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Der Stoffwechsel Mythos und Realität Der Stoffwechsel Mythos und Realität 34 DIP 6/17 Gesundheit Text und Fotos Angelika Schmelzer Das Fell Ihres Pferdes glänzt nicht? Es hat sicher eine Stoffwechselstörung. Seine Hufe brechen aus, sind rissig, weich, krü- melig? Scheint, der Stoffwechsel funktio- niert nicht richtig. Ihr Isländer leidet unter chronischem Husten, mangelndem Appe- tit, Sommerekzem, Leistungsschwäche, Durchfall? Ganz klar: Eine Stoffwechsel- erkrankung ist die Ursache! Seine Blut- werte sind schlecht, es sind glänzende „Futtertaler“ oder Stichelhaare im Fell zu sehen, sein Rücken ist verspannt? Sie ah- nen es: Schuld ist der Stoffwechsel. Immer wieder werden Pferdehalter mit dem „Stoffwechsel“ kon- frontiert, häufig im Zusammenhang mit einer „Stoffwechselstö- rung“ oder einer „Zivilisationserkrankung“. Rund um diese so ein- gängigen Begriffe ist ein Übermaß an Information verfügbar, das je- doch den Pferdefreund oft verwirrt und verunsichert. Das Problem: Was so einfach klingt, so eingängig dargestellt wird, ist in Wirklich- keit ausgesprochen komplex. Wo logische Zusammenhänge zu be- stehen scheinen, gibt es bei näherem Hinsehen keine. Was als er- wiesen erklärt wird, ist häufig lediglich ein Gedankenkonstrukt, ein Deutungsversuch. Rund um das Thema „Stoffwechsel“ werden zu- dem nicht selten Ursache und Wirkung verwechselt, Äpfel und Bir- nen zusammengezählt. Wo einerseits fast beliebige „Symptome“ wie etwa Stichelhaare als Anzeichen einer Erkrankung fehlgedeutet und Krankheitsbilder ohne jeden Stoffwechselbezug fälschlich als Stoffwechselerkrankung bezeichnet werden, wird andererseits Ab- hilfe durch therapeutische Maßnahmen versprochen, die nie irgend- wie auf ihre Wirksamkeit – ob am Stoffwechsel oder sonst wo – un- tersucht wurden, ja, von denen es nicht einmal belastbare Daten über ihre Verträglichkeit oder korrekte Dosierung bei der Anwen- dung am Pferd gibt.

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Der StoffwechselMythos und RealitätDer StoffwechselMythos und Realität

34 DIP 6/17 Gesundheit

Text und Fotos Angelika Schmelzer

Das Fell Ihres Pferdes glänzt nicht? Es hat

sicher eine Stoffwechselstörung. Seine

Hufe brechen aus, sind rissig, weich, krü-

melig? Scheint, der Stoffwechsel funktio-

niert nicht richtig. Ihr Isländer leidet unter

chronischem Husten, mangelndem Appe-

tit, Sommerekzem, Leistungsschwäche,

Durchfall? Ganz klar: Eine Stoffwechsel-

erkrankung ist die Ursache! Seine Blut-

werte sind schlecht, es sind glänzende

„Futtertaler“ oder Stichelhaare im Fell zu

sehen, sein Rücken ist verspannt? Sie ah-

nen es: Schuld ist der Stoffwechsel.

Immer wieder werden Pferdehalter mit dem „Stoffwechsel“ kon-

frontiert, häufig im Zusammenhang mit einer „Stoffwechselstö-

rung“ oder einer „Zivilisationserkrankung“. Rund um diese so ein-

gängigen Begriffe ist ein Übermaß an Information verfügbar, das je-

doch den Pferdefreund oft verwirrt und verunsichert. Das Problem:

Was so einfach klingt, so eingängig dargestellt wird, ist in Wirklich-

keit ausgesprochen komplex. Wo logische Zusammenhänge zu be-

stehen scheinen, gibt es bei näherem Hinsehen keine. Was als er-

wiesen erklärt wird, ist häufig lediglich ein Gedankenkonstrukt, ein

Deutungsversuch. Rund um das Thema „Stoffwechsel“ werden zu-

dem nicht selten Ursache und Wirkung verwechselt, Äpfel und Bir-

nen zusammengezählt. Wo einerseits fast beliebige „Symptome“

wie etwa Stichelhaare als Anzeichen einer Erkrankung fehlgedeutet

und Krankheitsbilder ohne jeden Stoffwechselbezug fälschlich als

Stoffwechselerkrankung bezeichnet werden, wird andererseits Ab-

hilfe durch therapeutische Maßnahmen versprochen, die nie irgend-

wie auf ihre Wirksamkeit – ob am Stoffwechsel oder sonst wo – un-

tersucht wurden, ja, von denen es nicht einmal belastbare Daten

über ihre Verträglichkeit oder korrekte Dosierung bei der Anwen-

dung am Pferd gibt.

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Steht der Begriff einer Stoff-wechselstörung im Raum, solltesich der Pferdefreund mehrereFragen stellen:•Hat mein Pferd tatsächlich eine definierte Stoffwech-selstörung und um welche handelt es sich?

Diese Frage können diagnostische Möglichkeiten meist

schnell und eindeutig beantworten.

•Wie lässt sich diese Erkrankung URSÄCHLICH behan-deln und wie lässt sich der Behandlungserfolg über-

prüfen?

Welche Medikamente und andere Therapien greifen am

Auslöser des Krankheitsgeschehens an und woran merke

ich, dass diese Behandlung meinem Pferd wirklich hilft?

•Was kann BEGLEITEND, UNTERSTÜTZEND getanwerden, um meinem Pferd zu helfen?

Wie können etwa Haltung, Fütterung, Training, Hufbe-

schlag angepasst werden, welche Behandlungsansätze

aus dem weiten Feld der alternativen Therapien verspre-

chen Hilfe? Wie also sieht ein ganzheitlicher Ansatz aus?

• Sind die vorgeschlagenen Therapien tatsächlich ge-eignet, die beschriebene Wirkung zu entfalten und

worauf stützt sich die Behauptung?

Gibt es also Forschungen oder zumindest belastbare Er-

fahrungswerte beim Pferd? Was spricht möglicherweise

gegen eine Verwendung?

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Und doch wissen wir schon viel über die Stoffwechselerkrankungen

unserer Pferde – aber noch nicht genug. Wichtig für den Pferde-

freund ist die Unterscheidung echter Stoffwechselkrankheiten von

anderen Störungen, bei denen der Stoffwechsel sekundär betroffen

sein kann und von Beobachtungen am Pferd ohne jeden Krankheits-

wert.

Stoffwechsel ist Chemie

Im Grunde handelt es sich beim Stoffwechsel um einen dauernd

laufenden Motor, einen chemischen Antrieb für den gesamten Or-

ganismus. Die Sache mit dieser Körperchemie ist für jeden Pferde-

freund interessant und relevant – wo Leben ist, da ist nämlich auch

Chemie!

Was sollten Pferdefreunde wissen? Alle chemischen Prozesse in ei-

nem Lebewesen fallen unter den Begriff „Stoffwechsel“. Immer,

wenn in einem Organismus ein Stoff chemisch in einen anderen

umgewandelt wird, ist dies Teil des Stoffwechsels. Dabei unter-

scheidet man den Baustoffwechsel vom Energiestoffwechsel:

• Der Baustoffwechsel ist mit Aufbauprozessen von Körpersub-stanz befasst,

• der Energiestoffwechsel stellt die nötige Energie für den „Be-trieb“ des Organismus bereit.

Ferner unterscheidet man im Stoffwechsel katabole von anabolen

Reaktionen: Grob gesagt, ist

• Katabolismus der Abbau komplexer zu einfachen,• Anabolismus der Aufbau komplexer aus einfachen Stoffen. Auch kann zur Eingrenzung der Stoffwechsel eines bestimmten Or-

gans benannt werden, etwa der Leberstoffwechsel oder der Haut-

stoffwechsel – die Gesamtheit aller in der Leber oder eben der Haut

stattfindenden chemischen Prozesse. Oder man benennt die Stoff-

gruppe, um die es geht – man hat es also mit dem Fettstoffwechsel

oder dem Eiweißstoffwechsel zu tun.

Unterstützt wird der Stoffwechsel, werden diese Umwandlungspro-

zesse durch Enzyme, chemische Katalysatoren. Eine wichtige zen-

trale Rolle in der Steuerung der Stoffwechselaktivität spielen auch

Hormone und damit alle Strukturen, die Hormone produzieren, et-

wa die Schilddrüse oder die Hirnanhangsdrüse (Hypophyse). Hor-

mone sind biochemische Botenstoffe, die zahlreiche untergeordne-

te Regelkreise des Stoffwechsels beeinflussen. Die Stoffwechselra-

te oder der Metabolismus ist eine messbare Größe, ein Maß für die

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Aktivität, die intern über Regelkreise gesteuert und über gezielt an-

greifende Wirksubstanzen wie etwa manche Medikamente beein-

flusst werden kann. Wir kennen eine solche Beeinflussung nicht nur

von der Therapie mancher Erkrankungen, sondern auch im Zusam-

menhang mit Doping: Anabolika etwa sorgen dafür, dass anabole,

also aufbauende Prozesse, angeregt werden.

Zu jeder Zeit, in jeder Zelle finden also chemische Prozesse statt,

der Stoffwechsel ist eine immerwährende Komponente im Organis-

mus, eine Art Hintergrundmusik des Lebens. Da liegt es auf der

Hand, dass bei jedem aktuellen Zustand des Pferdes – ob gesund

oder krank – der Stoffwechsel ein Teil des großen Ganzen ist, dass

Krankheiten und Befindlichkeitsstörungen immer auch Auswirkun-

gen auf den Stoffwechsel haben und umgekehrt. Salopp formuliert:

Stoffwechsel ist immer und überall. Und daraus dürfen wir durch-

aus folgern: Ist das Pferd krank, ist IMMER auch sein Stoffwechsel

irgendwie involviert. Hier gilt es aber, Henne und Ei sorgfältig aus-

einander zu halten: Jede Erkrankung wirkt sich irgendwie auf den

Stoffwechsel aus, das macht aber nicht jede Krankheit zu einer

Stoffwechselstörung.

Stoffwechselstörung – was heißt das genau?

Stoffwechselstörungen gibt es tatsächlich, die Medizin definiert

diese genau und benennt ganz klar den betroffenen Regelkreis, also

etwa den Fettstoffwechsel (oder Teile davon), den Zuckerstoffwech-

sel (oder Teile davon). „Die Chemie stimmt nicht“ in einem solchen

Fall, die Umwandlungsprozesse laufen nicht so ab, wie sie sollten.

Die Veterinärmedizin kennt beim Pferd etliche Krankheitsbilder, die

als Stoffwechselerkrankung definiert sind, weiß über deren Ursa-

chen, die zugrunde liegenden Mechanismen, Behandlungsansätze,

die Wirksamkeit diverser Therapien und die Prognose gut Bescheid.

Das Wesen einer Stoffwechselstörung ist recht einfach zu erklären,

wenn man sich das grundlegende Prinzip der Chemie verdeutlicht –

aus A mach’ B – und vor Augen hält, dass Stoffwechsel Körperche-

mie ist und Stoffwechselstörungen Fehler in diesem System zu-

grunde liegen.

Wenn normalerweise, angeregt durch ein Hormon und unterstützt

durch ein Enzym, Stoff A zu Stoff B wird, kommt es bei einem Man-

gel oder Ausfall dieses Enzyms (oder einem Mangel an dem ent-

sprechenden Hormon) zu einer Anhäufung von Stoff A und einem

Mangel an Stoff B, bei einer übermäßigen Aktivität des Enzyms (di-

to: Hormon) hingegen zu einem Mangel an Stoff A und einer An-

häufung von Stoff B (siehe Grafik oben). Bedenkt man, dass die

Umwandlung von A zu B immer auch ein winziges Glied einer end-

los langen und noch dazu mehrfach verzweigten Kette von Vorgän-

gen ist, sind die Folgen jeder Stoffwechselstörung leicht auszuma-

len: Sie sind häufig dramatisch und gefährden den Organismus als

Ganzes.

Wichtig: Bei der Diagnose von echten Stoffwechselstörungen

stützt man sich nicht alleine auf die Symptome, denn die sind oft

relativ unspektakulär und/oder wenig typisch. Man sucht gezielt

nach Hinweisen darauf, ob und wo genau einer der vielen in Frage

kommenden Regelkreise gestört ist. So können beispielsweise die

Blutwerte entsprechender Enzyme oder Hormone, die Ausgangs-,

End- oder Nebenprodukte chemischer Reaktionen wichtige Hinwei-

se liefern und sehr häufig das Problem recht schnell eingrenzen und

eine exakte Diagnose ermöglichen. Und damit eine Therapie, die

das Übel möglichst an der Wurzel packt.

Auswirkung von StoffwechselstörungenRegelgerechter Ablauf

Mangel

Überaktivität

Einwirkung von Hormonen und Enzymen

Mangel oder Ausfall von Enzymen/Hormonen

Übermäßige Aktivität von Enzymen/Horm0nen

Stoff A Stoff B

Stoff B

Stoff A Stoff B

Stoff A

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Stoffwechsel – Mythos und WahrheitOft wird aber der Begriff der „Stoffwechselstörung“ inflatio-

när dann bemüht, wenn es um völlig andere Krankheitsbil-

der, um unklare Befindlichkeitsstörungen oder die unver-

meidlichen Begleiterscheinungen einer jeden Erkrankung

geht. Ganz klar: Selbst bei einer Platzwunde ist natürlich

der Stoffwechsel im Bereich der verletzten Haut gestört,

was aber eine Platzwunde nicht zu einer Stoffwechselstö-

rung macht. Auch wird gerne eine Vielzahl an Wahrneh-

mungen am Pferd – dessen Erscheinungsbild oder Verhal-

ten – als klares Anzeichen einer Stoffwechselstörung

fehlgedeutet: die bereits erwähnten Stichelhaare oder Ha-

fertaler (Futterflecken) etwa. Damit nicht genug: Häufig

werden Stoffwechselstörungen mit sogenannten „Zivilisa-

tionserkrankungen“ beim Pferd gleichgesetzt und gleichzei-

tig Erkrankungen als Zivilisationserkrankung bezeichnet,

die nachweislich nicht wohlstandsbedingt sind. Die sachlich

fehlerhafte Verwendung und Vermischung dieser und an-

derer Begriffe ist aber aus mehreren Gründen nicht unpro-

blematisch für Pferd und Pferdehalter.

Es ist unbestritten, dass unsere Pferde häufig falsch und zu

reichlich gefüttert, zu wenig und falsch trainiert werden und

sicherlich – wie wir - auch dem schädigenden Einfluss man-

cher Umweltgifte unterliegen. Insofern steht außer Frage,

dass auch unsere Pferde an wohlstandsbedingten gesund-

heitlichen Störungen – an Zivilisationskrankheiten - leiden

können. Auch liegt es auf der Hand, dass Gesundheitspro-

bleme immer den Körper und damit auch den Stoffwechsel

als Ganzes betreffen, selbst wenn sie lokal begrenzt auftre-

ten, denn der Organismus ist ein lebendes, dynamisches

System, in dem alle Untereinheiten in ständigem Dialog

miteinander stehen. Dass bei jeder Erkrankung das Lebe-

wesen als Ganzes betrachtet werden sollte, dass es gilt,

den Organismus zu stützen, seine Selbstheilungskräfte zu

aktivieren, etwaige Entgiftungsfunktionen zu entlasten,

sind Binsenweisheiten.

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38 DIP 6/17 Gesundheit

Gefährlich wird es, wenn dem Pferdehalter suggeriert wird, be-

stimmte Symptome seien Anzeichen einer Stoffwechselstörung

oder einer existierende Erkrankung läge eine Störung des Stoff-

wechsels zugrunde und damit gäbe es Anlass zur Therapie mit nicht

erprobten Mitteln. Es klingt so einfach, „den Stoffwechsel anregen“

oder ihn „ausgleichen“, das Pferd parallel dazu „entgiften“ – dies ist

in der Praxis nicht so einfach möglich und wäre oft nicht einmal

sinnvoll. Häufig werden im Zusammenhang mit echten oder ver-

meintlichen Stoffwechselerkrankungen gänzlich unerprobte thera-

peutische Maßnahmen empfohlen. Beim Pferd fehlen aber wissen-

schaftliche Überprüfungen der Wirkweise etwa von Heilpflanzen

oft. So gibt es häufig keinen Nachweis, dass ein zur Regulierung

oder Aktivierung des Stoffwechsels empfohlenes Mittel überhaupt

eine Wirkung am Stoffwechsel entfaltet, es ist nichts bekannt über

etwaige Neben- oder Wechselwirkungen und auch hinsichtlich der

korrekten Dosierung tappt der Pferdehalter im Dunkel – alleine wis-

Krankheit

Eine Störung der normalen Funktion des Organismus, deren

Auswirkungen vom Patienten als Beschwerde empfunden

und von außen als Symptome erkennbar werden, ausgelöst

beispielsweise durch

• Unfälle und Verletzungen,• Stoffwechselstörungen,• physikalische oder chemische Einwirkungen,• Degeneration,• Tumore oder eine• Infektion.

Stoffwechselstörung

Eine krankhafte, ererbte oder erworbene Veränderung der

Stoffwechselvorgänge, betreffend den Stoffwechsel der

• Fette,

• Eiweiße,

• Kohlenhydrate oder•Mineralien.

Zivilisationskrankheit (Mensch)

Eine Erkrankung, die (mutmaßlich) auch oder überwiegend

durch die besonderen Lebensumstände in der modernen

Gesellschaft ausgelöst oder begünstigt wird, etwa durch

• Tabakkonsum,

• Alkoholkonsum,

• Zuckerkonsum,

• Bewegungsmangel oder Stress.

Übertragen auf das Pferd, gilt das Equine Metabolische

Syndrom als typische Zivilisationskrankheit und insbeson-

dere Überfütterung und Bewegungsmangel als Auslöser.

Die Verhältnisse beim Menschen sind NICHT eins zu eins

auf das Pferd übertragbar, so sind etwa Karies und Diabetes

beim Mensch häufige und typische Zivilisationserkrankun-

gen, beim Pferd allerdings nicht.

Definitionen

senschaftliche Forschungen können hier Abhilfe schaffen. Die oft so

oder so ähnlich zu lesende Formulierung „wird gerne zur Regulie-

rung des Stoffwechsels eingesetzt“ heißt schlicht, dass auch andere

dieses Produkt schon gekauft haben…

Der Unterschied zwischen einer echten Stoffwechselstörung und

Erkrankungen, die fälschlich als Stoffwechselproblem oder Zivilisa-

tionserkrankung gedeutet werden, kann an zwei Beispielen ver-

deutlicht werden.

Beispiel: Das Equine Cushing Syndrom

Beim Equinen Cushing Syndrom (ECS) handelt es sich um eine ty-

pische Stoffwechselerkrankung, über die schon relativ viel bekannt,

einiges aber unklar ist. Lange ging man davon aus, dass ein Tumor

(Adenom) in der Hypophyse (der Hirnanhangsdrüse, ein kleiner,

Hormone produzierender Teil des Gehirns) diese Erkrankung auslöst

– heute scheint es zumindest möglich, dass bei einem kleinen Teil

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der Pferde auch andere Ursachen in Frage kommen. Sicher aber ist:

Fast immer ist dieser Tumor der Hypophyse die Wurzel des Übels.

Das Soll dieses Teils der Hirnanhangsdrüse wird übererfüllt – mehr

Zellen bedeutet auch mehr Hormone. Nachweisbar ist dies über ei-

nen Bluttest, der das wichtige Hormon ACTH (Adrenocorticotropes

Hormon) misst: Liegt dessen Spiegel über der Norm, ist dies ein

Hinweis auf das Equine Cushing Syndrom.

Kleine Ursache, große Wirkung: Wäre das Leid der betroffenen Pfer-

de und ihrer Besitzer nicht so groß, könnte man bewundernd auf-

zählen, wieviel Unheil die so unbedeutend erscheinende Verände-

rung eines einzigen Rädchens im großen Uhrwerk der Körperchemie

ausrichtet. Die Konzentration von ACTH im Blut wird in pg/ml ge-

messen, also in Pikogramm pro Milliliter – ein Pikogramm ist ein

Billionstel Gramm. Kaum vorstellbar, dass eine Veränderung dieser

„Größen“ordnung eine lebensbedrohliche Erkrankung auslösen

kann, und doch ist es so. Hier zeigt sich deutlich das Grundprinzip

des Stoffwechsels, nämlich, „immer und überall“ zu sein.

Das betroffene Pferd kann eine Vielzahl von Symptomen entwi-

ckeln, einzeln oder in fast beliebiger Kombination:

• Vermehrter Durst,• vermehrtes Wasserlassen,• Probleme mit dem Fellwechsel,• dichtes, lockiges Fell,• Hufrehe,• Appetitmangel, Gewichtsverlust,• nachlassende Leistungsfähigkeit,• reduzierter Leistungswille, Apathie,• Kreislaufprobleme,• Muskelatrophie (oft zunehmender Senkrücken),• Fettpolster am Hals oder im Bereich der Augen• Sehstörungen,• Schwitzen,• Infektanfälligkeit.Es finden sich also Symptome im Bereich des Wasserhaushalts

(vermehrter Durst, vermehrtes Wasserlassen), der Haut und ihrer

Anhangsorgane (Probleme mit dem Fellwechsel, dichtes, lockiges

Fell, Hufrehe), Symptome betreffend des Allgemeinbefindens (Ap-

petitmangel, Gewichtsverlust, nachlassende Leistungsfähigkeit,

reduzierter Leistungswille, Apathie, Kreislaufprobleme), Verände-

rungen im Exterieur (Muskelatrophie, Fettpolster am Hals oder im

Bereich der Augen) und weitere Anzeichen (Sehstörungen, Schwit-

zen, Infektanfälligkeit).

Es bedarf einer genauen Diagnostik, um hier und in anderen Fällen

erkennen zu können, woran das Pferd erkrankt ist – so muss etwa

das Equine Cushing Syndrom unbedingt gegen das Equine Metabo-

lische Syndrom abgegrenzt werden, das oft ähnliche Symptome

hervorruft. Vorschnelle Rückschlüsse verbieten sich, insbesondere

da sie die Therapie in die falsche Richtung lenken können – ECS ist

keine Zivilisationserkrankung dicker, unterforderter Ponys und mit-

hin nicht durch Abnehmen und Training heilbar. Trotzdem macht ein

Blick auf die lange Liste möglicher Symptome deutlich, dass der

Besitzer betroffener Pferde an vielen Stellen ergänzend zur grund-

legenden medikamentösen Therapie eingreifen kann und muss:

Scheren, orthopädische Beschläge, angepasste Fütterung, sorgfäl-

tiges, behutsames Training auch vom Boden, diese und andere

StoffwechselkrankheitenBekannte Stoffwechselerkrankungen des Menschen

sind beispielsweise

• Diabetes mellitus (= „Zuckerkrankheit“),• Gicht,•Mukoviszidose oder • Hypothyreose (Unterfunktion der Schilddrüse).

Beim Pferd fallen unter diesen Begriff

• das Equine Cushing Syndrom,• die Hyperlipämie oder• das Equine Metabolische Syndrom.

Maßnahmen sind hilfreich und notwendig. Sie unterstützen den

Heilungsprozess und verbessern die Lebensqualität erkrankter Pfer-

de.

Gegenbeispiel: Sommerekzem

Das Sommerekzem wird gerne als Stoffwechselstörung und/oder

Zivilisationskrankheit bezeichnet, ausgelöst vor allem durch zu

reichhaltiges (Weide-)Futter, aber auch durch unbestimmte, schäd-

liche Umwelteinflüsse. Diese Einschätzung hat wohl ihren Ur-

sprung auch in den Anfangszeiten des Islandpferdereitsports, als

mit den ersten größeren Importen aus Island eine bis dahin weitge-

hend unbekannte Erkrankung auf den Kontinent kam. Damals

schien der Zusammenhang klar: Die Krankheit trat während der

Weidesaison auf und der Aufwuchs der Weiden hierzulande ist

deutlich gehaltvoller als im Ursprungsland – man zählte eins und

eins zusammen, kam aber leider auf drei.

Heute sind wir, auch dank einiger Forschungsarbeit auf dem Gebiet,

einen guten Schritt weiter. Das Sommerekzem wurde eindeutig als

Allergie (Hypersensitivität Typ I) auf den Stich bestimmter Insekten

(Gnitzen, Kriebelmücken, Culicoides) erkannt und es wurde zudem

festgestellt, dass die Veranlagung dazu genetisch bedingt ist. Da es

sich um eine multifaktorielle Vererbung handelt, ist der Erbgang al-

lerdings etwas kompliziert. Das Sommerekzem ist weltweit und

seit langem bekannt und tritt bei ganz verschiedenen Pferderassen

auf, übrigens auch in Gegenden mit wenig gehaltvoller Futtergrund-

lage.

Der direkte Zusammenhang zwischen Insektenstichen und Krank-

heitsgeschehen ist leicht zu beweisen, während Hypothesen, die

das Sommerekzem mit einer durch zu gehaltvolles Weidegras oder

einer unbestimmten „Ausleitungsschwäche“ verursachten Stoff-

wechselstörung in Verbindung bringen wollen, ebenso leicht zu ent-

kräften sind: Wer seinen Ekzemer in eine Ekzemdecke packt, aber

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sonst nichts an Haltung, Fütterung oder Training ändert, wird inner-

halb kürzester Zeit ein symptomfreies (nicht aber geheiltes!) Pferd

haben. Alleine der Schutz vor dem Insektenstich hat diese Verände-

rung ausgelöst. Ein Verbringen auf eine Weide mit schlechter Fut-

tergrundlage bei Verzicht auf einen Schutz vor Insektenstichen wür-

de dagegen nicht zu einer Verbesserung des Krankheitsbildes füh-

ren – reichhaltiges Weidegras also kann nicht der Auslöser sein.

Selbstverständlich gilt für das Sommerekzem wie für alle anderen

Gesundheitsprobleme auch: Flankierende Therapiemaßnahmen

stützen das Pferd, negative Einflüsse dagegen verschlimmern das

Bild.

Stoffwechselstörungen: Fazit

Es kann festgestellt werden, dass rund um den Themenkomplex

„Stoffwechsel“ wenig trennscharf mit an sich gut definierten Begrif-

fen umgegangen wird, oft zum Nachteil erkrankter Pferde und ihrer

Besitzer. Die Umdeutung harmloser Anzeichen zu Symptomen ei-

ner Stoffwechselstörung, die falsche Zuordnung bestimmter Er-

krankungen in den Bereich der Stoffwechselstörung und/oder der

Zivilisationserkrankung kann dazu führen, dass betroffene Pferde

nicht die Hilfe bekommen, die sie brauchen. Allerdings schadet es

auch nicht, jede Erkrankung ganzheitlich zu betrachten und sich im-

mer zu fragen, was denn über die ursächliche Behandlung hinaus

dem Pferd an begleitenden Maßnahmen noch zu helfen vermag.

Stoffwechselstörungen sind oft schwere, definierte Krankheitsbil-

der, bei denen bestimmte Ab- oder Umbauprozesse im Organismus

Sachgerechte Fütterung

nachhaltig beeinträchtigt sind, oft sind es lebensbedrohliche Zu-

stände mit Auswirkungen im ganzen Körper. Zur Behandlung ste-

hen oft erprobte Medikamente und Therapieansätze zur Verfügung.

Befindlichkeitsstörungen, Belastung des Organismus durch Um-

weltgifte und Begleiterscheinungen von anderen Grunderkrankun-

gen sind keine Stoffwechselstörungen im eigentlichen Wortsinne.

Beim Einsatz von stützenden Heilmitteln und entsprechenden Zu-

satzfuttermitteln sollte der Pferdehalter sich nicht scheuen, kritisch

nach erwiesener Ungefährlichkeit und einem Wirkungnachweis zu

fragen.

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