte schon in den Dreiszligigern die Leitung des Salons uumlbernommen als Helena damit beschaumlftigt gewesen war einen weiteren in Berlin-Mitte zu eroumlffnen

raquoWie geht es den MaumldchenlaquoHelena setzte sich in einen der bequemen Besucher-

stuumlhle wo die Frauen sich bei einer Tasse Kaffee oder Tee und etwas Gebaumlck entspannen konnten raquoMarion faumlngt bei mir im Werk an der Termin steht jetztlaquo Das war Schock und freudige Uumlberraschung zugleich gewesen und Helena wusste selbst nicht ob ihre Bestuumlrzung oder ihre Freude uumlberwog Natuumlrlich hatte sie gehofft dass Marion als Aumlrztin praktizierte immerhin hatte sie stu-diert und damit ein klares Ziel vor Augen gehabt Ande-rerseits freute es sie dass ihre Tochter Interesse an ihrem Unternehmen zeigte ndash und nicht an Dominiks wie eine kleine nicht zu unterdruumlckende Stimme des Triumphs in ihr betonte raquoUnd Fanny schlieszligt das Schuljahr mit sehr guten Noten ablaquo

raquoMathematik macht ihr wieder SpaszliglaquoraquoNachdem Ferdinands Ehefrau es ihr erklaumlrt hat was

ihr unfaumlhiger Lehrer offenbar nicht hinbekommtlaquo Fer-

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dinand war der Patenonkel beider Toumlchter und seine Frau eine begabte Mathematikerin

Die Schwangerschaft mit Fanny hatte Helena seinerzeit einen gehoumlrigen Schrecken eingejagt All die Jahre hatte sie es erfolgreich vermieden zu empfangen und dann als die Welt am Abgrund stand kuumlndigte sich neues Leben an Schlimm genug mitanzusehen wie Marion bereits in der Schule darauf vorbereitet wurde in den BDM einzu-treten da wollte sie diesem System nicht noch ein Kind schenken Es war Rudolf Liliengrund gewesen dem Fanny es zu verdanken hatte dass Helena keinen Abbruch hatte vornehmen lassen

raquoGerade in diesen Zeiten sollten die Anstaumlndigen sich vermehrenlaquo

Ihr lieber Rudolf der seine gesamte Familie verloren und selbst nur knapp und unter Entbehrungen die Flucht geschafft hatte weil er zu lange gezoumlgert geglaubt hatte es wuumlrde alles gut werden Und so hatte Helena Fanny aus-getragen hatte schon in der Schwangerschaft eine so innige Beziehung zu dem Kind gehabt wie sie es sich nicht hatte vorstellen koumlnnen Es war ganz anders als mit Marion zu der sie erst eine enge Bindung hatte aufbauen koumlnnen als diese bereits ein Kleinkind gewesen war Waumlhrend Marion von Geburt an ein Papakind war so war Fanny von Geburt an ganz und gar ihre Tochter Helena hatte sie sogar mit zur Arbeit genommen weil sie sich nicht von ihr trennen mochte hatte sie im Buumlro gestillt und in der Wiege neben sich schlafen lassen Undenkbar dieses Baby jemand ande-rem anzuvertrauen Dabei liebte sie Marion nicht weniger und sie verstand auch im Nachhinein nicht warum sie bei

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beiden Kindern schon in der Schwangerschaft so unter-schiedlich empfunden hatte

raquoDu solltest endlich aufhoumlren das zu hinterfragenlaquo hatte ihre beste Freundin Irene Danelius gesagt raquoEs ist jetzt wie es ist Freu dich einfach Gerade jetzt haben wir alle wahrhaftig Probleme genug da muss man nicht auch noch welche hinzuredenlaquo

Als im November 1938 die Synagogen brannten hatte Irene das Land verlassen raquoIch komme zuruumlck wenn der Irrsinn vorbei istlaquo hatte sie gesagt und war nach Amerika gegangen Dort war sie zur Filmgroumlszlige geworden hatte einen bekannten Produzenten geheiratet und lebte nach wie vor in den Vereinigten Staaten Helena vermisste sie immer noch sehr und war auch schon einmal mit ihrer Familie in New York gewesen um sie zu besuchen

raquoFahrt ihr diesen Sommer weglaquo fragte Ida und setzte sich nun ebenfalls

raquoAuf jeden Fall fuumlr zwei Wochen zu meiner Mutter Und von da aus vielleicht weiter in Richtung Schweizlaquo Vor allem auf die Zeit bei ihrer Mutter freute sich Helena das waren jedes Mal schoumlne Tage mit all den fruumlheren Freunden und Bekannten sowie mit der Baronin fuumlr die sie und ihre Mutter fruumlher gearbeitet hatten und bei der ihre Mutter nun den Altersruhesitz hatte Fuumlr Helenas Familie standen immer Gaumlstezimmer bereit Ein wenig behandelte man sie dort wie eine Prominente die Dienst-botentochter die es in der Weltmetropole zu etwas ge-bracht hatte mit einem reichen Mann verheiratet war und mit Filmstars verkehrte

Kurz darauf trafen die uumlbrigen Mitarbeiterinnen ein

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und dann kamen auch schon die ersten Kundinnen Helena unterhielt sich mit einigen der Damen beriet hier und da persoumlnlich und machte sich dann auf den Weg ins Werk Unmittelbar nach dem Krieg war es schwierig gewesen die Rohstoffe fuumlr die Produktion von Kosmetik aufzutrei-ben vielfach waren sie nur zu Schwarzmarktpreisen zu be-kommen Viele Rohstoffe wurden in der Pharmaindustrie dringender benoumltigt und natuumlrlich hatte die medizini-sche Versorgung Vorrang vor der kosmetischen Gerade nach dem Krieg hatten sie alle andere Sorgen gehabt wes-halb Helenas Werk voruumlbergehend die Produktion um-stellte und der chemischen Industrie zuarbeitete waumlhrend die Schoumlnheitssalons Obdachlosen offenstanden Erst vier Jahre nach Kriegsende als der Hungerwinter vorbei war und die Menschen durch die Waumlhrungsreform wieder uumlber Geld verfuumlgten hatte Helena Kosmetikherstellung und Schoumlnheitsbehandlungen wieder aufgenommen

Im Werk ging Helena direkt in ihr Buumlro und sah sich Werbeentwuumlrfe an Sie liebte ihre Arbeit und sie machte ihr nach wie vor Spaszlig allerdings fehlte ihr die Heraus-forderung Die Kosmetik entwickelte sich stetig weiter und mittlerweile war Forschung und Entwicklung eine eigene Abteilung in ihrem Unternehmen Natuumlrlich freute sie sich daruumlber aber sie vermisste die Zeiten in denen sie selbst in ihrer Fertigung gesessen und experimentiert hatte Vielleicht war es wirklich gut dass Marion hier demnaumlchst etwas frischen Wind hereinbringen wuumlrde Wie wohl Charlotte darauf reagierte dass Helena ihr nun Konkurrenz machen wuumlrde

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Emma houmlrte den Streit bis ins Wohnzimmer Ihre Mutter hielt Leopold vor er naumlhme die Arbeit nicht ausreichend ernst und bringe sich zu wenig ein Wie er bei dem Ge-schaumlftstermin am Vortag nur dagesessen und auf einmal zu zittern begonnen habe Wenn es nicht anders ging dann solle er eben seine Medikamente wieder nehmen Und ndash verdammt noch mal ndash endlich mehr Nervenstaumlrke zei- gen

Auch an diesem Morgen hatte es schon wieder damit begonnen dass Leopold beim Fruumlhstuumlck sehr still gewe-sen war was fuumlr Emma immer ein Zeichen fuumlr schlimme Traumlume war Auf Ausfuumlhrungen ihrer Mutter zu dem heu-tigen Arbeitstag hatte er nur genickt was diese wiederum zu dem Schluss kommen lieszlig dass er sich nur unzurei-chend interessierte Uumlberhaupt habe er keine innovativen Ideen arbeite den Tag ab ohne echtes Interesse zu zeigen an dem was er tat Irgendwann war ein handfester Streit ausgebrochen der auch dann noch anhielt als Emma das Esszimmer verlassen hatte und nun in der Kuumlche den Ab-wasch machte Schlieszliglich hielt sie es nicht mehr aus lief ins Esszimmer zuruumlck

raquoWas willst du eigentlichlaquo fuhr sie ihre Mutter an raquoEr tut doch alles was er solllaquo

raquoEmma lass nurlaquo sagte Leopold raquoIch mache helliplaquoraquoNein ich lasse es nicht Koumlnnen wir nicht mal einen

Morgen friedlich verbringen wie andere Familien auch Muss hier immer den ganzen Tag uumlber Streit herrschen und abends gehen wir dann versoumlhnt schlafen Wozu Um am naumlchsten Tag wieder loszulegen Das ist doch nicht mehr auszuhaltenlaquo

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raquoWie redest du eigentlich mit mirlaquo Die Stimme ihrer Mutter war ganz kalt geworden bar jeder Emotion

raquoIch helliplaquo Die aufbrausende Wut fiel von Emma ab und sie wusste nicht mehr was sie nun sagen sollte raquoIch hellip ich habe heute keine Uni und wollte ohnehin fragen ob ich mit ins Werk kannlaquo Der Einfall war ihr gerade erst ge-kommen raquoIch koumlnnte Leo zuarbeiten und so schon einmal Einblicke bekommenlaquo

Die frostglitzernde Wut im Blick ihrer Mutter schmolz zu Uumlberraschung raquoAch waslaquo

raquoIch habe mir lange uumlberlegt was ich mit meinem Che-miestudium machelaquo

raquoHeiszligt das es steht nicht zu erwarten dass du dich nun nach einer passenden Partie umsiehstlaquo Fuumlr jemanden der selbst gluumlcklich verheiratet gewesen war zeigte ihre Mut-ter eine sehr ablehnende Haltung zu Emmas Eheplaumlnen

raquoNoch ist ja niemand in Aussicht nicht wahrlaquo ver-setzte Emma der Hoffnung einen Daumlmpfer

Ihre Mutter schien damit zufrieden zu sein raquoSchoumln dann beeil dich wir brechen gleich auflaquo

Sie und Leopold fuhren in der Regel gemeinsam los und Leopold lieszlig dann den Wagen fuumlr sie im Werk und kehrte puumlnktlich zum Buumlroschluss mit der Bahn nach Hause zu-ruumlck Das tat er vermutlich vor allem aus dem Grund weil er den Abstand brauchte

raquoIch habe uumlbrigens gehoumlrt dass Marion in der Chariteacute aufhoumlrtlaquo erzaumlhlte Emma als sie auf der Ruumlckbank des Wagens Platz genommen hatte

raquoWelche Marionlaquo fragte ihre Mutter und Emma haumltte gerne gewusst ob sie das wirklich nicht wusste

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raquoUnsere CousinelaquoraquoUnd warum sollte es mich interessieren was diese Per-

son tutlaquoraquoWeil sie deine Nichte ist moumlglicherweiselaquoVon hinten konnte Emma das Schulterzucken sehenraquoAuf jeden Fall heiszligt es sie wollte in das Unternehmen

von Tante Helena einsteigenlaquo Mit einiger Befriedigung bemerkte Emma dass ihre Mutter bei dieser persoumlnlichen Bezeichnung kaum merklich zusammenzuckte

raquoIn der TatlaquoraquoSie hat einige Semester Chemie studiert das hatte ich

doch erzaumlhltlaquoraquoJa hattest du Auch dass sie es mit deinem Chemie-

professor getrieben hatlaquoraquoMutterlaquo kam es von LeopoldraquoDas habe ich nie gesagtlaquo Emma lehnte sich vor als

koumlnne sie ihren Worten damit mehr Nachdruck verleihen raquoIch sagte sie gehen miteinander auslaquo

raquoWenn sie nach ihrer Mutter kommt gibt es das eine nicht ohne das andere Gerne auch zum Nachteil der eigenen Familie Sind deine Noten bei besagtem Profes-sor nicht danach schlechter gewordenlaquo

raquoDas war bei Professor Guenther nicht bei Professor Hellweg mit dem Marion aus war Meine Guumltelaquo Emma hatte langsam genug Dieser sture verbohrte Zorn ihrer Mutter war nicht mehr zu ertragen Mit Ende vierzig konnte sie sich auf jeden Fall noch nicht mit Altersstarr-sinn herausreden raquoHoumlr zu wenn das hier jeden Morgen der Beginn meines Arbeitstages wird sag es direkt dann reicht mir der einmalige Ausflug in dein Unternehmen

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und ich bewerbe mich morgen beim Pharmaunternehmen Lichtenthallaquo

Ihre Mutter fuhr herum raquoDas wagst du nichtlaquoraquoLass es gerne darauf ankommenlaquoLange sah ihre Mutter sie an dann zuckte es um ihre

Lippen Widerspruchsgeist gefiel ihr und sie schien auf einmal versoumlhnt Emma wuumlrde bleiben wuumlrde es allein um Leopolds willen tun Vielleicht wuumlrde es leichter fuumlr ihn mit ihr an seiner Seite

Das ehemalige Werksgelaumlnde hatte in Berlin-Oberschouml-neweide gestanden aber sie waren noch vor dem Krieg um-gezogen was sich als richtige Entscheidung erwiesen hatte wenngleich zu der Zeit noch niemand hatte wissen koumlnnen dass dieser Stadtteil unter sowjetische Verwaltung gestellt werden wuumlrde Das jetzige Werk stand in Berlin-Tempel-hof im Amerikanischen Sektor und hatte im Krieg ebenfalls gelitten Sie fuhren durch das Tor und Leopold parkte den Wagen auf der dafuumlr vorgesehenen Flaumlche auf der weitere Autos Motorraumlder und Mopeds standen

Ihre Mutter begleitete sie bis in die Etage in der sich die Raumlumlichkeiten der Geschaumlftsfuumlhrung befanden dann ging sie in ihr Buumlro waumlhrend Emma Leopold in seines be-gleitete

raquoWeiszligt dulaquo sagte er als er auf einen der Stuumlhle wies raquodu musst das nicht tunlaquo

raquoWas meinst dulaquo Emma lieszlig sich auf der Besucherseite seines Schreibtischs nieder

raquoDas weiszligt du genau Mich hierher zu begleiten ob-wohl du nie im Sinn hattest in der Firma zu arbeiten Du musst mich nicht vor Mutter beschuumltzenlaquo

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raquoDas tue ich doch gar nichtlaquoLeopold antwortete nicht ging nur zur Tuumlr oumlffnete sie

und rief in das gegenuumlberliegende Zimmer der beiden Sekretaumlrinnen dass man ihm und seiner Schwester bitte Kaffee bringen moumlge raquoEs war nie dein Plan hier zu ar-beitenlaquo

raquoPlaumlne koumlnnen sich aumlndernlaquoraquoVon einem Tag auf den anderenlaquoraquoJa warum denn nicht Und wer sagt uumlberhaupt dass

es so abrupt war Vielleicht denke ich ja schon laumlnger da-ruumlber nach und habe dir einfach noch nichts erzaumlhltlaquo Emma zog einen Bleistift aus dem Stiftebecher und drehte ihn zwischen den Fingern raquoUumlbrigens hat mir Dominik Lichtenthal ein Stellenangebot gemachtlaquo Gespannt be-obachtete sie Leopolds Reaktion

raquoWannlaquoraquoIch bin ihm mal abends beim Spaziergang begegnetlaquoraquoUnd da hat er dir ndash ohne dich und deine Befaumlhigung

so recht zu kennen ndash eine Stelle angebotenlaquoraquoWir haben uns kurz unterhalten und er weiszlig dass ich

Chemie studiere Da meinte er wenn ich nicht fuumlr Mutter arbeiten wolle solle ich mich bei ihm melden er koumlnne faumlhige Chemiker immer gebrauchenlaquo

raquoMutter enterbt dich wenn du das tustlaquoraquoDas waumlre nicht so schlimm denn dann erbst du alles

und wirst mir meinen Teil einfach auszahlenlaquoraquoIst das solaquoraquoNatuumlrlichlaquo Emma zog ihre Zigaretten hervorraquoDu willst doch wohl hier nicht rauchenlaquoAnstelle einer Antwort steckte sie sich eine Zigarette

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zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

bei Lichtenthal in Aussicht und einem groszligzuumlgigen Bru-der der dir deinen Erbanteil abtrittlaquo

Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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Sektor Dominiks sowie ihr Wohnsitz lagen im Britischen Sektor Das war doch auf Dauer kein Zustand Den Salon in Berlin-Mitte hatte sie aufgeben muumlssen und sie sah sich bereits nach Alternativen um

Als Helena in den Salon trat kam ihr Ida ndash fruumlher Wag-ner jetzt Zeller ndash entgegen raquoKaffeelaquo

raquoUnbedingtlaquo Helena haumlngte ihren Mantel an die Gar-derobe und betrat den Salon Es war noch fruumlh und sie wuumlrden erst in einer halben Stunde oumlffnen Ida hatte schon in den Dreiszligigern die Leitung des Salons uumlbernommen als Helena damit beschaumlftigt gewesen war einen weiteren in Berlin-Mitte zu eroumlffnen

raquoWie geht es den MaumldchenlaquoHelena setzte sich in einen der bequemen Besucher-

stuumlhle wo die Frauen sich bei einer Tasse Kaffee oder Tee und etwas Gebaumlck entspannen konnten raquoMarion faumlngt bei mir im Werk an der Termin steht jetztlaquo Das war Schock und freudige Uumlberraschung zugleich gewesen und Helena wusste selbst nicht ob ihre Bestuumlrzung oder ihre Freude uumlberwog Natuumlrlich hatte sie gehofft dass Marion als Aumlrztin praktizierte immerhin hatte sie stu-diert und damit ein klares Ziel vor Augen gehabt Ande-rerseits freute es sie dass ihre Tochter Interesse an ihrem Unternehmen zeigte ndash und nicht an Dominiks wie eine kleine nicht zu unterdruumlckende Stimme des Triumphs in ihr betonte raquoUnd Fanny schlieszligt das Schuljahr mit sehr guten Noten ablaquo

raquoMathematik macht ihr wieder SpaszliglaquoraquoNachdem Ferdinands Ehefrau es ihr erklaumlrt hat was

ihr unfaumlhiger Lehrer offenbar nicht hinbekommtlaquo Fer-

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dinand war der Patenonkel beider Toumlchter und seine Frau eine begabte Mathematikerin

Die Schwangerschaft mit Fanny hatte Helena seinerzeit einen gehoumlrigen Schrecken eingejagt All die Jahre hatte sie es erfolgreich vermieden zu empfangen und dann als die Welt am Abgrund stand kuumlndigte sich neues Leben an Schlimm genug mitanzusehen wie Marion bereits in der Schule darauf vorbereitet wurde in den BDM einzu-treten da wollte sie diesem System nicht noch ein Kind schenken Es war Rudolf Liliengrund gewesen dem Fanny es zu verdanken hatte dass Helena keinen Abbruch hatte vornehmen lassen

raquoGerade in diesen Zeiten sollten die Anstaumlndigen sich vermehrenlaquo

Ihr lieber Rudolf der seine gesamte Familie verloren und selbst nur knapp und unter Entbehrungen die Flucht geschafft hatte weil er zu lange gezoumlgert geglaubt hatte es wuumlrde alles gut werden Und so hatte Helena Fanny aus-getragen hatte schon in der Schwangerschaft eine so innige Beziehung zu dem Kind gehabt wie sie es sich nicht hatte vorstellen koumlnnen Es war ganz anders als mit Marion zu der sie erst eine enge Bindung hatte aufbauen koumlnnen als diese bereits ein Kleinkind gewesen war Waumlhrend Marion von Geburt an ein Papakind war so war Fanny von Geburt an ganz und gar ihre Tochter Helena hatte sie sogar mit zur Arbeit genommen weil sie sich nicht von ihr trennen mochte hatte sie im Buumlro gestillt und in der Wiege neben sich schlafen lassen Undenkbar dieses Baby jemand ande-rem anzuvertrauen Dabei liebte sie Marion nicht weniger und sie verstand auch im Nachhinein nicht warum sie bei

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beiden Kindern schon in der Schwangerschaft so unter-schiedlich empfunden hatte

raquoDu solltest endlich aufhoumlren das zu hinterfragenlaquo hatte ihre beste Freundin Irene Danelius gesagt raquoEs ist jetzt wie es ist Freu dich einfach Gerade jetzt haben wir alle wahrhaftig Probleme genug da muss man nicht auch noch welche hinzuredenlaquo

Als im November 1938 die Synagogen brannten hatte Irene das Land verlassen raquoIch komme zuruumlck wenn der Irrsinn vorbei istlaquo hatte sie gesagt und war nach Amerika gegangen Dort war sie zur Filmgroumlszlige geworden hatte einen bekannten Produzenten geheiratet und lebte nach wie vor in den Vereinigten Staaten Helena vermisste sie immer noch sehr und war auch schon einmal mit ihrer Familie in New York gewesen um sie zu besuchen

raquoFahrt ihr diesen Sommer weglaquo fragte Ida und setzte sich nun ebenfalls

raquoAuf jeden Fall fuumlr zwei Wochen zu meiner Mutter Und von da aus vielleicht weiter in Richtung Schweizlaquo Vor allem auf die Zeit bei ihrer Mutter freute sich Helena das waren jedes Mal schoumlne Tage mit all den fruumlheren Freunden und Bekannten sowie mit der Baronin fuumlr die sie und ihre Mutter fruumlher gearbeitet hatten und bei der ihre Mutter nun den Altersruhesitz hatte Fuumlr Helenas Familie standen immer Gaumlstezimmer bereit Ein wenig behandelte man sie dort wie eine Prominente die Dienst-botentochter die es in der Weltmetropole zu etwas ge-bracht hatte mit einem reichen Mann verheiratet war und mit Filmstars verkehrte

Kurz darauf trafen die uumlbrigen Mitarbeiterinnen ein

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und dann kamen auch schon die ersten Kundinnen Helena unterhielt sich mit einigen der Damen beriet hier und da persoumlnlich und machte sich dann auf den Weg ins Werk Unmittelbar nach dem Krieg war es schwierig gewesen die Rohstoffe fuumlr die Produktion von Kosmetik aufzutrei-ben vielfach waren sie nur zu Schwarzmarktpreisen zu be-kommen Viele Rohstoffe wurden in der Pharmaindustrie dringender benoumltigt und natuumlrlich hatte die medizini-sche Versorgung Vorrang vor der kosmetischen Gerade nach dem Krieg hatten sie alle andere Sorgen gehabt wes-halb Helenas Werk voruumlbergehend die Produktion um-stellte und der chemischen Industrie zuarbeitete waumlhrend die Schoumlnheitssalons Obdachlosen offenstanden Erst vier Jahre nach Kriegsende als der Hungerwinter vorbei war und die Menschen durch die Waumlhrungsreform wieder uumlber Geld verfuumlgten hatte Helena Kosmetikherstellung und Schoumlnheitsbehandlungen wieder aufgenommen

Im Werk ging Helena direkt in ihr Buumlro und sah sich Werbeentwuumlrfe an Sie liebte ihre Arbeit und sie machte ihr nach wie vor Spaszlig allerdings fehlte ihr die Heraus-forderung Die Kosmetik entwickelte sich stetig weiter und mittlerweile war Forschung und Entwicklung eine eigene Abteilung in ihrem Unternehmen Natuumlrlich freute sie sich daruumlber aber sie vermisste die Zeiten in denen sie selbst in ihrer Fertigung gesessen und experimentiert hatte Vielleicht war es wirklich gut dass Marion hier demnaumlchst etwas frischen Wind hereinbringen wuumlrde Wie wohl Charlotte darauf reagierte dass Helena ihr nun Konkurrenz machen wuumlrde

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Emma houmlrte den Streit bis ins Wohnzimmer Ihre Mutter hielt Leopold vor er naumlhme die Arbeit nicht ausreichend ernst und bringe sich zu wenig ein Wie er bei dem Ge-schaumlftstermin am Vortag nur dagesessen und auf einmal zu zittern begonnen habe Wenn es nicht anders ging dann solle er eben seine Medikamente wieder nehmen Und ndash verdammt noch mal ndash endlich mehr Nervenstaumlrke zei- gen

Auch an diesem Morgen hatte es schon wieder damit begonnen dass Leopold beim Fruumlhstuumlck sehr still gewe-sen war was fuumlr Emma immer ein Zeichen fuumlr schlimme Traumlume war Auf Ausfuumlhrungen ihrer Mutter zu dem heu-tigen Arbeitstag hatte er nur genickt was diese wiederum zu dem Schluss kommen lieszlig dass er sich nur unzurei-chend interessierte Uumlberhaupt habe er keine innovativen Ideen arbeite den Tag ab ohne echtes Interesse zu zeigen an dem was er tat Irgendwann war ein handfester Streit ausgebrochen der auch dann noch anhielt als Emma das Esszimmer verlassen hatte und nun in der Kuumlche den Ab-wasch machte Schlieszliglich hielt sie es nicht mehr aus lief ins Esszimmer zuruumlck

raquoWas willst du eigentlichlaquo fuhr sie ihre Mutter an raquoEr tut doch alles was er solllaquo

raquoEmma lass nurlaquo sagte Leopold raquoIch mache helliplaquoraquoNein ich lasse es nicht Koumlnnen wir nicht mal einen

Morgen friedlich verbringen wie andere Familien auch Muss hier immer den ganzen Tag uumlber Streit herrschen und abends gehen wir dann versoumlhnt schlafen Wozu Um am naumlchsten Tag wieder loszulegen Das ist doch nicht mehr auszuhaltenlaquo

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raquoWie redest du eigentlich mit mirlaquo Die Stimme ihrer Mutter war ganz kalt geworden bar jeder Emotion

raquoIch helliplaquo Die aufbrausende Wut fiel von Emma ab und sie wusste nicht mehr was sie nun sagen sollte raquoIch hellip ich habe heute keine Uni und wollte ohnehin fragen ob ich mit ins Werk kannlaquo Der Einfall war ihr gerade erst ge-kommen raquoIch koumlnnte Leo zuarbeiten und so schon einmal Einblicke bekommenlaquo

Die frostglitzernde Wut im Blick ihrer Mutter schmolz zu Uumlberraschung raquoAch waslaquo

raquoIch habe mir lange uumlberlegt was ich mit meinem Che-miestudium machelaquo

raquoHeiszligt das es steht nicht zu erwarten dass du dich nun nach einer passenden Partie umsiehstlaquo Fuumlr jemanden der selbst gluumlcklich verheiratet gewesen war zeigte ihre Mut-ter eine sehr ablehnende Haltung zu Emmas Eheplaumlnen

raquoNoch ist ja niemand in Aussicht nicht wahrlaquo ver-setzte Emma der Hoffnung einen Daumlmpfer

Ihre Mutter schien damit zufrieden zu sein raquoSchoumln dann beeil dich wir brechen gleich auflaquo

Sie und Leopold fuhren in der Regel gemeinsam los und Leopold lieszlig dann den Wagen fuumlr sie im Werk und kehrte puumlnktlich zum Buumlroschluss mit der Bahn nach Hause zu-ruumlck Das tat er vermutlich vor allem aus dem Grund weil er den Abstand brauchte

raquoIch habe uumlbrigens gehoumlrt dass Marion in der Chariteacute aufhoumlrtlaquo erzaumlhlte Emma als sie auf der Ruumlckbank des Wagens Platz genommen hatte

raquoWelche Marionlaquo fragte ihre Mutter und Emma haumltte gerne gewusst ob sie das wirklich nicht wusste

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raquoUnsere CousinelaquoraquoUnd warum sollte es mich interessieren was diese Per-

son tutlaquoraquoWeil sie deine Nichte ist moumlglicherweiselaquoVon hinten konnte Emma das Schulterzucken sehenraquoAuf jeden Fall heiszligt es sie wollte in das Unternehmen

von Tante Helena einsteigenlaquo Mit einiger Befriedigung bemerkte Emma dass ihre Mutter bei dieser persoumlnlichen Bezeichnung kaum merklich zusammenzuckte

raquoIn der TatlaquoraquoSie hat einige Semester Chemie studiert das hatte ich

doch erzaumlhltlaquoraquoJa hattest du Auch dass sie es mit deinem Chemie-

professor getrieben hatlaquoraquoMutterlaquo kam es von LeopoldraquoDas habe ich nie gesagtlaquo Emma lehnte sich vor als

koumlnne sie ihren Worten damit mehr Nachdruck verleihen raquoIch sagte sie gehen miteinander auslaquo

raquoWenn sie nach ihrer Mutter kommt gibt es das eine nicht ohne das andere Gerne auch zum Nachteil der eigenen Familie Sind deine Noten bei besagtem Profes-sor nicht danach schlechter gewordenlaquo

raquoDas war bei Professor Guenther nicht bei Professor Hellweg mit dem Marion aus war Meine Guumltelaquo Emma hatte langsam genug Dieser sture verbohrte Zorn ihrer Mutter war nicht mehr zu ertragen Mit Ende vierzig konnte sie sich auf jeden Fall noch nicht mit Altersstarr-sinn herausreden raquoHoumlr zu wenn das hier jeden Morgen der Beginn meines Arbeitstages wird sag es direkt dann reicht mir der einmalige Ausflug in dein Unternehmen

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und ich bewerbe mich morgen beim Pharmaunternehmen Lichtenthallaquo

Ihre Mutter fuhr herum raquoDas wagst du nichtlaquoraquoLass es gerne darauf ankommenlaquoLange sah ihre Mutter sie an dann zuckte es um ihre

Lippen Widerspruchsgeist gefiel ihr und sie schien auf einmal versoumlhnt Emma wuumlrde bleiben wuumlrde es allein um Leopolds willen tun Vielleicht wuumlrde es leichter fuumlr ihn mit ihr an seiner Seite

Das ehemalige Werksgelaumlnde hatte in Berlin-Oberschouml-neweide gestanden aber sie waren noch vor dem Krieg um-gezogen was sich als richtige Entscheidung erwiesen hatte wenngleich zu der Zeit noch niemand hatte wissen koumlnnen dass dieser Stadtteil unter sowjetische Verwaltung gestellt werden wuumlrde Das jetzige Werk stand in Berlin-Tempel-hof im Amerikanischen Sektor und hatte im Krieg ebenfalls gelitten Sie fuhren durch das Tor und Leopold parkte den Wagen auf der dafuumlr vorgesehenen Flaumlche auf der weitere Autos Motorraumlder und Mopeds standen

Ihre Mutter begleitete sie bis in die Etage in der sich die Raumlumlichkeiten der Geschaumlftsfuumlhrung befanden dann ging sie in ihr Buumlro waumlhrend Emma Leopold in seines be-gleitete

raquoWeiszligt dulaquo sagte er als er auf einen der Stuumlhle wies raquodu musst das nicht tunlaquo

raquoWas meinst dulaquo Emma lieszlig sich auf der Besucherseite seines Schreibtischs nieder

raquoDas weiszligt du genau Mich hierher zu begleiten ob-wohl du nie im Sinn hattest in der Firma zu arbeiten Du musst mich nicht vor Mutter beschuumltzenlaquo

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raquoDas tue ich doch gar nichtlaquoLeopold antwortete nicht ging nur zur Tuumlr oumlffnete sie

und rief in das gegenuumlberliegende Zimmer der beiden Sekretaumlrinnen dass man ihm und seiner Schwester bitte Kaffee bringen moumlge raquoEs war nie dein Plan hier zu ar-beitenlaquo

raquoPlaumlne koumlnnen sich aumlndernlaquoraquoVon einem Tag auf den anderenlaquoraquoJa warum denn nicht Und wer sagt uumlberhaupt dass

es so abrupt war Vielleicht denke ich ja schon laumlnger da-ruumlber nach und habe dir einfach noch nichts erzaumlhltlaquo Emma zog einen Bleistift aus dem Stiftebecher und drehte ihn zwischen den Fingern raquoUumlbrigens hat mir Dominik Lichtenthal ein Stellenangebot gemachtlaquo Gespannt be-obachtete sie Leopolds Reaktion

raquoWannlaquoraquoIch bin ihm mal abends beim Spaziergang begegnetlaquoraquoUnd da hat er dir ndash ohne dich und deine Befaumlhigung

so recht zu kennen ndash eine Stelle angebotenlaquoraquoWir haben uns kurz unterhalten und er weiszlig dass ich

Chemie studiere Da meinte er wenn ich nicht fuumlr Mutter arbeiten wolle solle ich mich bei ihm melden er koumlnne faumlhige Chemiker immer gebrauchenlaquo

raquoMutter enterbt dich wenn du das tustlaquoraquoDas waumlre nicht so schlimm denn dann erbst du alles

und wirst mir meinen Teil einfach auszahlenlaquoraquoIst das solaquoraquoNatuumlrlichlaquo Emma zog ihre Zigaretten hervorraquoDu willst doch wohl hier nicht rauchenlaquoAnstelle einer Antwort steckte sie sich eine Zigarette

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zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

bei Lichtenthal in Aussicht und einem groszligzuumlgigen Bru-der der dir deinen Erbanteil abtrittlaquo

Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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dinand war der Patenonkel beider Toumlchter und seine Frau eine begabte Mathematikerin

Die Schwangerschaft mit Fanny hatte Helena seinerzeit einen gehoumlrigen Schrecken eingejagt All die Jahre hatte sie es erfolgreich vermieden zu empfangen und dann als die Welt am Abgrund stand kuumlndigte sich neues Leben an Schlimm genug mitanzusehen wie Marion bereits in der Schule darauf vorbereitet wurde in den BDM einzu-treten da wollte sie diesem System nicht noch ein Kind schenken Es war Rudolf Liliengrund gewesen dem Fanny es zu verdanken hatte dass Helena keinen Abbruch hatte vornehmen lassen

raquoGerade in diesen Zeiten sollten die Anstaumlndigen sich vermehrenlaquo

Ihr lieber Rudolf der seine gesamte Familie verloren und selbst nur knapp und unter Entbehrungen die Flucht geschafft hatte weil er zu lange gezoumlgert geglaubt hatte es wuumlrde alles gut werden Und so hatte Helena Fanny aus-getragen hatte schon in der Schwangerschaft eine so innige Beziehung zu dem Kind gehabt wie sie es sich nicht hatte vorstellen koumlnnen Es war ganz anders als mit Marion zu der sie erst eine enge Bindung hatte aufbauen koumlnnen als diese bereits ein Kleinkind gewesen war Waumlhrend Marion von Geburt an ein Papakind war so war Fanny von Geburt an ganz und gar ihre Tochter Helena hatte sie sogar mit zur Arbeit genommen weil sie sich nicht von ihr trennen mochte hatte sie im Buumlro gestillt und in der Wiege neben sich schlafen lassen Undenkbar dieses Baby jemand ande-rem anzuvertrauen Dabei liebte sie Marion nicht weniger und sie verstand auch im Nachhinein nicht warum sie bei

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beiden Kindern schon in der Schwangerschaft so unter-schiedlich empfunden hatte

raquoDu solltest endlich aufhoumlren das zu hinterfragenlaquo hatte ihre beste Freundin Irene Danelius gesagt raquoEs ist jetzt wie es ist Freu dich einfach Gerade jetzt haben wir alle wahrhaftig Probleme genug da muss man nicht auch noch welche hinzuredenlaquo

Als im November 1938 die Synagogen brannten hatte Irene das Land verlassen raquoIch komme zuruumlck wenn der Irrsinn vorbei istlaquo hatte sie gesagt und war nach Amerika gegangen Dort war sie zur Filmgroumlszlige geworden hatte einen bekannten Produzenten geheiratet und lebte nach wie vor in den Vereinigten Staaten Helena vermisste sie immer noch sehr und war auch schon einmal mit ihrer Familie in New York gewesen um sie zu besuchen

raquoFahrt ihr diesen Sommer weglaquo fragte Ida und setzte sich nun ebenfalls

raquoAuf jeden Fall fuumlr zwei Wochen zu meiner Mutter Und von da aus vielleicht weiter in Richtung Schweizlaquo Vor allem auf die Zeit bei ihrer Mutter freute sich Helena das waren jedes Mal schoumlne Tage mit all den fruumlheren Freunden und Bekannten sowie mit der Baronin fuumlr die sie und ihre Mutter fruumlher gearbeitet hatten und bei der ihre Mutter nun den Altersruhesitz hatte Fuumlr Helenas Familie standen immer Gaumlstezimmer bereit Ein wenig behandelte man sie dort wie eine Prominente die Dienst-botentochter die es in der Weltmetropole zu etwas ge-bracht hatte mit einem reichen Mann verheiratet war und mit Filmstars verkehrte

Kurz darauf trafen die uumlbrigen Mitarbeiterinnen ein

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und dann kamen auch schon die ersten Kundinnen Helena unterhielt sich mit einigen der Damen beriet hier und da persoumlnlich und machte sich dann auf den Weg ins Werk Unmittelbar nach dem Krieg war es schwierig gewesen die Rohstoffe fuumlr die Produktion von Kosmetik aufzutrei-ben vielfach waren sie nur zu Schwarzmarktpreisen zu be-kommen Viele Rohstoffe wurden in der Pharmaindustrie dringender benoumltigt und natuumlrlich hatte die medizini-sche Versorgung Vorrang vor der kosmetischen Gerade nach dem Krieg hatten sie alle andere Sorgen gehabt wes-halb Helenas Werk voruumlbergehend die Produktion um-stellte und der chemischen Industrie zuarbeitete waumlhrend die Schoumlnheitssalons Obdachlosen offenstanden Erst vier Jahre nach Kriegsende als der Hungerwinter vorbei war und die Menschen durch die Waumlhrungsreform wieder uumlber Geld verfuumlgten hatte Helena Kosmetikherstellung und Schoumlnheitsbehandlungen wieder aufgenommen

Im Werk ging Helena direkt in ihr Buumlro und sah sich Werbeentwuumlrfe an Sie liebte ihre Arbeit und sie machte ihr nach wie vor Spaszlig allerdings fehlte ihr die Heraus-forderung Die Kosmetik entwickelte sich stetig weiter und mittlerweile war Forschung und Entwicklung eine eigene Abteilung in ihrem Unternehmen Natuumlrlich freute sie sich daruumlber aber sie vermisste die Zeiten in denen sie selbst in ihrer Fertigung gesessen und experimentiert hatte Vielleicht war es wirklich gut dass Marion hier demnaumlchst etwas frischen Wind hereinbringen wuumlrde Wie wohl Charlotte darauf reagierte dass Helena ihr nun Konkurrenz machen wuumlrde

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Emma houmlrte den Streit bis ins Wohnzimmer Ihre Mutter hielt Leopold vor er naumlhme die Arbeit nicht ausreichend ernst und bringe sich zu wenig ein Wie er bei dem Ge-schaumlftstermin am Vortag nur dagesessen und auf einmal zu zittern begonnen habe Wenn es nicht anders ging dann solle er eben seine Medikamente wieder nehmen Und ndash verdammt noch mal ndash endlich mehr Nervenstaumlrke zei- gen

Auch an diesem Morgen hatte es schon wieder damit begonnen dass Leopold beim Fruumlhstuumlck sehr still gewe-sen war was fuumlr Emma immer ein Zeichen fuumlr schlimme Traumlume war Auf Ausfuumlhrungen ihrer Mutter zu dem heu-tigen Arbeitstag hatte er nur genickt was diese wiederum zu dem Schluss kommen lieszlig dass er sich nur unzurei-chend interessierte Uumlberhaupt habe er keine innovativen Ideen arbeite den Tag ab ohne echtes Interesse zu zeigen an dem was er tat Irgendwann war ein handfester Streit ausgebrochen der auch dann noch anhielt als Emma das Esszimmer verlassen hatte und nun in der Kuumlche den Ab-wasch machte Schlieszliglich hielt sie es nicht mehr aus lief ins Esszimmer zuruumlck

raquoWas willst du eigentlichlaquo fuhr sie ihre Mutter an raquoEr tut doch alles was er solllaquo

raquoEmma lass nurlaquo sagte Leopold raquoIch mache helliplaquoraquoNein ich lasse es nicht Koumlnnen wir nicht mal einen

Morgen friedlich verbringen wie andere Familien auch Muss hier immer den ganzen Tag uumlber Streit herrschen und abends gehen wir dann versoumlhnt schlafen Wozu Um am naumlchsten Tag wieder loszulegen Das ist doch nicht mehr auszuhaltenlaquo

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raquoWie redest du eigentlich mit mirlaquo Die Stimme ihrer Mutter war ganz kalt geworden bar jeder Emotion

raquoIch helliplaquo Die aufbrausende Wut fiel von Emma ab und sie wusste nicht mehr was sie nun sagen sollte raquoIch hellip ich habe heute keine Uni und wollte ohnehin fragen ob ich mit ins Werk kannlaquo Der Einfall war ihr gerade erst ge-kommen raquoIch koumlnnte Leo zuarbeiten und so schon einmal Einblicke bekommenlaquo

Die frostglitzernde Wut im Blick ihrer Mutter schmolz zu Uumlberraschung raquoAch waslaquo

raquoIch habe mir lange uumlberlegt was ich mit meinem Che-miestudium machelaquo

raquoHeiszligt das es steht nicht zu erwarten dass du dich nun nach einer passenden Partie umsiehstlaquo Fuumlr jemanden der selbst gluumlcklich verheiratet gewesen war zeigte ihre Mut-ter eine sehr ablehnende Haltung zu Emmas Eheplaumlnen

raquoNoch ist ja niemand in Aussicht nicht wahrlaquo ver-setzte Emma der Hoffnung einen Daumlmpfer

Ihre Mutter schien damit zufrieden zu sein raquoSchoumln dann beeil dich wir brechen gleich auflaquo

Sie und Leopold fuhren in der Regel gemeinsam los und Leopold lieszlig dann den Wagen fuumlr sie im Werk und kehrte puumlnktlich zum Buumlroschluss mit der Bahn nach Hause zu-ruumlck Das tat er vermutlich vor allem aus dem Grund weil er den Abstand brauchte

raquoIch habe uumlbrigens gehoumlrt dass Marion in der Chariteacute aufhoumlrtlaquo erzaumlhlte Emma als sie auf der Ruumlckbank des Wagens Platz genommen hatte

raquoWelche Marionlaquo fragte ihre Mutter und Emma haumltte gerne gewusst ob sie das wirklich nicht wusste

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raquoUnsere CousinelaquoraquoUnd warum sollte es mich interessieren was diese Per-

son tutlaquoraquoWeil sie deine Nichte ist moumlglicherweiselaquoVon hinten konnte Emma das Schulterzucken sehenraquoAuf jeden Fall heiszligt es sie wollte in das Unternehmen

von Tante Helena einsteigenlaquo Mit einiger Befriedigung bemerkte Emma dass ihre Mutter bei dieser persoumlnlichen Bezeichnung kaum merklich zusammenzuckte

raquoIn der TatlaquoraquoSie hat einige Semester Chemie studiert das hatte ich

doch erzaumlhltlaquoraquoJa hattest du Auch dass sie es mit deinem Chemie-

professor getrieben hatlaquoraquoMutterlaquo kam es von LeopoldraquoDas habe ich nie gesagtlaquo Emma lehnte sich vor als

koumlnne sie ihren Worten damit mehr Nachdruck verleihen raquoIch sagte sie gehen miteinander auslaquo

raquoWenn sie nach ihrer Mutter kommt gibt es das eine nicht ohne das andere Gerne auch zum Nachteil der eigenen Familie Sind deine Noten bei besagtem Profes-sor nicht danach schlechter gewordenlaquo

raquoDas war bei Professor Guenther nicht bei Professor Hellweg mit dem Marion aus war Meine Guumltelaquo Emma hatte langsam genug Dieser sture verbohrte Zorn ihrer Mutter war nicht mehr zu ertragen Mit Ende vierzig konnte sie sich auf jeden Fall noch nicht mit Altersstarr-sinn herausreden raquoHoumlr zu wenn das hier jeden Morgen der Beginn meines Arbeitstages wird sag es direkt dann reicht mir der einmalige Ausflug in dein Unternehmen

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und ich bewerbe mich morgen beim Pharmaunternehmen Lichtenthallaquo

Ihre Mutter fuhr herum raquoDas wagst du nichtlaquoraquoLass es gerne darauf ankommenlaquoLange sah ihre Mutter sie an dann zuckte es um ihre

Lippen Widerspruchsgeist gefiel ihr und sie schien auf einmal versoumlhnt Emma wuumlrde bleiben wuumlrde es allein um Leopolds willen tun Vielleicht wuumlrde es leichter fuumlr ihn mit ihr an seiner Seite

Das ehemalige Werksgelaumlnde hatte in Berlin-Oberschouml-neweide gestanden aber sie waren noch vor dem Krieg um-gezogen was sich als richtige Entscheidung erwiesen hatte wenngleich zu der Zeit noch niemand hatte wissen koumlnnen dass dieser Stadtteil unter sowjetische Verwaltung gestellt werden wuumlrde Das jetzige Werk stand in Berlin-Tempel-hof im Amerikanischen Sektor und hatte im Krieg ebenfalls gelitten Sie fuhren durch das Tor und Leopold parkte den Wagen auf der dafuumlr vorgesehenen Flaumlche auf der weitere Autos Motorraumlder und Mopeds standen

Ihre Mutter begleitete sie bis in die Etage in der sich die Raumlumlichkeiten der Geschaumlftsfuumlhrung befanden dann ging sie in ihr Buumlro waumlhrend Emma Leopold in seines be-gleitete

raquoWeiszligt dulaquo sagte er als er auf einen der Stuumlhle wies raquodu musst das nicht tunlaquo

raquoWas meinst dulaquo Emma lieszlig sich auf der Besucherseite seines Schreibtischs nieder

raquoDas weiszligt du genau Mich hierher zu begleiten ob-wohl du nie im Sinn hattest in der Firma zu arbeiten Du musst mich nicht vor Mutter beschuumltzenlaquo

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raquoDas tue ich doch gar nichtlaquoLeopold antwortete nicht ging nur zur Tuumlr oumlffnete sie

und rief in das gegenuumlberliegende Zimmer der beiden Sekretaumlrinnen dass man ihm und seiner Schwester bitte Kaffee bringen moumlge raquoEs war nie dein Plan hier zu ar-beitenlaquo

raquoPlaumlne koumlnnen sich aumlndernlaquoraquoVon einem Tag auf den anderenlaquoraquoJa warum denn nicht Und wer sagt uumlberhaupt dass

es so abrupt war Vielleicht denke ich ja schon laumlnger da-ruumlber nach und habe dir einfach noch nichts erzaumlhltlaquo Emma zog einen Bleistift aus dem Stiftebecher und drehte ihn zwischen den Fingern raquoUumlbrigens hat mir Dominik Lichtenthal ein Stellenangebot gemachtlaquo Gespannt be-obachtete sie Leopolds Reaktion

raquoWannlaquoraquoIch bin ihm mal abends beim Spaziergang begegnetlaquoraquoUnd da hat er dir ndash ohne dich und deine Befaumlhigung

so recht zu kennen ndash eine Stelle angebotenlaquoraquoWir haben uns kurz unterhalten und er weiszlig dass ich

Chemie studiere Da meinte er wenn ich nicht fuumlr Mutter arbeiten wolle solle ich mich bei ihm melden er koumlnne faumlhige Chemiker immer gebrauchenlaquo

raquoMutter enterbt dich wenn du das tustlaquoraquoDas waumlre nicht so schlimm denn dann erbst du alles

und wirst mir meinen Teil einfach auszahlenlaquoraquoIst das solaquoraquoNatuumlrlichlaquo Emma zog ihre Zigaretten hervorraquoDu willst doch wohl hier nicht rauchenlaquoAnstelle einer Antwort steckte sie sich eine Zigarette

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zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

bei Lichtenthal in Aussicht und einem groszligzuumlgigen Bru-der der dir deinen Erbanteil abtrittlaquo

Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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beiden Kindern schon in der Schwangerschaft so unter-schiedlich empfunden hatte

raquoDu solltest endlich aufhoumlren das zu hinterfragenlaquo hatte ihre beste Freundin Irene Danelius gesagt raquoEs ist jetzt wie es ist Freu dich einfach Gerade jetzt haben wir alle wahrhaftig Probleme genug da muss man nicht auch noch welche hinzuredenlaquo

Als im November 1938 die Synagogen brannten hatte Irene das Land verlassen raquoIch komme zuruumlck wenn der Irrsinn vorbei istlaquo hatte sie gesagt und war nach Amerika gegangen Dort war sie zur Filmgroumlszlige geworden hatte einen bekannten Produzenten geheiratet und lebte nach wie vor in den Vereinigten Staaten Helena vermisste sie immer noch sehr und war auch schon einmal mit ihrer Familie in New York gewesen um sie zu besuchen

raquoFahrt ihr diesen Sommer weglaquo fragte Ida und setzte sich nun ebenfalls

raquoAuf jeden Fall fuumlr zwei Wochen zu meiner Mutter Und von da aus vielleicht weiter in Richtung Schweizlaquo Vor allem auf die Zeit bei ihrer Mutter freute sich Helena das waren jedes Mal schoumlne Tage mit all den fruumlheren Freunden und Bekannten sowie mit der Baronin fuumlr die sie und ihre Mutter fruumlher gearbeitet hatten und bei der ihre Mutter nun den Altersruhesitz hatte Fuumlr Helenas Familie standen immer Gaumlstezimmer bereit Ein wenig behandelte man sie dort wie eine Prominente die Dienst-botentochter die es in der Weltmetropole zu etwas ge-bracht hatte mit einem reichen Mann verheiratet war und mit Filmstars verkehrte

Kurz darauf trafen die uumlbrigen Mitarbeiterinnen ein

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und dann kamen auch schon die ersten Kundinnen Helena unterhielt sich mit einigen der Damen beriet hier und da persoumlnlich und machte sich dann auf den Weg ins Werk Unmittelbar nach dem Krieg war es schwierig gewesen die Rohstoffe fuumlr die Produktion von Kosmetik aufzutrei-ben vielfach waren sie nur zu Schwarzmarktpreisen zu be-kommen Viele Rohstoffe wurden in der Pharmaindustrie dringender benoumltigt und natuumlrlich hatte die medizini-sche Versorgung Vorrang vor der kosmetischen Gerade nach dem Krieg hatten sie alle andere Sorgen gehabt wes-halb Helenas Werk voruumlbergehend die Produktion um-stellte und der chemischen Industrie zuarbeitete waumlhrend die Schoumlnheitssalons Obdachlosen offenstanden Erst vier Jahre nach Kriegsende als der Hungerwinter vorbei war und die Menschen durch die Waumlhrungsreform wieder uumlber Geld verfuumlgten hatte Helena Kosmetikherstellung und Schoumlnheitsbehandlungen wieder aufgenommen

Im Werk ging Helena direkt in ihr Buumlro und sah sich Werbeentwuumlrfe an Sie liebte ihre Arbeit und sie machte ihr nach wie vor Spaszlig allerdings fehlte ihr die Heraus-forderung Die Kosmetik entwickelte sich stetig weiter und mittlerweile war Forschung und Entwicklung eine eigene Abteilung in ihrem Unternehmen Natuumlrlich freute sie sich daruumlber aber sie vermisste die Zeiten in denen sie selbst in ihrer Fertigung gesessen und experimentiert hatte Vielleicht war es wirklich gut dass Marion hier demnaumlchst etwas frischen Wind hereinbringen wuumlrde Wie wohl Charlotte darauf reagierte dass Helena ihr nun Konkurrenz machen wuumlrde

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Emma houmlrte den Streit bis ins Wohnzimmer Ihre Mutter hielt Leopold vor er naumlhme die Arbeit nicht ausreichend ernst und bringe sich zu wenig ein Wie er bei dem Ge-schaumlftstermin am Vortag nur dagesessen und auf einmal zu zittern begonnen habe Wenn es nicht anders ging dann solle er eben seine Medikamente wieder nehmen Und ndash verdammt noch mal ndash endlich mehr Nervenstaumlrke zei- gen

Auch an diesem Morgen hatte es schon wieder damit begonnen dass Leopold beim Fruumlhstuumlck sehr still gewe-sen war was fuumlr Emma immer ein Zeichen fuumlr schlimme Traumlume war Auf Ausfuumlhrungen ihrer Mutter zu dem heu-tigen Arbeitstag hatte er nur genickt was diese wiederum zu dem Schluss kommen lieszlig dass er sich nur unzurei-chend interessierte Uumlberhaupt habe er keine innovativen Ideen arbeite den Tag ab ohne echtes Interesse zu zeigen an dem was er tat Irgendwann war ein handfester Streit ausgebrochen der auch dann noch anhielt als Emma das Esszimmer verlassen hatte und nun in der Kuumlche den Ab-wasch machte Schlieszliglich hielt sie es nicht mehr aus lief ins Esszimmer zuruumlck

raquoWas willst du eigentlichlaquo fuhr sie ihre Mutter an raquoEr tut doch alles was er solllaquo

raquoEmma lass nurlaquo sagte Leopold raquoIch mache helliplaquoraquoNein ich lasse es nicht Koumlnnen wir nicht mal einen

Morgen friedlich verbringen wie andere Familien auch Muss hier immer den ganzen Tag uumlber Streit herrschen und abends gehen wir dann versoumlhnt schlafen Wozu Um am naumlchsten Tag wieder loszulegen Das ist doch nicht mehr auszuhaltenlaquo

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raquoWie redest du eigentlich mit mirlaquo Die Stimme ihrer Mutter war ganz kalt geworden bar jeder Emotion

raquoIch helliplaquo Die aufbrausende Wut fiel von Emma ab und sie wusste nicht mehr was sie nun sagen sollte raquoIch hellip ich habe heute keine Uni und wollte ohnehin fragen ob ich mit ins Werk kannlaquo Der Einfall war ihr gerade erst ge-kommen raquoIch koumlnnte Leo zuarbeiten und so schon einmal Einblicke bekommenlaquo

Die frostglitzernde Wut im Blick ihrer Mutter schmolz zu Uumlberraschung raquoAch waslaquo

raquoIch habe mir lange uumlberlegt was ich mit meinem Che-miestudium machelaquo

raquoHeiszligt das es steht nicht zu erwarten dass du dich nun nach einer passenden Partie umsiehstlaquo Fuumlr jemanden der selbst gluumlcklich verheiratet gewesen war zeigte ihre Mut-ter eine sehr ablehnende Haltung zu Emmas Eheplaumlnen

raquoNoch ist ja niemand in Aussicht nicht wahrlaquo ver-setzte Emma der Hoffnung einen Daumlmpfer

Ihre Mutter schien damit zufrieden zu sein raquoSchoumln dann beeil dich wir brechen gleich auflaquo

Sie und Leopold fuhren in der Regel gemeinsam los und Leopold lieszlig dann den Wagen fuumlr sie im Werk und kehrte puumlnktlich zum Buumlroschluss mit der Bahn nach Hause zu-ruumlck Das tat er vermutlich vor allem aus dem Grund weil er den Abstand brauchte

raquoIch habe uumlbrigens gehoumlrt dass Marion in der Chariteacute aufhoumlrtlaquo erzaumlhlte Emma als sie auf der Ruumlckbank des Wagens Platz genommen hatte

raquoWelche Marionlaquo fragte ihre Mutter und Emma haumltte gerne gewusst ob sie das wirklich nicht wusste

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raquoUnsere CousinelaquoraquoUnd warum sollte es mich interessieren was diese Per-

son tutlaquoraquoWeil sie deine Nichte ist moumlglicherweiselaquoVon hinten konnte Emma das Schulterzucken sehenraquoAuf jeden Fall heiszligt es sie wollte in das Unternehmen

von Tante Helena einsteigenlaquo Mit einiger Befriedigung bemerkte Emma dass ihre Mutter bei dieser persoumlnlichen Bezeichnung kaum merklich zusammenzuckte

raquoIn der TatlaquoraquoSie hat einige Semester Chemie studiert das hatte ich

doch erzaumlhltlaquoraquoJa hattest du Auch dass sie es mit deinem Chemie-

professor getrieben hatlaquoraquoMutterlaquo kam es von LeopoldraquoDas habe ich nie gesagtlaquo Emma lehnte sich vor als

koumlnne sie ihren Worten damit mehr Nachdruck verleihen raquoIch sagte sie gehen miteinander auslaquo

raquoWenn sie nach ihrer Mutter kommt gibt es das eine nicht ohne das andere Gerne auch zum Nachteil der eigenen Familie Sind deine Noten bei besagtem Profes-sor nicht danach schlechter gewordenlaquo

raquoDas war bei Professor Guenther nicht bei Professor Hellweg mit dem Marion aus war Meine Guumltelaquo Emma hatte langsam genug Dieser sture verbohrte Zorn ihrer Mutter war nicht mehr zu ertragen Mit Ende vierzig konnte sie sich auf jeden Fall noch nicht mit Altersstarr-sinn herausreden raquoHoumlr zu wenn das hier jeden Morgen der Beginn meines Arbeitstages wird sag es direkt dann reicht mir der einmalige Ausflug in dein Unternehmen

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und ich bewerbe mich morgen beim Pharmaunternehmen Lichtenthallaquo

Ihre Mutter fuhr herum raquoDas wagst du nichtlaquoraquoLass es gerne darauf ankommenlaquoLange sah ihre Mutter sie an dann zuckte es um ihre

Lippen Widerspruchsgeist gefiel ihr und sie schien auf einmal versoumlhnt Emma wuumlrde bleiben wuumlrde es allein um Leopolds willen tun Vielleicht wuumlrde es leichter fuumlr ihn mit ihr an seiner Seite

Das ehemalige Werksgelaumlnde hatte in Berlin-Oberschouml-neweide gestanden aber sie waren noch vor dem Krieg um-gezogen was sich als richtige Entscheidung erwiesen hatte wenngleich zu der Zeit noch niemand hatte wissen koumlnnen dass dieser Stadtteil unter sowjetische Verwaltung gestellt werden wuumlrde Das jetzige Werk stand in Berlin-Tempel-hof im Amerikanischen Sektor und hatte im Krieg ebenfalls gelitten Sie fuhren durch das Tor und Leopold parkte den Wagen auf der dafuumlr vorgesehenen Flaumlche auf der weitere Autos Motorraumlder und Mopeds standen

Ihre Mutter begleitete sie bis in die Etage in der sich die Raumlumlichkeiten der Geschaumlftsfuumlhrung befanden dann ging sie in ihr Buumlro waumlhrend Emma Leopold in seines be-gleitete

raquoWeiszligt dulaquo sagte er als er auf einen der Stuumlhle wies raquodu musst das nicht tunlaquo

raquoWas meinst dulaquo Emma lieszlig sich auf der Besucherseite seines Schreibtischs nieder

raquoDas weiszligt du genau Mich hierher zu begleiten ob-wohl du nie im Sinn hattest in der Firma zu arbeiten Du musst mich nicht vor Mutter beschuumltzenlaquo

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raquoDas tue ich doch gar nichtlaquoLeopold antwortete nicht ging nur zur Tuumlr oumlffnete sie

und rief in das gegenuumlberliegende Zimmer der beiden Sekretaumlrinnen dass man ihm und seiner Schwester bitte Kaffee bringen moumlge raquoEs war nie dein Plan hier zu ar-beitenlaquo

raquoPlaumlne koumlnnen sich aumlndernlaquoraquoVon einem Tag auf den anderenlaquoraquoJa warum denn nicht Und wer sagt uumlberhaupt dass

es so abrupt war Vielleicht denke ich ja schon laumlnger da-ruumlber nach und habe dir einfach noch nichts erzaumlhltlaquo Emma zog einen Bleistift aus dem Stiftebecher und drehte ihn zwischen den Fingern raquoUumlbrigens hat mir Dominik Lichtenthal ein Stellenangebot gemachtlaquo Gespannt be-obachtete sie Leopolds Reaktion

raquoWannlaquoraquoIch bin ihm mal abends beim Spaziergang begegnetlaquoraquoUnd da hat er dir ndash ohne dich und deine Befaumlhigung

so recht zu kennen ndash eine Stelle angebotenlaquoraquoWir haben uns kurz unterhalten und er weiszlig dass ich

Chemie studiere Da meinte er wenn ich nicht fuumlr Mutter arbeiten wolle solle ich mich bei ihm melden er koumlnne faumlhige Chemiker immer gebrauchenlaquo

raquoMutter enterbt dich wenn du das tustlaquoraquoDas waumlre nicht so schlimm denn dann erbst du alles

und wirst mir meinen Teil einfach auszahlenlaquoraquoIst das solaquoraquoNatuumlrlichlaquo Emma zog ihre Zigaretten hervorraquoDu willst doch wohl hier nicht rauchenlaquoAnstelle einer Antwort steckte sie sich eine Zigarette

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zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

bei Lichtenthal in Aussicht und einem groszligzuumlgigen Bru-der der dir deinen Erbanteil abtrittlaquo

Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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und dann kamen auch schon die ersten Kundinnen Helena unterhielt sich mit einigen der Damen beriet hier und da persoumlnlich und machte sich dann auf den Weg ins Werk Unmittelbar nach dem Krieg war es schwierig gewesen die Rohstoffe fuumlr die Produktion von Kosmetik aufzutrei-ben vielfach waren sie nur zu Schwarzmarktpreisen zu be-kommen Viele Rohstoffe wurden in der Pharmaindustrie dringender benoumltigt und natuumlrlich hatte die medizini-sche Versorgung Vorrang vor der kosmetischen Gerade nach dem Krieg hatten sie alle andere Sorgen gehabt wes-halb Helenas Werk voruumlbergehend die Produktion um-stellte und der chemischen Industrie zuarbeitete waumlhrend die Schoumlnheitssalons Obdachlosen offenstanden Erst vier Jahre nach Kriegsende als der Hungerwinter vorbei war und die Menschen durch die Waumlhrungsreform wieder uumlber Geld verfuumlgten hatte Helena Kosmetikherstellung und Schoumlnheitsbehandlungen wieder aufgenommen

Im Werk ging Helena direkt in ihr Buumlro und sah sich Werbeentwuumlrfe an Sie liebte ihre Arbeit und sie machte ihr nach wie vor Spaszlig allerdings fehlte ihr die Heraus-forderung Die Kosmetik entwickelte sich stetig weiter und mittlerweile war Forschung und Entwicklung eine eigene Abteilung in ihrem Unternehmen Natuumlrlich freute sie sich daruumlber aber sie vermisste die Zeiten in denen sie selbst in ihrer Fertigung gesessen und experimentiert hatte Vielleicht war es wirklich gut dass Marion hier demnaumlchst etwas frischen Wind hereinbringen wuumlrde Wie wohl Charlotte darauf reagierte dass Helena ihr nun Konkurrenz machen wuumlrde

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Emma houmlrte den Streit bis ins Wohnzimmer Ihre Mutter hielt Leopold vor er naumlhme die Arbeit nicht ausreichend ernst und bringe sich zu wenig ein Wie er bei dem Ge-schaumlftstermin am Vortag nur dagesessen und auf einmal zu zittern begonnen habe Wenn es nicht anders ging dann solle er eben seine Medikamente wieder nehmen Und ndash verdammt noch mal ndash endlich mehr Nervenstaumlrke zei- gen

Auch an diesem Morgen hatte es schon wieder damit begonnen dass Leopold beim Fruumlhstuumlck sehr still gewe-sen war was fuumlr Emma immer ein Zeichen fuumlr schlimme Traumlume war Auf Ausfuumlhrungen ihrer Mutter zu dem heu-tigen Arbeitstag hatte er nur genickt was diese wiederum zu dem Schluss kommen lieszlig dass er sich nur unzurei-chend interessierte Uumlberhaupt habe er keine innovativen Ideen arbeite den Tag ab ohne echtes Interesse zu zeigen an dem was er tat Irgendwann war ein handfester Streit ausgebrochen der auch dann noch anhielt als Emma das Esszimmer verlassen hatte und nun in der Kuumlche den Ab-wasch machte Schlieszliglich hielt sie es nicht mehr aus lief ins Esszimmer zuruumlck

raquoWas willst du eigentlichlaquo fuhr sie ihre Mutter an raquoEr tut doch alles was er solllaquo

raquoEmma lass nurlaquo sagte Leopold raquoIch mache helliplaquoraquoNein ich lasse es nicht Koumlnnen wir nicht mal einen

Morgen friedlich verbringen wie andere Familien auch Muss hier immer den ganzen Tag uumlber Streit herrschen und abends gehen wir dann versoumlhnt schlafen Wozu Um am naumlchsten Tag wieder loszulegen Das ist doch nicht mehr auszuhaltenlaquo

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raquoWie redest du eigentlich mit mirlaquo Die Stimme ihrer Mutter war ganz kalt geworden bar jeder Emotion

raquoIch helliplaquo Die aufbrausende Wut fiel von Emma ab und sie wusste nicht mehr was sie nun sagen sollte raquoIch hellip ich habe heute keine Uni und wollte ohnehin fragen ob ich mit ins Werk kannlaquo Der Einfall war ihr gerade erst ge-kommen raquoIch koumlnnte Leo zuarbeiten und so schon einmal Einblicke bekommenlaquo

Die frostglitzernde Wut im Blick ihrer Mutter schmolz zu Uumlberraschung raquoAch waslaquo

raquoIch habe mir lange uumlberlegt was ich mit meinem Che-miestudium machelaquo

raquoHeiszligt das es steht nicht zu erwarten dass du dich nun nach einer passenden Partie umsiehstlaquo Fuumlr jemanden der selbst gluumlcklich verheiratet gewesen war zeigte ihre Mut-ter eine sehr ablehnende Haltung zu Emmas Eheplaumlnen

raquoNoch ist ja niemand in Aussicht nicht wahrlaquo ver-setzte Emma der Hoffnung einen Daumlmpfer

Ihre Mutter schien damit zufrieden zu sein raquoSchoumln dann beeil dich wir brechen gleich auflaquo

Sie und Leopold fuhren in der Regel gemeinsam los und Leopold lieszlig dann den Wagen fuumlr sie im Werk und kehrte puumlnktlich zum Buumlroschluss mit der Bahn nach Hause zu-ruumlck Das tat er vermutlich vor allem aus dem Grund weil er den Abstand brauchte

raquoIch habe uumlbrigens gehoumlrt dass Marion in der Chariteacute aufhoumlrtlaquo erzaumlhlte Emma als sie auf der Ruumlckbank des Wagens Platz genommen hatte

raquoWelche Marionlaquo fragte ihre Mutter und Emma haumltte gerne gewusst ob sie das wirklich nicht wusste

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raquoUnsere CousinelaquoraquoUnd warum sollte es mich interessieren was diese Per-

son tutlaquoraquoWeil sie deine Nichte ist moumlglicherweiselaquoVon hinten konnte Emma das Schulterzucken sehenraquoAuf jeden Fall heiszligt es sie wollte in das Unternehmen

von Tante Helena einsteigenlaquo Mit einiger Befriedigung bemerkte Emma dass ihre Mutter bei dieser persoumlnlichen Bezeichnung kaum merklich zusammenzuckte

raquoIn der TatlaquoraquoSie hat einige Semester Chemie studiert das hatte ich

doch erzaumlhltlaquoraquoJa hattest du Auch dass sie es mit deinem Chemie-

professor getrieben hatlaquoraquoMutterlaquo kam es von LeopoldraquoDas habe ich nie gesagtlaquo Emma lehnte sich vor als

koumlnne sie ihren Worten damit mehr Nachdruck verleihen raquoIch sagte sie gehen miteinander auslaquo

raquoWenn sie nach ihrer Mutter kommt gibt es das eine nicht ohne das andere Gerne auch zum Nachteil der eigenen Familie Sind deine Noten bei besagtem Profes-sor nicht danach schlechter gewordenlaquo

raquoDas war bei Professor Guenther nicht bei Professor Hellweg mit dem Marion aus war Meine Guumltelaquo Emma hatte langsam genug Dieser sture verbohrte Zorn ihrer Mutter war nicht mehr zu ertragen Mit Ende vierzig konnte sie sich auf jeden Fall noch nicht mit Altersstarr-sinn herausreden raquoHoumlr zu wenn das hier jeden Morgen der Beginn meines Arbeitstages wird sag es direkt dann reicht mir der einmalige Ausflug in dein Unternehmen

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und ich bewerbe mich morgen beim Pharmaunternehmen Lichtenthallaquo

Ihre Mutter fuhr herum raquoDas wagst du nichtlaquoraquoLass es gerne darauf ankommenlaquoLange sah ihre Mutter sie an dann zuckte es um ihre

Lippen Widerspruchsgeist gefiel ihr und sie schien auf einmal versoumlhnt Emma wuumlrde bleiben wuumlrde es allein um Leopolds willen tun Vielleicht wuumlrde es leichter fuumlr ihn mit ihr an seiner Seite

Das ehemalige Werksgelaumlnde hatte in Berlin-Oberschouml-neweide gestanden aber sie waren noch vor dem Krieg um-gezogen was sich als richtige Entscheidung erwiesen hatte wenngleich zu der Zeit noch niemand hatte wissen koumlnnen dass dieser Stadtteil unter sowjetische Verwaltung gestellt werden wuumlrde Das jetzige Werk stand in Berlin-Tempel-hof im Amerikanischen Sektor und hatte im Krieg ebenfalls gelitten Sie fuhren durch das Tor und Leopold parkte den Wagen auf der dafuumlr vorgesehenen Flaumlche auf der weitere Autos Motorraumlder und Mopeds standen

Ihre Mutter begleitete sie bis in die Etage in der sich die Raumlumlichkeiten der Geschaumlftsfuumlhrung befanden dann ging sie in ihr Buumlro waumlhrend Emma Leopold in seines be-gleitete

raquoWeiszligt dulaquo sagte er als er auf einen der Stuumlhle wies raquodu musst das nicht tunlaquo

raquoWas meinst dulaquo Emma lieszlig sich auf der Besucherseite seines Schreibtischs nieder

raquoDas weiszligt du genau Mich hierher zu begleiten ob-wohl du nie im Sinn hattest in der Firma zu arbeiten Du musst mich nicht vor Mutter beschuumltzenlaquo

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raquoDas tue ich doch gar nichtlaquoLeopold antwortete nicht ging nur zur Tuumlr oumlffnete sie

und rief in das gegenuumlberliegende Zimmer der beiden Sekretaumlrinnen dass man ihm und seiner Schwester bitte Kaffee bringen moumlge raquoEs war nie dein Plan hier zu ar-beitenlaquo

raquoPlaumlne koumlnnen sich aumlndernlaquoraquoVon einem Tag auf den anderenlaquoraquoJa warum denn nicht Und wer sagt uumlberhaupt dass

es so abrupt war Vielleicht denke ich ja schon laumlnger da-ruumlber nach und habe dir einfach noch nichts erzaumlhltlaquo Emma zog einen Bleistift aus dem Stiftebecher und drehte ihn zwischen den Fingern raquoUumlbrigens hat mir Dominik Lichtenthal ein Stellenangebot gemachtlaquo Gespannt be-obachtete sie Leopolds Reaktion

raquoWannlaquoraquoIch bin ihm mal abends beim Spaziergang begegnetlaquoraquoUnd da hat er dir ndash ohne dich und deine Befaumlhigung

so recht zu kennen ndash eine Stelle angebotenlaquoraquoWir haben uns kurz unterhalten und er weiszlig dass ich

Chemie studiere Da meinte er wenn ich nicht fuumlr Mutter arbeiten wolle solle ich mich bei ihm melden er koumlnne faumlhige Chemiker immer gebrauchenlaquo

raquoMutter enterbt dich wenn du das tustlaquoraquoDas waumlre nicht so schlimm denn dann erbst du alles

und wirst mir meinen Teil einfach auszahlenlaquoraquoIst das solaquoraquoNatuumlrlichlaquo Emma zog ihre Zigaretten hervorraquoDu willst doch wohl hier nicht rauchenlaquoAnstelle einer Antwort steckte sie sich eine Zigarette

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zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

bei Lichtenthal in Aussicht und einem groszligzuumlgigen Bru-der der dir deinen Erbanteil abtrittlaquo

Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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Emma houmlrte den Streit bis ins Wohnzimmer Ihre Mutter hielt Leopold vor er naumlhme die Arbeit nicht ausreichend ernst und bringe sich zu wenig ein Wie er bei dem Ge-schaumlftstermin am Vortag nur dagesessen und auf einmal zu zittern begonnen habe Wenn es nicht anders ging dann solle er eben seine Medikamente wieder nehmen Und ndash verdammt noch mal ndash endlich mehr Nervenstaumlrke zei- gen

Auch an diesem Morgen hatte es schon wieder damit begonnen dass Leopold beim Fruumlhstuumlck sehr still gewe-sen war was fuumlr Emma immer ein Zeichen fuumlr schlimme Traumlume war Auf Ausfuumlhrungen ihrer Mutter zu dem heu-tigen Arbeitstag hatte er nur genickt was diese wiederum zu dem Schluss kommen lieszlig dass er sich nur unzurei-chend interessierte Uumlberhaupt habe er keine innovativen Ideen arbeite den Tag ab ohne echtes Interesse zu zeigen an dem was er tat Irgendwann war ein handfester Streit ausgebrochen der auch dann noch anhielt als Emma das Esszimmer verlassen hatte und nun in der Kuumlche den Ab-wasch machte Schlieszliglich hielt sie es nicht mehr aus lief ins Esszimmer zuruumlck

raquoWas willst du eigentlichlaquo fuhr sie ihre Mutter an raquoEr tut doch alles was er solllaquo

raquoEmma lass nurlaquo sagte Leopold raquoIch mache helliplaquoraquoNein ich lasse es nicht Koumlnnen wir nicht mal einen

Morgen friedlich verbringen wie andere Familien auch Muss hier immer den ganzen Tag uumlber Streit herrschen und abends gehen wir dann versoumlhnt schlafen Wozu Um am naumlchsten Tag wieder loszulegen Das ist doch nicht mehr auszuhaltenlaquo

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raquoWie redest du eigentlich mit mirlaquo Die Stimme ihrer Mutter war ganz kalt geworden bar jeder Emotion

raquoIch helliplaquo Die aufbrausende Wut fiel von Emma ab und sie wusste nicht mehr was sie nun sagen sollte raquoIch hellip ich habe heute keine Uni und wollte ohnehin fragen ob ich mit ins Werk kannlaquo Der Einfall war ihr gerade erst ge-kommen raquoIch koumlnnte Leo zuarbeiten und so schon einmal Einblicke bekommenlaquo

Die frostglitzernde Wut im Blick ihrer Mutter schmolz zu Uumlberraschung raquoAch waslaquo

raquoIch habe mir lange uumlberlegt was ich mit meinem Che-miestudium machelaquo

raquoHeiszligt das es steht nicht zu erwarten dass du dich nun nach einer passenden Partie umsiehstlaquo Fuumlr jemanden der selbst gluumlcklich verheiratet gewesen war zeigte ihre Mut-ter eine sehr ablehnende Haltung zu Emmas Eheplaumlnen

raquoNoch ist ja niemand in Aussicht nicht wahrlaquo ver-setzte Emma der Hoffnung einen Daumlmpfer

Ihre Mutter schien damit zufrieden zu sein raquoSchoumln dann beeil dich wir brechen gleich auflaquo

Sie und Leopold fuhren in der Regel gemeinsam los und Leopold lieszlig dann den Wagen fuumlr sie im Werk und kehrte puumlnktlich zum Buumlroschluss mit der Bahn nach Hause zu-ruumlck Das tat er vermutlich vor allem aus dem Grund weil er den Abstand brauchte

raquoIch habe uumlbrigens gehoumlrt dass Marion in der Chariteacute aufhoumlrtlaquo erzaumlhlte Emma als sie auf der Ruumlckbank des Wagens Platz genommen hatte

raquoWelche Marionlaquo fragte ihre Mutter und Emma haumltte gerne gewusst ob sie das wirklich nicht wusste

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raquoUnsere CousinelaquoraquoUnd warum sollte es mich interessieren was diese Per-

son tutlaquoraquoWeil sie deine Nichte ist moumlglicherweiselaquoVon hinten konnte Emma das Schulterzucken sehenraquoAuf jeden Fall heiszligt es sie wollte in das Unternehmen

von Tante Helena einsteigenlaquo Mit einiger Befriedigung bemerkte Emma dass ihre Mutter bei dieser persoumlnlichen Bezeichnung kaum merklich zusammenzuckte

raquoIn der TatlaquoraquoSie hat einige Semester Chemie studiert das hatte ich

doch erzaumlhltlaquoraquoJa hattest du Auch dass sie es mit deinem Chemie-

professor getrieben hatlaquoraquoMutterlaquo kam es von LeopoldraquoDas habe ich nie gesagtlaquo Emma lehnte sich vor als

koumlnne sie ihren Worten damit mehr Nachdruck verleihen raquoIch sagte sie gehen miteinander auslaquo

raquoWenn sie nach ihrer Mutter kommt gibt es das eine nicht ohne das andere Gerne auch zum Nachteil der eigenen Familie Sind deine Noten bei besagtem Profes-sor nicht danach schlechter gewordenlaquo

raquoDas war bei Professor Guenther nicht bei Professor Hellweg mit dem Marion aus war Meine Guumltelaquo Emma hatte langsam genug Dieser sture verbohrte Zorn ihrer Mutter war nicht mehr zu ertragen Mit Ende vierzig konnte sie sich auf jeden Fall noch nicht mit Altersstarr-sinn herausreden raquoHoumlr zu wenn das hier jeden Morgen der Beginn meines Arbeitstages wird sag es direkt dann reicht mir der einmalige Ausflug in dein Unternehmen

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und ich bewerbe mich morgen beim Pharmaunternehmen Lichtenthallaquo

Ihre Mutter fuhr herum raquoDas wagst du nichtlaquoraquoLass es gerne darauf ankommenlaquoLange sah ihre Mutter sie an dann zuckte es um ihre

Lippen Widerspruchsgeist gefiel ihr und sie schien auf einmal versoumlhnt Emma wuumlrde bleiben wuumlrde es allein um Leopolds willen tun Vielleicht wuumlrde es leichter fuumlr ihn mit ihr an seiner Seite

Das ehemalige Werksgelaumlnde hatte in Berlin-Oberschouml-neweide gestanden aber sie waren noch vor dem Krieg um-gezogen was sich als richtige Entscheidung erwiesen hatte wenngleich zu der Zeit noch niemand hatte wissen koumlnnen dass dieser Stadtteil unter sowjetische Verwaltung gestellt werden wuumlrde Das jetzige Werk stand in Berlin-Tempel-hof im Amerikanischen Sektor und hatte im Krieg ebenfalls gelitten Sie fuhren durch das Tor und Leopold parkte den Wagen auf der dafuumlr vorgesehenen Flaumlche auf der weitere Autos Motorraumlder und Mopeds standen

Ihre Mutter begleitete sie bis in die Etage in der sich die Raumlumlichkeiten der Geschaumlftsfuumlhrung befanden dann ging sie in ihr Buumlro waumlhrend Emma Leopold in seines be-gleitete

raquoWeiszligt dulaquo sagte er als er auf einen der Stuumlhle wies raquodu musst das nicht tunlaquo

raquoWas meinst dulaquo Emma lieszlig sich auf der Besucherseite seines Schreibtischs nieder

raquoDas weiszligt du genau Mich hierher zu begleiten ob-wohl du nie im Sinn hattest in der Firma zu arbeiten Du musst mich nicht vor Mutter beschuumltzenlaquo

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raquoDas tue ich doch gar nichtlaquoLeopold antwortete nicht ging nur zur Tuumlr oumlffnete sie

und rief in das gegenuumlberliegende Zimmer der beiden Sekretaumlrinnen dass man ihm und seiner Schwester bitte Kaffee bringen moumlge raquoEs war nie dein Plan hier zu ar-beitenlaquo

raquoPlaumlne koumlnnen sich aumlndernlaquoraquoVon einem Tag auf den anderenlaquoraquoJa warum denn nicht Und wer sagt uumlberhaupt dass

es so abrupt war Vielleicht denke ich ja schon laumlnger da-ruumlber nach und habe dir einfach noch nichts erzaumlhltlaquo Emma zog einen Bleistift aus dem Stiftebecher und drehte ihn zwischen den Fingern raquoUumlbrigens hat mir Dominik Lichtenthal ein Stellenangebot gemachtlaquo Gespannt be-obachtete sie Leopolds Reaktion

raquoWannlaquoraquoIch bin ihm mal abends beim Spaziergang begegnetlaquoraquoUnd da hat er dir ndash ohne dich und deine Befaumlhigung

so recht zu kennen ndash eine Stelle angebotenlaquoraquoWir haben uns kurz unterhalten und er weiszlig dass ich

Chemie studiere Da meinte er wenn ich nicht fuumlr Mutter arbeiten wolle solle ich mich bei ihm melden er koumlnne faumlhige Chemiker immer gebrauchenlaquo

raquoMutter enterbt dich wenn du das tustlaquoraquoDas waumlre nicht so schlimm denn dann erbst du alles

und wirst mir meinen Teil einfach auszahlenlaquoraquoIst das solaquoraquoNatuumlrlichlaquo Emma zog ihre Zigaretten hervorraquoDu willst doch wohl hier nicht rauchenlaquoAnstelle einer Antwort steckte sie sich eine Zigarette

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zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

bei Lichtenthal in Aussicht und einem groszligzuumlgigen Bru-der der dir deinen Erbanteil abtrittlaquo

Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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raquoWie redest du eigentlich mit mirlaquo Die Stimme ihrer Mutter war ganz kalt geworden bar jeder Emotion

raquoIch helliplaquo Die aufbrausende Wut fiel von Emma ab und sie wusste nicht mehr was sie nun sagen sollte raquoIch hellip ich habe heute keine Uni und wollte ohnehin fragen ob ich mit ins Werk kannlaquo Der Einfall war ihr gerade erst ge-kommen raquoIch koumlnnte Leo zuarbeiten und so schon einmal Einblicke bekommenlaquo

Die frostglitzernde Wut im Blick ihrer Mutter schmolz zu Uumlberraschung raquoAch waslaquo

raquoIch habe mir lange uumlberlegt was ich mit meinem Che-miestudium machelaquo

raquoHeiszligt das es steht nicht zu erwarten dass du dich nun nach einer passenden Partie umsiehstlaquo Fuumlr jemanden der selbst gluumlcklich verheiratet gewesen war zeigte ihre Mut-ter eine sehr ablehnende Haltung zu Emmas Eheplaumlnen

raquoNoch ist ja niemand in Aussicht nicht wahrlaquo ver-setzte Emma der Hoffnung einen Daumlmpfer

Ihre Mutter schien damit zufrieden zu sein raquoSchoumln dann beeil dich wir brechen gleich auflaquo

Sie und Leopold fuhren in der Regel gemeinsam los und Leopold lieszlig dann den Wagen fuumlr sie im Werk und kehrte puumlnktlich zum Buumlroschluss mit der Bahn nach Hause zu-ruumlck Das tat er vermutlich vor allem aus dem Grund weil er den Abstand brauchte

raquoIch habe uumlbrigens gehoumlrt dass Marion in der Chariteacute aufhoumlrtlaquo erzaumlhlte Emma als sie auf der Ruumlckbank des Wagens Platz genommen hatte

raquoWelche Marionlaquo fragte ihre Mutter und Emma haumltte gerne gewusst ob sie das wirklich nicht wusste

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raquoUnsere CousinelaquoraquoUnd warum sollte es mich interessieren was diese Per-

son tutlaquoraquoWeil sie deine Nichte ist moumlglicherweiselaquoVon hinten konnte Emma das Schulterzucken sehenraquoAuf jeden Fall heiszligt es sie wollte in das Unternehmen

von Tante Helena einsteigenlaquo Mit einiger Befriedigung bemerkte Emma dass ihre Mutter bei dieser persoumlnlichen Bezeichnung kaum merklich zusammenzuckte

raquoIn der TatlaquoraquoSie hat einige Semester Chemie studiert das hatte ich

doch erzaumlhltlaquoraquoJa hattest du Auch dass sie es mit deinem Chemie-

professor getrieben hatlaquoraquoMutterlaquo kam es von LeopoldraquoDas habe ich nie gesagtlaquo Emma lehnte sich vor als

koumlnne sie ihren Worten damit mehr Nachdruck verleihen raquoIch sagte sie gehen miteinander auslaquo

raquoWenn sie nach ihrer Mutter kommt gibt es das eine nicht ohne das andere Gerne auch zum Nachteil der eigenen Familie Sind deine Noten bei besagtem Profes-sor nicht danach schlechter gewordenlaquo

raquoDas war bei Professor Guenther nicht bei Professor Hellweg mit dem Marion aus war Meine Guumltelaquo Emma hatte langsam genug Dieser sture verbohrte Zorn ihrer Mutter war nicht mehr zu ertragen Mit Ende vierzig konnte sie sich auf jeden Fall noch nicht mit Altersstarr-sinn herausreden raquoHoumlr zu wenn das hier jeden Morgen der Beginn meines Arbeitstages wird sag es direkt dann reicht mir der einmalige Ausflug in dein Unternehmen

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und ich bewerbe mich morgen beim Pharmaunternehmen Lichtenthallaquo

Ihre Mutter fuhr herum raquoDas wagst du nichtlaquoraquoLass es gerne darauf ankommenlaquoLange sah ihre Mutter sie an dann zuckte es um ihre

Lippen Widerspruchsgeist gefiel ihr und sie schien auf einmal versoumlhnt Emma wuumlrde bleiben wuumlrde es allein um Leopolds willen tun Vielleicht wuumlrde es leichter fuumlr ihn mit ihr an seiner Seite

Das ehemalige Werksgelaumlnde hatte in Berlin-Oberschouml-neweide gestanden aber sie waren noch vor dem Krieg um-gezogen was sich als richtige Entscheidung erwiesen hatte wenngleich zu der Zeit noch niemand hatte wissen koumlnnen dass dieser Stadtteil unter sowjetische Verwaltung gestellt werden wuumlrde Das jetzige Werk stand in Berlin-Tempel-hof im Amerikanischen Sektor und hatte im Krieg ebenfalls gelitten Sie fuhren durch das Tor und Leopold parkte den Wagen auf der dafuumlr vorgesehenen Flaumlche auf der weitere Autos Motorraumlder und Mopeds standen

Ihre Mutter begleitete sie bis in die Etage in der sich die Raumlumlichkeiten der Geschaumlftsfuumlhrung befanden dann ging sie in ihr Buumlro waumlhrend Emma Leopold in seines be-gleitete

raquoWeiszligt dulaquo sagte er als er auf einen der Stuumlhle wies raquodu musst das nicht tunlaquo

raquoWas meinst dulaquo Emma lieszlig sich auf der Besucherseite seines Schreibtischs nieder

raquoDas weiszligt du genau Mich hierher zu begleiten ob-wohl du nie im Sinn hattest in der Firma zu arbeiten Du musst mich nicht vor Mutter beschuumltzenlaquo

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raquoDas tue ich doch gar nichtlaquoLeopold antwortete nicht ging nur zur Tuumlr oumlffnete sie

und rief in das gegenuumlberliegende Zimmer der beiden Sekretaumlrinnen dass man ihm und seiner Schwester bitte Kaffee bringen moumlge raquoEs war nie dein Plan hier zu ar-beitenlaquo

raquoPlaumlne koumlnnen sich aumlndernlaquoraquoVon einem Tag auf den anderenlaquoraquoJa warum denn nicht Und wer sagt uumlberhaupt dass

es so abrupt war Vielleicht denke ich ja schon laumlnger da-ruumlber nach und habe dir einfach noch nichts erzaumlhltlaquo Emma zog einen Bleistift aus dem Stiftebecher und drehte ihn zwischen den Fingern raquoUumlbrigens hat mir Dominik Lichtenthal ein Stellenangebot gemachtlaquo Gespannt be-obachtete sie Leopolds Reaktion

raquoWannlaquoraquoIch bin ihm mal abends beim Spaziergang begegnetlaquoraquoUnd da hat er dir ndash ohne dich und deine Befaumlhigung

so recht zu kennen ndash eine Stelle angebotenlaquoraquoWir haben uns kurz unterhalten und er weiszlig dass ich

Chemie studiere Da meinte er wenn ich nicht fuumlr Mutter arbeiten wolle solle ich mich bei ihm melden er koumlnne faumlhige Chemiker immer gebrauchenlaquo

raquoMutter enterbt dich wenn du das tustlaquoraquoDas waumlre nicht so schlimm denn dann erbst du alles

und wirst mir meinen Teil einfach auszahlenlaquoraquoIst das solaquoraquoNatuumlrlichlaquo Emma zog ihre Zigaretten hervorraquoDu willst doch wohl hier nicht rauchenlaquoAnstelle einer Antwort steckte sie sich eine Zigarette

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zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

bei Lichtenthal in Aussicht und einem groszligzuumlgigen Bru-der der dir deinen Erbanteil abtrittlaquo

Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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raquoUnsere CousinelaquoraquoUnd warum sollte es mich interessieren was diese Per-

son tutlaquoraquoWeil sie deine Nichte ist moumlglicherweiselaquoVon hinten konnte Emma das Schulterzucken sehenraquoAuf jeden Fall heiszligt es sie wollte in das Unternehmen

von Tante Helena einsteigenlaquo Mit einiger Befriedigung bemerkte Emma dass ihre Mutter bei dieser persoumlnlichen Bezeichnung kaum merklich zusammenzuckte

raquoIn der TatlaquoraquoSie hat einige Semester Chemie studiert das hatte ich

doch erzaumlhltlaquoraquoJa hattest du Auch dass sie es mit deinem Chemie-

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koumlnne sie ihren Worten damit mehr Nachdruck verleihen raquoIch sagte sie gehen miteinander auslaquo

raquoWenn sie nach ihrer Mutter kommt gibt es das eine nicht ohne das andere Gerne auch zum Nachteil der eigenen Familie Sind deine Noten bei besagtem Profes-sor nicht danach schlechter gewordenlaquo

raquoDas war bei Professor Guenther nicht bei Professor Hellweg mit dem Marion aus war Meine Guumltelaquo Emma hatte langsam genug Dieser sture verbohrte Zorn ihrer Mutter war nicht mehr zu ertragen Mit Ende vierzig konnte sie sich auf jeden Fall noch nicht mit Altersstarr-sinn herausreden raquoHoumlr zu wenn das hier jeden Morgen der Beginn meines Arbeitstages wird sag es direkt dann reicht mir der einmalige Ausflug in dein Unternehmen

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und ich bewerbe mich morgen beim Pharmaunternehmen Lichtenthallaquo

Ihre Mutter fuhr herum raquoDas wagst du nichtlaquoraquoLass es gerne darauf ankommenlaquoLange sah ihre Mutter sie an dann zuckte es um ihre

Lippen Widerspruchsgeist gefiel ihr und sie schien auf einmal versoumlhnt Emma wuumlrde bleiben wuumlrde es allein um Leopolds willen tun Vielleicht wuumlrde es leichter fuumlr ihn mit ihr an seiner Seite

Das ehemalige Werksgelaumlnde hatte in Berlin-Oberschouml-neweide gestanden aber sie waren noch vor dem Krieg um-gezogen was sich als richtige Entscheidung erwiesen hatte wenngleich zu der Zeit noch niemand hatte wissen koumlnnen dass dieser Stadtteil unter sowjetische Verwaltung gestellt werden wuumlrde Das jetzige Werk stand in Berlin-Tempel-hof im Amerikanischen Sektor und hatte im Krieg ebenfalls gelitten Sie fuhren durch das Tor und Leopold parkte den Wagen auf der dafuumlr vorgesehenen Flaumlche auf der weitere Autos Motorraumlder und Mopeds standen

Ihre Mutter begleitete sie bis in die Etage in der sich die Raumlumlichkeiten der Geschaumlftsfuumlhrung befanden dann ging sie in ihr Buumlro waumlhrend Emma Leopold in seines be-gleitete

raquoWeiszligt dulaquo sagte er als er auf einen der Stuumlhle wies raquodu musst das nicht tunlaquo

raquoWas meinst dulaquo Emma lieszlig sich auf der Besucherseite seines Schreibtischs nieder

raquoDas weiszligt du genau Mich hierher zu begleiten ob-wohl du nie im Sinn hattest in der Firma zu arbeiten Du musst mich nicht vor Mutter beschuumltzenlaquo

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raquoDas tue ich doch gar nichtlaquoLeopold antwortete nicht ging nur zur Tuumlr oumlffnete sie

und rief in das gegenuumlberliegende Zimmer der beiden Sekretaumlrinnen dass man ihm und seiner Schwester bitte Kaffee bringen moumlge raquoEs war nie dein Plan hier zu ar-beitenlaquo

raquoPlaumlne koumlnnen sich aumlndernlaquoraquoVon einem Tag auf den anderenlaquoraquoJa warum denn nicht Und wer sagt uumlberhaupt dass

es so abrupt war Vielleicht denke ich ja schon laumlnger da-ruumlber nach und habe dir einfach noch nichts erzaumlhltlaquo Emma zog einen Bleistift aus dem Stiftebecher und drehte ihn zwischen den Fingern raquoUumlbrigens hat mir Dominik Lichtenthal ein Stellenangebot gemachtlaquo Gespannt be-obachtete sie Leopolds Reaktion

raquoWannlaquoraquoIch bin ihm mal abends beim Spaziergang begegnetlaquoraquoUnd da hat er dir ndash ohne dich und deine Befaumlhigung

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und wirst mir meinen Teil einfach auszahlenlaquoraquoIst das solaquoraquoNatuumlrlichlaquo Emma zog ihre Zigaretten hervorraquoDu willst doch wohl hier nicht rauchenlaquoAnstelle einer Antwort steckte sie sich eine Zigarette

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zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

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Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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und ich bewerbe mich morgen beim Pharmaunternehmen Lichtenthallaquo

Ihre Mutter fuhr herum raquoDas wagst du nichtlaquoraquoLass es gerne darauf ankommenlaquoLange sah ihre Mutter sie an dann zuckte es um ihre

Lippen Widerspruchsgeist gefiel ihr und sie schien auf einmal versoumlhnt Emma wuumlrde bleiben wuumlrde es allein um Leopolds willen tun Vielleicht wuumlrde es leichter fuumlr ihn mit ihr an seiner Seite

Das ehemalige Werksgelaumlnde hatte in Berlin-Oberschouml-neweide gestanden aber sie waren noch vor dem Krieg um-gezogen was sich als richtige Entscheidung erwiesen hatte wenngleich zu der Zeit noch niemand hatte wissen koumlnnen dass dieser Stadtteil unter sowjetische Verwaltung gestellt werden wuumlrde Das jetzige Werk stand in Berlin-Tempel-hof im Amerikanischen Sektor und hatte im Krieg ebenfalls gelitten Sie fuhren durch das Tor und Leopold parkte den Wagen auf der dafuumlr vorgesehenen Flaumlche auf der weitere Autos Motorraumlder und Mopeds standen

Ihre Mutter begleitete sie bis in die Etage in der sich die Raumlumlichkeiten der Geschaumlftsfuumlhrung befanden dann ging sie in ihr Buumlro waumlhrend Emma Leopold in seines be-gleitete

raquoWeiszligt dulaquo sagte er als er auf einen der Stuumlhle wies raquodu musst das nicht tunlaquo

raquoWas meinst dulaquo Emma lieszlig sich auf der Besucherseite seines Schreibtischs nieder

raquoDas weiszligt du genau Mich hierher zu begleiten ob-wohl du nie im Sinn hattest in der Firma zu arbeiten Du musst mich nicht vor Mutter beschuumltzenlaquo

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raquoDas tue ich doch gar nichtlaquoLeopold antwortete nicht ging nur zur Tuumlr oumlffnete sie

und rief in das gegenuumlberliegende Zimmer der beiden Sekretaumlrinnen dass man ihm und seiner Schwester bitte Kaffee bringen moumlge raquoEs war nie dein Plan hier zu ar-beitenlaquo

raquoPlaumlne koumlnnen sich aumlndernlaquoraquoVon einem Tag auf den anderenlaquoraquoJa warum denn nicht Und wer sagt uumlberhaupt dass

es so abrupt war Vielleicht denke ich ja schon laumlnger da-ruumlber nach und habe dir einfach noch nichts erzaumlhltlaquo Emma zog einen Bleistift aus dem Stiftebecher und drehte ihn zwischen den Fingern raquoUumlbrigens hat mir Dominik Lichtenthal ein Stellenangebot gemachtlaquo Gespannt be-obachtete sie Leopolds Reaktion

raquoWannlaquoraquoIch bin ihm mal abends beim Spaziergang begegnetlaquoraquoUnd da hat er dir ndash ohne dich und deine Befaumlhigung

so recht zu kennen ndash eine Stelle angebotenlaquoraquoWir haben uns kurz unterhalten und er weiszlig dass ich

Chemie studiere Da meinte er wenn ich nicht fuumlr Mutter arbeiten wolle solle ich mich bei ihm melden er koumlnne faumlhige Chemiker immer gebrauchenlaquo

raquoMutter enterbt dich wenn du das tustlaquoraquoDas waumlre nicht so schlimm denn dann erbst du alles

und wirst mir meinen Teil einfach auszahlenlaquoraquoIst das solaquoraquoNatuumlrlichlaquo Emma zog ihre Zigaretten hervorraquoDu willst doch wohl hier nicht rauchenlaquoAnstelle einer Antwort steckte sie sich eine Zigarette

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9783442491261_10_INH_Elias_Schoenheitssalon_2indd 439783442491261_10_INH_Elias_Schoenheitssalon_2indd 43 220721 0929220721 0929

zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

bei Lichtenthal in Aussicht und einem groszligzuumlgigen Bru-der der dir deinen Erbanteil abtrittlaquo

Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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raquoDas tue ich doch gar nichtlaquoLeopold antwortete nicht ging nur zur Tuumlr oumlffnete sie

und rief in das gegenuumlberliegende Zimmer der beiden Sekretaumlrinnen dass man ihm und seiner Schwester bitte Kaffee bringen moumlge raquoEs war nie dein Plan hier zu ar-beitenlaquo

raquoPlaumlne koumlnnen sich aumlndernlaquoraquoVon einem Tag auf den anderenlaquoraquoJa warum denn nicht Und wer sagt uumlberhaupt dass

es so abrupt war Vielleicht denke ich ja schon laumlnger da-ruumlber nach und habe dir einfach noch nichts erzaumlhltlaquo Emma zog einen Bleistift aus dem Stiftebecher und drehte ihn zwischen den Fingern raquoUumlbrigens hat mir Dominik Lichtenthal ein Stellenangebot gemachtlaquo Gespannt be-obachtete sie Leopolds Reaktion

raquoWannlaquoraquoIch bin ihm mal abends beim Spaziergang begegnetlaquoraquoUnd da hat er dir ndash ohne dich und deine Befaumlhigung

so recht zu kennen ndash eine Stelle angebotenlaquoraquoWir haben uns kurz unterhalten und er weiszlig dass ich

Chemie studiere Da meinte er wenn ich nicht fuumlr Mutter arbeiten wolle solle ich mich bei ihm melden er koumlnne faumlhige Chemiker immer gebrauchenlaquo

raquoMutter enterbt dich wenn du das tustlaquoraquoDas waumlre nicht so schlimm denn dann erbst du alles

und wirst mir meinen Teil einfach auszahlenlaquoraquoIst das solaquoraquoNatuumlrlichlaquo Emma zog ihre Zigaretten hervorraquoDu willst doch wohl hier nicht rauchenlaquoAnstelle einer Antwort steckte sie sich eine Zigarette

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zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

bei Lichtenthal in Aussicht und einem groszligzuumlgigen Bru-der der dir deinen Erbanteil abtrittlaquo

Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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zwischen die Lippen und lieszlig das Feuerzeug aufschnappen Augenverdrehend ging Leopold zum Fenster und oumlffnete es Nachdenklich sah sich Emma im Buumlro um waumlhrend sie den Rauch ausatmete raquoArbeite ich erst einmal dir zulaquo

raquoIch wuumlrde sagen erst einmal beendest du dein Stu-dium Lass dich nicht von Mutter vereinnahmen auch nicht um meinetwillenlaquo

raquoIch weiszlig schon was ich tuelaquoraquoDu hast ja auch nichts zu befuumlrchten so mit der Stelle

bei Lichtenthal in Aussicht und einem groszligzuumlgigen Bru-der der dir deinen Erbanteil abtrittlaquo

Emma grinste dann wurde sie wieder ernst raquoEigent-lich ist das doch zu dumm Zwei Schwestern betreiben je-weils ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen und anstatt sich zu ergaumlnzen bekriegen sie einanderlaquo

raquoDenkst du Helena Lichtenthal waumlre zugaumlnglicher als Mutterlaquo

raquoIch weiszlig es sogar Laut Marion ist sie einer Versoumlhnung gar nicht mal abgeneigtlaquo

raquoIch wusste nicht dass du so eng mit Marion bistlaquoraquoBin ich nicht aber wenn wir uns uumlber den Weg laufen

unterhalten wir uns natuumlrlichlaquoEine der beiden Sekretaumlrinnen Fraumlulein Mankel trat

ein und stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab Sie wechselten kurz einige Houmlflichkeiten dann verlieszlig die junge Frau den Raum wieder und Leopold schenkte ihnen Kaffee ein raquoDu rauchst jetzt aber nicht noch einelaquo fragte er

raquoDas Fenster ist doch auflaquoDemonstrativ oumlffnete er beide Fensterfluumlgel komplett

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