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DER TSCHECHOSLOWAKISCHE WERKBUND UND DER WERKBUND DER DEUTSCHEN IN DER TSCHECHOSLOWAKEI Eine kritische Anthologie Herausgegeben von Alena Janatková Gebr. Mann Verlag · Berlin

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DER TSCHECHOSLOWAKISCHE WERKBUND UND DER WERKBUND DER DEUTSCHEN IN DER TSCHECHOSLOWAKEI

Eine kritische Anthologie

Herausgegeben von Alena Janatkovaacute

Gebr Mann Verlag middot Berlin

Gedruckt mit Unterstuumltzung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

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Gedruckt auf saumlurefreiem Papier das die US-ANSI-Norm uumlber Haltbarkeit erfuumlllt

Satz und Layout Nicola Willam BerlinCovergestaltung unter Verwendung der Abb 6 (S 55) Alexander Burgold BerlinSchrift Times und CorbelPapier Gardapatt Kiara 135gm2

Druck und Verarbeitung Beltz Grafische Betriebe GmbH Bad Langensalza

Printed in Germany ISBN 978-3-7861-2805-2

Vorwort

Der Deutsche Werkbund

Der Architekt und preuszligische Staatsbeamte Hermann Muthesius hat 1907 das Ziel der Kunstgewerbebewegung und des von ihm wesentlich gepraumlgten Deutschen Werkbunds (DWB) als Erziehungsauftrag beschrieben

bdquoDas Kunstgewerbe hat das Ziel die heutigen Gesellschaftsklassen zur Gediegenheit Wahrhaftigkeit und buumlrgerlichen Einfachheit zuruumlckzuerziehen [hellip] Es wird nicht nur die deutsche Wohnung und das deutsche Heim veraumlndern sondern es wird direkt auf den Charakter der Generation einwirken denn auch Erziehung zur anstaumlndigen Gestaltung der Raumlume in denen wir wohnen kann im Grunde nur eine Charaktererziehung sein [hellip]ldquo1

Ganz aumlhnlich formulierte 1919 der Nationaloumlkonom und Sozialpolitiker Bruno Rauecker ebenfalls Werkbund-Protagonist die Aufgabe

bdquoDie Erziehung zum Verstaumlndnis der Qualitaumlt ist zufoumlrderst ein Stuumlck sittlicher Erziehung Der Geschmack wird die selbstverstaumlndliche Folge nicht das gewollte Ziel dieser Erziehung sein Die Richtlinien geschmacklicher Klaumlrung umrissen mit den Worten Zweckmaumlszligigkeit Einfachheit Echtheit sind ebensosehr Wegweiser der Kunsterziehung wie Grundsaumltze ethisch gerichteter Sozialpolitik sbquoMaterialehrlichkeit und Materialgerechtigkeitlsquo setzen Menschen voraus die wissen was es um die Begriffe sbquoEhrlichkeitlsquo und sbquoGerechtigkeitlsquo fuumlr eine Bewandtnis hatldquo2

Was in beiden Zitaten auffaumlllt ist die Dominanz des Begriffs der Erziehung es geht um sbquoCharaktererziehunglsquo oder sbquosittliche Erziehunglsquo mit kuumlnstlerischen Mitteln Trotz des von den kuumlnstlerischen Avantgarden schon im fruumlhen 20 Jahr-hundert ausgerufenen Endes einer normativen Aumlsthetik hat der Werkbund stets polarisierend argumentiert und bis in die 1960er Jahre versucht alle Beteiligten auf die moderne sachliche Form einzuschwoumlren und diese zu kanonisieren Alles Gegenlaumlufige wurde negiert Um seine Ziele zu erreichen entwickelte der Verband verschiedene erzieherische Strategien klassische propagandistische Mittel wie Publikationen und Ausstellungen Wettbewerbe und Preise aber auch sehr spezifische Instrumente wie Vor- und Feindbildersammlungen Warenbuch

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und Warenkunden Wohnberatung und Musterwohnungen sowie die sogenannten Werkbundkisten3

Zu Beginn des 20 Jahrhunderts reichten die Industrieausstellungen und Kunst-gewerbemuseen als Vermittler zwischen Kunst und Industrie nicht mehr aus so dass der Werkbund versuchte diese Funktion neu zu definieren und an die flexiblen und beschleunigten Erfordernisse des Marktes anzupassen

In diesem Sinn ist das erste Werkbund-Museum zu verstehen Das 1909 in Hagen von dem Industriellen Karl Ernst Osthaus initiierte und geleitete Deutsche Museum fuumlr Kunst in Handel und Gewerbe orientierte sich im Gegensatz zu den gesammelten sbquoPrunkstuumlckenlsquo in den Kunstgewerbemuseen an der zeitgenoumlssischen Produktkultur und entwickelte das mobile Instrument der Wanderausstellungen4 Im Kontext der Werkbund-Aktivitaumlten bis 1914 war das Museum von groszliger Bedeutung es nahm an zahlreichen Veranstaltungen teil organisierte selbst Vortraumlge und bot ein breites thematisches Spektrum von Ausstellungen an die jeweils an verschiedenen Orten gezeigt wurden Die groumlszligte Ausstellung German Applied Arts war 1912 in NewarkNew Jersey zu sehen und zirkulierte dann im Laufe eines Jahres durch die USA Auf dem Houmlhepunkt seiner Taumltigkeit um 191314 verlieh das Deutsche Museum uumlber seine sbquoAusstellungszentralelsquo 26 Ausstellungen mit ausgewaumlhlten Exponaten und Praumlsentationselementen gegen eine niedrige Ausleihgebuumlhr

Die Zielsetzung des Werkbunds und den damit verbundenen Auftrag des Deut-schen Museums formulierte Osthaus folgendermaszligen bdquoDie Bewegung zu einer modernen Kultur [hellip] hat ein voumlllig neues Verhaumlltnis zwischen den wesentlichen Faktoren unseres Wirtschaftslebens geschaffen Indem der Haumlndler bisher zwischen Erzeuger und Kaumlufer vermittelte formulierte er recht eigentlich den oumlffentlichen Geschmack [hellip] Der Kuumlnstler aus dem gewerblichen Leben ausgeschaltet stand resigniert bei Seite bis der Tiefstand unserer nationalen Kultur einem groumlszligeren Kreise von Kaumlufern fuumlhlbar wurde Es wurde das Problem der Zeit unter den vier Faktoren Kuumlnstler Erzeuger Haumlndler und Kaumlufer die wirtschaftliche Gleichung herzustellen An seiner Loumlsung arbeitet der Deutsche Werkbundldquo5

Das Deutsche Museum wurde dafuumlr kritisiert den kuumlnstlerischen Aspekt zu sehr zu betonen und die bdquokaufmaumlnnischen Gesichtspunkte insbesondere die For-derungen die der Kaufmann aus der Verfolgung seiner Ziele heraus dem Kuumlnstler stelltldquo6 zu vernachlaumlssigen Trotz der avantgardistischen Konzeption des Deutschen Museums fuumlr Kunst in Handel und Gewerbe ist bei den von Osthaus gefoumlrderten Kuumlnstlern beziehungsweise in deren gesammelten und ausgestellten Entwuumlrfen ein Changieren zwischen Luxuswaren und Alltagsprodukten zu erkennen Wenn man so will hielt Osthaus an den Idealen der Lebensreformbewegung und an seinen persoumlnlichen eher traditionellen Vorstellungen von der Funktion der Kuumlnste in der industriellen Massengesellschaft fest 1915 resuumlmierte er die widerspruumlchliche Situation bdquoMein Rat war Theorien und Beschluumlsse vom gruumlnen Tisch durch die Taten von Kuumlnstlern zu ersetzen die sich bewaumlhrt haben Dies im Gegensatz zu jener Gruppe von Propheten die einzig das Wort Qualitaumlt im Munde fuumlhren ohne eine Ahnung von Kunst zu habenldquo7

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Einen anderen Ansatz als Osthaus verfolgte Gustav Pazaurek der Werkbundmit-glied und Direktor des Landesgewerbemuseums in Stuttgart war Pazaurek legte ab 1909 eine Sammlung von sogenannten Geschmacksverirrungen an die bis heute existiert Sie umfasste bis zum Anfang der 1930er Jahre circa 900 Objekte die der Aumlsthetik des Werkbunds widersprachen Durch die genaue Auseinandersetzung mit Gestaltungsfehlern das heiszligt durch das abschreckende schlechte Beispiel wollte Pazaurek zu guter Qualitaumlt erziehen Seine Sammlung stellte er in einer Art sbquoFolter-kammer des Ungeschmackslsquo aus und entwickelte eine ausgefeilte Systematik von Gestaltungsfehlern in Bezug auf Material Konstruktion und Dekor die er 1912 unter dem Titel Guter und schlechter Geschmack im Kunstgewerbe publizierte8 Pazaurek konzentrierte sich auf die Kunst- und Zweckform das heiszligt auf formal-aumlsthetische Kriterien moralische Aspekte wurden in seiner Gestaltungskritik nicht direkt genannt Seine einmalige Entwicklung eines hyperdifferenzierten Antikanons bleibt ndash trotz der chauvinistischen Grundhaltung Pazaureks ndash eine interessante und anregende Aufforderung zur genauen Betrachtung der Dinge und ein Beitrag zur Frage ihrer Bewertung anhand begruumlndbarer Kriterien die heute eher in komplexen gesellschaftlichen Zusammenhaumlngen liegen als in reinen Gestaltungsmerkmalen9

Neben den genannten Museums- beziehungsweise Sammlungskonzepten war das Deutsche Warenbuch von 1915 ein flexibleres komplett ortsungebundenes Instrument zur aumlsthetischen Erziehung Der Werkbund gab diesen ersten Katalog vorbildhafter Erzeugnisse (Glas Porzellan Metallwaren Beleuchtungskoumlrper Haus- und Kuumlchengeraumlte) gemeinsam mit dem Duumlrerbund heraus Das Deutsche Warenbuch sollte laut Ferdinand Avenarius dem Gruumlnder des Duumlrerbundes bdquoein bilderreiches Verzeichnis auserlesener Wareldquo sein und der bdquoVerbreitung des Gutenldquo dienen10 Josef Popp schrieb im Einfuumlhrungstext des Warenbuchs bdquoDer vollendete Hausrat war stets einfach aber gediegen in Stoff und Arbeit edel und charakteris-tisch in der Form Dadurch hatte und hat er etwas Zeitlosesldquo11

Im Gegensatz zu den im Kontext des Deutschen Museums als beispielhaft he-rausgestellten kunstgewerblichen Objekten wurden im Warenbuch vorrangig von einer Werkbund-Jury ausgewaumlhlte Massenprodukte angepriesen Der Vertrieb der Produkte wurde auf genossenschaftlicher Ebene organisiert Das Warenbuch blieb bis 1927 unveraumlndert in Gebrauch und war sehr erfolgreich12 In den 1920er Jahren diversifizierte sich allerdings das Angebot an Ratgebern fuumlr Wohnungsausstattun-gen und die Aktivitaumlten des Werkbundes zur Gestaltung des Alltags uumlberschnitten sich mit denen des Bauhauses

In der Zeit des Nationalsozialismus wurde das Warenbuch ndash trotz Aufloumlsung des DWB 1938 ndash wieder aufgegriffen und von 1939 bis 1942 als Deutsche Waren-kunde in Form einer Loseblattsammlung mit 3000 Objekten vom evangelischen Kunst-Dienst im Auftrag der Reichskammer der bildenden Kuumlnste herausgegeben Diverse Werkbund-Mitglieder waren als Experten beteiligt etwa Hermann Gretsch Walter Passarge Hans Schwippert und Mia Seeger

Diese setzten die Arbeit an der Geschmackserziehung auch im wiedergegruumln-deten Werkbund der Nachkriegszeit fort unter anderem in der ab 1955 heraus-

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gegebenen Warenkunde fuumlr die dieselben Qualitaumltskriterien wie sbquoEinfachheitlsquo sbquoEhrlichkeitlsquo und sbquoKlarheitlsquo galten In der Bundesrepublik war die Verknuumlpfung von Ethik und Aumlsthetik allerdings noch in anderer Weise kulturpolitisch motiviert Nach dem totalen moralischen und oumlkonomischen Zusammenbruch Deutschlands spielte der 194950 als Gesamtverband reanimierte Verein eine zentrale Rolle dabei eine sachliche Produktkultur zu befoumlrdern und die deutschen Produkte zu Botschaftern eines besseren Deutschlands zu machen Die programmatischen An-saumltze der 1920er und 1930er Jahre kehrten wieder und wie in den fruumlhen Jahren trat in den Werkbund-Aktivitaumlten der 1950er und 1960er Jahre eine starke Aversion gegen alles Modische zutage Der nicht nur formalaumlsthetisch begruumlndete Begriff der sbquoGuten Formlsquo wurde gepraumlgt13 Mit den Warenkunden und den darin vorgestellten sbquoAusschnitten einer beruhigten Warenweltlsquo sollte der Kommunikationszusammen-hang zwischen Entwerfern Produzenten Haumlndlern und Konsumenten geordnet und gesteuert werden

Neben den Warenkunden die sich auf die Empfehlung des Einzelprodukts konzentrierten gab es nach dem Zweiten Weltkrieg noch weitere Instrumente die der aumlsthetischen Schulung dienten Die Wohnberatung sowie die Einrichtung von Musterwohnungen bezogen sich auf die Gestaltung des alltaumlglichen Lebensumfelds die Werkbundkisten die an Hauptschulen und Gymnasien eingesetzt wurden und sich an Schuumller als die kuumlnftigen Verbraucher richteten waren Teil der Bildungs-programme in den verschiedenen Bundeslaumlndern

Wie an den vorgestellten vom Werkbund entwickelten Instrumenten deutlich wird hat die Vereinigung in all ihren Strategien versucht die Sprache der Dinge im Waren-kontext rational zu steuern und nur die Vernunft im Verhaumlltnis zwischen Menschen und Dingen gelten zu lassen die sich in den Leitbegriffen Nuumltzlichkeit Zweckmaumlszligig-keit Sachlichkeit manifestierte Die formierende Kraft der Industrialisierung auf die gesamte Alltagskultur wurde vom Werkbund in eine intentionale Dingsprache und Gestaltungsabsicht uumlbersetzt Die Dinge sollten zu stummen Helfern und Dienern werden wie es Erwin Braun fuumlr die Produkte seiner Braun AG reklamierte Die im Kontext der Beratungs- und Erziehungsaktivitaumlten des Werkbunds benutzte Begriff-lichkeit folgte einem Top-down-Modell und zeigte ein rigides Sendungsbewusstsein Spaumltestens Ende der 1960er Jahre wandte sich der Werkbund jedoch von der Idee ab das Konsumverhalten der Gesellschaft maszliggeblich beeinflussen zu koumlnnen

Die im Rahmen dieser Publikation vorgelegte Anthologie von Quellentexten und Studie von Alena Janatkovaacute zum Tschechoslowakischen Werkbund und zum Werk-bund der Deutschen in der Tschechoslowakei bietet eine fruchtbare Erweiterung der Erkenntnisse zu den Werkbundaktivitaumlten jenseits der Grenzen des Deutschen Reiches Der Modellcharakter des Deutschen Werkbunds auch im oumlstlichen Mitteleuropa ist dabei besonders interessant da dazu bisher wenig publiziert wurde und vor allem der Oumlsterreichische (1912 gegruumlndet) und der Schweizerische Werkbund (1913 gegruumlndet und heute noch existent) im Bewusstsein einer Fachoumlffentlichkeit sind

Renate Flagmeier

Der Werkbund steht fuumlr Reformen des Kunstgewerbes und der Kunstindustrie die er lautstark im Sinne einer Modernisierung von Alltag Leben und Wohnen durch Qualitaumltsarbeit und Qualitaumltsprodukte verkuumlndete und zu einem Erfolg machte14 Nach dem Auseinanderbrechen der Habsburgermonarchie konnte er sich auch im oumlstlichen Mitteleuropa und zwar nachdruumlcklich in dem neu gegruumlndeten Nationalstaat Tschechoslowakei eine Schluumlsselstellung im soziooumlkonomischen Modernisierungsprojekt sichern Welche Gestalt nahm die Reformbewegung unter den tschechoslowakischen Bedingungen gemaumlszlig dem Verhaumlltnis der beteiligten Akteure und Zielgruppen an Nach wem richteten sich ihre Bestrebungen und wohin steuerten sie Hier stellt sich zugleich die Frage nach der Bedeutung des Bucherfolgs bdquoMitteleuropaldquo von Friedrich Naumann einem der fuumlhrenden Koumlpfe des DWB der die Konzeption einer Wirtschaftsgemeinschaft unter deutscher Fuumlhrung propagiert hatte15

Zwei nebeneinander bestehende tschechoslowakische Werkbundgruumlndungen sollen im Folgenden uumlber diese Bestrebungen Auskunft geben naumlmlich der Tsche-chischeTschechoslowakische Werkbund (Svaz ČeskeacutehoČeskoslovenskeacuteho Diacutela SČDSČSD) und der Werkbund der Deutschen in der Tschechoslowakei (WDT) Beide Vereine waren Akteure innerhalb der tschechoslowakischen beziehungsweise in der tschechischen slowakischen und deutschen Kultur in Boumlhmen Maumlhren und der Slowakei Inmitten der tschechoslowakischen Kulturpolitik Ende der 1920er Jahre waren sie zugleich Konkurrenten Der SČDSČSD und der WDT vertraten unterschiedliche national definierte Interessengruppen zudem differierten diese Gruppierungen auch in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht Entscheidende Be-deutung hatte dabei das Vorbild der bereits etablierten Kulturinstitution Deutscher Werkbund (DWB) als Bezugspunkt fuumlr beide Nachfolgeeinrichtungen wie auch fuumlr einzelne Ortsgruppen Der Modellcharakter des Deutschen Werkbundes bezog sich im Sinne von Joan Campbell und ihrer nach wie vor grundlegenden Analyse des DWB prinzipiell auf die vereinsmaumlszligige Gestaltung der Beziehung zwischen Kunst und Gesellschaft einschlieszliglich einer Neuausrichtung ihres Verhaumlltnisses und speziell auf die Rolle der Eliten bei der intendierten Modernisierung bezie-hungsweise Demokratisierung von Kultur in der Gesellschaft16 Die Etablierung der selbststaumlndigen Vereine SČDSČSD und WDT war durch den historischen Einschnitt von 1918 insofern bedingt als dass diese Vereine verschiedene Positionierungen des Werkbunds im neuen kulturpolitischen Kontext der Tschechoslowakei definier-ten Gegenuumlber Naumanns Idee von bdquoMitteleuropaldquo einem um Deutschland und Oumlsterreich versammelten Staatenbund suchte die Tschechoslowakei naumlmlich ihre politische und wirtschaftliche Unabhaumlngigkeit zu behaupten wobei nunmehr die

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eigenen nationalen Ziele das Zentrum ihres Interesses bildeten17 In eben diesen verschiedenen kulturpolitischen Zusammenhaumlngen ndash einerseits von Naumanns bdquoMitteleuropaldquo andererseits der neuen Tschechoslowakei ndash lassen sich die Konturen von WDT und SČDSČSD erkennen

Die nach wie vor einzige Uumlberblicksdarstellung zu dem im Winter 191314 ge-gruumlndeten Tschechischen Werkbund (SČD wiedergegruumlndet 1920 als Tschecho-slowakischer Werkbund SČSD) erschien im Publikationsrahmen von Forschungen uumlber den 1912 in Wien eingerichteten Oumlsterreichischen Werkbund (OumlWB)18 Hier vertritt der SČD jene bdquoneue Kulturorganisationldquo innerhalb Oumlsterreichs die gemaumlszlig ihrer Programmatik der tschechischen Produktion eine kuumlnstlerische Eigenart und Selbststaumlndigkeit sichern sollte19 Deutlich wird der Vorbildcharakter des Deutschen Werkbundes nochmals im Kontext der Bauausstellungen wie diesen die Mono-grafie zur Prager Bauausstellung Baba des SČSD von 1932 herausstellt und zwar ebenso grundsaumltzlich betreffend die Exposition des Wohnens in der Groszligstadt wie auch hinsichtlich spezifischer staumldtebaulicher und architektonischer Loumlsungsansaumltze nach dem Muster der Stuttgarter Werkbundsiedlung Am Weiszligenhof von 192720 Der Werkbund der Deutschen in der Tschechoslowakei (WDT) ist hingegen bisher nicht zusammenfassend eroumlrtert worden Mit den hier zusammengestellten Quellen wird daher weniger im Zusammenhang mit dem SČDSČSD als vielmehr mit dem weitgehend unerforschten WDT Neuland betreten

Keiner der tschechoslowakischen Werkbundvereine wurde bisher hinsichtlich des vereinsspezifischen und kulturpolitischen Kontextes einer Gemeinschafts-bildung zwischen Kuumlnstlern und einzelnen Produktionszweigen innerhalb der liberalisierten buumlrgerlichen Gesellschaft betrachtet Erst aus dieser Perspektive koumlnnen jedoch Erkenntnisse uumlber Strukturmerkmale der tschechoslowakischen Werkbundeinrichtungen gewonnen werden Aber auch die Kulturorganisation Deutscher Werkbund wird als Exportmodell neu beleuchtet

Ziel der vorliegenden Anthologie ist es anhand der wichtigsten programmati-schen Schriften einen systematischen Vergleich des tschechischen SČDSČSD mit dem deutschen WDT einzuleiten Den Ausgangspunkt bilden die Vereins-satzung sowie Programmatik des reichsdeutschen DWB und deren Modifizierung bei den Nachfolgegruumlndungen bdquoDer Zweck des Bundes ist die Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst Industrie und Handwerk durch Erziehung Propaganda und geschlossene Stellungnahme zu einschlaumlgigen Fragenldquo21 Der hier formulierte Plan einer Symbiose zwischen Unternehmertum und Kuumlnstlerschaft wurde von der etwa zur Haumllfte aus Kuumlnstlern und zur Haumllf-te aus Unternehmern zusammengesetzten Gruumlndungsversammlung des DWB reflektiert Die massenwirksame Popularisierung der Werkbundprogrammatik war von Anfang an kennzeichnend fuumlr die bildungs- und wirtschaftsbuumlrgerliche Progressivitaumlt des reichsdeutschen Vereins Seine Ambitionen richteten sich auf eine deutsche Massenkultur die anstelle der vormaligen bildnerischen und aumlstheti-

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schen Hochkultur nunmehr im Sinne einfacher Gebrauchskunst den Alltag breiter Bevoumllkerungsschichten praumlgen sollte Dennoch war die Fortschrittsglaumlubigkeit welche mit dem erzieherischen Impetus der Reformer stillschweigend voraus-gesetzt wurde noch dem Denken des 19 Jahrhunderts verpflichtet22 Letztlich war der Verein DWB aus der Kunstgewerbebewegung hervorgegangen er suchte sich jedoch in Auseinandersetzung mit den technischen Errungenschaften der Industrialisierung neu zu positionieren Die Werkbundarbeit umfasste ebenso unterschiedliche Produzenten sowie diverse Lobbys naumlmlich die im Werkbund organisierten Handwerker Kuumlnstler Firmen beziehungsweise Produktionsstaumltten wie sie auch auf eine weit gestreute Akzeptanz bei den Konsumenten angewiesen war Frederic J Schwartz lenkt daher die Aufmerksamkeit von den Mitgliedern auf das Wesen der Kulturorganisation Deutscher Werkbund gemaumlszlig den Regeln eines kapitalistischen Wirtschaftssystems von dem gleichzeitig die moderne Massenkultur und ihre Durchsetzung gekennzeichnet waren23 Uumlber die natio-naloumlkonomischen Vorteile dieser Massenkultur hinaus wird von dem Historiker Wolfgang Hardtwig die gruumlndliche aumlsthetische Reform des Wohnens und Lebens mit einer egalisierenden befriedenden Wirkung in Verbindung gebracht die im gesellschaftspolitischen Kontext des spaumlten Kaiserreichs auf die sozial ausein-anderdriftende Gesellschaft zielte eine Absicht die wiederum unter nationalem Vorzeichen vorangetrieben wurde In Wirklichkeit hatte vor dem Ersten Weltkrieg die neue industriewirtschaftliche Reformaumlsthetik gemaumlszlig Hardtwig allerdings nur die Kreise des Wirtschafts- und Bildungsbuumlrgertums erreicht24

Verbindlicher Kontext fuumlr den Werkbund in den boumlhmischen Laumlndern und fuumlr dessen Strukturmerkmale war vor dem Ersten Weltkrieg Oumlsterreich und der OumlWB der im Zusammenhang mit der Wiener Tagung des DWB 1912 initiiert worden war Das Konzept der Schoumlpfung und wirtschaftlichen Durchsetzung einer einheitlichen Werkkultur des OumlWB ist bei Max Eisler eingehend dargelegt Die Eigenart der oumlsterreichischen Werkkultur war demnach nicht von der industriewirtschaftlichen sondern von der handwerklichen Aumlsthetik bestimmt25

Im OumlWB waren zugleich auch die Interessen des Kunstgewerbes und der Kunst-industrie der boumlhmischen Laumlnder hervorragend repraumlsentiert Im Ausschuss des sich zentralistisch von Wien aus konstituierenden OumlWB waren als Ortsvertrauens-maumlnner aus Boumlhmen Maumlhren und Schlesien vertreten Heinrich Fanta (Professor an der kk Staatsgewerbeschule in Reichenberg) 26 Robert Freiszligler (Sekretaumlr der Handels- und Gewerbekammer fuumlr Schlesien) 27 Julius Leisching (Direktor des Erzherzog-Rainer-Museums Bruumlnn) 28 Johannes Oertel (Praumlsident des Verbandes der nordboumlhmischen Glasindustriellen Haida) Otto Primavesi (Vizepraumlsident der Oumllmuumltzer Handels- und Gewerbekammer) Ernst Schwedeler-Meyer (Direktor des Nordboumlhmischen Gewerbemuseums)29 Josef Zasche (Baurat Prag) 30 Auszligerdem zaumlhlten zu den Mitgliedern die Wiener Werkstaumltte die Prager Kuumlnstlergenossen-schaft bdquoArtělldquo die staatlichen kunstgewerblichen Fachschulen in Haida Stein-schoumlnau Teplitz-Schoumlnau und Znaim sowie zahlreiche Erzeuger und Haumlndler aus

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den boumlhmischen Laumlndern Trotz seiner deutschnationalen Orientierung fanden sich somit im OumlWB noch 1916 auch einzelne tschechische Unternehmen31

Ausgehend von dieser gemeinsamen Tradition in der oumlsterreichischen Kunst-gewerbereform der Wiener Secession und dem oumlsterreichischen Kulturliberalis-mus32 mit seiner gezielten Foumlrderung regionaler sowie lokaler kunstgewerblicher Bildungsinstitutionen durch den OumlWB und dessen Wegbereiter den Wiener Direktor des kk Gewerbefoumlrderungsamtes Adolf Vetter wird die Entwicklung von zwei eigenstaumlndigen nationalen Vereinen in den boumlhmischen Laumlndern und der Tschecho-slowakei beobachtet Trotz des gemeinsamen Ursprungs im OumlWB der mit Josef Hoffmann und seiner Wiener Werkstaumltte das Handwerk gegenuumlber der industriellen Produktkultur praumlferiert hatte gelang es im neuen Nationalstaat Tschechoslowa-kei nicht innerhalb des Werkbunds eine Uumlbereinkunft zwischen den in sozialer und in wirtschaftlicher Hinsicht unterschiedlichen Interessengemeinschaften der Tschechen und Deutschen zu finden Ansaumltze einer Kooperation mit gemeinsamer Interessenvertretung muumlndeten schlieszliglich in eine Konkurrenzsituation von zwei selbststaumlndigen Werkbundvereinen

Die Gruumlndung des SČD war im Zusammenhang mit der Koumllner Werkbundaus-stellung (1914) von dem Architekten Jan Kotěra33 initiiert worden um im Oumlster-reichischen Pavillon den eigenstaumlndigen Auftritt tschechischer Kuumlnstler und ihrer raumgestalterischen Gesamtkunstwerke zu ermoumlglichen In den Leitsaumltzen des SČD standen die Veredelung der kunstgewerblichen und industriellen Produkte unter Beteiligung der Kuumlnste gemaumlszlig einer national charakteristischen Herstel-lungsweise Ein weiteres Ziel war die Erziehung des Publikums Obgleich der Wortlaut eine enge Anlehnung an die Programmatik des Deutschen Werkbundes offenbart bezog sich der SČD namentlich auf den englischen Kunstkritiker und Kulturphilosophen John Ruskin (1819ndash1900) und generell auf die Vorlaumlufer der Kunstgewerbereform in England Mit dieser Ruumlckbesinnung auf die bdquoArts and Craftsldquo-Bewegung wurde die handwerkliche Tradition favorisiert Unter den 25 Gruumlndungsmitgliedern fanden sich im SČD bevorzugt Architekten und Kuumlnstler wie Josef Gočaacuter34 Dušan Jurkovič35 Celda Klouček36 Emil Kraacuteliacutek37 František Kysela38 Otakar Novotnyacute39 Jiřiacute Stibral40 und Joacuteža Uprka41 unter den Unter-nehmern waren der Keramikproduzent Emil Sommerschuh und der Verleger Jan Štenc42 zudem Politiker wie Ferdinand von Lobkowitz43 letzter Vorsitzender der boumlhmischen Regierung Oumlsterreichs und der Oumlkonom Rudolf Hotowetz4445 In der sozialen Zusammensetzung des Vereins blieb die Dominanz der Architekten gegen-uumlber den Unternehmern bestimmend und zwar auch nach dem Ersten Weltkrieg im wiedergegruumlndeten und anfangs deutlich nationalistisch aufgestellten Verein SČSD Der Vorsitzende wurde der Architekt Josef Gočaacuter 1925 gefolgt von dem Architekten und langjaumlhrigen Vereinsvorsitzenden Pavel Janaacutek46 und schlieszliglich von dem Architekten Oldřich Staryacute47 Zum Vorstand gehoumlrte neben Vertretern der Gewerbekammern des Industriellenverbandes und Regierungsmitarbeitern zudem der Kunsthistoriker Vaacuteclav Vileacutem Štech48 vom Schulministerium Im Nationalstaat

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Tschechoslowakei war der SČSD bestens im Netzwerk des staatlichen Kultur-betriebs eingebunden vom Schulministerium wurde seine Zusammenarbeit mit den Kunstgewerbeschulen und Museen gefoumlrdert Nach der Neugruumlndung war das Prager Kunstgewerbemuseum Veranstaltungsort der Vereinsausstellungen49 aber auch auf der Prager Mustermesse hatte der SČSD regelmaumlszligig fuumlr sich und seine Mitglieder geworben50 Dem Verein wurde daruumlber hinaus die Verantwortung fuumlr die Ausrichtung tschechoslowakischer Kunstgewerbeausstellungen uumlbertragen Vereinsorgan war zunaumlchst die avantgardistische Zeitschrift bdquoUměleckyacute měsiacutečniacutekldquo [Kuumlnstlerische Monatsschrift] die 1921 von bdquoVyacutetvarnaacute praacuteceldquo [Gestaltendes Werk] des Verlegers Štenc abgeloumlst jedoch 1925 aus wirtschaftlichen Gruumlnden wieder eingestellt wurde nach regelmaumlszligiger Berichterstattung in bdquoVyacutetvarneacute snahyldquo [Ge-staltende Bemuumlhungen] folgte dann 1931ndash33 nochmals ein eigener Auftritt mit der Vereinszeitschrift bdquoŽijemeldquo [Wir leben] In bdquoŽijemeldquo erschien auch 1931 die uumlberarbeitete Vereinssatzung mit der Verpflichtung zur Unterstuumltzung aller Be-muumlhungen um eine Verbesserung des allgemeinen Lebensstandards51 Damals war ein Anstieg der gesellschaftlichen Mobilisierung auf fast 500 Vereinsmitglieder zu verzeichnen davon waren circa ein Drittel bildende Kuumlnstler und Architekten52 In den weiteren Jahren bis zur Aufloumlsung wurden die Vereinsmitteilungen in ver-schiedenen Architektur- und Kulturzeitschriften veroumlffentlicht

Seit Anfang der 1920er Jahre wurde aber auch an der Konstituierung des WDT als Pendant zum SČSD innerhalb der Tschechoslowakei gearbeitet Die Gruumln-dungsmitglieder versammelten sich am 25 Mai 1925 in LiberecReichenberg dem wirtschaftlichen Zentrum Nordboumlhmens und vormaligen Austragungsort der Deutschboumlhmischen Ausstellung (1906)53 Seit 1922 fand hier die Reichenberger Messe statt Vertreter der in Nordboumlhmen angesiedelten traditionsreichen Gewer-bezweige der Glas- und Tuchherstellung waren mit anderen deutschboumlhmischen schlesischen und maumlhrischen Produzenten bereits Mitglieder im OumlWB gewesen beziehungsweise ihre Produktionszweige hatten zu den Hauptbetaumltigungsgebieten des oumlsterreichischen kk Gewerbefoumlrderungsamtes gezaumlhlt Unter dem Vorsitz des Teppichfabrikanten Willy Ginzkey54 versammelten sich im WDT insgesamt 44 deutsche Einzel- und Mittelspersonen aus Bildung Handel und Gewerbe der Tschechoslowakei (Handels- und Gewerbekammern Gewerbevereine Deutsche Technische Universitaumlten kunstgewerbliche Fachschulen Kunstvereine wie der Metznerbund) Im Arbeitsausschuss waren auch prominente Vertreter der tsche-choslowakischen Denkmalaumlmter wie Karl Kuumlhn55 Rudolf Houmlnigschmid56 und der Architekt und Kunsthistoriker Otto Kletzl57 praumlsent Anlass fuumlr die Gruumlndungs-versammlung gaben die Pariser Ausstellung Arts Deacuteco (1925) und der Wunsch nach einer selbststaumlndigen Exposition der Deutschen im Tschechoslowakischen Pavillon Die Vereinsgruumlndung wurde jedoch erst Anfang des Jahres 1926 durch eine staatliche Genehmigung der Vereinssatzung bestaumltigt Zugleich wurde dem Verein jegliche politische Betaumltigung untersagt58 Publikationsorgan des WDT wurde das von Otto Kletzl herausgegebene bdquoSudetendeutsche Jahrbuchldquo veroumlffentlicht

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mit Unterstuumltzung der sogenannten bdquoSudetendeutschen Schutzverbaumlndeldquo (Bund der Deutschen Deutscher Kulturverband Deutscher Turnverband) in der Tsche-choslowakei Dieser Kontext ist kennzeichnend fuumlr eine Diskursgemeinschaft des WDT die innerhalb der tschechoslowakischen Wirtschaft und Kultur tendenziell die Vorzuumlge der Deutschen im Blick hatte und nur bedingt vom Staat unterstuumltzt wurde

So unterschiedlich die wirtschaftliche und kulturelle beziehungsweise politische Orientierung des SČDSČSD gegenuumlber dem WDT war so verschieden gestaltete sich auch die Entwicklung beider Vereine die innerhalb der gesetzten Rahmen-bedingungen durchaus elitaumlr aufgestellt waren Handwerker oder einfache Arbeiter waren weder im Vereinsvorstand noch im Arbeitsausschuss praumlsent An einem Zusammenschluss des WDT mit dem SČSD zeigte der Staat zwar Interesse weil dies wohl auszliger Kooperation auch Kontrolle bedeutet haumltte Diese Verbindung war jedoch von keinem der Vereine gewollt Es blieb bei einer Konkurrenzsituation zwischen den zwei tschechoslowakischen Werkbundeinrichtungen die jede fuumlr sich mit eigener Werkbundarbeit die Produzenten durch Wettbewerbe zu motivieren und die Konsumenten auf Ausstellungen sowie mit Publikationen zu uumlberzeugen suchte Waumlhrend sich der SČSD zunehmend fuumlr eine tschechoslowakische Massenkultur einsetzte die vom modernen Wohnen ausgehend alle Lebensbereiche einbeziehen und dabei explizit auch die Slowakei integrieren sollte richtete er sich nach den aktuellen Bestrebungen des Deutschen Werkbunds an dessen bdquoBund mit der Zu-kunftldquo der Jahre 1924ndash1928 (Joan Campbell) Die angestrebte Vereinheitlichung der Gesellschaft nach spezifisch buumlrgerlichen Norm- und Wertvorstellungen ge-maumlszlig den Anspruumlchen an Hygiene Gesundheit und Ordnung wandte sich ebenso gegen vermeintliche Niederungen der Wohnverhaumlltnisse sozialer Grundschichten wie gegen einen sogenannten Luxus den bildungsbuumlrgerlichen Idealen zufolge sollte diese Egalisierungsabsicht durch Erziehung an Breitenwirkung gewinnen Damit verbunden war zugleich eine Internationalisierung der Gesellschaft die das gesamte Lebensumfeld betraf59 Anstelle der Foumlrderung von kulturellen Traditionen sowie Eigentuumlmlichkeiten eines populaumlren bdquoLokalkoloritsldquo wurde nunmehr der internationale Standard propagiert Unter der Praumlmisse LichtndashLuftndashSonne galt es allerdings den Forderungen der Hygienebewegung gemaumlszlig den lokalen Verhaumlltnis-sen gerecht zu werden und entsprechende aktuelle Wohnmodelle in landeseigener Produktion von der architektonischen Planung bis zur Einrichtung herzustellen ndash gerade Pavel Janaacutek hatte hier mit seiner Architekturklasse an der Prager staatlichen Kunstgewerbeschule intensiv an Loumlsungen gearbeitet die den lokalen Bedingungen in technischer wie auch materialspezifischer Hinsicht angepasst sein sollten60 Die Etablierung des SČSD als der tschechoslowakischen Kulturorganisation mit offi-ziellem Auftrag einer Auszligendarstellung der tschechoslowakischen Kultur scheiterte zwar an Interessenkonflikten und Finanzierungsfragen zwischen den Ministerien61 dennoch wurde sein Modernisierungsprojekt im Zusammenspiel der Ortsgruppen mit der Kommunalpolitik unter anderem in BratislavaPressburg BrnoBruumlnn oder Hradec KraacuteloveacuteKoumlniggraumltz vorangetrieben62 Parallel zur wirtschaftlichen und

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rechtlichen Sicherstellung der Existenzgrundlage des tschechoslowakischen Kunst-gewerbes beziehungsweise der Kunstindustrie verfolgte der SČSD ebenfalls seine gesellschaftlichen Erziehungsideale in Zusammenhang mit einem umfassenden Bildungsauftrag der Kunstgewerbemuseen und in eigenen Ausstellungsraumlumen auf Wander- und Auslandsausstellungen in Verkaufs- und Beratungsstellen Biblio-theken und Archiven63 Der WDT hingegen geriet als Vertreter von Luxusproduk-tionszweigen und Exportartikeln der Schmuck- und Glasindustrie zunehmend ins Abseits diese Tendenz wurde durch die Weltwirtschaftskrise noch verstaumlrkt Die geplante Gruumlndung einer Ortsgruppe in Bruumlnn haumltte womoumlglich die uumlberregionale Positionierung des WDT weiter staumlrken koumlnnen sie kam allerdings nicht mehr zustande Nach dem Ableben des Vorsitzenden Ginzkey im Jahr 1934 verliert sich die Spur des WDT Damals wurde auch die bdquosudetendeutsche Kulturpolitikldquo im Interesse des Deutschen Reiches neu sortiert Diese kulturpolitische Umbruch-situation hinterlieszlig ebenfalls beim SČSD ihre Spuren Infolge der Besetzung der so bezeichneten sudetendeutschen Gebiete 1939 wurde der nunmehr auf SČD geschrumpfte tschechische Verein in der bdquoZweiten Republikldquo und im bdquoReichspro-tektorat Boumlhmen und Maumlhrenldquo weiterhin geduldet nach dem Zweiten Weltkrieg wird der bis dahin selbststaumlndige Verein im Jahr 1948 aufgeloumlst

Zur AnthologieDie nachfolgende Auswahl an Quellenmaterial (deutschsprachige Texte im ur-spruumlnglichen Wortlaut tschechischsprachige Texte in deutscher Uumlbersetzung Abbildungen vorzugsweise von Gebrauchsdingen aus dem Publikations- und Aus-stellungskontext der Werkbundvereine) dokumentiert den Werdegang des Werk-bundes in den boumlhmischen Laumlndern und bietet eine Grundlage fuumlr die vergleichende Forschung zum Exportmodell DWBOumlWB und den nachfolgenden tschechischen beziehungsweise tschechoslowakischen Werkbundinitiativen Ausgangspunkt ist vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs der OumlWB Bei Max Eisler erscheint die Idee einer gemeinsamen oumlsterreichischen Werkkultur als ein geschlossener Produkti-ons- und Konsumentenzirkel ndash vom Kuumlnstler ausgehend uumlber den Bildungsweg den Erzeuger den Aussteller bis hin zum Haumlndler und Kaumlufer ndash differenziert64 Das Programm des SČD65 und die Buchpublikation des Tschechischen Werkbundes zur Koumllner Ausstellung von 191466 verdeutlichen das Profil des sich separierenden tschechischen Vereins Fuumlr die Entwicklung des Werkbundes in der Zwischen-kriegszeit stehen einerseits das neue Programm des SČSD (1921)67 sowie dessen Uumlberarbeitung in den 1930er Jahren68 und andererseits das Programm des WDT von 192769 Die jeweilige Programmatik beider tschechoslowakischer Werkbund-vereine wird mit entsprechend charakteristischen Bildfolgen illustriert wobei die abschlieszligende Bildfolge der Werbebroschuumlre des SČSD bdquoUumlber das Wohnenldquo70 Aufschluss uumlber seine Neuausrichtung in den 1930er Jahren und somit uumlber die letzte offensive Arbeitsetappe des tschechischen Vereins gibt

18 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die vorliegende Publikation ist Ergebnis des Forschungsprojekts bdquoDer Tschecho-slowakische Werkbund und der Werkbund der Deutschen in der Tschechoslowa-keildquo das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft uumlber zwei Jahre groszligzuumlgig gefoumlrdert am Institut fuumlr Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik Fach-gebiet Kunstgeschichte der Technischen Universitaumlt Berlin durchgefuumlhrt wurde Die Realisierung des Projekts war nur moumlglich dank dieser Foumlrderung sowie der tatkraumlftigen Unterstuumltzung des Instituts und insbesondere dank der versierten An-teilnahme von Magdalena Bushart Gestaumlrkt wurde der Forschungsfortgang durch die sachkundige Kooperation mit Vladimiacuter Šlapeta (Technische Universitaumlt BrnoBruumlnn Fakultaumlt Architektur Abteilung Theorie) der Stiftung Bibliothek Werner Oechslin und Renate Flagmeier (Werkbundarchiv ndash Museum der Dinge) sowie das freundliche Entgegenkommen von Anna Kašparovaacute und Jan Mohr (Nordboumlhmisches Gewerbemuseum LiberecReichenberg) Ihnen und den vielen hilfsbereiten Mit-wirkenden bei Recherchen in den Archiven (Bundesarchiv Berlin Werkbundarchiv Berlin Architekturarchiv Nationales Technikmuseum PrahaPrag Nationalarchiv Prag Landesarchiv Reichenberg Archiv des Nordboumlhmischen Gewerbemuseums Reichenberg Landesarchiv Bruumlnn Stadtarchiv Bruumlnn Landesarchiv OpavaTroppau) und den Bibliotheken (Bibliothek Nordboumlhmisches Gewerbemuseum Reichenberg Bibliothek Nationales Technikmuseum Prag Kunstbibliothek Berlin Staatsbibliothek Berlin Staatsbibliothek Prag) bin ich in Dankbarkeit verbunden

19Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Oumlsterreichische Werkkultur

Aus den Statuten des Oumlsterreichischen Werkbundes 71

sect 2 Der Zweck des Vereines ist die Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst Industrie und Handwerk durch Erziehung und Propaganda die Pflege des kunstgemaumlszligen Echten aller Zeiten auf allen Gebieten menschlicher Betaumltigung Hebung des kuumlnstlerischen Geschmackes und Urteiles und Foumlrderung aller gleichen Zielen zugewandten Bestrebungen Dabei soll auf die Pflege und Entwicklung der nationalen Eigenart der kuumlnstlerischen und gewerblichen Produktion besonderes Augenmerk gerichtet werden

sect 4 Dem Verein gehoumlren an 1 Ehrenmitglieder 2 Stifter 3 Ordentliche Mitglieder

sect 7 Ordentliche Mitglieder des Vereines koumlnnen sein Kenner Kuumlnstler Industrielle und Gewerbetreibende

sect 8 Die Aufnahme der Mitglieder erfolgt nur nach vorhergegangener Einladung durch Beschluszlig des Vorstandes und wird durch Eintragung in die Mitgliederliste vollzogen die vom Generalsekretaumlr gefuumlhrt wird Von der Konstituierung des Vereines werden die Mitglieder durch die Proponenten aufgenommen

sect 9 Der jaumlhrliche Beitrag der ordentlichen Mitglieder wird von jedem Mitgliede durch Selbsteinschaumltzung nach dem Maszlige seiner Leistungsfaumlhigkeit festgesetzt betraumlgt fuumlr einzelne Personen mindestens zehn Kronen fuumlr Firmen mindestens fuumlnfzig Kronen

Uumlber das bdquoWerkschaffenldquo gemaumlszlig dem Verstaumlndnis des OumlWB (gegr 1912) unter-richtet 1916 die repraumlsentative Publikation des Wiener Kunsthistorikers und Gruumlndungsmitglieds des OumlWB Max Eisler Es handelt sich dabei um eine mit den Jahrbuumlchern des Deutschen Werkbundes vergleichbare Konsultation des eigenen Standpunktes im aktuellen Kulturdiskurs An den Jahrbuumlchern war auch die Buchge-staltung orientiert72 Der OumlWB identifizierte sich damit in seinem Selbstverstaumlndnis und zugleich in seiner Selbstdarstellung mit dem DWB Diese Uumlbereinstimmung zwischen OumlWB und DWB uumlberrascht kaum hatte doch der Letztere seit seiner Gruumlndung den gesamten deutschen Sprachraum inklusive Oumlsterreich zum eigenen Arbeitsgebiet erklaumlrt73

20 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Oumlsterreichische Werkkultur wird bei Eisler in sechs Kapiteln dargestellt die ein geschlossenes System der Werkerziehung praumlsentieren Der umfassende Anspruch an bdquoWerkkunstldquo als bdquoLebensgestaltungldquo wird eingangs mit dem Ent-wurf fuumlr einen neuen Wiener Stadtbezirk74 von dem Wiener Architekturtheoretiker Stadtplaner und OumlWB Mitglied Otto Wagner demonstriert und zwar im Sinne des ganzheitlichen groszligstaumldtisch gepraumlgten Kulturbegriffs vom Sofakissen bis zum Stadtplan75 beziehungsweise hier von der Stadtplanung bis zur Wohnstaumltte und ihrer Einrichtung bdquoAus allen Schoumlpfungen blickt dieselbe auf den klar erkannten Voraussetzungen bauende rein in ihren Grenzen taumltige Art des Meisters der die Vielheit der Aufgaben durch die Einheit seiner geraden werktuumlchtigen Gesinnung bewaumlltigt und uumlberwindetldquo76

Der Kuumlnstler ndash und namentlich insbesondere der Wiener Architekt und Kunst-gewerbler Begruumlnder der Wiener Werkstaumltte und Mitbegruumlnder des OumlWB Josef Hoffmann ndash wird im ersten Kapitel als der Schoumlpfer der groszligstaumldtischen bdquoWerkformldquo eingefuumlhrt Theoretisch wird diese bdquoWerkformldquo mit Hilfe des Gedankengebaumludes einer bdquoKern-ldquo und bdquoKunstformldquo verdeutlicht zusaumltzlicher Schmuck wird jedoch abgelehnt bdquoDie Fassade ist das Kleid fuumlr das Hausinnere Der Stuckprunk auf einer Zinshausfassade ist wie der Abendflitter eines armseligen Komoumldiantenldquo77 Mit solchen Vorstellungen der Bekleidungstheorie hatte sich kurz zuvor Otto Wagner auseinandergesetzt78

Das zweite Kapitel befasst sich mit dem Bildungsauftrag der bdquoWerkerziehungldquo Der Kuumlnstler avanciert dabei zum Lehrer der nach einem Lehrplan letztlich sein freies Schaffen in den zweckgebundenen Dienst des oumlffentlichen Lehrauftrags stellt79 Verbindliche Praumlmisse der ganzheitlichen bdquoWerkerziehungldquo ist bdquoder Mensch [als] der Maszligstab dieser Dingeldquo des Alltagsgebrauchs Nach dieser Regel in der Architekturtheorie seit Vitruv soll sich auch die Ausbildung zum selbststaumlndigen Werkkuumlnstler richten80 Die kk Kunstgewerbeschule gilt im Zusammenhang mit der Mustersammlung des kk Oumlsterreichischen Museums fuumlr Kunst und Industrie in Wien als vorbildlich fuumlr eine wirksame durchaus zentralistisch beziehungs-weise hierarchisch organisierte Werkerziehung selbststaumlndiger Werkkuumlnstler Die einzelnen kk Fachschulen erfuumlllen hier ihre Aufgabe als Multiplikatoren dieser zentralen Einrichtung Eine weitere Oumlffentlichkeit soll mit Unterrichtsangeboten in Kunst und Technik an den Kunstgewerbeschulen erreicht werden diese Oumlffnung der Bildungseinrichtungen zielt uumlber die kunstgewerblichen Produktionskreise hinaus auf eine Erziehung des konsumierenden Publikums81

Unter den bdquoErzeugernldquo denen sich das dritte Kapitel widmet werden ebenso die selbststaumlndigen Werkkuumlnstler wie alle Handwerker und Heimarbeiter aufgefuumlhrt Als bedeutende Neuerung in dieser Produktion gelten dem OumlWB wie zuvor dem DWB die Industriearbeiter gerade mit ihnen wird die kuumlnftige soziale Aufgabe in Verbindung gebracht Prinzipiell soll die Werkkultur innerhalb der Industrie gestaumlrkt werden wofuumlr exemplarisch die enge Verflechtung des Bildungsauftrags der Fachschulen mit der boumlhmischen Glasproduktion der Massenmoumlbel- sowie der Textil- (Teppich-) und Tapetenproduktion aufgefuumlhrt wird82

21Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Werkkultur braucht allerdings den Konsens in Geschmacksfragen Als entscheidendes Bindeglied einer solchen gegenseitigen Verstaumlndigung zwischen Produktion und Vertrieb wird der Aussteller praumlsentiert (viertes Kapitel) Aufgabe der Ausstellungen ist es demnach fuumlr die Vermittlung gemeinsamer Grundsaumltze innerhalb einer oumlsterreichischen Vielheit von Produzenten und Konsumenten ein-zutreten an dieser wechselseitigen Uumlbereinkunft und ihrer fortlaufenden Pruumlfung beziehungsweise Erneuerung sollen alle teilhaben KuumlnstlerErzeuger ebenso wie HaumlndlerKaumluferBetrachter83 Der oumlsterreichischen Werkkultur und ihrer Durchset-zung ist gemaumlszlig Eislers Darstellung der Kreislauf oumlkonomischer Relationen zwischen Kunst und Kapitalismus aumluszligerst dienlich Die Vielheit des oumlsterreichischen Voumllker-wesens soll dabei auf eine werkgebende Eigenart festgelegt werden die zugleich auf dem gemeinsamen Vorgehen und gezielter Zusammenarbeit der Landesmuseen mit den Kunstgewerbeschulen nach uumlbereinstimmenden Grundsaumltzen beruht84

Zeugnis dieser vereinheitlichenden Bestrebungen einer oumlsterreichischen Ge-schmacksbildung ist sogleich die erste Wanderausstellung des OumlWB bdquoVon neuen Arbeiten des heimischen Kunsthandwerksldquo im Reichenberger Nordboumlhmischen Gewerbemuseum im Juli 1913 gewesen Unter den ausgestellten Objekten im Eigentum des k k Oumlsterreichischen Museums fuumlr Kunst und Industrie in Wien und zwar als Bestandteil seiner bdquoSammlungen eigentuumlmlicher oder musterguumlltiger Arbeiten des modernen Kunstgewerbesldquo85 waren auszliger den Wiener Exponaten auch Ausstellungsstuumlcke zu sehen die an den boumlhmischen k k Fachschulen in Haida Steinschoumlnau und Znaim gefertigt oder im Auftrag von privaten Firmen teilweise in boumlhmischen Produktionsstaumltten hergestellt worden sind etwa die nach Entwuumlrfen der Wiener Kuumlnstler Josef Hoffmann und Oskar Strnad gefertigten Glaumlser der Glas-fabrikaten J amp L Lobmeyr oder von Joh Loumltz86 Dem Prinzip der Arbeitsteilung folgend waren die Heimarbeiter (beispielsweise Aumltzer Kugler Graveure Schleifer) das letzte Glied im Herstellungsprozess87 Allerdings hatte die Werkkultur nach Wiener Vorbild fuumlr die Arbeiter in sozialer Hinsicht kaum Vorteile zu bieten im Unterschied zum entwerfenden Kuumlnstler blieb der Heimarbeiter anonym

In der bdquoKette unmittelbarer Erziehungswirkungldquo nehmen gemaumlszlig Eisler der Haumlndler und der Kaumlufer letztendlich die Schluumlsselstellung ein (fuumlnftes Kapitel) Vom Werkursprung ausgehend an dem KuumlnstlerLehrerErzeuger teilhaben ist mit dem Konsumenten die Zielgruppe der geschmacksbildenden Bemuumlhungen genannt mittels eines geschickten Haumlndlers und seiner Verkaufsstrategie (der Haumlndler als Erzieher88) soll nunmehr das Produkt nach den Gesetzmaumlszligigkeiten des Marktes einen Verkaufserfolg verbuchen und so seinen Zweck als Qualitaumltsware erfuumlllen89

Der Erziehungsanspruch ist somit einer oumlkonomischen Fortschrittsidee ver-pflichtet welche die beabsichtigte Modernisierung der Alltagskultur gaumlnzlich dem Marktprinzip unterwirft beziehungsweise von der Vermarktung getragen wird Anders als die industriell hergestellte Massenware wird innerhalb der bdquogemein-deutschenldquo Werkkunst fuumlr die oumlsterreichische Besonderheit gerade ihr handwerk-licher Charakter beansprucht der dieser einen exklusiven bdquoOriginalwertldquo aufgrund des einmaligen urheberrechtlich zu schuumltzenden Kuumlnstlerentwurfs sichern soll90

22 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Werkbund-Kontroverse zwischen Befuumlrwortern einer Typisierung gegenuumlber den Individualisten auf der Werkbund-Ausstellung in Koumlln 1914 von Frederic J Schwartz primaumlr als ein Konflikt eben um den urheberrechtlichen Schutz des Kuumlnstlers entschluumlsselt duumlrfte eine Voraussetzung dieser Argumentation und Wert-schaumltzung der kuumlnstlerischen Originalitaumlt sein91 gerade im Zusammenhang mit der arbeitsteiligen Produktion spielte der urheberrechtliche Schutz des Kuumlnstlers eine besonders wichtige Rolle Der OumlWB hat damit eigene Konturen auf dem Kunst-markt und bei der Vermarktung von Kultur gewonnen

Die Organisation der oumlsterreichischen Werkkultur wird schlieszliglich anhand der Werkbundarbeit im oumlsterreichischen Pavillon auf derselben Koumllner Werkbundaus-stellung von 1914 verdeutlicht (sechstes Kapitel) Die Erfolgsbilanz der bdquooumlster-reichischen Sonderartldquo als der bdquotreibenden Vielheitldquo92 in der bdquobindenden Einheitldquo wird explizit auch in Verbindung mit dem Beitrag des Tschechischen Werkbundes im Oumlsterreichischen Pavillon herausgestellt er war fester Bestandteil der oumlster-reichischen Exposition und bekraumlftigte deren Sonderstatus mit der dargebotenen sogenannten Handwerkskunst93 Tatsaumlchlich hatte diese wie sich Adolf Loos aus-druumlckte bdquoLuxuskunst fuumlr die oberen Zehntausend der modernen Groszligstadtldquo einige potenzielle Kaumlufer versammeln koumlnnen die Verkaufsverhandlungen wurden jedoch wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges unterbrochen94

Eislers Praumlsentation des OumlWB endet mit einer Auflistung der Mitglieder (ins-gesamt 627) wobei im Arbeitsausschuss unter anderen Vertrauensmaumlnner aus Boumlhmen Maumlhren und Schlesien genannt sind Zu den Mitgliedern zaumlhlt zwar auch die tschechische Kuumlnstlergenossenschaft bdquoArtělldquo jedoch sind des Weiteren fast ausschlieszliglich deutsche Einrichtungen der boumlhmischen Laumlnder vertreten (siebtes Kapitel)

23Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Max Eisler Die Oumlsterreichische Werkkultur herausgegeben vom Oumlsterreichischen Werkbund OumlWB Wien 1916 S 5ndash54

Der KuumlnstlerWerkkunst ist Lebensgestaltung ausgedruumlckt in Formen die dem Gebrauche oder auch nur dem Auge dienen immer aber jene Befriedigung hervorrufen die eine aufrichtige dem Material und Zwecke klar entsprechende Behandlung mit sich fuumlhrt In der besonderen Art in der der Kuumlnstler diese aller Werkkunst gemeinsame Aufgabe erfuumlllt aumluszligert sich seine Persoumlnlichkeit Doch kann ihr Schaffen der Mitwelt der sie angehoumlrt nicht entraten Sie muszlig ihre Zeit und ihren Lebenskreis taumltigen Anteil nehmen lassen an dem Werke Nur so gibt sie Lebensgestaltung nur so wird Werkkunst zur Werkkultur

Wir koumlnnen ihre Leistung auch nur dann ganz verstehen und nach voller Gebuumlhr wuumlrdigen wenn wir dem lebendigen Austausch zwischen Kuumlnstler und Mitwelt aufmerksam folgen und uns daruumlber klar werden was er ihr was sie ihm gibt Diese Klarheit laumlszligt sich aber wieder nur an dem Werkgange gewinnen Nur wenn wir erfahren haben wie das wird was wir als Fertiges vor uns haben wird unser Urteil daruumlber vernuumlnftig und billig unser Genuszlig begruumlndet sein Wenn wir dann von einem Werke sagen bdquoDas ist gutldquo oder bdquoDas ist schoumlnldquo so wird Sinn in diesen Worten liegen und wir werden was unserem Geschmacke ungelegen kommt nicht ohneweiters verwerfen weil unser Urteil dann nicht mehr vom gefaumllligen Eindruck aufs Auge abhaumlngt sondern auf allseitiges Ver-stehen zuruumlckgehtEs wird darum der Sache und dem Leser gleich foumlrderlich sein wenn wir ver-suchen in das Werkschaffen einigermaszligen einzufuumlhren ehe wir sein Ergebnis eingehender betrachten

Wir stellen den Kuumlnstler voranDie umfassendste gelaumlufige Werkform auf die sich das Schaffen eines Kuumlnst-

lers aus der Mitte unseres Bundes gegenwaumlrtig richtet ist das wohlversehene Haus ndash nicht das auszligergewoumlhnliche der Festbau sondern das Wohnhaus ndash und hier wieder nicht das eines besonderen kleinen Geschaumlftskreises sondern das des werktaumltigen Buumlrgerstandes allerdings eines groszligstaumldtisch kultivierten vor allem des Wieners Der umfassendste durchschnittliche Zweck in dem diese Arbeit zu ihrem reinsten Ausdruck kommt ist also die Wohnstaumltte fuumlr vorgeschrittene und zeitgemaumlszlige wirkende Stadtmenschen Im Rahmen dieser Aufgabe decken sich Art und Beduumlrfnis des auftraggebenden Bauherrn am meis-ten mit der Gesinnung des ausfuumlhrenden Kuumlnstlers und auf diese weitgehende Annaumlherung beider beruht ersten Grundes die lebendige Vollkommenheit des Werkes

Nun steht ein Groszligstadthaus niemals fuumlr sich hat Nachbarn und Gegenuumlber muszlig auf sie die Ruumlcksicht nehmen die das Glied dem Koumlrper schuldet und mit den Kameraden von nebenan und druumlben darnach sehen wie der umbaute

24 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Freiraum zu seiner kuumlnstlerischen Erscheinung kommt Denn davon haumlngt alles andere ab Das beste und schoumlnste Haus wird verkuumlmmert oder aufdringlich jedenfalls am unrechten Platze erscheinen wenn es sich nicht in einen uumlber-einkommenden Raumplan einfuumlgt und einem vollkommenen Freiraume kann auch ein belangloses Einzelstuumlck nicht gar erheblich schaden Es gilt darum fuumlrs erste den Grundriszlig des Auszligenraumes festzulegen und seine Bauwaumlnde in ein wohlgemessenes Verhaumlltnis zu bringen Das war und ist Raumkunst in ihrem urspruumlnglichsten und aumluszligersten Sinne

Aber wie die Dinge heute liegen bleibt dieser Anfang alles Werkschaffens im Bauen meist ein frommer Wunsch Wir sind fast in allen Gebieten des Lebens zumal in der stadtbildlichen Arbeit nicht freie Begruumlnder sondern Erben und Fortsetzer der Kultur Da ist es schon eine hohe Tugend sie nach jeder Tunlich-keit vorwaumlrtszubringen in den Grenzen des Moumlglichen der Zeit zu geben was ihres Geistes und Koumlnnens ist

Erstes naumlchstgelegenes Ziel dieses Teils der Werkkunst ist die Groszligstadt denn die Groszligstadt ist die modernste Form des menschlichen Zusammenle-bens und die Aufgaben die sie stellt sind vom gegenwaumlrtigen Geiste erfuumlllt Aber im Bereiche eines altstaumldtischen Wesens wie etwa Wiens begegnet jedes umfassende Beginnen gerade den staumlrksten Hemmungen Im innerstaumldtischen Kreise verlangt der uumlberkommene Freiraum sein Recht wo er mit neuen An-lagen durchbrochen wird herrscht der Raster der behoumlrdlichen Bauvorschrift fuumlhren Verkehr und Hygiene ihre wohlgemeinte ausschlieszligliche Sprache zieht sich die Kunst auf die eintoumlnige Handhabung von Reiszligbrett und Lineal zuruumlck Selten nur wird ihrer freieren Uumlbung hier Gelegenheit geboten einem ganzen Stadtteil von Grund auf sein Gepraumlge zu geben dh dem Zuge der Straszligen der Umriszliglinie der Plaumltze dem Grundriszlig eines ganzen Viertels die Richtung zu weisen also stadtbildlich im durchgreifendsten Sinne zu wirken Bei solchem Zustande stehen ihrer vollen freien Entfaltung nur die aumluszligeren unverbauten Bezirke offen Hier kann sie ganze Arbeit leisten Und sie wird das im Sinne der Werkkunst wenn sie zunaumlchst das Wegnetz nach den oumlrtlich bedingten Erfordernissen richtet das Neuviertel mit offenen Straumlngen an den Altkern bindet dort klar und entschlossen zwischen Haupt- und Nebenstraszligen Wohn- Wirtschafts- und Festwegen zwischen Monumental- Verkehrs- und Erholungs-plaumltzen scheidet dh allen Anspruumlchen groszligstaumldtischer Vernunft genuumlgt Der Kunst geschieht dabei schon genug wenn nur der Grundriszlig ndash einerlei wie er verlaumluft ndash den Zweck des Ganzen in seiner Einheit der Teile in ihrer Besonderheit sinnfaumlllig fuumlr jedermann einleuchtend erkennen laumlszligt und dazu den kuumlnftigen Baumeistern die Grundmoumlglichkeit schafft nicht Wand gegen Wand sondern Baukoumlrper gegen Koumlrper zu setzen und aus beiden klargemessenen wohlbe-wegten Auszligenraum zu bilden

Naumlher dem alten Siedlungskerne bleibt nur die Auseinandersetzung mit dem Uumlberlieferten Hier gilt es Zeitverstand handelnd beweisen dh verstehen der Zeit von damals und heute Bloszliges Konservieren waumlre Gedankenfaulheit und

Page 2: DER TSCHECHOSLOWAKISCHE WERKBUND UND DER WERKBUND … · 2018-10-04 · Vorwort Der Deutsche Werkbund Der Architekt und preußische Staatsbeamte Hermann Muthesius hat 1907 das Ziel

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Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie detaillierte bibliografische Daten sind im Internet uumlber httpdnbd-nbde abrufbar

copy 2018 Gebr Mann Verlag BerlinwwwgebrmannverlagdeBitte fordern Sie unsere Prospekte an

Alle Rechte insbesondere das Recht der Vervielfaumlltigung und Verbreitung sowie Uumlbersetzung vor-behalten Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form durch Fotokopie Mikrofilm CD-ROM usw ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert werden oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet oder verbreitet werden Bezuumlglich Fotokopien verweisen wir nachdruumlcklich auf sectsect 53 und 54 UrhG

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Druck und Verarbeitung Beltz Grafische Betriebe GmbH Bad Langensalza

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Vorwort

Der Deutsche Werkbund

Der Architekt und preuszligische Staatsbeamte Hermann Muthesius hat 1907 das Ziel der Kunstgewerbebewegung und des von ihm wesentlich gepraumlgten Deutschen Werkbunds (DWB) als Erziehungsauftrag beschrieben

bdquoDas Kunstgewerbe hat das Ziel die heutigen Gesellschaftsklassen zur Gediegenheit Wahrhaftigkeit und buumlrgerlichen Einfachheit zuruumlckzuerziehen [hellip] Es wird nicht nur die deutsche Wohnung und das deutsche Heim veraumlndern sondern es wird direkt auf den Charakter der Generation einwirken denn auch Erziehung zur anstaumlndigen Gestaltung der Raumlume in denen wir wohnen kann im Grunde nur eine Charaktererziehung sein [hellip]ldquo1

Ganz aumlhnlich formulierte 1919 der Nationaloumlkonom und Sozialpolitiker Bruno Rauecker ebenfalls Werkbund-Protagonist die Aufgabe

bdquoDie Erziehung zum Verstaumlndnis der Qualitaumlt ist zufoumlrderst ein Stuumlck sittlicher Erziehung Der Geschmack wird die selbstverstaumlndliche Folge nicht das gewollte Ziel dieser Erziehung sein Die Richtlinien geschmacklicher Klaumlrung umrissen mit den Worten Zweckmaumlszligigkeit Einfachheit Echtheit sind ebensosehr Wegweiser der Kunsterziehung wie Grundsaumltze ethisch gerichteter Sozialpolitik sbquoMaterialehrlichkeit und Materialgerechtigkeitlsquo setzen Menschen voraus die wissen was es um die Begriffe sbquoEhrlichkeitlsquo und sbquoGerechtigkeitlsquo fuumlr eine Bewandtnis hatldquo2

Was in beiden Zitaten auffaumlllt ist die Dominanz des Begriffs der Erziehung es geht um sbquoCharaktererziehunglsquo oder sbquosittliche Erziehunglsquo mit kuumlnstlerischen Mitteln Trotz des von den kuumlnstlerischen Avantgarden schon im fruumlhen 20 Jahr-hundert ausgerufenen Endes einer normativen Aumlsthetik hat der Werkbund stets polarisierend argumentiert und bis in die 1960er Jahre versucht alle Beteiligten auf die moderne sachliche Form einzuschwoumlren und diese zu kanonisieren Alles Gegenlaumlufige wurde negiert Um seine Ziele zu erreichen entwickelte der Verband verschiedene erzieherische Strategien klassische propagandistische Mittel wie Publikationen und Ausstellungen Wettbewerbe und Preise aber auch sehr spezifische Instrumente wie Vor- und Feindbildersammlungen Warenbuch

8 Vorwort

und Warenkunden Wohnberatung und Musterwohnungen sowie die sogenannten Werkbundkisten3

Zu Beginn des 20 Jahrhunderts reichten die Industrieausstellungen und Kunst-gewerbemuseen als Vermittler zwischen Kunst und Industrie nicht mehr aus so dass der Werkbund versuchte diese Funktion neu zu definieren und an die flexiblen und beschleunigten Erfordernisse des Marktes anzupassen

In diesem Sinn ist das erste Werkbund-Museum zu verstehen Das 1909 in Hagen von dem Industriellen Karl Ernst Osthaus initiierte und geleitete Deutsche Museum fuumlr Kunst in Handel und Gewerbe orientierte sich im Gegensatz zu den gesammelten sbquoPrunkstuumlckenlsquo in den Kunstgewerbemuseen an der zeitgenoumlssischen Produktkultur und entwickelte das mobile Instrument der Wanderausstellungen4 Im Kontext der Werkbund-Aktivitaumlten bis 1914 war das Museum von groszliger Bedeutung es nahm an zahlreichen Veranstaltungen teil organisierte selbst Vortraumlge und bot ein breites thematisches Spektrum von Ausstellungen an die jeweils an verschiedenen Orten gezeigt wurden Die groumlszligte Ausstellung German Applied Arts war 1912 in NewarkNew Jersey zu sehen und zirkulierte dann im Laufe eines Jahres durch die USA Auf dem Houmlhepunkt seiner Taumltigkeit um 191314 verlieh das Deutsche Museum uumlber seine sbquoAusstellungszentralelsquo 26 Ausstellungen mit ausgewaumlhlten Exponaten und Praumlsentationselementen gegen eine niedrige Ausleihgebuumlhr

Die Zielsetzung des Werkbunds und den damit verbundenen Auftrag des Deut-schen Museums formulierte Osthaus folgendermaszligen bdquoDie Bewegung zu einer modernen Kultur [hellip] hat ein voumlllig neues Verhaumlltnis zwischen den wesentlichen Faktoren unseres Wirtschaftslebens geschaffen Indem der Haumlndler bisher zwischen Erzeuger und Kaumlufer vermittelte formulierte er recht eigentlich den oumlffentlichen Geschmack [hellip] Der Kuumlnstler aus dem gewerblichen Leben ausgeschaltet stand resigniert bei Seite bis der Tiefstand unserer nationalen Kultur einem groumlszligeren Kreise von Kaumlufern fuumlhlbar wurde Es wurde das Problem der Zeit unter den vier Faktoren Kuumlnstler Erzeuger Haumlndler und Kaumlufer die wirtschaftliche Gleichung herzustellen An seiner Loumlsung arbeitet der Deutsche Werkbundldquo5

Das Deutsche Museum wurde dafuumlr kritisiert den kuumlnstlerischen Aspekt zu sehr zu betonen und die bdquokaufmaumlnnischen Gesichtspunkte insbesondere die For-derungen die der Kaufmann aus der Verfolgung seiner Ziele heraus dem Kuumlnstler stelltldquo6 zu vernachlaumlssigen Trotz der avantgardistischen Konzeption des Deutschen Museums fuumlr Kunst in Handel und Gewerbe ist bei den von Osthaus gefoumlrderten Kuumlnstlern beziehungsweise in deren gesammelten und ausgestellten Entwuumlrfen ein Changieren zwischen Luxuswaren und Alltagsprodukten zu erkennen Wenn man so will hielt Osthaus an den Idealen der Lebensreformbewegung und an seinen persoumlnlichen eher traditionellen Vorstellungen von der Funktion der Kuumlnste in der industriellen Massengesellschaft fest 1915 resuumlmierte er die widerspruumlchliche Situation bdquoMein Rat war Theorien und Beschluumlsse vom gruumlnen Tisch durch die Taten von Kuumlnstlern zu ersetzen die sich bewaumlhrt haben Dies im Gegensatz zu jener Gruppe von Propheten die einzig das Wort Qualitaumlt im Munde fuumlhren ohne eine Ahnung von Kunst zu habenldquo7

9Vorwort

Einen anderen Ansatz als Osthaus verfolgte Gustav Pazaurek der Werkbundmit-glied und Direktor des Landesgewerbemuseums in Stuttgart war Pazaurek legte ab 1909 eine Sammlung von sogenannten Geschmacksverirrungen an die bis heute existiert Sie umfasste bis zum Anfang der 1930er Jahre circa 900 Objekte die der Aumlsthetik des Werkbunds widersprachen Durch die genaue Auseinandersetzung mit Gestaltungsfehlern das heiszligt durch das abschreckende schlechte Beispiel wollte Pazaurek zu guter Qualitaumlt erziehen Seine Sammlung stellte er in einer Art sbquoFolter-kammer des Ungeschmackslsquo aus und entwickelte eine ausgefeilte Systematik von Gestaltungsfehlern in Bezug auf Material Konstruktion und Dekor die er 1912 unter dem Titel Guter und schlechter Geschmack im Kunstgewerbe publizierte8 Pazaurek konzentrierte sich auf die Kunst- und Zweckform das heiszligt auf formal-aumlsthetische Kriterien moralische Aspekte wurden in seiner Gestaltungskritik nicht direkt genannt Seine einmalige Entwicklung eines hyperdifferenzierten Antikanons bleibt ndash trotz der chauvinistischen Grundhaltung Pazaureks ndash eine interessante und anregende Aufforderung zur genauen Betrachtung der Dinge und ein Beitrag zur Frage ihrer Bewertung anhand begruumlndbarer Kriterien die heute eher in komplexen gesellschaftlichen Zusammenhaumlngen liegen als in reinen Gestaltungsmerkmalen9

Neben den genannten Museums- beziehungsweise Sammlungskonzepten war das Deutsche Warenbuch von 1915 ein flexibleres komplett ortsungebundenes Instrument zur aumlsthetischen Erziehung Der Werkbund gab diesen ersten Katalog vorbildhafter Erzeugnisse (Glas Porzellan Metallwaren Beleuchtungskoumlrper Haus- und Kuumlchengeraumlte) gemeinsam mit dem Duumlrerbund heraus Das Deutsche Warenbuch sollte laut Ferdinand Avenarius dem Gruumlnder des Duumlrerbundes bdquoein bilderreiches Verzeichnis auserlesener Wareldquo sein und der bdquoVerbreitung des Gutenldquo dienen10 Josef Popp schrieb im Einfuumlhrungstext des Warenbuchs bdquoDer vollendete Hausrat war stets einfach aber gediegen in Stoff und Arbeit edel und charakteris-tisch in der Form Dadurch hatte und hat er etwas Zeitlosesldquo11

Im Gegensatz zu den im Kontext des Deutschen Museums als beispielhaft he-rausgestellten kunstgewerblichen Objekten wurden im Warenbuch vorrangig von einer Werkbund-Jury ausgewaumlhlte Massenprodukte angepriesen Der Vertrieb der Produkte wurde auf genossenschaftlicher Ebene organisiert Das Warenbuch blieb bis 1927 unveraumlndert in Gebrauch und war sehr erfolgreich12 In den 1920er Jahren diversifizierte sich allerdings das Angebot an Ratgebern fuumlr Wohnungsausstattun-gen und die Aktivitaumlten des Werkbundes zur Gestaltung des Alltags uumlberschnitten sich mit denen des Bauhauses

In der Zeit des Nationalsozialismus wurde das Warenbuch ndash trotz Aufloumlsung des DWB 1938 ndash wieder aufgegriffen und von 1939 bis 1942 als Deutsche Waren-kunde in Form einer Loseblattsammlung mit 3000 Objekten vom evangelischen Kunst-Dienst im Auftrag der Reichskammer der bildenden Kuumlnste herausgegeben Diverse Werkbund-Mitglieder waren als Experten beteiligt etwa Hermann Gretsch Walter Passarge Hans Schwippert und Mia Seeger

Diese setzten die Arbeit an der Geschmackserziehung auch im wiedergegruumln-deten Werkbund der Nachkriegszeit fort unter anderem in der ab 1955 heraus-

10 Vorwort

gegebenen Warenkunde fuumlr die dieselben Qualitaumltskriterien wie sbquoEinfachheitlsquo sbquoEhrlichkeitlsquo und sbquoKlarheitlsquo galten In der Bundesrepublik war die Verknuumlpfung von Ethik und Aumlsthetik allerdings noch in anderer Weise kulturpolitisch motiviert Nach dem totalen moralischen und oumlkonomischen Zusammenbruch Deutschlands spielte der 194950 als Gesamtverband reanimierte Verein eine zentrale Rolle dabei eine sachliche Produktkultur zu befoumlrdern und die deutschen Produkte zu Botschaftern eines besseren Deutschlands zu machen Die programmatischen An-saumltze der 1920er und 1930er Jahre kehrten wieder und wie in den fruumlhen Jahren trat in den Werkbund-Aktivitaumlten der 1950er und 1960er Jahre eine starke Aversion gegen alles Modische zutage Der nicht nur formalaumlsthetisch begruumlndete Begriff der sbquoGuten Formlsquo wurde gepraumlgt13 Mit den Warenkunden und den darin vorgestellten sbquoAusschnitten einer beruhigten Warenweltlsquo sollte der Kommunikationszusammen-hang zwischen Entwerfern Produzenten Haumlndlern und Konsumenten geordnet und gesteuert werden

Neben den Warenkunden die sich auf die Empfehlung des Einzelprodukts konzentrierten gab es nach dem Zweiten Weltkrieg noch weitere Instrumente die der aumlsthetischen Schulung dienten Die Wohnberatung sowie die Einrichtung von Musterwohnungen bezogen sich auf die Gestaltung des alltaumlglichen Lebensumfelds die Werkbundkisten die an Hauptschulen und Gymnasien eingesetzt wurden und sich an Schuumller als die kuumlnftigen Verbraucher richteten waren Teil der Bildungs-programme in den verschiedenen Bundeslaumlndern

Wie an den vorgestellten vom Werkbund entwickelten Instrumenten deutlich wird hat die Vereinigung in all ihren Strategien versucht die Sprache der Dinge im Waren-kontext rational zu steuern und nur die Vernunft im Verhaumlltnis zwischen Menschen und Dingen gelten zu lassen die sich in den Leitbegriffen Nuumltzlichkeit Zweckmaumlszligig-keit Sachlichkeit manifestierte Die formierende Kraft der Industrialisierung auf die gesamte Alltagskultur wurde vom Werkbund in eine intentionale Dingsprache und Gestaltungsabsicht uumlbersetzt Die Dinge sollten zu stummen Helfern und Dienern werden wie es Erwin Braun fuumlr die Produkte seiner Braun AG reklamierte Die im Kontext der Beratungs- und Erziehungsaktivitaumlten des Werkbunds benutzte Begriff-lichkeit folgte einem Top-down-Modell und zeigte ein rigides Sendungsbewusstsein Spaumltestens Ende der 1960er Jahre wandte sich der Werkbund jedoch von der Idee ab das Konsumverhalten der Gesellschaft maszliggeblich beeinflussen zu koumlnnen

Die im Rahmen dieser Publikation vorgelegte Anthologie von Quellentexten und Studie von Alena Janatkovaacute zum Tschechoslowakischen Werkbund und zum Werk-bund der Deutschen in der Tschechoslowakei bietet eine fruchtbare Erweiterung der Erkenntnisse zu den Werkbundaktivitaumlten jenseits der Grenzen des Deutschen Reiches Der Modellcharakter des Deutschen Werkbunds auch im oumlstlichen Mitteleuropa ist dabei besonders interessant da dazu bisher wenig publiziert wurde und vor allem der Oumlsterreichische (1912 gegruumlndet) und der Schweizerische Werkbund (1913 gegruumlndet und heute noch existent) im Bewusstsein einer Fachoumlffentlichkeit sind

Renate Flagmeier

Der Werkbund steht fuumlr Reformen des Kunstgewerbes und der Kunstindustrie die er lautstark im Sinne einer Modernisierung von Alltag Leben und Wohnen durch Qualitaumltsarbeit und Qualitaumltsprodukte verkuumlndete und zu einem Erfolg machte14 Nach dem Auseinanderbrechen der Habsburgermonarchie konnte er sich auch im oumlstlichen Mitteleuropa und zwar nachdruumlcklich in dem neu gegruumlndeten Nationalstaat Tschechoslowakei eine Schluumlsselstellung im soziooumlkonomischen Modernisierungsprojekt sichern Welche Gestalt nahm die Reformbewegung unter den tschechoslowakischen Bedingungen gemaumlszlig dem Verhaumlltnis der beteiligten Akteure und Zielgruppen an Nach wem richteten sich ihre Bestrebungen und wohin steuerten sie Hier stellt sich zugleich die Frage nach der Bedeutung des Bucherfolgs bdquoMitteleuropaldquo von Friedrich Naumann einem der fuumlhrenden Koumlpfe des DWB der die Konzeption einer Wirtschaftsgemeinschaft unter deutscher Fuumlhrung propagiert hatte15

Zwei nebeneinander bestehende tschechoslowakische Werkbundgruumlndungen sollen im Folgenden uumlber diese Bestrebungen Auskunft geben naumlmlich der Tsche-chischeTschechoslowakische Werkbund (Svaz ČeskeacutehoČeskoslovenskeacuteho Diacutela SČDSČSD) und der Werkbund der Deutschen in der Tschechoslowakei (WDT) Beide Vereine waren Akteure innerhalb der tschechoslowakischen beziehungsweise in der tschechischen slowakischen und deutschen Kultur in Boumlhmen Maumlhren und der Slowakei Inmitten der tschechoslowakischen Kulturpolitik Ende der 1920er Jahre waren sie zugleich Konkurrenten Der SČDSČSD und der WDT vertraten unterschiedliche national definierte Interessengruppen zudem differierten diese Gruppierungen auch in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht Entscheidende Be-deutung hatte dabei das Vorbild der bereits etablierten Kulturinstitution Deutscher Werkbund (DWB) als Bezugspunkt fuumlr beide Nachfolgeeinrichtungen wie auch fuumlr einzelne Ortsgruppen Der Modellcharakter des Deutschen Werkbundes bezog sich im Sinne von Joan Campbell und ihrer nach wie vor grundlegenden Analyse des DWB prinzipiell auf die vereinsmaumlszligige Gestaltung der Beziehung zwischen Kunst und Gesellschaft einschlieszliglich einer Neuausrichtung ihres Verhaumlltnisses und speziell auf die Rolle der Eliten bei der intendierten Modernisierung bezie-hungsweise Demokratisierung von Kultur in der Gesellschaft16 Die Etablierung der selbststaumlndigen Vereine SČDSČSD und WDT war durch den historischen Einschnitt von 1918 insofern bedingt als dass diese Vereine verschiedene Positionierungen des Werkbunds im neuen kulturpolitischen Kontext der Tschechoslowakei definier-ten Gegenuumlber Naumanns Idee von bdquoMitteleuropaldquo einem um Deutschland und Oumlsterreich versammelten Staatenbund suchte die Tschechoslowakei naumlmlich ihre politische und wirtschaftliche Unabhaumlngigkeit zu behaupten wobei nunmehr die

Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

12 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

eigenen nationalen Ziele das Zentrum ihres Interesses bildeten17 In eben diesen verschiedenen kulturpolitischen Zusammenhaumlngen ndash einerseits von Naumanns bdquoMitteleuropaldquo andererseits der neuen Tschechoslowakei ndash lassen sich die Konturen von WDT und SČDSČSD erkennen

Die nach wie vor einzige Uumlberblicksdarstellung zu dem im Winter 191314 ge-gruumlndeten Tschechischen Werkbund (SČD wiedergegruumlndet 1920 als Tschecho-slowakischer Werkbund SČSD) erschien im Publikationsrahmen von Forschungen uumlber den 1912 in Wien eingerichteten Oumlsterreichischen Werkbund (OumlWB)18 Hier vertritt der SČD jene bdquoneue Kulturorganisationldquo innerhalb Oumlsterreichs die gemaumlszlig ihrer Programmatik der tschechischen Produktion eine kuumlnstlerische Eigenart und Selbststaumlndigkeit sichern sollte19 Deutlich wird der Vorbildcharakter des Deutschen Werkbundes nochmals im Kontext der Bauausstellungen wie diesen die Mono-grafie zur Prager Bauausstellung Baba des SČSD von 1932 herausstellt und zwar ebenso grundsaumltzlich betreffend die Exposition des Wohnens in der Groszligstadt wie auch hinsichtlich spezifischer staumldtebaulicher und architektonischer Loumlsungsansaumltze nach dem Muster der Stuttgarter Werkbundsiedlung Am Weiszligenhof von 192720 Der Werkbund der Deutschen in der Tschechoslowakei (WDT) ist hingegen bisher nicht zusammenfassend eroumlrtert worden Mit den hier zusammengestellten Quellen wird daher weniger im Zusammenhang mit dem SČDSČSD als vielmehr mit dem weitgehend unerforschten WDT Neuland betreten

Keiner der tschechoslowakischen Werkbundvereine wurde bisher hinsichtlich des vereinsspezifischen und kulturpolitischen Kontextes einer Gemeinschafts-bildung zwischen Kuumlnstlern und einzelnen Produktionszweigen innerhalb der liberalisierten buumlrgerlichen Gesellschaft betrachtet Erst aus dieser Perspektive koumlnnen jedoch Erkenntnisse uumlber Strukturmerkmale der tschechoslowakischen Werkbundeinrichtungen gewonnen werden Aber auch die Kulturorganisation Deutscher Werkbund wird als Exportmodell neu beleuchtet

Ziel der vorliegenden Anthologie ist es anhand der wichtigsten programmati-schen Schriften einen systematischen Vergleich des tschechischen SČDSČSD mit dem deutschen WDT einzuleiten Den Ausgangspunkt bilden die Vereins-satzung sowie Programmatik des reichsdeutschen DWB und deren Modifizierung bei den Nachfolgegruumlndungen bdquoDer Zweck des Bundes ist die Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst Industrie und Handwerk durch Erziehung Propaganda und geschlossene Stellungnahme zu einschlaumlgigen Fragenldquo21 Der hier formulierte Plan einer Symbiose zwischen Unternehmertum und Kuumlnstlerschaft wurde von der etwa zur Haumllfte aus Kuumlnstlern und zur Haumllf-te aus Unternehmern zusammengesetzten Gruumlndungsversammlung des DWB reflektiert Die massenwirksame Popularisierung der Werkbundprogrammatik war von Anfang an kennzeichnend fuumlr die bildungs- und wirtschaftsbuumlrgerliche Progressivitaumlt des reichsdeutschen Vereins Seine Ambitionen richteten sich auf eine deutsche Massenkultur die anstelle der vormaligen bildnerischen und aumlstheti-

13Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

schen Hochkultur nunmehr im Sinne einfacher Gebrauchskunst den Alltag breiter Bevoumllkerungsschichten praumlgen sollte Dennoch war die Fortschrittsglaumlubigkeit welche mit dem erzieherischen Impetus der Reformer stillschweigend voraus-gesetzt wurde noch dem Denken des 19 Jahrhunderts verpflichtet22 Letztlich war der Verein DWB aus der Kunstgewerbebewegung hervorgegangen er suchte sich jedoch in Auseinandersetzung mit den technischen Errungenschaften der Industrialisierung neu zu positionieren Die Werkbundarbeit umfasste ebenso unterschiedliche Produzenten sowie diverse Lobbys naumlmlich die im Werkbund organisierten Handwerker Kuumlnstler Firmen beziehungsweise Produktionsstaumltten wie sie auch auf eine weit gestreute Akzeptanz bei den Konsumenten angewiesen war Frederic J Schwartz lenkt daher die Aufmerksamkeit von den Mitgliedern auf das Wesen der Kulturorganisation Deutscher Werkbund gemaumlszlig den Regeln eines kapitalistischen Wirtschaftssystems von dem gleichzeitig die moderne Massenkultur und ihre Durchsetzung gekennzeichnet waren23 Uumlber die natio-naloumlkonomischen Vorteile dieser Massenkultur hinaus wird von dem Historiker Wolfgang Hardtwig die gruumlndliche aumlsthetische Reform des Wohnens und Lebens mit einer egalisierenden befriedenden Wirkung in Verbindung gebracht die im gesellschaftspolitischen Kontext des spaumlten Kaiserreichs auf die sozial ausein-anderdriftende Gesellschaft zielte eine Absicht die wiederum unter nationalem Vorzeichen vorangetrieben wurde In Wirklichkeit hatte vor dem Ersten Weltkrieg die neue industriewirtschaftliche Reformaumlsthetik gemaumlszlig Hardtwig allerdings nur die Kreise des Wirtschafts- und Bildungsbuumlrgertums erreicht24

Verbindlicher Kontext fuumlr den Werkbund in den boumlhmischen Laumlndern und fuumlr dessen Strukturmerkmale war vor dem Ersten Weltkrieg Oumlsterreich und der OumlWB der im Zusammenhang mit der Wiener Tagung des DWB 1912 initiiert worden war Das Konzept der Schoumlpfung und wirtschaftlichen Durchsetzung einer einheitlichen Werkkultur des OumlWB ist bei Max Eisler eingehend dargelegt Die Eigenart der oumlsterreichischen Werkkultur war demnach nicht von der industriewirtschaftlichen sondern von der handwerklichen Aumlsthetik bestimmt25

Im OumlWB waren zugleich auch die Interessen des Kunstgewerbes und der Kunst-industrie der boumlhmischen Laumlnder hervorragend repraumlsentiert Im Ausschuss des sich zentralistisch von Wien aus konstituierenden OumlWB waren als Ortsvertrauens-maumlnner aus Boumlhmen Maumlhren und Schlesien vertreten Heinrich Fanta (Professor an der kk Staatsgewerbeschule in Reichenberg) 26 Robert Freiszligler (Sekretaumlr der Handels- und Gewerbekammer fuumlr Schlesien) 27 Julius Leisching (Direktor des Erzherzog-Rainer-Museums Bruumlnn) 28 Johannes Oertel (Praumlsident des Verbandes der nordboumlhmischen Glasindustriellen Haida) Otto Primavesi (Vizepraumlsident der Oumllmuumltzer Handels- und Gewerbekammer) Ernst Schwedeler-Meyer (Direktor des Nordboumlhmischen Gewerbemuseums)29 Josef Zasche (Baurat Prag) 30 Auszligerdem zaumlhlten zu den Mitgliedern die Wiener Werkstaumltte die Prager Kuumlnstlergenossen-schaft bdquoArtělldquo die staatlichen kunstgewerblichen Fachschulen in Haida Stein-schoumlnau Teplitz-Schoumlnau und Znaim sowie zahlreiche Erzeuger und Haumlndler aus

14 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

den boumlhmischen Laumlndern Trotz seiner deutschnationalen Orientierung fanden sich somit im OumlWB noch 1916 auch einzelne tschechische Unternehmen31

Ausgehend von dieser gemeinsamen Tradition in der oumlsterreichischen Kunst-gewerbereform der Wiener Secession und dem oumlsterreichischen Kulturliberalis-mus32 mit seiner gezielten Foumlrderung regionaler sowie lokaler kunstgewerblicher Bildungsinstitutionen durch den OumlWB und dessen Wegbereiter den Wiener Direktor des kk Gewerbefoumlrderungsamtes Adolf Vetter wird die Entwicklung von zwei eigenstaumlndigen nationalen Vereinen in den boumlhmischen Laumlndern und der Tschecho-slowakei beobachtet Trotz des gemeinsamen Ursprungs im OumlWB der mit Josef Hoffmann und seiner Wiener Werkstaumltte das Handwerk gegenuumlber der industriellen Produktkultur praumlferiert hatte gelang es im neuen Nationalstaat Tschechoslowa-kei nicht innerhalb des Werkbunds eine Uumlbereinkunft zwischen den in sozialer und in wirtschaftlicher Hinsicht unterschiedlichen Interessengemeinschaften der Tschechen und Deutschen zu finden Ansaumltze einer Kooperation mit gemeinsamer Interessenvertretung muumlndeten schlieszliglich in eine Konkurrenzsituation von zwei selbststaumlndigen Werkbundvereinen

Die Gruumlndung des SČD war im Zusammenhang mit der Koumllner Werkbundaus-stellung (1914) von dem Architekten Jan Kotěra33 initiiert worden um im Oumlster-reichischen Pavillon den eigenstaumlndigen Auftritt tschechischer Kuumlnstler und ihrer raumgestalterischen Gesamtkunstwerke zu ermoumlglichen In den Leitsaumltzen des SČD standen die Veredelung der kunstgewerblichen und industriellen Produkte unter Beteiligung der Kuumlnste gemaumlszlig einer national charakteristischen Herstel-lungsweise Ein weiteres Ziel war die Erziehung des Publikums Obgleich der Wortlaut eine enge Anlehnung an die Programmatik des Deutschen Werkbundes offenbart bezog sich der SČD namentlich auf den englischen Kunstkritiker und Kulturphilosophen John Ruskin (1819ndash1900) und generell auf die Vorlaumlufer der Kunstgewerbereform in England Mit dieser Ruumlckbesinnung auf die bdquoArts and Craftsldquo-Bewegung wurde die handwerkliche Tradition favorisiert Unter den 25 Gruumlndungsmitgliedern fanden sich im SČD bevorzugt Architekten und Kuumlnstler wie Josef Gočaacuter34 Dušan Jurkovič35 Celda Klouček36 Emil Kraacuteliacutek37 František Kysela38 Otakar Novotnyacute39 Jiřiacute Stibral40 und Joacuteža Uprka41 unter den Unter-nehmern waren der Keramikproduzent Emil Sommerschuh und der Verleger Jan Štenc42 zudem Politiker wie Ferdinand von Lobkowitz43 letzter Vorsitzender der boumlhmischen Regierung Oumlsterreichs und der Oumlkonom Rudolf Hotowetz4445 In der sozialen Zusammensetzung des Vereins blieb die Dominanz der Architekten gegen-uumlber den Unternehmern bestimmend und zwar auch nach dem Ersten Weltkrieg im wiedergegruumlndeten und anfangs deutlich nationalistisch aufgestellten Verein SČSD Der Vorsitzende wurde der Architekt Josef Gočaacuter 1925 gefolgt von dem Architekten und langjaumlhrigen Vereinsvorsitzenden Pavel Janaacutek46 und schlieszliglich von dem Architekten Oldřich Staryacute47 Zum Vorstand gehoumlrte neben Vertretern der Gewerbekammern des Industriellenverbandes und Regierungsmitarbeitern zudem der Kunsthistoriker Vaacuteclav Vileacutem Štech48 vom Schulministerium Im Nationalstaat

15Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Tschechoslowakei war der SČSD bestens im Netzwerk des staatlichen Kultur-betriebs eingebunden vom Schulministerium wurde seine Zusammenarbeit mit den Kunstgewerbeschulen und Museen gefoumlrdert Nach der Neugruumlndung war das Prager Kunstgewerbemuseum Veranstaltungsort der Vereinsausstellungen49 aber auch auf der Prager Mustermesse hatte der SČSD regelmaumlszligig fuumlr sich und seine Mitglieder geworben50 Dem Verein wurde daruumlber hinaus die Verantwortung fuumlr die Ausrichtung tschechoslowakischer Kunstgewerbeausstellungen uumlbertragen Vereinsorgan war zunaumlchst die avantgardistische Zeitschrift bdquoUměleckyacute měsiacutečniacutekldquo [Kuumlnstlerische Monatsschrift] die 1921 von bdquoVyacutetvarnaacute praacuteceldquo [Gestaltendes Werk] des Verlegers Štenc abgeloumlst jedoch 1925 aus wirtschaftlichen Gruumlnden wieder eingestellt wurde nach regelmaumlszligiger Berichterstattung in bdquoVyacutetvarneacute snahyldquo [Ge-staltende Bemuumlhungen] folgte dann 1931ndash33 nochmals ein eigener Auftritt mit der Vereinszeitschrift bdquoŽijemeldquo [Wir leben] In bdquoŽijemeldquo erschien auch 1931 die uumlberarbeitete Vereinssatzung mit der Verpflichtung zur Unterstuumltzung aller Be-muumlhungen um eine Verbesserung des allgemeinen Lebensstandards51 Damals war ein Anstieg der gesellschaftlichen Mobilisierung auf fast 500 Vereinsmitglieder zu verzeichnen davon waren circa ein Drittel bildende Kuumlnstler und Architekten52 In den weiteren Jahren bis zur Aufloumlsung wurden die Vereinsmitteilungen in ver-schiedenen Architektur- und Kulturzeitschriften veroumlffentlicht

Seit Anfang der 1920er Jahre wurde aber auch an der Konstituierung des WDT als Pendant zum SČSD innerhalb der Tschechoslowakei gearbeitet Die Gruumln-dungsmitglieder versammelten sich am 25 Mai 1925 in LiberecReichenberg dem wirtschaftlichen Zentrum Nordboumlhmens und vormaligen Austragungsort der Deutschboumlhmischen Ausstellung (1906)53 Seit 1922 fand hier die Reichenberger Messe statt Vertreter der in Nordboumlhmen angesiedelten traditionsreichen Gewer-bezweige der Glas- und Tuchherstellung waren mit anderen deutschboumlhmischen schlesischen und maumlhrischen Produzenten bereits Mitglieder im OumlWB gewesen beziehungsweise ihre Produktionszweige hatten zu den Hauptbetaumltigungsgebieten des oumlsterreichischen kk Gewerbefoumlrderungsamtes gezaumlhlt Unter dem Vorsitz des Teppichfabrikanten Willy Ginzkey54 versammelten sich im WDT insgesamt 44 deutsche Einzel- und Mittelspersonen aus Bildung Handel und Gewerbe der Tschechoslowakei (Handels- und Gewerbekammern Gewerbevereine Deutsche Technische Universitaumlten kunstgewerbliche Fachschulen Kunstvereine wie der Metznerbund) Im Arbeitsausschuss waren auch prominente Vertreter der tsche-choslowakischen Denkmalaumlmter wie Karl Kuumlhn55 Rudolf Houmlnigschmid56 und der Architekt und Kunsthistoriker Otto Kletzl57 praumlsent Anlass fuumlr die Gruumlndungs-versammlung gaben die Pariser Ausstellung Arts Deacuteco (1925) und der Wunsch nach einer selbststaumlndigen Exposition der Deutschen im Tschechoslowakischen Pavillon Die Vereinsgruumlndung wurde jedoch erst Anfang des Jahres 1926 durch eine staatliche Genehmigung der Vereinssatzung bestaumltigt Zugleich wurde dem Verein jegliche politische Betaumltigung untersagt58 Publikationsorgan des WDT wurde das von Otto Kletzl herausgegebene bdquoSudetendeutsche Jahrbuchldquo veroumlffentlicht

16 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

mit Unterstuumltzung der sogenannten bdquoSudetendeutschen Schutzverbaumlndeldquo (Bund der Deutschen Deutscher Kulturverband Deutscher Turnverband) in der Tsche-choslowakei Dieser Kontext ist kennzeichnend fuumlr eine Diskursgemeinschaft des WDT die innerhalb der tschechoslowakischen Wirtschaft und Kultur tendenziell die Vorzuumlge der Deutschen im Blick hatte und nur bedingt vom Staat unterstuumltzt wurde

So unterschiedlich die wirtschaftliche und kulturelle beziehungsweise politische Orientierung des SČDSČSD gegenuumlber dem WDT war so verschieden gestaltete sich auch die Entwicklung beider Vereine die innerhalb der gesetzten Rahmen-bedingungen durchaus elitaumlr aufgestellt waren Handwerker oder einfache Arbeiter waren weder im Vereinsvorstand noch im Arbeitsausschuss praumlsent An einem Zusammenschluss des WDT mit dem SČSD zeigte der Staat zwar Interesse weil dies wohl auszliger Kooperation auch Kontrolle bedeutet haumltte Diese Verbindung war jedoch von keinem der Vereine gewollt Es blieb bei einer Konkurrenzsituation zwischen den zwei tschechoslowakischen Werkbundeinrichtungen die jede fuumlr sich mit eigener Werkbundarbeit die Produzenten durch Wettbewerbe zu motivieren und die Konsumenten auf Ausstellungen sowie mit Publikationen zu uumlberzeugen suchte Waumlhrend sich der SČSD zunehmend fuumlr eine tschechoslowakische Massenkultur einsetzte die vom modernen Wohnen ausgehend alle Lebensbereiche einbeziehen und dabei explizit auch die Slowakei integrieren sollte richtete er sich nach den aktuellen Bestrebungen des Deutschen Werkbunds an dessen bdquoBund mit der Zu-kunftldquo der Jahre 1924ndash1928 (Joan Campbell) Die angestrebte Vereinheitlichung der Gesellschaft nach spezifisch buumlrgerlichen Norm- und Wertvorstellungen ge-maumlszlig den Anspruumlchen an Hygiene Gesundheit und Ordnung wandte sich ebenso gegen vermeintliche Niederungen der Wohnverhaumlltnisse sozialer Grundschichten wie gegen einen sogenannten Luxus den bildungsbuumlrgerlichen Idealen zufolge sollte diese Egalisierungsabsicht durch Erziehung an Breitenwirkung gewinnen Damit verbunden war zugleich eine Internationalisierung der Gesellschaft die das gesamte Lebensumfeld betraf59 Anstelle der Foumlrderung von kulturellen Traditionen sowie Eigentuumlmlichkeiten eines populaumlren bdquoLokalkoloritsldquo wurde nunmehr der internationale Standard propagiert Unter der Praumlmisse LichtndashLuftndashSonne galt es allerdings den Forderungen der Hygienebewegung gemaumlszlig den lokalen Verhaumlltnis-sen gerecht zu werden und entsprechende aktuelle Wohnmodelle in landeseigener Produktion von der architektonischen Planung bis zur Einrichtung herzustellen ndash gerade Pavel Janaacutek hatte hier mit seiner Architekturklasse an der Prager staatlichen Kunstgewerbeschule intensiv an Loumlsungen gearbeitet die den lokalen Bedingungen in technischer wie auch materialspezifischer Hinsicht angepasst sein sollten60 Die Etablierung des SČSD als der tschechoslowakischen Kulturorganisation mit offi-ziellem Auftrag einer Auszligendarstellung der tschechoslowakischen Kultur scheiterte zwar an Interessenkonflikten und Finanzierungsfragen zwischen den Ministerien61 dennoch wurde sein Modernisierungsprojekt im Zusammenspiel der Ortsgruppen mit der Kommunalpolitik unter anderem in BratislavaPressburg BrnoBruumlnn oder Hradec KraacuteloveacuteKoumlniggraumltz vorangetrieben62 Parallel zur wirtschaftlichen und

17Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

rechtlichen Sicherstellung der Existenzgrundlage des tschechoslowakischen Kunst-gewerbes beziehungsweise der Kunstindustrie verfolgte der SČSD ebenfalls seine gesellschaftlichen Erziehungsideale in Zusammenhang mit einem umfassenden Bildungsauftrag der Kunstgewerbemuseen und in eigenen Ausstellungsraumlumen auf Wander- und Auslandsausstellungen in Verkaufs- und Beratungsstellen Biblio-theken und Archiven63 Der WDT hingegen geriet als Vertreter von Luxusproduk-tionszweigen und Exportartikeln der Schmuck- und Glasindustrie zunehmend ins Abseits diese Tendenz wurde durch die Weltwirtschaftskrise noch verstaumlrkt Die geplante Gruumlndung einer Ortsgruppe in Bruumlnn haumltte womoumlglich die uumlberregionale Positionierung des WDT weiter staumlrken koumlnnen sie kam allerdings nicht mehr zustande Nach dem Ableben des Vorsitzenden Ginzkey im Jahr 1934 verliert sich die Spur des WDT Damals wurde auch die bdquosudetendeutsche Kulturpolitikldquo im Interesse des Deutschen Reiches neu sortiert Diese kulturpolitische Umbruch-situation hinterlieszlig ebenfalls beim SČSD ihre Spuren Infolge der Besetzung der so bezeichneten sudetendeutschen Gebiete 1939 wurde der nunmehr auf SČD geschrumpfte tschechische Verein in der bdquoZweiten Republikldquo und im bdquoReichspro-tektorat Boumlhmen und Maumlhrenldquo weiterhin geduldet nach dem Zweiten Weltkrieg wird der bis dahin selbststaumlndige Verein im Jahr 1948 aufgeloumlst

Zur AnthologieDie nachfolgende Auswahl an Quellenmaterial (deutschsprachige Texte im ur-spruumlnglichen Wortlaut tschechischsprachige Texte in deutscher Uumlbersetzung Abbildungen vorzugsweise von Gebrauchsdingen aus dem Publikations- und Aus-stellungskontext der Werkbundvereine) dokumentiert den Werdegang des Werk-bundes in den boumlhmischen Laumlndern und bietet eine Grundlage fuumlr die vergleichende Forschung zum Exportmodell DWBOumlWB und den nachfolgenden tschechischen beziehungsweise tschechoslowakischen Werkbundinitiativen Ausgangspunkt ist vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs der OumlWB Bei Max Eisler erscheint die Idee einer gemeinsamen oumlsterreichischen Werkkultur als ein geschlossener Produkti-ons- und Konsumentenzirkel ndash vom Kuumlnstler ausgehend uumlber den Bildungsweg den Erzeuger den Aussteller bis hin zum Haumlndler und Kaumlufer ndash differenziert64 Das Programm des SČD65 und die Buchpublikation des Tschechischen Werkbundes zur Koumllner Ausstellung von 191466 verdeutlichen das Profil des sich separierenden tschechischen Vereins Fuumlr die Entwicklung des Werkbundes in der Zwischen-kriegszeit stehen einerseits das neue Programm des SČSD (1921)67 sowie dessen Uumlberarbeitung in den 1930er Jahren68 und andererseits das Programm des WDT von 192769 Die jeweilige Programmatik beider tschechoslowakischer Werkbund-vereine wird mit entsprechend charakteristischen Bildfolgen illustriert wobei die abschlieszligende Bildfolge der Werbebroschuumlre des SČSD bdquoUumlber das Wohnenldquo70 Aufschluss uumlber seine Neuausrichtung in den 1930er Jahren und somit uumlber die letzte offensive Arbeitsetappe des tschechischen Vereins gibt

18 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die vorliegende Publikation ist Ergebnis des Forschungsprojekts bdquoDer Tschecho-slowakische Werkbund und der Werkbund der Deutschen in der Tschechoslowa-keildquo das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft uumlber zwei Jahre groszligzuumlgig gefoumlrdert am Institut fuumlr Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik Fach-gebiet Kunstgeschichte der Technischen Universitaumlt Berlin durchgefuumlhrt wurde Die Realisierung des Projekts war nur moumlglich dank dieser Foumlrderung sowie der tatkraumlftigen Unterstuumltzung des Instituts und insbesondere dank der versierten An-teilnahme von Magdalena Bushart Gestaumlrkt wurde der Forschungsfortgang durch die sachkundige Kooperation mit Vladimiacuter Šlapeta (Technische Universitaumlt BrnoBruumlnn Fakultaumlt Architektur Abteilung Theorie) der Stiftung Bibliothek Werner Oechslin und Renate Flagmeier (Werkbundarchiv ndash Museum der Dinge) sowie das freundliche Entgegenkommen von Anna Kašparovaacute und Jan Mohr (Nordboumlhmisches Gewerbemuseum LiberecReichenberg) Ihnen und den vielen hilfsbereiten Mit-wirkenden bei Recherchen in den Archiven (Bundesarchiv Berlin Werkbundarchiv Berlin Architekturarchiv Nationales Technikmuseum PrahaPrag Nationalarchiv Prag Landesarchiv Reichenberg Archiv des Nordboumlhmischen Gewerbemuseums Reichenberg Landesarchiv Bruumlnn Stadtarchiv Bruumlnn Landesarchiv OpavaTroppau) und den Bibliotheken (Bibliothek Nordboumlhmisches Gewerbemuseum Reichenberg Bibliothek Nationales Technikmuseum Prag Kunstbibliothek Berlin Staatsbibliothek Berlin Staatsbibliothek Prag) bin ich in Dankbarkeit verbunden

19Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Oumlsterreichische Werkkultur

Aus den Statuten des Oumlsterreichischen Werkbundes 71

sect 2 Der Zweck des Vereines ist die Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst Industrie und Handwerk durch Erziehung und Propaganda die Pflege des kunstgemaumlszligen Echten aller Zeiten auf allen Gebieten menschlicher Betaumltigung Hebung des kuumlnstlerischen Geschmackes und Urteiles und Foumlrderung aller gleichen Zielen zugewandten Bestrebungen Dabei soll auf die Pflege und Entwicklung der nationalen Eigenart der kuumlnstlerischen und gewerblichen Produktion besonderes Augenmerk gerichtet werden

sect 4 Dem Verein gehoumlren an 1 Ehrenmitglieder 2 Stifter 3 Ordentliche Mitglieder

sect 7 Ordentliche Mitglieder des Vereines koumlnnen sein Kenner Kuumlnstler Industrielle und Gewerbetreibende

sect 8 Die Aufnahme der Mitglieder erfolgt nur nach vorhergegangener Einladung durch Beschluszlig des Vorstandes und wird durch Eintragung in die Mitgliederliste vollzogen die vom Generalsekretaumlr gefuumlhrt wird Von der Konstituierung des Vereines werden die Mitglieder durch die Proponenten aufgenommen

sect 9 Der jaumlhrliche Beitrag der ordentlichen Mitglieder wird von jedem Mitgliede durch Selbsteinschaumltzung nach dem Maszlige seiner Leistungsfaumlhigkeit festgesetzt betraumlgt fuumlr einzelne Personen mindestens zehn Kronen fuumlr Firmen mindestens fuumlnfzig Kronen

Uumlber das bdquoWerkschaffenldquo gemaumlszlig dem Verstaumlndnis des OumlWB (gegr 1912) unter-richtet 1916 die repraumlsentative Publikation des Wiener Kunsthistorikers und Gruumlndungsmitglieds des OumlWB Max Eisler Es handelt sich dabei um eine mit den Jahrbuumlchern des Deutschen Werkbundes vergleichbare Konsultation des eigenen Standpunktes im aktuellen Kulturdiskurs An den Jahrbuumlchern war auch die Buchge-staltung orientiert72 Der OumlWB identifizierte sich damit in seinem Selbstverstaumlndnis und zugleich in seiner Selbstdarstellung mit dem DWB Diese Uumlbereinstimmung zwischen OumlWB und DWB uumlberrascht kaum hatte doch der Letztere seit seiner Gruumlndung den gesamten deutschen Sprachraum inklusive Oumlsterreich zum eigenen Arbeitsgebiet erklaumlrt73

20 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Oumlsterreichische Werkkultur wird bei Eisler in sechs Kapiteln dargestellt die ein geschlossenes System der Werkerziehung praumlsentieren Der umfassende Anspruch an bdquoWerkkunstldquo als bdquoLebensgestaltungldquo wird eingangs mit dem Ent-wurf fuumlr einen neuen Wiener Stadtbezirk74 von dem Wiener Architekturtheoretiker Stadtplaner und OumlWB Mitglied Otto Wagner demonstriert und zwar im Sinne des ganzheitlichen groszligstaumldtisch gepraumlgten Kulturbegriffs vom Sofakissen bis zum Stadtplan75 beziehungsweise hier von der Stadtplanung bis zur Wohnstaumltte und ihrer Einrichtung bdquoAus allen Schoumlpfungen blickt dieselbe auf den klar erkannten Voraussetzungen bauende rein in ihren Grenzen taumltige Art des Meisters der die Vielheit der Aufgaben durch die Einheit seiner geraden werktuumlchtigen Gesinnung bewaumlltigt und uumlberwindetldquo76

Der Kuumlnstler ndash und namentlich insbesondere der Wiener Architekt und Kunst-gewerbler Begruumlnder der Wiener Werkstaumltte und Mitbegruumlnder des OumlWB Josef Hoffmann ndash wird im ersten Kapitel als der Schoumlpfer der groszligstaumldtischen bdquoWerkformldquo eingefuumlhrt Theoretisch wird diese bdquoWerkformldquo mit Hilfe des Gedankengebaumludes einer bdquoKern-ldquo und bdquoKunstformldquo verdeutlicht zusaumltzlicher Schmuck wird jedoch abgelehnt bdquoDie Fassade ist das Kleid fuumlr das Hausinnere Der Stuckprunk auf einer Zinshausfassade ist wie der Abendflitter eines armseligen Komoumldiantenldquo77 Mit solchen Vorstellungen der Bekleidungstheorie hatte sich kurz zuvor Otto Wagner auseinandergesetzt78

Das zweite Kapitel befasst sich mit dem Bildungsauftrag der bdquoWerkerziehungldquo Der Kuumlnstler avanciert dabei zum Lehrer der nach einem Lehrplan letztlich sein freies Schaffen in den zweckgebundenen Dienst des oumlffentlichen Lehrauftrags stellt79 Verbindliche Praumlmisse der ganzheitlichen bdquoWerkerziehungldquo ist bdquoder Mensch [als] der Maszligstab dieser Dingeldquo des Alltagsgebrauchs Nach dieser Regel in der Architekturtheorie seit Vitruv soll sich auch die Ausbildung zum selbststaumlndigen Werkkuumlnstler richten80 Die kk Kunstgewerbeschule gilt im Zusammenhang mit der Mustersammlung des kk Oumlsterreichischen Museums fuumlr Kunst und Industrie in Wien als vorbildlich fuumlr eine wirksame durchaus zentralistisch beziehungs-weise hierarchisch organisierte Werkerziehung selbststaumlndiger Werkkuumlnstler Die einzelnen kk Fachschulen erfuumlllen hier ihre Aufgabe als Multiplikatoren dieser zentralen Einrichtung Eine weitere Oumlffentlichkeit soll mit Unterrichtsangeboten in Kunst und Technik an den Kunstgewerbeschulen erreicht werden diese Oumlffnung der Bildungseinrichtungen zielt uumlber die kunstgewerblichen Produktionskreise hinaus auf eine Erziehung des konsumierenden Publikums81

Unter den bdquoErzeugernldquo denen sich das dritte Kapitel widmet werden ebenso die selbststaumlndigen Werkkuumlnstler wie alle Handwerker und Heimarbeiter aufgefuumlhrt Als bedeutende Neuerung in dieser Produktion gelten dem OumlWB wie zuvor dem DWB die Industriearbeiter gerade mit ihnen wird die kuumlnftige soziale Aufgabe in Verbindung gebracht Prinzipiell soll die Werkkultur innerhalb der Industrie gestaumlrkt werden wofuumlr exemplarisch die enge Verflechtung des Bildungsauftrags der Fachschulen mit der boumlhmischen Glasproduktion der Massenmoumlbel- sowie der Textil- (Teppich-) und Tapetenproduktion aufgefuumlhrt wird82

21Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Werkkultur braucht allerdings den Konsens in Geschmacksfragen Als entscheidendes Bindeglied einer solchen gegenseitigen Verstaumlndigung zwischen Produktion und Vertrieb wird der Aussteller praumlsentiert (viertes Kapitel) Aufgabe der Ausstellungen ist es demnach fuumlr die Vermittlung gemeinsamer Grundsaumltze innerhalb einer oumlsterreichischen Vielheit von Produzenten und Konsumenten ein-zutreten an dieser wechselseitigen Uumlbereinkunft und ihrer fortlaufenden Pruumlfung beziehungsweise Erneuerung sollen alle teilhaben KuumlnstlerErzeuger ebenso wie HaumlndlerKaumluferBetrachter83 Der oumlsterreichischen Werkkultur und ihrer Durchset-zung ist gemaumlszlig Eislers Darstellung der Kreislauf oumlkonomischer Relationen zwischen Kunst und Kapitalismus aumluszligerst dienlich Die Vielheit des oumlsterreichischen Voumllker-wesens soll dabei auf eine werkgebende Eigenart festgelegt werden die zugleich auf dem gemeinsamen Vorgehen und gezielter Zusammenarbeit der Landesmuseen mit den Kunstgewerbeschulen nach uumlbereinstimmenden Grundsaumltzen beruht84

Zeugnis dieser vereinheitlichenden Bestrebungen einer oumlsterreichischen Ge-schmacksbildung ist sogleich die erste Wanderausstellung des OumlWB bdquoVon neuen Arbeiten des heimischen Kunsthandwerksldquo im Reichenberger Nordboumlhmischen Gewerbemuseum im Juli 1913 gewesen Unter den ausgestellten Objekten im Eigentum des k k Oumlsterreichischen Museums fuumlr Kunst und Industrie in Wien und zwar als Bestandteil seiner bdquoSammlungen eigentuumlmlicher oder musterguumlltiger Arbeiten des modernen Kunstgewerbesldquo85 waren auszliger den Wiener Exponaten auch Ausstellungsstuumlcke zu sehen die an den boumlhmischen k k Fachschulen in Haida Steinschoumlnau und Znaim gefertigt oder im Auftrag von privaten Firmen teilweise in boumlhmischen Produktionsstaumltten hergestellt worden sind etwa die nach Entwuumlrfen der Wiener Kuumlnstler Josef Hoffmann und Oskar Strnad gefertigten Glaumlser der Glas-fabrikaten J amp L Lobmeyr oder von Joh Loumltz86 Dem Prinzip der Arbeitsteilung folgend waren die Heimarbeiter (beispielsweise Aumltzer Kugler Graveure Schleifer) das letzte Glied im Herstellungsprozess87 Allerdings hatte die Werkkultur nach Wiener Vorbild fuumlr die Arbeiter in sozialer Hinsicht kaum Vorteile zu bieten im Unterschied zum entwerfenden Kuumlnstler blieb der Heimarbeiter anonym

In der bdquoKette unmittelbarer Erziehungswirkungldquo nehmen gemaumlszlig Eisler der Haumlndler und der Kaumlufer letztendlich die Schluumlsselstellung ein (fuumlnftes Kapitel) Vom Werkursprung ausgehend an dem KuumlnstlerLehrerErzeuger teilhaben ist mit dem Konsumenten die Zielgruppe der geschmacksbildenden Bemuumlhungen genannt mittels eines geschickten Haumlndlers und seiner Verkaufsstrategie (der Haumlndler als Erzieher88) soll nunmehr das Produkt nach den Gesetzmaumlszligigkeiten des Marktes einen Verkaufserfolg verbuchen und so seinen Zweck als Qualitaumltsware erfuumlllen89

Der Erziehungsanspruch ist somit einer oumlkonomischen Fortschrittsidee ver-pflichtet welche die beabsichtigte Modernisierung der Alltagskultur gaumlnzlich dem Marktprinzip unterwirft beziehungsweise von der Vermarktung getragen wird Anders als die industriell hergestellte Massenware wird innerhalb der bdquogemein-deutschenldquo Werkkunst fuumlr die oumlsterreichische Besonderheit gerade ihr handwerk-licher Charakter beansprucht der dieser einen exklusiven bdquoOriginalwertldquo aufgrund des einmaligen urheberrechtlich zu schuumltzenden Kuumlnstlerentwurfs sichern soll90

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Die Werkbund-Kontroverse zwischen Befuumlrwortern einer Typisierung gegenuumlber den Individualisten auf der Werkbund-Ausstellung in Koumlln 1914 von Frederic J Schwartz primaumlr als ein Konflikt eben um den urheberrechtlichen Schutz des Kuumlnstlers entschluumlsselt duumlrfte eine Voraussetzung dieser Argumentation und Wert-schaumltzung der kuumlnstlerischen Originalitaumlt sein91 gerade im Zusammenhang mit der arbeitsteiligen Produktion spielte der urheberrechtliche Schutz des Kuumlnstlers eine besonders wichtige Rolle Der OumlWB hat damit eigene Konturen auf dem Kunst-markt und bei der Vermarktung von Kultur gewonnen

Die Organisation der oumlsterreichischen Werkkultur wird schlieszliglich anhand der Werkbundarbeit im oumlsterreichischen Pavillon auf derselben Koumllner Werkbundaus-stellung von 1914 verdeutlicht (sechstes Kapitel) Die Erfolgsbilanz der bdquooumlster-reichischen Sonderartldquo als der bdquotreibenden Vielheitldquo92 in der bdquobindenden Einheitldquo wird explizit auch in Verbindung mit dem Beitrag des Tschechischen Werkbundes im Oumlsterreichischen Pavillon herausgestellt er war fester Bestandteil der oumlster-reichischen Exposition und bekraumlftigte deren Sonderstatus mit der dargebotenen sogenannten Handwerkskunst93 Tatsaumlchlich hatte diese wie sich Adolf Loos aus-druumlckte bdquoLuxuskunst fuumlr die oberen Zehntausend der modernen Groszligstadtldquo einige potenzielle Kaumlufer versammeln koumlnnen die Verkaufsverhandlungen wurden jedoch wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges unterbrochen94

Eislers Praumlsentation des OumlWB endet mit einer Auflistung der Mitglieder (ins-gesamt 627) wobei im Arbeitsausschuss unter anderen Vertrauensmaumlnner aus Boumlhmen Maumlhren und Schlesien genannt sind Zu den Mitgliedern zaumlhlt zwar auch die tschechische Kuumlnstlergenossenschaft bdquoArtělldquo jedoch sind des Weiteren fast ausschlieszliglich deutsche Einrichtungen der boumlhmischen Laumlnder vertreten (siebtes Kapitel)

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Max Eisler Die Oumlsterreichische Werkkultur herausgegeben vom Oumlsterreichischen Werkbund OumlWB Wien 1916 S 5ndash54

Der KuumlnstlerWerkkunst ist Lebensgestaltung ausgedruumlckt in Formen die dem Gebrauche oder auch nur dem Auge dienen immer aber jene Befriedigung hervorrufen die eine aufrichtige dem Material und Zwecke klar entsprechende Behandlung mit sich fuumlhrt In der besonderen Art in der der Kuumlnstler diese aller Werkkunst gemeinsame Aufgabe erfuumlllt aumluszligert sich seine Persoumlnlichkeit Doch kann ihr Schaffen der Mitwelt der sie angehoumlrt nicht entraten Sie muszlig ihre Zeit und ihren Lebenskreis taumltigen Anteil nehmen lassen an dem Werke Nur so gibt sie Lebensgestaltung nur so wird Werkkunst zur Werkkultur

Wir koumlnnen ihre Leistung auch nur dann ganz verstehen und nach voller Gebuumlhr wuumlrdigen wenn wir dem lebendigen Austausch zwischen Kuumlnstler und Mitwelt aufmerksam folgen und uns daruumlber klar werden was er ihr was sie ihm gibt Diese Klarheit laumlszligt sich aber wieder nur an dem Werkgange gewinnen Nur wenn wir erfahren haben wie das wird was wir als Fertiges vor uns haben wird unser Urteil daruumlber vernuumlnftig und billig unser Genuszlig begruumlndet sein Wenn wir dann von einem Werke sagen bdquoDas ist gutldquo oder bdquoDas ist schoumlnldquo so wird Sinn in diesen Worten liegen und wir werden was unserem Geschmacke ungelegen kommt nicht ohneweiters verwerfen weil unser Urteil dann nicht mehr vom gefaumllligen Eindruck aufs Auge abhaumlngt sondern auf allseitiges Ver-stehen zuruumlckgehtEs wird darum der Sache und dem Leser gleich foumlrderlich sein wenn wir ver-suchen in das Werkschaffen einigermaszligen einzufuumlhren ehe wir sein Ergebnis eingehender betrachten

Wir stellen den Kuumlnstler voranDie umfassendste gelaumlufige Werkform auf die sich das Schaffen eines Kuumlnst-

lers aus der Mitte unseres Bundes gegenwaumlrtig richtet ist das wohlversehene Haus ndash nicht das auszligergewoumlhnliche der Festbau sondern das Wohnhaus ndash und hier wieder nicht das eines besonderen kleinen Geschaumlftskreises sondern das des werktaumltigen Buumlrgerstandes allerdings eines groszligstaumldtisch kultivierten vor allem des Wieners Der umfassendste durchschnittliche Zweck in dem diese Arbeit zu ihrem reinsten Ausdruck kommt ist also die Wohnstaumltte fuumlr vorgeschrittene und zeitgemaumlszlige wirkende Stadtmenschen Im Rahmen dieser Aufgabe decken sich Art und Beduumlrfnis des auftraggebenden Bauherrn am meis-ten mit der Gesinnung des ausfuumlhrenden Kuumlnstlers und auf diese weitgehende Annaumlherung beider beruht ersten Grundes die lebendige Vollkommenheit des Werkes

Nun steht ein Groszligstadthaus niemals fuumlr sich hat Nachbarn und Gegenuumlber muszlig auf sie die Ruumlcksicht nehmen die das Glied dem Koumlrper schuldet und mit den Kameraden von nebenan und druumlben darnach sehen wie der umbaute

24 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Freiraum zu seiner kuumlnstlerischen Erscheinung kommt Denn davon haumlngt alles andere ab Das beste und schoumlnste Haus wird verkuumlmmert oder aufdringlich jedenfalls am unrechten Platze erscheinen wenn es sich nicht in einen uumlber-einkommenden Raumplan einfuumlgt und einem vollkommenen Freiraume kann auch ein belangloses Einzelstuumlck nicht gar erheblich schaden Es gilt darum fuumlrs erste den Grundriszlig des Auszligenraumes festzulegen und seine Bauwaumlnde in ein wohlgemessenes Verhaumlltnis zu bringen Das war und ist Raumkunst in ihrem urspruumlnglichsten und aumluszligersten Sinne

Aber wie die Dinge heute liegen bleibt dieser Anfang alles Werkschaffens im Bauen meist ein frommer Wunsch Wir sind fast in allen Gebieten des Lebens zumal in der stadtbildlichen Arbeit nicht freie Begruumlnder sondern Erben und Fortsetzer der Kultur Da ist es schon eine hohe Tugend sie nach jeder Tunlich-keit vorwaumlrtszubringen in den Grenzen des Moumlglichen der Zeit zu geben was ihres Geistes und Koumlnnens ist

Erstes naumlchstgelegenes Ziel dieses Teils der Werkkunst ist die Groszligstadt denn die Groszligstadt ist die modernste Form des menschlichen Zusammenle-bens und die Aufgaben die sie stellt sind vom gegenwaumlrtigen Geiste erfuumlllt Aber im Bereiche eines altstaumldtischen Wesens wie etwa Wiens begegnet jedes umfassende Beginnen gerade den staumlrksten Hemmungen Im innerstaumldtischen Kreise verlangt der uumlberkommene Freiraum sein Recht wo er mit neuen An-lagen durchbrochen wird herrscht der Raster der behoumlrdlichen Bauvorschrift fuumlhren Verkehr und Hygiene ihre wohlgemeinte ausschlieszligliche Sprache zieht sich die Kunst auf die eintoumlnige Handhabung von Reiszligbrett und Lineal zuruumlck Selten nur wird ihrer freieren Uumlbung hier Gelegenheit geboten einem ganzen Stadtteil von Grund auf sein Gepraumlge zu geben dh dem Zuge der Straszligen der Umriszliglinie der Plaumltze dem Grundriszlig eines ganzen Viertels die Richtung zu weisen also stadtbildlich im durchgreifendsten Sinne zu wirken Bei solchem Zustande stehen ihrer vollen freien Entfaltung nur die aumluszligeren unverbauten Bezirke offen Hier kann sie ganze Arbeit leisten Und sie wird das im Sinne der Werkkunst wenn sie zunaumlchst das Wegnetz nach den oumlrtlich bedingten Erfordernissen richtet das Neuviertel mit offenen Straumlngen an den Altkern bindet dort klar und entschlossen zwischen Haupt- und Nebenstraszligen Wohn- Wirtschafts- und Festwegen zwischen Monumental- Verkehrs- und Erholungs-plaumltzen scheidet dh allen Anspruumlchen groszligstaumldtischer Vernunft genuumlgt Der Kunst geschieht dabei schon genug wenn nur der Grundriszlig ndash einerlei wie er verlaumluft ndash den Zweck des Ganzen in seiner Einheit der Teile in ihrer Besonderheit sinnfaumlllig fuumlr jedermann einleuchtend erkennen laumlszligt und dazu den kuumlnftigen Baumeistern die Grundmoumlglichkeit schafft nicht Wand gegen Wand sondern Baukoumlrper gegen Koumlrper zu setzen und aus beiden klargemessenen wohlbe-wegten Auszligenraum zu bilden

Naumlher dem alten Siedlungskerne bleibt nur die Auseinandersetzung mit dem Uumlberlieferten Hier gilt es Zeitverstand handelnd beweisen dh verstehen der Zeit von damals und heute Bloszliges Konservieren waumlre Gedankenfaulheit und

Page 3: DER TSCHECHOSLOWAKISCHE WERKBUND UND DER WERKBUND … · 2018-10-04 · Vorwort Der Deutsche Werkbund Der Architekt und preußische Staatsbeamte Hermann Muthesius hat 1907 das Ziel

Vorwort

Der Deutsche Werkbund

Der Architekt und preuszligische Staatsbeamte Hermann Muthesius hat 1907 das Ziel der Kunstgewerbebewegung und des von ihm wesentlich gepraumlgten Deutschen Werkbunds (DWB) als Erziehungsauftrag beschrieben

bdquoDas Kunstgewerbe hat das Ziel die heutigen Gesellschaftsklassen zur Gediegenheit Wahrhaftigkeit und buumlrgerlichen Einfachheit zuruumlckzuerziehen [hellip] Es wird nicht nur die deutsche Wohnung und das deutsche Heim veraumlndern sondern es wird direkt auf den Charakter der Generation einwirken denn auch Erziehung zur anstaumlndigen Gestaltung der Raumlume in denen wir wohnen kann im Grunde nur eine Charaktererziehung sein [hellip]ldquo1

Ganz aumlhnlich formulierte 1919 der Nationaloumlkonom und Sozialpolitiker Bruno Rauecker ebenfalls Werkbund-Protagonist die Aufgabe

bdquoDie Erziehung zum Verstaumlndnis der Qualitaumlt ist zufoumlrderst ein Stuumlck sittlicher Erziehung Der Geschmack wird die selbstverstaumlndliche Folge nicht das gewollte Ziel dieser Erziehung sein Die Richtlinien geschmacklicher Klaumlrung umrissen mit den Worten Zweckmaumlszligigkeit Einfachheit Echtheit sind ebensosehr Wegweiser der Kunsterziehung wie Grundsaumltze ethisch gerichteter Sozialpolitik sbquoMaterialehrlichkeit und Materialgerechtigkeitlsquo setzen Menschen voraus die wissen was es um die Begriffe sbquoEhrlichkeitlsquo und sbquoGerechtigkeitlsquo fuumlr eine Bewandtnis hatldquo2

Was in beiden Zitaten auffaumlllt ist die Dominanz des Begriffs der Erziehung es geht um sbquoCharaktererziehunglsquo oder sbquosittliche Erziehunglsquo mit kuumlnstlerischen Mitteln Trotz des von den kuumlnstlerischen Avantgarden schon im fruumlhen 20 Jahr-hundert ausgerufenen Endes einer normativen Aumlsthetik hat der Werkbund stets polarisierend argumentiert und bis in die 1960er Jahre versucht alle Beteiligten auf die moderne sachliche Form einzuschwoumlren und diese zu kanonisieren Alles Gegenlaumlufige wurde negiert Um seine Ziele zu erreichen entwickelte der Verband verschiedene erzieherische Strategien klassische propagandistische Mittel wie Publikationen und Ausstellungen Wettbewerbe und Preise aber auch sehr spezifische Instrumente wie Vor- und Feindbildersammlungen Warenbuch

8 Vorwort

und Warenkunden Wohnberatung und Musterwohnungen sowie die sogenannten Werkbundkisten3

Zu Beginn des 20 Jahrhunderts reichten die Industrieausstellungen und Kunst-gewerbemuseen als Vermittler zwischen Kunst und Industrie nicht mehr aus so dass der Werkbund versuchte diese Funktion neu zu definieren und an die flexiblen und beschleunigten Erfordernisse des Marktes anzupassen

In diesem Sinn ist das erste Werkbund-Museum zu verstehen Das 1909 in Hagen von dem Industriellen Karl Ernst Osthaus initiierte und geleitete Deutsche Museum fuumlr Kunst in Handel und Gewerbe orientierte sich im Gegensatz zu den gesammelten sbquoPrunkstuumlckenlsquo in den Kunstgewerbemuseen an der zeitgenoumlssischen Produktkultur und entwickelte das mobile Instrument der Wanderausstellungen4 Im Kontext der Werkbund-Aktivitaumlten bis 1914 war das Museum von groszliger Bedeutung es nahm an zahlreichen Veranstaltungen teil organisierte selbst Vortraumlge und bot ein breites thematisches Spektrum von Ausstellungen an die jeweils an verschiedenen Orten gezeigt wurden Die groumlszligte Ausstellung German Applied Arts war 1912 in NewarkNew Jersey zu sehen und zirkulierte dann im Laufe eines Jahres durch die USA Auf dem Houmlhepunkt seiner Taumltigkeit um 191314 verlieh das Deutsche Museum uumlber seine sbquoAusstellungszentralelsquo 26 Ausstellungen mit ausgewaumlhlten Exponaten und Praumlsentationselementen gegen eine niedrige Ausleihgebuumlhr

Die Zielsetzung des Werkbunds und den damit verbundenen Auftrag des Deut-schen Museums formulierte Osthaus folgendermaszligen bdquoDie Bewegung zu einer modernen Kultur [hellip] hat ein voumlllig neues Verhaumlltnis zwischen den wesentlichen Faktoren unseres Wirtschaftslebens geschaffen Indem der Haumlndler bisher zwischen Erzeuger und Kaumlufer vermittelte formulierte er recht eigentlich den oumlffentlichen Geschmack [hellip] Der Kuumlnstler aus dem gewerblichen Leben ausgeschaltet stand resigniert bei Seite bis der Tiefstand unserer nationalen Kultur einem groumlszligeren Kreise von Kaumlufern fuumlhlbar wurde Es wurde das Problem der Zeit unter den vier Faktoren Kuumlnstler Erzeuger Haumlndler und Kaumlufer die wirtschaftliche Gleichung herzustellen An seiner Loumlsung arbeitet der Deutsche Werkbundldquo5

Das Deutsche Museum wurde dafuumlr kritisiert den kuumlnstlerischen Aspekt zu sehr zu betonen und die bdquokaufmaumlnnischen Gesichtspunkte insbesondere die For-derungen die der Kaufmann aus der Verfolgung seiner Ziele heraus dem Kuumlnstler stelltldquo6 zu vernachlaumlssigen Trotz der avantgardistischen Konzeption des Deutschen Museums fuumlr Kunst in Handel und Gewerbe ist bei den von Osthaus gefoumlrderten Kuumlnstlern beziehungsweise in deren gesammelten und ausgestellten Entwuumlrfen ein Changieren zwischen Luxuswaren und Alltagsprodukten zu erkennen Wenn man so will hielt Osthaus an den Idealen der Lebensreformbewegung und an seinen persoumlnlichen eher traditionellen Vorstellungen von der Funktion der Kuumlnste in der industriellen Massengesellschaft fest 1915 resuumlmierte er die widerspruumlchliche Situation bdquoMein Rat war Theorien und Beschluumlsse vom gruumlnen Tisch durch die Taten von Kuumlnstlern zu ersetzen die sich bewaumlhrt haben Dies im Gegensatz zu jener Gruppe von Propheten die einzig das Wort Qualitaumlt im Munde fuumlhren ohne eine Ahnung von Kunst zu habenldquo7

9Vorwort

Einen anderen Ansatz als Osthaus verfolgte Gustav Pazaurek der Werkbundmit-glied und Direktor des Landesgewerbemuseums in Stuttgart war Pazaurek legte ab 1909 eine Sammlung von sogenannten Geschmacksverirrungen an die bis heute existiert Sie umfasste bis zum Anfang der 1930er Jahre circa 900 Objekte die der Aumlsthetik des Werkbunds widersprachen Durch die genaue Auseinandersetzung mit Gestaltungsfehlern das heiszligt durch das abschreckende schlechte Beispiel wollte Pazaurek zu guter Qualitaumlt erziehen Seine Sammlung stellte er in einer Art sbquoFolter-kammer des Ungeschmackslsquo aus und entwickelte eine ausgefeilte Systematik von Gestaltungsfehlern in Bezug auf Material Konstruktion und Dekor die er 1912 unter dem Titel Guter und schlechter Geschmack im Kunstgewerbe publizierte8 Pazaurek konzentrierte sich auf die Kunst- und Zweckform das heiszligt auf formal-aumlsthetische Kriterien moralische Aspekte wurden in seiner Gestaltungskritik nicht direkt genannt Seine einmalige Entwicklung eines hyperdifferenzierten Antikanons bleibt ndash trotz der chauvinistischen Grundhaltung Pazaureks ndash eine interessante und anregende Aufforderung zur genauen Betrachtung der Dinge und ein Beitrag zur Frage ihrer Bewertung anhand begruumlndbarer Kriterien die heute eher in komplexen gesellschaftlichen Zusammenhaumlngen liegen als in reinen Gestaltungsmerkmalen9

Neben den genannten Museums- beziehungsweise Sammlungskonzepten war das Deutsche Warenbuch von 1915 ein flexibleres komplett ortsungebundenes Instrument zur aumlsthetischen Erziehung Der Werkbund gab diesen ersten Katalog vorbildhafter Erzeugnisse (Glas Porzellan Metallwaren Beleuchtungskoumlrper Haus- und Kuumlchengeraumlte) gemeinsam mit dem Duumlrerbund heraus Das Deutsche Warenbuch sollte laut Ferdinand Avenarius dem Gruumlnder des Duumlrerbundes bdquoein bilderreiches Verzeichnis auserlesener Wareldquo sein und der bdquoVerbreitung des Gutenldquo dienen10 Josef Popp schrieb im Einfuumlhrungstext des Warenbuchs bdquoDer vollendete Hausrat war stets einfach aber gediegen in Stoff und Arbeit edel und charakteris-tisch in der Form Dadurch hatte und hat er etwas Zeitlosesldquo11

Im Gegensatz zu den im Kontext des Deutschen Museums als beispielhaft he-rausgestellten kunstgewerblichen Objekten wurden im Warenbuch vorrangig von einer Werkbund-Jury ausgewaumlhlte Massenprodukte angepriesen Der Vertrieb der Produkte wurde auf genossenschaftlicher Ebene organisiert Das Warenbuch blieb bis 1927 unveraumlndert in Gebrauch und war sehr erfolgreich12 In den 1920er Jahren diversifizierte sich allerdings das Angebot an Ratgebern fuumlr Wohnungsausstattun-gen und die Aktivitaumlten des Werkbundes zur Gestaltung des Alltags uumlberschnitten sich mit denen des Bauhauses

In der Zeit des Nationalsozialismus wurde das Warenbuch ndash trotz Aufloumlsung des DWB 1938 ndash wieder aufgegriffen und von 1939 bis 1942 als Deutsche Waren-kunde in Form einer Loseblattsammlung mit 3000 Objekten vom evangelischen Kunst-Dienst im Auftrag der Reichskammer der bildenden Kuumlnste herausgegeben Diverse Werkbund-Mitglieder waren als Experten beteiligt etwa Hermann Gretsch Walter Passarge Hans Schwippert und Mia Seeger

Diese setzten die Arbeit an der Geschmackserziehung auch im wiedergegruumln-deten Werkbund der Nachkriegszeit fort unter anderem in der ab 1955 heraus-

10 Vorwort

gegebenen Warenkunde fuumlr die dieselben Qualitaumltskriterien wie sbquoEinfachheitlsquo sbquoEhrlichkeitlsquo und sbquoKlarheitlsquo galten In der Bundesrepublik war die Verknuumlpfung von Ethik und Aumlsthetik allerdings noch in anderer Weise kulturpolitisch motiviert Nach dem totalen moralischen und oumlkonomischen Zusammenbruch Deutschlands spielte der 194950 als Gesamtverband reanimierte Verein eine zentrale Rolle dabei eine sachliche Produktkultur zu befoumlrdern und die deutschen Produkte zu Botschaftern eines besseren Deutschlands zu machen Die programmatischen An-saumltze der 1920er und 1930er Jahre kehrten wieder und wie in den fruumlhen Jahren trat in den Werkbund-Aktivitaumlten der 1950er und 1960er Jahre eine starke Aversion gegen alles Modische zutage Der nicht nur formalaumlsthetisch begruumlndete Begriff der sbquoGuten Formlsquo wurde gepraumlgt13 Mit den Warenkunden und den darin vorgestellten sbquoAusschnitten einer beruhigten Warenweltlsquo sollte der Kommunikationszusammen-hang zwischen Entwerfern Produzenten Haumlndlern und Konsumenten geordnet und gesteuert werden

Neben den Warenkunden die sich auf die Empfehlung des Einzelprodukts konzentrierten gab es nach dem Zweiten Weltkrieg noch weitere Instrumente die der aumlsthetischen Schulung dienten Die Wohnberatung sowie die Einrichtung von Musterwohnungen bezogen sich auf die Gestaltung des alltaumlglichen Lebensumfelds die Werkbundkisten die an Hauptschulen und Gymnasien eingesetzt wurden und sich an Schuumller als die kuumlnftigen Verbraucher richteten waren Teil der Bildungs-programme in den verschiedenen Bundeslaumlndern

Wie an den vorgestellten vom Werkbund entwickelten Instrumenten deutlich wird hat die Vereinigung in all ihren Strategien versucht die Sprache der Dinge im Waren-kontext rational zu steuern und nur die Vernunft im Verhaumlltnis zwischen Menschen und Dingen gelten zu lassen die sich in den Leitbegriffen Nuumltzlichkeit Zweckmaumlszligig-keit Sachlichkeit manifestierte Die formierende Kraft der Industrialisierung auf die gesamte Alltagskultur wurde vom Werkbund in eine intentionale Dingsprache und Gestaltungsabsicht uumlbersetzt Die Dinge sollten zu stummen Helfern und Dienern werden wie es Erwin Braun fuumlr die Produkte seiner Braun AG reklamierte Die im Kontext der Beratungs- und Erziehungsaktivitaumlten des Werkbunds benutzte Begriff-lichkeit folgte einem Top-down-Modell und zeigte ein rigides Sendungsbewusstsein Spaumltestens Ende der 1960er Jahre wandte sich der Werkbund jedoch von der Idee ab das Konsumverhalten der Gesellschaft maszliggeblich beeinflussen zu koumlnnen

Die im Rahmen dieser Publikation vorgelegte Anthologie von Quellentexten und Studie von Alena Janatkovaacute zum Tschechoslowakischen Werkbund und zum Werk-bund der Deutschen in der Tschechoslowakei bietet eine fruchtbare Erweiterung der Erkenntnisse zu den Werkbundaktivitaumlten jenseits der Grenzen des Deutschen Reiches Der Modellcharakter des Deutschen Werkbunds auch im oumlstlichen Mitteleuropa ist dabei besonders interessant da dazu bisher wenig publiziert wurde und vor allem der Oumlsterreichische (1912 gegruumlndet) und der Schweizerische Werkbund (1913 gegruumlndet und heute noch existent) im Bewusstsein einer Fachoumlffentlichkeit sind

Renate Flagmeier

Der Werkbund steht fuumlr Reformen des Kunstgewerbes und der Kunstindustrie die er lautstark im Sinne einer Modernisierung von Alltag Leben und Wohnen durch Qualitaumltsarbeit und Qualitaumltsprodukte verkuumlndete und zu einem Erfolg machte14 Nach dem Auseinanderbrechen der Habsburgermonarchie konnte er sich auch im oumlstlichen Mitteleuropa und zwar nachdruumlcklich in dem neu gegruumlndeten Nationalstaat Tschechoslowakei eine Schluumlsselstellung im soziooumlkonomischen Modernisierungsprojekt sichern Welche Gestalt nahm die Reformbewegung unter den tschechoslowakischen Bedingungen gemaumlszlig dem Verhaumlltnis der beteiligten Akteure und Zielgruppen an Nach wem richteten sich ihre Bestrebungen und wohin steuerten sie Hier stellt sich zugleich die Frage nach der Bedeutung des Bucherfolgs bdquoMitteleuropaldquo von Friedrich Naumann einem der fuumlhrenden Koumlpfe des DWB der die Konzeption einer Wirtschaftsgemeinschaft unter deutscher Fuumlhrung propagiert hatte15

Zwei nebeneinander bestehende tschechoslowakische Werkbundgruumlndungen sollen im Folgenden uumlber diese Bestrebungen Auskunft geben naumlmlich der Tsche-chischeTschechoslowakische Werkbund (Svaz ČeskeacutehoČeskoslovenskeacuteho Diacutela SČDSČSD) und der Werkbund der Deutschen in der Tschechoslowakei (WDT) Beide Vereine waren Akteure innerhalb der tschechoslowakischen beziehungsweise in der tschechischen slowakischen und deutschen Kultur in Boumlhmen Maumlhren und der Slowakei Inmitten der tschechoslowakischen Kulturpolitik Ende der 1920er Jahre waren sie zugleich Konkurrenten Der SČDSČSD und der WDT vertraten unterschiedliche national definierte Interessengruppen zudem differierten diese Gruppierungen auch in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht Entscheidende Be-deutung hatte dabei das Vorbild der bereits etablierten Kulturinstitution Deutscher Werkbund (DWB) als Bezugspunkt fuumlr beide Nachfolgeeinrichtungen wie auch fuumlr einzelne Ortsgruppen Der Modellcharakter des Deutschen Werkbundes bezog sich im Sinne von Joan Campbell und ihrer nach wie vor grundlegenden Analyse des DWB prinzipiell auf die vereinsmaumlszligige Gestaltung der Beziehung zwischen Kunst und Gesellschaft einschlieszliglich einer Neuausrichtung ihres Verhaumlltnisses und speziell auf die Rolle der Eliten bei der intendierten Modernisierung bezie-hungsweise Demokratisierung von Kultur in der Gesellschaft16 Die Etablierung der selbststaumlndigen Vereine SČDSČSD und WDT war durch den historischen Einschnitt von 1918 insofern bedingt als dass diese Vereine verschiedene Positionierungen des Werkbunds im neuen kulturpolitischen Kontext der Tschechoslowakei definier-ten Gegenuumlber Naumanns Idee von bdquoMitteleuropaldquo einem um Deutschland und Oumlsterreich versammelten Staatenbund suchte die Tschechoslowakei naumlmlich ihre politische und wirtschaftliche Unabhaumlngigkeit zu behaupten wobei nunmehr die

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eigenen nationalen Ziele das Zentrum ihres Interesses bildeten17 In eben diesen verschiedenen kulturpolitischen Zusammenhaumlngen ndash einerseits von Naumanns bdquoMitteleuropaldquo andererseits der neuen Tschechoslowakei ndash lassen sich die Konturen von WDT und SČDSČSD erkennen

Die nach wie vor einzige Uumlberblicksdarstellung zu dem im Winter 191314 ge-gruumlndeten Tschechischen Werkbund (SČD wiedergegruumlndet 1920 als Tschecho-slowakischer Werkbund SČSD) erschien im Publikationsrahmen von Forschungen uumlber den 1912 in Wien eingerichteten Oumlsterreichischen Werkbund (OumlWB)18 Hier vertritt der SČD jene bdquoneue Kulturorganisationldquo innerhalb Oumlsterreichs die gemaumlszlig ihrer Programmatik der tschechischen Produktion eine kuumlnstlerische Eigenart und Selbststaumlndigkeit sichern sollte19 Deutlich wird der Vorbildcharakter des Deutschen Werkbundes nochmals im Kontext der Bauausstellungen wie diesen die Mono-grafie zur Prager Bauausstellung Baba des SČSD von 1932 herausstellt und zwar ebenso grundsaumltzlich betreffend die Exposition des Wohnens in der Groszligstadt wie auch hinsichtlich spezifischer staumldtebaulicher und architektonischer Loumlsungsansaumltze nach dem Muster der Stuttgarter Werkbundsiedlung Am Weiszligenhof von 192720 Der Werkbund der Deutschen in der Tschechoslowakei (WDT) ist hingegen bisher nicht zusammenfassend eroumlrtert worden Mit den hier zusammengestellten Quellen wird daher weniger im Zusammenhang mit dem SČDSČSD als vielmehr mit dem weitgehend unerforschten WDT Neuland betreten

Keiner der tschechoslowakischen Werkbundvereine wurde bisher hinsichtlich des vereinsspezifischen und kulturpolitischen Kontextes einer Gemeinschafts-bildung zwischen Kuumlnstlern und einzelnen Produktionszweigen innerhalb der liberalisierten buumlrgerlichen Gesellschaft betrachtet Erst aus dieser Perspektive koumlnnen jedoch Erkenntnisse uumlber Strukturmerkmale der tschechoslowakischen Werkbundeinrichtungen gewonnen werden Aber auch die Kulturorganisation Deutscher Werkbund wird als Exportmodell neu beleuchtet

Ziel der vorliegenden Anthologie ist es anhand der wichtigsten programmati-schen Schriften einen systematischen Vergleich des tschechischen SČDSČSD mit dem deutschen WDT einzuleiten Den Ausgangspunkt bilden die Vereins-satzung sowie Programmatik des reichsdeutschen DWB und deren Modifizierung bei den Nachfolgegruumlndungen bdquoDer Zweck des Bundes ist die Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst Industrie und Handwerk durch Erziehung Propaganda und geschlossene Stellungnahme zu einschlaumlgigen Fragenldquo21 Der hier formulierte Plan einer Symbiose zwischen Unternehmertum und Kuumlnstlerschaft wurde von der etwa zur Haumllfte aus Kuumlnstlern und zur Haumllf-te aus Unternehmern zusammengesetzten Gruumlndungsversammlung des DWB reflektiert Die massenwirksame Popularisierung der Werkbundprogrammatik war von Anfang an kennzeichnend fuumlr die bildungs- und wirtschaftsbuumlrgerliche Progressivitaumlt des reichsdeutschen Vereins Seine Ambitionen richteten sich auf eine deutsche Massenkultur die anstelle der vormaligen bildnerischen und aumlstheti-

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schen Hochkultur nunmehr im Sinne einfacher Gebrauchskunst den Alltag breiter Bevoumllkerungsschichten praumlgen sollte Dennoch war die Fortschrittsglaumlubigkeit welche mit dem erzieherischen Impetus der Reformer stillschweigend voraus-gesetzt wurde noch dem Denken des 19 Jahrhunderts verpflichtet22 Letztlich war der Verein DWB aus der Kunstgewerbebewegung hervorgegangen er suchte sich jedoch in Auseinandersetzung mit den technischen Errungenschaften der Industrialisierung neu zu positionieren Die Werkbundarbeit umfasste ebenso unterschiedliche Produzenten sowie diverse Lobbys naumlmlich die im Werkbund organisierten Handwerker Kuumlnstler Firmen beziehungsweise Produktionsstaumltten wie sie auch auf eine weit gestreute Akzeptanz bei den Konsumenten angewiesen war Frederic J Schwartz lenkt daher die Aufmerksamkeit von den Mitgliedern auf das Wesen der Kulturorganisation Deutscher Werkbund gemaumlszlig den Regeln eines kapitalistischen Wirtschaftssystems von dem gleichzeitig die moderne Massenkultur und ihre Durchsetzung gekennzeichnet waren23 Uumlber die natio-naloumlkonomischen Vorteile dieser Massenkultur hinaus wird von dem Historiker Wolfgang Hardtwig die gruumlndliche aumlsthetische Reform des Wohnens und Lebens mit einer egalisierenden befriedenden Wirkung in Verbindung gebracht die im gesellschaftspolitischen Kontext des spaumlten Kaiserreichs auf die sozial ausein-anderdriftende Gesellschaft zielte eine Absicht die wiederum unter nationalem Vorzeichen vorangetrieben wurde In Wirklichkeit hatte vor dem Ersten Weltkrieg die neue industriewirtschaftliche Reformaumlsthetik gemaumlszlig Hardtwig allerdings nur die Kreise des Wirtschafts- und Bildungsbuumlrgertums erreicht24

Verbindlicher Kontext fuumlr den Werkbund in den boumlhmischen Laumlndern und fuumlr dessen Strukturmerkmale war vor dem Ersten Weltkrieg Oumlsterreich und der OumlWB der im Zusammenhang mit der Wiener Tagung des DWB 1912 initiiert worden war Das Konzept der Schoumlpfung und wirtschaftlichen Durchsetzung einer einheitlichen Werkkultur des OumlWB ist bei Max Eisler eingehend dargelegt Die Eigenart der oumlsterreichischen Werkkultur war demnach nicht von der industriewirtschaftlichen sondern von der handwerklichen Aumlsthetik bestimmt25

Im OumlWB waren zugleich auch die Interessen des Kunstgewerbes und der Kunst-industrie der boumlhmischen Laumlnder hervorragend repraumlsentiert Im Ausschuss des sich zentralistisch von Wien aus konstituierenden OumlWB waren als Ortsvertrauens-maumlnner aus Boumlhmen Maumlhren und Schlesien vertreten Heinrich Fanta (Professor an der kk Staatsgewerbeschule in Reichenberg) 26 Robert Freiszligler (Sekretaumlr der Handels- und Gewerbekammer fuumlr Schlesien) 27 Julius Leisching (Direktor des Erzherzog-Rainer-Museums Bruumlnn) 28 Johannes Oertel (Praumlsident des Verbandes der nordboumlhmischen Glasindustriellen Haida) Otto Primavesi (Vizepraumlsident der Oumllmuumltzer Handels- und Gewerbekammer) Ernst Schwedeler-Meyer (Direktor des Nordboumlhmischen Gewerbemuseums)29 Josef Zasche (Baurat Prag) 30 Auszligerdem zaumlhlten zu den Mitgliedern die Wiener Werkstaumltte die Prager Kuumlnstlergenossen-schaft bdquoArtělldquo die staatlichen kunstgewerblichen Fachschulen in Haida Stein-schoumlnau Teplitz-Schoumlnau und Znaim sowie zahlreiche Erzeuger und Haumlndler aus

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den boumlhmischen Laumlndern Trotz seiner deutschnationalen Orientierung fanden sich somit im OumlWB noch 1916 auch einzelne tschechische Unternehmen31

Ausgehend von dieser gemeinsamen Tradition in der oumlsterreichischen Kunst-gewerbereform der Wiener Secession und dem oumlsterreichischen Kulturliberalis-mus32 mit seiner gezielten Foumlrderung regionaler sowie lokaler kunstgewerblicher Bildungsinstitutionen durch den OumlWB und dessen Wegbereiter den Wiener Direktor des kk Gewerbefoumlrderungsamtes Adolf Vetter wird die Entwicklung von zwei eigenstaumlndigen nationalen Vereinen in den boumlhmischen Laumlndern und der Tschecho-slowakei beobachtet Trotz des gemeinsamen Ursprungs im OumlWB der mit Josef Hoffmann und seiner Wiener Werkstaumltte das Handwerk gegenuumlber der industriellen Produktkultur praumlferiert hatte gelang es im neuen Nationalstaat Tschechoslowa-kei nicht innerhalb des Werkbunds eine Uumlbereinkunft zwischen den in sozialer und in wirtschaftlicher Hinsicht unterschiedlichen Interessengemeinschaften der Tschechen und Deutschen zu finden Ansaumltze einer Kooperation mit gemeinsamer Interessenvertretung muumlndeten schlieszliglich in eine Konkurrenzsituation von zwei selbststaumlndigen Werkbundvereinen

Die Gruumlndung des SČD war im Zusammenhang mit der Koumllner Werkbundaus-stellung (1914) von dem Architekten Jan Kotěra33 initiiert worden um im Oumlster-reichischen Pavillon den eigenstaumlndigen Auftritt tschechischer Kuumlnstler und ihrer raumgestalterischen Gesamtkunstwerke zu ermoumlglichen In den Leitsaumltzen des SČD standen die Veredelung der kunstgewerblichen und industriellen Produkte unter Beteiligung der Kuumlnste gemaumlszlig einer national charakteristischen Herstel-lungsweise Ein weiteres Ziel war die Erziehung des Publikums Obgleich der Wortlaut eine enge Anlehnung an die Programmatik des Deutschen Werkbundes offenbart bezog sich der SČD namentlich auf den englischen Kunstkritiker und Kulturphilosophen John Ruskin (1819ndash1900) und generell auf die Vorlaumlufer der Kunstgewerbereform in England Mit dieser Ruumlckbesinnung auf die bdquoArts and Craftsldquo-Bewegung wurde die handwerkliche Tradition favorisiert Unter den 25 Gruumlndungsmitgliedern fanden sich im SČD bevorzugt Architekten und Kuumlnstler wie Josef Gočaacuter34 Dušan Jurkovič35 Celda Klouček36 Emil Kraacuteliacutek37 František Kysela38 Otakar Novotnyacute39 Jiřiacute Stibral40 und Joacuteža Uprka41 unter den Unter-nehmern waren der Keramikproduzent Emil Sommerschuh und der Verleger Jan Štenc42 zudem Politiker wie Ferdinand von Lobkowitz43 letzter Vorsitzender der boumlhmischen Regierung Oumlsterreichs und der Oumlkonom Rudolf Hotowetz4445 In der sozialen Zusammensetzung des Vereins blieb die Dominanz der Architekten gegen-uumlber den Unternehmern bestimmend und zwar auch nach dem Ersten Weltkrieg im wiedergegruumlndeten und anfangs deutlich nationalistisch aufgestellten Verein SČSD Der Vorsitzende wurde der Architekt Josef Gočaacuter 1925 gefolgt von dem Architekten und langjaumlhrigen Vereinsvorsitzenden Pavel Janaacutek46 und schlieszliglich von dem Architekten Oldřich Staryacute47 Zum Vorstand gehoumlrte neben Vertretern der Gewerbekammern des Industriellenverbandes und Regierungsmitarbeitern zudem der Kunsthistoriker Vaacuteclav Vileacutem Štech48 vom Schulministerium Im Nationalstaat

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Tschechoslowakei war der SČSD bestens im Netzwerk des staatlichen Kultur-betriebs eingebunden vom Schulministerium wurde seine Zusammenarbeit mit den Kunstgewerbeschulen und Museen gefoumlrdert Nach der Neugruumlndung war das Prager Kunstgewerbemuseum Veranstaltungsort der Vereinsausstellungen49 aber auch auf der Prager Mustermesse hatte der SČSD regelmaumlszligig fuumlr sich und seine Mitglieder geworben50 Dem Verein wurde daruumlber hinaus die Verantwortung fuumlr die Ausrichtung tschechoslowakischer Kunstgewerbeausstellungen uumlbertragen Vereinsorgan war zunaumlchst die avantgardistische Zeitschrift bdquoUměleckyacute měsiacutečniacutekldquo [Kuumlnstlerische Monatsschrift] die 1921 von bdquoVyacutetvarnaacute praacuteceldquo [Gestaltendes Werk] des Verlegers Štenc abgeloumlst jedoch 1925 aus wirtschaftlichen Gruumlnden wieder eingestellt wurde nach regelmaumlszligiger Berichterstattung in bdquoVyacutetvarneacute snahyldquo [Ge-staltende Bemuumlhungen] folgte dann 1931ndash33 nochmals ein eigener Auftritt mit der Vereinszeitschrift bdquoŽijemeldquo [Wir leben] In bdquoŽijemeldquo erschien auch 1931 die uumlberarbeitete Vereinssatzung mit der Verpflichtung zur Unterstuumltzung aller Be-muumlhungen um eine Verbesserung des allgemeinen Lebensstandards51 Damals war ein Anstieg der gesellschaftlichen Mobilisierung auf fast 500 Vereinsmitglieder zu verzeichnen davon waren circa ein Drittel bildende Kuumlnstler und Architekten52 In den weiteren Jahren bis zur Aufloumlsung wurden die Vereinsmitteilungen in ver-schiedenen Architektur- und Kulturzeitschriften veroumlffentlicht

Seit Anfang der 1920er Jahre wurde aber auch an der Konstituierung des WDT als Pendant zum SČSD innerhalb der Tschechoslowakei gearbeitet Die Gruumln-dungsmitglieder versammelten sich am 25 Mai 1925 in LiberecReichenberg dem wirtschaftlichen Zentrum Nordboumlhmens und vormaligen Austragungsort der Deutschboumlhmischen Ausstellung (1906)53 Seit 1922 fand hier die Reichenberger Messe statt Vertreter der in Nordboumlhmen angesiedelten traditionsreichen Gewer-bezweige der Glas- und Tuchherstellung waren mit anderen deutschboumlhmischen schlesischen und maumlhrischen Produzenten bereits Mitglieder im OumlWB gewesen beziehungsweise ihre Produktionszweige hatten zu den Hauptbetaumltigungsgebieten des oumlsterreichischen kk Gewerbefoumlrderungsamtes gezaumlhlt Unter dem Vorsitz des Teppichfabrikanten Willy Ginzkey54 versammelten sich im WDT insgesamt 44 deutsche Einzel- und Mittelspersonen aus Bildung Handel und Gewerbe der Tschechoslowakei (Handels- und Gewerbekammern Gewerbevereine Deutsche Technische Universitaumlten kunstgewerbliche Fachschulen Kunstvereine wie der Metznerbund) Im Arbeitsausschuss waren auch prominente Vertreter der tsche-choslowakischen Denkmalaumlmter wie Karl Kuumlhn55 Rudolf Houmlnigschmid56 und der Architekt und Kunsthistoriker Otto Kletzl57 praumlsent Anlass fuumlr die Gruumlndungs-versammlung gaben die Pariser Ausstellung Arts Deacuteco (1925) und der Wunsch nach einer selbststaumlndigen Exposition der Deutschen im Tschechoslowakischen Pavillon Die Vereinsgruumlndung wurde jedoch erst Anfang des Jahres 1926 durch eine staatliche Genehmigung der Vereinssatzung bestaumltigt Zugleich wurde dem Verein jegliche politische Betaumltigung untersagt58 Publikationsorgan des WDT wurde das von Otto Kletzl herausgegebene bdquoSudetendeutsche Jahrbuchldquo veroumlffentlicht

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mit Unterstuumltzung der sogenannten bdquoSudetendeutschen Schutzverbaumlndeldquo (Bund der Deutschen Deutscher Kulturverband Deutscher Turnverband) in der Tsche-choslowakei Dieser Kontext ist kennzeichnend fuumlr eine Diskursgemeinschaft des WDT die innerhalb der tschechoslowakischen Wirtschaft und Kultur tendenziell die Vorzuumlge der Deutschen im Blick hatte und nur bedingt vom Staat unterstuumltzt wurde

So unterschiedlich die wirtschaftliche und kulturelle beziehungsweise politische Orientierung des SČDSČSD gegenuumlber dem WDT war so verschieden gestaltete sich auch die Entwicklung beider Vereine die innerhalb der gesetzten Rahmen-bedingungen durchaus elitaumlr aufgestellt waren Handwerker oder einfache Arbeiter waren weder im Vereinsvorstand noch im Arbeitsausschuss praumlsent An einem Zusammenschluss des WDT mit dem SČSD zeigte der Staat zwar Interesse weil dies wohl auszliger Kooperation auch Kontrolle bedeutet haumltte Diese Verbindung war jedoch von keinem der Vereine gewollt Es blieb bei einer Konkurrenzsituation zwischen den zwei tschechoslowakischen Werkbundeinrichtungen die jede fuumlr sich mit eigener Werkbundarbeit die Produzenten durch Wettbewerbe zu motivieren und die Konsumenten auf Ausstellungen sowie mit Publikationen zu uumlberzeugen suchte Waumlhrend sich der SČSD zunehmend fuumlr eine tschechoslowakische Massenkultur einsetzte die vom modernen Wohnen ausgehend alle Lebensbereiche einbeziehen und dabei explizit auch die Slowakei integrieren sollte richtete er sich nach den aktuellen Bestrebungen des Deutschen Werkbunds an dessen bdquoBund mit der Zu-kunftldquo der Jahre 1924ndash1928 (Joan Campbell) Die angestrebte Vereinheitlichung der Gesellschaft nach spezifisch buumlrgerlichen Norm- und Wertvorstellungen ge-maumlszlig den Anspruumlchen an Hygiene Gesundheit und Ordnung wandte sich ebenso gegen vermeintliche Niederungen der Wohnverhaumlltnisse sozialer Grundschichten wie gegen einen sogenannten Luxus den bildungsbuumlrgerlichen Idealen zufolge sollte diese Egalisierungsabsicht durch Erziehung an Breitenwirkung gewinnen Damit verbunden war zugleich eine Internationalisierung der Gesellschaft die das gesamte Lebensumfeld betraf59 Anstelle der Foumlrderung von kulturellen Traditionen sowie Eigentuumlmlichkeiten eines populaumlren bdquoLokalkoloritsldquo wurde nunmehr der internationale Standard propagiert Unter der Praumlmisse LichtndashLuftndashSonne galt es allerdings den Forderungen der Hygienebewegung gemaumlszlig den lokalen Verhaumlltnis-sen gerecht zu werden und entsprechende aktuelle Wohnmodelle in landeseigener Produktion von der architektonischen Planung bis zur Einrichtung herzustellen ndash gerade Pavel Janaacutek hatte hier mit seiner Architekturklasse an der Prager staatlichen Kunstgewerbeschule intensiv an Loumlsungen gearbeitet die den lokalen Bedingungen in technischer wie auch materialspezifischer Hinsicht angepasst sein sollten60 Die Etablierung des SČSD als der tschechoslowakischen Kulturorganisation mit offi-ziellem Auftrag einer Auszligendarstellung der tschechoslowakischen Kultur scheiterte zwar an Interessenkonflikten und Finanzierungsfragen zwischen den Ministerien61 dennoch wurde sein Modernisierungsprojekt im Zusammenspiel der Ortsgruppen mit der Kommunalpolitik unter anderem in BratislavaPressburg BrnoBruumlnn oder Hradec KraacuteloveacuteKoumlniggraumltz vorangetrieben62 Parallel zur wirtschaftlichen und

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rechtlichen Sicherstellung der Existenzgrundlage des tschechoslowakischen Kunst-gewerbes beziehungsweise der Kunstindustrie verfolgte der SČSD ebenfalls seine gesellschaftlichen Erziehungsideale in Zusammenhang mit einem umfassenden Bildungsauftrag der Kunstgewerbemuseen und in eigenen Ausstellungsraumlumen auf Wander- und Auslandsausstellungen in Verkaufs- und Beratungsstellen Biblio-theken und Archiven63 Der WDT hingegen geriet als Vertreter von Luxusproduk-tionszweigen und Exportartikeln der Schmuck- und Glasindustrie zunehmend ins Abseits diese Tendenz wurde durch die Weltwirtschaftskrise noch verstaumlrkt Die geplante Gruumlndung einer Ortsgruppe in Bruumlnn haumltte womoumlglich die uumlberregionale Positionierung des WDT weiter staumlrken koumlnnen sie kam allerdings nicht mehr zustande Nach dem Ableben des Vorsitzenden Ginzkey im Jahr 1934 verliert sich die Spur des WDT Damals wurde auch die bdquosudetendeutsche Kulturpolitikldquo im Interesse des Deutschen Reiches neu sortiert Diese kulturpolitische Umbruch-situation hinterlieszlig ebenfalls beim SČSD ihre Spuren Infolge der Besetzung der so bezeichneten sudetendeutschen Gebiete 1939 wurde der nunmehr auf SČD geschrumpfte tschechische Verein in der bdquoZweiten Republikldquo und im bdquoReichspro-tektorat Boumlhmen und Maumlhrenldquo weiterhin geduldet nach dem Zweiten Weltkrieg wird der bis dahin selbststaumlndige Verein im Jahr 1948 aufgeloumlst

Zur AnthologieDie nachfolgende Auswahl an Quellenmaterial (deutschsprachige Texte im ur-spruumlnglichen Wortlaut tschechischsprachige Texte in deutscher Uumlbersetzung Abbildungen vorzugsweise von Gebrauchsdingen aus dem Publikations- und Aus-stellungskontext der Werkbundvereine) dokumentiert den Werdegang des Werk-bundes in den boumlhmischen Laumlndern und bietet eine Grundlage fuumlr die vergleichende Forschung zum Exportmodell DWBOumlWB und den nachfolgenden tschechischen beziehungsweise tschechoslowakischen Werkbundinitiativen Ausgangspunkt ist vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs der OumlWB Bei Max Eisler erscheint die Idee einer gemeinsamen oumlsterreichischen Werkkultur als ein geschlossener Produkti-ons- und Konsumentenzirkel ndash vom Kuumlnstler ausgehend uumlber den Bildungsweg den Erzeuger den Aussteller bis hin zum Haumlndler und Kaumlufer ndash differenziert64 Das Programm des SČD65 und die Buchpublikation des Tschechischen Werkbundes zur Koumllner Ausstellung von 191466 verdeutlichen das Profil des sich separierenden tschechischen Vereins Fuumlr die Entwicklung des Werkbundes in der Zwischen-kriegszeit stehen einerseits das neue Programm des SČSD (1921)67 sowie dessen Uumlberarbeitung in den 1930er Jahren68 und andererseits das Programm des WDT von 192769 Die jeweilige Programmatik beider tschechoslowakischer Werkbund-vereine wird mit entsprechend charakteristischen Bildfolgen illustriert wobei die abschlieszligende Bildfolge der Werbebroschuumlre des SČSD bdquoUumlber das Wohnenldquo70 Aufschluss uumlber seine Neuausrichtung in den 1930er Jahren und somit uumlber die letzte offensive Arbeitsetappe des tschechischen Vereins gibt

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Die vorliegende Publikation ist Ergebnis des Forschungsprojekts bdquoDer Tschecho-slowakische Werkbund und der Werkbund der Deutschen in der Tschechoslowa-keildquo das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft uumlber zwei Jahre groszligzuumlgig gefoumlrdert am Institut fuumlr Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik Fach-gebiet Kunstgeschichte der Technischen Universitaumlt Berlin durchgefuumlhrt wurde Die Realisierung des Projekts war nur moumlglich dank dieser Foumlrderung sowie der tatkraumlftigen Unterstuumltzung des Instituts und insbesondere dank der versierten An-teilnahme von Magdalena Bushart Gestaumlrkt wurde der Forschungsfortgang durch die sachkundige Kooperation mit Vladimiacuter Šlapeta (Technische Universitaumlt BrnoBruumlnn Fakultaumlt Architektur Abteilung Theorie) der Stiftung Bibliothek Werner Oechslin und Renate Flagmeier (Werkbundarchiv ndash Museum der Dinge) sowie das freundliche Entgegenkommen von Anna Kašparovaacute und Jan Mohr (Nordboumlhmisches Gewerbemuseum LiberecReichenberg) Ihnen und den vielen hilfsbereiten Mit-wirkenden bei Recherchen in den Archiven (Bundesarchiv Berlin Werkbundarchiv Berlin Architekturarchiv Nationales Technikmuseum PrahaPrag Nationalarchiv Prag Landesarchiv Reichenberg Archiv des Nordboumlhmischen Gewerbemuseums Reichenberg Landesarchiv Bruumlnn Stadtarchiv Bruumlnn Landesarchiv OpavaTroppau) und den Bibliotheken (Bibliothek Nordboumlhmisches Gewerbemuseum Reichenberg Bibliothek Nationales Technikmuseum Prag Kunstbibliothek Berlin Staatsbibliothek Berlin Staatsbibliothek Prag) bin ich in Dankbarkeit verbunden

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Die Oumlsterreichische Werkkultur

Aus den Statuten des Oumlsterreichischen Werkbundes 71

sect 2 Der Zweck des Vereines ist die Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst Industrie und Handwerk durch Erziehung und Propaganda die Pflege des kunstgemaumlszligen Echten aller Zeiten auf allen Gebieten menschlicher Betaumltigung Hebung des kuumlnstlerischen Geschmackes und Urteiles und Foumlrderung aller gleichen Zielen zugewandten Bestrebungen Dabei soll auf die Pflege und Entwicklung der nationalen Eigenart der kuumlnstlerischen und gewerblichen Produktion besonderes Augenmerk gerichtet werden

sect 4 Dem Verein gehoumlren an 1 Ehrenmitglieder 2 Stifter 3 Ordentliche Mitglieder

sect 7 Ordentliche Mitglieder des Vereines koumlnnen sein Kenner Kuumlnstler Industrielle und Gewerbetreibende

sect 8 Die Aufnahme der Mitglieder erfolgt nur nach vorhergegangener Einladung durch Beschluszlig des Vorstandes und wird durch Eintragung in die Mitgliederliste vollzogen die vom Generalsekretaumlr gefuumlhrt wird Von der Konstituierung des Vereines werden die Mitglieder durch die Proponenten aufgenommen

sect 9 Der jaumlhrliche Beitrag der ordentlichen Mitglieder wird von jedem Mitgliede durch Selbsteinschaumltzung nach dem Maszlige seiner Leistungsfaumlhigkeit festgesetzt betraumlgt fuumlr einzelne Personen mindestens zehn Kronen fuumlr Firmen mindestens fuumlnfzig Kronen

Uumlber das bdquoWerkschaffenldquo gemaumlszlig dem Verstaumlndnis des OumlWB (gegr 1912) unter-richtet 1916 die repraumlsentative Publikation des Wiener Kunsthistorikers und Gruumlndungsmitglieds des OumlWB Max Eisler Es handelt sich dabei um eine mit den Jahrbuumlchern des Deutschen Werkbundes vergleichbare Konsultation des eigenen Standpunktes im aktuellen Kulturdiskurs An den Jahrbuumlchern war auch die Buchge-staltung orientiert72 Der OumlWB identifizierte sich damit in seinem Selbstverstaumlndnis und zugleich in seiner Selbstdarstellung mit dem DWB Diese Uumlbereinstimmung zwischen OumlWB und DWB uumlberrascht kaum hatte doch der Letztere seit seiner Gruumlndung den gesamten deutschen Sprachraum inklusive Oumlsterreich zum eigenen Arbeitsgebiet erklaumlrt73

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Die Oumlsterreichische Werkkultur wird bei Eisler in sechs Kapiteln dargestellt die ein geschlossenes System der Werkerziehung praumlsentieren Der umfassende Anspruch an bdquoWerkkunstldquo als bdquoLebensgestaltungldquo wird eingangs mit dem Ent-wurf fuumlr einen neuen Wiener Stadtbezirk74 von dem Wiener Architekturtheoretiker Stadtplaner und OumlWB Mitglied Otto Wagner demonstriert und zwar im Sinne des ganzheitlichen groszligstaumldtisch gepraumlgten Kulturbegriffs vom Sofakissen bis zum Stadtplan75 beziehungsweise hier von der Stadtplanung bis zur Wohnstaumltte und ihrer Einrichtung bdquoAus allen Schoumlpfungen blickt dieselbe auf den klar erkannten Voraussetzungen bauende rein in ihren Grenzen taumltige Art des Meisters der die Vielheit der Aufgaben durch die Einheit seiner geraden werktuumlchtigen Gesinnung bewaumlltigt und uumlberwindetldquo76

Der Kuumlnstler ndash und namentlich insbesondere der Wiener Architekt und Kunst-gewerbler Begruumlnder der Wiener Werkstaumltte und Mitbegruumlnder des OumlWB Josef Hoffmann ndash wird im ersten Kapitel als der Schoumlpfer der groszligstaumldtischen bdquoWerkformldquo eingefuumlhrt Theoretisch wird diese bdquoWerkformldquo mit Hilfe des Gedankengebaumludes einer bdquoKern-ldquo und bdquoKunstformldquo verdeutlicht zusaumltzlicher Schmuck wird jedoch abgelehnt bdquoDie Fassade ist das Kleid fuumlr das Hausinnere Der Stuckprunk auf einer Zinshausfassade ist wie der Abendflitter eines armseligen Komoumldiantenldquo77 Mit solchen Vorstellungen der Bekleidungstheorie hatte sich kurz zuvor Otto Wagner auseinandergesetzt78

Das zweite Kapitel befasst sich mit dem Bildungsauftrag der bdquoWerkerziehungldquo Der Kuumlnstler avanciert dabei zum Lehrer der nach einem Lehrplan letztlich sein freies Schaffen in den zweckgebundenen Dienst des oumlffentlichen Lehrauftrags stellt79 Verbindliche Praumlmisse der ganzheitlichen bdquoWerkerziehungldquo ist bdquoder Mensch [als] der Maszligstab dieser Dingeldquo des Alltagsgebrauchs Nach dieser Regel in der Architekturtheorie seit Vitruv soll sich auch die Ausbildung zum selbststaumlndigen Werkkuumlnstler richten80 Die kk Kunstgewerbeschule gilt im Zusammenhang mit der Mustersammlung des kk Oumlsterreichischen Museums fuumlr Kunst und Industrie in Wien als vorbildlich fuumlr eine wirksame durchaus zentralistisch beziehungs-weise hierarchisch organisierte Werkerziehung selbststaumlndiger Werkkuumlnstler Die einzelnen kk Fachschulen erfuumlllen hier ihre Aufgabe als Multiplikatoren dieser zentralen Einrichtung Eine weitere Oumlffentlichkeit soll mit Unterrichtsangeboten in Kunst und Technik an den Kunstgewerbeschulen erreicht werden diese Oumlffnung der Bildungseinrichtungen zielt uumlber die kunstgewerblichen Produktionskreise hinaus auf eine Erziehung des konsumierenden Publikums81

Unter den bdquoErzeugernldquo denen sich das dritte Kapitel widmet werden ebenso die selbststaumlndigen Werkkuumlnstler wie alle Handwerker und Heimarbeiter aufgefuumlhrt Als bedeutende Neuerung in dieser Produktion gelten dem OumlWB wie zuvor dem DWB die Industriearbeiter gerade mit ihnen wird die kuumlnftige soziale Aufgabe in Verbindung gebracht Prinzipiell soll die Werkkultur innerhalb der Industrie gestaumlrkt werden wofuumlr exemplarisch die enge Verflechtung des Bildungsauftrags der Fachschulen mit der boumlhmischen Glasproduktion der Massenmoumlbel- sowie der Textil- (Teppich-) und Tapetenproduktion aufgefuumlhrt wird82

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Die Werkkultur braucht allerdings den Konsens in Geschmacksfragen Als entscheidendes Bindeglied einer solchen gegenseitigen Verstaumlndigung zwischen Produktion und Vertrieb wird der Aussteller praumlsentiert (viertes Kapitel) Aufgabe der Ausstellungen ist es demnach fuumlr die Vermittlung gemeinsamer Grundsaumltze innerhalb einer oumlsterreichischen Vielheit von Produzenten und Konsumenten ein-zutreten an dieser wechselseitigen Uumlbereinkunft und ihrer fortlaufenden Pruumlfung beziehungsweise Erneuerung sollen alle teilhaben KuumlnstlerErzeuger ebenso wie HaumlndlerKaumluferBetrachter83 Der oumlsterreichischen Werkkultur und ihrer Durchset-zung ist gemaumlszlig Eislers Darstellung der Kreislauf oumlkonomischer Relationen zwischen Kunst und Kapitalismus aumluszligerst dienlich Die Vielheit des oumlsterreichischen Voumllker-wesens soll dabei auf eine werkgebende Eigenart festgelegt werden die zugleich auf dem gemeinsamen Vorgehen und gezielter Zusammenarbeit der Landesmuseen mit den Kunstgewerbeschulen nach uumlbereinstimmenden Grundsaumltzen beruht84

Zeugnis dieser vereinheitlichenden Bestrebungen einer oumlsterreichischen Ge-schmacksbildung ist sogleich die erste Wanderausstellung des OumlWB bdquoVon neuen Arbeiten des heimischen Kunsthandwerksldquo im Reichenberger Nordboumlhmischen Gewerbemuseum im Juli 1913 gewesen Unter den ausgestellten Objekten im Eigentum des k k Oumlsterreichischen Museums fuumlr Kunst und Industrie in Wien und zwar als Bestandteil seiner bdquoSammlungen eigentuumlmlicher oder musterguumlltiger Arbeiten des modernen Kunstgewerbesldquo85 waren auszliger den Wiener Exponaten auch Ausstellungsstuumlcke zu sehen die an den boumlhmischen k k Fachschulen in Haida Steinschoumlnau und Znaim gefertigt oder im Auftrag von privaten Firmen teilweise in boumlhmischen Produktionsstaumltten hergestellt worden sind etwa die nach Entwuumlrfen der Wiener Kuumlnstler Josef Hoffmann und Oskar Strnad gefertigten Glaumlser der Glas-fabrikaten J amp L Lobmeyr oder von Joh Loumltz86 Dem Prinzip der Arbeitsteilung folgend waren die Heimarbeiter (beispielsweise Aumltzer Kugler Graveure Schleifer) das letzte Glied im Herstellungsprozess87 Allerdings hatte die Werkkultur nach Wiener Vorbild fuumlr die Arbeiter in sozialer Hinsicht kaum Vorteile zu bieten im Unterschied zum entwerfenden Kuumlnstler blieb der Heimarbeiter anonym

In der bdquoKette unmittelbarer Erziehungswirkungldquo nehmen gemaumlszlig Eisler der Haumlndler und der Kaumlufer letztendlich die Schluumlsselstellung ein (fuumlnftes Kapitel) Vom Werkursprung ausgehend an dem KuumlnstlerLehrerErzeuger teilhaben ist mit dem Konsumenten die Zielgruppe der geschmacksbildenden Bemuumlhungen genannt mittels eines geschickten Haumlndlers und seiner Verkaufsstrategie (der Haumlndler als Erzieher88) soll nunmehr das Produkt nach den Gesetzmaumlszligigkeiten des Marktes einen Verkaufserfolg verbuchen und so seinen Zweck als Qualitaumltsware erfuumlllen89

Der Erziehungsanspruch ist somit einer oumlkonomischen Fortschrittsidee ver-pflichtet welche die beabsichtigte Modernisierung der Alltagskultur gaumlnzlich dem Marktprinzip unterwirft beziehungsweise von der Vermarktung getragen wird Anders als die industriell hergestellte Massenware wird innerhalb der bdquogemein-deutschenldquo Werkkunst fuumlr die oumlsterreichische Besonderheit gerade ihr handwerk-licher Charakter beansprucht der dieser einen exklusiven bdquoOriginalwertldquo aufgrund des einmaligen urheberrechtlich zu schuumltzenden Kuumlnstlerentwurfs sichern soll90

22 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Werkbund-Kontroverse zwischen Befuumlrwortern einer Typisierung gegenuumlber den Individualisten auf der Werkbund-Ausstellung in Koumlln 1914 von Frederic J Schwartz primaumlr als ein Konflikt eben um den urheberrechtlichen Schutz des Kuumlnstlers entschluumlsselt duumlrfte eine Voraussetzung dieser Argumentation und Wert-schaumltzung der kuumlnstlerischen Originalitaumlt sein91 gerade im Zusammenhang mit der arbeitsteiligen Produktion spielte der urheberrechtliche Schutz des Kuumlnstlers eine besonders wichtige Rolle Der OumlWB hat damit eigene Konturen auf dem Kunst-markt und bei der Vermarktung von Kultur gewonnen

Die Organisation der oumlsterreichischen Werkkultur wird schlieszliglich anhand der Werkbundarbeit im oumlsterreichischen Pavillon auf derselben Koumllner Werkbundaus-stellung von 1914 verdeutlicht (sechstes Kapitel) Die Erfolgsbilanz der bdquooumlster-reichischen Sonderartldquo als der bdquotreibenden Vielheitldquo92 in der bdquobindenden Einheitldquo wird explizit auch in Verbindung mit dem Beitrag des Tschechischen Werkbundes im Oumlsterreichischen Pavillon herausgestellt er war fester Bestandteil der oumlster-reichischen Exposition und bekraumlftigte deren Sonderstatus mit der dargebotenen sogenannten Handwerkskunst93 Tatsaumlchlich hatte diese wie sich Adolf Loos aus-druumlckte bdquoLuxuskunst fuumlr die oberen Zehntausend der modernen Groszligstadtldquo einige potenzielle Kaumlufer versammeln koumlnnen die Verkaufsverhandlungen wurden jedoch wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges unterbrochen94

Eislers Praumlsentation des OumlWB endet mit einer Auflistung der Mitglieder (ins-gesamt 627) wobei im Arbeitsausschuss unter anderen Vertrauensmaumlnner aus Boumlhmen Maumlhren und Schlesien genannt sind Zu den Mitgliedern zaumlhlt zwar auch die tschechische Kuumlnstlergenossenschaft bdquoArtělldquo jedoch sind des Weiteren fast ausschlieszliglich deutsche Einrichtungen der boumlhmischen Laumlnder vertreten (siebtes Kapitel)

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Max Eisler Die Oumlsterreichische Werkkultur herausgegeben vom Oumlsterreichischen Werkbund OumlWB Wien 1916 S 5ndash54

Der KuumlnstlerWerkkunst ist Lebensgestaltung ausgedruumlckt in Formen die dem Gebrauche oder auch nur dem Auge dienen immer aber jene Befriedigung hervorrufen die eine aufrichtige dem Material und Zwecke klar entsprechende Behandlung mit sich fuumlhrt In der besonderen Art in der der Kuumlnstler diese aller Werkkunst gemeinsame Aufgabe erfuumlllt aumluszligert sich seine Persoumlnlichkeit Doch kann ihr Schaffen der Mitwelt der sie angehoumlrt nicht entraten Sie muszlig ihre Zeit und ihren Lebenskreis taumltigen Anteil nehmen lassen an dem Werke Nur so gibt sie Lebensgestaltung nur so wird Werkkunst zur Werkkultur

Wir koumlnnen ihre Leistung auch nur dann ganz verstehen und nach voller Gebuumlhr wuumlrdigen wenn wir dem lebendigen Austausch zwischen Kuumlnstler und Mitwelt aufmerksam folgen und uns daruumlber klar werden was er ihr was sie ihm gibt Diese Klarheit laumlszligt sich aber wieder nur an dem Werkgange gewinnen Nur wenn wir erfahren haben wie das wird was wir als Fertiges vor uns haben wird unser Urteil daruumlber vernuumlnftig und billig unser Genuszlig begruumlndet sein Wenn wir dann von einem Werke sagen bdquoDas ist gutldquo oder bdquoDas ist schoumlnldquo so wird Sinn in diesen Worten liegen und wir werden was unserem Geschmacke ungelegen kommt nicht ohneweiters verwerfen weil unser Urteil dann nicht mehr vom gefaumllligen Eindruck aufs Auge abhaumlngt sondern auf allseitiges Ver-stehen zuruumlckgehtEs wird darum der Sache und dem Leser gleich foumlrderlich sein wenn wir ver-suchen in das Werkschaffen einigermaszligen einzufuumlhren ehe wir sein Ergebnis eingehender betrachten

Wir stellen den Kuumlnstler voranDie umfassendste gelaumlufige Werkform auf die sich das Schaffen eines Kuumlnst-

lers aus der Mitte unseres Bundes gegenwaumlrtig richtet ist das wohlversehene Haus ndash nicht das auszligergewoumlhnliche der Festbau sondern das Wohnhaus ndash und hier wieder nicht das eines besonderen kleinen Geschaumlftskreises sondern das des werktaumltigen Buumlrgerstandes allerdings eines groszligstaumldtisch kultivierten vor allem des Wieners Der umfassendste durchschnittliche Zweck in dem diese Arbeit zu ihrem reinsten Ausdruck kommt ist also die Wohnstaumltte fuumlr vorgeschrittene und zeitgemaumlszlige wirkende Stadtmenschen Im Rahmen dieser Aufgabe decken sich Art und Beduumlrfnis des auftraggebenden Bauherrn am meis-ten mit der Gesinnung des ausfuumlhrenden Kuumlnstlers und auf diese weitgehende Annaumlherung beider beruht ersten Grundes die lebendige Vollkommenheit des Werkes

Nun steht ein Groszligstadthaus niemals fuumlr sich hat Nachbarn und Gegenuumlber muszlig auf sie die Ruumlcksicht nehmen die das Glied dem Koumlrper schuldet und mit den Kameraden von nebenan und druumlben darnach sehen wie der umbaute

24 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Freiraum zu seiner kuumlnstlerischen Erscheinung kommt Denn davon haumlngt alles andere ab Das beste und schoumlnste Haus wird verkuumlmmert oder aufdringlich jedenfalls am unrechten Platze erscheinen wenn es sich nicht in einen uumlber-einkommenden Raumplan einfuumlgt und einem vollkommenen Freiraume kann auch ein belangloses Einzelstuumlck nicht gar erheblich schaden Es gilt darum fuumlrs erste den Grundriszlig des Auszligenraumes festzulegen und seine Bauwaumlnde in ein wohlgemessenes Verhaumlltnis zu bringen Das war und ist Raumkunst in ihrem urspruumlnglichsten und aumluszligersten Sinne

Aber wie die Dinge heute liegen bleibt dieser Anfang alles Werkschaffens im Bauen meist ein frommer Wunsch Wir sind fast in allen Gebieten des Lebens zumal in der stadtbildlichen Arbeit nicht freie Begruumlnder sondern Erben und Fortsetzer der Kultur Da ist es schon eine hohe Tugend sie nach jeder Tunlich-keit vorwaumlrtszubringen in den Grenzen des Moumlglichen der Zeit zu geben was ihres Geistes und Koumlnnens ist

Erstes naumlchstgelegenes Ziel dieses Teils der Werkkunst ist die Groszligstadt denn die Groszligstadt ist die modernste Form des menschlichen Zusammenle-bens und die Aufgaben die sie stellt sind vom gegenwaumlrtigen Geiste erfuumlllt Aber im Bereiche eines altstaumldtischen Wesens wie etwa Wiens begegnet jedes umfassende Beginnen gerade den staumlrksten Hemmungen Im innerstaumldtischen Kreise verlangt der uumlberkommene Freiraum sein Recht wo er mit neuen An-lagen durchbrochen wird herrscht der Raster der behoumlrdlichen Bauvorschrift fuumlhren Verkehr und Hygiene ihre wohlgemeinte ausschlieszligliche Sprache zieht sich die Kunst auf die eintoumlnige Handhabung von Reiszligbrett und Lineal zuruumlck Selten nur wird ihrer freieren Uumlbung hier Gelegenheit geboten einem ganzen Stadtteil von Grund auf sein Gepraumlge zu geben dh dem Zuge der Straszligen der Umriszliglinie der Plaumltze dem Grundriszlig eines ganzen Viertels die Richtung zu weisen also stadtbildlich im durchgreifendsten Sinne zu wirken Bei solchem Zustande stehen ihrer vollen freien Entfaltung nur die aumluszligeren unverbauten Bezirke offen Hier kann sie ganze Arbeit leisten Und sie wird das im Sinne der Werkkunst wenn sie zunaumlchst das Wegnetz nach den oumlrtlich bedingten Erfordernissen richtet das Neuviertel mit offenen Straumlngen an den Altkern bindet dort klar und entschlossen zwischen Haupt- und Nebenstraszligen Wohn- Wirtschafts- und Festwegen zwischen Monumental- Verkehrs- und Erholungs-plaumltzen scheidet dh allen Anspruumlchen groszligstaumldtischer Vernunft genuumlgt Der Kunst geschieht dabei schon genug wenn nur der Grundriszlig ndash einerlei wie er verlaumluft ndash den Zweck des Ganzen in seiner Einheit der Teile in ihrer Besonderheit sinnfaumlllig fuumlr jedermann einleuchtend erkennen laumlszligt und dazu den kuumlnftigen Baumeistern die Grundmoumlglichkeit schafft nicht Wand gegen Wand sondern Baukoumlrper gegen Koumlrper zu setzen und aus beiden klargemessenen wohlbe-wegten Auszligenraum zu bilden

Naumlher dem alten Siedlungskerne bleibt nur die Auseinandersetzung mit dem Uumlberlieferten Hier gilt es Zeitverstand handelnd beweisen dh verstehen der Zeit von damals und heute Bloszliges Konservieren waumlre Gedankenfaulheit und

Page 4: DER TSCHECHOSLOWAKISCHE WERKBUND UND DER WERKBUND … · 2018-10-04 · Vorwort Der Deutsche Werkbund Der Architekt und preußische Staatsbeamte Hermann Muthesius hat 1907 das Ziel

8 Vorwort

und Warenkunden Wohnberatung und Musterwohnungen sowie die sogenannten Werkbundkisten3

Zu Beginn des 20 Jahrhunderts reichten die Industrieausstellungen und Kunst-gewerbemuseen als Vermittler zwischen Kunst und Industrie nicht mehr aus so dass der Werkbund versuchte diese Funktion neu zu definieren und an die flexiblen und beschleunigten Erfordernisse des Marktes anzupassen

In diesem Sinn ist das erste Werkbund-Museum zu verstehen Das 1909 in Hagen von dem Industriellen Karl Ernst Osthaus initiierte und geleitete Deutsche Museum fuumlr Kunst in Handel und Gewerbe orientierte sich im Gegensatz zu den gesammelten sbquoPrunkstuumlckenlsquo in den Kunstgewerbemuseen an der zeitgenoumlssischen Produktkultur und entwickelte das mobile Instrument der Wanderausstellungen4 Im Kontext der Werkbund-Aktivitaumlten bis 1914 war das Museum von groszliger Bedeutung es nahm an zahlreichen Veranstaltungen teil organisierte selbst Vortraumlge und bot ein breites thematisches Spektrum von Ausstellungen an die jeweils an verschiedenen Orten gezeigt wurden Die groumlszligte Ausstellung German Applied Arts war 1912 in NewarkNew Jersey zu sehen und zirkulierte dann im Laufe eines Jahres durch die USA Auf dem Houmlhepunkt seiner Taumltigkeit um 191314 verlieh das Deutsche Museum uumlber seine sbquoAusstellungszentralelsquo 26 Ausstellungen mit ausgewaumlhlten Exponaten und Praumlsentationselementen gegen eine niedrige Ausleihgebuumlhr

Die Zielsetzung des Werkbunds und den damit verbundenen Auftrag des Deut-schen Museums formulierte Osthaus folgendermaszligen bdquoDie Bewegung zu einer modernen Kultur [hellip] hat ein voumlllig neues Verhaumlltnis zwischen den wesentlichen Faktoren unseres Wirtschaftslebens geschaffen Indem der Haumlndler bisher zwischen Erzeuger und Kaumlufer vermittelte formulierte er recht eigentlich den oumlffentlichen Geschmack [hellip] Der Kuumlnstler aus dem gewerblichen Leben ausgeschaltet stand resigniert bei Seite bis der Tiefstand unserer nationalen Kultur einem groumlszligeren Kreise von Kaumlufern fuumlhlbar wurde Es wurde das Problem der Zeit unter den vier Faktoren Kuumlnstler Erzeuger Haumlndler und Kaumlufer die wirtschaftliche Gleichung herzustellen An seiner Loumlsung arbeitet der Deutsche Werkbundldquo5

Das Deutsche Museum wurde dafuumlr kritisiert den kuumlnstlerischen Aspekt zu sehr zu betonen und die bdquokaufmaumlnnischen Gesichtspunkte insbesondere die For-derungen die der Kaufmann aus der Verfolgung seiner Ziele heraus dem Kuumlnstler stelltldquo6 zu vernachlaumlssigen Trotz der avantgardistischen Konzeption des Deutschen Museums fuumlr Kunst in Handel und Gewerbe ist bei den von Osthaus gefoumlrderten Kuumlnstlern beziehungsweise in deren gesammelten und ausgestellten Entwuumlrfen ein Changieren zwischen Luxuswaren und Alltagsprodukten zu erkennen Wenn man so will hielt Osthaus an den Idealen der Lebensreformbewegung und an seinen persoumlnlichen eher traditionellen Vorstellungen von der Funktion der Kuumlnste in der industriellen Massengesellschaft fest 1915 resuumlmierte er die widerspruumlchliche Situation bdquoMein Rat war Theorien und Beschluumlsse vom gruumlnen Tisch durch die Taten von Kuumlnstlern zu ersetzen die sich bewaumlhrt haben Dies im Gegensatz zu jener Gruppe von Propheten die einzig das Wort Qualitaumlt im Munde fuumlhren ohne eine Ahnung von Kunst zu habenldquo7

9Vorwort

Einen anderen Ansatz als Osthaus verfolgte Gustav Pazaurek der Werkbundmit-glied und Direktor des Landesgewerbemuseums in Stuttgart war Pazaurek legte ab 1909 eine Sammlung von sogenannten Geschmacksverirrungen an die bis heute existiert Sie umfasste bis zum Anfang der 1930er Jahre circa 900 Objekte die der Aumlsthetik des Werkbunds widersprachen Durch die genaue Auseinandersetzung mit Gestaltungsfehlern das heiszligt durch das abschreckende schlechte Beispiel wollte Pazaurek zu guter Qualitaumlt erziehen Seine Sammlung stellte er in einer Art sbquoFolter-kammer des Ungeschmackslsquo aus und entwickelte eine ausgefeilte Systematik von Gestaltungsfehlern in Bezug auf Material Konstruktion und Dekor die er 1912 unter dem Titel Guter und schlechter Geschmack im Kunstgewerbe publizierte8 Pazaurek konzentrierte sich auf die Kunst- und Zweckform das heiszligt auf formal-aumlsthetische Kriterien moralische Aspekte wurden in seiner Gestaltungskritik nicht direkt genannt Seine einmalige Entwicklung eines hyperdifferenzierten Antikanons bleibt ndash trotz der chauvinistischen Grundhaltung Pazaureks ndash eine interessante und anregende Aufforderung zur genauen Betrachtung der Dinge und ein Beitrag zur Frage ihrer Bewertung anhand begruumlndbarer Kriterien die heute eher in komplexen gesellschaftlichen Zusammenhaumlngen liegen als in reinen Gestaltungsmerkmalen9

Neben den genannten Museums- beziehungsweise Sammlungskonzepten war das Deutsche Warenbuch von 1915 ein flexibleres komplett ortsungebundenes Instrument zur aumlsthetischen Erziehung Der Werkbund gab diesen ersten Katalog vorbildhafter Erzeugnisse (Glas Porzellan Metallwaren Beleuchtungskoumlrper Haus- und Kuumlchengeraumlte) gemeinsam mit dem Duumlrerbund heraus Das Deutsche Warenbuch sollte laut Ferdinand Avenarius dem Gruumlnder des Duumlrerbundes bdquoein bilderreiches Verzeichnis auserlesener Wareldquo sein und der bdquoVerbreitung des Gutenldquo dienen10 Josef Popp schrieb im Einfuumlhrungstext des Warenbuchs bdquoDer vollendete Hausrat war stets einfach aber gediegen in Stoff und Arbeit edel und charakteris-tisch in der Form Dadurch hatte und hat er etwas Zeitlosesldquo11

Im Gegensatz zu den im Kontext des Deutschen Museums als beispielhaft he-rausgestellten kunstgewerblichen Objekten wurden im Warenbuch vorrangig von einer Werkbund-Jury ausgewaumlhlte Massenprodukte angepriesen Der Vertrieb der Produkte wurde auf genossenschaftlicher Ebene organisiert Das Warenbuch blieb bis 1927 unveraumlndert in Gebrauch und war sehr erfolgreich12 In den 1920er Jahren diversifizierte sich allerdings das Angebot an Ratgebern fuumlr Wohnungsausstattun-gen und die Aktivitaumlten des Werkbundes zur Gestaltung des Alltags uumlberschnitten sich mit denen des Bauhauses

In der Zeit des Nationalsozialismus wurde das Warenbuch ndash trotz Aufloumlsung des DWB 1938 ndash wieder aufgegriffen und von 1939 bis 1942 als Deutsche Waren-kunde in Form einer Loseblattsammlung mit 3000 Objekten vom evangelischen Kunst-Dienst im Auftrag der Reichskammer der bildenden Kuumlnste herausgegeben Diverse Werkbund-Mitglieder waren als Experten beteiligt etwa Hermann Gretsch Walter Passarge Hans Schwippert und Mia Seeger

Diese setzten die Arbeit an der Geschmackserziehung auch im wiedergegruumln-deten Werkbund der Nachkriegszeit fort unter anderem in der ab 1955 heraus-

10 Vorwort

gegebenen Warenkunde fuumlr die dieselben Qualitaumltskriterien wie sbquoEinfachheitlsquo sbquoEhrlichkeitlsquo und sbquoKlarheitlsquo galten In der Bundesrepublik war die Verknuumlpfung von Ethik und Aumlsthetik allerdings noch in anderer Weise kulturpolitisch motiviert Nach dem totalen moralischen und oumlkonomischen Zusammenbruch Deutschlands spielte der 194950 als Gesamtverband reanimierte Verein eine zentrale Rolle dabei eine sachliche Produktkultur zu befoumlrdern und die deutschen Produkte zu Botschaftern eines besseren Deutschlands zu machen Die programmatischen An-saumltze der 1920er und 1930er Jahre kehrten wieder und wie in den fruumlhen Jahren trat in den Werkbund-Aktivitaumlten der 1950er und 1960er Jahre eine starke Aversion gegen alles Modische zutage Der nicht nur formalaumlsthetisch begruumlndete Begriff der sbquoGuten Formlsquo wurde gepraumlgt13 Mit den Warenkunden und den darin vorgestellten sbquoAusschnitten einer beruhigten Warenweltlsquo sollte der Kommunikationszusammen-hang zwischen Entwerfern Produzenten Haumlndlern und Konsumenten geordnet und gesteuert werden

Neben den Warenkunden die sich auf die Empfehlung des Einzelprodukts konzentrierten gab es nach dem Zweiten Weltkrieg noch weitere Instrumente die der aumlsthetischen Schulung dienten Die Wohnberatung sowie die Einrichtung von Musterwohnungen bezogen sich auf die Gestaltung des alltaumlglichen Lebensumfelds die Werkbundkisten die an Hauptschulen und Gymnasien eingesetzt wurden und sich an Schuumller als die kuumlnftigen Verbraucher richteten waren Teil der Bildungs-programme in den verschiedenen Bundeslaumlndern

Wie an den vorgestellten vom Werkbund entwickelten Instrumenten deutlich wird hat die Vereinigung in all ihren Strategien versucht die Sprache der Dinge im Waren-kontext rational zu steuern und nur die Vernunft im Verhaumlltnis zwischen Menschen und Dingen gelten zu lassen die sich in den Leitbegriffen Nuumltzlichkeit Zweckmaumlszligig-keit Sachlichkeit manifestierte Die formierende Kraft der Industrialisierung auf die gesamte Alltagskultur wurde vom Werkbund in eine intentionale Dingsprache und Gestaltungsabsicht uumlbersetzt Die Dinge sollten zu stummen Helfern und Dienern werden wie es Erwin Braun fuumlr die Produkte seiner Braun AG reklamierte Die im Kontext der Beratungs- und Erziehungsaktivitaumlten des Werkbunds benutzte Begriff-lichkeit folgte einem Top-down-Modell und zeigte ein rigides Sendungsbewusstsein Spaumltestens Ende der 1960er Jahre wandte sich der Werkbund jedoch von der Idee ab das Konsumverhalten der Gesellschaft maszliggeblich beeinflussen zu koumlnnen

Die im Rahmen dieser Publikation vorgelegte Anthologie von Quellentexten und Studie von Alena Janatkovaacute zum Tschechoslowakischen Werkbund und zum Werk-bund der Deutschen in der Tschechoslowakei bietet eine fruchtbare Erweiterung der Erkenntnisse zu den Werkbundaktivitaumlten jenseits der Grenzen des Deutschen Reiches Der Modellcharakter des Deutschen Werkbunds auch im oumlstlichen Mitteleuropa ist dabei besonders interessant da dazu bisher wenig publiziert wurde und vor allem der Oumlsterreichische (1912 gegruumlndet) und der Schweizerische Werkbund (1913 gegruumlndet und heute noch existent) im Bewusstsein einer Fachoumlffentlichkeit sind

Renate Flagmeier

Der Werkbund steht fuumlr Reformen des Kunstgewerbes und der Kunstindustrie die er lautstark im Sinne einer Modernisierung von Alltag Leben und Wohnen durch Qualitaumltsarbeit und Qualitaumltsprodukte verkuumlndete und zu einem Erfolg machte14 Nach dem Auseinanderbrechen der Habsburgermonarchie konnte er sich auch im oumlstlichen Mitteleuropa und zwar nachdruumlcklich in dem neu gegruumlndeten Nationalstaat Tschechoslowakei eine Schluumlsselstellung im soziooumlkonomischen Modernisierungsprojekt sichern Welche Gestalt nahm die Reformbewegung unter den tschechoslowakischen Bedingungen gemaumlszlig dem Verhaumlltnis der beteiligten Akteure und Zielgruppen an Nach wem richteten sich ihre Bestrebungen und wohin steuerten sie Hier stellt sich zugleich die Frage nach der Bedeutung des Bucherfolgs bdquoMitteleuropaldquo von Friedrich Naumann einem der fuumlhrenden Koumlpfe des DWB der die Konzeption einer Wirtschaftsgemeinschaft unter deutscher Fuumlhrung propagiert hatte15

Zwei nebeneinander bestehende tschechoslowakische Werkbundgruumlndungen sollen im Folgenden uumlber diese Bestrebungen Auskunft geben naumlmlich der Tsche-chischeTschechoslowakische Werkbund (Svaz ČeskeacutehoČeskoslovenskeacuteho Diacutela SČDSČSD) und der Werkbund der Deutschen in der Tschechoslowakei (WDT) Beide Vereine waren Akteure innerhalb der tschechoslowakischen beziehungsweise in der tschechischen slowakischen und deutschen Kultur in Boumlhmen Maumlhren und der Slowakei Inmitten der tschechoslowakischen Kulturpolitik Ende der 1920er Jahre waren sie zugleich Konkurrenten Der SČDSČSD und der WDT vertraten unterschiedliche national definierte Interessengruppen zudem differierten diese Gruppierungen auch in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht Entscheidende Be-deutung hatte dabei das Vorbild der bereits etablierten Kulturinstitution Deutscher Werkbund (DWB) als Bezugspunkt fuumlr beide Nachfolgeeinrichtungen wie auch fuumlr einzelne Ortsgruppen Der Modellcharakter des Deutschen Werkbundes bezog sich im Sinne von Joan Campbell und ihrer nach wie vor grundlegenden Analyse des DWB prinzipiell auf die vereinsmaumlszligige Gestaltung der Beziehung zwischen Kunst und Gesellschaft einschlieszliglich einer Neuausrichtung ihres Verhaumlltnisses und speziell auf die Rolle der Eliten bei der intendierten Modernisierung bezie-hungsweise Demokratisierung von Kultur in der Gesellschaft16 Die Etablierung der selbststaumlndigen Vereine SČDSČSD und WDT war durch den historischen Einschnitt von 1918 insofern bedingt als dass diese Vereine verschiedene Positionierungen des Werkbunds im neuen kulturpolitischen Kontext der Tschechoslowakei definier-ten Gegenuumlber Naumanns Idee von bdquoMitteleuropaldquo einem um Deutschland und Oumlsterreich versammelten Staatenbund suchte die Tschechoslowakei naumlmlich ihre politische und wirtschaftliche Unabhaumlngigkeit zu behaupten wobei nunmehr die

Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

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eigenen nationalen Ziele das Zentrum ihres Interesses bildeten17 In eben diesen verschiedenen kulturpolitischen Zusammenhaumlngen ndash einerseits von Naumanns bdquoMitteleuropaldquo andererseits der neuen Tschechoslowakei ndash lassen sich die Konturen von WDT und SČDSČSD erkennen

Die nach wie vor einzige Uumlberblicksdarstellung zu dem im Winter 191314 ge-gruumlndeten Tschechischen Werkbund (SČD wiedergegruumlndet 1920 als Tschecho-slowakischer Werkbund SČSD) erschien im Publikationsrahmen von Forschungen uumlber den 1912 in Wien eingerichteten Oumlsterreichischen Werkbund (OumlWB)18 Hier vertritt der SČD jene bdquoneue Kulturorganisationldquo innerhalb Oumlsterreichs die gemaumlszlig ihrer Programmatik der tschechischen Produktion eine kuumlnstlerische Eigenart und Selbststaumlndigkeit sichern sollte19 Deutlich wird der Vorbildcharakter des Deutschen Werkbundes nochmals im Kontext der Bauausstellungen wie diesen die Mono-grafie zur Prager Bauausstellung Baba des SČSD von 1932 herausstellt und zwar ebenso grundsaumltzlich betreffend die Exposition des Wohnens in der Groszligstadt wie auch hinsichtlich spezifischer staumldtebaulicher und architektonischer Loumlsungsansaumltze nach dem Muster der Stuttgarter Werkbundsiedlung Am Weiszligenhof von 192720 Der Werkbund der Deutschen in der Tschechoslowakei (WDT) ist hingegen bisher nicht zusammenfassend eroumlrtert worden Mit den hier zusammengestellten Quellen wird daher weniger im Zusammenhang mit dem SČDSČSD als vielmehr mit dem weitgehend unerforschten WDT Neuland betreten

Keiner der tschechoslowakischen Werkbundvereine wurde bisher hinsichtlich des vereinsspezifischen und kulturpolitischen Kontextes einer Gemeinschafts-bildung zwischen Kuumlnstlern und einzelnen Produktionszweigen innerhalb der liberalisierten buumlrgerlichen Gesellschaft betrachtet Erst aus dieser Perspektive koumlnnen jedoch Erkenntnisse uumlber Strukturmerkmale der tschechoslowakischen Werkbundeinrichtungen gewonnen werden Aber auch die Kulturorganisation Deutscher Werkbund wird als Exportmodell neu beleuchtet

Ziel der vorliegenden Anthologie ist es anhand der wichtigsten programmati-schen Schriften einen systematischen Vergleich des tschechischen SČDSČSD mit dem deutschen WDT einzuleiten Den Ausgangspunkt bilden die Vereins-satzung sowie Programmatik des reichsdeutschen DWB und deren Modifizierung bei den Nachfolgegruumlndungen bdquoDer Zweck des Bundes ist die Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst Industrie und Handwerk durch Erziehung Propaganda und geschlossene Stellungnahme zu einschlaumlgigen Fragenldquo21 Der hier formulierte Plan einer Symbiose zwischen Unternehmertum und Kuumlnstlerschaft wurde von der etwa zur Haumllfte aus Kuumlnstlern und zur Haumllf-te aus Unternehmern zusammengesetzten Gruumlndungsversammlung des DWB reflektiert Die massenwirksame Popularisierung der Werkbundprogrammatik war von Anfang an kennzeichnend fuumlr die bildungs- und wirtschaftsbuumlrgerliche Progressivitaumlt des reichsdeutschen Vereins Seine Ambitionen richteten sich auf eine deutsche Massenkultur die anstelle der vormaligen bildnerischen und aumlstheti-

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schen Hochkultur nunmehr im Sinne einfacher Gebrauchskunst den Alltag breiter Bevoumllkerungsschichten praumlgen sollte Dennoch war die Fortschrittsglaumlubigkeit welche mit dem erzieherischen Impetus der Reformer stillschweigend voraus-gesetzt wurde noch dem Denken des 19 Jahrhunderts verpflichtet22 Letztlich war der Verein DWB aus der Kunstgewerbebewegung hervorgegangen er suchte sich jedoch in Auseinandersetzung mit den technischen Errungenschaften der Industrialisierung neu zu positionieren Die Werkbundarbeit umfasste ebenso unterschiedliche Produzenten sowie diverse Lobbys naumlmlich die im Werkbund organisierten Handwerker Kuumlnstler Firmen beziehungsweise Produktionsstaumltten wie sie auch auf eine weit gestreute Akzeptanz bei den Konsumenten angewiesen war Frederic J Schwartz lenkt daher die Aufmerksamkeit von den Mitgliedern auf das Wesen der Kulturorganisation Deutscher Werkbund gemaumlszlig den Regeln eines kapitalistischen Wirtschaftssystems von dem gleichzeitig die moderne Massenkultur und ihre Durchsetzung gekennzeichnet waren23 Uumlber die natio-naloumlkonomischen Vorteile dieser Massenkultur hinaus wird von dem Historiker Wolfgang Hardtwig die gruumlndliche aumlsthetische Reform des Wohnens und Lebens mit einer egalisierenden befriedenden Wirkung in Verbindung gebracht die im gesellschaftspolitischen Kontext des spaumlten Kaiserreichs auf die sozial ausein-anderdriftende Gesellschaft zielte eine Absicht die wiederum unter nationalem Vorzeichen vorangetrieben wurde In Wirklichkeit hatte vor dem Ersten Weltkrieg die neue industriewirtschaftliche Reformaumlsthetik gemaumlszlig Hardtwig allerdings nur die Kreise des Wirtschafts- und Bildungsbuumlrgertums erreicht24

Verbindlicher Kontext fuumlr den Werkbund in den boumlhmischen Laumlndern und fuumlr dessen Strukturmerkmale war vor dem Ersten Weltkrieg Oumlsterreich und der OumlWB der im Zusammenhang mit der Wiener Tagung des DWB 1912 initiiert worden war Das Konzept der Schoumlpfung und wirtschaftlichen Durchsetzung einer einheitlichen Werkkultur des OumlWB ist bei Max Eisler eingehend dargelegt Die Eigenart der oumlsterreichischen Werkkultur war demnach nicht von der industriewirtschaftlichen sondern von der handwerklichen Aumlsthetik bestimmt25

Im OumlWB waren zugleich auch die Interessen des Kunstgewerbes und der Kunst-industrie der boumlhmischen Laumlnder hervorragend repraumlsentiert Im Ausschuss des sich zentralistisch von Wien aus konstituierenden OumlWB waren als Ortsvertrauens-maumlnner aus Boumlhmen Maumlhren und Schlesien vertreten Heinrich Fanta (Professor an der kk Staatsgewerbeschule in Reichenberg) 26 Robert Freiszligler (Sekretaumlr der Handels- und Gewerbekammer fuumlr Schlesien) 27 Julius Leisching (Direktor des Erzherzog-Rainer-Museums Bruumlnn) 28 Johannes Oertel (Praumlsident des Verbandes der nordboumlhmischen Glasindustriellen Haida) Otto Primavesi (Vizepraumlsident der Oumllmuumltzer Handels- und Gewerbekammer) Ernst Schwedeler-Meyer (Direktor des Nordboumlhmischen Gewerbemuseums)29 Josef Zasche (Baurat Prag) 30 Auszligerdem zaumlhlten zu den Mitgliedern die Wiener Werkstaumltte die Prager Kuumlnstlergenossen-schaft bdquoArtělldquo die staatlichen kunstgewerblichen Fachschulen in Haida Stein-schoumlnau Teplitz-Schoumlnau und Znaim sowie zahlreiche Erzeuger und Haumlndler aus

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den boumlhmischen Laumlndern Trotz seiner deutschnationalen Orientierung fanden sich somit im OumlWB noch 1916 auch einzelne tschechische Unternehmen31

Ausgehend von dieser gemeinsamen Tradition in der oumlsterreichischen Kunst-gewerbereform der Wiener Secession und dem oumlsterreichischen Kulturliberalis-mus32 mit seiner gezielten Foumlrderung regionaler sowie lokaler kunstgewerblicher Bildungsinstitutionen durch den OumlWB und dessen Wegbereiter den Wiener Direktor des kk Gewerbefoumlrderungsamtes Adolf Vetter wird die Entwicklung von zwei eigenstaumlndigen nationalen Vereinen in den boumlhmischen Laumlndern und der Tschecho-slowakei beobachtet Trotz des gemeinsamen Ursprungs im OumlWB der mit Josef Hoffmann und seiner Wiener Werkstaumltte das Handwerk gegenuumlber der industriellen Produktkultur praumlferiert hatte gelang es im neuen Nationalstaat Tschechoslowa-kei nicht innerhalb des Werkbunds eine Uumlbereinkunft zwischen den in sozialer und in wirtschaftlicher Hinsicht unterschiedlichen Interessengemeinschaften der Tschechen und Deutschen zu finden Ansaumltze einer Kooperation mit gemeinsamer Interessenvertretung muumlndeten schlieszliglich in eine Konkurrenzsituation von zwei selbststaumlndigen Werkbundvereinen

Die Gruumlndung des SČD war im Zusammenhang mit der Koumllner Werkbundaus-stellung (1914) von dem Architekten Jan Kotěra33 initiiert worden um im Oumlster-reichischen Pavillon den eigenstaumlndigen Auftritt tschechischer Kuumlnstler und ihrer raumgestalterischen Gesamtkunstwerke zu ermoumlglichen In den Leitsaumltzen des SČD standen die Veredelung der kunstgewerblichen und industriellen Produkte unter Beteiligung der Kuumlnste gemaumlszlig einer national charakteristischen Herstel-lungsweise Ein weiteres Ziel war die Erziehung des Publikums Obgleich der Wortlaut eine enge Anlehnung an die Programmatik des Deutschen Werkbundes offenbart bezog sich der SČD namentlich auf den englischen Kunstkritiker und Kulturphilosophen John Ruskin (1819ndash1900) und generell auf die Vorlaumlufer der Kunstgewerbereform in England Mit dieser Ruumlckbesinnung auf die bdquoArts and Craftsldquo-Bewegung wurde die handwerkliche Tradition favorisiert Unter den 25 Gruumlndungsmitgliedern fanden sich im SČD bevorzugt Architekten und Kuumlnstler wie Josef Gočaacuter34 Dušan Jurkovič35 Celda Klouček36 Emil Kraacuteliacutek37 František Kysela38 Otakar Novotnyacute39 Jiřiacute Stibral40 und Joacuteža Uprka41 unter den Unter-nehmern waren der Keramikproduzent Emil Sommerschuh und der Verleger Jan Štenc42 zudem Politiker wie Ferdinand von Lobkowitz43 letzter Vorsitzender der boumlhmischen Regierung Oumlsterreichs und der Oumlkonom Rudolf Hotowetz4445 In der sozialen Zusammensetzung des Vereins blieb die Dominanz der Architekten gegen-uumlber den Unternehmern bestimmend und zwar auch nach dem Ersten Weltkrieg im wiedergegruumlndeten und anfangs deutlich nationalistisch aufgestellten Verein SČSD Der Vorsitzende wurde der Architekt Josef Gočaacuter 1925 gefolgt von dem Architekten und langjaumlhrigen Vereinsvorsitzenden Pavel Janaacutek46 und schlieszliglich von dem Architekten Oldřich Staryacute47 Zum Vorstand gehoumlrte neben Vertretern der Gewerbekammern des Industriellenverbandes und Regierungsmitarbeitern zudem der Kunsthistoriker Vaacuteclav Vileacutem Štech48 vom Schulministerium Im Nationalstaat

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Tschechoslowakei war der SČSD bestens im Netzwerk des staatlichen Kultur-betriebs eingebunden vom Schulministerium wurde seine Zusammenarbeit mit den Kunstgewerbeschulen und Museen gefoumlrdert Nach der Neugruumlndung war das Prager Kunstgewerbemuseum Veranstaltungsort der Vereinsausstellungen49 aber auch auf der Prager Mustermesse hatte der SČSD regelmaumlszligig fuumlr sich und seine Mitglieder geworben50 Dem Verein wurde daruumlber hinaus die Verantwortung fuumlr die Ausrichtung tschechoslowakischer Kunstgewerbeausstellungen uumlbertragen Vereinsorgan war zunaumlchst die avantgardistische Zeitschrift bdquoUměleckyacute měsiacutečniacutekldquo [Kuumlnstlerische Monatsschrift] die 1921 von bdquoVyacutetvarnaacute praacuteceldquo [Gestaltendes Werk] des Verlegers Štenc abgeloumlst jedoch 1925 aus wirtschaftlichen Gruumlnden wieder eingestellt wurde nach regelmaumlszligiger Berichterstattung in bdquoVyacutetvarneacute snahyldquo [Ge-staltende Bemuumlhungen] folgte dann 1931ndash33 nochmals ein eigener Auftritt mit der Vereinszeitschrift bdquoŽijemeldquo [Wir leben] In bdquoŽijemeldquo erschien auch 1931 die uumlberarbeitete Vereinssatzung mit der Verpflichtung zur Unterstuumltzung aller Be-muumlhungen um eine Verbesserung des allgemeinen Lebensstandards51 Damals war ein Anstieg der gesellschaftlichen Mobilisierung auf fast 500 Vereinsmitglieder zu verzeichnen davon waren circa ein Drittel bildende Kuumlnstler und Architekten52 In den weiteren Jahren bis zur Aufloumlsung wurden die Vereinsmitteilungen in ver-schiedenen Architektur- und Kulturzeitschriften veroumlffentlicht

Seit Anfang der 1920er Jahre wurde aber auch an der Konstituierung des WDT als Pendant zum SČSD innerhalb der Tschechoslowakei gearbeitet Die Gruumln-dungsmitglieder versammelten sich am 25 Mai 1925 in LiberecReichenberg dem wirtschaftlichen Zentrum Nordboumlhmens und vormaligen Austragungsort der Deutschboumlhmischen Ausstellung (1906)53 Seit 1922 fand hier die Reichenberger Messe statt Vertreter der in Nordboumlhmen angesiedelten traditionsreichen Gewer-bezweige der Glas- und Tuchherstellung waren mit anderen deutschboumlhmischen schlesischen und maumlhrischen Produzenten bereits Mitglieder im OumlWB gewesen beziehungsweise ihre Produktionszweige hatten zu den Hauptbetaumltigungsgebieten des oumlsterreichischen kk Gewerbefoumlrderungsamtes gezaumlhlt Unter dem Vorsitz des Teppichfabrikanten Willy Ginzkey54 versammelten sich im WDT insgesamt 44 deutsche Einzel- und Mittelspersonen aus Bildung Handel und Gewerbe der Tschechoslowakei (Handels- und Gewerbekammern Gewerbevereine Deutsche Technische Universitaumlten kunstgewerbliche Fachschulen Kunstvereine wie der Metznerbund) Im Arbeitsausschuss waren auch prominente Vertreter der tsche-choslowakischen Denkmalaumlmter wie Karl Kuumlhn55 Rudolf Houmlnigschmid56 und der Architekt und Kunsthistoriker Otto Kletzl57 praumlsent Anlass fuumlr die Gruumlndungs-versammlung gaben die Pariser Ausstellung Arts Deacuteco (1925) und der Wunsch nach einer selbststaumlndigen Exposition der Deutschen im Tschechoslowakischen Pavillon Die Vereinsgruumlndung wurde jedoch erst Anfang des Jahres 1926 durch eine staatliche Genehmigung der Vereinssatzung bestaumltigt Zugleich wurde dem Verein jegliche politische Betaumltigung untersagt58 Publikationsorgan des WDT wurde das von Otto Kletzl herausgegebene bdquoSudetendeutsche Jahrbuchldquo veroumlffentlicht

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mit Unterstuumltzung der sogenannten bdquoSudetendeutschen Schutzverbaumlndeldquo (Bund der Deutschen Deutscher Kulturverband Deutscher Turnverband) in der Tsche-choslowakei Dieser Kontext ist kennzeichnend fuumlr eine Diskursgemeinschaft des WDT die innerhalb der tschechoslowakischen Wirtschaft und Kultur tendenziell die Vorzuumlge der Deutschen im Blick hatte und nur bedingt vom Staat unterstuumltzt wurde

So unterschiedlich die wirtschaftliche und kulturelle beziehungsweise politische Orientierung des SČDSČSD gegenuumlber dem WDT war so verschieden gestaltete sich auch die Entwicklung beider Vereine die innerhalb der gesetzten Rahmen-bedingungen durchaus elitaumlr aufgestellt waren Handwerker oder einfache Arbeiter waren weder im Vereinsvorstand noch im Arbeitsausschuss praumlsent An einem Zusammenschluss des WDT mit dem SČSD zeigte der Staat zwar Interesse weil dies wohl auszliger Kooperation auch Kontrolle bedeutet haumltte Diese Verbindung war jedoch von keinem der Vereine gewollt Es blieb bei einer Konkurrenzsituation zwischen den zwei tschechoslowakischen Werkbundeinrichtungen die jede fuumlr sich mit eigener Werkbundarbeit die Produzenten durch Wettbewerbe zu motivieren und die Konsumenten auf Ausstellungen sowie mit Publikationen zu uumlberzeugen suchte Waumlhrend sich der SČSD zunehmend fuumlr eine tschechoslowakische Massenkultur einsetzte die vom modernen Wohnen ausgehend alle Lebensbereiche einbeziehen und dabei explizit auch die Slowakei integrieren sollte richtete er sich nach den aktuellen Bestrebungen des Deutschen Werkbunds an dessen bdquoBund mit der Zu-kunftldquo der Jahre 1924ndash1928 (Joan Campbell) Die angestrebte Vereinheitlichung der Gesellschaft nach spezifisch buumlrgerlichen Norm- und Wertvorstellungen ge-maumlszlig den Anspruumlchen an Hygiene Gesundheit und Ordnung wandte sich ebenso gegen vermeintliche Niederungen der Wohnverhaumlltnisse sozialer Grundschichten wie gegen einen sogenannten Luxus den bildungsbuumlrgerlichen Idealen zufolge sollte diese Egalisierungsabsicht durch Erziehung an Breitenwirkung gewinnen Damit verbunden war zugleich eine Internationalisierung der Gesellschaft die das gesamte Lebensumfeld betraf59 Anstelle der Foumlrderung von kulturellen Traditionen sowie Eigentuumlmlichkeiten eines populaumlren bdquoLokalkoloritsldquo wurde nunmehr der internationale Standard propagiert Unter der Praumlmisse LichtndashLuftndashSonne galt es allerdings den Forderungen der Hygienebewegung gemaumlszlig den lokalen Verhaumlltnis-sen gerecht zu werden und entsprechende aktuelle Wohnmodelle in landeseigener Produktion von der architektonischen Planung bis zur Einrichtung herzustellen ndash gerade Pavel Janaacutek hatte hier mit seiner Architekturklasse an der Prager staatlichen Kunstgewerbeschule intensiv an Loumlsungen gearbeitet die den lokalen Bedingungen in technischer wie auch materialspezifischer Hinsicht angepasst sein sollten60 Die Etablierung des SČSD als der tschechoslowakischen Kulturorganisation mit offi-ziellem Auftrag einer Auszligendarstellung der tschechoslowakischen Kultur scheiterte zwar an Interessenkonflikten und Finanzierungsfragen zwischen den Ministerien61 dennoch wurde sein Modernisierungsprojekt im Zusammenspiel der Ortsgruppen mit der Kommunalpolitik unter anderem in BratislavaPressburg BrnoBruumlnn oder Hradec KraacuteloveacuteKoumlniggraumltz vorangetrieben62 Parallel zur wirtschaftlichen und

17Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

rechtlichen Sicherstellung der Existenzgrundlage des tschechoslowakischen Kunst-gewerbes beziehungsweise der Kunstindustrie verfolgte der SČSD ebenfalls seine gesellschaftlichen Erziehungsideale in Zusammenhang mit einem umfassenden Bildungsauftrag der Kunstgewerbemuseen und in eigenen Ausstellungsraumlumen auf Wander- und Auslandsausstellungen in Verkaufs- und Beratungsstellen Biblio-theken und Archiven63 Der WDT hingegen geriet als Vertreter von Luxusproduk-tionszweigen und Exportartikeln der Schmuck- und Glasindustrie zunehmend ins Abseits diese Tendenz wurde durch die Weltwirtschaftskrise noch verstaumlrkt Die geplante Gruumlndung einer Ortsgruppe in Bruumlnn haumltte womoumlglich die uumlberregionale Positionierung des WDT weiter staumlrken koumlnnen sie kam allerdings nicht mehr zustande Nach dem Ableben des Vorsitzenden Ginzkey im Jahr 1934 verliert sich die Spur des WDT Damals wurde auch die bdquosudetendeutsche Kulturpolitikldquo im Interesse des Deutschen Reiches neu sortiert Diese kulturpolitische Umbruch-situation hinterlieszlig ebenfalls beim SČSD ihre Spuren Infolge der Besetzung der so bezeichneten sudetendeutschen Gebiete 1939 wurde der nunmehr auf SČD geschrumpfte tschechische Verein in der bdquoZweiten Republikldquo und im bdquoReichspro-tektorat Boumlhmen und Maumlhrenldquo weiterhin geduldet nach dem Zweiten Weltkrieg wird der bis dahin selbststaumlndige Verein im Jahr 1948 aufgeloumlst

Zur AnthologieDie nachfolgende Auswahl an Quellenmaterial (deutschsprachige Texte im ur-spruumlnglichen Wortlaut tschechischsprachige Texte in deutscher Uumlbersetzung Abbildungen vorzugsweise von Gebrauchsdingen aus dem Publikations- und Aus-stellungskontext der Werkbundvereine) dokumentiert den Werdegang des Werk-bundes in den boumlhmischen Laumlndern und bietet eine Grundlage fuumlr die vergleichende Forschung zum Exportmodell DWBOumlWB und den nachfolgenden tschechischen beziehungsweise tschechoslowakischen Werkbundinitiativen Ausgangspunkt ist vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs der OumlWB Bei Max Eisler erscheint die Idee einer gemeinsamen oumlsterreichischen Werkkultur als ein geschlossener Produkti-ons- und Konsumentenzirkel ndash vom Kuumlnstler ausgehend uumlber den Bildungsweg den Erzeuger den Aussteller bis hin zum Haumlndler und Kaumlufer ndash differenziert64 Das Programm des SČD65 und die Buchpublikation des Tschechischen Werkbundes zur Koumllner Ausstellung von 191466 verdeutlichen das Profil des sich separierenden tschechischen Vereins Fuumlr die Entwicklung des Werkbundes in der Zwischen-kriegszeit stehen einerseits das neue Programm des SČSD (1921)67 sowie dessen Uumlberarbeitung in den 1930er Jahren68 und andererseits das Programm des WDT von 192769 Die jeweilige Programmatik beider tschechoslowakischer Werkbund-vereine wird mit entsprechend charakteristischen Bildfolgen illustriert wobei die abschlieszligende Bildfolge der Werbebroschuumlre des SČSD bdquoUumlber das Wohnenldquo70 Aufschluss uumlber seine Neuausrichtung in den 1930er Jahren und somit uumlber die letzte offensive Arbeitsetappe des tschechischen Vereins gibt

18 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die vorliegende Publikation ist Ergebnis des Forschungsprojekts bdquoDer Tschecho-slowakische Werkbund und der Werkbund der Deutschen in der Tschechoslowa-keildquo das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft uumlber zwei Jahre groszligzuumlgig gefoumlrdert am Institut fuumlr Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik Fach-gebiet Kunstgeschichte der Technischen Universitaumlt Berlin durchgefuumlhrt wurde Die Realisierung des Projekts war nur moumlglich dank dieser Foumlrderung sowie der tatkraumlftigen Unterstuumltzung des Instituts und insbesondere dank der versierten An-teilnahme von Magdalena Bushart Gestaumlrkt wurde der Forschungsfortgang durch die sachkundige Kooperation mit Vladimiacuter Šlapeta (Technische Universitaumlt BrnoBruumlnn Fakultaumlt Architektur Abteilung Theorie) der Stiftung Bibliothek Werner Oechslin und Renate Flagmeier (Werkbundarchiv ndash Museum der Dinge) sowie das freundliche Entgegenkommen von Anna Kašparovaacute und Jan Mohr (Nordboumlhmisches Gewerbemuseum LiberecReichenberg) Ihnen und den vielen hilfsbereiten Mit-wirkenden bei Recherchen in den Archiven (Bundesarchiv Berlin Werkbundarchiv Berlin Architekturarchiv Nationales Technikmuseum PrahaPrag Nationalarchiv Prag Landesarchiv Reichenberg Archiv des Nordboumlhmischen Gewerbemuseums Reichenberg Landesarchiv Bruumlnn Stadtarchiv Bruumlnn Landesarchiv OpavaTroppau) und den Bibliotheken (Bibliothek Nordboumlhmisches Gewerbemuseum Reichenberg Bibliothek Nationales Technikmuseum Prag Kunstbibliothek Berlin Staatsbibliothek Berlin Staatsbibliothek Prag) bin ich in Dankbarkeit verbunden

19Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Oumlsterreichische Werkkultur

Aus den Statuten des Oumlsterreichischen Werkbundes 71

sect 2 Der Zweck des Vereines ist die Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst Industrie und Handwerk durch Erziehung und Propaganda die Pflege des kunstgemaumlszligen Echten aller Zeiten auf allen Gebieten menschlicher Betaumltigung Hebung des kuumlnstlerischen Geschmackes und Urteiles und Foumlrderung aller gleichen Zielen zugewandten Bestrebungen Dabei soll auf die Pflege und Entwicklung der nationalen Eigenart der kuumlnstlerischen und gewerblichen Produktion besonderes Augenmerk gerichtet werden

sect 4 Dem Verein gehoumlren an 1 Ehrenmitglieder 2 Stifter 3 Ordentliche Mitglieder

sect 7 Ordentliche Mitglieder des Vereines koumlnnen sein Kenner Kuumlnstler Industrielle und Gewerbetreibende

sect 8 Die Aufnahme der Mitglieder erfolgt nur nach vorhergegangener Einladung durch Beschluszlig des Vorstandes und wird durch Eintragung in die Mitgliederliste vollzogen die vom Generalsekretaumlr gefuumlhrt wird Von der Konstituierung des Vereines werden die Mitglieder durch die Proponenten aufgenommen

sect 9 Der jaumlhrliche Beitrag der ordentlichen Mitglieder wird von jedem Mitgliede durch Selbsteinschaumltzung nach dem Maszlige seiner Leistungsfaumlhigkeit festgesetzt betraumlgt fuumlr einzelne Personen mindestens zehn Kronen fuumlr Firmen mindestens fuumlnfzig Kronen

Uumlber das bdquoWerkschaffenldquo gemaumlszlig dem Verstaumlndnis des OumlWB (gegr 1912) unter-richtet 1916 die repraumlsentative Publikation des Wiener Kunsthistorikers und Gruumlndungsmitglieds des OumlWB Max Eisler Es handelt sich dabei um eine mit den Jahrbuumlchern des Deutschen Werkbundes vergleichbare Konsultation des eigenen Standpunktes im aktuellen Kulturdiskurs An den Jahrbuumlchern war auch die Buchge-staltung orientiert72 Der OumlWB identifizierte sich damit in seinem Selbstverstaumlndnis und zugleich in seiner Selbstdarstellung mit dem DWB Diese Uumlbereinstimmung zwischen OumlWB und DWB uumlberrascht kaum hatte doch der Letztere seit seiner Gruumlndung den gesamten deutschen Sprachraum inklusive Oumlsterreich zum eigenen Arbeitsgebiet erklaumlrt73

20 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Oumlsterreichische Werkkultur wird bei Eisler in sechs Kapiteln dargestellt die ein geschlossenes System der Werkerziehung praumlsentieren Der umfassende Anspruch an bdquoWerkkunstldquo als bdquoLebensgestaltungldquo wird eingangs mit dem Ent-wurf fuumlr einen neuen Wiener Stadtbezirk74 von dem Wiener Architekturtheoretiker Stadtplaner und OumlWB Mitglied Otto Wagner demonstriert und zwar im Sinne des ganzheitlichen groszligstaumldtisch gepraumlgten Kulturbegriffs vom Sofakissen bis zum Stadtplan75 beziehungsweise hier von der Stadtplanung bis zur Wohnstaumltte und ihrer Einrichtung bdquoAus allen Schoumlpfungen blickt dieselbe auf den klar erkannten Voraussetzungen bauende rein in ihren Grenzen taumltige Art des Meisters der die Vielheit der Aufgaben durch die Einheit seiner geraden werktuumlchtigen Gesinnung bewaumlltigt und uumlberwindetldquo76

Der Kuumlnstler ndash und namentlich insbesondere der Wiener Architekt und Kunst-gewerbler Begruumlnder der Wiener Werkstaumltte und Mitbegruumlnder des OumlWB Josef Hoffmann ndash wird im ersten Kapitel als der Schoumlpfer der groszligstaumldtischen bdquoWerkformldquo eingefuumlhrt Theoretisch wird diese bdquoWerkformldquo mit Hilfe des Gedankengebaumludes einer bdquoKern-ldquo und bdquoKunstformldquo verdeutlicht zusaumltzlicher Schmuck wird jedoch abgelehnt bdquoDie Fassade ist das Kleid fuumlr das Hausinnere Der Stuckprunk auf einer Zinshausfassade ist wie der Abendflitter eines armseligen Komoumldiantenldquo77 Mit solchen Vorstellungen der Bekleidungstheorie hatte sich kurz zuvor Otto Wagner auseinandergesetzt78

Das zweite Kapitel befasst sich mit dem Bildungsauftrag der bdquoWerkerziehungldquo Der Kuumlnstler avanciert dabei zum Lehrer der nach einem Lehrplan letztlich sein freies Schaffen in den zweckgebundenen Dienst des oumlffentlichen Lehrauftrags stellt79 Verbindliche Praumlmisse der ganzheitlichen bdquoWerkerziehungldquo ist bdquoder Mensch [als] der Maszligstab dieser Dingeldquo des Alltagsgebrauchs Nach dieser Regel in der Architekturtheorie seit Vitruv soll sich auch die Ausbildung zum selbststaumlndigen Werkkuumlnstler richten80 Die kk Kunstgewerbeschule gilt im Zusammenhang mit der Mustersammlung des kk Oumlsterreichischen Museums fuumlr Kunst und Industrie in Wien als vorbildlich fuumlr eine wirksame durchaus zentralistisch beziehungs-weise hierarchisch organisierte Werkerziehung selbststaumlndiger Werkkuumlnstler Die einzelnen kk Fachschulen erfuumlllen hier ihre Aufgabe als Multiplikatoren dieser zentralen Einrichtung Eine weitere Oumlffentlichkeit soll mit Unterrichtsangeboten in Kunst und Technik an den Kunstgewerbeschulen erreicht werden diese Oumlffnung der Bildungseinrichtungen zielt uumlber die kunstgewerblichen Produktionskreise hinaus auf eine Erziehung des konsumierenden Publikums81

Unter den bdquoErzeugernldquo denen sich das dritte Kapitel widmet werden ebenso die selbststaumlndigen Werkkuumlnstler wie alle Handwerker und Heimarbeiter aufgefuumlhrt Als bedeutende Neuerung in dieser Produktion gelten dem OumlWB wie zuvor dem DWB die Industriearbeiter gerade mit ihnen wird die kuumlnftige soziale Aufgabe in Verbindung gebracht Prinzipiell soll die Werkkultur innerhalb der Industrie gestaumlrkt werden wofuumlr exemplarisch die enge Verflechtung des Bildungsauftrags der Fachschulen mit der boumlhmischen Glasproduktion der Massenmoumlbel- sowie der Textil- (Teppich-) und Tapetenproduktion aufgefuumlhrt wird82

21Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Werkkultur braucht allerdings den Konsens in Geschmacksfragen Als entscheidendes Bindeglied einer solchen gegenseitigen Verstaumlndigung zwischen Produktion und Vertrieb wird der Aussteller praumlsentiert (viertes Kapitel) Aufgabe der Ausstellungen ist es demnach fuumlr die Vermittlung gemeinsamer Grundsaumltze innerhalb einer oumlsterreichischen Vielheit von Produzenten und Konsumenten ein-zutreten an dieser wechselseitigen Uumlbereinkunft und ihrer fortlaufenden Pruumlfung beziehungsweise Erneuerung sollen alle teilhaben KuumlnstlerErzeuger ebenso wie HaumlndlerKaumluferBetrachter83 Der oumlsterreichischen Werkkultur und ihrer Durchset-zung ist gemaumlszlig Eislers Darstellung der Kreislauf oumlkonomischer Relationen zwischen Kunst und Kapitalismus aumluszligerst dienlich Die Vielheit des oumlsterreichischen Voumllker-wesens soll dabei auf eine werkgebende Eigenart festgelegt werden die zugleich auf dem gemeinsamen Vorgehen und gezielter Zusammenarbeit der Landesmuseen mit den Kunstgewerbeschulen nach uumlbereinstimmenden Grundsaumltzen beruht84

Zeugnis dieser vereinheitlichenden Bestrebungen einer oumlsterreichischen Ge-schmacksbildung ist sogleich die erste Wanderausstellung des OumlWB bdquoVon neuen Arbeiten des heimischen Kunsthandwerksldquo im Reichenberger Nordboumlhmischen Gewerbemuseum im Juli 1913 gewesen Unter den ausgestellten Objekten im Eigentum des k k Oumlsterreichischen Museums fuumlr Kunst und Industrie in Wien und zwar als Bestandteil seiner bdquoSammlungen eigentuumlmlicher oder musterguumlltiger Arbeiten des modernen Kunstgewerbesldquo85 waren auszliger den Wiener Exponaten auch Ausstellungsstuumlcke zu sehen die an den boumlhmischen k k Fachschulen in Haida Steinschoumlnau und Znaim gefertigt oder im Auftrag von privaten Firmen teilweise in boumlhmischen Produktionsstaumltten hergestellt worden sind etwa die nach Entwuumlrfen der Wiener Kuumlnstler Josef Hoffmann und Oskar Strnad gefertigten Glaumlser der Glas-fabrikaten J amp L Lobmeyr oder von Joh Loumltz86 Dem Prinzip der Arbeitsteilung folgend waren die Heimarbeiter (beispielsweise Aumltzer Kugler Graveure Schleifer) das letzte Glied im Herstellungsprozess87 Allerdings hatte die Werkkultur nach Wiener Vorbild fuumlr die Arbeiter in sozialer Hinsicht kaum Vorteile zu bieten im Unterschied zum entwerfenden Kuumlnstler blieb der Heimarbeiter anonym

In der bdquoKette unmittelbarer Erziehungswirkungldquo nehmen gemaumlszlig Eisler der Haumlndler und der Kaumlufer letztendlich die Schluumlsselstellung ein (fuumlnftes Kapitel) Vom Werkursprung ausgehend an dem KuumlnstlerLehrerErzeuger teilhaben ist mit dem Konsumenten die Zielgruppe der geschmacksbildenden Bemuumlhungen genannt mittels eines geschickten Haumlndlers und seiner Verkaufsstrategie (der Haumlndler als Erzieher88) soll nunmehr das Produkt nach den Gesetzmaumlszligigkeiten des Marktes einen Verkaufserfolg verbuchen und so seinen Zweck als Qualitaumltsware erfuumlllen89

Der Erziehungsanspruch ist somit einer oumlkonomischen Fortschrittsidee ver-pflichtet welche die beabsichtigte Modernisierung der Alltagskultur gaumlnzlich dem Marktprinzip unterwirft beziehungsweise von der Vermarktung getragen wird Anders als die industriell hergestellte Massenware wird innerhalb der bdquogemein-deutschenldquo Werkkunst fuumlr die oumlsterreichische Besonderheit gerade ihr handwerk-licher Charakter beansprucht der dieser einen exklusiven bdquoOriginalwertldquo aufgrund des einmaligen urheberrechtlich zu schuumltzenden Kuumlnstlerentwurfs sichern soll90

22 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Werkbund-Kontroverse zwischen Befuumlrwortern einer Typisierung gegenuumlber den Individualisten auf der Werkbund-Ausstellung in Koumlln 1914 von Frederic J Schwartz primaumlr als ein Konflikt eben um den urheberrechtlichen Schutz des Kuumlnstlers entschluumlsselt duumlrfte eine Voraussetzung dieser Argumentation und Wert-schaumltzung der kuumlnstlerischen Originalitaumlt sein91 gerade im Zusammenhang mit der arbeitsteiligen Produktion spielte der urheberrechtliche Schutz des Kuumlnstlers eine besonders wichtige Rolle Der OumlWB hat damit eigene Konturen auf dem Kunst-markt und bei der Vermarktung von Kultur gewonnen

Die Organisation der oumlsterreichischen Werkkultur wird schlieszliglich anhand der Werkbundarbeit im oumlsterreichischen Pavillon auf derselben Koumllner Werkbundaus-stellung von 1914 verdeutlicht (sechstes Kapitel) Die Erfolgsbilanz der bdquooumlster-reichischen Sonderartldquo als der bdquotreibenden Vielheitldquo92 in der bdquobindenden Einheitldquo wird explizit auch in Verbindung mit dem Beitrag des Tschechischen Werkbundes im Oumlsterreichischen Pavillon herausgestellt er war fester Bestandteil der oumlster-reichischen Exposition und bekraumlftigte deren Sonderstatus mit der dargebotenen sogenannten Handwerkskunst93 Tatsaumlchlich hatte diese wie sich Adolf Loos aus-druumlckte bdquoLuxuskunst fuumlr die oberen Zehntausend der modernen Groszligstadtldquo einige potenzielle Kaumlufer versammeln koumlnnen die Verkaufsverhandlungen wurden jedoch wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges unterbrochen94

Eislers Praumlsentation des OumlWB endet mit einer Auflistung der Mitglieder (ins-gesamt 627) wobei im Arbeitsausschuss unter anderen Vertrauensmaumlnner aus Boumlhmen Maumlhren und Schlesien genannt sind Zu den Mitgliedern zaumlhlt zwar auch die tschechische Kuumlnstlergenossenschaft bdquoArtělldquo jedoch sind des Weiteren fast ausschlieszliglich deutsche Einrichtungen der boumlhmischen Laumlnder vertreten (siebtes Kapitel)

23Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Max Eisler Die Oumlsterreichische Werkkultur herausgegeben vom Oumlsterreichischen Werkbund OumlWB Wien 1916 S 5ndash54

Der KuumlnstlerWerkkunst ist Lebensgestaltung ausgedruumlckt in Formen die dem Gebrauche oder auch nur dem Auge dienen immer aber jene Befriedigung hervorrufen die eine aufrichtige dem Material und Zwecke klar entsprechende Behandlung mit sich fuumlhrt In der besonderen Art in der der Kuumlnstler diese aller Werkkunst gemeinsame Aufgabe erfuumlllt aumluszligert sich seine Persoumlnlichkeit Doch kann ihr Schaffen der Mitwelt der sie angehoumlrt nicht entraten Sie muszlig ihre Zeit und ihren Lebenskreis taumltigen Anteil nehmen lassen an dem Werke Nur so gibt sie Lebensgestaltung nur so wird Werkkunst zur Werkkultur

Wir koumlnnen ihre Leistung auch nur dann ganz verstehen und nach voller Gebuumlhr wuumlrdigen wenn wir dem lebendigen Austausch zwischen Kuumlnstler und Mitwelt aufmerksam folgen und uns daruumlber klar werden was er ihr was sie ihm gibt Diese Klarheit laumlszligt sich aber wieder nur an dem Werkgange gewinnen Nur wenn wir erfahren haben wie das wird was wir als Fertiges vor uns haben wird unser Urteil daruumlber vernuumlnftig und billig unser Genuszlig begruumlndet sein Wenn wir dann von einem Werke sagen bdquoDas ist gutldquo oder bdquoDas ist schoumlnldquo so wird Sinn in diesen Worten liegen und wir werden was unserem Geschmacke ungelegen kommt nicht ohneweiters verwerfen weil unser Urteil dann nicht mehr vom gefaumllligen Eindruck aufs Auge abhaumlngt sondern auf allseitiges Ver-stehen zuruumlckgehtEs wird darum der Sache und dem Leser gleich foumlrderlich sein wenn wir ver-suchen in das Werkschaffen einigermaszligen einzufuumlhren ehe wir sein Ergebnis eingehender betrachten

Wir stellen den Kuumlnstler voranDie umfassendste gelaumlufige Werkform auf die sich das Schaffen eines Kuumlnst-

lers aus der Mitte unseres Bundes gegenwaumlrtig richtet ist das wohlversehene Haus ndash nicht das auszligergewoumlhnliche der Festbau sondern das Wohnhaus ndash und hier wieder nicht das eines besonderen kleinen Geschaumlftskreises sondern das des werktaumltigen Buumlrgerstandes allerdings eines groszligstaumldtisch kultivierten vor allem des Wieners Der umfassendste durchschnittliche Zweck in dem diese Arbeit zu ihrem reinsten Ausdruck kommt ist also die Wohnstaumltte fuumlr vorgeschrittene und zeitgemaumlszlige wirkende Stadtmenschen Im Rahmen dieser Aufgabe decken sich Art und Beduumlrfnis des auftraggebenden Bauherrn am meis-ten mit der Gesinnung des ausfuumlhrenden Kuumlnstlers und auf diese weitgehende Annaumlherung beider beruht ersten Grundes die lebendige Vollkommenheit des Werkes

Nun steht ein Groszligstadthaus niemals fuumlr sich hat Nachbarn und Gegenuumlber muszlig auf sie die Ruumlcksicht nehmen die das Glied dem Koumlrper schuldet und mit den Kameraden von nebenan und druumlben darnach sehen wie der umbaute

24 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Freiraum zu seiner kuumlnstlerischen Erscheinung kommt Denn davon haumlngt alles andere ab Das beste und schoumlnste Haus wird verkuumlmmert oder aufdringlich jedenfalls am unrechten Platze erscheinen wenn es sich nicht in einen uumlber-einkommenden Raumplan einfuumlgt und einem vollkommenen Freiraume kann auch ein belangloses Einzelstuumlck nicht gar erheblich schaden Es gilt darum fuumlrs erste den Grundriszlig des Auszligenraumes festzulegen und seine Bauwaumlnde in ein wohlgemessenes Verhaumlltnis zu bringen Das war und ist Raumkunst in ihrem urspruumlnglichsten und aumluszligersten Sinne

Aber wie die Dinge heute liegen bleibt dieser Anfang alles Werkschaffens im Bauen meist ein frommer Wunsch Wir sind fast in allen Gebieten des Lebens zumal in der stadtbildlichen Arbeit nicht freie Begruumlnder sondern Erben und Fortsetzer der Kultur Da ist es schon eine hohe Tugend sie nach jeder Tunlich-keit vorwaumlrtszubringen in den Grenzen des Moumlglichen der Zeit zu geben was ihres Geistes und Koumlnnens ist

Erstes naumlchstgelegenes Ziel dieses Teils der Werkkunst ist die Groszligstadt denn die Groszligstadt ist die modernste Form des menschlichen Zusammenle-bens und die Aufgaben die sie stellt sind vom gegenwaumlrtigen Geiste erfuumlllt Aber im Bereiche eines altstaumldtischen Wesens wie etwa Wiens begegnet jedes umfassende Beginnen gerade den staumlrksten Hemmungen Im innerstaumldtischen Kreise verlangt der uumlberkommene Freiraum sein Recht wo er mit neuen An-lagen durchbrochen wird herrscht der Raster der behoumlrdlichen Bauvorschrift fuumlhren Verkehr und Hygiene ihre wohlgemeinte ausschlieszligliche Sprache zieht sich die Kunst auf die eintoumlnige Handhabung von Reiszligbrett und Lineal zuruumlck Selten nur wird ihrer freieren Uumlbung hier Gelegenheit geboten einem ganzen Stadtteil von Grund auf sein Gepraumlge zu geben dh dem Zuge der Straszligen der Umriszliglinie der Plaumltze dem Grundriszlig eines ganzen Viertels die Richtung zu weisen also stadtbildlich im durchgreifendsten Sinne zu wirken Bei solchem Zustande stehen ihrer vollen freien Entfaltung nur die aumluszligeren unverbauten Bezirke offen Hier kann sie ganze Arbeit leisten Und sie wird das im Sinne der Werkkunst wenn sie zunaumlchst das Wegnetz nach den oumlrtlich bedingten Erfordernissen richtet das Neuviertel mit offenen Straumlngen an den Altkern bindet dort klar und entschlossen zwischen Haupt- und Nebenstraszligen Wohn- Wirtschafts- und Festwegen zwischen Monumental- Verkehrs- und Erholungs-plaumltzen scheidet dh allen Anspruumlchen groszligstaumldtischer Vernunft genuumlgt Der Kunst geschieht dabei schon genug wenn nur der Grundriszlig ndash einerlei wie er verlaumluft ndash den Zweck des Ganzen in seiner Einheit der Teile in ihrer Besonderheit sinnfaumlllig fuumlr jedermann einleuchtend erkennen laumlszligt und dazu den kuumlnftigen Baumeistern die Grundmoumlglichkeit schafft nicht Wand gegen Wand sondern Baukoumlrper gegen Koumlrper zu setzen und aus beiden klargemessenen wohlbe-wegten Auszligenraum zu bilden

Naumlher dem alten Siedlungskerne bleibt nur die Auseinandersetzung mit dem Uumlberlieferten Hier gilt es Zeitverstand handelnd beweisen dh verstehen der Zeit von damals und heute Bloszliges Konservieren waumlre Gedankenfaulheit und

Page 5: DER TSCHECHOSLOWAKISCHE WERKBUND UND DER WERKBUND … · 2018-10-04 · Vorwort Der Deutsche Werkbund Der Architekt und preußische Staatsbeamte Hermann Muthesius hat 1907 das Ziel

9Vorwort

Einen anderen Ansatz als Osthaus verfolgte Gustav Pazaurek der Werkbundmit-glied und Direktor des Landesgewerbemuseums in Stuttgart war Pazaurek legte ab 1909 eine Sammlung von sogenannten Geschmacksverirrungen an die bis heute existiert Sie umfasste bis zum Anfang der 1930er Jahre circa 900 Objekte die der Aumlsthetik des Werkbunds widersprachen Durch die genaue Auseinandersetzung mit Gestaltungsfehlern das heiszligt durch das abschreckende schlechte Beispiel wollte Pazaurek zu guter Qualitaumlt erziehen Seine Sammlung stellte er in einer Art sbquoFolter-kammer des Ungeschmackslsquo aus und entwickelte eine ausgefeilte Systematik von Gestaltungsfehlern in Bezug auf Material Konstruktion und Dekor die er 1912 unter dem Titel Guter und schlechter Geschmack im Kunstgewerbe publizierte8 Pazaurek konzentrierte sich auf die Kunst- und Zweckform das heiszligt auf formal-aumlsthetische Kriterien moralische Aspekte wurden in seiner Gestaltungskritik nicht direkt genannt Seine einmalige Entwicklung eines hyperdifferenzierten Antikanons bleibt ndash trotz der chauvinistischen Grundhaltung Pazaureks ndash eine interessante und anregende Aufforderung zur genauen Betrachtung der Dinge und ein Beitrag zur Frage ihrer Bewertung anhand begruumlndbarer Kriterien die heute eher in komplexen gesellschaftlichen Zusammenhaumlngen liegen als in reinen Gestaltungsmerkmalen9

Neben den genannten Museums- beziehungsweise Sammlungskonzepten war das Deutsche Warenbuch von 1915 ein flexibleres komplett ortsungebundenes Instrument zur aumlsthetischen Erziehung Der Werkbund gab diesen ersten Katalog vorbildhafter Erzeugnisse (Glas Porzellan Metallwaren Beleuchtungskoumlrper Haus- und Kuumlchengeraumlte) gemeinsam mit dem Duumlrerbund heraus Das Deutsche Warenbuch sollte laut Ferdinand Avenarius dem Gruumlnder des Duumlrerbundes bdquoein bilderreiches Verzeichnis auserlesener Wareldquo sein und der bdquoVerbreitung des Gutenldquo dienen10 Josef Popp schrieb im Einfuumlhrungstext des Warenbuchs bdquoDer vollendete Hausrat war stets einfach aber gediegen in Stoff und Arbeit edel und charakteris-tisch in der Form Dadurch hatte und hat er etwas Zeitlosesldquo11

Im Gegensatz zu den im Kontext des Deutschen Museums als beispielhaft he-rausgestellten kunstgewerblichen Objekten wurden im Warenbuch vorrangig von einer Werkbund-Jury ausgewaumlhlte Massenprodukte angepriesen Der Vertrieb der Produkte wurde auf genossenschaftlicher Ebene organisiert Das Warenbuch blieb bis 1927 unveraumlndert in Gebrauch und war sehr erfolgreich12 In den 1920er Jahren diversifizierte sich allerdings das Angebot an Ratgebern fuumlr Wohnungsausstattun-gen und die Aktivitaumlten des Werkbundes zur Gestaltung des Alltags uumlberschnitten sich mit denen des Bauhauses

In der Zeit des Nationalsozialismus wurde das Warenbuch ndash trotz Aufloumlsung des DWB 1938 ndash wieder aufgegriffen und von 1939 bis 1942 als Deutsche Waren-kunde in Form einer Loseblattsammlung mit 3000 Objekten vom evangelischen Kunst-Dienst im Auftrag der Reichskammer der bildenden Kuumlnste herausgegeben Diverse Werkbund-Mitglieder waren als Experten beteiligt etwa Hermann Gretsch Walter Passarge Hans Schwippert und Mia Seeger

Diese setzten die Arbeit an der Geschmackserziehung auch im wiedergegruumln-deten Werkbund der Nachkriegszeit fort unter anderem in der ab 1955 heraus-

10 Vorwort

gegebenen Warenkunde fuumlr die dieselben Qualitaumltskriterien wie sbquoEinfachheitlsquo sbquoEhrlichkeitlsquo und sbquoKlarheitlsquo galten In der Bundesrepublik war die Verknuumlpfung von Ethik und Aumlsthetik allerdings noch in anderer Weise kulturpolitisch motiviert Nach dem totalen moralischen und oumlkonomischen Zusammenbruch Deutschlands spielte der 194950 als Gesamtverband reanimierte Verein eine zentrale Rolle dabei eine sachliche Produktkultur zu befoumlrdern und die deutschen Produkte zu Botschaftern eines besseren Deutschlands zu machen Die programmatischen An-saumltze der 1920er und 1930er Jahre kehrten wieder und wie in den fruumlhen Jahren trat in den Werkbund-Aktivitaumlten der 1950er und 1960er Jahre eine starke Aversion gegen alles Modische zutage Der nicht nur formalaumlsthetisch begruumlndete Begriff der sbquoGuten Formlsquo wurde gepraumlgt13 Mit den Warenkunden und den darin vorgestellten sbquoAusschnitten einer beruhigten Warenweltlsquo sollte der Kommunikationszusammen-hang zwischen Entwerfern Produzenten Haumlndlern und Konsumenten geordnet und gesteuert werden

Neben den Warenkunden die sich auf die Empfehlung des Einzelprodukts konzentrierten gab es nach dem Zweiten Weltkrieg noch weitere Instrumente die der aumlsthetischen Schulung dienten Die Wohnberatung sowie die Einrichtung von Musterwohnungen bezogen sich auf die Gestaltung des alltaumlglichen Lebensumfelds die Werkbundkisten die an Hauptschulen und Gymnasien eingesetzt wurden und sich an Schuumller als die kuumlnftigen Verbraucher richteten waren Teil der Bildungs-programme in den verschiedenen Bundeslaumlndern

Wie an den vorgestellten vom Werkbund entwickelten Instrumenten deutlich wird hat die Vereinigung in all ihren Strategien versucht die Sprache der Dinge im Waren-kontext rational zu steuern und nur die Vernunft im Verhaumlltnis zwischen Menschen und Dingen gelten zu lassen die sich in den Leitbegriffen Nuumltzlichkeit Zweckmaumlszligig-keit Sachlichkeit manifestierte Die formierende Kraft der Industrialisierung auf die gesamte Alltagskultur wurde vom Werkbund in eine intentionale Dingsprache und Gestaltungsabsicht uumlbersetzt Die Dinge sollten zu stummen Helfern und Dienern werden wie es Erwin Braun fuumlr die Produkte seiner Braun AG reklamierte Die im Kontext der Beratungs- und Erziehungsaktivitaumlten des Werkbunds benutzte Begriff-lichkeit folgte einem Top-down-Modell und zeigte ein rigides Sendungsbewusstsein Spaumltestens Ende der 1960er Jahre wandte sich der Werkbund jedoch von der Idee ab das Konsumverhalten der Gesellschaft maszliggeblich beeinflussen zu koumlnnen

Die im Rahmen dieser Publikation vorgelegte Anthologie von Quellentexten und Studie von Alena Janatkovaacute zum Tschechoslowakischen Werkbund und zum Werk-bund der Deutschen in der Tschechoslowakei bietet eine fruchtbare Erweiterung der Erkenntnisse zu den Werkbundaktivitaumlten jenseits der Grenzen des Deutschen Reiches Der Modellcharakter des Deutschen Werkbunds auch im oumlstlichen Mitteleuropa ist dabei besonders interessant da dazu bisher wenig publiziert wurde und vor allem der Oumlsterreichische (1912 gegruumlndet) und der Schweizerische Werkbund (1913 gegruumlndet und heute noch existent) im Bewusstsein einer Fachoumlffentlichkeit sind

Renate Flagmeier

Der Werkbund steht fuumlr Reformen des Kunstgewerbes und der Kunstindustrie die er lautstark im Sinne einer Modernisierung von Alltag Leben und Wohnen durch Qualitaumltsarbeit und Qualitaumltsprodukte verkuumlndete und zu einem Erfolg machte14 Nach dem Auseinanderbrechen der Habsburgermonarchie konnte er sich auch im oumlstlichen Mitteleuropa und zwar nachdruumlcklich in dem neu gegruumlndeten Nationalstaat Tschechoslowakei eine Schluumlsselstellung im soziooumlkonomischen Modernisierungsprojekt sichern Welche Gestalt nahm die Reformbewegung unter den tschechoslowakischen Bedingungen gemaumlszlig dem Verhaumlltnis der beteiligten Akteure und Zielgruppen an Nach wem richteten sich ihre Bestrebungen und wohin steuerten sie Hier stellt sich zugleich die Frage nach der Bedeutung des Bucherfolgs bdquoMitteleuropaldquo von Friedrich Naumann einem der fuumlhrenden Koumlpfe des DWB der die Konzeption einer Wirtschaftsgemeinschaft unter deutscher Fuumlhrung propagiert hatte15

Zwei nebeneinander bestehende tschechoslowakische Werkbundgruumlndungen sollen im Folgenden uumlber diese Bestrebungen Auskunft geben naumlmlich der Tsche-chischeTschechoslowakische Werkbund (Svaz ČeskeacutehoČeskoslovenskeacuteho Diacutela SČDSČSD) und der Werkbund der Deutschen in der Tschechoslowakei (WDT) Beide Vereine waren Akteure innerhalb der tschechoslowakischen beziehungsweise in der tschechischen slowakischen und deutschen Kultur in Boumlhmen Maumlhren und der Slowakei Inmitten der tschechoslowakischen Kulturpolitik Ende der 1920er Jahre waren sie zugleich Konkurrenten Der SČDSČSD und der WDT vertraten unterschiedliche national definierte Interessengruppen zudem differierten diese Gruppierungen auch in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht Entscheidende Be-deutung hatte dabei das Vorbild der bereits etablierten Kulturinstitution Deutscher Werkbund (DWB) als Bezugspunkt fuumlr beide Nachfolgeeinrichtungen wie auch fuumlr einzelne Ortsgruppen Der Modellcharakter des Deutschen Werkbundes bezog sich im Sinne von Joan Campbell und ihrer nach wie vor grundlegenden Analyse des DWB prinzipiell auf die vereinsmaumlszligige Gestaltung der Beziehung zwischen Kunst und Gesellschaft einschlieszliglich einer Neuausrichtung ihres Verhaumlltnisses und speziell auf die Rolle der Eliten bei der intendierten Modernisierung bezie-hungsweise Demokratisierung von Kultur in der Gesellschaft16 Die Etablierung der selbststaumlndigen Vereine SČDSČSD und WDT war durch den historischen Einschnitt von 1918 insofern bedingt als dass diese Vereine verschiedene Positionierungen des Werkbunds im neuen kulturpolitischen Kontext der Tschechoslowakei definier-ten Gegenuumlber Naumanns Idee von bdquoMitteleuropaldquo einem um Deutschland und Oumlsterreich versammelten Staatenbund suchte die Tschechoslowakei naumlmlich ihre politische und wirtschaftliche Unabhaumlngigkeit zu behaupten wobei nunmehr die

Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

12 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

eigenen nationalen Ziele das Zentrum ihres Interesses bildeten17 In eben diesen verschiedenen kulturpolitischen Zusammenhaumlngen ndash einerseits von Naumanns bdquoMitteleuropaldquo andererseits der neuen Tschechoslowakei ndash lassen sich die Konturen von WDT und SČDSČSD erkennen

Die nach wie vor einzige Uumlberblicksdarstellung zu dem im Winter 191314 ge-gruumlndeten Tschechischen Werkbund (SČD wiedergegruumlndet 1920 als Tschecho-slowakischer Werkbund SČSD) erschien im Publikationsrahmen von Forschungen uumlber den 1912 in Wien eingerichteten Oumlsterreichischen Werkbund (OumlWB)18 Hier vertritt der SČD jene bdquoneue Kulturorganisationldquo innerhalb Oumlsterreichs die gemaumlszlig ihrer Programmatik der tschechischen Produktion eine kuumlnstlerische Eigenart und Selbststaumlndigkeit sichern sollte19 Deutlich wird der Vorbildcharakter des Deutschen Werkbundes nochmals im Kontext der Bauausstellungen wie diesen die Mono-grafie zur Prager Bauausstellung Baba des SČSD von 1932 herausstellt und zwar ebenso grundsaumltzlich betreffend die Exposition des Wohnens in der Groszligstadt wie auch hinsichtlich spezifischer staumldtebaulicher und architektonischer Loumlsungsansaumltze nach dem Muster der Stuttgarter Werkbundsiedlung Am Weiszligenhof von 192720 Der Werkbund der Deutschen in der Tschechoslowakei (WDT) ist hingegen bisher nicht zusammenfassend eroumlrtert worden Mit den hier zusammengestellten Quellen wird daher weniger im Zusammenhang mit dem SČDSČSD als vielmehr mit dem weitgehend unerforschten WDT Neuland betreten

Keiner der tschechoslowakischen Werkbundvereine wurde bisher hinsichtlich des vereinsspezifischen und kulturpolitischen Kontextes einer Gemeinschafts-bildung zwischen Kuumlnstlern und einzelnen Produktionszweigen innerhalb der liberalisierten buumlrgerlichen Gesellschaft betrachtet Erst aus dieser Perspektive koumlnnen jedoch Erkenntnisse uumlber Strukturmerkmale der tschechoslowakischen Werkbundeinrichtungen gewonnen werden Aber auch die Kulturorganisation Deutscher Werkbund wird als Exportmodell neu beleuchtet

Ziel der vorliegenden Anthologie ist es anhand der wichtigsten programmati-schen Schriften einen systematischen Vergleich des tschechischen SČDSČSD mit dem deutschen WDT einzuleiten Den Ausgangspunkt bilden die Vereins-satzung sowie Programmatik des reichsdeutschen DWB und deren Modifizierung bei den Nachfolgegruumlndungen bdquoDer Zweck des Bundes ist die Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst Industrie und Handwerk durch Erziehung Propaganda und geschlossene Stellungnahme zu einschlaumlgigen Fragenldquo21 Der hier formulierte Plan einer Symbiose zwischen Unternehmertum und Kuumlnstlerschaft wurde von der etwa zur Haumllfte aus Kuumlnstlern und zur Haumllf-te aus Unternehmern zusammengesetzten Gruumlndungsversammlung des DWB reflektiert Die massenwirksame Popularisierung der Werkbundprogrammatik war von Anfang an kennzeichnend fuumlr die bildungs- und wirtschaftsbuumlrgerliche Progressivitaumlt des reichsdeutschen Vereins Seine Ambitionen richteten sich auf eine deutsche Massenkultur die anstelle der vormaligen bildnerischen und aumlstheti-

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schen Hochkultur nunmehr im Sinne einfacher Gebrauchskunst den Alltag breiter Bevoumllkerungsschichten praumlgen sollte Dennoch war die Fortschrittsglaumlubigkeit welche mit dem erzieherischen Impetus der Reformer stillschweigend voraus-gesetzt wurde noch dem Denken des 19 Jahrhunderts verpflichtet22 Letztlich war der Verein DWB aus der Kunstgewerbebewegung hervorgegangen er suchte sich jedoch in Auseinandersetzung mit den technischen Errungenschaften der Industrialisierung neu zu positionieren Die Werkbundarbeit umfasste ebenso unterschiedliche Produzenten sowie diverse Lobbys naumlmlich die im Werkbund organisierten Handwerker Kuumlnstler Firmen beziehungsweise Produktionsstaumltten wie sie auch auf eine weit gestreute Akzeptanz bei den Konsumenten angewiesen war Frederic J Schwartz lenkt daher die Aufmerksamkeit von den Mitgliedern auf das Wesen der Kulturorganisation Deutscher Werkbund gemaumlszlig den Regeln eines kapitalistischen Wirtschaftssystems von dem gleichzeitig die moderne Massenkultur und ihre Durchsetzung gekennzeichnet waren23 Uumlber die natio-naloumlkonomischen Vorteile dieser Massenkultur hinaus wird von dem Historiker Wolfgang Hardtwig die gruumlndliche aumlsthetische Reform des Wohnens und Lebens mit einer egalisierenden befriedenden Wirkung in Verbindung gebracht die im gesellschaftspolitischen Kontext des spaumlten Kaiserreichs auf die sozial ausein-anderdriftende Gesellschaft zielte eine Absicht die wiederum unter nationalem Vorzeichen vorangetrieben wurde In Wirklichkeit hatte vor dem Ersten Weltkrieg die neue industriewirtschaftliche Reformaumlsthetik gemaumlszlig Hardtwig allerdings nur die Kreise des Wirtschafts- und Bildungsbuumlrgertums erreicht24

Verbindlicher Kontext fuumlr den Werkbund in den boumlhmischen Laumlndern und fuumlr dessen Strukturmerkmale war vor dem Ersten Weltkrieg Oumlsterreich und der OumlWB der im Zusammenhang mit der Wiener Tagung des DWB 1912 initiiert worden war Das Konzept der Schoumlpfung und wirtschaftlichen Durchsetzung einer einheitlichen Werkkultur des OumlWB ist bei Max Eisler eingehend dargelegt Die Eigenart der oumlsterreichischen Werkkultur war demnach nicht von der industriewirtschaftlichen sondern von der handwerklichen Aumlsthetik bestimmt25

Im OumlWB waren zugleich auch die Interessen des Kunstgewerbes und der Kunst-industrie der boumlhmischen Laumlnder hervorragend repraumlsentiert Im Ausschuss des sich zentralistisch von Wien aus konstituierenden OumlWB waren als Ortsvertrauens-maumlnner aus Boumlhmen Maumlhren und Schlesien vertreten Heinrich Fanta (Professor an der kk Staatsgewerbeschule in Reichenberg) 26 Robert Freiszligler (Sekretaumlr der Handels- und Gewerbekammer fuumlr Schlesien) 27 Julius Leisching (Direktor des Erzherzog-Rainer-Museums Bruumlnn) 28 Johannes Oertel (Praumlsident des Verbandes der nordboumlhmischen Glasindustriellen Haida) Otto Primavesi (Vizepraumlsident der Oumllmuumltzer Handels- und Gewerbekammer) Ernst Schwedeler-Meyer (Direktor des Nordboumlhmischen Gewerbemuseums)29 Josef Zasche (Baurat Prag) 30 Auszligerdem zaumlhlten zu den Mitgliedern die Wiener Werkstaumltte die Prager Kuumlnstlergenossen-schaft bdquoArtělldquo die staatlichen kunstgewerblichen Fachschulen in Haida Stein-schoumlnau Teplitz-Schoumlnau und Znaim sowie zahlreiche Erzeuger und Haumlndler aus

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den boumlhmischen Laumlndern Trotz seiner deutschnationalen Orientierung fanden sich somit im OumlWB noch 1916 auch einzelne tschechische Unternehmen31

Ausgehend von dieser gemeinsamen Tradition in der oumlsterreichischen Kunst-gewerbereform der Wiener Secession und dem oumlsterreichischen Kulturliberalis-mus32 mit seiner gezielten Foumlrderung regionaler sowie lokaler kunstgewerblicher Bildungsinstitutionen durch den OumlWB und dessen Wegbereiter den Wiener Direktor des kk Gewerbefoumlrderungsamtes Adolf Vetter wird die Entwicklung von zwei eigenstaumlndigen nationalen Vereinen in den boumlhmischen Laumlndern und der Tschecho-slowakei beobachtet Trotz des gemeinsamen Ursprungs im OumlWB der mit Josef Hoffmann und seiner Wiener Werkstaumltte das Handwerk gegenuumlber der industriellen Produktkultur praumlferiert hatte gelang es im neuen Nationalstaat Tschechoslowa-kei nicht innerhalb des Werkbunds eine Uumlbereinkunft zwischen den in sozialer und in wirtschaftlicher Hinsicht unterschiedlichen Interessengemeinschaften der Tschechen und Deutschen zu finden Ansaumltze einer Kooperation mit gemeinsamer Interessenvertretung muumlndeten schlieszliglich in eine Konkurrenzsituation von zwei selbststaumlndigen Werkbundvereinen

Die Gruumlndung des SČD war im Zusammenhang mit der Koumllner Werkbundaus-stellung (1914) von dem Architekten Jan Kotěra33 initiiert worden um im Oumlster-reichischen Pavillon den eigenstaumlndigen Auftritt tschechischer Kuumlnstler und ihrer raumgestalterischen Gesamtkunstwerke zu ermoumlglichen In den Leitsaumltzen des SČD standen die Veredelung der kunstgewerblichen und industriellen Produkte unter Beteiligung der Kuumlnste gemaumlszlig einer national charakteristischen Herstel-lungsweise Ein weiteres Ziel war die Erziehung des Publikums Obgleich der Wortlaut eine enge Anlehnung an die Programmatik des Deutschen Werkbundes offenbart bezog sich der SČD namentlich auf den englischen Kunstkritiker und Kulturphilosophen John Ruskin (1819ndash1900) und generell auf die Vorlaumlufer der Kunstgewerbereform in England Mit dieser Ruumlckbesinnung auf die bdquoArts and Craftsldquo-Bewegung wurde die handwerkliche Tradition favorisiert Unter den 25 Gruumlndungsmitgliedern fanden sich im SČD bevorzugt Architekten und Kuumlnstler wie Josef Gočaacuter34 Dušan Jurkovič35 Celda Klouček36 Emil Kraacuteliacutek37 František Kysela38 Otakar Novotnyacute39 Jiřiacute Stibral40 und Joacuteža Uprka41 unter den Unter-nehmern waren der Keramikproduzent Emil Sommerschuh und der Verleger Jan Štenc42 zudem Politiker wie Ferdinand von Lobkowitz43 letzter Vorsitzender der boumlhmischen Regierung Oumlsterreichs und der Oumlkonom Rudolf Hotowetz4445 In der sozialen Zusammensetzung des Vereins blieb die Dominanz der Architekten gegen-uumlber den Unternehmern bestimmend und zwar auch nach dem Ersten Weltkrieg im wiedergegruumlndeten und anfangs deutlich nationalistisch aufgestellten Verein SČSD Der Vorsitzende wurde der Architekt Josef Gočaacuter 1925 gefolgt von dem Architekten und langjaumlhrigen Vereinsvorsitzenden Pavel Janaacutek46 und schlieszliglich von dem Architekten Oldřich Staryacute47 Zum Vorstand gehoumlrte neben Vertretern der Gewerbekammern des Industriellenverbandes und Regierungsmitarbeitern zudem der Kunsthistoriker Vaacuteclav Vileacutem Štech48 vom Schulministerium Im Nationalstaat

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Tschechoslowakei war der SČSD bestens im Netzwerk des staatlichen Kultur-betriebs eingebunden vom Schulministerium wurde seine Zusammenarbeit mit den Kunstgewerbeschulen und Museen gefoumlrdert Nach der Neugruumlndung war das Prager Kunstgewerbemuseum Veranstaltungsort der Vereinsausstellungen49 aber auch auf der Prager Mustermesse hatte der SČSD regelmaumlszligig fuumlr sich und seine Mitglieder geworben50 Dem Verein wurde daruumlber hinaus die Verantwortung fuumlr die Ausrichtung tschechoslowakischer Kunstgewerbeausstellungen uumlbertragen Vereinsorgan war zunaumlchst die avantgardistische Zeitschrift bdquoUměleckyacute měsiacutečniacutekldquo [Kuumlnstlerische Monatsschrift] die 1921 von bdquoVyacutetvarnaacute praacuteceldquo [Gestaltendes Werk] des Verlegers Štenc abgeloumlst jedoch 1925 aus wirtschaftlichen Gruumlnden wieder eingestellt wurde nach regelmaumlszligiger Berichterstattung in bdquoVyacutetvarneacute snahyldquo [Ge-staltende Bemuumlhungen] folgte dann 1931ndash33 nochmals ein eigener Auftritt mit der Vereinszeitschrift bdquoŽijemeldquo [Wir leben] In bdquoŽijemeldquo erschien auch 1931 die uumlberarbeitete Vereinssatzung mit der Verpflichtung zur Unterstuumltzung aller Be-muumlhungen um eine Verbesserung des allgemeinen Lebensstandards51 Damals war ein Anstieg der gesellschaftlichen Mobilisierung auf fast 500 Vereinsmitglieder zu verzeichnen davon waren circa ein Drittel bildende Kuumlnstler und Architekten52 In den weiteren Jahren bis zur Aufloumlsung wurden die Vereinsmitteilungen in ver-schiedenen Architektur- und Kulturzeitschriften veroumlffentlicht

Seit Anfang der 1920er Jahre wurde aber auch an der Konstituierung des WDT als Pendant zum SČSD innerhalb der Tschechoslowakei gearbeitet Die Gruumln-dungsmitglieder versammelten sich am 25 Mai 1925 in LiberecReichenberg dem wirtschaftlichen Zentrum Nordboumlhmens und vormaligen Austragungsort der Deutschboumlhmischen Ausstellung (1906)53 Seit 1922 fand hier die Reichenberger Messe statt Vertreter der in Nordboumlhmen angesiedelten traditionsreichen Gewer-bezweige der Glas- und Tuchherstellung waren mit anderen deutschboumlhmischen schlesischen und maumlhrischen Produzenten bereits Mitglieder im OumlWB gewesen beziehungsweise ihre Produktionszweige hatten zu den Hauptbetaumltigungsgebieten des oumlsterreichischen kk Gewerbefoumlrderungsamtes gezaumlhlt Unter dem Vorsitz des Teppichfabrikanten Willy Ginzkey54 versammelten sich im WDT insgesamt 44 deutsche Einzel- und Mittelspersonen aus Bildung Handel und Gewerbe der Tschechoslowakei (Handels- und Gewerbekammern Gewerbevereine Deutsche Technische Universitaumlten kunstgewerbliche Fachschulen Kunstvereine wie der Metznerbund) Im Arbeitsausschuss waren auch prominente Vertreter der tsche-choslowakischen Denkmalaumlmter wie Karl Kuumlhn55 Rudolf Houmlnigschmid56 und der Architekt und Kunsthistoriker Otto Kletzl57 praumlsent Anlass fuumlr die Gruumlndungs-versammlung gaben die Pariser Ausstellung Arts Deacuteco (1925) und der Wunsch nach einer selbststaumlndigen Exposition der Deutschen im Tschechoslowakischen Pavillon Die Vereinsgruumlndung wurde jedoch erst Anfang des Jahres 1926 durch eine staatliche Genehmigung der Vereinssatzung bestaumltigt Zugleich wurde dem Verein jegliche politische Betaumltigung untersagt58 Publikationsorgan des WDT wurde das von Otto Kletzl herausgegebene bdquoSudetendeutsche Jahrbuchldquo veroumlffentlicht

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mit Unterstuumltzung der sogenannten bdquoSudetendeutschen Schutzverbaumlndeldquo (Bund der Deutschen Deutscher Kulturverband Deutscher Turnverband) in der Tsche-choslowakei Dieser Kontext ist kennzeichnend fuumlr eine Diskursgemeinschaft des WDT die innerhalb der tschechoslowakischen Wirtschaft und Kultur tendenziell die Vorzuumlge der Deutschen im Blick hatte und nur bedingt vom Staat unterstuumltzt wurde

So unterschiedlich die wirtschaftliche und kulturelle beziehungsweise politische Orientierung des SČDSČSD gegenuumlber dem WDT war so verschieden gestaltete sich auch die Entwicklung beider Vereine die innerhalb der gesetzten Rahmen-bedingungen durchaus elitaumlr aufgestellt waren Handwerker oder einfache Arbeiter waren weder im Vereinsvorstand noch im Arbeitsausschuss praumlsent An einem Zusammenschluss des WDT mit dem SČSD zeigte der Staat zwar Interesse weil dies wohl auszliger Kooperation auch Kontrolle bedeutet haumltte Diese Verbindung war jedoch von keinem der Vereine gewollt Es blieb bei einer Konkurrenzsituation zwischen den zwei tschechoslowakischen Werkbundeinrichtungen die jede fuumlr sich mit eigener Werkbundarbeit die Produzenten durch Wettbewerbe zu motivieren und die Konsumenten auf Ausstellungen sowie mit Publikationen zu uumlberzeugen suchte Waumlhrend sich der SČSD zunehmend fuumlr eine tschechoslowakische Massenkultur einsetzte die vom modernen Wohnen ausgehend alle Lebensbereiche einbeziehen und dabei explizit auch die Slowakei integrieren sollte richtete er sich nach den aktuellen Bestrebungen des Deutschen Werkbunds an dessen bdquoBund mit der Zu-kunftldquo der Jahre 1924ndash1928 (Joan Campbell) Die angestrebte Vereinheitlichung der Gesellschaft nach spezifisch buumlrgerlichen Norm- und Wertvorstellungen ge-maumlszlig den Anspruumlchen an Hygiene Gesundheit und Ordnung wandte sich ebenso gegen vermeintliche Niederungen der Wohnverhaumlltnisse sozialer Grundschichten wie gegen einen sogenannten Luxus den bildungsbuumlrgerlichen Idealen zufolge sollte diese Egalisierungsabsicht durch Erziehung an Breitenwirkung gewinnen Damit verbunden war zugleich eine Internationalisierung der Gesellschaft die das gesamte Lebensumfeld betraf59 Anstelle der Foumlrderung von kulturellen Traditionen sowie Eigentuumlmlichkeiten eines populaumlren bdquoLokalkoloritsldquo wurde nunmehr der internationale Standard propagiert Unter der Praumlmisse LichtndashLuftndashSonne galt es allerdings den Forderungen der Hygienebewegung gemaumlszlig den lokalen Verhaumlltnis-sen gerecht zu werden und entsprechende aktuelle Wohnmodelle in landeseigener Produktion von der architektonischen Planung bis zur Einrichtung herzustellen ndash gerade Pavel Janaacutek hatte hier mit seiner Architekturklasse an der Prager staatlichen Kunstgewerbeschule intensiv an Loumlsungen gearbeitet die den lokalen Bedingungen in technischer wie auch materialspezifischer Hinsicht angepasst sein sollten60 Die Etablierung des SČSD als der tschechoslowakischen Kulturorganisation mit offi-ziellem Auftrag einer Auszligendarstellung der tschechoslowakischen Kultur scheiterte zwar an Interessenkonflikten und Finanzierungsfragen zwischen den Ministerien61 dennoch wurde sein Modernisierungsprojekt im Zusammenspiel der Ortsgruppen mit der Kommunalpolitik unter anderem in BratislavaPressburg BrnoBruumlnn oder Hradec KraacuteloveacuteKoumlniggraumltz vorangetrieben62 Parallel zur wirtschaftlichen und

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rechtlichen Sicherstellung der Existenzgrundlage des tschechoslowakischen Kunst-gewerbes beziehungsweise der Kunstindustrie verfolgte der SČSD ebenfalls seine gesellschaftlichen Erziehungsideale in Zusammenhang mit einem umfassenden Bildungsauftrag der Kunstgewerbemuseen und in eigenen Ausstellungsraumlumen auf Wander- und Auslandsausstellungen in Verkaufs- und Beratungsstellen Biblio-theken und Archiven63 Der WDT hingegen geriet als Vertreter von Luxusproduk-tionszweigen und Exportartikeln der Schmuck- und Glasindustrie zunehmend ins Abseits diese Tendenz wurde durch die Weltwirtschaftskrise noch verstaumlrkt Die geplante Gruumlndung einer Ortsgruppe in Bruumlnn haumltte womoumlglich die uumlberregionale Positionierung des WDT weiter staumlrken koumlnnen sie kam allerdings nicht mehr zustande Nach dem Ableben des Vorsitzenden Ginzkey im Jahr 1934 verliert sich die Spur des WDT Damals wurde auch die bdquosudetendeutsche Kulturpolitikldquo im Interesse des Deutschen Reiches neu sortiert Diese kulturpolitische Umbruch-situation hinterlieszlig ebenfalls beim SČSD ihre Spuren Infolge der Besetzung der so bezeichneten sudetendeutschen Gebiete 1939 wurde der nunmehr auf SČD geschrumpfte tschechische Verein in der bdquoZweiten Republikldquo und im bdquoReichspro-tektorat Boumlhmen und Maumlhrenldquo weiterhin geduldet nach dem Zweiten Weltkrieg wird der bis dahin selbststaumlndige Verein im Jahr 1948 aufgeloumlst

Zur AnthologieDie nachfolgende Auswahl an Quellenmaterial (deutschsprachige Texte im ur-spruumlnglichen Wortlaut tschechischsprachige Texte in deutscher Uumlbersetzung Abbildungen vorzugsweise von Gebrauchsdingen aus dem Publikations- und Aus-stellungskontext der Werkbundvereine) dokumentiert den Werdegang des Werk-bundes in den boumlhmischen Laumlndern und bietet eine Grundlage fuumlr die vergleichende Forschung zum Exportmodell DWBOumlWB und den nachfolgenden tschechischen beziehungsweise tschechoslowakischen Werkbundinitiativen Ausgangspunkt ist vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs der OumlWB Bei Max Eisler erscheint die Idee einer gemeinsamen oumlsterreichischen Werkkultur als ein geschlossener Produkti-ons- und Konsumentenzirkel ndash vom Kuumlnstler ausgehend uumlber den Bildungsweg den Erzeuger den Aussteller bis hin zum Haumlndler und Kaumlufer ndash differenziert64 Das Programm des SČD65 und die Buchpublikation des Tschechischen Werkbundes zur Koumllner Ausstellung von 191466 verdeutlichen das Profil des sich separierenden tschechischen Vereins Fuumlr die Entwicklung des Werkbundes in der Zwischen-kriegszeit stehen einerseits das neue Programm des SČSD (1921)67 sowie dessen Uumlberarbeitung in den 1930er Jahren68 und andererseits das Programm des WDT von 192769 Die jeweilige Programmatik beider tschechoslowakischer Werkbund-vereine wird mit entsprechend charakteristischen Bildfolgen illustriert wobei die abschlieszligende Bildfolge der Werbebroschuumlre des SČSD bdquoUumlber das Wohnenldquo70 Aufschluss uumlber seine Neuausrichtung in den 1930er Jahren und somit uumlber die letzte offensive Arbeitsetappe des tschechischen Vereins gibt

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Die vorliegende Publikation ist Ergebnis des Forschungsprojekts bdquoDer Tschecho-slowakische Werkbund und der Werkbund der Deutschen in der Tschechoslowa-keildquo das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft uumlber zwei Jahre groszligzuumlgig gefoumlrdert am Institut fuumlr Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik Fach-gebiet Kunstgeschichte der Technischen Universitaumlt Berlin durchgefuumlhrt wurde Die Realisierung des Projekts war nur moumlglich dank dieser Foumlrderung sowie der tatkraumlftigen Unterstuumltzung des Instituts und insbesondere dank der versierten An-teilnahme von Magdalena Bushart Gestaumlrkt wurde der Forschungsfortgang durch die sachkundige Kooperation mit Vladimiacuter Šlapeta (Technische Universitaumlt BrnoBruumlnn Fakultaumlt Architektur Abteilung Theorie) der Stiftung Bibliothek Werner Oechslin und Renate Flagmeier (Werkbundarchiv ndash Museum der Dinge) sowie das freundliche Entgegenkommen von Anna Kašparovaacute und Jan Mohr (Nordboumlhmisches Gewerbemuseum LiberecReichenberg) Ihnen und den vielen hilfsbereiten Mit-wirkenden bei Recherchen in den Archiven (Bundesarchiv Berlin Werkbundarchiv Berlin Architekturarchiv Nationales Technikmuseum PrahaPrag Nationalarchiv Prag Landesarchiv Reichenberg Archiv des Nordboumlhmischen Gewerbemuseums Reichenberg Landesarchiv Bruumlnn Stadtarchiv Bruumlnn Landesarchiv OpavaTroppau) und den Bibliotheken (Bibliothek Nordboumlhmisches Gewerbemuseum Reichenberg Bibliothek Nationales Technikmuseum Prag Kunstbibliothek Berlin Staatsbibliothek Berlin Staatsbibliothek Prag) bin ich in Dankbarkeit verbunden

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Die Oumlsterreichische Werkkultur

Aus den Statuten des Oumlsterreichischen Werkbundes 71

sect 2 Der Zweck des Vereines ist die Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst Industrie und Handwerk durch Erziehung und Propaganda die Pflege des kunstgemaumlszligen Echten aller Zeiten auf allen Gebieten menschlicher Betaumltigung Hebung des kuumlnstlerischen Geschmackes und Urteiles und Foumlrderung aller gleichen Zielen zugewandten Bestrebungen Dabei soll auf die Pflege und Entwicklung der nationalen Eigenart der kuumlnstlerischen und gewerblichen Produktion besonderes Augenmerk gerichtet werden

sect 4 Dem Verein gehoumlren an 1 Ehrenmitglieder 2 Stifter 3 Ordentliche Mitglieder

sect 7 Ordentliche Mitglieder des Vereines koumlnnen sein Kenner Kuumlnstler Industrielle und Gewerbetreibende

sect 8 Die Aufnahme der Mitglieder erfolgt nur nach vorhergegangener Einladung durch Beschluszlig des Vorstandes und wird durch Eintragung in die Mitgliederliste vollzogen die vom Generalsekretaumlr gefuumlhrt wird Von der Konstituierung des Vereines werden die Mitglieder durch die Proponenten aufgenommen

sect 9 Der jaumlhrliche Beitrag der ordentlichen Mitglieder wird von jedem Mitgliede durch Selbsteinschaumltzung nach dem Maszlige seiner Leistungsfaumlhigkeit festgesetzt betraumlgt fuumlr einzelne Personen mindestens zehn Kronen fuumlr Firmen mindestens fuumlnfzig Kronen

Uumlber das bdquoWerkschaffenldquo gemaumlszlig dem Verstaumlndnis des OumlWB (gegr 1912) unter-richtet 1916 die repraumlsentative Publikation des Wiener Kunsthistorikers und Gruumlndungsmitglieds des OumlWB Max Eisler Es handelt sich dabei um eine mit den Jahrbuumlchern des Deutschen Werkbundes vergleichbare Konsultation des eigenen Standpunktes im aktuellen Kulturdiskurs An den Jahrbuumlchern war auch die Buchge-staltung orientiert72 Der OumlWB identifizierte sich damit in seinem Selbstverstaumlndnis und zugleich in seiner Selbstdarstellung mit dem DWB Diese Uumlbereinstimmung zwischen OumlWB und DWB uumlberrascht kaum hatte doch der Letztere seit seiner Gruumlndung den gesamten deutschen Sprachraum inklusive Oumlsterreich zum eigenen Arbeitsgebiet erklaumlrt73

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Die Oumlsterreichische Werkkultur wird bei Eisler in sechs Kapiteln dargestellt die ein geschlossenes System der Werkerziehung praumlsentieren Der umfassende Anspruch an bdquoWerkkunstldquo als bdquoLebensgestaltungldquo wird eingangs mit dem Ent-wurf fuumlr einen neuen Wiener Stadtbezirk74 von dem Wiener Architekturtheoretiker Stadtplaner und OumlWB Mitglied Otto Wagner demonstriert und zwar im Sinne des ganzheitlichen groszligstaumldtisch gepraumlgten Kulturbegriffs vom Sofakissen bis zum Stadtplan75 beziehungsweise hier von der Stadtplanung bis zur Wohnstaumltte und ihrer Einrichtung bdquoAus allen Schoumlpfungen blickt dieselbe auf den klar erkannten Voraussetzungen bauende rein in ihren Grenzen taumltige Art des Meisters der die Vielheit der Aufgaben durch die Einheit seiner geraden werktuumlchtigen Gesinnung bewaumlltigt und uumlberwindetldquo76

Der Kuumlnstler ndash und namentlich insbesondere der Wiener Architekt und Kunst-gewerbler Begruumlnder der Wiener Werkstaumltte und Mitbegruumlnder des OumlWB Josef Hoffmann ndash wird im ersten Kapitel als der Schoumlpfer der groszligstaumldtischen bdquoWerkformldquo eingefuumlhrt Theoretisch wird diese bdquoWerkformldquo mit Hilfe des Gedankengebaumludes einer bdquoKern-ldquo und bdquoKunstformldquo verdeutlicht zusaumltzlicher Schmuck wird jedoch abgelehnt bdquoDie Fassade ist das Kleid fuumlr das Hausinnere Der Stuckprunk auf einer Zinshausfassade ist wie der Abendflitter eines armseligen Komoumldiantenldquo77 Mit solchen Vorstellungen der Bekleidungstheorie hatte sich kurz zuvor Otto Wagner auseinandergesetzt78

Das zweite Kapitel befasst sich mit dem Bildungsauftrag der bdquoWerkerziehungldquo Der Kuumlnstler avanciert dabei zum Lehrer der nach einem Lehrplan letztlich sein freies Schaffen in den zweckgebundenen Dienst des oumlffentlichen Lehrauftrags stellt79 Verbindliche Praumlmisse der ganzheitlichen bdquoWerkerziehungldquo ist bdquoder Mensch [als] der Maszligstab dieser Dingeldquo des Alltagsgebrauchs Nach dieser Regel in der Architekturtheorie seit Vitruv soll sich auch die Ausbildung zum selbststaumlndigen Werkkuumlnstler richten80 Die kk Kunstgewerbeschule gilt im Zusammenhang mit der Mustersammlung des kk Oumlsterreichischen Museums fuumlr Kunst und Industrie in Wien als vorbildlich fuumlr eine wirksame durchaus zentralistisch beziehungs-weise hierarchisch organisierte Werkerziehung selbststaumlndiger Werkkuumlnstler Die einzelnen kk Fachschulen erfuumlllen hier ihre Aufgabe als Multiplikatoren dieser zentralen Einrichtung Eine weitere Oumlffentlichkeit soll mit Unterrichtsangeboten in Kunst und Technik an den Kunstgewerbeschulen erreicht werden diese Oumlffnung der Bildungseinrichtungen zielt uumlber die kunstgewerblichen Produktionskreise hinaus auf eine Erziehung des konsumierenden Publikums81

Unter den bdquoErzeugernldquo denen sich das dritte Kapitel widmet werden ebenso die selbststaumlndigen Werkkuumlnstler wie alle Handwerker und Heimarbeiter aufgefuumlhrt Als bedeutende Neuerung in dieser Produktion gelten dem OumlWB wie zuvor dem DWB die Industriearbeiter gerade mit ihnen wird die kuumlnftige soziale Aufgabe in Verbindung gebracht Prinzipiell soll die Werkkultur innerhalb der Industrie gestaumlrkt werden wofuumlr exemplarisch die enge Verflechtung des Bildungsauftrags der Fachschulen mit der boumlhmischen Glasproduktion der Massenmoumlbel- sowie der Textil- (Teppich-) und Tapetenproduktion aufgefuumlhrt wird82

21Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Werkkultur braucht allerdings den Konsens in Geschmacksfragen Als entscheidendes Bindeglied einer solchen gegenseitigen Verstaumlndigung zwischen Produktion und Vertrieb wird der Aussteller praumlsentiert (viertes Kapitel) Aufgabe der Ausstellungen ist es demnach fuumlr die Vermittlung gemeinsamer Grundsaumltze innerhalb einer oumlsterreichischen Vielheit von Produzenten und Konsumenten ein-zutreten an dieser wechselseitigen Uumlbereinkunft und ihrer fortlaufenden Pruumlfung beziehungsweise Erneuerung sollen alle teilhaben KuumlnstlerErzeuger ebenso wie HaumlndlerKaumluferBetrachter83 Der oumlsterreichischen Werkkultur und ihrer Durchset-zung ist gemaumlszlig Eislers Darstellung der Kreislauf oumlkonomischer Relationen zwischen Kunst und Kapitalismus aumluszligerst dienlich Die Vielheit des oumlsterreichischen Voumllker-wesens soll dabei auf eine werkgebende Eigenart festgelegt werden die zugleich auf dem gemeinsamen Vorgehen und gezielter Zusammenarbeit der Landesmuseen mit den Kunstgewerbeschulen nach uumlbereinstimmenden Grundsaumltzen beruht84

Zeugnis dieser vereinheitlichenden Bestrebungen einer oumlsterreichischen Ge-schmacksbildung ist sogleich die erste Wanderausstellung des OumlWB bdquoVon neuen Arbeiten des heimischen Kunsthandwerksldquo im Reichenberger Nordboumlhmischen Gewerbemuseum im Juli 1913 gewesen Unter den ausgestellten Objekten im Eigentum des k k Oumlsterreichischen Museums fuumlr Kunst und Industrie in Wien und zwar als Bestandteil seiner bdquoSammlungen eigentuumlmlicher oder musterguumlltiger Arbeiten des modernen Kunstgewerbesldquo85 waren auszliger den Wiener Exponaten auch Ausstellungsstuumlcke zu sehen die an den boumlhmischen k k Fachschulen in Haida Steinschoumlnau und Znaim gefertigt oder im Auftrag von privaten Firmen teilweise in boumlhmischen Produktionsstaumltten hergestellt worden sind etwa die nach Entwuumlrfen der Wiener Kuumlnstler Josef Hoffmann und Oskar Strnad gefertigten Glaumlser der Glas-fabrikaten J amp L Lobmeyr oder von Joh Loumltz86 Dem Prinzip der Arbeitsteilung folgend waren die Heimarbeiter (beispielsweise Aumltzer Kugler Graveure Schleifer) das letzte Glied im Herstellungsprozess87 Allerdings hatte die Werkkultur nach Wiener Vorbild fuumlr die Arbeiter in sozialer Hinsicht kaum Vorteile zu bieten im Unterschied zum entwerfenden Kuumlnstler blieb der Heimarbeiter anonym

In der bdquoKette unmittelbarer Erziehungswirkungldquo nehmen gemaumlszlig Eisler der Haumlndler und der Kaumlufer letztendlich die Schluumlsselstellung ein (fuumlnftes Kapitel) Vom Werkursprung ausgehend an dem KuumlnstlerLehrerErzeuger teilhaben ist mit dem Konsumenten die Zielgruppe der geschmacksbildenden Bemuumlhungen genannt mittels eines geschickten Haumlndlers und seiner Verkaufsstrategie (der Haumlndler als Erzieher88) soll nunmehr das Produkt nach den Gesetzmaumlszligigkeiten des Marktes einen Verkaufserfolg verbuchen und so seinen Zweck als Qualitaumltsware erfuumlllen89

Der Erziehungsanspruch ist somit einer oumlkonomischen Fortschrittsidee ver-pflichtet welche die beabsichtigte Modernisierung der Alltagskultur gaumlnzlich dem Marktprinzip unterwirft beziehungsweise von der Vermarktung getragen wird Anders als die industriell hergestellte Massenware wird innerhalb der bdquogemein-deutschenldquo Werkkunst fuumlr die oumlsterreichische Besonderheit gerade ihr handwerk-licher Charakter beansprucht der dieser einen exklusiven bdquoOriginalwertldquo aufgrund des einmaligen urheberrechtlich zu schuumltzenden Kuumlnstlerentwurfs sichern soll90

22 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Werkbund-Kontroverse zwischen Befuumlrwortern einer Typisierung gegenuumlber den Individualisten auf der Werkbund-Ausstellung in Koumlln 1914 von Frederic J Schwartz primaumlr als ein Konflikt eben um den urheberrechtlichen Schutz des Kuumlnstlers entschluumlsselt duumlrfte eine Voraussetzung dieser Argumentation und Wert-schaumltzung der kuumlnstlerischen Originalitaumlt sein91 gerade im Zusammenhang mit der arbeitsteiligen Produktion spielte der urheberrechtliche Schutz des Kuumlnstlers eine besonders wichtige Rolle Der OumlWB hat damit eigene Konturen auf dem Kunst-markt und bei der Vermarktung von Kultur gewonnen

Die Organisation der oumlsterreichischen Werkkultur wird schlieszliglich anhand der Werkbundarbeit im oumlsterreichischen Pavillon auf derselben Koumllner Werkbundaus-stellung von 1914 verdeutlicht (sechstes Kapitel) Die Erfolgsbilanz der bdquooumlster-reichischen Sonderartldquo als der bdquotreibenden Vielheitldquo92 in der bdquobindenden Einheitldquo wird explizit auch in Verbindung mit dem Beitrag des Tschechischen Werkbundes im Oumlsterreichischen Pavillon herausgestellt er war fester Bestandteil der oumlster-reichischen Exposition und bekraumlftigte deren Sonderstatus mit der dargebotenen sogenannten Handwerkskunst93 Tatsaumlchlich hatte diese wie sich Adolf Loos aus-druumlckte bdquoLuxuskunst fuumlr die oberen Zehntausend der modernen Groszligstadtldquo einige potenzielle Kaumlufer versammeln koumlnnen die Verkaufsverhandlungen wurden jedoch wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges unterbrochen94

Eislers Praumlsentation des OumlWB endet mit einer Auflistung der Mitglieder (ins-gesamt 627) wobei im Arbeitsausschuss unter anderen Vertrauensmaumlnner aus Boumlhmen Maumlhren und Schlesien genannt sind Zu den Mitgliedern zaumlhlt zwar auch die tschechische Kuumlnstlergenossenschaft bdquoArtělldquo jedoch sind des Weiteren fast ausschlieszliglich deutsche Einrichtungen der boumlhmischen Laumlnder vertreten (siebtes Kapitel)

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Max Eisler Die Oumlsterreichische Werkkultur herausgegeben vom Oumlsterreichischen Werkbund OumlWB Wien 1916 S 5ndash54

Der KuumlnstlerWerkkunst ist Lebensgestaltung ausgedruumlckt in Formen die dem Gebrauche oder auch nur dem Auge dienen immer aber jene Befriedigung hervorrufen die eine aufrichtige dem Material und Zwecke klar entsprechende Behandlung mit sich fuumlhrt In der besonderen Art in der der Kuumlnstler diese aller Werkkunst gemeinsame Aufgabe erfuumlllt aumluszligert sich seine Persoumlnlichkeit Doch kann ihr Schaffen der Mitwelt der sie angehoumlrt nicht entraten Sie muszlig ihre Zeit und ihren Lebenskreis taumltigen Anteil nehmen lassen an dem Werke Nur so gibt sie Lebensgestaltung nur so wird Werkkunst zur Werkkultur

Wir koumlnnen ihre Leistung auch nur dann ganz verstehen und nach voller Gebuumlhr wuumlrdigen wenn wir dem lebendigen Austausch zwischen Kuumlnstler und Mitwelt aufmerksam folgen und uns daruumlber klar werden was er ihr was sie ihm gibt Diese Klarheit laumlszligt sich aber wieder nur an dem Werkgange gewinnen Nur wenn wir erfahren haben wie das wird was wir als Fertiges vor uns haben wird unser Urteil daruumlber vernuumlnftig und billig unser Genuszlig begruumlndet sein Wenn wir dann von einem Werke sagen bdquoDas ist gutldquo oder bdquoDas ist schoumlnldquo so wird Sinn in diesen Worten liegen und wir werden was unserem Geschmacke ungelegen kommt nicht ohneweiters verwerfen weil unser Urteil dann nicht mehr vom gefaumllligen Eindruck aufs Auge abhaumlngt sondern auf allseitiges Ver-stehen zuruumlckgehtEs wird darum der Sache und dem Leser gleich foumlrderlich sein wenn wir ver-suchen in das Werkschaffen einigermaszligen einzufuumlhren ehe wir sein Ergebnis eingehender betrachten

Wir stellen den Kuumlnstler voranDie umfassendste gelaumlufige Werkform auf die sich das Schaffen eines Kuumlnst-

lers aus der Mitte unseres Bundes gegenwaumlrtig richtet ist das wohlversehene Haus ndash nicht das auszligergewoumlhnliche der Festbau sondern das Wohnhaus ndash und hier wieder nicht das eines besonderen kleinen Geschaumlftskreises sondern das des werktaumltigen Buumlrgerstandes allerdings eines groszligstaumldtisch kultivierten vor allem des Wieners Der umfassendste durchschnittliche Zweck in dem diese Arbeit zu ihrem reinsten Ausdruck kommt ist also die Wohnstaumltte fuumlr vorgeschrittene und zeitgemaumlszlige wirkende Stadtmenschen Im Rahmen dieser Aufgabe decken sich Art und Beduumlrfnis des auftraggebenden Bauherrn am meis-ten mit der Gesinnung des ausfuumlhrenden Kuumlnstlers und auf diese weitgehende Annaumlherung beider beruht ersten Grundes die lebendige Vollkommenheit des Werkes

Nun steht ein Groszligstadthaus niemals fuumlr sich hat Nachbarn und Gegenuumlber muszlig auf sie die Ruumlcksicht nehmen die das Glied dem Koumlrper schuldet und mit den Kameraden von nebenan und druumlben darnach sehen wie der umbaute

24 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Freiraum zu seiner kuumlnstlerischen Erscheinung kommt Denn davon haumlngt alles andere ab Das beste und schoumlnste Haus wird verkuumlmmert oder aufdringlich jedenfalls am unrechten Platze erscheinen wenn es sich nicht in einen uumlber-einkommenden Raumplan einfuumlgt und einem vollkommenen Freiraume kann auch ein belangloses Einzelstuumlck nicht gar erheblich schaden Es gilt darum fuumlrs erste den Grundriszlig des Auszligenraumes festzulegen und seine Bauwaumlnde in ein wohlgemessenes Verhaumlltnis zu bringen Das war und ist Raumkunst in ihrem urspruumlnglichsten und aumluszligersten Sinne

Aber wie die Dinge heute liegen bleibt dieser Anfang alles Werkschaffens im Bauen meist ein frommer Wunsch Wir sind fast in allen Gebieten des Lebens zumal in der stadtbildlichen Arbeit nicht freie Begruumlnder sondern Erben und Fortsetzer der Kultur Da ist es schon eine hohe Tugend sie nach jeder Tunlich-keit vorwaumlrtszubringen in den Grenzen des Moumlglichen der Zeit zu geben was ihres Geistes und Koumlnnens ist

Erstes naumlchstgelegenes Ziel dieses Teils der Werkkunst ist die Groszligstadt denn die Groszligstadt ist die modernste Form des menschlichen Zusammenle-bens und die Aufgaben die sie stellt sind vom gegenwaumlrtigen Geiste erfuumlllt Aber im Bereiche eines altstaumldtischen Wesens wie etwa Wiens begegnet jedes umfassende Beginnen gerade den staumlrksten Hemmungen Im innerstaumldtischen Kreise verlangt der uumlberkommene Freiraum sein Recht wo er mit neuen An-lagen durchbrochen wird herrscht der Raster der behoumlrdlichen Bauvorschrift fuumlhren Verkehr und Hygiene ihre wohlgemeinte ausschlieszligliche Sprache zieht sich die Kunst auf die eintoumlnige Handhabung von Reiszligbrett und Lineal zuruumlck Selten nur wird ihrer freieren Uumlbung hier Gelegenheit geboten einem ganzen Stadtteil von Grund auf sein Gepraumlge zu geben dh dem Zuge der Straszligen der Umriszliglinie der Plaumltze dem Grundriszlig eines ganzen Viertels die Richtung zu weisen also stadtbildlich im durchgreifendsten Sinne zu wirken Bei solchem Zustande stehen ihrer vollen freien Entfaltung nur die aumluszligeren unverbauten Bezirke offen Hier kann sie ganze Arbeit leisten Und sie wird das im Sinne der Werkkunst wenn sie zunaumlchst das Wegnetz nach den oumlrtlich bedingten Erfordernissen richtet das Neuviertel mit offenen Straumlngen an den Altkern bindet dort klar und entschlossen zwischen Haupt- und Nebenstraszligen Wohn- Wirtschafts- und Festwegen zwischen Monumental- Verkehrs- und Erholungs-plaumltzen scheidet dh allen Anspruumlchen groszligstaumldtischer Vernunft genuumlgt Der Kunst geschieht dabei schon genug wenn nur der Grundriszlig ndash einerlei wie er verlaumluft ndash den Zweck des Ganzen in seiner Einheit der Teile in ihrer Besonderheit sinnfaumlllig fuumlr jedermann einleuchtend erkennen laumlszligt und dazu den kuumlnftigen Baumeistern die Grundmoumlglichkeit schafft nicht Wand gegen Wand sondern Baukoumlrper gegen Koumlrper zu setzen und aus beiden klargemessenen wohlbe-wegten Auszligenraum zu bilden

Naumlher dem alten Siedlungskerne bleibt nur die Auseinandersetzung mit dem Uumlberlieferten Hier gilt es Zeitverstand handelnd beweisen dh verstehen der Zeit von damals und heute Bloszliges Konservieren waumlre Gedankenfaulheit und

Page 6: DER TSCHECHOSLOWAKISCHE WERKBUND UND DER WERKBUND … · 2018-10-04 · Vorwort Der Deutsche Werkbund Der Architekt und preußische Staatsbeamte Hermann Muthesius hat 1907 das Ziel

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gegebenen Warenkunde fuumlr die dieselben Qualitaumltskriterien wie sbquoEinfachheitlsquo sbquoEhrlichkeitlsquo und sbquoKlarheitlsquo galten In der Bundesrepublik war die Verknuumlpfung von Ethik und Aumlsthetik allerdings noch in anderer Weise kulturpolitisch motiviert Nach dem totalen moralischen und oumlkonomischen Zusammenbruch Deutschlands spielte der 194950 als Gesamtverband reanimierte Verein eine zentrale Rolle dabei eine sachliche Produktkultur zu befoumlrdern und die deutschen Produkte zu Botschaftern eines besseren Deutschlands zu machen Die programmatischen An-saumltze der 1920er und 1930er Jahre kehrten wieder und wie in den fruumlhen Jahren trat in den Werkbund-Aktivitaumlten der 1950er und 1960er Jahre eine starke Aversion gegen alles Modische zutage Der nicht nur formalaumlsthetisch begruumlndete Begriff der sbquoGuten Formlsquo wurde gepraumlgt13 Mit den Warenkunden und den darin vorgestellten sbquoAusschnitten einer beruhigten Warenweltlsquo sollte der Kommunikationszusammen-hang zwischen Entwerfern Produzenten Haumlndlern und Konsumenten geordnet und gesteuert werden

Neben den Warenkunden die sich auf die Empfehlung des Einzelprodukts konzentrierten gab es nach dem Zweiten Weltkrieg noch weitere Instrumente die der aumlsthetischen Schulung dienten Die Wohnberatung sowie die Einrichtung von Musterwohnungen bezogen sich auf die Gestaltung des alltaumlglichen Lebensumfelds die Werkbundkisten die an Hauptschulen und Gymnasien eingesetzt wurden und sich an Schuumller als die kuumlnftigen Verbraucher richteten waren Teil der Bildungs-programme in den verschiedenen Bundeslaumlndern

Wie an den vorgestellten vom Werkbund entwickelten Instrumenten deutlich wird hat die Vereinigung in all ihren Strategien versucht die Sprache der Dinge im Waren-kontext rational zu steuern und nur die Vernunft im Verhaumlltnis zwischen Menschen und Dingen gelten zu lassen die sich in den Leitbegriffen Nuumltzlichkeit Zweckmaumlszligig-keit Sachlichkeit manifestierte Die formierende Kraft der Industrialisierung auf die gesamte Alltagskultur wurde vom Werkbund in eine intentionale Dingsprache und Gestaltungsabsicht uumlbersetzt Die Dinge sollten zu stummen Helfern und Dienern werden wie es Erwin Braun fuumlr die Produkte seiner Braun AG reklamierte Die im Kontext der Beratungs- und Erziehungsaktivitaumlten des Werkbunds benutzte Begriff-lichkeit folgte einem Top-down-Modell und zeigte ein rigides Sendungsbewusstsein Spaumltestens Ende der 1960er Jahre wandte sich der Werkbund jedoch von der Idee ab das Konsumverhalten der Gesellschaft maszliggeblich beeinflussen zu koumlnnen

Die im Rahmen dieser Publikation vorgelegte Anthologie von Quellentexten und Studie von Alena Janatkovaacute zum Tschechoslowakischen Werkbund und zum Werk-bund der Deutschen in der Tschechoslowakei bietet eine fruchtbare Erweiterung der Erkenntnisse zu den Werkbundaktivitaumlten jenseits der Grenzen des Deutschen Reiches Der Modellcharakter des Deutschen Werkbunds auch im oumlstlichen Mitteleuropa ist dabei besonders interessant da dazu bisher wenig publiziert wurde und vor allem der Oumlsterreichische (1912 gegruumlndet) und der Schweizerische Werkbund (1913 gegruumlndet und heute noch existent) im Bewusstsein einer Fachoumlffentlichkeit sind

Renate Flagmeier

Der Werkbund steht fuumlr Reformen des Kunstgewerbes und der Kunstindustrie die er lautstark im Sinne einer Modernisierung von Alltag Leben und Wohnen durch Qualitaumltsarbeit und Qualitaumltsprodukte verkuumlndete und zu einem Erfolg machte14 Nach dem Auseinanderbrechen der Habsburgermonarchie konnte er sich auch im oumlstlichen Mitteleuropa und zwar nachdruumlcklich in dem neu gegruumlndeten Nationalstaat Tschechoslowakei eine Schluumlsselstellung im soziooumlkonomischen Modernisierungsprojekt sichern Welche Gestalt nahm die Reformbewegung unter den tschechoslowakischen Bedingungen gemaumlszlig dem Verhaumlltnis der beteiligten Akteure und Zielgruppen an Nach wem richteten sich ihre Bestrebungen und wohin steuerten sie Hier stellt sich zugleich die Frage nach der Bedeutung des Bucherfolgs bdquoMitteleuropaldquo von Friedrich Naumann einem der fuumlhrenden Koumlpfe des DWB der die Konzeption einer Wirtschaftsgemeinschaft unter deutscher Fuumlhrung propagiert hatte15

Zwei nebeneinander bestehende tschechoslowakische Werkbundgruumlndungen sollen im Folgenden uumlber diese Bestrebungen Auskunft geben naumlmlich der Tsche-chischeTschechoslowakische Werkbund (Svaz ČeskeacutehoČeskoslovenskeacuteho Diacutela SČDSČSD) und der Werkbund der Deutschen in der Tschechoslowakei (WDT) Beide Vereine waren Akteure innerhalb der tschechoslowakischen beziehungsweise in der tschechischen slowakischen und deutschen Kultur in Boumlhmen Maumlhren und der Slowakei Inmitten der tschechoslowakischen Kulturpolitik Ende der 1920er Jahre waren sie zugleich Konkurrenten Der SČDSČSD und der WDT vertraten unterschiedliche national definierte Interessengruppen zudem differierten diese Gruppierungen auch in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht Entscheidende Be-deutung hatte dabei das Vorbild der bereits etablierten Kulturinstitution Deutscher Werkbund (DWB) als Bezugspunkt fuumlr beide Nachfolgeeinrichtungen wie auch fuumlr einzelne Ortsgruppen Der Modellcharakter des Deutschen Werkbundes bezog sich im Sinne von Joan Campbell und ihrer nach wie vor grundlegenden Analyse des DWB prinzipiell auf die vereinsmaumlszligige Gestaltung der Beziehung zwischen Kunst und Gesellschaft einschlieszliglich einer Neuausrichtung ihres Verhaumlltnisses und speziell auf die Rolle der Eliten bei der intendierten Modernisierung bezie-hungsweise Demokratisierung von Kultur in der Gesellschaft16 Die Etablierung der selbststaumlndigen Vereine SČDSČSD und WDT war durch den historischen Einschnitt von 1918 insofern bedingt als dass diese Vereine verschiedene Positionierungen des Werkbunds im neuen kulturpolitischen Kontext der Tschechoslowakei definier-ten Gegenuumlber Naumanns Idee von bdquoMitteleuropaldquo einem um Deutschland und Oumlsterreich versammelten Staatenbund suchte die Tschechoslowakei naumlmlich ihre politische und wirtschaftliche Unabhaumlngigkeit zu behaupten wobei nunmehr die

Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

12 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

eigenen nationalen Ziele das Zentrum ihres Interesses bildeten17 In eben diesen verschiedenen kulturpolitischen Zusammenhaumlngen ndash einerseits von Naumanns bdquoMitteleuropaldquo andererseits der neuen Tschechoslowakei ndash lassen sich die Konturen von WDT und SČDSČSD erkennen

Die nach wie vor einzige Uumlberblicksdarstellung zu dem im Winter 191314 ge-gruumlndeten Tschechischen Werkbund (SČD wiedergegruumlndet 1920 als Tschecho-slowakischer Werkbund SČSD) erschien im Publikationsrahmen von Forschungen uumlber den 1912 in Wien eingerichteten Oumlsterreichischen Werkbund (OumlWB)18 Hier vertritt der SČD jene bdquoneue Kulturorganisationldquo innerhalb Oumlsterreichs die gemaumlszlig ihrer Programmatik der tschechischen Produktion eine kuumlnstlerische Eigenart und Selbststaumlndigkeit sichern sollte19 Deutlich wird der Vorbildcharakter des Deutschen Werkbundes nochmals im Kontext der Bauausstellungen wie diesen die Mono-grafie zur Prager Bauausstellung Baba des SČSD von 1932 herausstellt und zwar ebenso grundsaumltzlich betreffend die Exposition des Wohnens in der Groszligstadt wie auch hinsichtlich spezifischer staumldtebaulicher und architektonischer Loumlsungsansaumltze nach dem Muster der Stuttgarter Werkbundsiedlung Am Weiszligenhof von 192720 Der Werkbund der Deutschen in der Tschechoslowakei (WDT) ist hingegen bisher nicht zusammenfassend eroumlrtert worden Mit den hier zusammengestellten Quellen wird daher weniger im Zusammenhang mit dem SČDSČSD als vielmehr mit dem weitgehend unerforschten WDT Neuland betreten

Keiner der tschechoslowakischen Werkbundvereine wurde bisher hinsichtlich des vereinsspezifischen und kulturpolitischen Kontextes einer Gemeinschafts-bildung zwischen Kuumlnstlern und einzelnen Produktionszweigen innerhalb der liberalisierten buumlrgerlichen Gesellschaft betrachtet Erst aus dieser Perspektive koumlnnen jedoch Erkenntnisse uumlber Strukturmerkmale der tschechoslowakischen Werkbundeinrichtungen gewonnen werden Aber auch die Kulturorganisation Deutscher Werkbund wird als Exportmodell neu beleuchtet

Ziel der vorliegenden Anthologie ist es anhand der wichtigsten programmati-schen Schriften einen systematischen Vergleich des tschechischen SČDSČSD mit dem deutschen WDT einzuleiten Den Ausgangspunkt bilden die Vereins-satzung sowie Programmatik des reichsdeutschen DWB und deren Modifizierung bei den Nachfolgegruumlndungen bdquoDer Zweck des Bundes ist die Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst Industrie und Handwerk durch Erziehung Propaganda und geschlossene Stellungnahme zu einschlaumlgigen Fragenldquo21 Der hier formulierte Plan einer Symbiose zwischen Unternehmertum und Kuumlnstlerschaft wurde von der etwa zur Haumllfte aus Kuumlnstlern und zur Haumllf-te aus Unternehmern zusammengesetzten Gruumlndungsversammlung des DWB reflektiert Die massenwirksame Popularisierung der Werkbundprogrammatik war von Anfang an kennzeichnend fuumlr die bildungs- und wirtschaftsbuumlrgerliche Progressivitaumlt des reichsdeutschen Vereins Seine Ambitionen richteten sich auf eine deutsche Massenkultur die anstelle der vormaligen bildnerischen und aumlstheti-

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schen Hochkultur nunmehr im Sinne einfacher Gebrauchskunst den Alltag breiter Bevoumllkerungsschichten praumlgen sollte Dennoch war die Fortschrittsglaumlubigkeit welche mit dem erzieherischen Impetus der Reformer stillschweigend voraus-gesetzt wurde noch dem Denken des 19 Jahrhunderts verpflichtet22 Letztlich war der Verein DWB aus der Kunstgewerbebewegung hervorgegangen er suchte sich jedoch in Auseinandersetzung mit den technischen Errungenschaften der Industrialisierung neu zu positionieren Die Werkbundarbeit umfasste ebenso unterschiedliche Produzenten sowie diverse Lobbys naumlmlich die im Werkbund organisierten Handwerker Kuumlnstler Firmen beziehungsweise Produktionsstaumltten wie sie auch auf eine weit gestreute Akzeptanz bei den Konsumenten angewiesen war Frederic J Schwartz lenkt daher die Aufmerksamkeit von den Mitgliedern auf das Wesen der Kulturorganisation Deutscher Werkbund gemaumlszlig den Regeln eines kapitalistischen Wirtschaftssystems von dem gleichzeitig die moderne Massenkultur und ihre Durchsetzung gekennzeichnet waren23 Uumlber die natio-naloumlkonomischen Vorteile dieser Massenkultur hinaus wird von dem Historiker Wolfgang Hardtwig die gruumlndliche aumlsthetische Reform des Wohnens und Lebens mit einer egalisierenden befriedenden Wirkung in Verbindung gebracht die im gesellschaftspolitischen Kontext des spaumlten Kaiserreichs auf die sozial ausein-anderdriftende Gesellschaft zielte eine Absicht die wiederum unter nationalem Vorzeichen vorangetrieben wurde In Wirklichkeit hatte vor dem Ersten Weltkrieg die neue industriewirtschaftliche Reformaumlsthetik gemaumlszlig Hardtwig allerdings nur die Kreise des Wirtschafts- und Bildungsbuumlrgertums erreicht24

Verbindlicher Kontext fuumlr den Werkbund in den boumlhmischen Laumlndern und fuumlr dessen Strukturmerkmale war vor dem Ersten Weltkrieg Oumlsterreich und der OumlWB der im Zusammenhang mit der Wiener Tagung des DWB 1912 initiiert worden war Das Konzept der Schoumlpfung und wirtschaftlichen Durchsetzung einer einheitlichen Werkkultur des OumlWB ist bei Max Eisler eingehend dargelegt Die Eigenart der oumlsterreichischen Werkkultur war demnach nicht von der industriewirtschaftlichen sondern von der handwerklichen Aumlsthetik bestimmt25

Im OumlWB waren zugleich auch die Interessen des Kunstgewerbes und der Kunst-industrie der boumlhmischen Laumlnder hervorragend repraumlsentiert Im Ausschuss des sich zentralistisch von Wien aus konstituierenden OumlWB waren als Ortsvertrauens-maumlnner aus Boumlhmen Maumlhren und Schlesien vertreten Heinrich Fanta (Professor an der kk Staatsgewerbeschule in Reichenberg) 26 Robert Freiszligler (Sekretaumlr der Handels- und Gewerbekammer fuumlr Schlesien) 27 Julius Leisching (Direktor des Erzherzog-Rainer-Museums Bruumlnn) 28 Johannes Oertel (Praumlsident des Verbandes der nordboumlhmischen Glasindustriellen Haida) Otto Primavesi (Vizepraumlsident der Oumllmuumltzer Handels- und Gewerbekammer) Ernst Schwedeler-Meyer (Direktor des Nordboumlhmischen Gewerbemuseums)29 Josef Zasche (Baurat Prag) 30 Auszligerdem zaumlhlten zu den Mitgliedern die Wiener Werkstaumltte die Prager Kuumlnstlergenossen-schaft bdquoArtělldquo die staatlichen kunstgewerblichen Fachschulen in Haida Stein-schoumlnau Teplitz-Schoumlnau und Znaim sowie zahlreiche Erzeuger und Haumlndler aus

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den boumlhmischen Laumlndern Trotz seiner deutschnationalen Orientierung fanden sich somit im OumlWB noch 1916 auch einzelne tschechische Unternehmen31

Ausgehend von dieser gemeinsamen Tradition in der oumlsterreichischen Kunst-gewerbereform der Wiener Secession und dem oumlsterreichischen Kulturliberalis-mus32 mit seiner gezielten Foumlrderung regionaler sowie lokaler kunstgewerblicher Bildungsinstitutionen durch den OumlWB und dessen Wegbereiter den Wiener Direktor des kk Gewerbefoumlrderungsamtes Adolf Vetter wird die Entwicklung von zwei eigenstaumlndigen nationalen Vereinen in den boumlhmischen Laumlndern und der Tschecho-slowakei beobachtet Trotz des gemeinsamen Ursprungs im OumlWB der mit Josef Hoffmann und seiner Wiener Werkstaumltte das Handwerk gegenuumlber der industriellen Produktkultur praumlferiert hatte gelang es im neuen Nationalstaat Tschechoslowa-kei nicht innerhalb des Werkbunds eine Uumlbereinkunft zwischen den in sozialer und in wirtschaftlicher Hinsicht unterschiedlichen Interessengemeinschaften der Tschechen und Deutschen zu finden Ansaumltze einer Kooperation mit gemeinsamer Interessenvertretung muumlndeten schlieszliglich in eine Konkurrenzsituation von zwei selbststaumlndigen Werkbundvereinen

Die Gruumlndung des SČD war im Zusammenhang mit der Koumllner Werkbundaus-stellung (1914) von dem Architekten Jan Kotěra33 initiiert worden um im Oumlster-reichischen Pavillon den eigenstaumlndigen Auftritt tschechischer Kuumlnstler und ihrer raumgestalterischen Gesamtkunstwerke zu ermoumlglichen In den Leitsaumltzen des SČD standen die Veredelung der kunstgewerblichen und industriellen Produkte unter Beteiligung der Kuumlnste gemaumlszlig einer national charakteristischen Herstel-lungsweise Ein weiteres Ziel war die Erziehung des Publikums Obgleich der Wortlaut eine enge Anlehnung an die Programmatik des Deutschen Werkbundes offenbart bezog sich der SČD namentlich auf den englischen Kunstkritiker und Kulturphilosophen John Ruskin (1819ndash1900) und generell auf die Vorlaumlufer der Kunstgewerbereform in England Mit dieser Ruumlckbesinnung auf die bdquoArts and Craftsldquo-Bewegung wurde die handwerkliche Tradition favorisiert Unter den 25 Gruumlndungsmitgliedern fanden sich im SČD bevorzugt Architekten und Kuumlnstler wie Josef Gočaacuter34 Dušan Jurkovič35 Celda Klouček36 Emil Kraacuteliacutek37 František Kysela38 Otakar Novotnyacute39 Jiřiacute Stibral40 und Joacuteža Uprka41 unter den Unter-nehmern waren der Keramikproduzent Emil Sommerschuh und der Verleger Jan Štenc42 zudem Politiker wie Ferdinand von Lobkowitz43 letzter Vorsitzender der boumlhmischen Regierung Oumlsterreichs und der Oumlkonom Rudolf Hotowetz4445 In der sozialen Zusammensetzung des Vereins blieb die Dominanz der Architekten gegen-uumlber den Unternehmern bestimmend und zwar auch nach dem Ersten Weltkrieg im wiedergegruumlndeten und anfangs deutlich nationalistisch aufgestellten Verein SČSD Der Vorsitzende wurde der Architekt Josef Gočaacuter 1925 gefolgt von dem Architekten und langjaumlhrigen Vereinsvorsitzenden Pavel Janaacutek46 und schlieszliglich von dem Architekten Oldřich Staryacute47 Zum Vorstand gehoumlrte neben Vertretern der Gewerbekammern des Industriellenverbandes und Regierungsmitarbeitern zudem der Kunsthistoriker Vaacuteclav Vileacutem Štech48 vom Schulministerium Im Nationalstaat

15Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Tschechoslowakei war der SČSD bestens im Netzwerk des staatlichen Kultur-betriebs eingebunden vom Schulministerium wurde seine Zusammenarbeit mit den Kunstgewerbeschulen und Museen gefoumlrdert Nach der Neugruumlndung war das Prager Kunstgewerbemuseum Veranstaltungsort der Vereinsausstellungen49 aber auch auf der Prager Mustermesse hatte der SČSD regelmaumlszligig fuumlr sich und seine Mitglieder geworben50 Dem Verein wurde daruumlber hinaus die Verantwortung fuumlr die Ausrichtung tschechoslowakischer Kunstgewerbeausstellungen uumlbertragen Vereinsorgan war zunaumlchst die avantgardistische Zeitschrift bdquoUměleckyacute měsiacutečniacutekldquo [Kuumlnstlerische Monatsschrift] die 1921 von bdquoVyacutetvarnaacute praacuteceldquo [Gestaltendes Werk] des Verlegers Štenc abgeloumlst jedoch 1925 aus wirtschaftlichen Gruumlnden wieder eingestellt wurde nach regelmaumlszligiger Berichterstattung in bdquoVyacutetvarneacute snahyldquo [Ge-staltende Bemuumlhungen] folgte dann 1931ndash33 nochmals ein eigener Auftritt mit der Vereinszeitschrift bdquoŽijemeldquo [Wir leben] In bdquoŽijemeldquo erschien auch 1931 die uumlberarbeitete Vereinssatzung mit der Verpflichtung zur Unterstuumltzung aller Be-muumlhungen um eine Verbesserung des allgemeinen Lebensstandards51 Damals war ein Anstieg der gesellschaftlichen Mobilisierung auf fast 500 Vereinsmitglieder zu verzeichnen davon waren circa ein Drittel bildende Kuumlnstler und Architekten52 In den weiteren Jahren bis zur Aufloumlsung wurden die Vereinsmitteilungen in ver-schiedenen Architektur- und Kulturzeitschriften veroumlffentlicht

Seit Anfang der 1920er Jahre wurde aber auch an der Konstituierung des WDT als Pendant zum SČSD innerhalb der Tschechoslowakei gearbeitet Die Gruumln-dungsmitglieder versammelten sich am 25 Mai 1925 in LiberecReichenberg dem wirtschaftlichen Zentrum Nordboumlhmens und vormaligen Austragungsort der Deutschboumlhmischen Ausstellung (1906)53 Seit 1922 fand hier die Reichenberger Messe statt Vertreter der in Nordboumlhmen angesiedelten traditionsreichen Gewer-bezweige der Glas- und Tuchherstellung waren mit anderen deutschboumlhmischen schlesischen und maumlhrischen Produzenten bereits Mitglieder im OumlWB gewesen beziehungsweise ihre Produktionszweige hatten zu den Hauptbetaumltigungsgebieten des oumlsterreichischen kk Gewerbefoumlrderungsamtes gezaumlhlt Unter dem Vorsitz des Teppichfabrikanten Willy Ginzkey54 versammelten sich im WDT insgesamt 44 deutsche Einzel- und Mittelspersonen aus Bildung Handel und Gewerbe der Tschechoslowakei (Handels- und Gewerbekammern Gewerbevereine Deutsche Technische Universitaumlten kunstgewerbliche Fachschulen Kunstvereine wie der Metznerbund) Im Arbeitsausschuss waren auch prominente Vertreter der tsche-choslowakischen Denkmalaumlmter wie Karl Kuumlhn55 Rudolf Houmlnigschmid56 und der Architekt und Kunsthistoriker Otto Kletzl57 praumlsent Anlass fuumlr die Gruumlndungs-versammlung gaben die Pariser Ausstellung Arts Deacuteco (1925) und der Wunsch nach einer selbststaumlndigen Exposition der Deutschen im Tschechoslowakischen Pavillon Die Vereinsgruumlndung wurde jedoch erst Anfang des Jahres 1926 durch eine staatliche Genehmigung der Vereinssatzung bestaumltigt Zugleich wurde dem Verein jegliche politische Betaumltigung untersagt58 Publikationsorgan des WDT wurde das von Otto Kletzl herausgegebene bdquoSudetendeutsche Jahrbuchldquo veroumlffentlicht

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mit Unterstuumltzung der sogenannten bdquoSudetendeutschen Schutzverbaumlndeldquo (Bund der Deutschen Deutscher Kulturverband Deutscher Turnverband) in der Tsche-choslowakei Dieser Kontext ist kennzeichnend fuumlr eine Diskursgemeinschaft des WDT die innerhalb der tschechoslowakischen Wirtschaft und Kultur tendenziell die Vorzuumlge der Deutschen im Blick hatte und nur bedingt vom Staat unterstuumltzt wurde

So unterschiedlich die wirtschaftliche und kulturelle beziehungsweise politische Orientierung des SČDSČSD gegenuumlber dem WDT war so verschieden gestaltete sich auch die Entwicklung beider Vereine die innerhalb der gesetzten Rahmen-bedingungen durchaus elitaumlr aufgestellt waren Handwerker oder einfache Arbeiter waren weder im Vereinsvorstand noch im Arbeitsausschuss praumlsent An einem Zusammenschluss des WDT mit dem SČSD zeigte der Staat zwar Interesse weil dies wohl auszliger Kooperation auch Kontrolle bedeutet haumltte Diese Verbindung war jedoch von keinem der Vereine gewollt Es blieb bei einer Konkurrenzsituation zwischen den zwei tschechoslowakischen Werkbundeinrichtungen die jede fuumlr sich mit eigener Werkbundarbeit die Produzenten durch Wettbewerbe zu motivieren und die Konsumenten auf Ausstellungen sowie mit Publikationen zu uumlberzeugen suchte Waumlhrend sich der SČSD zunehmend fuumlr eine tschechoslowakische Massenkultur einsetzte die vom modernen Wohnen ausgehend alle Lebensbereiche einbeziehen und dabei explizit auch die Slowakei integrieren sollte richtete er sich nach den aktuellen Bestrebungen des Deutschen Werkbunds an dessen bdquoBund mit der Zu-kunftldquo der Jahre 1924ndash1928 (Joan Campbell) Die angestrebte Vereinheitlichung der Gesellschaft nach spezifisch buumlrgerlichen Norm- und Wertvorstellungen ge-maumlszlig den Anspruumlchen an Hygiene Gesundheit und Ordnung wandte sich ebenso gegen vermeintliche Niederungen der Wohnverhaumlltnisse sozialer Grundschichten wie gegen einen sogenannten Luxus den bildungsbuumlrgerlichen Idealen zufolge sollte diese Egalisierungsabsicht durch Erziehung an Breitenwirkung gewinnen Damit verbunden war zugleich eine Internationalisierung der Gesellschaft die das gesamte Lebensumfeld betraf59 Anstelle der Foumlrderung von kulturellen Traditionen sowie Eigentuumlmlichkeiten eines populaumlren bdquoLokalkoloritsldquo wurde nunmehr der internationale Standard propagiert Unter der Praumlmisse LichtndashLuftndashSonne galt es allerdings den Forderungen der Hygienebewegung gemaumlszlig den lokalen Verhaumlltnis-sen gerecht zu werden und entsprechende aktuelle Wohnmodelle in landeseigener Produktion von der architektonischen Planung bis zur Einrichtung herzustellen ndash gerade Pavel Janaacutek hatte hier mit seiner Architekturklasse an der Prager staatlichen Kunstgewerbeschule intensiv an Loumlsungen gearbeitet die den lokalen Bedingungen in technischer wie auch materialspezifischer Hinsicht angepasst sein sollten60 Die Etablierung des SČSD als der tschechoslowakischen Kulturorganisation mit offi-ziellem Auftrag einer Auszligendarstellung der tschechoslowakischen Kultur scheiterte zwar an Interessenkonflikten und Finanzierungsfragen zwischen den Ministerien61 dennoch wurde sein Modernisierungsprojekt im Zusammenspiel der Ortsgruppen mit der Kommunalpolitik unter anderem in BratislavaPressburg BrnoBruumlnn oder Hradec KraacuteloveacuteKoumlniggraumltz vorangetrieben62 Parallel zur wirtschaftlichen und

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rechtlichen Sicherstellung der Existenzgrundlage des tschechoslowakischen Kunst-gewerbes beziehungsweise der Kunstindustrie verfolgte der SČSD ebenfalls seine gesellschaftlichen Erziehungsideale in Zusammenhang mit einem umfassenden Bildungsauftrag der Kunstgewerbemuseen und in eigenen Ausstellungsraumlumen auf Wander- und Auslandsausstellungen in Verkaufs- und Beratungsstellen Biblio-theken und Archiven63 Der WDT hingegen geriet als Vertreter von Luxusproduk-tionszweigen und Exportartikeln der Schmuck- und Glasindustrie zunehmend ins Abseits diese Tendenz wurde durch die Weltwirtschaftskrise noch verstaumlrkt Die geplante Gruumlndung einer Ortsgruppe in Bruumlnn haumltte womoumlglich die uumlberregionale Positionierung des WDT weiter staumlrken koumlnnen sie kam allerdings nicht mehr zustande Nach dem Ableben des Vorsitzenden Ginzkey im Jahr 1934 verliert sich die Spur des WDT Damals wurde auch die bdquosudetendeutsche Kulturpolitikldquo im Interesse des Deutschen Reiches neu sortiert Diese kulturpolitische Umbruch-situation hinterlieszlig ebenfalls beim SČSD ihre Spuren Infolge der Besetzung der so bezeichneten sudetendeutschen Gebiete 1939 wurde der nunmehr auf SČD geschrumpfte tschechische Verein in der bdquoZweiten Republikldquo und im bdquoReichspro-tektorat Boumlhmen und Maumlhrenldquo weiterhin geduldet nach dem Zweiten Weltkrieg wird der bis dahin selbststaumlndige Verein im Jahr 1948 aufgeloumlst

Zur AnthologieDie nachfolgende Auswahl an Quellenmaterial (deutschsprachige Texte im ur-spruumlnglichen Wortlaut tschechischsprachige Texte in deutscher Uumlbersetzung Abbildungen vorzugsweise von Gebrauchsdingen aus dem Publikations- und Aus-stellungskontext der Werkbundvereine) dokumentiert den Werdegang des Werk-bundes in den boumlhmischen Laumlndern und bietet eine Grundlage fuumlr die vergleichende Forschung zum Exportmodell DWBOumlWB und den nachfolgenden tschechischen beziehungsweise tschechoslowakischen Werkbundinitiativen Ausgangspunkt ist vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs der OumlWB Bei Max Eisler erscheint die Idee einer gemeinsamen oumlsterreichischen Werkkultur als ein geschlossener Produkti-ons- und Konsumentenzirkel ndash vom Kuumlnstler ausgehend uumlber den Bildungsweg den Erzeuger den Aussteller bis hin zum Haumlndler und Kaumlufer ndash differenziert64 Das Programm des SČD65 und die Buchpublikation des Tschechischen Werkbundes zur Koumllner Ausstellung von 191466 verdeutlichen das Profil des sich separierenden tschechischen Vereins Fuumlr die Entwicklung des Werkbundes in der Zwischen-kriegszeit stehen einerseits das neue Programm des SČSD (1921)67 sowie dessen Uumlberarbeitung in den 1930er Jahren68 und andererseits das Programm des WDT von 192769 Die jeweilige Programmatik beider tschechoslowakischer Werkbund-vereine wird mit entsprechend charakteristischen Bildfolgen illustriert wobei die abschlieszligende Bildfolge der Werbebroschuumlre des SČSD bdquoUumlber das Wohnenldquo70 Aufschluss uumlber seine Neuausrichtung in den 1930er Jahren und somit uumlber die letzte offensive Arbeitsetappe des tschechischen Vereins gibt

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Die vorliegende Publikation ist Ergebnis des Forschungsprojekts bdquoDer Tschecho-slowakische Werkbund und der Werkbund der Deutschen in der Tschechoslowa-keildquo das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft uumlber zwei Jahre groszligzuumlgig gefoumlrdert am Institut fuumlr Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik Fach-gebiet Kunstgeschichte der Technischen Universitaumlt Berlin durchgefuumlhrt wurde Die Realisierung des Projekts war nur moumlglich dank dieser Foumlrderung sowie der tatkraumlftigen Unterstuumltzung des Instituts und insbesondere dank der versierten An-teilnahme von Magdalena Bushart Gestaumlrkt wurde der Forschungsfortgang durch die sachkundige Kooperation mit Vladimiacuter Šlapeta (Technische Universitaumlt BrnoBruumlnn Fakultaumlt Architektur Abteilung Theorie) der Stiftung Bibliothek Werner Oechslin und Renate Flagmeier (Werkbundarchiv ndash Museum der Dinge) sowie das freundliche Entgegenkommen von Anna Kašparovaacute und Jan Mohr (Nordboumlhmisches Gewerbemuseum LiberecReichenberg) Ihnen und den vielen hilfsbereiten Mit-wirkenden bei Recherchen in den Archiven (Bundesarchiv Berlin Werkbundarchiv Berlin Architekturarchiv Nationales Technikmuseum PrahaPrag Nationalarchiv Prag Landesarchiv Reichenberg Archiv des Nordboumlhmischen Gewerbemuseums Reichenberg Landesarchiv Bruumlnn Stadtarchiv Bruumlnn Landesarchiv OpavaTroppau) und den Bibliotheken (Bibliothek Nordboumlhmisches Gewerbemuseum Reichenberg Bibliothek Nationales Technikmuseum Prag Kunstbibliothek Berlin Staatsbibliothek Berlin Staatsbibliothek Prag) bin ich in Dankbarkeit verbunden

19Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Oumlsterreichische Werkkultur

Aus den Statuten des Oumlsterreichischen Werkbundes 71

sect 2 Der Zweck des Vereines ist die Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst Industrie und Handwerk durch Erziehung und Propaganda die Pflege des kunstgemaumlszligen Echten aller Zeiten auf allen Gebieten menschlicher Betaumltigung Hebung des kuumlnstlerischen Geschmackes und Urteiles und Foumlrderung aller gleichen Zielen zugewandten Bestrebungen Dabei soll auf die Pflege und Entwicklung der nationalen Eigenart der kuumlnstlerischen und gewerblichen Produktion besonderes Augenmerk gerichtet werden

sect 4 Dem Verein gehoumlren an 1 Ehrenmitglieder 2 Stifter 3 Ordentliche Mitglieder

sect 7 Ordentliche Mitglieder des Vereines koumlnnen sein Kenner Kuumlnstler Industrielle und Gewerbetreibende

sect 8 Die Aufnahme der Mitglieder erfolgt nur nach vorhergegangener Einladung durch Beschluszlig des Vorstandes und wird durch Eintragung in die Mitgliederliste vollzogen die vom Generalsekretaumlr gefuumlhrt wird Von der Konstituierung des Vereines werden die Mitglieder durch die Proponenten aufgenommen

sect 9 Der jaumlhrliche Beitrag der ordentlichen Mitglieder wird von jedem Mitgliede durch Selbsteinschaumltzung nach dem Maszlige seiner Leistungsfaumlhigkeit festgesetzt betraumlgt fuumlr einzelne Personen mindestens zehn Kronen fuumlr Firmen mindestens fuumlnfzig Kronen

Uumlber das bdquoWerkschaffenldquo gemaumlszlig dem Verstaumlndnis des OumlWB (gegr 1912) unter-richtet 1916 die repraumlsentative Publikation des Wiener Kunsthistorikers und Gruumlndungsmitglieds des OumlWB Max Eisler Es handelt sich dabei um eine mit den Jahrbuumlchern des Deutschen Werkbundes vergleichbare Konsultation des eigenen Standpunktes im aktuellen Kulturdiskurs An den Jahrbuumlchern war auch die Buchge-staltung orientiert72 Der OumlWB identifizierte sich damit in seinem Selbstverstaumlndnis und zugleich in seiner Selbstdarstellung mit dem DWB Diese Uumlbereinstimmung zwischen OumlWB und DWB uumlberrascht kaum hatte doch der Letztere seit seiner Gruumlndung den gesamten deutschen Sprachraum inklusive Oumlsterreich zum eigenen Arbeitsgebiet erklaumlrt73

20 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Oumlsterreichische Werkkultur wird bei Eisler in sechs Kapiteln dargestellt die ein geschlossenes System der Werkerziehung praumlsentieren Der umfassende Anspruch an bdquoWerkkunstldquo als bdquoLebensgestaltungldquo wird eingangs mit dem Ent-wurf fuumlr einen neuen Wiener Stadtbezirk74 von dem Wiener Architekturtheoretiker Stadtplaner und OumlWB Mitglied Otto Wagner demonstriert und zwar im Sinne des ganzheitlichen groszligstaumldtisch gepraumlgten Kulturbegriffs vom Sofakissen bis zum Stadtplan75 beziehungsweise hier von der Stadtplanung bis zur Wohnstaumltte und ihrer Einrichtung bdquoAus allen Schoumlpfungen blickt dieselbe auf den klar erkannten Voraussetzungen bauende rein in ihren Grenzen taumltige Art des Meisters der die Vielheit der Aufgaben durch die Einheit seiner geraden werktuumlchtigen Gesinnung bewaumlltigt und uumlberwindetldquo76

Der Kuumlnstler ndash und namentlich insbesondere der Wiener Architekt und Kunst-gewerbler Begruumlnder der Wiener Werkstaumltte und Mitbegruumlnder des OumlWB Josef Hoffmann ndash wird im ersten Kapitel als der Schoumlpfer der groszligstaumldtischen bdquoWerkformldquo eingefuumlhrt Theoretisch wird diese bdquoWerkformldquo mit Hilfe des Gedankengebaumludes einer bdquoKern-ldquo und bdquoKunstformldquo verdeutlicht zusaumltzlicher Schmuck wird jedoch abgelehnt bdquoDie Fassade ist das Kleid fuumlr das Hausinnere Der Stuckprunk auf einer Zinshausfassade ist wie der Abendflitter eines armseligen Komoumldiantenldquo77 Mit solchen Vorstellungen der Bekleidungstheorie hatte sich kurz zuvor Otto Wagner auseinandergesetzt78

Das zweite Kapitel befasst sich mit dem Bildungsauftrag der bdquoWerkerziehungldquo Der Kuumlnstler avanciert dabei zum Lehrer der nach einem Lehrplan letztlich sein freies Schaffen in den zweckgebundenen Dienst des oumlffentlichen Lehrauftrags stellt79 Verbindliche Praumlmisse der ganzheitlichen bdquoWerkerziehungldquo ist bdquoder Mensch [als] der Maszligstab dieser Dingeldquo des Alltagsgebrauchs Nach dieser Regel in der Architekturtheorie seit Vitruv soll sich auch die Ausbildung zum selbststaumlndigen Werkkuumlnstler richten80 Die kk Kunstgewerbeschule gilt im Zusammenhang mit der Mustersammlung des kk Oumlsterreichischen Museums fuumlr Kunst und Industrie in Wien als vorbildlich fuumlr eine wirksame durchaus zentralistisch beziehungs-weise hierarchisch organisierte Werkerziehung selbststaumlndiger Werkkuumlnstler Die einzelnen kk Fachschulen erfuumlllen hier ihre Aufgabe als Multiplikatoren dieser zentralen Einrichtung Eine weitere Oumlffentlichkeit soll mit Unterrichtsangeboten in Kunst und Technik an den Kunstgewerbeschulen erreicht werden diese Oumlffnung der Bildungseinrichtungen zielt uumlber die kunstgewerblichen Produktionskreise hinaus auf eine Erziehung des konsumierenden Publikums81

Unter den bdquoErzeugernldquo denen sich das dritte Kapitel widmet werden ebenso die selbststaumlndigen Werkkuumlnstler wie alle Handwerker und Heimarbeiter aufgefuumlhrt Als bedeutende Neuerung in dieser Produktion gelten dem OumlWB wie zuvor dem DWB die Industriearbeiter gerade mit ihnen wird die kuumlnftige soziale Aufgabe in Verbindung gebracht Prinzipiell soll die Werkkultur innerhalb der Industrie gestaumlrkt werden wofuumlr exemplarisch die enge Verflechtung des Bildungsauftrags der Fachschulen mit der boumlhmischen Glasproduktion der Massenmoumlbel- sowie der Textil- (Teppich-) und Tapetenproduktion aufgefuumlhrt wird82

21Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Werkkultur braucht allerdings den Konsens in Geschmacksfragen Als entscheidendes Bindeglied einer solchen gegenseitigen Verstaumlndigung zwischen Produktion und Vertrieb wird der Aussteller praumlsentiert (viertes Kapitel) Aufgabe der Ausstellungen ist es demnach fuumlr die Vermittlung gemeinsamer Grundsaumltze innerhalb einer oumlsterreichischen Vielheit von Produzenten und Konsumenten ein-zutreten an dieser wechselseitigen Uumlbereinkunft und ihrer fortlaufenden Pruumlfung beziehungsweise Erneuerung sollen alle teilhaben KuumlnstlerErzeuger ebenso wie HaumlndlerKaumluferBetrachter83 Der oumlsterreichischen Werkkultur und ihrer Durchset-zung ist gemaumlszlig Eislers Darstellung der Kreislauf oumlkonomischer Relationen zwischen Kunst und Kapitalismus aumluszligerst dienlich Die Vielheit des oumlsterreichischen Voumllker-wesens soll dabei auf eine werkgebende Eigenart festgelegt werden die zugleich auf dem gemeinsamen Vorgehen und gezielter Zusammenarbeit der Landesmuseen mit den Kunstgewerbeschulen nach uumlbereinstimmenden Grundsaumltzen beruht84

Zeugnis dieser vereinheitlichenden Bestrebungen einer oumlsterreichischen Ge-schmacksbildung ist sogleich die erste Wanderausstellung des OumlWB bdquoVon neuen Arbeiten des heimischen Kunsthandwerksldquo im Reichenberger Nordboumlhmischen Gewerbemuseum im Juli 1913 gewesen Unter den ausgestellten Objekten im Eigentum des k k Oumlsterreichischen Museums fuumlr Kunst und Industrie in Wien und zwar als Bestandteil seiner bdquoSammlungen eigentuumlmlicher oder musterguumlltiger Arbeiten des modernen Kunstgewerbesldquo85 waren auszliger den Wiener Exponaten auch Ausstellungsstuumlcke zu sehen die an den boumlhmischen k k Fachschulen in Haida Steinschoumlnau und Znaim gefertigt oder im Auftrag von privaten Firmen teilweise in boumlhmischen Produktionsstaumltten hergestellt worden sind etwa die nach Entwuumlrfen der Wiener Kuumlnstler Josef Hoffmann und Oskar Strnad gefertigten Glaumlser der Glas-fabrikaten J amp L Lobmeyr oder von Joh Loumltz86 Dem Prinzip der Arbeitsteilung folgend waren die Heimarbeiter (beispielsweise Aumltzer Kugler Graveure Schleifer) das letzte Glied im Herstellungsprozess87 Allerdings hatte die Werkkultur nach Wiener Vorbild fuumlr die Arbeiter in sozialer Hinsicht kaum Vorteile zu bieten im Unterschied zum entwerfenden Kuumlnstler blieb der Heimarbeiter anonym

In der bdquoKette unmittelbarer Erziehungswirkungldquo nehmen gemaumlszlig Eisler der Haumlndler und der Kaumlufer letztendlich die Schluumlsselstellung ein (fuumlnftes Kapitel) Vom Werkursprung ausgehend an dem KuumlnstlerLehrerErzeuger teilhaben ist mit dem Konsumenten die Zielgruppe der geschmacksbildenden Bemuumlhungen genannt mittels eines geschickten Haumlndlers und seiner Verkaufsstrategie (der Haumlndler als Erzieher88) soll nunmehr das Produkt nach den Gesetzmaumlszligigkeiten des Marktes einen Verkaufserfolg verbuchen und so seinen Zweck als Qualitaumltsware erfuumlllen89

Der Erziehungsanspruch ist somit einer oumlkonomischen Fortschrittsidee ver-pflichtet welche die beabsichtigte Modernisierung der Alltagskultur gaumlnzlich dem Marktprinzip unterwirft beziehungsweise von der Vermarktung getragen wird Anders als die industriell hergestellte Massenware wird innerhalb der bdquogemein-deutschenldquo Werkkunst fuumlr die oumlsterreichische Besonderheit gerade ihr handwerk-licher Charakter beansprucht der dieser einen exklusiven bdquoOriginalwertldquo aufgrund des einmaligen urheberrechtlich zu schuumltzenden Kuumlnstlerentwurfs sichern soll90

22 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Werkbund-Kontroverse zwischen Befuumlrwortern einer Typisierung gegenuumlber den Individualisten auf der Werkbund-Ausstellung in Koumlln 1914 von Frederic J Schwartz primaumlr als ein Konflikt eben um den urheberrechtlichen Schutz des Kuumlnstlers entschluumlsselt duumlrfte eine Voraussetzung dieser Argumentation und Wert-schaumltzung der kuumlnstlerischen Originalitaumlt sein91 gerade im Zusammenhang mit der arbeitsteiligen Produktion spielte der urheberrechtliche Schutz des Kuumlnstlers eine besonders wichtige Rolle Der OumlWB hat damit eigene Konturen auf dem Kunst-markt und bei der Vermarktung von Kultur gewonnen

Die Organisation der oumlsterreichischen Werkkultur wird schlieszliglich anhand der Werkbundarbeit im oumlsterreichischen Pavillon auf derselben Koumllner Werkbundaus-stellung von 1914 verdeutlicht (sechstes Kapitel) Die Erfolgsbilanz der bdquooumlster-reichischen Sonderartldquo als der bdquotreibenden Vielheitldquo92 in der bdquobindenden Einheitldquo wird explizit auch in Verbindung mit dem Beitrag des Tschechischen Werkbundes im Oumlsterreichischen Pavillon herausgestellt er war fester Bestandteil der oumlster-reichischen Exposition und bekraumlftigte deren Sonderstatus mit der dargebotenen sogenannten Handwerkskunst93 Tatsaumlchlich hatte diese wie sich Adolf Loos aus-druumlckte bdquoLuxuskunst fuumlr die oberen Zehntausend der modernen Groszligstadtldquo einige potenzielle Kaumlufer versammeln koumlnnen die Verkaufsverhandlungen wurden jedoch wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges unterbrochen94

Eislers Praumlsentation des OumlWB endet mit einer Auflistung der Mitglieder (ins-gesamt 627) wobei im Arbeitsausschuss unter anderen Vertrauensmaumlnner aus Boumlhmen Maumlhren und Schlesien genannt sind Zu den Mitgliedern zaumlhlt zwar auch die tschechische Kuumlnstlergenossenschaft bdquoArtělldquo jedoch sind des Weiteren fast ausschlieszliglich deutsche Einrichtungen der boumlhmischen Laumlnder vertreten (siebtes Kapitel)

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Max Eisler Die Oumlsterreichische Werkkultur herausgegeben vom Oumlsterreichischen Werkbund OumlWB Wien 1916 S 5ndash54

Der KuumlnstlerWerkkunst ist Lebensgestaltung ausgedruumlckt in Formen die dem Gebrauche oder auch nur dem Auge dienen immer aber jene Befriedigung hervorrufen die eine aufrichtige dem Material und Zwecke klar entsprechende Behandlung mit sich fuumlhrt In der besonderen Art in der der Kuumlnstler diese aller Werkkunst gemeinsame Aufgabe erfuumlllt aumluszligert sich seine Persoumlnlichkeit Doch kann ihr Schaffen der Mitwelt der sie angehoumlrt nicht entraten Sie muszlig ihre Zeit und ihren Lebenskreis taumltigen Anteil nehmen lassen an dem Werke Nur so gibt sie Lebensgestaltung nur so wird Werkkunst zur Werkkultur

Wir koumlnnen ihre Leistung auch nur dann ganz verstehen und nach voller Gebuumlhr wuumlrdigen wenn wir dem lebendigen Austausch zwischen Kuumlnstler und Mitwelt aufmerksam folgen und uns daruumlber klar werden was er ihr was sie ihm gibt Diese Klarheit laumlszligt sich aber wieder nur an dem Werkgange gewinnen Nur wenn wir erfahren haben wie das wird was wir als Fertiges vor uns haben wird unser Urteil daruumlber vernuumlnftig und billig unser Genuszlig begruumlndet sein Wenn wir dann von einem Werke sagen bdquoDas ist gutldquo oder bdquoDas ist schoumlnldquo so wird Sinn in diesen Worten liegen und wir werden was unserem Geschmacke ungelegen kommt nicht ohneweiters verwerfen weil unser Urteil dann nicht mehr vom gefaumllligen Eindruck aufs Auge abhaumlngt sondern auf allseitiges Ver-stehen zuruumlckgehtEs wird darum der Sache und dem Leser gleich foumlrderlich sein wenn wir ver-suchen in das Werkschaffen einigermaszligen einzufuumlhren ehe wir sein Ergebnis eingehender betrachten

Wir stellen den Kuumlnstler voranDie umfassendste gelaumlufige Werkform auf die sich das Schaffen eines Kuumlnst-

lers aus der Mitte unseres Bundes gegenwaumlrtig richtet ist das wohlversehene Haus ndash nicht das auszligergewoumlhnliche der Festbau sondern das Wohnhaus ndash und hier wieder nicht das eines besonderen kleinen Geschaumlftskreises sondern das des werktaumltigen Buumlrgerstandes allerdings eines groszligstaumldtisch kultivierten vor allem des Wieners Der umfassendste durchschnittliche Zweck in dem diese Arbeit zu ihrem reinsten Ausdruck kommt ist also die Wohnstaumltte fuumlr vorgeschrittene und zeitgemaumlszlige wirkende Stadtmenschen Im Rahmen dieser Aufgabe decken sich Art und Beduumlrfnis des auftraggebenden Bauherrn am meis-ten mit der Gesinnung des ausfuumlhrenden Kuumlnstlers und auf diese weitgehende Annaumlherung beider beruht ersten Grundes die lebendige Vollkommenheit des Werkes

Nun steht ein Groszligstadthaus niemals fuumlr sich hat Nachbarn und Gegenuumlber muszlig auf sie die Ruumlcksicht nehmen die das Glied dem Koumlrper schuldet und mit den Kameraden von nebenan und druumlben darnach sehen wie der umbaute

24 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Freiraum zu seiner kuumlnstlerischen Erscheinung kommt Denn davon haumlngt alles andere ab Das beste und schoumlnste Haus wird verkuumlmmert oder aufdringlich jedenfalls am unrechten Platze erscheinen wenn es sich nicht in einen uumlber-einkommenden Raumplan einfuumlgt und einem vollkommenen Freiraume kann auch ein belangloses Einzelstuumlck nicht gar erheblich schaden Es gilt darum fuumlrs erste den Grundriszlig des Auszligenraumes festzulegen und seine Bauwaumlnde in ein wohlgemessenes Verhaumlltnis zu bringen Das war und ist Raumkunst in ihrem urspruumlnglichsten und aumluszligersten Sinne

Aber wie die Dinge heute liegen bleibt dieser Anfang alles Werkschaffens im Bauen meist ein frommer Wunsch Wir sind fast in allen Gebieten des Lebens zumal in der stadtbildlichen Arbeit nicht freie Begruumlnder sondern Erben und Fortsetzer der Kultur Da ist es schon eine hohe Tugend sie nach jeder Tunlich-keit vorwaumlrtszubringen in den Grenzen des Moumlglichen der Zeit zu geben was ihres Geistes und Koumlnnens ist

Erstes naumlchstgelegenes Ziel dieses Teils der Werkkunst ist die Groszligstadt denn die Groszligstadt ist die modernste Form des menschlichen Zusammenle-bens und die Aufgaben die sie stellt sind vom gegenwaumlrtigen Geiste erfuumlllt Aber im Bereiche eines altstaumldtischen Wesens wie etwa Wiens begegnet jedes umfassende Beginnen gerade den staumlrksten Hemmungen Im innerstaumldtischen Kreise verlangt der uumlberkommene Freiraum sein Recht wo er mit neuen An-lagen durchbrochen wird herrscht der Raster der behoumlrdlichen Bauvorschrift fuumlhren Verkehr und Hygiene ihre wohlgemeinte ausschlieszligliche Sprache zieht sich die Kunst auf die eintoumlnige Handhabung von Reiszligbrett und Lineal zuruumlck Selten nur wird ihrer freieren Uumlbung hier Gelegenheit geboten einem ganzen Stadtteil von Grund auf sein Gepraumlge zu geben dh dem Zuge der Straszligen der Umriszliglinie der Plaumltze dem Grundriszlig eines ganzen Viertels die Richtung zu weisen also stadtbildlich im durchgreifendsten Sinne zu wirken Bei solchem Zustande stehen ihrer vollen freien Entfaltung nur die aumluszligeren unverbauten Bezirke offen Hier kann sie ganze Arbeit leisten Und sie wird das im Sinne der Werkkunst wenn sie zunaumlchst das Wegnetz nach den oumlrtlich bedingten Erfordernissen richtet das Neuviertel mit offenen Straumlngen an den Altkern bindet dort klar und entschlossen zwischen Haupt- und Nebenstraszligen Wohn- Wirtschafts- und Festwegen zwischen Monumental- Verkehrs- und Erholungs-plaumltzen scheidet dh allen Anspruumlchen groszligstaumldtischer Vernunft genuumlgt Der Kunst geschieht dabei schon genug wenn nur der Grundriszlig ndash einerlei wie er verlaumluft ndash den Zweck des Ganzen in seiner Einheit der Teile in ihrer Besonderheit sinnfaumlllig fuumlr jedermann einleuchtend erkennen laumlszligt und dazu den kuumlnftigen Baumeistern die Grundmoumlglichkeit schafft nicht Wand gegen Wand sondern Baukoumlrper gegen Koumlrper zu setzen und aus beiden klargemessenen wohlbe-wegten Auszligenraum zu bilden

Naumlher dem alten Siedlungskerne bleibt nur die Auseinandersetzung mit dem Uumlberlieferten Hier gilt es Zeitverstand handelnd beweisen dh verstehen der Zeit von damals und heute Bloszliges Konservieren waumlre Gedankenfaulheit und

Page 7: DER TSCHECHOSLOWAKISCHE WERKBUND UND DER WERKBUND … · 2018-10-04 · Vorwort Der Deutsche Werkbund Der Architekt und preußische Staatsbeamte Hermann Muthesius hat 1907 das Ziel

Der Werkbund steht fuumlr Reformen des Kunstgewerbes und der Kunstindustrie die er lautstark im Sinne einer Modernisierung von Alltag Leben und Wohnen durch Qualitaumltsarbeit und Qualitaumltsprodukte verkuumlndete und zu einem Erfolg machte14 Nach dem Auseinanderbrechen der Habsburgermonarchie konnte er sich auch im oumlstlichen Mitteleuropa und zwar nachdruumlcklich in dem neu gegruumlndeten Nationalstaat Tschechoslowakei eine Schluumlsselstellung im soziooumlkonomischen Modernisierungsprojekt sichern Welche Gestalt nahm die Reformbewegung unter den tschechoslowakischen Bedingungen gemaumlszlig dem Verhaumlltnis der beteiligten Akteure und Zielgruppen an Nach wem richteten sich ihre Bestrebungen und wohin steuerten sie Hier stellt sich zugleich die Frage nach der Bedeutung des Bucherfolgs bdquoMitteleuropaldquo von Friedrich Naumann einem der fuumlhrenden Koumlpfe des DWB der die Konzeption einer Wirtschaftsgemeinschaft unter deutscher Fuumlhrung propagiert hatte15

Zwei nebeneinander bestehende tschechoslowakische Werkbundgruumlndungen sollen im Folgenden uumlber diese Bestrebungen Auskunft geben naumlmlich der Tsche-chischeTschechoslowakische Werkbund (Svaz ČeskeacutehoČeskoslovenskeacuteho Diacutela SČDSČSD) und der Werkbund der Deutschen in der Tschechoslowakei (WDT) Beide Vereine waren Akteure innerhalb der tschechoslowakischen beziehungsweise in der tschechischen slowakischen und deutschen Kultur in Boumlhmen Maumlhren und der Slowakei Inmitten der tschechoslowakischen Kulturpolitik Ende der 1920er Jahre waren sie zugleich Konkurrenten Der SČDSČSD und der WDT vertraten unterschiedliche national definierte Interessengruppen zudem differierten diese Gruppierungen auch in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht Entscheidende Be-deutung hatte dabei das Vorbild der bereits etablierten Kulturinstitution Deutscher Werkbund (DWB) als Bezugspunkt fuumlr beide Nachfolgeeinrichtungen wie auch fuumlr einzelne Ortsgruppen Der Modellcharakter des Deutschen Werkbundes bezog sich im Sinne von Joan Campbell und ihrer nach wie vor grundlegenden Analyse des DWB prinzipiell auf die vereinsmaumlszligige Gestaltung der Beziehung zwischen Kunst und Gesellschaft einschlieszliglich einer Neuausrichtung ihres Verhaumlltnisses und speziell auf die Rolle der Eliten bei der intendierten Modernisierung bezie-hungsweise Demokratisierung von Kultur in der Gesellschaft16 Die Etablierung der selbststaumlndigen Vereine SČDSČSD und WDT war durch den historischen Einschnitt von 1918 insofern bedingt als dass diese Vereine verschiedene Positionierungen des Werkbunds im neuen kulturpolitischen Kontext der Tschechoslowakei definier-ten Gegenuumlber Naumanns Idee von bdquoMitteleuropaldquo einem um Deutschland und Oumlsterreich versammelten Staatenbund suchte die Tschechoslowakei naumlmlich ihre politische und wirtschaftliche Unabhaumlngigkeit zu behaupten wobei nunmehr die

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eigenen nationalen Ziele das Zentrum ihres Interesses bildeten17 In eben diesen verschiedenen kulturpolitischen Zusammenhaumlngen ndash einerseits von Naumanns bdquoMitteleuropaldquo andererseits der neuen Tschechoslowakei ndash lassen sich die Konturen von WDT und SČDSČSD erkennen

Die nach wie vor einzige Uumlberblicksdarstellung zu dem im Winter 191314 ge-gruumlndeten Tschechischen Werkbund (SČD wiedergegruumlndet 1920 als Tschecho-slowakischer Werkbund SČSD) erschien im Publikationsrahmen von Forschungen uumlber den 1912 in Wien eingerichteten Oumlsterreichischen Werkbund (OumlWB)18 Hier vertritt der SČD jene bdquoneue Kulturorganisationldquo innerhalb Oumlsterreichs die gemaumlszlig ihrer Programmatik der tschechischen Produktion eine kuumlnstlerische Eigenart und Selbststaumlndigkeit sichern sollte19 Deutlich wird der Vorbildcharakter des Deutschen Werkbundes nochmals im Kontext der Bauausstellungen wie diesen die Mono-grafie zur Prager Bauausstellung Baba des SČSD von 1932 herausstellt und zwar ebenso grundsaumltzlich betreffend die Exposition des Wohnens in der Groszligstadt wie auch hinsichtlich spezifischer staumldtebaulicher und architektonischer Loumlsungsansaumltze nach dem Muster der Stuttgarter Werkbundsiedlung Am Weiszligenhof von 192720 Der Werkbund der Deutschen in der Tschechoslowakei (WDT) ist hingegen bisher nicht zusammenfassend eroumlrtert worden Mit den hier zusammengestellten Quellen wird daher weniger im Zusammenhang mit dem SČDSČSD als vielmehr mit dem weitgehend unerforschten WDT Neuland betreten

Keiner der tschechoslowakischen Werkbundvereine wurde bisher hinsichtlich des vereinsspezifischen und kulturpolitischen Kontextes einer Gemeinschafts-bildung zwischen Kuumlnstlern und einzelnen Produktionszweigen innerhalb der liberalisierten buumlrgerlichen Gesellschaft betrachtet Erst aus dieser Perspektive koumlnnen jedoch Erkenntnisse uumlber Strukturmerkmale der tschechoslowakischen Werkbundeinrichtungen gewonnen werden Aber auch die Kulturorganisation Deutscher Werkbund wird als Exportmodell neu beleuchtet

Ziel der vorliegenden Anthologie ist es anhand der wichtigsten programmati-schen Schriften einen systematischen Vergleich des tschechischen SČDSČSD mit dem deutschen WDT einzuleiten Den Ausgangspunkt bilden die Vereins-satzung sowie Programmatik des reichsdeutschen DWB und deren Modifizierung bei den Nachfolgegruumlndungen bdquoDer Zweck des Bundes ist die Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst Industrie und Handwerk durch Erziehung Propaganda und geschlossene Stellungnahme zu einschlaumlgigen Fragenldquo21 Der hier formulierte Plan einer Symbiose zwischen Unternehmertum und Kuumlnstlerschaft wurde von der etwa zur Haumllfte aus Kuumlnstlern und zur Haumllf-te aus Unternehmern zusammengesetzten Gruumlndungsversammlung des DWB reflektiert Die massenwirksame Popularisierung der Werkbundprogrammatik war von Anfang an kennzeichnend fuumlr die bildungs- und wirtschaftsbuumlrgerliche Progressivitaumlt des reichsdeutschen Vereins Seine Ambitionen richteten sich auf eine deutsche Massenkultur die anstelle der vormaligen bildnerischen und aumlstheti-

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schen Hochkultur nunmehr im Sinne einfacher Gebrauchskunst den Alltag breiter Bevoumllkerungsschichten praumlgen sollte Dennoch war die Fortschrittsglaumlubigkeit welche mit dem erzieherischen Impetus der Reformer stillschweigend voraus-gesetzt wurde noch dem Denken des 19 Jahrhunderts verpflichtet22 Letztlich war der Verein DWB aus der Kunstgewerbebewegung hervorgegangen er suchte sich jedoch in Auseinandersetzung mit den technischen Errungenschaften der Industrialisierung neu zu positionieren Die Werkbundarbeit umfasste ebenso unterschiedliche Produzenten sowie diverse Lobbys naumlmlich die im Werkbund organisierten Handwerker Kuumlnstler Firmen beziehungsweise Produktionsstaumltten wie sie auch auf eine weit gestreute Akzeptanz bei den Konsumenten angewiesen war Frederic J Schwartz lenkt daher die Aufmerksamkeit von den Mitgliedern auf das Wesen der Kulturorganisation Deutscher Werkbund gemaumlszlig den Regeln eines kapitalistischen Wirtschaftssystems von dem gleichzeitig die moderne Massenkultur und ihre Durchsetzung gekennzeichnet waren23 Uumlber die natio-naloumlkonomischen Vorteile dieser Massenkultur hinaus wird von dem Historiker Wolfgang Hardtwig die gruumlndliche aumlsthetische Reform des Wohnens und Lebens mit einer egalisierenden befriedenden Wirkung in Verbindung gebracht die im gesellschaftspolitischen Kontext des spaumlten Kaiserreichs auf die sozial ausein-anderdriftende Gesellschaft zielte eine Absicht die wiederum unter nationalem Vorzeichen vorangetrieben wurde In Wirklichkeit hatte vor dem Ersten Weltkrieg die neue industriewirtschaftliche Reformaumlsthetik gemaumlszlig Hardtwig allerdings nur die Kreise des Wirtschafts- und Bildungsbuumlrgertums erreicht24

Verbindlicher Kontext fuumlr den Werkbund in den boumlhmischen Laumlndern und fuumlr dessen Strukturmerkmale war vor dem Ersten Weltkrieg Oumlsterreich und der OumlWB der im Zusammenhang mit der Wiener Tagung des DWB 1912 initiiert worden war Das Konzept der Schoumlpfung und wirtschaftlichen Durchsetzung einer einheitlichen Werkkultur des OumlWB ist bei Max Eisler eingehend dargelegt Die Eigenart der oumlsterreichischen Werkkultur war demnach nicht von der industriewirtschaftlichen sondern von der handwerklichen Aumlsthetik bestimmt25

Im OumlWB waren zugleich auch die Interessen des Kunstgewerbes und der Kunst-industrie der boumlhmischen Laumlnder hervorragend repraumlsentiert Im Ausschuss des sich zentralistisch von Wien aus konstituierenden OumlWB waren als Ortsvertrauens-maumlnner aus Boumlhmen Maumlhren und Schlesien vertreten Heinrich Fanta (Professor an der kk Staatsgewerbeschule in Reichenberg) 26 Robert Freiszligler (Sekretaumlr der Handels- und Gewerbekammer fuumlr Schlesien) 27 Julius Leisching (Direktor des Erzherzog-Rainer-Museums Bruumlnn) 28 Johannes Oertel (Praumlsident des Verbandes der nordboumlhmischen Glasindustriellen Haida) Otto Primavesi (Vizepraumlsident der Oumllmuumltzer Handels- und Gewerbekammer) Ernst Schwedeler-Meyer (Direktor des Nordboumlhmischen Gewerbemuseums)29 Josef Zasche (Baurat Prag) 30 Auszligerdem zaumlhlten zu den Mitgliedern die Wiener Werkstaumltte die Prager Kuumlnstlergenossen-schaft bdquoArtělldquo die staatlichen kunstgewerblichen Fachschulen in Haida Stein-schoumlnau Teplitz-Schoumlnau und Znaim sowie zahlreiche Erzeuger und Haumlndler aus

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den boumlhmischen Laumlndern Trotz seiner deutschnationalen Orientierung fanden sich somit im OumlWB noch 1916 auch einzelne tschechische Unternehmen31

Ausgehend von dieser gemeinsamen Tradition in der oumlsterreichischen Kunst-gewerbereform der Wiener Secession und dem oumlsterreichischen Kulturliberalis-mus32 mit seiner gezielten Foumlrderung regionaler sowie lokaler kunstgewerblicher Bildungsinstitutionen durch den OumlWB und dessen Wegbereiter den Wiener Direktor des kk Gewerbefoumlrderungsamtes Adolf Vetter wird die Entwicklung von zwei eigenstaumlndigen nationalen Vereinen in den boumlhmischen Laumlndern und der Tschecho-slowakei beobachtet Trotz des gemeinsamen Ursprungs im OumlWB der mit Josef Hoffmann und seiner Wiener Werkstaumltte das Handwerk gegenuumlber der industriellen Produktkultur praumlferiert hatte gelang es im neuen Nationalstaat Tschechoslowa-kei nicht innerhalb des Werkbunds eine Uumlbereinkunft zwischen den in sozialer und in wirtschaftlicher Hinsicht unterschiedlichen Interessengemeinschaften der Tschechen und Deutschen zu finden Ansaumltze einer Kooperation mit gemeinsamer Interessenvertretung muumlndeten schlieszliglich in eine Konkurrenzsituation von zwei selbststaumlndigen Werkbundvereinen

Die Gruumlndung des SČD war im Zusammenhang mit der Koumllner Werkbundaus-stellung (1914) von dem Architekten Jan Kotěra33 initiiert worden um im Oumlster-reichischen Pavillon den eigenstaumlndigen Auftritt tschechischer Kuumlnstler und ihrer raumgestalterischen Gesamtkunstwerke zu ermoumlglichen In den Leitsaumltzen des SČD standen die Veredelung der kunstgewerblichen und industriellen Produkte unter Beteiligung der Kuumlnste gemaumlszlig einer national charakteristischen Herstel-lungsweise Ein weiteres Ziel war die Erziehung des Publikums Obgleich der Wortlaut eine enge Anlehnung an die Programmatik des Deutschen Werkbundes offenbart bezog sich der SČD namentlich auf den englischen Kunstkritiker und Kulturphilosophen John Ruskin (1819ndash1900) und generell auf die Vorlaumlufer der Kunstgewerbereform in England Mit dieser Ruumlckbesinnung auf die bdquoArts and Craftsldquo-Bewegung wurde die handwerkliche Tradition favorisiert Unter den 25 Gruumlndungsmitgliedern fanden sich im SČD bevorzugt Architekten und Kuumlnstler wie Josef Gočaacuter34 Dušan Jurkovič35 Celda Klouček36 Emil Kraacuteliacutek37 František Kysela38 Otakar Novotnyacute39 Jiřiacute Stibral40 und Joacuteža Uprka41 unter den Unter-nehmern waren der Keramikproduzent Emil Sommerschuh und der Verleger Jan Štenc42 zudem Politiker wie Ferdinand von Lobkowitz43 letzter Vorsitzender der boumlhmischen Regierung Oumlsterreichs und der Oumlkonom Rudolf Hotowetz4445 In der sozialen Zusammensetzung des Vereins blieb die Dominanz der Architekten gegen-uumlber den Unternehmern bestimmend und zwar auch nach dem Ersten Weltkrieg im wiedergegruumlndeten und anfangs deutlich nationalistisch aufgestellten Verein SČSD Der Vorsitzende wurde der Architekt Josef Gočaacuter 1925 gefolgt von dem Architekten und langjaumlhrigen Vereinsvorsitzenden Pavel Janaacutek46 und schlieszliglich von dem Architekten Oldřich Staryacute47 Zum Vorstand gehoumlrte neben Vertretern der Gewerbekammern des Industriellenverbandes und Regierungsmitarbeitern zudem der Kunsthistoriker Vaacuteclav Vileacutem Štech48 vom Schulministerium Im Nationalstaat

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Tschechoslowakei war der SČSD bestens im Netzwerk des staatlichen Kultur-betriebs eingebunden vom Schulministerium wurde seine Zusammenarbeit mit den Kunstgewerbeschulen und Museen gefoumlrdert Nach der Neugruumlndung war das Prager Kunstgewerbemuseum Veranstaltungsort der Vereinsausstellungen49 aber auch auf der Prager Mustermesse hatte der SČSD regelmaumlszligig fuumlr sich und seine Mitglieder geworben50 Dem Verein wurde daruumlber hinaus die Verantwortung fuumlr die Ausrichtung tschechoslowakischer Kunstgewerbeausstellungen uumlbertragen Vereinsorgan war zunaumlchst die avantgardistische Zeitschrift bdquoUměleckyacute měsiacutečniacutekldquo [Kuumlnstlerische Monatsschrift] die 1921 von bdquoVyacutetvarnaacute praacuteceldquo [Gestaltendes Werk] des Verlegers Štenc abgeloumlst jedoch 1925 aus wirtschaftlichen Gruumlnden wieder eingestellt wurde nach regelmaumlszligiger Berichterstattung in bdquoVyacutetvarneacute snahyldquo [Ge-staltende Bemuumlhungen] folgte dann 1931ndash33 nochmals ein eigener Auftritt mit der Vereinszeitschrift bdquoŽijemeldquo [Wir leben] In bdquoŽijemeldquo erschien auch 1931 die uumlberarbeitete Vereinssatzung mit der Verpflichtung zur Unterstuumltzung aller Be-muumlhungen um eine Verbesserung des allgemeinen Lebensstandards51 Damals war ein Anstieg der gesellschaftlichen Mobilisierung auf fast 500 Vereinsmitglieder zu verzeichnen davon waren circa ein Drittel bildende Kuumlnstler und Architekten52 In den weiteren Jahren bis zur Aufloumlsung wurden die Vereinsmitteilungen in ver-schiedenen Architektur- und Kulturzeitschriften veroumlffentlicht

Seit Anfang der 1920er Jahre wurde aber auch an der Konstituierung des WDT als Pendant zum SČSD innerhalb der Tschechoslowakei gearbeitet Die Gruumln-dungsmitglieder versammelten sich am 25 Mai 1925 in LiberecReichenberg dem wirtschaftlichen Zentrum Nordboumlhmens und vormaligen Austragungsort der Deutschboumlhmischen Ausstellung (1906)53 Seit 1922 fand hier die Reichenberger Messe statt Vertreter der in Nordboumlhmen angesiedelten traditionsreichen Gewer-bezweige der Glas- und Tuchherstellung waren mit anderen deutschboumlhmischen schlesischen und maumlhrischen Produzenten bereits Mitglieder im OumlWB gewesen beziehungsweise ihre Produktionszweige hatten zu den Hauptbetaumltigungsgebieten des oumlsterreichischen kk Gewerbefoumlrderungsamtes gezaumlhlt Unter dem Vorsitz des Teppichfabrikanten Willy Ginzkey54 versammelten sich im WDT insgesamt 44 deutsche Einzel- und Mittelspersonen aus Bildung Handel und Gewerbe der Tschechoslowakei (Handels- und Gewerbekammern Gewerbevereine Deutsche Technische Universitaumlten kunstgewerbliche Fachschulen Kunstvereine wie der Metznerbund) Im Arbeitsausschuss waren auch prominente Vertreter der tsche-choslowakischen Denkmalaumlmter wie Karl Kuumlhn55 Rudolf Houmlnigschmid56 und der Architekt und Kunsthistoriker Otto Kletzl57 praumlsent Anlass fuumlr die Gruumlndungs-versammlung gaben die Pariser Ausstellung Arts Deacuteco (1925) und der Wunsch nach einer selbststaumlndigen Exposition der Deutschen im Tschechoslowakischen Pavillon Die Vereinsgruumlndung wurde jedoch erst Anfang des Jahres 1926 durch eine staatliche Genehmigung der Vereinssatzung bestaumltigt Zugleich wurde dem Verein jegliche politische Betaumltigung untersagt58 Publikationsorgan des WDT wurde das von Otto Kletzl herausgegebene bdquoSudetendeutsche Jahrbuchldquo veroumlffentlicht

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mit Unterstuumltzung der sogenannten bdquoSudetendeutschen Schutzverbaumlndeldquo (Bund der Deutschen Deutscher Kulturverband Deutscher Turnverband) in der Tsche-choslowakei Dieser Kontext ist kennzeichnend fuumlr eine Diskursgemeinschaft des WDT die innerhalb der tschechoslowakischen Wirtschaft und Kultur tendenziell die Vorzuumlge der Deutschen im Blick hatte und nur bedingt vom Staat unterstuumltzt wurde

So unterschiedlich die wirtschaftliche und kulturelle beziehungsweise politische Orientierung des SČDSČSD gegenuumlber dem WDT war so verschieden gestaltete sich auch die Entwicklung beider Vereine die innerhalb der gesetzten Rahmen-bedingungen durchaus elitaumlr aufgestellt waren Handwerker oder einfache Arbeiter waren weder im Vereinsvorstand noch im Arbeitsausschuss praumlsent An einem Zusammenschluss des WDT mit dem SČSD zeigte der Staat zwar Interesse weil dies wohl auszliger Kooperation auch Kontrolle bedeutet haumltte Diese Verbindung war jedoch von keinem der Vereine gewollt Es blieb bei einer Konkurrenzsituation zwischen den zwei tschechoslowakischen Werkbundeinrichtungen die jede fuumlr sich mit eigener Werkbundarbeit die Produzenten durch Wettbewerbe zu motivieren und die Konsumenten auf Ausstellungen sowie mit Publikationen zu uumlberzeugen suchte Waumlhrend sich der SČSD zunehmend fuumlr eine tschechoslowakische Massenkultur einsetzte die vom modernen Wohnen ausgehend alle Lebensbereiche einbeziehen und dabei explizit auch die Slowakei integrieren sollte richtete er sich nach den aktuellen Bestrebungen des Deutschen Werkbunds an dessen bdquoBund mit der Zu-kunftldquo der Jahre 1924ndash1928 (Joan Campbell) Die angestrebte Vereinheitlichung der Gesellschaft nach spezifisch buumlrgerlichen Norm- und Wertvorstellungen ge-maumlszlig den Anspruumlchen an Hygiene Gesundheit und Ordnung wandte sich ebenso gegen vermeintliche Niederungen der Wohnverhaumlltnisse sozialer Grundschichten wie gegen einen sogenannten Luxus den bildungsbuumlrgerlichen Idealen zufolge sollte diese Egalisierungsabsicht durch Erziehung an Breitenwirkung gewinnen Damit verbunden war zugleich eine Internationalisierung der Gesellschaft die das gesamte Lebensumfeld betraf59 Anstelle der Foumlrderung von kulturellen Traditionen sowie Eigentuumlmlichkeiten eines populaumlren bdquoLokalkoloritsldquo wurde nunmehr der internationale Standard propagiert Unter der Praumlmisse LichtndashLuftndashSonne galt es allerdings den Forderungen der Hygienebewegung gemaumlszlig den lokalen Verhaumlltnis-sen gerecht zu werden und entsprechende aktuelle Wohnmodelle in landeseigener Produktion von der architektonischen Planung bis zur Einrichtung herzustellen ndash gerade Pavel Janaacutek hatte hier mit seiner Architekturklasse an der Prager staatlichen Kunstgewerbeschule intensiv an Loumlsungen gearbeitet die den lokalen Bedingungen in technischer wie auch materialspezifischer Hinsicht angepasst sein sollten60 Die Etablierung des SČSD als der tschechoslowakischen Kulturorganisation mit offi-ziellem Auftrag einer Auszligendarstellung der tschechoslowakischen Kultur scheiterte zwar an Interessenkonflikten und Finanzierungsfragen zwischen den Ministerien61 dennoch wurde sein Modernisierungsprojekt im Zusammenspiel der Ortsgruppen mit der Kommunalpolitik unter anderem in BratislavaPressburg BrnoBruumlnn oder Hradec KraacuteloveacuteKoumlniggraumltz vorangetrieben62 Parallel zur wirtschaftlichen und

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rechtlichen Sicherstellung der Existenzgrundlage des tschechoslowakischen Kunst-gewerbes beziehungsweise der Kunstindustrie verfolgte der SČSD ebenfalls seine gesellschaftlichen Erziehungsideale in Zusammenhang mit einem umfassenden Bildungsauftrag der Kunstgewerbemuseen und in eigenen Ausstellungsraumlumen auf Wander- und Auslandsausstellungen in Verkaufs- und Beratungsstellen Biblio-theken und Archiven63 Der WDT hingegen geriet als Vertreter von Luxusproduk-tionszweigen und Exportartikeln der Schmuck- und Glasindustrie zunehmend ins Abseits diese Tendenz wurde durch die Weltwirtschaftskrise noch verstaumlrkt Die geplante Gruumlndung einer Ortsgruppe in Bruumlnn haumltte womoumlglich die uumlberregionale Positionierung des WDT weiter staumlrken koumlnnen sie kam allerdings nicht mehr zustande Nach dem Ableben des Vorsitzenden Ginzkey im Jahr 1934 verliert sich die Spur des WDT Damals wurde auch die bdquosudetendeutsche Kulturpolitikldquo im Interesse des Deutschen Reiches neu sortiert Diese kulturpolitische Umbruch-situation hinterlieszlig ebenfalls beim SČSD ihre Spuren Infolge der Besetzung der so bezeichneten sudetendeutschen Gebiete 1939 wurde der nunmehr auf SČD geschrumpfte tschechische Verein in der bdquoZweiten Republikldquo und im bdquoReichspro-tektorat Boumlhmen und Maumlhrenldquo weiterhin geduldet nach dem Zweiten Weltkrieg wird der bis dahin selbststaumlndige Verein im Jahr 1948 aufgeloumlst

Zur AnthologieDie nachfolgende Auswahl an Quellenmaterial (deutschsprachige Texte im ur-spruumlnglichen Wortlaut tschechischsprachige Texte in deutscher Uumlbersetzung Abbildungen vorzugsweise von Gebrauchsdingen aus dem Publikations- und Aus-stellungskontext der Werkbundvereine) dokumentiert den Werdegang des Werk-bundes in den boumlhmischen Laumlndern und bietet eine Grundlage fuumlr die vergleichende Forschung zum Exportmodell DWBOumlWB und den nachfolgenden tschechischen beziehungsweise tschechoslowakischen Werkbundinitiativen Ausgangspunkt ist vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs der OumlWB Bei Max Eisler erscheint die Idee einer gemeinsamen oumlsterreichischen Werkkultur als ein geschlossener Produkti-ons- und Konsumentenzirkel ndash vom Kuumlnstler ausgehend uumlber den Bildungsweg den Erzeuger den Aussteller bis hin zum Haumlndler und Kaumlufer ndash differenziert64 Das Programm des SČD65 und die Buchpublikation des Tschechischen Werkbundes zur Koumllner Ausstellung von 191466 verdeutlichen das Profil des sich separierenden tschechischen Vereins Fuumlr die Entwicklung des Werkbundes in der Zwischen-kriegszeit stehen einerseits das neue Programm des SČSD (1921)67 sowie dessen Uumlberarbeitung in den 1930er Jahren68 und andererseits das Programm des WDT von 192769 Die jeweilige Programmatik beider tschechoslowakischer Werkbund-vereine wird mit entsprechend charakteristischen Bildfolgen illustriert wobei die abschlieszligende Bildfolge der Werbebroschuumlre des SČSD bdquoUumlber das Wohnenldquo70 Aufschluss uumlber seine Neuausrichtung in den 1930er Jahren und somit uumlber die letzte offensive Arbeitsetappe des tschechischen Vereins gibt

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Die vorliegende Publikation ist Ergebnis des Forschungsprojekts bdquoDer Tschecho-slowakische Werkbund und der Werkbund der Deutschen in der Tschechoslowa-keildquo das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft uumlber zwei Jahre groszligzuumlgig gefoumlrdert am Institut fuumlr Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik Fach-gebiet Kunstgeschichte der Technischen Universitaumlt Berlin durchgefuumlhrt wurde Die Realisierung des Projekts war nur moumlglich dank dieser Foumlrderung sowie der tatkraumlftigen Unterstuumltzung des Instituts und insbesondere dank der versierten An-teilnahme von Magdalena Bushart Gestaumlrkt wurde der Forschungsfortgang durch die sachkundige Kooperation mit Vladimiacuter Šlapeta (Technische Universitaumlt BrnoBruumlnn Fakultaumlt Architektur Abteilung Theorie) der Stiftung Bibliothek Werner Oechslin und Renate Flagmeier (Werkbundarchiv ndash Museum der Dinge) sowie das freundliche Entgegenkommen von Anna Kašparovaacute und Jan Mohr (Nordboumlhmisches Gewerbemuseum LiberecReichenberg) Ihnen und den vielen hilfsbereiten Mit-wirkenden bei Recherchen in den Archiven (Bundesarchiv Berlin Werkbundarchiv Berlin Architekturarchiv Nationales Technikmuseum PrahaPrag Nationalarchiv Prag Landesarchiv Reichenberg Archiv des Nordboumlhmischen Gewerbemuseums Reichenberg Landesarchiv Bruumlnn Stadtarchiv Bruumlnn Landesarchiv OpavaTroppau) und den Bibliotheken (Bibliothek Nordboumlhmisches Gewerbemuseum Reichenberg Bibliothek Nationales Technikmuseum Prag Kunstbibliothek Berlin Staatsbibliothek Berlin Staatsbibliothek Prag) bin ich in Dankbarkeit verbunden

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Die Oumlsterreichische Werkkultur

Aus den Statuten des Oumlsterreichischen Werkbundes 71

sect 2 Der Zweck des Vereines ist die Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst Industrie und Handwerk durch Erziehung und Propaganda die Pflege des kunstgemaumlszligen Echten aller Zeiten auf allen Gebieten menschlicher Betaumltigung Hebung des kuumlnstlerischen Geschmackes und Urteiles und Foumlrderung aller gleichen Zielen zugewandten Bestrebungen Dabei soll auf die Pflege und Entwicklung der nationalen Eigenart der kuumlnstlerischen und gewerblichen Produktion besonderes Augenmerk gerichtet werden

sect 4 Dem Verein gehoumlren an 1 Ehrenmitglieder 2 Stifter 3 Ordentliche Mitglieder

sect 7 Ordentliche Mitglieder des Vereines koumlnnen sein Kenner Kuumlnstler Industrielle und Gewerbetreibende

sect 8 Die Aufnahme der Mitglieder erfolgt nur nach vorhergegangener Einladung durch Beschluszlig des Vorstandes und wird durch Eintragung in die Mitgliederliste vollzogen die vom Generalsekretaumlr gefuumlhrt wird Von der Konstituierung des Vereines werden die Mitglieder durch die Proponenten aufgenommen

sect 9 Der jaumlhrliche Beitrag der ordentlichen Mitglieder wird von jedem Mitgliede durch Selbsteinschaumltzung nach dem Maszlige seiner Leistungsfaumlhigkeit festgesetzt betraumlgt fuumlr einzelne Personen mindestens zehn Kronen fuumlr Firmen mindestens fuumlnfzig Kronen

Uumlber das bdquoWerkschaffenldquo gemaumlszlig dem Verstaumlndnis des OumlWB (gegr 1912) unter-richtet 1916 die repraumlsentative Publikation des Wiener Kunsthistorikers und Gruumlndungsmitglieds des OumlWB Max Eisler Es handelt sich dabei um eine mit den Jahrbuumlchern des Deutschen Werkbundes vergleichbare Konsultation des eigenen Standpunktes im aktuellen Kulturdiskurs An den Jahrbuumlchern war auch die Buchge-staltung orientiert72 Der OumlWB identifizierte sich damit in seinem Selbstverstaumlndnis und zugleich in seiner Selbstdarstellung mit dem DWB Diese Uumlbereinstimmung zwischen OumlWB und DWB uumlberrascht kaum hatte doch der Letztere seit seiner Gruumlndung den gesamten deutschen Sprachraum inklusive Oumlsterreich zum eigenen Arbeitsgebiet erklaumlrt73

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Die Oumlsterreichische Werkkultur wird bei Eisler in sechs Kapiteln dargestellt die ein geschlossenes System der Werkerziehung praumlsentieren Der umfassende Anspruch an bdquoWerkkunstldquo als bdquoLebensgestaltungldquo wird eingangs mit dem Ent-wurf fuumlr einen neuen Wiener Stadtbezirk74 von dem Wiener Architekturtheoretiker Stadtplaner und OumlWB Mitglied Otto Wagner demonstriert und zwar im Sinne des ganzheitlichen groszligstaumldtisch gepraumlgten Kulturbegriffs vom Sofakissen bis zum Stadtplan75 beziehungsweise hier von der Stadtplanung bis zur Wohnstaumltte und ihrer Einrichtung bdquoAus allen Schoumlpfungen blickt dieselbe auf den klar erkannten Voraussetzungen bauende rein in ihren Grenzen taumltige Art des Meisters der die Vielheit der Aufgaben durch die Einheit seiner geraden werktuumlchtigen Gesinnung bewaumlltigt und uumlberwindetldquo76

Der Kuumlnstler ndash und namentlich insbesondere der Wiener Architekt und Kunst-gewerbler Begruumlnder der Wiener Werkstaumltte und Mitbegruumlnder des OumlWB Josef Hoffmann ndash wird im ersten Kapitel als der Schoumlpfer der groszligstaumldtischen bdquoWerkformldquo eingefuumlhrt Theoretisch wird diese bdquoWerkformldquo mit Hilfe des Gedankengebaumludes einer bdquoKern-ldquo und bdquoKunstformldquo verdeutlicht zusaumltzlicher Schmuck wird jedoch abgelehnt bdquoDie Fassade ist das Kleid fuumlr das Hausinnere Der Stuckprunk auf einer Zinshausfassade ist wie der Abendflitter eines armseligen Komoumldiantenldquo77 Mit solchen Vorstellungen der Bekleidungstheorie hatte sich kurz zuvor Otto Wagner auseinandergesetzt78

Das zweite Kapitel befasst sich mit dem Bildungsauftrag der bdquoWerkerziehungldquo Der Kuumlnstler avanciert dabei zum Lehrer der nach einem Lehrplan letztlich sein freies Schaffen in den zweckgebundenen Dienst des oumlffentlichen Lehrauftrags stellt79 Verbindliche Praumlmisse der ganzheitlichen bdquoWerkerziehungldquo ist bdquoder Mensch [als] der Maszligstab dieser Dingeldquo des Alltagsgebrauchs Nach dieser Regel in der Architekturtheorie seit Vitruv soll sich auch die Ausbildung zum selbststaumlndigen Werkkuumlnstler richten80 Die kk Kunstgewerbeschule gilt im Zusammenhang mit der Mustersammlung des kk Oumlsterreichischen Museums fuumlr Kunst und Industrie in Wien als vorbildlich fuumlr eine wirksame durchaus zentralistisch beziehungs-weise hierarchisch organisierte Werkerziehung selbststaumlndiger Werkkuumlnstler Die einzelnen kk Fachschulen erfuumlllen hier ihre Aufgabe als Multiplikatoren dieser zentralen Einrichtung Eine weitere Oumlffentlichkeit soll mit Unterrichtsangeboten in Kunst und Technik an den Kunstgewerbeschulen erreicht werden diese Oumlffnung der Bildungseinrichtungen zielt uumlber die kunstgewerblichen Produktionskreise hinaus auf eine Erziehung des konsumierenden Publikums81

Unter den bdquoErzeugernldquo denen sich das dritte Kapitel widmet werden ebenso die selbststaumlndigen Werkkuumlnstler wie alle Handwerker und Heimarbeiter aufgefuumlhrt Als bedeutende Neuerung in dieser Produktion gelten dem OumlWB wie zuvor dem DWB die Industriearbeiter gerade mit ihnen wird die kuumlnftige soziale Aufgabe in Verbindung gebracht Prinzipiell soll die Werkkultur innerhalb der Industrie gestaumlrkt werden wofuumlr exemplarisch die enge Verflechtung des Bildungsauftrags der Fachschulen mit der boumlhmischen Glasproduktion der Massenmoumlbel- sowie der Textil- (Teppich-) und Tapetenproduktion aufgefuumlhrt wird82

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Die Werkkultur braucht allerdings den Konsens in Geschmacksfragen Als entscheidendes Bindeglied einer solchen gegenseitigen Verstaumlndigung zwischen Produktion und Vertrieb wird der Aussteller praumlsentiert (viertes Kapitel) Aufgabe der Ausstellungen ist es demnach fuumlr die Vermittlung gemeinsamer Grundsaumltze innerhalb einer oumlsterreichischen Vielheit von Produzenten und Konsumenten ein-zutreten an dieser wechselseitigen Uumlbereinkunft und ihrer fortlaufenden Pruumlfung beziehungsweise Erneuerung sollen alle teilhaben KuumlnstlerErzeuger ebenso wie HaumlndlerKaumluferBetrachter83 Der oumlsterreichischen Werkkultur und ihrer Durchset-zung ist gemaumlszlig Eislers Darstellung der Kreislauf oumlkonomischer Relationen zwischen Kunst und Kapitalismus aumluszligerst dienlich Die Vielheit des oumlsterreichischen Voumllker-wesens soll dabei auf eine werkgebende Eigenart festgelegt werden die zugleich auf dem gemeinsamen Vorgehen und gezielter Zusammenarbeit der Landesmuseen mit den Kunstgewerbeschulen nach uumlbereinstimmenden Grundsaumltzen beruht84

Zeugnis dieser vereinheitlichenden Bestrebungen einer oumlsterreichischen Ge-schmacksbildung ist sogleich die erste Wanderausstellung des OumlWB bdquoVon neuen Arbeiten des heimischen Kunsthandwerksldquo im Reichenberger Nordboumlhmischen Gewerbemuseum im Juli 1913 gewesen Unter den ausgestellten Objekten im Eigentum des k k Oumlsterreichischen Museums fuumlr Kunst und Industrie in Wien und zwar als Bestandteil seiner bdquoSammlungen eigentuumlmlicher oder musterguumlltiger Arbeiten des modernen Kunstgewerbesldquo85 waren auszliger den Wiener Exponaten auch Ausstellungsstuumlcke zu sehen die an den boumlhmischen k k Fachschulen in Haida Steinschoumlnau und Znaim gefertigt oder im Auftrag von privaten Firmen teilweise in boumlhmischen Produktionsstaumltten hergestellt worden sind etwa die nach Entwuumlrfen der Wiener Kuumlnstler Josef Hoffmann und Oskar Strnad gefertigten Glaumlser der Glas-fabrikaten J amp L Lobmeyr oder von Joh Loumltz86 Dem Prinzip der Arbeitsteilung folgend waren die Heimarbeiter (beispielsweise Aumltzer Kugler Graveure Schleifer) das letzte Glied im Herstellungsprozess87 Allerdings hatte die Werkkultur nach Wiener Vorbild fuumlr die Arbeiter in sozialer Hinsicht kaum Vorteile zu bieten im Unterschied zum entwerfenden Kuumlnstler blieb der Heimarbeiter anonym

In der bdquoKette unmittelbarer Erziehungswirkungldquo nehmen gemaumlszlig Eisler der Haumlndler und der Kaumlufer letztendlich die Schluumlsselstellung ein (fuumlnftes Kapitel) Vom Werkursprung ausgehend an dem KuumlnstlerLehrerErzeuger teilhaben ist mit dem Konsumenten die Zielgruppe der geschmacksbildenden Bemuumlhungen genannt mittels eines geschickten Haumlndlers und seiner Verkaufsstrategie (der Haumlndler als Erzieher88) soll nunmehr das Produkt nach den Gesetzmaumlszligigkeiten des Marktes einen Verkaufserfolg verbuchen und so seinen Zweck als Qualitaumltsware erfuumlllen89

Der Erziehungsanspruch ist somit einer oumlkonomischen Fortschrittsidee ver-pflichtet welche die beabsichtigte Modernisierung der Alltagskultur gaumlnzlich dem Marktprinzip unterwirft beziehungsweise von der Vermarktung getragen wird Anders als die industriell hergestellte Massenware wird innerhalb der bdquogemein-deutschenldquo Werkkunst fuumlr die oumlsterreichische Besonderheit gerade ihr handwerk-licher Charakter beansprucht der dieser einen exklusiven bdquoOriginalwertldquo aufgrund des einmaligen urheberrechtlich zu schuumltzenden Kuumlnstlerentwurfs sichern soll90

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Die Werkbund-Kontroverse zwischen Befuumlrwortern einer Typisierung gegenuumlber den Individualisten auf der Werkbund-Ausstellung in Koumlln 1914 von Frederic J Schwartz primaumlr als ein Konflikt eben um den urheberrechtlichen Schutz des Kuumlnstlers entschluumlsselt duumlrfte eine Voraussetzung dieser Argumentation und Wert-schaumltzung der kuumlnstlerischen Originalitaumlt sein91 gerade im Zusammenhang mit der arbeitsteiligen Produktion spielte der urheberrechtliche Schutz des Kuumlnstlers eine besonders wichtige Rolle Der OumlWB hat damit eigene Konturen auf dem Kunst-markt und bei der Vermarktung von Kultur gewonnen

Die Organisation der oumlsterreichischen Werkkultur wird schlieszliglich anhand der Werkbundarbeit im oumlsterreichischen Pavillon auf derselben Koumllner Werkbundaus-stellung von 1914 verdeutlicht (sechstes Kapitel) Die Erfolgsbilanz der bdquooumlster-reichischen Sonderartldquo als der bdquotreibenden Vielheitldquo92 in der bdquobindenden Einheitldquo wird explizit auch in Verbindung mit dem Beitrag des Tschechischen Werkbundes im Oumlsterreichischen Pavillon herausgestellt er war fester Bestandteil der oumlster-reichischen Exposition und bekraumlftigte deren Sonderstatus mit der dargebotenen sogenannten Handwerkskunst93 Tatsaumlchlich hatte diese wie sich Adolf Loos aus-druumlckte bdquoLuxuskunst fuumlr die oberen Zehntausend der modernen Groszligstadtldquo einige potenzielle Kaumlufer versammeln koumlnnen die Verkaufsverhandlungen wurden jedoch wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges unterbrochen94

Eislers Praumlsentation des OumlWB endet mit einer Auflistung der Mitglieder (ins-gesamt 627) wobei im Arbeitsausschuss unter anderen Vertrauensmaumlnner aus Boumlhmen Maumlhren und Schlesien genannt sind Zu den Mitgliedern zaumlhlt zwar auch die tschechische Kuumlnstlergenossenschaft bdquoArtělldquo jedoch sind des Weiteren fast ausschlieszliglich deutsche Einrichtungen der boumlhmischen Laumlnder vertreten (siebtes Kapitel)

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Max Eisler Die Oumlsterreichische Werkkultur herausgegeben vom Oumlsterreichischen Werkbund OumlWB Wien 1916 S 5ndash54

Der KuumlnstlerWerkkunst ist Lebensgestaltung ausgedruumlckt in Formen die dem Gebrauche oder auch nur dem Auge dienen immer aber jene Befriedigung hervorrufen die eine aufrichtige dem Material und Zwecke klar entsprechende Behandlung mit sich fuumlhrt In der besonderen Art in der der Kuumlnstler diese aller Werkkunst gemeinsame Aufgabe erfuumlllt aumluszligert sich seine Persoumlnlichkeit Doch kann ihr Schaffen der Mitwelt der sie angehoumlrt nicht entraten Sie muszlig ihre Zeit und ihren Lebenskreis taumltigen Anteil nehmen lassen an dem Werke Nur so gibt sie Lebensgestaltung nur so wird Werkkunst zur Werkkultur

Wir koumlnnen ihre Leistung auch nur dann ganz verstehen und nach voller Gebuumlhr wuumlrdigen wenn wir dem lebendigen Austausch zwischen Kuumlnstler und Mitwelt aufmerksam folgen und uns daruumlber klar werden was er ihr was sie ihm gibt Diese Klarheit laumlszligt sich aber wieder nur an dem Werkgange gewinnen Nur wenn wir erfahren haben wie das wird was wir als Fertiges vor uns haben wird unser Urteil daruumlber vernuumlnftig und billig unser Genuszlig begruumlndet sein Wenn wir dann von einem Werke sagen bdquoDas ist gutldquo oder bdquoDas ist schoumlnldquo so wird Sinn in diesen Worten liegen und wir werden was unserem Geschmacke ungelegen kommt nicht ohneweiters verwerfen weil unser Urteil dann nicht mehr vom gefaumllligen Eindruck aufs Auge abhaumlngt sondern auf allseitiges Ver-stehen zuruumlckgehtEs wird darum der Sache und dem Leser gleich foumlrderlich sein wenn wir ver-suchen in das Werkschaffen einigermaszligen einzufuumlhren ehe wir sein Ergebnis eingehender betrachten

Wir stellen den Kuumlnstler voranDie umfassendste gelaumlufige Werkform auf die sich das Schaffen eines Kuumlnst-

lers aus der Mitte unseres Bundes gegenwaumlrtig richtet ist das wohlversehene Haus ndash nicht das auszligergewoumlhnliche der Festbau sondern das Wohnhaus ndash und hier wieder nicht das eines besonderen kleinen Geschaumlftskreises sondern das des werktaumltigen Buumlrgerstandes allerdings eines groszligstaumldtisch kultivierten vor allem des Wieners Der umfassendste durchschnittliche Zweck in dem diese Arbeit zu ihrem reinsten Ausdruck kommt ist also die Wohnstaumltte fuumlr vorgeschrittene und zeitgemaumlszlige wirkende Stadtmenschen Im Rahmen dieser Aufgabe decken sich Art und Beduumlrfnis des auftraggebenden Bauherrn am meis-ten mit der Gesinnung des ausfuumlhrenden Kuumlnstlers und auf diese weitgehende Annaumlherung beider beruht ersten Grundes die lebendige Vollkommenheit des Werkes

Nun steht ein Groszligstadthaus niemals fuumlr sich hat Nachbarn und Gegenuumlber muszlig auf sie die Ruumlcksicht nehmen die das Glied dem Koumlrper schuldet und mit den Kameraden von nebenan und druumlben darnach sehen wie der umbaute

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Freiraum zu seiner kuumlnstlerischen Erscheinung kommt Denn davon haumlngt alles andere ab Das beste und schoumlnste Haus wird verkuumlmmert oder aufdringlich jedenfalls am unrechten Platze erscheinen wenn es sich nicht in einen uumlber-einkommenden Raumplan einfuumlgt und einem vollkommenen Freiraume kann auch ein belangloses Einzelstuumlck nicht gar erheblich schaden Es gilt darum fuumlrs erste den Grundriszlig des Auszligenraumes festzulegen und seine Bauwaumlnde in ein wohlgemessenes Verhaumlltnis zu bringen Das war und ist Raumkunst in ihrem urspruumlnglichsten und aumluszligersten Sinne

Aber wie die Dinge heute liegen bleibt dieser Anfang alles Werkschaffens im Bauen meist ein frommer Wunsch Wir sind fast in allen Gebieten des Lebens zumal in der stadtbildlichen Arbeit nicht freie Begruumlnder sondern Erben und Fortsetzer der Kultur Da ist es schon eine hohe Tugend sie nach jeder Tunlich-keit vorwaumlrtszubringen in den Grenzen des Moumlglichen der Zeit zu geben was ihres Geistes und Koumlnnens ist

Erstes naumlchstgelegenes Ziel dieses Teils der Werkkunst ist die Groszligstadt denn die Groszligstadt ist die modernste Form des menschlichen Zusammenle-bens und die Aufgaben die sie stellt sind vom gegenwaumlrtigen Geiste erfuumlllt Aber im Bereiche eines altstaumldtischen Wesens wie etwa Wiens begegnet jedes umfassende Beginnen gerade den staumlrksten Hemmungen Im innerstaumldtischen Kreise verlangt der uumlberkommene Freiraum sein Recht wo er mit neuen An-lagen durchbrochen wird herrscht der Raster der behoumlrdlichen Bauvorschrift fuumlhren Verkehr und Hygiene ihre wohlgemeinte ausschlieszligliche Sprache zieht sich die Kunst auf die eintoumlnige Handhabung von Reiszligbrett und Lineal zuruumlck Selten nur wird ihrer freieren Uumlbung hier Gelegenheit geboten einem ganzen Stadtteil von Grund auf sein Gepraumlge zu geben dh dem Zuge der Straszligen der Umriszliglinie der Plaumltze dem Grundriszlig eines ganzen Viertels die Richtung zu weisen also stadtbildlich im durchgreifendsten Sinne zu wirken Bei solchem Zustande stehen ihrer vollen freien Entfaltung nur die aumluszligeren unverbauten Bezirke offen Hier kann sie ganze Arbeit leisten Und sie wird das im Sinne der Werkkunst wenn sie zunaumlchst das Wegnetz nach den oumlrtlich bedingten Erfordernissen richtet das Neuviertel mit offenen Straumlngen an den Altkern bindet dort klar und entschlossen zwischen Haupt- und Nebenstraszligen Wohn- Wirtschafts- und Festwegen zwischen Monumental- Verkehrs- und Erholungs-plaumltzen scheidet dh allen Anspruumlchen groszligstaumldtischer Vernunft genuumlgt Der Kunst geschieht dabei schon genug wenn nur der Grundriszlig ndash einerlei wie er verlaumluft ndash den Zweck des Ganzen in seiner Einheit der Teile in ihrer Besonderheit sinnfaumlllig fuumlr jedermann einleuchtend erkennen laumlszligt und dazu den kuumlnftigen Baumeistern die Grundmoumlglichkeit schafft nicht Wand gegen Wand sondern Baukoumlrper gegen Koumlrper zu setzen und aus beiden klargemessenen wohlbe-wegten Auszligenraum zu bilden

Naumlher dem alten Siedlungskerne bleibt nur die Auseinandersetzung mit dem Uumlberlieferten Hier gilt es Zeitverstand handelnd beweisen dh verstehen der Zeit von damals und heute Bloszliges Konservieren waumlre Gedankenfaulheit und

Page 8: DER TSCHECHOSLOWAKISCHE WERKBUND UND DER WERKBUND … · 2018-10-04 · Vorwort Der Deutsche Werkbund Der Architekt und preußische Staatsbeamte Hermann Muthesius hat 1907 das Ziel

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eigenen nationalen Ziele das Zentrum ihres Interesses bildeten17 In eben diesen verschiedenen kulturpolitischen Zusammenhaumlngen ndash einerseits von Naumanns bdquoMitteleuropaldquo andererseits der neuen Tschechoslowakei ndash lassen sich die Konturen von WDT und SČDSČSD erkennen

Die nach wie vor einzige Uumlberblicksdarstellung zu dem im Winter 191314 ge-gruumlndeten Tschechischen Werkbund (SČD wiedergegruumlndet 1920 als Tschecho-slowakischer Werkbund SČSD) erschien im Publikationsrahmen von Forschungen uumlber den 1912 in Wien eingerichteten Oumlsterreichischen Werkbund (OumlWB)18 Hier vertritt der SČD jene bdquoneue Kulturorganisationldquo innerhalb Oumlsterreichs die gemaumlszlig ihrer Programmatik der tschechischen Produktion eine kuumlnstlerische Eigenart und Selbststaumlndigkeit sichern sollte19 Deutlich wird der Vorbildcharakter des Deutschen Werkbundes nochmals im Kontext der Bauausstellungen wie diesen die Mono-grafie zur Prager Bauausstellung Baba des SČSD von 1932 herausstellt und zwar ebenso grundsaumltzlich betreffend die Exposition des Wohnens in der Groszligstadt wie auch hinsichtlich spezifischer staumldtebaulicher und architektonischer Loumlsungsansaumltze nach dem Muster der Stuttgarter Werkbundsiedlung Am Weiszligenhof von 192720 Der Werkbund der Deutschen in der Tschechoslowakei (WDT) ist hingegen bisher nicht zusammenfassend eroumlrtert worden Mit den hier zusammengestellten Quellen wird daher weniger im Zusammenhang mit dem SČDSČSD als vielmehr mit dem weitgehend unerforschten WDT Neuland betreten

Keiner der tschechoslowakischen Werkbundvereine wurde bisher hinsichtlich des vereinsspezifischen und kulturpolitischen Kontextes einer Gemeinschafts-bildung zwischen Kuumlnstlern und einzelnen Produktionszweigen innerhalb der liberalisierten buumlrgerlichen Gesellschaft betrachtet Erst aus dieser Perspektive koumlnnen jedoch Erkenntnisse uumlber Strukturmerkmale der tschechoslowakischen Werkbundeinrichtungen gewonnen werden Aber auch die Kulturorganisation Deutscher Werkbund wird als Exportmodell neu beleuchtet

Ziel der vorliegenden Anthologie ist es anhand der wichtigsten programmati-schen Schriften einen systematischen Vergleich des tschechischen SČDSČSD mit dem deutschen WDT einzuleiten Den Ausgangspunkt bilden die Vereins-satzung sowie Programmatik des reichsdeutschen DWB und deren Modifizierung bei den Nachfolgegruumlndungen bdquoDer Zweck des Bundes ist die Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst Industrie und Handwerk durch Erziehung Propaganda und geschlossene Stellungnahme zu einschlaumlgigen Fragenldquo21 Der hier formulierte Plan einer Symbiose zwischen Unternehmertum und Kuumlnstlerschaft wurde von der etwa zur Haumllfte aus Kuumlnstlern und zur Haumllf-te aus Unternehmern zusammengesetzten Gruumlndungsversammlung des DWB reflektiert Die massenwirksame Popularisierung der Werkbundprogrammatik war von Anfang an kennzeichnend fuumlr die bildungs- und wirtschaftsbuumlrgerliche Progressivitaumlt des reichsdeutschen Vereins Seine Ambitionen richteten sich auf eine deutsche Massenkultur die anstelle der vormaligen bildnerischen und aumlstheti-

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schen Hochkultur nunmehr im Sinne einfacher Gebrauchskunst den Alltag breiter Bevoumllkerungsschichten praumlgen sollte Dennoch war die Fortschrittsglaumlubigkeit welche mit dem erzieherischen Impetus der Reformer stillschweigend voraus-gesetzt wurde noch dem Denken des 19 Jahrhunderts verpflichtet22 Letztlich war der Verein DWB aus der Kunstgewerbebewegung hervorgegangen er suchte sich jedoch in Auseinandersetzung mit den technischen Errungenschaften der Industrialisierung neu zu positionieren Die Werkbundarbeit umfasste ebenso unterschiedliche Produzenten sowie diverse Lobbys naumlmlich die im Werkbund organisierten Handwerker Kuumlnstler Firmen beziehungsweise Produktionsstaumltten wie sie auch auf eine weit gestreute Akzeptanz bei den Konsumenten angewiesen war Frederic J Schwartz lenkt daher die Aufmerksamkeit von den Mitgliedern auf das Wesen der Kulturorganisation Deutscher Werkbund gemaumlszlig den Regeln eines kapitalistischen Wirtschaftssystems von dem gleichzeitig die moderne Massenkultur und ihre Durchsetzung gekennzeichnet waren23 Uumlber die natio-naloumlkonomischen Vorteile dieser Massenkultur hinaus wird von dem Historiker Wolfgang Hardtwig die gruumlndliche aumlsthetische Reform des Wohnens und Lebens mit einer egalisierenden befriedenden Wirkung in Verbindung gebracht die im gesellschaftspolitischen Kontext des spaumlten Kaiserreichs auf die sozial ausein-anderdriftende Gesellschaft zielte eine Absicht die wiederum unter nationalem Vorzeichen vorangetrieben wurde In Wirklichkeit hatte vor dem Ersten Weltkrieg die neue industriewirtschaftliche Reformaumlsthetik gemaumlszlig Hardtwig allerdings nur die Kreise des Wirtschafts- und Bildungsbuumlrgertums erreicht24

Verbindlicher Kontext fuumlr den Werkbund in den boumlhmischen Laumlndern und fuumlr dessen Strukturmerkmale war vor dem Ersten Weltkrieg Oumlsterreich und der OumlWB der im Zusammenhang mit der Wiener Tagung des DWB 1912 initiiert worden war Das Konzept der Schoumlpfung und wirtschaftlichen Durchsetzung einer einheitlichen Werkkultur des OumlWB ist bei Max Eisler eingehend dargelegt Die Eigenart der oumlsterreichischen Werkkultur war demnach nicht von der industriewirtschaftlichen sondern von der handwerklichen Aumlsthetik bestimmt25

Im OumlWB waren zugleich auch die Interessen des Kunstgewerbes und der Kunst-industrie der boumlhmischen Laumlnder hervorragend repraumlsentiert Im Ausschuss des sich zentralistisch von Wien aus konstituierenden OumlWB waren als Ortsvertrauens-maumlnner aus Boumlhmen Maumlhren und Schlesien vertreten Heinrich Fanta (Professor an der kk Staatsgewerbeschule in Reichenberg) 26 Robert Freiszligler (Sekretaumlr der Handels- und Gewerbekammer fuumlr Schlesien) 27 Julius Leisching (Direktor des Erzherzog-Rainer-Museums Bruumlnn) 28 Johannes Oertel (Praumlsident des Verbandes der nordboumlhmischen Glasindustriellen Haida) Otto Primavesi (Vizepraumlsident der Oumllmuumltzer Handels- und Gewerbekammer) Ernst Schwedeler-Meyer (Direktor des Nordboumlhmischen Gewerbemuseums)29 Josef Zasche (Baurat Prag) 30 Auszligerdem zaumlhlten zu den Mitgliedern die Wiener Werkstaumltte die Prager Kuumlnstlergenossen-schaft bdquoArtělldquo die staatlichen kunstgewerblichen Fachschulen in Haida Stein-schoumlnau Teplitz-Schoumlnau und Znaim sowie zahlreiche Erzeuger und Haumlndler aus

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den boumlhmischen Laumlndern Trotz seiner deutschnationalen Orientierung fanden sich somit im OumlWB noch 1916 auch einzelne tschechische Unternehmen31

Ausgehend von dieser gemeinsamen Tradition in der oumlsterreichischen Kunst-gewerbereform der Wiener Secession und dem oumlsterreichischen Kulturliberalis-mus32 mit seiner gezielten Foumlrderung regionaler sowie lokaler kunstgewerblicher Bildungsinstitutionen durch den OumlWB und dessen Wegbereiter den Wiener Direktor des kk Gewerbefoumlrderungsamtes Adolf Vetter wird die Entwicklung von zwei eigenstaumlndigen nationalen Vereinen in den boumlhmischen Laumlndern und der Tschecho-slowakei beobachtet Trotz des gemeinsamen Ursprungs im OumlWB der mit Josef Hoffmann und seiner Wiener Werkstaumltte das Handwerk gegenuumlber der industriellen Produktkultur praumlferiert hatte gelang es im neuen Nationalstaat Tschechoslowa-kei nicht innerhalb des Werkbunds eine Uumlbereinkunft zwischen den in sozialer und in wirtschaftlicher Hinsicht unterschiedlichen Interessengemeinschaften der Tschechen und Deutschen zu finden Ansaumltze einer Kooperation mit gemeinsamer Interessenvertretung muumlndeten schlieszliglich in eine Konkurrenzsituation von zwei selbststaumlndigen Werkbundvereinen

Die Gruumlndung des SČD war im Zusammenhang mit der Koumllner Werkbundaus-stellung (1914) von dem Architekten Jan Kotěra33 initiiert worden um im Oumlster-reichischen Pavillon den eigenstaumlndigen Auftritt tschechischer Kuumlnstler und ihrer raumgestalterischen Gesamtkunstwerke zu ermoumlglichen In den Leitsaumltzen des SČD standen die Veredelung der kunstgewerblichen und industriellen Produkte unter Beteiligung der Kuumlnste gemaumlszlig einer national charakteristischen Herstel-lungsweise Ein weiteres Ziel war die Erziehung des Publikums Obgleich der Wortlaut eine enge Anlehnung an die Programmatik des Deutschen Werkbundes offenbart bezog sich der SČD namentlich auf den englischen Kunstkritiker und Kulturphilosophen John Ruskin (1819ndash1900) und generell auf die Vorlaumlufer der Kunstgewerbereform in England Mit dieser Ruumlckbesinnung auf die bdquoArts and Craftsldquo-Bewegung wurde die handwerkliche Tradition favorisiert Unter den 25 Gruumlndungsmitgliedern fanden sich im SČD bevorzugt Architekten und Kuumlnstler wie Josef Gočaacuter34 Dušan Jurkovič35 Celda Klouček36 Emil Kraacuteliacutek37 František Kysela38 Otakar Novotnyacute39 Jiřiacute Stibral40 und Joacuteža Uprka41 unter den Unter-nehmern waren der Keramikproduzent Emil Sommerschuh und der Verleger Jan Štenc42 zudem Politiker wie Ferdinand von Lobkowitz43 letzter Vorsitzender der boumlhmischen Regierung Oumlsterreichs und der Oumlkonom Rudolf Hotowetz4445 In der sozialen Zusammensetzung des Vereins blieb die Dominanz der Architekten gegen-uumlber den Unternehmern bestimmend und zwar auch nach dem Ersten Weltkrieg im wiedergegruumlndeten und anfangs deutlich nationalistisch aufgestellten Verein SČSD Der Vorsitzende wurde der Architekt Josef Gočaacuter 1925 gefolgt von dem Architekten und langjaumlhrigen Vereinsvorsitzenden Pavel Janaacutek46 und schlieszliglich von dem Architekten Oldřich Staryacute47 Zum Vorstand gehoumlrte neben Vertretern der Gewerbekammern des Industriellenverbandes und Regierungsmitarbeitern zudem der Kunsthistoriker Vaacuteclav Vileacutem Štech48 vom Schulministerium Im Nationalstaat

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Tschechoslowakei war der SČSD bestens im Netzwerk des staatlichen Kultur-betriebs eingebunden vom Schulministerium wurde seine Zusammenarbeit mit den Kunstgewerbeschulen und Museen gefoumlrdert Nach der Neugruumlndung war das Prager Kunstgewerbemuseum Veranstaltungsort der Vereinsausstellungen49 aber auch auf der Prager Mustermesse hatte der SČSD regelmaumlszligig fuumlr sich und seine Mitglieder geworben50 Dem Verein wurde daruumlber hinaus die Verantwortung fuumlr die Ausrichtung tschechoslowakischer Kunstgewerbeausstellungen uumlbertragen Vereinsorgan war zunaumlchst die avantgardistische Zeitschrift bdquoUměleckyacute měsiacutečniacutekldquo [Kuumlnstlerische Monatsschrift] die 1921 von bdquoVyacutetvarnaacute praacuteceldquo [Gestaltendes Werk] des Verlegers Štenc abgeloumlst jedoch 1925 aus wirtschaftlichen Gruumlnden wieder eingestellt wurde nach regelmaumlszligiger Berichterstattung in bdquoVyacutetvarneacute snahyldquo [Ge-staltende Bemuumlhungen] folgte dann 1931ndash33 nochmals ein eigener Auftritt mit der Vereinszeitschrift bdquoŽijemeldquo [Wir leben] In bdquoŽijemeldquo erschien auch 1931 die uumlberarbeitete Vereinssatzung mit der Verpflichtung zur Unterstuumltzung aller Be-muumlhungen um eine Verbesserung des allgemeinen Lebensstandards51 Damals war ein Anstieg der gesellschaftlichen Mobilisierung auf fast 500 Vereinsmitglieder zu verzeichnen davon waren circa ein Drittel bildende Kuumlnstler und Architekten52 In den weiteren Jahren bis zur Aufloumlsung wurden die Vereinsmitteilungen in ver-schiedenen Architektur- und Kulturzeitschriften veroumlffentlicht

Seit Anfang der 1920er Jahre wurde aber auch an der Konstituierung des WDT als Pendant zum SČSD innerhalb der Tschechoslowakei gearbeitet Die Gruumln-dungsmitglieder versammelten sich am 25 Mai 1925 in LiberecReichenberg dem wirtschaftlichen Zentrum Nordboumlhmens und vormaligen Austragungsort der Deutschboumlhmischen Ausstellung (1906)53 Seit 1922 fand hier die Reichenberger Messe statt Vertreter der in Nordboumlhmen angesiedelten traditionsreichen Gewer-bezweige der Glas- und Tuchherstellung waren mit anderen deutschboumlhmischen schlesischen und maumlhrischen Produzenten bereits Mitglieder im OumlWB gewesen beziehungsweise ihre Produktionszweige hatten zu den Hauptbetaumltigungsgebieten des oumlsterreichischen kk Gewerbefoumlrderungsamtes gezaumlhlt Unter dem Vorsitz des Teppichfabrikanten Willy Ginzkey54 versammelten sich im WDT insgesamt 44 deutsche Einzel- und Mittelspersonen aus Bildung Handel und Gewerbe der Tschechoslowakei (Handels- und Gewerbekammern Gewerbevereine Deutsche Technische Universitaumlten kunstgewerbliche Fachschulen Kunstvereine wie der Metznerbund) Im Arbeitsausschuss waren auch prominente Vertreter der tsche-choslowakischen Denkmalaumlmter wie Karl Kuumlhn55 Rudolf Houmlnigschmid56 und der Architekt und Kunsthistoriker Otto Kletzl57 praumlsent Anlass fuumlr die Gruumlndungs-versammlung gaben die Pariser Ausstellung Arts Deacuteco (1925) und der Wunsch nach einer selbststaumlndigen Exposition der Deutschen im Tschechoslowakischen Pavillon Die Vereinsgruumlndung wurde jedoch erst Anfang des Jahres 1926 durch eine staatliche Genehmigung der Vereinssatzung bestaumltigt Zugleich wurde dem Verein jegliche politische Betaumltigung untersagt58 Publikationsorgan des WDT wurde das von Otto Kletzl herausgegebene bdquoSudetendeutsche Jahrbuchldquo veroumlffentlicht

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mit Unterstuumltzung der sogenannten bdquoSudetendeutschen Schutzverbaumlndeldquo (Bund der Deutschen Deutscher Kulturverband Deutscher Turnverband) in der Tsche-choslowakei Dieser Kontext ist kennzeichnend fuumlr eine Diskursgemeinschaft des WDT die innerhalb der tschechoslowakischen Wirtschaft und Kultur tendenziell die Vorzuumlge der Deutschen im Blick hatte und nur bedingt vom Staat unterstuumltzt wurde

So unterschiedlich die wirtschaftliche und kulturelle beziehungsweise politische Orientierung des SČDSČSD gegenuumlber dem WDT war so verschieden gestaltete sich auch die Entwicklung beider Vereine die innerhalb der gesetzten Rahmen-bedingungen durchaus elitaumlr aufgestellt waren Handwerker oder einfache Arbeiter waren weder im Vereinsvorstand noch im Arbeitsausschuss praumlsent An einem Zusammenschluss des WDT mit dem SČSD zeigte der Staat zwar Interesse weil dies wohl auszliger Kooperation auch Kontrolle bedeutet haumltte Diese Verbindung war jedoch von keinem der Vereine gewollt Es blieb bei einer Konkurrenzsituation zwischen den zwei tschechoslowakischen Werkbundeinrichtungen die jede fuumlr sich mit eigener Werkbundarbeit die Produzenten durch Wettbewerbe zu motivieren und die Konsumenten auf Ausstellungen sowie mit Publikationen zu uumlberzeugen suchte Waumlhrend sich der SČSD zunehmend fuumlr eine tschechoslowakische Massenkultur einsetzte die vom modernen Wohnen ausgehend alle Lebensbereiche einbeziehen und dabei explizit auch die Slowakei integrieren sollte richtete er sich nach den aktuellen Bestrebungen des Deutschen Werkbunds an dessen bdquoBund mit der Zu-kunftldquo der Jahre 1924ndash1928 (Joan Campbell) Die angestrebte Vereinheitlichung der Gesellschaft nach spezifisch buumlrgerlichen Norm- und Wertvorstellungen ge-maumlszlig den Anspruumlchen an Hygiene Gesundheit und Ordnung wandte sich ebenso gegen vermeintliche Niederungen der Wohnverhaumlltnisse sozialer Grundschichten wie gegen einen sogenannten Luxus den bildungsbuumlrgerlichen Idealen zufolge sollte diese Egalisierungsabsicht durch Erziehung an Breitenwirkung gewinnen Damit verbunden war zugleich eine Internationalisierung der Gesellschaft die das gesamte Lebensumfeld betraf59 Anstelle der Foumlrderung von kulturellen Traditionen sowie Eigentuumlmlichkeiten eines populaumlren bdquoLokalkoloritsldquo wurde nunmehr der internationale Standard propagiert Unter der Praumlmisse LichtndashLuftndashSonne galt es allerdings den Forderungen der Hygienebewegung gemaumlszlig den lokalen Verhaumlltnis-sen gerecht zu werden und entsprechende aktuelle Wohnmodelle in landeseigener Produktion von der architektonischen Planung bis zur Einrichtung herzustellen ndash gerade Pavel Janaacutek hatte hier mit seiner Architekturklasse an der Prager staatlichen Kunstgewerbeschule intensiv an Loumlsungen gearbeitet die den lokalen Bedingungen in technischer wie auch materialspezifischer Hinsicht angepasst sein sollten60 Die Etablierung des SČSD als der tschechoslowakischen Kulturorganisation mit offi-ziellem Auftrag einer Auszligendarstellung der tschechoslowakischen Kultur scheiterte zwar an Interessenkonflikten und Finanzierungsfragen zwischen den Ministerien61 dennoch wurde sein Modernisierungsprojekt im Zusammenspiel der Ortsgruppen mit der Kommunalpolitik unter anderem in BratislavaPressburg BrnoBruumlnn oder Hradec KraacuteloveacuteKoumlniggraumltz vorangetrieben62 Parallel zur wirtschaftlichen und

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rechtlichen Sicherstellung der Existenzgrundlage des tschechoslowakischen Kunst-gewerbes beziehungsweise der Kunstindustrie verfolgte der SČSD ebenfalls seine gesellschaftlichen Erziehungsideale in Zusammenhang mit einem umfassenden Bildungsauftrag der Kunstgewerbemuseen und in eigenen Ausstellungsraumlumen auf Wander- und Auslandsausstellungen in Verkaufs- und Beratungsstellen Biblio-theken und Archiven63 Der WDT hingegen geriet als Vertreter von Luxusproduk-tionszweigen und Exportartikeln der Schmuck- und Glasindustrie zunehmend ins Abseits diese Tendenz wurde durch die Weltwirtschaftskrise noch verstaumlrkt Die geplante Gruumlndung einer Ortsgruppe in Bruumlnn haumltte womoumlglich die uumlberregionale Positionierung des WDT weiter staumlrken koumlnnen sie kam allerdings nicht mehr zustande Nach dem Ableben des Vorsitzenden Ginzkey im Jahr 1934 verliert sich die Spur des WDT Damals wurde auch die bdquosudetendeutsche Kulturpolitikldquo im Interesse des Deutschen Reiches neu sortiert Diese kulturpolitische Umbruch-situation hinterlieszlig ebenfalls beim SČSD ihre Spuren Infolge der Besetzung der so bezeichneten sudetendeutschen Gebiete 1939 wurde der nunmehr auf SČD geschrumpfte tschechische Verein in der bdquoZweiten Republikldquo und im bdquoReichspro-tektorat Boumlhmen und Maumlhrenldquo weiterhin geduldet nach dem Zweiten Weltkrieg wird der bis dahin selbststaumlndige Verein im Jahr 1948 aufgeloumlst

Zur AnthologieDie nachfolgende Auswahl an Quellenmaterial (deutschsprachige Texte im ur-spruumlnglichen Wortlaut tschechischsprachige Texte in deutscher Uumlbersetzung Abbildungen vorzugsweise von Gebrauchsdingen aus dem Publikations- und Aus-stellungskontext der Werkbundvereine) dokumentiert den Werdegang des Werk-bundes in den boumlhmischen Laumlndern und bietet eine Grundlage fuumlr die vergleichende Forschung zum Exportmodell DWBOumlWB und den nachfolgenden tschechischen beziehungsweise tschechoslowakischen Werkbundinitiativen Ausgangspunkt ist vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs der OumlWB Bei Max Eisler erscheint die Idee einer gemeinsamen oumlsterreichischen Werkkultur als ein geschlossener Produkti-ons- und Konsumentenzirkel ndash vom Kuumlnstler ausgehend uumlber den Bildungsweg den Erzeuger den Aussteller bis hin zum Haumlndler und Kaumlufer ndash differenziert64 Das Programm des SČD65 und die Buchpublikation des Tschechischen Werkbundes zur Koumllner Ausstellung von 191466 verdeutlichen das Profil des sich separierenden tschechischen Vereins Fuumlr die Entwicklung des Werkbundes in der Zwischen-kriegszeit stehen einerseits das neue Programm des SČSD (1921)67 sowie dessen Uumlberarbeitung in den 1930er Jahren68 und andererseits das Programm des WDT von 192769 Die jeweilige Programmatik beider tschechoslowakischer Werkbund-vereine wird mit entsprechend charakteristischen Bildfolgen illustriert wobei die abschlieszligende Bildfolge der Werbebroschuumlre des SČSD bdquoUumlber das Wohnenldquo70 Aufschluss uumlber seine Neuausrichtung in den 1930er Jahren und somit uumlber die letzte offensive Arbeitsetappe des tschechischen Vereins gibt

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Die vorliegende Publikation ist Ergebnis des Forschungsprojekts bdquoDer Tschecho-slowakische Werkbund und der Werkbund der Deutschen in der Tschechoslowa-keildquo das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft uumlber zwei Jahre groszligzuumlgig gefoumlrdert am Institut fuumlr Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik Fach-gebiet Kunstgeschichte der Technischen Universitaumlt Berlin durchgefuumlhrt wurde Die Realisierung des Projekts war nur moumlglich dank dieser Foumlrderung sowie der tatkraumlftigen Unterstuumltzung des Instituts und insbesondere dank der versierten An-teilnahme von Magdalena Bushart Gestaumlrkt wurde der Forschungsfortgang durch die sachkundige Kooperation mit Vladimiacuter Šlapeta (Technische Universitaumlt BrnoBruumlnn Fakultaumlt Architektur Abteilung Theorie) der Stiftung Bibliothek Werner Oechslin und Renate Flagmeier (Werkbundarchiv ndash Museum der Dinge) sowie das freundliche Entgegenkommen von Anna Kašparovaacute und Jan Mohr (Nordboumlhmisches Gewerbemuseum LiberecReichenberg) Ihnen und den vielen hilfsbereiten Mit-wirkenden bei Recherchen in den Archiven (Bundesarchiv Berlin Werkbundarchiv Berlin Architekturarchiv Nationales Technikmuseum PrahaPrag Nationalarchiv Prag Landesarchiv Reichenberg Archiv des Nordboumlhmischen Gewerbemuseums Reichenberg Landesarchiv Bruumlnn Stadtarchiv Bruumlnn Landesarchiv OpavaTroppau) und den Bibliotheken (Bibliothek Nordboumlhmisches Gewerbemuseum Reichenberg Bibliothek Nationales Technikmuseum Prag Kunstbibliothek Berlin Staatsbibliothek Berlin Staatsbibliothek Prag) bin ich in Dankbarkeit verbunden

19Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Oumlsterreichische Werkkultur

Aus den Statuten des Oumlsterreichischen Werkbundes 71

sect 2 Der Zweck des Vereines ist die Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst Industrie und Handwerk durch Erziehung und Propaganda die Pflege des kunstgemaumlszligen Echten aller Zeiten auf allen Gebieten menschlicher Betaumltigung Hebung des kuumlnstlerischen Geschmackes und Urteiles und Foumlrderung aller gleichen Zielen zugewandten Bestrebungen Dabei soll auf die Pflege und Entwicklung der nationalen Eigenart der kuumlnstlerischen und gewerblichen Produktion besonderes Augenmerk gerichtet werden

sect 4 Dem Verein gehoumlren an 1 Ehrenmitglieder 2 Stifter 3 Ordentliche Mitglieder

sect 7 Ordentliche Mitglieder des Vereines koumlnnen sein Kenner Kuumlnstler Industrielle und Gewerbetreibende

sect 8 Die Aufnahme der Mitglieder erfolgt nur nach vorhergegangener Einladung durch Beschluszlig des Vorstandes und wird durch Eintragung in die Mitgliederliste vollzogen die vom Generalsekretaumlr gefuumlhrt wird Von der Konstituierung des Vereines werden die Mitglieder durch die Proponenten aufgenommen

sect 9 Der jaumlhrliche Beitrag der ordentlichen Mitglieder wird von jedem Mitgliede durch Selbsteinschaumltzung nach dem Maszlige seiner Leistungsfaumlhigkeit festgesetzt betraumlgt fuumlr einzelne Personen mindestens zehn Kronen fuumlr Firmen mindestens fuumlnfzig Kronen

Uumlber das bdquoWerkschaffenldquo gemaumlszlig dem Verstaumlndnis des OumlWB (gegr 1912) unter-richtet 1916 die repraumlsentative Publikation des Wiener Kunsthistorikers und Gruumlndungsmitglieds des OumlWB Max Eisler Es handelt sich dabei um eine mit den Jahrbuumlchern des Deutschen Werkbundes vergleichbare Konsultation des eigenen Standpunktes im aktuellen Kulturdiskurs An den Jahrbuumlchern war auch die Buchge-staltung orientiert72 Der OumlWB identifizierte sich damit in seinem Selbstverstaumlndnis und zugleich in seiner Selbstdarstellung mit dem DWB Diese Uumlbereinstimmung zwischen OumlWB und DWB uumlberrascht kaum hatte doch der Letztere seit seiner Gruumlndung den gesamten deutschen Sprachraum inklusive Oumlsterreich zum eigenen Arbeitsgebiet erklaumlrt73

20 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Oumlsterreichische Werkkultur wird bei Eisler in sechs Kapiteln dargestellt die ein geschlossenes System der Werkerziehung praumlsentieren Der umfassende Anspruch an bdquoWerkkunstldquo als bdquoLebensgestaltungldquo wird eingangs mit dem Ent-wurf fuumlr einen neuen Wiener Stadtbezirk74 von dem Wiener Architekturtheoretiker Stadtplaner und OumlWB Mitglied Otto Wagner demonstriert und zwar im Sinne des ganzheitlichen groszligstaumldtisch gepraumlgten Kulturbegriffs vom Sofakissen bis zum Stadtplan75 beziehungsweise hier von der Stadtplanung bis zur Wohnstaumltte und ihrer Einrichtung bdquoAus allen Schoumlpfungen blickt dieselbe auf den klar erkannten Voraussetzungen bauende rein in ihren Grenzen taumltige Art des Meisters der die Vielheit der Aufgaben durch die Einheit seiner geraden werktuumlchtigen Gesinnung bewaumlltigt und uumlberwindetldquo76

Der Kuumlnstler ndash und namentlich insbesondere der Wiener Architekt und Kunst-gewerbler Begruumlnder der Wiener Werkstaumltte und Mitbegruumlnder des OumlWB Josef Hoffmann ndash wird im ersten Kapitel als der Schoumlpfer der groszligstaumldtischen bdquoWerkformldquo eingefuumlhrt Theoretisch wird diese bdquoWerkformldquo mit Hilfe des Gedankengebaumludes einer bdquoKern-ldquo und bdquoKunstformldquo verdeutlicht zusaumltzlicher Schmuck wird jedoch abgelehnt bdquoDie Fassade ist das Kleid fuumlr das Hausinnere Der Stuckprunk auf einer Zinshausfassade ist wie der Abendflitter eines armseligen Komoumldiantenldquo77 Mit solchen Vorstellungen der Bekleidungstheorie hatte sich kurz zuvor Otto Wagner auseinandergesetzt78

Das zweite Kapitel befasst sich mit dem Bildungsauftrag der bdquoWerkerziehungldquo Der Kuumlnstler avanciert dabei zum Lehrer der nach einem Lehrplan letztlich sein freies Schaffen in den zweckgebundenen Dienst des oumlffentlichen Lehrauftrags stellt79 Verbindliche Praumlmisse der ganzheitlichen bdquoWerkerziehungldquo ist bdquoder Mensch [als] der Maszligstab dieser Dingeldquo des Alltagsgebrauchs Nach dieser Regel in der Architekturtheorie seit Vitruv soll sich auch die Ausbildung zum selbststaumlndigen Werkkuumlnstler richten80 Die kk Kunstgewerbeschule gilt im Zusammenhang mit der Mustersammlung des kk Oumlsterreichischen Museums fuumlr Kunst und Industrie in Wien als vorbildlich fuumlr eine wirksame durchaus zentralistisch beziehungs-weise hierarchisch organisierte Werkerziehung selbststaumlndiger Werkkuumlnstler Die einzelnen kk Fachschulen erfuumlllen hier ihre Aufgabe als Multiplikatoren dieser zentralen Einrichtung Eine weitere Oumlffentlichkeit soll mit Unterrichtsangeboten in Kunst und Technik an den Kunstgewerbeschulen erreicht werden diese Oumlffnung der Bildungseinrichtungen zielt uumlber die kunstgewerblichen Produktionskreise hinaus auf eine Erziehung des konsumierenden Publikums81

Unter den bdquoErzeugernldquo denen sich das dritte Kapitel widmet werden ebenso die selbststaumlndigen Werkkuumlnstler wie alle Handwerker und Heimarbeiter aufgefuumlhrt Als bedeutende Neuerung in dieser Produktion gelten dem OumlWB wie zuvor dem DWB die Industriearbeiter gerade mit ihnen wird die kuumlnftige soziale Aufgabe in Verbindung gebracht Prinzipiell soll die Werkkultur innerhalb der Industrie gestaumlrkt werden wofuumlr exemplarisch die enge Verflechtung des Bildungsauftrags der Fachschulen mit der boumlhmischen Glasproduktion der Massenmoumlbel- sowie der Textil- (Teppich-) und Tapetenproduktion aufgefuumlhrt wird82

21Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Werkkultur braucht allerdings den Konsens in Geschmacksfragen Als entscheidendes Bindeglied einer solchen gegenseitigen Verstaumlndigung zwischen Produktion und Vertrieb wird der Aussteller praumlsentiert (viertes Kapitel) Aufgabe der Ausstellungen ist es demnach fuumlr die Vermittlung gemeinsamer Grundsaumltze innerhalb einer oumlsterreichischen Vielheit von Produzenten und Konsumenten ein-zutreten an dieser wechselseitigen Uumlbereinkunft und ihrer fortlaufenden Pruumlfung beziehungsweise Erneuerung sollen alle teilhaben KuumlnstlerErzeuger ebenso wie HaumlndlerKaumluferBetrachter83 Der oumlsterreichischen Werkkultur und ihrer Durchset-zung ist gemaumlszlig Eislers Darstellung der Kreislauf oumlkonomischer Relationen zwischen Kunst und Kapitalismus aumluszligerst dienlich Die Vielheit des oumlsterreichischen Voumllker-wesens soll dabei auf eine werkgebende Eigenart festgelegt werden die zugleich auf dem gemeinsamen Vorgehen und gezielter Zusammenarbeit der Landesmuseen mit den Kunstgewerbeschulen nach uumlbereinstimmenden Grundsaumltzen beruht84

Zeugnis dieser vereinheitlichenden Bestrebungen einer oumlsterreichischen Ge-schmacksbildung ist sogleich die erste Wanderausstellung des OumlWB bdquoVon neuen Arbeiten des heimischen Kunsthandwerksldquo im Reichenberger Nordboumlhmischen Gewerbemuseum im Juli 1913 gewesen Unter den ausgestellten Objekten im Eigentum des k k Oumlsterreichischen Museums fuumlr Kunst und Industrie in Wien und zwar als Bestandteil seiner bdquoSammlungen eigentuumlmlicher oder musterguumlltiger Arbeiten des modernen Kunstgewerbesldquo85 waren auszliger den Wiener Exponaten auch Ausstellungsstuumlcke zu sehen die an den boumlhmischen k k Fachschulen in Haida Steinschoumlnau und Znaim gefertigt oder im Auftrag von privaten Firmen teilweise in boumlhmischen Produktionsstaumltten hergestellt worden sind etwa die nach Entwuumlrfen der Wiener Kuumlnstler Josef Hoffmann und Oskar Strnad gefertigten Glaumlser der Glas-fabrikaten J amp L Lobmeyr oder von Joh Loumltz86 Dem Prinzip der Arbeitsteilung folgend waren die Heimarbeiter (beispielsweise Aumltzer Kugler Graveure Schleifer) das letzte Glied im Herstellungsprozess87 Allerdings hatte die Werkkultur nach Wiener Vorbild fuumlr die Arbeiter in sozialer Hinsicht kaum Vorteile zu bieten im Unterschied zum entwerfenden Kuumlnstler blieb der Heimarbeiter anonym

In der bdquoKette unmittelbarer Erziehungswirkungldquo nehmen gemaumlszlig Eisler der Haumlndler und der Kaumlufer letztendlich die Schluumlsselstellung ein (fuumlnftes Kapitel) Vom Werkursprung ausgehend an dem KuumlnstlerLehrerErzeuger teilhaben ist mit dem Konsumenten die Zielgruppe der geschmacksbildenden Bemuumlhungen genannt mittels eines geschickten Haumlndlers und seiner Verkaufsstrategie (der Haumlndler als Erzieher88) soll nunmehr das Produkt nach den Gesetzmaumlszligigkeiten des Marktes einen Verkaufserfolg verbuchen und so seinen Zweck als Qualitaumltsware erfuumlllen89

Der Erziehungsanspruch ist somit einer oumlkonomischen Fortschrittsidee ver-pflichtet welche die beabsichtigte Modernisierung der Alltagskultur gaumlnzlich dem Marktprinzip unterwirft beziehungsweise von der Vermarktung getragen wird Anders als die industriell hergestellte Massenware wird innerhalb der bdquogemein-deutschenldquo Werkkunst fuumlr die oumlsterreichische Besonderheit gerade ihr handwerk-licher Charakter beansprucht der dieser einen exklusiven bdquoOriginalwertldquo aufgrund des einmaligen urheberrechtlich zu schuumltzenden Kuumlnstlerentwurfs sichern soll90

22 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Werkbund-Kontroverse zwischen Befuumlrwortern einer Typisierung gegenuumlber den Individualisten auf der Werkbund-Ausstellung in Koumlln 1914 von Frederic J Schwartz primaumlr als ein Konflikt eben um den urheberrechtlichen Schutz des Kuumlnstlers entschluumlsselt duumlrfte eine Voraussetzung dieser Argumentation und Wert-schaumltzung der kuumlnstlerischen Originalitaumlt sein91 gerade im Zusammenhang mit der arbeitsteiligen Produktion spielte der urheberrechtliche Schutz des Kuumlnstlers eine besonders wichtige Rolle Der OumlWB hat damit eigene Konturen auf dem Kunst-markt und bei der Vermarktung von Kultur gewonnen

Die Organisation der oumlsterreichischen Werkkultur wird schlieszliglich anhand der Werkbundarbeit im oumlsterreichischen Pavillon auf derselben Koumllner Werkbundaus-stellung von 1914 verdeutlicht (sechstes Kapitel) Die Erfolgsbilanz der bdquooumlster-reichischen Sonderartldquo als der bdquotreibenden Vielheitldquo92 in der bdquobindenden Einheitldquo wird explizit auch in Verbindung mit dem Beitrag des Tschechischen Werkbundes im Oumlsterreichischen Pavillon herausgestellt er war fester Bestandteil der oumlster-reichischen Exposition und bekraumlftigte deren Sonderstatus mit der dargebotenen sogenannten Handwerkskunst93 Tatsaumlchlich hatte diese wie sich Adolf Loos aus-druumlckte bdquoLuxuskunst fuumlr die oberen Zehntausend der modernen Groszligstadtldquo einige potenzielle Kaumlufer versammeln koumlnnen die Verkaufsverhandlungen wurden jedoch wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges unterbrochen94

Eislers Praumlsentation des OumlWB endet mit einer Auflistung der Mitglieder (ins-gesamt 627) wobei im Arbeitsausschuss unter anderen Vertrauensmaumlnner aus Boumlhmen Maumlhren und Schlesien genannt sind Zu den Mitgliedern zaumlhlt zwar auch die tschechische Kuumlnstlergenossenschaft bdquoArtělldquo jedoch sind des Weiteren fast ausschlieszliglich deutsche Einrichtungen der boumlhmischen Laumlnder vertreten (siebtes Kapitel)

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Max Eisler Die Oumlsterreichische Werkkultur herausgegeben vom Oumlsterreichischen Werkbund OumlWB Wien 1916 S 5ndash54

Der KuumlnstlerWerkkunst ist Lebensgestaltung ausgedruumlckt in Formen die dem Gebrauche oder auch nur dem Auge dienen immer aber jene Befriedigung hervorrufen die eine aufrichtige dem Material und Zwecke klar entsprechende Behandlung mit sich fuumlhrt In der besonderen Art in der der Kuumlnstler diese aller Werkkunst gemeinsame Aufgabe erfuumlllt aumluszligert sich seine Persoumlnlichkeit Doch kann ihr Schaffen der Mitwelt der sie angehoumlrt nicht entraten Sie muszlig ihre Zeit und ihren Lebenskreis taumltigen Anteil nehmen lassen an dem Werke Nur so gibt sie Lebensgestaltung nur so wird Werkkunst zur Werkkultur

Wir koumlnnen ihre Leistung auch nur dann ganz verstehen und nach voller Gebuumlhr wuumlrdigen wenn wir dem lebendigen Austausch zwischen Kuumlnstler und Mitwelt aufmerksam folgen und uns daruumlber klar werden was er ihr was sie ihm gibt Diese Klarheit laumlszligt sich aber wieder nur an dem Werkgange gewinnen Nur wenn wir erfahren haben wie das wird was wir als Fertiges vor uns haben wird unser Urteil daruumlber vernuumlnftig und billig unser Genuszlig begruumlndet sein Wenn wir dann von einem Werke sagen bdquoDas ist gutldquo oder bdquoDas ist schoumlnldquo so wird Sinn in diesen Worten liegen und wir werden was unserem Geschmacke ungelegen kommt nicht ohneweiters verwerfen weil unser Urteil dann nicht mehr vom gefaumllligen Eindruck aufs Auge abhaumlngt sondern auf allseitiges Ver-stehen zuruumlckgehtEs wird darum der Sache und dem Leser gleich foumlrderlich sein wenn wir ver-suchen in das Werkschaffen einigermaszligen einzufuumlhren ehe wir sein Ergebnis eingehender betrachten

Wir stellen den Kuumlnstler voranDie umfassendste gelaumlufige Werkform auf die sich das Schaffen eines Kuumlnst-

lers aus der Mitte unseres Bundes gegenwaumlrtig richtet ist das wohlversehene Haus ndash nicht das auszligergewoumlhnliche der Festbau sondern das Wohnhaus ndash und hier wieder nicht das eines besonderen kleinen Geschaumlftskreises sondern das des werktaumltigen Buumlrgerstandes allerdings eines groszligstaumldtisch kultivierten vor allem des Wieners Der umfassendste durchschnittliche Zweck in dem diese Arbeit zu ihrem reinsten Ausdruck kommt ist also die Wohnstaumltte fuumlr vorgeschrittene und zeitgemaumlszlige wirkende Stadtmenschen Im Rahmen dieser Aufgabe decken sich Art und Beduumlrfnis des auftraggebenden Bauherrn am meis-ten mit der Gesinnung des ausfuumlhrenden Kuumlnstlers und auf diese weitgehende Annaumlherung beider beruht ersten Grundes die lebendige Vollkommenheit des Werkes

Nun steht ein Groszligstadthaus niemals fuumlr sich hat Nachbarn und Gegenuumlber muszlig auf sie die Ruumlcksicht nehmen die das Glied dem Koumlrper schuldet und mit den Kameraden von nebenan und druumlben darnach sehen wie der umbaute

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Freiraum zu seiner kuumlnstlerischen Erscheinung kommt Denn davon haumlngt alles andere ab Das beste und schoumlnste Haus wird verkuumlmmert oder aufdringlich jedenfalls am unrechten Platze erscheinen wenn es sich nicht in einen uumlber-einkommenden Raumplan einfuumlgt und einem vollkommenen Freiraume kann auch ein belangloses Einzelstuumlck nicht gar erheblich schaden Es gilt darum fuumlrs erste den Grundriszlig des Auszligenraumes festzulegen und seine Bauwaumlnde in ein wohlgemessenes Verhaumlltnis zu bringen Das war und ist Raumkunst in ihrem urspruumlnglichsten und aumluszligersten Sinne

Aber wie die Dinge heute liegen bleibt dieser Anfang alles Werkschaffens im Bauen meist ein frommer Wunsch Wir sind fast in allen Gebieten des Lebens zumal in der stadtbildlichen Arbeit nicht freie Begruumlnder sondern Erben und Fortsetzer der Kultur Da ist es schon eine hohe Tugend sie nach jeder Tunlich-keit vorwaumlrtszubringen in den Grenzen des Moumlglichen der Zeit zu geben was ihres Geistes und Koumlnnens ist

Erstes naumlchstgelegenes Ziel dieses Teils der Werkkunst ist die Groszligstadt denn die Groszligstadt ist die modernste Form des menschlichen Zusammenle-bens und die Aufgaben die sie stellt sind vom gegenwaumlrtigen Geiste erfuumlllt Aber im Bereiche eines altstaumldtischen Wesens wie etwa Wiens begegnet jedes umfassende Beginnen gerade den staumlrksten Hemmungen Im innerstaumldtischen Kreise verlangt der uumlberkommene Freiraum sein Recht wo er mit neuen An-lagen durchbrochen wird herrscht der Raster der behoumlrdlichen Bauvorschrift fuumlhren Verkehr und Hygiene ihre wohlgemeinte ausschlieszligliche Sprache zieht sich die Kunst auf die eintoumlnige Handhabung von Reiszligbrett und Lineal zuruumlck Selten nur wird ihrer freieren Uumlbung hier Gelegenheit geboten einem ganzen Stadtteil von Grund auf sein Gepraumlge zu geben dh dem Zuge der Straszligen der Umriszliglinie der Plaumltze dem Grundriszlig eines ganzen Viertels die Richtung zu weisen also stadtbildlich im durchgreifendsten Sinne zu wirken Bei solchem Zustande stehen ihrer vollen freien Entfaltung nur die aumluszligeren unverbauten Bezirke offen Hier kann sie ganze Arbeit leisten Und sie wird das im Sinne der Werkkunst wenn sie zunaumlchst das Wegnetz nach den oumlrtlich bedingten Erfordernissen richtet das Neuviertel mit offenen Straumlngen an den Altkern bindet dort klar und entschlossen zwischen Haupt- und Nebenstraszligen Wohn- Wirtschafts- und Festwegen zwischen Monumental- Verkehrs- und Erholungs-plaumltzen scheidet dh allen Anspruumlchen groszligstaumldtischer Vernunft genuumlgt Der Kunst geschieht dabei schon genug wenn nur der Grundriszlig ndash einerlei wie er verlaumluft ndash den Zweck des Ganzen in seiner Einheit der Teile in ihrer Besonderheit sinnfaumlllig fuumlr jedermann einleuchtend erkennen laumlszligt und dazu den kuumlnftigen Baumeistern die Grundmoumlglichkeit schafft nicht Wand gegen Wand sondern Baukoumlrper gegen Koumlrper zu setzen und aus beiden klargemessenen wohlbe-wegten Auszligenraum zu bilden

Naumlher dem alten Siedlungskerne bleibt nur die Auseinandersetzung mit dem Uumlberlieferten Hier gilt es Zeitverstand handelnd beweisen dh verstehen der Zeit von damals und heute Bloszliges Konservieren waumlre Gedankenfaulheit und

Page 9: DER TSCHECHOSLOWAKISCHE WERKBUND UND DER WERKBUND … · 2018-10-04 · Vorwort Der Deutsche Werkbund Der Architekt und preußische Staatsbeamte Hermann Muthesius hat 1907 das Ziel

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schen Hochkultur nunmehr im Sinne einfacher Gebrauchskunst den Alltag breiter Bevoumllkerungsschichten praumlgen sollte Dennoch war die Fortschrittsglaumlubigkeit welche mit dem erzieherischen Impetus der Reformer stillschweigend voraus-gesetzt wurde noch dem Denken des 19 Jahrhunderts verpflichtet22 Letztlich war der Verein DWB aus der Kunstgewerbebewegung hervorgegangen er suchte sich jedoch in Auseinandersetzung mit den technischen Errungenschaften der Industrialisierung neu zu positionieren Die Werkbundarbeit umfasste ebenso unterschiedliche Produzenten sowie diverse Lobbys naumlmlich die im Werkbund organisierten Handwerker Kuumlnstler Firmen beziehungsweise Produktionsstaumltten wie sie auch auf eine weit gestreute Akzeptanz bei den Konsumenten angewiesen war Frederic J Schwartz lenkt daher die Aufmerksamkeit von den Mitgliedern auf das Wesen der Kulturorganisation Deutscher Werkbund gemaumlszlig den Regeln eines kapitalistischen Wirtschaftssystems von dem gleichzeitig die moderne Massenkultur und ihre Durchsetzung gekennzeichnet waren23 Uumlber die natio-naloumlkonomischen Vorteile dieser Massenkultur hinaus wird von dem Historiker Wolfgang Hardtwig die gruumlndliche aumlsthetische Reform des Wohnens und Lebens mit einer egalisierenden befriedenden Wirkung in Verbindung gebracht die im gesellschaftspolitischen Kontext des spaumlten Kaiserreichs auf die sozial ausein-anderdriftende Gesellschaft zielte eine Absicht die wiederum unter nationalem Vorzeichen vorangetrieben wurde In Wirklichkeit hatte vor dem Ersten Weltkrieg die neue industriewirtschaftliche Reformaumlsthetik gemaumlszlig Hardtwig allerdings nur die Kreise des Wirtschafts- und Bildungsbuumlrgertums erreicht24

Verbindlicher Kontext fuumlr den Werkbund in den boumlhmischen Laumlndern und fuumlr dessen Strukturmerkmale war vor dem Ersten Weltkrieg Oumlsterreich und der OumlWB der im Zusammenhang mit der Wiener Tagung des DWB 1912 initiiert worden war Das Konzept der Schoumlpfung und wirtschaftlichen Durchsetzung einer einheitlichen Werkkultur des OumlWB ist bei Max Eisler eingehend dargelegt Die Eigenart der oumlsterreichischen Werkkultur war demnach nicht von der industriewirtschaftlichen sondern von der handwerklichen Aumlsthetik bestimmt25

Im OumlWB waren zugleich auch die Interessen des Kunstgewerbes und der Kunst-industrie der boumlhmischen Laumlnder hervorragend repraumlsentiert Im Ausschuss des sich zentralistisch von Wien aus konstituierenden OumlWB waren als Ortsvertrauens-maumlnner aus Boumlhmen Maumlhren und Schlesien vertreten Heinrich Fanta (Professor an der kk Staatsgewerbeschule in Reichenberg) 26 Robert Freiszligler (Sekretaumlr der Handels- und Gewerbekammer fuumlr Schlesien) 27 Julius Leisching (Direktor des Erzherzog-Rainer-Museums Bruumlnn) 28 Johannes Oertel (Praumlsident des Verbandes der nordboumlhmischen Glasindustriellen Haida) Otto Primavesi (Vizepraumlsident der Oumllmuumltzer Handels- und Gewerbekammer) Ernst Schwedeler-Meyer (Direktor des Nordboumlhmischen Gewerbemuseums)29 Josef Zasche (Baurat Prag) 30 Auszligerdem zaumlhlten zu den Mitgliedern die Wiener Werkstaumltte die Prager Kuumlnstlergenossen-schaft bdquoArtělldquo die staatlichen kunstgewerblichen Fachschulen in Haida Stein-schoumlnau Teplitz-Schoumlnau und Znaim sowie zahlreiche Erzeuger und Haumlndler aus

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den boumlhmischen Laumlndern Trotz seiner deutschnationalen Orientierung fanden sich somit im OumlWB noch 1916 auch einzelne tschechische Unternehmen31

Ausgehend von dieser gemeinsamen Tradition in der oumlsterreichischen Kunst-gewerbereform der Wiener Secession und dem oumlsterreichischen Kulturliberalis-mus32 mit seiner gezielten Foumlrderung regionaler sowie lokaler kunstgewerblicher Bildungsinstitutionen durch den OumlWB und dessen Wegbereiter den Wiener Direktor des kk Gewerbefoumlrderungsamtes Adolf Vetter wird die Entwicklung von zwei eigenstaumlndigen nationalen Vereinen in den boumlhmischen Laumlndern und der Tschecho-slowakei beobachtet Trotz des gemeinsamen Ursprungs im OumlWB der mit Josef Hoffmann und seiner Wiener Werkstaumltte das Handwerk gegenuumlber der industriellen Produktkultur praumlferiert hatte gelang es im neuen Nationalstaat Tschechoslowa-kei nicht innerhalb des Werkbunds eine Uumlbereinkunft zwischen den in sozialer und in wirtschaftlicher Hinsicht unterschiedlichen Interessengemeinschaften der Tschechen und Deutschen zu finden Ansaumltze einer Kooperation mit gemeinsamer Interessenvertretung muumlndeten schlieszliglich in eine Konkurrenzsituation von zwei selbststaumlndigen Werkbundvereinen

Die Gruumlndung des SČD war im Zusammenhang mit der Koumllner Werkbundaus-stellung (1914) von dem Architekten Jan Kotěra33 initiiert worden um im Oumlster-reichischen Pavillon den eigenstaumlndigen Auftritt tschechischer Kuumlnstler und ihrer raumgestalterischen Gesamtkunstwerke zu ermoumlglichen In den Leitsaumltzen des SČD standen die Veredelung der kunstgewerblichen und industriellen Produkte unter Beteiligung der Kuumlnste gemaumlszlig einer national charakteristischen Herstel-lungsweise Ein weiteres Ziel war die Erziehung des Publikums Obgleich der Wortlaut eine enge Anlehnung an die Programmatik des Deutschen Werkbundes offenbart bezog sich der SČD namentlich auf den englischen Kunstkritiker und Kulturphilosophen John Ruskin (1819ndash1900) und generell auf die Vorlaumlufer der Kunstgewerbereform in England Mit dieser Ruumlckbesinnung auf die bdquoArts and Craftsldquo-Bewegung wurde die handwerkliche Tradition favorisiert Unter den 25 Gruumlndungsmitgliedern fanden sich im SČD bevorzugt Architekten und Kuumlnstler wie Josef Gočaacuter34 Dušan Jurkovič35 Celda Klouček36 Emil Kraacuteliacutek37 František Kysela38 Otakar Novotnyacute39 Jiřiacute Stibral40 und Joacuteža Uprka41 unter den Unter-nehmern waren der Keramikproduzent Emil Sommerschuh und der Verleger Jan Štenc42 zudem Politiker wie Ferdinand von Lobkowitz43 letzter Vorsitzender der boumlhmischen Regierung Oumlsterreichs und der Oumlkonom Rudolf Hotowetz4445 In der sozialen Zusammensetzung des Vereins blieb die Dominanz der Architekten gegen-uumlber den Unternehmern bestimmend und zwar auch nach dem Ersten Weltkrieg im wiedergegruumlndeten und anfangs deutlich nationalistisch aufgestellten Verein SČSD Der Vorsitzende wurde der Architekt Josef Gočaacuter 1925 gefolgt von dem Architekten und langjaumlhrigen Vereinsvorsitzenden Pavel Janaacutek46 und schlieszliglich von dem Architekten Oldřich Staryacute47 Zum Vorstand gehoumlrte neben Vertretern der Gewerbekammern des Industriellenverbandes und Regierungsmitarbeitern zudem der Kunsthistoriker Vaacuteclav Vileacutem Štech48 vom Schulministerium Im Nationalstaat

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Tschechoslowakei war der SČSD bestens im Netzwerk des staatlichen Kultur-betriebs eingebunden vom Schulministerium wurde seine Zusammenarbeit mit den Kunstgewerbeschulen und Museen gefoumlrdert Nach der Neugruumlndung war das Prager Kunstgewerbemuseum Veranstaltungsort der Vereinsausstellungen49 aber auch auf der Prager Mustermesse hatte der SČSD regelmaumlszligig fuumlr sich und seine Mitglieder geworben50 Dem Verein wurde daruumlber hinaus die Verantwortung fuumlr die Ausrichtung tschechoslowakischer Kunstgewerbeausstellungen uumlbertragen Vereinsorgan war zunaumlchst die avantgardistische Zeitschrift bdquoUměleckyacute měsiacutečniacutekldquo [Kuumlnstlerische Monatsschrift] die 1921 von bdquoVyacutetvarnaacute praacuteceldquo [Gestaltendes Werk] des Verlegers Štenc abgeloumlst jedoch 1925 aus wirtschaftlichen Gruumlnden wieder eingestellt wurde nach regelmaumlszligiger Berichterstattung in bdquoVyacutetvarneacute snahyldquo [Ge-staltende Bemuumlhungen] folgte dann 1931ndash33 nochmals ein eigener Auftritt mit der Vereinszeitschrift bdquoŽijemeldquo [Wir leben] In bdquoŽijemeldquo erschien auch 1931 die uumlberarbeitete Vereinssatzung mit der Verpflichtung zur Unterstuumltzung aller Be-muumlhungen um eine Verbesserung des allgemeinen Lebensstandards51 Damals war ein Anstieg der gesellschaftlichen Mobilisierung auf fast 500 Vereinsmitglieder zu verzeichnen davon waren circa ein Drittel bildende Kuumlnstler und Architekten52 In den weiteren Jahren bis zur Aufloumlsung wurden die Vereinsmitteilungen in ver-schiedenen Architektur- und Kulturzeitschriften veroumlffentlicht

Seit Anfang der 1920er Jahre wurde aber auch an der Konstituierung des WDT als Pendant zum SČSD innerhalb der Tschechoslowakei gearbeitet Die Gruumln-dungsmitglieder versammelten sich am 25 Mai 1925 in LiberecReichenberg dem wirtschaftlichen Zentrum Nordboumlhmens und vormaligen Austragungsort der Deutschboumlhmischen Ausstellung (1906)53 Seit 1922 fand hier die Reichenberger Messe statt Vertreter der in Nordboumlhmen angesiedelten traditionsreichen Gewer-bezweige der Glas- und Tuchherstellung waren mit anderen deutschboumlhmischen schlesischen und maumlhrischen Produzenten bereits Mitglieder im OumlWB gewesen beziehungsweise ihre Produktionszweige hatten zu den Hauptbetaumltigungsgebieten des oumlsterreichischen kk Gewerbefoumlrderungsamtes gezaumlhlt Unter dem Vorsitz des Teppichfabrikanten Willy Ginzkey54 versammelten sich im WDT insgesamt 44 deutsche Einzel- und Mittelspersonen aus Bildung Handel und Gewerbe der Tschechoslowakei (Handels- und Gewerbekammern Gewerbevereine Deutsche Technische Universitaumlten kunstgewerbliche Fachschulen Kunstvereine wie der Metznerbund) Im Arbeitsausschuss waren auch prominente Vertreter der tsche-choslowakischen Denkmalaumlmter wie Karl Kuumlhn55 Rudolf Houmlnigschmid56 und der Architekt und Kunsthistoriker Otto Kletzl57 praumlsent Anlass fuumlr die Gruumlndungs-versammlung gaben die Pariser Ausstellung Arts Deacuteco (1925) und der Wunsch nach einer selbststaumlndigen Exposition der Deutschen im Tschechoslowakischen Pavillon Die Vereinsgruumlndung wurde jedoch erst Anfang des Jahres 1926 durch eine staatliche Genehmigung der Vereinssatzung bestaumltigt Zugleich wurde dem Verein jegliche politische Betaumltigung untersagt58 Publikationsorgan des WDT wurde das von Otto Kletzl herausgegebene bdquoSudetendeutsche Jahrbuchldquo veroumlffentlicht

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mit Unterstuumltzung der sogenannten bdquoSudetendeutschen Schutzverbaumlndeldquo (Bund der Deutschen Deutscher Kulturverband Deutscher Turnverband) in der Tsche-choslowakei Dieser Kontext ist kennzeichnend fuumlr eine Diskursgemeinschaft des WDT die innerhalb der tschechoslowakischen Wirtschaft und Kultur tendenziell die Vorzuumlge der Deutschen im Blick hatte und nur bedingt vom Staat unterstuumltzt wurde

So unterschiedlich die wirtschaftliche und kulturelle beziehungsweise politische Orientierung des SČDSČSD gegenuumlber dem WDT war so verschieden gestaltete sich auch die Entwicklung beider Vereine die innerhalb der gesetzten Rahmen-bedingungen durchaus elitaumlr aufgestellt waren Handwerker oder einfache Arbeiter waren weder im Vereinsvorstand noch im Arbeitsausschuss praumlsent An einem Zusammenschluss des WDT mit dem SČSD zeigte der Staat zwar Interesse weil dies wohl auszliger Kooperation auch Kontrolle bedeutet haumltte Diese Verbindung war jedoch von keinem der Vereine gewollt Es blieb bei einer Konkurrenzsituation zwischen den zwei tschechoslowakischen Werkbundeinrichtungen die jede fuumlr sich mit eigener Werkbundarbeit die Produzenten durch Wettbewerbe zu motivieren und die Konsumenten auf Ausstellungen sowie mit Publikationen zu uumlberzeugen suchte Waumlhrend sich der SČSD zunehmend fuumlr eine tschechoslowakische Massenkultur einsetzte die vom modernen Wohnen ausgehend alle Lebensbereiche einbeziehen und dabei explizit auch die Slowakei integrieren sollte richtete er sich nach den aktuellen Bestrebungen des Deutschen Werkbunds an dessen bdquoBund mit der Zu-kunftldquo der Jahre 1924ndash1928 (Joan Campbell) Die angestrebte Vereinheitlichung der Gesellschaft nach spezifisch buumlrgerlichen Norm- und Wertvorstellungen ge-maumlszlig den Anspruumlchen an Hygiene Gesundheit und Ordnung wandte sich ebenso gegen vermeintliche Niederungen der Wohnverhaumlltnisse sozialer Grundschichten wie gegen einen sogenannten Luxus den bildungsbuumlrgerlichen Idealen zufolge sollte diese Egalisierungsabsicht durch Erziehung an Breitenwirkung gewinnen Damit verbunden war zugleich eine Internationalisierung der Gesellschaft die das gesamte Lebensumfeld betraf59 Anstelle der Foumlrderung von kulturellen Traditionen sowie Eigentuumlmlichkeiten eines populaumlren bdquoLokalkoloritsldquo wurde nunmehr der internationale Standard propagiert Unter der Praumlmisse LichtndashLuftndashSonne galt es allerdings den Forderungen der Hygienebewegung gemaumlszlig den lokalen Verhaumlltnis-sen gerecht zu werden und entsprechende aktuelle Wohnmodelle in landeseigener Produktion von der architektonischen Planung bis zur Einrichtung herzustellen ndash gerade Pavel Janaacutek hatte hier mit seiner Architekturklasse an der Prager staatlichen Kunstgewerbeschule intensiv an Loumlsungen gearbeitet die den lokalen Bedingungen in technischer wie auch materialspezifischer Hinsicht angepasst sein sollten60 Die Etablierung des SČSD als der tschechoslowakischen Kulturorganisation mit offi-ziellem Auftrag einer Auszligendarstellung der tschechoslowakischen Kultur scheiterte zwar an Interessenkonflikten und Finanzierungsfragen zwischen den Ministerien61 dennoch wurde sein Modernisierungsprojekt im Zusammenspiel der Ortsgruppen mit der Kommunalpolitik unter anderem in BratislavaPressburg BrnoBruumlnn oder Hradec KraacuteloveacuteKoumlniggraumltz vorangetrieben62 Parallel zur wirtschaftlichen und

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rechtlichen Sicherstellung der Existenzgrundlage des tschechoslowakischen Kunst-gewerbes beziehungsweise der Kunstindustrie verfolgte der SČSD ebenfalls seine gesellschaftlichen Erziehungsideale in Zusammenhang mit einem umfassenden Bildungsauftrag der Kunstgewerbemuseen und in eigenen Ausstellungsraumlumen auf Wander- und Auslandsausstellungen in Verkaufs- und Beratungsstellen Biblio-theken und Archiven63 Der WDT hingegen geriet als Vertreter von Luxusproduk-tionszweigen und Exportartikeln der Schmuck- und Glasindustrie zunehmend ins Abseits diese Tendenz wurde durch die Weltwirtschaftskrise noch verstaumlrkt Die geplante Gruumlndung einer Ortsgruppe in Bruumlnn haumltte womoumlglich die uumlberregionale Positionierung des WDT weiter staumlrken koumlnnen sie kam allerdings nicht mehr zustande Nach dem Ableben des Vorsitzenden Ginzkey im Jahr 1934 verliert sich die Spur des WDT Damals wurde auch die bdquosudetendeutsche Kulturpolitikldquo im Interesse des Deutschen Reiches neu sortiert Diese kulturpolitische Umbruch-situation hinterlieszlig ebenfalls beim SČSD ihre Spuren Infolge der Besetzung der so bezeichneten sudetendeutschen Gebiete 1939 wurde der nunmehr auf SČD geschrumpfte tschechische Verein in der bdquoZweiten Republikldquo und im bdquoReichspro-tektorat Boumlhmen und Maumlhrenldquo weiterhin geduldet nach dem Zweiten Weltkrieg wird der bis dahin selbststaumlndige Verein im Jahr 1948 aufgeloumlst

Zur AnthologieDie nachfolgende Auswahl an Quellenmaterial (deutschsprachige Texte im ur-spruumlnglichen Wortlaut tschechischsprachige Texte in deutscher Uumlbersetzung Abbildungen vorzugsweise von Gebrauchsdingen aus dem Publikations- und Aus-stellungskontext der Werkbundvereine) dokumentiert den Werdegang des Werk-bundes in den boumlhmischen Laumlndern und bietet eine Grundlage fuumlr die vergleichende Forschung zum Exportmodell DWBOumlWB und den nachfolgenden tschechischen beziehungsweise tschechoslowakischen Werkbundinitiativen Ausgangspunkt ist vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs der OumlWB Bei Max Eisler erscheint die Idee einer gemeinsamen oumlsterreichischen Werkkultur als ein geschlossener Produkti-ons- und Konsumentenzirkel ndash vom Kuumlnstler ausgehend uumlber den Bildungsweg den Erzeuger den Aussteller bis hin zum Haumlndler und Kaumlufer ndash differenziert64 Das Programm des SČD65 und die Buchpublikation des Tschechischen Werkbundes zur Koumllner Ausstellung von 191466 verdeutlichen das Profil des sich separierenden tschechischen Vereins Fuumlr die Entwicklung des Werkbundes in der Zwischen-kriegszeit stehen einerseits das neue Programm des SČSD (1921)67 sowie dessen Uumlberarbeitung in den 1930er Jahren68 und andererseits das Programm des WDT von 192769 Die jeweilige Programmatik beider tschechoslowakischer Werkbund-vereine wird mit entsprechend charakteristischen Bildfolgen illustriert wobei die abschlieszligende Bildfolge der Werbebroschuumlre des SČSD bdquoUumlber das Wohnenldquo70 Aufschluss uumlber seine Neuausrichtung in den 1930er Jahren und somit uumlber die letzte offensive Arbeitsetappe des tschechischen Vereins gibt

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Die vorliegende Publikation ist Ergebnis des Forschungsprojekts bdquoDer Tschecho-slowakische Werkbund und der Werkbund der Deutschen in der Tschechoslowa-keildquo das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft uumlber zwei Jahre groszligzuumlgig gefoumlrdert am Institut fuumlr Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik Fach-gebiet Kunstgeschichte der Technischen Universitaumlt Berlin durchgefuumlhrt wurde Die Realisierung des Projekts war nur moumlglich dank dieser Foumlrderung sowie der tatkraumlftigen Unterstuumltzung des Instituts und insbesondere dank der versierten An-teilnahme von Magdalena Bushart Gestaumlrkt wurde der Forschungsfortgang durch die sachkundige Kooperation mit Vladimiacuter Šlapeta (Technische Universitaumlt BrnoBruumlnn Fakultaumlt Architektur Abteilung Theorie) der Stiftung Bibliothek Werner Oechslin und Renate Flagmeier (Werkbundarchiv ndash Museum der Dinge) sowie das freundliche Entgegenkommen von Anna Kašparovaacute und Jan Mohr (Nordboumlhmisches Gewerbemuseum LiberecReichenberg) Ihnen und den vielen hilfsbereiten Mit-wirkenden bei Recherchen in den Archiven (Bundesarchiv Berlin Werkbundarchiv Berlin Architekturarchiv Nationales Technikmuseum PrahaPrag Nationalarchiv Prag Landesarchiv Reichenberg Archiv des Nordboumlhmischen Gewerbemuseums Reichenberg Landesarchiv Bruumlnn Stadtarchiv Bruumlnn Landesarchiv OpavaTroppau) und den Bibliotheken (Bibliothek Nordboumlhmisches Gewerbemuseum Reichenberg Bibliothek Nationales Technikmuseum Prag Kunstbibliothek Berlin Staatsbibliothek Berlin Staatsbibliothek Prag) bin ich in Dankbarkeit verbunden

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Die Oumlsterreichische Werkkultur

Aus den Statuten des Oumlsterreichischen Werkbundes 71

sect 2 Der Zweck des Vereines ist die Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst Industrie und Handwerk durch Erziehung und Propaganda die Pflege des kunstgemaumlszligen Echten aller Zeiten auf allen Gebieten menschlicher Betaumltigung Hebung des kuumlnstlerischen Geschmackes und Urteiles und Foumlrderung aller gleichen Zielen zugewandten Bestrebungen Dabei soll auf die Pflege und Entwicklung der nationalen Eigenart der kuumlnstlerischen und gewerblichen Produktion besonderes Augenmerk gerichtet werden

sect 4 Dem Verein gehoumlren an 1 Ehrenmitglieder 2 Stifter 3 Ordentliche Mitglieder

sect 7 Ordentliche Mitglieder des Vereines koumlnnen sein Kenner Kuumlnstler Industrielle und Gewerbetreibende

sect 8 Die Aufnahme der Mitglieder erfolgt nur nach vorhergegangener Einladung durch Beschluszlig des Vorstandes und wird durch Eintragung in die Mitgliederliste vollzogen die vom Generalsekretaumlr gefuumlhrt wird Von der Konstituierung des Vereines werden die Mitglieder durch die Proponenten aufgenommen

sect 9 Der jaumlhrliche Beitrag der ordentlichen Mitglieder wird von jedem Mitgliede durch Selbsteinschaumltzung nach dem Maszlige seiner Leistungsfaumlhigkeit festgesetzt betraumlgt fuumlr einzelne Personen mindestens zehn Kronen fuumlr Firmen mindestens fuumlnfzig Kronen

Uumlber das bdquoWerkschaffenldquo gemaumlszlig dem Verstaumlndnis des OumlWB (gegr 1912) unter-richtet 1916 die repraumlsentative Publikation des Wiener Kunsthistorikers und Gruumlndungsmitglieds des OumlWB Max Eisler Es handelt sich dabei um eine mit den Jahrbuumlchern des Deutschen Werkbundes vergleichbare Konsultation des eigenen Standpunktes im aktuellen Kulturdiskurs An den Jahrbuumlchern war auch die Buchge-staltung orientiert72 Der OumlWB identifizierte sich damit in seinem Selbstverstaumlndnis und zugleich in seiner Selbstdarstellung mit dem DWB Diese Uumlbereinstimmung zwischen OumlWB und DWB uumlberrascht kaum hatte doch der Letztere seit seiner Gruumlndung den gesamten deutschen Sprachraum inklusive Oumlsterreich zum eigenen Arbeitsgebiet erklaumlrt73

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Die Oumlsterreichische Werkkultur wird bei Eisler in sechs Kapiteln dargestellt die ein geschlossenes System der Werkerziehung praumlsentieren Der umfassende Anspruch an bdquoWerkkunstldquo als bdquoLebensgestaltungldquo wird eingangs mit dem Ent-wurf fuumlr einen neuen Wiener Stadtbezirk74 von dem Wiener Architekturtheoretiker Stadtplaner und OumlWB Mitglied Otto Wagner demonstriert und zwar im Sinne des ganzheitlichen groszligstaumldtisch gepraumlgten Kulturbegriffs vom Sofakissen bis zum Stadtplan75 beziehungsweise hier von der Stadtplanung bis zur Wohnstaumltte und ihrer Einrichtung bdquoAus allen Schoumlpfungen blickt dieselbe auf den klar erkannten Voraussetzungen bauende rein in ihren Grenzen taumltige Art des Meisters der die Vielheit der Aufgaben durch die Einheit seiner geraden werktuumlchtigen Gesinnung bewaumlltigt und uumlberwindetldquo76

Der Kuumlnstler ndash und namentlich insbesondere der Wiener Architekt und Kunst-gewerbler Begruumlnder der Wiener Werkstaumltte und Mitbegruumlnder des OumlWB Josef Hoffmann ndash wird im ersten Kapitel als der Schoumlpfer der groszligstaumldtischen bdquoWerkformldquo eingefuumlhrt Theoretisch wird diese bdquoWerkformldquo mit Hilfe des Gedankengebaumludes einer bdquoKern-ldquo und bdquoKunstformldquo verdeutlicht zusaumltzlicher Schmuck wird jedoch abgelehnt bdquoDie Fassade ist das Kleid fuumlr das Hausinnere Der Stuckprunk auf einer Zinshausfassade ist wie der Abendflitter eines armseligen Komoumldiantenldquo77 Mit solchen Vorstellungen der Bekleidungstheorie hatte sich kurz zuvor Otto Wagner auseinandergesetzt78

Das zweite Kapitel befasst sich mit dem Bildungsauftrag der bdquoWerkerziehungldquo Der Kuumlnstler avanciert dabei zum Lehrer der nach einem Lehrplan letztlich sein freies Schaffen in den zweckgebundenen Dienst des oumlffentlichen Lehrauftrags stellt79 Verbindliche Praumlmisse der ganzheitlichen bdquoWerkerziehungldquo ist bdquoder Mensch [als] der Maszligstab dieser Dingeldquo des Alltagsgebrauchs Nach dieser Regel in der Architekturtheorie seit Vitruv soll sich auch die Ausbildung zum selbststaumlndigen Werkkuumlnstler richten80 Die kk Kunstgewerbeschule gilt im Zusammenhang mit der Mustersammlung des kk Oumlsterreichischen Museums fuumlr Kunst und Industrie in Wien als vorbildlich fuumlr eine wirksame durchaus zentralistisch beziehungs-weise hierarchisch organisierte Werkerziehung selbststaumlndiger Werkkuumlnstler Die einzelnen kk Fachschulen erfuumlllen hier ihre Aufgabe als Multiplikatoren dieser zentralen Einrichtung Eine weitere Oumlffentlichkeit soll mit Unterrichtsangeboten in Kunst und Technik an den Kunstgewerbeschulen erreicht werden diese Oumlffnung der Bildungseinrichtungen zielt uumlber die kunstgewerblichen Produktionskreise hinaus auf eine Erziehung des konsumierenden Publikums81

Unter den bdquoErzeugernldquo denen sich das dritte Kapitel widmet werden ebenso die selbststaumlndigen Werkkuumlnstler wie alle Handwerker und Heimarbeiter aufgefuumlhrt Als bedeutende Neuerung in dieser Produktion gelten dem OumlWB wie zuvor dem DWB die Industriearbeiter gerade mit ihnen wird die kuumlnftige soziale Aufgabe in Verbindung gebracht Prinzipiell soll die Werkkultur innerhalb der Industrie gestaumlrkt werden wofuumlr exemplarisch die enge Verflechtung des Bildungsauftrags der Fachschulen mit der boumlhmischen Glasproduktion der Massenmoumlbel- sowie der Textil- (Teppich-) und Tapetenproduktion aufgefuumlhrt wird82

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Die Werkkultur braucht allerdings den Konsens in Geschmacksfragen Als entscheidendes Bindeglied einer solchen gegenseitigen Verstaumlndigung zwischen Produktion und Vertrieb wird der Aussteller praumlsentiert (viertes Kapitel) Aufgabe der Ausstellungen ist es demnach fuumlr die Vermittlung gemeinsamer Grundsaumltze innerhalb einer oumlsterreichischen Vielheit von Produzenten und Konsumenten ein-zutreten an dieser wechselseitigen Uumlbereinkunft und ihrer fortlaufenden Pruumlfung beziehungsweise Erneuerung sollen alle teilhaben KuumlnstlerErzeuger ebenso wie HaumlndlerKaumluferBetrachter83 Der oumlsterreichischen Werkkultur und ihrer Durchset-zung ist gemaumlszlig Eislers Darstellung der Kreislauf oumlkonomischer Relationen zwischen Kunst und Kapitalismus aumluszligerst dienlich Die Vielheit des oumlsterreichischen Voumllker-wesens soll dabei auf eine werkgebende Eigenart festgelegt werden die zugleich auf dem gemeinsamen Vorgehen und gezielter Zusammenarbeit der Landesmuseen mit den Kunstgewerbeschulen nach uumlbereinstimmenden Grundsaumltzen beruht84

Zeugnis dieser vereinheitlichenden Bestrebungen einer oumlsterreichischen Ge-schmacksbildung ist sogleich die erste Wanderausstellung des OumlWB bdquoVon neuen Arbeiten des heimischen Kunsthandwerksldquo im Reichenberger Nordboumlhmischen Gewerbemuseum im Juli 1913 gewesen Unter den ausgestellten Objekten im Eigentum des k k Oumlsterreichischen Museums fuumlr Kunst und Industrie in Wien und zwar als Bestandteil seiner bdquoSammlungen eigentuumlmlicher oder musterguumlltiger Arbeiten des modernen Kunstgewerbesldquo85 waren auszliger den Wiener Exponaten auch Ausstellungsstuumlcke zu sehen die an den boumlhmischen k k Fachschulen in Haida Steinschoumlnau und Znaim gefertigt oder im Auftrag von privaten Firmen teilweise in boumlhmischen Produktionsstaumltten hergestellt worden sind etwa die nach Entwuumlrfen der Wiener Kuumlnstler Josef Hoffmann und Oskar Strnad gefertigten Glaumlser der Glas-fabrikaten J amp L Lobmeyr oder von Joh Loumltz86 Dem Prinzip der Arbeitsteilung folgend waren die Heimarbeiter (beispielsweise Aumltzer Kugler Graveure Schleifer) das letzte Glied im Herstellungsprozess87 Allerdings hatte die Werkkultur nach Wiener Vorbild fuumlr die Arbeiter in sozialer Hinsicht kaum Vorteile zu bieten im Unterschied zum entwerfenden Kuumlnstler blieb der Heimarbeiter anonym

In der bdquoKette unmittelbarer Erziehungswirkungldquo nehmen gemaumlszlig Eisler der Haumlndler und der Kaumlufer letztendlich die Schluumlsselstellung ein (fuumlnftes Kapitel) Vom Werkursprung ausgehend an dem KuumlnstlerLehrerErzeuger teilhaben ist mit dem Konsumenten die Zielgruppe der geschmacksbildenden Bemuumlhungen genannt mittels eines geschickten Haumlndlers und seiner Verkaufsstrategie (der Haumlndler als Erzieher88) soll nunmehr das Produkt nach den Gesetzmaumlszligigkeiten des Marktes einen Verkaufserfolg verbuchen und so seinen Zweck als Qualitaumltsware erfuumlllen89

Der Erziehungsanspruch ist somit einer oumlkonomischen Fortschrittsidee ver-pflichtet welche die beabsichtigte Modernisierung der Alltagskultur gaumlnzlich dem Marktprinzip unterwirft beziehungsweise von der Vermarktung getragen wird Anders als die industriell hergestellte Massenware wird innerhalb der bdquogemein-deutschenldquo Werkkunst fuumlr die oumlsterreichische Besonderheit gerade ihr handwerk-licher Charakter beansprucht der dieser einen exklusiven bdquoOriginalwertldquo aufgrund des einmaligen urheberrechtlich zu schuumltzenden Kuumlnstlerentwurfs sichern soll90

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Die Werkbund-Kontroverse zwischen Befuumlrwortern einer Typisierung gegenuumlber den Individualisten auf der Werkbund-Ausstellung in Koumlln 1914 von Frederic J Schwartz primaumlr als ein Konflikt eben um den urheberrechtlichen Schutz des Kuumlnstlers entschluumlsselt duumlrfte eine Voraussetzung dieser Argumentation und Wert-schaumltzung der kuumlnstlerischen Originalitaumlt sein91 gerade im Zusammenhang mit der arbeitsteiligen Produktion spielte der urheberrechtliche Schutz des Kuumlnstlers eine besonders wichtige Rolle Der OumlWB hat damit eigene Konturen auf dem Kunst-markt und bei der Vermarktung von Kultur gewonnen

Die Organisation der oumlsterreichischen Werkkultur wird schlieszliglich anhand der Werkbundarbeit im oumlsterreichischen Pavillon auf derselben Koumllner Werkbundaus-stellung von 1914 verdeutlicht (sechstes Kapitel) Die Erfolgsbilanz der bdquooumlster-reichischen Sonderartldquo als der bdquotreibenden Vielheitldquo92 in der bdquobindenden Einheitldquo wird explizit auch in Verbindung mit dem Beitrag des Tschechischen Werkbundes im Oumlsterreichischen Pavillon herausgestellt er war fester Bestandteil der oumlster-reichischen Exposition und bekraumlftigte deren Sonderstatus mit der dargebotenen sogenannten Handwerkskunst93 Tatsaumlchlich hatte diese wie sich Adolf Loos aus-druumlckte bdquoLuxuskunst fuumlr die oberen Zehntausend der modernen Groszligstadtldquo einige potenzielle Kaumlufer versammeln koumlnnen die Verkaufsverhandlungen wurden jedoch wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges unterbrochen94

Eislers Praumlsentation des OumlWB endet mit einer Auflistung der Mitglieder (ins-gesamt 627) wobei im Arbeitsausschuss unter anderen Vertrauensmaumlnner aus Boumlhmen Maumlhren und Schlesien genannt sind Zu den Mitgliedern zaumlhlt zwar auch die tschechische Kuumlnstlergenossenschaft bdquoArtělldquo jedoch sind des Weiteren fast ausschlieszliglich deutsche Einrichtungen der boumlhmischen Laumlnder vertreten (siebtes Kapitel)

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Max Eisler Die Oumlsterreichische Werkkultur herausgegeben vom Oumlsterreichischen Werkbund OumlWB Wien 1916 S 5ndash54

Der KuumlnstlerWerkkunst ist Lebensgestaltung ausgedruumlckt in Formen die dem Gebrauche oder auch nur dem Auge dienen immer aber jene Befriedigung hervorrufen die eine aufrichtige dem Material und Zwecke klar entsprechende Behandlung mit sich fuumlhrt In der besonderen Art in der der Kuumlnstler diese aller Werkkunst gemeinsame Aufgabe erfuumlllt aumluszligert sich seine Persoumlnlichkeit Doch kann ihr Schaffen der Mitwelt der sie angehoumlrt nicht entraten Sie muszlig ihre Zeit und ihren Lebenskreis taumltigen Anteil nehmen lassen an dem Werke Nur so gibt sie Lebensgestaltung nur so wird Werkkunst zur Werkkultur

Wir koumlnnen ihre Leistung auch nur dann ganz verstehen und nach voller Gebuumlhr wuumlrdigen wenn wir dem lebendigen Austausch zwischen Kuumlnstler und Mitwelt aufmerksam folgen und uns daruumlber klar werden was er ihr was sie ihm gibt Diese Klarheit laumlszligt sich aber wieder nur an dem Werkgange gewinnen Nur wenn wir erfahren haben wie das wird was wir als Fertiges vor uns haben wird unser Urteil daruumlber vernuumlnftig und billig unser Genuszlig begruumlndet sein Wenn wir dann von einem Werke sagen bdquoDas ist gutldquo oder bdquoDas ist schoumlnldquo so wird Sinn in diesen Worten liegen und wir werden was unserem Geschmacke ungelegen kommt nicht ohneweiters verwerfen weil unser Urteil dann nicht mehr vom gefaumllligen Eindruck aufs Auge abhaumlngt sondern auf allseitiges Ver-stehen zuruumlckgehtEs wird darum der Sache und dem Leser gleich foumlrderlich sein wenn wir ver-suchen in das Werkschaffen einigermaszligen einzufuumlhren ehe wir sein Ergebnis eingehender betrachten

Wir stellen den Kuumlnstler voranDie umfassendste gelaumlufige Werkform auf die sich das Schaffen eines Kuumlnst-

lers aus der Mitte unseres Bundes gegenwaumlrtig richtet ist das wohlversehene Haus ndash nicht das auszligergewoumlhnliche der Festbau sondern das Wohnhaus ndash und hier wieder nicht das eines besonderen kleinen Geschaumlftskreises sondern das des werktaumltigen Buumlrgerstandes allerdings eines groszligstaumldtisch kultivierten vor allem des Wieners Der umfassendste durchschnittliche Zweck in dem diese Arbeit zu ihrem reinsten Ausdruck kommt ist also die Wohnstaumltte fuumlr vorgeschrittene und zeitgemaumlszlige wirkende Stadtmenschen Im Rahmen dieser Aufgabe decken sich Art und Beduumlrfnis des auftraggebenden Bauherrn am meis-ten mit der Gesinnung des ausfuumlhrenden Kuumlnstlers und auf diese weitgehende Annaumlherung beider beruht ersten Grundes die lebendige Vollkommenheit des Werkes

Nun steht ein Groszligstadthaus niemals fuumlr sich hat Nachbarn und Gegenuumlber muszlig auf sie die Ruumlcksicht nehmen die das Glied dem Koumlrper schuldet und mit den Kameraden von nebenan und druumlben darnach sehen wie der umbaute

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Freiraum zu seiner kuumlnstlerischen Erscheinung kommt Denn davon haumlngt alles andere ab Das beste und schoumlnste Haus wird verkuumlmmert oder aufdringlich jedenfalls am unrechten Platze erscheinen wenn es sich nicht in einen uumlber-einkommenden Raumplan einfuumlgt und einem vollkommenen Freiraume kann auch ein belangloses Einzelstuumlck nicht gar erheblich schaden Es gilt darum fuumlrs erste den Grundriszlig des Auszligenraumes festzulegen und seine Bauwaumlnde in ein wohlgemessenes Verhaumlltnis zu bringen Das war und ist Raumkunst in ihrem urspruumlnglichsten und aumluszligersten Sinne

Aber wie die Dinge heute liegen bleibt dieser Anfang alles Werkschaffens im Bauen meist ein frommer Wunsch Wir sind fast in allen Gebieten des Lebens zumal in der stadtbildlichen Arbeit nicht freie Begruumlnder sondern Erben und Fortsetzer der Kultur Da ist es schon eine hohe Tugend sie nach jeder Tunlich-keit vorwaumlrtszubringen in den Grenzen des Moumlglichen der Zeit zu geben was ihres Geistes und Koumlnnens ist

Erstes naumlchstgelegenes Ziel dieses Teils der Werkkunst ist die Groszligstadt denn die Groszligstadt ist die modernste Form des menschlichen Zusammenle-bens und die Aufgaben die sie stellt sind vom gegenwaumlrtigen Geiste erfuumlllt Aber im Bereiche eines altstaumldtischen Wesens wie etwa Wiens begegnet jedes umfassende Beginnen gerade den staumlrksten Hemmungen Im innerstaumldtischen Kreise verlangt der uumlberkommene Freiraum sein Recht wo er mit neuen An-lagen durchbrochen wird herrscht der Raster der behoumlrdlichen Bauvorschrift fuumlhren Verkehr und Hygiene ihre wohlgemeinte ausschlieszligliche Sprache zieht sich die Kunst auf die eintoumlnige Handhabung von Reiszligbrett und Lineal zuruumlck Selten nur wird ihrer freieren Uumlbung hier Gelegenheit geboten einem ganzen Stadtteil von Grund auf sein Gepraumlge zu geben dh dem Zuge der Straszligen der Umriszliglinie der Plaumltze dem Grundriszlig eines ganzen Viertels die Richtung zu weisen also stadtbildlich im durchgreifendsten Sinne zu wirken Bei solchem Zustande stehen ihrer vollen freien Entfaltung nur die aumluszligeren unverbauten Bezirke offen Hier kann sie ganze Arbeit leisten Und sie wird das im Sinne der Werkkunst wenn sie zunaumlchst das Wegnetz nach den oumlrtlich bedingten Erfordernissen richtet das Neuviertel mit offenen Straumlngen an den Altkern bindet dort klar und entschlossen zwischen Haupt- und Nebenstraszligen Wohn- Wirtschafts- und Festwegen zwischen Monumental- Verkehrs- und Erholungs-plaumltzen scheidet dh allen Anspruumlchen groszligstaumldtischer Vernunft genuumlgt Der Kunst geschieht dabei schon genug wenn nur der Grundriszlig ndash einerlei wie er verlaumluft ndash den Zweck des Ganzen in seiner Einheit der Teile in ihrer Besonderheit sinnfaumlllig fuumlr jedermann einleuchtend erkennen laumlszligt und dazu den kuumlnftigen Baumeistern die Grundmoumlglichkeit schafft nicht Wand gegen Wand sondern Baukoumlrper gegen Koumlrper zu setzen und aus beiden klargemessenen wohlbe-wegten Auszligenraum zu bilden

Naumlher dem alten Siedlungskerne bleibt nur die Auseinandersetzung mit dem Uumlberlieferten Hier gilt es Zeitverstand handelnd beweisen dh verstehen der Zeit von damals und heute Bloszliges Konservieren waumlre Gedankenfaulheit und

Page 10: DER TSCHECHOSLOWAKISCHE WERKBUND UND DER WERKBUND … · 2018-10-04 · Vorwort Der Deutsche Werkbund Der Architekt und preußische Staatsbeamte Hermann Muthesius hat 1907 das Ziel

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den boumlhmischen Laumlndern Trotz seiner deutschnationalen Orientierung fanden sich somit im OumlWB noch 1916 auch einzelne tschechische Unternehmen31

Ausgehend von dieser gemeinsamen Tradition in der oumlsterreichischen Kunst-gewerbereform der Wiener Secession und dem oumlsterreichischen Kulturliberalis-mus32 mit seiner gezielten Foumlrderung regionaler sowie lokaler kunstgewerblicher Bildungsinstitutionen durch den OumlWB und dessen Wegbereiter den Wiener Direktor des kk Gewerbefoumlrderungsamtes Adolf Vetter wird die Entwicklung von zwei eigenstaumlndigen nationalen Vereinen in den boumlhmischen Laumlndern und der Tschecho-slowakei beobachtet Trotz des gemeinsamen Ursprungs im OumlWB der mit Josef Hoffmann und seiner Wiener Werkstaumltte das Handwerk gegenuumlber der industriellen Produktkultur praumlferiert hatte gelang es im neuen Nationalstaat Tschechoslowa-kei nicht innerhalb des Werkbunds eine Uumlbereinkunft zwischen den in sozialer und in wirtschaftlicher Hinsicht unterschiedlichen Interessengemeinschaften der Tschechen und Deutschen zu finden Ansaumltze einer Kooperation mit gemeinsamer Interessenvertretung muumlndeten schlieszliglich in eine Konkurrenzsituation von zwei selbststaumlndigen Werkbundvereinen

Die Gruumlndung des SČD war im Zusammenhang mit der Koumllner Werkbundaus-stellung (1914) von dem Architekten Jan Kotěra33 initiiert worden um im Oumlster-reichischen Pavillon den eigenstaumlndigen Auftritt tschechischer Kuumlnstler und ihrer raumgestalterischen Gesamtkunstwerke zu ermoumlglichen In den Leitsaumltzen des SČD standen die Veredelung der kunstgewerblichen und industriellen Produkte unter Beteiligung der Kuumlnste gemaumlszlig einer national charakteristischen Herstel-lungsweise Ein weiteres Ziel war die Erziehung des Publikums Obgleich der Wortlaut eine enge Anlehnung an die Programmatik des Deutschen Werkbundes offenbart bezog sich der SČD namentlich auf den englischen Kunstkritiker und Kulturphilosophen John Ruskin (1819ndash1900) und generell auf die Vorlaumlufer der Kunstgewerbereform in England Mit dieser Ruumlckbesinnung auf die bdquoArts and Craftsldquo-Bewegung wurde die handwerkliche Tradition favorisiert Unter den 25 Gruumlndungsmitgliedern fanden sich im SČD bevorzugt Architekten und Kuumlnstler wie Josef Gočaacuter34 Dušan Jurkovič35 Celda Klouček36 Emil Kraacuteliacutek37 František Kysela38 Otakar Novotnyacute39 Jiřiacute Stibral40 und Joacuteža Uprka41 unter den Unter-nehmern waren der Keramikproduzent Emil Sommerschuh und der Verleger Jan Štenc42 zudem Politiker wie Ferdinand von Lobkowitz43 letzter Vorsitzender der boumlhmischen Regierung Oumlsterreichs und der Oumlkonom Rudolf Hotowetz4445 In der sozialen Zusammensetzung des Vereins blieb die Dominanz der Architekten gegen-uumlber den Unternehmern bestimmend und zwar auch nach dem Ersten Weltkrieg im wiedergegruumlndeten und anfangs deutlich nationalistisch aufgestellten Verein SČSD Der Vorsitzende wurde der Architekt Josef Gočaacuter 1925 gefolgt von dem Architekten und langjaumlhrigen Vereinsvorsitzenden Pavel Janaacutek46 und schlieszliglich von dem Architekten Oldřich Staryacute47 Zum Vorstand gehoumlrte neben Vertretern der Gewerbekammern des Industriellenverbandes und Regierungsmitarbeitern zudem der Kunsthistoriker Vaacuteclav Vileacutem Štech48 vom Schulministerium Im Nationalstaat

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Tschechoslowakei war der SČSD bestens im Netzwerk des staatlichen Kultur-betriebs eingebunden vom Schulministerium wurde seine Zusammenarbeit mit den Kunstgewerbeschulen und Museen gefoumlrdert Nach der Neugruumlndung war das Prager Kunstgewerbemuseum Veranstaltungsort der Vereinsausstellungen49 aber auch auf der Prager Mustermesse hatte der SČSD regelmaumlszligig fuumlr sich und seine Mitglieder geworben50 Dem Verein wurde daruumlber hinaus die Verantwortung fuumlr die Ausrichtung tschechoslowakischer Kunstgewerbeausstellungen uumlbertragen Vereinsorgan war zunaumlchst die avantgardistische Zeitschrift bdquoUměleckyacute měsiacutečniacutekldquo [Kuumlnstlerische Monatsschrift] die 1921 von bdquoVyacutetvarnaacute praacuteceldquo [Gestaltendes Werk] des Verlegers Štenc abgeloumlst jedoch 1925 aus wirtschaftlichen Gruumlnden wieder eingestellt wurde nach regelmaumlszligiger Berichterstattung in bdquoVyacutetvarneacute snahyldquo [Ge-staltende Bemuumlhungen] folgte dann 1931ndash33 nochmals ein eigener Auftritt mit der Vereinszeitschrift bdquoŽijemeldquo [Wir leben] In bdquoŽijemeldquo erschien auch 1931 die uumlberarbeitete Vereinssatzung mit der Verpflichtung zur Unterstuumltzung aller Be-muumlhungen um eine Verbesserung des allgemeinen Lebensstandards51 Damals war ein Anstieg der gesellschaftlichen Mobilisierung auf fast 500 Vereinsmitglieder zu verzeichnen davon waren circa ein Drittel bildende Kuumlnstler und Architekten52 In den weiteren Jahren bis zur Aufloumlsung wurden die Vereinsmitteilungen in ver-schiedenen Architektur- und Kulturzeitschriften veroumlffentlicht

Seit Anfang der 1920er Jahre wurde aber auch an der Konstituierung des WDT als Pendant zum SČSD innerhalb der Tschechoslowakei gearbeitet Die Gruumln-dungsmitglieder versammelten sich am 25 Mai 1925 in LiberecReichenberg dem wirtschaftlichen Zentrum Nordboumlhmens und vormaligen Austragungsort der Deutschboumlhmischen Ausstellung (1906)53 Seit 1922 fand hier die Reichenberger Messe statt Vertreter der in Nordboumlhmen angesiedelten traditionsreichen Gewer-bezweige der Glas- und Tuchherstellung waren mit anderen deutschboumlhmischen schlesischen und maumlhrischen Produzenten bereits Mitglieder im OumlWB gewesen beziehungsweise ihre Produktionszweige hatten zu den Hauptbetaumltigungsgebieten des oumlsterreichischen kk Gewerbefoumlrderungsamtes gezaumlhlt Unter dem Vorsitz des Teppichfabrikanten Willy Ginzkey54 versammelten sich im WDT insgesamt 44 deutsche Einzel- und Mittelspersonen aus Bildung Handel und Gewerbe der Tschechoslowakei (Handels- und Gewerbekammern Gewerbevereine Deutsche Technische Universitaumlten kunstgewerbliche Fachschulen Kunstvereine wie der Metznerbund) Im Arbeitsausschuss waren auch prominente Vertreter der tsche-choslowakischen Denkmalaumlmter wie Karl Kuumlhn55 Rudolf Houmlnigschmid56 und der Architekt und Kunsthistoriker Otto Kletzl57 praumlsent Anlass fuumlr die Gruumlndungs-versammlung gaben die Pariser Ausstellung Arts Deacuteco (1925) und der Wunsch nach einer selbststaumlndigen Exposition der Deutschen im Tschechoslowakischen Pavillon Die Vereinsgruumlndung wurde jedoch erst Anfang des Jahres 1926 durch eine staatliche Genehmigung der Vereinssatzung bestaumltigt Zugleich wurde dem Verein jegliche politische Betaumltigung untersagt58 Publikationsorgan des WDT wurde das von Otto Kletzl herausgegebene bdquoSudetendeutsche Jahrbuchldquo veroumlffentlicht

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mit Unterstuumltzung der sogenannten bdquoSudetendeutschen Schutzverbaumlndeldquo (Bund der Deutschen Deutscher Kulturverband Deutscher Turnverband) in der Tsche-choslowakei Dieser Kontext ist kennzeichnend fuumlr eine Diskursgemeinschaft des WDT die innerhalb der tschechoslowakischen Wirtschaft und Kultur tendenziell die Vorzuumlge der Deutschen im Blick hatte und nur bedingt vom Staat unterstuumltzt wurde

So unterschiedlich die wirtschaftliche und kulturelle beziehungsweise politische Orientierung des SČDSČSD gegenuumlber dem WDT war so verschieden gestaltete sich auch die Entwicklung beider Vereine die innerhalb der gesetzten Rahmen-bedingungen durchaus elitaumlr aufgestellt waren Handwerker oder einfache Arbeiter waren weder im Vereinsvorstand noch im Arbeitsausschuss praumlsent An einem Zusammenschluss des WDT mit dem SČSD zeigte der Staat zwar Interesse weil dies wohl auszliger Kooperation auch Kontrolle bedeutet haumltte Diese Verbindung war jedoch von keinem der Vereine gewollt Es blieb bei einer Konkurrenzsituation zwischen den zwei tschechoslowakischen Werkbundeinrichtungen die jede fuumlr sich mit eigener Werkbundarbeit die Produzenten durch Wettbewerbe zu motivieren und die Konsumenten auf Ausstellungen sowie mit Publikationen zu uumlberzeugen suchte Waumlhrend sich der SČSD zunehmend fuumlr eine tschechoslowakische Massenkultur einsetzte die vom modernen Wohnen ausgehend alle Lebensbereiche einbeziehen und dabei explizit auch die Slowakei integrieren sollte richtete er sich nach den aktuellen Bestrebungen des Deutschen Werkbunds an dessen bdquoBund mit der Zu-kunftldquo der Jahre 1924ndash1928 (Joan Campbell) Die angestrebte Vereinheitlichung der Gesellschaft nach spezifisch buumlrgerlichen Norm- und Wertvorstellungen ge-maumlszlig den Anspruumlchen an Hygiene Gesundheit und Ordnung wandte sich ebenso gegen vermeintliche Niederungen der Wohnverhaumlltnisse sozialer Grundschichten wie gegen einen sogenannten Luxus den bildungsbuumlrgerlichen Idealen zufolge sollte diese Egalisierungsabsicht durch Erziehung an Breitenwirkung gewinnen Damit verbunden war zugleich eine Internationalisierung der Gesellschaft die das gesamte Lebensumfeld betraf59 Anstelle der Foumlrderung von kulturellen Traditionen sowie Eigentuumlmlichkeiten eines populaumlren bdquoLokalkoloritsldquo wurde nunmehr der internationale Standard propagiert Unter der Praumlmisse LichtndashLuftndashSonne galt es allerdings den Forderungen der Hygienebewegung gemaumlszlig den lokalen Verhaumlltnis-sen gerecht zu werden und entsprechende aktuelle Wohnmodelle in landeseigener Produktion von der architektonischen Planung bis zur Einrichtung herzustellen ndash gerade Pavel Janaacutek hatte hier mit seiner Architekturklasse an der Prager staatlichen Kunstgewerbeschule intensiv an Loumlsungen gearbeitet die den lokalen Bedingungen in technischer wie auch materialspezifischer Hinsicht angepasst sein sollten60 Die Etablierung des SČSD als der tschechoslowakischen Kulturorganisation mit offi-ziellem Auftrag einer Auszligendarstellung der tschechoslowakischen Kultur scheiterte zwar an Interessenkonflikten und Finanzierungsfragen zwischen den Ministerien61 dennoch wurde sein Modernisierungsprojekt im Zusammenspiel der Ortsgruppen mit der Kommunalpolitik unter anderem in BratislavaPressburg BrnoBruumlnn oder Hradec KraacuteloveacuteKoumlniggraumltz vorangetrieben62 Parallel zur wirtschaftlichen und

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rechtlichen Sicherstellung der Existenzgrundlage des tschechoslowakischen Kunst-gewerbes beziehungsweise der Kunstindustrie verfolgte der SČSD ebenfalls seine gesellschaftlichen Erziehungsideale in Zusammenhang mit einem umfassenden Bildungsauftrag der Kunstgewerbemuseen und in eigenen Ausstellungsraumlumen auf Wander- und Auslandsausstellungen in Verkaufs- und Beratungsstellen Biblio-theken und Archiven63 Der WDT hingegen geriet als Vertreter von Luxusproduk-tionszweigen und Exportartikeln der Schmuck- und Glasindustrie zunehmend ins Abseits diese Tendenz wurde durch die Weltwirtschaftskrise noch verstaumlrkt Die geplante Gruumlndung einer Ortsgruppe in Bruumlnn haumltte womoumlglich die uumlberregionale Positionierung des WDT weiter staumlrken koumlnnen sie kam allerdings nicht mehr zustande Nach dem Ableben des Vorsitzenden Ginzkey im Jahr 1934 verliert sich die Spur des WDT Damals wurde auch die bdquosudetendeutsche Kulturpolitikldquo im Interesse des Deutschen Reiches neu sortiert Diese kulturpolitische Umbruch-situation hinterlieszlig ebenfalls beim SČSD ihre Spuren Infolge der Besetzung der so bezeichneten sudetendeutschen Gebiete 1939 wurde der nunmehr auf SČD geschrumpfte tschechische Verein in der bdquoZweiten Republikldquo und im bdquoReichspro-tektorat Boumlhmen und Maumlhrenldquo weiterhin geduldet nach dem Zweiten Weltkrieg wird der bis dahin selbststaumlndige Verein im Jahr 1948 aufgeloumlst

Zur AnthologieDie nachfolgende Auswahl an Quellenmaterial (deutschsprachige Texte im ur-spruumlnglichen Wortlaut tschechischsprachige Texte in deutscher Uumlbersetzung Abbildungen vorzugsweise von Gebrauchsdingen aus dem Publikations- und Aus-stellungskontext der Werkbundvereine) dokumentiert den Werdegang des Werk-bundes in den boumlhmischen Laumlndern und bietet eine Grundlage fuumlr die vergleichende Forschung zum Exportmodell DWBOumlWB und den nachfolgenden tschechischen beziehungsweise tschechoslowakischen Werkbundinitiativen Ausgangspunkt ist vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs der OumlWB Bei Max Eisler erscheint die Idee einer gemeinsamen oumlsterreichischen Werkkultur als ein geschlossener Produkti-ons- und Konsumentenzirkel ndash vom Kuumlnstler ausgehend uumlber den Bildungsweg den Erzeuger den Aussteller bis hin zum Haumlndler und Kaumlufer ndash differenziert64 Das Programm des SČD65 und die Buchpublikation des Tschechischen Werkbundes zur Koumllner Ausstellung von 191466 verdeutlichen das Profil des sich separierenden tschechischen Vereins Fuumlr die Entwicklung des Werkbundes in der Zwischen-kriegszeit stehen einerseits das neue Programm des SČSD (1921)67 sowie dessen Uumlberarbeitung in den 1930er Jahren68 und andererseits das Programm des WDT von 192769 Die jeweilige Programmatik beider tschechoslowakischer Werkbund-vereine wird mit entsprechend charakteristischen Bildfolgen illustriert wobei die abschlieszligende Bildfolge der Werbebroschuumlre des SČSD bdquoUumlber das Wohnenldquo70 Aufschluss uumlber seine Neuausrichtung in den 1930er Jahren und somit uumlber die letzte offensive Arbeitsetappe des tschechischen Vereins gibt

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Die vorliegende Publikation ist Ergebnis des Forschungsprojekts bdquoDer Tschecho-slowakische Werkbund und der Werkbund der Deutschen in der Tschechoslowa-keildquo das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft uumlber zwei Jahre groszligzuumlgig gefoumlrdert am Institut fuumlr Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik Fach-gebiet Kunstgeschichte der Technischen Universitaumlt Berlin durchgefuumlhrt wurde Die Realisierung des Projekts war nur moumlglich dank dieser Foumlrderung sowie der tatkraumlftigen Unterstuumltzung des Instituts und insbesondere dank der versierten An-teilnahme von Magdalena Bushart Gestaumlrkt wurde der Forschungsfortgang durch die sachkundige Kooperation mit Vladimiacuter Šlapeta (Technische Universitaumlt BrnoBruumlnn Fakultaumlt Architektur Abteilung Theorie) der Stiftung Bibliothek Werner Oechslin und Renate Flagmeier (Werkbundarchiv ndash Museum der Dinge) sowie das freundliche Entgegenkommen von Anna Kašparovaacute und Jan Mohr (Nordboumlhmisches Gewerbemuseum LiberecReichenberg) Ihnen und den vielen hilfsbereiten Mit-wirkenden bei Recherchen in den Archiven (Bundesarchiv Berlin Werkbundarchiv Berlin Architekturarchiv Nationales Technikmuseum PrahaPrag Nationalarchiv Prag Landesarchiv Reichenberg Archiv des Nordboumlhmischen Gewerbemuseums Reichenberg Landesarchiv Bruumlnn Stadtarchiv Bruumlnn Landesarchiv OpavaTroppau) und den Bibliotheken (Bibliothek Nordboumlhmisches Gewerbemuseum Reichenberg Bibliothek Nationales Technikmuseum Prag Kunstbibliothek Berlin Staatsbibliothek Berlin Staatsbibliothek Prag) bin ich in Dankbarkeit verbunden

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Die Oumlsterreichische Werkkultur

Aus den Statuten des Oumlsterreichischen Werkbundes 71

sect 2 Der Zweck des Vereines ist die Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst Industrie und Handwerk durch Erziehung und Propaganda die Pflege des kunstgemaumlszligen Echten aller Zeiten auf allen Gebieten menschlicher Betaumltigung Hebung des kuumlnstlerischen Geschmackes und Urteiles und Foumlrderung aller gleichen Zielen zugewandten Bestrebungen Dabei soll auf die Pflege und Entwicklung der nationalen Eigenart der kuumlnstlerischen und gewerblichen Produktion besonderes Augenmerk gerichtet werden

sect 4 Dem Verein gehoumlren an 1 Ehrenmitglieder 2 Stifter 3 Ordentliche Mitglieder

sect 7 Ordentliche Mitglieder des Vereines koumlnnen sein Kenner Kuumlnstler Industrielle und Gewerbetreibende

sect 8 Die Aufnahme der Mitglieder erfolgt nur nach vorhergegangener Einladung durch Beschluszlig des Vorstandes und wird durch Eintragung in die Mitgliederliste vollzogen die vom Generalsekretaumlr gefuumlhrt wird Von der Konstituierung des Vereines werden die Mitglieder durch die Proponenten aufgenommen

sect 9 Der jaumlhrliche Beitrag der ordentlichen Mitglieder wird von jedem Mitgliede durch Selbsteinschaumltzung nach dem Maszlige seiner Leistungsfaumlhigkeit festgesetzt betraumlgt fuumlr einzelne Personen mindestens zehn Kronen fuumlr Firmen mindestens fuumlnfzig Kronen

Uumlber das bdquoWerkschaffenldquo gemaumlszlig dem Verstaumlndnis des OumlWB (gegr 1912) unter-richtet 1916 die repraumlsentative Publikation des Wiener Kunsthistorikers und Gruumlndungsmitglieds des OumlWB Max Eisler Es handelt sich dabei um eine mit den Jahrbuumlchern des Deutschen Werkbundes vergleichbare Konsultation des eigenen Standpunktes im aktuellen Kulturdiskurs An den Jahrbuumlchern war auch die Buchge-staltung orientiert72 Der OumlWB identifizierte sich damit in seinem Selbstverstaumlndnis und zugleich in seiner Selbstdarstellung mit dem DWB Diese Uumlbereinstimmung zwischen OumlWB und DWB uumlberrascht kaum hatte doch der Letztere seit seiner Gruumlndung den gesamten deutschen Sprachraum inklusive Oumlsterreich zum eigenen Arbeitsgebiet erklaumlrt73

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Die Oumlsterreichische Werkkultur wird bei Eisler in sechs Kapiteln dargestellt die ein geschlossenes System der Werkerziehung praumlsentieren Der umfassende Anspruch an bdquoWerkkunstldquo als bdquoLebensgestaltungldquo wird eingangs mit dem Ent-wurf fuumlr einen neuen Wiener Stadtbezirk74 von dem Wiener Architekturtheoretiker Stadtplaner und OumlWB Mitglied Otto Wagner demonstriert und zwar im Sinne des ganzheitlichen groszligstaumldtisch gepraumlgten Kulturbegriffs vom Sofakissen bis zum Stadtplan75 beziehungsweise hier von der Stadtplanung bis zur Wohnstaumltte und ihrer Einrichtung bdquoAus allen Schoumlpfungen blickt dieselbe auf den klar erkannten Voraussetzungen bauende rein in ihren Grenzen taumltige Art des Meisters der die Vielheit der Aufgaben durch die Einheit seiner geraden werktuumlchtigen Gesinnung bewaumlltigt und uumlberwindetldquo76

Der Kuumlnstler ndash und namentlich insbesondere der Wiener Architekt und Kunst-gewerbler Begruumlnder der Wiener Werkstaumltte und Mitbegruumlnder des OumlWB Josef Hoffmann ndash wird im ersten Kapitel als der Schoumlpfer der groszligstaumldtischen bdquoWerkformldquo eingefuumlhrt Theoretisch wird diese bdquoWerkformldquo mit Hilfe des Gedankengebaumludes einer bdquoKern-ldquo und bdquoKunstformldquo verdeutlicht zusaumltzlicher Schmuck wird jedoch abgelehnt bdquoDie Fassade ist das Kleid fuumlr das Hausinnere Der Stuckprunk auf einer Zinshausfassade ist wie der Abendflitter eines armseligen Komoumldiantenldquo77 Mit solchen Vorstellungen der Bekleidungstheorie hatte sich kurz zuvor Otto Wagner auseinandergesetzt78

Das zweite Kapitel befasst sich mit dem Bildungsauftrag der bdquoWerkerziehungldquo Der Kuumlnstler avanciert dabei zum Lehrer der nach einem Lehrplan letztlich sein freies Schaffen in den zweckgebundenen Dienst des oumlffentlichen Lehrauftrags stellt79 Verbindliche Praumlmisse der ganzheitlichen bdquoWerkerziehungldquo ist bdquoder Mensch [als] der Maszligstab dieser Dingeldquo des Alltagsgebrauchs Nach dieser Regel in der Architekturtheorie seit Vitruv soll sich auch die Ausbildung zum selbststaumlndigen Werkkuumlnstler richten80 Die kk Kunstgewerbeschule gilt im Zusammenhang mit der Mustersammlung des kk Oumlsterreichischen Museums fuumlr Kunst und Industrie in Wien als vorbildlich fuumlr eine wirksame durchaus zentralistisch beziehungs-weise hierarchisch organisierte Werkerziehung selbststaumlndiger Werkkuumlnstler Die einzelnen kk Fachschulen erfuumlllen hier ihre Aufgabe als Multiplikatoren dieser zentralen Einrichtung Eine weitere Oumlffentlichkeit soll mit Unterrichtsangeboten in Kunst und Technik an den Kunstgewerbeschulen erreicht werden diese Oumlffnung der Bildungseinrichtungen zielt uumlber die kunstgewerblichen Produktionskreise hinaus auf eine Erziehung des konsumierenden Publikums81

Unter den bdquoErzeugernldquo denen sich das dritte Kapitel widmet werden ebenso die selbststaumlndigen Werkkuumlnstler wie alle Handwerker und Heimarbeiter aufgefuumlhrt Als bedeutende Neuerung in dieser Produktion gelten dem OumlWB wie zuvor dem DWB die Industriearbeiter gerade mit ihnen wird die kuumlnftige soziale Aufgabe in Verbindung gebracht Prinzipiell soll die Werkkultur innerhalb der Industrie gestaumlrkt werden wofuumlr exemplarisch die enge Verflechtung des Bildungsauftrags der Fachschulen mit der boumlhmischen Glasproduktion der Massenmoumlbel- sowie der Textil- (Teppich-) und Tapetenproduktion aufgefuumlhrt wird82

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Die Werkkultur braucht allerdings den Konsens in Geschmacksfragen Als entscheidendes Bindeglied einer solchen gegenseitigen Verstaumlndigung zwischen Produktion und Vertrieb wird der Aussteller praumlsentiert (viertes Kapitel) Aufgabe der Ausstellungen ist es demnach fuumlr die Vermittlung gemeinsamer Grundsaumltze innerhalb einer oumlsterreichischen Vielheit von Produzenten und Konsumenten ein-zutreten an dieser wechselseitigen Uumlbereinkunft und ihrer fortlaufenden Pruumlfung beziehungsweise Erneuerung sollen alle teilhaben KuumlnstlerErzeuger ebenso wie HaumlndlerKaumluferBetrachter83 Der oumlsterreichischen Werkkultur und ihrer Durchset-zung ist gemaumlszlig Eislers Darstellung der Kreislauf oumlkonomischer Relationen zwischen Kunst und Kapitalismus aumluszligerst dienlich Die Vielheit des oumlsterreichischen Voumllker-wesens soll dabei auf eine werkgebende Eigenart festgelegt werden die zugleich auf dem gemeinsamen Vorgehen und gezielter Zusammenarbeit der Landesmuseen mit den Kunstgewerbeschulen nach uumlbereinstimmenden Grundsaumltzen beruht84

Zeugnis dieser vereinheitlichenden Bestrebungen einer oumlsterreichischen Ge-schmacksbildung ist sogleich die erste Wanderausstellung des OumlWB bdquoVon neuen Arbeiten des heimischen Kunsthandwerksldquo im Reichenberger Nordboumlhmischen Gewerbemuseum im Juli 1913 gewesen Unter den ausgestellten Objekten im Eigentum des k k Oumlsterreichischen Museums fuumlr Kunst und Industrie in Wien und zwar als Bestandteil seiner bdquoSammlungen eigentuumlmlicher oder musterguumlltiger Arbeiten des modernen Kunstgewerbesldquo85 waren auszliger den Wiener Exponaten auch Ausstellungsstuumlcke zu sehen die an den boumlhmischen k k Fachschulen in Haida Steinschoumlnau und Znaim gefertigt oder im Auftrag von privaten Firmen teilweise in boumlhmischen Produktionsstaumltten hergestellt worden sind etwa die nach Entwuumlrfen der Wiener Kuumlnstler Josef Hoffmann und Oskar Strnad gefertigten Glaumlser der Glas-fabrikaten J amp L Lobmeyr oder von Joh Loumltz86 Dem Prinzip der Arbeitsteilung folgend waren die Heimarbeiter (beispielsweise Aumltzer Kugler Graveure Schleifer) das letzte Glied im Herstellungsprozess87 Allerdings hatte die Werkkultur nach Wiener Vorbild fuumlr die Arbeiter in sozialer Hinsicht kaum Vorteile zu bieten im Unterschied zum entwerfenden Kuumlnstler blieb der Heimarbeiter anonym

In der bdquoKette unmittelbarer Erziehungswirkungldquo nehmen gemaumlszlig Eisler der Haumlndler und der Kaumlufer letztendlich die Schluumlsselstellung ein (fuumlnftes Kapitel) Vom Werkursprung ausgehend an dem KuumlnstlerLehrerErzeuger teilhaben ist mit dem Konsumenten die Zielgruppe der geschmacksbildenden Bemuumlhungen genannt mittels eines geschickten Haumlndlers und seiner Verkaufsstrategie (der Haumlndler als Erzieher88) soll nunmehr das Produkt nach den Gesetzmaumlszligigkeiten des Marktes einen Verkaufserfolg verbuchen und so seinen Zweck als Qualitaumltsware erfuumlllen89

Der Erziehungsanspruch ist somit einer oumlkonomischen Fortschrittsidee ver-pflichtet welche die beabsichtigte Modernisierung der Alltagskultur gaumlnzlich dem Marktprinzip unterwirft beziehungsweise von der Vermarktung getragen wird Anders als die industriell hergestellte Massenware wird innerhalb der bdquogemein-deutschenldquo Werkkunst fuumlr die oumlsterreichische Besonderheit gerade ihr handwerk-licher Charakter beansprucht der dieser einen exklusiven bdquoOriginalwertldquo aufgrund des einmaligen urheberrechtlich zu schuumltzenden Kuumlnstlerentwurfs sichern soll90

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Die Werkbund-Kontroverse zwischen Befuumlrwortern einer Typisierung gegenuumlber den Individualisten auf der Werkbund-Ausstellung in Koumlln 1914 von Frederic J Schwartz primaumlr als ein Konflikt eben um den urheberrechtlichen Schutz des Kuumlnstlers entschluumlsselt duumlrfte eine Voraussetzung dieser Argumentation und Wert-schaumltzung der kuumlnstlerischen Originalitaumlt sein91 gerade im Zusammenhang mit der arbeitsteiligen Produktion spielte der urheberrechtliche Schutz des Kuumlnstlers eine besonders wichtige Rolle Der OumlWB hat damit eigene Konturen auf dem Kunst-markt und bei der Vermarktung von Kultur gewonnen

Die Organisation der oumlsterreichischen Werkkultur wird schlieszliglich anhand der Werkbundarbeit im oumlsterreichischen Pavillon auf derselben Koumllner Werkbundaus-stellung von 1914 verdeutlicht (sechstes Kapitel) Die Erfolgsbilanz der bdquooumlster-reichischen Sonderartldquo als der bdquotreibenden Vielheitldquo92 in der bdquobindenden Einheitldquo wird explizit auch in Verbindung mit dem Beitrag des Tschechischen Werkbundes im Oumlsterreichischen Pavillon herausgestellt er war fester Bestandteil der oumlster-reichischen Exposition und bekraumlftigte deren Sonderstatus mit der dargebotenen sogenannten Handwerkskunst93 Tatsaumlchlich hatte diese wie sich Adolf Loos aus-druumlckte bdquoLuxuskunst fuumlr die oberen Zehntausend der modernen Groszligstadtldquo einige potenzielle Kaumlufer versammeln koumlnnen die Verkaufsverhandlungen wurden jedoch wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges unterbrochen94

Eislers Praumlsentation des OumlWB endet mit einer Auflistung der Mitglieder (ins-gesamt 627) wobei im Arbeitsausschuss unter anderen Vertrauensmaumlnner aus Boumlhmen Maumlhren und Schlesien genannt sind Zu den Mitgliedern zaumlhlt zwar auch die tschechische Kuumlnstlergenossenschaft bdquoArtělldquo jedoch sind des Weiteren fast ausschlieszliglich deutsche Einrichtungen der boumlhmischen Laumlnder vertreten (siebtes Kapitel)

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Max Eisler Die Oumlsterreichische Werkkultur herausgegeben vom Oumlsterreichischen Werkbund OumlWB Wien 1916 S 5ndash54

Der KuumlnstlerWerkkunst ist Lebensgestaltung ausgedruumlckt in Formen die dem Gebrauche oder auch nur dem Auge dienen immer aber jene Befriedigung hervorrufen die eine aufrichtige dem Material und Zwecke klar entsprechende Behandlung mit sich fuumlhrt In der besonderen Art in der der Kuumlnstler diese aller Werkkunst gemeinsame Aufgabe erfuumlllt aumluszligert sich seine Persoumlnlichkeit Doch kann ihr Schaffen der Mitwelt der sie angehoumlrt nicht entraten Sie muszlig ihre Zeit und ihren Lebenskreis taumltigen Anteil nehmen lassen an dem Werke Nur so gibt sie Lebensgestaltung nur so wird Werkkunst zur Werkkultur

Wir koumlnnen ihre Leistung auch nur dann ganz verstehen und nach voller Gebuumlhr wuumlrdigen wenn wir dem lebendigen Austausch zwischen Kuumlnstler und Mitwelt aufmerksam folgen und uns daruumlber klar werden was er ihr was sie ihm gibt Diese Klarheit laumlszligt sich aber wieder nur an dem Werkgange gewinnen Nur wenn wir erfahren haben wie das wird was wir als Fertiges vor uns haben wird unser Urteil daruumlber vernuumlnftig und billig unser Genuszlig begruumlndet sein Wenn wir dann von einem Werke sagen bdquoDas ist gutldquo oder bdquoDas ist schoumlnldquo so wird Sinn in diesen Worten liegen und wir werden was unserem Geschmacke ungelegen kommt nicht ohneweiters verwerfen weil unser Urteil dann nicht mehr vom gefaumllligen Eindruck aufs Auge abhaumlngt sondern auf allseitiges Ver-stehen zuruumlckgehtEs wird darum der Sache und dem Leser gleich foumlrderlich sein wenn wir ver-suchen in das Werkschaffen einigermaszligen einzufuumlhren ehe wir sein Ergebnis eingehender betrachten

Wir stellen den Kuumlnstler voranDie umfassendste gelaumlufige Werkform auf die sich das Schaffen eines Kuumlnst-

lers aus der Mitte unseres Bundes gegenwaumlrtig richtet ist das wohlversehene Haus ndash nicht das auszligergewoumlhnliche der Festbau sondern das Wohnhaus ndash und hier wieder nicht das eines besonderen kleinen Geschaumlftskreises sondern das des werktaumltigen Buumlrgerstandes allerdings eines groszligstaumldtisch kultivierten vor allem des Wieners Der umfassendste durchschnittliche Zweck in dem diese Arbeit zu ihrem reinsten Ausdruck kommt ist also die Wohnstaumltte fuumlr vorgeschrittene und zeitgemaumlszlige wirkende Stadtmenschen Im Rahmen dieser Aufgabe decken sich Art und Beduumlrfnis des auftraggebenden Bauherrn am meis-ten mit der Gesinnung des ausfuumlhrenden Kuumlnstlers und auf diese weitgehende Annaumlherung beider beruht ersten Grundes die lebendige Vollkommenheit des Werkes

Nun steht ein Groszligstadthaus niemals fuumlr sich hat Nachbarn und Gegenuumlber muszlig auf sie die Ruumlcksicht nehmen die das Glied dem Koumlrper schuldet und mit den Kameraden von nebenan und druumlben darnach sehen wie der umbaute

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Freiraum zu seiner kuumlnstlerischen Erscheinung kommt Denn davon haumlngt alles andere ab Das beste und schoumlnste Haus wird verkuumlmmert oder aufdringlich jedenfalls am unrechten Platze erscheinen wenn es sich nicht in einen uumlber-einkommenden Raumplan einfuumlgt und einem vollkommenen Freiraume kann auch ein belangloses Einzelstuumlck nicht gar erheblich schaden Es gilt darum fuumlrs erste den Grundriszlig des Auszligenraumes festzulegen und seine Bauwaumlnde in ein wohlgemessenes Verhaumlltnis zu bringen Das war und ist Raumkunst in ihrem urspruumlnglichsten und aumluszligersten Sinne

Aber wie die Dinge heute liegen bleibt dieser Anfang alles Werkschaffens im Bauen meist ein frommer Wunsch Wir sind fast in allen Gebieten des Lebens zumal in der stadtbildlichen Arbeit nicht freie Begruumlnder sondern Erben und Fortsetzer der Kultur Da ist es schon eine hohe Tugend sie nach jeder Tunlich-keit vorwaumlrtszubringen in den Grenzen des Moumlglichen der Zeit zu geben was ihres Geistes und Koumlnnens ist

Erstes naumlchstgelegenes Ziel dieses Teils der Werkkunst ist die Groszligstadt denn die Groszligstadt ist die modernste Form des menschlichen Zusammenle-bens und die Aufgaben die sie stellt sind vom gegenwaumlrtigen Geiste erfuumlllt Aber im Bereiche eines altstaumldtischen Wesens wie etwa Wiens begegnet jedes umfassende Beginnen gerade den staumlrksten Hemmungen Im innerstaumldtischen Kreise verlangt der uumlberkommene Freiraum sein Recht wo er mit neuen An-lagen durchbrochen wird herrscht der Raster der behoumlrdlichen Bauvorschrift fuumlhren Verkehr und Hygiene ihre wohlgemeinte ausschlieszligliche Sprache zieht sich die Kunst auf die eintoumlnige Handhabung von Reiszligbrett und Lineal zuruumlck Selten nur wird ihrer freieren Uumlbung hier Gelegenheit geboten einem ganzen Stadtteil von Grund auf sein Gepraumlge zu geben dh dem Zuge der Straszligen der Umriszliglinie der Plaumltze dem Grundriszlig eines ganzen Viertels die Richtung zu weisen also stadtbildlich im durchgreifendsten Sinne zu wirken Bei solchem Zustande stehen ihrer vollen freien Entfaltung nur die aumluszligeren unverbauten Bezirke offen Hier kann sie ganze Arbeit leisten Und sie wird das im Sinne der Werkkunst wenn sie zunaumlchst das Wegnetz nach den oumlrtlich bedingten Erfordernissen richtet das Neuviertel mit offenen Straumlngen an den Altkern bindet dort klar und entschlossen zwischen Haupt- und Nebenstraszligen Wohn- Wirtschafts- und Festwegen zwischen Monumental- Verkehrs- und Erholungs-plaumltzen scheidet dh allen Anspruumlchen groszligstaumldtischer Vernunft genuumlgt Der Kunst geschieht dabei schon genug wenn nur der Grundriszlig ndash einerlei wie er verlaumluft ndash den Zweck des Ganzen in seiner Einheit der Teile in ihrer Besonderheit sinnfaumlllig fuumlr jedermann einleuchtend erkennen laumlszligt und dazu den kuumlnftigen Baumeistern die Grundmoumlglichkeit schafft nicht Wand gegen Wand sondern Baukoumlrper gegen Koumlrper zu setzen und aus beiden klargemessenen wohlbe-wegten Auszligenraum zu bilden

Naumlher dem alten Siedlungskerne bleibt nur die Auseinandersetzung mit dem Uumlberlieferten Hier gilt es Zeitverstand handelnd beweisen dh verstehen der Zeit von damals und heute Bloszliges Konservieren waumlre Gedankenfaulheit und

Page 11: DER TSCHECHOSLOWAKISCHE WERKBUND UND DER WERKBUND … · 2018-10-04 · Vorwort Der Deutsche Werkbund Der Architekt und preußische Staatsbeamte Hermann Muthesius hat 1907 das Ziel

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Tschechoslowakei war der SČSD bestens im Netzwerk des staatlichen Kultur-betriebs eingebunden vom Schulministerium wurde seine Zusammenarbeit mit den Kunstgewerbeschulen und Museen gefoumlrdert Nach der Neugruumlndung war das Prager Kunstgewerbemuseum Veranstaltungsort der Vereinsausstellungen49 aber auch auf der Prager Mustermesse hatte der SČSD regelmaumlszligig fuumlr sich und seine Mitglieder geworben50 Dem Verein wurde daruumlber hinaus die Verantwortung fuumlr die Ausrichtung tschechoslowakischer Kunstgewerbeausstellungen uumlbertragen Vereinsorgan war zunaumlchst die avantgardistische Zeitschrift bdquoUměleckyacute měsiacutečniacutekldquo [Kuumlnstlerische Monatsschrift] die 1921 von bdquoVyacutetvarnaacute praacuteceldquo [Gestaltendes Werk] des Verlegers Štenc abgeloumlst jedoch 1925 aus wirtschaftlichen Gruumlnden wieder eingestellt wurde nach regelmaumlszligiger Berichterstattung in bdquoVyacutetvarneacute snahyldquo [Ge-staltende Bemuumlhungen] folgte dann 1931ndash33 nochmals ein eigener Auftritt mit der Vereinszeitschrift bdquoŽijemeldquo [Wir leben] In bdquoŽijemeldquo erschien auch 1931 die uumlberarbeitete Vereinssatzung mit der Verpflichtung zur Unterstuumltzung aller Be-muumlhungen um eine Verbesserung des allgemeinen Lebensstandards51 Damals war ein Anstieg der gesellschaftlichen Mobilisierung auf fast 500 Vereinsmitglieder zu verzeichnen davon waren circa ein Drittel bildende Kuumlnstler und Architekten52 In den weiteren Jahren bis zur Aufloumlsung wurden die Vereinsmitteilungen in ver-schiedenen Architektur- und Kulturzeitschriften veroumlffentlicht

Seit Anfang der 1920er Jahre wurde aber auch an der Konstituierung des WDT als Pendant zum SČSD innerhalb der Tschechoslowakei gearbeitet Die Gruumln-dungsmitglieder versammelten sich am 25 Mai 1925 in LiberecReichenberg dem wirtschaftlichen Zentrum Nordboumlhmens und vormaligen Austragungsort der Deutschboumlhmischen Ausstellung (1906)53 Seit 1922 fand hier die Reichenberger Messe statt Vertreter der in Nordboumlhmen angesiedelten traditionsreichen Gewer-bezweige der Glas- und Tuchherstellung waren mit anderen deutschboumlhmischen schlesischen und maumlhrischen Produzenten bereits Mitglieder im OumlWB gewesen beziehungsweise ihre Produktionszweige hatten zu den Hauptbetaumltigungsgebieten des oumlsterreichischen kk Gewerbefoumlrderungsamtes gezaumlhlt Unter dem Vorsitz des Teppichfabrikanten Willy Ginzkey54 versammelten sich im WDT insgesamt 44 deutsche Einzel- und Mittelspersonen aus Bildung Handel und Gewerbe der Tschechoslowakei (Handels- und Gewerbekammern Gewerbevereine Deutsche Technische Universitaumlten kunstgewerbliche Fachschulen Kunstvereine wie der Metznerbund) Im Arbeitsausschuss waren auch prominente Vertreter der tsche-choslowakischen Denkmalaumlmter wie Karl Kuumlhn55 Rudolf Houmlnigschmid56 und der Architekt und Kunsthistoriker Otto Kletzl57 praumlsent Anlass fuumlr die Gruumlndungs-versammlung gaben die Pariser Ausstellung Arts Deacuteco (1925) und der Wunsch nach einer selbststaumlndigen Exposition der Deutschen im Tschechoslowakischen Pavillon Die Vereinsgruumlndung wurde jedoch erst Anfang des Jahres 1926 durch eine staatliche Genehmigung der Vereinssatzung bestaumltigt Zugleich wurde dem Verein jegliche politische Betaumltigung untersagt58 Publikationsorgan des WDT wurde das von Otto Kletzl herausgegebene bdquoSudetendeutsche Jahrbuchldquo veroumlffentlicht

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mit Unterstuumltzung der sogenannten bdquoSudetendeutschen Schutzverbaumlndeldquo (Bund der Deutschen Deutscher Kulturverband Deutscher Turnverband) in der Tsche-choslowakei Dieser Kontext ist kennzeichnend fuumlr eine Diskursgemeinschaft des WDT die innerhalb der tschechoslowakischen Wirtschaft und Kultur tendenziell die Vorzuumlge der Deutschen im Blick hatte und nur bedingt vom Staat unterstuumltzt wurde

So unterschiedlich die wirtschaftliche und kulturelle beziehungsweise politische Orientierung des SČDSČSD gegenuumlber dem WDT war so verschieden gestaltete sich auch die Entwicklung beider Vereine die innerhalb der gesetzten Rahmen-bedingungen durchaus elitaumlr aufgestellt waren Handwerker oder einfache Arbeiter waren weder im Vereinsvorstand noch im Arbeitsausschuss praumlsent An einem Zusammenschluss des WDT mit dem SČSD zeigte der Staat zwar Interesse weil dies wohl auszliger Kooperation auch Kontrolle bedeutet haumltte Diese Verbindung war jedoch von keinem der Vereine gewollt Es blieb bei einer Konkurrenzsituation zwischen den zwei tschechoslowakischen Werkbundeinrichtungen die jede fuumlr sich mit eigener Werkbundarbeit die Produzenten durch Wettbewerbe zu motivieren und die Konsumenten auf Ausstellungen sowie mit Publikationen zu uumlberzeugen suchte Waumlhrend sich der SČSD zunehmend fuumlr eine tschechoslowakische Massenkultur einsetzte die vom modernen Wohnen ausgehend alle Lebensbereiche einbeziehen und dabei explizit auch die Slowakei integrieren sollte richtete er sich nach den aktuellen Bestrebungen des Deutschen Werkbunds an dessen bdquoBund mit der Zu-kunftldquo der Jahre 1924ndash1928 (Joan Campbell) Die angestrebte Vereinheitlichung der Gesellschaft nach spezifisch buumlrgerlichen Norm- und Wertvorstellungen ge-maumlszlig den Anspruumlchen an Hygiene Gesundheit und Ordnung wandte sich ebenso gegen vermeintliche Niederungen der Wohnverhaumlltnisse sozialer Grundschichten wie gegen einen sogenannten Luxus den bildungsbuumlrgerlichen Idealen zufolge sollte diese Egalisierungsabsicht durch Erziehung an Breitenwirkung gewinnen Damit verbunden war zugleich eine Internationalisierung der Gesellschaft die das gesamte Lebensumfeld betraf59 Anstelle der Foumlrderung von kulturellen Traditionen sowie Eigentuumlmlichkeiten eines populaumlren bdquoLokalkoloritsldquo wurde nunmehr der internationale Standard propagiert Unter der Praumlmisse LichtndashLuftndashSonne galt es allerdings den Forderungen der Hygienebewegung gemaumlszlig den lokalen Verhaumlltnis-sen gerecht zu werden und entsprechende aktuelle Wohnmodelle in landeseigener Produktion von der architektonischen Planung bis zur Einrichtung herzustellen ndash gerade Pavel Janaacutek hatte hier mit seiner Architekturklasse an der Prager staatlichen Kunstgewerbeschule intensiv an Loumlsungen gearbeitet die den lokalen Bedingungen in technischer wie auch materialspezifischer Hinsicht angepasst sein sollten60 Die Etablierung des SČSD als der tschechoslowakischen Kulturorganisation mit offi-ziellem Auftrag einer Auszligendarstellung der tschechoslowakischen Kultur scheiterte zwar an Interessenkonflikten und Finanzierungsfragen zwischen den Ministerien61 dennoch wurde sein Modernisierungsprojekt im Zusammenspiel der Ortsgruppen mit der Kommunalpolitik unter anderem in BratislavaPressburg BrnoBruumlnn oder Hradec KraacuteloveacuteKoumlniggraumltz vorangetrieben62 Parallel zur wirtschaftlichen und

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rechtlichen Sicherstellung der Existenzgrundlage des tschechoslowakischen Kunst-gewerbes beziehungsweise der Kunstindustrie verfolgte der SČSD ebenfalls seine gesellschaftlichen Erziehungsideale in Zusammenhang mit einem umfassenden Bildungsauftrag der Kunstgewerbemuseen und in eigenen Ausstellungsraumlumen auf Wander- und Auslandsausstellungen in Verkaufs- und Beratungsstellen Biblio-theken und Archiven63 Der WDT hingegen geriet als Vertreter von Luxusproduk-tionszweigen und Exportartikeln der Schmuck- und Glasindustrie zunehmend ins Abseits diese Tendenz wurde durch die Weltwirtschaftskrise noch verstaumlrkt Die geplante Gruumlndung einer Ortsgruppe in Bruumlnn haumltte womoumlglich die uumlberregionale Positionierung des WDT weiter staumlrken koumlnnen sie kam allerdings nicht mehr zustande Nach dem Ableben des Vorsitzenden Ginzkey im Jahr 1934 verliert sich die Spur des WDT Damals wurde auch die bdquosudetendeutsche Kulturpolitikldquo im Interesse des Deutschen Reiches neu sortiert Diese kulturpolitische Umbruch-situation hinterlieszlig ebenfalls beim SČSD ihre Spuren Infolge der Besetzung der so bezeichneten sudetendeutschen Gebiete 1939 wurde der nunmehr auf SČD geschrumpfte tschechische Verein in der bdquoZweiten Republikldquo und im bdquoReichspro-tektorat Boumlhmen und Maumlhrenldquo weiterhin geduldet nach dem Zweiten Weltkrieg wird der bis dahin selbststaumlndige Verein im Jahr 1948 aufgeloumlst

Zur AnthologieDie nachfolgende Auswahl an Quellenmaterial (deutschsprachige Texte im ur-spruumlnglichen Wortlaut tschechischsprachige Texte in deutscher Uumlbersetzung Abbildungen vorzugsweise von Gebrauchsdingen aus dem Publikations- und Aus-stellungskontext der Werkbundvereine) dokumentiert den Werdegang des Werk-bundes in den boumlhmischen Laumlndern und bietet eine Grundlage fuumlr die vergleichende Forschung zum Exportmodell DWBOumlWB und den nachfolgenden tschechischen beziehungsweise tschechoslowakischen Werkbundinitiativen Ausgangspunkt ist vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs der OumlWB Bei Max Eisler erscheint die Idee einer gemeinsamen oumlsterreichischen Werkkultur als ein geschlossener Produkti-ons- und Konsumentenzirkel ndash vom Kuumlnstler ausgehend uumlber den Bildungsweg den Erzeuger den Aussteller bis hin zum Haumlndler und Kaumlufer ndash differenziert64 Das Programm des SČD65 und die Buchpublikation des Tschechischen Werkbundes zur Koumllner Ausstellung von 191466 verdeutlichen das Profil des sich separierenden tschechischen Vereins Fuumlr die Entwicklung des Werkbundes in der Zwischen-kriegszeit stehen einerseits das neue Programm des SČSD (1921)67 sowie dessen Uumlberarbeitung in den 1930er Jahren68 und andererseits das Programm des WDT von 192769 Die jeweilige Programmatik beider tschechoslowakischer Werkbund-vereine wird mit entsprechend charakteristischen Bildfolgen illustriert wobei die abschlieszligende Bildfolge der Werbebroschuumlre des SČSD bdquoUumlber das Wohnenldquo70 Aufschluss uumlber seine Neuausrichtung in den 1930er Jahren und somit uumlber die letzte offensive Arbeitsetappe des tschechischen Vereins gibt

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Die vorliegende Publikation ist Ergebnis des Forschungsprojekts bdquoDer Tschecho-slowakische Werkbund und der Werkbund der Deutschen in der Tschechoslowa-keildquo das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft uumlber zwei Jahre groszligzuumlgig gefoumlrdert am Institut fuumlr Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik Fach-gebiet Kunstgeschichte der Technischen Universitaumlt Berlin durchgefuumlhrt wurde Die Realisierung des Projekts war nur moumlglich dank dieser Foumlrderung sowie der tatkraumlftigen Unterstuumltzung des Instituts und insbesondere dank der versierten An-teilnahme von Magdalena Bushart Gestaumlrkt wurde der Forschungsfortgang durch die sachkundige Kooperation mit Vladimiacuter Šlapeta (Technische Universitaumlt BrnoBruumlnn Fakultaumlt Architektur Abteilung Theorie) der Stiftung Bibliothek Werner Oechslin und Renate Flagmeier (Werkbundarchiv ndash Museum der Dinge) sowie das freundliche Entgegenkommen von Anna Kašparovaacute und Jan Mohr (Nordboumlhmisches Gewerbemuseum LiberecReichenberg) Ihnen und den vielen hilfsbereiten Mit-wirkenden bei Recherchen in den Archiven (Bundesarchiv Berlin Werkbundarchiv Berlin Architekturarchiv Nationales Technikmuseum PrahaPrag Nationalarchiv Prag Landesarchiv Reichenberg Archiv des Nordboumlhmischen Gewerbemuseums Reichenberg Landesarchiv Bruumlnn Stadtarchiv Bruumlnn Landesarchiv OpavaTroppau) und den Bibliotheken (Bibliothek Nordboumlhmisches Gewerbemuseum Reichenberg Bibliothek Nationales Technikmuseum Prag Kunstbibliothek Berlin Staatsbibliothek Berlin Staatsbibliothek Prag) bin ich in Dankbarkeit verbunden

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Die Oumlsterreichische Werkkultur

Aus den Statuten des Oumlsterreichischen Werkbundes 71

sect 2 Der Zweck des Vereines ist die Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst Industrie und Handwerk durch Erziehung und Propaganda die Pflege des kunstgemaumlszligen Echten aller Zeiten auf allen Gebieten menschlicher Betaumltigung Hebung des kuumlnstlerischen Geschmackes und Urteiles und Foumlrderung aller gleichen Zielen zugewandten Bestrebungen Dabei soll auf die Pflege und Entwicklung der nationalen Eigenart der kuumlnstlerischen und gewerblichen Produktion besonderes Augenmerk gerichtet werden

sect 4 Dem Verein gehoumlren an 1 Ehrenmitglieder 2 Stifter 3 Ordentliche Mitglieder

sect 7 Ordentliche Mitglieder des Vereines koumlnnen sein Kenner Kuumlnstler Industrielle und Gewerbetreibende

sect 8 Die Aufnahme der Mitglieder erfolgt nur nach vorhergegangener Einladung durch Beschluszlig des Vorstandes und wird durch Eintragung in die Mitgliederliste vollzogen die vom Generalsekretaumlr gefuumlhrt wird Von der Konstituierung des Vereines werden die Mitglieder durch die Proponenten aufgenommen

sect 9 Der jaumlhrliche Beitrag der ordentlichen Mitglieder wird von jedem Mitgliede durch Selbsteinschaumltzung nach dem Maszlige seiner Leistungsfaumlhigkeit festgesetzt betraumlgt fuumlr einzelne Personen mindestens zehn Kronen fuumlr Firmen mindestens fuumlnfzig Kronen

Uumlber das bdquoWerkschaffenldquo gemaumlszlig dem Verstaumlndnis des OumlWB (gegr 1912) unter-richtet 1916 die repraumlsentative Publikation des Wiener Kunsthistorikers und Gruumlndungsmitglieds des OumlWB Max Eisler Es handelt sich dabei um eine mit den Jahrbuumlchern des Deutschen Werkbundes vergleichbare Konsultation des eigenen Standpunktes im aktuellen Kulturdiskurs An den Jahrbuumlchern war auch die Buchge-staltung orientiert72 Der OumlWB identifizierte sich damit in seinem Selbstverstaumlndnis und zugleich in seiner Selbstdarstellung mit dem DWB Diese Uumlbereinstimmung zwischen OumlWB und DWB uumlberrascht kaum hatte doch der Letztere seit seiner Gruumlndung den gesamten deutschen Sprachraum inklusive Oumlsterreich zum eigenen Arbeitsgebiet erklaumlrt73

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Die Oumlsterreichische Werkkultur wird bei Eisler in sechs Kapiteln dargestellt die ein geschlossenes System der Werkerziehung praumlsentieren Der umfassende Anspruch an bdquoWerkkunstldquo als bdquoLebensgestaltungldquo wird eingangs mit dem Ent-wurf fuumlr einen neuen Wiener Stadtbezirk74 von dem Wiener Architekturtheoretiker Stadtplaner und OumlWB Mitglied Otto Wagner demonstriert und zwar im Sinne des ganzheitlichen groszligstaumldtisch gepraumlgten Kulturbegriffs vom Sofakissen bis zum Stadtplan75 beziehungsweise hier von der Stadtplanung bis zur Wohnstaumltte und ihrer Einrichtung bdquoAus allen Schoumlpfungen blickt dieselbe auf den klar erkannten Voraussetzungen bauende rein in ihren Grenzen taumltige Art des Meisters der die Vielheit der Aufgaben durch die Einheit seiner geraden werktuumlchtigen Gesinnung bewaumlltigt und uumlberwindetldquo76

Der Kuumlnstler ndash und namentlich insbesondere der Wiener Architekt und Kunst-gewerbler Begruumlnder der Wiener Werkstaumltte und Mitbegruumlnder des OumlWB Josef Hoffmann ndash wird im ersten Kapitel als der Schoumlpfer der groszligstaumldtischen bdquoWerkformldquo eingefuumlhrt Theoretisch wird diese bdquoWerkformldquo mit Hilfe des Gedankengebaumludes einer bdquoKern-ldquo und bdquoKunstformldquo verdeutlicht zusaumltzlicher Schmuck wird jedoch abgelehnt bdquoDie Fassade ist das Kleid fuumlr das Hausinnere Der Stuckprunk auf einer Zinshausfassade ist wie der Abendflitter eines armseligen Komoumldiantenldquo77 Mit solchen Vorstellungen der Bekleidungstheorie hatte sich kurz zuvor Otto Wagner auseinandergesetzt78

Das zweite Kapitel befasst sich mit dem Bildungsauftrag der bdquoWerkerziehungldquo Der Kuumlnstler avanciert dabei zum Lehrer der nach einem Lehrplan letztlich sein freies Schaffen in den zweckgebundenen Dienst des oumlffentlichen Lehrauftrags stellt79 Verbindliche Praumlmisse der ganzheitlichen bdquoWerkerziehungldquo ist bdquoder Mensch [als] der Maszligstab dieser Dingeldquo des Alltagsgebrauchs Nach dieser Regel in der Architekturtheorie seit Vitruv soll sich auch die Ausbildung zum selbststaumlndigen Werkkuumlnstler richten80 Die kk Kunstgewerbeschule gilt im Zusammenhang mit der Mustersammlung des kk Oumlsterreichischen Museums fuumlr Kunst und Industrie in Wien als vorbildlich fuumlr eine wirksame durchaus zentralistisch beziehungs-weise hierarchisch organisierte Werkerziehung selbststaumlndiger Werkkuumlnstler Die einzelnen kk Fachschulen erfuumlllen hier ihre Aufgabe als Multiplikatoren dieser zentralen Einrichtung Eine weitere Oumlffentlichkeit soll mit Unterrichtsangeboten in Kunst und Technik an den Kunstgewerbeschulen erreicht werden diese Oumlffnung der Bildungseinrichtungen zielt uumlber die kunstgewerblichen Produktionskreise hinaus auf eine Erziehung des konsumierenden Publikums81

Unter den bdquoErzeugernldquo denen sich das dritte Kapitel widmet werden ebenso die selbststaumlndigen Werkkuumlnstler wie alle Handwerker und Heimarbeiter aufgefuumlhrt Als bedeutende Neuerung in dieser Produktion gelten dem OumlWB wie zuvor dem DWB die Industriearbeiter gerade mit ihnen wird die kuumlnftige soziale Aufgabe in Verbindung gebracht Prinzipiell soll die Werkkultur innerhalb der Industrie gestaumlrkt werden wofuumlr exemplarisch die enge Verflechtung des Bildungsauftrags der Fachschulen mit der boumlhmischen Glasproduktion der Massenmoumlbel- sowie der Textil- (Teppich-) und Tapetenproduktion aufgefuumlhrt wird82

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Die Werkkultur braucht allerdings den Konsens in Geschmacksfragen Als entscheidendes Bindeglied einer solchen gegenseitigen Verstaumlndigung zwischen Produktion und Vertrieb wird der Aussteller praumlsentiert (viertes Kapitel) Aufgabe der Ausstellungen ist es demnach fuumlr die Vermittlung gemeinsamer Grundsaumltze innerhalb einer oumlsterreichischen Vielheit von Produzenten und Konsumenten ein-zutreten an dieser wechselseitigen Uumlbereinkunft und ihrer fortlaufenden Pruumlfung beziehungsweise Erneuerung sollen alle teilhaben KuumlnstlerErzeuger ebenso wie HaumlndlerKaumluferBetrachter83 Der oumlsterreichischen Werkkultur und ihrer Durchset-zung ist gemaumlszlig Eislers Darstellung der Kreislauf oumlkonomischer Relationen zwischen Kunst und Kapitalismus aumluszligerst dienlich Die Vielheit des oumlsterreichischen Voumllker-wesens soll dabei auf eine werkgebende Eigenart festgelegt werden die zugleich auf dem gemeinsamen Vorgehen und gezielter Zusammenarbeit der Landesmuseen mit den Kunstgewerbeschulen nach uumlbereinstimmenden Grundsaumltzen beruht84

Zeugnis dieser vereinheitlichenden Bestrebungen einer oumlsterreichischen Ge-schmacksbildung ist sogleich die erste Wanderausstellung des OumlWB bdquoVon neuen Arbeiten des heimischen Kunsthandwerksldquo im Reichenberger Nordboumlhmischen Gewerbemuseum im Juli 1913 gewesen Unter den ausgestellten Objekten im Eigentum des k k Oumlsterreichischen Museums fuumlr Kunst und Industrie in Wien und zwar als Bestandteil seiner bdquoSammlungen eigentuumlmlicher oder musterguumlltiger Arbeiten des modernen Kunstgewerbesldquo85 waren auszliger den Wiener Exponaten auch Ausstellungsstuumlcke zu sehen die an den boumlhmischen k k Fachschulen in Haida Steinschoumlnau und Znaim gefertigt oder im Auftrag von privaten Firmen teilweise in boumlhmischen Produktionsstaumltten hergestellt worden sind etwa die nach Entwuumlrfen der Wiener Kuumlnstler Josef Hoffmann und Oskar Strnad gefertigten Glaumlser der Glas-fabrikaten J amp L Lobmeyr oder von Joh Loumltz86 Dem Prinzip der Arbeitsteilung folgend waren die Heimarbeiter (beispielsweise Aumltzer Kugler Graveure Schleifer) das letzte Glied im Herstellungsprozess87 Allerdings hatte die Werkkultur nach Wiener Vorbild fuumlr die Arbeiter in sozialer Hinsicht kaum Vorteile zu bieten im Unterschied zum entwerfenden Kuumlnstler blieb der Heimarbeiter anonym

In der bdquoKette unmittelbarer Erziehungswirkungldquo nehmen gemaumlszlig Eisler der Haumlndler und der Kaumlufer letztendlich die Schluumlsselstellung ein (fuumlnftes Kapitel) Vom Werkursprung ausgehend an dem KuumlnstlerLehrerErzeuger teilhaben ist mit dem Konsumenten die Zielgruppe der geschmacksbildenden Bemuumlhungen genannt mittels eines geschickten Haumlndlers und seiner Verkaufsstrategie (der Haumlndler als Erzieher88) soll nunmehr das Produkt nach den Gesetzmaumlszligigkeiten des Marktes einen Verkaufserfolg verbuchen und so seinen Zweck als Qualitaumltsware erfuumlllen89

Der Erziehungsanspruch ist somit einer oumlkonomischen Fortschrittsidee ver-pflichtet welche die beabsichtigte Modernisierung der Alltagskultur gaumlnzlich dem Marktprinzip unterwirft beziehungsweise von der Vermarktung getragen wird Anders als die industriell hergestellte Massenware wird innerhalb der bdquogemein-deutschenldquo Werkkunst fuumlr die oumlsterreichische Besonderheit gerade ihr handwerk-licher Charakter beansprucht der dieser einen exklusiven bdquoOriginalwertldquo aufgrund des einmaligen urheberrechtlich zu schuumltzenden Kuumlnstlerentwurfs sichern soll90

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Die Werkbund-Kontroverse zwischen Befuumlrwortern einer Typisierung gegenuumlber den Individualisten auf der Werkbund-Ausstellung in Koumlln 1914 von Frederic J Schwartz primaumlr als ein Konflikt eben um den urheberrechtlichen Schutz des Kuumlnstlers entschluumlsselt duumlrfte eine Voraussetzung dieser Argumentation und Wert-schaumltzung der kuumlnstlerischen Originalitaumlt sein91 gerade im Zusammenhang mit der arbeitsteiligen Produktion spielte der urheberrechtliche Schutz des Kuumlnstlers eine besonders wichtige Rolle Der OumlWB hat damit eigene Konturen auf dem Kunst-markt und bei der Vermarktung von Kultur gewonnen

Die Organisation der oumlsterreichischen Werkkultur wird schlieszliglich anhand der Werkbundarbeit im oumlsterreichischen Pavillon auf derselben Koumllner Werkbundaus-stellung von 1914 verdeutlicht (sechstes Kapitel) Die Erfolgsbilanz der bdquooumlster-reichischen Sonderartldquo als der bdquotreibenden Vielheitldquo92 in der bdquobindenden Einheitldquo wird explizit auch in Verbindung mit dem Beitrag des Tschechischen Werkbundes im Oumlsterreichischen Pavillon herausgestellt er war fester Bestandteil der oumlster-reichischen Exposition und bekraumlftigte deren Sonderstatus mit der dargebotenen sogenannten Handwerkskunst93 Tatsaumlchlich hatte diese wie sich Adolf Loos aus-druumlckte bdquoLuxuskunst fuumlr die oberen Zehntausend der modernen Groszligstadtldquo einige potenzielle Kaumlufer versammeln koumlnnen die Verkaufsverhandlungen wurden jedoch wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges unterbrochen94

Eislers Praumlsentation des OumlWB endet mit einer Auflistung der Mitglieder (ins-gesamt 627) wobei im Arbeitsausschuss unter anderen Vertrauensmaumlnner aus Boumlhmen Maumlhren und Schlesien genannt sind Zu den Mitgliedern zaumlhlt zwar auch die tschechische Kuumlnstlergenossenschaft bdquoArtělldquo jedoch sind des Weiteren fast ausschlieszliglich deutsche Einrichtungen der boumlhmischen Laumlnder vertreten (siebtes Kapitel)

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Max Eisler Die Oumlsterreichische Werkkultur herausgegeben vom Oumlsterreichischen Werkbund OumlWB Wien 1916 S 5ndash54

Der KuumlnstlerWerkkunst ist Lebensgestaltung ausgedruumlckt in Formen die dem Gebrauche oder auch nur dem Auge dienen immer aber jene Befriedigung hervorrufen die eine aufrichtige dem Material und Zwecke klar entsprechende Behandlung mit sich fuumlhrt In der besonderen Art in der der Kuumlnstler diese aller Werkkunst gemeinsame Aufgabe erfuumlllt aumluszligert sich seine Persoumlnlichkeit Doch kann ihr Schaffen der Mitwelt der sie angehoumlrt nicht entraten Sie muszlig ihre Zeit und ihren Lebenskreis taumltigen Anteil nehmen lassen an dem Werke Nur so gibt sie Lebensgestaltung nur so wird Werkkunst zur Werkkultur

Wir koumlnnen ihre Leistung auch nur dann ganz verstehen und nach voller Gebuumlhr wuumlrdigen wenn wir dem lebendigen Austausch zwischen Kuumlnstler und Mitwelt aufmerksam folgen und uns daruumlber klar werden was er ihr was sie ihm gibt Diese Klarheit laumlszligt sich aber wieder nur an dem Werkgange gewinnen Nur wenn wir erfahren haben wie das wird was wir als Fertiges vor uns haben wird unser Urteil daruumlber vernuumlnftig und billig unser Genuszlig begruumlndet sein Wenn wir dann von einem Werke sagen bdquoDas ist gutldquo oder bdquoDas ist schoumlnldquo so wird Sinn in diesen Worten liegen und wir werden was unserem Geschmacke ungelegen kommt nicht ohneweiters verwerfen weil unser Urteil dann nicht mehr vom gefaumllligen Eindruck aufs Auge abhaumlngt sondern auf allseitiges Ver-stehen zuruumlckgehtEs wird darum der Sache und dem Leser gleich foumlrderlich sein wenn wir ver-suchen in das Werkschaffen einigermaszligen einzufuumlhren ehe wir sein Ergebnis eingehender betrachten

Wir stellen den Kuumlnstler voranDie umfassendste gelaumlufige Werkform auf die sich das Schaffen eines Kuumlnst-

lers aus der Mitte unseres Bundes gegenwaumlrtig richtet ist das wohlversehene Haus ndash nicht das auszligergewoumlhnliche der Festbau sondern das Wohnhaus ndash und hier wieder nicht das eines besonderen kleinen Geschaumlftskreises sondern das des werktaumltigen Buumlrgerstandes allerdings eines groszligstaumldtisch kultivierten vor allem des Wieners Der umfassendste durchschnittliche Zweck in dem diese Arbeit zu ihrem reinsten Ausdruck kommt ist also die Wohnstaumltte fuumlr vorgeschrittene und zeitgemaumlszlige wirkende Stadtmenschen Im Rahmen dieser Aufgabe decken sich Art und Beduumlrfnis des auftraggebenden Bauherrn am meis-ten mit der Gesinnung des ausfuumlhrenden Kuumlnstlers und auf diese weitgehende Annaumlherung beider beruht ersten Grundes die lebendige Vollkommenheit des Werkes

Nun steht ein Groszligstadthaus niemals fuumlr sich hat Nachbarn und Gegenuumlber muszlig auf sie die Ruumlcksicht nehmen die das Glied dem Koumlrper schuldet und mit den Kameraden von nebenan und druumlben darnach sehen wie der umbaute

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Freiraum zu seiner kuumlnstlerischen Erscheinung kommt Denn davon haumlngt alles andere ab Das beste und schoumlnste Haus wird verkuumlmmert oder aufdringlich jedenfalls am unrechten Platze erscheinen wenn es sich nicht in einen uumlber-einkommenden Raumplan einfuumlgt und einem vollkommenen Freiraume kann auch ein belangloses Einzelstuumlck nicht gar erheblich schaden Es gilt darum fuumlrs erste den Grundriszlig des Auszligenraumes festzulegen und seine Bauwaumlnde in ein wohlgemessenes Verhaumlltnis zu bringen Das war und ist Raumkunst in ihrem urspruumlnglichsten und aumluszligersten Sinne

Aber wie die Dinge heute liegen bleibt dieser Anfang alles Werkschaffens im Bauen meist ein frommer Wunsch Wir sind fast in allen Gebieten des Lebens zumal in der stadtbildlichen Arbeit nicht freie Begruumlnder sondern Erben und Fortsetzer der Kultur Da ist es schon eine hohe Tugend sie nach jeder Tunlich-keit vorwaumlrtszubringen in den Grenzen des Moumlglichen der Zeit zu geben was ihres Geistes und Koumlnnens ist

Erstes naumlchstgelegenes Ziel dieses Teils der Werkkunst ist die Groszligstadt denn die Groszligstadt ist die modernste Form des menschlichen Zusammenle-bens und die Aufgaben die sie stellt sind vom gegenwaumlrtigen Geiste erfuumlllt Aber im Bereiche eines altstaumldtischen Wesens wie etwa Wiens begegnet jedes umfassende Beginnen gerade den staumlrksten Hemmungen Im innerstaumldtischen Kreise verlangt der uumlberkommene Freiraum sein Recht wo er mit neuen An-lagen durchbrochen wird herrscht der Raster der behoumlrdlichen Bauvorschrift fuumlhren Verkehr und Hygiene ihre wohlgemeinte ausschlieszligliche Sprache zieht sich die Kunst auf die eintoumlnige Handhabung von Reiszligbrett und Lineal zuruumlck Selten nur wird ihrer freieren Uumlbung hier Gelegenheit geboten einem ganzen Stadtteil von Grund auf sein Gepraumlge zu geben dh dem Zuge der Straszligen der Umriszliglinie der Plaumltze dem Grundriszlig eines ganzen Viertels die Richtung zu weisen also stadtbildlich im durchgreifendsten Sinne zu wirken Bei solchem Zustande stehen ihrer vollen freien Entfaltung nur die aumluszligeren unverbauten Bezirke offen Hier kann sie ganze Arbeit leisten Und sie wird das im Sinne der Werkkunst wenn sie zunaumlchst das Wegnetz nach den oumlrtlich bedingten Erfordernissen richtet das Neuviertel mit offenen Straumlngen an den Altkern bindet dort klar und entschlossen zwischen Haupt- und Nebenstraszligen Wohn- Wirtschafts- und Festwegen zwischen Monumental- Verkehrs- und Erholungs-plaumltzen scheidet dh allen Anspruumlchen groszligstaumldtischer Vernunft genuumlgt Der Kunst geschieht dabei schon genug wenn nur der Grundriszlig ndash einerlei wie er verlaumluft ndash den Zweck des Ganzen in seiner Einheit der Teile in ihrer Besonderheit sinnfaumlllig fuumlr jedermann einleuchtend erkennen laumlszligt und dazu den kuumlnftigen Baumeistern die Grundmoumlglichkeit schafft nicht Wand gegen Wand sondern Baukoumlrper gegen Koumlrper zu setzen und aus beiden klargemessenen wohlbe-wegten Auszligenraum zu bilden

Naumlher dem alten Siedlungskerne bleibt nur die Auseinandersetzung mit dem Uumlberlieferten Hier gilt es Zeitverstand handelnd beweisen dh verstehen der Zeit von damals und heute Bloszliges Konservieren waumlre Gedankenfaulheit und

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mit Unterstuumltzung der sogenannten bdquoSudetendeutschen Schutzverbaumlndeldquo (Bund der Deutschen Deutscher Kulturverband Deutscher Turnverband) in der Tsche-choslowakei Dieser Kontext ist kennzeichnend fuumlr eine Diskursgemeinschaft des WDT die innerhalb der tschechoslowakischen Wirtschaft und Kultur tendenziell die Vorzuumlge der Deutschen im Blick hatte und nur bedingt vom Staat unterstuumltzt wurde

So unterschiedlich die wirtschaftliche und kulturelle beziehungsweise politische Orientierung des SČDSČSD gegenuumlber dem WDT war so verschieden gestaltete sich auch die Entwicklung beider Vereine die innerhalb der gesetzten Rahmen-bedingungen durchaus elitaumlr aufgestellt waren Handwerker oder einfache Arbeiter waren weder im Vereinsvorstand noch im Arbeitsausschuss praumlsent An einem Zusammenschluss des WDT mit dem SČSD zeigte der Staat zwar Interesse weil dies wohl auszliger Kooperation auch Kontrolle bedeutet haumltte Diese Verbindung war jedoch von keinem der Vereine gewollt Es blieb bei einer Konkurrenzsituation zwischen den zwei tschechoslowakischen Werkbundeinrichtungen die jede fuumlr sich mit eigener Werkbundarbeit die Produzenten durch Wettbewerbe zu motivieren und die Konsumenten auf Ausstellungen sowie mit Publikationen zu uumlberzeugen suchte Waumlhrend sich der SČSD zunehmend fuumlr eine tschechoslowakische Massenkultur einsetzte die vom modernen Wohnen ausgehend alle Lebensbereiche einbeziehen und dabei explizit auch die Slowakei integrieren sollte richtete er sich nach den aktuellen Bestrebungen des Deutschen Werkbunds an dessen bdquoBund mit der Zu-kunftldquo der Jahre 1924ndash1928 (Joan Campbell) Die angestrebte Vereinheitlichung der Gesellschaft nach spezifisch buumlrgerlichen Norm- und Wertvorstellungen ge-maumlszlig den Anspruumlchen an Hygiene Gesundheit und Ordnung wandte sich ebenso gegen vermeintliche Niederungen der Wohnverhaumlltnisse sozialer Grundschichten wie gegen einen sogenannten Luxus den bildungsbuumlrgerlichen Idealen zufolge sollte diese Egalisierungsabsicht durch Erziehung an Breitenwirkung gewinnen Damit verbunden war zugleich eine Internationalisierung der Gesellschaft die das gesamte Lebensumfeld betraf59 Anstelle der Foumlrderung von kulturellen Traditionen sowie Eigentuumlmlichkeiten eines populaumlren bdquoLokalkoloritsldquo wurde nunmehr der internationale Standard propagiert Unter der Praumlmisse LichtndashLuftndashSonne galt es allerdings den Forderungen der Hygienebewegung gemaumlszlig den lokalen Verhaumlltnis-sen gerecht zu werden und entsprechende aktuelle Wohnmodelle in landeseigener Produktion von der architektonischen Planung bis zur Einrichtung herzustellen ndash gerade Pavel Janaacutek hatte hier mit seiner Architekturklasse an der Prager staatlichen Kunstgewerbeschule intensiv an Loumlsungen gearbeitet die den lokalen Bedingungen in technischer wie auch materialspezifischer Hinsicht angepasst sein sollten60 Die Etablierung des SČSD als der tschechoslowakischen Kulturorganisation mit offi-ziellem Auftrag einer Auszligendarstellung der tschechoslowakischen Kultur scheiterte zwar an Interessenkonflikten und Finanzierungsfragen zwischen den Ministerien61 dennoch wurde sein Modernisierungsprojekt im Zusammenspiel der Ortsgruppen mit der Kommunalpolitik unter anderem in BratislavaPressburg BrnoBruumlnn oder Hradec KraacuteloveacuteKoumlniggraumltz vorangetrieben62 Parallel zur wirtschaftlichen und

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rechtlichen Sicherstellung der Existenzgrundlage des tschechoslowakischen Kunst-gewerbes beziehungsweise der Kunstindustrie verfolgte der SČSD ebenfalls seine gesellschaftlichen Erziehungsideale in Zusammenhang mit einem umfassenden Bildungsauftrag der Kunstgewerbemuseen und in eigenen Ausstellungsraumlumen auf Wander- und Auslandsausstellungen in Verkaufs- und Beratungsstellen Biblio-theken und Archiven63 Der WDT hingegen geriet als Vertreter von Luxusproduk-tionszweigen und Exportartikeln der Schmuck- und Glasindustrie zunehmend ins Abseits diese Tendenz wurde durch die Weltwirtschaftskrise noch verstaumlrkt Die geplante Gruumlndung einer Ortsgruppe in Bruumlnn haumltte womoumlglich die uumlberregionale Positionierung des WDT weiter staumlrken koumlnnen sie kam allerdings nicht mehr zustande Nach dem Ableben des Vorsitzenden Ginzkey im Jahr 1934 verliert sich die Spur des WDT Damals wurde auch die bdquosudetendeutsche Kulturpolitikldquo im Interesse des Deutschen Reiches neu sortiert Diese kulturpolitische Umbruch-situation hinterlieszlig ebenfalls beim SČSD ihre Spuren Infolge der Besetzung der so bezeichneten sudetendeutschen Gebiete 1939 wurde der nunmehr auf SČD geschrumpfte tschechische Verein in der bdquoZweiten Republikldquo und im bdquoReichspro-tektorat Boumlhmen und Maumlhrenldquo weiterhin geduldet nach dem Zweiten Weltkrieg wird der bis dahin selbststaumlndige Verein im Jahr 1948 aufgeloumlst

Zur AnthologieDie nachfolgende Auswahl an Quellenmaterial (deutschsprachige Texte im ur-spruumlnglichen Wortlaut tschechischsprachige Texte in deutscher Uumlbersetzung Abbildungen vorzugsweise von Gebrauchsdingen aus dem Publikations- und Aus-stellungskontext der Werkbundvereine) dokumentiert den Werdegang des Werk-bundes in den boumlhmischen Laumlndern und bietet eine Grundlage fuumlr die vergleichende Forschung zum Exportmodell DWBOumlWB und den nachfolgenden tschechischen beziehungsweise tschechoslowakischen Werkbundinitiativen Ausgangspunkt ist vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs der OumlWB Bei Max Eisler erscheint die Idee einer gemeinsamen oumlsterreichischen Werkkultur als ein geschlossener Produkti-ons- und Konsumentenzirkel ndash vom Kuumlnstler ausgehend uumlber den Bildungsweg den Erzeuger den Aussteller bis hin zum Haumlndler und Kaumlufer ndash differenziert64 Das Programm des SČD65 und die Buchpublikation des Tschechischen Werkbundes zur Koumllner Ausstellung von 191466 verdeutlichen das Profil des sich separierenden tschechischen Vereins Fuumlr die Entwicklung des Werkbundes in der Zwischen-kriegszeit stehen einerseits das neue Programm des SČSD (1921)67 sowie dessen Uumlberarbeitung in den 1930er Jahren68 und andererseits das Programm des WDT von 192769 Die jeweilige Programmatik beider tschechoslowakischer Werkbund-vereine wird mit entsprechend charakteristischen Bildfolgen illustriert wobei die abschlieszligende Bildfolge der Werbebroschuumlre des SČSD bdquoUumlber das Wohnenldquo70 Aufschluss uumlber seine Neuausrichtung in den 1930er Jahren und somit uumlber die letzte offensive Arbeitsetappe des tschechischen Vereins gibt

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Die vorliegende Publikation ist Ergebnis des Forschungsprojekts bdquoDer Tschecho-slowakische Werkbund und der Werkbund der Deutschen in der Tschechoslowa-keildquo das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft uumlber zwei Jahre groszligzuumlgig gefoumlrdert am Institut fuumlr Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik Fach-gebiet Kunstgeschichte der Technischen Universitaumlt Berlin durchgefuumlhrt wurde Die Realisierung des Projekts war nur moumlglich dank dieser Foumlrderung sowie der tatkraumlftigen Unterstuumltzung des Instituts und insbesondere dank der versierten An-teilnahme von Magdalena Bushart Gestaumlrkt wurde der Forschungsfortgang durch die sachkundige Kooperation mit Vladimiacuter Šlapeta (Technische Universitaumlt BrnoBruumlnn Fakultaumlt Architektur Abteilung Theorie) der Stiftung Bibliothek Werner Oechslin und Renate Flagmeier (Werkbundarchiv ndash Museum der Dinge) sowie das freundliche Entgegenkommen von Anna Kašparovaacute und Jan Mohr (Nordboumlhmisches Gewerbemuseum LiberecReichenberg) Ihnen und den vielen hilfsbereiten Mit-wirkenden bei Recherchen in den Archiven (Bundesarchiv Berlin Werkbundarchiv Berlin Architekturarchiv Nationales Technikmuseum PrahaPrag Nationalarchiv Prag Landesarchiv Reichenberg Archiv des Nordboumlhmischen Gewerbemuseums Reichenberg Landesarchiv Bruumlnn Stadtarchiv Bruumlnn Landesarchiv OpavaTroppau) und den Bibliotheken (Bibliothek Nordboumlhmisches Gewerbemuseum Reichenberg Bibliothek Nationales Technikmuseum Prag Kunstbibliothek Berlin Staatsbibliothek Berlin Staatsbibliothek Prag) bin ich in Dankbarkeit verbunden

19Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Oumlsterreichische Werkkultur

Aus den Statuten des Oumlsterreichischen Werkbundes 71

sect 2 Der Zweck des Vereines ist die Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst Industrie und Handwerk durch Erziehung und Propaganda die Pflege des kunstgemaumlszligen Echten aller Zeiten auf allen Gebieten menschlicher Betaumltigung Hebung des kuumlnstlerischen Geschmackes und Urteiles und Foumlrderung aller gleichen Zielen zugewandten Bestrebungen Dabei soll auf die Pflege und Entwicklung der nationalen Eigenart der kuumlnstlerischen und gewerblichen Produktion besonderes Augenmerk gerichtet werden

sect 4 Dem Verein gehoumlren an 1 Ehrenmitglieder 2 Stifter 3 Ordentliche Mitglieder

sect 7 Ordentliche Mitglieder des Vereines koumlnnen sein Kenner Kuumlnstler Industrielle und Gewerbetreibende

sect 8 Die Aufnahme der Mitglieder erfolgt nur nach vorhergegangener Einladung durch Beschluszlig des Vorstandes und wird durch Eintragung in die Mitgliederliste vollzogen die vom Generalsekretaumlr gefuumlhrt wird Von der Konstituierung des Vereines werden die Mitglieder durch die Proponenten aufgenommen

sect 9 Der jaumlhrliche Beitrag der ordentlichen Mitglieder wird von jedem Mitgliede durch Selbsteinschaumltzung nach dem Maszlige seiner Leistungsfaumlhigkeit festgesetzt betraumlgt fuumlr einzelne Personen mindestens zehn Kronen fuumlr Firmen mindestens fuumlnfzig Kronen

Uumlber das bdquoWerkschaffenldquo gemaumlszlig dem Verstaumlndnis des OumlWB (gegr 1912) unter-richtet 1916 die repraumlsentative Publikation des Wiener Kunsthistorikers und Gruumlndungsmitglieds des OumlWB Max Eisler Es handelt sich dabei um eine mit den Jahrbuumlchern des Deutschen Werkbundes vergleichbare Konsultation des eigenen Standpunktes im aktuellen Kulturdiskurs An den Jahrbuumlchern war auch die Buchge-staltung orientiert72 Der OumlWB identifizierte sich damit in seinem Selbstverstaumlndnis und zugleich in seiner Selbstdarstellung mit dem DWB Diese Uumlbereinstimmung zwischen OumlWB und DWB uumlberrascht kaum hatte doch der Letztere seit seiner Gruumlndung den gesamten deutschen Sprachraum inklusive Oumlsterreich zum eigenen Arbeitsgebiet erklaumlrt73

20 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Oumlsterreichische Werkkultur wird bei Eisler in sechs Kapiteln dargestellt die ein geschlossenes System der Werkerziehung praumlsentieren Der umfassende Anspruch an bdquoWerkkunstldquo als bdquoLebensgestaltungldquo wird eingangs mit dem Ent-wurf fuumlr einen neuen Wiener Stadtbezirk74 von dem Wiener Architekturtheoretiker Stadtplaner und OumlWB Mitglied Otto Wagner demonstriert und zwar im Sinne des ganzheitlichen groszligstaumldtisch gepraumlgten Kulturbegriffs vom Sofakissen bis zum Stadtplan75 beziehungsweise hier von der Stadtplanung bis zur Wohnstaumltte und ihrer Einrichtung bdquoAus allen Schoumlpfungen blickt dieselbe auf den klar erkannten Voraussetzungen bauende rein in ihren Grenzen taumltige Art des Meisters der die Vielheit der Aufgaben durch die Einheit seiner geraden werktuumlchtigen Gesinnung bewaumlltigt und uumlberwindetldquo76

Der Kuumlnstler ndash und namentlich insbesondere der Wiener Architekt und Kunst-gewerbler Begruumlnder der Wiener Werkstaumltte und Mitbegruumlnder des OumlWB Josef Hoffmann ndash wird im ersten Kapitel als der Schoumlpfer der groszligstaumldtischen bdquoWerkformldquo eingefuumlhrt Theoretisch wird diese bdquoWerkformldquo mit Hilfe des Gedankengebaumludes einer bdquoKern-ldquo und bdquoKunstformldquo verdeutlicht zusaumltzlicher Schmuck wird jedoch abgelehnt bdquoDie Fassade ist das Kleid fuumlr das Hausinnere Der Stuckprunk auf einer Zinshausfassade ist wie der Abendflitter eines armseligen Komoumldiantenldquo77 Mit solchen Vorstellungen der Bekleidungstheorie hatte sich kurz zuvor Otto Wagner auseinandergesetzt78

Das zweite Kapitel befasst sich mit dem Bildungsauftrag der bdquoWerkerziehungldquo Der Kuumlnstler avanciert dabei zum Lehrer der nach einem Lehrplan letztlich sein freies Schaffen in den zweckgebundenen Dienst des oumlffentlichen Lehrauftrags stellt79 Verbindliche Praumlmisse der ganzheitlichen bdquoWerkerziehungldquo ist bdquoder Mensch [als] der Maszligstab dieser Dingeldquo des Alltagsgebrauchs Nach dieser Regel in der Architekturtheorie seit Vitruv soll sich auch die Ausbildung zum selbststaumlndigen Werkkuumlnstler richten80 Die kk Kunstgewerbeschule gilt im Zusammenhang mit der Mustersammlung des kk Oumlsterreichischen Museums fuumlr Kunst und Industrie in Wien als vorbildlich fuumlr eine wirksame durchaus zentralistisch beziehungs-weise hierarchisch organisierte Werkerziehung selbststaumlndiger Werkkuumlnstler Die einzelnen kk Fachschulen erfuumlllen hier ihre Aufgabe als Multiplikatoren dieser zentralen Einrichtung Eine weitere Oumlffentlichkeit soll mit Unterrichtsangeboten in Kunst und Technik an den Kunstgewerbeschulen erreicht werden diese Oumlffnung der Bildungseinrichtungen zielt uumlber die kunstgewerblichen Produktionskreise hinaus auf eine Erziehung des konsumierenden Publikums81

Unter den bdquoErzeugernldquo denen sich das dritte Kapitel widmet werden ebenso die selbststaumlndigen Werkkuumlnstler wie alle Handwerker und Heimarbeiter aufgefuumlhrt Als bedeutende Neuerung in dieser Produktion gelten dem OumlWB wie zuvor dem DWB die Industriearbeiter gerade mit ihnen wird die kuumlnftige soziale Aufgabe in Verbindung gebracht Prinzipiell soll die Werkkultur innerhalb der Industrie gestaumlrkt werden wofuumlr exemplarisch die enge Verflechtung des Bildungsauftrags der Fachschulen mit der boumlhmischen Glasproduktion der Massenmoumlbel- sowie der Textil- (Teppich-) und Tapetenproduktion aufgefuumlhrt wird82

21Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Werkkultur braucht allerdings den Konsens in Geschmacksfragen Als entscheidendes Bindeglied einer solchen gegenseitigen Verstaumlndigung zwischen Produktion und Vertrieb wird der Aussteller praumlsentiert (viertes Kapitel) Aufgabe der Ausstellungen ist es demnach fuumlr die Vermittlung gemeinsamer Grundsaumltze innerhalb einer oumlsterreichischen Vielheit von Produzenten und Konsumenten ein-zutreten an dieser wechselseitigen Uumlbereinkunft und ihrer fortlaufenden Pruumlfung beziehungsweise Erneuerung sollen alle teilhaben KuumlnstlerErzeuger ebenso wie HaumlndlerKaumluferBetrachter83 Der oumlsterreichischen Werkkultur und ihrer Durchset-zung ist gemaumlszlig Eislers Darstellung der Kreislauf oumlkonomischer Relationen zwischen Kunst und Kapitalismus aumluszligerst dienlich Die Vielheit des oumlsterreichischen Voumllker-wesens soll dabei auf eine werkgebende Eigenart festgelegt werden die zugleich auf dem gemeinsamen Vorgehen und gezielter Zusammenarbeit der Landesmuseen mit den Kunstgewerbeschulen nach uumlbereinstimmenden Grundsaumltzen beruht84

Zeugnis dieser vereinheitlichenden Bestrebungen einer oumlsterreichischen Ge-schmacksbildung ist sogleich die erste Wanderausstellung des OumlWB bdquoVon neuen Arbeiten des heimischen Kunsthandwerksldquo im Reichenberger Nordboumlhmischen Gewerbemuseum im Juli 1913 gewesen Unter den ausgestellten Objekten im Eigentum des k k Oumlsterreichischen Museums fuumlr Kunst und Industrie in Wien und zwar als Bestandteil seiner bdquoSammlungen eigentuumlmlicher oder musterguumlltiger Arbeiten des modernen Kunstgewerbesldquo85 waren auszliger den Wiener Exponaten auch Ausstellungsstuumlcke zu sehen die an den boumlhmischen k k Fachschulen in Haida Steinschoumlnau und Znaim gefertigt oder im Auftrag von privaten Firmen teilweise in boumlhmischen Produktionsstaumltten hergestellt worden sind etwa die nach Entwuumlrfen der Wiener Kuumlnstler Josef Hoffmann und Oskar Strnad gefertigten Glaumlser der Glas-fabrikaten J amp L Lobmeyr oder von Joh Loumltz86 Dem Prinzip der Arbeitsteilung folgend waren die Heimarbeiter (beispielsweise Aumltzer Kugler Graveure Schleifer) das letzte Glied im Herstellungsprozess87 Allerdings hatte die Werkkultur nach Wiener Vorbild fuumlr die Arbeiter in sozialer Hinsicht kaum Vorteile zu bieten im Unterschied zum entwerfenden Kuumlnstler blieb der Heimarbeiter anonym

In der bdquoKette unmittelbarer Erziehungswirkungldquo nehmen gemaumlszlig Eisler der Haumlndler und der Kaumlufer letztendlich die Schluumlsselstellung ein (fuumlnftes Kapitel) Vom Werkursprung ausgehend an dem KuumlnstlerLehrerErzeuger teilhaben ist mit dem Konsumenten die Zielgruppe der geschmacksbildenden Bemuumlhungen genannt mittels eines geschickten Haumlndlers und seiner Verkaufsstrategie (der Haumlndler als Erzieher88) soll nunmehr das Produkt nach den Gesetzmaumlszligigkeiten des Marktes einen Verkaufserfolg verbuchen und so seinen Zweck als Qualitaumltsware erfuumlllen89

Der Erziehungsanspruch ist somit einer oumlkonomischen Fortschrittsidee ver-pflichtet welche die beabsichtigte Modernisierung der Alltagskultur gaumlnzlich dem Marktprinzip unterwirft beziehungsweise von der Vermarktung getragen wird Anders als die industriell hergestellte Massenware wird innerhalb der bdquogemein-deutschenldquo Werkkunst fuumlr die oumlsterreichische Besonderheit gerade ihr handwerk-licher Charakter beansprucht der dieser einen exklusiven bdquoOriginalwertldquo aufgrund des einmaligen urheberrechtlich zu schuumltzenden Kuumlnstlerentwurfs sichern soll90

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Die Werkbund-Kontroverse zwischen Befuumlrwortern einer Typisierung gegenuumlber den Individualisten auf der Werkbund-Ausstellung in Koumlln 1914 von Frederic J Schwartz primaumlr als ein Konflikt eben um den urheberrechtlichen Schutz des Kuumlnstlers entschluumlsselt duumlrfte eine Voraussetzung dieser Argumentation und Wert-schaumltzung der kuumlnstlerischen Originalitaumlt sein91 gerade im Zusammenhang mit der arbeitsteiligen Produktion spielte der urheberrechtliche Schutz des Kuumlnstlers eine besonders wichtige Rolle Der OumlWB hat damit eigene Konturen auf dem Kunst-markt und bei der Vermarktung von Kultur gewonnen

Die Organisation der oumlsterreichischen Werkkultur wird schlieszliglich anhand der Werkbundarbeit im oumlsterreichischen Pavillon auf derselben Koumllner Werkbundaus-stellung von 1914 verdeutlicht (sechstes Kapitel) Die Erfolgsbilanz der bdquooumlster-reichischen Sonderartldquo als der bdquotreibenden Vielheitldquo92 in der bdquobindenden Einheitldquo wird explizit auch in Verbindung mit dem Beitrag des Tschechischen Werkbundes im Oumlsterreichischen Pavillon herausgestellt er war fester Bestandteil der oumlster-reichischen Exposition und bekraumlftigte deren Sonderstatus mit der dargebotenen sogenannten Handwerkskunst93 Tatsaumlchlich hatte diese wie sich Adolf Loos aus-druumlckte bdquoLuxuskunst fuumlr die oberen Zehntausend der modernen Groszligstadtldquo einige potenzielle Kaumlufer versammeln koumlnnen die Verkaufsverhandlungen wurden jedoch wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges unterbrochen94

Eislers Praumlsentation des OumlWB endet mit einer Auflistung der Mitglieder (ins-gesamt 627) wobei im Arbeitsausschuss unter anderen Vertrauensmaumlnner aus Boumlhmen Maumlhren und Schlesien genannt sind Zu den Mitgliedern zaumlhlt zwar auch die tschechische Kuumlnstlergenossenschaft bdquoArtělldquo jedoch sind des Weiteren fast ausschlieszliglich deutsche Einrichtungen der boumlhmischen Laumlnder vertreten (siebtes Kapitel)

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Max Eisler Die Oumlsterreichische Werkkultur herausgegeben vom Oumlsterreichischen Werkbund OumlWB Wien 1916 S 5ndash54

Der KuumlnstlerWerkkunst ist Lebensgestaltung ausgedruumlckt in Formen die dem Gebrauche oder auch nur dem Auge dienen immer aber jene Befriedigung hervorrufen die eine aufrichtige dem Material und Zwecke klar entsprechende Behandlung mit sich fuumlhrt In der besonderen Art in der der Kuumlnstler diese aller Werkkunst gemeinsame Aufgabe erfuumlllt aumluszligert sich seine Persoumlnlichkeit Doch kann ihr Schaffen der Mitwelt der sie angehoumlrt nicht entraten Sie muszlig ihre Zeit und ihren Lebenskreis taumltigen Anteil nehmen lassen an dem Werke Nur so gibt sie Lebensgestaltung nur so wird Werkkunst zur Werkkultur

Wir koumlnnen ihre Leistung auch nur dann ganz verstehen und nach voller Gebuumlhr wuumlrdigen wenn wir dem lebendigen Austausch zwischen Kuumlnstler und Mitwelt aufmerksam folgen und uns daruumlber klar werden was er ihr was sie ihm gibt Diese Klarheit laumlszligt sich aber wieder nur an dem Werkgange gewinnen Nur wenn wir erfahren haben wie das wird was wir als Fertiges vor uns haben wird unser Urteil daruumlber vernuumlnftig und billig unser Genuszlig begruumlndet sein Wenn wir dann von einem Werke sagen bdquoDas ist gutldquo oder bdquoDas ist schoumlnldquo so wird Sinn in diesen Worten liegen und wir werden was unserem Geschmacke ungelegen kommt nicht ohneweiters verwerfen weil unser Urteil dann nicht mehr vom gefaumllligen Eindruck aufs Auge abhaumlngt sondern auf allseitiges Ver-stehen zuruumlckgehtEs wird darum der Sache und dem Leser gleich foumlrderlich sein wenn wir ver-suchen in das Werkschaffen einigermaszligen einzufuumlhren ehe wir sein Ergebnis eingehender betrachten

Wir stellen den Kuumlnstler voranDie umfassendste gelaumlufige Werkform auf die sich das Schaffen eines Kuumlnst-

lers aus der Mitte unseres Bundes gegenwaumlrtig richtet ist das wohlversehene Haus ndash nicht das auszligergewoumlhnliche der Festbau sondern das Wohnhaus ndash und hier wieder nicht das eines besonderen kleinen Geschaumlftskreises sondern das des werktaumltigen Buumlrgerstandes allerdings eines groszligstaumldtisch kultivierten vor allem des Wieners Der umfassendste durchschnittliche Zweck in dem diese Arbeit zu ihrem reinsten Ausdruck kommt ist also die Wohnstaumltte fuumlr vorgeschrittene und zeitgemaumlszlige wirkende Stadtmenschen Im Rahmen dieser Aufgabe decken sich Art und Beduumlrfnis des auftraggebenden Bauherrn am meis-ten mit der Gesinnung des ausfuumlhrenden Kuumlnstlers und auf diese weitgehende Annaumlherung beider beruht ersten Grundes die lebendige Vollkommenheit des Werkes

Nun steht ein Groszligstadthaus niemals fuumlr sich hat Nachbarn und Gegenuumlber muszlig auf sie die Ruumlcksicht nehmen die das Glied dem Koumlrper schuldet und mit den Kameraden von nebenan und druumlben darnach sehen wie der umbaute

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Freiraum zu seiner kuumlnstlerischen Erscheinung kommt Denn davon haumlngt alles andere ab Das beste und schoumlnste Haus wird verkuumlmmert oder aufdringlich jedenfalls am unrechten Platze erscheinen wenn es sich nicht in einen uumlber-einkommenden Raumplan einfuumlgt und einem vollkommenen Freiraume kann auch ein belangloses Einzelstuumlck nicht gar erheblich schaden Es gilt darum fuumlrs erste den Grundriszlig des Auszligenraumes festzulegen und seine Bauwaumlnde in ein wohlgemessenes Verhaumlltnis zu bringen Das war und ist Raumkunst in ihrem urspruumlnglichsten und aumluszligersten Sinne

Aber wie die Dinge heute liegen bleibt dieser Anfang alles Werkschaffens im Bauen meist ein frommer Wunsch Wir sind fast in allen Gebieten des Lebens zumal in der stadtbildlichen Arbeit nicht freie Begruumlnder sondern Erben und Fortsetzer der Kultur Da ist es schon eine hohe Tugend sie nach jeder Tunlich-keit vorwaumlrtszubringen in den Grenzen des Moumlglichen der Zeit zu geben was ihres Geistes und Koumlnnens ist

Erstes naumlchstgelegenes Ziel dieses Teils der Werkkunst ist die Groszligstadt denn die Groszligstadt ist die modernste Form des menschlichen Zusammenle-bens und die Aufgaben die sie stellt sind vom gegenwaumlrtigen Geiste erfuumlllt Aber im Bereiche eines altstaumldtischen Wesens wie etwa Wiens begegnet jedes umfassende Beginnen gerade den staumlrksten Hemmungen Im innerstaumldtischen Kreise verlangt der uumlberkommene Freiraum sein Recht wo er mit neuen An-lagen durchbrochen wird herrscht der Raster der behoumlrdlichen Bauvorschrift fuumlhren Verkehr und Hygiene ihre wohlgemeinte ausschlieszligliche Sprache zieht sich die Kunst auf die eintoumlnige Handhabung von Reiszligbrett und Lineal zuruumlck Selten nur wird ihrer freieren Uumlbung hier Gelegenheit geboten einem ganzen Stadtteil von Grund auf sein Gepraumlge zu geben dh dem Zuge der Straszligen der Umriszliglinie der Plaumltze dem Grundriszlig eines ganzen Viertels die Richtung zu weisen also stadtbildlich im durchgreifendsten Sinne zu wirken Bei solchem Zustande stehen ihrer vollen freien Entfaltung nur die aumluszligeren unverbauten Bezirke offen Hier kann sie ganze Arbeit leisten Und sie wird das im Sinne der Werkkunst wenn sie zunaumlchst das Wegnetz nach den oumlrtlich bedingten Erfordernissen richtet das Neuviertel mit offenen Straumlngen an den Altkern bindet dort klar und entschlossen zwischen Haupt- und Nebenstraszligen Wohn- Wirtschafts- und Festwegen zwischen Monumental- Verkehrs- und Erholungs-plaumltzen scheidet dh allen Anspruumlchen groszligstaumldtischer Vernunft genuumlgt Der Kunst geschieht dabei schon genug wenn nur der Grundriszlig ndash einerlei wie er verlaumluft ndash den Zweck des Ganzen in seiner Einheit der Teile in ihrer Besonderheit sinnfaumlllig fuumlr jedermann einleuchtend erkennen laumlszligt und dazu den kuumlnftigen Baumeistern die Grundmoumlglichkeit schafft nicht Wand gegen Wand sondern Baukoumlrper gegen Koumlrper zu setzen und aus beiden klargemessenen wohlbe-wegten Auszligenraum zu bilden

Naumlher dem alten Siedlungskerne bleibt nur die Auseinandersetzung mit dem Uumlberlieferten Hier gilt es Zeitverstand handelnd beweisen dh verstehen der Zeit von damals und heute Bloszliges Konservieren waumlre Gedankenfaulheit und

Page 13: DER TSCHECHOSLOWAKISCHE WERKBUND UND DER WERKBUND … · 2018-10-04 · Vorwort Der Deutsche Werkbund Der Architekt und preußische Staatsbeamte Hermann Muthesius hat 1907 das Ziel

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rechtlichen Sicherstellung der Existenzgrundlage des tschechoslowakischen Kunst-gewerbes beziehungsweise der Kunstindustrie verfolgte der SČSD ebenfalls seine gesellschaftlichen Erziehungsideale in Zusammenhang mit einem umfassenden Bildungsauftrag der Kunstgewerbemuseen und in eigenen Ausstellungsraumlumen auf Wander- und Auslandsausstellungen in Verkaufs- und Beratungsstellen Biblio-theken und Archiven63 Der WDT hingegen geriet als Vertreter von Luxusproduk-tionszweigen und Exportartikeln der Schmuck- und Glasindustrie zunehmend ins Abseits diese Tendenz wurde durch die Weltwirtschaftskrise noch verstaumlrkt Die geplante Gruumlndung einer Ortsgruppe in Bruumlnn haumltte womoumlglich die uumlberregionale Positionierung des WDT weiter staumlrken koumlnnen sie kam allerdings nicht mehr zustande Nach dem Ableben des Vorsitzenden Ginzkey im Jahr 1934 verliert sich die Spur des WDT Damals wurde auch die bdquosudetendeutsche Kulturpolitikldquo im Interesse des Deutschen Reiches neu sortiert Diese kulturpolitische Umbruch-situation hinterlieszlig ebenfalls beim SČSD ihre Spuren Infolge der Besetzung der so bezeichneten sudetendeutschen Gebiete 1939 wurde der nunmehr auf SČD geschrumpfte tschechische Verein in der bdquoZweiten Republikldquo und im bdquoReichspro-tektorat Boumlhmen und Maumlhrenldquo weiterhin geduldet nach dem Zweiten Weltkrieg wird der bis dahin selbststaumlndige Verein im Jahr 1948 aufgeloumlst

Zur AnthologieDie nachfolgende Auswahl an Quellenmaterial (deutschsprachige Texte im ur-spruumlnglichen Wortlaut tschechischsprachige Texte in deutscher Uumlbersetzung Abbildungen vorzugsweise von Gebrauchsdingen aus dem Publikations- und Aus-stellungskontext der Werkbundvereine) dokumentiert den Werdegang des Werk-bundes in den boumlhmischen Laumlndern und bietet eine Grundlage fuumlr die vergleichende Forschung zum Exportmodell DWBOumlWB und den nachfolgenden tschechischen beziehungsweise tschechoslowakischen Werkbundinitiativen Ausgangspunkt ist vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs der OumlWB Bei Max Eisler erscheint die Idee einer gemeinsamen oumlsterreichischen Werkkultur als ein geschlossener Produkti-ons- und Konsumentenzirkel ndash vom Kuumlnstler ausgehend uumlber den Bildungsweg den Erzeuger den Aussteller bis hin zum Haumlndler und Kaumlufer ndash differenziert64 Das Programm des SČD65 und die Buchpublikation des Tschechischen Werkbundes zur Koumllner Ausstellung von 191466 verdeutlichen das Profil des sich separierenden tschechischen Vereins Fuumlr die Entwicklung des Werkbundes in der Zwischen-kriegszeit stehen einerseits das neue Programm des SČSD (1921)67 sowie dessen Uumlberarbeitung in den 1930er Jahren68 und andererseits das Programm des WDT von 192769 Die jeweilige Programmatik beider tschechoslowakischer Werkbund-vereine wird mit entsprechend charakteristischen Bildfolgen illustriert wobei die abschlieszligende Bildfolge der Werbebroschuumlre des SČSD bdquoUumlber das Wohnenldquo70 Aufschluss uumlber seine Neuausrichtung in den 1930er Jahren und somit uumlber die letzte offensive Arbeitsetappe des tschechischen Vereins gibt

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Die vorliegende Publikation ist Ergebnis des Forschungsprojekts bdquoDer Tschecho-slowakische Werkbund und der Werkbund der Deutschen in der Tschechoslowa-keildquo das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft uumlber zwei Jahre groszligzuumlgig gefoumlrdert am Institut fuumlr Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik Fach-gebiet Kunstgeschichte der Technischen Universitaumlt Berlin durchgefuumlhrt wurde Die Realisierung des Projekts war nur moumlglich dank dieser Foumlrderung sowie der tatkraumlftigen Unterstuumltzung des Instituts und insbesondere dank der versierten An-teilnahme von Magdalena Bushart Gestaumlrkt wurde der Forschungsfortgang durch die sachkundige Kooperation mit Vladimiacuter Šlapeta (Technische Universitaumlt BrnoBruumlnn Fakultaumlt Architektur Abteilung Theorie) der Stiftung Bibliothek Werner Oechslin und Renate Flagmeier (Werkbundarchiv ndash Museum der Dinge) sowie das freundliche Entgegenkommen von Anna Kašparovaacute und Jan Mohr (Nordboumlhmisches Gewerbemuseum LiberecReichenberg) Ihnen und den vielen hilfsbereiten Mit-wirkenden bei Recherchen in den Archiven (Bundesarchiv Berlin Werkbundarchiv Berlin Architekturarchiv Nationales Technikmuseum PrahaPrag Nationalarchiv Prag Landesarchiv Reichenberg Archiv des Nordboumlhmischen Gewerbemuseums Reichenberg Landesarchiv Bruumlnn Stadtarchiv Bruumlnn Landesarchiv OpavaTroppau) und den Bibliotheken (Bibliothek Nordboumlhmisches Gewerbemuseum Reichenberg Bibliothek Nationales Technikmuseum Prag Kunstbibliothek Berlin Staatsbibliothek Berlin Staatsbibliothek Prag) bin ich in Dankbarkeit verbunden

19Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Oumlsterreichische Werkkultur

Aus den Statuten des Oumlsterreichischen Werkbundes 71

sect 2 Der Zweck des Vereines ist die Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst Industrie und Handwerk durch Erziehung und Propaganda die Pflege des kunstgemaumlszligen Echten aller Zeiten auf allen Gebieten menschlicher Betaumltigung Hebung des kuumlnstlerischen Geschmackes und Urteiles und Foumlrderung aller gleichen Zielen zugewandten Bestrebungen Dabei soll auf die Pflege und Entwicklung der nationalen Eigenart der kuumlnstlerischen und gewerblichen Produktion besonderes Augenmerk gerichtet werden

sect 4 Dem Verein gehoumlren an 1 Ehrenmitglieder 2 Stifter 3 Ordentliche Mitglieder

sect 7 Ordentliche Mitglieder des Vereines koumlnnen sein Kenner Kuumlnstler Industrielle und Gewerbetreibende

sect 8 Die Aufnahme der Mitglieder erfolgt nur nach vorhergegangener Einladung durch Beschluszlig des Vorstandes und wird durch Eintragung in die Mitgliederliste vollzogen die vom Generalsekretaumlr gefuumlhrt wird Von der Konstituierung des Vereines werden die Mitglieder durch die Proponenten aufgenommen

sect 9 Der jaumlhrliche Beitrag der ordentlichen Mitglieder wird von jedem Mitgliede durch Selbsteinschaumltzung nach dem Maszlige seiner Leistungsfaumlhigkeit festgesetzt betraumlgt fuumlr einzelne Personen mindestens zehn Kronen fuumlr Firmen mindestens fuumlnfzig Kronen

Uumlber das bdquoWerkschaffenldquo gemaumlszlig dem Verstaumlndnis des OumlWB (gegr 1912) unter-richtet 1916 die repraumlsentative Publikation des Wiener Kunsthistorikers und Gruumlndungsmitglieds des OumlWB Max Eisler Es handelt sich dabei um eine mit den Jahrbuumlchern des Deutschen Werkbundes vergleichbare Konsultation des eigenen Standpunktes im aktuellen Kulturdiskurs An den Jahrbuumlchern war auch die Buchge-staltung orientiert72 Der OumlWB identifizierte sich damit in seinem Selbstverstaumlndnis und zugleich in seiner Selbstdarstellung mit dem DWB Diese Uumlbereinstimmung zwischen OumlWB und DWB uumlberrascht kaum hatte doch der Letztere seit seiner Gruumlndung den gesamten deutschen Sprachraum inklusive Oumlsterreich zum eigenen Arbeitsgebiet erklaumlrt73

20 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Oumlsterreichische Werkkultur wird bei Eisler in sechs Kapiteln dargestellt die ein geschlossenes System der Werkerziehung praumlsentieren Der umfassende Anspruch an bdquoWerkkunstldquo als bdquoLebensgestaltungldquo wird eingangs mit dem Ent-wurf fuumlr einen neuen Wiener Stadtbezirk74 von dem Wiener Architekturtheoretiker Stadtplaner und OumlWB Mitglied Otto Wagner demonstriert und zwar im Sinne des ganzheitlichen groszligstaumldtisch gepraumlgten Kulturbegriffs vom Sofakissen bis zum Stadtplan75 beziehungsweise hier von der Stadtplanung bis zur Wohnstaumltte und ihrer Einrichtung bdquoAus allen Schoumlpfungen blickt dieselbe auf den klar erkannten Voraussetzungen bauende rein in ihren Grenzen taumltige Art des Meisters der die Vielheit der Aufgaben durch die Einheit seiner geraden werktuumlchtigen Gesinnung bewaumlltigt und uumlberwindetldquo76

Der Kuumlnstler ndash und namentlich insbesondere der Wiener Architekt und Kunst-gewerbler Begruumlnder der Wiener Werkstaumltte und Mitbegruumlnder des OumlWB Josef Hoffmann ndash wird im ersten Kapitel als der Schoumlpfer der groszligstaumldtischen bdquoWerkformldquo eingefuumlhrt Theoretisch wird diese bdquoWerkformldquo mit Hilfe des Gedankengebaumludes einer bdquoKern-ldquo und bdquoKunstformldquo verdeutlicht zusaumltzlicher Schmuck wird jedoch abgelehnt bdquoDie Fassade ist das Kleid fuumlr das Hausinnere Der Stuckprunk auf einer Zinshausfassade ist wie der Abendflitter eines armseligen Komoumldiantenldquo77 Mit solchen Vorstellungen der Bekleidungstheorie hatte sich kurz zuvor Otto Wagner auseinandergesetzt78

Das zweite Kapitel befasst sich mit dem Bildungsauftrag der bdquoWerkerziehungldquo Der Kuumlnstler avanciert dabei zum Lehrer der nach einem Lehrplan letztlich sein freies Schaffen in den zweckgebundenen Dienst des oumlffentlichen Lehrauftrags stellt79 Verbindliche Praumlmisse der ganzheitlichen bdquoWerkerziehungldquo ist bdquoder Mensch [als] der Maszligstab dieser Dingeldquo des Alltagsgebrauchs Nach dieser Regel in der Architekturtheorie seit Vitruv soll sich auch die Ausbildung zum selbststaumlndigen Werkkuumlnstler richten80 Die kk Kunstgewerbeschule gilt im Zusammenhang mit der Mustersammlung des kk Oumlsterreichischen Museums fuumlr Kunst und Industrie in Wien als vorbildlich fuumlr eine wirksame durchaus zentralistisch beziehungs-weise hierarchisch organisierte Werkerziehung selbststaumlndiger Werkkuumlnstler Die einzelnen kk Fachschulen erfuumlllen hier ihre Aufgabe als Multiplikatoren dieser zentralen Einrichtung Eine weitere Oumlffentlichkeit soll mit Unterrichtsangeboten in Kunst und Technik an den Kunstgewerbeschulen erreicht werden diese Oumlffnung der Bildungseinrichtungen zielt uumlber die kunstgewerblichen Produktionskreise hinaus auf eine Erziehung des konsumierenden Publikums81

Unter den bdquoErzeugernldquo denen sich das dritte Kapitel widmet werden ebenso die selbststaumlndigen Werkkuumlnstler wie alle Handwerker und Heimarbeiter aufgefuumlhrt Als bedeutende Neuerung in dieser Produktion gelten dem OumlWB wie zuvor dem DWB die Industriearbeiter gerade mit ihnen wird die kuumlnftige soziale Aufgabe in Verbindung gebracht Prinzipiell soll die Werkkultur innerhalb der Industrie gestaumlrkt werden wofuumlr exemplarisch die enge Verflechtung des Bildungsauftrags der Fachschulen mit der boumlhmischen Glasproduktion der Massenmoumlbel- sowie der Textil- (Teppich-) und Tapetenproduktion aufgefuumlhrt wird82

21Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Werkkultur braucht allerdings den Konsens in Geschmacksfragen Als entscheidendes Bindeglied einer solchen gegenseitigen Verstaumlndigung zwischen Produktion und Vertrieb wird der Aussteller praumlsentiert (viertes Kapitel) Aufgabe der Ausstellungen ist es demnach fuumlr die Vermittlung gemeinsamer Grundsaumltze innerhalb einer oumlsterreichischen Vielheit von Produzenten und Konsumenten ein-zutreten an dieser wechselseitigen Uumlbereinkunft und ihrer fortlaufenden Pruumlfung beziehungsweise Erneuerung sollen alle teilhaben KuumlnstlerErzeuger ebenso wie HaumlndlerKaumluferBetrachter83 Der oumlsterreichischen Werkkultur und ihrer Durchset-zung ist gemaumlszlig Eislers Darstellung der Kreislauf oumlkonomischer Relationen zwischen Kunst und Kapitalismus aumluszligerst dienlich Die Vielheit des oumlsterreichischen Voumllker-wesens soll dabei auf eine werkgebende Eigenart festgelegt werden die zugleich auf dem gemeinsamen Vorgehen und gezielter Zusammenarbeit der Landesmuseen mit den Kunstgewerbeschulen nach uumlbereinstimmenden Grundsaumltzen beruht84

Zeugnis dieser vereinheitlichenden Bestrebungen einer oumlsterreichischen Ge-schmacksbildung ist sogleich die erste Wanderausstellung des OumlWB bdquoVon neuen Arbeiten des heimischen Kunsthandwerksldquo im Reichenberger Nordboumlhmischen Gewerbemuseum im Juli 1913 gewesen Unter den ausgestellten Objekten im Eigentum des k k Oumlsterreichischen Museums fuumlr Kunst und Industrie in Wien und zwar als Bestandteil seiner bdquoSammlungen eigentuumlmlicher oder musterguumlltiger Arbeiten des modernen Kunstgewerbesldquo85 waren auszliger den Wiener Exponaten auch Ausstellungsstuumlcke zu sehen die an den boumlhmischen k k Fachschulen in Haida Steinschoumlnau und Znaim gefertigt oder im Auftrag von privaten Firmen teilweise in boumlhmischen Produktionsstaumltten hergestellt worden sind etwa die nach Entwuumlrfen der Wiener Kuumlnstler Josef Hoffmann und Oskar Strnad gefertigten Glaumlser der Glas-fabrikaten J amp L Lobmeyr oder von Joh Loumltz86 Dem Prinzip der Arbeitsteilung folgend waren die Heimarbeiter (beispielsweise Aumltzer Kugler Graveure Schleifer) das letzte Glied im Herstellungsprozess87 Allerdings hatte die Werkkultur nach Wiener Vorbild fuumlr die Arbeiter in sozialer Hinsicht kaum Vorteile zu bieten im Unterschied zum entwerfenden Kuumlnstler blieb der Heimarbeiter anonym

In der bdquoKette unmittelbarer Erziehungswirkungldquo nehmen gemaumlszlig Eisler der Haumlndler und der Kaumlufer letztendlich die Schluumlsselstellung ein (fuumlnftes Kapitel) Vom Werkursprung ausgehend an dem KuumlnstlerLehrerErzeuger teilhaben ist mit dem Konsumenten die Zielgruppe der geschmacksbildenden Bemuumlhungen genannt mittels eines geschickten Haumlndlers und seiner Verkaufsstrategie (der Haumlndler als Erzieher88) soll nunmehr das Produkt nach den Gesetzmaumlszligigkeiten des Marktes einen Verkaufserfolg verbuchen und so seinen Zweck als Qualitaumltsware erfuumlllen89

Der Erziehungsanspruch ist somit einer oumlkonomischen Fortschrittsidee ver-pflichtet welche die beabsichtigte Modernisierung der Alltagskultur gaumlnzlich dem Marktprinzip unterwirft beziehungsweise von der Vermarktung getragen wird Anders als die industriell hergestellte Massenware wird innerhalb der bdquogemein-deutschenldquo Werkkunst fuumlr die oumlsterreichische Besonderheit gerade ihr handwerk-licher Charakter beansprucht der dieser einen exklusiven bdquoOriginalwertldquo aufgrund des einmaligen urheberrechtlich zu schuumltzenden Kuumlnstlerentwurfs sichern soll90

22 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Werkbund-Kontroverse zwischen Befuumlrwortern einer Typisierung gegenuumlber den Individualisten auf der Werkbund-Ausstellung in Koumlln 1914 von Frederic J Schwartz primaumlr als ein Konflikt eben um den urheberrechtlichen Schutz des Kuumlnstlers entschluumlsselt duumlrfte eine Voraussetzung dieser Argumentation und Wert-schaumltzung der kuumlnstlerischen Originalitaumlt sein91 gerade im Zusammenhang mit der arbeitsteiligen Produktion spielte der urheberrechtliche Schutz des Kuumlnstlers eine besonders wichtige Rolle Der OumlWB hat damit eigene Konturen auf dem Kunst-markt und bei der Vermarktung von Kultur gewonnen

Die Organisation der oumlsterreichischen Werkkultur wird schlieszliglich anhand der Werkbundarbeit im oumlsterreichischen Pavillon auf derselben Koumllner Werkbundaus-stellung von 1914 verdeutlicht (sechstes Kapitel) Die Erfolgsbilanz der bdquooumlster-reichischen Sonderartldquo als der bdquotreibenden Vielheitldquo92 in der bdquobindenden Einheitldquo wird explizit auch in Verbindung mit dem Beitrag des Tschechischen Werkbundes im Oumlsterreichischen Pavillon herausgestellt er war fester Bestandteil der oumlster-reichischen Exposition und bekraumlftigte deren Sonderstatus mit der dargebotenen sogenannten Handwerkskunst93 Tatsaumlchlich hatte diese wie sich Adolf Loos aus-druumlckte bdquoLuxuskunst fuumlr die oberen Zehntausend der modernen Groszligstadtldquo einige potenzielle Kaumlufer versammeln koumlnnen die Verkaufsverhandlungen wurden jedoch wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges unterbrochen94

Eislers Praumlsentation des OumlWB endet mit einer Auflistung der Mitglieder (ins-gesamt 627) wobei im Arbeitsausschuss unter anderen Vertrauensmaumlnner aus Boumlhmen Maumlhren und Schlesien genannt sind Zu den Mitgliedern zaumlhlt zwar auch die tschechische Kuumlnstlergenossenschaft bdquoArtělldquo jedoch sind des Weiteren fast ausschlieszliglich deutsche Einrichtungen der boumlhmischen Laumlnder vertreten (siebtes Kapitel)

23Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Max Eisler Die Oumlsterreichische Werkkultur herausgegeben vom Oumlsterreichischen Werkbund OumlWB Wien 1916 S 5ndash54

Der KuumlnstlerWerkkunst ist Lebensgestaltung ausgedruumlckt in Formen die dem Gebrauche oder auch nur dem Auge dienen immer aber jene Befriedigung hervorrufen die eine aufrichtige dem Material und Zwecke klar entsprechende Behandlung mit sich fuumlhrt In der besonderen Art in der der Kuumlnstler diese aller Werkkunst gemeinsame Aufgabe erfuumlllt aumluszligert sich seine Persoumlnlichkeit Doch kann ihr Schaffen der Mitwelt der sie angehoumlrt nicht entraten Sie muszlig ihre Zeit und ihren Lebenskreis taumltigen Anteil nehmen lassen an dem Werke Nur so gibt sie Lebensgestaltung nur so wird Werkkunst zur Werkkultur

Wir koumlnnen ihre Leistung auch nur dann ganz verstehen und nach voller Gebuumlhr wuumlrdigen wenn wir dem lebendigen Austausch zwischen Kuumlnstler und Mitwelt aufmerksam folgen und uns daruumlber klar werden was er ihr was sie ihm gibt Diese Klarheit laumlszligt sich aber wieder nur an dem Werkgange gewinnen Nur wenn wir erfahren haben wie das wird was wir als Fertiges vor uns haben wird unser Urteil daruumlber vernuumlnftig und billig unser Genuszlig begruumlndet sein Wenn wir dann von einem Werke sagen bdquoDas ist gutldquo oder bdquoDas ist schoumlnldquo so wird Sinn in diesen Worten liegen und wir werden was unserem Geschmacke ungelegen kommt nicht ohneweiters verwerfen weil unser Urteil dann nicht mehr vom gefaumllligen Eindruck aufs Auge abhaumlngt sondern auf allseitiges Ver-stehen zuruumlckgehtEs wird darum der Sache und dem Leser gleich foumlrderlich sein wenn wir ver-suchen in das Werkschaffen einigermaszligen einzufuumlhren ehe wir sein Ergebnis eingehender betrachten

Wir stellen den Kuumlnstler voranDie umfassendste gelaumlufige Werkform auf die sich das Schaffen eines Kuumlnst-

lers aus der Mitte unseres Bundes gegenwaumlrtig richtet ist das wohlversehene Haus ndash nicht das auszligergewoumlhnliche der Festbau sondern das Wohnhaus ndash und hier wieder nicht das eines besonderen kleinen Geschaumlftskreises sondern das des werktaumltigen Buumlrgerstandes allerdings eines groszligstaumldtisch kultivierten vor allem des Wieners Der umfassendste durchschnittliche Zweck in dem diese Arbeit zu ihrem reinsten Ausdruck kommt ist also die Wohnstaumltte fuumlr vorgeschrittene und zeitgemaumlszlige wirkende Stadtmenschen Im Rahmen dieser Aufgabe decken sich Art und Beduumlrfnis des auftraggebenden Bauherrn am meis-ten mit der Gesinnung des ausfuumlhrenden Kuumlnstlers und auf diese weitgehende Annaumlherung beider beruht ersten Grundes die lebendige Vollkommenheit des Werkes

Nun steht ein Groszligstadthaus niemals fuumlr sich hat Nachbarn und Gegenuumlber muszlig auf sie die Ruumlcksicht nehmen die das Glied dem Koumlrper schuldet und mit den Kameraden von nebenan und druumlben darnach sehen wie der umbaute

24 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Freiraum zu seiner kuumlnstlerischen Erscheinung kommt Denn davon haumlngt alles andere ab Das beste und schoumlnste Haus wird verkuumlmmert oder aufdringlich jedenfalls am unrechten Platze erscheinen wenn es sich nicht in einen uumlber-einkommenden Raumplan einfuumlgt und einem vollkommenen Freiraume kann auch ein belangloses Einzelstuumlck nicht gar erheblich schaden Es gilt darum fuumlrs erste den Grundriszlig des Auszligenraumes festzulegen und seine Bauwaumlnde in ein wohlgemessenes Verhaumlltnis zu bringen Das war und ist Raumkunst in ihrem urspruumlnglichsten und aumluszligersten Sinne

Aber wie die Dinge heute liegen bleibt dieser Anfang alles Werkschaffens im Bauen meist ein frommer Wunsch Wir sind fast in allen Gebieten des Lebens zumal in der stadtbildlichen Arbeit nicht freie Begruumlnder sondern Erben und Fortsetzer der Kultur Da ist es schon eine hohe Tugend sie nach jeder Tunlich-keit vorwaumlrtszubringen in den Grenzen des Moumlglichen der Zeit zu geben was ihres Geistes und Koumlnnens ist

Erstes naumlchstgelegenes Ziel dieses Teils der Werkkunst ist die Groszligstadt denn die Groszligstadt ist die modernste Form des menschlichen Zusammenle-bens und die Aufgaben die sie stellt sind vom gegenwaumlrtigen Geiste erfuumlllt Aber im Bereiche eines altstaumldtischen Wesens wie etwa Wiens begegnet jedes umfassende Beginnen gerade den staumlrksten Hemmungen Im innerstaumldtischen Kreise verlangt der uumlberkommene Freiraum sein Recht wo er mit neuen An-lagen durchbrochen wird herrscht der Raster der behoumlrdlichen Bauvorschrift fuumlhren Verkehr und Hygiene ihre wohlgemeinte ausschlieszligliche Sprache zieht sich die Kunst auf die eintoumlnige Handhabung von Reiszligbrett und Lineal zuruumlck Selten nur wird ihrer freieren Uumlbung hier Gelegenheit geboten einem ganzen Stadtteil von Grund auf sein Gepraumlge zu geben dh dem Zuge der Straszligen der Umriszliglinie der Plaumltze dem Grundriszlig eines ganzen Viertels die Richtung zu weisen also stadtbildlich im durchgreifendsten Sinne zu wirken Bei solchem Zustande stehen ihrer vollen freien Entfaltung nur die aumluszligeren unverbauten Bezirke offen Hier kann sie ganze Arbeit leisten Und sie wird das im Sinne der Werkkunst wenn sie zunaumlchst das Wegnetz nach den oumlrtlich bedingten Erfordernissen richtet das Neuviertel mit offenen Straumlngen an den Altkern bindet dort klar und entschlossen zwischen Haupt- und Nebenstraszligen Wohn- Wirtschafts- und Festwegen zwischen Monumental- Verkehrs- und Erholungs-plaumltzen scheidet dh allen Anspruumlchen groszligstaumldtischer Vernunft genuumlgt Der Kunst geschieht dabei schon genug wenn nur der Grundriszlig ndash einerlei wie er verlaumluft ndash den Zweck des Ganzen in seiner Einheit der Teile in ihrer Besonderheit sinnfaumlllig fuumlr jedermann einleuchtend erkennen laumlszligt und dazu den kuumlnftigen Baumeistern die Grundmoumlglichkeit schafft nicht Wand gegen Wand sondern Baukoumlrper gegen Koumlrper zu setzen und aus beiden klargemessenen wohlbe-wegten Auszligenraum zu bilden

Naumlher dem alten Siedlungskerne bleibt nur die Auseinandersetzung mit dem Uumlberlieferten Hier gilt es Zeitverstand handelnd beweisen dh verstehen der Zeit von damals und heute Bloszliges Konservieren waumlre Gedankenfaulheit und

Page 14: DER TSCHECHOSLOWAKISCHE WERKBUND UND DER WERKBUND … · 2018-10-04 · Vorwort Der Deutsche Werkbund Der Architekt und preußische Staatsbeamte Hermann Muthesius hat 1907 das Ziel

18 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die vorliegende Publikation ist Ergebnis des Forschungsprojekts bdquoDer Tschecho-slowakische Werkbund und der Werkbund der Deutschen in der Tschechoslowa-keildquo das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft uumlber zwei Jahre groszligzuumlgig gefoumlrdert am Institut fuumlr Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik Fach-gebiet Kunstgeschichte der Technischen Universitaumlt Berlin durchgefuumlhrt wurde Die Realisierung des Projekts war nur moumlglich dank dieser Foumlrderung sowie der tatkraumlftigen Unterstuumltzung des Instituts und insbesondere dank der versierten An-teilnahme von Magdalena Bushart Gestaumlrkt wurde der Forschungsfortgang durch die sachkundige Kooperation mit Vladimiacuter Šlapeta (Technische Universitaumlt BrnoBruumlnn Fakultaumlt Architektur Abteilung Theorie) der Stiftung Bibliothek Werner Oechslin und Renate Flagmeier (Werkbundarchiv ndash Museum der Dinge) sowie das freundliche Entgegenkommen von Anna Kašparovaacute und Jan Mohr (Nordboumlhmisches Gewerbemuseum LiberecReichenberg) Ihnen und den vielen hilfsbereiten Mit-wirkenden bei Recherchen in den Archiven (Bundesarchiv Berlin Werkbundarchiv Berlin Architekturarchiv Nationales Technikmuseum PrahaPrag Nationalarchiv Prag Landesarchiv Reichenberg Archiv des Nordboumlhmischen Gewerbemuseums Reichenberg Landesarchiv Bruumlnn Stadtarchiv Bruumlnn Landesarchiv OpavaTroppau) und den Bibliotheken (Bibliothek Nordboumlhmisches Gewerbemuseum Reichenberg Bibliothek Nationales Technikmuseum Prag Kunstbibliothek Berlin Staatsbibliothek Berlin Staatsbibliothek Prag) bin ich in Dankbarkeit verbunden

19Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Oumlsterreichische Werkkultur

Aus den Statuten des Oumlsterreichischen Werkbundes 71

sect 2 Der Zweck des Vereines ist die Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst Industrie und Handwerk durch Erziehung und Propaganda die Pflege des kunstgemaumlszligen Echten aller Zeiten auf allen Gebieten menschlicher Betaumltigung Hebung des kuumlnstlerischen Geschmackes und Urteiles und Foumlrderung aller gleichen Zielen zugewandten Bestrebungen Dabei soll auf die Pflege und Entwicklung der nationalen Eigenart der kuumlnstlerischen und gewerblichen Produktion besonderes Augenmerk gerichtet werden

sect 4 Dem Verein gehoumlren an 1 Ehrenmitglieder 2 Stifter 3 Ordentliche Mitglieder

sect 7 Ordentliche Mitglieder des Vereines koumlnnen sein Kenner Kuumlnstler Industrielle und Gewerbetreibende

sect 8 Die Aufnahme der Mitglieder erfolgt nur nach vorhergegangener Einladung durch Beschluszlig des Vorstandes und wird durch Eintragung in die Mitgliederliste vollzogen die vom Generalsekretaumlr gefuumlhrt wird Von der Konstituierung des Vereines werden die Mitglieder durch die Proponenten aufgenommen

sect 9 Der jaumlhrliche Beitrag der ordentlichen Mitglieder wird von jedem Mitgliede durch Selbsteinschaumltzung nach dem Maszlige seiner Leistungsfaumlhigkeit festgesetzt betraumlgt fuumlr einzelne Personen mindestens zehn Kronen fuumlr Firmen mindestens fuumlnfzig Kronen

Uumlber das bdquoWerkschaffenldquo gemaumlszlig dem Verstaumlndnis des OumlWB (gegr 1912) unter-richtet 1916 die repraumlsentative Publikation des Wiener Kunsthistorikers und Gruumlndungsmitglieds des OumlWB Max Eisler Es handelt sich dabei um eine mit den Jahrbuumlchern des Deutschen Werkbundes vergleichbare Konsultation des eigenen Standpunktes im aktuellen Kulturdiskurs An den Jahrbuumlchern war auch die Buchge-staltung orientiert72 Der OumlWB identifizierte sich damit in seinem Selbstverstaumlndnis und zugleich in seiner Selbstdarstellung mit dem DWB Diese Uumlbereinstimmung zwischen OumlWB und DWB uumlberrascht kaum hatte doch der Letztere seit seiner Gruumlndung den gesamten deutschen Sprachraum inklusive Oumlsterreich zum eigenen Arbeitsgebiet erklaumlrt73

20 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Oumlsterreichische Werkkultur wird bei Eisler in sechs Kapiteln dargestellt die ein geschlossenes System der Werkerziehung praumlsentieren Der umfassende Anspruch an bdquoWerkkunstldquo als bdquoLebensgestaltungldquo wird eingangs mit dem Ent-wurf fuumlr einen neuen Wiener Stadtbezirk74 von dem Wiener Architekturtheoretiker Stadtplaner und OumlWB Mitglied Otto Wagner demonstriert und zwar im Sinne des ganzheitlichen groszligstaumldtisch gepraumlgten Kulturbegriffs vom Sofakissen bis zum Stadtplan75 beziehungsweise hier von der Stadtplanung bis zur Wohnstaumltte und ihrer Einrichtung bdquoAus allen Schoumlpfungen blickt dieselbe auf den klar erkannten Voraussetzungen bauende rein in ihren Grenzen taumltige Art des Meisters der die Vielheit der Aufgaben durch die Einheit seiner geraden werktuumlchtigen Gesinnung bewaumlltigt und uumlberwindetldquo76

Der Kuumlnstler ndash und namentlich insbesondere der Wiener Architekt und Kunst-gewerbler Begruumlnder der Wiener Werkstaumltte und Mitbegruumlnder des OumlWB Josef Hoffmann ndash wird im ersten Kapitel als der Schoumlpfer der groszligstaumldtischen bdquoWerkformldquo eingefuumlhrt Theoretisch wird diese bdquoWerkformldquo mit Hilfe des Gedankengebaumludes einer bdquoKern-ldquo und bdquoKunstformldquo verdeutlicht zusaumltzlicher Schmuck wird jedoch abgelehnt bdquoDie Fassade ist das Kleid fuumlr das Hausinnere Der Stuckprunk auf einer Zinshausfassade ist wie der Abendflitter eines armseligen Komoumldiantenldquo77 Mit solchen Vorstellungen der Bekleidungstheorie hatte sich kurz zuvor Otto Wagner auseinandergesetzt78

Das zweite Kapitel befasst sich mit dem Bildungsauftrag der bdquoWerkerziehungldquo Der Kuumlnstler avanciert dabei zum Lehrer der nach einem Lehrplan letztlich sein freies Schaffen in den zweckgebundenen Dienst des oumlffentlichen Lehrauftrags stellt79 Verbindliche Praumlmisse der ganzheitlichen bdquoWerkerziehungldquo ist bdquoder Mensch [als] der Maszligstab dieser Dingeldquo des Alltagsgebrauchs Nach dieser Regel in der Architekturtheorie seit Vitruv soll sich auch die Ausbildung zum selbststaumlndigen Werkkuumlnstler richten80 Die kk Kunstgewerbeschule gilt im Zusammenhang mit der Mustersammlung des kk Oumlsterreichischen Museums fuumlr Kunst und Industrie in Wien als vorbildlich fuumlr eine wirksame durchaus zentralistisch beziehungs-weise hierarchisch organisierte Werkerziehung selbststaumlndiger Werkkuumlnstler Die einzelnen kk Fachschulen erfuumlllen hier ihre Aufgabe als Multiplikatoren dieser zentralen Einrichtung Eine weitere Oumlffentlichkeit soll mit Unterrichtsangeboten in Kunst und Technik an den Kunstgewerbeschulen erreicht werden diese Oumlffnung der Bildungseinrichtungen zielt uumlber die kunstgewerblichen Produktionskreise hinaus auf eine Erziehung des konsumierenden Publikums81

Unter den bdquoErzeugernldquo denen sich das dritte Kapitel widmet werden ebenso die selbststaumlndigen Werkkuumlnstler wie alle Handwerker und Heimarbeiter aufgefuumlhrt Als bedeutende Neuerung in dieser Produktion gelten dem OumlWB wie zuvor dem DWB die Industriearbeiter gerade mit ihnen wird die kuumlnftige soziale Aufgabe in Verbindung gebracht Prinzipiell soll die Werkkultur innerhalb der Industrie gestaumlrkt werden wofuumlr exemplarisch die enge Verflechtung des Bildungsauftrags der Fachschulen mit der boumlhmischen Glasproduktion der Massenmoumlbel- sowie der Textil- (Teppich-) und Tapetenproduktion aufgefuumlhrt wird82

21Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Werkkultur braucht allerdings den Konsens in Geschmacksfragen Als entscheidendes Bindeglied einer solchen gegenseitigen Verstaumlndigung zwischen Produktion und Vertrieb wird der Aussteller praumlsentiert (viertes Kapitel) Aufgabe der Ausstellungen ist es demnach fuumlr die Vermittlung gemeinsamer Grundsaumltze innerhalb einer oumlsterreichischen Vielheit von Produzenten und Konsumenten ein-zutreten an dieser wechselseitigen Uumlbereinkunft und ihrer fortlaufenden Pruumlfung beziehungsweise Erneuerung sollen alle teilhaben KuumlnstlerErzeuger ebenso wie HaumlndlerKaumluferBetrachter83 Der oumlsterreichischen Werkkultur und ihrer Durchset-zung ist gemaumlszlig Eislers Darstellung der Kreislauf oumlkonomischer Relationen zwischen Kunst und Kapitalismus aumluszligerst dienlich Die Vielheit des oumlsterreichischen Voumllker-wesens soll dabei auf eine werkgebende Eigenart festgelegt werden die zugleich auf dem gemeinsamen Vorgehen und gezielter Zusammenarbeit der Landesmuseen mit den Kunstgewerbeschulen nach uumlbereinstimmenden Grundsaumltzen beruht84

Zeugnis dieser vereinheitlichenden Bestrebungen einer oumlsterreichischen Ge-schmacksbildung ist sogleich die erste Wanderausstellung des OumlWB bdquoVon neuen Arbeiten des heimischen Kunsthandwerksldquo im Reichenberger Nordboumlhmischen Gewerbemuseum im Juli 1913 gewesen Unter den ausgestellten Objekten im Eigentum des k k Oumlsterreichischen Museums fuumlr Kunst und Industrie in Wien und zwar als Bestandteil seiner bdquoSammlungen eigentuumlmlicher oder musterguumlltiger Arbeiten des modernen Kunstgewerbesldquo85 waren auszliger den Wiener Exponaten auch Ausstellungsstuumlcke zu sehen die an den boumlhmischen k k Fachschulen in Haida Steinschoumlnau und Znaim gefertigt oder im Auftrag von privaten Firmen teilweise in boumlhmischen Produktionsstaumltten hergestellt worden sind etwa die nach Entwuumlrfen der Wiener Kuumlnstler Josef Hoffmann und Oskar Strnad gefertigten Glaumlser der Glas-fabrikaten J amp L Lobmeyr oder von Joh Loumltz86 Dem Prinzip der Arbeitsteilung folgend waren die Heimarbeiter (beispielsweise Aumltzer Kugler Graveure Schleifer) das letzte Glied im Herstellungsprozess87 Allerdings hatte die Werkkultur nach Wiener Vorbild fuumlr die Arbeiter in sozialer Hinsicht kaum Vorteile zu bieten im Unterschied zum entwerfenden Kuumlnstler blieb der Heimarbeiter anonym

In der bdquoKette unmittelbarer Erziehungswirkungldquo nehmen gemaumlszlig Eisler der Haumlndler und der Kaumlufer letztendlich die Schluumlsselstellung ein (fuumlnftes Kapitel) Vom Werkursprung ausgehend an dem KuumlnstlerLehrerErzeuger teilhaben ist mit dem Konsumenten die Zielgruppe der geschmacksbildenden Bemuumlhungen genannt mittels eines geschickten Haumlndlers und seiner Verkaufsstrategie (der Haumlndler als Erzieher88) soll nunmehr das Produkt nach den Gesetzmaumlszligigkeiten des Marktes einen Verkaufserfolg verbuchen und so seinen Zweck als Qualitaumltsware erfuumlllen89

Der Erziehungsanspruch ist somit einer oumlkonomischen Fortschrittsidee ver-pflichtet welche die beabsichtigte Modernisierung der Alltagskultur gaumlnzlich dem Marktprinzip unterwirft beziehungsweise von der Vermarktung getragen wird Anders als die industriell hergestellte Massenware wird innerhalb der bdquogemein-deutschenldquo Werkkunst fuumlr die oumlsterreichische Besonderheit gerade ihr handwerk-licher Charakter beansprucht der dieser einen exklusiven bdquoOriginalwertldquo aufgrund des einmaligen urheberrechtlich zu schuumltzenden Kuumlnstlerentwurfs sichern soll90

22 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Werkbund-Kontroverse zwischen Befuumlrwortern einer Typisierung gegenuumlber den Individualisten auf der Werkbund-Ausstellung in Koumlln 1914 von Frederic J Schwartz primaumlr als ein Konflikt eben um den urheberrechtlichen Schutz des Kuumlnstlers entschluumlsselt duumlrfte eine Voraussetzung dieser Argumentation und Wert-schaumltzung der kuumlnstlerischen Originalitaumlt sein91 gerade im Zusammenhang mit der arbeitsteiligen Produktion spielte der urheberrechtliche Schutz des Kuumlnstlers eine besonders wichtige Rolle Der OumlWB hat damit eigene Konturen auf dem Kunst-markt und bei der Vermarktung von Kultur gewonnen

Die Organisation der oumlsterreichischen Werkkultur wird schlieszliglich anhand der Werkbundarbeit im oumlsterreichischen Pavillon auf derselben Koumllner Werkbundaus-stellung von 1914 verdeutlicht (sechstes Kapitel) Die Erfolgsbilanz der bdquooumlster-reichischen Sonderartldquo als der bdquotreibenden Vielheitldquo92 in der bdquobindenden Einheitldquo wird explizit auch in Verbindung mit dem Beitrag des Tschechischen Werkbundes im Oumlsterreichischen Pavillon herausgestellt er war fester Bestandteil der oumlster-reichischen Exposition und bekraumlftigte deren Sonderstatus mit der dargebotenen sogenannten Handwerkskunst93 Tatsaumlchlich hatte diese wie sich Adolf Loos aus-druumlckte bdquoLuxuskunst fuumlr die oberen Zehntausend der modernen Groszligstadtldquo einige potenzielle Kaumlufer versammeln koumlnnen die Verkaufsverhandlungen wurden jedoch wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges unterbrochen94

Eislers Praumlsentation des OumlWB endet mit einer Auflistung der Mitglieder (ins-gesamt 627) wobei im Arbeitsausschuss unter anderen Vertrauensmaumlnner aus Boumlhmen Maumlhren und Schlesien genannt sind Zu den Mitgliedern zaumlhlt zwar auch die tschechische Kuumlnstlergenossenschaft bdquoArtělldquo jedoch sind des Weiteren fast ausschlieszliglich deutsche Einrichtungen der boumlhmischen Laumlnder vertreten (siebtes Kapitel)

23Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Max Eisler Die Oumlsterreichische Werkkultur herausgegeben vom Oumlsterreichischen Werkbund OumlWB Wien 1916 S 5ndash54

Der KuumlnstlerWerkkunst ist Lebensgestaltung ausgedruumlckt in Formen die dem Gebrauche oder auch nur dem Auge dienen immer aber jene Befriedigung hervorrufen die eine aufrichtige dem Material und Zwecke klar entsprechende Behandlung mit sich fuumlhrt In der besonderen Art in der der Kuumlnstler diese aller Werkkunst gemeinsame Aufgabe erfuumlllt aumluszligert sich seine Persoumlnlichkeit Doch kann ihr Schaffen der Mitwelt der sie angehoumlrt nicht entraten Sie muszlig ihre Zeit und ihren Lebenskreis taumltigen Anteil nehmen lassen an dem Werke Nur so gibt sie Lebensgestaltung nur so wird Werkkunst zur Werkkultur

Wir koumlnnen ihre Leistung auch nur dann ganz verstehen und nach voller Gebuumlhr wuumlrdigen wenn wir dem lebendigen Austausch zwischen Kuumlnstler und Mitwelt aufmerksam folgen und uns daruumlber klar werden was er ihr was sie ihm gibt Diese Klarheit laumlszligt sich aber wieder nur an dem Werkgange gewinnen Nur wenn wir erfahren haben wie das wird was wir als Fertiges vor uns haben wird unser Urteil daruumlber vernuumlnftig und billig unser Genuszlig begruumlndet sein Wenn wir dann von einem Werke sagen bdquoDas ist gutldquo oder bdquoDas ist schoumlnldquo so wird Sinn in diesen Worten liegen und wir werden was unserem Geschmacke ungelegen kommt nicht ohneweiters verwerfen weil unser Urteil dann nicht mehr vom gefaumllligen Eindruck aufs Auge abhaumlngt sondern auf allseitiges Ver-stehen zuruumlckgehtEs wird darum der Sache und dem Leser gleich foumlrderlich sein wenn wir ver-suchen in das Werkschaffen einigermaszligen einzufuumlhren ehe wir sein Ergebnis eingehender betrachten

Wir stellen den Kuumlnstler voranDie umfassendste gelaumlufige Werkform auf die sich das Schaffen eines Kuumlnst-

lers aus der Mitte unseres Bundes gegenwaumlrtig richtet ist das wohlversehene Haus ndash nicht das auszligergewoumlhnliche der Festbau sondern das Wohnhaus ndash und hier wieder nicht das eines besonderen kleinen Geschaumlftskreises sondern das des werktaumltigen Buumlrgerstandes allerdings eines groszligstaumldtisch kultivierten vor allem des Wieners Der umfassendste durchschnittliche Zweck in dem diese Arbeit zu ihrem reinsten Ausdruck kommt ist also die Wohnstaumltte fuumlr vorgeschrittene und zeitgemaumlszlige wirkende Stadtmenschen Im Rahmen dieser Aufgabe decken sich Art und Beduumlrfnis des auftraggebenden Bauherrn am meis-ten mit der Gesinnung des ausfuumlhrenden Kuumlnstlers und auf diese weitgehende Annaumlherung beider beruht ersten Grundes die lebendige Vollkommenheit des Werkes

Nun steht ein Groszligstadthaus niemals fuumlr sich hat Nachbarn und Gegenuumlber muszlig auf sie die Ruumlcksicht nehmen die das Glied dem Koumlrper schuldet und mit den Kameraden von nebenan und druumlben darnach sehen wie der umbaute

24 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Freiraum zu seiner kuumlnstlerischen Erscheinung kommt Denn davon haumlngt alles andere ab Das beste und schoumlnste Haus wird verkuumlmmert oder aufdringlich jedenfalls am unrechten Platze erscheinen wenn es sich nicht in einen uumlber-einkommenden Raumplan einfuumlgt und einem vollkommenen Freiraume kann auch ein belangloses Einzelstuumlck nicht gar erheblich schaden Es gilt darum fuumlrs erste den Grundriszlig des Auszligenraumes festzulegen und seine Bauwaumlnde in ein wohlgemessenes Verhaumlltnis zu bringen Das war und ist Raumkunst in ihrem urspruumlnglichsten und aumluszligersten Sinne

Aber wie die Dinge heute liegen bleibt dieser Anfang alles Werkschaffens im Bauen meist ein frommer Wunsch Wir sind fast in allen Gebieten des Lebens zumal in der stadtbildlichen Arbeit nicht freie Begruumlnder sondern Erben und Fortsetzer der Kultur Da ist es schon eine hohe Tugend sie nach jeder Tunlich-keit vorwaumlrtszubringen in den Grenzen des Moumlglichen der Zeit zu geben was ihres Geistes und Koumlnnens ist

Erstes naumlchstgelegenes Ziel dieses Teils der Werkkunst ist die Groszligstadt denn die Groszligstadt ist die modernste Form des menschlichen Zusammenle-bens und die Aufgaben die sie stellt sind vom gegenwaumlrtigen Geiste erfuumlllt Aber im Bereiche eines altstaumldtischen Wesens wie etwa Wiens begegnet jedes umfassende Beginnen gerade den staumlrksten Hemmungen Im innerstaumldtischen Kreise verlangt der uumlberkommene Freiraum sein Recht wo er mit neuen An-lagen durchbrochen wird herrscht der Raster der behoumlrdlichen Bauvorschrift fuumlhren Verkehr und Hygiene ihre wohlgemeinte ausschlieszligliche Sprache zieht sich die Kunst auf die eintoumlnige Handhabung von Reiszligbrett und Lineal zuruumlck Selten nur wird ihrer freieren Uumlbung hier Gelegenheit geboten einem ganzen Stadtteil von Grund auf sein Gepraumlge zu geben dh dem Zuge der Straszligen der Umriszliglinie der Plaumltze dem Grundriszlig eines ganzen Viertels die Richtung zu weisen also stadtbildlich im durchgreifendsten Sinne zu wirken Bei solchem Zustande stehen ihrer vollen freien Entfaltung nur die aumluszligeren unverbauten Bezirke offen Hier kann sie ganze Arbeit leisten Und sie wird das im Sinne der Werkkunst wenn sie zunaumlchst das Wegnetz nach den oumlrtlich bedingten Erfordernissen richtet das Neuviertel mit offenen Straumlngen an den Altkern bindet dort klar und entschlossen zwischen Haupt- und Nebenstraszligen Wohn- Wirtschafts- und Festwegen zwischen Monumental- Verkehrs- und Erholungs-plaumltzen scheidet dh allen Anspruumlchen groszligstaumldtischer Vernunft genuumlgt Der Kunst geschieht dabei schon genug wenn nur der Grundriszlig ndash einerlei wie er verlaumluft ndash den Zweck des Ganzen in seiner Einheit der Teile in ihrer Besonderheit sinnfaumlllig fuumlr jedermann einleuchtend erkennen laumlszligt und dazu den kuumlnftigen Baumeistern die Grundmoumlglichkeit schafft nicht Wand gegen Wand sondern Baukoumlrper gegen Koumlrper zu setzen und aus beiden klargemessenen wohlbe-wegten Auszligenraum zu bilden

Naumlher dem alten Siedlungskerne bleibt nur die Auseinandersetzung mit dem Uumlberlieferten Hier gilt es Zeitverstand handelnd beweisen dh verstehen der Zeit von damals und heute Bloszliges Konservieren waumlre Gedankenfaulheit und

Page 15: DER TSCHECHOSLOWAKISCHE WERKBUND UND DER WERKBUND … · 2018-10-04 · Vorwort Der Deutsche Werkbund Der Architekt und preußische Staatsbeamte Hermann Muthesius hat 1907 das Ziel

19Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Oumlsterreichische Werkkultur

Aus den Statuten des Oumlsterreichischen Werkbundes 71

sect 2 Der Zweck des Vereines ist die Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst Industrie und Handwerk durch Erziehung und Propaganda die Pflege des kunstgemaumlszligen Echten aller Zeiten auf allen Gebieten menschlicher Betaumltigung Hebung des kuumlnstlerischen Geschmackes und Urteiles und Foumlrderung aller gleichen Zielen zugewandten Bestrebungen Dabei soll auf die Pflege und Entwicklung der nationalen Eigenart der kuumlnstlerischen und gewerblichen Produktion besonderes Augenmerk gerichtet werden

sect 4 Dem Verein gehoumlren an 1 Ehrenmitglieder 2 Stifter 3 Ordentliche Mitglieder

sect 7 Ordentliche Mitglieder des Vereines koumlnnen sein Kenner Kuumlnstler Industrielle und Gewerbetreibende

sect 8 Die Aufnahme der Mitglieder erfolgt nur nach vorhergegangener Einladung durch Beschluszlig des Vorstandes und wird durch Eintragung in die Mitgliederliste vollzogen die vom Generalsekretaumlr gefuumlhrt wird Von der Konstituierung des Vereines werden die Mitglieder durch die Proponenten aufgenommen

sect 9 Der jaumlhrliche Beitrag der ordentlichen Mitglieder wird von jedem Mitgliede durch Selbsteinschaumltzung nach dem Maszlige seiner Leistungsfaumlhigkeit festgesetzt betraumlgt fuumlr einzelne Personen mindestens zehn Kronen fuumlr Firmen mindestens fuumlnfzig Kronen

Uumlber das bdquoWerkschaffenldquo gemaumlszlig dem Verstaumlndnis des OumlWB (gegr 1912) unter-richtet 1916 die repraumlsentative Publikation des Wiener Kunsthistorikers und Gruumlndungsmitglieds des OumlWB Max Eisler Es handelt sich dabei um eine mit den Jahrbuumlchern des Deutschen Werkbundes vergleichbare Konsultation des eigenen Standpunktes im aktuellen Kulturdiskurs An den Jahrbuumlchern war auch die Buchge-staltung orientiert72 Der OumlWB identifizierte sich damit in seinem Selbstverstaumlndnis und zugleich in seiner Selbstdarstellung mit dem DWB Diese Uumlbereinstimmung zwischen OumlWB und DWB uumlberrascht kaum hatte doch der Letztere seit seiner Gruumlndung den gesamten deutschen Sprachraum inklusive Oumlsterreich zum eigenen Arbeitsgebiet erklaumlrt73

20 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Oumlsterreichische Werkkultur wird bei Eisler in sechs Kapiteln dargestellt die ein geschlossenes System der Werkerziehung praumlsentieren Der umfassende Anspruch an bdquoWerkkunstldquo als bdquoLebensgestaltungldquo wird eingangs mit dem Ent-wurf fuumlr einen neuen Wiener Stadtbezirk74 von dem Wiener Architekturtheoretiker Stadtplaner und OumlWB Mitglied Otto Wagner demonstriert und zwar im Sinne des ganzheitlichen groszligstaumldtisch gepraumlgten Kulturbegriffs vom Sofakissen bis zum Stadtplan75 beziehungsweise hier von der Stadtplanung bis zur Wohnstaumltte und ihrer Einrichtung bdquoAus allen Schoumlpfungen blickt dieselbe auf den klar erkannten Voraussetzungen bauende rein in ihren Grenzen taumltige Art des Meisters der die Vielheit der Aufgaben durch die Einheit seiner geraden werktuumlchtigen Gesinnung bewaumlltigt und uumlberwindetldquo76

Der Kuumlnstler ndash und namentlich insbesondere der Wiener Architekt und Kunst-gewerbler Begruumlnder der Wiener Werkstaumltte und Mitbegruumlnder des OumlWB Josef Hoffmann ndash wird im ersten Kapitel als der Schoumlpfer der groszligstaumldtischen bdquoWerkformldquo eingefuumlhrt Theoretisch wird diese bdquoWerkformldquo mit Hilfe des Gedankengebaumludes einer bdquoKern-ldquo und bdquoKunstformldquo verdeutlicht zusaumltzlicher Schmuck wird jedoch abgelehnt bdquoDie Fassade ist das Kleid fuumlr das Hausinnere Der Stuckprunk auf einer Zinshausfassade ist wie der Abendflitter eines armseligen Komoumldiantenldquo77 Mit solchen Vorstellungen der Bekleidungstheorie hatte sich kurz zuvor Otto Wagner auseinandergesetzt78

Das zweite Kapitel befasst sich mit dem Bildungsauftrag der bdquoWerkerziehungldquo Der Kuumlnstler avanciert dabei zum Lehrer der nach einem Lehrplan letztlich sein freies Schaffen in den zweckgebundenen Dienst des oumlffentlichen Lehrauftrags stellt79 Verbindliche Praumlmisse der ganzheitlichen bdquoWerkerziehungldquo ist bdquoder Mensch [als] der Maszligstab dieser Dingeldquo des Alltagsgebrauchs Nach dieser Regel in der Architekturtheorie seit Vitruv soll sich auch die Ausbildung zum selbststaumlndigen Werkkuumlnstler richten80 Die kk Kunstgewerbeschule gilt im Zusammenhang mit der Mustersammlung des kk Oumlsterreichischen Museums fuumlr Kunst und Industrie in Wien als vorbildlich fuumlr eine wirksame durchaus zentralistisch beziehungs-weise hierarchisch organisierte Werkerziehung selbststaumlndiger Werkkuumlnstler Die einzelnen kk Fachschulen erfuumlllen hier ihre Aufgabe als Multiplikatoren dieser zentralen Einrichtung Eine weitere Oumlffentlichkeit soll mit Unterrichtsangeboten in Kunst und Technik an den Kunstgewerbeschulen erreicht werden diese Oumlffnung der Bildungseinrichtungen zielt uumlber die kunstgewerblichen Produktionskreise hinaus auf eine Erziehung des konsumierenden Publikums81

Unter den bdquoErzeugernldquo denen sich das dritte Kapitel widmet werden ebenso die selbststaumlndigen Werkkuumlnstler wie alle Handwerker und Heimarbeiter aufgefuumlhrt Als bedeutende Neuerung in dieser Produktion gelten dem OumlWB wie zuvor dem DWB die Industriearbeiter gerade mit ihnen wird die kuumlnftige soziale Aufgabe in Verbindung gebracht Prinzipiell soll die Werkkultur innerhalb der Industrie gestaumlrkt werden wofuumlr exemplarisch die enge Verflechtung des Bildungsauftrags der Fachschulen mit der boumlhmischen Glasproduktion der Massenmoumlbel- sowie der Textil- (Teppich-) und Tapetenproduktion aufgefuumlhrt wird82

21Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Werkkultur braucht allerdings den Konsens in Geschmacksfragen Als entscheidendes Bindeglied einer solchen gegenseitigen Verstaumlndigung zwischen Produktion und Vertrieb wird der Aussteller praumlsentiert (viertes Kapitel) Aufgabe der Ausstellungen ist es demnach fuumlr die Vermittlung gemeinsamer Grundsaumltze innerhalb einer oumlsterreichischen Vielheit von Produzenten und Konsumenten ein-zutreten an dieser wechselseitigen Uumlbereinkunft und ihrer fortlaufenden Pruumlfung beziehungsweise Erneuerung sollen alle teilhaben KuumlnstlerErzeuger ebenso wie HaumlndlerKaumluferBetrachter83 Der oumlsterreichischen Werkkultur und ihrer Durchset-zung ist gemaumlszlig Eislers Darstellung der Kreislauf oumlkonomischer Relationen zwischen Kunst und Kapitalismus aumluszligerst dienlich Die Vielheit des oumlsterreichischen Voumllker-wesens soll dabei auf eine werkgebende Eigenart festgelegt werden die zugleich auf dem gemeinsamen Vorgehen und gezielter Zusammenarbeit der Landesmuseen mit den Kunstgewerbeschulen nach uumlbereinstimmenden Grundsaumltzen beruht84

Zeugnis dieser vereinheitlichenden Bestrebungen einer oumlsterreichischen Ge-schmacksbildung ist sogleich die erste Wanderausstellung des OumlWB bdquoVon neuen Arbeiten des heimischen Kunsthandwerksldquo im Reichenberger Nordboumlhmischen Gewerbemuseum im Juli 1913 gewesen Unter den ausgestellten Objekten im Eigentum des k k Oumlsterreichischen Museums fuumlr Kunst und Industrie in Wien und zwar als Bestandteil seiner bdquoSammlungen eigentuumlmlicher oder musterguumlltiger Arbeiten des modernen Kunstgewerbesldquo85 waren auszliger den Wiener Exponaten auch Ausstellungsstuumlcke zu sehen die an den boumlhmischen k k Fachschulen in Haida Steinschoumlnau und Znaim gefertigt oder im Auftrag von privaten Firmen teilweise in boumlhmischen Produktionsstaumltten hergestellt worden sind etwa die nach Entwuumlrfen der Wiener Kuumlnstler Josef Hoffmann und Oskar Strnad gefertigten Glaumlser der Glas-fabrikaten J amp L Lobmeyr oder von Joh Loumltz86 Dem Prinzip der Arbeitsteilung folgend waren die Heimarbeiter (beispielsweise Aumltzer Kugler Graveure Schleifer) das letzte Glied im Herstellungsprozess87 Allerdings hatte die Werkkultur nach Wiener Vorbild fuumlr die Arbeiter in sozialer Hinsicht kaum Vorteile zu bieten im Unterschied zum entwerfenden Kuumlnstler blieb der Heimarbeiter anonym

In der bdquoKette unmittelbarer Erziehungswirkungldquo nehmen gemaumlszlig Eisler der Haumlndler und der Kaumlufer letztendlich die Schluumlsselstellung ein (fuumlnftes Kapitel) Vom Werkursprung ausgehend an dem KuumlnstlerLehrerErzeuger teilhaben ist mit dem Konsumenten die Zielgruppe der geschmacksbildenden Bemuumlhungen genannt mittels eines geschickten Haumlndlers und seiner Verkaufsstrategie (der Haumlndler als Erzieher88) soll nunmehr das Produkt nach den Gesetzmaumlszligigkeiten des Marktes einen Verkaufserfolg verbuchen und so seinen Zweck als Qualitaumltsware erfuumlllen89

Der Erziehungsanspruch ist somit einer oumlkonomischen Fortschrittsidee ver-pflichtet welche die beabsichtigte Modernisierung der Alltagskultur gaumlnzlich dem Marktprinzip unterwirft beziehungsweise von der Vermarktung getragen wird Anders als die industriell hergestellte Massenware wird innerhalb der bdquogemein-deutschenldquo Werkkunst fuumlr die oumlsterreichische Besonderheit gerade ihr handwerk-licher Charakter beansprucht der dieser einen exklusiven bdquoOriginalwertldquo aufgrund des einmaligen urheberrechtlich zu schuumltzenden Kuumlnstlerentwurfs sichern soll90

22 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Werkbund-Kontroverse zwischen Befuumlrwortern einer Typisierung gegenuumlber den Individualisten auf der Werkbund-Ausstellung in Koumlln 1914 von Frederic J Schwartz primaumlr als ein Konflikt eben um den urheberrechtlichen Schutz des Kuumlnstlers entschluumlsselt duumlrfte eine Voraussetzung dieser Argumentation und Wert-schaumltzung der kuumlnstlerischen Originalitaumlt sein91 gerade im Zusammenhang mit der arbeitsteiligen Produktion spielte der urheberrechtliche Schutz des Kuumlnstlers eine besonders wichtige Rolle Der OumlWB hat damit eigene Konturen auf dem Kunst-markt und bei der Vermarktung von Kultur gewonnen

Die Organisation der oumlsterreichischen Werkkultur wird schlieszliglich anhand der Werkbundarbeit im oumlsterreichischen Pavillon auf derselben Koumllner Werkbundaus-stellung von 1914 verdeutlicht (sechstes Kapitel) Die Erfolgsbilanz der bdquooumlster-reichischen Sonderartldquo als der bdquotreibenden Vielheitldquo92 in der bdquobindenden Einheitldquo wird explizit auch in Verbindung mit dem Beitrag des Tschechischen Werkbundes im Oumlsterreichischen Pavillon herausgestellt er war fester Bestandteil der oumlster-reichischen Exposition und bekraumlftigte deren Sonderstatus mit der dargebotenen sogenannten Handwerkskunst93 Tatsaumlchlich hatte diese wie sich Adolf Loos aus-druumlckte bdquoLuxuskunst fuumlr die oberen Zehntausend der modernen Groszligstadtldquo einige potenzielle Kaumlufer versammeln koumlnnen die Verkaufsverhandlungen wurden jedoch wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges unterbrochen94

Eislers Praumlsentation des OumlWB endet mit einer Auflistung der Mitglieder (ins-gesamt 627) wobei im Arbeitsausschuss unter anderen Vertrauensmaumlnner aus Boumlhmen Maumlhren und Schlesien genannt sind Zu den Mitgliedern zaumlhlt zwar auch die tschechische Kuumlnstlergenossenschaft bdquoArtělldquo jedoch sind des Weiteren fast ausschlieszliglich deutsche Einrichtungen der boumlhmischen Laumlnder vertreten (siebtes Kapitel)

23Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Max Eisler Die Oumlsterreichische Werkkultur herausgegeben vom Oumlsterreichischen Werkbund OumlWB Wien 1916 S 5ndash54

Der KuumlnstlerWerkkunst ist Lebensgestaltung ausgedruumlckt in Formen die dem Gebrauche oder auch nur dem Auge dienen immer aber jene Befriedigung hervorrufen die eine aufrichtige dem Material und Zwecke klar entsprechende Behandlung mit sich fuumlhrt In der besonderen Art in der der Kuumlnstler diese aller Werkkunst gemeinsame Aufgabe erfuumlllt aumluszligert sich seine Persoumlnlichkeit Doch kann ihr Schaffen der Mitwelt der sie angehoumlrt nicht entraten Sie muszlig ihre Zeit und ihren Lebenskreis taumltigen Anteil nehmen lassen an dem Werke Nur so gibt sie Lebensgestaltung nur so wird Werkkunst zur Werkkultur

Wir koumlnnen ihre Leistung auch nur dann ganz verstehen und nach voller Gebuumlhr wuumlrdigen wenn wir dem lebendigen Austausch zwischen Kuumlnstler und Mitwelt aufmerksam folgen und uns daruumlber klar werden was er ihr was sie ihm gibt Diese Klarheit laumlszligt sich aber wieder nur an dem Werkgange gewinnen Nur wenn wir erfahren haben wie das wird was wir als Fertiges vor uns haben wird unser Urteil daruumlber vernuumlnftig und billig unser Genuszlig begruumlndet sein Wenn wir dann von einem Werke sagen bdquoDas ist gutldquo oder bdquoDas ist schoumlnldquo so wird Sinn in diesen Worten liegen und wir werden was unserem Geschmacke ungelegen kommt nicht ohneweiters verwerfen weil unser Urteil dann nicht mehr vom gefaumllligen Eindruck aufs Auge abhaumlngt sondern auf allseitiges Ver-stehen zuruumlckgehtEs wird darum der Sache und dem Leser gleich foumlrderlich sein wenn wir ver-suchen in das Werkschaffen einigermaszligen einzufuumlhren ehe wir sein Ergebnis eingehender betrachten

Wir stellen den Kuumlnstler voranDie umfassendste gelaumlufige Werkform auf die sich das Schaffen eines Kuumlnst-

lers aus der Mitte unseres Bundes gegenwaumlrtig richtet ist das wohlversehene Haus ndash nicht das auszligergewoumlhnliche der Festbau sondern das Wohnhaus ndash und hier wieder nicht das eines besonderen kleinen Geschaumlftskreises sondern das des werktaumltigen Buumlrgerstandes allerdings eines groszligstaumldtisch kultivierten vor allem des Wieners Der umfassendste durchschnittliche Zweck in dem diese Arbeit zu ihrem reinsten Ausdruck kommt ist also die Wohnstaumltte fuumlr vorgeschrittene und zeitgemaumlszlige wirkende Stadtmenschen Im Rahmen dieser Aufgabe decken sich Art und Beduumlrfnis des auftraggebenden Bauherrn am meis-ten mit der Gesinnung des ausfuumlhrenden Kuumlnstlers und auf diese weitgehende Annaumlherung beider beruht ersten Grundes die lebendige Vollkommenheit des Werkes

Nun steht ein Groszligstadthaus niemals fuumlr sich hat Nachbarn und Gegenuumlber muszlig auf sie die Ruumlcksicht nehmen die das Glied dem Koumlrper schuldet und mit den Kameraden von nebenan und druumlben darnach sehen wie der umbaute

24 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Freiraum zu seiner kuumlnstlerischen Erscheinung kommt Denn davon haumlngt alles andere ab Das beste und schoumlnste Haus wird verkuumlmmert oder aufdringlich jedenfalls am unrechten Platze erscheinen wenn es sich nicht in einen uumlber-einkommenden Raumplan einfuumlgt und einem vollkommenen Freiraume kann auch ein belangloses Einzelstuumlck nicht gar erheblich schaden Es gilt darum fuumlrs erste den Grundriszlig des Auszligenraumes festzulegen und seine Bauwaumlnde in ein wohlgemessenes Verhaumlltnis zu bringen Das war und ist Raumkunst in ihrem urspruumlnglichsten und aumluszligersten Sinne

Aber wie die Dinge heute liegen bleibt dieser Anfang alles Werkschaffens im Bauen meist ein frommer Wunsch Wir sind fast in allen Gebieten des Lebens zumal in der stadtbildlichen Arbeit nicht freie Begruumlnder sondern Erben und Fortsetzer der Kultur Da ist es schon eine hohe Tugend sie nach jeder Tunlich-keit vorwaumlrtszubringen in den Grenzen des Moumlglichen der Zeit zu geben was ihres Geistes und Koumlnnens ist

Erstes naumlchstgelegenes Ziel dieses Teils der Werkkunst ist die Groszligstadt denn die Groszligstadt ist die modernste Form des menschlichen Zusammenle-bens und die Aufgaben die sie stellt sind vom gegenwaumlrtigen Geiste erfuumlllt Aber im Bereiche eines altstaumldtischen Wesens wie etwa Wiens begegnet jedes umfassende Beginnen gerade den staumlrksten Hemmungen Im innerstaumldtischen Kreise verlangt der uumlberkommene Freiraum sein Recht wo er mit neuen An-lagen durchbrochen wird herrscht der Raster der behoumlrdlichen Bauvorschrift fuumlhren Verkehr und Hygiene ihre wohlgemeinte ausschlieszligliche Sprache zieht sich die Kunst auf die eintoumlnige Handhabung von Reiszligbrett und Lineal zuruumlck Selten nur wird ihrer freieren Uumlbung hier Gelegenheit geboten einem ganzen Stadtteil von Grund auf sein Gepraumlge zu geben dh dem Zuge der Straszligen der Umriszliglinie der Plaumltze dem Grundriszlig eines ganzen Viertels die Richtung zu weisen also stadtbildlich im durchgreifendsten Sinne zu wirken Bei solchem Zustande stehen ihrer vollen freien Entfaltung nur die aumluszligeren unverbauten Bezirke offen Hier kann sie ganze Arbeit leisten Und sie wird das im Sinne der Werkkunst wenn sie zunaumlchst das Wegnetz nach den oumlrtlich bedingten Erfordernissen richtet das Neuviertel mit offenen Straumlngen an den Altkern bindet dort klar und entschlossen zwischen Haupt- und Nebenstraszligen Wohn- Wirtschafts- und Festwegen zwischen Monumental- Verkehrs- und Erholungs-plaumltzen scheidet dh allen Anspruumlchen groszligstaumldtischer Vernunft genuumlgt Der Kunst geschieht dabei schon genug wenn nur der Grundriszlig ndash einerlei wie er verlaumluft ndash den Zweck des Ganzen in seiner Einheit der Teile in ihrer Besonderheit sinnfaumlllig fuumlr jedermann einleuchtend erkennen laumlszligt und dazu den kuumlnftigen Baumeistern die Grundmoumlglichkeit schafft nicht Wand gegen Wand sondern Baukoumlrper gegen Koumlrper zu setzen und aus beiden klargemessenen wohlbe-wegten Auszligenraum zu bilden

Naumlher dem alten Siedlungskerne bleibt nur die Auseinandersetzung mit dem Uumlberlieferten Hier gilt es Zeitverstand handelnd beweisen dh verstehen der Zeit von damals und heute Bloszliges Konservieren waumlre Gedankenfaulheit und

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20 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Oumlsterreichische Werkkultur wird bei Eisler in sechs Kapiteln dargestellt die ein geschlossenes System der Werkerziehung praumlsentieren Der umfassende Anspruch an bdquoWerkkunstldquo als bdquoLebensgestaltungldquo wird eingangs mit dem Ent-wurf fuumlr einen neuen Wiener Stadtbezirk74 von dem Wiener Architekturtheoretiker Stadtplaner und OumlWB Mitglied Otto Wagner demonstriert und zwar im Sinne des ganzheitlichen groszligstaumldtisch gepraumlgten Kulturbegriffs vom Sofakissen bis zum Stadtplan75 beziehungsweise hier von der Stadtplanung bis zur Wohnstaumltte und ihrer Einrichtung bdquoAus allen Schoumlpfungen blickt dieselbe auf den klar erkannten Voraussetzungen bauende rein in ihren Grenzen taumltige Art des Meisters der die Vielheit der Aufgaben durch die Einheit seiner geraden werktuumlchtigen Gesinnung bewaumlltigt und uumlberwindetldquo76

Der Kuumlnstler ndash und namentlich insbesondere der Wiener Architekt und Kunst-gewerbler Begruumlnder der Wiener Werkstaumltte und Mitbegruumlnder des OumlWB Josef Hoffmann ndash wird im ersten Kapitel als der Schoumlpfer der groszligstaumldtischen bdquoWerkformldquo eingefuumlhrt Theoretisch wird diese bdquoWerkformldquo mit Hilfe des Gedankengebaumludes einer bdquoKern-ldquo und bdquoKunstformldquo verdeutlicht zusaumltzlicher Schmuck wird jedoch abgelehnt bdquoDie Fassade ist das Kleid fuumlr das Hausinnere Der Stuckprunk auf einer Zinshausfassade ist wie der Abendflitter eines armseligen Komoumldiantenldquo77 Mit solchen Vorstellungen der Bekleidungstheorie hatte sich kurz zuvor Otto Wagner auseinandergesetzt78

Das zweite Kapitel befasst sich mit dem Bildungsauftrag der bdquoWerkerziehungldquo Der Kuumlnstler avanciert dabei zum Lehrer der nach einem Lehrplan letztlich sein freies Schaffen in den zweckgebundenen Dienst des oumlffentlichen Lehrauftrags stellt79 Verbindliche Praumlmisse der ganzheitlichen bdquoWerkerziehungldquo ist bdquoder Mensch [als] der Maszligstab dieser Dingeldquo des Alltagsgebrauchs Nach dieser Regel in der Architekturtheorie seit Vitruv soll sich auch die Ausbildung zum selbststaumlndigen Werkkuumlnstler richten80 Die kk Kunstgewerbeschule gilt im Zusammenhang mit der Mustersammlung des kk Oumlsterreichischen Museums fuumlr Kunst und Industrie in Wien als vorbildlich fuumlr eine wirksame durchaus zentralistisch beziehungs-weise hierarchisch organisierte Werkerziehung selbststaumlndiger Werkkuumlnstler Die einzelnen kk Fachschulen erfuumlllen hier ihre Aufgabe als Multiplikatoren dieser zentralen Einrichtung Eine weitere Oumlffentlichkeit soll mit Unterrichtsangeboten in Kunst und Technik an den Kunstgewerbeschulen erreicht werden diese Oumlffnung der Bildungseinrichtungen zielt uumlber die kunstgewerblichen Produktionskreise hinaus auf eine Erziehung des konsumierenden Publikums81

Unter den bdquoErzeugernldquo denen sich das dritte Kapitel widmet werden ebenso die selbststaumlndigen Werkkuumlnstler wie alle Handwerker und Heimarbeiter aufgefuumlhrt Als bedeutende Neuerung in dieser Produktion gelten dem OumlWB wie zuvor dem DWB die Industriearbeiter gerade mit ihnen wird die kuumlnftige soziale Aufgabe in Verbindung gebracht Prinzipiell soll die Werkkultur innerhalb der Industrie gestaumlrkt werden wofuumlr exemplarisch die enge Verflechtung des Bildungsauftrags der Fachschulen mit der boumlhmischen Glasproduktion der Massenmoumlbel- sowie der Textil- (Teppich-) und Tapetenproduktion aufgefuumlhrt wird82

21Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Werkkultur braucht allerdings den Konsens in Geschmacksfragen Als entscheidendes Bindeglied einer solchen gegenseitigen Verstaumlndigung zwischen Produktion und Vertrieb wird der Aussteller praumlsentiert (viertes Kapitel) Aufgabe der Ausstellungen ist es demnach fuumlr die Vermittlung gemeinsamer Grundsaumltze innerhalb einer oumlsterreichischen Vielheit von Produzenten und Konsumenten ein-zutreten an dieser wechselseitigen Uumlbereinkunft und ihrer fortlaufenden Pruumlfung beziehungsweise Erneuerung sollen alle teilhaben KuumlnstlerErzeuger ebenso wie HaumlndlerKaumluferBetrachter83 Der oumlsterreichischen Werkkultur und ihrer Durchset-zung ist gemaumlszlig Eislers Darstellung der Kreislauf oumlkonomischer Relationen zwischen Kunst und Kapitalismus aumluszligerst dienlich Die Vielheit des oumlsterreichischen Voumllker-wesens soll dabei auf eine werkgebende Eigenart festgelegt werden die zugleich auf dem gemeinsamen Vorgehen und gezielter Zusammenarbeit der Landesmuseen mit den Kunstgewerbeschulen nach uumlbereinstimmenden Grundsaumltzen beruht84

Zeugnis dieser vereinheitlichenden Bestrebungen einer oumlsterreichischen Ge-schmacksbildung ist sogleich die erste Wanderausstellung des OumlWB bdquoVon neuen Arbeiten des heimischen Kunsthandwerksldquo im Reichenberger Nordboumlhmischen Gewerbemuseum im Juli 1913 gewesen Unter den ausgestellten Objekten im Eigentum des k k Oumlsterreichischen Museums fuumlr Kunst und Industrie in Wien und zwar als Bestandteil seiner bdquoSammlungen eigentuumlmlicher oder musterguumlltiger Arbeiten des modernen Kunstgewerbesldquo85 waren auszliger den Wiener Exponaten auch Ausstellungsstuumlcke zu sehen die an den boumlhmischen k k Fachschulen in Haida Steinschoumlnau und Znaim gefertigt oder im Auftrag von privaten Firmen teilweise in boumlhmischen Produktionsstaumltten hergestellt worden sind etwa die nach Entwuumlrfen der Wiener Kuumlnstler Josef Hoffmann und Oskar Strnad gefertigten Glaumlser der Glas-fabrikaten J amp L Lobmeyr oder von Joh Loumltz86 Dem Prinzip der Arbeitsteilung folgend waren die Heimarbeiter (beispielsweise Aumltzer Kugler Graveure Schleifer) das letzte Glied im Herstellungsprozess87 Allerdings hatte die Werkkultur nach Wiener Vorbild fuumlr die Arbeiter in sozialer Hinsicht kaum Vorteile zu bieten im Unterschied zum entwerfenden Kuumlnstler blieb der Heimarbeiter anonym

In der bdquoKette unmittelbarer Erziehungswirkungldquo nehmen gemaumlszlig Eisler der Haumlndler und der Kaumlufer letztendlich die Schluumlsselstellung ein (fuumlnftes Kapitel) Vom Werkursprung ausgehend an dem KuumlnstlerLehrerErzeuger teilhaben ist mit dem Konsumenten die Zielgruppe der geschmacksbildenden Bemuumlhungen genannt mittels eines geschickten Haumlndlers und seiner Verkaufsstrategie (der Haumlndler als Erzieher88) soll nunmehr das Produkt nach den Gesetzmaumlszligigkeiten des Marktes einen Verkaufserfolg verbuchen und so seinen Zweck als Qualitaumltsware erfuumlllen89

Der Erziehungsanspruch ist somit einer oumlkonomischen Fortschrittsidee ver-pflichtet welche die beabsichtigte Modernisierung der Alltagskultur gaumlnzlich dem Marktprinzip unterwirft beziehungsweise von der Vermarktung getragen wird Anders als die industriell hergestellte Massenware wird innerhalb der bdquogemein-deutschenldquo Werkkunst fuumlr die oumlsterreichische Besonderheit gerade ihr handwerk-licher Charakter beansprucht der dieser einen exklusiven bdquoOriginalwertldquo aufgrund des einmaligen urheberrechtlich zu schuumltzenden Kuumlnstlerentwurfs sichern soll90

22 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Werkbund-Kontroverse zwischen Befuumlrwortern einer Typisierung gegenuumlber den Individualisten auf der Werkbund-Ausstellung in Koumlln 1914 von Frederic J Schwartz primaumlr als ein Konflikt eben um den urheberrechtlichen Schutz des Kuumlnstlers entschluumlsselt duumlrfte eine Voraussetzung dieser Argumentation und Wert-schaumltzung der kuumlnstlerischen Originalitaumlt sein91 gerade im Zusammenhang mit der arbeitsteiligen Produktion spielte der urheberrechtliche Schutz des Kuumlnstlers eine besonders wichtige Rolle Der OumlWB hat damit eigene Konturen auf dem Kunst-markt und bei der Vermarktung von Kultur gewonnen

Die Organisation der oumlsterreichischen Werkkultur wird schlieszliglich anhand der Werkbundarbeit im oumlsterreichischen Pavillon auf derselben Koumllner Werkbundaus-stellung von 1914 verdeutlicht (sechstes Kapitel) Die Erfolgsbilanz der bdquooumlster-reichischen Sonderartldquo als der bdquotreibenden Vielheitldquo92 in der bdquobindenden Einheitldquo wird explizit auch in Verbindung mit dem Beitrag des Tschechischen Werkbundes im Oumlsterreichischen Pavillon herausgestellt er war fester Bestandteil der oumlster-reichischen Exposition und bekraumlftigte deren Sonderstatus mit der dargebotenen sogenannten Handwerkskunst93 Tatsaumlchlich hatte diese wie sich Adolf Loos aus-druumlckte bdquoLuxuskunst fuumlr die oberen Zehntausend der modernen Groszligstadtldquo einige potenzielle Kaumlufer versammeln koumlnnen die Verkaufsverhandlungen wurden jedoch wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges unterbrochen94

Eislers Praumlsentation des OumlWB endet mit einer Auflistung der Mitglieder (ins-gesamt 627) wobei im Arbeitsausschuss unter anderen Vertrauensmaumlnner aus Boumlhmen Maumlhren und Schlesien genannt sind Zu den Mitgliedern zaumlhlt zwar auch die tschechische Kuumlnstlergenossenschaft bdquoArtělldquo jedoch sind des Weiteren fast ausschlieszliglich deutsche Einrichtungen der boumlhmischen Laumlnder vertreten (siebtes Kapitel)

23Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Max Eisler Die Oumlsterreichische Werkkultur herausgegeben vom Oumlsterreichischen Werkbund OumlWB Wien 1916 S 5ndash54

Der KuumlnstlerWerkkunst ist Lebensgestaltung ausgedruumlckt in Formen die dem Gebrauche oder auch nur dem Auge dienen immer aber jene Befriedigung hervorrufen die eine aufrichtige dem Material und Zwecke klar entsprechende Behandlung mit sich fuumlhrt In der besonderen Art in der der Kuumlnstler diese aller Werkkunst gemeinsame Aufgabe erfuumlllt aumluszligert sich seine Persoumlnlichkeit Doch kann ihr Schaffen der Mitwelt der sie angehoumlrt nicht entraten Sie muszlig ihre Zeit und ihren Lebenskreis taumltigen Anteil nehmen lassen an dem Werke Nur so gibt sie Lebensgestaltung nur so wird Werkkunst zur Werkkultur

Wir koumlnnen ihre Leistung auch nur dann ganz verstehen und nach voller Gebuumlhr wuumlrdigen wenn wir dem lebendigen Austausch zwischen Kuumlnstler und Mitwelt aufmerksam folgen und uns daruumlber klar werden was er ihr was sie ihm gibt Diese Klarheit laumlszligt sich aber wieder nur an dem Werkgange gewinnen Nur wenn wir erfahren haben wie das wird was wir als Fertiges vor uns haben wird unser Urteil daruumlber vernuumlnftig und billig unser Genuszlig begruumlndet sein Wenn wir dann von einem Werke sagen bdquoDas ist gutldquo oder bdquoDas ist schoumlnldquo so wird Sinn in diesen Worten liegen und wir werden was unserem Geschmacke ungelegen kommt nicht ohneweiters verwerfen weil unser Urteil dann nicht mehr vom gefaumllligen Eindruck aufs Auge abhaumlngt sondern auf allseitiges Ver-stehen zuruumlckgehtEs wird darum der Sache und dem Leser gleich foumlrderlich sein wenn wir ver-suchen in das Werkschaffen einigermaszligen einzufuumlhren ehe wir sein Ergebnis eingehender betrachten

Wir stellen den Kuumlnstler voranDie umfassendste gelaumlufige Werkform auf die sich das Schaffen eines Kuumlnst-

lers aus der Mitte unseres Bundes gegenwaumlrtig richtet ist das wohlversehene Haus ndash nicht das auszligergewoumlhnliche der Festbau sondern das Wohnhaus ndash und hier wieder nicht das eines besonderen kleinen Geschaumlftskreises sondern das des werktaumltigen Buumlrgerstandes allerdings eines groszligstaumldtisch kultivierten vor allem des Wieners Der umfassendste durchschnittliche Zweck in dem diese Arbeit zu ihrem reinsten Ausdruck kommt ist also die Wohnstaumltte fuumlr vorgeschrittene und zeitgemaumlszlige wirkende Stadtmenschen Im Rahmen dieser Aufgabe decken sich Art und Beduumlrfnis des auftraggebenden Bauherrn am meis-ten mit der Gesinnung des ausfuumlhrenden Kuumlnstlers und auf diese weitgehende Annaumlherung beider beruht ersten Grundes die lebendige Vollkommenheit des Werkes

Nun steht ein Groszligstadthaus niemals fuumlr sich hat Nachbarn und Gegenuumlber muszlig auf sie die Ruumlcksicht nehmen die das Glied dem Koumlrper schuldet und mit den Kameraden von nebenan und druumlben darnach sehen wie der umbaute

24 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Freiraum zu seiner kuumlnstlerischen Erscheinung kommt Denn davon haumlngt alles andere ab Das beste und schoumlnste Haus wird verkuumlmmert oder aufdringlich jedenfalls am unrechten Platze erscheinen wenn es sich nicht in einen uumlber-einkommenden Raumplan einfuumlgt und einem vollkommenen Freiraume kann auch ein belangloses Einzelstuumlck nicht gar erheblich schaden Es gilt darum fuumlrs erste den Grundriszlig des Auszligenraumes festzulegen und seine Bauwaumlnde in ein wohlgemessenes Verhaumlltnis zu bringen Das war und ist Raumkunst in ihrem urspruumlnglichsten und aumluszligersten Sinne

Aber wie die Dinge heute liegen bleibt dieser Anfang alles Werkschaffens im Bauen meist ein frommer Wunsch Wir sind fast in allen Gebieten des Lebens zumal in der stadtbildlichen Arbeit nicht freie Begruumlnder sondern Erben und Fortsetzer der Kultur Da ist es schon eine hohe Tugend sie nach jeder Tunlich-keit vorwaumlrtszubringen in den Grenzen des Moumlglichen der Zeit zu geben was ihres Geistes und Koumlnnens ist

Erstes naumlchstgelegenes Ziel dieses Teils der Werkkunst ist die Groszligstadt denn die Groszligstadt ist die modernste Form des menschlichen Zusammenle-bens und die Aufgaben die sie stellt sind vom gegenwaumlrtigen Geiste erfuumlllt Aber im Bereiche eines altstaumldtischen Wesens wie etwa Wiens begegnet jedes umfassende Beginnen gerade den staumlrksten Hemmungen Im innerstaumldtischen Kreise verlangt der uumlberkommene Freiraum sein Recht wo er mit neuen An-lagen durchbrochen wird herrscht der Raster der behoumlrdlichen Bauvorschrift fuumlhren Verkehr und Hygiene ihre wohlgemeinte ausschlieszligliche Sprache zieht sich die Kunst auf die eintoumlnige Handhabung von Reiszligbrett und Lineal zuruumlck Selten nur wird ihrer freieren Uumlbung hier Gelegenheit geboten einem ganzen Stadtteil von Grund auf sein Gepraumlge zu geben dh dem Zuge der Straszligen der Umriszliglinie der Plaumltze dem Grundriszlig eines ganzen Viertels die Richtung zu weisen also stadtbildlich im durchgreifendsten Sinne zu wirken Bei solchem Zustande stehen ihrer vollen freien Entfaltung nur die aumluszligeren unverbauten Bezirke offen Hier kann sie ganze Arbeit leisten Und sie wird das im Sinne der Werkkunst wenn sie zunaumlchst das Wegnetz nach den oumlrtlich bedingten Erfordernissen richtet das Neuviertel mit offenen Straumlngen an den Altkern bindet dort klar und entschlossen zwischen Haupt- und Nebenstraszligen Wohn- Wirtschafts- und Festwegen zwischen Monumental- Verkehrs- und Erholungs-plaumltzen scheidet dh allen Anspruumlchen groszligstaumldtischer Vernunft genuumlgt Der Kunst geschieht dabei schon genug wenn nur der Grundriszlig ndash einerlei wie er verlaumluft ndash den Zweck des Ganzen in seiner Einheit der Teile in ihrer Besonderheit sinnfaumlllig fuumlr jedermann einleuchtend erkennen laumlszligt und dazu den kuumlnftigen Baumeistern die Grundmoumlglichkeit schafft nicht Wand gegen Wand sondern Baukoumlrper gegen Koumlrper zu setzen und aus beiden klargemessenen wohlbe-wegten Auszligenraum zu bilden

Naumlher dem alten Siedlungskerne bleibt nur die Auseinandersetzung mit dem Uumlberlieferten Hier gilt es Zeitverstand handelnd beweisen dh verstehen der Zeit von damals und heute Bloszliges Konservieren waumlre Gedankenfaulheit und

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Die Werkkultur braucht allerdings den Konsens in Geschmacksfragen Als entscheidendes Bindeglied einer solchen gegenseitigen Verstaumlndigung zwischen Produktion und Vertrieb wird der Aussteller praumlsentiert (viertes Kapitel) Aufgabe der Ausstellungen ist es demnach fuumlr die Vermittlung gemeinsamer Grundsaumltze innerhalb einer oumlsterreichischen Vielheit von Produzenten und Konsumenten ein-zutreten an dieser wechselseitigen Uumlbereinkunft und ihrer fortlaufenden Pruumlfung beziehungsweise Erneuerung sollen alle teilhaben KuumlnstlerErzeuger ebenso wie HaumlndlerKaumluferBetrachter83 Der oumlsterreichischen Werkkultur und ihrer Durchset-zung ist gemaumlszlig Eislers Darstellung der Kreislauf oumlkonomischer Relationen zwischen Kunst und Kapitalismus aumluszligerst dienlich Die Vielheit des oumlsterreichischen Voumllker-wesens soll dabei auf eine werkgebende Eigenart festgelegt werden die zugleich auf dem gemeinsamen Vorgehen und gezielter Zusammenarbeit der Landesmuseen mit den Kunstgewerbeschulen nach uumlbereinstimmenden Grundsaumltzen beruht84

Zeugnis dieser vereinheitlichenden Bestrebungen einer oumlsterreichischen Ge-schmacksbildung ist sogleich die erste Wanderausstellung des OumlWB bdquoVon neuen Arbeiten des heimischen Kunsthandwerksldquo im Reichenberger Nordboumlhmischen Gewerbemuseum im Juli 1913 gewesen Unter den ausgestellten Objekten im Eigentum des k k Oumlsterreichischen Museums fuumlr Kunst und Industrie in Wien und zwar als Bestandteil seiner bdquoSammlungen eigentuumlmlicher oder musterguumlltiger Arbeiten des modernen Kunstgewerbesldquo85 waren auszliger den Wiener Exponaten auch Ausstellungsstuumlcke zu sehen die an den boumlhmischen k k Fachschulen in Haida Steinschoumlnau und Znaim gefertigt oder im Auftrag von privaten Firmen teilweise in boumlhmischen Produktionsstaumltten hergestellt worden sind etwa die nach Entwuumlrfen der Wiener Kuumlnstler Josef Hoffmann und Oskar Strnad gefertigten Glaumlser der Glas-fabrikaten J amp L Lobmeyr oder von Joh Loumltz86 Dem Prinzip der Arbeitsteilung folgend waren die Heimarbeiter (beispielsweise Aumltzer Kugler Graveure Schleifer) das letzte Glied im Herstellungsprozess87 Allerdings hatte die Werkkultur nach Wiener Vorbild fuumlr die Arbeiter in sozialer Hinsicht kaum Vorteile zu bieten im Unterschied zum entwerfenden Kuumlnstler blieb der Heimarbeiter anonym

In der bdquoKette unmittelbarer Erziehungswirkungldquo nehmen gemaumlszlig Eisler der Haumlndler und der Kaumlufer letztendlich die Schluumlsselstellung ein (fuumlnftes Kapitel) Vom Werkursprung ausgehend an dem KuumlnstlerLehrerErzeuger teilhaben ist mit dem Konsumenten die Zielgruppe der geschmacksbildenden Bemuumlhungen genannt mittels eines geschickten Haumlndlers und seiner Verkaufsstrategie (der Haumlndler als Erzieher88) soll nunmehr das Produkt nach den Gesetzmaumlszligigkeiten des Marktes einen Verkaufserfolg verbuchen und so seinen Zweck als Qualitaumltsware erfuumlllen89

Der Erziehungsanspruch ist somit einer oumlkonomischen Fortschrittsidee ver-pflichtet welche die beabsichtigte Modernisierung der Alltagskultur gaumlnzlich dem Marktprinzip unterwirft beziehungsweise von der Vermarktung getragen wird Anders als die industriell hergestellte Massenware wird innerhalb der bdquogemein-deutschenldquo Werkkunst fuumlr die oumlsterreichische Besonderheit gerade ihr handwerk-licher Charakter beansprucht der dieser einen exklusiven bdquoOriginalwertldquo aufgrund des einmaligen urheberrechtlich zu schuumltzenden Kuumlnstlerentwurfs sichern soll90

22 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Werkbund-Kontroverse zwischen Befuumlrwortern einer Typisierung gegenuumlber den Individualisten auf der Werkbund-Ausstellung in Koumlln 1914 von Frederic J Schwartz primaumlr als ein Konflikt eben um den urheberrechtlichen Schutz des Kuumlnstlers entschluumlsselt duumlrfte eine Voraussetzung dieser Argumentation und Wert-schaumltzung der kuumlnstlerischen Originalitaumlt sein91 gerade im Zusammenhang mit der arbeitsteiligen Produktion spielte der urheberrechtliche Schutz des Kuumlnstlers eine besonders wichtige Rolle Der OumlWB hat damit eigene Konturen auf dem Kunst-markt und bei der Vermarktung von Kultur gewonnen

Die Organisation der oumlsterreichischen Werkkultur wird schlieszliglich anhand der Werkbundarbeit im oumlsterreichischen Pavillon auf derselben Koumllner Werkbundaus-stellung von 1914 verdeutlicht (sechstes Kapitel) Die Erfolgsbilanz der bdquooumlster-reichischen Sonderartldquo als der bdquotreibenden Vielheitldquo92 in der bdquobindenden Einheitldquo wird explizit auch in Verbindung mit dem Beitrag des Tschechischen Werkbundes im Oumlsterreichischen Pavillon herausgestellt er war fester Bestandteil der oumlster-reichischen Exposition und bekraumlftigte deren Sonderstatus mit der dargebotenen sogenannten Handwerkskunst93 Tatsaumlchlich hatte diese wie sich Adolf Loos aus-druumlckte bdquoLuxuskunst fuumlr die oberen Zehntausend der modernen Groszligstadtldquo einige potenzielle Kaumlufer versammeln koumlnnen die Verkaufsverhandlungen wurden jedoch wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges unterbrochen94

Eislers Praumlsentation des OumlWB endet mit einer Auflistung der Mitglieder (ins-gesamt 627) wobei im Arbeitsausschuss unter anderen Vertrauensmaumlnner aus Boumlhmen Maumlhren und Schlesien genannt sind Zu den Mitgliedern zaumlhlt zwar auch die tschechische Kuumlnstlergenossenschaft bdquoArtělldquo jedoch sind des Weiteren fast ausschlieszliglich deutsche Einrichtungen der boumlhmischen Laumlnder vertreten (siebtes Kapitel)

23Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Max Eisler Die Oumlsterreichische Werkkultur herausgegeben vom Oumlsterreichischen Werkbund OumlWB Wien 1916 S 5ndash54

Der KuumlnstlerWerkkunst ist Lebensgestaltung ausgedruumlckt in Formen die dem Gebrauche oder auch nur dem Auge dienen immer aber jene Befriedigung hervorrufen die eine aufrichtige dem Material und Zwecke klar entsprechende Behandlung mit sich fuumlhrt In der besonderen Art in der der Kuumlnstler diese aller Werkkunst gemeinsame Aufgabe erfuumlllt aumluszligert sich seine Persoumlnlichkeit Doch kann ihr Schaffen der Mitwelt der sie angehoumlrt nicht entraten Sie muszlig ihre Zeit und ihren Lebenskreis taumltigen Anteil nehmen lassen an dem Werke Nur so gibt sie Lebensgestaltung nur so wird Werkkunst zur Werkkultur

Wir koumlnnen ihre Leistung auch nur dann ganz verstehen und nach voller Gebuumlhr wuumlrdigen wenn wir dem lebendigen Austausch zwischen Kuumlnstler und Mitwelt aufmerksam folgen und uns daruumlber klar werden was er ihr was sie ihm gibt Diese Klarheit laumlszligt sich aber wieder nur an dem Werkgange gewinnen Nur wenn wir erfahren haben wie das wird was wir als Fertiges vor uns haben wird unser Urteil daruumlber vernuumlnftig und billig unser Genuszlig begruumlndet sein Wenn wir dann von einem Werke sagen bdquoDas ist gutldquo oder bdquoDas ist schoumlnldquo so wird Sinn in diesen Worten liegen und wir werden was unserem Geschmacke ungelegen kommt nicht ohneweiters verwerfen weil unser Urteil dann nicht mehr vom gefaumllligen Eindruck aufs Auge abhaumlngt sondern auf allseitiges Ver-stehen zuruumlckgehtEs wird darum der Sache und dem Leser gleich foumlrderlich sein wenn wir ver-suchen in das Werkschaffen einigermaszligen einzufuumlhren ehe wir sein Ergebnis eingehender betrachten

Wir stellen den Kuumlnstler voranDie umfassendste gelaumlufige Werkform auf die sich das Schaffen eines Kuumlnst-

lers aus der Mitte unseres Bundes gegenwaumlrtig richtet ist das wohlversehene Haus ndash nicht das auszligergewoumlhnliche der Festbau sondern das Wohnhaus ndash und hier wieder nicht das eines besonderen kleinen Geschaumlftskreises sondern das des werktaumltigen Buumlrgerstandes allerdings eines groszligstaumldtisch kultivierten vor allem des Wieners Der umfassendste durchschnittliche Zweck in dem diese Arbeit zu ihrem reinsten Ausdruck kommt ist also die Wohnstaumltte fuumlr vorgeschrittene und zeitgemaumlszlige wirkende Stadtmenschen Im Rahmen dieser Aufgabe decken sich Art und Beduumlrfnis des auftraggebenden Bauherrn am meis-ten mit der Gesinnung des ausfuumlhrenden Kuumlnstlers und auf diese weitgehende Annaumlherung beider beruht ersten Grundes die lebendige Vollkommenheit des Werkes

Nun steht ein Groszligstadthaus niemals fuumlr sich hat Nachbarn und Gegenuumlber muszlig auf sie die Ruumlcksicht nehmen die das Glied dem Koumlrper schuldet und mit den Kameraden von nebenan und druumlben darnach sehen wie der umbaute

24 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Freiraum zu seiner kuumlnstlerischen Erscheinung kommt Denn davon haumlngt alles andere ab Das beste und schoumlnste Haus wird verkuumlmmert oder aufdringlich jedenfalls am unrechten Platze erscheinen wenn es sich nicht in einen uumlber-einkommenden Raumplan einfuumlgt und einem vollkommenen Freiraume kann auch ein belangloses Einzelstuumlck nicht gar erheblich schaden Es gilt darum fuumlrs erste den Grundriszlig des Auszligenraumes festzulegen und seine Bauwaumlnde in ein wohlgemessenes Verhaumlltnis zu bringen Das war und ist Raumkunst in ihrem urspruumlnglichsten und aumluszligersten Sinne

Aber wie die Dinge heute liegen bleibt dieser Anfang alles Werkschaffens im Bauen meist ein frommer Wunsch Wir sind fast in allen Gebieten des Lebens zumal in der stadtbildlichen Arbeit nicht freie Begruumlnder sondern Erben und Fortsetzer der Kultur Da ist es schon eine hohe Tugend sie nach jeder Tunlich-keit vorwaumlrtszubringen in den Grenzen des Moumlglichen der Zeit zu geben was ihres Geistes und Koumlnnens ist

Erstes naumlchstgelegenes Ziel dieses Teils der Werkkunst ist die Groszligstadt denn die Groszligstadt ist die modernste Form des menschlichen Zusammenle-bens und die Aufgaben die sie stellt sind vom gegenwaumlrtigen Geiste erfuumlllt Aber im Bereiche eines altstaumldtischen Wesens wie etwa Wiens begegnet jedes umfassende Beginnen gerade den staumlrksten Hemmungen Im innerstaumldtischen Kreise verlangt der uumlberkommene Freiraum sein Recht wo er mit neuen An-lagen durchbrochen wird herrscht der Raster der behoumlrdlichen Bauvorschrift fuumlhren Verkehr und Hygiene ihre wohlgemeinte ausschlieszligliche Sprache zieht sich die Kunst auf die eintoumlnige Handhabung von Reiszligbrett und Lineal zuruumlck Selten nur wird ihrer freieren Uumlbung hier Gelegenheit geboten einem ganzen Stadtteil von Grund auf sein Gepraumlge zu geben dh dem Zuge der Straszligen der Umriszliglinie der Plaumltze dem Grundriszlig eines ganzen Viertels die Richtung zu weisen also stadtbildlich im durchgreifendsten Sinne zu wirken Bei solchem Zustande stehen ihrer vollen freien Entfaltung nur die aumluszligeren unverbauten Bezirke offen Hier kann sie ganze Arbeit leisten Und sie wird das im Sinne der Werkkunst wenn sie zunaumlchst das Wegnetz nach den oumlrtlich bedingten Erfordernissen richtet das Neuviertel mit offenen Straumlngen an den Altkern bindet dort klar und entschlossen zwischen Haupt- und Nebenstraszligen Wohn- Wirtschafts- und Festwegen zwischen Monumental- Verkehrs- und Erholungs-plaumltzen scheidet dh allen Anspruumlchen groszligstaumldtischer Vernunft genuumlgt Der Kunst geschieht dabei schon genug wenn nur der Grundriszlig ndash einerlei wie er verlaumluft ndash den Zweck des Ganzen in seiner Einheit der Teile in ihrer Besonderheit sinnfaumlllig fuumlr jedermann einleuchtend erkennen laumlszligt und dazu den kuumlnftigen Baumeistern die Grundmoumlglichkeit schafft nicht Wand gegen Wand sondern Baukoumlrper gegen Koumlrper zu setzen und aus beiden klargemessenen wohlbe-wegten Auszligenraum zu bilden

Naumlher dem alten Siedlungskerne bleibt nur die Auseinandersetzung mit dem Uumlberlieferten Hier gilt es Zeitverstand handelnd beweisen dh verstehen der Zeit von damals und heute Bloszliges Konservieren waumlre Gedankenfaulheit und

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22 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Die Werkbund-Kontroverse zwischen Befuumlrwortern einer Typisierung gegenuumlber den Individualisten auf der Werkbund-Ausstellung in Koumlln 1914 von Frederic J Schwartz primaumlr als ein Konflikt eben um den urheberrechtlichen Schutz des Kuumlnstlers entschluumlsselt duumlrfte eine Voraussetzung dieser Argumentation und Wert-schaumltzung der kuumlnstlerischen Originalitaumlt sein91 gerade im Zusammenhang mit der arbeitsteiligen Produktion spielte der urheberrechtliche Schutz des Kuumlnstlers eine besonders wichtige Rolle Der OumlWB hat damit eigene Konturen auf dem Kunst-markt und bei der Vermarktung von Kultur gewonnen

Die Organisation der oumlsterreichischen Werkkultur wird schlieszliglich anhand der Werkbundarbeit im oumlsterreichischen Pavillon auf derselben Koumllner Werkbundaus-stellung von 1914 verdeutlicht (sechstes Kapitel) Die Erfolgsbilanz der bdquooumlster-reichischen Sonderartldquo als der bdquotreibenden Vielheitldquo92 in der bdquobindenden Einheitldquo wird explizit auch in Verbindung mit dem Beitrag des Tschechischen Werkbundes im Oumlsterreichischen Pavillon herausgestellt er war fester Bestandteil der oumlster-reichischen Exposition und bekraumlftigte deren Sonderstatus mit der dargebotenen sogenannten Handwerkskunst93 Tatsaumlchlich hatte diese wie sich Adolf Loos aus-druumlckte bdquoLuxuskunst fuumlr die oberen Zehntausend der modernen Groszligstadtldquo einige potenzielle Kaumlufer versammeln koumlnnen die Verkaufsverhandlungen wurden jedoch wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges unterbrochen94

Eislers Praumlsentation des OumlWB endet mit einer Auflistung der Mitglieder (ins-gesamt 627) wobei im Arbeitsausschuss unter anderen Vertrauensmaumlnner aus Boumlhmen Maumlhren und Schlesien genannt sind Zu den Mitgliedern zaumlhlt zwar auch die tschechische Kuumlnstlergenossenschaft bdquoArtělldquo jedoch sind des Weiteren fast ausschlieszliglich deutsche Einrichtungen der boumlhmischen Laumlnder vertreten (siebtes Kapitel)

23Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Max Eisler Die Oumlsterreichische Werkkultur herausgegeben vom Oumlsterreichischen Werkbund OumlWB Wien 1916 S 5ndash54

Der KuumlnstlerWerkkunst ist Lebensgestaltung ausgedruumlckt in Formen die dem Gebrauche oder auch nur dem Auge dienen immer aber jene Befriedigung hervorrufen die eine aufrichtige dem Material und Zwecke klar entsprechende Behandlung mit sich fuumlhrt In der besonderen Art in der der Kuumlnstler diese aller Werkkunst gemeinsame Aufgabe erfuumlllt aumluszligert sich seine Persoumlnlichkeit Doch kann ihr Schaffen der Mitwelt der sie angehoumlrt nicht entraten Sie muszlig ihre Zeit und ihren Lebenskreis taumltigen Anteil nehmen lassen an dem Werke Nur so gibt sie Lebensgestaltung nur so wird Werkkunst zur Werkkultur

Wir koumlnnen ihre Leistung auch nur dann ganz verstehen und nach voller Gebuumlhr wuumlrdigen wenn wir dem lebendigen Austausch zwischen Kuumlnstler und Mitwelt aufmerksam folgen und uns daruumlber klar werden was er ihr was sie ihm gibt Diese Klarheit laumlszligt sich aber wieder nur an dem Werkgange gewinnen Nur wenn wir erfahren haben wie das wird was wir als Fertiges vor uns haben wird unser Urteil daruumlber vernuumlnftig und billig unser Genuszlig begruumlndet sein Wenn wir dann von einem Werke sagen bdquoDas ist gutldquo oder bdquoDas ist schoumlnldquo so wird Sinn in diesen Worten liegen und wir werden was unserem Geschmacke ungelegen kommt nicht ohneweiters verwerfen weil unser Urteil dann nicht mehr vom gefaumllligen Eindruck aufs Auge abhaumlngt sondern auf allseitiges Ver-stehen zuruumlckgehtEs wird darum der Sache und dem Leser gleich foumlrderlich sein wenn wir ver-suchen in das Werkschaffen einigermaszligen einzufuumlhren ehe wir sein Ergebnis eingehender betrachten

Wir stellen den Kuumlnstler voranDie umfassendste gelaumlufige Werkform auf die sich das Schaffen eines Kuumlnst-

lers aus der Mitte unseres Bundes gegenwaumlrtig richtet ist das wohlversehene Haus ndash nicht das auszligergewoumlhnliche der Festbau sondern das Wohnhaus ndash und hier wieder nicht das eines besonderen kleinen Geschaumlftskreises sondern das des werktaumltigen Buumlrgerstandes allerdings eines groszligstaumldtisch kultivierten vor allem des Wieners Der umfassendste durchschnittliche Zweck in dem diese Arbeit zu ihrem reinsten Ausdruck kommt ist also die Wohnstaumltte fuumlr vorgeschrittene und zeitgemaumlszlige wirkende Stadtmenschen Im Rahmen dieser Aufgabe decken sich Art und Beduumlrfnis des auftraggebenden Bauherrn am meis-ten mit der Gesinnung des ausfuumlhrenden Kuumlnstlers und auf diese weitgehende Annaumlherung beider beruht ersten Grundes die lebendige Vollkommenheit des Werkes

Nun steht ein Groszligstadthaus niemals fuumlr sich hat Nachbarn und Gegenuumlber muszlig auf sie die Ruumlcksicht nehmen die das Glied dem Koumlrper schuldet und mit den Kameraden von nebenan und druumlben darnach sehen wie der umbaute

24 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Freiraum zu seiner kuumlnstlerischen Erscheinung kommt Denn davon haumlngt alles andere ab Das beste und schoumlnste Haus wird verkuumlmmert oder aufdringlich jedenfalls am unrechten Platze erscheinen wenn es sich nicht in einen uumlber-einkommenden Raumplan einfuumlgt und einem vollkommenen Freiraume kann auch ein belangloses Einzelstuumlck nicht gar erheblich schaden Es gilt darum fuumlrs erste den Grundriszlig des Auszligenraumes festzulegen und seine Bauwaumlnde in ein wohlgemessenes Verhaumlltnis zu bringen Das war und ist Raumkunst in ihrem urspruumlnglichsten und aumluszligersten Sinne

Aber wie die Dinge heute liegen bleibt dieser Anfang alles Werkschaffens im Bauen meist ein frommer Wunsch Wir sind fast in allen Gebieten des Lebens zumal in der stadtbildlichen Arbeit nicht freie Begruumlnder sondern Erben und Fortsetzer der Kultur Da ist es schon eine hohe Tugend sie nach jeder Tunlich-keit vorwaumlrtszubringen in den Grenzen des Moumlglichen der Zeit zu geben was ihres Geistes und Koumlnnens ist

Erstes naumlchstgelegenes Ziel dieses Teils der Werkkunst ist die Groszligstadt denn die Groszligstadt ist die modernste Form des menschlichen Zusammenle-bens und die Aufgaben die sie stellt sind vom gegenwaumlrtigen Geiste erfuumlllt Aber im Bereiche eines altstaumldtischen Wesens wie etwa Wiens begegnet jedes umfassende Beginnen gerade den staumlrksten Hemmungen Im innerstaumldtischen Kreise verlangt der uumlberkommene Freiraum sein Recht wo er mit neuen An-lagen durchbrochen wird herrscht der Raster der behoumlrdlichen Bauvorschrift fuumlhren Verkehr und Hygiene ihre wohlgemeinte ausschlieszligliche Sprache zieht sich die Kunst auf die eintoumlnige Handhabung von Reiszligbrett und Lineal zuruumlck Selten nur wird ihrer freieren Uumlbung hier Gelegenheit geboten einem ganzen Stadtteil von Grund auf sein Gepraumlge zu geben dh dem Zuge der Straszligen der Umriszliglinie der Plaumltze dem Grundriszlig eines ganzen Viertels die Richtung zu weisen also stadtbildlich im durchgreifendsten Sinne zu wirken Bei solchem Zustande stehen ihrer vollen freien Entfaltung nur die aumluszligeren unverbauten Bezirke offen Hier kann sie ganze Arbeit leisten Und sie wird das im Sinne der Werkkunst wenn sie zunaumlchst das Wegnetz nach den oumlrtlich bedingten Erfordernissen richtet das Neuviertel mit offenen Straumlngen an den Altkern bindet dort klar und entschlossen zwischen Haupt- und Nebenstraszligen Wohn- Wirtschafts- und Festwegen zwischen Monumental- Verkehrs- und Erholungs-plaumltzen scheidet dh allen Anspruumlchen groszligstaumldtischer Vernunft genuumlgt Der Kunst geschieht dabei schon genug wenn nur der Grundriszlig ndash einerlei wie er verlaumluft ndash den Zweck des Ganzen in seiner Einheit der Teile in ihrer Besonderheit sinnfaumlllig fuumlr jedermann einleuchtend erkennen laumlszligt und dazu den kuumlnftigen Baumeistern die Grundmoumlglichkeit schafft nicht Wand gegen Wand sondern Baukoumlrper gegen Koumlrper zu setzen und aus beiden klargemessenen wohlbe-wegten Auszligenraum zu bilden

Naumlher dem alten Siedlungskerne bleibt nur die Auseinandersetzung mit dem Uumlberlieferten Hier gilt es Zeitverstand handelnd beweisen dh verstehen der Zeit von damals und heute Bloszliges Konservieren waumlre Gedankenfaulheit und

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Max Eisler Die Oumlsterreichische Werkkultur herausgegeben vom Oumlsterreichischen Werkbund OumlWB Wien 1916 S 5ndash54

Der KuumlnstlerWerkkunst ist Lebensgestaltung ausgedruumlckt in Formen die dem Gebrauche oder auch nur dem Auge dienen immer aber jene Befriedigung hervorrufen die eine aufrichtige dem Material und Zwecke klar entsprechende Behandlung mit sich fuumlhrt In der besonderen Art in der der Kuumlnstler diese aller Werkkunst gemeinsame Aufgabe erfuumlllt aumluszligert sich seine Persoumlnlichkeit Doch kann ihr Schaffen der Mitwelt der sie angehoumlrt nicht entraten Sie muszlig ihre Zeit und ihren Lebenskreis taumltigen Anteil nehmen lassen an dem Werke Nur so gibt sie Lebensgestaltung nur so wird Werkkunst zur Werkkultur

Wir koumlnnen ihre Leistung auch nur dann ganz verstehen und nach voller Gebuumlhr wuumlrdigen wenn wir dem lebendigen Austausch zwischen Kuumlnstler und Mitwelt aufmerksam folgen und uns daruumlber klar werden was er ihr was sie ihm gibt Diese Klarheit laumlszligt sich aber wieder nur an dem Werkgange gewinnen Nur wenn wir erfahren haben wie das wird was wir als Fertiges vor uns haben wird unser Urteil daruumlber vernuumlnftig und billig unser Genuszlig begruumlndet sein Wenn wir dann von einem Werke sagen bdquoDas ist gutldquo oder bdquoDas ist schoumlnldquo so wird Sinn in diesen Worten liegen und wir werden was unserem Geschmacke ungelegen kommt nicht ohneweiters verwerfen weil unser Urteil dann nicht mehr vom gefaumllligen Eindruck aufs Auge abhaumlngt sondern auf allseitiges Ver-stehen zuruumlckgehtEs wird darum der Sache und dem Leser gleich foumlrderlich sein wenn wir ver-suchen in das Werkschaffen einigermaszligen einzufuumlhren ehe wir sein Ergebnis eingehender betrachten

Wir stellen den Kuumlnstler voranDie umfassendste gelaumlufige Werkform auf die sich das Schaffen eines Kuumlnst-

lers aus der Mitte unseres Bundes gegenwaumlrtig richtet ist das wohlversehene Haus ndash nicht das auszligergewoumlhnliche der Festbau sondern das Wohnhaus ndash und hier wieder nicht das eines besonderen kleinen Geschaumlftskreises sondern das des werktaumltigen Buumlrgerstandes allerdings eines groszligstaumldtisch kultivierten vor allem des Wieners Der umfassendste durchschnittliche Zweck in dem diese Arbeit zu ihrem reinsten Ausdruck kommt ist also die Wohnstaumltte fuumlr vorgeschrittene und zeitgemaumlszlige wirkende Stadtmenschen Im Rahmen dieser Aufgabe decken sich Art und Beduumlrfnis des auftraggebenden Bauherrn am meis-ten mit der Gesinnung des ausfuumlhrenden Kuumlnstlers und auf diese weitgehende Annaumlherung beider beruht ersten Grundes die lebendige Vollkommenheit des Werkes

Nun steht ein Groszligstadthaus niemals fuumlr sich hat Nachbarn und Gegenuumlber muszlig auf sie die Ruumlcksicht nehmen die das Glied dem Koumlrper schuldet und mit den Kameraden von nebenan und druumlben darnach sehen wie der umbaute

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Freiraum zu seiner kuumlnstlerischen Erscheinung kommt Denn davon haumlngt alles andere ab Das beste und schoumlnste Haus wird verkuumlmmert oder aufdringlich jedenfalls am unrechten Platze erscheinen wenn es sich nicht in einen uumlber-einkommenden Raumplan einfuumlgt und einem vollkommenen Freiraume kann auch ein belangloses Einzelstuumlck nicht gar erheblich schaden Es gilt darum fuumlrs erste den Grundriszlig des Auszligenraumes festzulegen und seine Bauwaumlnde in ein wohlgemessenes Verhaumlltnis zu bringen Das war und ist Raumkunst in ihrem urspruumlnglichsten und aumluszligersten Sinne

Aber wie die Dinge heute liegen bleibt dieser Anfang alles Werkschaffens im Bauen meist ein frommer Wunsch Wir sind fast in allen Gebieten des Lebens zumal in der stadtbildlichen Arbeit nicht freie Begruumlnder sondern Erben und Fortsetzer der Kultur Da ist es schon eine hohe Tugend sie nach jeder Tunlich-keit vorwaumlrtszubringen in den Grenzen des Moumlglichen der Zeit zu geben was ihres Geistes und Koumlnnens ist

Erstes naumlchstgelegenes Ziel dieses Teils der Werkkunst ist die Groszligstadt denn die Groszligstadt ist die modernste Form des menschlichen Zusammenle-bens und die Aufgaben die sie stellt sind vom gegenwaumlrtigen Geiste erfuumlllt Aber im Bereiche eines altstaumldtischen Wesens wie etwa Wiens begegnet jedes umfassende Beginnen gerade den staumlrksten Hemmungen Im innerstaumldtischen Kreise verlangt der uumlberkommene Freiraum sein Recht wo er mit neuen An-lagen durchbrochen wird herrscht der Raster der behoumlrdlichen Bauvorschrift fuumlhren Verkehr und Hygiene ihre wohlgemeinte ausschlieszligliche Sprache zieht sich die Kunst auf die eintoumlnige Handhabung von Reiszligbrett und Lineal zuruumlck Selten nur wird ihrer freieren Uumlbung hier Gelegenheit geboten einem ganzen Stadtteil von Grund auf sein Gepraumlge zu geben dh dem Zuge der Straszligen der Umriszliglinie der Plaumltze dem Grundriszlig eines ganzen Viertels die Richtung zu weisen also stadtbildlich im durchgreifendsten Sinne zu wirken Bei solchem Zustande stehen ihrer vollen freien Entfaltung nur die aumluszligeren unverbauten Bezirke offen Hier kann sie ganze Arbeit leisten Und sie wird das im Sinne der Werkkunst wenn sie zunaumlchst das Wegnetz nach den oumlrtlich bedingten Erfordernissen richtet das Neuviertel mit offenen Straumlngen an den Altkern bindet dort klar und entschlossen zwischen Haupt- und Nebenstraszligen Wohn- Wirtschafts- und Festwegen zwischen Monumental- Verkehrs- und Erholungs-plaumltzen scheidet dh allen Anspruumlchen groszligstaumldtischer Vernunft genuumlgt Der Kunst geschieht dabei schon genug wenn nur der Grundriszlig ndash einerlei wie er verlaumluft ndash den Zweck des Ganzen in seiner Einheit der Teile in ihrer Besonderheit sinnfaumlllig fuumlr jedermann einleuchtend erkennen laumlszligt und dazu den kuumlnftigen Baumeistern die Grundmoumlglichkeit schafft nicht Wand gegen Wand sondern Baukoumlrper gegen Koumlrper zu setzen und aus beiden klargemessenen wohlbe-wegten Auszligenraum zu bilden

Naumlher dem alten Siedlungskerne bleibt nur die Auseinandersetzung mit dem Uumlberlieferten Hier gilt es Zeitverstand handelnd beweisen dh verstehen der Zeit von damals und heute Bloszliges Konservieren waumlre Gedankenfaulheit und

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24 Exportmodell Deutscher WerkbundOumlsterreichischer Werkbund

Freiraum zu seiner kuumlnstlerischen Erscheinung kommt Denn davon haumlngt alles andere ab Das beste und schoumlnste Haus wird verkuumlmmert oder aufdringlich jedenfalls am unrechten Platze erscheinen wenn es sich nicht in einen uumlber-einkommenden Raumplan einfuumlgt und einem vollkommenen Freiraume kann auch ein belangloses Einzelstuumlck nicht gar erheblich schaden Es gilt darum fuumlrs erste den Grundriszlig des Auszligenraumes festzulegen und seine Bauwaumlnde in ein wohlgemessenes Verhaumlltnis zu bringen Das war und ist Raumkunst in ihrem urspruumlnglichsten und aumluszligersten Sinne

Aber wie die Dinge heute liegen bleibt dieser Anfang alles Werkschaffens im Bauen meist ein frommer Wunsch Wir sind fast in allen Gebieten des Lebens zumal in der stadtbildlichen Arbeit nicht freie Begruumlnder sondern Erben und Fortsetzer der Kultur Da ist es schon eine hohe Tugend sie nach jeder Tunlich-keit vorwaumlrtszubringen in den Grenzen des Moumlglichen der Zeit zu geben was ihres Geistes und Koumlnnens ist

Erstes naumlchstgelegenes Ziel dieses Teils der Werkkunst ist die Groszligstadt denn die Groszligstadt ist die modernste Form des menschlichen Zusammenle-bens und die Aufgaben die sie stellt sind vom gegenwaumlrtigen Geiste erfuumlllt Aber im Bereiche eines altstaumldtischen Wesens wie etwa Wiens begegnet jedes umfassende Beginnen gerade den staumlrksten Hemmungen Im innerstaumldtischen Kreise verlangt der uumlberkommene Freiraum sein Recht wo er mit neuen An-lagen durchbrochen wird herrscht der Raster der behoumlrdlichen Bauvorschrift fuumlhren Verkehr und Hygiene ihre wohlgemeinte ausschlieszligliche Sprache zieht sich die Kunst auf die eintoumlnige Handhabung von Reiszligbrett und Lineal zuruumlck Selten nur wird ihrer freieren Uumlbung hier Gelegenheit geboten einem ganzen Stadtteil von Grund auf sein Gepraumlge zu geben dh dem Zuge der Straszligen der Umriszliglinie der Plaumltze dem Grundriszlig eines ganzen Viertels die Richtung zu weisen also stadtbildlich im durchgreifendsten Sinne zu wirken Bei solchem Zustande stehen ihrer vollen freien Entfaltung nur die aumluszligeren unverbauten Bezirke offen Hier kann sie ganze Arbeit leisten Und sie wird das im Sinne der Werkkunst wenn sie zunaumlchst das Wegnetz nach den oumlrtlich bedingten Erfordernissen richtet das Neuviertel mit offenen Straumlngen an den Altkern bindet dort klar und entschlossen zwischen Haupt- und Nebenstraszligen Wohn- Wirtschafts- und Festwegen zwischen Monumental- Verkehrs- und Erholungs-plaumltzen scheidet dh allen Anspruumlchen groszligstaumldtischer Vernunft genuumlgt Der Kunst geschieht dabei schon genug wenn nur der Grundriszlig ndash einerlei wie er verlaumluft ndash den Zweck des Ganzen in seiner Einheit der Teile in ihrer Besonderheit sinnfaumlllig fuumlr jedermann einleuchtend erkennen laumlszligt und dazu den kuumlnftigen Baumeistern die Grundmoumlglichkeit schafft nicht Wand gegen Wand sondern Baukoumlrper gegen Koumlrper zu setzen und aus beiden klargemessenen wohlbe-wegten Auszligenraum zu bilden

Naumlher dem alten Siedlungskerne bleibt nur die Auseinandersetzung mit dem Uumlberlieferten Hier gilt es Zeitverstand handelnd beweisen dh verstehen der Zeit von damals und heute Bloszliges Konservieren waumlre Gedankenfaulheit und