Deutsche Kulturgeschichte im Grundniß

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Wilhelm Gössmann Deutsche Kulturgeschichte im Grundriß unter Mitarbeit von Monika Salmen und Melanie Florin Grupello Verlag

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  • Wilhelm Gssmann

    Deutsche Kulturgeschichteim Grundri

    unter Mitarbeit von

    Monika Salmen und Melanie Florin

    Grupello Verlag

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    Abbildung auf dem Einband:Carl Friedrich Gau 1777-1855 (Deutsche Banknote: 10 DM)

    Annette von Droste-Hlshoff 1797-1848 (Deutsche Banknote: 20 DM)Clara Schumann 1819-1896 (Deutsche Banknote: 100 DM)

    berarbeitete Neuausgabe (Erstverffentlichung 1960)1. Auflage 2006

    by Grupello VerlagSchwerinstr. 55 40476 Dsseldorf

    Tel.: 0211-498 10 10 E-Mail: [email protected]: Klaus Mller, Grevenbroich

    Alle Rechte vorbehalten

    ISBN 3-89978-045-0

  • Vorwort 7

    Zum Begriff der Kultur 9

    I. Die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Kultur 11

    1. Antike 132. Christentum 173. Germanentum 20

    II. Entstehung und Aufbau der deutschen Kultur 23

    1. Reich und Kaisertum 262. Die scholastische Wissenschaft 333. Geistliche und hfische Dichtung 354. Die romanische Kunst 41

    III. Das Sptmittelalter 45

    1. Stadt und Brgertum 472. Die geistig-religisen Strmungen 513. Die Volksdichtung 534. Die gotische Kunst 55

    IV. Humanismus und Reformation 59

    1. Staat und Religion 612. Der Humanismus 653. Reformatorisches Bewutsein 674. Die brgerliche Renaissancekunst 69

    Inhalt

  • V. Das Zeitalter des Barock 71

    1. Der Absolutismus 732. Die barocke Geisteshaltung 773. Dichtung und Musik 804. Der barocke Baustil 83

    VI. Die Zeit der deutschen Geistesbildung 87

    1. Preuen und sterreich 892. Das deutsche Aufklrungsdenken 933. Das Humanittsideal der Klassik 984. Die Kunstauffassung der Romantik 104

    VII. Das Jahrhundert der Wissenschaft und Zivilisation 111

    1. Die Entwicklung zum Nationalstaat 1132. Der Industrialisierungsproze 1193. Restauration und geistiger Umbruch 124

    VIII. Demokratie und Diktatur 139

    1. Deutschland zwischen den Weltkriegen 1412. Gebiete der Wissenschaften 1473. Die moderne Literatur und Kunst 154

    IX. Geteiltes und wiedervereintes Deutschland 167

    1. Bundesrepublik und DDR 1692. Die brgerliche Lebenswelt 1773. Kulturkritische Positionen 1814. Literarische und knstlerische Bestrebungen 184

    X. Ausblick: Deutschland im geeinten Europa 195

    Zeittafel 199Bilderluterungen zu den Kapiteln 201Personenregister 202

  • D ie vorliegende, neubearbeitete deutsche Kulturgeschichte versteht sich alsGrundri, bietet einen bildungsgeschichtlichen berblick. Der Schwer-punkt liegt im geistesgeschichtlichen Bereich.

    Es gehrte eine Portion Unbekmmertheit dazu, eine so kurzgefate deut-sche Kulturgeschichte zu schreiben, von der nun bereits die siebte Auflagevorliegt. Entstanden aus Vorlesungen in Japan in den 60er Jahren, sollte siedazu dienen, den Studenten beim Erlernen der deutschen Sprache den geisti-gen Hintergrund zu vermitteln. Inzwischen hat sich herausgestellt, da nichtnur auslndische Studenten zu diesem kulturgeschichtlichen berblick grei-fen, sondern ebenso Interessenten aus dem deutschsprachigen Raum, die Hin-weise fr eine breite Allgemeinbildung erhalten wollen.

    Ein kulturelles deutsches Selbstverstndnis schliet immer auch ein euro-pisches ein. Wer die deutsche Sprache spricht oder lernen will, mu auch dieGrundzge der deutschen Kultur und Literatur kennenlernen. Ein Grundriwie dieser kann hilfreich sein fr die heute mehr denn je aktuell gewordeneIntegration unterschiedlicher Auslndergruppen.

    Fr ein eingehenderes Studium ist auf die grundlegenden Untersuchungender Geschichts- und Kulturwissenschaft zu verweisen, auf eine nhere Be-schftigung mit den literarischen und knstlerischen Werken selbst. Nicht diedokumentarische Information eines Lexikons ist angestrebt, vielmehr einallgemeinverstndlicher Text, der das Leseinteresse wachhlt.

    Vieles ist im Laufe der Geschichte endgltig vergangen; anderes gelangtnach Zeiten der Vergessenheit wieder zu neuer Aktualitt. Bestimmte Institu-tionen und Vorstellungen erhalten vom mittelalterlichen Weltbild noch immerentscheidende Impulse, andere von der Zeit der Reformation oder aus derLiberalitt der Aufklrung. Bei der Offenheit unserer Kultur kommt es dar-auf an, da die einzelnen, aber auch Gruppen und Gruppierungen, ihre kul-turelle Tradition erkennen. In der Geschichte der Kultur tradiert sich ber-dauerndes, das weitervermittelt werden mu.

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    Vorwort

  • D ie deutsche Kultur kann nur aus dem Zusammenhang mit der europi-schen Kultur verstanden werden. Sie geht auf die gleichen Vorausset-zungen zurck, unterliegt hnlichen kulturgeschichtlichen Entwicklungen,hat aber dennoch ihre eigene Bildungswelt hervorgebracht. Am Anfang desMittelalters gab es geschichtliche Prozesse, die zur Ausbildung einer deut-schen Kulturwelt fhrten. Nicht staatliche Vorstellungen und politische Be-strebungen waren dabei bestimmend, wenn auch die Entstehung des mittel-alterlichen Kaiserreichs die geschichtlichen Grundlagen bildete. Entscheidendwar die Ausbreitung der deutschen Sprache. Sie bot zwar noch lange kein ein-heitliches Bild. Als Volkssprache entwickelte sie sich unter der Vorherrschaftder lateinischen Sprache, die der staatlichen und kirchlichen Ordnung diente.

    Zum deutschen Kulturbewutsein gehrt wesentlich mehr als die gegen-wrtigen nationalen Grenzen einschlieen. Im geistigen Gefge Europas stehtDeutschland mit sterreich und der deutschsprachigen Schweiz in einemengen kulturellen Zusammenhang. Zum Studium der deutschen Kulturge-schichte gehren auch die Lnder und Landschaften, die bis zum Ende desZweiten Weltkriegs ber Jahrhunderte deutsch waren. Sie mssen bei einerkulturgeschichtlichen Betrachtung im europischen Kontext Bercksichti-gung finden. Die DDR mit ihrem sozialistischen System ist nach der Wieder-vereinigung kulturell neu integriert, wobei die geschichtlichen Ausprgungennach dem letzten Weltkrieg weiterhin Beachtung finden mssen.

    In Deutschland gab es im Laufe der Geschichte keine kulturelle Zentrali-sierung, wie sie etwa Frankreich in Paris besitzt. Die Kultur hat sich von jeherin den einzelnen Landschaften verschieden entfaltet und in unterschiedlichenLebensgewohnheiten ausgedrckt, wozu auch die politischen Entwicklungenbeigetragen haben. Deshalb gehren in Deutschland die kulturellen Fragenheute zum Zustndigkeitsbereich der Bundeslnder. Ob Berlin ber die Rolleals Hauptstadt hinaus auch als kulturelles Zentrum bestimmend sein wird,bleibt abzuwarten. Die trotz der Zerstrungen des letzten Krieges noch vor-handenen oder wiedererrichteten romanischen und gotischen Kirchen, soauch die barocke Frauenkirche in Dresden, die vielen Bau- und Kunstwerkeaus allen Epochen der deutschen Geschichte, fhren die Tradition vor Augen.

    Das Wort Kultur leitet sich von dem lateinischen Wort colere her, das inseiner ersten Bedeutung den Inbegriff allen Kulturschaffens meint: die Urbar-machung und Bebauung des Landes. Es schliet den Bereich des Geistigen,des Knstlerischen und Religisen mit ein. Seit es Menschen gibt, bestehtKultur. Sie hat sich schon auf den frhen Stufen der Geschichte geuert: im

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    Zum Begriff der Kultur

  • Umgang mit dem Feuer, in der Herstellung von Tongefen, in der Zuberei-tung der Mahlzeiten, in gemeinsamen Lebensformen, in Wohnung, Hand-werk, Kunst, Begrbnis, Festen, Verehrungsformen des Gttlichen. Kultur istalso Ausdruck des menschlichen Lebens in Werken und sozialen Ordnungen.

    Im deutschen Sprachgebrauch unterscheidet man immer noch die BegriffeKultur und Zivilisation. Von Zivilisation spricht man im Hinblick auf dentechnischen Fortschritt und dessen Bedeutung fr ein menschenwrdigesZusammenleben in den modernen Staaten. Kultur ist der umfassendere Be-griff. Es gehren dazu die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Vorgn-ge, auch wenn in unserer Zeit die Kultur oft nur als ein selbstndiger Bereichvon Kunst und Wissenschaft erscheint. Kultur ist nach JACOB BURCKHARDTder Inbegriff alles dessen, was zur Frderung des materiellen und als Aus-druck des geistig-sittlichen Lebens spontan zustande gekommen ist, alle Ge-selligkeit, alle Techniken, Knste, Dichtungen und Wissenschaften. Sie ist dieWelt des Beweglichen, Freien, nicht notwendig Universalen, was keineZwangsgeltung in Anspruch nimmt.

    Von Kultur kann erst dann die Rede sein, wenn der private Bereich ber-schritten und ein gewisser Grad an Allgemeingltigkeit erreicht ist: Kultur alsmenschliche Lebenswelt, vorgegeben, bernommen und immer neu ausgebil-det. Der Begriff der Kultur ist von dem der Natur abzugrenzen, um die eige-nen Leistungen des Menschen hervorzuheben. An diesem Begriffspaar hatsich in der Neuzeit die Kulturphilosophie entzndet, die in Deutschland be-deutende Vertreter hatte: JOHANN GOTTFRIED HERDER, FRIEDRICH SCHLE-GEL, FRIEDRICH NIETZSCHE, OSWALD SPENGLER, MAX WEBER. Aufgrund dergegenwrtigen Diskussionen sind KARL JASPERS, ERNST BLOCH und ROMANOGUARDINI dazuzurechnen, aber auch PETER SLOTERDIJK und JRGEN HABER-MAS. Das kulturphilosophische Denken fhrt ber die historische Betrach-tungsweise hinaus, sucht Zukunftskonzeptionen und geschichtliche Zusam-menhnge zu erfassen. Zur Kulturphilosophie gehrt die Kulturkritik.

    Was sich geschichtlich herausgebildet hat, bedarf einer stndigen Neu-orientierung. In der deutschen Kulturgeschichte, im Zusammenhang mit dereuropischen, vollzogen sich politische und geistige Umbrche, was dazufhrte, da man von unterschiedlichen Epochen spricht. Meist liefen solcheEntwicklungen in den einzelnen Kulturbereichen parallel ab, und man kannfeststellen, wie in Philosophie und Literatur, Kunst und Musik hnliche Str-mungen und geistige Richtungen aufkamen. In dieser Gleichzeitigkeit spiegeltsich unser Kulturbewutsein.

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  • I.

    Die geschichtlichen Grundlagen

    der deutschen Kultur

  • D ie Grundlagen der europischen und damit der deutschen Kultur bildenAntike, Christentum und das Germanentum. Zu beachten ist, da dieantike Kultur und das Christentum schon als eine geschichtliche Einheit ber-liefert wurden und die schpferischen Krfte in dieser Einheit begrndet waren.

    1. Antike

    Die Antike umfat im wesentlichen den griechischen und den rmischen Kul-turbereich. Zu ihrer Unterscheidung lt sich allgemein sagen, da die geistes-geschichtlichen Impulse strker von Griechenland ausgingen, die staatlichenund rechtlichen von Rom.

    Griechenland

    Um die geistige Welt Griechenlands in ihrer Einwirkung auf die abendlndi-sche Kultur zu erfassen, mu man bis auf die Dichtungen HOMERS (um 800 v.Chr.) zurckgehen. Sie gehren heute noch zum wichtigsten Lesestoff, wennauch nicht mehr in dem Ausmae wie vor ein oder zwei Generationen. In denbeiden groen Epen Ilias und Odyssee, die vom Untergang der Stadt Trojaund den Irrfahrten des Odysseus berichten, gewinnt das frhe Griechenlandseine kulturelle Prgung. Der Dichter Homer wurde vom griechischen Volkimmer als sein groer Lehrer angesehen. Sein dichterisches Werk besa des-halb eine so vorbildliche erzieherische Bedeutung, weil es unter dem Mythosder olympischen Gtter ein Bild vom Menschen entwirft, in welchem politi-sche und religise Tugenden eng miteinander verbunden sind. Das Weltbildauf dieser frhen Stufe ist von einer aristokratischen Grundhaltung bestimmt.Buerliche Gesinnungen spiegeln sich dagegen in den Bchern HESIODS.

    Die nachfolgende geistesgeschichtliche Epoche Griechenlands wird durchdie neu entstandene Gattung der Tragdie vertreten, in der das Theater kul-tureller Mittelpunkt ist, vor allem im Stadtstaat Athen. Als die groen Dichtersind zu nennen: AISCHYLOS, SOPHOKLES und EURIPIDES. In der Tragdie ginges um ein neues Grundverstndnis des Menschen innerhalb der berliefertenpolitischen und religisen Ordnungen.

    Viel Ungeheures ist, doch nichts So Ungeheures wie der Mensch. Der fhrt auch ber das graue Meer Im Sturm des winterlichen Sd Und dringt unter strzenden Wogen durch. Und der Gtter Heiligstes, die Erde, Die unerschpfliche, unermdliche

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  • Plagt er ab. Mit wendendem Pflgen Jahr um Jahr Sie umbrechend mit dem Rossegeschlecht. Auch die Sprache und den windschnellen Gedanken und stdteordnenden Sinn Bracht er sich bei, und unwirtlicher Frste Himmelsklarheit zu meiden und bsen Regens Geschosse, allerfahren. Unerfahren Geht er in nichts dem Kommenden entgegen.

    Sophokles, Antigone

    Themen aus der eigenen Geschichte und der Mythologie, die auch heute nochdie Dramatiker herausfordern, wurden so dargestellt, da die Zuschauer beialler Schicksalhaftigkeit zu einem sittlichen Selbstbewutsein gelangen konn-ten. Im Ursprung waren die Tragdien noch kultische Veranstaltungen, dasTheater selbst der kulturelle Mittelpunkt. Der profane Aspekt und die Zeit-kritik finden sich in den Komdien des ARISTOPHANES.

    Schon frh haben die Griechen nach einer vernnftigen Ordnung der Weltgefragt. Sie wollten die greren Zusammenhnge und den Ursprung der Naturerkennen. Unter diesen Voraussetzungen ist die Philosophie entstanden, die frdas gesamte europische Denken grundlegend geworden ist. Vorbildlich ist dieGestalt des SOKRATES. Im Mittelpunkt seines Interesses steht der Mensch, und esgehrt zu den wichtigsten Aufgaben der Philosophie, die Menschen zur Erkennt-nis der Wahrheit zu bringen. Seine Methode ist das In-Frage-Stellen. Sokratesberwand das mythische Weltbild zugunsten der philosophischen Einsicht undwurde fr seine kritischen Positionen zum Tode verurteilt (399 v. Chr.).

    Die beiden bedeutenden Philosophen PLATON und ARISTOTELES schufendie Grundlagen dafr, die Welt als geistige Ordnung zu begreifen. In den pla-tonischen Dialogen werden die Grundbegriffe des philosophischen Denkenserarbeitet, wie Idee, Freiheit, Unsterblichkeit, Vernunft, Eros, Gesetz undpolitische Ordnung. Bei Aristoteles nhert sich die Philosophie einem syste-matischen Entwurf, in dem alle Seinsbereiche bercksichtigt sind.

    ber das Sein geht die Untersuchung. Denn es sind die Ursprnge und Ur-sachen all dessen was Sein ist, die gesucht werden. Sowohl nmlich wenndas All wie ein Ganzes ist, ist das Sein sein erster Teil, als auch, wenn es nuraufgereiht ist, auch dann kommt zuerst das Sein, dann das Sobeschaffen-sein, dann das Sogrosein. Zugleich ist klar, da diese letzteren gar nichteinmal schlechthin Seiendes sind, sondern Beschaffenheiten und Vorgngeam Seienden. Aristoteles, Metaphysik

    In der griechischen Philosophie wird die Tragweite der menschlichen Ver-nunft und die fr den Menschen so wesentliche Funktion der Wissenschaft

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  • 15

    entdeckt. Die metaphysischen und ethischen Begrndungen dienen dazu, dieWelt theoretisch erfassen und praktisch gestalten zu knnen.

    Neben der Philosophie, oft mit ihr verquickt, stand die Rhetorik der So-phisten, die mit Hilfe der Redekunst den jungen Menschen eine aufgeschlos-sene Bildung fr die Belange der ffentlichkeit zu vermitteln suchten. In dengattungsmig unterschiedenen Reden vor Gericht und Volksversammlungund zu festlichen Angelegenheiten kann man uerungen zu demokratischenLebensformen erkennen. Wegen des tatschlichen und mglichen Mibrauchs,Argumente und Worte anders zu verwenden, als sie gemeint waren, hat derBegriff der Sophistik zeitweise einen negativen Beiklang bekommen.

    Den geschichtlichen Ort der groen Geistesepochen Griechenlands bilde-te der Stadtstaat, die Polis. Sie war der geistige und politische Mittelpunkt vonKultur, Dichtung, Wissenschaft und Staatskunst. Vor allem unter PERIKLES(500-429 v. Chr.) gelangte Athen zu kultureller Blte. Zeugnis davon gibtnoch heute die Akropolis mit ihren berhmten Tempelruinen. Nahezu alleStaatsformen sind in der Geschichte Athens entwickelt worden, nicht zuletztauch die Grundstze einer demokratischen Brgerschaft.

    Griechenland war in politischer Hinsicht nicht einheitlich zusammenge-fat, bildete dafr aber eine kulturelle Einheit. Bei den groen Festspielen wieden Olympischen Spielen kam dies immer wieder zum Ausdruck. Knstleri-scher und sportlicher Wetteifer frderten das gemeinsame Kulturbewutseinder einzelnen Stadtstaaten, unter denen Athen und zeitweise auch Sparta diegeistige Fhrung innehatte.

    Das Interesse an der alten Kultur Griechenlands war in Deutschland im-mer sehr gro. HEINRICH SCHLIEMANN hat am Ende des 19. Jahrhunderts vie-le der berhmten Sttten (Troja, Mykene) ausgegraben. Das Pergamon-Museumin Berlin verfgt ber eine wichtige Dokumentation antiker Kunstdenkmler.

    Rom

    Gegenber dem griechischen Kulturbereich war der des antiken Rom voneiner mehr praktischen als theoretischen Denkweise geprgt. Nicht die Er-grndung der Welt und des menschlichen Wesens nahm fr den Rmer dieerste Stelle ein, sondern der Wille zu einer umfassenden staatlichen Ordnung.Deshalb konnte sich bei ihnen das Verstndnis von Recht und sachbezogenerGerechtigkeit in einer fr das Abendland konstitutiven Weise ausbilden.

    Geistiges und politisches Zentrum des Rmertums war die Stadt Rom, diewegen ihrer geschichtlichen Dauer das Ewige Rom, Roma aeterna, genanntwird. Sie war und blieb der Kern eines langsam wachsenden Weltreiches.Nicht mehr Stmme, Vlker oder auch Stdte waren die Geschichtsmchte;vielmehr entwickelte sich der Gedanke des Imperiums, dem die zahlreichenunterworfenen Vlker eingegliedert wurden. Durch die Verwaltungstchtig-

  • keit des rmischen Staates wurden Handel, Wirtschaft und zugleich geistigerAustausch ermglicht und der groe Rahmen fr die antike Zivilisation ge-schaffen. Man kann noch heute in Italien erkennen, in welch grozgigerWeise die Rmer ihre Straen und Wasserleitungen angelegt haben. Leucht-trme an den Ksten und Hafenanlagen sicherten die Verbindungswege aufdem Meer. Eine relativ stabile Silber- und Goldwhrung garantierte den Zu-sammenhalt mit den Absatzmrkten. Die kulturelle Leistung Roms bestandalso in der Sicherung eines lang andauernden Reiches, dessen Idee in vierBuchstaben gefat wurde: SPQR, Senatus Populusque Romanus.

    Ein solches Imperium konnte nur bestehen, solange im Staat bestimmtepolitische und religise Haltungen anerkannt und geschtzt wurden. Die bu-erlichen Voraussetzungen prgten lange Zeit den rmischen Brger. Er ver-stand sich von der libertas her, der Freiheit des einzelnen innerhalb der respublica, der gemeinsamen Sache des Staates. Der Staat wiederum hatte diehohe Aufgabe, in der von der antiken Kultur erfaten Welt den inneren wieueren Frieden, die pax Romana, zu gewhrleisten. Bei allen Machtkmpfender rmischen Geschichte darf man nicht vergessen, da diese Ideen im Hin-tergrund standen und die kulturelle Kontinuitt bildeten.

    Die rmische Geisteswelt war weitgehend berformt vom griechischen Ge-dankengut. Im Zeitalter des Hellenismus verdrngte sogar die griechischeSprache in Rom auf lange Zeit die lateinische. Eigenstndig rmisch sind aberdennoch die groen lateinischen Dichter, Schriftsteller und Historiker: HORAZ,OVID, TACITUS. Literarischer Hhepunkt war die Zeit des Kaisers AUGUSTUS.VERGIL schrieb in der Tradition Homers das rmische Nationalepos Aeneis.CICERO formulierte im Stil der Rhetorik seine staatspolitischen Ideen.

    Deshalb: da das Gesetz das Band brgerlicher Gemeinschaft ist, Recht aberdie Gleichheit des Gesetzes, mit welchem Rechte kann die Gemeinschaftder Brger behauptet werden, wenn die Bedingungen der Brger nichtgleich sind? Wenn man nmlich die Vermgen gleichzumachen nicht ge-willt ist, wenn die Begabungen aller nicht gleich sein knnen, mssensicherlich wenigstens die Rechte derer unter sich gleich sein, die Brger indemselben Gemeinwesen sind. Was ist denn der Staat, wenn nicht dieRechtsgemeinschaft der Brger? Cicero, De re publica

    Die rmischen Schriftsteller haben die lateinische Sprache zu einer vollende-ten knstlerischen Form gebracht, sie sind bis heute Grundlage und Ziel desLateinunterrichts an den Schulen.

    Unter der Vorherrschaft des Rmischen Reiches hatte sich im Verlauf vonJahrhunderten auch im westeuropischen Raum eine lateinische Kultur ausgebil-det, in die das Christentum eingegangen war. Sie bestimmte in der Sptantike dasgesamte geistige Leben. Whrend dieser Zeit entstanden auf der Grundlage desgesprochenen Vulgrlateins dann die verschiedenen romanischen Sprachen, die

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  • zur Voraussetzung fr die einzelnen Nationalliteraturen geworden sind. In denmittel- und norddeutschen Gebieten setzten sich dagegen die germanischenVolkssprachen durch. Reste des Keltischen hielten sich in den Randzonen.Latein blieb jedoch die berregionale Sprache des europischen Abendlandes.

    2. Christentum

    Das Christentum ist die Religion, von der die europische Kultur ihre religi-se und geistige Prgung erhielt. Whrend sich in den stlichen Gebieten desrmischen Reiches aus der Urkirche das orthodoxe Christentum ausbildete,entstand im Westen das katholische Christentum mit Rom als Zentrum. Dietheologischen Unterschiede blieben in den ersten Jahrhunderten relativ ge-ring. Es gab gemeinsame Konzilien. Der grte Einschnitt im Christentumerfolgte erst nach dem Mittelalter in der Reformationszeit. Von dieser Zeit anist dann das deutsche Kulturleben von den beiden Konfessionen katholischund protestantisch bestimmt.

    Das Christentum versteht sich als Geschichtsreligion, dessen kulturelleUrsprnge bis in die orientalischen Religionen zurckgehen. Entstanden istdas Christentum aus dem ihm geschichtlich vorgelagerten Judentum, von demes wichtige religise Vorstellungen bernommen hat. Mit ihm hat es die alt-testamentliche Bibel gemeinsam und damit den Glauben an einen Gott, derSchpfer des Himmels und der Erde ist und Lenker der irdischen Geschicke.Das Christentum versteht die Geschichte als Heilsgeschichte, belastet von Got-tesferne und Schuld mit der Hoffnung auf Erlsung. Das dazugehrige Zeit-bewutsein ist nicht zyklisch, sondern auf ein endgltiges Ziel der gesamtenMenschheit gerichtet.

    Zusammen mit den Schriften des Alten Testamentes, meist in hebrischerSprache, bildet das aus den vier Evangelien, den Apostelbriefen und der Apoka-lypse bestehende, griechisch geschriebene Neue Testament, die Heilige Schrift,das Buch der Bcher, die Bibel. Sie ist als Glaubensbuch und als ein Dokumentder Weltliteratur in die Kulturgeschichte eingegangen. In lateinischer berset-zung, der Vulgata, wurde die Bibel im europischen Mittelalter vermittelt.

    1 In principio erat Verbum, et Verbum erat apud Deum, et Deus erat Verbum.2 Hoc erat in principio apud Deum. 3 Omnia per ipsum facta sunt, et sine ipsofactum est nihil; quod factum est.

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  • 1 Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war dasWort. 2 Dasselbe war im Anfang bei Gott. 3 Alle Dinge sind durch dasselbegemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.

    Anfang des Johannes-Evangeliums(griechisch, lateinisch, deutsch)

    Leben und Werk des JESUS VON NAZARETH sind die Grundlage fr das christ-liche Glaubensverstndnis. Fr die Christen ist Jesus mehr als nur ein Reli-gionsstifter. Das Wissen um ihn ist bereits eine Glaubensberlieferung. Sokonnte der historische Jesus immer neue Deutungen erfahren, vom kirchli-chen Verstndnis als Sohn Gottes bis hin zum Weisheitslehrer oder sozialenRevolutionr. Seine Bedeutung geht ber den Rahmen der im Laufe der Zeitentstandenen christlichen Kirchen hinaus.

    Jesus verkndete das Evangelium vom Reich Gottes und sprach: Die Zeitist erfllt, und das Reich Gottes ist herbeigekommen. Tut Bue und glaubtan das Evangelium. Anfang des Markus-Evangeliums

    Glcklich die Armen Euch ist das Himmelreich verheien.Glcklich die Trauernden Ihr aber werdet lachen.Glcklich die Sanften Euch ist die Erde anvertraut.Glcklich die Recht in Liebe verwandeln Gerechtigkeit den Leidenden.Glcklich die Barmherzigen Sie werden Barmherzigkeit erlangen.Glcklich die rein in ihrem Herzen Euch widerfhrt die Gotteserkenntnis.Glcklich die Frieden stiften Ihr erfllt die Verheiungen Gottes.Glcklich die verleumdet und verfolgt werden Euch ist das Himmelreich verheien.

    Die Glcklichpreisungen der Bergpredigtnach dem Matthus- und Lukasevangelium

    Mit der Strenge des christlichen Gottesbegriffs verband sich sowohl der Ab-solutheitsanspruch als auch der Gedanke der Universalitt. In der Sptantikeund im Mittelalter gehrte es zum christlichen Selbstverstndnis, alles bisherGute und Wahre in der menschlichen Kultur, vor allem das Erbe der Antikeaufzugreifen und mit christlichem Geist zu beleben. Der Ernst im Weltver-stndnis des Christentums geht auf die berzeugung zurck, da die Men-

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  • schen fr die Vorkommnisse in der Welt verantwortlich sind. Es kennt wedereinseitige Weltflucht, wie sie vielen stlichen Religionen eigen ist, noch einefr manche Ideologien typische problemlose Weltbejahung. Es ist um eineGestaltung der Welt unter den verschiedensten staatlichen Ordnungen be-mht, die sich selbst nicht absolut setzen. Aus dieser Spannung heraus kam esschon im Rmischen Reich zu Christenverfolgungen, da sich die Christenautonomen Machtstrukturen nicht religis unterwerfen konnten.

    Trotz anfnglicher Zurckhaltung hat das Christentum die Begegnung mitder antiken Kultur nicht gescheut. Die Liebe als Nchstenliebe zu allen Men-schen, gleich welchen Standes, entfaltete eine gemeindebildende Kraft, mach-te das Christentum den auf Selbstvollendung bedachten ethischen Systemender Sptantike, besonders der Stoa, wesentlich berlegen.

    Das Christentum versteht sich wie Judentum und Islam als Wortreligion,grndet auf der Bibel und bezieht aus ihr die Glaubensverkndigung. Dar-ber hinaus versteht sich das Christentum als eine Erlsungsreligion, die aufdie Erfahrungen von Leid, Schuld und Tod eine Antwort zu geben versucht.Die Kreuzigung Jesu gilt als Zeichen von Heil und Erlsung. So kam es auchdazu, da das Kreuz zum Kennzeichen des Christentums geworden ist. Schonin den ersten Jahrhunderten wurden im Ablauf des Jahres die christlichenGlaubensgeheimnisse gefeiert. Es entstand die vom Sonntag bestimmteWochenordnung, das Kirchenjahr mit seinen Festen und Festzeiten. Als diewichtigsten christlichen Feste blieben bis heute: Weihnachten, Ostern undPfingsten, als Erinnerung an Geburt, Tod und Auferstehung Christi und andie Sendung des Heiligen Geistes.

    Die Synthese zwischen dem heilsgeschichtlichen Denken des Christen-tums und der theoretischen wie praktischen Lehre der antiken Philosophie istfr das Abendland zur entscheidenden kulturellen Voraussetzung geworden.Dies geschah vor allem in der Schule von Alexandrien, deren fhrende Per-snlichkeiten KLEMENS und ORIGENES waren. Durch sie bernahm die christ-liche Geschichtsphilosophie den griechischen Begriff der Paideia, nach der dieGeschichte als eine gottgelenkte Erziehung des Menschengeschlechteserscheint. Andere wichtige Begriffe der antiken Philosophie wie Logos, Idee,Weisheit, Unsterblichkeit, Seele und Geist wurden in umgewandelter Bedeu-tung zum selbstverstndlichen christlichen Bildungsgut.

    Der griechische Gedanke der Humanitt wurde erweitert und vertieft durchdie Auffassung des Menschen als Person: da jeder Mensch vor Gott gleich wert-voll und unter den Menschen unvertauschbar sei. Mit diesem Verstndnis desMenschen hat das Christentum auch dem in der Antike verachteten Sklavenstandeinen Sinn gegeben. Wenn es ihn auch unter den wirtschaftlichen und politischenVerhltnissen nicht sogleich abschaffen konnte, so ist dieser Gedanke doch dieVoraussetzung fr die spter erfolgte Emanzipation geworden.

    Die wichtigste geistige Gestalt im christlichen Altertum ist AURELIUSAUGUSTINUS (354-430 n. Chr.). Beim Untergang des Rmischen Reiches war

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  • es wesentlich ihm zu verdanken, da die antike Tradition nicht verlorenging.In seinem geschichtstheologischen Werk De Civitate Dei zeigte er, in welcherWeise das Christentum berdauern konnte, als die berkommenen staatlichenOrdnungen des Rmischen Reiches untergingen. Sein Werk De Trinitate er-weist die Hhe und Klarheit des christlichen Gottesbegriffs. Seine Confessio-nes sind das Selbstbekenntnis einer christlichen Persnlichkeit, haben in die-ser Form der Selbstaussage das literarische Schreiben neu begrndet.

    Neben Augustinus ist BOETHIUS zu nennen, der sich als Christ das philoso-phische Denken der Antike aneignete. Wichtige Impulse fr das kulturelleLeben gingen von der Ordensgrndung des BENEDIKT VON NURSIA aus. Diekrperliche Arbeit, die man in der Antike nur als Last ansah, wurde von denBenediktinern aufgewertet. Sprichwrtlich wurde aus ihrer Ordensregel derZusammenklang von ora et labora (Bete und arbeite). Durch CASSIODOR ist die-ser Orden gleichzeitig Schule der antiken Kultur und Wissenschaft geworden.

    3. Germanentum

    Die religisen wie kulturellen Lebensanschauungen der Germanen wurdendurch die Christianisierung zu einem guten Teil verdrngt. Sie galten seitherals heidnisch und damit zugleich als primitiv und verachtungswrdig. Unterdem Einflu der kirchlichen Institutionen war man im Stadium der Missio-nierung darauf bedacht, das Germanisch-Heidnische in Vergessenheit geratenzu lassen. Erst spter interessierte man sich fr die Erhaltung dessen, wasberdauert hatte. Mit der Verbreitung des Christentums fand eine allgemeineBelebung des Kulturlebens statt: Das Christentum war gleichzeitig der Ver-mittler antiker Kultur.

    ber das Leben der Germanen gibt es verhltnismig wenige schriftlicheQuellen, und diese stammen von den rmischen Schriftstellern CSAR undTACITUS. Die Zeugnisse germanischer Dichtung setzen erst viel spter ein.Auch die Kenntnis und Vermittlung der berhmten Varus-Schlacht 9 n. Chr.verdanken wir den Annalen von Tacitus. Ein Vordringen Roms tief nach Ger-manien hinein wurde verhindert. Die Gestalt des ARMINIUS ist hier grundge-legt, auch fr sptere Dichtung. Eine Beschreibung germanischer Lebensan-schauungen ist nicht einfach. Zudem handelte es sich bei den Germanen umeine Vielzahl von Stmmen und Vlkern, die sich kulturell voneinander un-terschieden. Wichtig fr die deutsche Geschichte und Kultur sind nicht diegermanischen Grostmme der Goten, Langobarden und Burgunder gewor-den, sondern die sehaft gebliebenen oder langsam nach Sden vorgedrunge-nen Stmme der Westgermanen, zu denen die spteren deutschen Stmme derSachsen, Franken, Thringer, Alemannen und Bayern gehren.

    Alle germanischen Stmme hatten eine feste religise Bindung an dasGttliche, wie es in der Natur aufscheint. Sie bauten keine Tempel, sondern

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  • verehrten ihre Gtter auf Berghhen und in heiligen Hainen. Der Kreislaufdes Jahres, die Gestirne wie auch die Naturerscheinungen berhaupt, wurdenreligis aufgefat. Daneben trat aber noch ein anderer religiser Aspekt: DieSpiegelung des Heldischen und Sippenhaften in der menschenhnlich vorge-stellten Welt der Gtter, deren bekanntester der Gott Wodan ist. Das Pferdgalt als ihm geheiligtes Opfertier. Die Namen der Wochentage in den germa-nischen Sprachen gehen auf den germanischen Mythos zurck, und manchesvom heute noch lebendigen Brauchtum ist eine christliche Umformung reli-giser Vorstellungen des Germanentums. In den Schicksalen der Vlkerwan-derung, als die groen Stmme der Ostgermanen untergingen, hat das heidni-sche Weltbild der Germanen tragische Zge angenommen.

    Die natrliche Gemeinschaft, die das Leben der Germanen in jeder Hin-sicht bestimmte, war die Sippe. Ihr war das Recht und die Rechtsvollstrek-kung anheimgegeben, die bis zur Ausbung der Blutrache ging. Erst unterdem Einflu des schriftlich fixierten Rechts wurde die bisher mndlich tra-dierte Rechtsauffassung der germanischen Stmme in Rechtsbchern nieder-gelegt. Das lteste aufgeschriebene westgermanische Volksrecht ist die lex salicain lateinischer Sprache, stark durchsetzt mit germanischen Ausdrcken. Mankann drei soziale Stnde unterscheiden: Freie, Halbfreie und Sklaven. Wh-rend die Sklaven als Sache behandelt wurden, waren die Halbfreien zwar per-snlich frei, aber an Hof- und Grundeigentum der Freien gebunden, aus de-nen sich noch eine adelige Oberschicht heraushob.

    Die hchste Gewalt lag bei der Landgemeinde (Thing), der Versammlungder freien Mnner, auf der ber Krieg und Frieden beraten wurde. Jeder Freiewar zum Kriegsdienst verpflichtet; die Hauptwaffen der Germanen warenLanze, Axt und Schwert. Besaen einzelne Stmme, wie die Sachsen, eine reindemokratische Verfassung, so wurden andere von Knigen regiert. Demo-kratisch verfate Stmme whlten fr die Kriegszeit einen Herzog, dem dievon den Sippen gestellten Wehrpflichtigen untergeordnet wurden.

    Die Germanen lebten in lndlichen Siedlungen auf Einzelhfen wie in klei-neren Drfern. Die wirtschaftliche Grundlage bildete fast ausschlielich dieLandwirtschaft. Angebaut wurden schon die heute blichen GetreidesortenGerste, Weizen, Roggen, Hafer. Daneben wurde auch Flachs gezogen zurGewinnung von l und als Material fr die schon gut ausgebildete Leinen-weberei. Durch die Rmer lernten die Germanen den Wein- und Obstanbaukennen. Neben dem Ackerbau nahm die Viehzucht, zu der schon alle heuti-gen Haustiere gehrten, einen groen Raum ein.

    Vieles von der Weltanschauung und Lebenshaltung der Germanen hat sichin den beiden nordgermanischen Werken der Edda erhalten: Die jngere Fas-sung ist eine Sammlung alter Lieder- und Heldensagen; die ltere stellt einLehrbuch der damaligen Poetik dar mit Beispielen aus der germanischenMythologie und Dichtkunst.

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  • Ein Sohn ist besser, Ob geboren auch spt Nach des Hausherrn Hingang: Nicht steht ein Denkstein An der Straen Rand, Wenn ihn ein Gesippe nicht setzt. Besitz stirbt, Sippen sterben, Du selbst stirbst wie sie. Doch eines wei ich, Das ewig lebt: Der Toten Tatenruhm.

    Aus dem alten Sittengedicht

    Die nrdlichen Lnder Europas waren von den unterschiedlichen Stmmender Germanen bewohnt und tradierten bis zur Christianisierung ihre Kultur,entwickelten ihre germanischen Sprachen im Gegensatz zu den romanischen.Zur groen Konfrontation kam es an der Grenze zum Rmerreich, das sichber das jetzige Frankreich, das Land der Gallier, ausgedehnt hatte.

    Der Erweiterung des rmischen Reiches nach Osten, bis in die slawischenGebiete, wurde Einhalt geboten. Als historisches Zeichen gilt die Schlacht imTeutoburger Wald (9 n. Chr.), die nach neueren Untersuchungen eher in derNhe von Osnabrck, bei Kalkriese stattgefunden hat. Diese so bekannteHermannschlacht, in welcher sich der Feldherr VARUS wegen der Niederlageselbst in das Schwert gestrzt hat, brachte die Rmer dazu, sich auf eine sichereGrenzlinie zurckzuziehen, von Xanten nach Kln, am Rhein entlang, dannein Befestigungswall, Limes genannt, quer durch das Land bis zur Donau. Inder Geschichtswissenschaft hat man lange vom freien Teil Germaniens ge-sprochen. Rckblickend sollte man sagen, da diese Gebiete aber auch nichtteilgenommen haben an der Tradierung der rmischen Kultur.

  • II.

    Entstehung und Aufbau

    der deutschen Kultur

  • M it dem Untergang des Westrmischen Reiches in der Vlkerwande-rungszeit verselbstndigten sich die ehemaligen rmischen Provinzen,und es vollzogen sich in diesen Lndern eigene geschichtliche Entwicklungen,so auch in den linksrheinischen Gebieten Germaniens und sdlich der Donau,die unter rmischer Herrschaft gestanden hatten. Die zentralen Gebiete Ger-maniens kamen erst spter dazu.

    Schon um 500 n. Chr. konnte THEODERICH ein ostgotisches Reich mitHauptsitz in Ravenna errichten. Dieses Reich verstand sich nicht als etwasvllig Neues, sondern als Imperium Romanum vi Gothorum, ein in der Kraftder Gothen wiedererstandenes Rmerreich. Es hatte aber nur kurzen Be-stand. Zur gleichen Zeit herrschte im Frankenland CHLODWIG, dessen Stre-ben nach Reichsgrndung eine grere Zukunft hatte und der damit das sp-tere Karolingische Reich ermglichte. Der Gedanke des Imperium Romanumhatte das Rmerreich selbst berdauert und blieb fr das Mittelalter die ge-schichtstragende Kraft.

    Mit der Auflsung des Rmischen Reiches war ein breites Absinken dergesamten Kultur verbunden. Erst allmhlich bildeten sich neue kulturelleGrundstrukturen heraus, die eine zukunftsorientierte Entwicklung ermg-lichten. Es gab zu dieser Zeit bedeutende Kulturzentren, die dem damaligenWesteuropa benachbart waren, so das Byzantinische Reich und die Welt desIslam.

    Das mittelalterliche Kulturbewutsein grndet auf den Gedanken der Tra-dition. Man wollte aufgreifen und vollenden, was von der Antike berkom-men war. Fr die deutsche Kultur bleibt die Beziehung zur Antike von dau-erhafter Bedeutung. Nicht nur zu Beginn des Mittelalters, sondern immerwieder erfolgte in gewissen Abstnden in den verschiedenen geistigen Berei-chen eine Neuorientierung an der Antike. In der Karolingischen Zeit geschahdas vorwiegend durch die bernahme der lateinischen Sprache und einerGeistesbildung auf der Grundlage der artes liberales. In der Hochscholastikwar es die Philosophie, im Humanismus und in der Renaissance die Kunst,Ethik und Philologie, und in der Klassik ging es um eine Wiederbelebungantiker Dichtkunst.

    Whrend sich die nachmittelalterlichen Epochen auf die Antike zurckbe-sinnen, um sich von der jeweils vorausliegenden kulturellen Stufe abzusetzen,hat das Mittelalter die Angleichung an die Antike im Bewutsein eines unge-brochenen Traditionszusammenhangs vollzogen. Die Autoritt der antikenKultur konnte so weit gehen, da weitere Fortchritte fr lange Zeit lahmge-legt waren, so vor allem auf dem Gebiet der Naturwissenschaften. Hier ist eszunchst bei den Erkenntnissen der Antike geblieben. Der Gedanke der Tra-dition schliet den der Synthese ein. Was an Bedeutendem aus der Antikenoch vorhanden war, wird zu einer neuen lebendigen Einheit zusammenge-fgt. Am Mittelalter ist nachzuweisen, da nicht Epigonentum aufkommenmu, wenn eine hochentwickelte Kulturtradition bernommen wird. In der

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  • Vielfalt des geistigen Lebens ist alles von einem relativ einheitlichen Weltbilddurchformt. Garantiert werden die Prinzipien durch den christlichen Glau-ben an einen persnlichen Gott, zu dem die vielfach gestuften Stnde und In-stitutionen in Beziehung gesehen werden. Wegen dieser bergreifenden meta-physischen Gegebenheiten hat man in der Romantik ein Idealbild vom Mit-telalter entwerfen knnen. Die Wirklichkeit blieb jedoch hinter dem meta-physischen Anspruch zurck, der aber deshalb nicht aufgegeben wurde.Menschliche und politische Unzulnglichkeiten konnten durch das christlicheVerstndnis von Schuld und Leid aufgefangen werden, die zum Begriff derHumanitt dazugehrten.

    Das Mittelalter ist deshalb fr eine kulturgeschichtliche Betrachtung exem-plarisch, weil alle Bereiche des Lebens einander zugeordnet sind. Nur aus die-ser einmal im Abendland weitgehend verwirklichten kulturellen Einheit istdie weitere Entwicklung zu verstehen und zu deuten.

    1. Reich und Kaisertum

    Die Karolingische Zeit

    Den Beginn der deutschen Kulturgeschichte kann man mit KARL DEM GROS-SEN ansetzen. In seinem frnkischen Reich vereinigte er ein Gebiet, zu demdas sptere Deutschland, Frankreich und der nrdliche Teil Italiens gehrten.Er war bestrebt, das ihm erbmig zugefallene Land durch kriegerischeUnternehmungen zu erweitern und nach auen abzusichern, es einheitlich zuorganisieren und bildungsmig zu heben.

    Waren die Franken schon seit CHLODWIG in den herrschenden Schichtenchristlich gewesen, so erhielt das Reich Karls des Groen im Jahr 800 durchdie vom Papst vollzogene Kaiserkrnung eine sakrale Wrde. Das Kulturpro-gramm dieses ersten groen Herrschers im Mittelalter bestand darin, das Kai-sertum mit der als weltoffen verstandenen Kirche einer gemeinsamen ge-schichtlichen Aufgabe zu unterstellen.

    Groen Widerstand boten im Sden Frankreichs die von Spanien einge-drungenen Sarazenen. Noch schwieriger war die Einbeziehung der Sachsen.Eroberung und Missionierung gingen bei Karl dem Groen Hand in Handund wurden auch in der Methode nicht allzu scharf unterschieden. Dennochkann man ihm keine bloe Schwertmission zuschreiben, dagegen sprechenseine groen Erfolge in der Fundierung einer christlichen Kultur. BesonderenWiderstand leistete der norddeutsche Stamm der Sachsen unter dem HerzogWIDUKIND, weil dort der germanische Gtterglaube noch lebendig war undein erhebliches politisches Unabhngigkeitsbewutsein herrschte. Von Karldem Groen wurde das bedeutende germanische Heiligtum, die Irminsul inder Nhe von Marsberg, und die Schutz- und Fluchtburg auf der Iburg (bei

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  • Driburg) zerstrt. Mit der Taufe Widukinds 785, bei der Karl der Groe diePatenschaft bernahm, kam es zu einer Vershnung zwischen Franken undSachsen. Mit dem Ende der Sachsenkriege wurde die ChristianisierungDeutschlands abgeschlossen. Es wurde damit auch erreicht, da Nord- undSddeutschland kulturell zusammenwuchsen.

    Schon mehr als ein Jahrhundert zuvor war die Missionsarbeit im brigendeutschen Gebiet von den irischen Wandermnchen eingeleitet worden, wasaber nur zur Entstehung von Keimzellen des Christentums gefhrt hatte.Eine grere Festigung brachte um die Mitte des 8. Jahrhunderts das Werkdes in engem Kontakt mit Rom stehenden angelschsischen Benediktiner-mnchs und spteren Missionsbischofs BONIFATIUS, auf den in Mittel- undSddeutschland viele Bischofssitze und Klostergrndungen zurckgehen.Karl der Groe konnte so bei seinen kulturellen Bestrebungen auf die schonvorhandenen Benediktinerklster und Bischofssitze zurckgreifen und zumAnreger vieler Neugrndungen werden. Auf die kulturelle Wirkung der Kl-ster und Kathedralschulen ging einerseits die Durchdringung der Bevlke-rung mit christlichem Gedankengut zurck, andererseits die Vermittlungneuer Methoden der Urbarmachung und Bebauung des Landes.

    Worin bestand im einzelnen die kulturelle Aufgabe der Benediktiner in derKarolingischen Zeit? Die Verwirklichung ihrer Ordensregel bedeutete fr dasbeginnende Mittelalter das christliche Wiederaufleben antiken und alttesta-mentlichen Kulturschaffens. Die Spannung des ora et labora in ihrer Ordens-regel brachte sie zu einer aus dem Geiste der Religion abgeleiteten Weltgestal-tung. Die Grndung eines Klosters zog alles Notwendige fr das Leben einerGemeinschaft nach sich, die lehrend auf ihre Umgebung einwirken will: Ur-barmachung des Landes und neue Methoden in dessen weiterer Bewirt-schaftung, Errichtung von Gebuden zum Gottesdienst und fr das mensch-liche Leben, das Handwerk im weitesten Sinne, Anlage einer Bibliothekdurch mhsames Abschreiben von Handschriften. Es wurde neben denBedrfnissen des leiblichen Lebens fr die Pflege von Literatur, Wissenschaft,Kirchengesang und Liturgie gesorgt.

    Die beherrschende Stellung hatte das Kloster Fulda in der Mitte Deutsch-lands inne. Es wurde von Bonifatius gegrndet, entwickelte sich dann zurZentrale der Missionierung und erlebte seine kulturelle und geistige Bltezeitim 9. Jahrhundert unter dem gelehrten Abt HRABANUS MAURUS. Etwas sp-ter bernahmen die Klster St. Gallen, Reichenau und Benediktbeuern diekulturelle Fhrung. Deutschland verdankt die Grundlegung seiner Kultur inerheblichem Mae der soliden und stetigen Arbeit der Benediktinermnche,deren uerer Wirkungsbereich durch die Reichsgrndung und Gesetzge-bung Karls des Groen ermglicht und bedeutend gefrdert wurde.

    Zu den Klstern kamen bald die Damenstifte. Sie hatten zwar eine btis-sin, waren aber in ihrem Lebensstil viel freier. Sie dienten nicht nur zur Ver-sorgung der unverheiratet gebliebenen Frauen und Witwen. Ihr besonderes

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  • Verdienst war die Mdchen- und Frauenbildung. MATHILDE, die GemahlinKnig HEINRICHS DES I., hat viele solcher Stifte nach dem Vorbild von Her-ford gegrndet.

    Wenngleich das Reich nach dem Tod dieses Kaisers politisch in seiner Ein-heit nicht erhalten blieb, so blieb doch der geistige Neugewinn. In den ver-schiedenen Reichsteilungen des 9. Jahrhunderts erlangte der stliche Teil seinegeschichtliche Selbstndigkeit, was die Voraussetzung war fr das spteredeutsche Kaiserreich, das nach dem Niedergang der Karolinger von den Sach-senherrschern gegrndet wurde. So sind aus dem westeuropischen Karolin-gerreich insbesondere die beiden Nachbarstaaten Deutschland und Frank-reich hervorgegangen.

    Die Zeit der Sachsenkaiser

    Nach der Abtrennung und Verselbstndigung der stlichen Hlfte des einsti-gen Karolingischen Reiches erhob sich unter den einzelnen deutschen Stm-men das Problem der Vorherrschaft. Im Lauf der deutschen Geschichte gingdie Fhrung von einem Stamm auf den anderen ber. So wurde das schsischeKaiserhaus (919-1024) vom frnkischen (1024-1125) abgelst und dieses wie-derum vom staufischen (1138-1268), das zum schwbischen Stamm gehrte.An diesem Wechsel der Herrscherhuser kann man die langsame Entwicklungzur hochmittelalterlichen deutschen Kultur verfolgen.

    Trotz der bergreifenden Funktion des deutschen Kaisertums in geistigerund politischer Hinsicht blieb die kulturelle Eigenstndigkeit der deutschenStmme bestehen. Eine einheitliche deutsche Kultur hat es nicht gegeben; sieprgte sich immer in der Eigenart der einzelnen Landstriche aus. Eine Vielzahlvon greren und kleineren Kulturlandschaften hat sich im Verlauf der Ge-schichte herausgebildet und erhalten.

    Die Epoche der Sachsenkaiser ist gekennzeichnet durch eine Festigung derEinheit des Reiches. Den Hhepunkt dieser von Heinrich I. ber die drei Otto-nen zu HEINRICH II. reichenden schsischen Herrscherreihe bildet das ZeitalterOTTOS I., des Groen, der in seiner Kaiserkrnung ein hnliches Ereignis fr dasAbendland erblickte wie in der Karls des Groen. Den SachsenherrschernHeinrich I. und Otto I. fiel die Aufgabe zu, die wiederholten Einflle der Un-garn abzuwehren. Der Kampf Heinrichs I. war noch wesentlich von seinemStamm der Sachsen getragen; unter Otto dem Groen trafen sich 955 in derSchlacht auf dem Lechfeld bei Augsburg mehr oder weniger alle deutschenStmme, wodurch das Zusammengehrigkeitsgefhl des Reiches vertieft wurde.

    Fr die deutsche Geschichte war die politische Neuordnung durch Ottoden Groen von weitreichender Bedeutung: Er belehnte die Bischfe mitLand und erhob sie zu Reichsfrsten. Nachdem er bei dem Versuch, die deut-schen Stmme politisch zu vereinen, zuvor schon mehrmals gescheitert war,

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  • fand er in den Wrdentrgern der Kirche eine treue Sttze seines Reiches. DieEhelosigkeit der Kirchenfrsten verhinderte die Vererbung von Amt undLehen und damit eine nur eigenen dynastischen Zwecken dienende Politik.Ein Gegensatz zwischen Weltlichem und Geistlichem wurde damals in dersakral gedeuteten Welt zunchst nicht empfunden.

    War unter Karl dem Groen der Mittelpunkt des Reiches sein Kaisersitz inAachen gewesen, so verlagerte sich dieser unter den ersten Sachsenkaisern inderen eigenes Land um den Harz, bis Heinrich II. das Bistum Bamberg grn-dete, welches er auch zum eigenen Sitz erhob und somit ein kulturellesZentrum schuf, das eine hnliche Bedeutung erlangte wie Fulda in der Karo-lingischen Zeit.

    Die Salier

    Die kulturellen Strukturen des Mittelalters weiteten und vertieften sich unterdem frnkischen Herrscherhaus der Salier. Dieses Zeitalter war gekennzeich-net durch das politische und gesellschaftliche Aufstreben des Ritterstandes.Neben den alten Geburtsadel trat auf Grund besonderen Verdienstes eineneue Art des Adels, der Ministerialenstand. Der Ritterstand war darauf be-dacht, Trger von Bildung und Kultur zu werden. Nach der vorwiegend geist-lichen Epoche am Anfang des Mittelalters kann man nun von einer ritterli-chen Kulturwelt sprechen. Die Aneignung einer verfeinerten geistigen Le-benssitte, wie sie sich in der Provence, dem heutigen Sdfrankreich, herausge-bildet hatte, geschah zuerst in den Klstern und wurde an den ritterlichenStand weitergegeben. Die Frauen des Ritterstandes, die in den Klstern erzo-gen wurden, nahmen dabei eine vermittelnde Stellung ein. Sie waren auch dieersten, die auer den Mnchen und Nonnen die Kunst des Schreibens und dielateinische Sprache beherrschten.

    Zur Ausbildung des Ritters gehrte eine schon frh einsetzende bung imKriegswesen, in der Jagd und auf dem Gebiet des Literarischen und Musi-schen. Wegen der vielen Fehden und Kriege des Mittelalters war der ritterli-che Wohnsitz die mit meterdicken Mauern und Trmen befestigte Burg, dieauf dem Berg gelegen oder von Wasser umgeben war. Der Ritter hatte einengroen Landbesitz, und er erhielt von den Bauern seines Gebietes einenZehnten, der diese vom Kriegsdienst befreite. Der Ritter selbst stand imDienst eines ihm bergeordneten Frsten, der wiederum dem Kaiser beson-dere Rechenschaft schuldig war. Durch dieses fr das Mittelalter so charakte-ristische Lehnswesen, bei dem der bergeordnete den Untergeordneten mitLand belehnte und dafr seine Dienste beanspruchte, waren zugleich auchVerwaltung und Rechtsprechung gewhrleistet.

    Die Anfnge des Lehnswesens, Vasallentum und Feudalitt genannt, liegenin der Zeit der Entstehung des frnkischen Reiches. In der damals herrschen-

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  • den Naturalwirtschaft wurden die Krieger durch Belehnung (Leihe) mit Landwirtschaftlich selbstndig und konnten sich so all das beschaffen, was sie anAusrstung brauchten. Wichtig ist die enge Verknpfung des persnlichenTreueverhltnisses mit den wirtschaftlichen Sachwerten. Anfangs fiel dasLehen, da es als eine persnliche Bindung gedacht war, beim Tod des Herrnwie des Lehensmannes an den Eigentmer zurck. Doch bald setzte dasBestreben ein, das Lehen zu vererben. Durch die Erbfolge bekam der Vasallimmer mehr ein eigentumshnliches Recht.

    Die Knige benutzten die Lehensvergabe auch dazu, die Groen des Lan-des enger an sich zu binden. Sie verliehen Herzogtmer und Grafschaften.Herzge, Bischfe und Grafen, die so an die Krone gebunden waren, belehn-ten wiederum Untervasallen, die ihnen zu Hilfe und Dienst verpflichtetwaren. Die verschiedenen Kaiser versuchten immer wieder, auf dieser lehns-rechtlichen Grundlage das Reich zu reorganisieren. Eine solche angestrebteLehenspyramide war aber nur so lange wirksam, wie es starke Knige undKaiser gab.

    Lehnswesen und standesmige Gliederung waren die Grundlagen dersozialen Ordnung. Diese war aber auch innerlich getragen von der dem Mit-telalter eigentmlichen berzeugung, da es in der Welt verschiedene gottge-wollte Stnde gbe. Die Standesunterschiede wurden im Mittelalter strengeingehalten, aber nicht als problematisch empfunden, da das religise Be-wutsein herrschte, da alle Menschen vor Gott gleich wertvoll sind. Es kamdarauf an, innerhalb des Standes die eigene Aufgabe zu erfllen.

    In den Benediktinerklstern, denen weiterhin die Pflege der Wissenschaftund der antiken Kultur geblieben war, hatte sich vielfach ein Wohlstand ent-wickelt, der vom Geist des Ordens immer mehr abwich. Dagegen erhob sichim 11. Jahrhundert die von dem franzsischen Kloster Cluny ausgehende undnach ihm benannte Cluniazensische Reformbewegung, deren Absicht es war,durch eine strenge Reform das klsterliche Leben zu erneuern. Ausgangs-punkt fr die Reform in Deutschland war das Kloster Hirsau im Schwarz-wald. Diese Reformbewegung blieb aber nicht auf die Klster beschrnkt.Durch ihren engen Kontakt mit der Welt griff sie auch in das gesamte christ-liche Leben ein. Es ging dabei um das Verhltnis von Christentum und Kultur.Zum erstenmal wurde die Kulturentfaltung selbst als bedrohlich fr das Chri-stentum empfunden, da sie eine zu starke Verquickung mit der Welt befrch-ten lie.

    Charakteristisch fr den hochmittelalterlichen Geschichtsverlauf ist dieSpannung zwischen dem Kaiser als dem Trger der im Namen Gottes verwal-teten irdischen Macht und dem Papst als dem irdischen Haupt der Kirche undInhaber der geistlichen Gewalt. Diese Spannung ist wesentlich darin begrn-det, da seit Otto I. die deutschen Bischfe auch Reichsfrsten waren. DieFrage der Zustndigkeit von Papsttum und Kaisertum mute unter dem Ein-flu der Cluniazensischen Bewegung zum Konflikt fhren.

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  • Unter HEINRICH III. wirkte sich diese Bewegung zunchst nur im Sinneeiner einheitlichen Reform des kirchlichen und sozialen Lebens aus, unterHEINRICH IV. und dem Reformpapst GREGOR VII. aber nahm sie eine ausge-sprochen laienfeindliche Form an und versuchte eine scharfe Trennung zwi-schen geistlichem und weltlichem Bereich, was fr das Amt des Kaisers undder Frsten eine Skularisierung bedeutete. Die kirchliche Partei forderte vomKaiser Verzicht auf die Wahl der Reichsbischfe. Da diese aber zugleichReichsfrsten waren, konnte der Kaiser nicht ohne weiteres auf ihre Einset-zung verzichten, und so kam es zu dem beraus bitteren Investiturstreit desMittelalters. Erst durch seinen Bugang nach Canossa (1077) konnte sichHeinrich IV. aus dem Bannspruch des Papstes lsen.

    In der geschichtlichen Situation wurde die Problematik offenkundig, daeinerseits der Staat die Kirche und damit das Christentum nicht zur Staatsreli-gion machen kann, und da andererseits die Kirche keine politischen Weltherr-schaftsplne fr sich beanspruchen kann. Im Wormser Konkordat kam es 1122unter Heinrich V. in der Frage der Bischofsinvestitur endlich zu einem Ver-gleich auf der Grundlage gegenseitiger Mitbestimmung. Der Investiturstreit,bei dem auf beiden Seiten Recht und Unrecht war, ist in kulturgeschichtlicherHinsicht deshalb von Belang, weil es um das Verhltnis der fr das Mittelalterbestimmenden Institutionen von Kirche und Reich ging. Aus ihrer gegenseiti-gen Korrektur entwickelte sich ein geistiger Raum der Freiheit.

    Die staufische Kaiserzeit

    Den politischen und kulturellen Hhepunkt der mittelalterlichen Kaiserhu-ser bildeten die Hohenstaufen. Zu ihrer Zeit kam es zu vielfltigen Neuanst-zen im religisen wie hfischen Leben. Das Rittertum gelangte zu seiner vol-len Entfaltung und zeigte sich in Ansehen und Pracht auf Reichsfesten undTurnieren. Ausdruck des Standesbewutseins wurde die mittelhochdeutscheDichtung.

    Eine besondere Aufgabe fand das Rittertum in den Kreuzzgen, wobeikriegerische Tchtigkeit und religiser Ernst zugleich gefordert waren. DieKreuzzge, die von Frankreich ihren Ausgang nahmen, sollten der Befreiungder heiligen Sttten der Christenheit von der Herrschaft der Mohammedanerdienen. Pilgerfahrten nach Jerusalem, zum Grab Christi, hatte es schon seitdem Altertum gegeben. Sie galten fr die Christen als besonders verdienstvoll.Im Mittelalter nahmen sie zu, stieen aber auf Feindseligkeit, seitdem sichEnde des 11. Jahrhunderts die dortigen Machtverhltnisse gendert hatten.Verstanden wurden die Kreuzzge als bewaffnete Pilgerfahrten.

    Obgleich ihre Erfolge von wechselvoller Dauer waren, brachten sie docheine ungeheure Weitung des mittelalterlichen Weltbildes mit sich: eine Begeg-nung mit der Buntheit und den mrchenhaften Vorstellungen des Orients,

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  • Handelskontakte, und vor allem die Erfahrung, da man auch auerhalb desChristentums auf ein in sich zufriedenes menschliches Dasein treffen konnte.Anstze von religiser Toleranz ergaben sich daraus, wenn auch nicht berse-hen werden darf, da die Kreuzzugsidee den Ha gegen Andersglubige ge-steigert hatte. So kam es in dieser Zeit zu ersten Judenverfolgungen und zuKreuzzgen gegen die sektiererischen Christengemeinschaften der Waldenserund Albigenser, die im Rckgriff auf die Bibel eine neue Lebensanschauungaufbauen wollten und die Zustndigkeit der kirchlichen Institutionen ablehn-ten. Durch das Bekanntwerden der historischen Sttten der Passion Christiwandelte sich das bis dahin noch vorwiegend antike Christusbild des amKreuz herrschenden Knigs zu dem des Leidensknechtes, so da das Mensch-liche an ihm im Christentum von nun an mehr in den Vordergrund trat.

    Neben der Kreuzzugsidee wurde in der Stauferzeit die Italienpolitik derwichtigste politische Faktor. Unter FRIEDRICH BARBAROSSA und HEINRICHVI. nahm sie eine besondere Intensitt an und fhrte am Ende des 12. Jahr-hunderts zu dem groen staufischen Reich, das im Sden bis Sizilien reichte.

    Es konnte jedoch seine Machtposition nicht lange aufrechterhalten, unddie Vorherrschaft ging vom Kaisertum an das Papsttum ber, dessen gln-zendster Vertreter INNOZENZ III. um 1200 nahezu alle geistliche und weltli-che Macht unter sich vereinigte. Zum Wesen dieser Geschichtsepoche gehr-te es auch, da gerade im Zeitpunkt hchster kirchlicher Machtentfaltung dieauf uerste Armut bedachten Bettelorden der Franziskaner und Domini-kaner entstanden, die durch Innozenz selbst ihre Legitimation empfingen.Durch die Bewegung der Bettelorden wurden einerseits die spiritualistischenzur Hresie drngenden Krfte in den Groraum der Kirche zurckgelenkt,andererseits sollte das soziologisch immer dringlichere Problem von Reich-tum und Armut auf religise Weise gelst werden.

    In der ersten Hlfte des 13. Jahrhunderts versuchte Kaiser FRIEDRICH II.noch einmal, den Traum eines staufischen Groreiches zu verwirklichen. Sei-ne Interessen lagen aber vor allem in Sditalien, weil die einzelnen deutschenFrsten sich schon stark verselbstndigt hatten. Aufgeschlossen fr denOrient und die arabische Geistesbildung, war Friedrich II. seiner Zeit in vie-len Dingen weit voraus. Es wirkt wie ein Vorklang der Renaissance, wasFriedrich II. in Sditalien an staatlicher Ordnung und Gelehrsamkeit zu ver-wirklichen suchte. Mit der Enthauptung des sechzehnjhrigen KONRADIN1268 auf dem Marktplatz von Neapel fand das Staufergeschlecht ein tragi-sches Ende, veranlat vom franzsischen Knig KARL VON ANJOU, der dieHerrschaft ber Sditalien an sich reien wollte.

    Die vom abendlndischen Reichsgedanken getragene Politik erhielt ihrGegengewicht in dem beharrlichen Streben nach Besiedlung der Gebiete st-lich von Elbe und Saale. Der Reprsentant dieser aussichtsreicheren, aberweniger glanzvollen Bemhungen war der Herzog von Sachsen und Bayern,HEINRICH DER LWE.

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  • Diese Kolonisationsbewegung war in die Wege geleitet worden durch Ver-besserungen in der Landwirtschaft und die dadurch bedingte Zunahme derBevlkerung. Es kam die Dreifelderwirtschaft auf mit dem Wechsel von Win-terfrucht, Sommerfrucht und Brache. Der Getreideanbau nahm zu. Die land-wirtschaftliche Technik wurde vollkommener: Pflug und Egge aus Eisen, Ent-wicklung der Sense, Verbreitung des Dreschflegels, Entstehung von Wasser-und Windmhlen. Mehr und mehr trat das Pferd als Zugtier an die Stelle desOchsen. Die siedlungsmige Ostbewegung hatte eine friedliche kulturelleDurchdringung des Landes zur Folge: Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaftvon Slawen und Deutschen, aber auch Eindeutschung weiter Gebiete zwi-schen Elbe und Oder. Die stndig fortschreitende Eroberung und Besiedlungder stlichen Gebiete des Reiches war in der Folgezeit vor allem Aufgabe desDeutschen Ritterordens, der aus der Kreuzzugsidee erwachsen war und dasAmt des Ritters mit dem des Ordensmannes vereinigte.

    Der aus dem Benediktinerorden entstandene Orden der Zisterzienser hattegroe Verdienste bei der Entwicklung der lndlichen Kultur. Die Mnchegrndeten ihre Klster in Gegenden, die sie erst urbar machen muten. Sieentwickelten neue Methoden zur Bewirtschaftung des Landes, ebenso wie inder Viehhaltung. Deutschland war und blieb ein Bauernland, geprgt von denadligen Hfen, auf denen die lndliche Bevlkerung in sozialer Abhngigkeitzu arbeiten hatte.

    2. Die scholastische Wissenschaft

    Im mittelalterlichen Geistesleben nehmen Philosophie und Theologie eineunvergleichlich hohe Stellung ein. Beide Wissenschaften erarbeiten im Ein-klang miteinander eine universale Deutung der Welt, zu der Denker aus demgesamten europischen Raum ihren Beitrag leisteten. Es gab im Mittelalter dieLebendigkeit philosophischer Schulen, aber es gab keine grundstzlich von-einander getrennten philosophischen Systeme, sondern nur die Gesamtheitder scholastischen Philosophie. Diese bemhte sich in der frhscholastischenEpoche des 12. Jahrhunderts um die gedankliche Durchdringung alles Seien-den, vor allem unter heilsgeschichtlichen und in der das 13. Jahrhundertumfassenden Hochscholastik strker unter metaphysischen Gesichtspunkten.

    In das 12. Jahrhundert gehren der Chronist OTTO VON FREISING und derGeschichtstheologe RUPERT VON DEUTZ. Die benediktinische btissin HIL-DEGARD VON BINGEN wird wegen ihres heilkundlichen Wissens noch heutegeschtzt. In ihren Visionen deutet sie die Welt aus der Spannung von Schuldund Erlsung. Sie gilt als die bedeutendste Frau des Mittelalters. Ihr Haupt-werk Scivias (Wisse die Wege) bezeugt nicht nur ihr grundlegendes Wissen,vielmehr auch ihre von der Mystik getragene Denkweise. Sie verfate Hym-nen und Sequenzen in lateinischer Sprache von groer dichterischer Bildhaf-

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  • tigkeit und musikalischer Schnheit. Als Frau konnte sie im Mittelalter einesolche Position einnehmen, weil sie nicht zu den Theologen, sondern zu denMystikern gezhlt wurde, die einen groen theologischen Spielraum besaen.

    Der einflureiche Theologe HUGO VON ST. VICTOR, der in Paris wirkte,beeinflute mit seinem Denken auch die hfische Literatur. Die Kernstzeseiner geschichtstheologischen Weltkonzeption lauten:

    Es gibt zwei Werke Gottes, in denen alles, was ist, seinen Bestand hat. Daserste ist das Werk der Grndung, das zweite das der Wiederherstellung.Durch das Werk der Grndung wird ins Dasein gerufen, was vorher nichtwar, durch das Werk der Wiederherstellung wird neu geschaffen, was abge-fallen war. So besteht das Werk der Grndung in der Erschaffung der Weltmit allen ihren Seins-Elementen, das Werk der Wiederherstellung aber inder Menschwerdung des Wortes mit allen seinen Heilszeichen, sowohldenen, die ihm seit dem Weltbeginn vorausgingen, als auch denen, die ihmbis zum Zeitenende folgen werden. De sacramentis Christianae fidei

    Neben dieser grundlegenden Vorstellung, da zur Welt als Schpfung Gottesdie Geschichte des Menschengeschlechtes gehrt, die sich stufenweise miteinem jeweils hheren Grad an Glaubenswissen fortentwickelt hat, steht nocheine andere Art von Geschichtsdeutung: die Vorstellung der einander ab-lsenden groen Weltreiche. Aus dieser Sicht bekommt das mittelalterlichedeutsche Kaiserreich seine geschichtliche Herkunft, Zukunft und sakrale Be-stimmung zugesprochen. Die Weltchroniken der salischen und staufischenKaiserzeit sind auf literarischer Ebene hierfr ein berzeugendes Beispiel.

    Die mittelalterliche Auffassung von der Harmonie zwischen Wissen undGlauben beruht auf dem Grundsatz, die menschliche Erkenntnis so ernst zunehmen wie mglich und doch ihre Begrenzung anzuerkennen, die nur vomLicht des Glaubens berwunden werden kann. Durch Glaube gelangt man zurEinsicht, Wissen hingegen fhrt in die Dimension des Glaubens. So konnte esin der Hochscholastik zu einer systematischen Darstellung des ungeschaffenenund geschaffenen Seins in den groen theologischen Abhandlungen kommen.Sie wurden gern als Summa Theologiae bezeichnet, um damit die Gesamtheitdes ausgebreiteten Wissens auszudrcken. Nach kurzen theoretischen Vorerr-terungen enthalten sie in jeweils variierter Abfolge die einzelnen theologischenTraktate: Lehre von Gott in seiner Wesenseinheit und dreifachen Personalitt;Lehre von der Schpfung in ihrer mehrfachen Abstufung von unbelebter, be-lebter, menschlicher und rein geistiger Kreatur; Lehre vom Sndenfall des Men-schen und der Verletzung der Seinsstrukturen durch das Bse; Lehre von JesusChristus, seiner Menschwerdung, seinem Heilswirken fr die Menschheit undvon den sakramentalen und ethischen Ordnungen des menschlichen Lebens.

    Diese Art von Philosophie und Theologie war keine einseitige Begriffsspe-kulation, sondern den vielbndigen Sentenzen und Summenwerken lag eine

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  • lebendige Disputationsweise zugrunde. Der Magister mit seinen Schlernoder auch die akademischen Lehrer untereinander stellten zahlreiche Einwn-de gegen die Lsung eines Problems auf und versuchten diese zu widerlegen.Diese Disputationsweise, bei der es um die Eindeutigkeit und Klarheit der Er-kenntnis ging, ist in den Stil der theologischen Werke eingegangen.

    Der deutsche Beitrag zur Hochscholastik wurde vor allem durch den Domi-nikaner ALBERTUS MAGNUS bestritten, der seinen Schler THOMAS VON AQUINan Wissen vielleicht noch berragte. Er wirkte als Lehrer in Regensburg, Stra-burg, Kln und Paris. Seine Bedeutung fr die europische Geistesgeschichtebesteht vor allem darin, da er es vermochte, den von Arabien bermitteltenAristotelismus fr das Christentum fruchtbar zu machen und eine selbstndigeArt des Philosophierens daraus zu entwickeln. Ebenso gro ist Albertus als Na-turforscher, weil er den Weg einer unmittelbaren Beobachtung der Natur be-schritt. Neben den Dominikanern waren die Franziskaner die Trger der scho-lastischen Philosophie, die auch eine eigene Schule hervorgebracht haben.

    Die beiden philosophischen Strmungen des Mittelalters, die einander viel-fach durchdringen, sind der Neuplatonismus und der Aristotelismus. Der Neu-platonismus geht von einem vertikalen Denkansatz aus. Er folgert die Mannig-faltigkeit der Erscheinungen aus einem hchsten Prinzip, zu dem in Form derRckwendung die Welt wieder gebracht werden mu. Der Aristotelismus istdagegen von einem horizontalen Denkansatz bestimmt. Von ihm wurden dieGesetze der Logik bernommen und die dialektische Argumentationsweise aus-gebildet. Von der starken Autoritt AUGUSTINS hat sich kein mittelalterlicherDenker gelst. Nicht selten wird er angefhrt, um die theologische Tradition ge-genber den philosophischen Begrndungen abzusichern. Durch die Verbin-dung mit dem theologischen Denken erhlt auch die Philosophie ihre letzte Fun-dierung in Gott als der causa prima, der Erstursache, als dem Inbegriff allerSeinsaussagen und dem Ziel jeglicher menschlicher Denkbemhungen. Das ge-samte mittelalterliche Geistesleben findet seine Klrung aus der theozentrischenOrdnung von Welt und Mensch. Auf diese Weise hat die theologisch-philo-sophische Wissenschaft auch der Dichtung und Kunst wie dem gesamten kultu-rellen Leben die Richtung gewiesen. Nachdem lange Zeit die einzelnen Wissen-schaften gesondert die mittelalterliche Geisteswelt erforscht haben, wird heute indem als Medivistik bezeichneten Fach eine enge Zusammenarbeit angestrebt.

    3. Geistliche und hfische Dichtung

    Whrend die Verlautbarungen der kaiserlichen Kanzleien, die Theologie, Phi-losophie und Geschichtsschreibung, also nahezu das ganze geistige Leben desMittelalters, von der lateinischen Sprache bestimmt sind, kommt in der Dich-tung die Sprache des Volkes zur Geltung. Mit der lateinischen Sprache ist dasdeutsche Geistesleben des Mittelalters in die gesamte abendlndische Welt

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  • eingefgt, whrend die deutsche Sprache von Natur aus auf ihren germani-schen Ursprung verweist.

    Das Wort deutsch leitet sich her von dem germanischen Wort fr Volk,theot. Deutsche Sprache bedeutet also zuerst ganz allgemein die Volksspra-che im Gegensatz zur lateinischen Kirchensprache, auerdem steht deutschfr die Mundart der Menschen im stlichen Teil des Karolingischen Reiches.So nennt schon der Geschichtsschreiber NITHARD die Sprache LUDWIGS DESDEUTSCHEN in den Straburger Eiden, durch welche die Teilung des karolin-gischen Reiches besiegelt wurde, theodisca lingua.

    Geographisch gesehen gliedert sich die deutsche Sprache in zwei Gruppen,das Niederdeutsche und das Hochdeutsche. Diese Gliederung wurde vorallem durch die vom Sden ausgehende sogenannte hochdeutsche Lautver-schiebung hervorgerufen, die auf das niederdeutsche Gebiet nicht bergriff.Aber auch im Wortschatz des Niederdeutschen und Hochdeutschen zeigensich jeweilige Eigentmlichkeiten. Das Hochdeutsche setzt sich zusammenaus dem Oberdeutschen, zu dem die alemannischen und bairischen Dialektegehren, und dem Mitteldeutschen mit den thringischen und frnkischenMundarten.

    In sprachgeschichtlicher Hinsicht gilt eine andere Unterscheidung, die mitder literarischen zeitlich nicht zusammenfllt. Es ist der Wandel vom Alt-hochdeutschen, das vom 8. bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts dauert, ber dasFrhmittelhochdeutsche, welches das folgende Jahrhundert umspannt, zumMittelhochdeutschen als der Sprache der groen Epen- und Minnedichter.Zwischen der althochdeutschen und frhmittelhochdeutschen Literatur liegtdie lateinisch dichtende Ottonenzeit. In ihr ist das lateinische Kulturgut sostark geworden, da es die deutsche Sprache zwar nicht im alltglichenUmgang, wohl aber in der Dichtung zurckdrngen konnte.

    Am Beginn der deutschsprachigen Literatur stehen die wenigen, durchZufall berlieferten Zeugnisse vorchristlicher Geisteshaltung, deren wichtig-stes das Hildebrandslied ist. In der Karolingerzeit aufgeschrieben, folgt es inder Form noch dem altgermanischen Stabreim und behandelt ein aus derVlkerwanderungszeit stammendes tragisches Motiv, den Kampf zwischenVater und Sohn, die beide verschiedenen Gefolgsherren unterstehen. AmHildebrandslied wird sowohl die Bindung zwischen den Blutsverwandtenaufgezeigt als auch der Gedanke der Ehre, der vom Gefolgschaftswesenbestimmt ist. Um der Ehre willen mu der Vater den eigenen Sohn erschlagenund damit sein Geschlecht auslschen. So bleibt allein das Heldische in dieserDichtung als der hchste Wert bestehen.

    hnliches gilt fr das Nibelungenlied, zu dessen endgltiger Ausgestaltunges in dem bekannten Epos des Hochmittelalters gekommen ist, das aber in sei-nem Grundgehalt ebenfalls aus der Vlkerwanderungszeit herrhrt. Hierwird das Motiv der Blutrache bis zur tragischen Vernichtung einer ganzenKnigssippe durchgespielt. Die Hauptgestalten des Nibelungenliedes, wie

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  • SIEGFRIED, BRUNHILD, KRIEMHILD, HAGEN gehren zum allgemeinen Be-stand der deutschen Dichtungstradition. An ihnen hat der namentlich unbe-kannt gebliebene mittelalterliche Dichter noch einmal die Welt der germani-schen Sage, die Vorstellungen von Ehre, Gefolgschaftstreue und die Dunkel-heit des Schicksals dargestellt. Seit seiner Wiederentdeckung im 18. Jahrhun-dert hat man das Nibelungenlied vielfach als das deutsche Nationalepos ange-sehen.

    Die mittelalterliche Dichtung kann man in der Abfolge von drei Haupt-stufen beschreiben: die geistliche, die ritterlich-hfische und die brgerliche,die aber schon ins Sptmittelalter gehrt.

    Innerhalb der geistlichen Dichtung der althochdeutschen Zeit ist das Wes-sobrunner Gebet eines der ersten Zeugnisse. Es knpft an alte mythologischeVorstellungen an und ersetzt sie durch den christlichen Gottes- und Sch-pfungsglauben:

    Dat gafiregin ih mit firahim firiuuizzo meista,Dat ero ni uuas noh ufhimil,no paum noh pcreg ni uuas,ni nohheinig noh sunna ni scein,noh mano ni liuhta, noh der mareo seo.Do dar niuuiht in uuas enteo ni uuenteo,enti do uuas der eino almahtico cot

    Das erfuhr ich mit Staunen als der Wunder grtes,da da Erde nicht war noch der Himmel,noch Baum, noch Berg nicht war,noch irgend etwas, und auch die Sonne noch nicht schien,der Mond noch nicht leuchtete, der groe See noch nicht da war.Als noch gar nichts da war, nicht Ende, nicht Wende,da war doch schon der eine allmchtige Gott

    Aus dem 9. Jahrhundert stammen die beiden Bibelepen, der Heliand und dasEvangelienbuch OTFRIDS VON WEISSENBURG. Sie sind Vertreter verschiedenerkultureller Schichten. Der Heliand, der in den niederdeutschen Sprachraumgehrt, ist in seiner Form des Stabreims noch dem germanischen Heldenliednachgestaltet. Inhaltlich wird das Leben Jesu dargestellt und aus germani-schen Lebensformen gedeutet. Christus ist als der oberste Gefolgsherr gese-hen, dem die Menschen in Treue anhngen und nachfolgen. Im Gegensatzzum Helianddichter hat Otfrid von Weienburg sein Bibelepos in der Formdes Endreims verfat und den Inhalt den Vorstellungen der altchristlichenZeit angeglichen. Der Grundgedanke dieser Dichtung ist das Knigtum Chri-sti. Whrend im Heliand die Gefolgschaftstreue im Vordergrund steht, ist eshier die Ehre, welche die Menschen dem Knig Christus schulden.

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  • Das Vaterunser in der altschsischen Sprache des Heliand beginnt mit fol-genden Worten:

    Fadar usa firiho barno,thu bist an them hohon himila rikca,gcuuihid si thin namo uuordo gehuuilico

    In der althochdeutschen Sprache Otfrids hat es folgenden Wortlaut:

    Fater unser guato, bist druhtin thu gimuatoin hirnilon io hoher; wih si namo thiner

    Das 10. Jahrhundert verdrngte die frhe deutschsprachige Dichtung. Bcherwurden ausschlielich in lateinischer Sprache verfat. WIDUKIND VON COR-VEY schrieb seine Sachsenchronik und die Dichterin ROSWITHA VON GAN-DERSHEIM in der Nachfolge des rmischen Komdiendichters TERENZ ihredramatischen Dialoge.

    Die deutschsprachige Dichtung setzte erst wieder mit Ezzos Gesang ein,einem vielstrophigen Lied, das die Heilsgeheimnisse des Christentums wie-dergibt, wahrscheinlich auf einer Pilgerfahrt gedichtet und gesungen. Snden-klagen, Marienlieder, Sequenzen, erzhlende Wiedergaben des Lebens Jesugehren in diese Zeit und zeigen die enge Verbindung zwischen der neuenFrmmigkeit und der Dichtung. berwiegend handelt es sich um religiseGebrauchsliteratur.

    Aus der Flle der ritterlich-hfischen Dichtung, die das aufblhende kul-turelle Leben um 1200 spiegelt, sind vor allem die Werke der Epiker Hart-mann von Aue, Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Strassburg und desMinnedichters Walther von der Vogelweide zu nennen. Die hfischen Dich-tungen, die vielfach altfranzsische Stoffe bernehmen, vereinigen das Heldi-sche mit dem Christlichen zum Ritterlichen. Sie berichten vom Leben undden Abenteuerfahrten eines Ritters, der hierbei zu Einsichten ber den Sinndes Ritterstandes gelangt. Dabei wird in einer dreifachen Relation seineLebenserfahrung aufgedeckt: zur Frau, zur Welt, zu Gott. Gibt er sich nur derWelt hin, so wird er zum bloen Abenteurer. Vergit er den Auftrag desRitters und zieht sich zurck, so erweist er sich als seines Rittertums unwr-dig. Hat aber sein ritterliches Streben nicht einen letzten Sinn im Dienstgegenber Gott, so kann er die verschiedenen irdischen Bereiche nicht mitein-ander vereinbaren.

    Die ritterliche Dichtung erreicht ihren Hhepunkt in WOLFRAM VONESCHENBACHS Parzival. An der Gestalt Parzivals veranschaulicht der Dichterdie Lebensgeschichte eines Ritters, dem unbewut alles zufllt, im entschei-denden Augenblick jedoch die wahre Einsicht in das Leid der Welt fehlt, dieer dann durch nachtrgliche Erfahrungen erringen mu. In der bernahme

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  • des religis verstandenen Gralsknigtums vollendet sich sein Lebensgang, soda dieses Epos nicht wie das Nibelungenlied in tragischem Leid endet, son-dern zur saelde fhrt, der glckhaften Erfllung des irdischen Daseins. Inder Fiktionalitt der Literatur erhlt so die hfische Welt berhhung undZielvorstellung:

    Swes Iebn sich s verendet,daz got niht wirt gepfendetder sle durch des lbes schulde,und der doch der werlde huldebehalten kan mit werdekeit.daz ist ein ntziu arbeit.

    In seinem Sptwerk Willehalm hat Wolfram von Eschenbach einen Stoff bear-beitet, der von den Kmpfen zwischen den christlichen und den von Spaniennach Frankreich eindringenden islamischen Ritterheeren erzhlt. Dieses Eposzeigt den Fortschritt im Verhltnis zwischen Christen und Andersglubigen:Sie werden in ihrer Menschlichkeit bejaht, als Geschpfe Gottes anerkannt.Eine Form von religiser Toleranz ist hier schon feststellbar. Die Gestaltendes Epos gehen auf historische Personen zurck: WILHELM VON ORANGEund seine zum Christentum bekehrte Gemahlin GYBURC werden schon in alt-franzsischen Liedern besungen.

    Eine andere Ausprgung der hfischen Kultur findet sich in GOTTFRIEDVON STRASSBURGS Epos Tristan und Isolde, das thematisch den bergang zurMinnelyrik bildet. Hier erhlt ein literarischer Stoff, von dem sich schon vorGottfried und wiederum nach ihm Bearbeitungen finden, seine sthetischeVollendung. Die Liebesbindung zwischen Mann und Frau wird so dargestellt,da sie der Verinnerlichung und seelischen Kultivierung dienen sollte. Indemdiese Liebe aber in den gemeinsamen Tod fhrt, rckt dieses sthetische Bil-dungsprogramm an die Grenze des Tragischen. Die mittelhochdeutsche Spra-che hat in diesem Epos einen hohen Grad an Sensibilitt gewonnen.

    Von besonderem Reiz ist fr uns heute die Minnelyrik, deren Entstehungnicht ohne die provenzalische Troubadourlyrik zu denken wre. Es handeltsich bei der Minne um die Verehrung einer verheirateten und standesmighherstehenden Frau. Die Minnelyrik ist also keine persnliche Liebesdich-tung, sie drckt die mit dem ritterlichen Stand verbundene allgemeine Ach-tung und Ehrerbietung vor der Frau aus und bekundet gesellschaftliche Di-stanz, worin die Form des Spiels mglich ist. Wie weit dabei innerhalb der ob-jektiven Form die persnliche Note des Dichters durchbricht, lt sich letzt-lich nicht erweisen. Die wichtigsten deutschen Minnedichter sind: REINMARVON HAGENAU, HEINRICH VON MORUNGEN und FRIEDRICH VON HAUSEN.

    Als Vollendung und zugleich berwindung der an den hfischen Stand ge-bundenen Minnedichtung kann man die Lyrik WALTHERS VON DER VOGEL-

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  • WEIDE ansehen. Er bleibt nicht bei der Minnedichtung stehen, sondern greiftdie Tradition der geistlichen Lyrik in neuer, fruchtbarer Weise auf und sttzur Gattung der Spruchdichtung vor, die er sowohl in politischer wie in sozia-ler Hinsicht mit zeitnahen Themen erweitert. Man findet bei ihm auch diezum Kreuzzug aufrufenden Kreuzlieder. In seinem Preislied zeigt sich einmittelalterliches deutsches Kulturbewutsein:

    Ich han lande vil gesehenunde nam der besten gerne war:bel meze mir geschehen,kunde ich ie mn herze bringen dardaz im wol gevallen wolde fremeder site.nu waz hulfe mich, ob ich unrehte strite?tiuschi u zuht gt vor in allen.

    Von der Elbe unz an den Rnund her wider unz an Ungerlantmugen wol die besten sn,die ich in der werlte han erkant.kan ich rehte schouwenguot gelz unt lpsem mir got, s swere ich wol daz hie diu wpbezzer sint danne ander frouwen.

    Tiusche man sint wohl gezogen,rehte als engel sint diu wp getan.swer si schildet, derst betrogen:ich enkan sn anders niht verstn.tugent und reine minne,swer die suochen wil,der sol komen in unser lant: da ist wnne vil:lange meze ich leben dar inne!

    Die mittelhochdeutsche Dichtung hatte einen anderen Stellenwert im kultu-rellen Leben als die moderne. Sie war nicht Lektre eines einzelnen, sondernVortrag vor einer hfischen Zuhrerschaft. Deshalb konnte auch nur das inihr zur Sprache kommen, was innerhalb dieser Gesellschaft erwartet wurde.Der kulturelle Hintergrund der Dichtung war also eine berindividuelleLebensordnung und keine Anonymitt. Sie diente zur Unterhaltung, zur Ge-staltung von Festlichkeiten, dem geselligen wie kirchlichen Leben berhaupt.Soziologisch gesehen gab es auch zu dieser Zeit neben dem ritterlichen Trou-badour den berufsmigen Spielmann sowie den literarisch ttigen Kleriker.Da es die Eigenart der mittelhochdeutschen Dichtung ist, alles, auch fern

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  • 41

    zurckliegende Ereignisse, im Gewand der eigenen Zeit darzustellen, findetman gerade hier besonders anschauliche Zeugnisse fr die damaligen Lebens-und Umgangsformen.

    4. Die romanische Kunst

    Es gibt in Deutschland Baudenkmler, die noch von den Rmern stammen, sozum Beispiel die Porta Nigra, die Konstantins-Basilika und die Thermen inTrier. Neben Trier, das lange Zeit Sitz des rmischen Kaisers fr die westlicheReichshlfte war, sind auch an vielen anderen Orten, wie beispielsweise inRegensburg, Xanten und Kln rmische Spuren erhalten. ber einem Diony-sos-Mosaik wurde in Kln in den siebziger Jahren das Rmisch-GermanischeMuseum errichtet, das Zeugnisse aus der Rmerzeit ausstellt.

    Der Beginn der deutschen Kunst liegt in der Zeit Karls des Groen, derhierzu die geschichtlichen Voraussetzungen geschaffen hat. Das wichtigsteBaudenkmal dieser frhen Epoche ist seine Aachener Pfalzkapelle, ein Okto-gon, das jetzt die Mitte des Aachener Domes bildet. Die Anlehnung an daschristliche Altertum, aber auch das schon beginnende Neue lassen sich durcheinen Vergleich mit der 250 Jahre frher entstandenen Kirche St. Vitale inRavenna feststellen, die fr Aachen das Vorbild abgab. Die Michaelskirche inFulda aus dem Jahre 820 zeigt noch heute den karolingischen Baustil in seinerursprnglichen Form.

    Voraussetzung fr die abendlndische Stilentwicklung, wie sie sich ins-besondere im Kirchenbau kundtut, ist die frhchristliche Basilika. Nach die-sem Bauschema wurden die ersten Kirchen in Deutschland gebaut. Sie bestehtaus einem hochgezogenen Mittelschiff und zwei, manchmal auch vier, durchSulenreihen abgesonderten Seitenschiffen fr das Volk und ist nach vorndurch eine Apsis abgeschlossen, wo der Altar steht und die kultische Hand-lung vollzogen wird. Eine Kirche erfat man erst in ihrer vollen Wirklichkeit,wenn ein Gottesdienst stattfindet. Alles Knstlerische fgt sich dann zueinem Sinnganzen zusammen. Schon seit frhchristlicher Zeit vereinigte derchristliche Gottesdienst alle Kunstgattungen: Architektur, Wort, Bild, Musik.Das Hchste, was Menschen hervorbringen knnen, sollte nach mittelalter-licher Auffassung in den Dienst Gottes gestellt werden und damit seine Erfl-lung finden. So sind die Dome und Kirchen primr zur Verherrlichung Gottesgebaut worden und damit zugleich Ausdruck der Wrde des Menschen. Diegroe Kunst in der Vergangenheit hat also einen festen Ort und eine dienen-de Funktion fr das Sakrale.

    Die Entwicklung des romanischen Stils lt sich an den Kirchen der schsi-schen Kaiserstdte Goslar, Quedlinburg und Hildesheim ablesen. Die Bau-form der Basilika wird beibehalten, doch an die Stelle der magischen Unbe-stimmtheit des byzantinischen und frhchristlichen Raumgefhls tritt ein

  • neuer Wille zur krftigen, klar gegliederten Raumkomposition. Der offeneDachstuhl bzw. die hlzerne Flachdecke der frhchristlichen Basilika wirdbei den romanischen Kirchenbauten zunehmend durch ein schweres Steinge-wlbe ersetzt. Statt runder Sulen werden mchtige, tragfhige Pfeiler not-wendig. Dem rundbogigen Gewlbe entsprechen die verhltnismig kleinenrundbogigen Fenster, die im allgemeinen als Kennzeichen des romanischenStils bezeichnet werden.

    Eine besondere Eigenart vieler romanischer Kirchen ist die Krypta unterdem Chorraum, die zum Begrbnis bischflicher wie frstlicher Personendiente. In der Krypta empfindet man vielleicht am strksten die lastendeWucht der Mauern. Den romanischen Kirchenraum erhellten groe vergolde-te Lichtkronen in Form von Radleuchtern. Die Trme, die bei der frhchrist-lichen Basilika oft freistehend gebaut wurden, sind in der Romanik meistorganisch in den Kirchenbau einbezogen und geben ihm nach auen einenburgenhaften Charakter. Sie haben der Bevlkerung in Kriegsfllen als Zu-flucht gedient; ihr wesentlicher Sinn bestand aber darin, als Glockenturm denMenschen der Umgebung die Tageszeit und die Stunde des Gottesdienstesanzukndigen. Ein treffendes Beispiel fr einen solchen Turmbau ist der St.Patroklus-Dom in Soest.

    Durch tatkrftige Bischfe, Klostergrndungen und nicht zuletzt durchdie deutschen Kaiser wurde der romanische Kirchenbau sehr gefrdert. Sogibt es in Deutschland noch heute eine Reihe von schnen romanischen Klo-sterkirchen wie Maria Laach, Bischofskirchen wie Paderborn, Mnster, Osna-brck, Minden und die Kaiserdome Worms, Speyer, Mainz und Bamberg.Aber auch auf dem Land gibt es noch viele alte romanische Dorfkirchen, dievom Umbau spterer Stilepochen verschont geblieben sind.

    Mit dem Kirchenbau entstand in Deutschland die plastische Darstellung.Zu einer rankenhaften Ornamentik, die etwas typisch Germanisches ist,kamen bald Reliefs figrlicher Art hinzu, die biblische Szenen zum Themahaben, wie man sie beispielsweise an den Bronzetren von Hildesheim findet.In der Romanik entstand in Deutschland auch die Groplastik. Erhalten sindvor allem einige berlebensgroe Kreuzesdarstellungen, so das berhmteKlner Gerokreuz. Besonders ausdrucksstark ist das Relief der Kreuzabnah-me an den Externsteinen bei Detmold. Die ersten Madonnen mit Kind, wiedie Imad-Madonna in Paderborn und die Essener Goldmadonna, fandenebenso groe Beachtung. Der bronzene Lwe auf dem Domplatz von Braun-schweig, das erste profane Monumentaldenkmal, ist dem Gedchtnis Hein-richs des Lwen gewidmet.

    Schon in den bergangsstil von der Romanik zur Gotik gehren die be-rhmten Figuren der Dome von Bamberg und Naumburg. Der BambergerReiter verkrpert ein religis aufgefates Rittertum, die Naumburger Stifter-figuren, vor allem UTA und EKKEHARD, sind frstliche Gestalten mit ausge-sprochen norddeutschem Geprge.

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  • Neben dieser Kunst groen Ausmaes gibt es im Mittelalter seit der Karo-lingischen Zeit die nicht weniger wertvolle Kleinkunst. Sie findet sich als Re-lief auf Elfenbeinbuchdeckeln und als Miniaturmalerei in Evangeliarien undBibelhandschriften. Hauptschlich kommen hier Szenen des Alten und Neu-en Testamentes oder einzelne Propheten- und Evangelistengestalten zur Dar-stellung. Arbeitet die Buchmalerei mit den ausdrucksvollsten Farben, sobedient sich die Reliefkunst der Buchdeckel eines anderen farbigen Mittels:Sie setzt bunte Edelsteine ein. Am bekanntesten sind der Codex Egberti, derCodex Aureus und das Evangeliar Heinrichs II. Die Buchmalerei steht nochin der Tradition des byzantinischen Stils mit seiner betonten Gestik und sym-bolischen Aussage. Auerdem gibt es viele kunstvoll angefertigte liturgischeGerte wie Reliquiare, Kelche, Leuchter. Von den kostbaren Gewndern die-ser Zeit sei nur der Sternenmantel Heinrichs II. im Bamberger Dommuseumerwhnt. Unter den vielen Heiligenschreinen ist der Schrein der Heiligen DreiKnige der figurenreichste und der am kostbarsten ausgestattete. Heute istder Schrein, dessen Gesamtentwurf auf den Goldschmiedemeister NICOLAUSVON VERDUN zurckgeht, im Chorraum des Klner Doms zu sehen.

    Die romanische Kunst, die in Deutschland viel spter als in Frankreich vonder gotischen abgelst wurde, weist mit ihren vielen erhaltenen Bauwerkenauf eine Zeit zurck, in der sich Kirche und Reich unter einer einheitlichenkulturellen Idee zusammenfanden.

  • III.

    Das Sptmittelalter

  • 1. Stadt und Brgertum

    Die sptmittelalterlichen Kaiser

    Whrend die Ausbildung der frh- und hochmittelalterlichen deutschen Kul-tur vom Einflu der politischen Geschichte bestimmt war, gilt dies fr die fol-gende Epoche nur in abgeschwchterem Mae. Das Kulturelle geht fortaneiner wachsenden Eigengesetzlichkeit entgegen. Dennoch darf man die Be-deutung der politischen Ereignisse fr das Kulturbewutsein der Zeit nichtunterbewerten. Nach den Wirren des Interregnum, der kaiserlosen Zeit, dieauf den Niedergang der Hohenstaufen folgte, begann mit der Wahl RUDOLFSVON HABSBURG im Jahre 1273 eine neue geschichtliche Epoche. Sie ist nichtmehr so bergreifend von der abendlndischen Kaiseridee geprgt, auch spieltdie Italienpolitik nur noch eine geringe Rolle. In den Vordergrund tritt dieSorge des jeweiligen Herrschers, durch eine mglichst groe Hausmacht seinKaisertum zu sttzen. Der groe Gegenspieler Rudolfs von Habsburg warOTTOKAR VON BHMEN, der sich auch fr die deutsche Besiedlung seinesLandes und die Frderung der deutschen Sprache eingesetzt hatte. Mit dessenbedeutenden Gebietserwerbungen sterreich, Steiermark und Krain begrn-dete Rudolf die habsburgische Hausmacht, nachdem er Ottokar im Jahre1278 besiegt hatte.

    Nach der Regierungszeit Rudolfs von Habsburg wechselten im Sptmittel-alter auf Grund des nunmehr streng eingehaltenen Wahlknigtums die Herr-scherhuser der Habsburger, der Luxemburger und der Wittelsbacher unter-einander ab. HEINRICH VII. VON LUXEMBURG versuchte wiederum, die alteReichsidee in Italien zu verwirklichen, wurde aber durch seinen frhen Toddaran gehindert. Diesem kraftvollen und selbstbewuten Kaiser hat Danteseine Schrift ber die Monarchie gewidmet.

    Obwohl die Ppste durch die Abhngigkeit von der franzsischen Kronein der sogenannten Gefangenschaft zu Avignon (1309-1377) festgehaltenwurden, griffen sie dennoch in die deutschen Thronstreitigkeiten ein. Diesfhrte aber vor allem unter LUDWIG DEM BAYERN zu einem neuen Verstndnisvon Kaisertum und Reich: Der von den Kurfrsten gewhlte Knig bt schonals solcher die kaiserlichen Rechte aus, und dem Papst steht nur die Zeremo-nie der Krnung zu. Programmatisch wirkte fr diese geistige Auseinander-setzung die Schrift Defensor Paris des MARSILIUS VON PADUA, der das Volk alsdie allein gesetzgebende Macht ansah. Er tat dies im Rckgriff auf das altermische Staatsrecht.

    KARL IV. VON LUXEMBURG, unter dem die Stadt Prag ihren kulturellen undgeistigen Aufschwung nahm, hat in der Goldenen Bulle von 1356 die Rechteder Kurfrsten auf die Knigswahl besttigt. Es festigte sich nun das Bewut-sein, da die Wrde des Kaisers direkt und ohne Vermittlung von Gott stam-

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  • me. Der Reichsgedanke wurde in dieser Zeit in die Worte Heiliges Rmi-sches Reich Deutscher Nation gefat.

    KAISER SIGISMUND verstand sich wiederum strker aus dem mittelalterli-chen Kaisertum heraus. Er sah seinen Auftrag darin, das Gegeneinander ver-schiedener Ppste, die gleichzeitig ihre Rechtmigkeit behaupteten, zu besei-tigen und die Voraussetzung fr eine allgemeine Reform der Kirche zu schaf-fen. So kam durch seine Initiative das Konzil von Konstanz (1414-1418) zu-stande. Dieses Konzil war ein erster gro angelegter europischer Kongrevon geistlichen und weltlichen Wrdentrgern.

    Das ppstliche Schisma (Kirchenspaltung) konnte zwar beseitigt werden,aber die Verurteilung und Hinrichtung des reformfreudigen JOHANN HUS ausBhmen, dem der Kaiser freies Geleit zugesichert hatte, lsten die verhng-nisvollen Hussitenkriege aus. Es ging um religise Forderungen: die Form derMefeier, die Freiheit der Predigt, Rckbesinnung auf die Bibel, Armut derGeistlichen und um politisch-nationale Unabhngigkeit des tschechischenVolkes. Nach jahrelangen Kmpfen, bei denen die Hussiten militrisch initia-tiv waren, wurde schlielich Sigismund als Knig von Bhmen anerkannt.

    Am Ende des Mittelalters festigte sich die Herrschaft der Habsburger, diebis 1806 das deutsche Kaisertum innehatten.

    Stdtegrndungen

    Das politische und kulturelle Leben