Deutscher Bundestag - CDU/CSU 0507.pdfPlenarprotokoll 16/108 (Zu diesem Protokoll folgt ein...

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Plenarprotokoll 16/108 (Zu diesem Protokoll folgt ein Nachtrag) Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 108. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Helga Kühn-Mengel und Dr. Rainer Stinner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absetzung der Tagesordnungspunkte 13, 17 a, 22 und 35 a . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begrüßung des Parlamentspräsidenten der Republik Namibia, Herrn Dr. Gurirab . . . . . Tagesordnungspunkt 3: Abgabe einer Erklärung durch die Bundesre- gierung: Aufschwung für Deutschland – Gute Zeiten entschlossen nutzen in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, Gudrun Kopp, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: „Goldener Schnitt 2012“ verwirklichen (Drucksache 16/5901) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Glos, Bundesminister BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Brüderle (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ludwig Stiegler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . Dr. Rainer Wend (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Reinhard Göhner (CDU/CSU) . . . . . . . . . Andrea Wicklein (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU) . . . . . . Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 4: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Be- kämpfung des Dopings im Sport (Drucksachen 16/5526, 16/5937) . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Sportausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Detlef Parr, Joachim Günther (Plauen), Miriam Gruß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Bekämp- fung des Dopings im Sport voran- treiben und Optimierungsmöglich- keiten ausschöpfen zu dem Antrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Bekämpfung des Dopings im Sport (Drucksachen 16/4738, 16/4166, 16/5937) Klaus Riegert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Detlef Parr (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Danckert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . 11049 A 11049 B 11051 A 11063 D 11051 B 11051 C 11054 B 11056 D 11058 D 11061 D 11064 A 11066 B 11068 A 11070 B 11071 D 11072 B 11073 D 11073 D 11074 A 11075 B 11076 D 11078 C 11080 B 11082 A

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Plenarprotokoll 16/108(Zu diesem Protokoll folgt ein Nachtrag)

Deutscher BundestagStenografischer Bericht

108. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007

I n h a l t :

Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord-neten Helga Kühn-Mengel und Dr. RainerStinner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Erweiterung und Abwicklung der Tagesord-nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Absetzung der Tagesordnungspunkte 13, 17 a,22 und 35 a . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Begrüßung des Parlamentspräsidenten derRepublik Namibia, Herrn Dr. Gurirab . . . . .

Tagesordnungspunkt 3:

Abgabe einer Erklärung durch die Bundesre-gierung: Aufschwung für Deutschland – GuteZeiten entschlossen nutzen

in Verbindung mit

Zusatztagesordnungspunkt 6:

Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle,Paul K. Friedhoff, Gudrun Kopp, weitererAbgeordneter und der Fraktion der FDP:„Goldener Schnitt 2012“ verwirklichen(Drucksache 16/5901) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Michael Glos, Bundesminister BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Rainer Brüderle (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Ludwig Stiegler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . .

Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU) . . . . . . . . . .

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . .

Dr. Rainer Wend (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Dr. Reinhard Göhner (CDU/CSU) . . . . . . . . .

Andrea Wicklein (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU) . . . . . .

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 4:

a) Zweite und dritte Beratung des von derBundesregierung eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zur Verbesserung der Be-kämpfung des Dopings im Sport(Drucksachen 16/5526, 16/5937) . . . . . . .

b) Beschlussempfehlung und Bericht desSportausschusses

– zu dem Antrag der AbgeordnetenDetlef Parr, Joachim Günther (Plauen),Miriam Gruß, weiterer Abgeordneterund der Fraktion der FDP: Bekämp-fung des Dopings im Sport voran-treiben und Optimierungsmöglich-keiten ausschöpfen

– zu dem Antrag der Fraktion desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN:Bekämpfung des Dopings im Sport

(Drucksachen 16/4738, 16/4166, 16/5937)

Klaus Riegert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .

Detlef Parr (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Peter Danckert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . .

Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . .

Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . .

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II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007

Joachim Günther (Plauen) (FDP) . . . . . . . . . .

Fritz Rudolf Körper (SPD) . . . . . . . . . . . . . . .

Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dagmar Freitag (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . .

Dagmar Freitag (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 35:

b) Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich(Bayreuth), Jan Mücke, Patrick Döring,weiterer Abgeordneter und der Fraktionder FDP: Mehr Park- und Stellplätze fürLkw auf Bundesautobahnen(Drucksache 16/5278) . . . . . . . . . . . . . . . .

c) Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich(Bayreuth), Jan Mücke, Patrick Döring,weiterer Abgeordneter und der Fraktionder FDP: Neues Verkehrssicherheits-konzept für Bundesautobahn 12 zusam-men mit dem Land Brandenburg um-setzen(Drucksache 16/5611) . . . . . . . . . . . . . . . .

d) Antrag des Abgeordneten Patrick Döring,Hans-Michael Goldmann, Michael Kauch,weiterer Abgeordneter und der Fraktionder FDP: Toxische Rückstände in Trans-port-Containern – Herausforderung fürArbeits- und Verbrauchersicherheit(Drucksache 16/5612) . . . . . . . . . . . . . . . .

e) Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Rainder Steenblock, Nicole Maisch,weiterer Abgeordneter und der Fraktiondes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN:Antifoulingabkommen unverzüglich ra-tifizieren(Drucksache 16/5777) . . . . . . . . . . . . . . . .

f) Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel,Wolfgang Gehrcke, Monika Knoche, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion derLINKEN: Deutsche Kolumbien-Politikauf die Stärkung ziviler Friedensinitia-tiven und der sozialen, demokratischenund Menschenrechte ausrichten(Drucksache 16/5678) . . . . . . . . . . . . . . . .

Zusatztagesordnungspunkt 7:

a) Antrag der Abgeordneten Laurenz Meyer(Hamm), Dr. Heinz Riesenhuber, VeronikaBellmann, weiterer Abgeordneter und derFraktion der CDU/CSU sowie der Abge-ordneten Dr. Rainer Wend, Martin

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Dörmann, Dr. Ditmar Staffelt, weitererAbgeordneter und der Fraktion der SPD:Die Zukunft der deutschen Luftfahrt-industrie sichern(Drucksache 16/5908) . . . . . . . . . . . . . . .

b) Antrag der Abgeordneten Hartwig Fischer(Göttingen), Eckart von Klaeden, AnkeEymer (Lübeck), weiterer Abgeordneterund der Fraktion der CDU/CSU sowie derAbgeordneten Brunhilde Irber, GertWeisskirchen (Wiesloch), Niels Annen,weiterer Abgeordneter und der Fraktionder SPD: Demokratische EntwicklungSimbabwes unterstützen – Arbeit derinternationalen Nichtregierungsorgani-sationen ermöglichen(Drucksache 16/5907) . . . . . . . . . . . . . . .

c) Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm,Katrin Kunert, Dr. Gesine Lötzsch, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion derLINKEN: Humboldt-Forum statt Fassa-denschloss – Schlossplatz mit Zukunfts-orientierung(Drucksache 16/5922) . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 36:

a) Beratung der Fünften Beschlussempfeh-lung und des Berichts des Wahlprüfungs-ausschusses: zu 27 gegen die Gültigkeitder Wahl zum 16. Deutschen Bundestageingegangenen Wahleinsprüchen(Drucksache 16/5700) . . . . . . . . . . . . . . .

Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU) . . . .

b) Zweite und dritte Beratung des vom Bun-desrat eingebrachten Entwurfs eines Ge-setzes zur Änderung des Waffengesetzes(Drucksachen 16/1991, 16/5924) . . . . . . .

c) Zweite Beratung und Schlussabstimmungdes von der Bundesregierung eingebrach-ten Entwurfs eines Gesetzes zu demInternationalen Übereinkommen derVereinten Nationen vom 13. April 2005zur Bekämpfung nuklearterroristischerHandlungen(Drucksachen 16/5336, 16/5935) . . . . . . .

d) Zweite und dritte Beratung des von derBundesregierung eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zur Umsetzung des VN-Übereinkommens vom 13. April 2005zur Bekämpfung nuklearterroristischerHandlungen(Drucksachen 16/5334, 16/5936) . . . . . . .

e) Zweite und dritte Beratung des von derBundesregierung eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zu dem EuropäischenÜbereinkommen vom 26. Mai 2000über die internationale Beförderung

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 III

von gefährlichen Gütern auf Binnen-wasserstraßen (ADN)(Drucksachen 16/5389, 16/5789) . . . . . . .

f) Zweite und dritte Beratung des von derBundesregierung eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zu dem Protokoll vom22. April 2005 zur Änderung des Über-einkommens vom 11. Oktober 1973 zurErrichtung des Europäischen Zentrumsfür mittelfristige Wettervorhersage(Drucksachen 16/5577, 16/5773) . . . . . . .

g) Beschlussempfehlung und Bericht desAusschusses für Wirtschaft und Technolo-gie zu der Verordnung der Bundesregie-rung: Neunundsiebzigste Verordnungzur Änderung der Außenwirtschafts-verordnung(Drucksachen 16/5328, 16/5487 Nr. 2.1,16/5709) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

h) Beschlussempfehlung und Bericht desAusschusses für Ernährung, Landwirt-schaft und Verbraucherschutz zu dem An-trag der Abgeordneten Cornelia Behm,Birgitt Bender, Ulrike Höfken, weitererAbgeordneter und der Fraktion desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Land-wirtschaftliche Krankenversicherung ab2009 weiter an Bundesmitteln zur land-wirtschaftlichen Krankenversicherungbeteiligen(Drucksachen 16/5427, 16/5892) . . . . . . .

i) Beschlussempfehlung des Rechtsaus-schusses: Übersicht 7 – über die demDeutschen Bundestag zugeleitetenStreitsachen vor dem Bundesverfas-sungsgericht(Drucksache 16/5756) . . . . . . . . . . . . . . . .

j) – r)

Beschlussempfehlungen des Petitionsaus-schusses: Sammelübersichten 242, 243,244, 245, 246, 247, 248, 249 und 250 zuPetitionen(Drucksachen 16/5741, 16/5742, 16/5743,16/5744, 16/5745, 16/5746, 16/5747,16/5748, 16/5749) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Zusatztagesordnungspunkt 8:

a) – k)

Beschlussempfehlungen des Petitionsaus-schusses: Sammelübersichten 251, 252,253, 254, 255, 256, 257, 258, 259, 260und 261 zu Petitionen(Drucksachen 16/5911, 16/5912, 16/5913,16/5914, 16/5915, 16/5916, 16/5917,16/5918, 16/5919, 16/5920, 16/5921) . . . .

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Tagesordnungspunkt 17:

b) Zweite und dritte Beratung des von denAbgeordneten Wolfgang Bosbach, Dr.Hans-Peter Uhl, Kristina Köhler (Wiesba-den), weiteren Abgeordneten und derFraktion der CDU/CSU sowie den Abge-ordneten Fritz Rudolf Körper, MaikReichel, Klaus Uwe Benneter, weiterenAbgeordneten und der Fraktion der SPDeingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Änderung des Mikrozensusgesetzes2005 und des Bevölkerungsstatistikge-setzes(Drucksachen 16/5239, 16/5923) . . . . . . .

Zusatztagesordnungspunkt 9:

Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN unddes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Wahlder vom Deutschen Bundestag zu benen-nenden Mitglieder des WissenschaftlichenBeratungsgremiums gemäß § 39 a des Stasi-Unterlagen-Gesetzes(Drucksache 16/5883) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Zusatztagesordnungspunkt 4:

Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionder FDP: Ergebnisse des Dritten Energie-gipfels der Bundesregierung

Gudrun Kopp (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . .

Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . .

Rolf Hempelmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . .

Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dirk Becker (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Franz Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .

Dr. Axel Berg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) . . . . . . . . .

Sigmar Gabriel, Bundesminister BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Philipp Mißfelder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .

Marco Bülow (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 5:

Antrag der Abgeordneten Jürgen Koppelin,Ulrike Flach, Otto Fricke, weiterer Abgeord-

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IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007

neter und der Fraktion der FDP: MangelnderEhrgeiz bei der Konsolidierung des Bun-deshaushalts(Drucksache 16/4606) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Steffen Kampeter (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .

Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . .

Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) . . . . . . . . . .

Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . .

Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Steffen Kampeter (CDU/CSU) . . . . . . . . .

Georg Fahrenschon (CDU/CSU) . . . . . . . . . .

Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD) . . .

Tagesordnungspunkt 6:

a) Unterrichtung durch die Bundesregierung:Bericht zur technologischen Leistungs-fähigkeit Deutschlands 2007 – und –Stellungnahme der Bundesregierung(Drucksache 16/5823) . . . . . . . . . . . . . . . .

b) Antrag der Abgeordneten Johann-HenrichKrummacher, Ilse Aigner, Dorothee Bär,weiterer Abgeordneter und der Fraktionder CDU/CSU sowie der AbgeordnetenJörg Tauss, René Röspel, Dr. Ernst DieterRossmann, weiterer Abgeordneter und derFraktion der SPD: IKT 2020: GezielteForschungsförderung für zukunfts-trächtige Innovationen und Wachs-tumsfelder im Bereich der Informa-tions- und Kommunikationstechnologien(IKT)(Drucksache 16/5900) . . . . . . . . . . . . . . . .

c) Antrag der Abgeordneten Priska Hinz(Herborn), Grietje Bettin, Ekin Deligöz,weiterer Abgeordneter und der Fraktiondes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN:Innovationsfähigkeit stärken durch Bil-dungs- und Forschungsoffensive(Drucksache 16/5899) . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Annette Schavan, Bundesministerin BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Cornelia Pieper (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . .

Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Ilse Aigner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Ulrike Flach (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . .

Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU) . . . . . . .

Ulrike Flach (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Jörg Tauss (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Ulrike Flach (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 7:

a) Zweite und dritte Beratung des von derBundesregierung eingebrachten Entwurfseines Zweiten Gesetzes zur Regelungdes Urheberrechts in der Informations-gesellschaft(Drucksachen 16/1828, 16/5939) . . . . . . .

b) Beschlussempfehlung und Bericht desRechtsausschusses zu dem Antrag der Ab-geordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Hans-Joachim Otto(Frankfurt), Christian Ahrendt, weitererAbgeordneter und der Fraktion der FDP:Die Modernisierung des Urheberrechtsmuss fortgesetzt werden(Drucksachen 16/262, 16/5939) . . . . . . . .

Brigitte Zypries, Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) .

Dr. Günter Krings (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .

Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . .

Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP) . . .

Jörg Tauss (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dirk Manzewski (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Norbert Geis (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 8:

Große Anfrage der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. DagmarEnkelmann, weiterer Abgeordneter und derFraktion der LINKEN: Nachhaltiger Schutzder Meeresumwelt(Drucksachen 16/3069, 16/4782) . . . . . . . . . .

Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . .

Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU) . . . . .

Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . .

Angelika Brunkhorst (FDP) . . . . . . . . . . . . . .

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 V

Holger Ortel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Heinz Schmitt (Landau) (SPD) . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 9:

Zweite und dritte Beratung des von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur Reform des Versicherungs-vertragsrechts(Drucksachen 16/3945, 16/5862) . . . . . . . . . .

Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Mechthild Dyckmans (FDP) . . . . . . . . . . . . .

Marco Wanderwitz (CDU/CSU) . . . . . . . . . .

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . .

Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dirk Manzewski (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Julia Klöckner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . .

Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 10:

a) Beschlussempfehlung und Bericht desAusschusses für Ernährung, Landwirt-schaft und Verbraucherschutz zu dem An-trag der Abgeordneten Ulrike Höfken,Bärbel Höhn, Cornelia Behm, weitererAbgeordneter und der Fraktion desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN:Schutz von Mensch und Umwelt beiFreisetzungsexperimenten gewährleis-ten(Drucksachen 16/4556, 16/5755) . . . . . . .

b) Beschlussempfehlung und Bericht desAusschusses für Ernährung, Landwirt-schaft und Verbraucherschutz zu dem An-trag der Abgeordneten Ulrike Höfken,Bärbel Höhn, Cornelia Behm, UndineKurth (Quedlinburg) und der Fraktion desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: KeineFreisetzung von gentechnisch veränder-ten Pflanzen auf dem Gelände des Insti-tuts für Pflanzengenetik und Kultur-pflanzenforschung in Gatersleben(Drucksachen 16/4904, 16/5893) . . . . . . .

Dr. Max Lehmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .

Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . .

Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . .

Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . .

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11164 D

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11179 D

Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 11:

– Zweite und dritte Beratung des von derBundesregierung eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zur Neuregelung desRechts der Verbraucherinformation(Drucksachen 16/5723, 16/5928) . . . . . . .

– Zweite und dritte Beratung des von denFraktionen der CDU/CSU und der SPDeingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Neuregelung des Rechts der Ver-braucherinformation(Drucksachen 16/5404, 16/5928) . . . . . . .

Ursula Heinen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .

Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . .

Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . .

Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . .

Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) . . . . . .

Tagesordnungspunkt 25:

Antrag der Abgeordneten Peter Rzepka, IngoSchmitt (Berlin), Monika Grütters und weite-rer Abgeordneter: Flugverkehrskonzept fürden Großraum Berlin überprüfen – Flug-hafen Berlin-Tempelhof offen halten(Drucksache 16/4813) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

in Verbindung mit

Zusatztagesordnungspunkt 10:

Antrag der Abgeordneten Winfried Hermann,Wolfgang Wieland, Hans-Christian Ströbele,weiterer Abgeordneter und der Fraktion desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Einstel-lung des Flugbetriebs in Tempelhof – Sinn-volle Nachnutzung des Flughafenareals(Drucksache 16/5897) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Peter Rzepka (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . .

Hellmut Königshaus (FDP) . . . . . . . . . . . . . .

Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Peter Rzepka (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .

Dr. Karl Lamers (Heidelberg) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Petra Merkel (Berlin) (SPD) . . . . . . . . . . . . .

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Page 6: Deutscher Bundestag - CDU/CSU 0507.pdfPlenarprotokoll 16/108 (Zu diesem Protokoll folgt ein Nachtrag) Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 108. Sitzung Berlin, Donnerstag, den

VI Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007

Roland Claus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . .

Hellmut Königshaus (FDP) . . . . . . . . . . . .

Peter Rzepka (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .

Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Ingo Schmitt (Berlin) (CDU/CSU) . . . . . . . . .

Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 15:

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-schusses für Bildung, Forschung und Tech-nikfolgenabschätzung

– zu dem Antrag der Abgeordneten Johann-Henrich Krummacher, Ilse Aigner,Michael Kretschmer, weiterer Abgeordne-ter und der Fraktion der CDU/CSU sowieder Abgeordneten Swen Schulz (Span-dau), Jörg Tauss, René Röspel, weitererAbgeordneter und der Fraktion der SPD:Geistes- und Sozialwissenschaften stär-ken

– zu dem Antrag der Abgeordneten CorneliaPieper, Uwe Barth, Patrick Meinhardt,weiterer Abgeordneter und der Fraktionder FDP: Geistes-, Sozial- und Kultur-wissenschaften stärken

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr.Petra Sitte, Cornelia Hirsch, VolkerSchneider (Saarbrücken), weiterer Abge-ordneter und der Fraktion der LINKEN:Perspektiven für die Geistes- undSozialwissenschaften verbessern

– zu dem Antrag der Abgeordneten KristaSager, Kai Gehring, Priska Hinz (Her-born), weiterer Abgeordneter und derFraktion des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN: Die Geistes- und Sozialwis-senschaften in Forschung und Lehrefördern

(Drucksachen 16/4161, 16/4153, 16/4154,16/4406, 16/5931) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 14:

Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen,Petra Pau, Ulla Jelpke, Jan Korte und derFraktion der LINKEN: Für die zügige Vor-lage eines qualifizierten Berichts über dieLage der Ausländerinnen und Ausländerin Deutschland(Drucksache 16/5788) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . .

11197 C

11197 D

11198 B

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Tagesordnungspunkt 19:

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwick-lung

– zu dem Antrag der Abgeordneten RenateBlank, Dirk Fischer (Hamburg), Dr. KlausW. Lippold, weiterer Abgeordneter undder Fraktion der CDU/CSU sowie der Ab-geordneten Annette Faße, Hans-JoachimHacker, Sören Bartol, weiterer Abgeord-neter und der Fraktion der SPD: Attrakti-vität des Wassertourismus und desWassersports stärken

– zu dem Antrag der Abgeordneten PatrickDöring, Hans-Michael Goldmann, DetlefParr, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der FDP: Sport- und Freizeitschiff-fahrt in Deutschland erleichtern

(Drucksachen 16/5416, 16/4061, 16/5770) . .

in Verbindung mit

Zusatztagesordnungspunkt 11:

Antrag der Abgeordneten Detlef Parr,Joachim Günther (Plauen), Miriam Gruß,weiterer Abgeordneter und der Fraktion derFDP: Sportschifffahrt und Wassersportwirksam fördern und von überflüssigenBeschränkungen befreien(Drucksache 16/5609) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 16:

Antrag der Abgeordneten Krista Sager,Irmingard Schewe-Gerigk, Kai Gehring, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: MehrQualität und Exzellenz durch mehr Chan-cengerechtigkeit und Gender-Perspektivenin Wissenschaft und Forschung(Drucksache 16/5898) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 21:

Zweite und dritte Beratung des von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zu dem Abkommen vom25. Juni 2003 zwischen der EuropäischenUnion und den Vereinigten Staaten vonAmerika über Auslieferung, zu dem Ab-kommen vom 25. Juni 2003 zwischen derEuropäischen Union und den VereinigtenStaaten von Amerika über Rechtshilfe, zudem Vertrag vom 14. Oktober 2003 zwi-schen der Bundesrepublik Deutschlandund den Vereinigten Staaten von Amerikaüber die Rechtshilfe in Strafsachen, zu dem

11203 C

11203 D

11204 A

Page 7: Deutscher Bundestag - CDU/CSU 0507.pdfPlenarprotokoll 16/108 (Zu diesem Protokoll folgt ein Nachtrag) Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 108. Sitzung Berlin, Donnerstag, den

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 VII

Zweiten Zusatzvertrag vom 18. April 2006zum Auslieferungsvertrag zwischen derBundesrepublik Deutschland und den Ver-einigten Staaten von Amerika sowie zu demZusatzvertrag vom 18. April 2006 zumVertrag zwischen der BundesrepublikDeutschland und den Vereinigten Staatenvon Amerika über die Rechtshilfe in Straf-sachen(Drucksache 16/4377, 16/5825) . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 18:

Antrag der Abgeordneten Frank Schäffler,Martin Zeil, Dr. Karl Addicks, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion der FDP: Konse-quenzen aus dem Entschädigungsfall Phoe-nix Kapitaldienst GmbH(Drucksache 16/5786) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 23:

Beschlussempfehlung und Bericht des Haus-haltsausschusses

– zu dem Antrag des Bundesministeriumsder Finanzen: Entlastung der Bundesre-gierung für das Haushaltsjahr 2005 –Vorlage der Haushalts- und Vermögens-rechnung des Bundes (Jahresrechnung2005)

– zu der Unterrichtung durch den Bundes-rechnungshof: Bemerkungen des Bun-desrechnungshofes 2006 zur Haushalts-und Wirtschaftsführung des Bundes(einschließlich der Feststellungen zurJahresrechnung 2005)

(Drucksachen 16/1122, 16/3200, 16/5774) . . .

Tagesordnungspunkt 20:

a) Antrag der Abgeordneten Volker Schneider(Saarbrücken), Klaus Ernst, Dr. MartinaBunge, weiterer Abgeordneter und derFraktion der LINKEN: Keine Leistungs-kürzungen bei der gesetzlichen Unfall-versicherung(Drucksache 16/5616) . . . . . . . . . . . . . . . .

b) Antrag der Abgeordneten Markus Kurth,Kerstin Andreae, Birgitt Bender, weitererAbgeordneter und der Fraktion desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Diegesetzliche Unfallversicherung leis-tungsstark und zukunftssicher gestalten(Drucksache 16/5896) . . . . . . . . . . . . . . . .

11204 B

11205 A

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11205 C

11205 D

Tagesordnungspunkt 24:

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-schusses für Wirtschaft und Technologie zudem Antrag der Abgeordneten LaurenzMeyer (Hamm), Dr. Martina Krogmann,Hans-Joachim Fuchtel, weiterer Abgeordneterund der Fraktion der CDU/CSU sowie derAbgeordneten Dr. Uwe Küster, Dr. RainerWend, Dr. h. c. Susanne Kastner, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion der SPD: DenWettbewerb stärken, den Einsatz offenerDokumentenstandards und offener Doku-mentenaustauschformate fördern(Drucksachen 16/5602, 16/5927) . . . . . . . . . .

Zusatztagesordnungspunkt 12:

Antrag der Abgeordneten Marieluise Beck(Bremen), Volker Beck (Köln), AlexanderBonde, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENsowie der Abgeordneten Michael Link (Heil-bronn), Harald Leibrecht, Jens Ackermann,weiterer Abgeordneter und der Fraktion derFDP: Ermäßigung der Visumgebühr fürMenschen aus Belarus(Drucksache 16/5905) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

in Verbindung mit

Zusatztagesordnungspunkt 13:

Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und derSPD: Ermäßigung der Visumgebühr fürBürgerinnen und Bürger aus Belarus(Drucksache 16/5909) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 12:

Antrag der Abgeordneten Cornelia Pieper,Gudrun Kopp, Michael Kauch, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion der FDP:Deutschland, Energieland der Zukunft –Energieforschung und Wettbewerb stärken(Drucksache 16/5729) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Nächste Sitzung

Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . .

Anlage 2

Erklärung der Abgeordneten Dr. DagmarEnkelmann (DIE LINKE) zur Abstimmung:

11206 A

11206 B

11206 C

11206 C

11207 A

Page 8: Deutscher Bundestag - CDU/CSU 0507.pdfPlenarprotokoll 16/108 (Zu diesem Protokoll folgt ein Nachtrag) Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 108. Sitzung Berlin, Donnerstag, den

VIII Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007

Sammelübersicht 256 zu Petitionen (Zusatzta-gesordnungspunkt 8 f) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 3

Erklärung nach § 31 GO der AbgeordnetenGrietje Bettin, Ekin Deligöz, Kai Gehring,Katrin Göring-Eckardt, Claudia Roth (Augs-burg) und Britta Haßelmann (alle BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmungüber den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur

11207 B

Regelung des Urheberrechts in der Informa-tionsgesellschaft (Tagesordnungspunkt 7 a) .

Anlage 4

Erklärung des Abgeordneten Volker Beck(Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zurAbstimmung über die Beschlussempfehlungzu dem Antrag: Sport- und Freizeitschifffahrtin Deutschland erleichtern (Tagesordnungs-punkt 15) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11207 C

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Page 9: Deutscher Bundestag - CDU/CSU 0507.pdfPlenarprotokoll 16/108 (Zu diesem Protokoll folgt ein Nachtrag) Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 108. Sitzung Berlin, Donnerstag, den

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11049

(A) (C)

(B) (D)

108. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Sitzung ist eröffnet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alleherzlich und wünsche uns einen guten Morgen und guteBeratungen.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, gibt es ei-nige Mitteilungen. Es beginnt ganz fröhlich: Der Kol-lege Dr. Rainer Stinner feierte am 26. Juni seinen60. Geburtstag, und die Kollegin Helga Kühn-Mengelfeierte am 1. Juli ebenfalls ihren 60. Geburtstag. Im Na-men des ganzen Hauses gratuliere ich dazu herzlich undwünsche alles Gute.

(Beifall)

Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundeneTagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufge-führten Punkte zu erweitern:

ZP 1 Vereinbarte Debatte

zur vorgesehenen Änderung der vertraglichen Grund-lagen der EU

ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus Löning,Dr. Werner Hoyer, Michael Link (Heilbronn), weiterer Abge-ordneter und der Fraktion der FDP

EU-Regierungskonferenz schnell zum Erfolg führen

– Drucksache 16/5882 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f)Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainder Steenblock,Jürgen Trittin, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter undder Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

EU-Regierungskonferenz – Für eine handlungsfähige unddemokratische EU

– Drucksache 16/5888 –(ZP 1 bis ZP 3 siehe 107. Sitzung)

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP:

Ergebnisse des Dritten Energiegipfels der Bundesregie-rung

ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN

zu der Antwort der Bundesregierung auf die Frage 32 aufDrucksache 16/5854 (siehe 107. Sitzung)

ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer Brüderle,Paul K. Friedhoff, Gudrun Kopp, weiterer Abgeordneter undder Fraktion der FDP

„Goldener Schnitt 2012“ verwirklichen

– Drucksache 16/5901 –

ZP 7 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren(Ergänzung zu TOP 35)

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Laurenz Meyer(Hamm), Dr. Heinz Riesenhuber, Veronika Bellmann,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSUsowie der Abgeordneten Dr. Rainer Wend, MartinDörmann, Dr. Ditmar Staffelt, weiterer Abgeordneter undder Fraktion der SPD

Die Zukunft der deutschen Luftfahrtindustrie sichern

– Drucksache 16/5908 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hartwig Fischer(Göttingen), Eckart von Klaeden, Anke Eymer (Lübeck),weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSUsowie der Abgeordneten Brunhilde Irber, GertWeisskirchen (Wiesloch), Niels Annen, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion der SPD

Demokratische Entwicklung Simbabwes unterstüt-zen – Arbeit der internationalen Nichtregierungsorga-nisationen ermöglichen

– Drucksache 16/5907 –

Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss (f)Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Redetext

Page 10: Deutscher Bundestag - CDU/CSU 0507.pdfPlenarprotokoll 16/108 (Zu diesem Protokoll folgt ein Nachtrag) Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 108. Sitzung Berlin, Donnerstag, den

11050 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007

(A) (C)

(B) (D)

Präsident Dr. Norbert Lammert

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidrun Bluhm,Katrin Kunert, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordne-ter und der Fraktion der LINKENHumboldt-Forum statt Fassadenschloss – Schloss-platz mit Zukunftsorientierung– Drucksache 16/5922 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss

ZP 8 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache(Ergänzung zu TOP 36)a) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-

schusses (2. Ausschuss)Sammelübersicht 251 zu Petitionen– Drucksache 16/5911 –

b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-schusses (2. Ausschuss)Sammelübersicht 252 zu Petitionen– Drucksache 16/5912 –

c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-schusses (2. Ausschuss)Sammelübersicht 253 zu Petitionen– Drucksache 16/5913 –

d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-schusses (2. Ausschuss)Sammelübersicht 254 zu Petitionen– Drucksache 16/5914 –

e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-schusses (2. Ausschuss)Sammelübersicht 255 zu Petitionen– Drucksache 16/5915 –

f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-schusses (2. Ausschuss)Sammelübersicht 256 zu Petitionen– Drucksache 16/5916 –

g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-schusses (2. Ausschuss)Sammelübersicht 257 zu Petitionen– Drucksache 16/5917 –

h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-schusses (2. Ausschuss)Sammelübersicht 258 zu Petitionen– Drucksache 16/5918 –

i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-schusses (2. Ausschuss)Sammelübersicht 259 zu Petitionen– Drucksache 16/5919 –

j) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-schusses (2. Ausschuss)Sammelübersicht 260 zu Petitionen– Drucksache 16/5920 –

k) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-schusses (2. Ausschuss)Sammelübersicht 261 zu Petitionen– Drucksache 16/5921 –

ZP 9 Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, derFDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENWahl der vom Deutschen Bundestag zu benennenden Mit-glieder des Wissenschaftlichen Beratungsgremiumsgemäß § 39 a des Stasi-Unterlagen-Gesetzes– Drucksache 16/5883 –

ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Hermann,Wolfgang Wieland, Hans-Christian Ströbele, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN

Einstellung des Flugbetriebs in Tempelhof – SinnvolleNachnutzung des Flughafenareals

– Drucksache 16/5897 –

Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuss (f)Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Detlef Parr, JoachimGünther (Plauen), Miriam Gruß, weiterer Abgeordneter undder Fraktion der FDP

Sportschifffahrt und Wassersport wirksam fördern undvon überflüssigen Beschränkungen befreien

– Drucksache 16/5609 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)Innenausschuss Sportausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus

ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Marieluise Beck(Bremen), Volker Beck (Köln), Alexander Bonde, weitererAbgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN sowie der Abgeordneten Michael Link (Heil-bronn), Harald Leibrecht, Jens Ackermann, weiterer Abgeord-neter und der Fraktion der FDP

Ermäßigung der Visumgebühr für Menschen aus Belarus

– Drucksache 16/5905 –

Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss (f)Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 13 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und derSPD

Ermäßigung der Visumgebühr für Bürgerinnen und Bür-ger aus Belarus

– Drucksache 16/5909 –

Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss (f)Innenausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

ZP 14 Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Kauch,Angelika Brunkhorst, Horst Meierhofer, weiterer Abgeordne-ter und der Fraktion der FDP

Perspektiven für eine sektorale Ausweitung des Emis-sionshandels sowie für die Nutzung erneuerbarer Ener-gien im Wärmesektor

– Drucksache 16/5610 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

ZP 15 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Aus-schusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung(1. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten JensAckermann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, KerstinAndreae, Hüseyin-Kenan Aydin und weiterer Abgeordneter

Ergänzung des Untersuchungsauftrages des 1. Untersu-chungsausschusses

– Drucksache 16/5751 –

Page 11: Deutscher Bundestag - CDU/CSU 0507.pdfPlenarprotokoll 16/108 (Zu diesem Protokoll folgt ein Nachtrag) Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 108. Sitzung Berlin, Donnerstag, den

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11051

(A) (C)

(B) (D)

Präsident Dr. Norbert Lammert

ZP 16 Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Nachtwei,Alexander Bonde, Katrin Göring-Eckardt, weiterer Abgeord-neter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Das würdige Gedenken der Toten in Friedenseinsätzenbraucht eine breite Debatte

– Drucksache 16/5894 –

Überweisungsvorschlag:Verteidigungsausschuss (f)Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Kultur und Medien

ZP 17 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der LINKEN:

Datenvernichtung bei der Bundeswehr

Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-weit erforderlich, abgewichen werden.

Die Tagesordnungspunkte 13, 17 a, 22 und 35 a wer-den abgesetzt. Zum Tagesordnungspunkt 17 b ist eineAussprache nicht mehr vorgesehen. Er soll zusammenmit den Ohne-Debatte-Punkten aufgerufen werden. DieTagesordnungspunkte 12 und 25 werden getauscht. DieTagesordnungspunkte 15, 19, 21, 23 und 24 werden jeweilsvorgezogen und nach den Tagesordnungspunkten 25, 14,16, 18 und 20 aufgerufen. Ich vermute, Sie haben das al-les mitgeschrieben,

(Ludwig Stiegler [SPD]: Wir haben ein gutesGedächtnis! Der Alzheimer ist noch nicht imSaale, Herr Präsident!)

sodass über die Reihenfolge der Tagesordnungspunktenun kein Zweifel mehr besteht. Falls noch Orientie-rungsbedarf besteht, steht das Präsidium für Auskünftegerne zur Verfügung. – Ansonsten stelle ich dazu Ein-vernehmen fest. Dann ist die Tagesordnung mit diesenVeränderungen so beschlossen.

Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 3 undZusatzpunkt 6:

3 Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregie-rung

Aufschwung für Deutschland – Gute Zeitenentschlossen nutzen

ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten RainerBrüderle, Paul K. Friedhoff, Gudrun Kopp, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

„Goldener Schnitt 2012“ verwirklichen

– Drucksache 16/5901 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-rung eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre keinenWiderspruch. Dann ist auch das so beschlossen.

Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hatder Bundesminister für Wirtschaft und Technologie,Michael Glos.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft undTechnologie:

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Unsere Wirtschaft steht unter Volldampf.Deutschland ist wieder Wachstumslokomotive in Europageworden. Die Stagnation ist vorbei. Auf den Reform-baustellen gibt es weder hitze- noch kältefrei. Wir müs-sen nach vorne blicken und diesen Aufschwung stabili-sieren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Hindernisse müssen aus dem Weg geräumt werden. DerAufschwung muss vor allen Dingen nachhaltig werden.Wir freuen uns darüber, dass der Wachstumsprozess fes-ten Tritt gefasst hat.

Dieser Wachstumsprozess ist nicht allein auf dieSchubkraft der Weltkonjunktur angewiesen, sondernträgt inzwischen aus eigener Kraft. In diesem wie auchim kommenden Jahr kommt der stärkste Wachstumsim-puls von der Binnenwirtschaft. Ich finde, das ist etwas,was uns Hoffnung gibt, dass wir ein Stück unabhängigervon Schwankungen der Weltwirtschaft werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

In diesem wie auch im kommenden Jahr geht derstärkste Wachstumsimpuls, wie gesagt, von der Kraftaus, die die deutsche Wirtschaft auch im Inland wiederentfaltet. Hinzu kommt, dass die Verbraucherinnen undVerbraucher wieder mehr Kaufkraft haben und sie auchnutzen.

Wir kalkulieren vorsichtig. Großmäuligkeit ist zumFremdwort geworden. Die Bundesregierung erwartet fürdieses Jahr ein Wachstum von 2,3 Prozent. Ich weiß,dass andere seriöse Institutionen schon jetzt deutlich hö-here Wachstumserwartungen haben. Besser abzuschnei-den als angekündigt, ist uns lieber, als den umgekehrtenWeg zu gehen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Unsere Zuversicht, dass das Wachstum trotz der Um-satzsteuererhöhung anhält, hat sich erfüllt. Der befürch-tete Preisschub ist – gottlob – ausgeblieben. Das sind fürdiejenigen, die Schauderszenarien lieben, schlechteNachrichten; aber für die Deutschen sind das gute Nach-richten. Diese Nachrichten schmerzen die Untergangs-propheten. Heiligendamm war auch deshalb ein so gro-ßer Erfolg, Frau Bundeskanzler, weil eine starkeBundeskanzlerin ihre Gäste als Vertreterin eines wirt-schaftlich starken Landes hat empfangen können. Dasgibt uns in der Welt wieder Gewicht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Wer im eigenen Land erfolgreich ist, dessen Stimme hatauch anderswo Gewicht.

Jetzt, wo das Wachstum nicht mehr zu leugnen ist, be-haupten Miesmacher, von dem Aufschwung profitiertennur einige wenige. Auch das ist falsch. Die Wirklichkeitsieht vollkommen anders aus. Der Aufschwung kommt

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Bundesminister Michael Glos

überall an. Für die Bundesregierung sage ich in Anleh-nung an Ludwig Erhard: Wir erleben den Aufschwungfür alle. Niemals in der Geschichte der Bundesrepublikgab es so viele Beschäftigte wie heute: fast 40 Millionen.Der Anstieg an Beschäftigung entfällt übrigens ganzüberwiegend auf sozialversicherungspflichtige, also guteVollzeitstellen.

Auch die Zahl der Arbeitslosen sinkt. Allein in denletzten zwölf Monaten ist sie um weit über 700 000 zu-rückgegangen; sie liegt nun bei 3,7 Millionen. Bis Ende2008 wird die Arbeitslosenzahl auf weniger als3,5 Millionen sinken. Das wäre dann der tiefste Standseit über zehn Jahren.

Das zeigt: Der Aufschwung kommt auch bei den Be-schäftigten an. Deren Arbeitsplätze werden nicht zuletztaufgrund der Lohnzurückhaltung in den letzten Jahrenerhalten. In den Tarifverhandlungen ist erstmals wiederein deutliches reales Plus erreicht worden. Das wird sichauf den Konsum natürlich positiv auswirken.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Allerdings werden die Insolvenzverwalter – darüberfreue ich mich – weniger zu tun haben. Ich glaube, dasswir auch mit dieser Tatsache gut leben können.

Womit wir allerdings nur schwer leben können, ist derFachkräftemangel, den es in Deutschland inzwischengibt. Das ist etwas, was uns besorgt macht. Obwohl inDeutschland 20 000 Ingenieure arbeitslos gemeldet sind,sucht die Wirtschaft händeringend nach Fachkräften.Das passt nicht zusammen; das bremst den Aufschwung.Deshalb brauchen wir mehr Investitionen in Bildung, inAusbildung, aber auch in Weiterbildung.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Wir müssen in allererster Linie diejenigen Menschenweiterbilden und aktivieren, die in unserem Land leben,die in unserem Land nach Arbeit suchen, und wir müs-sen ihnen Chancen geben. Außerdem muss selbstver-ständlich die Frage der gesteuerten Zuwanderung vonFachkräften aus anderen Ländern auf die Tagesordnung.Eine solche Zuwanderung lässt sich nicht von heute aufmorgen herbeiführen; deswegen müssen wir die Wei-chen rechtzeitig stellen. Deutschland muss im globalenWettbewerb um die besten Köpfe mithalten können, umden globalen Wettbewerb besser zu bestehen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Damit Deutschland weiter die Nase vorn hat, steigertdie Bundesregierung kontinuierlich die Investitionen inForschung und Entwicklung. Das zeigt die gestern be-schlossene mittelfristige Finanzplanung. Auch die Län-der und die Wirtschaft bleiben aufgerufen, mehr für For-schung und Entwicklung zu tun. Wir alleine als Staatkönnen das 3-Prozent-Ziel von Lissabon nicht erreichen,sondern wir brauchen selbstverständlich das Mittun derWirtschaft.

Gerade jetzt im Aufschwung gilt es, auf Reformkurszu bleiben. Der Aufschwung hat viele Gründe: die guteWeltkonjunktur, eine zurückhaltende Lohnpolitik undvor allen Dingen die Anstrengungen der Unternehmun-gen. Das allein hätte jedoch nicht gereicht, um auf einennachhaltigen Wachstumskurs zurückzukehren. Der kon-sequente Kurs der Großen Koalition – unsere Strategiemit den drei Elementen Sanieren, Reformieren und In-vestieren – trägt jetzt Früchte.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

– Ich habe das extra gesagt, damit auch die SPD nochüberzeugter klatschen kann.

(Ludwig Stiegler [SPD]: Wir haben dich in den Klub aufgenommen!)

Der Aufschwung ist kein Selbstläufer, sondern musswie eine empfindliche Pflanze gepflegt werden. Wieteuer es wird, wenn der Aufschwung erlahmt, haben wirin den Jahren 2001 bis 2005 erleben müssen. Trotzdemgibt es immer welche, die versuchen, das Rad zurückzu-drehen. Dem halte ich allerdings MinisterpräsidentPlatzeck entgegen, der gesagt hat:

Für mich war der Hauptfehler, dass wir mit den Re-formen zu spät begonnen haben.

Darüber hinaus zitiere ich jetzt Herrn Gorbatschow, dergesagt hat:

Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.

(Dr. Rainer Wend [SPD]: Da hat er HelmutKohl gemeint! – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zitieren Sie doch einmalStoiber! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Aller guten Dinge sind drei! Wirlechzen nach einem guten Zitat! – Fritz Kuhn[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stoiber wol-len wir hören!)

Deswegen war es richtig, dass es zu einem Regie-rungswechsel gekommen ist. Wir fühlen uns dem Auf-schwung verpflichtet.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wären wir noch später gekommen, dann wären wir jetzt,um mit den Worten Platzecks zu sprechen, gesellschaft-lich und ökonomisch vor der Wand.

Eine Hauptaufgabe muss natürlich die Konsolidie-rung der öffentlichen Haushalte sein. Dem hat sichKollege Steinbrück nachhaltig gewidmet. Wann, wennnicht jetzt, sollten wir sonst das Ziel ausgeglichener öf-fentlicher Haushalte ins Visier nehmen? Wir werden dasauch erreichen. Das ist möglich.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Zuerst profitieren die öffentlichen Kassen von derKonjunktur. Wir müssen jetzt alles daransetzen, dass esauch so bleibt. Die Steuer- und Beitragsquellen sprudeln,doch wächst mit dem Aufschwung der Wirtschaft auchder Wunsch nach neuen konsumtiven Ausgaben, die mit

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Bundesminister Michael Glos

Zukunftsgestaltung oft nichts zu tun haben. Ich bin derMeinung, wir müssen eine Politik betreiben, die dafürsorgt, dass die Finanzquellen länger sprudeln. Fast täg-lich kommen neue Forderungen. Diese Forderungenmuss man natürlich in dem Licht sehen, ob wir uns dasalles in Zeiten, in denen Nachhaltigkeit eine große Rollespielt, leisten können. Ich zitiere nun das Bundesfinanz-ministerium, das in seinem jüngsten Monatsberichtschreibt:

Das Ziel eines mittelfristig ausgeglichenen Haus-halts hat nach wie vor hohe Priorität. Legt man diejüngste Steuerschätzung zu Grunde, ist dazu eineweitere Rückführung der Staatsquote unabdingbar.

Ich habe vorhin den Antrag der FDP gelesen. Sie befin-den sich offensichtlich ein Stück weit im Einklang mitdem Bundesfinanzministerium. Ich meine, es ist genauder richtige Ansatz, um die Staatsfinanzen nachhaltigauf eine feste Grundlage zu stellen. Denn der Auf-schwung muss dem Bürger gehören und nicht dem Staat.Das ist meine feste Überzeugung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowiebei Abgeordneten der SPD – Dr. GuidoWesterwelle [FDP]: Na endlich, es geht doch!)

Wir müssen die Arbeitnehmer und Betriebe, die hoheAbgaben und Steuern von ihrem hart verdienten Geldbezahlen, am Konsolidierungserfolg beteiligen.

(Zuruf von der FDP: Sehr wahr!)

Professor Hans-Werner Sinn vom Münchner ifo-Insti-tut nennt es ein „Gebot der Vernunft, die Entlastung derBürger jetzt schnell auf die Tagesordnung zu setzen“. Esist und bleibt unser Ziel, die paritätisch finanzierten Bei-tragssätze zu den Sozialversicherungen unter 40 Prozentdes beitragspflichtigen Bruttoarbeitsentgeltes zu sen-ken. Das ist gelungen, aber das muss immer wieder ver-teidigt werden. Durch die Arbeitsmarktreformen undden gegenwärtigen wirtschaftlichen Aufschwung habenwir den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung von6,5 auf 4,2 Prozent zurückführen können. Wenn es aufdem Gebiet weitere Spielräume gibt, müssen wir diesenutzen.

Der Wirtschaftsaufschwung zeigt eine klare Bot-schaft: Reformen zahlen sich aus. Die Bundesregierungist daher entschlossen, in der zweiten Hälfte der Legisla-turperiode weitere Wege für Wachstum und Arbeits-plätze zu eröffnen. Wir müssen die Unternehmensteuer-reform um eine Reform der Erbschaftsteuer und einumfassendes Wagnis- und Finanzierungsgesetz ergän-zen.

(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Was Sie machen, das sind doch alles Wagnis-gesetze!)

Die Entwürfe liegen vor.

Als weiteres wichtiges Ziel nenne ich den Bürokratie-abbau. Wir haben den Bürokratieabbau in Europa zumThema gemacht. Das war fast ein Fremdwort für dieEuropäische Kommission. Wir konnten durchsetzen,dass 25 Prozent der von der EU hervorgerufenen Büro-

kratiekosten durch Vorschläge und Maßnahmen derEuropäischen Union wieder rückgängig gemacht wer-den. Wir müssen den Weg bei uns in Deutschland natür-lich selbst verstärkt gehen. Wir haben bereits ein Mittel-standsentlastungsgesetz verabschiedet, und ein weiteresist im parlamentarischen Prozess.

Wichtig ist auch mehr Wettbewerb, beim Schienen-verkehr – im Interesse der Mobilität der Bürgerinnenund Bürger – und ebenso im europäischen Briefmarkt.

Damit uns in Zukunft schmerzhafte Konsolidierungs-programme erspart bleiben, brauchen wir zudem einewirksame Schuldenbremse für die öffentlichen Haus-halte. Sie zu finden, ist Aufgabe der Kommission vonBundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen.

Wir sind entschlossen, auch die Mitarbeiterbeteili-gung auszubauen. Ich finde, das ist ein richtiger Weg.Die Arbeitnehmer sollen am wirtschaftlichen Erfolg ih-rer Betriebe spürbar beteiligt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Dr. Guido Westerwelle [FDP])

Das fördert die Streuung des Produktivkapitals undschafft neue Motivation. Die Entscheidung darüber, wiedies individuell am besten und am effizientesten erreichtwerden kann, sollte man nach meiner festen Überzeu-gung in allererster Linie den Tarifpartnern überlassen.

Mein Haus ist dabei, die Förderprogramme für den in-novativen Mittelstand einfacher und transparenter zu ge-stalten.

Auf dem Arbeitsmarkt gilt es, die richtige Balancezwischen Flexibilität und Sicherheit zu finden. Mit Blickauf mehr Beschäftigung werden wir Effizienz und Effek-tivität des arbeitsmarktpolitischen Instrumentariums er-höhen.

Noch etwas braucht unsere Wirtschaft, damit sie wei-ter auf einem Wachstumspfad bleibt, nämlich eine zuver-lässige, kostengünstige und gleichzeitig klimafreundli-che Energieversorgung. Darüber haben wir sehr vieldiskutiert,

(Zuruf von der FDP: Und nichts gemacht!)

auch auf dem Energiegipfel. Die Probleme lassen sichnatürlich am allerbesten im Konsens mit der Wirtschaftlösen, weil dort diejenigen sind, die die Investitionen da-für tätigen müssen.

(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Hat das Herr Gabriel verstanden?)

Wir müssen auf der anderen Seite natürlich auch dieVerbraucherinnen und Verbraucher im Blick behalten.Damit meine ich nicht nur die industriellen Verbrauchervon Energie, sondern auch die Millionen Haushalte.Deswegen müssen wir die Energiepreise kritisch be-obachten. Ich fühle mich nicht als Bundesminister derWirtschaft, sondern als Bundesminister für Wirtschaft,und das schließt die Verbraucherinnen und Verbrauchermit ein.

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Bundesminister Michael Glos

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Wir haben auf diesem Gebiet vieles geschafft, zumin-dest regierungsseitig. Es war durch die Abwägung vielerInteressen manchmal natürlich nicht ganz leicht, in derRegierung die GWB-Novelle, die Kraftwerksnetzan-schluss- sowie die Anreizregulierungsverordnung aufden Weg zu bringen. Gegenwärtig liegt es an Ihnen,meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wie raschzum Beispiel die GWB-Novelle umgesetzt wird, die unserlaubt, den großen Energieerzeugern oder Strom- undGasverteilern stärker auf die Finger zu schauen. Ich haltedas nach wie vor für notwendig und nutze die Gelegen-heit, an Sie zu appellieren, die Bremsklötze auf dem Ge-biet wegzunehmen.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Weg mit den Netzen! Seien Sie malmutig, nicht immer Lobbyist! – Dr. PeterStruck [SPD]: Na, na, na! Wir bremsen nicht,Herr Minister! Wir unterstützen Sie in vollemUmfang! Ohne uns könnten Sie das alles garnicht machen!)

– Ich bedanke mich ganz herzlich für die Unterstützungund nehme alles zurück. Ich bitte um noch stärkere undnoch raschere Unterstützung als bisher.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere Re-formagenda bietet trotz aller Fortschritte noch reichlichStoff für die zweite Hälfte der Legislaturperiode. Inso-fern ist die Arbeit nicht zu Ende.

(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schade!)

Die Bundesregierung ist fest entschlossen, sich nicht aufden Lorbeeren des Aufschwungs auszuruhen und den er-folgreichen Reformweg weiterzugehen. Über den Wegkönnen und müssen wir selbstverständlich streiten, aberüber das Ziel sollten wir uns einig sein: Es geht um dieMenschen in unserem Land. Für deren Wohl zu arbeiten,dazu lade ich Sie alle ganz herzlich ein.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort erhält zunächst der Kollege Rainer Brüderlefür die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP – Hartmut Koschyk[CDU/CSU]: Tata! Tata! Tata! – Gegenruf desAbg. Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Herr Prä-sident, wir werden von rechts gestört! – Ge-genruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]:Das ist ein Irrtum! Das machen wir nicht!)

Rainer Brüderle (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Wirt-

schaft brummt. Wir haben eine erfreuliche wirtschaftli-

che Entwicklung. Darüber freuen wir uns als deutschePatrioten.

(Zuruf von der SPD: Na, na!)

Der Aufschwung ist weder den Schwarzen noch den Ro-ten zuzurechnen,

(Zuruf von der SPD: Nur Ihnen?)

er ist der Leistung der Menschen zu verdanken.

(Beifall bei der FDP)

Diesen müssen wir sagen: Danke, ihr macht das prima.Wir möchten euch dabei helfen.

Der Bundeswirtschaftsminister hat richtig erkannt:Die jetzige Wirtschaftslage muss genutzt werden, umdurch finanz- und wirtschaftspolitische Maßnahmenlangfristig Deutschland auf dem Wachstumspfad zu hal-ten und das Wachstum möglichst noch zu steigern. Haus-haltssanierung und Steuersenkungen sind die entschei-denden Mittel dazu.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Steuer-senkungen? Für wen denn?)

Daran, Herr Glos, müssen Sie sich nun messen lassen.

(Beifall bei der FDP)

Ihre heutige Rede beinhaltete ein Stück weit aucheinen Appell in die Koalition hinein, eine vernünftigePolitik zu unterstützen. Ich denke, das ist so ein bisschenwie bei Harry Potter, der im eigenen Laden gegen dasÜbel und die Reformmüdigkeit kämpfen muss. Ichhoffe, Sie haben die richtige Strategie und nicht bloßwirkungslose Zaubersprüche ohne Chancen darauf, dassetwas passiert. Vielmehr müssen konkrete MaßnahmenSchritt für Schritt umgesetzt werden.

Die Bundesregierung glaubt offensichtlich, ange-sichts sprudelnder Steuereinnahmen und gefüllter So-zialkassen neue Subventionstatbestände erfinden zumüssen. Das ist bei Ihren Vorschlägen zur Mitarbeiter-beteiligung bis hin zur Förderung von Energiesparmaß-nahmen bei Kühlschränken und Ähnlichem der Fall. DieInvestitionen erreichen nach den Planungen des Finanz-ministers 2011 einen historischen Tiefstand; sie betragendann nur noch 8,2 Prozent des Haushaltsvolumens. Zu-gleich werden aber die Ausgaben kräftig erhöht, nämlichum 4,7 Prozent. Sie haben natürlich recht: Dieser Auf-schwung darf nicht Anlass sein, die Hände in den Schoßzu legen, also sozusagen vom Winterschlaf direkt in dieSommerpause zu gehen. Wir brauchen aber keine neuenAusgabenprogramme. Der DIHK-Präsident Braun warntdavor. Er vermutet, dass der Deutschlandfonds der SPDein Modell sei, das dazu beitragen soll, dass die Gewerk-schaften zu Heuschrecken werden. Bei den diskutiertenKonzepten ist deswegen sicherlich Vorsicht geboten.

Gute Wirtschaftspolitik besteht darin, die Zeit desAufschwungs zu nutzen, um für die Zeit des Ab-schwungs vorbereitet zu sein.

(Beifall bei der FDP)

Schauen wir uns einmal einzelne Bereiche an.

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Rainer Brüderle

Arbeitsproduktivität: Die Steigerung betrug 20061,9 Prozent. Das ist verglichen mit den Jahren zuvor er-freulich, verglichen mit der Entwicklung in den Verei-nigten Staaten oder bei uns in den 90er-Jahren immernoch bescheiden. Hier muss weiter zugelegt werden. Eshandelt sich übrigens überwiegend um Rationalisie-rungsinvestitionen. Diese allein werden nicht genügen,um langfristig bzw. dauerhaft mehr Wohlstand zu entwi-ckeln.

Langfristig Wachstum stimulieren und Wohlstandentwickeln würden Reformen am Arbeitsmarkt. HerrGlos fordert zu Recht mehr Flexibilität auf dem Arbeits-markt. Wenn man das intelligent macht und mehr Ein-stellungschancen eröffnet, gibt es nicht nur mehr Ar-beitsplätze, sondern auch mehr Sicherheit, weilAngebote vorhanden sind. Sie haben zu Recht oft aufDänemark verwiesen. Das ist ein gutes Beispiel. Davonkann man eine Menge lernen. Hier geschieht aber eheretwas anderes. Sie gehen nicht daran, den kleinen Betrie-ben die Angst vor der Einstellung zu nehmen, den Kün-digungsschutz zu modernisieren und betriebliche Bünd-nisse für Arbeit auf den Weg zu bringen.

Für langfristig bessere Wachstumspfade brauchen Sieein Klima des Vertrauens. Sie müssen die Unsicherheitüber die weitere Entwicklung nehmen und mehr Be-rechenbarkeit geben. In der sogenannten Großen Koali-tion gibt es viele Widersprüche. Der Bundeswirtschafts-minister spricht von flexiblen Arbeitsmärkten, und dieseRegierung führt faktisch Mindestlöhne ein. Das ist eininhaltlicher Widerspruch. Was wollen Sie denn – Min-destlöhne oder Flexibilisierung?

(Beifall bei der FDP)

Schwarz-Rot will die Erbschaftsteuer für Unterneh-men abschaffen. In der Koalition wird aber laut nachge-dacht, ob man diese Abschaffung nicht unterlassen unddie Erbschaftsteuer sogar noch erhöhen sollte. Auch dasgibt keine Klarheit für die Entscheidungen der Wirt-schaft.

Zu Recht wollen Sie international wettbewerbsfähigeUnternehmensteuern. Sie bringen aber ein Modell aufden Weg, das außerordentlich kompliziert ist, sodass Be-triebe vor Ort sich fragen: Zahlen wir am Schluss dennweniger oder mehr Steuern? Das ist kein Beitrag zumBürokratieabbau und kein Beitrag zu einer leichterenBerechenbarkeit.

(Beifall bei der FDP)

Die Bürger sollen privat stärker für ihr Alter vorsor-gen. Sie kürzen aber den Sparerfreibetrag; Steuern aufKursgewinne werden eingeführt; durch die kräftigeMehrwertsteuererhöhung haben Sie vielen den für dieverstärkte Altersvorsorge notwendigen Spielraum ge-nommen.

(Beifall bei der FDP)

Jetzt diskutieren Sie, ob Freibeträge für Mitarbeiterbetei-ligungen wieder angehoben werden sollen. Das ist dieMethode: Erst nimmt man denjenigen viele Euro weg;jetzt bekommen sie ein paar Cent zurück und sollen sichartig bedanken. Machen Sie es doch gleich richtig! Das

ist für mich ein Zickzackkurs, und Zickzack ist nichtwachstumsfördernd. Deshalb brauchen wir Klarheit.

Viele Bürger sind gar nicht mehr in der Lage, zu über-sehen, wie sich die Regelungen der Wirtschaftsgesetzeauswirken, die sie befolgen müssen. Das müsste manvereinfachen, um es verstehbar und nachvollziehbar zumachen. Wenn die Steuererklärung nach bestem Wissenund Gewissen ausgefüllt wird, heißt das noch nicht, dasssie richtig ist. Kaum einer kann unser Steuerrecht ver-stehen. Die Bürger unterschreiben ihre Steuererklärung,können letztlich aber gar nicht nachvollziehen, was sieunterschreiben. Das müsste man jetzt, wo es wirtschaft-lich besser geht, in Ordnung bringen, verstehbar machenund redemokratisieren, damit die Menschen wieder in-nerlich dabei sein können.

(Beifall bei der FDP)

Jeder kleine Häuslebauer weiß: Das Dach repariert manam besten, wenn die Sonne scheint, und nicht, wenn esregnet. Technisch geht das auch bei Regen. Es ist aberungleich schwieriger.

Sie haben einige Maßnahmen zum Bürokratieabbaubeschlossen. Gleichzeitig machen Sie aber Gesetze, dieaußerordentlich kompliziert, bürokratisch, unverständ-lich und intransparent sind. In diesem Zusammenhangdenke ich an das Antidiskriminierungsgesetz, aber auchan die unsystematische Unternehmensteuerreform, beider es keine Rechtsform- und Finanzierungsneutralitätgibt. Damit tragen Sie nicht dazu bei, das Ganze einfa-cher und verstehbarer zu machen.

(Beifall des Abg. Jörg van Essen [FDP])

– Zu Recht klatschen Sie, Herr Kollege.

Die Bundesregierung führt die Abgeltungsteuer aufKapitalerträge ein. Gleichzeitig belässt sie es bei derstaatlichen Kontoschnüffelei. Sie wird nicht abgeschafft,obwohl es logisch wäre, bei der Abgeltungsteuer diesenUnsinn zu lassen und nicht weiter in die Konten der Bür-ger hinein zu spionieren.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit wer-den in den Bundeshaushalt umgeleitet, anstatt sie denBeitragszahlern, denen dieses Geld gehört, zurückzuge-ben. Auch das ist kein Ansatz, Klarheit zu schaffen.

(Beifall bei der FDP)

Herr Glos hat zu Recht erklärt, dass wir den Auf-schwung entschlossen nutzen müssen. Aber bitte nichtfür neue Ausgabenprogramme! Vielmehr müssen Sie dieWeichen richtig stellen, damit der Wachstumspfad wirk-lich erreicht wird.

Bei der Kranken- und Pflegeversicherung schaffenSie, statt auf Kapitaldeckung und damit auf zukunfts-feste Strukturen zu setzen, mit dem Gesundheitsfondsneue Geldsammelstellen. Zudem gibt es Leistungsaus-weitungen. Auch das ist ein Herumdoktern am Systemund keine klare Politik, die dem eigentlichen Ziel ent-spricht.

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Rainer Brüderle

Uns geht es darum, die Balance zwischen Privat undStaat, zwischen Eigenverantwortung und staatlicherGängelung, zwischen Freiheit und Bürokratie zugunstenvon Privat, Eigenverantwortung und Freiheit zu verän-dern, damit wir zukunftsfähig sind.

(Beifall bei der FDP)

Von der Haushaltskonsolidierung ist auch nichts zumerken, im Gegenteil: Die Schulden werden in dennächsten Jahren kräftig weiter aufgebaut. Man nimmtsich viel Zeit, die Konsolidierung anzugehen.

Ich nenne in diesem Zusammenhang auch den Ener-giegipfel, zu dem es heute Mittag noch eine AktuelleStunde gibt. Das Kernproblem ist, dass die Wettbe-werbsstrukturen nicht richtig funktionieren. Da mussman ansetzen; das wäre der richtige Weg. Als UltimaRatio müsste man auch das Instrument der Entflechtungin das Kartellrecht einführen; denn ein funktionierenderWettbewerb sichert eine ausreichende Energieversor-gung. Der Handel mit Zertifikaten für Emissionenschafft Anreize für mehr Umweltschutz und Energieeffi-zienz. Trauen Sie sich ein bisschen mehr zu, wenn es umMarkt und Freiheit geht. Das würde Fortschritte inpuncto Berechenbarkeit bringen.

(Beifall bei der FDP)

Was wir brauchen, ist mehr Wirtschaftswachstum undnicht Staatswachstum. Mit rund 5 Prozent Ausgabenstei-gerung gehen Sie deutlich in Richtung Staatswachstum.Den Menschen gehört das, was sie erwirtschaften. DieDividende des Aufschwungs muss in der Breite bei denMenschen in Deutschland ankommen: bei den Arbeit-nehmern und bei den Selbstständigen. Deshalb brauchenwir eine umfassende Steuerreform und steuerliche Ent-lastungen und nicht mehr Belastungen. Das ist das Wich-tigste. Herr Glos, Sie haben diesbezüglich völlig recht.Aber diese Regierung unternimmt nichts. Frau Merkel,von Glos lernen heißt besser werden.

(Beifall bei der FDP)

Fair wäre es, die Bürger zu entlasten, indem das Geld,das die drastische Mehrwertsteuererhöhung bringt, andie Bürger zurückgegeben wird. Fair wäre es, das Geld,das die Ökosteuer bringt, zurückzugeben. Sie ist mit derEinführung des Emissionshandels von der Sache herüberflüssig. Das wäre eine vernünftige Richtung.

Herr Minister Glos, wir wollen Ihnen helfen. Deshalbhaben wir den vorliegenden Antrag eingebracht, der derKoalition die Gelegenheit bietet, Ihre Politik und IhrKonzept „Goldener Schnitt 2012“ zu unterstützen. UnserKonzept ist noch ambitionierter und noch anspuchsvol-ler. Aber immerhin weist Ihr Konzept in die richtigeRichtung. Deshalb stellen wir unseren Antrag heute zurAbstimmung. Wir brauchen eine Steuer- und Abga-bensenkung. Wir brauchen Haushaltskonsolidierung.Wir brauchen mehr Investitionen und weniger staatlicheKonsumausgaben.

Unser Antrag ist Glos pur, ohne Regierungslyrik undohne Beamtenarithmetik. Sie, insbesondere die Kolle-ginnen und Kollegen von der CDU/CSU, haben heutedie Chance, den Wirtschaftsminister zu unterstützen und

festzustellen, dass er richtig handelt und etwas Vernünf-tiges gesagt hat. Haben Sie den Mut, bei der Abstim-mung über diesen Antrag die Hand zu heben! Sie könnenfür das Land etwas Gutes tun, indem Sie diese vernünf-tige Denke unterstützen. Mit dieser Abstimmung wirdsich zeigen, ob Sie es ernst meinen mit der Unterstüt-zung einer im Prinzip richtig angelegten Konzeptionoder ob es nur eine Inszenierung Ihrerseits ist oder garder Entwurf der Scheidungsurkunde der Großen Koali-tion der kleinen Trippelschritte.

Heute ist eine Sternstunde des Parlaments. Die Regie-rungskoalition hat die Chance, eine vernünftige Konzep-tion zu unterstützen. Haben Sie den Mut dazu! Ichschaue gerade in Richtung der Wirtschaftspolitiker derUnion, die doch mutige Männer aus Franken, Bayernund anderen Regionen sind. Heben Sie die Hand, undunterstützen Sie die Konzeption, die im Prinzip richtigist!

(Beifall bei der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist der Kollege

Ludwig Stiegler.

(Beifall bei der SPD)

Ludwig Stiegler (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer den

Kollegen Brüderle in den letzten Jahren gehört hat, derkann erkennen, dass er heute bemerkenswert moderat ist,weil er gegen den wirtschaftlichen Erfolg der GroßenKoalition nur schlecht anreden kann.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Ich hätte ihn sehen mögen, wenn er mit seiner Wunsch-partnerschaft diesen Erfolg hier hätte feiern können. Erhätte sich gebläht, bis der Kragen platzt.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD –Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Ihre Bilder sindleicht unappetitlich!)

Das wäre sicher der Fall gewesen. Aber so ist es derNeid der Besitzlosen, die anderen den Erfolg streitig ma-chen wollen. Herr Brüderle, freuen Sie sich mit uns,dann finden Sie auch Ihre innere Ruhe wieder.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der Wirtschaftsminister hat hier mit Recht einen gro-ßen Erfolg verkündet. Er hat nicht viel von den Väterndes Erfolges geredet. Ich hatte ja das Vergnügen, unterder Leitung von Franz Müntefering von meiner Seite anden Koalitionsverhandlungen zum Thema Wirtschaftmit Edmund Stoiber beteiligt zu sein. Michael ist alsSpätberufener nach einiger Zeit hinzugekommen. Erwollte ursprünglich mehr auf der Ausgabenseite tätigsein. Er hat dann vorgefunden, was wir zur Wirtschafts-politik verabredet haben.

Das war ein Beitrag, der den Urknall ermöglicht hat.Ich erinnere zum Beispiel daran, dass wir in einer Nacht-sitzung die Förderung der energetischen Gebäude-

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Ludwig Stiegler

sanierung durchgesetzt haben. Herr Brüderle, der vonIhnen so gescholtene Staat hat allein über die Förderungder energetischen Gebäudesanierung im Jahre 2006 ei-nen Wachstumsbeitrag von mehr als 1 Prozentpunkt ge-leistet,

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Hunderttausende von Arbeitsplätzen gesichert, dieHandwerks- und die Bauunternehmen gestützt und dieInvestitionen getragen. Hier ist also eine ganze Mengegeschehen.

Ich erinnere an die steuerliche Förderung desHandwerks. Ich erinnere an die Steuerförderung imHinblick auf Investitionen. Kollege Rainer Wend wardabei. Es war nicht leicht mit der Union; denn sie hattebloß den Bierdeckel von Friedrich Merz. Darauf standdas alles nicht; das muss man einfach sehen. Auf demBierdeckel war zu wenig Platz. Auch in den Kirchhof-Papieren war nichts zur steuerlichen Förderung desHandwerks vorgesehen. Insofern war es ein schönes Er-lebnis, als Edmund Stoiber und vor allem sein Wirt-schaftsminister damals gesagt haben: Gott sei Dank kön-nen wir unser altes Gelumpe wegwerfen und zu dieserneuen Programmatik übergehen. – Es ist Ihr Verdienst,dass Sie mitgemacht haben. Herzlichen Dank! Der ge-meinsame Erfolg ist da.

(Beifall bei der SPD – Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Gleich platzt der Kragen!)

Lieber Michael Glos, auf einer Menge sozialdemokrati-scher Dünger ist dein Weizen gewachsen. Du darfst zwarernten und verkaufen; das ist okay. Aber man soll demOchsen, der da drischt, nicht das Maul verbinden; sosteht es schon in der Bibel.

Nun ist der arme Kerl von Zimmermann beschuldigtworden, er sei Opfer linkskeynesianischer Umtriebe.Das ist ein starkes Stück. Michel ist weder links nochkeynesianisch, und Umtriebe macht er zwar, aber auf an-derer Ebene.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Nein, das ist wirklich zu viel. Wer seine Jahresgabe zum40-jährigen Jubiläum des Stabilitäts- und Wachstumsge-setzes anschaut, der sieht, dass er mit Linkskeynesianis-mus nichts zu tun hat. Er deutet all das, was wir nachfra-georientiert gemacht haben, in Angebotsmaßnahmenum. Das würde ich meinem Staatssekretär austreiben.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Aber immerhin steht einiges in dem von ihm vorge-legten Papier. Er hat den Wert der öffentlichen Investi-tionen erkannt. Er hat einen neuen Investitionsbegriff.Wir haben seit langem von Karlsruhe den Auftrag, imStabilitäts- und Wachstumsgesetz den Investitionsbegriffzu reformieren und darin nicht nur Investitionen in Be-ton, sondern auch in Bildung, Forschung und Entwick-lung vorzusehen. Also, auf geht’s! Packen wir es an, da-mit wir hier vorankommen und öffentliche Investitionennachgeholt werden. Die Botschaft des Stabilitäts- und

Wachstumsgesetzes ist, dass wir eine öffentliche Verant-wortung für diesen Bereich haben.

Nun ist viel von der Staatsquote geredet worden. Daliegen wir im europäischen Vergleich weit unten. Nun istaber die Staatsquote – ich habe den entsprechendenKommentar von Alex Möller noch einmal nachgelesen –kein Wert an sich. Vielmehr ist wichtig, dass wir unsereöffentlichen Aufgaben erfüllen, Forschung und Entwick-lung betreiben, die Energieeffizienz voranbringen undInvestitionen mit hoher Multiplikatorwirkung durchfüh-ren.

Herr Brüderle, wir sollten Bürger und Staat nicht ineinen Gegensatz bringen. Wir sind für einen Staat derBürger.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Nur mit den richtigen Rahmenbedingungen können wirallen die Chancen geben, sich zu entwickeln und zu bil-den.

Herr Brüderle hat gemahnt, dass die Bundesagenturfür diejenigen etwas leisten muss, die sie nicht integriert.Als der Bund Zuschüsse in Milliardenhöhe an die Bun-desanstalt gegeben hat, hat kein Mensch von Beitragser-höhungen gesprochen. Man war selig im Nehmen, istaber geizig im Geben. Ich finde, da man früher in Zeitender Not der Bundesagentur aus dem Bundeshaushaltmehr als 30 Milliarden hat zukommen lassen, kann manin Zeiten des Überschusses dem Kaiser geben, was desKaisers ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deshalb geht dieser Angriff fehl.

Ich danke ausdrücklich dem Finanzminister, der zu-sammen mit dem Wirtschaftsminister eine gestaltendeHaushaltspolitik betreibt und Investitionen begünstigt.Derzeit brauchen wir noch keine antizyklische Haus-haltspolitik. Eine solche dürfen wir auch in Zukunftnicht betreiben; der Haushalt darf allenfalls neutral sein.Insgesamt ist aber noch eine ganze Menge zu tun.

Das Entscheidende ist, dass der Aufschwung bei al-len ankommt und nicht mit Sozialabbau verbunden ist.Was haben uns die Professoren und Sachverständigengesagt? Ihr müsst den Kündigungsschutz lockern, denArbeitsmarkt flexibilisieren und die Rigiditäten aufbre-chen. Alle, die das gesagt haben, sind jetzt ganz verzwei-felt; denn der Aufschwung ist gekommen, ohne dass wirSozialabbau betreiben mussten. Ich danke allen, die da-ran mitgewirkt haben.

(Beifall bei der SPD)

Daran sieht man, dass stimmt, was die Bank für Interna-tionalen Zahlungsausgleich in ihrem 77. Jahresberichtgeschrieben hat: Volkswirtschaft ist keine exakte Wis-senschaft. Das muss man den Professoren entgegenhal-ten, die ihre ideologischen Vorstellungen mit schönenRechenmodellen abgleichen, die am Ende meistens hin-ten und vorne nicht stimmen. Der beste Computer hilftnichts, wenn die Parameter falsch gesetzt sind.

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11058 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007

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Ludwig Stiegler

Wir wollen Sicherheit auf dem Arbeitsmarkt; dennmit Flexibilität haben die Menschen bereits verdammtviel zu tun. Hier war von weiterer Liberalisierung dieRede. Lasst uns erst einmal dafür sorgen, dass die Nach-folgeunternehmen der Post ihre Mitarbeiter nach demPostgesetz bezahlen und nicht länger versuchen, sich mitDumpinglöhnen im Wettbewerb zu behaupten.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen einen Wettbewerb unter Leistungsgesichts-punkten und nicht hinsichtlich der Knechtschaft der Ar-beitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Deswegen werdenwir keine Ruhe geben.

(Beifall bei der SPD)

Bevor wir die Liberalisierung weiter vorantreiben, gilt esdie Kollateralschäden der Liberalisierung zu beseitigen.

Der Minister sprach von 40 Millionen Erwerbstäti-gen, nicht von Beschäftigten; das ist ein kleiner Unter-schied. Bei der Zahl der Beschäftigten gibt es einen Zu-wachs, der aber – und das ist dramatisch – aus derLeiharbeit resultiert. Wir wollten die Leiharbeit zwaraus der Schmuddelecke herausholen – darüber haben wirschon einmal im Vermittlungsausschuss, quasi in einerGroßen Koalition, verhandelt –; es war aber nicht unsereIntention, dass die Leiharbeit missbraucht wird, um dieStammbelegschaften massiv unter Druck zu setzen. Wirwollten den Unternehmen die notwendige Flexibilitätbieten, aber nicht große Teile der Beschäftigten in Leih-arbeits- und damit in unsichere Verhältnisse bringen.Darüber müssen wir reden.

(Beifall bei der SPD – Dr. Gesine Lötzsch[DIE LINKE]: Aber genauso haben wir es vo-rausgesagt! Damals haben Sie sich darüber lä-cherlich gemacht!)

– Was Sie da erzählen, ist doch Unsinn.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Ein bisschen Selbstkritik würde Ihnen gut anstehen!)

Die Auflockerung gibt es aufgrund der Tarifverträge.Das hatte seinen Grund. Wer einen Rentenversiche-rungsbeitrag in Höhe von 28 Prozent fordert und damit1 Million Arbeitsplätze gefährdet, der sollte in einer sol-chen Debatte still sein.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir werden weiter über das Thema Mindestlohn bera-ten. Hier gab es einen Ruck. Wir haben einen Sprung nachvorn gemacht. Uns geht das noch nicht weit genug. MitInteresse nehme ich zur Kenntnis, dass Herr Almunia alleeuropäischen Staaten mahnt, den Mindestlohn einzufüh-ren.

Die Tarifrunden helfen uns. Der private Verbrauchspielte im ersten Halbjahr dieses Jahres noch längst nichtdie Rolle, die Michael Glos ihm zugedacht hat. Es wirdder Tarifrunde bedürfen, um die Kaufkraft zu steigern,um den Schrittwechsel von der Förderung der Binnen-nachfrage durch Investitionen, Ausrüstungen und Bau-ten auf eine Förderung durch den privaten Konsum zu

erreichen. Deswegen unterstützen wir es, dass die Vertei-lungsgerechtigkeit in Deutschland in den Tarifrundenangegangen wird.

Zurzeit wird über den Fachkräftemangel diskutiert.Dazu sage ich: Solange wir 30 000 arbeitslose Ingenieurehaben, erwarte ich von der deutschen Wirtschaft, dasssie diesen Ingenieurinnen und Ingenieuren, jungen wiealten, eine Chance gibt, bevor sie sich an den gedecktenTischen anderer Länder bedient.

(Beifall bei der SPD)

Das ist unser Auftrag. Jetzt müssen die Hausaufgabengemacht werden durch Qualifizierung und Fortbildung.Jetzt müssen wir vorangehen. Wann, wenn nicht jetzt?Das ist unsere Hauptaufgabe. Wir dürfen nicht anders-wohin flüchten.

Wir haben viele öffentliche Aufträge zu erfüllen.Energieeffizienz ist ein wichtiger Auftrag. Die energeti-sche Gebäudesanierung war eine ganz wichtige Rah-menbedingung. Dennoch sollten wir uns bewusst sein:Die Weltwirtschaft ist und bleibt unser Schicksal, demwir uns nicht demütig unterwerfen. Wir haben internati-onalen Einfluss und sollten ihn nutzen. In Fragen derWährung ist der Rat gefordert. Der Kurs des Euro gehtseit einem Monat schnurstracks in die Höhe. Das bringterhebliche Probleme mit sich. Hier ist nicht nur die Eu-ropäische Zentralbank gefordert, sondern auch der Rat.Darauf müssen wir in den internationalen Gesprächenachten. Jede Tarifrunde und jede Einsparung wird zu-schanden, wenn es zu Währungsverwerfungen kommt.Hier haben wir eine große Aufgabe vor uns.

Wir appellieren an die Europäische Zentralbank, esmit der Zinspolitik nicht zu übertreiben. Es ist schon ein-mal ein Aufschwung abgewürgt worden. Das hatte er-hebliche Folgen: Arbeitsplätze gingen verloren, es gab1 Million Konkurse. Das muss man im Auge behalten.Lasst uns deshalb dagegen ankämpfen!

Wir wollen, dass der Aufschwung allen nützt. Wirwollen eine solidarische Gesellschaft, mit der wir uns inder Welt von Morgen behaupten. Dafür brauchen wir gutqualifizierte Arbeitnehmer, sichere Arbeitsplätze undVerteilungsgerechtigkeit. Das werden wir gemeinsamauf den Weg bringen, Herr Bundeswirtschaftsminister.Wir werden gemeinsam voranschreiten. Herr Brüderledarf uns von der Seite Beifall klatschen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun Dr. Gregor Gysi, Fraktion Die

Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Bundesminister Glos, ich muss sagen: Der Auf-schwung in Deutschland hat eine Spur mehr Elan als Sie.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN)

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11059

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Dr. Gregor Gysi

Ich hätte mir gewünscht, dass Sie das hier etwas mehrzum Ausdruck bringen.

Herr Stiegler, ich war sehr verwundert, als Sie sichüber den Neid der Besitzlosen aufgeregt haben. Früherhat die SPD die Interessen der Besitzlosen vertreten.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben einen wirtschaftlichen Aufschwung; dasstimmt. Aber man muss sich einmal ansehen, für wensich dieser Aufschwung positiv auswirkt. Was ist dennvon 2000 bis 2006 passiert? Die Einkommen aus Ver-mögen und Gewinnen sind um 161 Milliarden Euro ge-stiegen, das heißt um 38 Prozent. Von den 206 Milliar-den Euro, die mehr erwirtschaftet worden sind, gingen161 Milliarden Euro an diese Bevölkerungsgruppe. Siemacht 10 Prozent der Bevölkerung aus. Sie machen alsoeinen Aufschwung für 10 Prozent der Bevölkerung;90 Prozent haben nichts davon. Das ist das eigentlicheProblem.

(Beifall bei der LINKEN)

Das war in der alten Bundesrepublik Deutschland an-ders. In den 50er-Jahren, in den 60er-Jahren, in den 70er-Jahren, selbst in den 80er-Jahren hat ein Aufschwungimmer dazu geführt, dass es auch Rentnerinnen undRentnern, Beschäftigten, Kranken etc. besser ging.Heute kann davon überhaupt keine Rede mehr sein. Mitdieser Veränderung der Politik müssen wir uns auseinan-dersetzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Veränderung begann mit der Regierung von SPDund Grünen und setzt sich jetzt in der Großen Koalitionvon Union und SPD fort. Das heißt, das galt unterSchröder und gilt auch jetzt unter Frau Merkel.

Schauen wir uns die einzelnen Gruppen an! In denletzten zehn Jahren gab es einen Rückgang der Löhneund Gehälter der abhängig Beschäftigten – ich möchteSie daran erinnern – von 5,1 Prozent. Wenn man diePreissteigerung in Höhe von 10 Prozent berücksichtigt,macht der Rückgang 6 Prozent aus. In allen anderen In-dustriegesellschaften – USA, Großbritannien und Frank-reich – gab es Lohnsteigerungen. Nur in Deutschlandgab es einen Rückgang von 6 Prozent.

(Otto Fricke [FDP]: Wollen Sie amerikanische Verhältnisse?)

Schauen wir uns einmal den Aufschwung in diesem Jahran! Die neuen Lohnabschlüsse gleichen nicht einmal dieVerluste der letzten zehn Jahre aus. Von Aufschwungkann in diesem Zusammenhang überhaupt keine Redesein.

(Beifall bei der LINKEN)

Sagen Sie den 50 000 Mitarbeitern der Telekom docheinmal, dass sie einen Aufschwung erleben! Der Auf-schwung besteht darin, dass sie ausgegliedert werdenund pro Woche vier Stunden länger arbeiten müssen,ohne dafür einen einzigen Cent mehr Lohn zu erhalten.Das ist unverschämt, und das hat mit Aufschwung nichtszu tun.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Norbert Röttgen[CDU/CSU]: Das ist ja ganz schlimm! –Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Oh ja! Ganzschlimm! Eine Erhöhung von 34 auf 38 Stun-den!)

Nun komme ich auf die Rentnerinnen und Rentnerzu sprechen. Sie hatten seit vier Jahren Nullrunden zuverzeichnen. Sie wissen ganz genau: In Anbetracht derPreissteigerungen sind Nullrunden in Wirklichkeit Minus-runden. Nun kam es zu einer Steigerung von „gewalti-gen“ 0,54 Prozent. Dem ist gegenüberzustellen, dass dieBeiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und zurPflegeversicherung steigen werden. Dabei müssen auchdie Mehrwertsteuererhöhung und die Inflationsrate be-rücksichtigt werden. Wenn man all das einbezieht, stelltman fest: Für die Rentnerinnen und Rentner kommt wie-derum eine Minusrunde heraus, nichts anderes.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Genau!)

Das ist der Aufschwung für die Rentnerinnen und Rent-ner.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte noch etwas weiter in die Vergangenheitblicken. Unter Kanzler Kohl wurde die alte Rentenfor-mel verändert. Nach der alten Rentenformel wurden dieRentnerinnen und Rentner an Lohnsteigerungen und anProduktivitätssteigerungen beteiligt. Union und FDP be-schlossen damals eine neue Formel. Dann kam eine neueRegierung unter Kanzler Schröder – damals war OskarLafontaine, wenn ich Sie daran erinnern darf, übrigensnoch Vorsitzender der Sozialdemokratischen ParteiDeutschlands und Bundesfinanzminister –, und siehe da:Was beschloss die damalige Koalition? Sie beschloss,die neue Rentenformel nicht in Kraft treten zu lassen,sondern es bei der alten Formel zu belassen, um dieRentnerinnen und Rentner weiterhin an Lohnsteigerun-gen und Produktivitätssteigerungen zu beteiligen.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von derCDU/CSU: Allerdings! Das war einer der gro-ßen Fehler von Lafontaine!)

Nachdem etwas Zeit vergangen war, stellte sich HerrSchröder allerdings hier hin, entschuldigte sich beiUnion und FDP dafür, dass er die neue Kohl’sche Ren-tenformel zurückgenommen hatte, und führte sie wiederein. Seitdem werden die Rentnerinnen und Rentner anLohn- und Produktivitätssteigerungen nicht mehr betei-ligt.

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb erleben sie keinen Aufschwung. Korrigieren Siedas, wenn Sie diesen Zustand ändern wollen!

(Ludwig Stiegler [SPD]: Die Sache mit derRentenformel haben Sie wirklich nicht ver-standen!)

– Sie haben etwas geändert. Sie haben dafür gesorgt,dass man heutzutage noch später als früher Rente be-kommt. Dazu kann ich nur sagen: Das ist ja ein tollerAufschwung!

Page 20: Deutscher Bundestag - CDU/CSU 0507.pdfPlenarprotokoll 16/108 (Zu diesem Protokoll folgt ein Nachtrag) Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 108. Sitzung Berlin, Donnerstag, den

11060 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007

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Dr. Gregor Gysi

(Beifall bei der LINKEN)

Insofern verstehe ich nicht, wie Sie, Herr Stiegler,darauf kommen, dass hier kein Sozialabbau stattgefun-den habe. Lohnkürzungen sind Sozialabbau. Rentenkür-zungen sind Sozialabbau. Die Belastungen der Kranken,die aus Ihren Gesetzen resultieren, sind Sozialabbau. Siekönnen doch nicht so tun, als hätte es all das nie gege-ben.

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt frage ich Sie: Gibt es einen Aufschwung für dieKranken? Die Praxisgebühren und die Zuzahlungen zuMedikamenten bleiben. Nichts hat sich für die Krankenverbessert. Selbst die ehemaligen Härtefallregelungenhaben Sie aufgehoben. Wir werden beantragen, dass Siedie Härtefallregelungen, durch die Patienten von Zuzah-lungen befreit werden, in der gleichen Form wie früherwieder einzuführen. Ich bin sehr gespannt, ob Sie dieKranken zumindest insoweit am Aufschwung teilneh-men lassen oder nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt komme ich auf die Zahl der Arbeitslosen zusprechen, auf die Zahl, auf die Sie immer stolz hinwei-sen. Das Schicksal derjenigen, die heute arbeitslos sind,verbessert sich um keinen Deut. Gibt es eine einzigeEntscheidung von Ihnen, die zur Folge hat, dass die Ver-mittlung verbessert wird, die Weiterbildungsmöglichkei-ten erweitert werden oder die materielle Ausstattung derArbeitslosen verbessert wird? Gibt es eine einzige Ent-scheidung von Ihnen, die dazu führt – das wurde sogaraus den Reihen der Union gefordert –, dass jemand, der25 Jahre oder länger in die Arbeitslosenversicherungeingezahlt hat, auch länger Arbeitslosengeld I bekommt?Nichts dergleichen! Sie beschließen nicht eine einzigeVerbesserung für Arbeitslose. Deshalb nehmen sie amAufschwung nicht teil.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. ReinhardGöhner [CDU/CSU]: Doch! Das tun sie! Wirschaffen nämlich mehr Arbeitsplätze!)

– Das ist mir klar; dazu sage ich jetzt etwas.

Zum Rückgang der Zahl der Arbeitslosen. Die eineHälfte derjenigen, die gegenwärtig beschäftigt sind, ar-beitet im Unterschied zu ihrer vorherigen Situation inMini- und Midijobs. Keiner von uns würde je einem sol-chen Job nachgehen; denn dann wären wir nicht mehr inder Lage, unsere Familien zu versorgen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die andere Hälfte derjenigen, die nun beschäftigt sind,ist sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Dabei han-delt es sich um mehr als 500 000 Personen. Zu den500 000 Personen, die sozialversicherungspflichtig be-schäftigt sind, möchte ich Ihnen zwei Dinge sagen: Ers-tens sind unter ihnen viele, die sich in Leiharbeitsver-hältnissen befinden. Das ist eine moderne Form derSklaverei, die wir überwinden müssen;

(Beifall bei der LINKEN)

diese Arbeitsverhältnisse drücken übrigens auch auf dieSituation der anderen Beschäftigten. Zweitens werdenviele von ihnen extrem schlecht bezahlt. Sie bekommennur 800 oder 900 Euro netto und leben am Existenzmini-mum. Darauf kann man nicht so stolz sein, wie Sie essind.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Reinhard Göhner[CDU/CSU]: Aber auf die Arbeitslosen, oderwas?)

– Nein, das habe ich nicht gesagt. Wir sollten uns darumkümmern, dass die Leute anständig und würdig bezahltwerden. Führen Sie einen gesetzlichen Mindestlohn von8 Euro brutto pro Stunde ein! Dann wären wir viele Pro-bleme in Deutschland los.

(Beifall bei der LINKEN – Manfred Grund[CDU/CSU]: Fangen Sie damit doch bei denMitarbeitern Ihrer Fraktion an!)

Unerfreulich ist außerdem, dass die Zahl der Lang-zeitarbeitslosen so gut wie gar nicht zurückgegangenist. Das sind gerade jene, die Hartz IV beziehen.

(Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Auchdas ist falsch! Sie haben überhaupt keine Ah-nung!)

– Es sind rund 2,4 Millionen geblieben, Herr Meyer. Siekönnen die Tatsachen hier nicht einfach wegreden.

(Beifall bei der LINKEN – Hartmut Koschyk[CDU/CSU]: Und so jemand war in BerlinWirtschaftssenator!)

Für die haben Sie keine einzige Verbesserung beschlos-sen.

(Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: KeineAhnung! Wer hier so redet, hat das letzte Malvor vier Wochen Zeitung gelesen!)

Es gibt einen Effekt des Aufschwungs – das ist wahr –:Die Zahl der ALG-I-Empfänger ist deutlich gesunken.Die Bundesagentur für Arbeit verfügt daher überÜberschüsse. Nun ist die spannende Frage: Was machenwir mit diesem Geld? Da streitet sich die Koalition. Dieeinen möchten, dass der Beitrag zur Arbeitslosenversi-cherung gesenkt wird; dann wissen wir nachher wiedernicht, wie wir die Arbeitslosen bezahlen sollen. HerrSteinbrück schlägt vor, die Überschüsse für den Bundes-zuschuss zur Krankenversicherung zu verwenden. Ichsage: Beides geht nicht. Wir fordern stattdessen, mit denÜberschüssen statt Arbeitslosigkeit Arbeit zu finanzie-ren. Wir brauchen einen öffentlich geförderten Beschäf-tigungssektor,

(Beifall des Abg. Oskar Lafontaine [DIE LINKE])

und zwar in erster Linie, damit wichtige Tätigkeiten aufden Gebieten der Ökologie, der Bildung und der Kulturendlich verrichtet werden, aber auch damit die Arbeits-losigkeit endlich abgebaut werden kann.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der FDP: Endlich wieder volkseigene Betriebe!)

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11061

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Dr. Gregor Gysi

Herr Müntefering hat diesbezüglich einen guten Vor-schlag gemacht. Er hat gesagt, er will den KommunenGeld geben, damit die Kommunen Leute öffentlich ge-fördert beschäftigen etc. Wir leugnen nicht, dass dieserVorschlag gut ist. Er hat allerdings zwei extreme Schön-heitsfehler: Der eine ist, dass Herr Müntefering sagt:Wer drei Jahre gefördert beschäftigt wurde, bekommt,wenn er arbeitslos wird, kein Arbeitslosengeld I. Dasmüssen Sie korrigieren. Sonst bekommt das wieder ei-nen unmenschlichen Zug.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Der andere ist, dass er sagt: Das meiste müssen natürlichdie Kommunen bezahlen. Der Bund bezahlt nur das, waswir bei Hartz IV einsparen. – Auch das ist nicht gerecht.Der Bund kann sich nicht zulasten der Kommunen ausseinen Aufgaben herausstehlen.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber die Idee ist vernünftig. Wir brauchen einen sol-chen, öffentlich geförderten Beschäftigungssektor.

Dann stellen wir noch die spannende Frage, ob Ost-deutschland von dem Aufschwung etwas hat. Wie siehtes aus? Kein einziger Vorschlag von Ihnen, damit Ost-deutsche endlich den gleichen Lohn für gleiche Arbeit ingleicher Arbeitszeit erhalten! Kein einziger Vorschlagvon Ihnen, damit Rentnerinnen und Rentner im Ostenfür die gleiche Lebensleistung endlich die gleiche Renteerhalten! Kein einziger Vorschlag von Ihnen, damit im Os-ten Deutschlands und in strukturschwachen RegionenWestdeutschlands die Kommunen Investitionsmittel erhal-ten, um eigene Wirtschaftskreisläufe in Gang zu setzen!Menschen im Osten und in strukturschwachen Regionenspüren vom Aufschwung nichts.

Der Aufschwung, den wir jetzt haben, wird haupt-sächlich durch den Export getragen; das festzuhalten istwichtig. Die Exporte haben im letzten Jahr um12,5 Prozent zugenommen, die Exporte nach China undRussland sogar um etwa 30 Prozent. Übrigens nahmendie Exporte in die USA erstmalig ab; auch darüber lohntes sich nachzudenken. Zugenommen haben auch die In-vestitionen in Anlagen und Ausrüstung und im Bau.Aber jetzt kommt das Spannende: Die Steigerung derAusgaben für den privaten Konsum in Deutschland liegtbei 0,4 Prozent; sie findet so gut wie überhaupt nichtstatt. In diesem Jahr wird sie noch niedriger sein, weil imJanuar die Mehrwertsteuererhöhung hinzukam. Nunmüssen Sie wissen, dass vier Fünftel der Unternehmenin Deutschland von der Binnenkonjunktur leben. Nur einFünftel lebt vom Export und von den anderen Bereichen.Für vier Fünftel gibt es also keinen oder nur einen gerin-gen Aufschwung. Selbst in der Wirtschaft geht es extremungerecht zu.

(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von derCDU/CSU: Absoluter Schwachsinn! Stimmtnicht! 40 Prozent!)

Vier Fünftel der Wirtschaft und die große Mehrheit derarbeitenden und arbeitslosen Bevölkerung haben vomAufschwung wenig oder nichts. Ich nenne Ihnen zweiZahlen – die können Sie nicht leugnen –: – –

Präsident Dr. Norbert Lammert: Vielleicht sollten Sie sich auf eine beschränken.

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Aber die gehören eng zusammen, Herr Präsident, die

wollen Sie beide hören. Dann schließe ich auch.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Nein.

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Von Januar bis Mai 2007 hatten wir im Einzelhandel

einen „Aufschwung“ von minus 1,5 Prozent, bei großenWarenhäusern sogar von minus 8,4 Prozent. Das ist dieRealität. Sorgen Sie endlich dafür, dass es einen Auf-schwung gibt, der zu mehr Wohlfahrt für die breiteMehrheit der Bevölkerung führt! Aber das scheinen Siekonsequent zu verhindern. Das ist Ihr Problem, und des-halb wächst Ihre Akzeptanz nicht, und zwar zu Recht.

(Beifall bei der LINKEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Dr. Norbert Röttgen

für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Rede, die wir gerade gehört haben, hat deutlich gemacht,dass es in diesem Land eine Gruppe gibt, die ein Pro-blem mit dem Aufschwung und dem Wachstum, die un-ser Land und die Menschen erleben, hat: die Linkspopu-listen in der deutschen Politik. Sie haben damit einProblem, weil ihre Fraktion und ihre Partei politischvom Ressentiment leben. Ihre Taktik ist es, Ängste zuschüren und die Sorgen der Menschen auszunutzen, da-mit sie parteipolitisches Kapital daraus schlagen können.

(Widerspruch bei der LINKEN – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: So ist es!)

Wenn die Menschen Zuversicht fassen und wieder Ver-trauen schöpfen, dann haben sie ein parteipolitischesProblem. Darum gilt: Gute Zeiten für das Land sindschlechte Zeiten für die PDS. Das ist ein Grund, weshalbwir gute Zeiten für dieses Land wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Das führt mich zur ersten von drei etwas grundsätz-licheren Anmerkungen, die ich machen möchte. Dieerste Frage ist: Welches Wachstum wollen wir? Wir, dieCDU/CSU, sind der Auffassung, dass Wachstum nichtallein eine ökonomische Größe ist. Wachstum ist keinSelbstzweck, sondern muss sich als Ziel legitimieren.Wir wollen Wachstum, wenn und weil es den Menschendient. Wir freuen uns über die Entwicklung, die wir der-zeit haben, und befördern sie, weil dieses Wachstumzum Arbeitsplatzwachstum in diesem Land geführt

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11062 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007

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Dr. Norbert Röttgen

hat. Das ist das Wichtigste, was Wachstum den Men-schen vermittelt, weil es Sinn und Teilhabe bedeutet. Da-rum mäkeln wir nicht am Arbeitsplatzwachstum herum.Die Zeitarbeit profitiert ebenfalls vom Arbeitsplatz-wachstum, was wir begrüßen. Auch geringfügige Be-schäftigungsverhältnisse sind besser als Arbeitslosigkeit,weil sie eine Brücke in den Arbeitsmarkt bedeuten. Ge-rade für die Schwächeren ist das eine wesentliche Brü-cke.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir wollen und befördern ökologisches Wachstum.Das bedeutet, dass wir zur Erreichung wirtschaftlicherZiele die Natur immer weniger in Anspruch nehmen dür-fen. Wir wollen qualifiziertes Wachstum durch neueIdeen und Innovationen. Ich betone den Begriff des qua-litativen, gesunden Wachstums deshalb, weil wir derÜberzeugung sind, dass wir Wachstum nur dann sichern,wenn wir es auch wollen. Dann müssen wir aber die Dis-kreditierung, Ablehnung und Infragestellung des Wachs-tums als Ziel – wie sie auch in unserem Land in den70er-Jahren begonnen hat – durch die Einführung einesKonzeptes für qualifiziertes und gesundes Wachstumüberwinden. Wir brauchen eine solche Definition vonWachstum und einen neuen Wachstumsbegriff. Gesun-des Wachstum ist unser Ziel für unser Land.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zweite Bemerkung: Was ist unsere Strategie, um die-ses Ziel zu erreichen? Genauer gesagt: Wie sichern wirunter den Bedingungen der Globalisierung nachhaltigesWachstum für unser Land? Ich glaube, dass man dafüreine Doppelstrategie braucht. Es sind zwei strategischeZiele, die wir erreichen müssen.

Das erste Ziel lautet: Wir wollen und brauchen für un-ser Land die besten Wettbewerbsbedingungen. Wir wol-len weiter Gewinner der Globalisierung sein. UnserLand ist ein klassischer Gewinner der Globalisierung,und wir wollen die Bedingungen schützen, erhalten undfördern, damit wir weiterhin Gewinner der Globalisie-rung sein werden.

Das zweite strategische Ziel lautet: Teilhabe derSchwächeren an diesem Prozess. Es ist kein Automatis-mus, dass alle davon profitieren, sondern es bedarf deraktivierenden und brückenbauenden Rolle des Staates,um die Schwächeren vom Rand in die Mitte zu bekom-men.

Das ist unsere Doppelstrategie: Wir wollen Wettbe-werb und die Teilhabe der Schwächeren erreichen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

In Bezug auf den ersten Punkt, den Wettbewerb, mussdie Große Koalition das fortsetzen, was sie begonnenhat. Es gibt eben auch politische Gründe für den Wachs-tumsprozess, den wir haben. Wir haben eine Unterneh-mensteuerreform beschlossen und müssen sie durch eineRegelung für Wagniskapital fortsetzen; der Bundeswirt-schaftsminister hat es angesprochen. Wir haben mit derHaushaltskonsolidierung begonnen. Das ist aber einProzess, der nicht beendet ist. Es gibt keine Volkswirt-schaft, die ohne konsolidierte Staatsfinanzen nachhaltig

erfolgreich ist. Wir haben Sozialreformen in die Wegegeleitet, und wir brauchen weitere Sozialreformen. Wirhaben die Instrumente zum Bürokratieabbau geschaffen.Jetzt müssen wir die Bürokratie auch abbauen. Darumsage ich für unsere Fraktion: Wir wollen in dieser Legis-laturperiode das Ziel, die Bürokratie bis 2009 messbarabzubauen, erreichen. Bei diesem Ziel muss es bleiben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Zweitens: Teilhabe der Schwächeren. Durch die Glo-balisierung wurde der Automatismus, den es unter denBedingungen des Nationalstaates und der Nationalöko-nomie noch gab, dass sich nämlich volkswirtschaftlichesWachstum im Grunde eins zu eins zu einem breiten indi-viduellen Wohlstandswachstum transponiert, aufgelöst.Unser Land ist Gewinner. Wir haben viele Gewinner.

Globalisierung bedeutet aber auch, dass es Verliererund Verluste gibt. Das müssen wir, die wir ein positivesVerhältnis dazu haben, verantwortlich ansprechen, damitmit den Sorgen und Ängsten, die mit dem Prozess derGlobalisierung verbunden sind, kein Schindluder getrie-ben wird. Wir müssen denjenigen, die sich durch dieGlobalisierung bedroht fühlen, eine Heimat geben; dennam häufigsten sind es psychologische Verluste. Die An-forderung an Mobilität und Flexibilität, der Verlust vonBerechenbarkeiten, Sicherheiten und Lebensroutinen –das macht den Menschen und insbesondere den Schwä-cheren zu schaffen. Ich finde, auch wir, die CDU/CSU,müssen dies aussprechen, weil wir die Globalisierunggestalten wollen. Darum muss das ein Teil unserer Stra-tegie sein.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Ich möchte das, was Michael Glos gesagt hat, aus-drücklich betonen. Man kann vieles dazu sagen, abereines ist das Wichtigste und für diejenigen, die vomMenschen und seiner Würde ausgehen, auch program-matisch: Mit dieser Strategie wird auf die Befähigungder Einzelnen gesetzt und in das menschliche Vermö-gen investiert, damit die Menschen befähigt werden, mitdiesem Prozess klarzukommen. Darum ist die Erziehungder Kleinen wichtig, und deshalb geht es bei der Betreu-ung nicht nur um den Aufenthaltsort der Kinder, sondernauch um die Qualität. Vorschulische Bildung, schulischeBildung, Qualifikation, Forschung und Wissenschaft –das ist der goldene Weg für unser Land, den wir gehenund befördern müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD –Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Sie haben sich herauskatapultiert!)

Sie haben recht: Wir müssen nicht nur noch besserwerden, wir sind zum Teil auch schlecht, nicht gut ge-nug, und wir genügen den Anforderungen nicht. Ich willein Beispiel nennen und formuliere es nicht als Vorwurf,aber das Problem muss beschrieben werden: Nach dem,was ich gerade gesagt habe, ist es nicht akzeptabel – ichstehe nicht an, zu sagen, es ist skandalös –, dass jedesJahr nach wie vor fast jeder zehnte Jugendliche in die-sem Land die Schule ohne Abschluss verlässt.

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11063

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Dr. Norbert Röttgen

(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Woran liegt das denn?)

Wir dürfen das nicht hinnehmen, weil wir dadurch Au-ßenseiter in unserer Gesellschaft programmieren. Das istnicht akzeptabel.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vielleicht darf ich nach theoretischer Beschäftigung– fast würde ich sagen: trotz praktischer Beschäftigung –mit dem Föderalismus sagen: Wenn es sich erweisensollte, dass die Länderzuständigkeit dazu führt, dass wirübergreifende Probleme auf diesem Gebiet nicht lösen,dann gerät der Föderalismus in unserem Land in eine Le-gitimationskrise.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und derFDP – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Ich weiß, wer das eingeführt hat!Das waren Sie!)

Für mich bedeutet die Konsequenz aber nicht die Ab-schaffung von Länderkompetenzen, sondern wir appel-lieren, dass die Länderkompetenzen zur Problemlösungwahrgenommen werden. Die höchste Form der Wahr-nehmung von Länderkompetenzen besteht nicht darin,nach Bundesgesetzen oder Bundesgeld zu rufen. Wirwollen auch bei der Wahrnehmung von KompetenzenFöderalismus.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg.Ludwig Stiegler [SPD] und Beifall bei derFDP)

Das gehört zur Wettbewerbsfähigkeit; die Effizienz derOrganisation des Staates ist Teil der Wettbewerbsfähig-keit unseres Staates.

Eine dritte und letzte Bemerkung, die wegen der Zeitkürzer ausfallen muss, als ich möchte. Eine Wettbe-werbsstrategie bzw. eine Wachstumsstrategie für unserLand kann nie nur national definiert sein, sondern siemuss eine europäische, eine internationale Dimensionhaben. Nach meiner festen Überzeugung stehen wirdiesbezüglich in unserem Land, in Europa und weltweitam Beginn einer Debatte über Wettbewerb und Protek-tionismus, in der sich neue Fragen stellen. Es ist auchnur scheinbar paradox, dass die Globalisierung diese De-batte mit sich bringt, weil die Haltung vieler Menschenzur Globalisierung ambivalent ist.

Wir freuen uns, nach Jahrzehnten der Selbstverständ-lichkeiten wieder eine Debatte über Wettbewerb führenzu können. Unsere Fraktion wird diese Debatte offensiv,positiv und engagiert führen. Wir werden in dieser De-batte nachweisen können, dass wir der Globalisierungnicht ausgeliefert sind, sondern dass auch unter den Be-dingungen der Globalisierung eine Politik der ordnendenGestaltung ebenso nötig wie möglich ist. Nur diejenigen,die auf Abwehr, Aversion und Angst setzen, sind gestal-tungsunfähig zulasten der Schwachen, die auf eine Poli-tik der Gestaltung angewiesen sind.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Wir werden diese Debatte führen und nachweisen,dass Wettbewerb nicht nur rational das bessere Systemist, sondern auch in ethischer Hinsicht begründet undüberlegen ist. Es gibt kein System, das besser und mehrInformation und Transparenz ermöglicht, Innovationschafft und für die Kontrolle und Begrenzung von Machtsorgt. Auch das entspricht nicht Ihren Vorstellungen undErfahrungen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Wir wollen Wettbewerb, weil er auch zur Begrenzungder wirtschaftlichen Macht beiträgt.

Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege, denken Sie bitte an die Zeit.

Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Ich komme zum letzten Punkt. Wettbewerb bedeutet

nicht Schutzlosigkeit. Protektionismus bedeutet etwasanderes als Protektion. Der Staat muss Schutz gewähren.Darin liegen – historisch wie aktuell – der Sinn und derGrund, warum Staatlichkeit begründet worden ist. DerStaat kann Schutz gewähren: bei der behutsamen unddifferenzierten Kontrolle außereuropäischer, staatlichgelenkter Direktinvestitionen und beim Schutz desRechts auf geistiges Eigentum. Auch in vielen anderenFällen hat der Staat in Zeiten der Globalisierung eine ak-tuelle und vielleicht noch stärkere Schutzfunktion alsfrüher. Das ist die Herausforderung. Es geht nicht da-rum, die Globalisierung abzuwehren, sondern darum, indem Willen, sie bewältigen und gewinnen zu können,die Chancen zu nutzen, sie menschlich zu gestalten.

Danke.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Bei-fall bei der SPD sowie bei Abgeordneten derFDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf der Ehrentri-

büne hat soeben der Parlamentspräsident der Repu-blik Namibia, Herr Dr. Gurirab, mit seiner DelegationPlatz genommen. Im Namen aller Kolleginnen und Kol-legen des Deutschen Bundestages, von denen Sie eini-gen schon im Laufe Ihres Besuches begegnet sind, be-grüße ich Sie sehr herzlich.

(Beifall)

Herr Präsident, es ist uns eine große Freude, Sie undIhre Begleitung zu einem offiziellen Besuch in Deutsch-land zu Gast zu haben. Seit der Unabhängigkeit IhresLandes 1990 haben sich freundschaftliche und umfas-sende Beziehungen zwischen unseren Ländern ent-wickelt. Dazu haben sicherlich auch die beiden Nami-biaentschließungen des Deutschen Bundestags aus denJahren 1989 und 2004 beigetragen. Ich habe Ihnen ges-tern in unserem Gespräch bereits versichert, dass derBundestag der Zusammenarbeit unserer Parlamentegroße Bedeutung beimisst. Für Ihren Aufenthalt und Ihr

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Präsident Dr. Norbert Lammert

weiteres parlamentarisches Wirken begleiten Sie unserebesten Wünsche.

Wir setzen die Debatte fort. Nächster Redner ist derKollege Fritz Kuhn für Bündnis 90/Die Grünen.

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Herr Röttgen, Sie haben eine, wie ich finde, er-freulich programmatische Rede gehalten. Insbesonderefreut uns übrigens, dass Sie sich langsam dem Begriffdes qualitativen Wachstums nähern.

(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Wollen Sie den übernehmen?)

Ich bin gespannt, ob Sie dem Anspruch, den Sie formu-liert haben, auch in Bezug auf das Verhältnis von Ökolo-gie und Ökonomie tatsächlich genügen werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Erlauben Sie mir aber eine Feststellung, HerrRöttgen: Mit den großen Zügen, die die Bundesregie-rung – insbesondere der Wirtschaftsminister über dessenRegierungserklärung wir heute diskutieren – macht, ha-ben Ihre Ausführungen nicht viel zu tun.

(Widerspruch des Abg. Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU])

Das werde ich jetzt im Einzelnen aufzeigen. Wir habenuns gewundert, was uns Herr Glos präsentiert hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Ganze steht unter der Überschrift „Goldener Schnitt2012“. Er hat aber nicht näher ausgeführt, was er eigent-lich damit meint. Laut Werbebroschüre handelt es sichdabei um ein Programm, das bis zum Jahr 2012 keineneuen Schulden, massive Steuer- und Abgabensenkun-gen sowie Investitionen in Höhe von 70 Milliarden Eurovorsieht. Das ist das Vorhaben des Wirtschaftsministe-riums. Die zugrunde liegenden Annahmen sind ein jähr-liches Wachstum von 3 Prozent

(Dr. Reinhard Göhner [CDU/CSU]: Sie haben das nicht gelesen!)

und ein Ausgabenwachstum von 2 Prozent innerhalb dernächsten fünf Jahre. Im nächsten Jahr werden schon4,9 Prozent erreicht. Das heißt, der Fünfjahresplan ist – soist es nun einmal mit Fünfjahresplänen, Herr Glos; da hät-ten Sie sich bei Herrn Gysi erkundigen können – schon imersten Jahr Makulatur, da Sie ihn im Rahmen der Haus-haltsaufstellung durch den Bundesfinanzminister nichtdurchhalten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Menschen sollten einmal Ihre Broschüre lesen.Dort stehen so schöne Sätze wie folgender: „Staat undWirtschaft befinden sich zurzeit in einem Tugendkreis-lauf.“ Wer das nicht versteht, erfährt, dass das auf Latei-nisch „Circulus virtuosus“ heißt. Solche Geschichten er-zählt uns dieser Wirtschaftsminister.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich kann im Namen meiner Fraktion dazu nur sagen: Sieals oberster Tugendbold dieses Tugendkreislaufs, HerrWirtschaftsminister, das ist schon ein starkes Stück, dasim Parlament – zu Recht – nur auf Gelächter stoßenkann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Glos, uns ärgert, dass Sie kein Konzept zur Ver-stetigung des Wachstums vorlegen, das vorausschauendBedingungen festlegt, die sicherstellen, dass wir in dernächsten Konjunkturkrise besser dastehen als in der Ver-gangenheit. Sie schlagen keine strukturellen Änderungenvor. Wenn Sie etwas Neues machen wie bei der Kinder-betreuung, dann finanzieren Sie das mit Steuermehrein-nahmen aus dem gestiegenen Wachstum, aber nichtdurch den Abbau bestehender Strukturen wie beim Ehe-gattensplitting, um den Haushalt strukturell zu konsoli-dieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was wird denn aus Ihren Programmen, wenn die Kon-junktur wieder einbricht? Dann werden die Mittel für In-vestitionen, Bildung und Kinderbetreuung wieder gestri-chen werden müssen. Herr Röttgen, deswegen handelt essich um keine nachhaltige Politik – Sie sehen lediglichzu, dass Sie mit dem zusätzlichen Geld aus dem Wirt-schaftsboom schöne Tage verbringen –, sondern um einePolitik, die nicht auf eine strukturelle Konsolidierungabzielt.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sie haben nicht aufgepasst, Herr Kuhn!)

Frau Bundeskanzlerin, es wäre notwendig, in einerAufschwungphase – dann ist es leichter – die Sozialsys-teme in Ordnung zu bringen und weiter zu reformieren,das heißt, mehr Qualität aus den vorhandenen Mittelnund unter Beachtung der Lebenschancen künftiger Ge-nerationen – auch das bedeutet qualitatives Wachstum –herauszuholen. Aber wo sind die großen Reformen? DieGesundheitsreform ist Murks. Das haben Sie inzwischenselber eingesehen. Bei der Pflegeversicherung haben Siekeine Reform der Struktur, sondern eine Beitragssteige-rung beschlossen. Auf Arbeitsmarktreformen, die vor al-lem die Chancen der Langzeitarbeitslosen, wieder einenEinstieg zu finden, verbessern, warten wir noch immer.Und welch ein Theater führen Sie beim Einwanderungs-gesetz auf? Herr Glos und Frau Schavan sagen nun, manmüsse Gutqualifizierten die Einwanderung erleichtern.Aber, Herr Glos, bei der Verschärfung des Einwande-rungsgesetzes haben Sie den Mund nicht aufgemacht.Sie sind damals in die Furche gegangen und haben nichtsin dem Sinn bewegt, wie Sie es aufgeschrieben oderheute wortreich verkündet haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was Sie machen, ist zu wenig. Sie wollen zwar denAufschwung verlängern, führen aber keine Strukturre-formen durch. Soll man diese Reformen während dernächsten Konjunkturdelle machen, wenn es viel schwie-riger ist? Hier vergibt die Große Koalition Chancen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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Fritz Kuhn

Herr Glos, nun komme ich zu dem Punkt, den ich inIhrer Politik für völlig unverständlich halte. Sie sind inder Bundesregierung und der EU der oberste Bremser,wenn es um ökologische Modernisierung geht, undzwar auf allen Feldern. Für den Gebäudepass haben Siefast zwei Jahre gebraucht. Sie haben ihn so gemacht,dass er nicht das bringt, was er hätte bringen können.Frau Bundeskanzlerin, nun wird es wichtig, gerade imHinblick auf die Diskussionen auf dem Energiegipfel:Herr Glos hat noch nicht einmal die Blaupause für einEnergieeffizienzprogramm in der Schublade, das er bisEnde Juni bei der EU vorlegen sollte. Er hat gepennt. Erwill gar nicht mehr Energieeffizienz. Das ist jedenfallsunser Eindruck.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein Gesetz zur regenerativen Wärme? Keine Spur!Ein Gesetz zur Verbesserung der Kraft-Wärme-Kopp-lung? Keine Spur! Wer steht mit beiden Beinen auf derBremse, wenn es um die für einen effektiven Klima-schutz notwendige Festlegung von Verbrauchsobergren-zen für Fahrzeuge geht? Michel Glos, der ChefinnovatorDeutschlands, was ökologisches Bremsen angeht. DenTitel haben Sie sich zu Recht verdient.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist auch kein Wunder: Sie sind gegen Energieeffi-zienz, weil Sie der Sprecher der großen Energiekonzerneund insbesondere der Konzerne, die die Laufzeit derAtomkraftwerke verlängern wollen, im Wirtschaftsmi-nisterium sind. Uns erzählen Sie immer etwas von dertollen, verlässlichen Atomkraft. Schauen Sie einmal aufdas Kraftwerk Krümmel. Was hat man uns vor wenigenTagen erzählt? Der Vorfall habe sich nur außerhalb desReaktors ereignet. Gestern haben wir erfahren, dass eszum Druckabfall im Reaktordruckbehälter kam. Dieswurde noch verschwiegen. Ich würde der Bundesregie-rung – das geht auch an den Umweltminister – den Ratgeben, einmal die Verlässlichkeit des BetreibersVattenfall für Atomkraftwerke nach dem Atomgesetz zuprüfen und nicht dauernd auf der Bremse zu stehen,wenn es um neue Fragestellungen geht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie des Abg. Dr. Hakki Keskin [DIELINKE])

Ich komme zur Energieeffizienz. Frau Merkel, Siehaben einen Wirtschaftsminister, der am 24. Novem-ber 2004, also vor nicht allzu langer Zeit, in diesemHaus gesagt hat – ich zitiere –:

Mit dem so genannten EEG und Ähnlichem sind imGrunde Steuern für Spinnereien verbunden, die Ih-rer Ideologie entsprechen, die aber an der wirt-schaftlichen Wirklichkeit der Welt ein ganzes Stückvorbeigehen.

Wir haben fast 300 000 neue Arbeitsplätze im Bereichder erneuerbaren Energien geschaffen.

(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie haben gar nichts geschaffen!)

Im Rahmen der Effizienzstrategie der Bundeskanzlerinund der Energieszenarien soll diese Branche weiterwachsen. Aber der Chefbremser sitzt im Wirtschafts-ministerium

(Ludwig Stiegler [SPD]: Das macht der Gabriel!)

und soll dies jetzt, wie ich gelesen habe, bis Sommer zu-sammen mit dem Umweltminister ausarbeiten. FrauKanzlerin, da haben Sie wirklich den Bock zum Gärtnergemacht. Herr Glos will gar nicht, dass diese Branchewächst. Er hält das für Spinnerei. Dazu hätten Sie, HerrGlos, in Ihrem „goldenen Schnitt“ etwas sagen sollen,anstatt über Tugend zu philosophieren, wofür Sie meinesErachtens wahrhaft der Ungeeignetste sind, den die Bun-desregierung aufzubieten hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine Story war, dass Sie, Herr Glos, uns erzählt ha-ben, Sie seien der oberste Wettbewerbshüter im Sinneder sozialen Marktwirtschaft à la Ludwig Erhard. Wirhaben uns einmal angesehen, was Sie, Herr Glos, tat-sächlich geleistet haben. Beim Telekommunikationsge-setz haben Sie Ihr ursprüngliches Vorhaben aufgegeben.Jetzt klagt die EU, damit das, was Sie beschlossen ha-ben, nicht stattfinden kann. In Sachen Bahn haben Sie,Herr Glos, sich monatelang in den Medien als Wettbe-werbshüter dargestellt, aber jetzt sind Sie eingeknickt.Wenn dem großen Veranstalter Bahn für 18 Jahre dasNetz überlassen werden soll, dann frage ich mich, woder Wettbewerbshüter Michel Glos war, als es darumging, das Netz, das ich als öffentliches Gut betrachte,wirklich allen zur Verfügung zu stellen – wieder in derFurche.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt komme ich zu Ihrer Arbeitsweise. Sie macheneinige Monate ein bisschen Wind, schauen, dass Sie einbestimmtes Image bekommen, und wenn es hier imHause, in der Bundesregierung oder in der EU zumSchwur kommt, dann geht Michel Glos als Erster in dieFurche und weiß nicht mehr, wovon er geredet hat. Wett-bewerbshüter sind Sie mit dieser Politik nicht.

Ich bringe ein weiteres Beispiel.

(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Re-den Sie mal zur Sache!)

Als Wirtschaftsminister sind Sie dafür verantwortlich,ob die Doharunde – die WTO-Verhandlungen – erfolg-reich wird oder nicht. Die Verhandlungen sind jetzt ge-scheitert. Einer der wesentlichen Gründe dafür war, dassdie Europäer und die Amerikaner nicht in der Lage wa-ren, von der Subventionierung ihrer Agrarexporte abzu-sehen und so den Entwicklungsländern eine neueChance auf dem Weltmarkt zu geben. Wo war der Vor-schlag des Wettbewerbshüters Michel Glos an dieserStelle? Er hat keinen einzigen gemacht, um die Doha-runde flottzumachen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Er hat sich hinter den Subventionen für die bayerischenGroßbauern versteckt, aber Wettbewerb hat es nicht

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Fritz Kuhn

gebracht, was Sie gemacht haben. Sie haben völlig dabeiversagt, einen positiven deutschen Beitrag zur Doha-runde zu leisten. Deswegen, so finde ich, haben LudwigErhard, Walter Eucken, Müller-Armack, die Sie als IhreAhnen reklamiert haben, in Ihnen jedenfalls bislang kei-nen positiven Nachfahren gefunden.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN – Dr. h. c. HansMichelbach [CDU/CSU]: Das ist ja peinlich!)

Der „goldene Schnitt“, den Sie hier vorgelegt haben,Herr Glos – damit komme ich zum Schluss –,

(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist nur noch peinlich!)

ist ein ziemlich großer Mist. Es ist Lyrik, eine Samm-lung von Zahlen und Sachen, die sich nicht bestätigt ha-ben. Deswegen haben übrigens der Finanzminister unddie Bundeskanzlerin gesagt, dass sie Ihre Zahlen, näm-lich 70 Milliarden Euro zu investieren, die Steuern zusenken, die Sozialabgaben zu senken und erst 2012 zukonsolidieren, nicht nachvollziehen können. Sie sind mitdiesem Programm eigentlich auch in der Bundesregie-rung vollständig auf die Nase gefallen – ich finde, zuRecht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist der Kollege

Dr. Rainer Wend.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dr. Rainer Wend (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten

Sie mir, zunächst auf drei meiner Vorredner einzugehen.Das ist in einer Debatte ja auch sinnvoll.

Herr Kollege Brüderle, Sie haben zu Beginn der Aus-sprache gesagt, der Aufschwung sei nicht der Politik zuverdanken, sondern den Bürgerinnen und Bürgern. Es istwidersprüchlich, in Zeiten des konjunkturellen Ab-schwungs die Fehler und Ursachen ausschließlich beider Politik zu suchen und in Zeiten des konjunkturellenAufschwungs zu behaupten, die Politik habe damit über-haupt nichts zu tun. Was haben Sie, Herr KollegeBrüderle, eigentlich für ein Demokratieverständnis?Die demokratisch gewählten Abgeordneten des Deut-schen Bundestages sind die Repräsentanten der Bürge-rinnen und Bürger. Sie sind nichts Fremdes, sie sind keinNeutrum, sondern die Vertretung der Bürgerinnen undBürger. Einen Gegensatz zwischen Bürgern und Politikzu konstruieren, ist in Wahrheit demokratieschädlich undfalsch, Kollege Brüderle. Dieser Versuch muss deutlichzurückgewiesen werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Ich möchte gern einige Worte zum Kollegen Gysi sa-gen. Er hat hier eine Rede gehalten, durch die mir wiedersehr deutlich geworden ist, warum uns, die Linksparteiund die Sozialdemokratie, eigentlich Welten trennen.

Erstens. Sie haben gesagt – ich verstehe das, weil esaus parteitaktischen Gründen geschehen ist –, dieserAufschwung sei nicht bei den Bürgerinnen und Bürgernangekommen. Meine Erwiderung ist ganz einfach: Wennheute 1 Million Menschen mehr in Arbeit sind als vor ei-nem Jahr, dann ist bei diesen Menschen der Aufschwungangekommen. Der Aufschwung ist nicht nur bei ihnenangekommen, sondern auch bei denen, die in Arbeit sindund ein Stück weit weniger Angst um ihren Arbeitsplatzals früher haben müssen. Ich wiederhole: Auch bei de-nen ist der Aufschwung angekommen, Kollege Gysi.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Zweitens. Sie haben sich mit der – dieser Punkt istfast noch wichtiger – Veränderung der Rentenformel inder rot-grünen Koalition auseinandergesetzt. Wer denBürgerinnen und Bürgern angesichts der Globalisierungund der demografischen Entwicklung – ein sich immerrascher wandelnder Arbeitsmarkt, Variabilität von Inves-titionen; durch einen Knopfdruck können auf der ganzenWelt innerhalb von Sekunden Milliardenbeträge ver-schoben werden; wir leben zum Glück immer länger undkönnen immer länger Rente in Anspruch nehmen; eswachsen immer weniger junge Leute nach, die in dieRentenversicherung einzahlen – verspricht, es könne al-les so bleiben, wie es gewesen sei, versündigt sich anden Menschen. Das Gegenteil ist richtig.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Wer jetzt keine Reformen der sozialen Sicherungssys-teme in Angriff nimmt und darauf verzichtet, eine ent-sprechende Wirtschafts- und Finanzpolitik zu betreiben,wird den Wohlstand für künftige Generationen in Wahr-heit verspielen. Weil wir das nicht wollen, glauben wir,dass die Linkspartei in unserer Republik nicht koali-tionsfähig ist.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Jörg van Essen [FDP]: Das gilt auch für Berlin!)

Kollege Röttgen, zu Ihrer bemerkenswerten Rede ei-nes aufgeklärten Konservativen: Ich würde mich freuen,wenn es Ihnen gelänge, mit dieser Positionierung auchdie Kolleginnen und Kollegen in Bayern und Baden-Württemberg zu erreichen. Ich finde, Sie haben mit Ih-rem Ansatz völlig recht: Wirtschaftspolitik ist auchGeldpolitik, ist auch Investitionspolitik, ist auch Haus-haltskonsolidierung.

Wirtschaftspolitik ist aber immer auch Gesellschafts-politik. Was heißt das konkret? Die Wirtschaft kann nurerfolgreich sein, wenn Bildung erfolgreich vermitteltwird. Damit meine ich nicht nur – das haben Sie zuRecht angesprochen – die Bildung im oberen Qualifika-tionsbereich. Bildung heißt auch, dass die Kinder in un-serer Gesellschaft, die in benachteiligten Familien leben,eine Chance auf Bildung und Ausbildung bekommen,damit es aufhört, dass in unserer Gesellschaft nur diestudieren können, deren Eltern ihrerseits auch schon stu-diert haben. Wir wollen, dass sich das ändert. Das mussman dann konkret machen. Das bedeutet zum BeispielGanztagsschulen, Ganztagsbetreuung und Ganztags-

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kindergärten. Deswegen ist es richtig, was die GroßeKoalition in diesem Bereich beschlossen hat. Das heißtaber auch, dass man Kinder nicht schon mit zehn Jahrenselektiert und ihnen sagt: Die einen sind nur gut für dieHauptschule, und die anderen sind gut für das Gymna-sium. – Wir wollen, dass sie zusammen länger erzogenund individuell besser gefördert werden.

(Beifall bei der SPD)

Wirtschaftspolitik heißt auch, sich die Frage zu stel-len, welche menschlichen Ressourcen wir nicht ausrei-chend ausschöpfen. Hier frage ich: Tun wir eigentlich al-les, um den Frauen in unserer Gesellschaft, in derWirtschaft die Stellung zu geben, die ihnen zusteht? Wirleisten es uns, qualifizierte Frauen mit Hochschulab-schlüssen, mit guten Ausbildungen im Arbeitsmarkt au-ßen vor zu lassen. Deswegen hat die Koalition recht,wenn sie die Betreuung von Kindern um der Kinder undder Mütter willen verbessert, damit sie in unserer Gesell-schaft und in unserer Wirtschaft den ihnen zustehendenPlatz gewinnen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN)

Wenn das richtig ist, dann frage ich, wie es damit ver-einbar ist, einen finanziellen Anreiz dafür zu setzen, dassdie Mütter zu Hause bleiben, anstatt ihre Qualifikationenin Arbeit zu nutzen. Deswegen, meine ich, ist der Ansatzder Betreuungsprämie gesellschafts- und wirtschaftspo-litisch falsch.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN)

Wirtschaftspolitik ist Gesellschaftspolitik, aber auchUmweltpolitik. Denn wie können wir uns angesichts derKlimakatastrophe eine wirtschaftliche Entwicklung vor-stellen, ohne alle Potenziale für Energieeinsparung undalternative Energien zu nutzen? Ein „Weiter so“ in derEnergiepolitik ist nicht nur klimaschädlich, sondernauch wirtschaftspolitisch schädlich. Wir brauchen denganzheitlichen Ansatz in der Wirtschaftspolitik.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der FDP: Und nicht selektieren!)

Meine Damen und Herren, mit den Beispielen ver-suchte ich, deutlich zu machen, dass der Ansatz des Kol-legen Röttgen richtig ist: Wirtschaftspolitik ist auch Ge-sellschaftspolitik. Dann müssen wir es in dieser GroßenKoalition aber auch bis zum Ende durchdeklinieren unduns auf den harten Weg machen, diesen richtigen Aussa-gen die praktische Politik folgen zu lassen. Wir Sozial-demokraten sind dazu bereit, Kollege Röttgen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich gehe nun auf das Papier von Herrn Glos ein. Wiegeht es jetzt weiter? Die Ökonomen haben recht: In Pha-sen des wirtschaftlichen Aufschwungs kann man diegrößten Fehler machen. Der größte Fehler wäre jetzt, dasGeld mit vollen Händen zum Fenster hinauszuwerfen.Deswegen ist der Haushaltsentwurf des Bundesfinanz-ministers genau der, den wir in dieser Situation brau-

chen. In Zeiten des Aufschwungs müssen wir die struk-turellen Mehreinnahmen für Investitionen nutzen.Konjunkturelle Mehreinnahmen müssen wir aber für dieKonsolidierung des Haushaltes einsetzen, damit wir inanderen Zeiten, die zwangsläufig kommen werden, denSpielraum haben, antizyklische Politik zu machen undInvestitionen in unserem Land zu fördern.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Denn bei den Investitionen gibt es Nachholbedarf.

(Ludwig Stiegler [SPD]: Sehr wahr!)

Die Investitionsquote in Deutschland ist derzeit mit1,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes nur halb so hochwie der EU-Durchschnitt. Das kann auf Dauer nicht sobleiben. Dies gilt übrigens auch für die Bildungsinvesti-tionen. Deutschland investiert 4 Prozent des BIP in dasBildungswesen. 8,3 Prozent investieren beispielsweisedie Dänen. Das ist vorbildlich. Deswegen sage ich Ihnenals Sozialdemokrat: Haushaltskonsolidierung in gutenZeiten, aber auch in schlechten Zeiten. Investieren in In-frastruktur und in Bildung ist die Voraussetzung dafür,dass wir die konjunkturellen Zyklen, die es in unsererGesellschaft immer geben wird, möglichst gut im Griffbehalten.

Lassen Sie mich zum Abschluss noch eines anspre-chen: Arbeitnehmerbeteiligung. Dabei ist sich die Ko-alition im Ziel einig. Über die Methoden diskutieren wirnoch. Sie sagen: Wer im eigenen Betrieb investiert, be-kommt steuerliche Vorteile; die sollen ihn dazu anreizen.Ich finde, Ihr Vorschlag hat einen großen Vorteil, näm-lich die Förderung der Identifikation der Arbeitnehme-rinnen und Arbeitnehmer mit ihrem eigenen Betrieb.Das ist das Gute an diesem Modell.

Dieses Modell hat aber drei Probleme. Problem Nr. 1:die Portabilität; auf Deutsch: Wie wird es geregelt, wennein Arbeitnehmer den Betrieb verlässt? Problem Nr. 2:das doppelte Risiko von Arbeitsplatzverlust und Kapital-verlust. Das dritte Problem schließlich: Ihr Modell istverdammt teuer, weil viele Steuervorteile damit verbun-den sind. Es belastet den Haushalt mit mindestens1 Milliarde Euro. Wenn das Modell gut angenommenwürde, kostete es sogar noch viel mehr.

Angesichts dieser drei Probleme muss ich sagen: DasModell, das wir vorgeschlagen haben, das auf den erstenBlick nicht so perfekt erscheint, sichert vor Insolvenz, eshilft den Arbeitnehmern bei einem Betriebswechsel, undam Ende ist es für den Haushalt, den wir ja konsolidierenwollen, verträglicher.

Die Große Koalition streitet viel. Das muss auch sosein, weil wir für die nächsten Wahlen Konkurrentenbleiben. Wir bekommen zusammen aber auch viel hin,und darauf können wir gemeinsam stolz sein.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun erhält voraussichtlich zum letzten Mal in diesem

Hause der Kollege Dr. Reinhard Göhner, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)

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Dr. Reinhard Göhner (CDU/CSU): So ist es. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Herr Wend, Sie haben recht: Wir sind uns imZiel der Mitarbeiterkapitalbeteiligung einig. Ich finde,auch Sie haben einen bemerkenswerten Vorschlag vor-gelegt – darüber kann man reden –: Arbeitnehmerspar-zulage erhöhen, einen neuen Investmentfonds schaffen.Das Problem ist nur, dass das nichts mit Mitarbeiterkapi-talbeteiligung zu tun hat.

(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: So ist es!)

Wir wollen tatsächlich die Beteiligung am eigenenUnternehmen fördern und so die Motivation erhöhen,die Identifikation der Arbeitnehmer mit dem eigenenUnternehmen und die Beteiligung am Gewinn des eige-nen Unternehmens ermöglichen. Wer am Gewinn betei-ligt sein will, muss allerdings das Risiko des Verlustshinnehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich bin sicher: Wir werden bei gleicher Zielsetzung– stärkere Mitarbeiterkapitalbeteiligung – auch in dieserFrage eine Lösung finden.

Diese Debatte wird von zwei Fragen durchzogen:Wem nutzt dieser Aufschwung? Was ist eigentlich dieUrsache für diesen Aufschwung? Beides sind wichtigeFragen, weil sich daraus Konsequenzen für die künftigePolitik ableiten lassen.

Mal ehrlich: Wer vor 20 Monaten bei Antritt dieserRegierung prognostiziert hätte „1 Million weniger Ar-beitslose, 600 000 zusätzliche sozialversicherungspflich-tig Beschäftigte,“ – so viele waren es allein in den letz-ten 12 Monaten – „Senkung des Staatsdefizits von3,7 auf 1,7 Prozent, doppelt so viele offene Stellen,100 000 mehr angebotene Ausbildungsplätze“, den hätteich für unzurechnungsfähig erklärt.

Warum ist es trotzdem so gekommen? Das ist in derTat – darüber sind wir uns völlig einig – nicht allein dasWerk der Regierung. Der Welthandel? Jawohl, das isteine wesentliche Ursache. Aber der Welthandel ist auchvon 2001 bis 2005 expandiert,

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr wahr! Und trotzdem kein Aufschwung!)

als wir in einem Wechsel von Rezession und Stagnationin unserem Land zugesehen haben, wie andere Länderhohe Wachstumsraten erreichten und wir in der EU aufdie hinteren Plätze zurückgefallen sind.

(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Richtig! Ganz genau!)

Was also ist eigentlich passiert, dass wir jetzt wiedereine solide Wachstumsentwicklung haben?

Seit Ludwig Erhard wissen wir: Die Hälfte einer er-folgreichen Wirtschaftspolitik ist Psychologie.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Der Dreiklang von Sanieren, Reformieren und Investie-ren war die richtige Stimmungslage, mit der eine neue

Verlässlichkeit und Nüchternheit in die Politik eingezo-gen sind. Das ist für Marktbeteiligte in einer sozialenMarktwirtschaft ein Signal, auf dem sich Investitionenund bessere Zukunftsaussichten aufbauen lassen.

Nachdem hier eine kritische Bemerkung zum Verhält-nis von Angebots- und Nachfragepolitik gemachtwurde, Herr Stiegler, möchte ich doch auf Folgendeshinweisen: Wenn die klassische Nachfragetheorie, alsodie neosozialistische Theorie der Linken zuträfe, müss-ten wir jetzt Rezession und explodierende Arbeitslosen-zahlen haben. Was ist nämlich passiert? Die Löhne sindin den letzten Jahren – das ist wahr – nur mäßig gestie-gen, die Lohnstückkosten sind drei Jahre in Folge gesun-ken, die Staatsquote und das Staatsdefizit sind gesunken,die Neuverschuldung wurde halbiert, die Notenbank-zinsen steigen. All das sind Umstände, die nach der klas-sischen Nachfragetheorie eigentlich zu Rezession undexplodierenden Arbeitslosenzahlen führen müssten.Diese Theorie ist durch die Fakten widerlegt.

Es ist wichtig, daran zu erinnern, was die Politik zumAufschwung beigetragen hat, weil wir diese Politik jetztfortsetzen müssen. Die Neigung, angesichts voller Kas-sen und höherer Beschäftigungsquote, also in einemAufschwung, wieder andere Pfade einzuschlagen, ist lei-der nicht zu übersehen.

(Zuruf von der FDP: Sehr wahr!)

Deshalb möchte ich einige Punkte beleuchten.

Erstens. Die moderaten Lohnabschlüsse haben zudiesem wirtschaftlichen Aufschwung beigetragen. Dasist, wie ich glaube, unstreitig; alle Ökonomen sagen das.In der Konsequenz mögen uns die Politik der Tarifpart-ner und die Tarifvertragsabschlüsse manchmal nicht ge-fallen: Den einen sind sie zu hoch, den anderen zu nied-rig; den einen sind sie nicht flexibel genug, den anderenzu locker. Einen Schluss können wir aber aus der Ent-wicklung der letzten Jahre ziehen: Die Tarif- und Be-triebspartner können das allemal besser, als wir Politikerbzw. der Staat es jemals könnten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Zweitens. Zu der positiven Entwicklung auf dem Ar-beitsmarkt haben die Arbeitsmarktgesetze der letztenJahre ganz sicher beigetragen.

Es ist wahr – damit komme ich zu der Frage, wie essich mit dem Nutzen dieser Reformen verhält –: Wir ha-ben in den Vorjahren vielen Menschen viel zugemutet.Die Arbeitsmarktreformen erschienen zumindest vielenals Zumutung, zum Beispiel weil wir die Bezugsdauerfür Arbeitslosengeld gekürzt haben. Die Tarifpolitik er-schien zumindest vielen als Zumutung, weil es für vielekeine Steigerung des Realeinkommens gab und manchefür das gleiche Geld länger arbeiten mussten. Aber jetztstellt sich heraus: Solche Zumutungen bringen Ertrag,und zwar – das ist meine These bezüglich der Frage,wem der Aufschwung nutzt – Ertrag für die Schwächs-ten in unserem Lande, die Arbeitslosen und die Älteren,deren Beschäftigungsquote in Deutschland jahrelangsehr niedrig lag. Erfreulicherweise steigt die Erwerbs-

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Dr. Reinhard Göhner

quote der älteren Beschäftigten rasant an, und wir haben350 000 Langzeitarbeitslose weniger.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Also die schwächste Gruppe, das heißt die Arbeitslosen,die am schwierigsten einen Arbeitsplatz finden, profi-tiert. Deshalb kann man ganz eindeutig sagen, die Ar-beitsmarktreformen zeigen im jetzigen Aufschwungpositive Auswirkungen gerade bei den Schwächsten inunserem Lande.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Das sollte uns ermutigen, den bisherigen arbeitsmarkt-politischen Kurs fortzusetzen, statt in alte Fehler zurück-zufallen.

Zu diesem Kurs gehört auch – das hat sich die GroßeKoalition von Anfang an klar vorgenommen – die Redu-zierung der Abgabenlast. Das Konzept, das MichaelGlos vorgelegt hat, vollzieht hier wirklich einen Golde-nen Schnitt und ist damit goldrichtig. Es bleibt richtig,neben dem Abbau des Defizits als Priorität Nummer einsund neben der Verstärkung der Investitionen durch Um-schichtung die Abgabenlast, also die Lohnnebenkostenund die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge, zusenken, um Beschäftigung durch Wachstum, wieNorbert Röttgen richtig abgeleitet hat, zu fördern.

Die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversiche-rung von 6,5 auf 4,2 Prozent war ein solcher Beitrag zumehr Wachstum und Beschäftigung.

(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mehrwertsteuererhöhung!)

Heute wird die Bundesagentur für Arbeit in Nürnbergeine mittelfristige Finanzplanung vorlegen, aus der zuersehen ist, wie realistisch und nachhaltig, also für meh-rere Jahre gesichert, bei gleichzeitigem Aufbau einer all-gemeinen Liquiditätsrücklage und einer Rücklage fürPensionen bzw. einer Vorsorge für künftige Rentenlasteneine Beitragssenkung um einen vollen Prozentpunkt ist.Wir können nicht nur auf 3,5 Prozent, sondern sogarweiter absenken; da bin ich ganz zuversichtlich. Um esklar zu sagen: Die durch zuviel gezahlte Beiträge ent-standenen Überschüsse gehören niemand anderem alsden Beitragszahlern.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –Ludwig Stiegler [SPD]: Und wie ist es mitdem Bundeszuschüssen, die wir gezahlt ha-ben? Wem gehören die?)

– Herr Stiegler, wir haben zu Beginn dieser Legislatur-periode gemeinsam einen wichtigen Grundsatz festge-legt. Wir wollen die Beiträge zur Arbeitslosenversiche-rung senken, versicherungsfremde Leistungen inNürnberg durch Steuern finanzieren und dafür 1 ProzentMehrwertsteuer in die Kasse geben.

(Ludwig Stiegler [SPD]: Das haben wir auch getan!)

– Das haben wir in der Tat getan.

Das Gegenteil dieser richtigen Strategie wäre, Bei-träge aus der Kasse in Nürnberg in den Bundeshaushaltumzulenken –

(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Überflüssig!)

und das auch noch mit der Begründung, eindeutig versi-cherungsfremde Leistungen durch lohnbezogene Bei-träge finanzieren zu wollen.

(Zuruf von der FDP: Das habt ihr doch gestern beschlossen!)

Die Erfindung eines Eingliederungsbetrages wäre völ-lig konträr zu den von uns in der Koalition gemeinsamformulierten Zielen. Hartz IV ist keine Versicherungs-leistung, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabeder Grundsicherung. Und Eingliederungsleistungen, dieja auch für erwerbsfähige Arbeitslose erbracht werden,die noch nie einen Cent in die Arbeitslosenversicherungeingezahlt haben, sind so versicherungsfremd, wie es garnicht mehr versicherungsfremder sein kann.

Ich plädiere dafür, an der Zielsetzung der GroßenKoalition festzuhalten, die extrem hohen Sozialabgabenzu senken und zumindest die versicherungsfremdenLeistungen durch Steuern zu finanzieren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist der beschlossene Weg in der Krankenversiche-rung.

(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wird aber nicht umgesetzt!)

Das war zu Beginn der Koalition unser Weg in der Ar-beitslosenversicherung.

Wir sollten jetzt nicht das Gegenteil machen. Wirsollten die Strategie des Bundeswirtschaftsministerskonsequent umsetzen:

(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Schauen Sie sich einmal den Haushaltsentwurfvon gestern an!)

weiteren Defizitabbau; Investitionen durch Umschich-tungen fördern, vor allen Dingen für Forschung und Ent-wicklung; Abgaben senken; die Sozialversicherungmöglichst weit gehend vom Arbeitsverhältnis entkop-peln und danach Steuersenkungen vornehmen. Das sinddie richtigen Prioritäten.

Diese Strategie ist mit realistischen Zahlen unterfüt-tert. Bei der Kalkulation wurde ein Wachstum von1,75 Prozent zugrunde gelegt. Ich habe bis heute nie-manden gehört, der diese Rechnung in Zweifel gezogenhat.

Deshalb glaube ich, dass dies die Strategie ist, die unsnicht nur mittelfristig weiter auf Wachstum und Beschäf-tigung hoffen lässt, sondern auch dazu beitragen kann,dass wir mit der richtigen Psychologie einer verlässli-chen, geradlinigen und konsequenten Politik ohne Zick-zackkurs auch weiterhin die Marktbeteiligten zu Investi-tionen, aber auch zu Konsum ermuntern können, um

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Dr. Reinhard Göhner

damit zu mehr Wachstum und Beschäftigung in unseremLande zu kommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Schlussbe-merkung lautet: Hier macht niemand in wirtschaftspoliti-scher Wachstumseuphorie. Wir haben wieder Wachstum.Wir liegen aber unter dem Durchschnitt der Europäi-schen Union.

(Jörg van Essen [FDP]: Genauso ist es! – Ludwig Stiegler [SPD]: Nicht mehr!)

Wir liegen gerade einmal im Durchschnitt des Euro-raums. Ich bin ganz sicher: Deutschland kann mehr. Wirkönnen wieder Lokomotive in der EU werden,

(Ludwig Stiegler [SPD]: Wir sind es schon!)

wenn wir den eingeschlagenen Weg konsequent fortset-zen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Lieber Kollege Göhner, da ich in Kenntnis Ihres und

meines Terminkalenders für den heutigen Vormittag da-von ausgehe, dass auf diese gerade vorgetragene Rede inknapper weiterer Frist die Niederlegung Ihres Mandatsfolgt, will ich diese Gelegenheit nutzen, Ihnen für eineaußergewöhnlich langjährige Mitgliedschaft im Deut-schen Bundestag und die hier geleistete Arbeit – auch imNamen der Kolleginnen und Kollegen – ganz herzlich zudanken.

Ich verbinde das mit dem ausdrücklichen Wunsch undder Erwartung, dass Sie der Politik ganz gewiss nichtverloren gehen und an anderer Stelle weiter eifrig daranmitwirken, dass sich die Hoffnung erfüllt, die Sie amSchluss formuliert haben: dass dieses Land noch mehrleisten kann, als es gegenwärtig leistet. Herzlichen Dankund alles Gute für Ihre weitere Arbeit!

(Beifall)

Nun erhält die Kollegin Andrea Wicklein für dieSPD-Fraktion das Wort.

Andrea Wicklein (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Fakten belegen es: Der wirtschaftlicheAufschwung ist da – nicht nur im Westen, sondern auchim Osten unseres Landes –, auch wenn das einigeLeute hier nicht wahrhaben wollen.

(Ludwig Stiegler [SPD]: Sie sind blind!)

Das Wirtschaftswachstum liegt in den ostdeutschenLändern bei rund 3 Prozent und damit über dem gesamt-deutschen Durchschnitt. 200 000 Arbeitslose haben seitdem vergangenen Jahr wieder eine feste Beschäftigungim Osten gefunden. Die Kurzzeitarbeitslosigkeit, HerrGysi, ist um 20 Prozent und die Langzeitarbeitslosigkeitist um 8 Prozent zurückgegangen. Das kann uns nochnicht zufriedenstellen. Aber das ist viel mehr als nichts.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das verarbeitende Gewerbe konnte sogar um11,6 Prozent zulegen. Die Auftragsbücher vieler Unter-nehmen sind voll. In der ostdeutschen Metall- und Elek-troindustrie wächst die Zahl der neuen Arbeitsplätzeüberproportional. Laut Gesamtmetall ist im Osten dieZahl der Arbeitslosen innerhalb der vergangenen zwölfMonate sogar um 32 Prozent zurückgegangen. Die Zahlder offenen Stellen nahm um 85 Prozent zu. Der Exportentwickelt sich weiter positiv. In wichtigen Wachstums-branchen legt der Osten deutlich zu, zum Beispiel imBereich der erneuerbaren Energien. Ostdeutschland hatsich zum weltweit führenden Standort der Solarbrancheentwickelt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Frankfurt an der Order oder Freiberg in Sachsen sindbeste Beispiele dafür. Es geht vorwärts in Ostdeutsch-land.

Die gemeinsamen Anstrengungen der letzten Jahrefür den Aufbau Ost zahlen sich aus. Dieser Trend ist er-mutigend. Aber die Arbeitslosenquote ist im Osten imDurchschnitt nach wie vor doppelt so hoch wie im Wes-ten. Hier gibt es also noch viel zu tun.

Es ist aber wichtig, das Positive, das sich im OstenDeutschlands entwickelt hat, noch besser zu vermarkten.Ostdeutschland ist ein attraktiver Standort. Investorenschätzen nicht nur die guten Förderbedingungen und diemoderne Infrastruktur, sondern auch die gut qualifizier-ten Facharbeiter, die hohe Flexibilität und die gute Moti-vation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das sindbeste Voraussetzungen für Investitionen.

Die Standortwerbung für die neuen Länder hat sichbereits ausgezahlt. Die StandortmarketinggesellschaftIIC, die bis Ende 2006 für die Investorenwerbung in Ost-deutschland zuständig war, hat eine Investitionssummevon 4,7 Milliarden Euro eingeworben und damit 21 000neue Arbeitsplätze in Ostdeutschland geschaffen. DieEntscheidung war richtig, die IIC und die für die altenBundesländer zuständige Gesellschaft zu einer gemein-samen schlagkräftigen Institution unter dem Namen „In-vest in Germany“ zusammenzuführen.

Herr Minister Glos, von der neuen Gesellschaft ver-spreche ich mir eine noch bessere PositionierungDeutschlands im internationalen Wettbewerb der bestenStandorte. Das wünsche ich mir für Deutschland insge-samt, aber im besonderen Maße für die ostdeutschenBundesländer.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Trotz der guten Nachrichten aus Ostdeutschland gibtes zweifelsohne nach wie vor große Herausforderungen.Ich erinnere an die anhaltende Abwanderung von jun-gen, gut qualifizierten Menschen, insbesondere vonFrauen, aus den strukturschwachen Regionen. DieserTrend verschärft die demografische Entwicklung in vie-len Landstrichen Ostdeutschlands zusätzlich und gefähr-det dort die Zukunftschancen der Menschen.

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Andrea Wicklein

Die schon jetzt vorhandene Lücke bei Fachkräften invielen Branchen wird durch den wirtschaftlichen Auf-schwung noch weiter vergrößert. Die Nachfrage nachdiesen Fachkräften wird steigen. Deshalb sage ich ganzklar: Die Lohnunterschiede zwischen Ost und West wer-den vor diesem Hintergrund zu einer Wachstumsbremse.Gute Fachkräfte gehen dorthin, wo sie für ihre Arbeit gutbezahlt werden. Wenn also die ostdeutsche Wirtschaftweiter am Aufschwung teilhaben will, wird sie bei denLöhnen zulegen und verstärkt aus- und weiterbildenmüssen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Bundesregierung hat gerade den Bericht zur tech-nologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands verab-schiedet. Das Fazit daraus: Nur innovative Unternehmenwerden Gewinner der Globalisierung sein und sich amMarkt behaupten können. In Ostdeutschland bestehtnach wie vor das Problem, dass es bei den überwiegendkleinen Unternehmen große Defizite im Bereich vonForschung und Entwicklung gibt. Kommen in den al-ten Bundesländern auf 10 000 Erwerbstätige 85 Mitar-beiter aus dem Bereich Forschung und Entwicklung, sosind es in den ostdeutschen Bundesländern lediglich 46.Herr Minister, ich hoffe daher sehr, dass Sie beim Um-bau der Innovationsprogramme für Ostdeutschland keineAbstriche machen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich hoffe, dass die positiven Erfahrungen mit den be-währten Programmen Inno-Watt und NEMO, die wir un-ter Rot-Grün beschlossen haben, weiter genutzt werden.Wir brauchen diese Programme, um die Akteure vor Ortzu vernetzen und den Wissenstransfer in die Regionenzu unterstützen.

Auch die Anstrengungen für neue Existenzgründun-gen in Ostdeutschland müssen wir fortsetzen. Es ist da-her ausdrücklich zu begrüßen, dass die KfW seit Januardieses Jahres die Initiative „Kleiner Mittelstand“ ins Le-ben gerufen hat. Ich konnte mich bei Gesprächen mitBanken selber davon überzeugen, dass diese Programmegreifen, nachgefragt werden und von den Hausbankenaktiv unterstützt werden. So gute Rahmenbedingungenfür Existenzgründer gab es noch nie.

Von großer Bedeutung für Investitionen in den ost-deutschen Bundesländern ist auch die Förderung durchdie Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalenWirtschaftsstruktur“. Allein von 2004 bis 2006 konntenInvestitionen in Höhe von 27 Milliarden Euro in der ge-werblichen Wirtschaft mit Fördermitteln von nur4,9 Milliarden Euro angestoßen werden. Die Gemein-schaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirt-schaftsstruktur“ ist damit eines der erfolgreichsten För-derinstrumente für strukturschwache Regionen in Ostund West und muss daher auch in Zukunft auf sehr ho-hem Niveau fortgeführt werden.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie michnoch einen Aspekt ansprechen. Um die positive Ent-wicklung in Ostdeutschland fortzuführen, brauchen wirverlässliche finanzielle Rahmenbedingungen. Wir disku-tieren derzeit über die Föderalismusreform II. Es mussunser gemeinsames Interesse sein, dass die ostdeutschenBundesländer nach 2019 auf eigenen Füßen stehen kön-nen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen der Soli-darpakt II und der Länderfinanzausgleich erhalten blei-ben.

Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Wicklein!

Andrea Wicklein (SPD): Ich komme zum Schluss.

Die Fakten sprechen für sich. Der wirtschaftlicheAufschwung ist da – auch in Ostdeutschland. Es gibtnoch immer sehr viel zu tun. Wir dürfen in unseren Be-mühungen nicht locker lassen. Packen wir es gemeinsaman!

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege

Laurenz Meyer, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

glaube, dass diese Debatte sehr wichtig gewesen ist, weilwir uns etwas grundsätzlicher mit der Strategie und demGrundgedanken beschäftigt haben – dies gilt insbeson-dere für die Rede des Kollegen Röttgen; auch KollegeWend hat dies getan –, wie wir vorangehen wollen undwie vernetzt die Bereiche sind, die auf das Einfluss ha-ben, was sich hinterher in Bezug auf Wachstum und Be-schäftigung für alle Menschen als Erfolg niederschlägt.

Im Zusammenhang mit dem Stichwort Arbeitsplätzeist deutlich zu machen – dies ist hier aufgekommen; Kol-lege Röttgen hat darauf hingewiesen –, dass Wachstumkein Selbstzweck ist. Es ist nämlich so: Immer dann,wenn mehr Menschen in Arbeit kommen – es gibt jajetzt einen riesigen Erfolg am Arbeitsmarkt –, dann istdas nicht nur für die Betroffenen selbst eine sehr wich-tige Veränderung, die sie erfahren – nämlich dass siewieder Arbeit haben und in Beschäftigung sind –, son-dern weit über die Betroffenen hinaus auch für alle dieje-nigen, die in den vergangenen Jahren Angst hatten, ihrenArbeitsplatz zu verlieren: Sie verlieren diese Angst nachund nach.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Das ist ganz wichtig für den Aspekt, in welcher psycho-logischen Situation die Arbeitnehmer ihrer Arbeit nach-gehen.

Zusätzlich ist dies nicht nur für den Einzelnen, son-dern auch für die Volkswirtschaft gut. Derjenige, der Ar-beit hat, zahlt in die Sozialsysteme ein. Derjenige, der

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Laurenz Meyer (Hamm)

seine Angst verliert, auch von einem Arbeitsplatzverlustbetroffen sein zu können, gibt wieder mehr Geld aus,statt aus Angst jeden Euro, der übrig ist, für schlechteZeiten oder aufgrund dieses Grundgefühls auf die Seitezu legen. Deswegen ist das, was für den einzelnen Men-schen gut ist, immer auch für die Volkswirtschaft gut.Das ist die eigentliche Philosophie der sozialen Markt-wirtschaft. Wir kümmern uns um den Einzelnen, undwenn es dem Einzelnen gut geht, geht es auch der Volks-wirtschaft gut.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen ist es wichtig, dass wir die Themen Wachs-tum, Beschäftigung und Wirtschaftspolitik nicht nur vordem Hintergrund von Zahlen diskutieren, sondern dieVernetzung der einzelnen Bereiche berücksichtigen.Nehmen Sie das Stichwort – der Kollege Wend hat esangesprochen – Familienpolitik.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt)

Das Gesagte gilt auch in diesem Zusammenhang: Wirmüssen den jungen Frauen in unserem Land, von denenviele gut qualifiziert sind und eine gute Berufsausbil-dung haben, mehr Wahlmöglichkeiten bieten, damit sieihren Beruf nicht aufgeben müssen, weil sie keine ausihrer Sicht adäquate, gute Betreuung für ihre Kinder fin-den.

(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann verzichtet auf dieHerdprämie!)

– Ich finde es ganz schön krude, wenn Sie dazwischen-rufen. Sie haben doch verdammt noch einmal Jahre Zeitgehabt, etwas zu tun. Sie haben aber nichts getan, undjetzt maulen Sie rum; das ist doch wirklich unglaublich.Herr Kuhn, auch Ihr Redebeitrag – qualitatives Wachs-tum – war wirklich nicht besonders gut. Das muss icheinmal sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn wir für die jungen Frauen etwas machen, dannmachen wir nicht nur etwas für die jungen Frauen– mehr Betreuungsmöglichkeiten, mehr Wahlmöglich-keiten –, sondern auch etwas für das ganze Land, weildie Volkswirtschaft auf diese gut qualifizierten jungenFrauen überhaupt nicht verzichten kann – wenn sie dennmitmachen wollen und im Beruf bleiben wollen.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage von

Frau Schewe-Gerigk zulassen?

Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU): Aber natürlich, da ich sie wegen ihrer Maulerei ange-

griffen habe, darf sie auch fragen.

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):

Wenn es um die richtigen Sachen geht, ist es vernünf-tig, zu maulen.

Herr Meyer, Sie haben gesagt, es sei wichtig, dass diegut ausgebildeten Frauen erwerbstätig sind und dass wirfür die Kinderbetreuung sorgen. Da bin ich sofort bei Ih-nen. Wie verhält sich das aber zu Ihrem Vorschlag, denFrauen, die ihre Kinder zu Hause selbst betreuen undnicht in eine Kinderbetreuung geben – eine – ich sageeinmal – Zuhausebleibprämie oder Herdprämie in Höhevon 150 Euro zu zahlen? Es ist doch klar, dass jede Fraumit einem kleinen Einkommen oder eine Hartz-IV-Emp-fängerin davon absehen wird, ihr Kind in die Kinderbe-treuung zu geben, weil sie dann 150 Euro bekommt. Ichwürde gerne Ihre Position dazu kennenlernen.

(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die der SPD!)

Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU): Wir werden uns darüber unterhalten, wie das im Ein-

zelnen auszugestalten ist. Der Grundgedanke, der dahin-tersteht, ist aber völlig klar: Wir wollen den jungenFrauen nicht vorschreiben, wie sie sich zu verhalten ha-ben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Detlef Parr [FDP])

Politik hat die Entscheidung von jungen Familien, wiesie sich organisieren, überhaupt nicht zu beeinflussen.Wir haben aber die Voraussetzungen dafür zu schaffen,dass eine Entscheidung in beide Richtungen möglich ist.Das genau wollen wir. Wir wollen die Entscheidungmöglich machen.

Ich will Ihnen ein Beispiel dazu bringen: Im Rahmeneiner Veranstaltung wurden Unternehmen ausgezeich-net, die in diesem Bereich besonders aktiv waren. DerProfessor einer großen Uni in Bayern, die ausgezeichnetwurde, berichtete in diesem Zusammenhang von folgen-der Situation: Die Jahrgangsbesten werden ausgezeich-net, sechs Professoren sitzen auf der Bühne, alles Män-ner, und die sechs Jahrgangsbesten dieser Universitätsind ausschließlich junge Frauen. Wir möchten, dassdiese jungen Frauen die Entscheidung, ob sie später ei-nen Beruf ausüben und Kinder haben, selbst treffen kön-nen. Darum geht es hier, und nicht darum, dass der StaatVorgaben macht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Hier ist ein Stichwort gefallen, das aus meiner Sicht,auch von den Kollegen der SPD, insbesondere vom Kol-legen Stiegler, viel zu negativ gesehen wird: Zeitarbeit.Sie haben die Zeitarbeit abqualifiziert und in eine Eckegestellt, in die sie aus Sicht der CDU/CSU nicht gehört.Es gab einen Zuwachs an Zeitarbeitsverhältnissen, weildie Unternehmen die Zeitarbeit aufgrund des sehr starrenArbeitsmarktes in Deutschland als Ventil nutzen. Sosteuern sie gegen. Aber die Entwicklung zeigt doch– Herr Stiegler, die Zahlen müssen Sie sich einfach zuGemüte führen –, dass der Prozess in vollem Gang istund dass gerade die Zeitarbeit der Durchlauferhitzer indie Unternehmen hinein ist.

Es gab zunächst ein ganz starkes Anwachsen der Zahlder Zeitarbeitsplätze zu Beginn des konjunkturellen Auf-

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Laurenz Meyer (Hamm)

schwungs, zu Beginn dieser Legislaturperiode. Seit eini-gen Monaten stagniert die Zahl der Zeitarbeiter. Dasliegt nicht daran, dass keine neuen eingestellt werden,sondern daran, dass ein Drittel derer, die eingestellt wor-den sind, inzwischen in Unternehmen angekommensind,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

und zwar entweder in denen, in denen sie tätig waren,oder in anderen. Die Brücke Zeitarbeit hat sich bewährt.Wir werden deshalb alles tun, um die Beweglichkeit zuerhalten und die Zeitarbeit weiterhin als den Motor in dieUnternehmen hinein nutzbar zu machen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, der inder Diskussion zum Teil eine Rolle gespielt hat. Dies be-trifft das Stichwort qualitatives Wachstum und dieFrage, was das eigentlich ist. Darüber, dass wir die Defi-nition von qualitativem Wachstum nicht den Grünenüberlassen, brauchen wir, glaube ich, nicht lange zu re-den.

(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Doch, doch!)

Ich will auf Folgendes hinweisen – ich glaube, dass wirin SPD und Union dabei zumindest von der Grundan-sicht her völlig auf einer Linie sein können –: Qualitati-ves Wachstum wird häufig verbunden mit Arbeitsplätzenim Dienstleistungsbereich, mit Arbeitsplätzen in soge-nannten weichen Industrien.

Ich will hier klipp und klar für uns sagen: Deutsch-land ist Industrieland. Deutschland muss Industrielandbleiben. Wenn Deutschland nicht Industrieland mit mo-dernen Technologien und mit modernen Arbeitsplätzenin der Industrie bleibt, dann werden wir die ganzenDienstleistungsarbeitsplätze nicht finanzieren können.Deshalb bekennen wir uns zum IndustriestandortDeutschland.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Das ist in dieser Diskussion wichtig. Denn Industrie-arbeitsplätze sind in vielen Bereichen in Deutschland ge-fährdet. Wir müssen jetzt zum Beispiel im Rahmen derCO2-Problematik hinsichtlich der Aluminiumhütten auf-passen, dass nicht alles, was mit NE-Metallen zu tun hat,plötzlich bruchstückhaft aus Deutschland verschwindet.Wir müssen Vorsorge treffen. Wir müssen in allen Poli-tikbereichen darauf achten, dass es nicht zu bruchhaftenEntwicklungen kommt, dass die Entwicklungen stetigverlaufen und dass wir zu Veränderungen kommen, diewir wollen. Aber dabei dürfen wir keine Brüche in Kaufzu nehmen, die Arbeitsplätze gefährden, insbesondereIndustriearbeitsplätze.

Deswegen unser Bekenntnis zum Industrieland:Deutschland gehört für uns dazu. In den modernen Be-reichen müssen wir für moderne Arbeitsplätze sorgen.Deswegen müssen wir uns als Parlament mit einem Phä-nomen beschäftigen, das in Deutschland vorherrschend

ist. Dieses Phänomen ist eine Technologie- und Technik-feindlichkeit, die sich auch in der geringen Zahl an Inge-nieuren niederschlägt. Wenn Technologie und Technikin der Politik und auch in der Bevölkerung so schlechtangesehen sind, dann ist es klar, dass weniger jungeLeute ein Studium ergreifen, das mit diesen Bereichenzu tun hat und in der Öffentlichkeit nicht so angesehenist, und eher ein Studium, durch das man Jurist oder Di-plomkaufmann wird.

(Beifall des Abg. Dr. Rainer Wend [SPD])

Deswegen ist es eine ganz wichtige Voraussetzung, sichmit dem Grundphänomen zu beschäftigen.

Dies betrifft auch die Steuerpolitik, zum Beispiel ver-sicherungsfremde Leistungen in den sozialen Siche-rungssystemen zukünftig stärker aus Steuern zu finan-zieren. Diese ganze Vernetzung müssen und wollen wirsehen. Unter diesen Gesichtspunkten ist eine solche De-batte wie die heutige nicht nur unbedingt notwendig,sondern wir sollten sie zum Wohl der Menschen inDeutschland auch fortsetzen, und zwar mit dieser Ge-samtkonzeption mit Blick über den Tellerrand der Poli-tikfelder hinaus.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag derFraktion der FDP auf Drucksache 16/5901 mit dem Ti-tel: „Goldener Schnitt 2012“ verwirklichen. Wer stimmtfür diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-gen? – Damit ist dieser Antrag abgelehnt bei Zustim-mung der FDP und Ablehnung des Rests des Hauses.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 bauf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zur Verbesserung der Bekämpfung desDopings im Sport

– Drucksache 16/5526 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Sportaus-schusses (5. Ausschuss)

– Drucksache 16/5937 –

Berichterstattung:Abgeordnete Klaus RiegertDagmar Freitag Detlef Parr Katrin Kunert Winfried Hermann

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Sportausschusses (5. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Detlef Parr,Joachim Günther (Plauen), Miriam Gruß, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

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11074 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007

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Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt

Bekämpfung des Dopings im Sport voran-treiben und Optimierungsmöglichkeitenausschöpfen

– zu dem Antrag der Fraktion des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN

Bekämpfung des Dopings im Sport

– Drucksachen 16/4738, 16/4166, 16/5937 –

Berichterstattung:Abgeordnete Klaus RiegertDagmar Freitag Detlef Parr Katrin Kunert Winfried Hermann

Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen einÄnderungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/DieGrünen sowie je ein Entschließungsantrag der Fraktionder FDP und der Fraktion Die Linke vor.

Zwischen den Fraktionen ist verabredet, eineinviertelStunden zu debattieren. – Dazu höre ich keinen Wider-spruch.

Ich eröffne jetzt die Aussprache und erteile das Wortdem Kollegen Klaus Riegert für die CDU/CSU-Frak-tion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Klaus Riegert (CDU/CSU):Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Doping

zerstört die Grundwerte des Sports. Ein unfairer und ma-nipulierter Wettkampf hat auch nichts mehr mit demolympischen Gedanken gemeinsam. Doping täuscht dieMitstreiter im Wettkampf und die Zuschauer und gefähr-det nicht zuletzt die Gesundheit der Sportlerinnen undSportler.

Wie die jüngsten Dopingbekenntnisse im Radsportbelegen, verläuft die unerlaubte Leistungssteigerung imSpitzensport zunehmend in organisierten Strukturen.Diese können nur durch gezielte, auch strafrechtlicheMaßnahmen bekämpft werden. Der Fokus der Medienliegt beim Doping naturgemäß auf dem Leistungs- undSpitzensport. Das darf aber nicht darüber hinwegtäu-schen, dass Doping auch im Breitensport bis hin zusportlichen Betätigungen im Fitness- und Freizeitbereichanzutreffen ist. Doping ist damit ein Problem des Sportsinsgesamt und bedarf der breit angelegten und gemeinsa-men Bekämpfung durch Sport, Politik, Justiz, Wirt-schaft, Medien und nicht zuletzt die ganze Gesellschaft.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Meine Damen und Herren, die Dopingbeichten derRadsportler sind zu begrüßen. Wo aber bleibt die inter-nationale Diskussion? Findet endlich ein Umdenken derSportler statt? Es ist nicht allein damit getan, sich alsDopingsünder zu outen. Die Fahrer müssen nun auch dieHintermänner und die Strukturen aufzeigen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Die Erklärungen zeigen mir, dass die geplanten Rege-lungen des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserungder Bekämpfung des Dopings im Sport richtig sind. DieAnstrengungen des organisierten Sports allein reichennicht aus. Der Staat muss mit seinen Ermittlungsbehör-den in den Fällen eingreifen, in denen kriminellesUnrecht geschieht. Er ist in der Lage, die hinter dem do-penden Sportler verdeckt arbeitenden Netzwerte aufzu-decken und zu zerschlagen. Genau hier greifen die vonuns verabredeten und geplanten sowie vom Kabinett be-reits im März dieses Jahres verabschiedeten Regelungen.

Zu den Inhalten. Erstens: Strafverschärfungen fürbanden- und gewerbsmäßige Dopingstraftaten und Ab-schöpfung der Vermögensvorteile. Die Erhöhung derHöchststrafe von heute drei Jahren auf zehn Jahre ist einklares Signal.

(Beifall des Abg. Dr. Peter Danckert [SPD])

Ein Blick ins Strafgesetzbuch zeigt: Eine Höchststrafevon zehn Jahren ist schon etwas. Das ist zum Beispiel imJugendstrafrecht die Höchststrafe für Mord. Mit der Er-höhung der Höchststrafe auf zehn Jahre haben wir wirk-lich ein Signal gesetzt.

Zweitens: die Nutzung der Telefonüberwachung beischweren Dopingdelikten.

Drittens: die Übertragung der Ermittlungsbefugnisseauf das Bundeskriminalamt.

Viertens: die Verpflichtung zur Aufnahme von Warn-hinweisen bei Arzneimitteln, die für Doping geeignetsind.

Auch die von uns beschlossene Strafbarkeit des Besit-zes einer nicht geringen Menge bestimmter Dopingsub-stanzen ermöglicht eine wirksamere Strafverfolgung desHandels mit gefährlichen und häufig verwendeten Do-pingmitteln. Damit, lieber Kollege Hermann, können wirden Trainer, den Betreuer oder den Sportler mit demKofferraum oder Schrank voller Dopingmittel bestrafen,ohne ihm Handel nachweisen zu müssen.

(Beifall des Abg. Dr. Peter Danckert [SPD] –Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Das können wir jetzt schon! – Gegen-ruf des Abg. Dr. Peter Danckert [SPD]: Nein!Das ist doch Quatsch!)

Dadurch wird auch der Tatbestand des Handels kon-kretisiert, wie Sie, lieber Kollege Parr, immer richtig an-merken. Im Übrigen sind wir uns, wie wir gestern imAusschuss festgestellt haben, bis auf das Piktogrammauf der Packung einig, lieber Kollege Parr. Deshalb:Stellen Sie sich nicht so an, und stimmen Sie unseremGesetzentwurf zu!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD – Lachen bei der FDP)

Von einem Tatbestand, mit dem der Besitz geringerMengen von Dopingmitteln zum Eigengebrauch unterStrafe gestellt würde, halten wir nichts. Wollen Sie wirk-lich jeden Pillenschlucker im Fitnessstudio mit Gefäng-nis bedrohen?

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Klaus Riegert

Von parallelen Verfahren – vor dem Sportgericht undvor einem ordentlichen Gericht – halte ich auch nichts.Das Sportgericht sperrt sofort für zwei Jahre, und es giltBeweislastumkehr. Das ordentliche Gericht urteilt nachvielen Monaten, vielleicht gibt es sogar einen Frei-spruch. Das würde auf Dauer die Beweislastumkehr derSportgerichtsbarkeit zerstören. Damit würden wir eingranatenmäßiges Eigentor schießen, wie es Innenminis-ter Schäuble so treffend formulierte.

Auch ein Tatbestand des Sportbetrugs, wie ihn dieGrünen plötzlich so vehement fordern,

(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Nicht plötzlich, schon lange!)

ist schlicht Unsinn. Oberstaatsanwalt Kirkpatrick hat esIhnen bei der Anhörung doch erklärt: Selbst wenn manrechtliche, verfassungsrechtliche und tatsächliche Be-denken hintanstellt, wird kein Richter aufgrund diesesTatbestandes verurteilen, weil er dazu negative Probenaller am Wettkampf beteiligten Sportler bräuchte. Dasfunktioniert nicht.

Lassen Sie mich noch auf eines hinweisen: Esfunktioniert nicht, zu denken, wir machen nun ein Ge-setz, und Doping ist ab morgen kein Problem mehr. Sowird es nicht gehen. Politik und Sport, aber auch dieSponsoren und die Medien stehen zusammen in der Ver-antwortung, den Kampf gegen Doping zu führen. Wirhaben über das Gesetz hinaus ein Maßnahmenpaket vor-bereitet: Wir werden bei den Beratungen über den Haus-haltsplan über die Mittel für die NADA und über dieMittel für Prävention reden. Wir haben den WADA-Code unterzeichnet. Wir fordern Schwerpunktstaatsan-waltschaften in den Ländern. Wir wollen mehr Präven-tion. Wir tun also einiges.

Meine Frage an die Fachleute – an Sportler, Sportwis-senschaft und Forschung – lautet: Gibt es heute Sportar-ten, in denen Weltklasseleistungen und Olympiasiegenur noch mit Doping erreichbar sind? Wenn ja, welche?Sollte es solche Sportarten geben, müssen wir unsereSpitzensportförderung grundsätzlich überdenken. Wirstehen zu Leistung und Erfolg, aber fördern nur und for-dern sauberen, manipulationsfreien Sport.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU undder SPD sowie des Abg. Winfried Hermann[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dazu wird unser heute zu verabschiedendes Gesetz ei-nen Beitrag leisten.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der nächste Redner ist der Kollege Detlef Parr für die

FDP-Fraktion.

Detlef Parr (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer

heute und in den letzten Wochen einen Blick in die Zei-

tungen geworfen oder Fernsehen geschaut hat, könntemeinen, der Sport in unserem Lande bestünde nur nochaus Lug und Trug: Doping war und ist das beherr-schende Thema und Schlagwort dieser Tage.

Wenn wir über Sport in Deutschland reden, reden wiraber auch über die 27 Millionen Mitglieder in zigtausen-den Vereinen, über annähernd 8 Millionen im Interesseunserer Gesellschaft und unseres Landes ehrenamtlichTätige, dann reden wir über Menschen, denen Sport ein-fach Spaß macht und die sich bewegen wollen. Niemandvon uns darf in dieser Diskussion dazu beitragen, dassEltern ihre Kinder nicht mehr in die Obhut unserer Ver-eine geben wollen. Die Vereine haben nach wie vor un-ser Vertrauen verdient.

Natürlich wird der Breitensport vom Spitzensport er-heblich beeinflusst: Wir brauchen Vorbilder wie aus demSommermärchen 2006, die dem Sport neue Impulse ge-ben und dazu auffordern, selbst aktiv zu werden. Deswe-gen diskutieren wir heute über einen Gesetzentwurf, derdazu beitragen soll, den Betrügern im Spitzensport end-lich das Handwerk zu legen.

Der Bundesregierung ist es gelungen – allerdingsnach einer quälend langen Zeit der Untätigkeit –,

(Dagmar Freitag [SPD]: Das lag nicht an uns!)

einen Entwurf mit einer Reihe von richtigen Lösungsan-sätzen vorzulegen, der, ergänzt durch das Maßnahmen-paket, in vielen Bereichen mit unserem Antrag identischist.

(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Dann können Sie ja zustimmen!)

Das hat uns Klaus Riegert gestern im Sportausschussnoch bestätigt. Gut, dass er unsere Ideen aus gemeinsa-mer Oppositionszeit in die Regierung hinübergerettethat. Vielen Dank dafür, Klaus!

(Beifall bei der FDP – Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Dann stimmen Sie zu!)

In den Sportverbänden ist vieles zur Dopingbekämp-fung auf den Weg gebracht worden. Die Sponsoren be-ginnen, stärker Verantwortung zu übernehmen. Abersind wir uns eigentlich an den verschiedenen Stellen un-serer Gesellschaft schon klar geworden über gewisseMittäterschaften? Über die Folgen von Sensationsgier?Über falsch gesetzte Anreize für vermeintlich grenzen-lose Leistungssteigerungen? Über Rekordmanie undüberzogene Zahlenfixiertheit? – Wir alle: Zuschauer,Medienvertreter, Sponsoren, Verbandsfunktionäre, Sport-großveranstalter, Politiker. Wir alle tragen Verantwor-tung für Fehlentwicklungen, die wir allzu lange hinge-nommen und durch Wegsehen sogar geduldet haben;vorweg gab es zudem sieben Jahre rot-grüner Enthalt-samkeit.

(Dagmar Freitag [SPD]: Davor war auchschon eine Zeit, Herr Kollege! Reden wir ein-mal über 16 Jahre Kohl!)

Keiner von uns, Kollegin Dagmar Freitag, darf sich zu-künftig unschuldig in sportlichen Höchstleistungen son-nen, ohne dass wir uns vorher in einer Grundsatz-

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Detlef Parr

debatte darüber einig werden, welche Rolle wir demSport in unserer Leistungsgesellschaft zukünftig beimes-sen wollen, was wir von ihm erwarten und welche An-sprüche wir an ihn stellen.

(Dagmar Freitag [SPD]: Lassen Sie doch mal hören!)

„Schneller, höher, weiter.“ – Die Grenzen sind in vie-len Sportarten aber längst erreicht; das sollten wir ehr-lich zugeben. Statt den Weg zu ungezügelten Gladiato-renspielen zu bereiten, sollten wir nach einem neuenMittelweg suchen zwischen dem genannten olympischenMotto und Coubertins Feststellung: Die Teilnahme istwichtiger als der Sieg.

Der Anstoß zu einer bundesweiten Generaldebattemuss aus Berlin kommen,

(Klaus Riegert [CDU/CSU]: Genau!)

so wie die gesetzgeberischen Impulse, denen die FDP,lieber Klaus, gerne als Paket zugestimmt hätte. Aber ge-nau zwei Punkte lassen uns zu einer Stimmenthaltungkommen. Wir sind nicht dagegen, aber wir werden unsder Stimme enthalten.

(Dagmar Freitag [SPD]: Das ist ja toll! – Dr. Peter Danckert [SPD]: Wie gnädig!)

Der erste Punkt betrifft die Prävention und die Auf-klärungsarbeit, die in diesem Gesetzentwurf so gut wiekeine Rolle spielen. Die Anhörung hat jedoch bewiesen,dass ein wesentlicher Baustein einer effektiven Antido-pingpolitik die Prävention bei Kindern und Jugendlichensein muss.

Zweitens. Die als genial gefeierte Strafbarkeit desSportlers, der im Besitz nicht geringer Mengen von Do-pingsubstanzen ist,

(Klaus Riegert [CDU/CSU]: Nicht nur des Sportlers! Von jedem!)

halten wir nach wie vor für überflüssig. In der Praxiswird sich – das hat die Anhörung auch gezeigt – so gutwie nichts ändern. Wir bekennen uns zum Grundsatz der„strict liability“ und zu dem Vorrang der Sportgerichts-barkeit, die schnell und durchgreifend entscheiden kann.

(Beifall bei der FDP – Klaus Riegert [CDU/CSU]: Wir auch!)

Gegen banden- und gewerbsmäßigen Handel muss derStaat dagegen mit aller Härte vorgehen können; da sindwir uns wieder einig.

Wir freuen uns auch, dass der Sportbetrug keinen Ein-zug in den Entwurf gefunden hat. Wer sein Heil – wie inBayern und jetzt leider auch bei den Grünen – in „lawand order“ sucht, wird scheitern, wie sucht- und drogen-politische Strategien in der Vergangenheit mehr als deut-lich gezeigt haben.

(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Am besten gleich das ganze Strafrechtabschaffen!)

„Law and order“-Denken und staatliche Repressionenführen nicht zum Ziel. Da ist zu viel CSU drin und zuwenig FDP.

(Beifall bei der FDP)

Vielmehr wird es in der Zukunft national und interna-tional besonders auf unsere Forschungsanstrengungenankommen. So wichtig Investitionen in die Verbesse-rung der Dichte des Kontrollsystems sind, muss es unsauch gelingen, Nachweismethoden zu entwickeln, diedem Hase-und-Igel-Spiel ein Ende bereiten. Da machtmich ein Blick in die Antwort der Bundesregierung aufunsere kleine Anfrage vom 5. Februar 2007 mit Blickauf das Stichwort Gendoping allerdings nachdenklich.Vereinzelte Forschungsaufträge gehen auf das Jahr 2002zurück. Abschlussberichte liegen noch nicht vor. Aktu-elle Initiativen sind nicht aufgeführt. Der runde Tischbleibt eine bloße Ankündigung. Diese Anstrengungenreichen nicht aus. Auf diesem Gebiet müssen wir deut-lich an Tempo zulegen.

Ähnlich ist es um Aufklärung und Prävention bestellt.Dopingprävention ist sicher in der Kampagne der Bun-deszentrale für gesundheitliche Aufklärung – „Kinderstark machen“ – gut aufgehoben. Ein Handbuch mit demTitel „Gemeinsam gegen die Sucht“ und Unterrichtsma-terialien zum Thema des Medikamentenmissbrauchsdeuten aber darauf hin, dass wir damit unsere Jugendli-chen wohl nur sporadisch erreichen. Wir brauchen in denSchulklassen fünf und zehn dringend eine bundesweiteKampagne der BZgA in Zusammenarbeit mit der Kul-tusministerkonferenz und den Sportorganisationen, ins-besondere auch auf Länderebene. Wir müssen die Ein-stellung gegen medizinische Leistungsmanipulationenschon in jungen Jahren festigen.

Einstellungen werden nicht zuletzt auch von den Me-dien geprägt. Gerade jetzt darf sich der Journalismusnicht hinter einem Boykott verstecken. Er muss vielmehrkritisch berichten und seine investigativen Stärken aus-spielen. Hinblicken und Durchblicken ist besser alsWegblicken. Das sollte auch die Leitlinie unseres weite-ren Handelns sein.

Ich danke Ihnen für das Zuhören.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:Jetzt hat der Kollege Dr. Peter Danckert für die SPD-

Fraktion das Wort.

(Beifall bei der SPD)

Dr. Peter Danckert (SPD):Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle-

gen! Ich glaube, dass heute mit der Verabschiedung die-ses Gesetzentwurfes, den die Regierung und die Koali-tion hier vorgelegt haben, ein wichtiger Meilensteinerreicht wird. Man kann nicht verkennen, dass es ein lan-ger, mühsamer und quälender Prozess war, auch in deröffentlichen Diskussion. Ich finde es aber bemerkens-wert, dass wir heute feststellen können, dass nicht nurdiese Regierung und diese Koalition hinter dem Gesetz-

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entwurf stehen, der heute verabschiedet wird, sondern,lieber Kollege Parr, auch der organisierte Sport. Diecirca 28 Millionen Menschen, die sich unter dem Dachdes DOSB verbunden haben, haben unserem Vorschlagzugestimmt.

(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Ach was! Gab es eine Abstimmung?)

Das ist doch ganz bemerkenswert, vor allen Dingen,wenn man die Diskussion vorher im Auge hat.

Ich hätte mir gewünscht, dass sich die FDP heutenicht nur enthält, sondern sich vielleicht selber über dieHürde hilft und hier mitmacht;

(Beifall der Abg. Dagmar Freitag [SPD])

denn wenn der Sport, für den wir ja gemeinsam reden,das, was wir hier heute verabschieden wollen, akzeptiert,dann müsste es doch eigentlich auch die FDP, die sichzumindest mit einigen Persönlichkeiten des DOSB sehrverbunden fühlt,

(Fritz Rudolf Körper [SPD]: So viele sind dasaber nicht! – Dagmar Freitag [SPD]: Die Zahlist überschaubar!)

schaffen, das heute mitzutragen. Überlegen Sie doch ein-mal, ob Sie bei diesem Gesetz nicht zustimmen können!

Lieber Kollege Parr, wenn Sie der Meinung sind, dassdie Besitzstrafbarkeit nicht zu dem führt, was wir unsvorstellen

(Detlef Parr [FDP]: Das ist eine Mogel-packung!)

– Sie sagen „Mogelpackung“ –, dann können Sie sagen,dass das Ihrer Meinung nach nicht funktioniert, unddoch mitmachen.

(Detlef Parr [FDP]: Das kann doch wohl nicht wahr sein!)

Wir werden ja sehen, wozu das Gesetz im Vollzug füh-ren wird.

Ich glaube, dass das ein ganz wichtiger Baustein ist.Er ist aber nicht ausreichend, um den Kampf gegen Do-ping insgesamt zu gewinnen. Das ist ja eine endlos langeGeschichte. Wer sich einmal mit der Historie beschäf-tigt, der weiß, dass das beim Radrennen Bordeaux–Parisim Jahre 1886 angefangen hat. Den ersten Todesfall ei-nes Radfahrers gab es aufgrund von Trimethyl. Das isteine lange Kette, die bis in die letzten Jahre hineinreicht.Dabei brauche ich gar nicht an den spektakulären Todvon Birgit Dressel zu erinnern, der 20 Jahre her ist.

(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Eine lange Zeit des Nichtstuns der Poli-tik!)

Es gab immer wieder solch schlimme Ereignisse, die mitDoping verbunden waren. Das muss doch der Impulssein, der uns antreibt und weshalb wir sagen: Wir müs-sen staatlicherseits alles geben, um in diesem Kampf be-stehen zu können.

Ich glaube – damit komme ich wieder auf den Gesetz-entwurf zurück –, dass die neue Zuständigkeit des Bun-deskriminalamtes als Ermittlungsbehörde zusammenmit den Dingen, die Klaus Riegert schon angesprochenhat, eine wichtige Hilfe ist. Das hat es bisher nicht gege-ben. Das ist ein entscheidender Schritt. Ich bin dem Mi-nister sehr dankbar, dass er uns hier geholfen hat; dennes ist keine Selbstverständlichkeit, an dieser Stelle dasBundeskriminalamt einzusetzen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Dort sitzen Experten, von denen ich glaube, dass sie unsweiterhelfen.

Wir werden sehen, ob wir die Schwerpunktstaatsan-waltschaften brauchen. Wir haben die Länder aufgefor-dert, an dieser Stelle auch einen Beitrag zu leisten. Dieswäre ein Beitrag zur Unterstützung der Ermittlungsar-beit. Wir haben also gute Voraussetzungen geschaffen.

Ich denke, auch durch den Strafrahmen – KlausRiegert hat zu Recht darauf hingewiesen – kommen wiran dieser Stelle weiter, weil es natürlich eine eindeutigeAussage unseres Parlaments ist, dass das keine Bagatell-kriminalität mehr ist, die mit bis zu drei Jahren bestraftwird, sondern dass der Strafrahmen dem bei Verbrechenähnlich ist.

Hierdurch ergibt sich auch ein Ansatz für die Telefon-überwachung. Ich glaube, dass wir mit der Telefonüber-wachung auch hinter die Elemente kommen, die für dieDopingstrukturen verantwortlich sind. Das ist ein Bau-stein. Es muss am Ende nicht immer notwendig sein,dass alle bestraft werden. Wir werden ja sehen, wie sichdas beim Vollzug ergibt, Herr Kollege Parr. Ich finde esaber wichtig, dass wir durch eine Telefonüberwachung,durch Zeugenvernehmungen und durch Hausdurchsu-chungen Ermittlungsergebnisse erzielen,

(Dagmar Freitag [SPD]: Das ist das Entschei-dende!)

also an Informationen herankommen, durch die uns einklares Bild über die Strukturen geliefert wird.

(Otto Fricke [FDP]: Kronzeugen!)

Von daher glaube ich, dass das auch aus diesem Grundder richtige Weg ist.

Jetzt komme ich zum Stichwort Besitzstrafbarkeit.Wir haben eine Anhörung durchgeführt, die teilweise be-merkenswert war. Mehr möchte ich dazu nicht sagen. Inder Anhörung haben wir acht qualifizierte Sachverstän-dige gehört, die acht verschiedene Meinungen vertretenhaben. Wenn sich diese sehr qualifizierten Herrschaftenals Gesetzgeber betätigt hätten, dann hätten sie garnichts zustande gebracht. Denn mit acht verschiedenenMeinungen erzielt man keine Mehrheit im Parlament.

(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Die Mehrheit war kritisch!)

Wir haben das Machbare erledigt und werden den Ge-setzentwurf heute verabschieden. Ich denke, das ist derrichtige Weg.

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Es reicht aber noch nicht aus. Ich will an dieser Stelleausdrücklich darauf hinweisen – weil ich hin und wiederdafür kritisiert worden bin, dass ich dem DOSB nicht al-les zutraue –, dass auch der DOSB Maßnahmen einge-leitet hat, die den Kampf gegen Doping erleichtern sol-len. Ich appelliere deshalb an den DOSB, die zusätzlicheZahlung von 260 000 Euro, die in diesem Jahr beschlos-sen ist, zu einer regelmäßigen Leistung zu machen, da-mit der Beitrag des Sports an dieser Stelle noch deutli-cher wird.

Ich finde es sehr gut, dass in dem Kabinettsentwurf,der gestern beraten wurde, in zweierlei Hinsicht klare Si-gnale gegeben werden. Zum einen soll die Förderungdes Spitzensports deutlich erhöht werden. Dazu sindwir meines Erachtens verpflichtet, wenn wir in Deutsch-land Spitzensport wollen. Angesichts der Einsparmaß-nahmen ist das ein echtes Signal an den Sport, dass wirihm zutrauen, noch mehr zu leisten. Dafür sind zusätzli-che finanzielle Mittel nötig, auch um die Trainer – vorallem diejenigen, die sonst vom Ausland abgeworbenwerden – besser bezahlen zu können. Das steht außerFrage.

Ich bin zum anderen auch sehr dankbar – wenn esnicht schon im Kabinettsentwurf enthalten wäre, kämees wahrscheinlich zu einer entsprechenden Initiative derKoalitionsfraktionen –, dass deutlich mehr Mittel für dieNADA zur Verfügung gestellt werden. Auch das istwichtig. Wir waren uns immer darüber einig, dass Hand-lungsbedarf besteht, wenn sich die Wirtschaft praktischnicht an dem Stiftungsmodell beteiligt, zu dem der Bundinsgesamt 7 Millionen Euro beigetragen hat. Wir müssenvielleicht noch einmal den Gedanken aufgreifen, mit derUnterstützung der Regierung und vielleicht auch derBundeskanzlerin zu versuchen, die Sponsoren dazu zubringen, ihren Beitrag zum Stiftungskapital zu leisten.Es kann nicht sein, dass nur der Staat einen Beitrag dazuleistet. Wir werden sehen, wie sich das entwickelt.

Ich denke aber, dass die zusätzlichen Mittel für dieNADA ein richtiger und wichtiger Schritt sind. Denn wirbrauchen eine unabhängige Kontrolleinrichtung, die fürTrainings- und Wettkampfkontrollen und Präven-tion zuständig ist. Das gehört nämlich zum Auftrag derNADA, Herr Parr. Mit den zusätzlichen Mitteln von ins-gesamt 2,8 Millionen Euro bieten wir der NADA dienotwendigen Voraussetzungen. Es handelt sich dabeinicht um eine einmalige Zahlung; sie ist in der mittelfris-tigen Planung regelmäßig vorgesehen. Damit hat dieNADA die Möglichkeit, besser zu agieren als bisher. Siemuss sich personell besser aufstellen. Dafür stellen wirdie notwendigen Mittel bereit. Wenn sich die Sponsorenebenfalls beteiligen, dann haben wir auch an dieserStelle etwas Wesentliches erreicht und können hoff-nungsfroher in die Zukunft schauen.

Der Kampf gegen Doping, der schon 100 Jahre an-dauert, wird sich noch lange hinziehen. Aber mit demGesetzentwurf, den wir heute verabschieden werden, mitder Kabinettsvorlage, der sicherlich auch im Plenum zu-gestimmt wird, sind wir einen bedeutenden Schritt vor-angekommen. Ich bin sehr froh darüber.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für die Linke spricht jetzt Katrin Kunert.

(Beifall bei der LINKEN)

Katrin Kunert (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Gäste! Nur wer dopt, gewinnt. Nur wer ge-winnt, ist in den Medien. Nur wer in den Medien ist,macht seine Sponsoren glücklich. Nur glückliche Spon-soren geben auch im nächsten Jahr noch frisches Geld.Wenn dies so zutrifft, wie es Jaksche beschreibt, dannempfehlen wir dem Veranstalter, die Tour de France ab-zusagen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg.Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN] – Klaus Riegert [CDU/CSU]: Mehrheit-lich oder einstimmig?)

Die gesamte Gesellschaft watet im Dopingsumpf underwartet vom Sportler, den Wettkampf in trockenenStrümpfen zu absolvieren. In den letzten Monaten wurdeviel darüber diskutiert, wie ein Sportler bestraft werdenkönnte, der letztlich doch mit nassen Strümpfen erwischtwird. Ich finde das scheinheilig.

Das Thema Doping ist uralt. Der erste Dopingtotewurde vor 115 Jahren beerdigt. Darauf haben Sie bereitshingewiesen, Herr Danckert. In diesem Jahrhundert wirddem Publikum immer wieder ein großes Staunen undEntsetzen präsentiert. Der letzte Höhepunkt war der wei-nende Zabel vor der Kamera, der eine höhere Einschalt-quote hatte als die Tour de France im vergangenen Jahr.

Im Radsport jagt ein Geständnis über Dopingprakti-ken das andere. Vom Sportler über Ärzte hin zu einigenFunktionären fällt das Kartenhaus zusammen. Mancherschweigt beharrlich, weil ein Geständnis viel Geld kos-ten würde. Aber bisher wurde nur zugegeben, was offen-kundig oder verjährt ist. Lediglich Jaksche bricht seinSchweigen, für viel Honorar wohlgemerkt. Aber deut-lich wird: Es gibt kein Unrechtsbewusstsein. Der eigent-liche Skandal ist, dass sich die Geständnisse und Tränenauch noch super vermarkten lassen. Mediendemokratienennt man das. Ich nenne es Sittenverfall.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Sie werden mir als Abgeordnete der Linken abnehmenmüssen, dass ich mich dem Erstaunen und Entsetzennicht anschließen kann.

Ich möchte drei Dinge klarstellen: Erstens. Die Frak-tion Die Linke lehnt Doping im Sport konsequent ab.

(Beifall bei der LINKEN – Dagmar Freitag [SPD]: Auch Herr Nešković?)

– Auch Herr Nešković.

(Dagmar Freitag [SPD]: Das ist ja was ganz Neues! Er ist für die Freigabe!)

Zweitens. In der DDR wurde gedopt, ein unrühmli-ches Kapitel in ihrer Geschichte ohne Wenn und Aber.

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Katrin Kunert

(Beifall des Abg. Winfried Hermann [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN])

Doch die vielen wissenschaftlichen Studien, die nach1989 zu diesem Thema durch Steuergelder finanziertwurden, haben in keiner Weise zur Aufhellung, ge-schweige denn zu einer besseren Dopingbekämpfung ge-führt. Das ist absolut inakzeptabel.

(Beifall bei der LINKEN)

Drittens. Für uns ist die entscheidende Frage, ob esgelingt, konsequent und transparent alle Hintergründedes Verhältnisses von Spitzensport zu Doping und diedamit verbundene Gier nach Geld aufzudecken. Haupt-dopinggrund sind das Geld und sein Einfluss auf denSport. Solange der Kommerz den Sport bestimmt, solange wird es Doping geben, behaupte ich.

(Dagmar Freitag [SPD]: Das passt ja zu Herrn Nešković!)

Der Profiradsport ist ein Sumpf. Er rangiert beimDoping noch vor der Leichtathletik, dem Kraftsportund den nordischen Wintersportarten.

Das sagte ARD-Dopingexperte Seppelt. Hand aufs Herz,liebe Kolleginnen und Kollegen: Das wissen wir alle.Wir wissen auch, dass einige Instrumente im Kampf ge-gen Doping nur unzureichend greifen. Die alles ent-scheidende Frage ist: Sehen wir weiter zu? Sind wir so-gar machtlos, oder kümmern wir uns endlich um dieUrsachen? Wollen wir an den Symptomen herumdokternoder den Erreger bekämpfen?

Der erste Dopingtote hatte die Ermüdungsschwelleseines Körpers mit Strychnin hinausgeschoben. Heuteverdient die globalisierte Pharmaindustrie Milliarden.Das große Geld wird nicht nur während des Tour-de-France-Monats verdient, sondern während des gesamtenJahres unter anderem in Fitnessstudios zwischen San-tiago de Chile und Reykjavik. Im Profisport und auch imFreizeit- und Amateursport blüht der Handel mit Anabo-lika, Wachstumshormonen und vielem anderen.

Das weltweit produzierte Epo wird nur zu einemFünftel für Kranke benötigt. Warum belegt man denHandel von Epo nicht mit Sanktionen, beginnend beimPharmariesen? Warum belegt man nicht die Produktionmit Quoten? Während ein Medikament wie Epo über dasnotwendige Maß hinaus produziert und missbrauchtwird, sterben Menschen gerade in unterentwickeltenLändern an Krankheiten, die zu wenig erforscht sind,weil es hier offensichtlich zu wenig Profit bringt.

(Zuruf von der LINKEN: Genau das ist es, richtig!)

Wir stellen als Fraktion die Grundsatzfrage: Muss derLeistungssport dem totalen Kommerz unterliegen? Leis-tungsdruck und das in der Gesellschaft gezeichneteBild eines erfolgreichen und dynamischen Menschen mitüberzogenen Ansprüchen an seine Leistungen macht ei-nen Teufelskreis auf, in den viele Menschen geraten.Süchte entstehen, und die Gesellschaft zahlt die Folgen.Frau Kollegin Freitag, wenn Sie unseren Gesamtansatzals Lyrik bezeichnen, dann frage ich mich, welche geis-

tige Nahrung Sie im Allgemeinen zu sich nehmen, wennSie nicht erkennen, dass die Ursachen des Dopings imSport auch in der Gesellschaft zu finden sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Doping im Leistungssport ist aber nur die Spitze desEisberges. Vom Umfang her sind Medikamentenmiss-brauch und Doping im Freizeit- und Amateursportviel größer als im Leistungssport. Aber das wird viel-fach tabuisiert. Im Durchschnitt greifen 200 000 Besu-cherinnen und Besucher in den Fitnessstudios zu Ana-bolika und anderen Präparaten. Jährlich werden über100 Millionen Euro Umsatz mit illegalen Dopingmit-teln gemacht. Gewinner ist auch hier die Pharmaindus-trie. Sie hat eine starke Lobby. Im aktuellen Drogen-und Suchtbericht der Bundesregierung wird davon aus-gegangen, dass bis zu 1,9 Millionen Menschen medika-mentenabhängig sind. Zum ersten Mal wird in diesemBericht der Medikamentenmissbrauch im Sport alsProblem erkannt.

Die Bundesregierung will mit ihrem Gesetz, das alsEntwurf vorliegt, Doping jedoch nur im Leistungssportbekämpfen. Das ist uns zu wenig. Nur weil sich die Öf-fentlichkeit betrogen fühlt, werden strafrechtliche Sank-tionen verschärft. Über medikamentenabhängige Mana-gerinnen und Manager, Lehrerinnen und Lehrer oderPolitikerinnen und Politiker regt sich in der Öffentlich-keit niemand auf. Das wird billigend in Kauf genommen.

(Dr. Peter Danckert [SPD]: In Kauf nimmt das keiner!)

Nicht nur der Leistungssport hat also ein Dopingpro-blem, sondern die gesamte Gesellschaft.

Die Fraktion Die Linke schlägt in ihrem Entschlie-ßungsantrag Maßnahmen vor, die das System des Sportsfür die Sportlerinnen und Sportler stärken sollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Sportlerinnen und Sportler dürfen nicht als Geg-ner, sondern müssen als Mitstreiterinnen und Mitstreiterim Kampf gegen Doping gesehen werden.

Ich möchte an dieser Stelle ein aktuelles Beispielbringen. Wir erwarten von unseren Sportlerinnen undSportlern, dass sie dopingfrei, also sauber trainieren undsich an Wettkämpfen beteiligen. Ich finde es daher kon-traproduktiv, wenn die Normen für die Teilnahme ander Leichtathletik-WM so hoch gesetzt werden, dasseinige Sportlerinnen und Sportler sie nicht mehr erfüllenkönnen. Wir erwarten, dass sie sauber sind, und erhöhengleichzeitig die Normen! Wenn wir die Normen zumBeispiel für diese WM an den derzeitigen Ranglisten ori-entieren, dann birgt das die Gefahr, dass die sauberenLeistungen unserer Sportlerinnen und Sportler mit mög-licherweise manipulierten Leistungen verglichen wer-den. Das passt nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Manche Teilnahme – das muss ich aus eigener Erfahrungsagen – an wichtigen Wettkämpfen ist schon leistungs-fördernd genug, und zwar auf eine gesunde und ehrlicheArt.

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Katrin Kunert

Wir schlagen unter anderem die Einführung einesAthletenpasses vor. Die darin erfassten Daten sollenzum Beispiel die immer höher werdende Zahl plötzlichmedikamentenbedürftiger Athletinnen und Athleten mitAusnahmegenehmigung eindämmen. Bei der letztenSchwimm-WM in Australien gab es auffällig viele aner-kannte Asthmatiker, die ganz legal leistungssteigerndeAsthmamittel einnehmen können. Hier sind in Zukunftauch und gerade die Ärztinnen und Ärzte gefragt.

Wir halten die Karriereplanung für Sportlerinnenund Sportler für besonders wichtig. Wer Beruf und Sportvereinbaren kann oder eine Perspektive nach dem Sporthat, gerät auch nicht in finanzielle Abhängigkeit vonSiegprämien.

(Beifall bei der LINKEN)

Eine breite Aufklärungskampagne in Schulen, Vereinenund bei Wettkämpfen wird das A und O sein.

Die NADA, die in der vergangenen Zeit – gelinde ge-sagt – finanziell an der kurzen Leine gehalten wurde,braucht einfach mehr Mittel. Diese müssen grundlegendaufgestockt werden, damit die NADA effizient undnachhaltig agieren kann. Die angekündigte Erhöhung imHaushalt 2008 reicht aus meiner Sicht nicht aus. Einezehnprozentige Gewinnabgabe der Pharmakonzernewäre ein konsequenter Schritt, meine ich.

Wir wollen erstens eine umfassende Aufklärung allerDopingpraktiken in Deutschland und eine Überprüfungder Strukturen des Sports. Wir wollen zweitens eine De-batte über den Sport in der Gesellschaft. Welchen Sportwollen wir? Welche Werte verbinden wir mit ihm? Wirwollen drittens, dass für alle auf internationaler Ebenegleiche Regeln gelten, das heißt ein Maß für alle. Werdie Regeln verletzt, ist raus aus dem Spiel. Ebenso wich-tig ist die Qualität der Kontrollen zur Einhaltung dieserRegeln.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN – Klaus Riegert[CDU/CSU]: Also stimmen Sie unserem Ge-setzentwurf zu?)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt spricht Winfried Hermann für das Bündnis 90/

Die Grünen.

Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Alle Vorrednerinnen und Vorredner haben da-rauf hingewiesen, dass es eine richtig lange Geschichtedes Dopings im Sport gibt, vor allem im Radsport. Esgibt aber auch eine sehr lange Geschichte des nicht kon-sequenten Kampfes gegen Doping bei den Sportorgani-satoren, in den Sportverbänden und übrigens auch in derPolitik. Das müssen wir selbstkritisch konzedieren. Wirhaben lange, zu lange zugesehen und immer darauf ver-traut, dass der Sport das schon selber in den Griff be-kommt. Ich halte es für einen Fehler, dass sich die Poli-tik immer nur so viel traut, wie die Spitzenfunktionäredes Sports der Politik zugestehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –Dr. Peter Danckert [SPD]: Nein, so war esnicht! – Dagmar Freitag [SPD]: Das ist dochUnsinn!)

– Doch, so ist es auch diesmal wieder.

Die spannende Frage, die wir uns heute stellen müs-sen, lautet: Ist das, was in den letzten Tagen und Wochenan Bekenntnissen über Dopingnetzwerke herausgekom-men ist, etwas, was mit der neuen Novelle bekämpftwerden kann? Kommt dabei etwas heraus? Da kann mansagen: Bisher haben sich die Kollegen im Sport nichtstrafbar gemacht. Jaksche sagt ganz offen: Ich gehe mitmeinem Bekenntnis vor jedes Gericht. Das kann er na-türlich tun, weil er von keinem Gericht eine Strafe be-fürchten muss, da er sich nicht strafbar gemacht hat. Daswäre auch nach der neuen Novelle gar nicht anders.

(Dr. Peter Danckert [SPD]: Das stimmt ja garnicht! – Gegenruf des Abg. Wolfgang Wieland[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich!)

Ein Sportler, der sich des Dopings schuldig bekennt,macht sich nach dem neuen Gesetz wiederum nicht straf-bar. Das ist doch die Quintessenz Ihres Gesetzes. So ha-ben Sie doch auch argumentiert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben das Arzneimittelgesetz novelliert und nicht einumfassendes Antidopinggesetz vorgelegt. Sie haben einseit zehn Jahren erwiesenermaßen schwaches Arzneimit-telgesetz – die Kollegen von der SPD werden mir zu-stimmen; wir haben es immer als eine schwache Me-thode und als schwaches Werkzeug kritisiert – etwasgestärkt, Sie haben diesem zahnlosen Tiger zugegebe-nermaßen ein, zwei Zähne beigefügt, aber aus diesem In-strument kein wirklich bissiges Gesetz gemacht.

(Dr. Peter Danckert [SPD]: Das werden wirmal abwarten! – Dagmar Freitag [SPD]: So istes!)

Mit diesem Gesetzentwurf machen Sie einen weitenBogen um die Verantwortlichkeit des Sportlers selber.

(Dr. Peter Danckert [SPD]: Das ist ja über-haupt nicht wahr!)

Das ist die eigentliche Schwachstelle dieses Gesetzent-wurfs. Nicht zuletzt deswegen sagen auch verschiedeneJournalisten: Die Politiker reden zwar groß daher, aberam Schluss sind sie milde. Dieser Gesetzentwurf istreichlich zahm. Wenn er verabschiedet wird, haben wirkein wirklich scharfes Antidopinggesetz.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vor allem die Kolleginnen und Kollegen von der SPDbetonen, es sei ein Meilenstein, dass der Besitz nicht ge-ringer Mengen von Dopingmitteln strafbar werde. Wirfinden, das ist weiße Salbe; denn der Besitz nicht gerin-ger Mengen ist für diejenigen, die damit handeln, auchheute schon strafbar.

(Dagmar Freitag [SPD]: Händler! Nachgewie-sener Händler!)

Page 41: Deutscher Bundestag - CDU/CSU 0507.pdfPlenarprotokoll 16/108 (Zu diesem Protokoll folgt ein Nachtrag) Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 108. Sitzung Berlin, Donnerstag, den

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11081

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Winfried Hermann

Sie werden mit Ihrem Vorgehen die schon heute sicht-bare Tendenz verstärken. Sicherlich lesen auch Sie dieentsprechenden Berichte im „Spiegel“ und anderswo, indenen Sportler beschreiben, wie das ganze System funk-tioniert. Die Portionen, mit denen Sportler umgehen,werden zukünftig kleiner sein. Das ist es nämlich.

(Dr. Peter Danckert [SPD]: Aber viele kleine Positionen sind auch eine große!)

Es wird nicht mehr so sein, dass ein Trainer oder einArzt eine große Tasche mit Dopingmitteln dabeihat;vielmehr wird der Sportler kleine Portionen an Doping-mitteln mitnehmen, weil er sich dadurch nicht strafbarmacht.

(Dagmar Freitag [SPD]: Gut, dass Sie das alles wissen!)

Einer Ihrer Experten hat bei der Anhörung gesagt: Auchin Zukunft verstößt ein Sportler nicht gegen das Recht,wenn er etwa bei der Radrennweltmeisterschaft inDeutschland mit einer Epo-Ampulle um den Hals insZiel fährt; ihm wird nichts passieren, weil das nichtstrafbar ist.

(Klaus Riegert [CDU/CSU]: Das ist schlicht-weg Unsinn! Gesperrt wird er! Der wird garnicht fahren! Sie haben es einfach nicht begrif-fen!)

Genau das ist es. Die Verabschiedung Ihres Gesetzent-wurfs wird zu einer Neuproportionierung der dezentra-len Dopingmittelvergabe führen, zu nichts anderem.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –Dr. Peter Danckert [SPD]: Der Besitz wirdauch saktioniert!)

Es gibt auch noch offene Fragen: Was ist eigentlichBlutdoping? Was sind nicht geringe Mengen an Blutdo-ping? Wie viel Liter Blut dürfen es denn sein?

(Dagmar Freitag [SPD]: Steht alles im Ge-setz!)

Wird es in Zukunft so sein, dass die Beutel zwar nichtmehr bei Fuentes gelagert werden, sondern dass jederRadsportler seine Beutel im eigenen Kühlschrank lagert?Auch das wird dieses Gesetz nicht erfassen.

(Dr. Peter Danckert [SPD]: Das stimmt doch alles gar nicht!)

Ich sage noch einmal in aller Deutlichkeit: Sie ma-chen einen weiten Bogen um den Sportler selber. Sie zie-hen ihn nicht zur Verantwortung. Sie stricken an der Märvom unschuldigen Sportler, der getrieben von Trainern,Medien und Netzwerken zum Doping greift, weil ernicht anders kann.

(Widerspruch des Abg. Dr. Peter Danckert [SPD])

Natürlich gibt es solche Strukturen, und trotzdem mussman sagen: Sportler sind erwachsene, verantwortungsfä-hige Menschen, von denen man erwarten muss, dass siedarüber entscheiden können, was gut und richtig ist.

Wenn sie die Regeln des Rechts verletzen, dann müssensie dafür belangt werden. Das ist das Mindeste.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen haben wir nach einer Konstruktion ge-sucht, die dafür sorgt, dass auch der Sportler – die Zen-tralfigur im Dopinggeschehen; das muss man einmalganz deutlich sagen; auch die Experten haben festge-stellt, dass der Sportler der Kern des Geschehens ist –belangt wird. Deswegen schlagen wir vor, den Tatbe-stand des Sportbetrugs in das Wettbewerbsrecht einzu-führen. Im modernen Spitzensport geht es um sehr vielGeld und damit um Betrug des Gegners. Wer manipu-liert, versucht, sich Vorteile zu verschaffen. Was wir vor-schlagen, soll auf die, wie ich finde, „moderne“ Ent-wicklung des Dopings in Form von ganz neuenNetzwerken und Methoden Einfluss nehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir Grünen haben immer gesagt: Wir brauchen nichtnur eine Novelle des Arzneimittelgesetzes, sondern aucheine umfassende neue Antidopinggesetzgebung, ein Ar-tikelgesetz, das klar regelt, unter welchen Bedingungender saubere Sport gefördert wird. Der Staat sollte sicheindeutig dazu verpflichten, Aufklärung, Informationund Prävention im Bereich Doping anzubieten. Ich regean, das Amt eines Antidopingbeauftragten zu schaffen,der hier im Bundestag darüber berichtet.

(Klaus Riegert [CDU/CSU]: Wo ist denn Ihr Entwurf dazu?)

Wir fordern ein rechtliches Paket, etwa ein Straf-rechtspaket. Einige Elemente eines solchen Pakets sindin dem vorliegenden Gesetzentwurf enthalten. Wir for-dern, dass das Element des Sportbetrugs hinzugenom-men wird.

Wir müssen die Wissenschaft, die Forschung und dieKontrolle fördern, damit sie besser werden und nicht im-mer hinterherhinken. In Freiburg haben selbst Wissen-schaftler und Mediziner staatliche Mittel missbraucht.Auch das macht deutlich, dass wir im Blick auf die Wis-senschaft selbst die Mittelvergabe im Kampf gegen Do-ping besser kontrollieren müssen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme zum Schluss.

Wie Sie gesehen haben, haben wir sehr viel Kritik aneinem unzulänglichen, nicht weit genug gehenden Ge-setzentwurf der Großen Koalition geübt. Trotzdem wer-den wir ihn nicht ablehnen. Er enthält einige Verbesse-rungen. Es wäre falsch, dagegen zu sein. Wir enthaltenuns, weil das, was erreicht wird, nicht weit genug geht,denn beim Sportler, der die zentrale Figur ist, wird nichtangesetzt.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Stephan Mayer spricht jetzt für die CDU/CSU-Frak-

tion.

Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen!

Sehr geehrte Kollegen! Die Geständnisse und Enthüllun-gen der letzten Tage und Wochen über den Dopingmiss-brauch im Radsport waren erschreckend und schockie-rend. Jetzt mag man vielleicht meinen, ich sei naiv oderzu gutgläubig, da es Dopingfälle im Radsport schon im-mer gegeben habe; die neue Qualität, die meines Erach-tens durch diese jüngsten Dopingbeichten vieler ehema-liger Telekom-Fahrer zutage getreten ist, ist aber, dass esein planvolles, kollusives Zusammenwirken im ehemali-gen Telekom-Team gab, dass hochprofessionell gearbei-tet wurde und dass es eine Selbstverständlichkeit undteilweise unausgesprochen klar war, dass man dopte.Dies macht einen fassungslos und vielleicht sogarsprachlos.

Es wäre jetzt aber falsch, die Sportler, die gedopt ha-ben und dies einräumen, an den Pranger zu stellen. Siehaben auch nicht verdient, zu Heroen stilisiert zu wer-den. Es war mit Sicherheit kein großer Ausweis von Hel-dentum, sich jetzt zu offenbaren, nachdem die meistenDelikte verjährt sind. Aber es wäre meines Erachtens dasfalsche Signal, jetzt daraus den Schluss zu ziehen, demRadsport öffentliche Fördermittel zu entziehen undmöglicherweise sogar die öffentlich-rechtliche Bericht-erstattung über Radsportereignisse wie beispielsweisedie Tour de France einzustellen.

(Dr. Peter Danckert [SPD]: Na, da kann man auch anderer Meinung sein!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Doping isteine Krake oder eine Hydra, die zumindest den Profirad-sport und möglicherweise auch andere Sportarten fest imGriff hatte und vielleicht immer noch hat. Ich halte denVergleich mit der Hydra insoweit für authentisch, alssich herausgestellt hat, dass, obwohl es in der jüngstenZeit immer wieder neue Ermittlungsmethoden gab undneue technische Möglichkeiten erfunden wurden, umdem Dopingmissbrauch zu Leibe zu rücken, immer wie-der schnell neue Medikamente entwickelt wurden, umden Dopingmissbrauch zu verschleiern.

Es muss das Ziel aller Beteiligten sein, dass das, wasdem Radsport derzeit an Glaubwürdigkeitsverlust undmeines Erachtens mittel- und langfristig auch an Bedeu-tungsverlust widerfährt, anderen Sportarten erspartbleibt. Es muss unser aller Ziel sein, dass Eltern ihreKinder wieder bedenken- und sorglos in Radsport-,Leichtathletik- und andere Vereine geben können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vor diesem Hintergrund ist das heute zur Verabschie-dung anstehende Gesetz zur Verbesserung der Bekämp-fung des Dopingmissbrauchs ein wichtiger Schritt. Manmuss an dieser Stelle ganz klarmachen, für was dasstaatliche Gewaltmonopol, für was der Gesetzgeber zu-ständig ist. Wir sind dafür zuständig, vor allem durch

eine Verschärfung des Strafrechts, den Schutzzweck zuerfüllen, der uns aufgegeben wurde. Hier muss man eineganz klare Aufgabenteilung zwischen dem organisiertenSport auf der einen Seite und dem Staat auf der anderenSeite vornehmen. Ich vertraue nach wie vor der Fähig-keit des organisierten Sports, dem Dopingmissbraucherfolgreich zu Leibe zu rücken. Es gibt den Strict-liabi-lity-Grundsatz und die Beweislastumkehr. Der Sportlermacht sich strafbar, sobald steroide Mittel, Anabolika inseinem Körper festgestellt werden. Lieber KollegeHermann, es stimmt nicht, was Sie sagen. Sie werfenhier unablässig Nebelkerzen. Wenn der Fall, den Sie ge-schildert haben, eintritt, wenn also ein Radsportler miteiner Dopingampulle um den Hals aufgegriffen wird,dann ist das ein Versuch von Doping und somit strafbar.Der Sportler wird beim ersten Mal sofort für mindestenszwei Jahre gesperrt.

(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Gesperrt schon, aber es ist nicht straf-bar! – Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Ich habe „nicht strafbar“ gesagt!)

Er kann dann seinen Sport für zwei Jahre nicht ausüben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

An dieser Stelle muss man darauf hinweisen, was dasschärfste Schwert ist. Das schärfste Schwert ist doch,wenn der Sportler seine geliebte Sportart nicht ausübenkann, von der er vielleicht auch finanziell abhängig ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Herr Hermann, Sie betreiben hier reinen Populismusund werfen Nebelkerzen. Das Gegenteil dessen, was Siegesagt haben, ist der Fall. Das schärfste Schwert ist dieSportgerichtsbarkeit. Die Sportgerichtsbarkeit und dieSportverbände sind auch in der Verantwortung, und indieser Verantwortung müssen wir sie in Zukunft in allerDeutlichkeit belassen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP – Widerspruch beim BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich begrüße es sehr, dass es immer mehr Verbändegibt, zum Beispiel den Internationalen Radsportverband,die UCI, die ihren Spitzensportlern Selbstverpflichtun-gen auferlegen. Ich würde mich freuen, wenn auch an-dere Verbände – ich weiß, der Schwimmsportverband inDeutschland ist auf dem Weg dorthin; auch die Leicht-athletik ist in diesem Bereich tätig – in Form von freiwil-ligen Selbstverpflichtungen ihren Sportlern klarmachten,dass sie bestimmte Regularien einhalten müssen.

Auf der anderen Seite muss man auch klarmachen, fürwas der Staat zuständig ist, für was er in diesem Fall nurzuständig ist. Es ist in der deutschen Rechtsordnung nuneinmal so, dass Selbstgefährdung und auch Selbstschä-digung straflos sind. Dies gilt auch für Sportler. Soschön es wäre, hier weitergehende Möglichkeiten imStrafrecht zu schaffen – einer der Sachverständigen hatvon einem Anti-Dealing-Gesetz gesprochen –: Es ist nuneinmal so, dass die Chancengleichheit und die Fairnessim Sport nicht Schutzzweck im Sinne des Strafrechts

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Stephan Mayer (Altötting)

sind. Nur ein solcher Schutzzweck würde dazu anhalten,die Besitzstrafbarkeit bei Sportlern generell zu imple-mentieren.

Wir schaffen mit diesem neuen Gesetz die Besitz-strafbarkeit bei nicht geringen Mengen, weil dies ganzdeutlich Handel indiziert. Bei internationalem illegalenHandel von Arzneimitteln, die zum Zwecke des Dopingsverwendet werden, werden endlich auch Ermittlungsbe-fugnisse für das Bundeskriminalamt geschaffen. Geradeder Fall des Dopingarztes Fuentes hat in aller Deutlich-keit gezeigt: Doping ist mittlerweile kein nationales Phä-nomen, Doping ist ein internationales Phänomen.

(Beifall des Abg. Dr. Peter Danckert [SPD])

Deswegen ist es auch sehr fraglich, ob man nur mit na-tionalen Regularien und nationalen Normen dem Dopingwirklich langfristig und effizient zu Leibe rücken kann.

Ich würde mich freuen, lieber Kollege Parr, wenn dieFDP diesem sehr wegweisenden und zukunftsgerichte-ten Gesetzentwurf zustimmen könnte. Ich habe mir IhrenEntschließungsantrag angesehen und festgestellt: Von14 Einzelpunkten, die Sie aufführen, werden 13 im Ge-setzentwurf verwirklicht. Der einzige Punkt, der nichtverwirklicht ist, ist Ihr Ansinnen, dass auch auf derPackung eines Arzneimittels ein Piktogramm aufzudru-cken ist, das ausweist, dass das Medikament für Dopingverwendet werden kann. Vielleicht geben Sie Ihrem Her-zen einen Stoß und stimmen dem Gesetzentwurf dochnoch zu, nachdem 13 von 14 Punkten Ihres Entschlie-ßungsantrages erfüllt sind.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Wir schaffen erstmals die Besitzstrafbarkeit beimSportler oder generell bei Personen, die nicht geringeMengen von anabolen Steroiden, Hormonen, wozu auchEpo-Mittel gehören, bei sich führen, wobei ich der Ehr-lichkeit halber klarmachen möchte: Das beste Dopingbe-kämpfungsgesetz ist wirkungslos, wenn es uns nicht ge-lingt, eine wirksame Prävention zu betreiben undentsprechend stringente Kontrollen durchzuführen. Des-wegen ist es wichtig, dass die Dopinganalytik und dieDopingprävention verbessert werden.

Ich begrüße in diesem Zusammenhang sehr, dass sichder Bundesinnenminister in den Haushaltsverhandlun-gen durchsetzen konnte.

(Dr. Peter Danckert [SPD]: Wir haben ihn unterstützt!)

Die Mittel, die insgesamt für den Sport zur Verfügungstehen, werden deutlich erhöht, nämlich um20 Millionen Euro. Insbesondere die Mittel, die für dieNADA zur Verfügung stehen, werden deutlich erhöht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Eine Steigerung um 1 Million Euro ist hier angedacht.Das ist ein sehr erfreuliches und sehr mutiges Signal.Des Weiteren ist vorgesehen, 2 Millionen Euro zusätz-lich für Analytik und für Prävention zur Verfügung zustellen.

In diesem Zusammenhang muss man natürlich sehen:Wir haben hier Nachholbedarf. Die Mittel, die derNADA zur Verfügung stehen, belaufen sich derzeit auf1,8 Millionen Euro im Jahr. Wenn man einen Blick insNachbarland Frankreich wirft, dann stellt man fest, dassdie dortige Organisation 7 Millionen Euro hat.

(Dr. Peter Danckert [SPD]: Genau!)

Ich bin der Wirtschaft und insbesondere dem DOSB sehrdankbar, dass sie sich hier deutlich beteiligen,

(Dr. Peter Danckert [SPD]: Könnte aber mehr sein!)

und würde mir wünschen, dass die Erhöhung der Mittel,die der DOSB für dieses Jahr in Aussicht gestellt hat undtatsächlich gibt, für die nächsten Jahre sozusagen verste-tigt wird, sodass weiterhin Mittel in dieser Höhe zur Ver-fügung stehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Kontrolle ist das Entscheidende. Derzeit werden8 000 Kontrollen bei ungefähr 9 000 Spitzensportlerndurchgeführt. Bisher waren es hauptsächlich Zufallskon-trollen. Wir müssen in Zukunft verstärkt intelligenteKontrollen, wirklich zielgenaue Kontrollen durchführen,die sich daran orientieren: Wann wäre es aus Sicht desSportlers sozusagen „am vernünftigsten“, zu dopen? Da-ran muss sich ermessen, wann die Dopingkontrollendurchgeführt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Ich komme zum Schluss.

Entscheidend ist natürlich auch die Prävention. Ge-rade in diesem Zusammenhang könnten sich die gestän-digen ehemaligen Telekom-Fahrer sehr verdient machen,indem sie in Schulklassen, Sportverbände und Vereinegehen, um dort entsprechend zu berichten.

(Dr. Peter Danckert [SPD]: Das ist auch vorgesehen!)

Als letzten Punkt möchte ich noch Folgendes anspre-chen: Die vorgesehene Evaluation des Gesetzes in fünfJahren ist richtig.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Wenn sich aber wirklich herausstellen sollte, dass das

Gesetz nicht greift oder nicht in der Form greift, wie wires uns wünschen, muss die Evaluation auch früher mög-lich sein.

Es ist eine wichtige Etappe, die wir mit diesem Gesetzzurücklegen. Ob es die Königsetappe ist – um im Jargonder Tour de France zu sprechen –, wird sich erst in der

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11084 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007

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Stephan Mayer (Altötting)

Zukunft erweisen. Auf jeden Fall kann ich nur allenempfehlen, diesem Gesetz zuzustimmen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt spricht Joachim Günther für die FDP-Fraktion.

Joachim Günther (Plauen) (FDP): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Wenn man in der heutigen Debatte über DopingVorschläge unterbreiten will, ist man eventuell gut bera-ten, vorher Fernsehen zu schauen. Man weiß ja nie, wergerade welches Geständnis abgelegt hat und wer wen be-lastet hat.

(Dagmar Freitag [SPD]: Was gibt es Neues?)

Dies sage ich auch vor dem Hintergrund dessen, wasHerr Jaksche vorgetragen hat und dass in zwei Tagen dieTour de France beginnt. Hoffen wir, dass aus dieserRichtung nicht noch mehr auf uns zukommt.

Gegenwärtig schlägt alles auf den Radsport ein. Eswäre aber blauäugig zu glauben, dass in allen anderenSportarten, vor allem in Kraft- und Ausdauersportarten,alles völlig rein, völlig sauber und völlig clean zugeht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –Dr. Peter Danckert [SPD]: Stimmt! Da kommtauch noch etwas auf uns zu!)

Vielleicht haben wir uns zu lange vor der Realität ge-duckt, nach dem Motto, was nicht sein darf, das kannnicht sein. – Nicht selten gab es in der VergangenheitDiskussionen – das wissen wir alle; diese haben wir jaauch im Sportausschuss geführt –, dass vor allem früherim Ostblock, in China und anderswo auf dieser Welt ge-dopt wurde. Richtig ist, dort wurde gedopt; da wird viel-leicht auch noch gedopt. Aber ebenso wird in den hoch-entwickelten Ländern aufgrund des wissenschaftlichenStandards gedopt, und zwar nicht viel weniger alsanderswo auf der Welt. Bei so manchem 100-Meter-Läufern konnte man, wenn man ehrlich ist und sich dieBilder von Olympia noch einmal vor Augen führt, den-ken, sie kämen direkt aus einer Muskelfabrik. In der Re-alität hinken leider die Prüfmethoden meist hinter derSpitzentechnologie des Dopings hinterher. Dies wurde jagerade im Radsport deutlich. Hier wurde ja Blutdopingzugegeben und dabei deutlich gemacht, dass es in denersten Jahren nicht nachzuweisen war. Das darf in Zu-kunft nicht mehr passieren. Deswegen fordern wir alsFDP zu Recht, mehr in die Antidopingforschung zu ge-ben, um den Antidopingkampf auf Augenhöhe führen zukönnen.

(Beifall bei der FDP)

Wir können und müssen einige Rahmenbedingungenaufstellen, die den normalen und fairen Sport wieder indie eigentliche Spur zurückbringen. Neben der For-schung müssen auch die Dopingkontrollen verbessertwerden: weg vom Urintest, hin zum Bluttest. Das ist jaetwas, was 2008 bereits durchgeführt wird. All dasbringt Kosten mit sich; hierfür muss die Finanzierungs-

basis der NADA in den kommenden Jahren kontinuier-lich ausgebaut werden.

(Dagmar Freitag [SPD]: Das machen wir ja!)

Es wurde hier richtigerweise schon angemerkt, dassdiese erhöht wurde. Ich bin aber der Überzeugung, dasswir alle uns auch dafür einsetzen sollten, dass ein be-stimmter prozentualer Anteil von allen Sponsoringgel-dern ebenfalls der NADA zur Verfügung gestellt wird.Damit hätten wir eine viel breitere Grundlage und könn-ten damit viel besser und auch im internationalen Ver-gleich hochwertiger agieren.

(Dagmar Freitag [SPD]: Das hat der Kollege Danckert schon lange vorgeschlagen!)

Es lohnt sich aber auch, über ein paar weitere Grund-sätze nachzudenken und sie in die gesellschaftliche De-batte einzubringen. Zählt in der Wirklichkeit denn nurnoch der Sieg? Sind wir, die Öffentlichkeit und diePresse nicht auch daran beteiligt, dass die Zweiten undDritten eines Wettkampfes bereits als Verlierer darge-stellt werden? Bei der Tour de France wird der Etappen-sieger geehrt. Das Ereignis liegt vor uns. Schauen Sieeinmal genau hin: Da gibt es gar kein Podium mehr fürden zweiten und dritten Platz. Gehen wir in Deutschlandmit dem olympischen Gedanken richtig um? Auchdiese Frage muss einmal gestellt werden. Wir selbst sa-gen doch: Nur wer eine reelle Medaillenchance hat, darfzur Olympiade fahren.

(Dagmar Freitag [SPD]: Das sagt Ihr Frak-tionskollege auch!)

Eine offene Diskussion über die Qualifikationskriterienfür Olympische Spiele muss meines Erachtens nachnoch einmal stattfinden und möglich sein.

(Dagmar Freitag [SPD]: Das ist interessant! –Klaus Riegert [CDU/CSU]: Wir wollen dochkeine Touris oder bloße Mitmacher hin-schicken!)

Wer von vornherein nur auf Siege setzt, wer alle anderenLeistungen ausblendet, der darf sich im Endeffekt überDoping nicht wundern. Auch der Sport muss hiermanchmal wieder zur Normalität zurückkommen.

(Beifall bei der FDP)

In diesem Zusammenhang lohnt es sich auch, einenBlick in die Fernsehübertragungen zu werfen und überdas Sponsoring generell zu sprechen. Fernsehübertra-gungen, die Wettkämpfe hochspielen, weil Weltrekordevorher angekündigt werden oder hohe Geldbeträge fürbestimmte Wettkämpfe eingesetzt werden, um Jahres-weltbestleistungen zu erzielen, geben geradezu denGrund dazu, auf dieses Ereignis hinzudopen. Darübersollte gesprochen werden. Sport muss wieder zurschönsten Nebensache der Welt werden. Ich weiß, dasbekommen wir nicht so einfach hin. Aber es wäre schön,wenn wir in Zukunft wieder über wahre Sieger und nichtüber den besten Arzt oder den besten Chemiker sprechenwürden.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11085

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Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Fritz

Rudolf Körper das Wort.

(Beifall bei der SPD)

Fritz Rudolf Körper (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Ein Satz vorweg: Doping imSport ist Betrug –

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Winfried Hermann [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Diese Einsicht freutuns!)

Betrug an den sportlichen Mitwettbewerbern, an den Zu-schauern, an den Preisverleihern und an denen, die in gu-tem Glauben den Sport als Vorbild für Disziplin undFairness genommen haben. Dopingmissbrauch ist nichtzu relativieren und nicht zu verharmlosen.

(Beifall bei der SPD)

Doping ist auch nicht nur gesundheitsschädlich. Es kos-tet im Extrem das Leben und führt zum Tod.

(Dagmar Freitag [SPD]: Oh ja!)

Es ist viel über die Geschichte gesagt worden. 1886ist erwähnt worden. Übrigens gab es im Jahre 1967 beider Tour de France ein einschneidendes Erlebnis zumThema Doping. Bei dieser Tour de France starb der eng-lische Radsportler Tom Simpson an einer Mischung ausAmphetaminen und Alkohol. Dieses Ereignis hat in derFrage von Doping und Dopingbekämpfung natürlich ei-niges ausgelöst. Es kam zur Gründung der medizini-schen Kommission des IOC, um die Dopingbekämpfungvoranzutreiben, international zu vereinheitlichen undden Dopinggebrauch mit Sanktionen zu belegen. Daswar allerdings nicht sehr erfolgreich. Dieses Beispielzeigt aber, wie bestimmte Ereignisse Entscheidungenherbeiführen.

Ich muss zugeben, dass wir hier in Deutschland imVergleich zwischen Februar dieses Jahres und heute eineerheblich unterschiedliche Debattenlage haben. Diejeni-gen, die im Februar die Notwendigkeit eingefordert ha-ben, in Sachen Dopingbekämpfung etwas zu machen,sind zum Teil milde belächelt worden. Die Ereignissehaben ihre eigene Sprache gesprochen.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen ist es richtig, dass wir ein Gesetzgebungs-vorhaben auf den Weg gebracht haben, bei dem dieStrafbarkeit des Besitzes nicht geringer Mengen be-stimmter Dopingmittel im Vordergrund steht. Uns ist im-mer wieder das Argument entgegengebracht worden, esgehöre zur grundgesetzlich garantierten Freiheit, sichden eigenen Körper ruinieren zu dürfen, auch mit Todes-folge. Dieses Argument ist falsch, absurd und nicht ak-zeptabel.

(Beifall bei der SPD)

Es geht nämlich vom einzelnen Individuum aus und ver-kennt den gesellschaftlichen Zusammenhang, in demDoping angewendet wird.

Die Besitzstrafbarkeit betrifft den Besitz zu Doping-zwecken im Sport. Ziel des Dopens ist die heimlicheVerzerrung der Wettbewerbssituation.

(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Also Wettbewerbsbetrug!)

Der Dopende sucht weder den Rausch noch die Selbst-zerstörung. Er will zum Nachteil der Mitwettbewerberden Sieg in einem gesellschaftlich organisierten Wettbe-werb. Damit übt er Druck auf sämtliche Mitbewerberaus. Zur Wahrung der Chancengleichheit müssen alledopen, wenn sie nicht verlieren wollen. Doping ist vonseiner Logik her deshalb kein Einzelphänomen. Dopingführt wegen des auf alle Wettkämpfer ausgeübtenDrucks zwangsläufig zu einem System des allgemeinenDopens.

Meine Damen und Herren, die Sturzflut der neuen Er-kenntnisse, Enthüllungen und Geständnisse kann nurden überraschen, der in seiner Wahrnehmung Doping aufdie Selbstschädigung des Einzelsportlers verkürzt hat.

(Dagmar Freitag [SPD]: Richtig!)

Was folgt daraus?

(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nichts!)

Doping ist nicht nur Selbstschädigung, sondern ein sys-tematischer Zwang zur Schädigung aller Beteiligten. DieBesitzstrafbarkeit dient daher dem Schutz der Gesund-heit sämtlicher Sportler sowohl im Spitzen- als auch imBreitensport.

(Beifall bei der SPD)

Diesen Zusammenhang herzustellen, ist mir sehr wich-tig. Denn die Vorbildfunktion des Spitzensports führt be-kanntlich auch im Breitensport zu einer Welle des Arz-neimittelmissbrauchs. Schließlich dient die Vorschriftder Sicherheit des Arzneimittelverkehrs.

Es ist auch ganz wichtig, festzuhalten, dass diese ge-fundene gesetzliche Regelung nicht im Widerspruch zuden sportgerichtlichen Sanktionen zu sehen ist. Manmuss wissen, dass die sportgerichtlichen Sanktionen un-ter anderen Bedingungen ausgesprochen werden. Sieknüpfen an die positive Probe an. Sie folgen anderen Be-weisregeln. Dem Sportler muss nicht ein schuldhafterVorsatz nachgewiesen werden. Es gibt andere Strafen:Ausschluss und Sperren statt Geld- oder Freiheitsstrafen.Unterschiedliche Resultate der jeweiligen Verfahren sindmöglich und nachvollziehbar. Sie schaden also nicht.

Der Hinweis auf die angebliche Behinderung dersportgerichtlichen Verfahren war ein Hauptargument,das uns immer wieder entgegengeschleudert worden ist.Ich denke, dass das damit ausgeräumt ist.

Die Sportgerichtsbarkeit ist alleine offensichtlich zureffektiven Bekämpfung des Dopings nicht in der Lage.

(Beifall bei der SPD – Detlef Parr [FDP]: Jetzt geht das wieder los!)

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11086 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007

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Fritz Rudolf Körper

Nur die Staatsanwaltschaft kann mit den ihr vorbehal-tenen Ermittlungsmaßnahmen die Hintermänner ausfin-dig machen.

(Detlef Parr [FDP]: Schon einmal etwas vomSchulterschluss zwischen Sport und Staat ge-hört?)

Ich denke, das ist ganz wichtig. Die Besitzstrafbarkeit,Herr Kollege Parr, gibt den Staatsanwaltschaften einenersten Anknüpfungspunkt für Ermittlungen. Der An-fangsverdacht kann sich nun auch allein auf den Besitzgründen. Die Beschränkung auf die nicht geringeMenge macht die Vorschrift nicht wirkungslos. Die Be-schränkung auf die nicht geringe Menge betrifft zwin-gend nur Anklage und Verurteilung. Der Anfangsver-dacht kann im Zusammenhang mit anderen Tatsachenauch auf den Besitz einer geringen Menge gestützt wer-den.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Peter Danckert [SPD]: Genau!)

Das muss man hier noch einmal deutlich machen.

Ich bin froh, dass wir diese Regelung gefunden ha-ben. Die Systematik dieses Gesetzentwurfes, nämlichdass die Stoffe in der Anlage aufgeführt sind und dass esVeränderungen in der Aufzählung durch Rechtsverord-nungen geben kann, gibt uns die Möglichkeit, flexibel zuhandeln. Wir können relativ schnell reagieren.

(Dagmar Freitag [SPD]: Ja!)

Außerdem kann die nicht geringe Menge über eineRechtsverordnung definiert werden. Das zeigt die Prak-tikabilität dieses Gesetzentwurfes.

Ich hoffe, dass wir eine breite Mehrheit finden. DerSport hätte es verdient. Er soll weiterhin Vorbildfunktioninsbesondere für unsere Jugend haben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt spricht Jerzy Montag für Bündnis 90/Die Grü-

nen.

Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kolle-

ginnen und Kollegen! Doping muss entschieden be-kämpft werden. Darüber gibt es in diesem Haus über-haupt keinen Dissens. Aber dies muss natürlich mitrechtsstaatlichen Mitteln und mit Mitteln, die vor derVerfassung unseres Staates bestehen können, geschehen.Es ist daher wichtig, noch einmal auf die Besitzstraf-barkeit zu sprechen zu kommen. Ich habe eine völligandere Überzeugung als Sie, Herr Kollege Körper.

Selbstverständlich kann und muss die Sportgerichts-barkeit jeden Konsum und jeden Besitz von Doping ahn-den. Das sollte sie viel konsequenter als bisher tun. Dazubraucht sie aber Mittel und Möglichkeiten. Das Straf-recht kann und darf das nicht.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU undder FDP)

In der Anhörung gab es unterschiedliche Auffassun-gen; Kollege Danckert – er sitzt dort hinten – hat es an-gesprochen. Aber in einem Punkt, lieber Herr KollegeDanckert, waren sich die Sachverständigen in der Mehr-heit schon einig. Ich will einen von ihnen zitieren – Pro-fessor Dr. Jahn, Richter am Oberlandesgericht –:

Selbstgefährdende und selbstverletzende Verhal-tensweisen einer frei verantwortlich handelndenPerson, die die Tragweite ihrer Handlungen über-blickt, dürfen als solche

– ich betone: als solche –

nicht strafrechtlich sanktioniert werden. Dies ent-spräche nicht dem Menschenbild des GG und wäreverfassungswidrig.

Herr Kollege Körper, in Ihrem Beitrag sind Sie überIhren Gesetzentwurf hinausgegangen.

(Detlef Parr [FDP]: Ja, genau!)

Denn Sie sehen darin ja keine Besitzstrafbarkeit vor– für diese haben Sie sich hier sehr engagiert –, weil Sieerkannt haben, dass das nicht geht. Aber die gleichenverfassungsrechtlichen Probleme haben Sie natürlichbeim Besitz nicht geringer Mengen von Dopingmitteln.Deswegen steht in Ihrem Gesetzentwurf, die Intentionder Strafbarkeit sei nicht deswegen gegeben, weil sie aufden Konsum gerichtet ist, sondern deswegen, weil sieauf die Verbreitung gerichtet ist.

(Klaus Riegert [CDU/CSU]: Ja, genau! – Dagmar Freitag [SPD]: Das ist Unsinn!)

– Das ist richtig. – Aber damit ist Ihr Vorschlag nur einPlacebo; denn schon das Verbreiten, Verabreichen undWeitergeben von Dopingmitteln ist ja strafbar.

(Detlef Parr [FDP]: So ist es! – Klaus Riegert[CDU/CSU]: Eben nicht! Sie haben es auchnicht verstanden!)

So wie im Drogenrecht der Drogenhändler, der mit1 Kilogramm Drogen in der Tasche erwischt wird, nichtwegen des Besitzes, sondern wegen des Handeltreibensverurteilt wird, so kann auch heute schon derjenige Arzt,der einen Koffer voller Drogen in seinem Arztschrankhat, nicht wegen Besitzes, sondern wegen der Abgabeund des Inverkehrbringens verurteilt werden.

(Klaus Riegert [CDU/CSU]: Nein, eben nicht! Heute nicht!)

Ihr Angebot ist also ein reines Placebo. Sie handeln da-mit nach außen und glauben, Sie würden Aktivität ent-falten, tun es aber in Wirklichkeit nicht.

Im Gegensatz dazu ist unser Vorschlag, der Vorschlagdes Sportbetrugs, die richtige Antwort auf Ihren erstenSatz, Herr Kollege Körper: Jawohl, Doping ist Betrug.Da, wo die Triebfeder für Doping Geld ist, wo es umwirtschaftliche Werte geht, ist die Möglichkeit gegeben,mit einer Strafvorschrift im Sinne des Sportbetrugs vor-

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Jerzy Montag

zugehen. Das ist der Vorschlag der Grünen. Wir wärenfroh gewesen, Sie hätten diesen Vorschlag aufgenom-men.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –Klaus Riegert [CDU/CSU]: Das ist ja ein nochgrößeres Placebo!)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt spricht der Bundesminister Dr. Wolfgang

Schäuble.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des In-nern:

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die De-batte heute unterscheidet sich, wie ich finde, sehr positivvon manchen Beiträgen in der ersten Lesung. Dies zeigt,dass die zügige Beratung des Gesetzentwurfes, für dieich mich bedanke, offensichtlich bei allen in diesemHause dazu geführt hat, dass wir die Tragweite und dieTiefe dieses Problems noch deutlicher spüren und dasswir, wenn wir ehrlich sind – gerade die letzten Beiträge,auch mit dem juristischen Argumenten, von HerrnKörper und Herrn Montag zeigen dies –, niemals einehundertprozentige Lösung finden werden, übrigens auchnicht mit noch so vielen Forschungsmitteln, Herr Kol-lege Günther. Die Menschheitsgeschichte ist ein ewigerWettlauf zwischen solchen, die Gesetze verletzen wollenund denjenigen, die versuchen, sie einzuhalten. Der frei-heitliche Staat läuft hinterher und nicht voraus; das ist sogewollt.

Deswegen ist es gut, dass wir uns darauf verständigthaben: Der Staat allein – die Staatsanwaltschaften, dieStrafverfolgungsbehörden, der Gesetzgeber – kann undwird dieses Problem nicht lösen. Er braucht vielmehr dieUnterstützung derjenigen, die im Sport Verantwortungtragen. Deswegen ist es richtig und gut, dass wir dies ge-meinsam machen, deswegen ist diese Partnerschaftkeine Kumpanei, sondern das richtige Verständnis einerfreiheitlichen Lebens- und Gesellschaftsordnung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Die einfachen Lösungen sind alle gefährlich.

Frau Kollegin Kunert, Sie haben für die Linksfraktiongesagt, das Übermaß des Kommerzes verursache das.Es gab und gibt auf der Welt Sportsysteme, die gar nichtviel mit Kommerz zu tun haben, die staatlich gelenktsind. Man kann aber nicht behaupten, dass in diesen Sys-temen nicht gedopt worden sei.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Zurufe von der LINKEN)

Ich sage das ganz zurückhaltend, weil die andere Seitemanchmal genauso zu Überheblichkeiten neigt. Ursacheist nicht allein der Kommerz. Der ist zwar auch mit ur-sächlich, aber man kann beim besten Willen nicht sagen,dass in staatlich gelenkten Systemen, in denen es nichtum den Kommerz ging, nicht gedopt wurde. Das istnämlich nicht wahr. Vielleicht ist die Neigung des Men-schen nach Maßlosigkeit die Ursache. Das können wir

nicht durch einen totalitären Staat, durch kein staatlichesSystem lösen, sondern nur durch die Wahrnehmung vonFreiheit, also Verantwortung. Der Staat muss den Rah-men setzen. Das tun wir in dem Maße, wie es möglichist, aber genau in dem Zusammenwirken von Staat undSport.

Herr Kollege Körper, ich habe Ihnen ganz aufmerk-sam zugehört; Sie sprachen vom Druck. Sie haben ge-sagt, wenn einer dopt, müssen es die anderen auch.Wenn der Kollege Danckert in seiner anwaltlichen Tä-tigkeit als Verteidiger damit befasst wäre, könnte er IhreArgumentation aufgreifen und sagen: Allenfalls derErste, der jemals gedopt hat, kann strafrechtlich belangtwerden; alle anderen haben gewissermaßen nur daraufreagiert. Sie haben fast ein strafrechtliches Entschuldi-gungsargument geliefert.

Herr Kollege Montag, deswegen ist es wichtig, dassder Sport selber sanktioniert; Stichwort „strict liability“.Das funktioniert. Weil es kein harmloses Alltagsdeliktist, sondern hochkriminell, brauchen wir ergänzend dieVernetzung. Deswegen brauchen wir die Ausdehnungdes Strafrahmens, deswegen die Zuständigkeit desBundeskriminalamtes und der Einsatz des ganzen Instru-mentariums, auch um Kommunikationsstrukturen zuüberwachen. Wir brauchen auch die Telekommunika-tionsüberwachung und die Möglichkeit, in Räume einzu-dringen. Wir müssen die Informationen auch entspre-chend vernetzen. Ich sage das mit Blick auf andereDebatten, die wir im Bereich der Innenpolitik noch füh-ren wollen. Wir müssen das ganze Instrumentarium ein-setzen, um diese hochkriminellen Strukturen bekämpfenzu können.

Die Sportler, die Teil dieses Systems sind, sind vondiesem Strafrahmen erfasst, auch strafrechtlich. DerSportler wird nicht privilegiert. Wenn er Teil des Sys-tems ist, ist auch er Täter. Die Einbeziehung des Sport-lers ist notwendig.

Ich möchte eine weitere Bemerkung machen. DerKollege Riegert hat am Anfang der Debatte eine sehr be-denkenswerte Frage aufgeworfen, die wir aber nicht be-antworten können, sondern die der Sport selbst, auch aufinternationaler Ebene, beantworten muss. Wenn man be-rücksichtigt, welch kleine Rolle Doping auf der Tagungdes Internationalen Olympischen Komitees gespielt hat,weiß man, dass wir noch viel Arbeit vor uns haben.Klaus Riegert hat gefragt: Gibt es Sportarten, in denenman ohne den missbräuchlichen Einsatz von leistungs-fördernden Mitteln, also ohne Doping, gar nicht in derWeltspitze mithalten kann? Wenn es die gibt, müssen wirdaraus Konsequenzen ziehen.

Wir können das nicht definieren, nicht als Gesetzge-ber und nicht als Politiker. Auch in diesem Zusammen-hang brauchen wir die Zusammenarbeit mit denen, dieim Sport Verantwortung tragen. Wahr ist: Wenn dasPrinzip des Wettbewerbs im Sport, im Leistungssportdiffamiert wird, weil das nur noch Schmu ist, weil es nurnoch Missbrauch gibt und er nur noch gesundheitsschäd-lich ist, dann verliert der Sport das Großartige, was ihnausmacht und was er bewahren muss. Die freiheitliche

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Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble

Organisationsform des Sportes kann das viel besser ge-währleisten als jedes staatlich gelenkte System.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD und der FDP)

Ich bin mir mit den Verantwortlichen im deutschenSport, auch im deutschen Radsport, auch mit dem Präsi-denten des Bundes Deutscher Radfahrer, völlig einig. Indiesem Jahr findet die Straßenweltmeisterschaft inStuttgart statt. Wir werden die Tour de France und alles,was damit zu tun hat, genau beobachten. Die Straßen-weltmeisterschaft in Stuttgart bietet eine Möglichkeit füreinen Neuanfang – das ist vielleicht die letzte Chance fürden professionellen Radsport –, eine Möglichkeit, denSport mit unserer Hilfe aus diesem Sumpf zu befreien.Die Politik kann das nicht alleine leisten. Bund, Landund die Stadt Stuttgart sind da in enger Abstimmung.

Wir stimmen uns auch mit den Verantwortlichen desRadsportes ab. Ich werde am Montag mit den Präsiden-ten des deutschen und des internationalen Radsportessprechen. Nein. Das ist die letzte Chance. Darüber mussman reden. Ich weiß noch gar nicht, ob wir das hinrei-chend sicherstellen können. Deswegen sage ich ganzklar: Wir werden sehr genau beobachten, was währendder Tour de France passiert. Das ist das letzte große in-ternationale Ereignis vor der Straßenweltmeisterschaft.Danach werden wir entscheiden. Das muss jeder wissen.Es wäre jammerschade.

Ich sage Ihnen voraus: Die Debatte konzentriert sichim Augenblick zu sehr auf den Radsport. Das ist not-wendig und richtig. Aber es sollte niemand glauben, dasssie sich auf den Radsport beschränkt. Deswegen machenwir die strengen Untersuchungen in allen Bereichen,denn Steuergelder können wir dafür nicht einsetzen. Dasind wir uns alle einig.

Deswegen bedanke ich mich. Ich glaube, diese De-batte zeigt, dass wir mit dem Gesetzentwurf, den wirheute verabschieden, nicht alle Probleme lösen. Daskann der Gesetzgeber nie. Aber er kann einen wichtigenBeitrag leisten und klarmachen: Wir geben das Großar-tige im Sport nicht auf. Wir vertrauen darauf, dass frei-heitliche Gesellschaften, die wissen, dass es hundertpro-zentige Lösungen nicht gibt, besser in der Lage sind,Missstände zu korrigieren, und dass der Prozess von tryand error auch da funktioniert.

Deswegen ermutigen wir den Sportler und nehmenihm seine Verantwortung nicht weg, indem wir sagen,dass wir das jetzt allein machen. Denn das können wirnicht. Wir leisten vielmehr unseren Beitrag und forderndas andere ein. Wir werden mit diesem Problem nochweiter zu tun haben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:Jetzt spricht Dagmar Freitag für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Dagmar Freitag (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Trotz aller Kritik aus den Reihen der Opposition: Wirleiten mit dem heutigen Gesetzentwurf durchaus einenParadigmenwechsel ein. Heute ist es so – das sage ichinsbesondere in Richtung der Fraktion der Grünen –,dass man den Dealer, das heißt den Besitzer von uner-laubten Substanzen, mehr oder weniger auf frischer Tatertappen muss. Herr Kollege Montag, nur als Beispielder Fall Springstein. Herr Springstein ist nicht verurteiltworden, weil man bei ihm zu Hause Dopingsubstanzengefunden hat, und zwar in einer erheblichen Menge, erist verurteilt worden aufgrund der nachgewiesenen Ab-gabe von Dopingsubstanzen an Minderjährige. Es istnicht richtig, dass Sie sagen: Der Besitz allein ist heuteschon strafbar. Nein, Sie müssen die Personen beimHandel, bei der Weitergabe, beim Inverkehrbringen, er-wischen. Das ist der entscheidende Unterschied. Ichdenke, Sie sollten sich einfach einmal das Springstein-Urteil zu Gemüte führen. Dann sind wir an dieser Stelleeiner Meinung.

Dieser Gesetzentwurf ist ein Fortschritt. Es soll andieser Stelle ruhig noch einmal erwähnt werden: Auchdie Grünen – gemessen an der ungeheuren Zahl ihrer öf-fentlichen Erklärungen zu diesem Thema sind sie ja dievermeintlich größten und besten Dopingbekämpfer allerZeiten – sehen in ihrem Antrag keine Form einer Besitz-strafbarkeit vor. Kollege Hermann musste einräumen,dass das in dieser Fraktion nicht mehrheitsfähig war.

Daraus folgt: Diese Regelung, die – auch das soll ein-mal erwähnt werden – übrigens die Koalitionsfraktionenin den Gesetzentwurf der Bundesregierung eingebrachthaben, wäre mit Ihrer Fraktion, Herr Kollege Hermann,definitiv nicht machbar gewesen. Von daher täte ein we-nig mehr Bescheidenheit bei der Bewertung unsererMaßnahmen gut.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Lassen Sie mich kurz einen Blick auf die NADA wer-fen. Nennen wir sie ein Sorgenkind, das nach wie vornicht aus dem Gröbsten heraus ist.

(Detlef Parr [FDP]: So ist es!)

Aber ein Neuanfang ist in Sicht. Es ist eine Gemein-schaftsaufgabe – ich betone das an dieser Stelle aus-drücklich –, die Arbeit der NADA zu unterstützen. DerBund wird in den kommenden Jahren wesentlich mehrGeld zur Finanzierung der NADA bereitstellen, obwohl– das ist an dieser Stelle nicht unwichtig – es eigentlichnicht die originäre Aufgabe des Bundes ist, hier eine Artinstitutionelle Förderung aufzubauen. Aber der unbe-strittenen Notwendigkeit folgend stellen wir uns dieserAufgabe in Zeiten, in denen andere weiterhin vornehmeZurückhaltung üben oder sich ihrer Einmalzahlungenrühmen.

Schlussendlich muss die NADA die Aufgaben, die ihrübertragen sind, auch leisten können. Wir werden nachKräften dazu beitragen, dass sie dies auch zukünftigkann.

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Dagmar Freitag

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenden wir unseinmal der medizinischen Abteilung des Sports zu. Wasist eigentlich die Aufgabe von Ärzten? Volkstümlichausgedrückt besteht sie darin, Krankheiten zu heilen,aber auch darin, Krankheiten nach Möglichkeit zu ver-hindern. An dieser Stelle frage ich: Kann man als Arztdie aktive Teilnahme an der Verabreichung von Doping-substanzen, ohne den Eid des Hippokrates zu verletzen,guten Gewissens damit begründen, dass man diese Wi-derwärtigkeiten nur deshalb medizinisch begleitet, umbeispielsweise Spätfolgen unkontrollierten Dopings zuverhindern, dass man also angeblich sogar etwas Gutestut? Wir sagen dazu ganz eindeutig Nein.

Jüngste Stellungnahmen von Medizinern und Dopernlegen diese unerträgliche Lesart allerdings nahe. Dopingund Beihilfe widersprechen zutiefst dem ärztlichen Be-rufsethos. Daher ist zu überlegen – das ist eine Anre-gung –, ob sich dies nicht auch in der Musterberufsord-nung der Ärzte widerspiegeln sollte. Damit sich Haus-und Fachärzte, die Athleten im Krankheitsfall bestimmteArzneimittel verschreiben, nicht länger auf Unwissen-heit berufen können, ist es auch richtig, dass Warnhin-weise nicht nur in die Beipackzettel, sondern auch in diesogenannten Fachinformationen aufgenommen werden.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Zeit derLippenbekenntnisse ist vorbei. Gefragt ist ein grundle-gender Mentalitätswechsel in Sport, Politik und Gesell-schaft.

Was ist Erfolg? Welcher Sportler, welche Sportlerinist in der heutigen öffentlichen Wahrnehmung erfolg-reich? Saubere Sportler von heute sehen sich Fabelrekor-den aus längst vergangenen testfreien Dopingzeiten aus-gesetzt. Die Sportler wissen, dass sie diese Leistungenvermutlich nie erreichen, geschweige denn verbessernkönnen. Ähnliches gilt für manche Qualifikationsnor-men, die für die Teilnahme an Weltmeisterschaften oderOlympischen Spielen zu erreichen sind. Ist ein Sportler,der eine solche Qualifikationsnorm knapp verfehlt, einVersager? Wir sagen: Nein.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wer eine Qualifikation nur um wenige Zentimeteroder Bruchteile von Sekunden verpasst, gehört jeden-falls nach unserem Verständnis immer noch zur erweiter-ten Weltspitze.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowiedes Abg. Detlef Parr [FDP] – WinfriedHermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Warum streicht der DLV dann nicht all die Do-pingweltrekorde?)

– Ich freue mich über Ihren Beifall, Herr Kollege. – Sol-chen Leistungen gebührt Respekt und Anerkennung.Oder doch nicht? Sind solche Athleten bestenfalls reiffür Dorfsportfeste? Wenn ich Aussagen aus den Reihender FDP richtig interpretiere, muss ich feststellen, dassSie eindeutig dieser Auffassung sind.

(Detlef Parr [FDP]: Um diese Differenzen ging es dabei nicht, Frau Kollegin!)

Herr Kollege Parr, das schlichte Infragestellen bestimm-ter Normen haben Sie mit folgendem Hinweis abgebü-gelt – ich zitiere –: Die Befürworter geringerer Normensollten konsequenterweise ganz auf eine Entsendung vonAthleten verzichten und sich auf Dorfsportfeste konzen-trieren.

(Detlef Parr [FDP]: Ich meinte damit dras-tische Einschnitte!)

Lieber Herr Kollege, sauberen Athletinnen und Athleten,die hart für ihre Ziele – bei manchen.sind es sogar nochTräume – trainieren, müssen solche Bemerkungen wieblanker Hohn vorkommen.

(Beifall bei der SPD)

Noch ein Wort zur Kollegin Kunert. Frau Kunert,nach wie vor steht die öffentliche Äußerung Ihres Frak-tionsmitgliedes Nešković im Raum, dass Dopingmitteleinfach freigegeben werden sollten. Solange Sie dasnicht widerrufen und sich nicht öffentlich davon distan-zieren, müssen Sie es uns nachsehen, dass wir Ihren An-trag als Lyrik bezeichnen. Wenn Ihnen diese Bezeich-nung nicht passt, Frau Kollegin, kann ich ihn auchinhaltsleer nennen; vielleicht gefällt Ihnen dieser Aus-druck besser.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die vorgelegten Regelungen sind besser und gehenweiter als all das, was bislang im Gesetz steht. Wir hof-fen gemeinsam, dass alle an der Dopingbekämpfung be-teiligten Institutionen und Personen den Ernst der Lageerkannt haben.

(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Die Hoffnung stirbt zuletzt, Frau Kolle-gin!)

Sollten wir nämlich zu der Erkenntnis kommen – dazubrauchen wir vermutlich keine fünf Jahre –, dass dieStaatsanwaltschaften ihre Ermittlungen weiterhin – las-sen Sie es mich so sagen – mit großer Zurückhaltung be-treiben, kommen sehr schnell neue Stichworte auf dieTagesordnung der politischen Diskussion.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:Bevor ich die Debatte schließe, gebe ich das Wort zu

einer Kurzintervention der Kollegin Kunert für die Frak-tion Die Linke.

Katrin Kunert (DIE LINKE): Frau Kollegin Freitag, ich habe hier für die Fraktion

Die Linke zu unserem Entschließungsantrag gesprochen.Wenn Sie sich wegen Wortäußerungen oder Wortmel-dungen oder wegen eines Interviews mit dem KollegenNešković auseinandersetzen wollen, können Sie dasgerne tun. Aber ich bin nicht seine persönliche Spreche-

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Katrin Kunert

rin. Wie gesagt: Dieser Antrag ist ein Mehrheitsbe-schluss der Fraktion; insofern muss ich hier für nieman-den sprechen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:Zur Antwort, Frau Freitag, bitte.

Dagmar Freitag (SPD):Sehr geehrte Frau Kollegin, es ist schon ein bemer-

kenswerter Vorgang, dass Sie diese öffentliche Äuße-rung, die Ende Mai in der „Welt“ nachzulesen war – ichglaube, es war der 27. Mai –, abtun, dass Sie tun, als obes sie nie gegeben hätte. Was spricht dagegen, Frau Kol-legin, dass sich die Fraktion Die Linke öffentlich vondieser unsäglichen, menschenverachtenden Äußerungdes Linke-Abgeordneten Nešković distanziert? Aufdiese Frage, Frau Kollegin Kunert, habe ich bis heutekeine Antwort bekommen, auch von Ihnen nicht.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zurVerbesserung der Bekämpfung des Dopings im Sport.Der Sportausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seinerBeschlussempfehlung auf Drucksache 16/5937, denGesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache16/5526 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzuliegt ein Änderungsantrag der Fraktion des Bündnis-ses 90/Die Grünen vor, über den wir zuerst abstimmen.Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache16/5938? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit istder Änderungsantrag bei Zustimmung von Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstimmen im übrigen Haus abge-lehnt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf inder Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Hand-zeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit istder Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei Zustimmungdurch die Koalition, Gegenstimmen durch Die Linkeund Enthaltung bei Bündnis 90/Die Grünen und FDP an-genommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetz-entwurf in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmen-verhältnis wie zuvor angenommen.

Wir stimmen jetzt über die Entschließungsanträge ab.Wer stimmt für den Entschließungsantrag der FDP aufDrucksache 16/5942? – Gegenstimmen? – Enthaltun-

gen? – Der Entschließungsantrag ist bei Zustimmungdurch die FDP, Gegenstimmen der Koalition und Enthal-tung bei Der Linken und Bündnis 90/Die Grünen abge-lehnt.

Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-tion Die Linke auf Drucksache 16/5941? – Gegenstim-men? – Enthaltungen? – Dieser Entschließungsantrag istbei Zustimmung durch Die Linke, Gegenstimmen durchdie Koalition und Enthaltung bei Bündnis 90/Die Grü-nen und FDP ebenfalls abgelehnt.

Wir setzen die Abstimmung über die Beschlussemp-fehlung des Sportausschusses auf Drucksache 16/5937fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seinerBeschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags derFraktion der FDP auf Drucksache 16/4738 mit dem Titel„Bekämpfung des Dopings im Sport vorantreiben undOptimierungsmöglichkeiten ausschöpfen“. Wer stimmtfür diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? –Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist bei Zu-stimmung durch die Koalition, Gegenstimmen der FDPund Enthaltung bei Bündnis 90/Die Grünen und DieLinke angenommen.

Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ab-lehnung des Antrags der Fraktion des Bündnisses 90/DieGrünen auf Drucksache 16/4166 mit dem Titel „Be-kämpfung des Dopings im Sport“. Wer stimmt für dieseBeschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Ko-alition und der FDP und Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen, bei Enthaltung der Fraktion Die Linke an-genommen.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 35 b bis 35 fsowie die Zusatzpunkte 7 a bis 7 c auf:

35 b) Beratung des Antrags der Abgeordneten HorstFriedrich (Bayreuth), Jan Mücke, Patrick Döring,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Mehr Park- und Stellplätze für Lkw auf Bun-desautobahnen

– Drucksache 16/5278 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten HorstFriedrich (Bayreuth), Jan Mücke, Patrick Döring,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Neues Verkehrssicherheitskonzept für Bun-desautobahn 12 zusammen mit dem LandBrandenburg umsetzen

– Drucksache 16/5611 – Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11091

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Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt

d) Beratung des Antrags des Abgeordneten PatrickDöring, Hans-Michael Goldmann, MichaelKauch, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder FDP

Toxische Rückstände in Transport-Contai-nern – Herausforderung für Arbeits- und Ver-brauchersicherheit

– Drucksache 16/5612 – Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft und VerbraucherschutzAusschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten SylviaKotting-Uhl, Rainder Steenblock, Nicole Maisch,weiterer Abgeordneter und der Fraktion desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Antifoulingabkommen unverzüglich ratifizie-ren

– Drucksache 16/5777 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft und VerbraucherschutzAusschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten HeikeHänsel, Wolfgang Gehrcke, Monika Knoche,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LIN-KEN

Deutsche Kolumbien-Politik auf die Stärkungziviler Friedensinitiativen und der sozialen,demokratischen und Menschenrechte ausrichten

– Drucksache 16/5678 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f)Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

ZP 7a) Beratung des Antrags der Abgeordneten LaurenzMeyer (Hamm), Dr. Heinz Riesenhuber, VeronikaBellmann, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der CDU/CSU sowie der AbgeordnetenDr. Rainer Wend, Martin Dörmann, Dr. DitmarStaffelt, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder SPD

Die Zukunft der deutschen Luftfahrtindustriesichern

– Drucksache 16/5908 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten HartwigFischer (Göttingen), Eckart von Klaeden, AnkeEymer (Lübeck), weiterer Abgeordneter und derFraktion der CDU/CSU sowie der AbgeordnetenBrunhilde Irber, Gert Weisskirchen (Wiesloch),Niels Annen, weiterer Abgeordneter und derFraktion der SPD

Demokratische Entwicklung Simbabwes un-terstützen – Arbeit der internationalen Nicht-regierungsorganisationen ermöglichen

– Drucksache 16/5907 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss (f)Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten HeidrunBluhm, Katrin Kunert, Dr. Gesine Lötzsch, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN

Humboldt-Forum statt Fassadenschloss –Schlossplatz mit Zukunftsorientierung

– Drucksache 16/5922 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-ten Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen andie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zuüberweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist derFall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe auf die Tagesordnungspunkte 36 a bis 36 r,die Zusatzpunkte 8 a bis 8 k sowie den Tagesordnungs-punkt 17 b. Es handelt sich um Beschlussfassungen zuVorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 36 a:

Beratung der Fünften Beschlussempfehlung unddes Berichts des Wahlprüfungsausschusses

zu 27 gegen die Gültigkeit der Wahl zum16. Deutschen Bundestag eingegangenen Wahl-einsprüchen

– Drucksache 16/5700 –

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der FraktionBündnis 90/Die Grünen vor. Es ist verabredet, dass derVorsitzende des Wahlprüfungsausschusses das Wort zurBerichterstattung erhalten soll. Herr Kollege Strobl, Siehaben das Wort.

Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sie entscheiden heute über die Fünfte Be-schlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses. Siebetrifft 27 von ursprünglich 195 gegen die Gültigkeit derBundestagswahl 2005 eingelegte Wahleinsprüche. WennSie der Empfehlung des Ausschusses folgen und die Ein-sprüche zurückweisen, ist die Wahlprüfung für die

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Thomas Strobl (Heilbronn)

16. Wahlperiode abgeschlossen, jedenfalls im Hinblickauf den Deutschen Bundestag. Denn in einigen Fällen,über die der Deutsche Bundestag bereits entschieden hat,haben die Einspruchsführer von ihrem Recht Gebrauchgemacht, Wahlprüfungsbeschwerde beim Bundesver-fassungsgericht einzulegen.

Gegenstand dieser Verfahren sind die Kandidatur vonMitgliedern der WASG auf den Landeslisten der Links-partei, der Einsatz von elektronischen Wahlgeräten, dieNachwahl in Dresden im Oktober des Wahljahres undschließlich die im Zusammenhang mit Überhangmanda-ten auftretende Besonderheit des sogenannten negativenStimmengewichts, das – vereinfacht gesagt – bedeutet,dass man der Partei seiner Wahl unter Umständen da-durch schaden kann, dass man ihr seine Zweitstimmegibt.

Weitere bedeutende Themen der Wahlprüfung wa-ren zum einen die Verwechslung der Stimmzettel bei derVersendung der Briefwahlunterlagen an die Wähler derbeiden Dortmunder Wahlkreise, die zur Ungültigkeit derbetroffenen Stimmen geführt hat. Zum anderen war dieKritik vieler Einspruchsführer, dass bei der vorgezoge-nen Neuwahl 2005 genauso viele Unterstützungsunter-schriften für Wahlvorschläge beizubringen waren wiebei einer regulären Bundestagswahl, ein Thema.

Diese Auflistung von Themen macht deutlich, wasdas Kennzeichen der Wahlprüfung der 16. Wahlperiodewar: nicht so sehr eine große Zahl von Einsprüchen, da-für aber eine Vielzahl diffiziler Rechtsfragen mit weitrei-chenden Folgen. Wäre zum Beispiel in der Kandidaturvon WASG-Mitgliedern auf den Listen der Linksparteiein Wahlfehler gesehen worden, hätte dies unweigerlichdie Feststellung der Ungültigkeit der Wahl zum16. Deutschen Bundestag und Neuwahlen zur Folge ge-habt.

Vor diesem Hintergrund ist die sachliche Atmosphäre,die bei den Beratungen im Ausschuss herrschte, ebensohervorzuheben wie die Tatsache, dass im Hinblick aufdas Ergebnis der Entscheidungen durchweg Konsens be-stand. Dissens gab es lediglich im Hinblick auf die ver-fahrensmäßige Behandlung einiger Einsprüche. Bei ei-nigen großen Themen – wie der Nachwahl in Dresdenund den Listen der Linkspartei – hielt es die FraktionBündnis 90/Die Grünen für unangemessen, die jeweili-gen Einsprüche ohne öffentliche mündliche Verhandlungzurückzuweisen.

Sie hätte der Bedeutung dieser Einsprüche gern durcheine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beteili-gung der Einspruchsführer Rechnung getragen. Für dieAusschussmehrheit indessen war ausschlaggebend, dasszwar schwierige Rechtsfragen zu entscheiden waren, intatsächlicher Hinsicht jedoch kein weiterer Aufklärungs-bedarf bestand. Ferner hätte eine mündliche Verhand-lung zu einer Verzögerung der Entscheidung des Bun-destags geführt, was letztlich nicht im Interesse derEinspruchsführer gelegen hätte.

Aus diesen Gründen wurde auf eine mündliche Ver-handlung verzichtet. Die Rechtsgrundlage hierfür bildet§ 6 des Wahlprüfungsgesetzes, wonach von einer münd-

lichen Verhandlung abgesehen werden kann, wenn derEinspruch offensichtlich unbegründet ist. Dabei konntesich die Ausschussmehrheit, auf die seit der 8. Wahl-periode praktizierte und vom Bundesverfassungsgerichtgebilligte Auslegung des Wahlprüfungsgesetzes stützen.

Gleichwohl bestand im Ausschuss Einigkeit darüber,dass es grundsätzlich unbefriedigend ist, auch rechtlichkomplexe Fälle als offensichtlich unbegründet einzustufen.Nicht nur bei juristischen Laien – seien es Einspruchsführeroder Teile der interessierten Öffentlichkeit – können soMissverständnisse und Irritationen hervorgerufen werden.

Deshalb hat der Wahlprüfungsausschuss eine fraktions-übergreifende Initiative zur Änderung der einschlägigenBestimmungen des Wahlprüfungsgesetzes angeregt undauch ausformuliert. Künftig soll in Anlehnung an die fürdas Bundesverfassungsgericht geltenden Bestimmungendes Bundesverfassungsgerichtsgesetzes eine mündlicheVerhandlung nur noch dann durchgeführt werden, wenndavon eine weitere Förderung des Verfahrens zu erwartenist.

Ich plädiere übrigens dafür, dass wir diesen gemein-sam gefundenen Text konsequent im Deutschen Bundes-tag einbringen und eine Änderung des Wahlprüfungsge-setzes in diesen Punkten rasch herbeiführen.

Damit ist eine weitere wesentliche Funktion derWahlprüfung angesprochen. Zum einen und zuvörderstgeht es natürlich darum, die rechtmäßige Zusammen-setzung des Parlaments zu prüfen. Zum anderen gehtes aber auch darum, die bei dieser Prüfung gewonnenenErfahrungen für eine Verbesserung des geltenden Rechtsund seiner Anwendung nutzbar zu machen.

Diesem Anliegen dienen die in der Beschlussempfeh-lung enthaltenen und an die Bundesregierung gerichtetenPrüfbitten. Wie Sie sehen, werden dort die bedeutendenThemen der Wahlprüfung erneut aufgegriffen, diesmaljedoch mit Blickrichtung auf künftige Wahlen. De legeferenda wollen wir so zu Verbesserungen unseres Wahl-rechts und der Wahlrechtspraxis beitragen.

Bevor ich zum Schluss komme, möchte ich mich beiden Kolleginnen und Kollegen im Wahlprüfungsaus-schuss für die kollegiale und konstruktive Zusammenar-beit herzlich bedanken.

Ich bitte Sie, der Beschlussempfehlung des Wahlprü-fungsausschusses zuzustimmen.

Besten Dank.

(Beifall bei der SPD, der FDP und der LIN-KEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Beifall macht deutlich, dass das gesamte Haus für

die Arbeit des Ausschusses dankbar ist.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be-schlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses aufDrucksache 16/5700. Wer stimmt für diese Beschluss-empfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dasist nicht der Fall. Damit ist die Beschlussempfehlungeinstimmig angenommen.

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11093

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Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-ßungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünenauf Drucksache 16/5943. Wer stimmt für diesen Ent-schließungsantrag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –Der Entschließungsantrag ist bei Zustimmung des Bünd-nisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Koalitionund der FDP sowie bei Enthaltung durch Die Linke ab-gelehnt.

Tagesordnungspunkt 36 b:

Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrateingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än-derung des Waffengesetzes

– Drucksache 16/1991 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-schusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 16/5924 –

Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard GrindelMichael Hartmann (Wackernheim)Hartfried Wolff (Rems-Murr)Petra PauSilke Stokar von Neuforn

Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 16/5924, den Gesetzent-wurf des Bundesrates auf Drucksache 16/1991 in derAusschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, diedem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmenwollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-haltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Be-ratung bei Zustimmung durch die Koalition, die FDPund das Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstimmendurch die Fraktion Die Linke angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, aufzustehen. Gegen-stimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzent-wurf mit dem gleichen Ergebnis wie vorher angenom-men.

Tagesordnungspunkt 36 c:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung desvon der Bundesregierung eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zu dem Internationalen Über-einkommen der Vereinten Nationen vom13. April 2005 zur Bekämpfung nuklearterro-ristischer Handlungen

– Drucksache 16/5336 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 16/5935 –

Berichterstattung: Abgeordnete Siegfried Kauder (Villingen Schwen-ningen)Dr. Peter DanckertJörg van EssenSevim DağdelenJerzy Montag

Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 16/5935, den Gesetzent-wurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/5336 an-zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurfzustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf einstimmigangenommen.

Tagesordnungspunkt 36 d:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Umsetzung des VN-Übereinkommens vom13. April 2005 zur Bekämpfung nuklearterro-ristischer Handlungen

– Drucksache 16/5334 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 16/5936 –

Berichterstattung: Abgeordnete Siegfried Kauder (Villingen Schwen-ningen)Dr. Peter DanckertJörg van EssenSevim DağdelenJerzy Montag

Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 16/5936, den Gesetzent-wurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/5334 an-zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurfzustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim-men? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf inzweiter Beratung und einstimmig angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Diejenigen, die dem Gesetz-entwurf zustimmen wollen, mögen sich bitte erheben. –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetz-entwurf auch in dritter Beratung einstimmig angenom-men.

Tagesordnungspunkt 36 e:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszu dem Europäischen Übereinkommen vom26. Mai 2000 über die internationale Beförde-rung von gefährlichen Gütern auf Binnen-wasserstraßen (ADN)

– Drucksache 16/5389 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung(15. Ausschuss)

– Drucksache 16/5789 –

Berichterstattung: Abgeordneter Peter Hettlich

Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick-lung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 16/5789, dem Gesetzentwurf der Bundes-

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Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt

regierung auf Drucksache 16/5389 anzunehmen. Diejeni-gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, mögenbitte die Hand heben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Diejenigen, die dem Gesetz-entwurf zustimmen wollen, mögen sich bitte erheben. –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetz-entwurf auch in dritter Beratung einstimmig angenom-men.

Tagesordnungspunkt 36 f:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zudem Protokoll vom 22. April 2005 zur Änderungdes Übereinkommens vom 11. Oktober 1973 zurErrichtung des Europäischen Zentrums für mit-telfristige Wettervorhersage

– Drucksache 16/5577 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung(15. Ausschuss)

– Drucksache 16/5773 –

Berichterstattung: Abgeordneter Peter Hettlich

Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick-lung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 16/5773, den Gesetzentwurf der Bundesre-gierung auf Drucksache 16/5577 anzunehmen. Ich bittediejenigen, die zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetz-entwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zu-stimmen will, möge sich erheben. – Gegenstimmen? –Enthaltungen? – Es gibt keine Enthaltungen und keineGegenstimmen. Damit ist der Gesetzentwurf in dritterBeratung einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 36 g:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-nologie (9. Ausschuss) zu der Verordnung derBundesregierung

Neunundsiebzigste Verordnung zur Änderungder Außenwirtschaftsverordnung

– Drucksachen 16/5328, 16/5487 Nr. 2.1, 16/5709 –

Berichterstattung: Abgeordneter Rolf Hempelmann

Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie emp-fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf derDrucksache 16/5709, die Aufhebung der Verordnungnicht zu verlangen. Wer stimmt für diese Beschlussemp-

fehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be-schlussempfehlung ist bei Zustimmung des gesamtenHauses ohne Gegenstimmen bei Enthaltung der FraktionDie Linke angenommen.

Tagesordnungspunkt 36 h:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zudem Antrag der Abgeordneten Cornelia Behm,Birgitt Bender, Ulrike Höfken, weiterer Abgeord-neter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Landwirtschaftliche Krankenversicherung ab2009 weiter an Bundesmitteln zur landwirt-schaftlichen Krankenversicherung beteiligen

– Drucksachen 16/5427, 16/5892 –

Berichterstattung:Abgeordnete Marlene MortlerWaltraud Wolff (Wolmirstedt)Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Kirsten TackmannCornelia Behm

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 16/5892, den Antrag aufDrucksache 16/5427 abzulehnen. Wer stimmt für dieseBeschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmender Koalition gegen die Stimmen der Opposition undohne Enthaltungen angenommen.

Tagesordnungspunkt 36 i:

Beratung der Beschlussempfehlung des Rechts-ausschusses (6. Ausschuss)

Übersicht 7über die dem Deutschen Bundestag zugeleite-ten Streitsachen vor dem Bundesverfassungs-gericht

– Drucksache 16/5756 –

Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-genstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist die Beschluss-empfehlung einstimmig angenommen.

Wir kommen jetzt zu den Beschlussempfehlungen desPetitionsausschusses.

Tagesordnungspunkt 36 j:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 242 zu Petitionen

– Drucksache 16/5741 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht ist einstimmig ange-nommen.

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Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt

Tagesordnungspunkt 36 k:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 243 zu Petitionen

– Drucksache 16/5742 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht ist bei Gegenstimmendurch die Linke und Enthaltung durch Bündnis 90/DieGrünen und bei Zustimmung aller übrigen Fraktionenangenommen.

Tagesordnungspunkt 36 l:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 244 zu Petitionen

– Drucksache 16/5743 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht ist einstimmig ange-nommen.

Tagesordnungspunkt 36 m:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 245 zu Petitionen

– Drucksache 16/5744 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht ist bei Gegenstimmendurch die Linke und Zustimmung der übrigen Fraktionenangenommen.

Tagesordnungspunkt 36 n:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 246 zu Petitionen

– Drucksache 16/5745 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht ist bei Gegenstimmendurch die FDP und Zustimmung der übrigen Fraktionenangenommen.

Tagesordnungspunkt 36 o:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 247 zu Petitionen

– Drucksache 16/5746 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-gen? – Die Sammelübersicht ist bei Gegenstimmendurch die Linke und Zustimmung der übrigen Fraktionenangenommen.

Tagesordnungspunkt 36 p:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 248 zu Petitionen

– Drucksache 16/5747 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht ist bei Gegenstimmendurch Bündnis 90/Die Grünen und die Linke und bei Zu-stimmung der übrigen Kolleginnen und Kollegen ange-nommen.

Tagesordnungspunkt 36 q:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 249 zu Petitionen

– Drucksache 16/5748 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-gen? – Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung durchKoalition und Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstim-men durch die Linke und die FDP angenommen.

Tagesordnungspunkt 36 r:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 250 zu Petitionen

– Drucksache 16/5749 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht ist bei Zustimmungdurch die Koalition und Ablehnung durch die Opposi-tion angenommen.

Zusatzpunkt 8 a:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 251 zu Petitionen

– Drucksache 16/5911 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht ist einstimmig ange-nommen.

Zusatzpunkt 8 b:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 252 zu Petitionen

– Drucksache 16/5912 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht ist ebenfalls einstimmigangenommen.

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11096 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007

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Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt

Zusatzpunkt 8 c:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 253 zu Petitionen

– Drucksache 16/5913 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht ist bei Gegenstimmendurch die Linke und Enthaltung von Bündnis 90/DieGrünen und bei Zustimmung der übrigen Fraktionen an-genommen.

Zusatzpunkt 8 d:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 254 zu Petitionen

– Drucksache 16/5914 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-gen? – Die Sammelübersicht ist einstimmig angenom-men.

Zusatzpunkt 8 e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 255 zu Petitionen

– Drucksache 16/5915 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht ist bei Gegenstimmendurch die FDP und sonstiger Zustimmung angenommen.

Zusatzpunkt 8 f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 256 zu Petitionen

– Drucksache 16/5916 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht ist bei Enthaltung durchdie Linke und Zustimmung der übrigen Fraktionen ange-nommen.1)

Zusatzpunkt 8 g:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 257 zu Petitionen

– Drucksache 16/5917 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht ist bei Gegenstimmendurch Bündnis 90/Die Grünen und Zustimmung der üb-rigen Fraktionen angenommen.

1) Siehe Anlage 2

Zusatzpunkt 8 h:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses (2. Ausschuss)Sammelübersicht 258 zu Petitionen– Drucksache 16/5918 –

Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-gen? – Die Sammelübersicht ist bei Gegenstimmendurch Bündnis 90/Die Grünen und die Linke und bei Zu-stimmung der übrigen Fraktionen angenommen.

Zusatzpunkt 8 i:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses (2. Ausschuss)Sammelübersicht 259 zu Petitionen– Drucksache 16/5919 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht ist mit den Stimmen derKoalition und der Fraktion Die Linke gegen die Stim-men von Bündnis 90/Die Grünen und FDP angenom-men.

Zusatzpunkt 8 j:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 260zu Petitionen – Drucksache 16/5920 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht ist mit Zustimmung derKoalition, bei Gegenstimmen der FDP und des Bündnis-ses 90/Die Grünen und bei Enthaltung der Fraktion DieLinke angenommen.

Zusatzpunkt 8 k:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 261zu Petitionen– Drucksache 16/5921 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht ist mit Zustimmung derKoalition und bei Gegenstimmen der Opposition ange-nommen.

Tagesordnungspunkt 17 b:Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-neten Wolfgang Bosbach, Dr. Hans-Peter Uhl,Kristina Köhler (Wiesbaden), weiteren Abgeord-neten und der Fraktion der CDU/CSU sowie denAbgeordneten Fritz Rudolf Körper, MaikReichel, Klaus Uwe Benneter, weiteren Abgeord-neten und der Fraktion der SPD eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes zur Änderung desMikrozensusgesetzes 2005 und des Bevölke-rungsstatistikgesetzes– Drucksache 16/5239 –Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-schusses (4. Ausschuss)– Drucksache 16/5923 –

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11097

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Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt

Berichterstattung: Abgeordnetete Kristina Köhler (Wiesbaden)Maik ReichelGisela Piltz Jan Korte Silke Stokar von Neuforn

Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 16/5923, den Gesetzent-wurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD aufDrucksache 16/5239 anzunehmen. Ich bitte diejenigen,die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um dasHandzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Da-mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei Zu-stimmung der Koalition und der FDP und bei Gegen-stimmen des Bündnisses 90/Die Grünen und der Linkenangenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Wer zustimmen will, mögesich bitte erheben. – Gegenstimmen – Enthaltungen? –Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem glei-chen Stimmenergebnis wie vorher angenommen.

Zusatzpunkt 9:

Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU,der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜND-NISSES 90/DIE GRÜNEN

Wahl der vom Deutschen Bundestag zu benen-nenden Mitglieder des WissenschaftlichenBeratungsgremiums gemäß § 39 a des Stasi-Unterlagen-Gesetzes

– Drucksache 16/5883 –

Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommendaher gleich zur Abstimmung. Wer stimmt für den inter-fraktionellen Wahlvorschlag auf Drucksache 16/5883? –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist derWahlvorschlag einstimmig angenommen.

Jetzt rufe ich den Zusatzpunkt 4 auf:

Aktuelle Stundeauf Verlangen der Fraktion der FDP

Ergebnisse des Dritten Energiegipfels derBundesregierung

Ich eröffne die Aussprache und erteile der KolleginGudrun Kopp für die FDP-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der FDP)

Gudrun Kopp (FDP): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen!

Angesichts der großen Bedeutung der Energiepolitik fürunseren Wirtschaftsstandort und für die Verbraucher imLand ist es, so glaube ich, notwendig, auf den Energie-gipfel, der vor zwei Tagen stattgefunden hat, zurückzu-blicken und zu schauen, was er gebracht hat. Die hohenZiele wie Klimaschutz, Energiesparen und Energieeffi-zienz mit all den Zahlen, die dort genannt und vereinbartwurden und die wir als FDP-Bundestagsfraktion vomGrundsatz her unterstützen, bleiben schlicht und ergrei-fend unerreichbar und unbezahlbar, wenn wichtige In-

strumente für die Umsetzung dieser Ziele schlicht außerAcht gelassen werden.

(Beifall bei der FDP)

Ich nenne als Beispiel den Energiemix und eine Zahl.Es ist vereinbart worden, den CO2-Ausstoß bis zum Jahr2020 um bis zu 40 Prozent zu senken. Dies ist, um dasganz klar zu sagen, ohne den Einsatz der Kernenergienicht erreichbar, utopisch.

(Beifall bei der FDP – Marco Bülow [SPD]: Sie haben die Studie nicht gelesen!)

Die Folgen dieses Ausstiegs aus der Kernenergie wer-den der vermehrte Neubau von Kohle- und Gaskraftwer-ken, damit ein erhöhter CO2-Ausstoß, erhöhte Energie-kosten für Verbraucher und Unternehmen und einevermehrte Abhängigkeit von Importen sein. Diese nega-tiven Folgen sind vor dem Hintergrund zu betrachten,dass die Kanzlerin sehr richtig an dem Dreierkanon fest-gehalten hat, der aus Klimaschutz, Bezahlbarkeit vonEnergie, also Wirtschaftlichkeit, und Versorgungssicher-heit besteht. Sie hat interessanterweise drei Szenariendurchrechnen lassen und diese mit Zahlen belegt. Ichnenne nur zwei. Aus den Studien geht hervor, dass durchden Verzicht des Einsatzes der Kernenergie bis 2020Mehrkosten von etwa 5 Milliarden Euro entstehen wer-den.

Zweitens geht aus der Studie hervor, dass bei einem50-prozentigen Anteil der Versteigerung von Emissions-zertifikaten ab 2013 wohl nur noch Gaskraftwerke gebautwerden. Das ist das Gegenteil von Stärkung der Wettbe-werbsfähigkeit, und es ist das Gegenteil einer Minderungder Importabhängigkeit des Standortes Deutschland.

(Beifall bei der FDP)

Sie müssen die Frage beantworten, wie Sie diese Defi-zite beseitigen wollen.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt)

In der Wirtschaftsdebatte heute Morgen spielte auchdie Investitionstätigkeit in Deutschland eine Rolle.1,3 Prozent des BIP werden in Deutschland investiert.Das ist die Hälfte des EU-Durchschnitts. Heute Morgenwurde zu Recht darauf hingewiesen, dass der StandortDeutschland mehr Investitionen braucht. Ich wiederhole:Das ist richtig. Für mehr Investitionen brauchen wir,liebe Mitglieder der rot-schwarzen Koalition, Investi-tionssicherheit und verlässliche Rahmenbedingungen.Vergessen Sie nicht: In Kraftwerke kann man auch au-ßerhalb des Standortes Deutschland investieren. Dasheißt, wir geraten auch in Versorgungsdefizite, wenn wirnicht aufpassen und die drei Ziele, die ich eben genannthabe, tatsächlich zueinanderführen.

Ich bemängele ganz ausdrücklich, dass die Kanzlerinden offenkundigen Konflikt zwischen den MinisternGabriel und Glos einfach nur moderiert hat. Sie hat auf-gegeben, sie hat resigniert, und sie hat nicht das umge-setzt, was eigentlich ihre Pflicht gewesen wäre: daraufzu drängen, dass hier ein in sich konsistentes Ener-gieprogramm tatsächlich aufgelegt wird.

(Beifall bei der FDP)

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11098 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007

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Gudrun Kopp

Was die Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraft-werke angeht, hätte ich mir mehr Engagement und Ide-enreichtum gewünscht. Wir schlagen in einem Antrag,über den im weiteren Verlauf der Sitzung debattiert wer-den wird, in Bezug auf die Steuervorteile, die sich durchkürzere Abschreibungszeiten für Kernkraftwerksbetrei-ber ergeben haben, vor, dass die Kernkraftwerksbetrei-ber freiwillig vereinbaren, eine bestimmte Summe, näm-lich ihren Steuervorteil, in eine Stiftung einzuzahlen,durch die Energieforschung befördert wird. Zudem sollteauf der anderen Seite ermöglicht werden, dass kosten-günstig erzeugte Energie verkauft werden kann, sodassbeispielsweise Stadtwerke besonders günstige Energiekaufen können.

(Beifall bei der FDP)

All das wäre zugunsten der Verbraucher und auch derUnternehmen an unserem Standort. Wir müssen unsereWettbewerbsfähigkeit stärken. Das ist absolut erforder-lich.

Summa summarum bleibt für mich festzustellen: Dieswar ein Gipfel der Orientierungslosigkeit und der Unver-bindlichkeit. In der Energiepolitik hat er uns nicht wei-tergebracht.

Danke sehr.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:Nächster Redner ist der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer

für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU):Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Frau Kopp, ich muss Ihnen wider-sprechen, wenn Sie sagen, der Gipfel habe nichts ge-bracht oder er sei durch Orientierungslosigkeit geprägtgewesen.

(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Kosten hat er verursacht!)

Auf dem Gipfel sind in der Tat keine Beschlüsse gefasstworden. Das war aber auch nicht die Aufgabe einessolchen Energiegipfels. Das Parlament und die Bundes-regierung sollten für sich in Anspruch nehmen, dasEnergieprogramm für Deutschland zu gestalten. DerEnergiegipfel hat wichtige Hinweise gegeben, wie wirdieses Energieprogramm und die EnergiezukunftDeutschlands und Europas gestalten können.

Durch diesen Gipfel ist eine Basis geschaffen worden,auf der wir aufbauen können. Wir sollten in der Tat ein-mal bei den Fakten verweilen; manchmal hilft nämlichdas Betrachten der Fakten beim Nachdenken über dasHandeln. Diesbezüglich sollte insbesondere unser Koali-tionspartner ein bisschen aufpassen.

(Marco Bülow [SPD]: Wir passen immer auf!)

Wir haben eindeutig drei Szenarien. Wir haben zum ei-nen das im Koalitionsvertrag festgeschriebene Szenario.

Es bedeutet, dass wir alle Anstrengungen zur Stärkungder Energieeffizienz, also zum Einsparen von Energie,unternehmen. Darüber sind wir uns wahrscheinlich allein diesem Hause einig.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ob wir das ambitionierte Ziel, 3 Prozent des bisherigenEnergieverbrauchs einzusparen, erreichen, wird sich zei-gen. Aber die bisherigen 0,9 Prozent sind eindeutig zuwenig. Das Ziel muss es sein, die 3 Prozent zu erreichen,um bis 2020 zu einer Einsparung in einer Größenord-nung von 15 bis 20 Prozent zu kommen.

Des Weiteren sagt dieses Szenario: Wir wollen wiebisher die erneuerbaren Energien ausbauen. Das bedeu-tet sehr dynamische Wachstumsraten mit zunehmendenLösungsbeiträgen sowohl für den Klimaschutz, für dieWirtschaftlichkeit als auch für die Versorgungssicher-heit. Aber es sagt auch, dass wir, wie politisch beschlos-sen und gesetzlich verankert, bis 2020 aus der Kernener-gie aussteigen.

Das zweite Szenario ist, aus der Kernenergie auszu-steigen, die Energieeffizienz genauso zu steigern und dieerneuerbaren Energien massiv auszubauen, und zwar somassiv wie möglich.

Das dritte Szenario ist: Wir bauen die erneuerbarenEnergien massiv aus, wir verbessern die Energieeffi-zienz, und wir verlängern die Laufzeit der Kernkraft-werke.

Das sind die drei Szenarien. Das sind die Fakten.Adam Riese lässt sich dort nicht betrügen. Was ist dasErgebnis? Wir können unsere Klimaschutzziele interna-tional und national erreichen. Unser nationaler Beitragvon 40 Prozent wird nicht nur erreicht, sondern sogarmit 45 Prozent Reduktion der Treibhausgase bis 2020übererfüllt. Dies erreichen wir aber nur mit dem Szena-rio drei, indem wir also die Laufzeit der Kernkraftwerkeverlängern.

(Zuruf von der FDP: So ist es!)

Das heißt, wir können das Klimaschutzziel nicht nurerfüllen, sondern sogar übererfüllen, und das sogar wirt-schaftlich. Wir erreichen nämlich mit diesem Szenariogeringere Kosten – Frau Kopp hat die Zahl genannt –,und zwar in einer Größenordnung von 5 Milliarden Europro Jahr. Jeder hier – auch der Bundesumweltminister –appelliert, dass man für den Verbraucher und den Wett-bewerb etwas tun möge. Hier können wir etwas für dieVerbraucher und den Wettbewerb tun. Mit diesem Sze-nario entlasten wir nämlich die Energieverbraucher, alsodie Haushalte, die Menschen und die Wirtschaft, in einerGrößenordnung von 6 Prozent.

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das will ich aber genauer wissen!)

während wir bei den anderen Szenarien von einem An-stieg um 5 Prozent ausgehen.

Last, but not least leisten wir auch einen Beitrag zurVersorgungssicherheit, denn wenn wir die erneuerbarenEnergien massiv ausbauen – Beispiel ist jetzt die Strom-erzeugung –, dann können wir 30 bis 35 Prozent errei-

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Dr. Joachim Pfeiffer

chen, und wenn wir die Kernenergie weiterlaufen lassen,dann sind es auch 30 Prozent. So erreichen wir dann70 Prozent CO2-freie Stromproduktion, und die Import-abhängigkeit wird nicht erhöht – das geschieht bei allenanderen Szenarien –, sondern sie wird sogar noch redu-ziert.

Lassen Sie uns die richtigen Schlüsse ziehen, undzwar nicht ideologisch, sondern klar sachorientiert! Anerster Stelle steht die Energieeinsparung. Zweitens. Wirbrauchen heute und in Zukunft einen Energiemix. DieMischung macht’s nämlich. Drittens – darüber wurde bisjetzt zu wenig gesprochen; das ist auch ein eindeutigesErgebnis des Gipfels – können wir eine Win-win-Situa-tion bei der Erfüllung unserer Ziele beim Klimaschutzund im Wirtschaftsbereich nicht nur für Deutschland,sondern für die ganze Welt schaffen, indem wir nämlichdie technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands so-wohl bei der Stromerzeugung – sei es bei den erneuerba-ren Energien, wo wir sehr gut aufgestellt sind, sei esdurch Clean-Coal-Technologie, die vielleicht ab 2020auch wirtschaftlich zur Verfügung steht – als auch imGebäudebereich mit Einsparungen, Wärmedämmungund anderen Dingen sowie im Transportbereich nutzen.Mit dieser Strategie können wir ohne Ideologie nicht nurin Deutschland Klimaschutz betreiben und einen welt-weiten Beitrag leisten, sondern wir können auch noch et-was für die Wettbewerbsfähigkeit unseres Standorts tunsowie Arbeitsplätze und eine gute Zukunft für Deutsch-land schaffen. Packen wir es also an!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:Der nächste Redner ist der Kollege Hans-Kurt Hill für

die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Hans-Kurt Hill (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Drei Gipfeltreffen – und die Bundesregierung ist wiederda, wo sie 2005 schon einmal war. Das ist das Ergebnisdes dritten Gipfels. Man ist keinen Deut weitergekom-men. Was vor fast zwei Jahren im Koalitionsvertrag ver-abredet wurde, wollen Sie jetzt angehen. Wer das glaubt,wird selig.

Die Bürgerinnen und Bürger müssen währenddessenfür die Strom- und Gasrechnungen immer tiefer in dieTasche greifen. Und was macht die Bundesregierung?Sie lässt sich von den Bossen der Energiekonzerne ander Nase herumführen. Wir müssen miterleben, wie sichdie Minister Glos und Gabriel fast wöchentlich in dieHaare geraten, anstatt endlich Energiepolitik umzuset-zen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein genauer Blick in das Koalitionspapier zeigt, dassmit dieser Regierung kein Energiekonzept machbar ist.Ich zitiere aus Ihrem Koalitionsvertrag:

Deutschland braucht ein energiepolitisches Ge-samtkonzept, das eine Vorsorgestrategie im Hin-

blick auf weltweit knapper werdende fossile Res-sourcen beinhaltet.

Was bedeutet das? Durch zunehmende Ressourcen-knappheit – neben rasant steigenden Energiepreisen –vor allem internationale Konflikte und Kriege. In diewird Deutschland zunehmend hineingezogen, und das istschlecht.

Für Konfliktprävention sehe ich bei der Bundesregie-rung keine Priorität. Nach dem Verteidigungsweißbuch2006 will die Bundesregierung auf nationaler Ebene Si-cherheitsvorsorge durch präventives Handeln gewähr-leisten. Dabei sollen auch – hört, hört! – militärischeMittel bis hin zu bewaffneten Einsätzen einbezogenwerden. Bei den G 8 und auf EU-Ebene zielt die Bun-desregierung darauf ab, bestehende Märkte und die vor-handenen Energiestrukturen zu schützen. Dazu sollenvorrangig bilaterale Beziehungen zu Förder- und Durch-leitungsländern verstärkt werden, um den Zugang zufossilen Ressourcen zu sichern. Das alles ist das Gegen-teil von Friedenspolitik. Das ist aggressiv und gefähr-lich.

(Beifall bei der LINKEN)

Außerdem heißt es im Koalitionsvertrag, man wolleam Atomkonsens nicht rütteln. Was erleben wir hier?Täglich das Gegenteil, so auch heute Morgen.

(Widerspruch bei der SPD)

Die Energiestrategie soll nun auf Grundlage eines Gut-achtens entstehen, das die Bundesregierung beim KölnerEnergie-Institut in Auftrag gab. Allerdings basiert dasPapier auf sehr einseitigen Annahmen. Die Klimaschutz-ziele und eine sichere Versorgung sind danach – welcheine Überraschung! – am besten mit der Atomenergie er-reichbar. Dabei wurden die enormen Kosten und Gefah-ren der Atomenergienutzung aber komplett ausgeklam-mert.

Einziger Rettungsanker für Minister Gabriel ist dieFestlegung, die Energieeffizienz bis 2020 zu verdoppeln.Nur dann wird das erreicht, was die Regierung plant,nämlich ohne die Atomkraft auszukommen.

Bei den erneuerbaren Energien lebt die Große Koali-tion völlig an der Realität vorbei. Dies erklärt auch, wa-rum die Zukunftsenergien beim Gipfel am sogenanntenKatzentisch abgefrühstückt wurden. Die Vorgaben ausdem Koalitionsvertrag für das Jahr 2010 sind bereitsjetzt von der Branche übertroffen worden. Im Interesseder Verbraucherinnen und Verbraucher fordere ich Sieauf, endlich zu handeln und nicht den Stillstand zu regie-ren.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die Linke ist der Weg klar:

Erstens. Wir wollen die Energiewende, sozial fair undökologisch.

(Dr. Rainer Wend [SPD]: Friedlich!)

Zweitens. Deshalb setzen wir auf die clevere Nutzungvon Strom, Wärme und Kraftstoffen sowie den Ausbauder erneuerbaren Energien.

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Hans-Kurt Hill

Drittens. Das schafft Beschäftigung, Klimaschutz undbezahlbare Energie aus heimischer Produktion.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Das Wort hat nun der Kollege Rolf Hempelmann für

die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Rolf Hempelmann (SPD):Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! Lieber Herr Hill, namentlich verkörpern Sie gera-dezu den Energiegipfel der Linken. Die fünf Minutenhaben aber auch gereicht, um all das darzustellen, wasIhnen zu dem Thema einfällt. Selbst das, was Sie an Kri-tik geäußert haben, zum Beispiel in Richtung erneuerba-rer Energien, ist so weit von den Realitäten entfernt, dassman sich von dieser Seite nicht ernsthaft damit befassenmuss.

Bei der FDP hat man den Eindruck, als sei sozusagendas Kernthema bzw. die Kernessenz dieses Gipfels, dasses unbedingt notwendig ist, die Laufzeit der Kernkraft-werke zu verlängern. Wer den Gipfel ein wenig verfolgthat und die Verlautbarungen aus dem Gipfel herauskennt, der wird sofort erkennen, dass die Reduzierungder Botschaft dieses Gipfels genau auf diesen Punktfehlgeht. Ich denke, dass die Botschaft wesentlich kom-plexer ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU – Gudrun Kopp [FDP]: LassenSie doch einmal Ihre Botschaft hören!)

Der Energiegipfel hat eines sehr deutlich gemacht: Esgibt eine große Einigkeit sowohl zwischen den beteiligtenpolitischen Kräften als auch der betroffenen Wirtschaftund den Stakeholdern, dass wir eine Energiepolitik brau-chen, die zugleich den Zielen Umweltverträglichkeit,Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit verpflich-tet ist. Ich glaube, dass das Tagesgeschäft, das ja imDeutschen Bundestag weitergelaufen ist, beweist, dassunsere aktuelle Politik genau diesen Zielen untergeord-net ist.

Ich erinnere an drei große Projekte, die wir vorange-trieben haben. Da ist zum einen der Emissionshandel. ImZuteilungsgesetz ist, wie ich denke, sehr deutlich gewor-den, dass wir ambitionierte Klima- und Umweltpolitikbetreiben,

(Widerspruch bei Abgeordneten des BÜND-NISSES 90/DIE GRÜNEN)

dass wir aber gleichzeitig durch die Sicherung auch ei-nes konventionellen Energiemixes dafür sorgen, dassauch die Versorgungssicherheit im Lande gewährleistetbleibt.

Auch mit dem energetischen Gebäudesanierungspro-gramm erreichen wir die umweltpolitischen Zielsetzungen.Gleichzeitig haben wir im Sinne von Wirtschaftlichkeit,Schaffung von Arbeitsplätzen und Kostensenkungen da-

für gesorgt, dass für Arbeitnehmer und Verbraucher eineMenge herausspringt. Das ist, wie ich denke, ein inte-grierter Ansatz und entspricht auch genau dem Signal,das der Gipfel ausgesendet hat: Diese Art von Politiksoll fortgesetzt werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir haben das auch im Zusammenhang mit einer Ver-ordnung zur Anreizregulierung getan, die in diesem Fallvom Wirtschaftsministerium erarbeitet worden ist unddie ebenfalls zwei Zielen dient: Zum einen sorgt sie da-für, dass die Kosten und damit auch die Preise in diesemBereich sinken können, zum anderen stellt sie Versor-gungssicherheit auf Basis einer hohen Qualität der Netzedurch entsprechende Investitionen her.

Ein weiteres Signal, das vom Gipfel ausgegangen ist,lautet allerdings auch: Die Hausaufgaben sind noch nichtgemacht. Wir sind erst dabei.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Das stimmt!)

Wir müssen diesen Kurs fortsetzen. Deswegen ist auchdie Verständigung auf die Ziele, die etwa im Bereich dererneuerbaren Energien oder der Energieeffizienz erreichtwerden sollen, besonders hervorzuheben.

(Gudrun Kopp [FDP]: Die muss man auch umsetzen können!)

Es ging aber nicht nur um Ziele, sondern es wurdeauch klar angekündigt, dass das Kabinett bereits im Sep-tember, also im Frühherbst, konkrete Vorschläge vorle-gen wird, die wir dann hier im Parlament zu beraten ha-ben. Insbesondere wird es dabei um ein Paket gehen, indessen Mittelpunkt die Energieeffizienz steht. Ich nennehier die Stichworte KWK, Ausbau von Nah- und Fern-wärmenetzen, Weiterentwicklung des Gebäudesanie-rungsprogramms, die Ökodesignrichtlinie und Mindest-standards für elektrische Geräte, Energieberatung undvieles andere mehr. Insbesondere wird es auch um dieUmsetzung der europäischen Energiedienstleistungs-richtlinie gehen. Das wird ein großes Paket und stellt da-mit eine große Herausforderung dar. Aber wenn wir eineEffizienzsteigerung von 3 Prozent jährlich bis zum Jahr2020 schaffen, dann haben wir, wie ich glaube, einerseitsunsere Wirtschaft fit gemacht und andererseits ökolo-gisch ehrgeizige Ziele erreicht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Bei diesem Gipfel wurden manche Bedenken ausge-räumt. So hatten die energieintensiven Industrien Be-sorgnisse geäußert. Es ist aber deutlich geworden, dasssich die Effizienzstrategie nicht in erster Linie an dierichtet, die schon Effizienzanstrengungen unternommenhaben, sondern dass der Schwerpunkt genau in den Be-reichen gesetzt wird, wo noch nicht so viel passiert istund es deswegen hohe Potenziale gibt. Wir freuen unsauf dieses Effizienzprogramm. Das wird uns, wie ichdenke, einen ganz wesentlichen Schritt voranbringen.

Vielen Dank.

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Rolf Hempelmann

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächste Rednerin ist die Kollegin Bärbel Höhn für

die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der Energiegipfel hat in der Tat für Wirbel gesorgt. Dortwurde kräftig ausgeteilt. Da hat sich Rot mit Schwarzangelegt. Da hat Gabriel mit Glos gekämpft. Da warendie Energiekonzerne gegen die Politik. Der Umgangstonhat uns einige neue Begriffe beschert. Die einen habendie anderen als Öko-Bolschewisten beschimpft; die an-deren haben mit „Wirtschaftsstalinisten“ zurückgekeilt.

Das war in der Tat eine „Bereicherung“ der politi-schen Kultur in diesem Land. Es wurde geholzt. Es warlautstark. Nur eines war es nicht: Es war kein Beitrag zueiner zukunftsfähigen Klima- und Energiepolitik in die-sem Land. Das war es nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Warum? Ziele sind gut. Aber wenn die entsprechendenMaßnahmen nicht kommen, dann sind Ziele nichts wert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Marco Bülow [SPD]: Die kommen aber!)

Deshalb müssen wir Maßnahmen vorlegen. In diesemSinne hat der Energiegipfel nichts gebracht – kein Be-schluss, keine Maßnahmen, keine neuen Initiativen.

(Marco Bülow [SPD]: Das macht das Parla-ment immer noch, Frau Kollegin!)

Für die drängenden Fragen des Klimaschutzes hat dieserGipfel null und nichts gebracht. Das müssen wir feststel-len.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich einmal die einzelnen Punkte durch-gehen. Sie haben recht, Herr Pfeiffer; wir müssen dieEinzelpunkte in der Tat durchgehen.

Der Schwerpunkt dieses Gipfels war Energieeffi-zienz. Die Bundesregierung spricht von 3 Prozent mehrEnergieeffizienz pro Jahr. Auch wir als Grüne halten dasfür machbar; 3 Prozent sind ehrgeizig, aber durchaus er-reichbar.

Liebe Damen und Herren von der Großen Koalition,von nichts kommt aber nichts. Herr Hempelmann hathier so schön erklärt, das große Maßnahmenpaket zurEnergieeffizienz komme im Herbst. Herr Hempelmann,da sind Sie schon zu spät; denn tatsächlich hätten Sie ge-nau dieses Maßnahmenkonzept, diesen Aktionsplan, am30. Juni der EU melden müssen. Und der 30. Juni istvorbei.

(Rolf Hempelmann [SPD]: Das läuft schon!)

Sie kommen mit Ihren Hausarbeiten nicht nach.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Gestern habe ich den Staatssekretär gefragt, warum erdiesen Maßnahmenkatalog eigentlich nicht zum 30. Junian die EU weitergeleitet habe. Darauf hat er gesagt, diemeisten anderen Staaten hätten das auch noch nicht ge-macht. Das finde ich eine tolle Erklärung. Offensichtlichreicht es der Bundesregierung schon, dass sie nichtSchlusslicht in der EU ist. Ich dachte, Sie wollten beimKlimaschutz immer vorneweg sein.

(Rolf Hempelmann [SPD]: Haben Sie Ihre Haus-aufgaben immer pünktlich abgegeben?)

Das kriegen Sie aber offensichtlich nicht hin, meine Da-men und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Die zweite Frage ist der Atomausstieg. Dieser Punktist hier ja stark diskutiert worden: Atomausstieg, ja odernein? Das ist ein Dauerstreit in dieser Koalition. Damuss ich sagen: Solange sich die Bundesregierung nichteindeutig und klar zum Atomausstieg bekennt, so langewerden Investitionen in erneuerbare Energien und in de-zentrale Strukturen verhindert.

(Zuruf von der CDU/CSU: Steter Tropfen höhlt den Stein!)

Das ist das Problem. Deshalb sage ich Ihnen: Wirbrauchen Planungssicherheit. Planungssicherheit be-steht darin, dass das einmal Beschlossene und Zugesagteauch eingehalten werden muss. Das muss die Bundesre-gierung auch mit vollem Herzen unterstützen. Deshalb:Ja zum Atomausstieg.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)Dann schauen wir uns einmal die Alternative an. Was

ist denn mit den alten AKWs? Pünktlich zu jedem Ener-giegipfel haben wir einen neuen Störfall. In diesem Fallwar es Krümmel. Gestern haben wir erfahren, dass eseben nicht, wie Vattenfall gesagt hatte, ein kleiner Stör-fall war, sondern dass der Reaktor davon betroffen war.Letztes Jahr war es ein Beinahe-GAU im schwedischenForsmark, 20 Minuten an einem GAU vorbei. Der Chefvon Vattenfall hat damals gesagt: Wir müssen uns ent-schuldigen, weil wir die Sicherheitskultur vernachlässigthaben, weil wir alkoholisierte Mitarbeiter hatten, weilwir falsch verlegte Kabel hatten und weil wir falsch ein-gestellte Ventile hatten.

Meine Damen und Herren, so sieht es mit den altenAKWs aus. So sicher sind die AKWs von Schweden undvon Deutschland! Wir wollen aus diesen alten AKWsaussteigen,

(Gudrun Kopp [FDP]: Sie haben ja viel abgeschaltet!)

weil wir dieses Sicherheitsrisiko nicht mitmachen kön-nen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)Deshalb sage ich Ihnen, Frau Kopp, und auch den ande-ren: Wenn Sie behaupten, Laufzeitverlängerungenbrächten Preisminderungen für die Verbraucher, dann

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11102 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007

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Bärbel Höhn

haben Sie die Wirtschaftspolitik eindeutig nicht verstan-den.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Durchsage: Wegen eines Brandes ist dasRechenzentrum vollständig ausgefallen. Siekönnen lokal weiterarbeiten, aber Intranet undE-Mail-Systeme sind nicht verfügbar. Wir sindbemüht, den Schaden schnellstmöglich zu be-heben.)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Ich konnte die Durchsage von hier oben aus nicht ver-

hindern. Ich bitte um Verständnis.

Frau Kollegin, ich habe Ihre Redezeit angehalten. Ichmache aber darauf aufmerksam, dass Sie langsam zumSchluss kommen müssen.

Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gestern Brand in Krümmel und in Brunsbüttel und

heute im Rechenzentrum des Bundestages. Vielleicht istes besser, auf dezentrale Systeme umzusteigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-KEN)

Jetzt noch einmal zurück zum Wettbewerb. Die ver-sprochenen Preissenkungen wird es natürlich nicht ge-ben, weil es keinen Wettbewerb gibt. Frau Kopp, auchSie wissen das. Frau Merkel hat auf dem Energiegipfeleinen schweren Fehler gemacht. Sie hat nämlich gesagt:Die eigentumsrechtliche Trennung von Netz und Ener-gieproduktion – das fordern wir –, wird von der Bundes-regierung nicht mehr unterstützt. Sie hat damit denAtomkonzernen auf dem Silbertablett etwas präsentiert,was nicht in Ordnung ist. Damit halten wir an überholtenStrukturen fest, wozu die vier großen Energiekonzernegehören. Das Oligopol bleibt bestehen, was zu unfairenund zu hohen Preisen beiträgt. Wir haben keinen Wettbe-werb auf den Energiemärkten. Das ist das Problem fürdie Verbraucherinnen und Verbraucher.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der LINKEN und desAbg. Dr. Axel Berg [SPD])

Letzte Bemerkung. Wir als Grüne haben anders alsdie Bundesregierung ein Maßnahmenpaket vorgelegt.Darüber werden wir morgen beraten. Ich appelliere analle Kollegen, dass wir in diesem Sinne gemeinsam nachvorne gehen. Wir müssen den Stillstand überwinden.Wer die CO2-Emissionen um 40 Prozent reduzieren will,der muss hier und heute Maßnahmen auf den Weg brin-gen und darf dies nicht auf später verschieben.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Für die Bundesregierung hat nun der Parlamentari-

sche Staatssekretär Hartmut Schauerte das Wort.

Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bun-desminister für Wirtschaft und Technologie:

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Sehr geehrte Frau Höhn, ich erinnere mich anunsere gemeinsame Düsseldorfer Zeit. Da Sie als Erstesbei diesem Thema beklagen, dass eine lautstarke Aus-einandersetzung in der Großen Koalition stattgefundenhat, muss ich Ihnen bei allem Respekt entgegnen, dassSie noch nie eine Meisterin des leisen Wortes waren.Ihre Bemerkung ist also vor diesem Hintergrund nichtverständlich.

Wir haben rechtzeitig gehandelt und den Energiegip-fel richtig terminiert; denn er fand nach dem EU- undnach dem G-8-Gipfel statt, die sich zum großen Teil mitden Themen Energie und Klima beschäftigten. Es wareinfach klug, diesen Gipfel abzuwarten und den Energie-gipfel auf den dort gewonnenen Erkenntnissen aufzu-bauen. Es war auch klug, auf den Energiegipfel nicht mitfertigen Ergebnissen zu gehen; denn es musste erst ein-mal eine Basis hergestellt werden, auf der man nun kon-kret entscheiden kann. Genau das ist der Weg.

Dass die Opposition meint, sie könne schneller han-deln, ist in Ordnung. Wenn Sie an der Regierung wären,wären Sie möglicherweise noch langsamer. Im Übrigen,Frau Höhn, haben wir vor der Großen Koalition imBMU von Ihren Effizienzstrategien nichts vorgefunden.

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Das stimmt nicht! Das wissen Sie auch! Siehaben es doch nicht umgesetzt!)

Aus Ihrer Regierungszeit ist dazu nichts vorhanden ge-wesen. Deswegen sollten Sie sich ein wenig zurückhal-ten.

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Was machen Sie denn? Zwei Jahre hatten SieZeit!)

Wir wollen konkrete Maßnahmen ergreifen, die unab-hängig davon, ob es eine Zukunft mit oder ohne Kern-energie geben wird, richtig und notwendig sind. Ichbitte, Folgendes zu bedenken: Es gibt unterschiedlicheBewertungen zwischen CDU/CSU und SPD in dieserFrage. Obwohl wir in diesem Punkt unterschiedlicherMeinung sind, sind wir aber nicht so töricht, das, wasjetzt getan werden muss, nicht mit aller Kraft in Angriffzu nehmen. Handeln ist das Gebot der Stunde.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Wer immer sich in dieser Frage bei den Wählern durch-setzt, wird sich erst später entscheiden. Bei einer Verlän-gerung der Erzeugung von Kernenergie fallen die An-strengungen, die unternommen werden müssen,vielleicht nicht so schwer wie im Falle ohne Kernener-gie. Darum dreht sich die streitige Diskussion, die wirmiteinander führen. Die Frage ist nun, wie wir diesenProzess effizient steuern können.

Wir haben uns ein unglaublich ehrgeiziges Ziel ge-setzt; da kann einem fast schon schwindelig werden. Wirhaben uns eine Effizienzsteigerung um 3 Prozent proJahr vorgenommen. Das muss man doch realisieren. Ich

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11103

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Parl. Staatssekretär Hartmut Schauerte

behaupte, dies ist das ehrgeizigste Klimaziel eines gro-ßen Industriestaates in der Welt.

(Gudrun Kopp [FDP]: Das Ziel ja, aber keine Realisierung!)

Das kann man nur verantworten, wenn an allen Eckenund Enden sorgfältig geschaut wird, wie wir diesen Pro-zess akkordieren, wie wir ihn unter mehrfachen Effi-zienzgesichtspunkten steuern. Das ist ein riskantesUnternehmen. Wir können dabei Wachstum und Arbeits-plätze in Deutschland gefährden.

(Gudrun Kopp [FDP]: Richtig!)

Deswegen sollten wir mit aller Aufmerksamkeit undhoffentlich möglichst wenig Streit vorgehen.

Die Industrie in Deutschland muss weiterhin wettbe-werbsfähig produzieren können. Die Verbraucher klagenüber steigende Strom- und Energiekosten. Das sind dochKlagen, die wir ernst nehmen. Wie gehen wir damit um?Die eine Antwort lautet: mehr Effizienz beim Strom-und Energieeinsatz. Je mehr es uns gelingt – um es ein-mal einfach zu sagen –, den Strom- und Energiever-brauch zu reduzieren, desto günstiger wird die Rechnungfür die Verbraucher.

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eben falsch!)

– Vorsicht, ich bin noch nicht fertig. Ich denke in Schrit-ten; Sie denken ja immer nur im Ganzen. Das ist derUnterschied.

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Ganzen zu denken, ist nicht falsch!)

Da aber die Preisgestaltung im Rahmen der Energie-erzeugung, zum Beispiel bei den regenerativen Ener-gien, teurer wird, wird die Energierechnung für den Ver-braucher möglicherweise nicht niedriger ausfallen.Vielmehr wird er durch einen geringeren Verbrauch ei-nen höheren Preis ertragen können, ohne deswegen wirt-schaftliche Abläufe zu gefährden. Das ist doch die ei-gentliche Kernaufgabe, die wir zu lösen haben. Es wirdnicht wirklich billiger werden. Wer dies den Menschensagt, sagt etwas Falsches. Aber Energie wird unendlichviel teurer, wenn wir nicht in gleicher Geschwindigkeitdie Energieeffizienz, die Energieproduktivität erhöhen.Das sind die Schlüsselbegriffe, die wir miteinander inVerbindung bringen müssen.

Da ist das Wirtschaftsministerium mindestens so ge-fragt wie das Umweltministerium. Es gibt Anreizsys-teme, Verordnungen und Vorschriften. Das ist die eineGestaltungsmöglichkeit, über die die Politik verfügt. Dieandere Gestaltungsmöglichkeit ist jene über die Förde-rung von Erfindungen, über die technologische Erneue-rung unserer Produktionsweisen und Prozessketten, alldessen, was Teil des volkswirtschaftlichen und betriebs-wirtschaftlichen Prozesses ist.

Um einmal einen kleinen Unterschied deutlich zu ma-chen, der zwischen den Ansätzen des Umweltministe-riums und denen des Wirtschaftsministeriums besteht– vielleicht sehe ich zu große Unterschiede; ich würdemich freuen, wenn es nicht so wäre –: Im Zweifel setzt

der Wirtschaftsminister auf die Kunst der Ingenieure. Ichglaube, dass wir die Klimafragen ganz überwiegend mitIngenieurleistung beherrschen werden können und be-herrschen werden müssen. Dies ist die Stunde der Inge-nieure. Da muss entwickelt werden, da müssen Innova-tionen gefunden werden. Da müssen wir die Bildung, dieErziehung und die Forschung an den Universitäten opti-mieren. Hierzu haben wir eine Serie von Programm-punkten gestartet, die man in einer Redezeit von neunMinuten gar nicht alle vorstellen kann. Das ist der einewichtige Weg.

Dann brauchen wir Steuerungselemente. Darauf kannman nicht ganz verzichten. Hier gibt es keinen ideologi-schen Streit; das ist eine Frage des Mischungsverhältnis-ses zwischen den beiden Gestaltungsmöglichkeiten. Indiesem Zusammenhang ist besonders wichtig: Diese bei-den Methoden des Vorgehens müssen miteinander koor-diniert werden. Sie müssen widerspruchsfrei zueinanderbestehen. Sie müssen wirkungsmächtig sein. Sie müssenauch immer wieder auf Effizienz untersucht werden: Istdie gesetzliche Regelungsmechanik wirklich effizientund zielführend? Ist die ingenieurmäßige Entwicklungeffizient und zielführend? Deswegen bleibt in dieserganzen Debatte die Effizienz der Schlüsselbegriff in je-der Himmelsrichtung. Daran arbeiten wir. Ich denke, dasbekommen wir miteinander hin.

Wir planen ein wirtschaftlich tragfähiges Energie-effizienzgesetz, eine Rechtsetzung, in der wir Energie-effizienzfragen bündeln wollen. Dazu gehören dieRegelungen, die im Rahmen der Umsetzung der EU-Energiedienstleistungsrichtlinie notwendig sind. Wirwerden einen Energieeffizienzfonds einrichten, mit demEnergieeffizienzpotenziale bei kleinen und mittleren Un-ternehmen schneller erschlossen werden sollen. Wirwerden die bereits gestartete Exportinitiative im Hin-blick auf Energieeffizienz beschleunigen. Damit wollenwir Marktchancen und Absatzmöglichkeiten für deut-sche Produkte entwickeln. Das alles gehört dazu. Es istein unglaublich komplexer Bereich, in dem wir hier ar-beiten.

Mit einzelnen und schnellen Schlüssen kommen wirnicht weiter. Ich glaube, eine sorgfältige Abstimmungder Instrumente – einige habe ich genannt – ist jetzt ge-boten und vernünftig. Dann haben wir Chancen; dennwir starten – das erkennen wir, wenn wir uns in der Weltumsehen – von einem technologisch und regulativ intel-ligenten Niveau. Auf diesem Niveau können wir imWettbewerb standhalten.

(Rolf Hempelmann [SPD]: Da haben wir gut vorgearbeitet!)

– Der eine oder andere schon, Herr Hempelmann. Wirerfinden das Rad ja nicht jeden Tag neu. Auch wir habenhinzugelernt; das ist völlig unstreitig und auch in Ord-nung. Es gibt ja keinen Bruch, sondern wir entwickelnuns evolutionär nach vorne.

Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen: Wiekönnen wir unter dem Gesichtspunkt des Klimaschutzesden Energieverbrauch in Grenzen halten? Wir haben ei-nen konkreten Vorschlag zur Novellierung des Kraft-

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Parl. Staatssekretär Hartmut Schauerte

Wärme-Kopplungsgesetzes auf den Tisch gelegt, dersich genau mit diesem Thema beschäftigt und eine Lö-sung anbietet. Wir sollten die Belastungen, die aus demEEG und dem KWK-Gesetz resultieren, zusammen be-trachten, weil der Verbraucher von beidem betroffen ist.Wir brauchen eine wirtschaftlich sinnvolle und effizienteAusgestaltung dieser Maßnahmen. Nur so können wirden wirklich anspruchsvollen Klimaschutzzielen gerechtwerden und die Belange der Wirtschaft und der Verbrau-cher beachten. Das ist eine große Aufgabe. Lasst sie unsmöglichst gemeinsam anpacken!

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist der Kollege Michael Kauch für

die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Michael Kauch (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu-

nächst einmal möchte ich darauf hinweisen, dass ich essehr bemerkenswert finde, dass der für die Energiepoli-tik zuständige Minister es nicht für nötig hält, hier selbstüber den Energiegipfel zu berichten. Herr Schauerte, dasgeht nicht gegen Sie persönlich, aber das Ministeriumfährt hier die B-Besetzung auf, und das ist eine Missach-tung des Parlaments.

(Beifall bei der FDP – Klaus Uwe Benneter [SPD]: Der eigentlich Zuständige ist doch da!)

Aufgrund der öffentlichen Debatte könnte man ver-muten, Herr Gabriel sei zuständig. Mit großem Tamtamhaben sich die Minister Gabriel und Glos in den vergan-genen Tagen öffentlich untereinander und mit der Wirt-schaft gestritten, und zwar in einer Form, die – da mussich der Kollegin Höhn widersprechen – nicht erfreulich,sondern der Sache abträglich war. Ich finde, dass die bei-den Minister PR-Arbeit in eigener Sache betrieben ha-ben, dabei aber in keiner Weise an die Zukunft unseresLandes gedacht haben.

(Beifall bei der FDP)

Bei diesem Gipfel ist rein gar nichts herausgekom-men. Das gilt für die Themen Klimaschutz, Energieeffi-zienz und erneuerbare Energien. Zum wiederholten Malewerden uns von der Bundesregierung Überschriften bzw.Ziele präsentiert, aber keine einzige abgestimmte Maß-nahme. Auf dem Energiegipfel ist von dieser Koalitionkein Problem gelöst worden. Sie sagen, Sie wollen er-neuerbare Energien und die Kraft-Wärme-Kopplung för-dern. Rund um den Energiegipfel und auf dem Energie-gipfel haben Sie aber nicht gesagt, wie Sie das tunwollen. Sie haben kein Konzept zur Förderung erneuer-barer Wärme auf dem Markt. Sie haben kein Konzeptzur Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung. Es fehlenauch konkrete Ansätze, beispielsweise wie man unseresolaren Spitzentechnologien in die Entwicklungsländerbringen könnte. Zu all dem hat dieser Energiegipfelnichts als Sprechblasen produziert.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde es schon sehr bemerkenswert, dass die bei-den Minister, die sich aufführen, als wären sie in einerSoapopera, von der Kanzlerin den Auftrag bekommenhaben, sich zusammenzusetzen und gemeinsam ein Kon-zept auszuarbeiten. Ich frage mich, was Sie in den letz-ten Monaten getan haben. Spätestens seit dem EU-Gip-fel im März – nicht erst seit dem G-8-Gipfel – sind dieHausaufgaben dieser Bundesregierung klar; seitdem istklar, welche Ziele umgesetzt werden müssen. Sie habenschlichtweg gepennt und sich nur öffentlich auseinan-dergesetzt.

(Beifall bei der FDP – Rolf Hempelmann[SPD]: Sie müssen auch mal ein bisschen lo-ben!)

Ich möchte auf eine Sache eingehen, die von der Kol-legin Höhn angesprochen worden ist, nämlich auf die Si-cherheit der Atomkraftwerke. Sie haben gesagt: Pünkt-lich zu jedem Energiegipfel haben wir einen Störfall. Siehaben dargestellt, dass möglicherweise mehr passiert ist,als zunächst gesagt wurde; das werden die weiteren Un-tersuchungen zeigen müssen. Sie haben dann – überSchweden zu Deutschland – die Schlussfolgerung gezo-gen, dass alle Kernkraftwerke in Deutschland nicht si-cher betrieben werden können. Frau Höhn, wer war dennder Minister, der in den letzten Jahren die Atomaufsichthatte? Das war Ihr Kollege Trittin. Wenn es bei diesenKraftwerken solche Sicherheitsprobleme gibt, wie Sieuns gerade erzählt haben, dann hat er seine Amtspflich-ten verletzt, weil er sie nicht stillgelegt hat. Wäre es tat-sächlich so, hätte er sie stilllegen müssen.

(Beifall bei der FDP)

An die Adresse unseres amtierenden Umweltminis-ters, der auch für die Atomaufsicht zuständig ist, möchteich sagen: Man kann das nicht so locker handhaben, wieSie es letzte Woche gemacht haben, und sich als zustän-diger Minister in eine Pressekonferenz setzen und sagen:Unsere Kernkraftwerke sind die sichersten der Welt,aber manchmal knallt und brennt es eben. – An dieserStelle sage ich: Wenn die Störfälle so ernst sind, dass siedie Sicherheit der Menschen systematisch gefährden,dann müssen Sie diese Kraftwerke stilllegen. Ansonstendürfen Sie nicht solche Bemerkungen machen, ohne dieFälle vorher untersucht zu haben.

(Beifall bei der FDP)

Auf diesem Energiegipfel gab es eine positive Aus-sage, nämlich dass die Kanzlerin sich klar dazu bekannthat, dass wir die CO2-Abscheidetechnologie in Deutsch-land voranbringen müssen. Das ist wichtig; denn daranhängt die Frage, ob wir die Kohle in Deutschland in Zu-kunft noch verantwortlich nutzen können. Letztendlichwird dies nur mit der CO2-Abscheidetechnologie gelin-gen, also dadurch, dass wir Kohlekraftwerke bekommen,die kaum noch CO2 emittieren. Ich finde, das ist einpositiver Fortschritt in dieser Debatte. Aber was hat ges-tern der Umweltstaatssekretär Müller im Umweltaus-schuss gemacht? Er hat mit seiner Aussage wieder allesrelativiert, indem er darauf hinwies, es müsse geforscht,

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Michael Kauch

geprüft und über die Vor- und Nachteile nachgedachtwerden. Nein, wir müssen jetzt gemeinsam die Anstren-gung unternehmen, dafür zu sorgen, dass wir die Kohleauch in den nächsten Jahrzehnten noch verantwortlichnutzen können.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Herr Gabriel hat völlig recht: Es ist illusorisch, zu glau-ben, aus der Kohle und der Kernkraft gleichzeitig aus-steigen zu können, wie die Grünen immer wieder be-haupten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Dirk

Becker das Wort.

(Beifall bei der SPD)

Dirk Becker (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Zunächst darf ich mich bei der FDP sehr herzlich dafürbedanken, dass Sie die Aktuelle Stunde heute beantragthaben;

(Gudrun Kopp [FDP]: Gerne!)

denn Sie geben der Regierungskoalition damit die Gele-genheit, die wirklich erfolgreiche Arbeit, die beim Ener-giegipfel geleistet wurde, noch einmal zu würdigen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei der FDP)

Ich will eines sehr deutlich sagen, Frau Kopp undHerr Kauch: Ich finde es abenteuerlich, dass nach demEnergiegipfel Ihr Vertreter der Güteklasse A – er istheute bei der FDP ebenso wenig anwesend –

(Gudrun Kopp [FDP]: Da seien Sie einmalganz vorsichtig! – Otto Fricke [FDP]: Welcherdenn jetzt? Wir haben so viele!)

vor die Presse getreten ist und verkündet hat,

(Gudrun Kopp [FDP]: Da seien Sie mal ganz vorsichtig!)

dass die FDP enttäuscht sei. Für den Klimaschutz seinichts erreicht worden, die FDP sei doch die Klima-schutzpartei. Ausgerechnet diese Fraktion ist die einzige,die bei der Selbstverpflichtung der Mitglieder des Deut-schen Bundestages, etwas für den Klimaschutz zu tun,nicht mitmacht. Überdenken Sie doch bitte schön einmalIhr eigenes Handeln!

(Beifall bei der SPD – Michael Kauch [FDP]:Das ist doch absurd! – Ernst Burgbacher[FDP]: Das ist doch lächerlich! Haben Sieauch etwas Ernsthaftes zu bieten? Haben Sienur noch Witze auf Lager?)

Ich möchte zum Urteil der Grünen etwas sagen, FrauKollegin Höhn. Ich will jetzt niemanden aus dieser Re-

gierung bemühen, ein Urteil über den Energiegipfel ab-zugeben. Man muss sich aber nur einmal ansehen, wasdie Umweltverbände nach dem Energiegipfel gesagt ha-ben. Es gab zum Beispiel Interviews mit Vertretern vonWWF und BUND.

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch von anderen!)

Alle haben deutlich gemacht, dass das, was die Bundes-regierung beim Energiegipfel erreicht hat, deutlich mehrist, als sie für möglich gehalten haben. Wenn sie es alsErfolg feiern, dann sollten auch Sie sich das zu eigenmachen und den Erfolg anerkennen.

(Gudrun Kopp [FDP]: Was ist denn erreicht worden?)

Wenn Sie selbst in der Regierung wären, würden Siediese Ergebnisse mit Stolz vertreten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – GudrunKopp [FDP]: Was denn für Ergebnisse? –Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Nennen Sie uns ein Ergebnis!)

Ich nenne einmal einige Eckpunkte. Es gibt ein klaresBekenntnis

(Gudrun Kopp [FDP]: Das reicht nicht!)

zum 40-Prozent-Ziel. In der Erklärung wurde deutlichbetont, dass das 40-Prozent-Ziel für Deutschland gilt.Wir haben weiter eine Effizienzsteigerung um 3 Prozentpro Jahr bis 2020 vereinbart. Das Ziel des Ausbaus imBereich der erneuerbaren Energien auf 27 Prozent giltebenfalls; Sie sind bisher von 20 Prozent ausgegangen.Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Primärener-gie soll 16 Prozent betragen. Ein regelmäßiges Monito-ring wurde vereinbart, um Jahr für Jahr zu überprüfen,ob wir noch in der Spur sind, um die Ziele zu erreichen.

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Wo sind die Maßnahmen? Ohne Maßnahmenist das alles nichts!)

– Haben Sie ein bisschen Geduld! Ich habe noch zwei-einhalb Minuten Redezeit. Ich werde noch auf die Maß-nahmen eingehen.

All das hat dazu geführt, dass bis zum Ende der Som-merpause im Kabinett ein Maßnahmenpaket mit derÜberschrift „Klimaschutz und Energie“ beraten wird. Esgibt ein Bündel von Maßnahmen. Ich will Ihnen nur dreinennen, weil es sonst den Rahmen meiner Rede spren-gen würde.

Erstens. Wir werden das Thema Kraft-Wärme-Kopp-lung im Hinblick auf die Effizienzmaßnahmen explizitaufgreifen. Der Kollege Pfeiffer hat bereits innerhalb derKoalition aufseiten der Union mit uns verhandelt. Ichdenke, in den Eckpunkten sind wir uns einig.

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Ach was! Es wird doch gestritten in demPunkt!)

– Es wird nicht gestritten, sondern es wird diskutiert,Frau Höhn.

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Dirk Becker

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Ja, aber sehr lange! – Hans-Josef Fell [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Allerdings! Wahr-scheinlich noch zwei Jahre lang!)

Wir werden mit Blick auf die Kraft-Wärme-Kopplungein ambitioniertes Paket vorlegen. Ebenso werden wirein Paket erarbeiten, mit dem wir uns intensiv dem Wär-memarkt widmen. Wir alle wissen, dass der Wärme-markt, was seine energiepolitische Bedeutung angeht,der größte Markt in Deutschland ist. Es wird nicht nurweitere Prüfungen steuerlicher Anreize oder möglicherVerschärfungen der EnEV und der Betriebskostenver-ordnung geben, sondern auch ein Erneuerbare-Wärme-Gesetz. Darüber werden wir nach der Sommerpause imDeutschen Bundestag diskutieren.

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Ach was! Das sind doch immer nur Ankündi-gungen! – Zuruf von der LINKEN: Hoffent-lich!)

Der Bundesumweltminister hat heute den Erfahrungs-bericht zum EEG vorgelegt. Ich denke, man kann ohneWenn und Aber sagen: Das EEG ist eines der erfolg-reichsten Gesetze, die der Deutsche Bundestag verab-schiedet hat.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Dank wem?)

Wir werden dieses erfolgreiche Instrument weiterführen.Ich möchte nur einige Beispiele anführen: Ich habe be-reits darauf hingewiesen, dass die Zielerreichung für2010 bereits heute übertroffen ist, sodass wir die Aus-bauziele weiter anheben können. Bis heute konnten45 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden.125 000 Menschen haben durch das EEG einen Job be-kommen. – Insgesamt gilt es, diese Instrumente beispiel-haft weiterzuentwickeln. An dieser Stelle wären nochviele weitere Effizienzmaßnahmen zu nennen. Wir wer-den ein Gesamtpaket von Effizienzmaßnahmen ent-wickeln.

Frau Kopp, weil Sie das Thema Atomenergie pushenwollten und mussten, haben Sie das Effizienzziel bis2020 grundsätzlich infrage gestellt.

(Gudrun Kopp [FDP]: Nein! Nur ohne Kern-energie!)

– Ja, ohne Kernenergie. Sie haben es ohne die Kernener-gie als unerreichbar bezeichnet.

(Gudrun Kopp [FDP]: Ja, das ist nicht realis-tisch!)

Dazu will ich Ihnen Folgendes sagen: Bei den Prognosenhinsichtlich der erneuerbaren Energien haben wir ähnli-che Erfahrungen gemacht. Damals haben viele gesagt:Ihr werdet die Ziele, die ihr euch gesetzt habt, nie errei-chen. – Bereits heute wissen wir, dass wir viele unsererZiele schon übertroffen haben. Ich denke, wenn wir dieTechnologien im Effizienzbereich in den nächsten zwölfJahren weiterentwickeln, werden wir unser Ziel errei-chen. Wir werden auch in diesem Bereich jährlich nach-

steuern und untersuchen, wie unsere Maßnahmen wir-ken.

Ihr Verhalten möchte ich mit einem Zitat von VictorHugo beschreiben, der da sagte:

Die Zukunft hat viele Namen. Für die Zögernden istsie das Unerreichbare. Für die Furchtsamen ist siedas Unbekannte. Für die Mutigen ist sie dieChance.

Die Große Koalition wird diese Chance nutzen.Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU])

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist der Kollege Franz Obermeier für

die CDU/CSU-Fraktion.(Beifall bei der CDU/CSU)

Franz Obermeier (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Was hat uns der Energiegipfel gebracht? Wo stehenwir heute? Man kann es vielleicht so umschreiben: Erhat uns klare Leitlinien in Bezug auf unser Ziel gebracht.Hinsichtlich des Weges sind wir uns in der Großen Ko-alition weitgehend einig.

(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Aha! Das ist neu! Ich dachte, Sie strei-ten noch!)

Mit den Unterschieden in den Nuancen sollten wir unsnicht so sehr beschäftigen.

Ich möchte mich in den nächsten Minuten auf dieFrage konzentrieren, welche Chancen eine zukunfts-orientierte Energiepolitik für unser Land bietet. VonChancen spreche ich deswegen, weil es uns gelingenmuss, die Umstellung der deutschen Energiewirtschaftso zu gestalten, dass keine nachteiligen Wirkungen fürdie Wirtschaft im Allgemeinen und für die guten An-sätze in Richtung Wirtschaftswachstum entstehen. Wirmüssen bestimmte Prozesse, die Kosten verursachen,umdrehen. Darüber hinaus müssen wir dafür sorgen,dass neue Technologien auf den Markt gebracht werden,damit wirtschaftlicher Nutzen entsteht. Das ist in denkommenden zwei Jahren die enorme Herausforderungfür alle Energie- und Umweltpolitiker der Großen Koali-tion.

Diesen Rahmen hat uns die Bundeskanzlerin in Formvon klaren Leitplanken vorgegeben. Ich weiß nicht, wieman auf den Trichter kommen kann zu sagen, dass derEnergiegipfel keine griffigen Ergebnisse gebracht habe.Eine Steigerung der Energieeffizienz um 3 Prozent proJahr ist nicht nur für die deutsche Ingenieurskunst, son-dern auch für die gesamte Gesellschaft eine enorme He-rausforderung. Es ist im Übrigen nicht nur für die Inge-nieure, sondern auch für die Biologen eine riesigeHerausforderung; denn wir werden auf dem Sektor dererneuerbaren Energien mit dem, was wir mittlerweilemittels Biomasse erzeugen können, nicht auskommen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

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Franz Obermeier

Potenziale gibt es genügend. Denken wir nur daran,welche Potenziale wir nutzbar machen würden, wenn esuns gelänge, dass der Austausch der vorhandenen Elek-trogeräte – sowohl derer in den privaten Haushalten alsauch derer in den Betrieben, in den Produktionsunter-nehmen – schneller vor sich ginge!

(Gudrun Kopp [FDP]: Das ist aber ein biss-chen wenig!)

Denken wir an die Kraft-Wärme-Kopplung, in der natür-lich erhebliche Potenziale stecken! Dabei meine ich we-niger die Fernwärmeversorgung, sondern das großePotenzial bei der Prozesswärme. Wenn es uns gelingt– wir müssen die Anreize entsprechend setzen –, dassdie Industrieunternehmen, die große Mengen Prozess-wärme brauchen, diese über Kraft-Wärme-Kopplung be-kommen, haben wir schon viel erreicht.

(Beifall des Abg. Alexander Dobrindt [CDU/CSU])

Oder denken wir an die großen Potenziale bei der Ge-bäudesanierung! Ich sage in unserer Arbeitsgruppe imAusschuss regelmäßig mit aller Deutlichkeit: Wir habenimmer noch mehr als 20 Millionen Wohnungen inDeutschland, die nicht der Energieeinsparverordnungentsprechen. Angesichts dessen ist es ein sehr positivesErgebnis des Energiegipfels, dass die Mittel für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm von 1,4 Milliarden aufungefähr 3 Milliarden Euro erhöht werden. Das ist dochetwas. Deswegen bin ich schon der Meinung, dass dieserEnergiegipfel des Schweißes der Edlen wert war.

Ich komme zu den Reduktionszielen hinsichtlich derMobilität. Ein Ergebnis des Energiegipfels ist, dass an-gestrebt werden soll, dass Fahrzeuge maximal130 Gramm CO2 je Kilometer ausstoßen. Das ist eineklare Definition, die für die deutsche Automobilwirt-schaft eine große Herausforderung darstellt. Wir müs-sen, ohne Kollateralschäden zu verursachen, darauf hin-arbeiten, dafür zu sorgen, dass dies für Neuwagen imFlottenverbrauch gilt.

Ich habe den Eindruck, dass wir mit dem Klimagipfeleine klare Orientierung bekommen haben. Es liegt jetztam Parlament, es liegt an uns, die Energiepolitik ideolo-giefrei, an den Fakten orientiert zu einem guten Ergebniszu führen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord-neten der SPD)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nun hat das Wort der Kollege Dr. Axel Berg für die

SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Dr. Axel Berg (SPD): Einen fröhlichen guten Tag, Frau Präsidentin, liebe

Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, dass das Vorha-ben der Kanzlerin auf dem Energiegipfel extrem ambi-tioniert war. Sie hat versucht, die divergierenden Interes-

sen in der Energiepolitik zu einem langfristigen,nationalen Energiepaket für den Zeitraum bis 2020 zu-sammenzuschnüren. Das ist ein mutiges, ein wichtigesVorhaben, schon deswegen, weil wir im Angesicht desKlimawandels handeln müssen; eigentlich hätten wirschon vor 20 Jahren damit anfangen müssen. Trotzdemwar dieses Vorhaben von Anfang an fast unmöglich zuerreichen, weil die Interessen einfach zu sehr divergie-ren. Das war übrigens unter Rot-Grün nicht einfacher.Dass das Ergebnis des Gipfels nicht nur Einigkeit undHarmonie ausstrahlt, ist deshalb nicht verwunderlich.

Schön ist wiederum, dass es etliche hoffnungsvolleAnsätze gibt. Lassen Sie mich deswegen kurz auf die öf-fentliche Diskussion im Vorfeld eingehen. Dabei hat sichja eines gezeigt, was durchaus interessant ist: Die nu-klear-fossile Energiewirtschaft wollte eigentlich garkeine Einigung. Gebetsmühlenartig wurde wiederholt,dass die Szenarien, die das Kanzleramt hatte durchrech-nen lassen, nicht machbar seien. Daran zeigte sich ihrewahre Absicht, die da lautet: Business as usual, bloßkeine Veränderungen. Die Bundesregierung hat dem wi-derstanden und sich nicht in die Ecke drängen lassen. Siehat an den Klimaschutzzielen festgehalten und die Effi-zienzvorgaben aufrechterhalten. Das ist ein Erfolg, dernicht wegzureden ist.

(Beifall bei der SPD)

Es ist schon fast erpresserisch, dass die Atomkraft-werksbetreiber ihre Gesprächsbereitschaft beim Gipfelunterschwellig davon abhängig machen wollten, dassder Atomausstieg revidiert wird. Genauso verhält es sichmit den permanenten und damit inflationären Drohun-gen, ins Ausland abzuwandern, nur um den notwendigenStrukturwandel zu umgehen. Diese ewige „business asusual“-Mentalität der großen Versorgungsunternehmengleicht einem Tanz auf dem Vulkan. Störfälle sind All-tag, auch wenn es erfreulicherweise noch nicht bis zurKernschmelze kam. Den Müll überlässt man, wie üblich,den nächsten Generationen. Das ist der Hauptgrund,weshalb wir aus der atomaren Verschwendungswirt-schaft herauswollen.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der FDP: Ichdenke, Sie wollen das Problem jetzt endlich lö-sen!)

Dass die Umsetzung ambitionierter Ziele auch in gro-ßen Versorgungsunternehmen machbar ist, beweisenzum Beispiel „meine“ wunderbaren Stadtwerke in Mün-chen; das ist ein riesiger Laden. Sie müssen den Stromaus ihrer Beteiligung am Atomkraftwerk Isar II inner-halb von – soweit ich weiß – 15 Jahren ersetzen. Da gehtes um 350 Megawatt; das ist eine große Menge Strom.Diese Leistung werden die Münchener nicht durchKohle ersetzen. Sie sind dabei, sich alternative Lösungenzu erarbeiten; das finde ich klasse.

Dabei kommt den Stadtwerken bei uns in Münchendie Strategie der Stadt entgegen, bis zum Jahr 202020 Prozent der Stromproduktion aus erneuerbaren Ener-gien zu gewinnen. Das ist ein ambitionierter Weg füreine Großstadt, der aber durchaus machbar ist. Stadt-werke sollen bitte schön auch damit Geld verdienen,

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11108 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007

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Dr. Axel Berg

ihren Kunden das Sparen schmackhaft zu machen, stattimmer nur darüber nachzudenken, wie man ihnen mehrKilowattstunden verkaufen kann.

Wir in München – entschuldigen Sie das Eigenlob –versuchen gerade, eine lokale Stromstrategie für unsereStadt in einem Klimaschutzbündnis hinzubekommen, indem alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen der Stadtvertreten sind. Solch ein guter Ansatz, der in einer Kom-mune funktioniert – jedenfalls hoffe ich, dass er funktio-nieren wird; es sieht aber gut aus –, kann doch auch ineinem größeren Maßstab umgesetzt werden; die Systemesind doch vergleichbar. München versucht, eine Vorrei-tergroßstadt zu sein, und wird hoffentlich ein gutes Bei-spiel für andere Städte in Deutschland abgeben.

Aber wir haben noch ein Problem: Ständig blockiertdie CSU. Ich verstehe das nicht ganz. Wir haben ebenHerrn Obermeier gehört; das klang doch alles sehr ver-nünftig. Warum blockieren dann noch so viele? In Mün-chen macht die CSU Front gegen die Stadtwerke; sie sol-len komplett weg. In den meisten unionsgeführtenStädten sind die Stadtwerke schon privatisiert. Damitverliert eine Stadt doch komplett ihren Einfluss und be-gibt sich freiwillig in die Hand der Kartelle, die hier imBundestag dann fröhlich beschimpft werden.

Im Bayerischen Landtag hat der Fraktionsvorsitzendeder CSU, Herrmann, in den vergangen Tagen – währenddes Energiegipfels! – gesagt, dass es mit der CSU keineEinigung ohne Kernenergie geben wird. Sie erpressenvor lauter Ideologie sogar die eigene Kanzlerin, weildiese sich wiederum an den Koalitionsvertrag hält. Dasist schon eine irre Welt. Im Bund unterminiert dieUnionsfraktion auch immer wieder die Klimapolitik derKanzlerin; wir haben Herrn Dr. Pfeiffer vorhin gehört.

Statt das Problem jetzt endlich einmal anzupacken,müssen wir permanent Diskussionen über Laufzeitver-längerungen führen. Die FDP sekundiert dabei und for-dert stur Laufzeitverlängerungen. Sie sprechen vonMissachtung des Parlaments, obwohl nur vier Leute vonder FDP dieser Ansicht sind. Ohne „Staatsknete“, liebeFreunde von der FDP, gäbe es weltweit kein Atomkraft-werk. Sie bekämpfen damit einen langsam entstehendenMarkt, als wären Sie von der Sowjetunion ferngesteuert.

(Widerspruch bei der FDP – Dr. JoachimPfeiffer [CDU/CSU]: Jetzt wird es abenteuer-lich!)

Sie fordern das Gegenteil von Liberalität. Das ist einkrasser Etikettenschwindel. Kriegen Sie sich am bestenwieder ein und arbeiten Sie mit!

(Zuruf von der FDP: Ich glaube, wir brauchen dringend eine Sommerpause!)

Das fände ich prima. Niemand von uns behauptet, dasses einfach wird. Aber ich habe größtes Vertrauen in dasPotenzial unseres Landes und unserer Bevölkerung, dieriesige Menschheitsherausforderung des Klimawandelsendlich in den Griff zu bekommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, aberauch von der FDP: Lasst uns bitte endlich ambitioniertRahmenbedingungen setzen, die notwendig sind, um die

Klima- und Energiepolitik, wie es die Kanzlerin soschön formuliert, endlich umzusetzen. Es ist höchsteZeit, und wir sollten nicht noch mehr davon verlieren.

Abschließend muss ich auch sagen: Wenn es nicht mitden großen Energieversorgern geht, dann müssen wiruns überlegen, wie es ohne sie geht.

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber schnell!)

Mir wäre es aber lieber, es ginge mit ihnen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist nun der Kollege Andreas

Lämmel für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer Wandererist, der weiß, wie schwierig es ist, den Gipfel eines ho-hen Berges zu erklimmen. Wenn man oben ist, ist manmanchmal ganz außer Puste und muss erst einmal wiedertief Luft holen.

Es gibt natürlich sehr verschiedene Wege, wie man ei-nen Gipfel erreichen kann. Genau das hat sich auch beidem Energiegipfel vor zwei Tagen gezeigt. Eines kannman, wie ich glaube, allerdings nicht tolerieren, nämlichdie Wortwahl vor dem Gipfel. Herr Kollege Gabriel, Siehaben den Vorstandsvorsitzenden eines internationalagierenden deutschen Unternehmens als „Wirtschaftssta-linisten“ bezeichnet. Ich glaube, diese Wortwahl stammtaus der tiefsten Schublade. Wenn Sie vielleicht gar nichtwissen, was ein Stalinist ist, weil Sie noch keinem be-gegnet sind, dann sollten Sie sich entschuldigen. WennSie aber wissen, was ein Stalinist ist, weil Sie vielleichtdoch schon einmal einen getroffen haben, dann solltenSie sich erst recht entschuldigen. Wenn es in diesemLand nämlich einreißt, dass Leute, die eine andere Mei-nung vertreten oder vorsichtig auf Probleme hinweisen,als Stalinisten bezeichnet werden, dann sind wir tief ge-sunken.

(Beifall bei der CDU/CSU – Bärbel Höhn[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vorsichtig hater nicht auf Probleme hingewiesen, sondernmit dem Holzhammer!)

Zum Gipfel selbst. Ich finde es am wichtigsten, dassauf diesem Gipfel das Gleichgewicht zwischen Versor-gungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträg-lichkeit betont wurde. Wenn wir dieses Gleichgewichtimmer wieder vor Augen haben und darauf setzen, dannwird es in unserem Lande auch zu einer vernünftigenEnergiepolitik kommen.

Bei der Wirtschaftlichkeit geht es schließlich um denStandort Deutschland und um die heutige, aber auch umdie zukünftige Wettbewerbsfähigkeit. Es nutzt unseremLand eben nicht unbedingt etwas, wenn wir zwar bei den

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Andreas G. Lämmel

regenerativen Energien oder bei der Energieeinsparungabsolute Weltspitze sind, aber die höchsten Preise zahlenmüssen. Bei der Wirtschaftlichkeit geht es darum, dasInteresse der Verbraucher – hier geht es vor allem um diesoziale Verträglichkeit der Energiepreise – und die In-teressen der Wirtschaft im Blick zu behalten.

Wenn zwischen den Kosten der einzelnen Szenarien– darauf wurde schon hingewiesen – eine Differenz von5,3 Milliarden Euro pro Jahr besteht, dann lohnt es sichdoch, über die einzelnen Szenarien zu diskutieren; denndas kann niemand aus der Portokasse zahlen. Ich habegehört und in Pressemeldungen gelesen, dass man zumBeispiel im Bereich der Einspeisevergütungen schonwieder große Umgruppierungen plant. Ich möchte nocheinmal deutlich machen: Für uns muss es bei dem Sub-ventionsrahmen, der jetzt besteht, bleiben. Wenn, dannkann man innerhalb dieses Rahmens umrangieren, wieman will, es darf aber zu keinen weiteren Belastungender Energiepreise kommen.

Zwei Dinge, die mich bei dem Energiegipfel sehr er-freut haben, möchte ich noch kurz ansprechen. Das ersteThema ist die Exportinitiative Energieeffizienz. Wirlegen großen Wert darauf, unsere Technologien zu ex-portieren, auch die Kraftwerkstechnologie. Wenn alleKraftwerke in Russland, China, Indien und sonst wo aufder Welt mindestens den Standard deutscher Kraftwerkehätten, dann wäre mehr für das Klima getan, als wennwir uns hier über ein Zehntel mehr oder weniger Ener-gieeffizienz unterhalten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –Gudrun Kopp [FDP]: Das stimmt! –Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Wir sindhier aber nicht im chinesischen Parlament,sondern im deutschen!)

– Es geht aber um die Exportinitiative Energieeffizienz.Ich denke, ich hatte das deutlich gemacht.

Das zweite Thema ist die Energieforschung. Die Auf-wendungen für die Energieforschung sind bis 2005kontinuierlich zurückgegangen. 2005 hatten wir den ab-soluten Tiefpunkt erreicht. Das Ergebnis ist, dass dieForschung in verschiedenen Technologiebereichen nichtin dem Maße vorangetrieben worden ist, wie es notwen-dig gewesen wäre.

Ich glaube, wenn sich jetzt alle politisch Beteiligtendarauf einigen, die Energieforschung voranzutreiben,dann werden wir nicht auf die Kohle verzichten müssen,die 50 Prozent der Stromerzeugung im Grundlastbereicherbringt. Deshalb sind neben allen Beschlüssen, dieheute diskutiert worden sind, gerade diese Punkte fürmich sehr wichtig. Jetzt gilt es, aus diesen Beschlüssendas Programm zu schneidern, das die Kanzlerin im Sep-tember vorlegen wird.

Der Energiegipfel ist, um das noch einmal deutlich zumachen, kein politisches Entscheidungsgremium. DerDeutsche Bundestag ist das politische Entscheidungsgre-mium. Deswegen ist es der richtige Weg, dass die Kanz-lerin nach der Sommerpause das Energieprogramm fürDeutschland vorlegen wird, über das wir dann im Bun-destag diskutieren werden.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord-neten der SPD)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Für die Bundesregierung erteile ich nun das Wort

Herrn Bundesminister Sigmar Gabriel.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit:

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wennich verfolge, was die Opposition über den Energiegipfelund die Energie- und Klimapolitik sagt, dann kann ichgegenüber den Koalitionsfraktionen nur feststellen, dasswir eigentlich alles richtig gemacht haben müssen. Stel-len Sie sich vor, die Opposition hätte uns heute gelobt;das wäre für uns schlimm gewesen.

Ich glaube, wir können beruhigt feststellen: Was wirin diesem Bereich machen, gehört zu 100 Prozent auf dieHabenseite der Großen Koalition.

(Gudrun Kopp [FDP]: Was machen Sie denn?)

Herzlichen Dank an alle, die uns dabei unterstützt ha-ben!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So einfach ist es nicht!)

– Doch, Frau Höhn, es ist leider – Parlamentsdebattensollten ja eigentlich auch eine intellektuelle Herausfor-derung sein – heute sehr einfach, mit Ihnen umzugehen.Ich kann Ihnen berichten, wie zum Beispiel der BUNDund die Ökoenergiebranche den Energiegipfel bewerten:Der Bund für Umwelt und Naturschutz und die Ökoener-giebranche haben die Ergebnisse des Energiegipfels vonBundesregierung und Wirtschaft begrüßt.

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Dann lesen Sie auch mal DUH vor! Dann le-sen Sie mal alle anderen vor, die Sie kritisierthaben!)

– Die, die Sie sonst hier gerne zitieren, sagen: Das habtihr gut gemacht; wir kommen voran. – Das ist doch einErgebnis, über das Sie sich im Zweifel freuen sollten.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Sie machen es uns auch deshalb einfach, Frau Höhn,weil Sie nicht mehr inhaltlich argumentieren, sondernsich langsam zu einer professionellen Anscheinserwe-ckerin entwickeln. Denn wenn Sie feststellen, wir wür-den nichts tun, dann verschweigen Sie die 1,4 MilliardenEuro für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm. Dasist das Vierfache gegenüber Ihrer Regierungszeit. Sieverschweigen, dass wir die erneuerbare Wärme mit80 Millionen Euro zusätzlich fördern, dass wir die Mittelfür Forschung und Entwicklung im Bereich erneuerbarerEnergien verdoppelt und das Zuteilungsgesetz verab-schiedet haben.

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11110 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007

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Bundesminister Sigmar Gabriel

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber nur auf Druck der EU!)

– Darauf habe ich gewartet. Sie sagen, auf Druck der Eu-ropäischen Union – einverstanden. Wir hatten vorge-schlagen, den CO2-Ausstoß bei uns selber um 48 Millio-nen Tonnen zu senken. Jetzt sind es 57 Millionen Tonnengeworden. Wissen Sie noch, was Sie geleistet haben? Siehaben nur 2 Millionen Tonnen pro Jahr hinbekommen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und derCDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Das war Clement! Das wissen Sieauch!)

– Ich weiß, dass Sie das ärgert.

Wir haben eine Lernprobe hinter uns. Sie sollten aberauch anerkennen, dass wir es im Gegensatz zu Ihnen ge-schafft haben und dass es gut ist, dass es jetzt funktio-niert.

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So einfach ist für Sie die Welt!)

– Das ist doch die Wahrheit, Frau Kollegin Höhn. Ma-chen Sie es uns doch nicht nur dadurch so einfach, dassSie versuchen, alles zu verschweigen, was Sie selbernicht geschafft und was wir erreicht haben.

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn mit dem Maßnahmepaket?)

– Sie wollten doch wissen, was wir schon getan haben,Frau Höhn. Sie haben uns hier vorgehalten, dass wir nurreden, ohne dass etwas passiert. Jetzt habe ich Ihnen vor-getragen, was wir bereits alles getan haben. Das ist we-sentlich mehr, als Sie in Ihrer Regierungszeit zustandegebracht haben.

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das EEG war viel besser!)

– Sie verweisen auf das EEG. Es macht heute richtigSpaß, Frau Höhn. Sie haben im Strombereich das Zielverfolgt, den Anteil der erneuerbaren Energien auf20 Prozent zu erhöhen.

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch nicht!)

– Natürlich! Das haben Sie in die Koalitionsvereinba-rung aufgenommen, und Sie können es auch in Ihren Re-den nachlesen. Die Große Koalition hat das Ziel, denAnteil der erneuerbaren Energien im Strombereich auf27 Prozent zu erhöhen. Das sind 7 Prozent mehr, als Siesich zugetraut haben, Frau Höhn.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie das doch einmalrichtig! Sie verkennen die Fakten!)

Wir haben beim Energiegipfel das Ziel der Bundesre-gierung beibehalten, den CO2-Ausstoß gegenüber 1990um 40 Prozent zu senken. Das haben Sie in Ihrer Regie-rungszeit nicht ansatzweise für möglich gehalten.

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber sicher! Wir schon, aber Sie nicht!)

Sie ärgern sich doch einzig und allein darüber, FrauHöhn – deswegen rufen Sie ständig dazwischen –, dassdie Große Koalition bei diesem zentralen Thema IhrerPolitik mehr zustande bringt, als Sie sich jemals zuge-traut haben.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU –Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Was haben Sie denn erreicht? Nichts!)

– Frau Höhn, seien Sie doch nicht so maulig. Wenn Sieso in den Wald hineinrufen, dann gibt es auch eine Ant-wort, jedenfalls wenn ich die Möglichkeit habe, zu re-den.

Wir haben die Verdopplung der Energieeffizienzvereinbart. Frau Höhn, wir haben 67 Maßnahmen dazuauf dem Energiegipfel vorgeschlagen. Der KollegeSchauerte hat absolut recht: Es wäre für uns einfachergewesen, wenn wir die Akten hätten aufmachen und aufVorschläge der Grünen hätten zurückgreifen können unddiese nur hätten einbringen müssen. Aber nichts war da.Erst der Energiegipfel hat entsprechende Vorschläge er-arbeitet. So viel zum Thema Energieeffizienz. Nicht nurreden, sondern auch etwas Konkretes auf den Weg brin-gen, Frau Kollegin Höhn! Das haben wir dort gemacht.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Wir werden den Kraftwerkspark modernisieren. Wirhaben eine ganze Reihe dessen, was wir vereinbart ha-ben, auf dem Energiegipfel durchgesetzt. Vorhin hatmich der Kollege, der für die CDU/CSU gesprochen hat,kritisiert. Aber wenn jemand sagt: „Ich treffe mich nurdann mit der Regierung, wenn sie das macht, was ichvon ihr will“, dann – so habe ich es gesagt – argumen-tiert derjenige wie ein Wirtschaftsstalinist. Das meineich ganz ernst. Ich nehme übrigens Ihre Argumenteebenfalls ernst. Sie haben einen bestimmten politischenErfahrungshintergrund und haben vorhin sinngemäß ar-gumentiert: Junge, pass auf; rede nicht von Dingen, vondenen du nichts verstehst! – Das finde ich in Ordnung.Aber nehmen Sie mich bitte beim Wort. Es kann nichtsein, dass Industrievertreter sagen: Wir reden nur dannmit der Regierung, wenn sie macht, was wir wollen. –Das geht nicht.

(Beifall bei der SPD)

Übrigens habe ich mich mit Herrn Hambrecht getroffen.Es gab keine Probleme. Wir hatten vier Boxhandschuhemitgebracht und hatten trotzdem keine blauen Augen.Manchmal ist Politik keine Klosterschule; das ist wohlso.

Ich zitiere Erhard Eppler aus dem Jahr 1972:

Weil über die Qualität des Lebens wie nie zuvorpolitisch entschieden werden muss, wird dies einepolitische Epoche sein. Es wird gestritten werdenum politische und gesellschaftliche Strukturen. Washier getan werden muss, kann nur ein funktions-tüchtiger, ein starker Staat leisten. Ein Staat, dernicht mehr wäre als ein lächerlicher Spielball vonSonderinteressen, würde das Gemeinwohlinteressenicht wahrnehmen können.

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Bundesminister Sigmar Gabriel

Genau darum ging es beim Energiegipfel: nicht Ein-zelinteressen, sondern das Gemeinwohlinteresse anVersorgungssicherheit, preiswerter Energie und Klima-schutz in den Mittelpunkt der Debatte zu stellen. DerEnergiegipfel ist deshalb ein Erfolg, weil exakt das dasErgebnis ist: Die Bundesregierung hat dafür gesorgt,dass das Gemeinwohlinteresse im Mittelpunkt steht. Dasist der Grund, warum der Energiegipfel ein Erfolg ist.Wir haben uns nicht den Einzelinteressen, die vorhermassiv auf uns einprügelten, hingegeben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mein Gott! Da klatscht janoch nicht mal Ihr Koalitionspartner!)

Lassen Sie mich eine Bemerkung zur Kernenergiemachen. Ich glaube, dass das, was der Kollege Schauertegesagt hat, absolut richtig ist. Es wäre ein riesengroßerFehler, sich bei einem Teil der Energiepolitik, der um-stritten ist, so zu verhalten wie das Kaninchen vor derSchlange, indem wir beim anderen Teil der Energiepoli-tik, in dem wir viel bewegen können, nichts tun, weil wiruns in einer Frage nicht einig werden. Das umgekehrteVerfahren ist richtig. Genau das wurde beim Energiegip-fel gemacht. Wir haben uns um die Steigerung der Ener-gieeffizienz, den Ausbau der erneuerbaren Energien undden Emissionshandel gekümmert. In diesen Zusammen-hang gehören auch die GWB-Novelle und die Regelun-gen betreffend die Strompreise. Die offene Debatte überdie Kernenergie wird sicherlich weitergeführt. Erstaunthat aber alle, dass die Atomenergie ganze 4 Prozent zumKlimaschutz beiträgt. Wenn wir bei der Energieeffizienzvon 3 auf 2 Prozent heruntergegangen wären, hätte unsdas 11 Prozent gekostet. An diesem Vergleich sieht man,welche Bedeutung die Energieeffizienz hat und wie rela-tiv gering der Anteil der Kernenergie ist.

Jeder kann natürlich an seiner Meinung festhalten.Darüber wird sowieso noch öffentlich beraten.

(Gudrun Kopp [FDP]: 50 Prozent Grundlast!)

– Entschuldigung, Frau Kollegin Kopp, es ist Unfug– wenn ich das so offen sagen darf –, zu behaupten, derBeitrag der Kernenergie im Rahmen der Energiepolitikzum Klimaschutz liege bei 50 Prozent. Sie haben dochauf die Energieszenarien verwiesen und sozusagen mitdem Streit begonnen. Dann müssen Sie aber auch sagen,dass in allen drei Szenarien davon ausgegangen wird,dass der Beitrag der Kernenergie zum Klimaschutzganze 4 Prozent beträgt, mehr nicht.

(Beifall bei der SPD – Gudrun Kopp [FDP]: Nein, das stimmt nicht!)

Es macht daher keinen Sinn, die Atomenergiedebatte inden Mittelpunkt zu stellen.

(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Rund 5 Milliarden Euro pro Jahr!)

– Das sagen diejenigen, die in der aktuellen Debatte be-haupten, die Kernenergie trage dazu bei, die Strompreisestabil zu halten bzw. zu senken, die aber gleichzeitig dieStrompreise erhöhen, obwohl die Kernkraftwerke lau-fen.

Wissen Sie, auch das gehört zur Wahrheit: Wir erle-ben zurzeit eine Strompreiserhöhung, ohne dass wir alleKlimaschutzziele umgesetzt hätten und ohne dass wiraus der Kernenergie ausgestiegen wären. Das geschiehtnur aus einem einzigen Grund, nämlich weil wir zu we-nig Wettbewerb auf dem Strommarkt haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das ist der einzige Grund. Auch da leistet die Große Ko-alition wesentlich mehr, als vorangegangene Regierun-gen in diesem Bereich geleistet haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aus meiner Sicht gehört die Energie- und Klimapoli-tik ungeachtet der Debatten, die wir sonst manchmal inder Großen Koalition haben, eindeutig auf die Haben-seite. Die Fortschritte, die wir machen, sind ein Riesen-erfolg. Anders als die Opposition im Deutschen Bundes-tag respektiert das der Rest der Welt, der überKlimaschutz verhandelt, und sagt: Wir können nichtmehr Mikado spielen. Die Europäer und die Deutschengehen voran. Jetzt müssen auch wir uns bewegen. –Auch das ist ein Erfolg des Energiegipfels. Ich finde, wirkönnen alle miteinander zufrieden sein. Wenn Sie esnicht sind, dann kann ich das verstehen, weil das IhrerRolle geschuldet ist. Objektiv aber hat das mit der Reali-tät nichts zu tun.

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht mehr als heiße Luft!)

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:Das Wort hat nun der Kollege Philipp Mißfelder für

die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich die Gelegen-heit nutzen, unserer Bundeskanzlerin für die Ausrich-tung des vergangenen Energiegipfels zu danken. Ichglaube, der Bundesumweltminister hat richtigerweisebeschrieben, dass man alle drei Energiegipfel als vollenErfolg bezeichnen kann. Deshalb stehen diese absolutauf der Habenseite der Großen Koalition.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Natürlich kann man in Einzelfällen unterschiedlicherMeinung sein; aber ich glaube, wir haben in vielen Be-reichen einen tragfähigen Kompromiss erreicht. Geradewas die Energieeffizienz angeht, haben wir sehr viel aufden Weg gebracht. Einige Fragen, über die auch wir inder Großen Koalition uns nicht in jedem einzelnen Punkteinig sind, bleiben offen, müssen aber aus meiner Sichtweiter angegangen werden. Deshalb möchte ich den Mi-nister zumindest darauf hinweisen, dass er, als er überdie Strompreise gesprochen hat, zwar absolut richtig in

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Philipp Mißfelder

der Beschreibung der Tatsache lag, dass wir zu wenigWettbewerb haben – dagegen tut die Große Koalitionauch etwas; wir sind hier auf dem richtigen Weg, auchwenn wir noch weit von unserem Ziel entfernt sind –,man aber auch festhalten muss, dass der Strompreisheute bereits zu 40 Prozent aus Steuern und Abgaben be-steht. Wenn man sich überlegt, wie Klimaschutz in Zu-kunft erreicht werden kann, dann muss man sicherlichauch bei den erneuerbaren Energien in Zukunft wesent-lich mehr wirtschaftliche Aspekte einbeziehen, und mandarf sich nicht auf Dauer auf Subventionen verlassen.

Das ist auch mein Hinweis an die Grünen. Ich glaube,wenn man die Bilanz zieht,

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Sagen Sie mal, was in AKWs geflossen ist!100 Milliarden!)

was Deutschland seit 1998 im Bereich der erneuerbarenEnergien erreicht hat, dann stellt man fest, dass wir mitt-lerweile Subventionen, wenn man alles zusammenrech-net, in Höhe von 270 Milliarden Euro ausgegeben ha-ben. Das ist doch eine stolze Zahl. Insofern muss mansich überlegen, ob alle Gelder, die in diesem Bereichausgegeben worden sind, zielgerichtet ausgegeben wur-den oder ob nicht eine wirtschaftliche und teilweise effi-zientere Steuerung notwendig wäre.

Die Klimaziele selbst sind nicht aufgrund der hohenSubventionen erreicht worden, sondern vor allem auf-grund der Tatsache, dass wir in Ostdeutschland einenZusammenbruch der Wirtschaft erlebt haben. Das heißt,wir sind von unseren ehrgeizigen Zielen, die wir unsbeim Klimaschutz gesetzt haben, noch sehr weit ent-fernt. Deshalb ist das, was auf den Weg gebracht wordenist – Stichwort: Ausbau der erneuerbaren Energien –,richtig. Aber vor allem im Bereich der Energieeffizienzmüssen wir deutlich erfolgreicher werden, als das bisherder Fall war.

Ich möchte noch auf das eingehen, was die Linksfrak-tion gesagt hat. Herr Hill, man hört immer wieder auchvon Ihnen, dass die Frage der Höhe der Strompreiseauch eine soziale Frage ist. Da haben Sie absolut recht.Es ist wirklich eine Frage, wie Menschen an unserer Ge-sellschaft teilhaben können, auch wenn sie nur einge-schränkte finanzielle Möglichkeiten haben. Aber wennman diese Frage aufwirft, dann muss man sie auch rich-tig beantworten. Es kann nicht das einzige Ziel von Um-welt- und Energiepolitik sein, die Strompreise weiter an-zuheben, indem man weitere Subventionen fordert. Manmuss vielmehr versuchen, eine Stabilität der Preise zuerreichen, um dadurch der sozialen Frage gerecht zuwerden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vor diesem Hintergrund muss natürlich die Frage ge-stellt werden: Wie will man die Klimaschutzziele unddiese wichtige soziale Frage damit in Übereinstimmungbringen, indem man fordert, sich aus der Nutzung be-stimmter Energieträger sukzessive zu verabschieden? Eswird nicht gelingen, sich gleichzeitig aus der Nutzungder Braunkohle und aus der Nutzung der Kernenergie zuverabschieden. Wer dies versucht, wird feststellen, dass

dies eine Rechnung ist, die nicht aufgehen wird. Ichglaube, dass wir mit dem Energiegipfel ein Stück weiter-gekommen sind, was eine realistische Betrachtungs-weise der Energiepolitik in unserem Land angeht. DieFrage der Nutzung der Kernkraft wird sich aber auch aufDauer stellen. Wir sollten weiterhin versuchen, die bei-den von mir genannten Ziele zu erreichen. Das wird nurmöglich sein, wenn wir an der Nutzung der Kernenergiefesthalten.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege

Marco Bülow.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Marco Bülow (SPD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Als Erstes möchte ich einmal feststellen: Ein Energie-gipfel ist dazu da, Leitlinien zu erstellen. Die Entschei-dungen werden dann aber natürlich hier im Parlamentund im Kabinett getroffen. Wenn die FDP das begriffenhätte, dann wären wir einen Schritt weiter.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Leitlinien, die auf dem Energiegipfel beschlossenworden sind, waren gut, und deswegen glaube ich, dasser ein Erfolg war. Das gilt vor allen Dingen deshalb, weildurch diesen Energiegipfel deutlich gemacht worden ist:Wir wollen jetzt auch national das engagiert angehen,was wir international zu Recht eingefordert haben, undzwar durch den Umweltminister und die Bundeskanzle-rin. Das verleiht auch unserem internationalen Engage-ment einen höheren Stellenwert. Das ist der richtigeWeg; diesen Weg müssen wir beschreiten.

Ich bin der Kanzlerin und dem Umweltminister sehrdankbar, dass sie diese Position so klargemacht haben.Die SPD wird das natürlich unterstützen. Klar ist aberauch, dass diese Unterstützung bitter nötig ist; denn lei-der gibt es unionsgeführte Länder – bekanntlich gehörtdie Kanzlerin der Union an –, die für Sperrfeuer sorgen.Sie versuchen, die guten Ergebnisse – sie sind auch vonIhnen gelobt worden – zu konterkarieren. Das hat zumBeispiel mein Landesvater, Ministerpräsident JürgenRüttgers, in den letzten Tagen zu tun versucht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Instrumente zur Erreichung der angestrebtenZiele liegen auf dem Tisch. Wir haben über viele Berei-che gesprochen. Wir haben über KWK gesprochen; dazuwird es Vorschläge geben. Wir haben unsere Vorschlägeschon vor längerem auf den Tisch gelegt. Ich glaube, wirwerden da zu einer Einigung kommen. Wir werden dasErneuerbare-Energien-Gesetz fortentwickeln. Wir wer-den ein Wärmegesetz verabschieden. Außerdem wer-den wir das erfolgreiche Gebäudesanierungsprogrammfortführen. Darüber hinaus werden wir uns dafür einset-zen, dass die Effizienz auch auf europäischer Ebene ins-

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Marco Bülow

gesamt gesteigert wird, beispielsweise durch den Top-Runner-Ansatz.

Wenn wir all die Vorschläge – es sind insgesamt 64; derMinister hat darauf gerade noch einmal hingewiesen –wirklich umsetzen, engagiert vortragen und auch auf dieeuropäische Ebene übertragen können, dann werdendiese Ziele nicht nur in Deutschland, sondern auch inEuropa und international erreicht werden können. Dasist noch viel mehr wert, als sie nur in Deutschland zuverfolgen. Deutschland muss deshalb auf diesem Gebietvorangehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Mißfelder, ich kann mir nicht verkneifen, aufFolgendes hinzuweisen: Sie haben immer noch nicht be-griffen, dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz ein Um-lagemodell ist. Es ist also etwas anderes als die Subven-tionen, die gezahlt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Schauen Sie sich einmal den Erfahrungsbericht zumErneuerbare-Energien-Gesetz an. Darin steht, dass die imJahre 2006 eingesparten Kosten bei 2 Milliarden Euro lie-gen. Volkswirtschaftlich gerechnet, liegen die eingespar-ten Kosten bei über 9 Milliarden Euro. Das ist die Rech-nung, die wir aufmachen müssen. Manchmal ist es so,dass der Nutzen von etwas weitaus größer ist als die ein-gesparten Kosten. Übrigens sind die entstehenden Ener-giekosten nicht unbedingt identisch mit den Preisen, diedie Verbraucher zu zahlen haben. Auch das sollten wir andieser Stelle vielleicht noch einmal festhalten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Damit bin ich beim nächsten Punkt. Ich halte es fürsinnvoll, dass wir gemeinsam das umsetzen, worüberzwischen uns in der Großen Koalition Einigkeit besteht.Wir sollten also über das diskutieren, was bis 2020 mitder Atomkraft noch passieren soll. Angeblich werdendie dann zu erbringenden Leistungen Mehrkosten inHöhe von 4 Milliarden Euro mit sich bringen. Dochdiese Rechnung ist zu einfach. Auch dabei muss man aufein paar Punkte achten:

Erstens. Die erneuerbaren Energien wirken schonjetzt teilweise preisdämpfend. Dies ist vor allen Dingendann häufig der Fall, wenn Atomkraftwerke ausgeschal-tet werden, wenn es im Sommer zu warm ist. Da habenwir eine Preisdämpfung, die leider in diesen 4 MilliardenEuro noch nicht eingerechnet worden ist.

Ferner wissen wir, dass Prognosesysteme bei erneuer-baren Energien immer besser werden. Durch die soge-nannten Kombinationskraftwerke werden wir es schaf-fen, auch da grundlastfähig zu sein. Auch das sollte manlangsam einmal zur Kenntnis nehmen.

Der zweite wichtige Punkt ist Folgender: Wenn wirvolkswirtschaftliche Kosten berechnen, dann ist festzu-stellen, dass die Atomkraft am wenigsten arbeitswirk-sam ist. Das ist also der Bereich, wo die wenigsten Men-schen pro erzeugter Kilowattstunde arbeiten. Auch das

ist ein Faktor, den wir bei der Diskussion einmal zurKenntnis nehmen sollten.

Dritter entscheidender Faktor ist: Klar ist doch, dieInvestoren warten darauf, welche Signale wir setzen.Wenn wir weiter die Signale setzen, dass wir vielleichtdoch die Atomkraft länger beibehalten, dann werden sieihre Gelder, ihre Investitionen nicht in erneuerbare Ener-gien, nicht in Effizienttechnologien stecken. Das Geldfehlt uns dann am Ende, wenn wir abrechnen, ob wir un-sere Ziele erreicht haben oder nicht. Wir brauchen dieseInvestitionen.

Ich stelle fest: Die Ziele sind vorgegeben. Ich bin sehrdafür, dass wir gemeinsam in der Großen Koalition dasumsetzen, bei dem wir Anknüpfungspunkte haben, beidem wir uns einig sind, zum Beispiel im Bereich der Ef-fizienz und der erneuerbaren Energien. Darauf solltenwir uns konzentrieren. Dass es Themen gibt wie dieAtomkraft, den Mindestlohn – es gibt sicherlich nochandere Themen –, die wir nicht lösen können, worübervielleicht die Bürgerinnen und Bürger entscheiden müs-sen, soll so sein. Ansonsten wäre es vielleicht auch einbisschen langweilig. Ich kann nur auffordern, dass wiralle Ministerien, nicht nur das Wirtschafts- und das Um-weltministerium, und alle Ausschüsse bemühen, Klima-schutzmaßnahmen auf den Weg zu bringen, so wie dasvon der Regierung angegangen worden ist und wie derGipfel das gezeigt hat. Dann, glaube ich, werden wir un-sere Ziele nicht nur ernst nehmen, sondern auch durch-setzen können.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Hasselfeldt:Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 5 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten JürgenKoppelin, Ulrike Flach, Otto Fricke, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion der FDP

Mangelnder Ehrgeiz bei der Konsolidierungdes Bundeshaushalts

– Drucksache 16/4606 –Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Stunde vorgesehen. Ich höre dazu kei-nen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-ner dem Kollegen Otto Fricke das Wort.

(Beifall bei der FDP)

Otto Fricke (FDP): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! „Mangelnder Ehrgeiz bei der Konsolidierung desBundeshaushalts“, so lautet der Antrag aus dem Aprildiesen Jahres, also weit vor Steuerschätzungen und vordem nun vom Kabinett beschlossenen Haushalt. Warum

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Otto Fricke

haben wir diesen Antrag eingebracht? Ich weiß, Sie wer-den sagen: Die Ziele, die ihr dort hineingeschriebenhabt, sind nicht ehrgeizig genug. Wir haben den Antrageingebracht, um frühzeitig eine Warnung in RichtungKoalition zu schicken, nicht – wenn die Gelder, die Ein-nahmen, also das, was der Bürger, die Unternehmen be-zahlen, steigen – mit dem Sparen, mit dem Konsolidie-ren aufzuhören. Was Sie aber gemacht haben – das zeigtder Entwurf –, ist genau das Gegenteil: Sie haben dasSparen vergessen. Sie haben Ihren Ehrgeiz verloren, fürden Haushalt des Bundes etwas zu tun.

(Beifall bei der FDP)

Woran kann man eigentlich messen, ob eine Koalitionbei der Konsolidierung ehrgeizig ist? Sie werden sagen:Mensch, ihr Miesepeter von der FDP.

(Zurufe von der SPD: Genau!)

Ihr müsst immer erst die anderen miesmachen. Wir ha-ben doch die Neuverschuldung gesenkt. Ich kann Ihnenund den Bürgern nur sagen: Glauben Sie keinem Politi-ker, der Ihnen sagt, wir haben die Neuverschuldung ge-senkt. Fragen Sie ihn erst einmal, wie viel mehr Geld ereuch vorher abgenommen hat, um dann zu sagen, wir ha-ben die Schulden gesenkt.

(Beifall bei der FDP)

Sie haben entgegen Ihren Haushaltsplanungen – wirhaben im April noch nicht zu hoffen gewagt, dass dieWirtschaft so gut anspringt; wir sind froh darüber, dasssie es tut – circa 20 Milliarden Euro mehr an Steuerneingenommen. Dann müsste gegenüber der Planung jaauch die Neuverschuldung um ungefähr diese unerwar-teten 20 Milliarden Euro heruntergehen. Das passiertaber nicht. Sie senken die Neuverschuldung um8 Milliarden Euro. Aber wo sind die 12 MilliardenEuro? Diese geben Sie zusätzlich aus. Daran kann manmessen, ob Sie bei der Konsolidierung Ehrgeiz haben.

Dann kann man noch feststellen: Die Ausgaben erhö-hen sich genau um diese 12 Milliarden Euro.

(Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Das ist reiner Zufall!)

12 Milliarden Euro Mehrausgaben im Jahr 2008, das istIhre Planung. 12 Milliarden Euro mehr, das ist fast eineSteigerung um 5 Prozent. Sie behaupten zwar, in dennächsten Jahren sinke das wieder auf 1,5 oder 1,4 Pro-zent und sagen wie weiland Hans Eichel: In Zukunftwird alles besser; wir machen es in kleinen Schritten.Das Merkwürdige ist nur: Sie geben jedes Jahr mehr aus.

Ich werde Ihnen gleich noch nachweisen, dass Sie imJahr 2008 eigentlich sogar noch viel mehr ausgeben unddas mit kleinen Tricks ein bisschen umgehen.

(Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Na, na!)

Woran kann man den Ehrgeiz noch messen, liebeKolleginnen und Kollegen der Koalition? Man kann ihndaran messen, wie der Bund sich in Zukunft bei der Ver-schuldung im Vergleich zu den Sozialkassen, im Ver-gleich zu den Ländern und im Vergleich zu den Kommu-

nen verhält. Was stellen wir fest, seitdem wir die GroßeKoalition haben? Was stellen wir auch für das Jahr 2008fest? Die Sozialkassen haben kein Defizit mehr. DieLänder werden, bereinigt, auch kein Defizit mehr haben.Die Kommunen hatten schon im letzten Jahr kein Defizitmehr – es gab Sondereffekte; das will ich nicht bestrei-ten –, aber sie werden das auch in diesem Jahr erreichen.Der Einzige, der in diesem Staat noch kräftig Schuldenmacht, ist der Bund. Daran kann man genau sehen, wo-rauf sich Ihr Ehrgeiz richtet. Ihr Ehrgeiz richtet sich da-rauf, nicht ganz so schlecht zu sein. Aber faktisch sindSie immer noch das Schlusslicht. Das kann man demSteuerzahler nicht zumuten.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Daran, dass das Ausgabenwachstum über dem Wirt-schaftswachstum liegt, kann man auch erkennen, dassSie meinen: Ein bisschen mehr Staat ist doch gar nichtschlecht; wir schenken hier was und schenken da was.Das Schlimme daran ist: Das ist die alte Überlegung,mehr Geld ist bessere Politik. Ich kann dazu nur sagen:Richtiges Geld ist bessere Politik, und das muss ebennicht immer mehr Geld sein.

(Beifall bei der FDP)

Sie werden sagen: In Ihrem Antrag sind Sie dochnoch von soundso viel ausgegangen; das ist ehrgeizig,und jenes ist ehrgeizig. Bei dem, was Sie jetzt an Steuer-mehreinnahmen vom Bürger und von der Wirtschaft be-kommen, sollte Ihre erste Überlegung doch sein: Wiekann ich vermeiden, dass ich dem Bürger so viel weg-nehme? Wie kann ich vermeiden, dass der Bürger so vielmehr bezahlen muss? Ihre Überlegung ist aber eher: Wiekann ich dem Bürger mehr Geld geben? Denn ich habees ihm ja faktisch schon genommen. Ihre Denke in derGroßen Koalition ist weiterhin davon geprägt, dass fürdie Haushaltspolitik gilt: Wir brauchen das Geld; dennohne Geld können wir keine Geschenke machen, undohne Geschenke werden wir nicht gewählt.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Zum Stichwort Ehrgeiz ist noch eine Sache wichtig:die Investitionen, ein immer sehr beliebtes Thema. Wirmüssen mehr investieren. Heute Morgen haben wir vomKollegen Stiegler von der SPD gehört, was zu den Inves-titionen gesagt werde, sei alles ganz falsch; Investitionenin Köpfe, Investitionen in Personal, Investitionen inBAföG, das alles seien Investitionen. Das ist genaufalsch. Investitionen sind etwas, was man dann auch hat

(Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Das gilt auch für kluge Köpfe!)

und im Notfall für andere Zwecke einsetzen kann.

Der Minister sagte im Haushaltsausschuss: Die Inves-titionen steigen. Das hört sich gut an. Jeder denkt;Mensch, das ist ja toll. Dann fragt man, wie viel wirddenn prozentual mehr ausgegeben, wo doch so viel Geldzusätzlich vom Bürger eingenommen wird, und stelltfest: Merkwürdig, genau das Gegenteil ist der Fall. IhrEhrgeiz geht nicht dahin, die Investitionsquote hochzu-fahren; selbst in guten Zeiten geht die Investitionsquote

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11115

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Otto Fricke

bei Ihnen runter. Das lässt für die Zukunft DeutschlandsSchlimmes ahnen.

Im Einzelnen müsste man jetzt eigentlich auf denGKV-Zuschuss eingehen. Da ist etwas verräterisch. Ichempfehle jedem, sich die Kabinettsvorlage einmal genauanzuschauen. In der Kabinettsvorlage gibt diese Regie-rung bekannt,

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Der redet gar nicht zu seinem Antrag, Frau Präsidentin!)

dass sie schlicht nicht weiß, wie sie diesen Zuschuss inZukunft finanzieren will. Ich weiß, dass auch die Haus-hälter der beiden großen Fraktionen hier im Bundestagdas genauso wenig wissen und sich deswegen über dieVorlage geärgert haben. Faktisch bekommen Sie denGKV-Zuschuss nicht finanziert. Ich bin schon sehr ge-spannt, was Sie sonst noch an Tricksereien machen.

Die U-3-Betreuung, die Betreuung der unter Dreijäh-rigen: ehrgeizig. Sie machen das, weil Ihr blonder Engelgesagt hat: Das ist doch eine gute Sache. Das ist aucheine gute Sache.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Kein Chau-vinismus!)

– Zu einer Dame „blonder Engel“ zu sagen, lieber Kol-lege Kampeter, halte ich für etwas Positives. Wenn Siedas nicht so sehen, würde ich darüber noch einmal nach-denken.

Diese Frau sagt: 4 Milliarden Euro mehr. Was machtder Bundesfinanzminister? Er sagt: Das geben wir sonicht, diese 4 Milliarden Euro geben wir noch in 2007aus. Faktisch sind das Ausgaben, die Sie eigentlich in2008 tätigen würden. Wenn diese 4 Milliarden Euro in2008 noch dazukämen – dahin gehören sie –, dannwürde aber jeder erkennen, dass Sie in 2007 faktisch we-niger Schulden machen als in 2008. Da gilt auf jedenFall: überhaupt kein Ehrgeiz.

(Beifall bei der FDP)

Ich will dann auch noch kurz auf das Thema Bun-desagentur für Arbeit hinweisen.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wo steht denn das im Antrag?)

Ich habe heute von Herrn Göhner – Kollege Kampeterwird mir zustimmen – eine sehr gute Rede zu diesemThema gehört. Ich kann nicht Gelder der Beitragszahler,also von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, nehmen, umeine gesamtstaatliche Aufgabe, nämlich die Betreuungvon Langzeitarbeitslosen, zu finanzieren. Es kann dochnicht sein, dass Selbstständige, Beamte und Abgeordnetesich nicht vollständig an dieser Finanzierung beteiligen,sondern all das beispielsweise der Bahnmitarbeiter, dieFriseurin und andere aufbringen müssen, aber nicht diegenannten Gruppen.

(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Was ist mit dem Mehrwertsteuerpunkt?)

– Ja, der Mehrwertsteuerpunkt. Danke für den Hinweis,Kollege Schneider.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Liberale Luft-buchungen machen Sie hier!)

Das bedeutet nichts anderes, als dass Sie jetzt zugeben,dass als Erträge aus dem Mehrwertsteuerpunkt 6 Mil-liarden in die BA hineingeschoben werden und diesedann von der BA für Hartz IV ausgegeben werden.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Es sind fast 8 Milliarden!)

Das heißt, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Gro-ßen Koalition: Der aus der Erhöhung der Mehrwert-steuer kommende Punkt dient nicht der Absenkung derSozialbeiträge, sondern Ihr Mehrwertsteuerpunkt dientinzwischen der Finanzierung von Hartz IV; zu nichts an-derem dient er.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich komme zum Schluss.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das wird auch langsam Zeit!)

– Das wird Zeit, weil der Kollege Kampeter es kaum er-warten kann, dranzukommen. – Der Minister hat leidergesagt, Komasparen sei völlig falsch. Ich sage demMinister von hier aus – ich weiß, er hätte heute gerne ge-redet –: Es geht nicht um Komasparen, es geht umRehasparen. Das sollten Sie machen, wenn Sie einenehrgeizigen Weg bei der Konsolidierung der Haushalteeinschlagen wollen.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist nun der Kollege Steffen

Kampeter für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Steffen Kampeter (CDU/CSU): Charmante Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Wir debattieren heute über den An-trag der Liberalen vom 7. März 2007. In diesem Antragwerden zwei Dinge gefordert: erstens den Bundeshaus-halt mit dem Ziel ausgeglichener Haushalte stärker zukonsolidieren und zweitens den Bundeszuschuss an diegesetzlichen Krankenkassen anständig zu finanzieren.An sich, Herr Kollege Fricke, hätten Sie für die FDPheute hier erklären müssen, dass durch den Regierungs-entwurf vom vergangenen Mittwoch beide zentralenForderungen der FDP bereits erfüllt und umgesetzt wor-den sind

(Beifall bei der CDU/CSU – Otto Fricke [FDP]: Ich hätte es so gerne getan!)

und von daher dieser Antrag gegenstandslos ist.

Ich bedanke mich aber auch dafür, dass Sie es nichtgetan haben; denn nach der Aktuellen Stunde, in der dieErfolge der Bundesregierung in der Energiepolitik

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Steffen Kampeter

dargelegt wurden, nutzen wir diese Möglichkeit gerne,die bisherigen gemeinsamen Erfolge der unionsgeführ-ten und von der SPD getragenen Großen Koalition in derHaushaltspolitik darzulegen. Das ist ein willkommenerAnlass.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Lassen Sie mich daher festhalten, dass wir im Jahr2006 im ersten Haushalt, der ein Übergangshaushalt war,aufgrund von Erblasten und schwierigen Rahmenbedin-gungen mit einer Schuldenaufnahme in Höhe von27,9 Milliarden Euro und einer vorläufigen Haushalts-führung gestartet sind.

(Otto Fricke [FDP]: Wer waren denn da dieErblasser? – Gegenruf des Abg. BernhardBrinkmann [Hildesheim] [SPD]: Die FreienDemokraten! 16 Jahre!)

Im Jahre 2007 hat der Haushalt schon die politischeAkzentuierung der Großen Koalition aufgezeigt. Derlaufende Haushalt ist ein solider Wachstums- und Kon-solidierungshaushalt. Schon im Entwurf war mit19,6 Milliarden Euro die niedrigste Neuverschuldungseit der Wiedervereinigung vorgesehen. Es ist heute, imJuli, bereits erkennbar, dass wir eine Nettokreditauf-nahme in dieser Höhe nicht benötigen werden, dass wiralso im laufenden Jahr besser abschneiden werden, alswir es noch im November gehofft hatten.

(Otto Fricke [FDP]: Warum?)

Anders gesagt: Die Politik der Union und der SPD, alsoder Großen Koalition insgesamt, ist so erfolgreich, dassdie Nettokreditaufnahme in diesem Jahr deutlich niedri-ger liegen wird als veranschlagt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD – Otto Fricke [FDP]: Und wa-rum?)

Der dritte Etat, den wir jetzt betrachten können, istder, der am vergangenen Mittwoch vorgestellt wordenist, den wir sehr kritisch, aber zugleich konstruktiv be-gleiten. Ich meine den Etat für das Jahr 2008. Er weistnicht nur eine noch niedrigere Kreditaufnahme auf – essind im Entwurf weniger als 13 Milliarden Euro vorge-sehen –, sondern in der mittelfristigen Finanzplanungwird für das Jahr 2011 unter realistischen Rahmenbedin-gungen sogar ein ausgeglichener Haushalt vorgesehen,das heißt ein Haushalt ohne neue Schulden. Dies ist einhistorischer Einschnitt. Wir hatten das in diesem Jahrtau-send noch nicht und wahrscheinlich das letzte Mal imJahre 1969.

Sie sehen, auf der Habenseite der Großen Koalitionsteht nicht nur die Klimaschutzpolitik. Auf der Haben-seite der Großen Koalition stehen auch eine erfolgreicheStrategie zur Konsolidierung der Haushalte und zur Ver-ringerung neuer Schulden sowie die Perspektive zumSchuldenabbau mit Beginn des nächsten Jahrzehnts.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – OttoFricke [FDP]: Hast du in der Zeitung nicht et-was anderes gesagt?)

Nach 40 Jahren Nettokreditaufnahmepolitik unter denunterschiedlichsten Mehrheitsbedingungen und politi-schen Verhältnissen soll nun eine Wende eingeleitet wer-den. Dies werden wir durch kluge politische Entschei-dungen absichern.

Beim Einbringen des Antrags der FDP im Frühjahrdieses Jahres, die die Haushaltspolitik unter einem kriti-schen Diktum analysiert, konnte man nicht wissen, dasswir entgegen den bisherigen Planungen, in den nächstenJahren etwa 80 Milliarden Euro Schulden aufzunehmen,bis 2011 eine Schuldenaufnahme von insgesamt nurrund 29 Milliarden Euro haben werden – also ungefährdas, was wir allein im Jahre 2006 am Kapitalmarkt nettoneu aufgenommen haben. Das sind 50 Milliarden Euroweniger als bisher geplant. Das sind allerdings noch29 Milliarden Euro Schulden zu viel.

(Zuruf von der FDP: Sehr gut!)Wir müssen darauf hinwirken, dass wir diesen Schul-

denrahmen durch politische Entscheidungen sowiedurch eine kluge Wachstums- und Arbeitsmarktpolitikwie auch bisher nicht ausnutzen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)Das bedeutet eine erhebliche Verbesserung der entspre-chenden Rahmenbedingungen.

Ferner ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen,dass diese Konsolidierungsstrategie mit dem Setzen vonpolitischen Schwerpunkten einhergeht, die deutlichmachen, dass Sparen und Konsolidieren auf der einenSeite und Zukunftsgestaltung sowie Investitionen in die-selbe auf der anderen Seite keinen Widerspruch darstel-len. Ich weise darauf hin, dass beispielsweise mit diesemHaushalt und dieser mittelfristigen Finanzplanung zen-trale Investitionen im Bereich der Entwicklungshilfevorgenommen werden.

(Zuruf von der FDP: Für China!)Wir stehen zu den internationalen Verpflichtungen, diedie Bundesregierung für die Bundesrepublik Deutsch-land eingegangen ist. Wir investieren an dieser Stelle er-heblich.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Steffen Kampeter (CDU/CSU): Selbstverständlich. Wenn der Kollege Koppelin sich

noch etwas geduldet und mich noch einige Erfolge auf-zählen lässt, darf er anschließend gerne seine Zwischen-frage stellen.

Wir investieren in den Abbau des Staus auf deutschenStraßen. Wir erweitern die Möglichkeiten für Investitio-nen in diesem Bereich um über 2 Milliarden Euro.

Angesichts der steigenden internationalen Verpflich-tungen unserer Bundeswehr ist es gut und richtig, dasswir unsere Investitionen in die Sicherheit der Soldatin-nen und Soldaten im In- und Ausland noch einmal deut-lich ausweiten und 2 Milliarden Euro ebenso dort wieauch in Bereiche der inneren Sicherheit investieren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

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Steffen Kampeter

Das zeigt, dass sich unsere Konsolidierungsstrategieund kluge Investitionen nicht ausschließen.

Der Kollege Koppelin kann dies jetzt gerne positivkommentieren.

Jürgen Koppelin (FDP): Ich habe nur eine Sachfrage, Herr Kollege Kampeter,

nachdem Sie von den politischen Schwerpunkten ge-sprochen haben, die diese Koalition immer aufzeigt.Kann ich die Äußerungen des Finanzministers so verste-hen, dass diese politischen Schwerpunkte durch dieFrettchen vertreten werden, die an seinem Kleidersaumzerren?

Steffen Kampeter (CDU/CSU): Herr Kollege Koppelin, gestern haben wir im Haus-

haltsauschuss eine biologische Diskussion über das Hal-ten von Frettchen geführt. Dabei ist deutlich geworden,dass das Beißen von Frettchen an Hosenbeinen oderKörperteilen eines Menschen ein Angebot zum Spielenist. Wir haben festgestellt, dass weder Regierung nochOpposition mit dem Finanzminister zu spielen geden-ken. In diesem Sinne haben wir dann im Haushaltsaus-schuss insgesamt festgestellt, dass im Parlament offen-kundig niemand mit diesem Frettchenvergleich gemeintsein kann.

Für nähere Erläuterungen zur Biologie und zum Ein-fluss von Frettchen auf die Haushaltspolitik und die Stra-tegie der Bundesregierung im Hinblick auf die Konsoli-dierung im nächsten Jahrzehnt bitte ich Sie, eineentsprechende Frage bei Gelegenheit direkt an den Bun-desfinanzminister zu richten. Er wird dann sicherlich fürAufklärung sorgen und genauso überzeugend, wie erseine mittelfristige Finanzplanung im Haushaltsaus-schuss vorgestellt hat, wahrscheinlich auch seinen biolo-gisch-finanzpolitischen Exkurs erläutern können.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der FDP: Herr Diller kann etwas dazu sagen!)

– Es ist sicherlich möglich, dass der Kollege Diller hierim Rahmen einer Kurzintervention noch etwas zur Er-läuterung der Frettchenfrage beiträgt. Die Frage der Fi-nanzpolitik ist ja auch mit alkoholischen Dimensionenhinreichend beschrieben worden. Das ist aber nichtThema dieser Debatte.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch aufeinen anderen Aspekt hinweisen. Ich habe in einer Zei-tung von einer Schuldenuhr gelesen, die in Richtung nullläuft. Wir von der Union vertreten die Auffassung, dasses gut und richtig ist, die sinkende Nettokreditaufnah-men optisch deutlich zu machen. Nach meiner Auffas-sung hat das Bild der Uhr allerdings eine Macke. Wennsie auf null ist, läuft sie nämlich nicht weiter. Wir wollenaber – das ist der gemeinsam getragene Wille der Gro-ßen Koalition – nach Erreichen des Ziels ausgeglichenerHaushalte in der nächsten Legislaturperiode perspekti-visch Überschüsse zum Abbau der enorm hohen Ver-schuldung in der Bundesrepublik Deutschland als Inves-tition in die Zukunft nachfolgender Generationeneinsetzen. Wir dürfen nämlich den zukünftigen Genera-

tionen nicht so hohe Schulden und nicht eine so hoheZinslast hinterlassen, dass sie keinen Handlungsspiel-raum mehr haben. Das wäre eine Verletzung der Genera-tionengerechtigkeit.

(Otto Fricke [FDP]: Sehr wahr!)

Das nächste Ziel nach Erreichen eines ausgeglichenenHaushaltes ist im Geiste des europäischen Stabilitäts-und Wachstumspaktes das Produzieren von Überschüs-sen. Allen, die da sagen, das gehe nicht, entgegne ich:Selbst das Land Berlin, das sich noch vor kurzem im Zu-sammenhang mit einer Entscheidung des Bundesverfas-sungsgerichts als arm, aber sexy präsentiert hat,

(Ute Kumpf [SPD]: Es ist immer noch sexy!)

hat in diesen Tagen Überschüsse in seinem Landeshaus-halt angekündigt. Der Bund sollte trotz einer ungleichschwierigeren Ausgangslage und gesetzlich gebundenerAusgabenpositionen den Berlinern hinsichtlich des Ehr-geizes nicht nachstehen. Wir müssen perspektivischnicht nur an einen Abbau der Neuverschuldung, sondernauch an einen Abbau des Schuldenstandes in den nächs-ten Jahren denken. Die Große Koalition ist angesichtsihrer Größe befähigt, diese Aufgabe gut zu meistern.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Der Antrag, über den wir heute debattieren, hat denTitel „Mangelnder Ehrgeiz bei der Konsolidierung desBundeshaushaltes“. Es handelt sich um einen veraltetenFDP-Antrag. Denn mangelnden Ehrgeiz kann man unsoffensichtlich, wie hinreichend belegt, nicht mehr vor-werfen.

Gleichwohl will ich auf einen Punkt im Haushaltsent-wurf hinweisen. Mit der Langzeitarbeitslosigkeit gibtes einen besonderen Risikobereich. Im Bereich derKurzzeitarbeitslosigkeit gibt es zwar eine erfreulicheEntwicklung. Aber es muss noch eine ganze Menge ge-tan werden, um die verabredeten Einsparungen beimArbeitslosengeld II zu realisieren. Wir werden in diesemJahr beim ALG II voraussichtlich etwa 23,5 MilliardenEuro ausgeben. Im neuen Regierungsentwurf haben HerrMüntefering und Herr Steinbrück dem Parlament denVorschlag gemacht, nur noch 21 Milliarden Euro für die-sen Bereich auszugeben. Ich verstehe dies als einen Ar-beitsauftrag des Kabinetts an die Arbeitsmarktpolitik,durch entsprechende Maßnahmen diese Lücke von2,5 Milliarden Euro gegenüber dem Istzustand entspre-chend zu schließen.

Die Erfahrungen des letzten Jahres haben gezeigt,dass auch die sehr gute Konjunktur und die bisherigenGesetzesänderungen im SGB II nicht zu den erhofftenEinsparungen geführt haben. Auch die seit diesem Jahrin Kraft getretene Halbierung der Rentenversicherungs-beiträge für Arbeitslose hat nicht ausreichend dazu bei-getragen, den Ansätzen des Finanzplanes näher zu kom-men. Dies bedeutet, dass wir in der Zukunft weiterepolitische Schritte zur Umsetzung dessen, was HerrMüntefering und Herr Steinbrück dem Parlament vor-schlagen, unternehmen müssen. Der Arbeitsminister, dasgesamte Kabinett und das Parlament tragen hierfür die

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Steffen Kampeter

Verantwortung. Ich rechne damit, dass wir uns noch imHerbst mit diesen Dingen beschäftigen werden.

Abschließend will ich noch einen Sachverhalt auf-greifen, den der Kollege Fricke angesprochen hat. Esgeht um die Finanzierung der Betreuung von unterDreijährigen. Es ist zwar klar, dass es sich nicht umeine originäre Bundeskompetenz handelt, die zur Folgehat, dass der Bund in diesem Bereich tätig wird. Aberdiese Aufgabe ist so groß, dass ich es in der schwierigenfinanzpolitischen Situation für ein gutes Angebot desBundesfinanzministers und der Bundesfamilienministe-rin halte, den Einstieg in ein flächendeckendes, bedarfs-gerechtes Kinderbetreuungsangebot in einer Größenord-nung von bis zu 4 Milliarden Euro zu unterstützen.

(Otto Fricke [FDP]: Dauerhaft! Nicht Einstieg!)

Dass wir ab dem Jahr 2013 zu einer Lösung kommenmüssen, die die dauerhafte Finanzierung dieses Einstie-ges garantiert,

(Otto Fricke [FDP]: Aha!)

ist eine Selbstverständlichkeit. Das sichert dauerhaft dieVereinbarkeit von Familie und Beruf.

Schließlich müssen wir auch über die Ausgestaltungeines sogenannten Betreuungsgeldes ab dem Jahr 2013nachdenken und entsprechende finanzielle Rahmenbe-dingungen setzen, um den Familien, die sich gegen eineBetreuungseinrichtung entscheiden und ihre Kinder zuHause erziehen wollen, ein klares Signal zu geben. Dasist ein differenziertes Angebot, das die Lebenssituationjunger Familien berücksichtigt. Ich finde die Art undWeise unangemessen, wie der Kollege Fricke dieses An-gebot und die Diskussion darüber zwischen Bund undLändern schlechtgeredet hat.

(Otto Fricke [FDP]: Moment! Das ist eine Ausgabe!)

Auch dies gehört eindeutig zur Habenseite der GroßenKoalition. Die Opposition kann das durch Mäkelei nichtkleinreden.

Die drei Themen – Haushaltspolitik, Klimaschutz-politik und Familienpolitik – stehen auf der Habenseiteder Großen Koalition. Das ist erwähnenswert und eingutes Signal für Deutschland.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Dr. Gesine

Lötzsch für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Bevor ich auf den FDP-Antrag zu sprechenkomme, kurz ein Wort zu meinem Vorredner. HerrKampeter, dass aus Ihrem Munde einmal ein Lob für dasLand Berlin zu hören ist,

(Heiterkeit bei der LINKEN sowie bei Abge-ordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-NEN – Otto Fricke [FDP]: Das war kein Lob!)

hat mich fast gerührt. Ich hoffe nicht, dass das als Todes-kuss gemeint war. Sollte es so gemeint gewesen sein:Das wird nicht funktionieren.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Frau KolleginLötzsch, Sie haben heute meinen Humor nichtganz mitbekommen!)

Der Antrag der FDP ist FDP pur. Schuldenabbau,koste es, was es wolle, auch wenn die soziale Infrastruk-tur den Bach runtergeht – das ist das Motto der FDP. DieFDP entwickelt wenig Ehrgeiz, die Arbeitslosigkeit ab-zubauen, die Armut zu bekämpfen oder die Wissenschaftin unserem Land zu stärken. Das ist rückwärtsgewandt,unsozial und ökonomisch unsinnig.

(Beifall bei der LINKEN – Otto Fricke [FDP]: So viel zum FDP-Antrag!)

Im vorliegenden Antrag wird der Bundesregierungmangelnder Ehrgeiz bei der Konsolidierung des Bundes-haushaltes vorgeworfen. Wir von den Linken werfen derBundesregierung vor, dass sie zu wenig Ehrgeiz ent-wickelt, um die soziale Spaltung in unserer Gesellschaftzu überwinden.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Bundesregierung verschärft mit ihrer Haushaltspoli-tik sogar die gespaltene Konjunktur und treibt die Ge-sellschaft weiter auseinander. Die Konjunktur läuft nurfür DAX-Konzerne und deren Vorstände rund; aber siekommt nicht bei den Telekom-Mitarbeitern und Bahnbe-schäftigten, den Familien, Alleinerziehenden, Rentnern,Auszubildenden und Arbeitslosengeldempfängern an.Das ist ungerecht. Dagegen setzen wir uns zur Wehr.

(Beifall bei der LINKEN)

Stellen Sie sich vor: Das Arbeitslosengeld II ist jetzterhöht worden, und zwar um ganze 2 Euro pro Monat.Auf einen Tag umgerechnet sind das etwas weniger als7 Cent. Insgesamt kostet diese Erhöhung des Arbeits-losengeldes II – um die Zahlen einmal ins Verhältnis zusetzen – rund 150 Millionen Euro. Das hört sich zwarviel an, ist aber noch immer weniger als die Kosten fürden geplanten Prestigebau des Bundesinnenministers.Dieser soll laut Planung 175 Millionen Euro kosten undwird mit Sicherheit – das wissen wir aus Erfahrung –teurer. Das ist eine Schieflage.

(Beifall bei der LINKEN)

Selbst diese hohe Summe ist immer noch weniger alsdas, was die Bundesregierung für Auslandseinsätze derBundeswehr ausgibt. Diese kosten uns mehr als1 Milliarde Euro pro Jahr und sind schlecht angelegtesGeld.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Bundesregierung setzt ihre Prioritäten ganz ein-deutig, wenn es um die Geldverteilung geht: Erst kom-

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Dr. Gesine Lötzsch

men die Lobbyisten, dann der brave Steuerbürger. DieSteuermehreinnahmen sind kein Ergebnis kluger Politik,sondern erstens Ergebnis der anziehenden Konjunkturund zweitens Ergebnis des dreisten Griffs der Bundes-regierung in die Taschen der Bürgerinnen und Bürger.Die Bundesregierung hat doch alles unternommen, umdas Anziehen der Konjunktur zu verhindern. Die Mehr-wertsteuererhöhung – diese will ich hier herausstel-len – ist nicht nur unsozial, weil sie insbesondere dieje-nigen Menschen trifft, die durch die gespaltene Kon-junktur sowieso benachteiligt sind, sondern bremst auchdie Konjunktur, wie wir an der zurückhaltenden Binnen-nachfrage erkennen können. Mein Kollege Dr. Gysi hatdas in der Debatte heute Morgen anhand von Zahlenschon belegt.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Petra Pau)

Denjenigen, die von der Konjunktur reichlich profi-tieren, hat der Finanzminister mit der Unternehmen-steuerreform das Geld hinterhergeschmissen. Dass dieKonjunktur so gut läuft, obwohl die Bundesregierung al-les getan hat, um sie hinauszuzögern und zu drosseln,grenzt schon an ein kleines Wunder.

(Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Wunder gibt es immer wieder!)

Jetzt zeigt sich auch, wie unsinnig die verbisseneHaushaltskonsolidierungspolitik der Bundesregierung inZeiten der wirtschaftlichen Krise war. Der Sparkurs derBundesregierung hat die Krise und das soziale Ungleich-gewicht weiter verschärft. Richtig ist der Ansatz, den wirvon der Linken vertreten: In Zeiten der wirtschaftlichenKrise darf sich der Staat eben nicht zurückziehen, son-dern muss in die soziale, ökologische, wirtschaftlicheund wissenschaftliche Infrastruktur investieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Da in den letzten Jahren der Fehler gemacht wurde,zu wenig in diese Infrastruktur zu investieren, hat sich inunserem Land ein Investitionsstau aufgebaut, der nunaufgelöst werden muss. Ich denke nur an die fehlendenKindergärten in den westlichen Bundesländern. Es istja wirklich ein Trauerspiel, dass fast 60 Jahre nötig wa-ren, um zu erkennen, dass es in diesem Land einen Man-gel an Kindergärten gibt und dass das ein Problem ist.Augenscheinlich haben das alle Fraktionen bis auf dieFDP, die heute diesen Antrag zum Thema Konsolidie-rung zur Debatte stellt, verstanden.

Ich will auf einen Trugschluss aufmerksam machen.Einige Kollegen hier im Haus meinen, dass sich derStaat jetzt bei den Investitionen zurückhalten könne, dajetzt die Wirtschaft investiere. Angesichts unserer Erfah-rungen ist das aber ein riesiger Denkfehler. Die Wirt-schaft investiert eben nicht freiwillig in die soziale Infra-struktur; aber wir brauchen gerade diese Investitionen,wenn wir der Enkelgeneration eine Chance geben wol-len. Es ist doch blanker Populismus, wenn von den neo-liberalen Parteien immer wieder beklagt wird, dass wirunseren Enkeln nur Schulden überlassen.

(Otto Fricke [FDP]: Wer ist denn Neolibera-list? – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: BesserNeoliberalist als Neosozialist!)

Was haben denn unsere Enkel davon, verehrte KollegenFricke und Kampeter – nach heftigen Auseinanderset-zungen wieder verbündet –, wenn sie zwar keine Schul-den, aber gleichzeitig keine Kindergärten, keine Regio-nalzüge und schlecht ausgestattete Universitäten haben?Ist das ein gutes Erbe?

(Beifall bei der LINKEN – Steffen Kampeter[CDU/CSU]: Aber wir haben doch Kindergär-ten! Wir haben gute Universitäten! Wir habeneinen Hochschulpakt!)

Die Bundesregierung muss mehr Ehrgeiz entwickeln,um die Zukunft unserer Kinder und Enkel langfristig zusichern.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich will kurz andeuten, was wir in den Mittelpunktder Haushaltsberatungen stellen, welche Anträge wirstellen werden.

(Otto Fricke [FDP]: Sparen! Sparen! Sparen!)

Wir fordern, den öffentlichen Beschäftigungssektor zufördern – darauf ist Herr Dr. Gysi heute Morgen schoneingegangen –, das Arbeitslosengeld II auf mindestens420 Euro im Monat zu erhöhen, die Investitionen für diesoziale und ökologische Infrastruktur zu erhöhen, dieExtragewinne der Energiekonzerne zu besteuern, alter-native Energien stärker zu fördern und auf Mehrausga-ben für Auslandseinsätze der Bundeswehr zu verzichten.

(Beifall bei der LINKEN)

Haushaltskonsolidierung ist kein Selbstzweck. DerStaat muss in der Lage sein, seine Aufgaben zu erfüllen.Immer noch gilt der Satz: Nur Reiche können sich einenarmen Staat leisten.

(Otto Fricke [FDP]: Nein, genau umgekehrt!)

Die Linke ist keine Lobbyorganisation für Reiche. Wirtreten vielmehr für Gerechtigkeit und Solidarität ein. Wirhaben gemerkt, dass viele Menschen in diesem Land dassehr gut finden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Carsten Schneider für die

SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich be-

danke mich ganz herzlich bei der FDP dafür, dass siediesen Antrag im Frühjahr gestellt hat. Er ist, wie Kol-lege Kampeter schon ausgeführt hat, die Bestätigung desKabinettsentwurfs für den Haushalt 2008 mit einerFinanzplanung bis 2011 und bietet die Möglichkeit,

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Carsten Schneider (Erfurt)

heute im Parlament noch einmal darüber zu debattierenund zu sagen: Dieser Antrag ist wirklich sinnlos und istnicht zu begründen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

All das, was Sie fordern, basiert nicht auf der Realität.Die wirtschaftliche Lage ist sehr gut. Frau KolleginLötzsch, Sie telefonieren zwar gerade, ich möchte Ihnenaber trotzdem sagen, dass ich Ihre Argumentation einwenig krude fand. Wenn Sie sagen, dass die Entwick-lung sehr gut ist und alle ein Verdienst daran haben, nurdie Politik nicht, dann ist das stark um die Ecke gedacht.Ich bin zwar der Auffassung, dass man sich nicht zu sehrbeweihräuchern sollte, aber dennoch resultiert doch einGutteil der wirtschaftlichen Dynamik, die wir verzeich-nen können, die auch mittelfristig vorhanden sein wird,wenn man den Konjunkturforschern glauben kann, ausder Politik. Machen Sie uns nicht kleiner, als wir sind.Wir haben Möglichkeiten, und wir haben diese Möglich-keiten genutzt, um zu gestalten.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Die Ursachen sind vielschichtig: der Reformkurs dervergangenen Jahre – vor allem die Agenda 2010 – unddie Verstetigung dieser Politik; Impulse, die die GroßeKoalition 2005 mit ihrem Programm gegeben hat; diestarke Nachfrage – das ist eigentlich Keynes pur –; einestarke Fokussierung auf wirtschaftlich dynamische Be-reiche, zum Beispiel Forschung und Entwicklung – wirhaben hier intensiv über die Hightechstrategie und dieInvestitionen in erneuerbare Energien diskutiert. All dashat dazu geführt, dass die Wachstumsrate bei über2,9 Prozent liegt. Darauf kann man doch stolz sein.

Sie haben einen Punkt, der für mich zentral ist, in-frage gestellt. Ich weiß nicht, ob es wirklich die Positionder PDS ist, dass Schulden gut sind.

(Otto Fricke [FDP]: Stimmt! Wurde gesagt! – Widerspruch bei der LINKEN)

– Sie haben eben gesagt, dass Schulden gut sind. Siemüssten das vielleicht noch einmal erklären; aber imKern habe ich das so herausgehört.

Ich kann Ihnen nur sagen: 2011 wollen wir einen aus-geglichenen Bundeshaushalt haben. Wir wollen mitden Einnahmen, die wir haben, die Ausgaben finanzie-ren und damit auskommen. Das betrifft nicht die Diskus-sion, dass die FDP ganz wenig Staat will und die Linkeganz viel. Das ist vielmehr eine Frage der Qualität. Dasmuss passen.

(Otto Fricke [FDP]: Wenig Staat! Hohe Quali-tät!)

Im Konjunkturzyklus muss es einen Ausgleich geben.

Seit 1969 – Herr Kampeter hat darauf hingewiesen –sind wir in der Situation, dass es immer wieder Verschul-dungen gibt. Heute haben wir 3 Milliarden Euro Mehr-ausgaben für Zinsen aufgrund der Steigerung der Zinsendurch die EZB.

(Otto Fricke [FDP]: Das habt ihr vorher gewusst!)

2008 sind es 3 Milliarden Euro mehr als 2007. Wir ha-ben 43 Milliarden Euro Zinsausgaben. Das heißt, wennwir 2011 einen ausgeglichenen Haushalt erreichen, zah-len wir das immer noch ab.

(Otto Fricke [FDP]: Mehr!)

Ich teile die Einschätzung, dass wir dann einen Über-schuss brauchen, um diese Zahlungen zu reduzieren undmehr Spielräume zu gewinnen. Man muss dann aberauch dafür sorgen, dass es Einnahmen gibt.

Sie haben die Gerechtigkeitsfrage aufgeworfen, wervon der Konjunktur profitiert. Wenn ich mir die Ab-schlüsse der vergangenen Lohnrunden ansehe, dannmuss ich sagen, dass sie sehr ordentlich sind. Wir kön-nen das als Politiker nicht steuern. Ich finde es gut, dasswir die Tarifautonomie haben; sie scheint ja an diesemPunkt zu funktionieren.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Tarifautono-mie ist gut! – Otto Fricke [FDP]: Sehr gut!Richtig!)

Ich bitte Sie also, sich das an der Stelle noch einmal ge-nauer anzusehen. Es würde mich freuen, wenn wir unshinsichtlich der Verschuldung einig werden. Wenn mandas Interesse hat, Politik zu gestalten, wenn man denAuftrag zur politischen Gestaltung hat und dieses Landverändern und bestimmen will, dann braucht man dafürnatürlich auch öffentliche Mittel.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Otto Fricke [FDP]: Sehr wahr!)

Die hat man nur, wenn man auch Einnahmen hat. Dasmuss ausgeglichen sein.

Herr Fricke, Sie haben gesagt, dieser Haushalt seiganz furchtbar, es gehe zu langsam.

(Otto Fricke [FDP]: Nein! Teile!)

Gut, ich wünsche mir auch, dass es uns bei den Beratun-gen gelingt – das wird unser Auftrag sein –, das Ganzenoch zu beschleunigen. Ich sehe mich da auf einer Liniemit dem Bundesfinanzminister. Alles, was uns ermög-licht, zügiger zu dem Ziel der Reduzierung der Schuldenzu kommen, hilft.

Kollege Kampeter hat darauf hingewiesen: In deralten Finanzplanung waren sogar noch 92 MilliardenEuro Schulden bis 2010 vorgesehen. Jetzt sind bis 2011nur noch 29 Milliarden Euro Schulden vorgesehen. Daserspart uns allein 3 Milliarden Euro Zinsausgaben proJahr. Das sind 3 Milliarden Euro, die wir jedes Jahr mehrzur Verfügung haben, die uns mehr Spielraum geben unddie wir auch nicht durch Einnahmeerhöhungen finanzie-ren müssen.

(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber eine virtuelle Rechnung!)

Das zeigt: Dieser Haushalt ist zukunftsgewandt. DieKoalition hat dies zu einer politischen Priorität gemacht.Ich sehe mich – ich glaube, dass das auch in der Bevöl-kerung akzeptiert wird – durch die Meinungsumfragenunterstützt, die man zu diesem Punkt durchaus zurateziehen kann. Wir werden 2008 eine Kreditfinanzie-

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Carsten Schneider (Erfurt)

rungsquote, das heißt die Aufnahme neuer Schulden be-zogen auf die Gesamtausgaben, von nur noch 4,6 Pro-zent haben. Das ist der niedrigste Wert seit 1973.

Wir sollten nicht nur die Zinsausgaben in Höhe von43 Milliarden Euro hinzurechnen – die hatte ich Ihnengenannt –, die wir heute finanzieren müssen und die manfrüher nicht hatte, sondern man sollte auch die deutscheEinheit beachten, die viele immer wieder vergessen. Wiralle stehen dazu, dass wir diese Ausgaben haben. Siesind eine besondere Belastung für diese Volkswirtschaft.Wir kriegen das gewuppt. Von daher ist das eine sehrgroße Leistung, auf die man stolz sein kann.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Kollege Fricke hat behauptet – ich habe gehört, auchHerr Göhner hätte das heute Morgen gesagt;

(Otto Fricke [FDP]: Stimmt! Kann Kollege Kampeter bestätigen!)

das weiß ich nicht, er wird sich sicher eines Besseren be-lehren lassen –, wir würden Beitragsmittel der BA ver-wenden, um den Bundeshaushalt zu sanieren.

(Otto Fricke [FDP]: Nein! Um Hartz IV zu fi-nanzieren!)

Seit Jahren hatten wir bei der Bundesagentur für ArbeitDefizite, die wir mit Steuergeldern ausgeglichen haben.Wenn wir eine Plus-Minus-Rechnung machen würden,hätten wir dort ein Guthaben, das man zurückzahlenmüsste. Das haben wir aber nicht gemacht. Jetzt sindwir in der Situation, dass wir bis 2011 30 MilliardenEuro Steuermittel in die BA zur Senkung des Arbeitslo-senversicherungsbeitrages geben und dass wir die Ver-antwortung der Arbeitslosenversicherung – das war dieVerabredung bei den Hart-IV-Gesetzen – für die Lang-zeitarbeitslosigkeit in Rechnung stellen und 20 Milliar-den Euro Beitrag zur Finanzierung der Langzeitarbeits-losigkeit durch den Eingliederungsbeitrag bezahltwerden. Das heißt, in Summe bleibt der BA ein Über-schuss von über 10 Milliarden Euro Steuermitteln.

(Otto Fricke [FDP]: Was heißt: der BA?)

Wie das Beitragsmittel sein können, ist mir nicht erklär-bar.

(Jürgen Koppelin [FDP]: Sanieren! Abkassieren!)

– Herr Kollege Koppelin, Sie haben die Möglichkeit,eine Zwischenfrage zu stellen, um zu erklären, wie IhrePosition zustande kommt.

(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bitte nicht!)

Sie ist jedenfalls in diesem Punkt nicht verständlich.

(Jürgen Koppelin [FDP]: Abkassierer!)

Ich möchte einen zweiten Punkt ansprechen: den an-geblichen Aufwuchs der Ausgaben. Das Gegenteil istder Fall: Wenn man den um die Steigerungen bei denPostpensionsunterstützungskassen bereinigt

(Otto Fricke [FDP]: Die sind aber noch nicht da!)

– für 2008 betragen sie 5 Milliarden Euro –,

(Otto Fricke [FDP]: Ich kann auch die Zinsen herausrechnen!)

liegt die Steigerungsrate bei 1,2 Prozent.

(Otto Fricke [FDP]: Nein! Falsch!)

Das ist unterhalb der Inflationsrate.

(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Was soll ich denn noch alles heraus-rechnen? – Otto Fricke [FDP]: Rechnet dochauch noch die Zinsen heraus! Dann seid ihr so-gar im Plus!)

Das heißt, de facto ist festzustellen, dass die öffentlichenAusgaben real gesenkt werden.

Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Schneider, gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Koppelin?

Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Bitte sehr.

Jürgen Koppelin (FDP): Lieber Herr Carsten Schneider, darf ich Sie fragen:

Wer ist eigentlich die BA? Sind das die Beitragszahler,oder ist das irgendein anonymes Gebäude in Nürnberg?

Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Die Bundesagentur für Arbeit ist eine öffentliche Ein-

richtung, die durch Beiträge der Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer und der Arbeitgeber finanziert wird,

(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Der Versicherten“ heißt das!)

die zur Absicherung des Risikos der Arbeitslosigkeit ge-zahlt werden; in diesem Fall erhalten sie eine Versiche-rungsleistung. Darüber hinaus wird die BA durch einenSteuerzuschuss in Höhe von 7 Milliarden Euro aus demBundeshaushalt finanziert.

(Jürgen Koppelin [FDP]: Das sind doch wiederdie gleichen Leute! Nämlich auch die Steuer-zahler! – Gegenruf des Abg. BernhardBrinkmann [Hildesheim] [SPD]: Nein, nichtnur! Da sind noch ein paar mehr mit dabei!Zum Beispiel auch die Selbstständigen! – Ge-genruf des Abg. Jürgen Koppelin [FDP]: Ja,die auch! Ihr Abkassierer!)

– Natürlich sind das die gleichen Leute. Wir alle sinddieses Land; das ist doch logisch. Da fehlen mir ein we-nig die Worte, Herr Koppelin. Ich finde, das ist ziemlichoffensichtlich. Wenn wir wollen, dass es in wichtigenBereichen wie der öffentlichen Daseinsvorsorge, derForschung, dem sozialem Ausgleich und der Herstellungvon Chancengerechtigkeit öffentliche Ausgaben gibt,dann muss man Steuern erheben.

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Carsten Schneider (Erfurt)

(Zuruf von der SPD: Genau! Selbst die FDP macht das!)

Die Steuerquote liegt in Deutschland im internationa-len Vergleich mit knapp 22 Prozent im unteren Bereich.Sie hat also eine unterdurchschnittliche Höhe.

(Otto Fricke [FDP]: Und was ist mit der Abgabenquote?)

Wenn man die Steuer- und Abgabenquote zusammen-rechnet, befindet sich Deutschland im internationalenVergleich im Mittelfeld. Unsere Staatsquote führen wirinsgesamt sogar zurück. Den Höhepunkt haben wir imJahre 1997 erreicht. Nun nähern wir uns in der Finanz-planung wieder einer Staatsquote von 44 bis 45 Prozent.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wie beiStoltenberg! Und das mit euch! Wer hätte dasgedacht!)

Ich finde, das sind große Erfolge der Koalition. Auf die-sem guten Weg können wir in die Beratungen gehen.

Lassen Sie mich die Situation, in der sich Deutsch-land befindet, international einordnen: Deutschland istdie größte Volkswirtschaft der Europäischen Union. Eswurde viel über den blauen Brief diskutiert, denDeutschland von der EU-Kommission erhalten hat. Dassdas Verfahren allerdings von der Kommission eingestelltworden ist, das ist ein bisschen untergegangen. Es gibtkein Verfahren mehr, da Deutschland den verändertenMaastrichtpakt, der ökonomisch vernünftiger ist, einge-halten hat. Im Jahre 2006 hatten wir eine Defizitquotevon nur noch 1,7 Prozent. Im Jahre 2007 werden es0,6 Prozent sein und 2008 nur noch 0,3 Prozent. ImJahre 2009 werden wir gesamtstaatlich einen Ausgleichzu verzeichnen haben. Ich finde, das alles kann sich se-hen lassen.

Die gute Politik der Bundesregierung und insbeson-dere des Bundesfinanzministers hat dazu geführt, dassdie Menschen wieder Vertrauen in dieses Land, in sichselbst, aber auch in die öffentlichen Finanzen gewonnenhaben. Das ist eine Grundvoraussetzung für wirtschaftli-ches Wachstum. Damit, Frau Kollegin Lötzsch, hat diePolitik sehr viel zu tun. Auf die SPD, aber auch auf dieUnion können sich die Leute in unserem Land verlassen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU –Jürgen Koppelin [FDP]: Oh ja! Das haben wirbei der Mehrwertsteuererhöhung gesehen!)

Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Anja Hajduk für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen.

(Jürgen Koppelin [FDP]: Los, Anja! Wir würden sogar klatschen, wenn du das möchtest!)

Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): – Ja, damit rechne ich sogar fast.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Es ist unbestritten gut, dass die wirtschaftlicheEntwicklung und die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt

dazu beitragen, dass die öffentlichen Finanzen eine Ent-spannung erfahren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)

– Da klatscht sogar die CDU/CSU. – Nicht gut ist aller-dings, dass die Große Koalition die Chance – ich würdesogar sagen: die historische Chance – vertut,

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Schade! Sie haben so gut angefangen!)

den Bundeshaushalt bis 2009, also noch in dieser Legis-laturperiode, auszugleichen.

Sie sind sicherlich genauso realistisch wie ich undwissen daher: Man kann sich nicht ganz sicher sein, dassder Aufschwung bis 2011 anhält.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der FDP – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Anja Kassandra!)

Unser Maßstab sollte aber sein, dass wir den Haushalts-ausgleich bis 2009 realistisch schaffen können, dass daseine historische Chance ist und dass unsere europäi-schen Nachbarländer in diesen Boomzeiten schon mitÜberschüssen wirtschaften.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ja! Die hatten aber auch keine Grünen in der Regierung!)

Unser Maßstab darf nicht die Angst der Großen Koali-tion oder von Herrn Steinbrück sein, dass irgendwanneinmal ein Ziel, das man sich gesetzt hat, nicht erreichtwerden könnte. Genau das, Herr Schneider, machen wirIhnen zum Vorwurf. Aber ich weiß ja, dass sich Ihre öf-fentlichen Äußerungen und auch die von HerrnKampeter mit unseren Forderungen – Haushaltsaus-gleich bis 2009 – im Wesentlichen decken und diesestützen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulrike Flach [FDP])

Ich möchte noch etwas dazu sagen, wo mir der Haus-halt, der gestern vorgelegt wurde, gefällt: Ich finde es inOrdnung, dass Sie mit dem Schwerpunkt der For-schungspolitik und mit der Finanzierung der in der Ent-wicklungszusammenarbeit gegebenen Zusagen – eineODA-Quote von 0,7 Prozent des BIP bis 2015 – einenglobalen, internationalen Ansatz verfolgen. Das findenwir Grünen richtig; ich sage das ausdrücklich.

Ich begrüße auch, dass die CDU/CSU verstanden hat– auch wenn sie lange gebraucht hat, um aus ihrer ideo-logischen Verstellung herauszukommen –, dass eine bes-sere Kinderbetreuungsinfrastruktur wichtig ist: fürdas Land, für die Frauen, für die Familien – und für un-sere Wirtschaft. Das ist gut.

(Beifall der Abg. Anna Lührmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Aber hier sieht man eine typische Schwäche der GroßenKoalition. Wir Grünen haben vorgerechnet, dass man dieKinderbetreuung finanzieren kann, indem man überflüs-sige Subventionstatbestände beim Ehegattensplitting ab-

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Anja Hajduk

schafft. Dann hat man auch eine Lösung für das Länder-problem, die Einrichtungen zu finanzieren. Wir habengezeigt, wie man durch Umfinanzierung ab sofort dieKinderbetreuung gewährleisten kann, und zwar in einerviel besseren Qualität, als für nächstes Jahr geplant – Siemüssen um Sondervermögen feilschen, müssen auf kon-junkturelle Steuermehreinnahmen in diesem Jahr setzen.Das ist eine typische Schlechterlösung der Großen Ko-alition: Sie können nicht umfinanzieren, Sie können lei-der nur obendrauf packen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich komme jetzt im engeren Sinne zur Haushaltspoli-tik der Großen Koalition. Die Zahlen von HerrnSteinbrück sehen so aus: Die Ausgaben steigen zumnächsten Jahr um 4,7 Prozent. Früher hatten wir Ausga-bensteigerungen um 1 Prozent. Man gönnt sich also et-was!

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Ich finde, das ist fahrlässig, wenn man die historischeChance hat, den Haushalt auszugleichen. Man kann esauch anders bebildern: Sie steigern die Ausgaben um12,7 Milliarden Euro. Das ist ungefähr die Nettokredit-aufnahme, die für nächstes Jahr vorgesehen ist. Da kanndoch jeder, ohne dass er im Haushaltsausschuss sitzt,schnell erkennen: Im Prinzip könnten wir nächstes oderübernächstes Jahr ohne neue Schulden auskommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der FDP – SteffenKampeter [CDU/CSU]: Wie halten Sie es ei-gentlich mit den Postpensionen, Frau Kolle-gin?)

Das ist doch ein Ziel, das einfach zu erreichen wäre: mitDisziplin. Das wäre eine Aufgabe, die Sie sich stellensollten!

(Abg. Steffen Kampeter [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Ich bin Realistin genug, zu sagen: Die günstige wirt-schaftliche Entwicklung gibt Ihnen eine bessere Basis,als wir sie unter Rot-Grün hatten, keine Frage. Aber ehr-geizig sind Sie an dieser Stelle nicht. Auch mit Blick aufdie Nachbarländer kann ich sagen: Sie vertun hier eineChance.

Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Hajduk, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich würde gerne noch einen Gedanken zu Ende füh-

ren; dann gerne, Herr Kollege Kampeter.

Für 2007 ist geplant, 19,5 Milliarden Euro neueSchulden aufzunehmen. Es gibt, glaube ich, niemandenhier im Haus, der bestreiten wollte, dass es möglichwäre, mit den Steuermehreinnahmen von über 11 Milliar-den Euro die Nettokreditaufnahme in diesem Jahr 2007auf ungefähr 10 Milliarden Euro zu senken.

(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Oder privatisieren!)

Wenn man jetzt einen Abbaupfad bei der Konsolidie-rung beschreiben will, kann man doch nicht allen erns-tes sagen: Wir wissen schon jetzt, im Sommer, wir brau-chen dieses Jahr 10 Milliarden Euro neue Schulden, aber2008, wo die Wirtschaft genauso gut weiterlaufen soll– so Ihre Annahme –, brauchen wir wieder ein bisschenmehr Schulden. Das passt nicht zusammen, und daszeigt, dass Sie – an dieser Stelle ist der Titel richtig –mangelnden Ehrgeiz bei der Konsolidierung haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Otto Fricke [FDP])

Vizepräsidentin Petra Pau: Herr Kollege Kampeter, Sie haben das Wort.

Steffen Kampeter (CDU/CSU): Frau Kollegin Hajduk, vor etwa einer Minute haben

Sie in Ihrer Rede ausgeführt, dass wir im nächsten Jahrentsprechend dem Regierungsentwurf in Absolutbeträ-gen ungefähr 12 Milliarden Euro mehr ausgeben wollen.Ist es nicht zutreffend, dass diese Steigerung um12 Milliarden Euro, wenn man von den etwa3 Milliarden Euro Zinsen absieht, vor allen Dingen aufeinen Ausgabeposten zurückgeht, nämlich auf die6 Milliarden Euro für die Postpensionskassen?

(Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]:Die sind nur einmalig! – Otto Fricke [FDP]:Die sind dauerhaft!)

– Die sind dauerhaft, Herr Kollege Brinkmann. – Diese6 Milliarden Euro Mehrausgaben sind also die Konse-quenz von politischen Entscheidungen, die unter IhrerBeteiligung getroffen worden sind und deren Folgen wirals Große Koalition jetzt nachzuvollziehen haben. Mussman deswegen nicht sagen, dass Ihre Kritik an denMehrausgaben halbherzig ist? Ich lasse es Ihnen nichtdurchgehen, sich hier hopplahopp aus der Verantwor-tung zu stehlen. Ich bitte Sie deshalb in Form dieserFrage, das noch einmal aufzugreifen.

(Beifall des Abg. Dr. Klaus W. Lippold [CDU/CSU])

Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Kampeter, ich leugne überhaupt nicht,

dass es manchmal Ausgabenbereiche gibt, die schwererzu steuern sind oder die man erbt. Aber ist das, was Siesagen, nicht ein bisschen kleinlich?

(Zuruf von der FDP: Naja, aber es sind schon 6 Milliarden Euro!)

In den beiden Jahren 2006 und 2007 steigen unter derGroßen Koalition die Ausgaben im Haushalt zusammen-genommen um fast 18 Milliarden Euro. Durch Steuerer-höhungen und guten Subventionsabbau – der endlicheinmal geklappt hat – haben Sie in zwei Jahren37 Milliarden Euro Mehreinnahmen. Ist es dann bei ei-nem Haushalt von insgesamt 270 Milliarden Euro nichtein bisschen kleinlich, zu sagen, dass Sie diese

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Anja Hajduk

6 Milliarden Euro nicht anders aussteuern oder kompen-sieren können?

(Zuruf von der FDP: 6 Milliarden Euro, das ist nicht kleinlich!)

Ich erhalte meine Kritik aufrecht. Wenn Sie diesen klei-nen Bereich herausgreifen, gebe ich zu, dass es da auchein kleines bisschen Erblast gibt. Aber Sie haben durchdie gute konjunkturelle Entwicklung Steuerungsmög-lichkeiten im zweistelligen Milliardenbereich. Diesevergeben Sie einfach. Deshalb komme ich zu derselbenKonsequenz: Sie sind nicht ehrgeizig und in einem sehrwichtigen Bereich nicht verlässlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich komme jetzt zu zwei weiteren Punkten, die ichnoch anmerken möchte.

Vizepräsidentin Petra Pau: Frau Kollegin Hajduk, gestatten Sie noch eine Zwi-

schenfrage?

Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich glaube, dass wir dies jetzt genug diskutiert haben,

Herr Kampeter. Wir setzen das dann im September fort.Sie kommen auf die Postunterstützungskassen bestimmtnoch dreimal zurück.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Es ist klar,dass Ihnen das unangenehm ist, Frau Kolle-gin!)

Ich komme jetzt zum Arbeitsmarkt. KollegeSchneider hat gesagt, dass noch über 10 Milliarden Euroan Überschüssen bei der Bundesagentur für Arbeitbleiben werden. Ich kann Ihnen nur zurufen: Hätten Siesich doch in diesem Punkt ruhig einmal gegen die CDUdurchgesetzt! Es ist klar, dass die Bundesagentur für Ar-beit das Geld aus der Mehrwertsteuererhöhung definitivnicht braucht. Sie schonen damit Angela Merkel, die die6 Milliarden Euro weiter in die Bundesagentur für Ar-beit hineinpumpt, und ziehen jetzt auf anderer Ebene5 Milliarden Euro wieder ab. Daran kann man sehen,dass es zur Senkung der Lohnnebenkosten strukturellerArbeitsmarktreformen bedurfte, die wir mit der rot-grü-nen Koalition unter ziemlich starken Belastungen durch-geführt haben. Das Mehrwertsteuergeld in der Bundes-agentur ist überflüssig. Wenn man für Haushaltsklarheit,Haushaltswahrheit und Transparenz ist, würde man dasauch zugeben und diesbezüglich nicht so kleinmütigsein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ganz zum Schluss möchte ich Folgendes sagen, wo-mit ich sicherlich nicht allein stehe:

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Aber sicher-lich etwas Nettes, Frau Kollegin!)

Wenn Sie in den letzten Tagen die Kommentierungender Haushaltspolitik und des Haushaltsentwurfes für2008 aufmerksam gelesen haben, dann haben Sie zurKenntnis genommen, dass es besser wird, als wir ge-dacht haben. Aber Sie haben in den Kommentaren auch

lesen können, dass es keinen Grund zur Überheblichkeitbei der Großen Koalition gibt. Manche – wie heute die„Financial Times“ – sagen, der Bundesfinanzministerprofitiere von der Gnade der späten Ernennung; dazuwill ich gar nichts weiter sagen. Aber Überheblichkeit istnicht am Platz. Es müsste vielmehr eine schlichte finanz-,haushalts- und wirtschaftspolitische Wahrheit stärker be-rücksichtigt werden: In guten konjunkturellen Zeitenmuss man sanieren, und zwar so, dass man für die Zu-kunft und für den Fall vorsorgt, dass die Konjunkturwieder kippt.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Spare in der Zeit, dann hast du in der Not!)

Das leisten Sie viel zu wenig. Deswegen bin ich froh,dass wir vom Bündnis 90/Die Grünen Ihnen in dieserWoche einen Gesetzentwurf zur Änderung des Grundge-setzes und der Bundeshaushaltsordnung zuleiten. Damitsoll eine Schuldenbremse eingeführt werden, die si-cherstellt, dass in konjunkturell guten Zeiten Über-schüsse erwirtschaftet werden und in konjunkturellschlechten Zeiten Defizite zulässig sind. Ihre Haushalts-politik hält einer solchen Schuldenbremse nicht stand.Ich sehe aber mit Sympathie, dass auch der Finanzminis-ter weiß, dass er eigentlich eine solche Schuldenbremsebräuchte. Ich hoffe, dass wir in der Föderalismuskom-mission II und bei den Haushaltsberatungen in diesemHerbst in diesem Punkt weiterkommen.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das hoffen wir auch! Da sind wir auf der gleichen Seite!)

Wir Grüne haben dazu eine Initiative vorgelegt. Ichbin gespannt, wie Sie die bewerten und ob Sie da mitzie-hen.

Schönen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wir sind unseinig in der Hoffnung!)

Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Georg

Fahrenschon das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Georg Fahrenschon (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zwei Dingesind am Ende der Debatte klar:

Erstens. Vor dem Hintergrund des gestern im Kabinettverabschiedeten Haushaltsplans für das kommende Jahrist der Antrag der FDP nicht mehr der aktuellste. Er istdurch die erfolgreiche Arbeit des Bundeskabinetts quasiüberholt.

Zweitens. Wir sind Ihnen trotzdem dankbar, weil Sieuns – passend zur letzten Sitzungswoche vor der Som-merpause – die Gelegenheit geben, noch einmal die dreiwesentlichen und guten Meldungen bzw. Nachrichtendeutlich herauszuarbeiten:

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Georg Fahrenschon

Erstens. Das Defizitverfahren der EuropäischenKommission gegen Deutschland ist endgültig eingestelltworden. Die Europäische Union bestätigt damit den fi-nanzpolitischen Kurs der Großen Koalition. Dabei istbesonders bemerkenswert, dass wir die notwendige Re-duzierung bzw. Rückführung des Defizits ein Jahr vorder uns gesetzten Frist erreicht haben. Und das ist gut so.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Zweitens. Wir arbeiten mit voller Kraft daran, dieNettokreditaufnahmen zu reduzieren. Im Jahr 2006 ha-ben wir sie im Vergleich zum Plan schon um10 Milliarden Euro zurückgeführt, und wir werden wei-ter fortschreiten. Der Ausblick auf das kommende Jahrmit knapp 13 Milliarden Euro und auf die darauf fortfol-genden Jahre ist entsprechend positiv. Liebe Frau Kolle-gin Hajduk, Sie wissen selber, dass wir an dieser Stelleder mittelfristigen Finanzplanung noch auf die kom-mende Steuerschätzung warten müssen, um den Datenfür die kommenden Jahre eine entsprechende Grundie-rung zu geben. Es macht überhaupt keinen Sinn, jetzt mitWunschzahlen zu operieren. Es macht viel mehr Sinn,die Steuerschätzung abzuwarten und dann entsprechendzu korrigieren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Fahrenschon, gestatten Sie eine Zwischen-

frage der Kollegin Hajduk?

Georg Fahrenschon (CDU/CSU): Ja, gerne.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Jede Redezeitver-längerung wird dankend angenommen!)

– An dieser Stelle.

Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass

Ihr Finanzminister, Herr Steinbrück, nicht so sehr auf dieZahlen der Steuerschätzung angewiesen ist, sondern dasser gerne noch eigene Schätzungen vornimmt und dieseZahlen dann in seine Finanzplanung und den Haushalteinbaut? Das steht in einem gewissen Widerspruch zuder Äußerung, die Sie gerade gemacht haben.

Georg Fahrenschon (CDU/CSU): Aber liebe Frau Kollegin, Ihnen ist doch auch be-

kannt, dass wir nach dem Beschluss des Kabinetts gleichin der ersten Woche nach der Sommerpause hier im Par-lament mit den Arbeiten am Haushaltsplan starten wer-den und dass wir als Parlament in guter Tradition – beiuns liegt nämlich das Budgetrecht gegenüber der Regie-rung – die Steuerschätzung abwarten und dann entspre-chend korrigieren werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD – Alexander Bonde [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Steinbrück hat abervorkorrigiert!)

Die dritte gute Nachricht lautet, dass infolge der Kon-solidierungsmaßnahmen der Großen Koalition und da-mit infolge richtiger Politik, mit der die Weichen gleich-zeitig auf Wachstum und Beschäftigung sowie aufKonsolidierung gestellt wurden, das gesamtstaatlicheDefizit mittlerweile auf nur noch ein halbes Prozent desBruttoinlandsprodukts gesunken ist. Binnen zwei Jahrenhaben wir das strukturelle Defizit Deutschlands von über3 Prozent auf nur noch ein halbes Prozent absenken kön-nen. Das heißt nicht, dass wir hier aufhören, aber dasheißt, dass die richtige Politik zu guten Ergebnissen ge-führt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU – Steffen Kampeter[CDU/CSU]: Sehr richtig! Das musste aucheinmal klargestellt werden!)

Angesichts eines Schuldenbergs in Höhe von nachwie vor unvorstellbaren 1 500 Milliarden Euro müssenwir aber weiterarbeiten. Wir können nicht stehen blei-ben. Aufgrund der guten konjunkturellen Lage dürfenwir nicht bis 2011 mit einem ausgeglichenen Haushaltwarten, sondern wir wollen ihn so schnell, so passendund so tragfähig wie möglich erreichen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so-wie des Abg. Carsten Schneider [Erfurt][SPD])

Dabei gilt für uns einerseits eine strikte Ausgaben-disziplin, andererseits glauben wir, dass es bei einemAnhalten des konjunkturellen Aufschwungs möglich ist,noch im laufenden Jahrzehnt, also vor dem Jahre 2011,einen ausgeglichenen Bundeshaushalt vorzulegen; dennnur dadurch können wir – der Freistaat Bayern macht esuns in diesem Jahr doch bereits erfolgreich vor – endlichdie Schaufel in die Hand nehmen und damit beginnen,den Schuldenberg abzubauen.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Von Bayernlernen heißt sparen lernen, Herr KollegeFahrenschon!)

Wir laufen Gefahr, dass uns hier die Zeit davonläuft.

(Beifall der Abg. Ilse Aigner [CDU/CSU])

Der vorgelegte Entwurf enthält bereits zwei bemer-kenswerte Alarmzeichen:

Erstens. Der Anstieg der Zinsausgaben um 2,6 Mil-liarden Euro.

(Otto Fricke [FDP]: Ja! Das habt ihr immer be-stritten!)

Dies ist zwar noch überschaubar, bedeutet aber – dasmuss uns umtreiben –, dass wir im kommenden Jahr42,2 Milliarden Euro nicht für politische Maßnahmenzur Verfügung haben,

(Otto Fricke [FDP]: Mindestens!)

sondern für die Zinsen der bereits in der Vergangenheitvom Bund aufgetürmten Schulden aufwenden müssen.

(Otto Fricke [FDP]: Sehr wahr!)

Zum anderen muss uns beschäftigen, dass trotz realsteigender Investitionsausgaben die Investitionsquote

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11126 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007

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Georg Fahrenschon

im Bundeshaushalt am Ende des Planungszeitraums beinur noch 8,2 Prozent liegt.

Nicht nur, aber insbesondere aufgrund dieser beidenAlarmzeichen liegt noch viel Arbeit vor uns. Arbeit be-deutet insbesondere, zu sparen und die Konsolidierungweiter voranzubringen. Denn solide Staatsfinanzen undeine nachhaltige Konsolidierung sind kein Selbstzweck.Sie sind unumgängliche Voraussetzung zur Wiederge-winnung von haushaltspolitischen Spielräumen, die wirzur Finanzierung wichtiger Zukunftsinvestitionenund zur weiteren Rückführung der Steuerbelastungdringend brauchen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Zudem sind sie wichtige Voraussetzungen für eineSteigerung von Wachstum und Beschäftigung.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Denn am Ende wird das Wachstum durch Sparen geför-dert. Umgekehrt gilt, dass ohne ein erhöhtes Wirtschafts-wachstum der Abbau der Arbeitslosigkeit, die Stabilisie-rung der sozialen Sicherungssysteme und dieKonsolidierung der öffentlichen Haushalte nicht gelin-gen können. Hierfür werden wir in den anstehenden par-lamentarischen Beratungen genügend Zeit haben, undwir werden uns auch den nötigen Raum nehmen.

Wir sind entschlossen, den Weg der Tugend, den Bun-desminister Michael Glos klar beschrieben hat, zu unter-stützen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dieser Weg sieht vor, erstens die Defizite in den öffentli-chen Haushalten über den Konjunkturzyklus dauerhaftund vollständig zu vermeiden, um damit die öffentlicheVerschuldung Schritt für Schritt abzubauen. Zweitenssoll die Belastung durch Steuern und Abgaben gesenktwerden; denn wir müssen jetzt die Gelegenheit nutzen,den Beitrag zur Konsolidierung, den die Bürger in die-sem Land geleistet haben, in besseren Zeiten wieder zu-rückzugeben. Drittens wollen wir öffentliche Investitio-nen vor allem in Bildung, aber auch in Innovationenerhöhen; denn darin liegt unsere Zukunft. Nur so kann esuns gelingen, den Schuldenberg in absehbarer Zeit abzu-tragen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Eine sehr gute Rede!)

Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Bernhard

Brinkmann das Wort.

Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was den man-gelnden Ehrgeiz angeht, hatte ich eigentlich damit ge-rechnet, dass die Steilvorlage vom März dieses Jahresvon den Freien Demokraten noch rechtzeitig zurückge-

zogen wird. Das ist leider nicht der Fall. Darum möchteich gerne im zweiten Teil meiner Rede auf den einenoder anderen Punkt eingehen.

Zu Beginn will ich aber auf das eingehen, was dieKollegin Lötzsch und ihre Fraktion in den letzten Wo-chen und Monaten ständig zum Besten gegeben haben.Sie machen mit Ihren Ausführungen den Menschenweis, dass die Probleme, die bei der Telekom und derDeutschen Bahn bestehen, an uns und die positiven Zei-chen in der Wirtschaftsentwicklung, auf dem Arbeits-markt und auch in der Haushalts- und Finanzpolitik anden Menschen vorbeigehen.

Ich habe in diesem Zusammenhang eine herzlicheBitte. Tun Sie doch nicht so, als könnten die Bundesre-gierung oder dieses Hohe Haus durch Beschlüsse dafürsorgen, dass die Probleme bei der Telekom und derDeutschen Bahn AG so gelöst werden, wie Sie es gernehätten, geschweige denn, dass der Staat in der Lagewäre, durch seine Haushalts- und Finanzpolitik Geleit-schutz zu geben. Damit machen Sie den Menschen etwasvor.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Blinde Staats-hörigkeit da drüben!)

Das würde – wenn überhaupt – nur kurzfristig zumErfolg führen. In welchem Maße das schiefgehen kann,haben wir bis zur Wiedervereinigung unseres Vaterlan-des erlebt.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ja, das solltedie Kollegin Lötzsch eigentlich besser wis-sen!)

Was den Ehrgeiz angeht, ist es in der Tat gut, wennman ihn hat. Übertriebener Ehrgeiz führt aber nicht im-mer zu dem Ziel, das man erreichen möchte, Herr Kol-lege Fricke.

(Otto Fricke [FDP]: Sehr wahr!)

Ich habe in Ihrer Rede vermisst, dass Sie neben den an-gesprochenen Punkten, wo man auf der Ausgabeseitesparen oder Einschnitte vornehmen kann, auch das Liedvon weiteren Steuersenkungen gesungen haben.

(Otto Fricke [FDP]: Hier geht es um Haushalt, nicht um Finanzen!)

Dieses Lied singen Sie anscheinend nicht mehr. Zumin-dest in diesem Bereich scheinen Sie zu einer anderenÜberzeugung gekommen zu sein.

Ich erkläre hier ganz deutlich, dass sich der im Herbst2005 begonnene Dreiklang von Reformieren, Investie-ren und Konsolidieren als sehr erfolgreich erwiesen hatund dass wir zumindest einen bestimmten Anteil an die-ser erfolgreichen Wirtschafts- und Finanzpolitik inDeutschland haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Wenn die Arbeitslosigkeit steigt, dann sind die Poli-tiker schuld. Wenn die Arbeitslosigkeit sinkt, dann istdie Wirtschaft alleine verantwortlich. Ich glaube, in derMitte liegt die Wahrheit. Wir sollten uns jedenfallsdarüber freuen, dass die Arbeitslosigkeit seit November

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11127

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Bernhard Brinkmann (Hildesheim)

2005 jeden Monat zurückgeht, und das quer durch alleBereiche. Auch bei der Langzeitarbeitslosigkeit und derJugendarbeitslosigkeit sind Erfolge zu verzeichnen. Ichfüge hinzu: Wir dürfen dabei nicht aus den Augen verlie-ren, dass jemand, der arbeiten geht, am Ende des Monatsso viel nach Hause bringen muss, dass er davon sich undseine Familie ernähren kann.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Darum ge-setzlichen Mindestlohn! Da haben Sie nichtzugestimmt!)

– Frau Kollegin Lötzsch, mit dem gesetzlichen Min-destlohn werden wir uns noch eine bestimmte Zeit aus-einandersetzen. Ich habe nur den Eindruck, dass Sie hierversuchen, kurzfristig politische Erfolge zu erzielen, ge-nauso wie in anderen Punkten. Ich sage Ihnen schonjetzt: Das wird Ihnen auch hier nicht gelingen.

Was die Steigerung der Ausgaben angeht, möchteich drei Bereiche ansprechen; die anderen wurden zumgrößten Teil schon erwähnt. Erster Punkt. Ich glaube,niemand in diesem Hohen Haus wird ernsthaft bestrei-ten, dass weitere Ausgaben für Bildung und Forschungrichtig sind. Hier zu sparen, wäre falsch.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Demzufolge sollten wir es im Rahmen der Haushaltsbe-ratungen, die nach der Sommerpause beginnen, auchnicht tun.

Der zweite Punkt betrifft die Bundeswehr. Wir allewissen – vielleicht bis auf die linke Seite dieses Hauses,die die Friedenseinsätze und die humanitären Einsätzeder Bundeswehr massiv kritisiert –, dass hier etwas ge-tan werden muss. Die ständig steigende Präsenz beiHilfsmaßnahmen im Ausland und humanitären Maßnah-men zur Sicherung des Friedens erfordert erhöhte Aus-gaben. Deshalb muss man bereit sein, dafür mehr Mittelzur Verfügung zu stellen, von der Sanierung der Liegen-schaften der Bundeswehr im Lande ganz zu schweigen.Auch da muss noch einiges passieren.

Der dritte Punkt betrifft die Infrastruktur. Alle wollenmöglichst gute Straßen, insbesondere gute Autobahnen,gute Schienenwege und gute Wasserwege. Dass die Bun-desregierung dafür mehr Mittel in den Bundeshaushalt2008 eingestellt hat, ist eine richtige und für jeden nach-vollziehbare Entscheidung.

Für einen ausgeglichenen Haushalt, also seit vielenJahrzehnten zum ersten Mal den Punkt zu erreichen, andem sich Einnahmen und Ausgaben wieder decken, istdas Jahr 2011 angepeilt. Wenn es früher geht, sollten wires in Angriff nehmen. Allerdings ist angesichts des ehr-geizigen Ziels, einen ausgeglichenen Haushalt zu errei-chen, ein größerer Zeitraum besser, als sich letztendlichzu verheben.

Der Kollege Schneider hat darauf hingewiesen – FrauKollegin Hajduk ist leider nicht mehr da –, dass man un-ser Land nicht eins zu eins mit den europäischen Nach-barländern vergleichen darf, wenn es um Haushaltskon-solidierung und Erzielung von Überschüssen geht. Es istbesonders wichtig, in dieser Debatte darauf hinzuweisen,dass wir, unsere Volkswirtschaft und alle anderen, die

dazu beitragen, seit 1990 Sonderkosten für die deut-sche Einheit und Kosten für den Solidarpakt II bis 2019zu finanzieren haben. Das leistet keine andere Volkswirt-schaft, weder in Europa noch auf der Welt. Auf dieseLeistung sollten wir – völlig zu Recht – sehr stolz sein.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die wachsende Wirtschaft und die Erfolge auf demArbeitsmarkt bestätigen die erfolgreiche Politik der Bun-desregierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen.Eine erste Rendite zeichnet sich nun ab. Wir haben damiteine historische Chance, den Haushalt zukunftsgerechtauszurichten und erstmals nach über 40 Jahren denSchuldenberg nicht weiter wachsen zu lassen, sondernabzubauen. Lassen Sie uns diese Chance gemeinsamnutzen. Wir werden in den nächsten Wochen und Mona-ten bei den Beratungen im Haushaltsausschuss noch dieMöglichkeit haben, das eine oder andere zu verändern.Wir unterstützen den Finanzminister bei seinen Bemü-hungen und bedanken uns, dass der Bundeshaushalt2008 die bisher erzielten Erfolge festigt und fortschreibt.

Noch ein Wort zu den Kolleginnen und Kollegen vonder FDP, was die Produktion von Papier angeht. Wir ha-ben bei den letzten Haushaltsberatungen immer erlebt,dass der Kollege Fricke oder der Kollege Koppelin miteinem Riesenbuch hier vorne aufgetreten sind und diesesals Sparbuch bezeichnet haben. Um nicht missverstan-den zu werden: Das war nicht das Sparbuch, das wir allekennen und das in der Regel ein Guthaben hat, sonderndas war das Sparbuch, um Haushaltskonsolidierung zubetreiben,

(Otto Fricke [FDP]: Auch ein Guthaben für den Steuerzahler!)

auf der Ausgabeseite zu sparen und massive Einschnittevorzunehmen. Selbst das, was Sie mit dem großen Bergan Papier und dem dicken Buch hier vorgelegt haben– um das einmal deutlich zu machen –, hätte nicht dazugeführt, dass wir in 2006/2007, geschweige denn in denJahren danach – warten wir einmal ab, was im Jahr 2008kommt –, zu einem ausgeglichenen Bundeshaushalt ge-kommen wären.

(Ulrike Flach [FDP]: Aber die Postpensionen hätten Sie damit bezahlt!)

Frau Kollegin Flach, lassen Sie mich noch eine Be-merkung zum Schluss machen. Wer mehr als vier Jahr-zehnte an dem Aufbau dieses Schuldenberges maßgeb-lich beteiligt war,

(Ulrike Flach [FDP]: Meinen Sie uns beide?)

sollte sich, was den Ehrgeiz angeht, auf der Ausgabe-seite Einschnitte vorzunehmen, ein wenig zurückhalten.Damit meine ich die Freie Demokratische Partei. Sie wa-ren einmal mit uns und einmal mit der Union zusammen,aber Sie waren eigentlich immer dabei, als die Schuldengemacht worden sind, übrigens auch bei der falschenFinanzierung der deutschen Einheit 1990.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

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11128 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007

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Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage aufDrucksache 16/4606 an den Haushaltsausschuss vorge-schlagen. Sind Sie damit einverstanden? –

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das lässt sich nicht verhindern, Frau Präsidentin!)

Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlos-sen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 c auf:

a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierung

Bericht zur technologischen Leistungsfähig-keit Deutschlands 2007 und Stellungnahme der Bundesregierung

– Drucksache 16/5823 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Johann-Henrich Krummacher, Ilse Aigner, Dorothee Bär,weiterer Abgeordneter und der Fraktion derCDU/CSU sowie der Abgeordneten Jörg Tauss, RenéRöspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion der SPD

IKT 2020: Gezielte Forschungsförderung fürzukunftsträchtige Innovationen und Wachs-tumsfelder im Bereich der Informations- undKommunikationstechnologien (IKT)

– Drucksache 16/5900 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)Innenausschuss RechtsausschussFinanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Gesundheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionHaushaltsausschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten PriskaHinz (Herborn), Grietje Bettin, Ekin Deligöz,weiterer Abgeordneter und der Fraktion desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Innovationsfähigkeit stärken durch Bildungs-und Forschungsoffensive

– Drucksache 16/5899 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Kultur und Medien

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre dazu kei-nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Das Wort hat die Bundesministerin für Bildung undForschung, Dr. Annette Schavan.

Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-dung und Forschung:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir habenheute Morgen nach der Regierungserklärung von HerrnKollegen Glos über den wirtschaftlichen Aufschwung inDeutschland diskutiert. Der Bericht zur technologischenLeistungsfähigkeit Deutschlands bestätigt: Die deutscheWirtschaft befindet sich auf einem klaren Expansions-kurs. Er behandelt die Faktoren, die bedeutsam sind, umdie Innovationskraft in Deutschland als Grundlage füranhaltende wirtschaftliche Entwicklung zu stärken, under beschreibt Stärken und Schwächen.

Er beschreibt erstens – lassen Sie mich insgesamt sie-ben Punkte aufgreifen –, in welchen Bereichen Potenzialnoch besser genutzt werden kann, zum Beispiel durchdie stärkere Nutzung der Informations- und Kommuni-kationstechnologien etwa in den Bereichen der Dienst-leistungen neuer Medien, im Bereich von E-Health undLogistik. Das sind drei besondere Bereiche, die Nieder-schlag in der von der Bundesregierung vor wenigen Mo-naten veröffentlichten Strategie IKT 2020 finden, dieals Treiber für Innovation wirken soll und deshalb aufAnwendungen von Informations- und Kommunika-tionstechnologie ausgerichtet ist.

Zweitens beschreibt der TLF die starke PositionDeutschlands und deutscher Unternehmen auf den Welt-märkten der Technologiegüter. Es wird nicht nur aufeine Zahl hingewiesen, die schon aus den letzten Jahrenbekannt ist, wonach 65 Prozent der deutschen Unterneh-men zu den innovativen Unternehmen gehören, sondernes wird auch von einer weiter steigenden Zahl der Patent-anmeldungen und davon gesprochen, dass im Jahr 2005forschungsintensive Industriewaren im Wert von428,3 Milliarden Euro exportiert wurden und Deutsch-land damit der Welt größter Technologieexporteur nochvor den USA und Japan ist. Als ein herausragendes Bei-spiel für erfolgreiche Entwicklung in den vergangenenJahren wird das Beispiel der Umwelttechnologie ge-nannt, das jetzt wieder im Kontext unserer Debatten überEnergieforschung und den positiven Einfluss auf denEnergiewandel eine große Rolle spielt.

Drittens. Man blickt natürlich – das ist die große poli-tische Aufgabe, vor der wir stehen – auf, wie es so schönheißt, Aufhol-Länder wie China, Indien oder die Tiger-staaten, die mit ihren Investitionen in Forschung undEntwicklung, mit ihrer Präsenz in der Wissenschafts-gesellschaft, etwa im Bereich der wissenschaftlichenPublikationen, oder mit ihrer Präsenz auf dem Gebietdes Handels mit Spitzentechnologien große Fortschritteerzielt haben.

Viertens. Eines der Hauptthemen dieses Berichtes wieder Berichte der Vorjahre ist die Notwendigkeit, in For-

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11129

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Bundesministerin Dr. Annette Schavan

schung und Entwicklung ausreichend zu investieren.Das ist eine Bestätigung des 3-Prozent-Ziels. Ich binsehr zufrieden damit, dass wir bei den jetzt abgeschlos-senen Beratungen über den Haushalt 2008 zwischen demFinanzministerium und dem ForschungsministeriumKonsens darüber erzielen konnten, dass bei einem stei-genden BIP auch steigende Ausgaben notwendig sind.Wir werden in diesem und in den folgenden Haushalteneine Steigerung erleben, die dem neuen BIP gerechtwird. Wir werden dem 3-Prozent-Ziel wieder etwas nä-herkommen. Die Bundesregierung steht über alle Res-sorts hinweg zum 3-Prozent-Ziel.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Fünftens. Welche Instrumente sind zur Förderung vonForschung und Entwicklung geeignet? Die Diskussiondarüber ist bei uns bereits eröffnet. Wichtig ist die För-derung exzellenter Forschungsinstitutionen. Wir kön-nen stolz sein – wir sollten es auch in diesem Hause sa-gen – auf Tausende Forscherinnen und Forscher in Max-Planck-Instituten, in Helmholtz-Instituten, in Leibniz-In-stituten und an unseren Universitäten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Institutionelle Förderung ist wichtig. Diese Forsche-rinnen und Forscher tun viel für unser Land.

Ein weiterer großer Bereich, in dem wir in dieser Le-gislaturperiode enorm zugelegt haben, sind die Projekt-fördermittel. Viele dieser Mittel fließen in die High-techstrategie.

Es stellt sich außerdem die Frage, wie wir mit gutenErfahrungen in anderen Ländern, in denen der Grundsatz„Steuerpolitik ist Innovationspolitik“, umgehen. UnsereAufgabe in den nächsten Jahren wird sein, Ausschau zuhalten, wo sich welches zusätzliche Instrument als wirk-sam erwiesen hat, wo der Instrumentenkasten durch zu-sätzliche Instrumente im Bereich der Steuergesetzge-bung zu erweitern ist. Meine persönliche Überzeugungist: Die Erweiterung des Instrumentenkastens wird inDeutschland und in Europa notwendig sein, um die3 Prozent und weitere Ziele zu erreichen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Deshalb muss dieses Gespräch zu Erfolgen führen.

Sechstens. In diesen Tagen nach der Vorlage desOECD-Berichtes wird dieser wichtige Punkt öffentlichoffensiv diskutiert: der Fachkräftemangel. Die demo-grafische Entwicklung in Deutschland ist dabei dereine relevante Faktor. Der andere relevante Faktor ist: Jedynamischer die Wirtschaft sich entwickelt, umso mehrArbeitsplätze werden geschaffen, umso mehr geht dieArbeitslosigkeit glücklicherweise zurück. Was den Be-reich der neu geschaffenen Arbeitsplätze angeht, ist derAnteil der hochqualifizierten Kräfte immer größer. Wirmüssen alle Möglichkeiten nutzen: im Zusammenhangmit Bildung, Ausbildung, mit der Reduzierung der Stu-dienabbrecherquoten. Wir brauchen klare Strukturen derStudiengänge. Das geht bis hin zur Weiterbildung alsTeil von Personalentwicklungskonzepten in unseren Un-ternehmen.

Es war richtig, die Novelle des Zuwanderungsgeset-zes – sie wird morgen im Bundesrat beraten – zu verab-schieden. Dieses Gesetz enthält wichtige Fortschritte fürausländische Studierende. Sie können hier künftig beruf-lich einsteigen. Außerdem enthält dieses Gesetz wich-tige Fortschritte für ausländische Wissenschaftlerinnenund Wissenschaftler. Sie haben mich gefragt: Warumstimmen Sie dem zu? Ich stimme dem zu, weil dieseFortschritte zustande kommen müssen. Wir können da-mit nicht länger warten. Punkte, die noch strittig sind,werden wir in den nächsten Wochen und Monaten inner-halb der Koalition und zwischen Regierung und Parla-ment diskutieren. Mein Hauptsatz zu dem Ganzen lautet:Auch Deutschland muss Interesse an Talenten aus allerWelt haben, Deutschland muss für Talente aus aller Weltattraktiv sein.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD und der FDP)

Siebtens. Der Bericht zur technologischen Leistungs-fähigkeit in Deutschland bestätigt: Das Konzept derHightechstrategie empfiehlt ausdrücklich, dass Wissen-schaft und Wirtschaft nahe beieinander sind, natürlichePartner sind, dass forschungspolitische Zukunftskon-zepte ganz klar darauf ausgerichtet sein müssen, dasssich das, was aus exzellenter Grundlagenforschung anMöglichkeiten, Erkenntnissen, Wissen zur Verfügunggestellt wird, auch in der Wertschöpfungskette entfaltenund umsetzen lässt. Wir sind auf dem richtigen Weg. DieForschungsunion ist gleichsam die Institutionalisierungdieser Partnerschaft zwischen Wissenschaft und Wirt-schaft, ist die Institutionalisierung von Innovations-allianzen, die wir wollen. Ich bin froh, dass auch auf derEbene der Europäischen Union zunehmend neue Instru-mente entstehen, um diese natürliche Partnerschaft zwi-schen Unternehmen einerseits und Forschungsinstitutio-nen andererseits zuwege zu bringen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Die Instrumente, die wir zu Beginn der Legislatur-periode gewählt haben, die Hightechstrategie, die Ein-führung der Forschungsprämie fokussiert auf kleine undmittelständische Unternehmen, der jetzt vorbereiteteSpitzenclusterwettbewerb, die 17 Innovationsstrategien,die deutliche Erhöhung der Investitionen für Forschungund Entwicklung, wirken sich aus und werden einen ent-scheidenden Beitrag dazu leisten, dass die jetzt erreichtewirtschaftliche Dynamik anhält. Deshalb sage ich herz-lichen Dank allen in der Koalition, im Parlament und inder Regierung, die zu diesem Innovationskurs beigetra-gen haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Vizepräsidentin Petra Pau:Das Wort hat die Kollegin Cornelia Pieper für die

FDP-Fraktion.

(Jörg Tauss [SPD]: Hat Ihr Computer funktioniert?)

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11130 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007

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Cornelia Pieper (FDP): Nein. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-

legen! Zunächst die gute Nachricht: Nicht nur im Berichtzur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands,sondern auch in einer jüngst veröffentlichten Studie vonErnst & Young zum Standort 2007 wird Deutschland alsder führende Wirtschaftsstandort in Europa anerkannt,aber auch international auf Platz vier hinter China, denUSA und Indien gesehen.

(René Röspel [SPD]: Gute Arbeit der letzten Jahre!)

International tätige Unternehmen sehen bei den Top-10-Standorten für Forschung und Entwicklung und für denHauptsitz des Unternehmens Deutschland auf Platzzwei, jeweils hinter den USA. Das ist zunächst einmaldie gute Botschaft. Deutschland ist auf Expansionskurs.Wir haben in der Tat Wachstum. Für Wirtschaftswachs-tum brauchen wir mehr Investitionen in Bildung undForschung.

Aber wo Licht ist, ist eben auch Schatten, Frau Minis-terin. Ich frage mich: Welche Spielräume hat die Bun-desregierung geschaffen, um diesen Aufschwung zu un-terstützen? Sie nennen hier die Hightechstrategie alsKernaussage für die Wachstumsstrategie der Bundes-regierung. Ich kann Ihnen nur von unserer Seite aus sa-gen: Die Hightechstrategie bleibt ein Sammelsurium vonForschungsprogrammen und Forschungsprojekten.

(Jörg Tauss [SPD]: Nein!)

Wir brauchen aber in Deutschland wie in anderen euro-päischen Staaten das Bekenntnis zur Technologieführer-schaft auf internationaler, auch auf europäischer Ebene.

(Beifall bei der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Aber nicht nur auf einem Feld!)

Hier vermisse ich die Leitthemen, auf die Sie sichauch haushaltspolitisch konzentrieren. Für die FDP sinddas erstens, wie es die Bundeskanzlerin während derEU-Ratspräsidentschaft richtig gesagt hat, die Energie-und Klimaforschung, zweitens die Gesundheits- undUmweltforschung und drittens die Informations- undKommunikationstechnologie.

Wie sieht es denn mit der haushaltspolitischen Ver-stärkung aus, meine Damen und Herren? Sie nennen zuRecht das 3-Prozent-Ziel, also das Ziel, 3 Prozent desBIP für Forschung auszugeben. Sie gehen aber bei IhrenBerechnungen immer noch vom alten Bruttoinlandspro-dukt aus. Deswegen werden wir, wenn wir nicht mehrKraftanstrengungen anstellen, dieses 3-Prozent-Ziel inDeutschland nicht erreichen können.

Wie sieht denn die Struktur des Haushalts im Gesamt-etat aus? Der Anteil des Einzelplans 30 – Bildung undForschung – am Gesamthaushalt beträgt genau 3,2 Pro-zent, der des Einzelplans für Arbeit und Soziales fast dieHälfte. Das sind nicht die richtigen Prioritätensetzungen,wie wir sie uns für die Zukunft in Deutschland eigentlichvorstellen.

(Beifall bei der FDP)

Die eigentliche soziale Herausforderung des 21. Jahr-hunderts liegt ohne Zweifel in einer exzellenten Bil-dungs- und Forschungspolitik. Die demografische Ent-wicklung und der Fachkräftemangel fordern von unsmehr Investitionen in Bildung und Forschung, als wirbisher gehabt haben. Wir müssen da noch an Tempo zu-legen.

Nehmen wir als Beispiel doch einmal unsere europäi-schen Nachbarn! Frau Ministerin, in Großbritannienwerden die Forschungsinvestitionen von Unternehmenmit bis zu 150 Prozent gefördert; sie können steuerlichabgesetzt werden. Sie haben ein Energieforschungspro-gramm angekündigt, das bis 2011 laufen und einen Um-fang von 2 Milliarden Euro haben soll. Wir haben dieEnergieforschung bisher jährlich mit 500 Millionen Eurogefördert. Großbritannien hat gemeinsam mit der Wirt-schaft einen Energieforschungsfonds gegründet, in den1 Milliarde Pfund einfließen.

(Zuruf von der FDP: Hört! Hört!)

Wo sind die Anreize, die Sie für die Energiewirtschaftsetzen? Wir haben Ihnen vorgeschlagen, eine Stiftungfür Energieforschung ins Leben zu rufen, paketweiseLaufzeiten für Kernkraftwerke zu verlängern und denGroßteil der Erträge in einen Stiftungsfonds für Ener-gieforschung fließen zu lassen, um die Investitionen indiesen Wachstumsbereich zu erhöhen.

Die Deutschen sind laut OECD-Studie zu alt und zuwenig gebildet. Auch das kommt im Bericht zur techno-logischen Leistungsfähigkeit zum Ausdruck. Wir müs-sen da zulegen. Wir haben zu wenig Akademiker. Wirmüssen bei der Bildung besser werden. Wir müssen beider Mobilität im eigenen Land besser werden. Immernoch sind Schulabschlüsse und auch Hochschulab-schlüsse unter den Bundesländern nicht gegenseitig an-erkannt.

(Zuruf von der FDP: Unglaublich!)

Vor allen Dingen müssen wir natürlich auch dafür sor-gen, dass der Fachkräftemangel nicht zur Wachstums-bremse in Deutschland wird. Dazu kann ich Ihnen nursagen, Frau Ministerin: Da haben Sie eine Entwicklungverschlafen.

Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Pieper, Sie müssen jetzt bitte zum Schluss

kommen; sonst sprechen Sie auf Kosten der Redezeit derKollegin Flach.

Cornelia Pieper (FDP): Wir haben im Juni die Ausländerrechtsreform ver-

abschiedet. Sie haben die Chance dieser Reform nichtdafür genutzt, dass mehr Hochqualifizierte nachDeutschland kommen können. Jetzt wird es eine Bun-desratsinitiative auch unserer Länder geben.

(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Was heißt „unserer Länder“?)

Wir werden diese Initiative unterstützen.

(Beifall bei der FDP)

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11131

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Vizepräsidentin Petra Pau:Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege René

Röspel das Wort.

(Beifall bei der SPD)

René Röspel (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Schade, Frau Pieper, Sie fingen so gut an mitdem berechtigten Lob für die Situation in Deutschland– die Selbstkritik haben wir noch vor uns; die werdenwir auch üben –, und dann verfielen Sie leider wieder indas übliche Mäkeln und Schwarzmalen.

(Jörg Tauss [SPD]: Ja, unglaublich! Mäkelnmacht hässlich! – Gegenruf des Abg. RainerBrüderle [FDP]: Tauss ist wach! Guten Mor-gen, Herr Tauss!)

Wenn Sie einmal in den Bericht hineingeschaut hätten– er ist wirklich schön bunt gedruckt, und man findetviele gute Statistiken –, dann hätten Sie gesehen, dass zuder Zeit Ihrer Regierungsbeteiligung die Investitionen inForschung und Entwicklung zurückgegangen sind, ge-senkt worden sind, am Boden lagen.

(Beifall bei der SPD)

Erst wir haben es geschafft, die Investitionen seit weni-gen Jahren, langsam genug, wieder nach oben zu fahren.Man kann zwar die Situation bemängeln, aber der Blickzurück und das Fassen an die eigene Nase sind mituntersinnvoll und auch lehrreich.

Wir diskutieren heute über den Bericht zur techno-logischen Leistungsfähigkeit Deutschlands 2007.Deutschland ist zum vierten Mal hintereinander Export-weltmeister. Frau Ministerin hat zu Recht gesagt: For-schungsintensive Industriewaren im Volumen von428 Milliarden Euro sind im Jahr 2005 aus Deutschlandin andere Länder geliefert worden. Damit sind wir Tech-nologieexporteur Nummer eins in der Welt. Die Un-ternehmen, die viel in Forschung und Entwicklunginvestieren, die sogenannten F-und-E-intensiven Wirt-schaftszweige, sind der wesentliche Träger unseres Pro-duktionswachstums.

Deutschland ist gut bei den klassischen Industrie-zweigen Automobilbau, Chemie, Maschinenbau. Wirhaben aber nur eine ausgeglichene Handelsbilanz – dasist natürlich per se nicht schlecht – bei den Spitzentech-nologien in anderen Bereichen. Da haben wir deutlichenNachholbedarf. Der Kollege Tauss wird gleich über dieInitiative der Koalitionsfraktionen zu Informations- undKommunikationstechnologien – da müssen wir wirklichviel machen – berichten.

Ein Kapitel des Berichts bezieht sich auf die Umwelt-wirtschaft, ein sicherlich wichtiger Faktor: Rund5 Prozent aller Unternehmen in Deutschland befassensich mit Umwelttechnik und Umwelttechnologien;4,8 Prozent der gesamten Industrieproduktion und dreiViertel aller wissens- und forschungsintensiven Unter-nehmen entstammen diesem Bereich. Nach Auskunftdes Berichts sind diese Unternehmen überdurchschnitt-lich innovativ. Deutschland besitzt im Bereich der Um-

welttechnologie einen Weltmarktanteil von 16 Prozent;damit sind wir größter Exporteur von Umwelttechnolo-giegütern vor den USA. Trotzdem verläuft die Entwick-lung der Branche – das steht ja auch im Bericht – schlep-pend. Sie könnte deutlich besser laufen.

Dynamische Komponenten im Umweltbereich gibt esallein im Bereich Klimaschutz – das seit neuem, seitdemdie Diskussion zu Recht aufgenommen worden ist – undim Bereich regenerative Energien. In letzterem Bereichist unser Anteil am Welthandel seit der Jahrtausend-wende deutlich gestiegen und steigt weiterhin. Das istübrigens ein gutes Beispiel für staatliche Lenkungs- undRegulierungsmaßnahmen. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz, unter Rot-Grün geschaffen, ist – das wird deut-lich im Bericht hervorgehoben – nicht nur gut für Klimaund Umwelt. Dass wir in erneuerbare Energien, in Solar-und Windenergie investiert haben, ist auch gut für dieWirtschaft und damit für die Schaffung neuer Arbeits-plätze.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU – Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dennoch bleibt eine Vielzahl an Fragen offen. Wennman sich den Anteil der Investitionen in Forschung undEntwicklung am Bruttoinlandsprodukt anschaut – daswird auch im Bericht ausgeführt –, so stellt man fest,dass wir hinter anderen Ländern hinterherhinken.Schweden, Finnland, Japan, Korea, die Schweiz und dieUSA investieren deutlich mehr in Forschung und Ent-wicklung als Deutschland. Trotzdem sind wir Export-weltmeister.

Es ist zwar gut, mehr Investitionen in FuE zu tätigen,es müssen aber auch andere Parameter eine Rolle spie-len, weil allein die Investitionen in Forschung und Ent-wicklung demnach nicht dazu führen können, dass manExportweltmeister wird. Auf dem Forum Bildung derSPD vor einigen Wochen hat Professor Bosch vom Insti-tut für Arbeit und Qualifizierung der Universität Duis-burg-Essen einen interessanten Vortrag gehalten. Er hatgesagt – ich darf zitieren –: Das Geheimnis unsererWettbewerbsstärke liegt in der Diffusion von Innovationdurch die enge Kooperation von Entwicklern und quali-fizierten Machern.

Was heißt das? Das heißt zum Beispiel, dass in denUSA und Großbritannien die mittlere Führungsebenein den Unternehmen von gut ausgebildeten Ingenieurenoder Wissenschaftlern, die an der Universität gelernt ha-ben, besetzt wird. Diese haben profunde Kenntnis intheoretischen Fragen. In den deutschen Unternehmen istdas häufig anders: In der mittleren Führungsebene fin-den sich hochqualifizierte Meister und Techniker, die gutausgebildet sind und eine lange Erfahrung haben. Dassind die Macher, die Projekte umsetzen können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das heißt, wenn wir an dieser Stelle von Technologie-förderung und Leistungsfähigkeit reden, dürfen wir unsnicht allein auf die Investitionen in Forschung und Ent-wicklung konzentrieren, sondern wir müssten eigentlich

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11132 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007

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René Röspel

diesen Bericht zusammen mit dem Bundesbericht For-schung und dem Nationalen Bildungsbericht zusammendiskutieren, weil das ein Gesamtpaket ist und eine Ge-samtbetrachtung notwendig ist.

(Beifall bei der SPD)

Wichtig ist nämlich, dass gut ausgebildete Fachkräftevon der Universität und solche aus dem dualen Berufs-bildungssystem, für das Deutschland steht, zusammen-kommen und zusammenarbeiten. Verantwortung dafürtragen gleichermaßen die Unternehmen und die Politik.Die Unternehmen haben die Ausbildungsplätze zur Ver-fügung zu stellen, damit möglichst viele junge Men-schen – einige sind ja auch hier bei der Debatte anwe-send – eine Chance haben, einen Ausbildungsplatz zufinden und anschließend einen Beruf zu ergreifen,

(Beifall bei der SPD)

und vielleicht auch noch die Chance bekommen, sichweiterzuqualifizieren und gute Meisterinnen und Meistersowie Technikerinnen und Techniker zu werden – genaudie brauchen wir nämlich in der mittleren Führungs-ebene – oder ein Studium aufzunehmen. Dafür, jungenLeuten ein Studium zu ermöglichen, trägt im Wesentli-chen die Politik die Verantwortung.

Das läuft leider nicht in allen Bundesländern gut. Inmeinem Heimatland Nordrhein-Westfalen, CDU/FDP-regiert, wird von der Abschaffung der Grundschulbe-zirke bis zur Einführung von Studiengebühren die Aus-bildungsauslese leider verschärft. Das heißt, die Mög-lichkeiten für Kinder aus Arbeitnehmerfamilien bis hinzu Familien aus der Mittelschicht, ein Studium aufzu-nehmen, verschlechtern sich deutlich.

(Zuruf der Abg. Ulrike Flach [FDP])

Aufgrund der schon vorliegenden Anmeldezahlen, FrauFlach, lassen sich schon Vergleiche anstellen: Die Zahlder Studienanfänger in NRW ist um 3,9 Prozent zurück-gegangen. Das Talent zählt immer weniger und derGeldbeutel immer mehr.

Für uns von der SPD bleibt dagegen klar: Wir wollenmehr Ausbildung in den Betrieben als wesentlichen Be-standteil unseres Systems. Wir wollen mehr Bildung füralle von Anfang an. Deswegen haben wir frühkindlicheBildung und Förderung auf den Weg gebracht und für ei-nen Ausbau von Ganztagsschulangeboten gesorgt. Wirhaben das höhere BAföG durchgesetzt und werden daranfesthalten, damit Bildung eben nicht vom Geldbeutel derEltern abhängt.

(Beifall bei der SPD)

Wir werden uns auch für das Meister-BAföG einsetzen.

Ich bin froh, dass in dem Bericht diese Gesamtbe-trachtung nachvollzogen wird. Dort steht nämlich – die-ses kurze Zitat sei mir erlaubt –:

Langfristig sollte ein deutlich höherer Anteil derSchülerinnen und Schüler zur Studienberechtigungausgebildet werden, was allerdings einen grundle-genden Wandel des deutschen Bildungssystems nö-tig macht:

(Beifall bei der SPD – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aha!)

eine Abkehr von der bisher auf Auslese ausgerich-teten Bildungsphilosophie … zur größtmöglichenFörderung.

Das ist erforderlich, damit wir kein einziges Talent – un-abhängig davon, aus welchem Elternhaus es kommt –liegen lassen.

(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])

Wenn wir in die Menschen investieren, investieren wir indie Technologieförderung. Beste Bildung heißt besteTechnologie.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin

Dr. Petra Sitte das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)

Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will

gern zugeben, dass Berichtslektüre nicht unbedingt zumeinen Lieblingsbeschäftigungen gehört. Der Technolo-giebericht war aber schon im letzten Jahr sehr interessantund ist es auch in diesem Jahr.

Trotz anhaltender Exporterfolge hat sich die technolo-gische Leistungsfähigkeit Deutschlands auf längereSicht nicht gut entwickelt – das war der Alarmsatz desvorherigen Berichtes. Offensichtlich hat sich die Ein-sicht verbreitet, dass es so nicht weiterlaufen kann. For-schungs- und Innovationspolitik sind gewissermaßen ausden Puschen gekommen. Jetzt hat man sich Hightech-laufschuhe hingestellt.

Der jetzige Bericht honoriert das auch. Er zeigt aberzugleich, wo auch diese Schuhe Blasen verursachenkönnen. Manche dieser Kritiken kommt mir sehr be-kannt vor. Wir haben das hier schon sehr oft vorgetragen.

(Jörg Tauss [SPD]: Hightechlaufschuhe?)

– Darüber können wir gerne einmal reden. Davon ver-stehe ich eine ganze Menge.

Erstens wird in dem Bericht das Verhältnis vonstaatlichen zu privatwirtschaftlichen Forschungsaus-gaben untersucht. Den wachsenden öffentlichen Ausga-ben steht keine vergleichbare Entwicklung bei den FuE-Ausgaben der Unternehmen gegenüber. Im Gegenteil:Man beobachtet die Tendenz, dass die Unternehmen ei-gene Ausgaben mindern, indem sie öffentliche Förder-mittel in Anspruch nehmen. Das ist eine absurde Ent-wicklung, der Einhalt geboten werden muss.

Zweitens wird in dem Bericht kritisiert, dass der Lö-wenanteil öffentlicher Fördermittel bereits boomendenGroßunternehmen gewährt wird. In diesem Zusammen-hang werden Unternehmen aus der Automobilindustrie,dem Maschinenbau, der Chemie, der Informations- und

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Dr. Petra Sitte

Kommunikationstechnik sowie der Logistik genannt. Siewerden sich erinnern, dass genau diese Unternehmenhervorragende Exportwerte erzielen. Das heißt alsonichts weiter, als dass man fette Kröten noch fettermacht und dass die öffentliche Förderung an anderen,viel notwendigeren Stellen letztlich auf zu schmalen Fü-ßen steht.

Drittens sollen laut Bericht innovative kleine undmittelständische Unternehmen ins Zentrum der Förde-rung gerückt werden. Ich bin den Verfassern des Be-richts an dieser Stelle überaus dankbar. Sie sagen näm-lich etwas, was wir uns hier nie trauen dürfen: dass dieUnternehmensteuerreform für genau diese Unterneh-mensgruppe keine Impulse für eigenständige FuE-Akti-vitäten setzen wird.

(Ulrike Flach [FDP]: Das sagen wir aber stän-dig, Frau Sitte!)

– Prima; dann sind wir ja schon zu zweit. – Deshalbmuss der Wissenstransfer zu innovativen kleinen undmittelständischen Unternehmen konsequent stimuliertwerden. Vor allen Dingen müssen auch die Startbedin-gungen für innovative Unternehmensgründungen ver-bessert werden.

Als Instrumente werden in dem Bericht unter ande-rem Wagniskapital und die Forschungsprämie unter-sucht. So erhalten Wissenschaftseinrichtungen mit derForschungsprämie zusätzliche Gelder auf ihre Einnah-men aus Forschungsaufträgen aus der Wirtschaft. Sie be-kommen also sozusagen den Blubb in den Spinat.

Dort liegt aber nicht das Hauptproblem. Darauf habeich schon oft hingewiesen. Der Bericht bestätigt das end-lich. Dort heißt es nämlich – ich zitiere –: Insgesamt gilt,dass die Forschungsprämie nicht an einer ausgemachtenSchwachstelle der Wissenschafts-Wirtschafts-Koopera-tion ansetzt.

Die Linke hält es für sinnvoll, die Forschungsprämieauf innovative kleine und mittelständische Unternehmenauszudehnen. Dabei wollen wir auch die gemeinnützi-gen Forschungs-GmbHs im Osten einbeziehen, die einenGroßteil der Industrieforschung betreiben. Nun ist diesePosition endlich im Haushalt vermerkt. Sie nennt sichdort Forschungsprämie II und soll mit 76 Millionen Euround weiteren Steigerungen in den Folgejahren ausgestat-tet werden. Das freut mich. Steter Tropfen höhlt denStein; er hat Erfolg.

Einen vierten Problemkreis, der im Bericht angespro-chen wird, könnte man eigentlich auf eine tibetanischeGebetsmühle schreiben: Fachkräftemangel, Fachkräf-temangel, Fachkräftemangel. Seit Jahren wird darübergeredet. Aus eigener Erfahrung kenne ich entsprechendeDebatten aus meiner Zeit als Landtagsabgeordnete; aberauch im Bundestag ist dieses Thema schon längere Zeitaktuell. In diesem Punkt ist der Bericht mit Aussagenaus den Vorgängerberichten deckungsgleich. Diese Fehl-entwicklung reißt natürlich große Löcher in den High-techbereich dieses Landes.

Kehren wir noch einmal zu dem Bild aus dem Sport-bereich zurück: Wir haben sehr gute Sportschuhe und

hervorragende Wettkampfstätten. Aber was fehlt, sinddie Spitzensportler. So verpufft die ganze Investition.

In dem Bericht werden auch Gründe genannt, die derLinken ausgesprochen bekannt vorkommen: Die Abbre-cherquoten an den Hochschulen sind dramatisch hoch.Das ist die logische Konsequenz einer verfehlten und un-terfinanzierten Studienreform.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Studiengebühren, so steht es im Bericht, schreckenStudienbewerberinnen und Studienbewerber ab. Das ha-ben auch wir schon mehrfach gesagt.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Dass es in dem Bericht ebenso gesehen wird, sollte end-lich Anlass sein, einmal umzusteuern.

Ebenso kontraproduktiv wirken schlechte Studienbe-dingungen und natürlich auch zusätzliche Zulassungsbe-schränkungen der Hochschulen. Hochschulpakt undExzellenzinitiative als Gegenmaßnahmen der Bundesre-gierung reichen gemäß dem Bericht in dieser Form nichtaus. Der Bericht besagt auch noch – das ist ein sehrschöner Satz, Herr Röspel, den Sie herausgesucht haben;ich habe ihn mir über den Spiegel gehängt –, dass dasPrinzip der Auslese verlassen werden muss, um einegrößtmögliche individuelle Förderung einzuräumen.

(Beifall bei der LINKEN – René Röspel[SPD]: Ich wusste, dass Sie das vorlesen wür-den! – Jörg Tauss [SPD]: Das haben wir schonimmer gesagt! Das ist klassische SPD-Posi-tion!)

Das gehört natürlich alles zu dem Kanon, mehr Fach-kräfte auszubilden.

Was können Sie wirklich ändern? Sie können in die-sem Hause nicht wirklich etwas ändern, weil Sie sich imvergangenen Jahr mit der Föderalismusreform alle In-strumente selber aus der Hand geschlagen haben. Siemüssen jetzt versuchen, zusammen mit den Ländern einWissenschaftsförderprogramm aufzulegen – Sie müssensozusagen darum bitten, dass man das gemeinsam macht –,damit man an diesem Punkt entsprechende Ausgaben tä-tigen kann und damit endlich der Fachkräfte- und Aka-demikermangel konsequent angegangen werden kann.

Was lehrt uns dieser Bericht insgesamt? Er lehrt uns,dass staatliche Bildung, Forschungs- und Technologie-politik zusammengehören und dass man daraus keinenFlickenteppich machen darf, weil die angestrebten Zielekomplex sind.

(Jörg Tauss [SPD]: Deshalb heißt es Bildung und Forschung!)

Nur so – ich will ausdrücklich daran erinnern, weil esum Steuergelder geht – kann ein echter Mehrwert für un-sere Gesellschaft entstehen: mehr Beschäftigung, gesi-cherte soziale Lebensverhältnisse und Minimierung desRessourceneinsatzes.

Danke schön.

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11134 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007

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Dr. Petra Sitte

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Swen Schulz [Spandau] [SPD])

Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Priska Hinz für die Frak-

tion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Be-richt, über den wir heute diskutieren, zeigt sehr deutlich,dass die Grundlage für die technologische Leistungsfä-higkeit in Bildung, Ausbildung und der Qualifizierungvon Nachwuchswissenschaftlern liegt. Auch ich habemir diesen vorhin schon mehrmals zitierten Satz des Be-richts zu Gemüte geführt,

(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Ich komme damit auch noch mal!)

dass wir einen Wandel im deutschen Bildungssystembrauchen. Das wird der Bundesregierung ins Stammbuchgeschrieben. Ich finde, das sollte vor allen Dingen dieCDU einmal beherzigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das mehrgliedrige Schulsystem ist eine echte Innova-tionsbremse.

(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])

Das steht in allen Studien. Auch alle Wirtschaftsinstitutewerden Ihnen das bestätigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Nicht nur die Zahl der fehlenden Ausbildungsplätzeund die Tatsache, dass ein Konzept zur Weiterbildungbislang fehlt, sondern auch der Anteil der Studienbe-rechtigten lässt zu wünschen übrig. Hier muss mehr ge-tan werden, um dem drohenden Fachkräftemangel in un-serem Land zu begegnen. Ich muss feststellen, dass auchdie SPD dem nichts entgegenzusetzen hat; denn die Ko-alition entfernt sich immer mehr von dem Ziel, eine An-fängerquote von 40 Prozent zu erreichen. Die Quoteliegt mittlerweile unter 35 Prozent. Auch das schwächtdie Leistungsfähigkeit dieses Landes.

(Jörg Tauss [SPD]: Was hat das mit der SPD zu tun?)

– Sie sind doch mit in der Bundesregierung, oder nicht?Dem müssen Sie doch entgegenwirken.

Was tun Sie denn gegen den Mangel an Frauen intechnischen und naturwissenschaftlichen Ausbildungs-gängen und Berufen? Auch hier ist keine Strategie zu se-hen. Wir wissen doch: In allen Bereichen der wissen-schaftlichen Forschung sind Frauen unterrepräsentiert.Frau Schavan, Sie müssen die Vergabe von Fördergel-dern endlich daran knüpfen, dass Stellen mit Frauen be-setzt werden. Frauen gehören zu dem Potenzial, das fürdie technologische Leistungsfähigkeit auch in der Wis-senschaft in Deutschland wichtig ist. Da müssen Sie

endlich mehr tun, als immer nur Sonntagsreden zu hal-ten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kritisiert wird in dem vorliegenden Bericht auch derMangel an Zuzug von ausländischen qualifiziertenFachkräften; darauf sind Sie ja kurz eingegangen, FrauSchavan. Sie haben mit dem Zuwanderungsgesetz nichtsverbessert. Die ausländischen Studierenden werdenkünftig nur für ein Jahr eine Aufenthaltserlaubnis erhal-ten. Diese Regelung führt zu einem hohen bürokrati-schen und finanziellen Aufwand, zeigt aber auch, dassausländische Studierende hier nicht willkommen sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Dass die Forschungsorganisationen verpflichtet werden,die Kosten für eine eventuelle Abschiebung der exzel-lenten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dieaus dem Ausland nach Deutschland geholt wurden, zuzahlen, ist doch ein Rückschritt und kein Fortschritt. Dasist doch kein Willkommensgruß für ausländische Wis-senschaftler und Wissenschaftlerinnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Übrigen haben Sie, Frau Schavan, mit Ihrer na-mentlichen Abstimmung über diesen Gesetzentwurf dieAbsenkung der Einkommensgrenze für Höherqualifi-zierte verhindert, um anschließend, nämlich eine Wochespäter, auf jeder Pressebühne lauthals zu verkünden,dass Sie das eigentlich ganz anders wollen. Dafür hättenSie vorher lauthals im Kabinett werben sollen. Sie hättenin den Ausschuss kommen und unserem Antrag zustim-men sollen. Sie hätten vorher in der Koalition dafürkämpfen sollen und sollten nicht hinterher sagen: Jetztbin ich eigentlich dafür, dass das Gesetz noch einmalverändert wird. – Wir wissen doch, dass das in dennächsten Jahren nicht erfolgen wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist ein absurdes Spiel, was Sie hier vorführen.

Auch zeigt sich, dass die Bundesregierung in den ein-zelnen Bereichen das Leistungspotenzial noch nichtausgeschöpft hat – auch nicht durch entsprechende För-derinstrumente. Ich nenne zum Beispiel die Umwelt-technik. Da gibt es immer noch jede Menge ineffektiverEnergieforschungsförderung. Zum Beispiel werden Mil-lionen Euro durch falsche Planung und Verzögerungenbeim Bau des Kernfusionsreaktors in Greifswald in denSand gesetzt.

(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Das ist jaunglaublich! Da redet die Blinde von derFarbe!)

Sie begreifen anscheinend trotz des Energiegipfels im-mer noch nicht, dass wir eine Bildungs- und Forschungs-initiative im Bereich der erneuerbaren Energien brau-chen und nicht auf Atomenergie setzen sollten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wahrscheinlich haben Sie die Debatte zur Energiefor-schung auf die Nachtstunden gesetzt, damit die Reden

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Priska Hinz (Herborn)

hierzu zu Protokoll gegeben werden können und nichtwieder vor dem versammelten Hause ein Streit in derKoalition ausbricht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir dagegen fordern in unserem Antrag, dass dasMarktanreizprogramm zu einem Innovationsprogrammumgestaltet wird. Es muss auch für die Bereiche Stromund Mobilität geöffnet werden, damit die Entwicklungeiner nachhaltigen Energiegewinnung und alternativerAntriebssysteme im gesamten Verkehrsbereich gefördertwerden kann. Davon können dann vor allen Dingenkleine und mittlere Unternehmen mit ihren Fachkräftenprofitieren.

Ich möchte noch auf einen anderen Punkt zu sprechenkommen, Herr Tauss, auf Ihre IKT-Strategie.

(Jörg Tauss [SPD]: Zu der sage ich gleich et-was!)

In Ihrem Antrag erklären Sie die IKT zum wichtigstenInnovationsmotor.

(Jörg Tauss [SPD]: Das ist eines der Felder! Richtig!)

– Sie sind die Nummer eins; so steht es in Ihrem An-trag. – Dann behaupten Sie doch tatsächlich, dass einwichtiges Element der IuK-Politik der Großen Koali-tion die Förderung der Exzellenzinitiative ist. Wen wol-len Sie hier eigentlich für dumm verkaufen?

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN – Jörg Tauss [SPD]:Niemanden!)

Die Exzellenzinitiative ist so gestaltet, dass die Bundes-regierung und auch die Koalition keinen Einfluss daraufnehmen können, welche Cluster und welche For-schungsfelder von der Jury ausgewählt werden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das muss doch nicht alles die Politik machen!)

Dann zu sagen: „Das ist Bestandteil unserer Forschungs-förderstrategie“, ist mehr als peinlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das steht in Ihrem Antrag. Sie sollten ihn vielleicht ein-mal genauer lesen, bevor Sie ihn unterschreiben.

Das Schönreden geht weiter: Sie brüsten sich damit,dass der funktionierende Wettbewerb in Deutschland zueiner ausgezeichneten Kommunikationsinfrastruktur führt.Das stimmt leider nicht. Im Gegenteil: Deutschland hinkthinsichtlich des Breitbandausbaus im Vergleich mit denanderen europäischen Staaten weit hinterher. Insbeson-dere beim DSL-Ausbau steht Deutschland schlecht da.Noch schlimmer ist aber, dass die Regierungsfraktionenebendiesen funktionierenden Wettbewerb durch das neueTelekommunikationsgesetz verhindern. Wenn die Tele-kom von der Regulierung ausgeschlossen wird, fördertdas den Wettbewerb nicht, sondern verhindert ihn. Das istkeine gute Botschaft für den Standort Deutschland.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie sollten unseren Antrag nutzen, um Ihre Regie-rungspolitik zu verbessern. Setzen Sie hinsichtlich derQualifizierungsstrategie für Ausbildung und in den Zu-kunftsfeldern Energie, IuK-Technologie, Nanotechnolo-gie und Weiße Biotechnologie auf die von uns benanntenAnreize, um das 3-Prozent-Ziel zu erreichen. Dann wer-den wir die technologische Leistungsfähigkeit tatsäch-lich nachhaltig ausbauen können.

Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Hinz, Sie müssen bitte zum Schluss kom-

men.

Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):

Stimmen Sie unserem Antrag zu; dann sieht dernächste Bericht noch besser aus.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Ilse Aigner für die Unions-

fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ilse Aigner (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Erst vor wenigen Wochen konntenwir über den Bericht zur technologischen Leistungsfä-higkeit 2006 diskutieren. Das war leider etwas spät.Heute aber diskutieren wir über den fast druckfrischenBericht zur technologischen Leistungsfähigkeit 2007.

(Ulrike Flach [FDP]: Aber auch nur bis 2005!)

Ich begrüße das als ein Zeichen dafür, dass die technolo-gische Entwicklung in diesem Land von diesem Haus,der Koalition und der Bundesregierung als wichtig er-achtet wird.

Der Bericht befasst sich allerdings im Wesentlichenmit der Vergangenheit. Sehr geehrte Frau Hinz, die Kri-tik bezieht sich auf die Zeit, in der Sie mit Verantwor-tung getragen haben. Auch das sollte man einmal sagen.

Wichtig ist aber, dass der Bericht auch Zukunftsfra-gen berücksichtigt. Zum Beispiel geht er auf Aspekteunserer Hightechstrategie ein und bewertet es als posi-tiv, dass wir uns um die Rahmenbedingungen für For-schung und Innovation kümmern. Wir wissen, dass daszwingend notwendig ist; denn die anderen Länder holenauf. Sie investieren nicht nur massiv in Forschung undEntwicklung, sondern haben meist auch günstigere Rah-menbedingungen, insbesondere was die Lohnnebenkos-ten und die Lohnstückkosten betrifft. Wie lange das ihreinziger Vorteil sein wird, ist fraglich. Ich glaube, siewerden auch in den anderen Bereichen aufholen. In die-sem Hause sind wir uns einig, dass wir den Wettlauf umdie billigsten Löhne nicht gewinnen werden und auchnicht gewinnen wollen.

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11136 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007

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Ilse Aigner

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD und der Abg. Dr. Petra Sitte[DIE LINKE])

Wir sollten uns aber auch darüber einig sein, dass wir umden Teil, den wir teurer sind, auch besser sein müssen.Vielleicht müssen wir in manchen Bereichen einfach nurschneller und etwas mutiger sein.

Deutschland ist ein Land mit einem unwahrscheinli-chen Ideenreichtum. Das zeigen die nach wie vor her-vorragenden Patente, die angemeldet werden. Ob undwie die Zahl der Patentanmeldungen gesteigert werdenkann, ist eine wichtige Frage. Noch viel wichtiger istaber die Frage, wie wir die Patente schnellstmöglich inerfolgreiche Produkte umsetzen können.

Der Bericht geht auch auf die gerade verabschiedeteUnternehmensteuerreform ein. Einerseits wird aner-kannt – das halte ich nach wie vor für wichtig –, dass diegesenkten Steuersätze auch in den Bereichen Forschungund Entwicklung positive Impulse mit sich bringen. An-dererseits sieht es der Bericht als problematisch an, dassdie Gegenfinanzierungsmaßnahmen insbesondere imBereich der innovativen Unternehmen nicht nur positiveAuswirkungen haben. Das haben wir in der Debatte be-reits angesprochen. Wir begrüßen, dass zeitgleich derEntwurf eines Wagniskapitalgesetzes eingebracht wer-den soll, das genau diese Probleme aufgreift und ausbes-sert.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich glaube, dass sich die Mitglieder unserer Arbeits-gruppe in diesem Bereich noch mehr vorstellen können.Mehr war allerdings nicht möglich. Umso mehr möchteich mich bei den Verhandlungsführern der Unionsfrak-tion bedanken, dass sie gerade hier wesentliche Verbes-serungen der ursprünglichen Eckpunkte des Wagniskapi-talgesetzes erreicht haben. Das ist mit Sicherheit einSchritt in die richtige Richtung.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Bericht zur technologischen LeistungsfähigkeitDeutschlands enthält erstmals ein eigenes Kapitel zurLeistungsfähigkeit unserer Umweltwirtschaft. Ich denke,das ist aus guten Gründen so. Denn der gesamte Bereichder Umwelttechnologien gehört zu den Zugpferden un-serer Wirtschaft. Wir sind hier Exportweltmeister undwollen es auch bleiben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Der Klimawandel ist eine riesige technologische He-rausforderung. Die Kompetenz unserer Wirtschaft aufdiesem Gebiet ist daher weltweit gefragter denn je. DieDeutsche Bank hat gerade eine Studie mit dem Titel„Manche mögen’s heiß!“ herausgegeben. Darin wird un-tersucht, welche Branchen vom Klimawandel profitierenkönnen. Dies sind natürlich in erster Linie CO2-freieoder CO2-arme Energietechnologien und ein großer Teilder Umwelttechnologien.

Ich will aber ausdrücklich hinzufügen: Hier geht esnicht nur um wirtschaftliche Exportchancen. Die hohe

Kompetenz unserer Wissenschaft und Wirtschaft bringtauch eine besondere Verantwortung mit sich. Weil wir eskönnen, müssen wir eine internationale Schrittmacher-funktion bei der Begrenzung des Klimawandels und sei-ner Folgen übernehmen.

In dem Bericht wird allerdings auch ein Absinken derFuE-Projektförderung im Umweltbereich im Berichts-zeitraum konstatiert, also deutlich in der Vergangenheit.Ich glaube, das können wir uns nicht leisten.

(Beifall des Abg. René Röspel [SPD])

Die Ministerin mit ihrem Haus hat deutliche Zeichen ge-setzt. In den vergangenen Haushalten wurden und in dennächsten Haushalten werden die Mittel für die Projekt-förderung deutlich aufgestockt.

Unsere Unternehmen müssen immer neue Lösungenanbieten können. Dazu brauchen sie Unterstützung. Esgibt noch viele Beispiele, gerade im Umweltbereich. Indieser Woche, in der der Energiegipfel stattgefunden hat,sind wichtige Zeichen gesetzt worden.

Es gibt viel zu tun. Wir packen es auch an. Wir wollenmit unserer Ministerin und unseren Arbeitsgruppen dieForschung und Entwicklung für eine gute Zukunft nachvorne treiben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Ulrike Flach für die FDP-

Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Ulrike Flach (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das vor-

liegende Zahlenwerk macht die Defizite der deutschentechnologischen Leistungsfähigkeit der letzten Jahrewieder einmal sehr klar.

(Jörg Tauss [SPD]: Jetzt sagen Sie doch einmal etwas Nettes!)

Erstens. In der rot-grünen Regierungszeit, lieber HerrTauss, sind wir dem 3-Prozent-Ziel nicht wesentlich nä-hergekommen, obwohl Sie deutlich mehr als vorher aus-gegeben haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Aber nähergekommen!)

Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben jetzt eine etwasbessere Situation. Sie, Frau Schavan, geben mehr aus.Aber, wie wir gestern im Haushaltausschuss besprochenhaben, gibt es auch in Ihren Reihen eine ganze Reihevon Personen, die fest davon überzeugt sind, dass wirdas 3-Prozent-Ziel trotzdem nicht erreichen werden. Andieser Stelle möchte ich Herrn Röspel auf Folgendeshinweisen: Es ist immer einfach, zu sagen, dass vorheralles schlecht war.

(Jörg Tauss [SPD]: Nicht alles, aber vieles!)

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Ulrike Flach

In den 80er-Jahren waren wir schon bei 2,9 Prozent,übrigens unter einem liberalen Bildungsminister. Dassage ich zu Ihrer Erinnerung.

(Jörg Tauss [SPD]: Möllemann! Einmal 1 Milliarde!)

– Dreimal.

Zweitens. Der Zugang von jungen FuE-Unternehmenzu Wagniskapital ist im internationalen Vergleich man-gelhaft. Das, was Sie unter Rot-Grün geboten haben, warnicht gewaltig. Bei Ihnen, Frau Schavan, wird es besser.Aber es bleibt ein massives Manko.

Drittens. Die Absolventenquoten – darüber wurdevorhin schon viel geredet – an den deutschen Hochschu-len waren zu gering. Die Abbrecherquoten an Schulenund Hochschulen waren zu hoch. Hier sehen wir defini-tiv keinen Fortschritt. Ich glaube auch nicht, FrauSchavan, dass die Qualifizierungsoffensive im Herbstviel helfen wird. Ich denke, das ist der falsche Weg.

(Jörg Tauss [SPD]: Warten wir einmal ab!)

Übrigens, lieber Herr Tauss, nicht die liberale Partei,sondern die Stiftung Marktwirtschaft

(Jörg Tauss [SPD]: Noch schlimmer! – Rainer Brüderle [FDP]: Da sind Sozis dabei!)

hat vor wenigen Tagen erklärt, die internationale Wett-bewerbsfähigkeit des Landes verschlechtere sich zwarnur langsam, aber dennoch gebe es Anzeichen dafür,dass Deutschland seinen Vorsprung bei der technologi-schen Leistungsfähigkeit zunehmend verliert bzw. teil-weise verloren hat. Ich glaube nicht, dass ein solcherSatz in irgendeiner Weise das belegt, was Sie gerade ver-sucht haben, uns klarzumachen. Es geht offensichtlichnicht besser, sondern stagniert bzw. wird schlechter.

(Beifall bei der FDP)

Lassen Sie mich noch etwas dazu sagen, dass wirmehr ausgeben sollen. Frau Schavan, wir haben darüberschon sehr oft ziemlich ausführlich diskutiert. Sie habenProbleme, uns zu belegen, dass dadurch, dass Sie zuge-gebenermaßen mehr Geld investieren – wir finden esgut, dass Sie das tun –, tatsächlich neue Arbeitsplätzeentstehen. Darüber hinaus haben Sie Schwierigkeitenmit der Statistik. Das ist allerdings Ihr Problem; ichhoffe, Sie können es lösen.

Sie haben uns in diesem Hause und andernorts immerwieder gesagt, dass Sie durch Ihre Aktion 1,5 Millionenzusätzliche Arbeitsplätze im wissensbasierten Bereichschaffen wollen. Daran sind Sie zu messen. Ich hoffe,dass Sie dieses Ziel erreichen. Auch wir wollen natür-lich, dass so viele Arbeitsplätze entstehen. Aber wir kön-nen einfach nicht glauben, dass Sie dieses Ziel durch dieMaßnahmen, die Sie bisher auf den Weg gebracht haben,erreichen werden.

(Florian Pronold [SPD]: Sehr flach!)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auf dasThema Wagniskapital zurückkommen. Herr ProfessorRiesenhuber hat uns bereits erklärt, dass all das ganz tollsei.

(Jörg Tauss [SPD]: Er erklärt es Ihnen gerne noch einmal!)

Aber wie Sie wissen, sehen Ihre eigenen Leute das nichtso. An dieser Stelle möchte ich Herrn Meister zitieren,der gesagt hat, es sei „schade, dass eine Einigung mit derSPD nur für den Teilbereich des Wagniskapitals erzieltwerden konnte.“ Offensichtlich habe sich der Finanz-minister „nicht gegen die linken Kräfte seiner Partei undFraktion durchsetzen können.“

(Jörg Tauss [SPD]: Was?)

Lieber Herr Riesenhuber, ich wäre froh gewesen,wenn es anders gekommen wäre. Aber wir sind inDeutschland nach wie vor nicht in der Lage, vor allemdie jungen und innovativen Unternehmen zu stützen. Ichwäre auch froh gewesen, wenn Sie an dieser Stelle demAntrag der Grünen gefolgt wären. Die Grünen haben dasProblem nämlich richtig erfasst. Daher werden wir ihnenan dieser Stelle folgen. Der Schwerpunkt muss bei For-schung und Entwicklung gesetzt werden.

Das, was Sie, Frau Schavan – offensichtlich gemein-sam mit Finanzminister Steinbrück –, machen, ist Fol-gendes: Sie stützen vor allen Dingen die mittelständi-sche Wirtschaft. Das ist ein honoriges Ziel. Im Prinzipist dagegen nichts einzuwenden.

(Jörg Tauss [SPD]: Ja!)

Aber die technologische Leistungsfähigkeit unseres Lan-des werden Sie dadurch nicht exzessiv steigern.

(Jörg Tauss [SPD]: Warum das denn nicht? Das ist doch ein zentrales Problem!)

Zum Abschluss möchte ich noch auf das Zuwande-rungsgesetz zu sprechen kommen. Hier nützt blühendeRhetorik wenig. Sie werden Ihre Anstrengungen deut-lich erhöhen müssen. Bereits am Freitag dieser Wochekönnten Sie das Zuwanderungsgesetz im Bundesrat überdie Länder, in denen Sie regieren, entsprechend verän-dern.

(Jörg Tauss [SPD]: Oh! Macht das doch übereure Länder! Was ist denn mit Baden-Württemberg? Dass da etwas passiert, be-zweifle ich aber!)

Unsere Unterstützung hätten Sie. Ich glaube, das würdeunserem Standort insgesamt sehr nützen.

(Beifall bei der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Dabin ich aber auf Baden-Württemberg, Nord-rhein-Westfalen und Niedersachsen gespannt!– Florian Pronold [SPD]: Sehr flach!)

Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Swen Schulz für die SPD-

Fraktion.

(Beifall bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Das wird jetzt gut!)

Swen Schulz (Spandau) (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Vorbe-

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11138 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007

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Swen Schulz (Spandau)

reitung auf meine Rede fiel mir ein, dass ich imJahre 2003 meine erste Rede im Deutschen Bundestaggehalten habe.

(René Röspel [SPD]: Und die war gut!)

Das Thema meiner damaligen Rede war der Bericht zurtechnologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands. Ichmöchte jetzt nicht in Erinnerungen an die guten alten rot-grünen Zeiten schwelgen, obwohl das sicherlich Spaßmachen würde.

(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])

Vielmehr möchte ich auf etwas hinweisen, was ich inmeiner damaligen Rede gesagt habe – an dieser Stellemöchte ich mich ausnahmsweise einmal selbst zitie-ren –:

Im Technologiebericht nimmt der Bereich Bildungdiesmal zu Recht einen Schwerpunkt ein; dennschließlich stellt das Bildungssystem das Funda-ment der technologischen Leistungsfähigkeit dar.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – JörgTauss [SPD]: Da hattest du recht! – FlorianPronold [SPD]: Super!)

– Ja, damit hatte ich schon damals recht.

(Jörg Tauss [SPD]: Ja, schon damals!)

Im weiteren Verlauf meiner Rede sagte ich etwas überdie damalige Opposition; das lasse ich jetzt weg.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – PriskaHinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Warum das denn? Das wäre doch jetzteinmal interessant! Bitte vorlesen!)

Dann geht es wie folgt weiter:

Der Bericht beschreibt insbesondere im Bereich derHochqualifizierten einen deutlichen Mangel, der zuerheblichen Problemen führen wird, wenn wir nichtenergisch gegensteuern.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

In der Tat: Wo ich recht habe, habe ich recht.

Im Ernst: Das Thema Fachkräftemangel war schonzum damaligen Zeitpunkt, im Jahre 2003, nicht neu. Injedem Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeitder letzten Jahre wurde dieses Problem beschrieben, undzwar als immer drängender. Die Botschaft lautete: Wirmüssen erhebliche Anstrengungen unternehmen, damitwir nicht abgehängt werden, damit wir unsere Volkswirt-schaft weiterentwickeln können und damit wir auch ge-sellschaftlich vorankommen. Das kommt übrigens auchin anderen Studien klar zum Ausdruck.

In der letzten Woche haben wir im Ausschuss über dieErgebnisse einer Studie des Büros für Technikfolgenab-schätzung zur Zukunft der Arbeit diskutiert. In dieserStudie wurde ganz deutlich ein doppeltes Dilemma be-schrieben: Einerseits gibt immer weniger Tätigkeiten fürGeringqualifizierte, und andererseits fehlen immer mehrHochqualifizierte.

Jetzt hat die Bundesbildungsministerin einen Vorstoßgemacht, um den Zuzug ausländischer Fachkräfte zuerleichtern. Frau Ministerin, ich finde das gut, weil Siedamit ein Thema ansprechen, das für die politischeRechte schwierig ist. Allerdings stellt sich die grundle-gende Frage, was getan wird, um das Bildungswesen inDeutschland so zu verbessern, dass ein Fachkräfteman-gel gar nicht erst entsteht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Denn es ist klar: Dieses Problem ist hausgemacht.

Damit keine Missverständnisse entstehen: Der Bund– Rot-Grün und nun die Große Koalition – hat Erhebli-ches geleistet, und wir haben noch viel vor: vorschuli-sche Bildung und Betreuung. Das Ganztagsschulpro-gramm war ein Erfolg.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es gibt den Hochschulpakt. Wir verbessern das BAföG,ergreifen Initiativen zur Förderung der Aus- und Weiter-bildung und vieles mehr. Der Bundeshaushalt für Bil-dung und Forschung ist seit 1998 stark angestiegen.Auch im Entwurf für 2008 sind kräftige Zuwächse vor-gesehen. Doch wir dürfen im Tempo nicht nachlassen,wir müssen weiter zulegen. Wir müssen aber auch sehen:Die Bundesregierung, der Bundestag kann das nicht al-leine schaffen – dazu benötigen wir die Bundesländerund natürlich auch die Wirtschaft.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es ist doch aberwitzig, dass viele Unternehmen jahre-lang ihren Ausbildungspflichten nicht nachkommen undnun von der Politik verlangen, sie möge den Weg frei-machen für die erleichterte Anwerbung von ausländi-schen Fachkräften.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich meine, wir sollten das nur zulassen, wenn die Wirt-schaft im Gegenzug verpflichtet wird, sich endlich selbstausreichend um Aus- und Weiterbildung zu kümmern.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Im Bericht wird von der realen Gefahr eines massivenUnterangebots an akademischen Fachkräften gespro-chen, und es wird als kurzfristige Maßnahme, gewisser-maßen zur Überbrückung aktueller Engpässe, dieErleichterung der Beschäftigung ausländischer Fach-kräfte vorgeschlagen. Vor allem aber hebt der Berichtauf langfristig wirkende Maßnahmen in Deutschland ab:Ein deutlich höherer Anteil der Ausländer, die an deut-schen Hochschulen einen Abschluss machen, sollen inDeutschland gehalten werden. Wir haben ja ausländi-sche Studierende, aber eher zu wenige als zu viele. Erstinvestieren wir in ihre Bildung, dann schicken wir vielevon ihnen wieder weg – das ist Unsinn.

(Beifall des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Ulrike Flach [FDP]: Das istkurzsichtig!)

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11139

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Swen Schulz (Spandau)

In dem Bericht wird darüber hinaus gefordert, die Ab-brecherquoten an den Hochschulen zu senken. Zitat:Dazu sind mehr Mittel für die Lehre notwendig. – Rich-tig: Wir müssen in die Qualität der Lehre investieren.Die Studierendenquote – auch das steht im Bericht –muss erhöht werden. Dafür muss das Studium attraktivergemacht werden, und es darf keine unnötigen Zugangs-beschränkungen geben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen den Ausbau der Kapazitäten. Der Hoch-schulpakt ist ein guter Auftakt; aber es muss schnell ei-nen Hochschulpakt II mit ausreichenden Mitteln undPlanungssicherheit für den bedarfsgerechten Ausbau derStudienplätze geben.

(Beifall des Abg. René Röspel [SPD])

Völlig zu Recht werden in dem Bericht vor allem dieLänder in der Pflicht gesehen – sie wollen das ja auch so.Das trifft insbesondere für den nächsten Punkt zu: Esmüssen deutlich mehr Schülerinnen und Schüler die Stu-dienberechtigung erhalten. Im Bericht steht einiges zudiesem Thema. Mehrere meiner Vorrednerinnen undVorredner haben bereits von Seite 8 zitiert. Ich will jetztaus einer anderen Seite zitieren: „Dazu ist allerdings eingrundlegender Wandel des deutschen Bildungssystemsnötig, das seine bisherige Bildungsphilosophie der Aus-lese zu einer fördernden wandeln müsste.“ – Das hörtsich an wie ein Beschluss des SPD-Parteitages;

(René Röspel [SPD]: Es ist aber gut!)

aber das ist original der Bericht zur technologischenLeistungsfähigkeit Deutschlands 2007.

Um aber mehr SPD hineinzuwürzen, gehe ich nochauf die Chancengleichheit ein: Gestern haben wir imAusschuss gehört, dass über 90 Prozent der Kinder vonEltern mit akademischer Vorbildung studieren, aber nur17 Prozent der Arbeiterkinder. Was für eine Ungleich-heit! Was für eine soziale Ungerechtigkeit und was fürein volkswirtschaftlicher Irrsinn!

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE])

Darum kämpfen wir Sozialdemokraten für das BaföG,und darum sind wir gegen Studiengebühren: weil siefinanzielle Hürden aufbauen, die insbesondere die sozialSchwachen treffen. Dieser Weg, der in vielen Ländernbeschritten wird, ist falsch.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten derLINKEN)

Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Schulz, das war eigentlich ein schöner

Schlusssatz.

Swen Schulz (Spandau) (SPD): Vielleicht noch ein letzter Satz: Der Bund hat eine

Menge gemacht und wird mehr machen müssen; doch

Wirtschaft und Länder müssen mitmachen. In diesemSinne wäre es sinnvoll – auch darüber steht im Berichteiniges –, sich die Verteilung der Aufgaben zwischenBund und Ländern anzuschauen. Bildung und Wissen-schaft müssen endlich als Gemeinschaftsaufgabe begrif-fen werden. Dann klappt das auch mit der technologi-schen Leistungsfähigkeit!

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)

Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Heinz Riesenhuber für

die Unionsfraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau Flach, es war wieder ein Vergnügen, Ihnen zuzuhö-ren. Sie haben freundlicherweise das Originalzitat vonMichael Meister, auf das Sie sich bezogen haben, vorge-legt:

Unionsfraktionsvize Meister ist ernüchtert, es sei„schade“,

– so sagt Herr Meister –

„dass eine Einigung mit der SPD nur für den Teil-bereich des Wagniskapitals erzielt werden konnte.“

Beim Wagniskapital haben wir also eine Einigung,richtig?

(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD)

Das Wagniskapital – das haben Sie ja angesprochen –liegt uns gemeinsam am Herzen, und den Grünen, sieheden Antrag, auch.

(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Stimmt! Ja! Dem haben Sie im-mer noch nicht zugestimmt!)

Im Hinblick auf diesen ist es hier zu einer nächtlichenStunde zu einer lediglich virtuellen Debatte gekommen;die Reden wurden zu Protokoll gegeben. Aber immerhinsind es bemerkenswerte Texte. Wir sind uns einig, dasswir das wollen, sollen und können.

(Zuruf von der FDP: Dem haben Sie nicht zu-gestimmt!)

Und siehe da: Michael Meister und die Unionsfrak-tion kamen im herzlichen Zusammenwirken mit demFinanzminister – SPD – zu einer glanzvollen Einigung,über die Michael Meister mit Stolz berichtet.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Man kann das jetzt im Einzelnen niederbrechen.

(Ulrike Flach [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

– Wenn sie etwas fragen ist das gut.

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11140 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007

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Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Flach, Sie haben das Wort.

Ulrike Flach (FDP): Lieber Kollege Riesenhuber, Herr Meister hegt zu

Recht die Befürchtung, dass mit den Linken dieser Gro-ßen Koalition das so, wie er sich es vorstellt, nichtdurchzusetzen sei.

(Jörg Tauss [SPD]: Ich bin ein Linker! Mit mir wäre das voll durchsetzbar!)

Wenn Sie diesen Artikel, der zu recht mit den schönenWorten „ein Papiertiger“ überschrieben ist, richtig inter-pretieren, sehen Sie, dass es diesbezüglich eine tiefeKluft zwischen Rot und Schwarz gibt. Wenn ich Ihnendiese Frage stelle, gehe ich davon aus, dass Sie so etwasgerne wollen. Nur sind Sie leider an den Herrschaftenvon der SPD da drüben gescheitert.

Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU): Das ist natürlich eine sehr unangenehme Frage.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD)

Frau Flach, der Artikel – vielen Dank für das Papier – istüberschrieben mit dem Titel „,Private-Equity-Gesetz‘ein Papiertiger“. Und jetzt erlauben Sie mir einmal, dassich zur Sache spreche.

Private Equity und Wagniskapital sind zwei völligverschiedene Welten. Private Equity hat die wesentli-che Aufgabe – das ist seine Chance und macht es auchmanchmal unbeliebt –, in existierenden Unternehmenverborgene Werte zu heben. Das kann in der Bilanz sein,das können stille Rücklagen sein. Das kann auch einemangelnde Effizienz in der Organisation sein. Es kannauch eine Blindheit für neue Märkte sein. Es kann auchdas Risiko sein, dass man einfach irgendwelche neuenTechniken übersehen hat. Darum geht es bei PrivateEquity. Private Equity hebt Werte, die in Firmen schlum-mern. Manchmal geht es da blutig zu, wie wir alle wis-sen.

Aber was ist Wagniskapital? Wagniskapital schafftWerte neu. Wagniskapital setzt Geld in Ideen um undmacht dann, wenn es gelungen ist, aus diesem neuenWissen Geld. Das ist Wagniskapital. Das ist also einevöllig andere Geschichte. Ich sehe keine dringende Not-wendigkeit, Private-Equity-Gesellschaften mit Liebesteuerlich zu fördern.

(Beifall bei der SPD)

Aber ich sehe eine dringende Notwendigkeit, Wagniska-pitalgesellschaften dort, wo neues Wissen in die Märktekommen soll, wo junge Unternehmer und Wissenschaft-ler ermutigt werden sollen, in jeder Weise zu fördern,weil wir in Deutschland eine Entwicklung hatten, die inhohem Maße problematisch ist.

(Ulrike Flach [FDP]: Aber Sie haben es nicht!)

Die Zahl der Unternehmensgründungen geht zurück,der Wagniskapitalmarkt ist rückläufig, die Zahl derGründungen von Fonds ist zurückgegangen, und die Dy-namik dieser ganzen Landschaft hat abgenommen. Wir

haben rechtliche Rahmenbedingungen, die wir schritt-weise aufarbeiten müssen. Dann kommt der Finanz-minister in seiner Weisheit und Güte und sagt, er akzep-tiere Steuerausfälle in Höhe von 500 Millionen Euro fürdiese Präferenz für Wagniskapitalunternehmen. Gut, dassind „Finanzminster-Dollar“. Wie die sich dann in derrealen Welt darstellen, wird man sehen. Jedenfalls ist inden Verhandlungen wesentlich mehr als das erreichtworden, was sich das Finanzministerium ursprünglichüberlegt hatte.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das ist eine großartige Leistung dieser Koalition und ih-rer glänzenden Abgeordneten auf beiden Seiten des Hau-ses, die hier in einer klugen Weise die Wirklichkeit ver-bessert haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – JörgTauss [SPD]: Vielen Dank für die Frage, FrauFlach!)

Ich freue mich, dass der Konsens hier, je länger ich rede,immer größer wird. Ich bin gerne bereit, das auch nochweiter zu verstärken.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD)

Wir haben das mit den zwei Welten also geklärt.

Jetzt möchte ich aber doch noch auf einen Satz vonFrau Schavan zu sprechen kommen, den ich sehr beein-druckend finde. Sehr verehrte Frau Ministerin, wenn ichdas richtig notiert habe, dann haben Sie gesagt, dass Siemit dem Finanzminister eine grundsätzliche Einigungdergestalt haben, dass die Forschungshaushalte – diesebefinden sich ja nicht nur bei Ihnen – wegen des 3-Pro-zent-Ziels – die 6 Prozent kommen danach – schritt-weise mit dem Wirtschaftswachstum wachsen sollen.Liebe Freunde, diese Aussage sollten wir alle in unserenHerzen bewahren und möglichst in jeder Debatte hiereinbringen und nutzen. Diese Aussage ist von großemWert.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Wer bin ich, an der Aussage unseres vorzüglichenFinanzministers zweifeln zu wollen? Ich nehme das hierals Grundsatz. Dann kommen wir zu interessanten Fol-gerungen. Wir kommen nämlich zu der Folgerung, dasses in den vergangenen Jahren hier eine Stagnation gab.Ich will jetzt nicht die Diskussion darüber aufgreifen,wer wann wie wenig getan hat. Ich könnte das natürlichtun. Die Zahlen in dem wunderbaren Bericht enden inder Regel bei 2005. Damals haben wir gerade angefan-gen zu regieren.

(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Aber Sie haben vorher regiert!)

Bis dahin war die Sache ein wenig spröde. Die Wachs-tumsraten in der Wirtschaft und im Staatshaushalt wa-ren mäßig. Das lag halt daran, dass Sie mit den Grünenregieren mussten. Dadurch wurde die ganze Sache sofurchtbar schwierig.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Der Bundesrat

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11141

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Dr. Heinz Riesenhuber

war es! – Priska Hinz [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Sie müssen sich entscheiden, obSie uns kritisieren oder loben!)

Seitdem wir zusammen sind, wachsen die For-schungsaufgaben. Wir haben das 6-Milliarden-Euro-Programm, und die Ausgaben im jetzt vorliegendenHaushalt für 2008 liegen noch über den Zahlen in dermittelfristigen Finanzplanung des letzten Jahres.

(Zuruf des Abg. Swen Schulz [Spandau] [SPD])

– Entschuldigung, aber ich kann nicht gleichzeitig hörenund reden. – Allein in den Haushalten der Ministerienfür Wirtschaft und Technologie sowie für Bildung undForschung steigen sie um 220 Millionen Euro. Dasheißt, wir sind hier auf einem guten Weg.

Ich muss jetzt leider eine ganz andere Rede als diehalten, die ich mir überlegt habe.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD)

Frau Schavan, ein anderer Punkt ist, dass Sie in demKontext auch darüber gesprochen haben, dass wir unsunseren Instrumentenkasten ansehen müssen. Ich findeden Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit un-gemein anregend. In dem ganzen Bericht gibt es keinKapitel, das ausführlicher dargestellt und leidenschaftli-cher angesprochen wird als das Kapitel über die steuer-liche Förderung von Forschung.

Es wird hier aufgeführt, was andere Länder tun, dassdie OECD dafür ist, dass die meisten OECD-Staaten dastun, und dass die Europäische Union uns das empfiehlt.Es wird hier aber nicht darauf hingewiesen, dass dieBundesregierung das auch in das Unternehmensteuer-reformgesetz geschrieben hat, dass auch wir die steuerli-che Forschungsförderung prüfen wollen.

Das ist ein fantastisches Instrument.

(Ulrike Flach [FDP]: Der Finanzminister ist aber anderer Meinung!)

Es wirkt sich weit in den Mittelstand hinein aus. Büro-kratie und Anträge sind dafür nicht nötig. Man brauchtkeine Innovationen zu verzögern, weil ein Rechtsan-spruch darauf besteht. Es ist voll einplanbar. Wenn ichmich als kleiner bzw. mittelständischer Unternehmerentschließe, einen Forscher zusätzlich einzustellen, dannweiß ich, was das bedeutet.

Wir können von anderen lernen; denn andere Ländersetzen auf dieses Instrument. In Großbritannien ist es be-reits novelliert worden. Der Instrumentenkasten ist er-probt und überprüfbar. Wir wollen ihn nicht übertragennicht kopieren, sondern kapieren. Die ganze Vielfalt, diewir in unseren Forschungsprogrammen haben, in derHightechstrategie, in den 17 Projektfeldern, in der gan-zen Fülle von Querschnittsfragen vom E-Governmentüber die innovative Einkaufsstrategie bis hin zum Schutzdes geistigen Eigentums – all dies bleibt erhalten undgeht in eine Gesamtstrategie ein. Es wird nicht beschä-digt. Mit der steuerlichen Forschungsförderung kommtaber die Chance hinzu, dass in einer Zeit, in der es für

den Staat immer schwieriger wird, vorherzusagen, woNeues entsteht, jeder, der will, ohne Bürokratie schnellund maßgenau in die Forschung gehen kann.

Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Riesenhuber, wir haben nur einen beschränk-

ten Instrumentenkasten, aber das Leuchten besagt, dassSie Ihre Redezeit überschritten haben.

Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU): Das Leuchten stört mich.

Vizepräsidentin Petra Pau: Ich weiß, dass Sie das stört. Aber es stört Sie offen-

sichtlich nicht genug. Sie müssen bitte zum Schlusskommen.

Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU): Ja gut, dann tue ich das. Trotzdem bleibt es irritie-

rend.

Wir haben die Chance, den Schwung und die Dyna-mik in einer offenen Welt, in der wir die Zukunft nichtvorhersagen können – denn sie muss von den Unterneh-mern und Wissenschaftlern erfunden werden –, zu be-schleunigen. Wenn wir das Vorhaben mit unserer Minis-terin Frau Schavan, unserem Minister Michael Glos undunserem fantastischen Koalitionspartner SPD richtig an-legen,

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

dann werden wir mit Unternehmergeist und Entschlos-senheit – wenn auch manchmal mit unterschiedlichenAkzenten – im demütigen Dienst der Politik fürDeutschlands Zukunft erreichen, dass Wissenschaft,Wirtschaft und alle, die etwas Neues schaffen wollen,fröhlich und entschlossen die Zukunft gestalten können.Darauf arbeiten wir hin.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat für die SPD-Fraktion der Kollege Jörg

Tauss.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist ein Gerücht, dass heute die Redezeiten dem Le-bensalter entsprechend berechnet werden. Aber nach-dem Sie nun schon als fantastischer Koalitionspartnerangekündigt wurden, möchte ich dem Hohen Hausenicht vorenthalten, dass Sie heute Ihren Geburtstag mituns verbringen. Ich gratuliere Ihnen im Namen des ge-samten Hauses.

(Beifall)

Jörg Tauss (SPD): Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. Ich dachte schon,

ich hätte 54 Minuten Redezeit; aber das scheint nicht derFall zu sein.

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11142 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007

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Vizepräsidentin Petra Pau: Vielleicht kann Ihr Koalitionspartner helfen. Die In-

strumente sind schließlich bekannt.

Jörg Tauss (SPD): Herzlichen Dank.

Ich bin nach der Liebeserklärung des Koalitionspart-ners regelrecht gerührt. Kollege Riesenhuber, es gibt inder Tat Themen, die wir schon in den Koalitionsver-handlungen gemeinsam auf den Weg gebracht haben.Der Korrektheit halber muss man aber darauf hinweisen,dass man nicht alles, was man sich vorstellt und waswünschenswert wäre, auch sofort bei den Finanzpoliti-kern durchsetzt, die verständlicherweise Gestaltungs-missbräuche befürchten. Das ist auch der Hintergrunddafür, dass wir über Private Equity diskutieren, FrauFlach.

(Ulrike Flach [FDP]: Aber die sind gar nicht betroffen!)

Es gibt sicherlich sehr viele positive Beispiele, es gibtaber auch die sogenannten Heuschrecken. In meinemWahlkreis gibt es eine Reihe von hochinteressanten in-novativen Betrieben, die durch den Einsatz solcher Ge-sellschaften ihrer wertvollen Teile beraubt wurden undanschließend nicht mehr so innovativ waren, wie es ih-nen möglich gewesen wäre.

(Ulrike Flach [FDP]: Aber die sind doch gar nicht gemeint!)

– Sie meinen nur die Guten. Das ist klar. Darauf könnenwir uns sicherlich einigen.

(Ulrike Flach [FDP]: Nein! Steinbrück meint sie!)

Ich möchte nur auf zwei Punkte eingehen. Erstenswill ich wiederholen – in der Pädagogik sind Wiederho-lungen sehr wichtig –, dass unser selektives Schulsys-tem einen Großteil der Verantwortung dafür trägt, dasswir nicht alle Begabungen in unserem Land erschließen.Darin sind wir uns noch nicht ganz einig, Frau Ministe-rin. Aber auch in diesem Punkt nähern wir uns schritt-weise an. Wir sind uns aber sicherlich einig, dass es da-rum geht, alle Begabungen zu erschließen. Wo unserdreigliedriges Schulsystem dem im Wege steht, solltendie Länder über Änderungen nachdenken.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Zweitens. Sie haben die Exzellenzinitiative im Zu-sammenhang mit IKT – darauf komme ich noch zu spre-chen – kritisiert, Frau Kollegin Hinz. Die Exzellenzini-tiative ist zwar nicht staatlich beeinflusst, aber wir habendie Universitäten in der Breite angesprochen. Insofernist es kein Widerspruch, dass über die Exzellenzinitiativegerade auch im Bereich der IKT-Technologien GraduateSchools im Bereich Aachen, in Karlsruhe, Erlangen undMünchen gefördert werden.

(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Aber das kann doch kein Bestand-

teil Ihrer IKT-Strategie sein! Das ist doch ab-surd!)

Deshalb ist gerade in diesem Bereich eine Stärkung zuverzeichnen. Das ist nicht verwunderlich.

Frau Kollegin Flach, Sie haben die KMUs angespro-chen und meinten, wir sollten die KMUs nicht überbeto-nen. Das verstehe ich nicht ganz. Diese Auffassung teileich nicht, wenn ich Sie an dieser Stelle richtig verstan-den habe; denn das war ein kritischer Punkt in der altenForschungsförderung. Wir hatten immer Krach – weni-ger mit Herrn Riesenhuber als mit seinem NachfolgerHerrn Rüttgers –, weil die Großbetriebe sehr stark geför-dert wurden.

(Ulrike Flach [FDP]: Sie wissen, dass ich der FDP angehöre!)

– Stellen Sie eine Zwischenfrage wie beim KollegenRiesenhuber! Tun Sie mir den Gefallen! Dann kann ichdas noch länger ausführen.

Das Problem bei der technologischen Leistungsfähig-keit ist, dass der Anteil kleiner und mittlerer Betriebe beiForschung und Entwicklung in Deutschland zu geringist. Das ist der Hintergrund, warum wir beispielsweisenach einem solchen Instrument wie der Forschungsprä-mie Ausschau gehalten haben. Der Anteil der kleinenund mittleren Unternehmen wurde gerade im Technolo-giebereich erhöht.

Kollege Riesenhuber, gerade wenn man Vergleichebei der steuerlichen Förderung zieht, dann darf mannicht vergessen, dass es hier um zwei Seiten ein und der-selben Medaille geht. Es gibt viele sinnvolle Instru-mente. Wir haben das Instrument der Projektförderung,das andere Länder in vergleichbarer Form nicht kennen.Ich möchte nicht das eine gegen das andere ausspielen.Aber im Hinblick auf die Formulierung des gesellschaft-lichen Bedarfs – hier haben wir positive Anreize gesetzt;ich nenne als Beispiele die Nanotechnologie und dieMikrosystemtechnologie – waren wir es – nicht dieWirtschaft oder das private Kapital –, die in der For-schungspolitik Schwerpunkte gesetzt haben. KollegeBrüderle, ein solches Beispiel mag Ihnen vielleicht zei-gen, dass nicht alles, was vom Staat kommt, von Übelist. Ohne Staat gäbe es übrigens noch nicht einmal dasInternet. Solche positiven Beispiele mögen Marktwirt-schaftsradikalen wie Ihnen als Erleichterung dienen.

(Rainer Brüderle [FDP]: Das Internet kam aus den USA!)

– Richtig. Ich sage doch gar nicht, dass alles, was ausden USA kommt, von Übel ist. Bei uns in Europa wurdedas Web entwickelt, genauso wie viele andere Dinge.

Nun komme ich zu ein paar anderen Punkten, die be-reits angesprochen wurden. Der Kollege Schulz hat alsBeispiel den Fachkräftemangel genannt. Das ist einganz wichtiger Punkt. Ich warne davor – das habe ichzum Teil den Medien entnommen –, Qualifizierung undFachkräfteanwerbung als Gegensatz aufzufassen. Rich-tig ist aber in der Tat, dass zuallererst die Wirtschaft unddie Bundesländer ihre Hausaufgaben zu erfüllen haben,

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11143

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Jörg Tauss

auch wenn wir beispielsweise über Ausländerinnen undAusländer reden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir hätten exzellente ausländische Fachkräfte bereits imLand, wenn gehandelt worden wäre. Wir haben sehrviele zugewanderte junge Menschen. In Baden-Württemberg und insbesondere in Berlin beispielsweisegibt es Schulen, bei denen der Anteil der Kinder auslän-discher Herkunft bzw. mit Migrationshintergrund50 Prozent und mehr beträgt. Aber bei den Universitätenliegt der Anteil nur noch bei 8 Prozent. Das heißt, wirverschenken hier ein riesengroßes Potenzial an Zuwan-derern, die bereits hier sind. Aber wir müssen das einetun und dürfen das andere nicht lassen. Wir müssen qua-lifizieren und Fachkräfte, die spitze sind, ins Land holen.Darüber müssen wir diskutieren.

Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Tauss, gestatten Sie sozusagen in allerletzter

Sekunde eine Zwischenfrage der Kollegin Flach?

Jörg Tauss (SPD): Ja, bitte eine umfangreiche, Frau Flach.

Vizepräsidentin Petra Pau: Bitte, Kollegin Flach.

Ulrike Flach (FDP): Da Sie heute Geburtstag haben, Herr Tauss, will ich

Ihnen die Freude machen. Ich bin eigentlich davon aus-gegangen, dass die SPD beim Ausländerrecht der FDPnäher steht, als ich das gerade von Ihnen höre. Was sa-gen Sie denn zu den Aussagen eines Vorstandsmitgliedesdes Rates für Migration, der von einem inhumanen Aus-länderrecht spricht und sagt, in der Gesamtbilanz laufealles auf eine verbesserte Abwehr weiterer Zuwanderunghinaus? Ich kann das mit Ihren positiven Worten nicht inEinklang bringen.

Jörg Tauss (SPD): Liebe Kollegin Flach, unabhängig davon, dass ich das

vollständige Zitat nicht kenne – der Kollege Riesenhuberhat es vielleicht zur Verfügung –,

(Ulrike Flach [FDP]: Ich gebe es Ihnen gerne!)

gibt es in Deutschland sozusagen die lebenslange Lüge,wir seien kein Einwanderungsland. Tatsächlich sind wirein Einwanderungsland. Wir gingen an vielen Stellenmit denjenigen, die eingewandert sind, nicht gut um. Wirhaben die Chancen und Potenziale der Eingewandertenvertan, und zwar in verschiedener Hinsicht. Das ist Fakt.Wir brauchen hier keine Schuldzuweisungen vorzuneh-men.

Ich freue mich über die Beschlüsse der SPD, die – ge-nauso wie in anderen Einwanderungsländern – einPunktesystem vorsieht. Darüber müssen wir diskutie-ren. Wir müssen schauen, wo wir in den Bereichen Bil-dung, Wissenschaft und Forschung Hochqualifiziertebrauchen. Ich weiß nicht, ob Sie in der Debatte zugegenwaren, aber ich bin froh, dass Herr Schäuble und Frau

Schavan ganz konkret gesagt haben: In diesem Bereichsehen wir Handlungsbedarf; darüber müssen wir weiterreden. In diesem Punkt wollen wir mitwirken.

(Ulrike Flach [FDP]: Warum haben Sie es nicht gemacht?)

– Wie Sie wissen, ist der Fortschritt manchmal eineSchnecke. Hier gibt es sicherlich noch weiteren Diskus-sionsbedarf.

Wie Sie wissen, betreibt die Landesregierung von Ba-den-Württemberg, an der Sie beteiligt sind, die reaktio-närste Politik. Deswegen ist die Frau Ministerin vonBaden-Württemberg weggegangen. Wäre sie Minister-präsidentin geworden, wäre die Politik viel wenigerreaktionär.

Aber das ist ein ganz anderes Thema. Ich hoffe, ichschade Ihnen jetzt nicht, Frau Schavan.

(Heiterkeit)

Ich freue mich darauf, dass Baden-Württemberg einMotor im Bundesrat wird.

(René Röspel [SPD]: Und Nordrhein-Westfalen!)

– Das gilt auch für Nordrhein-Westfalen.

Etwas habe ich nicht verstanden, Frau Pieper. Ichsetze mich heute arg mit der FDP auseinander. Vielleichtist das wichtig, um Vorurteile zu überwinden, liebe FrauPieper. Sie haben kritisiert, dass wir 17 Felder hätten unddass kein Schwerpunkt gesetzt würde. Mein Gott, dannsagen Sie uns doch bitte ganz deutlich, auf welches der17 Felder, die wir im Rahmen der Hightechstrategie för-dern, Sie verzichten wollen. Wir sind ein Exportland unddecken die gesamte Breite der Exporte ab. Deswegenmüssen wir versuchen, auf vielen Feldern Spitzentech-nologien zu entwickeln und Spitze zu werden.

Ein Bereich ist eben die Informations- und Kom-munikationstechnologie. Finnland hat nur ein einzigesFeld: Informations- und Kommunikationstechnologie.Die Finnen haben gesagt: Wir wollen bei der Informa-tions- und Kommunikationstechnologie Nummer einswerden. Dort ist auch noch eine einschlägige Firma an-sässig. Das können wir in Deutschland nicht machen. Zusagen, wir wollen nur auf einem Feld stark sein – dieseStrategie nutzt Finnland –, nutzt uns nichts. Deswegenist es gut, dass einer dieser Bereiche, über die wir reden,die Informations- und Kommunikationstechnologie ist.Das ist eines der wichtigsten Teile dieses Programms.Vielleicht können wir, da ich keine Redezeit mehr habe,dazu eine eigene Debatte anberaumen.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse)

Das wäre lohnend.

Ich kann nur sagen: In diesem Bereich gibt es viel zutun. Denken Sie an den heutigen Schwelbrand im Deut-schen Bundestag! Wir sind von unseren Computern ab-gehängt. Im Grunde genommen ist das eine Schande.Ein bisschen Schwelbrand, und schon funktionieren dieComputer nicht mehr.

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11144 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007

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Jörg Tauss

Wir setzen also die Schwerpunkte auf die Informa-tions- und Kommunikationstechnologie, auf die Sicher-heitsforschung und auf kleine und mittlere Unterneh-men, liebe Kollegin Flach, die innovativ sind undSoftware entwickeln. Das sind Entwicklungen, die wirbrauchen. Frau Hinz, das ist eine Treibkraft auch für denMaschinenbau, im Fahrzeugbau und in vielen anderenBereichen. Deswegen ist das ein richtiger Schwerpunkt.Ich glaube, wir sollten nicht über diesen Schwerpunktmäkeln, sondern froh sein, dass wir ihn haben.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowiebei Abgeordneten der FDP – Dr. GünterKrings [CDU/CSU]: Einmal klatschen wirheute bei Tauss! – Hans-Joachim Otto [Frank-furt] [FDP]: Weil heute sein Geburtstag ist!)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufden Drucksachen 16/5823, 16/5900 und 16/5899 an diein der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist derFall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines ZweitenGesetzes zur Regelung des Urheberrechts inder Informationsgesellschaft

– Drucksache 16/1828 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 16/5939 –

Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Günter Krings Dirk Manzewski Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Wolfgang NeškovićJerzy Montag

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zudem Antrag der Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Hans-Joachim Otto (Frank-furt), Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneterund der Fraktion der FDP

Die Modernisierung des Urheberrechts mussfortgesetzt werden

– Drucksachen 16/262, 16/5939 –

Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Günter Krings Dirk Manzewski Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Wolfgang Nešković Jerzy Montag

Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt jeein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP, derFraktion Die Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinenWiderspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile der Bundesmi-nisterin Brigitte Zypries das Wort.

Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit

der heutigen Beratung und Abstimmung bringen wir einwichtiges Projekt endlich an sein Ziel. Wir modernisie-ren das Urheberrecht und wir machen es fit für das digi-tale Zeitalter. Mit dieser Reform sorgen wir auch für ei-nen fairen Interessenausgleich zwischen Urhebern undNutzern geschützter Werke, und wir schaffen ein Gesetz,das die Selbstregulierung stärkt.

Es war kein einfaches Projekt. Beim Urheberrechtgeht es um geistiges Eigentum, und dabei geht es auchum viel Geld. Alle Betroffenen haben deshalb mit großerVerve für ihre jeweiligen Interessen geworben. Das istvöllig in Ordnung. Ich bin gleichwohl froh, dass es unsgelungen ist, einen Kompromiss zu finden, von dem ichhoffe, dass alle Seiten damit gut werden leben können.

Drei Aspekte waren in den letzten Monaten ganz be-sonders umstritten. Der erste Aspekt ist die Pauschal-vergütung.

Es bleibt mit diesem Gesetz dabei, dass die Privatko-pie eines Werkes auch in der digitalen Welt erlaubt ist.Als Ausgleich dafür gibt es für den Urheber weiterhindie sogenannte Pauschalvergütung. Wie hoch diese Ver-gütung ist, werden die Beteiligten künftig selber festle-gen. Das ist ein Paradigmenwechsel. Bisher hatte diesder Gesetzgeber festgelegt. Man muss allerdings hinzu-fügen, dass sich auf diesem Gebiet seit 1985 nichts mehrgeändert hat. Dieser Paradigmenwechsel entspricht aberden allgemeinen wirtschaftlichen Strukturen in unseremLand. Ich hoffe, dass mit seiner Hilfe auch auf den im-mer rasanter werdenden technischen Fortschritt schnel-ler reagiert werden kann, als das bisher möglich ist.

Urheber und Geräteindustrie werden sich bei diesenVerhandlungen auf Augenhöhe begegnen. Es gibt keineObergrenze für die Vergütung. Trotzdem muss sie natür-lich in einem angemessenen Verhältnis zum Preis desGerätes oder des Speichermediums stehen. Das steht soausdrücklich im Gesetz. Man wird deshalb auf einenCD-Rohling für wenige Cent keine Vergütung von meh-reren Euro erheben können.

Die Beteiligten sind jetzt aufgefordert, sich zu eini-gen. Sie müssen den Freiraum der Selbstregulierung nut-zen. Es wird am Anfang sicherlich nicht einfach sein,sich nach einer über mehrere Jahre kontrovers geführtenDebatte auf einmal an einen Verhandlungstisch zu set-zen. Ich habe deshalb bei verschiedenen Moderationsge-sprächen, die ich in der vergangenen Zeit geführt habe,schon angeboten, dass das BMJ dabei als Moderator zur

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11145

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Bundesministerin Brigitte Zypries

Verfügung steht. Ich möchte dieses Angebot hier gernerneuern.

Ein zweiter wichtiger Punkt sind die künftigen Nut-zungsarten. In Zukunft ist es erlaubt, dass Urheber undVerwerter auch einen Vertrag über solche Nutzungsartenabschließen, die bei Vertragsschluss noch unbekanntsind. Das hört sich futuristisch an, ist aber eine wichtigeRegelung; denn damit wird es leichter, die Werke auchin neuen Medien auf den Markt zu bringen. Hätte es dasschon früher gegeben, dann wäre es heute nicht soschwierig, eine alte Theateraufführung auch auf DVDanzubieten. Wir haben aber auch bei diesem Punkt dieBelange der Urheber im Blick behalten, und wir habenfestgelegt, dass der Verwerter den Urheber informierenmuss, wenn er eine neue Art der Nutzung des Werkesplant, und dass der Urheber ein Widerrufsrecht hat.

Der dritte Aspekt betrifft die zeitgemäße Nutzung vongeschützten Werken in Bibliotheken. Dabei geht es umsogenannte elektronische Leseplätze und um den digita-len Versand von Kopien auf Bestellung. Für all das gibtes jetzt erstmals überhaupt eine gesetzliche Grundlage.Wir achten auch da auf den gerechten Interessenaus-gleich. Der Gesetzgeber darf den Verlagen durch das Ge-setz das Onlinegeschäft nicht kaputt machen. Das wärewirtschaftspolitisch ein falsches Signal, und rechtlichwäre es zudem nicht vertretbar.

Auch wenn es vonseiten des organisierten Wissen-schaftsbetriebes manchmal vergessen worden ist: Esgeht auch hier um geistiges Eigentum, und das ist verfas-sungsrechtlich geschützt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Durch diesen Gesetzentwurf wird ein Ausgleich zwi-schen den Wissenschaftlern als Autoren und den Wis-senschaftlern als Lesern geschaffen.

Im Urheberrecht sind alle Seiten aufeinander ange-wiesen. Ohne Urheber gibt es nichts zu verwerten, undohne Verwerter wäre jedes Stück ein Unikat. Unsere Re-form des Urheberrechts wird meiner Meinung nach bei-den Seiten gerecht. Sie ist ein fairer Kompromiss. Sieschafft ein modernes Recht, und sie ist der gute Ab-schluss einer langen Debatte.

Ich möchte mich bei all denjenigen hier im Hause, dieinsbesondere in den letzten Monaten daran mitgewirkthaben, dass dieser Gesetzentwurf noch vor der Sommer-pause verabschiedet werden kann, recht herzlich bedan-ken, namentlich bei den beiden Berichterstattern der Ko-alition.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:Ich erteile das Wort Kollegin Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger von der FDP-Fraktion.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Sehr geehrte Frau Ministerin, ein kleiner Dank andie FDP-Fraktion wäre schon angemessen gewesen.

(Beifall bei der FDP)

Wir haben in dieses wirklich umfangreiche und sehrschwierige Gesetzgebungsverfahren eine sehr konstruk-tive und sehr zielorientierte Mitarbeit eingebracht.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU und der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Ichhabe die FDP heute schon gelobt!)

Ich freue mich sehr, dass es im Rahmen dieser sehrlangwierigen und sehr schwierigen Gespräche doch zugrundlegenden Änderungen am Regierungsentwurf ge-kommen ist. Von daher kann man dieses Gesetz, wie wires heute beschließen werden, als ein Parlamentsgesetzbezeichnen.

In den Kernpunkten haben wir trotz des schwierigenWeges einen fairen Ausgleich zwischen den Beteiligten,nämlich zwischen den Urhebern und Rechteinhabern aufder einen Seite und den Nutzern, nämlich den Verbrau-chern, auf der anderen Seite, gefunden. Das ist ja immerdie Kernaufgabe des Urheberrechts, und zwar eine Dau-eraufgabe. Schon heute wissen wir: Das Urheberrechtwird uns in dieser Legislaturperiode auch weiter be-schäftigen. Wir haben noch offene Punkte genannt undschon einen weiteren Gesetzentwurf zur Durchsetzungvon Ansprüchen, die ein Urheber hat, vorliegen.

Frau Ministerin, Sie haben eben einen Themenkom-plex genannt, der eigentlich mit am schwierigsten zu re-geln war, nämlich die Neuregelung der Vergütung derPrivatkopien in der Form einer Abgabe auf die Geräte.Derzeit wird dies vom Staat durch eine Verordnung fest-gelegt. Diese Vergütung ist seit Jahrzehnten nicht erhöhtworden. Denn es gibt für einen Minister oder eine Minis-terin keine unangenehmere Aufgabe, als einseitig Preisefestzusetzen. Dabei kann man es natürlich niemandemrecht machen. Von daher sind Sie bestimmt froh, dassgerade wir als FDP-Fraktion den Paradigmenwechselhin zu einer Verhandlungslösung wollten.

Frau Ministerin, Sie haben einen Punkt – ich verstehees aus Ihrer Sicht natürlich – hier nicht angesprochen,den ich einbringen muss. Dass wir uns auf den neuenWeg der Verhandlung zwischen Vertretern der Geräte-industrie und der Verwertungsgesellschaften verständi-gen konnten, liegt daran, dass die ursprüngliche Vor-gabe, eine Deckelung bei der Festsetzung der Abgaben,nämlich 5 Prozent des Gerätepreises, vorzunehmen, imKonsens herausgenommen wurde. Ich habe für die FDPimmer gesagt: Das ist für uns einer der wichtigenPunkte. Denn man kann nicht auf Augenhöhe verhan-deln, wenn eine Seite schon am Anfang in eine schwieri-gere Situation gebracht wird. Deshalb sage ich: Mit derEinigung, hier eine grundlegende Änderung vorzuneh-men, dass nämlich künftig die tatsächliche Nutzung dieGrundlage für die Berechnung und damit für die Ver-handlung sein soll, war aus Sicht der FDP-Fraktion derWeg offen zu einem weitergehenden Kompromiss.

Wir sind froh – das war kein Kernpunkt der Verhand-lung –, dass die Bagatellklausel schon im Vorfeld desGesetzgebungsverfahrens gestrichen worden ist. Geradebei geringfügigen Verletzungen bietet das geltendeRecht sehr wohl alle Möglichkeiten, dass es hier nicht zu

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Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

einer Verurteilung kommt. Wir alle beklagen doch denBedeutungsverlust, den das geistige Eigentum, das Ur-heberrecht, das, was Kreative, was Künstler schaffen, inder Öffentlichkeit erlitten haben. Dem würden wir miteiner Bagatellklausel natürlich noch einmal Vorschubleisten.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Dann möchte ich auf die unbekannten Nutzungsartenzu sprechen kommen. Sie können dazu führen, dasswichtige Bestände, geschaffene Werte, Güter, die bishernicht zugänglich gewesen sind, in einer neueren Form,wie man sie vielleicht vor vielen Jahren nicht kannte, mitden modernen technologischen Möglichkeiten zugäng-lich werden. Das ist gut für die Nutzer, die Urheber, dieKünstler, die Kreativen, für die, die die Rechte haben.

Es war für alle gemeinsam richtig, die Hürden ausdem geltenden Urheberrecht zu nehmen. Deshalb habenwir uns von Anfang an dafür eingesetzt. Da war ja derRegierungsentwurf auf dem richtigen Weg, zum Beispielbei der Widerspruchsregelung bei Verhandlungen,nämlich dass es, wenn ein Urheber widersprechenmöchte, zu einer anderen Form von Verwertung kommt,zu einer Form, die man bisher nicht kannte. Dies wirdder Sachlage gerecht. Wir haben aber auch berücksichti-gen müssen, dass gerade im Bereich der Filmwerke mitsehr vielen Urhebern und Rechteinhabern eine einfacheWiderspruchsregelung in das Gesetz nicht Eingang fin-den kann; denn das würde es unmöglich machen, zu ei-ner Verwertung im Interesse von Urhebern, von Verwer-tern und besonders von Nutzern zu kommen. Es findetalso auch in dieser Beziehung ein guter und angemesse-ner Interessenausgleich statt.

Ich sage denjenigen, denen das nicht passt und nichtweit genug geht: Niemand darf ein geistiges Werk ent-stellen, auch nicht bei einer neuen Nutzungsart oder an-deren Formen der Verwertung, etwa auf einer DVD, diees vor 20 oder 30 Jahren ja noch nicht gegeben hat. Des-halb braucht niemand Angst zu haben, dass zum Beispielein Film verfälscht wird. Das ist eine Regelung, diewirklich für alle Beteiligten zufriedenstellend ist.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Günter Krings [CDU/CSU])

Der letzte Punkt, den ich hier noch ansprechen kann,ist einer, der für manche Fraktionen, gerade für die Ko-alitionsfraktionen, mit der schwierigste war: Wie findetman den Ausgleich zwischen den Interessen von Biblio-theken an Universitäten oder Hochschulen, die mit ei-nem Buch am liebsten Hunderttausende von Studentenversorgen wollen, und den Interessen derjenigen, diediese wissenschaftlichen Werke oder Beiträge erstellenund verwerten? Auch Verlage müssen rechnen. Sie kön-nen nicht im Hinblick darauf, dass es um wissenschaft-lich wichtige Arbeiten geht, auf Rechte verzichten. Siemüssen sehen, dass ihr Verlag am Leben bleibt.

Von daher war der Kompromiss gut und richtig, näm-lich festzulegen: Auch der Zugang zu den Werken in ei-ner Bibliothek wird mit davon abhängig gemacht, wieviele Bücher diese Bibliothek hat und wie viele den In-

halt an Leseplätzen digitalisiert nutzen wollen. Wir ha-ben eine Flexibilitätsklausel eingebaut. In der Begrün-dung wird dazu etwas ausgeführt. Diese Regelung wirdauch dem Ansturm in den Universitäten auf neue Werkegerecht werden. Die Juristen würden sagen: Mit einemPalandt kann man nicht das ganze juristische Semesterversorgen. Das geht nicht. Das gilt genauso für andereBereiche.

(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Damit hat mancher das ganze Studium bestritten!)

– Den hat jeder von uns im Büro. Es gibt nicht nur eineinziges Exemplar im Bundestag.

Es ging um den Kopienversand. Frau Ministerin, dateile ich Ihre Einschätzung. Ich habe Ihren Ansatz in dennicht leichten Verhandlungen unterstützt. Jetzt wird eineGrundlage dafür geschaffen, dass Bibliotheken unter be-stimmten Voraussetzungen elektronische Kopien versen-den können. Das wäre ohne diese Regelung in der Formkünftig nicht mehr zulässig gewesen. Jetzt wird also einesichere Rechtsgrundlage geschaffen. Die bisherige Pra-xis hätte in der Form nicht fortgesetzt werden können.

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Doch! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Dürfen!)

Zum Schluss bedanke ich mich sehr, auch für die Un-terstützung aus dem Ministerium bei diesen Beratungen,und sage klar: Wenn der Dritte Korb aufgemacht wird,

(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Sind wir wieder dabei!)

haben wir neben vielen anderen Punkten noch ein wich-tiges Thema: die Kabelweitersendung. Die Regelungversteht kein Mensch. Dabei wollen wir zu besseren undangemessenen Regelungen kommen.

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Wir auch!)

Recht herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:Ich erteile das Wort Kollegen Günter Krings, CDU/

CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Zurückhaltung, Herr Kollege!)

Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren Kollegen! Wenn generell gilt, was wir schon ofterfahren haben: „Kein Gesetz verlässt den DeutschenBundestag so, wie es hineingekommen ist“, so gilt das inganz besonderem Maße für dieses Urheberrechtsände-rungsgesetz. Im Vorfeld haben wir als Unionsfraktionzusammen mit unserem Staatsminister Neumann bereitsmaßgeblich dafür gesorgt, dass die sogenannte Bagatell-klausel aus dem Gesetzentwurf genommen wird. Wir ha-ben im Gesetzgebungsverfahren zusammen mit dem Ko-alitionspartner und anderen Fraktionen, namentlich derFDP, dafür gesorgt, dass die Begrenzung der Geräteab-

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Dr. Günter Krings

gabe auf 5 Prozent so nicht kommt, dass die Einstiegs-schwelle, von der an überhaupt Abgaben erhoben wer-den dürfen, eben nicht bei 10 Prozent liegt. Wir stärkendie Rechte des Urhebers, wie bereits angesprochen, auchbei unbekannten Nutzungsarten, ohne dass wir von derIdee, dass man auch Altinhalte auf neuen Formaten zu-gänglich machen muss, Abschied genommen hätten.

Zuletzt – um nur vier Beispiele zu nennen – haben wirim Bereich von Wissenschaft und Bildung dafür gesorgt– das ist § 52 b –, dass die neue Schranke nur in abge-schwächter Form Geltung erhält. Ein Buch, das in einerBibliothek nur einmal vorhanden ist, darf man nicht dut-zendfach zugänglich machen.

Diese umfassenden Änderungen belegen: Das Parla-ment hat bei diesem Gesetz seine Rolle als Gesetzgeberganz besonders ernst genommen. Das BMJ – das will ichausdrücklich dankend erwähnen – hat mit umfangrei-chen Vorarbeiten den Weg bereitet. Dafür vielen Dankan die Ministerin und an die Mitarbeiter, die hier zahl-reich vertreten sind. Das waren umfassende, zeitrau-bende und oft schwierige Vorarbeiten.

Allerdings ist auch klar: Der Gesetzgeber bleibt dasParlament. Das ist, wie ich finde, übrigens auch einwichtiges Signal an alle Lobbyisten, die dieses Gesetz-gebungsverfahren mit großem Interesse verfolgt haben.

(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: Bis zum Schluss!)

Dieses Signal geht insbesondere von der Entscheidungbezüglich der 5-Prozent-Klausel aus. Das möchte ichganz deutlich sagen. Diese Formel geht ja nicht auf sach-liche Erwägungen während der Vorarbeiten zurück, son-dern auf eine Zusage von Altkanzler Schröder. So vielWahrheit muss hier erlaubt sein. Die Entscheidung dage-gen ist somit ein gutes Signal, welches deutlich macht,dass auch ein Bundeskanzler nicht über die Gesetzge-bungsarbeit des Deutschen Bundestages disponierenkann.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –Beifall bei der FDP – Hans-Joachim Otto[Frankfurt] [FDP]: Wo er recht hat, hat errecht!)

Ich bin übrigens froh, dass entsprechende Versuche beiunserer Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht erfolg-reich waren, sondern sie an der Stelle standhaft geblie-ben ist. Jedenfalls hat mich kein Anruf aus dem Kanzler-amt mit der Aufforderung erreicht, hier müsse man nochetwas ändern.

Ich bin auch froh, dass die neue Bundesregierung of-fenbar stärker die volkswirtschaftlichen Wertschöp-fungsmöglichkeiten erkannt hat, die in urheberrechtli-chen Maßnahmen für die Kreativwirtschaft insgesamtliegen. Deutschland lebt nicht nur von Hardwareverkäu-fen, sondern eben auch von den Inhalten, die auf dieserHardware transportiert werden.

Ich will allerdings auch betonen, um Besorgnisse einwenig auszuräumen: Wir haben durchaus einen Kom-promiss gesucht, der auch die Interessen der Geräte- undLehrmedienhersteller berücksichtigt. Im Gesetz ist nach

wie vor die klare Aussage enthalten, dass diese vor un-zumutbaren Belastungen geschützt werden, und im Ent-schließungsantrag ist noch einmal deutlich gemacht wor-den, dass wir auch von den Verwertungsgesellschaftenerwarten, dass sie so moderate Vergütungssätze fordern,dass es nicht zu einer Verlagerung des Handels ins Aus-land kommt. Die ominöse 5-Prozent-Klausel wäre je-doch keine geeignete Methode gewesen, um das zu er-reichen. Sie ist systemfremd. Der Urheber hat einenAnspruch auf Entschädigung. Wenn er vom Gesetzge-ber die Pflicht aufgegeben bekommt, Eingriffe in seinUrheberrecht zu dulden, dann muss er nach dem altenGrundsatz „Dulde und liquidiere“ auch liquidieren kön-nen. Er darf dann bei den Kompensationszahlungen fürdie Nutzung seines geistigen Eigentums nicht Opfer derPreispolitik der Industrie werden.

Ich sage aber an die Adressen der Verwertungsgesell-schaften und anderer Verwerter von Urheberrechtenauch ganz deutlich: Eine Pauschalabgabe kann langfris-tig nicht die Lösung und die Antwort auf die Problemesein. Jeder, der jetzt meint, sich auf den Regelungen zurPauschalabgabe ausruhen zu können, muss wissen, dassauf lange Sicht jedenfalls kein Weg an digitalen Rechte-managementsystemen und Ähnlichem vorbeigeht. AufDauer muss das Urheberrecht dafür sorgen, dass dasgeistige Eigentum seinen Gegenwert selbst erwirtschaf-ten kann.

Ich verhehle nicht, dass ich persönlich eine gewisseSkepsis habe, ob die Verhandlungslösung, die wir heuteeinführen, funktioniert. Ich hoffe das aber und bin des-halb bereit, das auszuprobieren. Wenn aber wirklich Ver-wertungsgesellschaften und die Verbände der Geräteher-steller verhandeln sollen, dann dürfen wir nicht – das isteben schon gesagt worden – einerseits einem der Ver-handlungspartner eine Eisenkugel ans Bein binden undandererseits erwarten, dass auf Augenhöhe und gleich-berechtigt verhandelt wird. Falls das Ganze nicht funk-tionieren soll – das sage ich ganz deutlich –, falls dieVerhandlungen zu jahrelanger Rechtsunsicherheit führensollten, dann muss der Bundestag die Sätze wieder selbstfestlegen.

Nach meiner Auffassung ist die Tatsache, dass seit1985 keine Anpassung erfolgt ist, weniger ein Beweisfür ein schlechtes Gesetz als vielmehr ein Beleg für denKleinmut aller Gesetzgebungsakteure. Da schließe ichalle ein, vom Bundestag bis zum Justizministerium. Ichpersönlich habe durchaus noch Vertrauen in die Fähig-keit zu schnellen Handlungen und Reaktionen von Bun-destag und Justizministerium. Ich hätte mir gewünscht,dass die Justizministerin mit etwas mehr Selbstvertrauenan diese Frage herangegangen wäre. Wir probieren esnun aber einmal auf die eben dargestellte Weise.

Für die Union, meine sehr geehrten Damen und Her-ren, ist geistiges Eigentum eine wesentliche Grundlagefür Wohlstand und Freiheit in unserer Gesellschaft. Dasgilt gerade auch für die moderne Informationsgesell-schaft. Unsere Volkswirtschaft lebt insbesondere vonden Leistungen der Kreativen in unserem Lande. Die ha-ben auch Anspruch auf den entsprechenden Schutz.

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Dr. Günter Krings

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD – Beifall bei der FDP)

Es reicht nicht aus, die Wahrung der Rechte von geis-tigem Eigentum nur im Ausland anzumahnen. Es reichtnicht aus, den Blick nach China, Indonesien oder Indienzu richten und von diesen Ländern einen besserenSchutz geistigen Eigentums einzufordern. Zugleich müs-sen wir hier in Deutschland mit gutem Beispiel vorange-hen. Ein wichtiger Testfall wird nach der Sommerpausekommen. Dann geht es um die Umsetzung der soge-nannten Durchsetzungsrichtlinie. Hier wird es zumSchwur kommen und sich herausstellen, ob die Bekennt-nisse zum Schutz geistigen Eigentums Lippenbekennt-nisse waren oder ob wir an der Stelle tatsächlich wirksa-meren Schutz wollen.

Die Durchsetzungsrichtlinie trifft bekanntlich die ge-samte Bandbreite des geistigen Eigentums. Das Justiz-ministerium bleibt mit seinen Vorschlägen meines Er-achtens am unteren Rand der europarechtlichenVorgaben, will aber zusätzlich diese Richtlinie mit einerRegelung befrachten, die eigentlich ins Anwaltsgebüh-renrecht gehört. Die Union plädiert hier für einen wirk-samen Schutz des geistigen Eigentums, also für mehr alsnur einen Schutz auf dem Papier des Gesetzblattes. DasBeispiel anderer EU-Mitgliedstaaten sollte uns zu den-ken geben. Sie haben nämlich einen wirksamen Aus-kunftsanspruch eingeführt, der dafür sorgen wird, dassder Rechteinhaber seine Rechte auch erfolgreich geltendmachen kann.

Warum ist das so wichtig? Warum ist auch die Fort-entwicklung des Urheberrechtes in dieser Frage so wich-tig? Neben der Schwarzarbeit ist heute nach meiner Ein-schätzung die Internetpiraterie eines der wichtigstenProbleme für und einer der wichtigsten Angriffe auf un-sere Volkswirtschaft in Deutschland.

Nehmen wir einmal die Musikbranche. Auf einen ein-zigen Kauf eines Musikstücks im Internet kommen 14 il-legale Downloads. Das hat wirtschaftliche Folgen. Diejährlichen Verluste gehen schon gegen eine halbe Mil-liarde Euro. Jeder zehnte Arbeitsplatz in dieser Brancheist seit 2003 verloren gegangen.

Ähnliches droht der Filmbranche; es betrifft sie teil-weise schon jetzt. Ein Beispiel: Wir alle erinnern unsnoch an den Film „Good Bye, Lenin!“, der übrigensnicht von Hollywood, sondern von deutschen Regisseu-ren, Schauspielern und Produzenten produziert wordenist. Er war einer der erfolgreichsten Filme der letztenJahre in Deutschland überhaupt. Aufgrund seines Erfol-ges hatten sich alle Beteiligten ausgerechnet, dass manbeim DVD-Verkauf noch einmal – auch zu Recht – Geldverdienen können müsste.

Weit gefehlt! Bevor die erste DVD überhaupt in denHandel gekommen ist, gab es schon 770 000 illegaleDownloads. Zu einem Zeitpunkt, zu dem ein Film nochnicht im Handel erhältlich ist, kann ein Download nichtaus Versehen geschehen. Das sind wissentliche und wil-lentliche Urheberrechtsverletzungen, gegen die wir vor-gehen müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Wichtig und gut – vielleicht nur nicht ausreichend –ist daher, dass wir jetzt in § 53 die Klarstellung vorneh-men, dass ein Download aus offensichtlich illegalenQuellen keine zulässige Privatkopie ist.

Wichtig ist auch, dass wir im Vorfeld – ich habe es ge-sagt – die Bagatellklausel aus dem Gesetzentwurf ent-fernt haben. Es wäre ein verheerendes Signal gewesen,wenn der Staat gesagt hätte: „Das ist alles eigentlich ver-boten“ und wenn er dann mit großem Augenzwinkernhinzugefügt hätte: Es ist nicht so schlimm. Macht ruhigweiter! – Diese Art der Kapitulation des Rechtsstaateswird es mit der Union auch künftig nicht geben. Ich binfroh, dass es das auch mit der SPD-Fraktion nicht gebenwird. Dafür, dass sie uns hier zugestimmt hat, bedankeich mich.

Wir haben sicherlich noch nicht alles getan. Dassauch der Gesetzentwurf noch einige Punkte offenlässt,will ich nicht verhehlen. Ich bin sicher, dass der Gesetz-geber des Jahres 1965 sich Privatkopien in der heutigenForm so noch nicht vorgestellt hat – sowohl in quantita-tiver als auch in qualitativer Hinsicht. Heute geht es ei-gentlich nicht mehr um Kopieren, sondern um Klonen –einfach, schnell, ohne Qualitätsverlust und billig.

Deswegen müssen wir die verworrene Rechtslage auchin einem nächsten Korb klarer machen. Die heutige ver-worrene Rechtslage nutzt dem Dreisten, der die Grenzeaustestet. Der Ehrliche ist hier leider der Dumme. Deswe-gen sind in einem nächsten Korb – auch im Interesse derVerbraucher und ihrer Rechtssicherheit – klare Grenz-ziehungen notwendig. Lassen Sie mich hier drei Punktenennen.

Erstens. Kopie nur vom Original. Das ist eine sehrvernünftige und von uns seit längerem erhobene Forde-rung.

Zweitens. Wir sollten uns die Begründung zum § 52 bdes Gesetzentwurfes zum Vorbild nehmen und die An-zahl der zulässigen Privatkopien auf einen bestimmtenHöchstwert begrenzen.

Drittens. Vor allem sollten wir uns bemühen, das Pro-blem der intelligenten Aufnahmetechniken relativ raschin den Griff zu bekommen. Derzeit kann man mithilfeeiner Software Tausende von Internetradiostationen ab-hören und auf diese Art und Weise sehr leicht und fastkostenlos so viele Musikstücke, wie man möchte, aufseinen eigenen Rechner herunterladen. Funktional istdas nichts anderes als eine illegale Musiktauschbörse.Dem müssen wir Einhalt gebieten.

Allerdings brauchen wir auch noch Aufklärungsarbeit– das hat das Gesetzgebungsverfahren gezeigt – in Rich-tung des Bereichs Wissenschaft und Bildung. Wie ichmit Bedauern zur Kenntnis genommen habe, sehen ei-nige Professoren das Urheberrecht offenbar eher als Be-drohung denn als Chance, obwohl gerade die Wissen-schaftler von dem geistigen Eigentum und für dasgeistige Eigentum leben.

(Jörg Tauss [SPD]: Aber das erkläre ich Ihneneinmal! Das machen wir in einem längerenDiskurs!)

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Dr. Günter Krings

Genauso wenig, wie man erwarten kann, dass ein Pri-vatmann ein Grundstück kostenlos für eine Universitätzur Verfügung stellt, nur weil man dort einen wichtigenHörsaal bauen will, wird man erwarten können, dass Ur-heber kostenlos ihr geistiges Eigentum für die Wissen-schaft zur Verfügung stellen. Dieser Freibier-Mentalitätmüssen wir Einhalt gebieten.

(Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Faktum ist nun einmal, dass die meisten Wissen-schaftler nicht nur auf der eigenen Homepage publizie-ren möchten, sondern auch bei einem Verlag. Deshalbkann wissenschaftsfreundliches Urheberrecht gar nichtsanderes heißen als auch wissenschaftsverlagsfreundli-ches Urheberrecht.

Nahezu die gesamte Wissenschaftslandschaft iststaatlich dominiert. Da tut ein privatrechtlich organisier-ter Tupfer ganz gut. Daher bin ich froh, dass wir – auchin Zusammenarbeit mit den Bildungspolitikern; an die-ser Stelle haben wir uns aufeinander zu bewegt; das willich ausdrücklich sagen – einen vernünftigen Ausgleichder Interessen gefunden haben. Damit verhindern wireine schleichende Verstaatlichung der Wissenschaftsver-lage. Das ist einer der größten Erfolge.

(Jörg Tauss [SPD]: Na, na!)

Abschließend möchte ich den Fraktionen, die mitge-wirkt haben, meinen Dank aussprechen. Ich bedankemich vor allem bei dem Koordinator der Berichterstat-terrunden, Herrn Manzewski, der dies mit sehr viel Um-sicht und Kenntnis getan hat. Ich bedanke mich aus-drücklich auch bei der FDP, insbesondere bei FrauLeutheusser-Schnarrenberger,

(Beifall des Abg. Hans-Joachim Otto [Frank-furt] [FDP])

die bis zum Schluss dabeigeblieben ist. Das ist eineStandhaftigkeit, die die Grünen leider nicht an den Taggelegt haben. Sie sind auf der Zielgeraden ausgeschert.Das wird vielleicht beim nächsten Mal besser.

Heute ist nicht der Schlusspunkt im Urheberrecht.Wir fassen zwar einen Beschluss zum Zweiten Korb.Wir haben heute aber zugleich im Rechtsausschuss einenEntschließungsantrag aufgelegt, der die Richtung fürden Dritten Korb weist. Es geht um viele wichtige Fra-gen, beispielsweise um die Kabelweitersendung und in-telligente Aufnahmetechniken. Auch für die nächstenSchritte im Urheberrecht gilt: Das Urheberrecht brauchtvielleicht bisweilen die Kreativität des Gesetzgebers; vorallem aber brauchen die Kreativen das Urheberrecht.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD – Beifall bei der FDP )

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Nun hat das Wort Kollegin Petra Sitte, Fraktion Die

Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Meine Damen und Herren! Ich will es gleich an den

Anfang meiner Rede stellen: Die Linke wird dem soge-nannten Zweiten Korb der Urheberrechtsnovelle nichtzustimmen.

(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Dann sind wir beruhigt!)

Wie in diesem Hause üblich, haben auch wir Ver-handlungswillen signalisiert. Auch wir wollten, dass dasUrheberrecht den unterschiedlichsten Interessen Rech-nung trägt: angefangen von den Urhebern über die Ver-lage und Verwertungsgesellschaften bis hin zu den Ver-brauchern sowie Nutzern in Bildung und Wissenschaft.Dies jedoch leistet aus unserer Sicht der Zweite Korb ausmehreren Gründen nicht.

Der erste Grund betrifft die Urhebervergütung. Ineiner Zeit, in der die Entwicklung von Medien und Me-dienträgern eine unglaubliche Umschlagsgeschwindig-keit hat, in der Inhalte im Internet so schnell verfügbarsind und heute nicht absehbar ist, wie und in welchemFormat beispielsweise ein Zeitschriftenartikel später ge-nutzt werden kann, muss sich der Gesetzgeber um denSchutz des geistigen Eigentums kümmern. Er muss da-für Sorge tragen, dass die Kreativen in diesem Land, alsodie Urheber und Urheberinnen, ihr Auskommen haben.

Immerhin hat es Änderungen am ursprünglichen Ge-setzentwurf gegeben. Dieser sah im Falle der Abgabeauf Kopiergeräte und Ähnliches noch vor, dass die Ver-gütungen an Gerätepreise gekoppelt werden sollten.Dies aber – das können wir in jedem Elektronikmarktbeobachten – wäre mit einem ständigen Sinken der Ver-gütungen verbunden gewesen. Die Einkommensspiralewäre für die Urheber und Urheberinnen nach unten offengewesen. Dass das nun nicht kommen soll, finden wirrichtig. Aber auch die neue Regelung vollzieht, mit Ver-laub gesagt, ebenjenen Systemwechsel. Statt Vergü-tungssätze pauschal und fest zu regeln, sollen Urheberund Verwerter bzw. die Geräteindustrie gemeinsam einevertragliche Lösung finden. Das wirtschaftliche Un-gleichgewicht der Vertragspartner wird aber auch hier zueiner Schlechterstellung der Urheber und Urheberinnenführen. Das war bereits Gegenstand der Rede der Minis-terin. Auch Herr Krings hat auf Probleme im Zusam-menhang mit dieser Regelung hingewiesen.

Die gleichen Folgen hat die Streichung des § 31Abs. 4 dieses Gesetzes. Danach ist es nun nicht mehrverboten, Nutzungsrechte für Nutzungsarten einzuräu-men, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nochnicht bekannt sind. Das heißt also, ich kann im Zweifels-fall unter Druck gesetzt werden, ein Recht zu übertragen,dessen wirtschaftlichen Wert ich nicht einschätzen kann.An jedem neuen Medium kann sich die Verwertungsin-dustrie so künftig eine goldene Nase verdienen. DieLinke findet, dass sich auch nach vielen Jahren Diskus-sion über das Urheberrecht an der ursprünglichen Auf-gabe, bei der der Umstand beachtet werden muss, dassUrheber schutzbedürftig sind, nichts geändert hat. Wirwollen, dass die bisherige Schutznorm des Gesetzes er-halten bleibt.

Der zweite Grund, warum der Zweite Korb aus Sichtder Linken nicht zustimmungsfähig ist, betrifft die Inte-

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Dr. Petra Sitte

ressen von Wissenschaft und Bildung. Wir haben da-rüber gestern im Ausschuss noch einmal intensiv gere-det. Der Entwurf, über den wir abzustimmen haben, trägtoffiziell den Titel – ich erinnere daran – „Entwurf einesZweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in derInformationsgesellschaft“. Wir haben den Eindruck,dass man die Informationsgesellschaft irgendwie aus denAugen verloren hat.

In den letzten Jahren wurden an den Hochschulenüber 4 Millionen lokale Netzwerke eingerichtet. Unibi-bliotheken wurden von jedem Arbeitsplatz auf demHochschulcampus virtuell zugänglich. Mit dem ZweitenKorb werden nun genau diese Investitionen in denOnlinezugriff zunichte gemacht. Das heißt, künftig müs-sen Studierende sowie Wissenschaftlerinnen und Wis-senschaftler wieder in die Bibliothek wackeln. Das istdoch wohl kein Fortschritt. Die Linke sagt, dass dasWissen zu den Nutzern kommen muss, nicht umgekehrt.Schneller Wissenszugang ist immerhin das A und O ei-ner modernen Informationsgesellschaft. Deshalb sindwir für eine – wohlgemerkt – campusweite Nutzung.

Außerdem hinkt der Gesetzentwurf selbst den EU-Debatten hinterher. Anders als im Gesetzentwurf schlägtdie EU-Kommission nämlich ein Open-Access-Modellvor. Das heißt: Öffentlich finanzierte Forschungsergeb-nisse dürfen nicht privatisiert werden; sie sollen frei zu-gänglich sein. Leser sind doch auch Steuerzahler undsollten als solche nicht doppelt zur Kasse gebeten wer-den. Genau das würde aber passieren, wenn sie das ge-wonnene Wissen allein in gekauften Zeitschriften undBüchern nachlesen könnten.

Auch der Kopienversand durch öffentliche Biblio-theken ist aus unserer Sicht nicht ausreichend geregelt.Der Kopienversand für Schüler, Studierende und For-schende soll sich an den im Geschäftsverkehr geltendenBedingungen orientieren. Das bedeutet doch ehrlich ge-sagt nichts anderes, als dass es zu einer Verteuerung desWissenszugangs kommen wird. Wir wollen aber geradenicht, dass es zusätzliche Preisbarrieren gibt und es zueiner Verteuerung des Wissens kommt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Also kein Urheber-recht!)

Mein dritter und letzter Einwand betrifft die Privat-kopie. Sie ist nach wie vor nicht durchsetzungsfest imSinne der Verbraucher geregelt. Vielmehr nehmen tech-nische Schutzmaßnahmen der Anbieter immer mehr zu,während der Datenschutz der Nutzer auf der anderenSeite immer mehr abnimmt. Der Schutz von Verbrau-cherdaten vor unzulässiger Weitergabe an die Anbietervon Internetdiensten gehört nach Auffassung der Linkensehr wohl zu den Aufgaben des Gesetzgebers.

Schließlich – es ist klar, dass ich das hier noch einmalanspreche – kritisieren wir die fehlende Bagatellklausel.Natürlich kann Strafrecht immer nur Ultima Ratio sein.Gerade weil wir keine Kriminalisierung der Schulhöfewollen, wäre ein Strafausschließungsgrund im Bagatell-bereich echt angesagt gewesen.

Das, meine Damen und Herren, sind im Wesentlichendie Gründe, weshalb wir dem Zweiten Korb nicht zu-stimmen werden.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort dem Kollegen Jerzy Montag,

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben

es heute mit einem Zwischenergebnis bei der Reformdes Urheberrechts zu tun. Zwischenergebnis deswegen,weil viele Probleme nicht gelöst sind, weil wir ganz si-cher in Zukunft durch die technische Entwicklung neueHerausforderungen meistern werden müssen, aber auchweil Notwendiges nicht oder falsch gelöst worden ist.

Zwischenergebnis bedeutet auch Zwischenbilanz. Diefällt aus unserer Sicht nicht eindeutig aus. Das Gesetzkennt Licht und Schatten und hat vor allem etliche Lö-cher hinsichtlich der Regelungen.

Ich will zuerst die positiven Dinge erwähnen. Die Än-derung der Pauschalvergütung ist ein Fortschritt. Wirsind weg von dem etatistischen Modell. Die Parteien desVerfahrens zur Festlegung der Pauschalvergütung kön-nen miteinander verhandeln. Die Bundesregierung – dasist schon angesprochen worden – hat die eine Seite abermit Hand- und Fußfesseln in die Verhandlungen ge-schickt. Lieber Herr Kollege Krings, so billig kommenSie nicht davon. Ich kenne in Ihrer Koalitionsvereinba-rung keine Regelung, die besagt, dass die Anweisungendes alten Bundeskanzlers für Sie weiterhin gelten. DieseHand- und Fußfesseln waren nämlich Bestandteil desGesetzentwurfs Ihrer Bundesregierung. Es bedurfte dergemeinsamen Kraft auch der Oppositionsparteien, dieseFuß- und Handfesseln loszuwerden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben in diesem Gesetzentwurf zum ersten Maleine Regelung zum Open Content. Der Urheber behältein einfaches Verwertungsrecht; das ist so festgehalten.Wir haben neue Schranken zugunsten von Bildung undWissenschaft. Das ist ein ganz gewichtiger Fortschritt.

Auch bei den unbekannten Nutzungsarten ist ein Fort-schritt erzielt worden. Dieser Fortschritt wurde aber erstdurch die Arbeit des Parlaments, insbesondere der Op-position, möglich. Die Opposition hat dafür gesorgt,dass die Urheber – Frau Sitte hat völlig recht: sie sinddie Schwächeren – vor Beginn der Verwertung die Mög-lichkeit zum Widerspruch haben. Erst dadurch haben sieeine starke Position. Diese Änderung, dieses Wider-spruchsrecht haben wir im Parlament aber erst erstreitenmüssen.

Damit komme ich zur Kritik. Erstens. Meine Damenund Herren von der Koalition, Sie haben die Filmschaf-fenden schlechter behandelt als andere Urheber undKünstler. Sie haben sie sehr effektiv diskriminiert.

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11151

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Jerzy Montag

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Ach,du lieber Gott!)

In Richtung der Kolleginnen und Kollegen von der SPDsage ich: Wir haben in dieser Sache vor einigen Tagenein Schreiben des Bundesverbandes Regie erhalten. Icherlaube mir, einige Sätze daraus zu zitieren:

Seit es Film gibt, seit 1892, haben alle Gesetzgeber,ob sie in ihrer Mehrheit konservativ, liberal oder so-zial waren, Filmurheber wie andere Urheber ge-schützt. Wir bitten Sie, den heutigen Gesetzgeber,dringend, diese Tradition fortzusetzen. VerhindernSie bitte unsere faktische Enteignung.

Meine Damen und Herren von der SPD, die Namen,die unter diesem Schreiben stehen, sind interessant; siesind Ihnen aus so manchen Künstlerinitiativen zur Un-terstützung der SPD und des früheren BundeskanzlersSchröder sehr gut bekannt: Margarethe von Trotta,Volker Schlöndorff und Hark Bohm. Sie behandeln sieso, dass sie sich als von Ihnen enteignet ansehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich komme zum zweiten Kritikpunkt. ElektronischeLeseplätze sind zum ersten Mal gesetzlich geregelt. Dasist gut und richtig. Aber warum soll es sie nicht auch inSchulen und Hochschulinstituten geben, warum nicht inallen öffentlich zugänglichen Bildungseinrichtungen?Natürlich wären es dann mehr geworden. Aber das wäredoch nicht schlecht, sondern gut.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir hätten dann überlegen müssen, ob die eine oder dieandere Institution unter die Regelung fällt. Das wäre miraber lieber gewesen als Ihr ängstlicher, kleiner, ersterSchritt in diese Richtung.

Warum gibt es eigentlich nur so viele Leseplätze wieBuchexemplare? Warum wird das nicht dem Bedarf derNutzerinnen und Nutzer angepasst? Das wäre eine faireLösung gewesen.

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Eigentums-schutz!)

– Nein, lieber Kollege. Wir hätten natürlich zugestimmt,wenn Sie die Vergütung entsprechend angepasst hätten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Sie greifen zu dem falschen Mittel und begrenzen so dieZukunft in der Bildungslandschaft. Das wird von unsheftig kritisiert.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege Montag, gestatten Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Otto?

Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber gerne.

Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Herr Kollege, auch wenn dieser Gesetzentwurf in ers-

ter Linie von der Großen Koalition getragen wird, mussich sagen, dass Sie mich etwas verwirren.

(Jörg Tauss [SPD]: Das darf nicht sein!)

Sie haben eben aus einem Brief vorgelesen, in dem vonder Enteignung der Filmschaffenden die Rede ist. In die-sem Zusammenhang haben Sie Margarethe von Trottaund andere genannt. Eine Minute später aber sprachenSie davon, dass in Universitäten, Schulen und Bibliothe-ken ein unbegrenzter Zugang zu digitalen Dokumentenzulässig sein sollte. Halten Sie das nicht für eine Enteig-nung der Urheber?

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lieber Kollege Otto, es verwundert mich, dass Sie

verwundert sind.

(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich kann das aber erklären, und zwar in einer Art undWeise, dass auch Sie es verstehen werden.

(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Das ist gut! Deswegen habe ich Sie gefragt!)

Lieber Kollege Otto, das Urheberrecht ist ein allge-meines, absolutes Recht, das gegen jedermann gilt. Dasgilt auch für das Urheberrecht am geistigen Eigentum.Das soll nach meiner Meinung auch so bleiben. Aberkein Eigentumsrecht gilt absolut.

(Zuruf von der CDU/CSU: Nur das Filmrecht!)

In einer Gesellschaft wie der, in der wir leben, müssensich alle Eigentumsrechte Schranken zugunsten anderergemeinwohlverpflichteten Institutionen gefallen lassen.

Der positive Aspekt dieses Gesetzentwurfs ist, dass eseine neue Schranke des Urheberrechts gibt, und zwarzugunsten von Bildung, Forschung und Wissenschaft.Diese neue Schranke ist notwendig, aber sie muss zu-kunftsgerichtet sein. Deswegen wollen wir, dass so vieleLeseplätze in öffentlichen Einrichtungen, zum BeispielHochschulinstituten, installiert werden, wie die Nutze-rinnen und Nutzer, die Studentinnen und Studenten siefür ihr Studium benötigen. Das ist keine Enteignung;denn ich plädiere dafür, dass eine angemessene Vergü-tung gezahlt wird. Sie aber lehnen die Schranke offen-sichtlich insgesamt ab. Daher müssen Sie sich gefallenlassen, gefragt zu werden, warum Sie bei der Förderungvon Bildung, Forschung und Wissenschaft so mickrigsind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])

Ich komme zum dritten Kritikpunkt. Er betrifft denelektronischen Kopienversand. Dies ist ebenfalls eineneue Schranke, und das ist gut und richtig so. Aber eshätte auch hier eines fairen Ausgleichs der Interessen

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Jerzy Montag

beider Seiten bedurft. Es geht einerseits um das Interesseder Verlage – auch kleiner Wissenschaftsverlage –, ande-rerseits um das Interesse der Studentinnen und Studen-ten, Kopien auf einem Wege zu erhalten, der ihren öko-nomischen Umständen angemessen ist, so wie es heutein einem juristischen Graubereich schon lange stattfin-det. Wir haben darum gekämpft und gerungen. Wir ha-ben mit Ihnen darüber diskutiert, ob wir nicht auch so-ziale und bildungspolitische Aspekte in den Begriff derAngemessenheit implementieren können. Aber nein, Siehaben nur die wirtschaftlichen Aspekte angesprochen.Dazu sage ich Ihnen: Wenn in diesem Bereich Angemes-senheit nur bedeutet, dass die Regelung für die Verlageangemessen ist, aber nicht für die Studentinnen und Stu-denten, dann bin ich eher dafür, dass das Verlagsprivilegfällt.

Vierter Kritikpunkt – wieder an die SPD gewandt –:Wir haben den Bruch eines Versprechens zu konstatie-ren. Sie haben beim Ersten Korb des Urheberrechts ver-sprochen, dass wir uns beim Zweiten Korb des Urheber-rechts für eine durchsetzungsstarke digitale Privatkopiefür redliche Nutzer starkmachen werden.

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Die Koali-tion hat gewechselt!)

Diese Position haben Sie verlassen; Sie sind vor derUnion in die Knie gegangen. Wir wissen, dass wir in die-sem Hause mit der Forderung nach einer durchsetzungs-starken Privatkopie alleine dastehen. Aber wir wissenauch: Draußen, in der Gesellschaft ist das ganz anders.Wir werden deshalb auch in Zukunft dafür streiten, dasses eine solche durchsetzungsstarke Privatkopie gibt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das gilt in gleicher Weise für die Bagatellklausel.Natürlich ist es richtig und notwendig, im Bagatellbe-reich das Strafrecht zurückzudrängen. Der zivilrechtli-che Schutz der Urheber bleibt ja weiterhin erhalten. DassSie auf die Schulhöfe Staatsanwälte und Polizisten schi-cken wollen,

(Dirk Manzewski [SPD]: Blödsinn! Das ist doch peinlich!)

ist vielleicht aus Ihrer Sicht eine vernünftige Lösung, fürdie Jugend aber nicht.

Wir sagen Ihnen: Der Gesetzentwurf weist Licht undSchatten auf. Wir können ihm aufgrund seiner Fehlernicht zustimmen. Wir wollen ihn aber auch nicht ableh-nen, weil er gute, in die Zukunft weisende Elemente ent-hält. Deswegen werden wir uns in der Schlussabstim-mung enthalten.

Die Debatte über das Urheberrecht geht weiter. DieGrünen werden weiter dabei sein.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich erteile Kollegen Jörg Tauss das Wort, damit er an

seinem Geburtstag unablässig reden darf.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Jörg Tauss (SPD): Ich habe vorhin schon gefragt, Herr Präsident, ob das

Lebensalter am Tag des Geburtstags der Redezeit ent-spricht. Dann hätte ich die Gelegenheit, auf viel mehreinzugehen, als in den vier Minuten Redezeit, die ichjetzt habe.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmalrecht herzlichen Dank an die Kolleginnen und Kollegenaus dem Bereich Recht, dass wir – ich habe jetzt zweiHüte auf: einen aus dem Bereich Kultur und Medien, ei-nen anderen aus dem Bereich Bildung, Wissenschaft undForschung – noch einige Anmerkungen zu diesemThema machen können. Vielleicht können wir auch dieeine oder andere Verwirrung, die aufgekommen ist, lie-ber Kollege Otto und lieber Kollege Montag, klären.

Zunächst einmal zum Wegfall der Bagatellklausel.Ich denke, wir sollten hier ein bisschen abrüsten. Ichsehe hier weder den Untergang des Abendlandes, dendie Wirtschaft als Popanz aufgebaut hat, noch eine Kri-minalisierung der Schulhöfe. Es gibt immer noch Staats-anwälte, die auf vernünftige Weise abwägen.

Allerdings gibt es ein Problem, dem wir uns zuwen-den müssen; das würde ich auch der FDP empfehlen. Ichbin der Justizministerin sehr dankbar, dass sie die Ab-mahnungen zu einem Thema macht. Wir laufen nämlichGefahr, dass es im Rahmen der Vorratsdatenspeiche-rung erstmals möglich wird, dass öffentlich und eigent-lich nur für Strafrechtszwecke gesammelte Daten Priva-ten überlassen werden.

(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]:Wie bitte? Das gibt es doch gar nicht! –Joachim Stünker [SPD]: Was ist das denn fürein Unsinn?)

Dadurch könnte es geschehen – Kollege Otto hört jetztbitte weg –, dass eine Goldgräbermentalität hervorgeru-fen wird und der eine oder andere in Form von Abmah-nungen und Rechtsanwaltsgebühren, die nicht in Ord-nung sind, Tausende von Jugendlichen zur Kasse bittet.

(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: Ach was! Das gibt es doch überhaupt nicht!)

Über dieses Thema müssen wir aber diskutieren, wennes um Abmahnungen geht.

Aus kultur- und medienpolitischer Sicht begrüßen wirviele in diesem Gesetzentwurf enthaltenen Änderungenausdrücklich. Wir haben nach der Anhörung und nacheinem sehr intensiven Austausch mit vielen Künstlerin-nen und Künstlern, mit Kulturschaffenden und Kreativenwichtige Änderungen gegenüber dem ursprünglichenGesetzentwurf im Gespräch mit unseren KollegenRechtspolitikern angeregt und letztlich auch in den vor-liegenden Gesetzentwurf aufgenommen.

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11153

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Jörg Tauss

Die unbekannten Nutzungsarten sind ein wesentli-cher Punkt. In der Tat ist es eine wichtige Frage in derInformationsgesellschaft, was geschieht, wenn aufgrundder technischen Entwicklung neue Nutzungsmöglichkei-ten zur Verfügung stehen, die zum Zeitpunkt der Schaf-fung eines Werkes noch nicht absehbar waren. Ichglaube, hier haben wir eine gute Lösung hinbekommen.

Die Vergütungspflicht ist von allen Rednerinnen undRednern und auch von der Kollegin Zypries angespro-chen worden. Wichtige Stichworte sind in diesem Zu-sammenhang der doppelte Flaschenhals und die Taug-lichkeit der Geräte als Basis der Vergütung. 5 Prozentdes Gerätepreises als Urhebervergütung ist eine proble-matische Regelung. Aber auch hier haben wir eine, wieich denke, ordentliche Regelung getroffen.

Die Industrie kritisiert diesen Kompromiss; das be-daure ich sehr. Da die Urheber die Befürchtung hatten, inerheblichem Maße Einkommen zu verlieren, hatte ichdie Industrie gebeten, den Urhebern zu signalisieren,dass sie mit dieser Regelung nicht bezweckt, die Vergü-tungen der Urheber in den Keller zu fahren, sondern dassdie Vergütungen in der bisherigen Höhe beibehaltenbzw. fortentwickelt werden sollen. Dieses Signal ist lei-der über Monate hinweg ausgeblieben. Deshalb ist die-ses Problem entstanden. Auf merkwürdige Anzeigen-kampagnen wie die, die derzeit in der einen oder anderenComputerzeitschrift zu finden ist – dort heißt es unteranderem, dass ein Drucker jetzt 300 Euro mehr kostetund der Bundestag daran schuld sei –, sollte man ver-zichten. Solche Albernheiten sollte man besser unterlas-sen. Hier geht es um etwas anderes. Die Industrie hatsich hiermit keinen Gefallen getan.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Nun zum Film. Hier gibt es in der Tat einige Aspekte,die beobachtet werden müssen; sie sind auch im zur Ab-stimmung stehenden Entschließungsantrag enthalten.Allerdings muss ich mit einer gewissen Kritik in Rich-tung der Vertreter des Films sagen – das ist bei solchenGesetzgebungsverfahren immer ein Problem –: Die Ur-heber haben uns immer etwas völlig anderes erzählt alsdie Produzenten. Produzenten ohne Künstler gibt esnicht, und Künstler können nicht ohne Produzenten ar-beiten. Ich hätte mir daher gewünscht, dass die Vertreterdes Films mit einer Stimme gesprochen hätten. Wenndas nicht möglich ist und man im Nachhinein mit einemKompromiss nicht zufrieden ist, hat man natürlich einkleines Problem.

Was Bildung, Wissenschaft und Forschung angeht,glaube ich in der Tat, dass es hier ein paar Missverständ-nisse gibt. Lieber Kollege Krings, beim Thema OpenAccess geht es um die Frage, wie wir mit öffentlich ge-schaffenen Mitteln umgehen: Kann es sein, dass wir dasWissen in Bibliotheken schaffen, es anschließend anVerlage weitergeben und es dann für viel Geld zurück-kaufen? Als ich diese Fragen einmal auf einer Buch-messe gestellt habe, wurde ich dort als Internetkommu-nist beschimpft. Das ist nicht der richtige Weg, umdieses Problem zu lösen.

Kollege Krings, die deutsche UNESCO-Kommissionhat zu diesem Thema ein Büchlein herausgegeben, indem auch ein wichtiger Beitrag von mir enthalten ist.Lesen Sie doch einmal nach, was in diesem Buch zumThema Open Access steht.

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Eben haben Sie noch „Büchlein“ gesagt! Was denn nun?)

Das richtet sich nicht gegen die Verlage. Hier geht es al-lenfalls gegen die Verlage, die die Zeichen der Zeit nichterkannt haben und miserable Geschäftsmodelle aus derVergangenheit haben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Darüber, bei wem das so ist, entscheiden Sie?)

Die modernen Verlage wissen: Das ist eine Riesen-chance, die wir durch das Urheberrecht allerdings nichtbeeinträchtigen dürfen. Daher, Frau Ministerin, werdenwir anregen, in einem Dritten Korb des Urheberrechtsmit Blick auf Bildung und Wissenschaft erneut sorgfältigüber das eine oder andere Problem nachzudenken.

Ich bedanke mich für die guten Diskussionen mit denKolleginnen und Kollegen Rechtspolitikern. Die nochoffenen Fragen in den Bereichen Film, Wissenschaft undForschung werden wir nicht nur beobachten. Wir werdenunsere Bemühungen weiterhin bündeln, um zu positivenErgebnissen zu kommen. – Wie ich sehe, habe ich meineRedezeit bereits überzogen.

Ich bedanke mich für das Zuhören.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Die überzogene Redezeit war ein Geburtstagsge-

schenk an Sie.

Ich erteile das Wort Kollegen Carsten Müller, CDU/CSU-Fraktion.

Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Viele Vor-

redner haben es schon gesagt: Es war tatsächlich ein au-ßergewöhnlich zeitraubender Prozess, dieses wichtigeVorhaben zu einem, wenn auch nicht ganz guten, sodoch gut vertretbaren Ende zu bringen.

Mir sei an dieser Stelle gestattet zu sagen: Ich finde esschon merkwürdig, dass ausgerechnet die Linksfraktionhier mit markigen Worten auffällt,

(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ich fand meine Ausführungen sehr ausgewogen!)

deren Hauptberichterstatter im federführenden Aus-schuss, im Rechtsausschuss, wie mir glaubwürdig versi-chert wird, überwiegend durch Abwesenheit geglänzthaben und die sich auch an den Erörterungen im Aus-schuss für Bildung und Forschung nur pro forma betei-ligt hat. Ihre Einwände sind also nicht wirklich ernst zunehmen.

In einer Zeit, in der die technische Entwicklung im-mer schneller wird, müssen wir stets auch das Urheber-recht anpassen. Lange, schwierige Verhandlungen haben

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11154 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007

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Carsten Müller (Braunschweig)

schließlich zu einem Ergebnis geführt, das den digitalenFragestellungen Rechnung trägt. Digitale Fragestellun-gen können nicht analog beantwortet werden. Wir habenin den letzten Wochen noch gute Fortschritte für Bildungund Forschung erzielt. Im Wesentlichen greifen wir dieForderung auf, die sich in der EU-Richtlinie zum Urhe-berrecht in der Informationsgesellschaft manifestiert hat.Darüber hinaus greifen wir eine wesentliche Forderungdes Koalitionsvertrages auf. Dort ist die Rede von einemwissenschafts- und bildungsfreundlichen Urheber-recht.

(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD] – JörgTauss [SPD]: Ein guter Kompromiss! Ent-schuldigung! Fürs Protokoll: Ich wollte sagen:ein guter Koalitionsvertrag!)

Wir werden dieser wichtigen Forderung mit dem heuti-gen Vorschlag und den entsprechenden Anträgen durch-aus gerecht.

An dieser Stelle sei mir erlaubt, anzumerken: „Wis-senschaftsfreundlich“ heißt nicht in erster Linie „wissen-schaftsverlagsfreundlich“.

(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: So ist es!)

Wenn sich ein Vertreter eines Wissenschaftsverlages fürden Urheber im materiellen Sinne hält, unterliegt erdemselben Irrtum wie der Flugzeugführer, der sich füreinen Vogel hält. Wir müssen also in erster Linie die In-teressen der Urheber im materiellen Sinne wahren, unddas ist uns in Teilen gelungen.

(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD] – JörgTauss [SPD]: Bin ich hier der einzige Fan vonMüller?)

Die Große Koalition greift auf, dass Wissenschaft undForschung neben einer nennenswerten finanziellen Aus-stattung günstige Rahmenbedingungen brauchen. Ichmöchte einige der aus bildungspolitischer Sicht wichti-gen Ergebnisse darstellen: Der Kopienversand auf Be-stellung ist jetzt zulässig, er ist kodifiziert und meinesErachtens gut verträglich geregelt. Der Kopienversandkann in dem Moment ohne Weiteres erfolgen, wenn einOnlineangebot von Verlagen nicht offensichtlich undnicht zu angemessenen Konditionen zu erhalten ist. Dasträgt den wesentlichen Forderungen Rechnung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so-wie des Abg. Jörg Tauss [SPD])

Darüber hinaus ist es uns gelungen, eine praktikable Re-gelung für elektronische Leseplätze in den Gesetzent-wurf einfließen zu lassen. Die Begründung zu lesen, seijedem anempfohlen. Hier besteht nämlich nicht das Pro-blem, das der Kollege Montag an die Wand gemalt hat.Unsere Lösung ist veritabel.

In einem Entschließungsantrag der Koalitionsfraktio-nen werden die wichtigen Punkte aufgegriffen, die zurLösung in einem Dritten Korb anstehen. Ich bin mir si-cher, dass wir in einer vergleichbar kooperativen Zusam-menarbeit mit den Rechtspolitikern auch hier zu gutenLösungen kommen werden.

(Beifall der Abg. Ilse Aigner [CDU/CSU] so-wie des Abg. Jörg Tauss [SPD])

Wir sollten unseren Blick einmal über die GrenzenDeutschlands hinausschweifen lassen und uns an-schauen, wie es zum Beispiel mit dem Crown Copyrightin anderen Ländern funktioniert, damit öffentlich finan-zierte Forschung und Erkenntnisse nicht wieder teuermit Steuergeldern eingekauft werden müssen.

Wir schließen heute eine Etappe ab und beginnen mitden Vorbereitungen für die nächste Etappe, für den Drit-ten Korb: für das Urheberrecht im Bereich Bildung undWissenschaft. Ich freue mich schon heute auf die koope-rative Zusammenarbeit mit den Kollegen vom Rechts-ausschuss, mit den Kollegen vom Koalitionspartner.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort Kollegen Dirk Manzewski, SPD-

Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dirk Manzewski (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Ich muss eingestehen – Siekönnen sich das nach den heutigen Reden vielleicht vor-stellen –, dass ich mir bei diesem Gesetzgebungsverfah-ren häufig gewünscht habe, dass im Bundestag nurRechtspolitiker sitzen.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das würde die Sache einfacher machen!)

Denn dann wäre vermutlich vieles einfacher gewesen.

(Jörg Tauss [SPD]: Ob das aber zu einem gu-ten Urheberrecht führen würde, daran habe ichgroße Zweifel!)

Gerade beim Urheberrecht muss man jedoch akzep-tieren, dass dem nicht so ist, weil gerade in diesem Be-reich viele unterschiedliche Interessen aufeinandertref-fen.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist vielleicht auch so gewollt!)

Es gibt neben uns Rechtspolitikern unsere Verbraucher-,Bildungs-, Medien- und natürlich auch Wirtschaftspoliti-ker. Jeder von diesen Kolleginnen und Kollegen geht miteiner völlig anderen Grundhaltung an das Thema Urhe-berrecht heran. Das erfordert Kompromisse von allen,und zwar schon innerhalb der einzelnen Fraktionen.Deshalb freut es mich ganz besonders, dass es uns beidiesem schwierigen Thema wieder einmal zumindestteilweise gelungen ist, überfraktionell einen Konsens zuerreichen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir sind dem Vorschlag der Ministerin gefolgt, imBereich der Pauschalvergütung einen Paradigmen-wechsel vorzunehmen. Die Parteien sollen sich künftig

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Dirk Manzewski

grundsätzlich zusammensetzen und die Abgaben indivi-duell aushandeln. Ich persönlich hätte – ähnlich wie derKollege Krings; das zu sagen, muss schon erlaubt sein –einen anderen Lösungsweg bevorzugt, und zwar durchModernisierung und dauernde Fortschreibung der bisherhierfür maßgeblichen Anlage.

(Beifall der Abg. Monika Griefahn [SPD])

Es ist jedoch nicht von der Hand zu weisen, dassschon heute, soweit es die digitale Technik betrifft, dieAnlage veraltet ist und sich die Parteien schon jetzt zu-sammensetzen und die entsprechenden Abgaben indivi-duell aushandeln. Zudem bleibt – auch das ist nicht ganzunwichtig – dem Ministerium ein erheblicher Arbeits-aufwand erspart. Frau Ministerin, ich mag auch gar nichtdaran denken, was für ein Einfluss von außen jeweils aufSie eingewirkt hätte, wenn Sie diese Anlage fortzu-schreiben hätten.

Wir haben im Übrigen mit dem Entschließungsantragunter anderem deutlich gemacht, dass wir, sollten sichunsere Erwartungen in Bezug auf schnellere Vereinba-rungen nicht erfüllen, gegebenenfalls wieder zum altenSystem zurückkehren müssen. Nur folgerichtig war esmit Blick auf den Paradigmenwechsel dann – das hatKollege Krings angesprochen –, sowohl die angedachteEingangshürde – der nennenswerte Umfang – als auchden oberen Flaschenhals – die 5-Prozent-Klausel – zustreichen. Denn zum einen finde ich es unbillig, den Par-teien zwar einerseits die Vereinbarungshoheit zu über-tragen, diese dann aber andererseits für eine Seite gleichzweifach einzuschränken. Zum anderen wäre es nichtgerecht, die Urheber die Geiz-ist-geil-Mentalität vonGesellschaft und Wirtschaft ausbaden zu lassen. Wennich sehe, dass ein Kopierer, der heute 100 000 Kopienschafft und 200 Euro kostet, morgen bereits das Dop-pelte an Leistung erbringt und nur noch halb so teuer ist,dann weiß ich ganz genau, wohin die Reise für die Urhe-ber und die Pauschalabgabe gegangen wäre. Das kannvon uns nicht gewollt sein.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch dreikurze Sätze zur Bitkom sagen, die gerade den Untergangdes Abendlandes anmahnt und der Bevölkerung weiszu-machen versucht, dass die Geräte unheimlich teuer wer-den würden.

Erstens: Das Pauschalvergütungssystem auf Gerätegibt es schon seit ewigen Zeiten. Es tritt insoweit keineVeränderung für die Geräteindustrie ein. Zweitens:Durch die Streichung von Eingangshürde und oberemFlaschenhals streichen wir nur die angedachten Besser-stellungen für die Geräteindustrie. Wir halten damit denbestehenden Status quo aufrecht, ändern also nichts.Drittens: Trotz des Pauschalvergütungssystems inDeutschland haben wir sehr niedrige Gerätepreise, wennnicht gar die niedrigsten in Europa. Das macht deutlich,dass die Kritik der Bitkom aus der Luft gegriffen ist.

Wir haben uns darauf verständigt, dass von nun an Ver-träge über noch unbekannte Nutzungsarten zulässig seinsollen. Das ist sachgerecht und entspricht den Bedürfnis-sen der heutigen Zeit. Wir haben jedoch Wert darauf ge-legt, dass das Widerrufsrecht bei Neuverträgen auch ein

solches darstellt und nicht leer läuft. Bei Altverträgen ha-ben wir durch Veränderungen sichergestellt, dass für dieNutzung auch Vergütung fließt. Bei Bildung und For-schung haben wir Zugeständnisse gemacht. Anders alsbisher können in öffentlichen Bibliotheken, Museen undArchiven Bestände aus diesen Einrichtungen einge-schränkt an elektronischen Leseplätzen wiedergegebenwerden. Frau Dr. Sitte, auch wenn das teilweise heute sovorgehalten wird, ist das nicht zulässig. Insoweit ist daseine Verbesserung. Zudem ermöglichen wir zur Veran-schaulichung des Unterrichts und der wissenschaftlichenForschung den elektronischen Kopienversand auf Bestel-lung, soweit die Verlage nicht offensichtlich und zu ange-messenen Bedingungen ein entsprechendes Angebotselbst anbieten.

Ich bin mir durchaus bewusst – das ist hier heute jaauch deutlich geworden –, dass für den Bereich Bildungund Forschung eine noch höhere Erwartungshaltung be-stand. Soweit es den Kopienversand betrifft, warenunsere Möglichkeiten aber durch die entsprechendeeuropäische Richtlinie und durch während des Gesetzge-bungsverfahrens geäußerte Bedenken der EuropäischenKommission stark eingeschränkt.

Ich halte die Kritik, mit der ein wissenschaftsfreund-licheres Urheberrecht angemahnt wird, für nicht be-rechtigt. Ich kann zwar durchaus nachvollziehen, dasssich mancher Hochschulrektor oder -professor ange-sichts immer geringer werdender Zuweisungen mehrFreiräume bei der Nutzung des geistigen Eigentums ge-wünscht hätte. Seien wir aber doch einmal ganz ehrlich:Das eigentliche Problem in diesem Zusammenhang liegtdoch klar auf der Hand und ist leider bislang noch nichtgenannt worden. Es wird immer wieder propagiert, wiewichtig Bildung und Forschung sind – insbesondere dieBundesländer liefern sich hier geradezu einen Wettstreit –,doch kosten dürfen Bildungsinhalte offensichtlich nichtsmehr. Die fehlende Finanzausstattung der Hochschulendurch die Länder kann doch nicht zulasten der Urhebergehen.

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Hier ist vorgetragen worden, dass es gegebenenfallsmöglich wäre, etwas mit Lizenzverträgen zu machen.Auch das ist heute schon möglich. Natürlich kann sicheine Universität, wenn sie Geld in die Hand nimmt,eins a ausstatten. An dem Geld scheitert es aber eben.Ich finde, in einem Land wie Deutschland, das wie keinanderes auf die Köpfe seiner Menschen angewiesen ist,darf geistiges Eigentum nicht verscherbelt werden;denn wenn es sich nicht mehr lohnt, geistiges Eigentumzu publizieren und zu entwickeln, dann wird das letzt-endlich auch zulasten von Bildung und Forschung ge-hen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben den Bil-dungspolitikern zugesichert, dass wir insbesondere dieProblematik des sogenannten Zweitverwertungsrechtsim Rahmen des Dritten Korbs behandeln werden. Dazu,liebe Bildungspolitiker der Koalition, stehen wir auch.

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11156 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007

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Dirk Manzewski

Lassen Sie mich noch ganz kurz auf die Problematikder Bagatellklausel eingehen. Der Kollege Krings hat esangesprochen – ich sehe das genauso –: Wir haben in un-serer Gesellschaft das große Problem, den Menschen dieBedeutung des geistigen Eigentums klarzumachen.

(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: Genau so ist es!)

Insbesondere bei der Nutzung des Internets sind vieleleider der falschen Auffassung, dass sämtliche dort vor-gefundenen Inhalte frei und vor allen Dingen kostenloszur Verfügung stehen.

(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: So ist es!)

Ich glaube, wir würden ein fatales Zeichen setzen,wenn wir einerseits zwar die illegale Nutzung und Ver-breitung verbieten, andererseits aber verlauten lassenwürden, dass ein verbotswidriger Umgang in dem Zu-sammenhang sanktionslos bleibt. Ich meine, bei der ille-galen Nutzung – davon rede ich, Kollege Montag – wür-den alle Dämme brechen.

Im Übrigen kann ich Ihnen auch versichern, dass eszu keiner Kriminalisierung der Schulhöfe kommen wird;denn eines muss man einmal deutlich sagen: Dieses Ver-bot gilt schon jetzt.

(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: Ja, so ist es!)

Mir ist nicht bekannt, dass es insoweit zu einer Krimina-lisierung der Schulhöfe gekommen ist,

(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 25 000 Verfahren nur in Karlsruhe!)

eben auch deshalb nicht, weil die Staatsanwaltschaftenhier mit dem gebotenen Augenmaß vorgehen.

Kollege Montag, ich finde es auch ganz merkwürdig,dass man den Diebstahl geistigen Eigentums sanktions-los, die unerlaubte Telefonwerbung aber bußgeldbewehrtstellen möchte. Ich habe ja nichts gegen Letzteres; aberSie müssen mir einmal erklären, welche Verhältnismä-ßigkeit hier noch besteht. Was kommt als Nächstes? Sol-len wir demnächst auch das Graffitisprühen straflos stel-len, weil wir ansonsten die Schulhöfe kriminalisierenwürden?

Ich verstehe Sie wirklich nicht mehr. Offensichtlichhaben die Rechtspolitiker innerhalb der Partei der Grü-nen nichts mehr zu sagen und werden nicht mehr ernstgenommen. Ich nehme Sie jedenfalls nicht mehr ernst.

Ich finde es auch sehr verwunderlich, dass Sie die Ur-heber gegenüber der Geräteindustrie zwar hochleben las-sen, dass Ihnen aber dann, wenn es die Bildung oder dieVerbraucher betrifft, geistiges Eigentum offensichtlichüberhaupt nichts mehr wert ist.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowieder Abg. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger[FDP])

Lassen Sie mich abschließend aber versöhnlich wer-den. Ich möchte mich bei allen für die gute Zusammen-arbeit bedanken,

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist freundlich!)

insbesondere bei Ihnen, Frau Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger, und natürlich auch bei meinem Kolle-gen Günter Krings von der Union und seinem Mitarbei-ter; auch er sollte hier einmal erwähnt werden. Ganz be-sonders bedanke ich mich bei Frau Dr. Pakuscher undHerrn Dr. Henrichs vom BMJ und auch bei der Ministe-rin,

(Jörg Tauss [SPD]: Sie hat mich Monate meines Lebens gekostet!)

die versucht hat, jeden Termin – selbst innerhalb der Ko-alition; das muss man wirklich so deutlich sagen – per-sönlich wahrzunehmen.

Kollege Montag, selbst bei Ihnen möchte ich mich be-danken;

(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)

denn bis zur heutigen Rede habe ich Ihre Argumentationganz gut nachvollziehen können.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Ich weiß auch ganz genau, dass es nicht an Ihnen gele-gen hat, dass es mit Ihrer Fraktion zu keinem Konsensgekommen ist.

Zur Linkspartei lassen Sie mich noch Folgendes sa-gen:

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Zeitverschwendung!)

Frau Kollegin Dr. Sitte, Sie haben hier dargelegt, dassSie Verhandlungswillen gezeigt haben. Ich weiß, dassich mit Ihnen jetzt möglicherweise die falsche Persontreffe. Wir haben nach der Anhörung sehr viele Ge-spräche geführt. An dem ersten Gespräch, in dem wirdie Anhörung ausgewertet haben, hat noch FrauDr. Jochimsen teilgenommen. Zu all den wichtigen Ge-sprächen danach ist trotz Einladung und versuchter Ein-bindung niemand von Ihnen mehr gekommen.

(Widerspruch bei der LINKEN – Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)

Sie haben Ihre Referenten geschickt, die deutlich ge-macht haben, dass sie nicht aussagefähig sind. Auchwenn ich, wie gesagt, weiß, dass ich mit Ihnen die fal-sche Person treffe – vielleicht hätte man sich von Anfangan einigen sollen, dass Sie das Thema übernehmen –finde ich insofern die Kritik nicht ganz berechtigt. Wennheute Herr Nešković gesprochen hätte,

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Wer ist Nešković?)

hätte ich diese Kritik als Frechheit bezeichnet.

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Dirk Manzewski

Gleichwohl glaube ich, dass heute ein guter Tag fürdas Urheberrecht ist, und möchte mich bei Ihnen allendafür bedanken.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort Kollegen Norbert Geis, CDU/

CSU-Fraktion.

(Jörg Tauss [SPD]: Jetzt stören Sie aber denpersönlichen Ton nicht, Herr Geis! Sonst krie-gen Sie eine Zwischenfrage!)

Norbert Geis (CDU/CSU): Herr Tauss, ich gratuliere Ihnen zum Geburtstag.

(Zurufe von der SPD)

– Ich habe nur vier Minuten Redezeit und bitte um Ver-ständnis, dass ich nicht im Einzelnen auf Ihre Zwischen-rufe eingehen kann.

(Jörg Tauss [SPD]: Ich habe gar keinen ge-macht!)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Wir verabschieden heute einen sehrgroßen und wichtigen Gesetzentwurf, der einen langenVorlauf hat. Schon 1965 wurde in der Begründung desUrheberrechtsgesetzes auf die Notwendigkeit eines Ur-hebervertragsrechts hingewiesen, das 2002 geschaffenwurde.

Inzwischen hat man vor allen Dingen aufgrund dersagenhaften Entwicklung im Bereich der digitalen Tech-nologie festgestellt, dass das Urheberrecht europaweitgeschützt werden muss. Deswegen wurde eine Richtlinieerlassen, die 2003 bei uns umgesetzt worden ist. Wir wa-ren uns schon damals beim Korb 1 darüber im Klaren,dass wir einen zweiten Korb brauchen, weil im Korb 1nicht alle Probleme gelöst werden konnten.

Wir brauchen bald auch einen dritten Korb, um neuauftretende Probleme zu regeln. Es ist ein langer Wegder Reformen, um dem geistigen Eigentum gerecht zuwerden.

Ich kann nicht auf alle Fragen eingehen, aber ichmöchte auf einen wichtigen Punkt eingehen, den der Ge-setzentwurf zum Inhalt hat und der gerade auf unsererZielgeraden in der letzten Woche noch eine Rolle ge-spielt hat: Es geht um die Vergütung von Privatkopien.

Es wurde bereits angesprochen, wie diese Frage indem Gesetzentwurf geregelt wird. Für uns stellt sich im-mer noch die Frage, Frau Leutheusser-Schnarrenberger,ob es richtig war, es den Parteien – den Verwertungsge-sellschaften auf der einen Seite und den Herstellern aufder anderen Seite – zu überlassen, die Vergütung der Ur-heber auszuhandeln. Ob das im Interesse der Urheberliegt, muss sich noch herausstellen. Die Urheber sind ge-gen diese Regelung, weil sie befürchten, dass sie beimanchen Produkten Jahre brauchen, um ein vernünftiges

Ergebnis zu erzielen, und vielleicht sogar die Gerichteeinschreiten müssen. Dies muss abgewartet werden.Herr Krings hat schon angedeutet, dass wir in diesemFall korrigierend eingreifen müssen.

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Im Zusammenhang mit der Vergütung gibt es aber einweiteres Problem, das die Nutzung von Privatkopien ineinem nicht nennenswerten Umfang betrifft. Auch wennman davon ausgeht, dass in diesen Fällen nicht unbe-dingt eine Vergütung verlangt werden muss, können wirauch in diesem Punkt nicht nachgeben. Wir müssen denMenschen klarmachen, dass es hierbei um Eigentums-rechte bzw. um verfassungsrechtlich geschützte Rechtegeht, die genauso zu achten sind wie andere Eigentums-rechte. Deswegen ist der Begriff „nennenswerter Um-fang“ zu Recht gestrichen worden.

Ein weiterer Punkt in diesem Zusammenhang ist die5-Prozent-Klausel. Diese besagt, dass die Urheber zwarfrei miteinander verhandeln können, aber nur bis zu ei-ner Grenze von 5 Prozent des Kaufpreises der Geräte.Die Urheber haben von Anfang an darauf hingewiesen– das haben wir in vielen Gesprächen erfahren –, dassdie Preise für die Kopiergeräte immer weiter sinken unddass deshalb bei Einführung der 5-Prozent-Klausel beiniedrigen Preisen für die Urheber letzten Endes nichtsmehr übrig bleibt. Dies wird auch nicht dadurch aufge-hoben, dass die Verbreitung von PCs inzwischen vielweiter vorangeschritten ist als früher. All dies gliche dasaber nicht aus. Deswegen haben wir uns entschlossen,die 5-Prozent-Obergrenze zu streichen; ich meine: zuRecht. Das ist richtig und liegt im Interesse der Urheber.

Lassen Sie mich noch einen letzten Gedanken anfü-gen. § 53 des Urheberrechtsgesetzes stellt nun klar, dasseine Kopie dann rechtswidrig ist, wenn sie von einer zuUnrecht oder verbotswidrig in das Netz eingestelltenWerkkopie stammt. Diese Klarstellung scheint mir wich-tig zu sein, weil dies den Verwertungsgesellschaften,aber auch den Filmgesellschaften die Möglichkeit gibt,stärker als bisher ihre Rechte zu verteidigen.

Ich bedanke mich und hoffe sehr, dass dieses Gesetzeinen Beitrag zu einem stärkeren Schutz des geistigenEigentums leistet.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowieder Abg. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger[FDP])

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurf eines Zweiten Ge-setzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informa-tionsgesellschaft. Der Rechtsausschuss empfiehlt unterBuchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-che 16/5939, den Gesetzentwurf der Bundesregierungauf Drucksache 16/1828 in der Ausschussfassung anzu-nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf inder Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-

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Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse

zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – DerGesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit denStimmen von CDU/CSU, SPD und FDP bei Gegenstim-men der Linksfraktion, zwei oder drei Gegenstimmenaus der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen undsonstiger Enthaltung der Fraktion der Grünen angenom-men.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung.

Dazu liegen mir persönliche Erklärungen der Kolle-gen Bettin, Deligöz, Gehring, Göring-Eckardt, Roth(Augsburg) und Haßelmann vor.1)

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-men wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit mit demgleichen Stimmenverhältnis wie in der zweiten Beratungangenommen.

Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe cseiner Beschlussempfehlung, eine Entschließung anzu-nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-empfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU undSPD gegen die Stimmen der drei Oppositionsfraktionenangenommen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ent-schließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungs-antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/5972? –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ent-schließungsantrag ist bei Zustimmung der FDP-Fraktiongegen die Stimmen des Hauses im Übrigen abgelehnt.

Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-tion Die Linke auf Drucksache 16/5944? – Wer stimmtdagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantragist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen derFraktion Die Linke abgelehnt.

Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktiondes Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5971? –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschlie-ßungsantrag ist gegen die Stimmen der Fraktion der Grü-nen und mit den Stimmen des ganzen Hauses im Übri-gen abgelehnt.

Wir setzen die Abstimmung über die Beschlussemp-fehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 16/5939fort, Tagesordnungspunkt 7 b. Unter Buchstabe b seinerBeschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ab-lehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksa-che 16/262 mit dem Titel „Die Modernisierung des Ur-heberrechts muss fortgesetzt werden“. Wer stimmt fürdiese Beschlussempfehlung des Ausschusses? – Gegen-probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung istmit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen derFraktion der FDP angenommen.

1) Anlage 3

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 8 auf:

Beratung der Großen Anfrage der AbgeordnetenEva Bulling-Schröter, Dr. Kirsten Tackmann,Dr. Dagmar Enkelmann, weiterer Abgeordneterund der Fraktion der LINKEN

Nachhaltiger Schutz der Meeresumwelt

– Drucksachen 16/3069, 16/4782 –

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der FraktionDie Linke vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei dieFraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile der KolleginEva Bulling-Schröter, Fraktion Die Linke, das Wort.

Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor

nunmehr zwölf Jahren hat die Bundesregierung eineGroße Anfrage der SPD zum Zustand der Meere beant-wortet. Die Antwort war schockierend: Die Ozeane wa-ren vielerorts leergefischt. Im Zuge der Debatte über dieEU-Meeresstrategie-Richtlinie hat nun die Linke umAuskunft gebeten. Zunächst einmal herzlichen Dank andie Referentinnen und Referenten der beteiligten Minis-terien für die sorgfältige Beantwortung.

Was hat sich nun seit 1995 getan? Es gibt einige we-nige positive Signale. So wird beispielsweise der Pazi-fiklachs bei Alaska gut bewirtschaftet. In einem vernünf-tigen Zustand befindet sich dort auch der Seelachs.Erholt hat sich zudem das Heringsvorkommen in Nord-und Ostsee. Dennoch ist die Bilanz der Eingriffe in dieMeereswelt katastrophal. In den letzten 100 Jahren sinddie Bestände vieler Fischarten um fast 90 Prozent zu-rückgegangen. Es ist schizophren: Während MillionenTonnen wertvoller Meerestiere als Beifänge ungenutztund tot über Bord gehen, sitzen Millionen von Küstenbe-wohnern in Afrika vor leeren Tellern. Die Trawler derIndustriestaaten fischen ihnen die Meere leer, legal undillegal. Allein der illegale Fang weltweit wird auf einenWert zwischen 4 und 9 Milliarden US-Dollar geschätzt.

Illegal wird auch vor unserer Haustür gefischt. Im öst-lichen Teil der Ostsee befindet sich der Dorschbestandauf einem historischen Tiefstand, heißt es.

(Holger Ortel [SPD]: Falsch!)

Schätzungen zufolge werden bis zu 45 Prozent mehrDorsche an Land gebracht, als es die offiziellen Zahlenhergeben.

(Holger Ortel [SPD]: Das ist richtig!)

Dennoch werden die Dorschfangquoten durch den EU-Fischereiministerrat seit Jahren deutlich höher angesetzt,als von Wissenschaftlern empfohlen. Ich sage Ihnen:Das muss endlich ein Ende haben.

(Beifall bei der LINKEN)

In der Nordsee haben in den vergangenen Jahren nebendem Kabeljau auch die Nordseescholle und die Nordsee-

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Eva Bulling-Schröter

seezunge stark gelitten. Vom Großen Thunfisch dürftenim Mittelmeer und im Ostatlantik legal eigentlich nur32 000 Tonnen jährlich gefangen werden. Real ist esrund das Doppelte. Auch hier sind es vor allem europäi-sche Fischereiunternehmen, die die Bestände für Sushi-bars in Tokio oder Berlin-Mitte plündern.

Weil die Meere der Nordhalbkugel vielerorts leerge-fischt sind, fahren Fangflotten in den Süden. Hier räu-men sie die einst üppigen Fischgründe aus, insbesonderean den flachen Küsten Westafrikas. So rauben die Indus-trieschiffe den Kleinbauern in Ghana oder dem Senegaldie wichtigsten Proteinlieferanten für ihre Familien. DieFlotten wandern nicht nur in den Süden, sondern auch indie Tiefe. Leider konnten sich Union und SPD seinerzeitin ihrem Antrag zu dem Thema nicht zu einer klarenForderung nach einem Moratorium für die zerstörerischeGrundschleppnetzfischerei durchringen.

(Holger Ortel [SPD]: Das sagen Sie mal den Küstenfischern!)

Wenn wir der Meeresumwelt helfen wollen, die imÜbrigen auch durch die Versauerung infolge der CO2-Emissionen gestresst ist, so müssen wir die Weltmeereals Ökosystem begreifen. Das muss auch der Geist derneuen EU-Meeresschutz-Richtlinie sein. Die Forderun-gen der Linken dazu finden Sie in unserem Entschlie-ßungsantrag. Zudem müssten mehr Wissenschaftler undUmweltorganisationen in Fischereiaufsichtsgremien sit-zen. Schließlich muss weltweit die Anzahl der Fang-schiffe verringert werden. Greenpeace und andere for-dern seit langem, Meeresschutzgebiete einzurichten, indenen Fischerei und Rohstoffabbau verboten werden.Konkrete Vorschläge gibt es für Nord- und Ostsee sowiefür die außereuropäischen Meere. Die Bundesregierungscheint dazu gar keine Haltung zu haben. Das ist sehrschade. Dieses kurzsichtige Herangehen schadet nichtnur der Umwelt und dem Tourismus, sondern auch derFischerei. Ich sage Ihnen auch, warum das so ist. Bei-spielsweise in Neuseeland waren die Fischer einst diestärksten Gegner, als es darum ging, Meeresschutzge-biete einzurichten. Nunmehr gehören die Fischer zu denVerteidigern dieser ökologischen Oasen; denn die dortrasant anwachsenden Bestände besiedeln auch das um-gebende Meer. Die Refugien sind also nicht nur Eckpfei-ler im modernen Schutz der Ökosysteme, sondern auchWirtschaftsfaktoren. Umweltschutz und zugleich volleNetze – was wollen wir mehr?

Angesichts dessen ist es vollkommen unverständlich,dass lediglich 0,01 Prozent der Meeresfläche Schutzge-biete sind. Benötigt werden zwischen 30 und 50 Prozent.Solange Sie hier nichts ändern, bleibt ein nachhaltigerMeeresschutz leider Illusion. Tun Sie also bitte etwas,meine lieben Kolleginnen und Kollegen!

(Beifall bei der LINKEN)

Präsident Wolfgang Thierse:Ich erteile das Wort Kollegen Franz-Josef

Holzenkamp, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! In Deutschland waren 2005 etwa 43 000 Menschenallein in der Fischerei, in der fischverarbeitenden Indus-trie und in der Fischgastronomie beschäftigt. Wenn mandie gesamte maritime Industrie berücksichtigt, dannstellt man fest, dass wir von über 220 000 Arbeitsplätzen– dazu gehören die Bereiche Hafen, Zulieferindustrieusw. – sprechen. An dieser Stelle wird immer wiederKritik geäußert; daher möchte ich deutlich machen, dasses hier um die Arbeitsplätze vieler Menschen geht. Diemaritime Wirtschaft ist für uns, für diese Koalition undfür die Union sowieso, ein wichtiger Wirtschaftszweig,auf den wir nicht verzichten können und wollen und denwir unterstützen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Die Meere stellen nicht nur in Deutschland, sondernweltweit eine wichtige wirtschaftliche Ressource dar.Die Ozeane und Meere verbinden mehr denn je Konti-nente und Länder, sei es durch die weltweite Nutzungder Fischressourcen, als Transportweg oder durch denTourismus. Nicht zu vernachlässigen sind die Energie-reserven unter den Ozeanen, aber auch die künftig nochweiter in den Mittelpunkt rückende Nutzung der Wind-energie in den Offshorewindparks. Kurz gesagt, dieOzeane und Meere tragen wesentlich zu unserem Wohl-stand bei.

(Peter Bleser [CDU/CSU]: Richtig!)

Gerade deshalb kommt dem ökologisch nachhaltigenSchutz der Meere eine enorme Bedeutung zu. Wir kön-nen es uns nicht leisten, diese einmalige und weltweitgrößte Ökolandschaft zu vernachlässigen. Wir sprechenüber 70 Prozent unserer Erdoberfläche. Wir sprechenüber den Lebensraum zahlloser Tiere und Lebewesen.Wenn wir von unseren Meeren reden, dann sprechen wirüber einen wichtigen und unverzichtbaren Beitrag zurStabilität unseres Klimas.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Trotzdem oder gerade deshalb gilt für uns der Grund-satz „Schutz nur durch Nutzung“. Niemand hat etwasvon einem ökologischen Raubbau an der RessourceMeer.

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: So ist es!)

Ich betone aber auch: Es nützt den Menschen, die ihrenLebensunterhalt durch die Meere verdienen, nichts,wenn wir einen einseitig verengten Blick ausschließlichauf die Ökologie werfen. Ich zitiere aus der Antwort derBundesregierung:

Ziel ist es, für die Arten und die Lebensräume einengünstigen Erhaltungszustand zu erreichen. Mensch-liche Nutzungen, die die Arten und Habitate schä-digen und/oder zerstören können, sind im Schutz-gebiet nach vorheriger sorgfältiger Prüfung undAbwägung von ökologischen, ökonomischen undsozialen Gesichtspunkten zu regulieren und gege-benenfalls auszuschließen.

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Franz-Josef Holzenkamp

Meine Damen und Herren, nur so geht es: in gleichbe-rechtigter Abwägung aller Punkte.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wie wichtig der Bundesregierung die nachhaltige Si-cherung der Meeresumwelt ist, das kann man auf den46 Seiten nachlesen, auf denen die Bundesregierung aus-führlich die Große Anfrage der Linken beantwortet hat.

Wir debattieren heute aber nicht nur über den Um-weltschutz, sondern auch über den nachgeschobenenEntschließungsantrag der Fraktion Die Linke. Dieser hat– das muss ich leider so deutlich sagen – die üblicheStoßrichtung. Ich zitiere einen kleinen Punkt aus demAntrag – das macht die Einseitigkeit deutlich –

Allerdings hat die ökonomische Sichtweise klar dasPrimat.

Immer wieder die böse Wirtschaft. Ich sage dazu nocheinmal: Ohne eine ordentlich funktionierende Ökonomiegibt es auch keine funktionierende Ökologie.

Vizepräsident Thierse: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Eva Bulling-Schröter?

Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU): Ja, gerne.

Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE):Danke schön – Ich würde gerne von Ihnen wissen,

wie Sie zu Meeresschutzgebieten stehen. Ich habe das inmeiner Rede noch einmal ausgeführt und auf Erfahrun-gen anderer Länder – es sind ja nicht so viele – hinge-wiesen, dass durch die Bewahrung der Umwelt, durchden zeitweiligen Verzicht auf das Fischen, sich wiederFische ansammeln und dadurch die Wirtschaft gestärktwerden kann.

Sie sprechen von Ökonomie und Ökologie. Wir brau-chen zuerst die Ökonomie; aber es ist nicht nachhaltig,alle Fische aus dem Meer herauszufischen. Dann gibt esnämlich keine mehr. Ich würde also gerne wissen, wieSie zu den Schutzstandards stehen. Hierzu gibt es ja guteErfahrungen und wissenschaftliche Berechnungen. Istdas nicht sinnvoll?

Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU): Vielen Dank für die Frage. Wir als Union, als Koali-

tion stehen selbstverständlich absolut positiv zu Schutz-gebieten. Wenn jedoch ein Schutzgebiet eingerichtetwird, dann muss man das in Abwägung aller bekanntenParameter tun. Das ist der entscheidende Punkt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Meine Damen und Herren, ich nenne ein Beispiel, dieElbe. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs hat sich dieWasserqualität erheblich verbessert. Etwa 110 Fischar-ten können heute registriert werden; damals waren es umdie 80. Ich erlaube mir die Aussage: Ich glaube, auch die

Fische sind nicht gerade Anhänger des Sozialismus ge-wesen.

Ich mache es kurz: Wir lehnen Ihren Entschließungs-antrag ab. Er ist unbrauchbar und nicht zielführend.

Doch zurück zum Umweltschutz für die Meere: Wiebereits dargestellt – ich gehe damit auch auf die Frageein –, nützt uns die einseitige Betrachtung des Meeres-umweltschutzes nichts. Hier müssen Verknüpfungen zuallen maritimen Bereichen gezogen werden. Mit demGrünbuch zur künftigen Meerespolitik aus dem ver-gangenen Jahr hat die EU hierzu einen wichtigen Schrittgetan. Die deutsche Ratspräsidentschaft hat mit der eu-ropäischen Konferenz über die künftige Meerespolitikder EU im Mai dieses Jahres den Konsultationsprozesshierzu maßgeblich begleitet.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Schutz der Meere ist ein elementarer Bereich desGrünbuches. So schreibt die Kommission zu Recht:

Eine gesunde Meeresumwelt ist die unerlässlicheVoraussetzung für die Nutzung des vollen Poten-zials der Meere. Die Verschlechterung der Meeres-umwelt mindert das Potenzial des Meeres alsGrundlage der Beschäftigung.

Die Antworten der Bundesregierung zeigen auch – hiersind wir sicherlich einer Meinung –, dass es Licht, aberauch viel Schatten gibt, dass es einfach Handlungsnot-wendigkeiten gibt, die zu Verbesserungen führen müs-sen.

Es bleibt festzuhalten, dass sich weltweit viele wirt-schaftlich genutzte Fischbestände durch Überfischung ineinem schlechten Zustand befinden. Auch wichtige Be-stände der EU wurden so in den vergangenen Jahrzehn-ten teilweise stark dezimiert. Deswegen ist die Bestands-erhaltung ein wesentliches Ziel der gemeinsamenFischereipolitik der EU, aber auch der Politik Deutsch-lands. So konnte erreicht werden, dass sich einzelne Ar-ten wieder erholt haben. Andere Arten wie Kabeljau undDorsch – die Beispiele sind genannt worden und auch inder Vorlage zu lesen – haben sich nicht wieder erholt.Doch einschneidende Maßnahmen sind für viele Fischernicht einfach zu verkraften. Man fragt sich: Wie sollensie es verkraften?

An dieser Stelle auch einmal mein Dank an dieFischer für die konstruktive Zusammenarbeit!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Holger Ortel, wir führen eine intensive Auseinanderset-zung mit der Fischereiwirtschaft und versuchen so, ge-meinsam zu vernünftigen Lösungen zu kommen.

Den Kolleginnen und Kollegen von den Linken rateich: Gehen Sie zu den Ost- und Nordseefischern! Erklä-ren Sie ihnen den kompletten Fangstopp für Dorsch undKabeljau! Besprechen Sie mit ihnen dann aber auch, wo-von sie ihre Familien ernähren sollen, was mit den Fami-lienbetrieben wird und wie das überhaupt funktionierensoll!

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Franz-Josef Holzenkamp

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Was ist das denn für ein Quatsch! Wennkein Dorsch mehr da ist, kann er sowieso kei-nen ernähren!)

So funktioniert es nicht.

Ich möchte mich bei der Bundesregierung ausdrück-lich dafür bedanken, dass sie sich im Rat für einen sinn-vollen Ausgleich zwischen sozioökonomischen und öko-logischen Interessen einsetzt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Heinz Schmitt [Landau] [SPD])

Ich möchte auf ein weiteres Thema kurz eingehen,nämlich den Klimawandel. Durch die klimatischen Ver-änderungen werden auch unsere Meere als Ökosystemeerheblich in Mitleidenschaft gezogen. Deshalb müssenwir den Klimaschutz weiter vorantreiben. Auch hier sindwir als Koalition in Europa sehr gut unterwegs. Wir ha-ben die EU-Klimaziele formuliert. Das sind sehr ambi-tionierte Ziele. Hier sind wir wirklich gut unterwegs. AlsDeutsche wollen wir die anderen Europäer ja auch nochüberholen.

Deshalb bin ich sehr zufrieden darüber, dass die Bun-deskanzlerin – das möchte ich hier auch deutlich sagen –mit großartiger Unterstützung durch unseren Außen-minister auf dem G-8-Gipfel große Fortschritte beimKlimaschutz erreicht hat – bei aller Kritik von der Oppo-sition. Es gibt einen klaren Auftrag der UNO.

Die Koalition zeigt sich handlungsfähig. Im Aus-schuss ist von Mundwerkern und Handwerkern geredetworden. Hier handelt es sich um Handwerker. Wir sindaktiv unterwegs. Wir nehmen den Schutz der Meereernst. Wir wollen notwendige Ziele erreichen. Aber alldas funktioniert nur bei einem internationalen Ansatz,bei Einbeziehung aller Beteiligten an der gesamten mari-timen Wirtschaft und vor allen Dingen bei der Arbeitnach dem Motto: Schutz durch Nutzung.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort Kollegin Angelika Brunkhorst,

FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Angelika Brunkhorst (FDP):Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Frau Bulling-Schröter, Ihre Große Anfrage kamreichlich spät. Sie galoppieren etwas hinterher. Alle an-deren Fraktionen haben bereits umfangreiche Anträgezur Meeresumwelt vorgelegt. Sie haben das Versäumnisjetzt teilweise wettzumachen versucht, indem Sie IhrenEntschließungsantrag hinterhergeschoben haben; aufden komme ich nachher noch zu sprechen.

Von der Intonation der Fragen in der Großen Anfrageher habe ich den Eindruck, als wenn Greenpeace Ihnenso manche Frage direkt in die Feder diktiert hat

(Heinz Schmitt [Landau] [SPD]: Das muss aber nicht schlecht sein!)

Ich will das hier nicht weiter kommentieren.

Gut ist allerdings – ich will auch etwas Gutes sagen –,dass Sie für diese Debatte doch noch einen recht akzep-tablen Platz auf der Tagesordnung erreichen konnten.Das gibt mir und allen die Möglichkeit, hier die Pro-bleme des Meeresschutzes anzusprechen, und das willich jetzt natürlich auch tun.

(Zuruf von der LINKEN: Jetzt bin ich aber gespannt!)

Ganz willkommen ist mir natürlich, dass ich noch ein-mal ausdrücklich auf unseren Antrag hinweisen kann,der folgenden Titel hat: Schutz und Nutzung der Meere –Für eine integrierte maritime Politik.

(Beifall bei der FDP)

Ich möchte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, andieser Stelle auch darauf aufmerksam machen, dass mor-gen unter dem Tagesordnungspunkt 29 ein weiterer her-vorragender FDP-Antrag zur Debatte ansteht, nämlichzu den Zukunftschancen des Ostseeraums. Ich bitte Sie,zahlreich zugegen zu sein.

(Beifall bei der FDP)

Jetzt aber zu unseren Vorstellungen. Auch wir Libe-rale sehen in einer verantwortungsvollen Nutzung derMeere eine Herausforderung für Gesamteuropa. Das istklar. Wir wollen aber auf der einen Seite den Schutz derMeere und auf der anderen Seite zugleich eine verant-wortungsvolle Entwicklung der maritimen Wirt-schaft. Ich denke, das ist eine herausragende Aufgabe,der wir uns mit voller Kraft stellen sollten. Wir sehenhier insbesondere Zukunftschancen. Ich möchte an die-ser Stelle darauf hinweisen, dass 40 Prozent der Wirt-schaftskraft Europas in den küstennahen Gebieten bzw.den Meeresgebieten erwirtschaftet werden. Das ist keinegeringe Zahl. Wir müssen deshalb darauf schauen, dasswir das eine wie das andere schaffen. Außerdem wollenwir, dass die verschiedenen maritimen Sektoren ver-knüpft werden und wir zu einer integrierten Meerespoli-tik kommen. Das ist unser Ansatz. Das können Sie auchin unserem Antrag umfassend nachlesen.

(Beifall bei der FDP)

Ich denke, wir alle haben die Probleme auf demSchirm. Auch wir haben in unserem Antrag die Pro-bleme und die Umwelteinflüsse beschrieben und imRahmen eines Maßnahmenpaketes Vorschläge gemacht,wie eine ökologisch und ökonomisch gesunde Zukunftder Meere gestaltet werden kann. Wir glauben, dass dieErhaltung der Ökosysteme und der biologischen Vielfaltder Meeresgebiete, verstanden als Schutz der gemeinsa-men natürlichen Ressourcen, Bestandteil einer verant-wortungsvollen, generationenübergreifenden Politik ist.Da sind wir ganz auf Ihrer Seite; das wollen auch wir.

Wir müssen uns darüber hinaus dafür einsetzen, dassdas europäische Grünbuch noch mehr Bezug auf denSchutz der Meere nimmt, insbesondere auch auf denSchutz von Fischpopulationen. Ich möchte aber jetzt

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Angelika Brunkhorst

nicht im Einzelnen auf die verschiedenen Fischarten ein-gehen. Das würde zu weit führen; so viel Zeit habe ichnicht.

(Zuruf von der FDP: Schade!)

– Schade? Also auf die kommunistischen Fische kannich jetzt hier nicht eingehen.

(Lutz Heilmann [DIE LINKE]: Was für kom-munistische Fische?)

Es ist auch unser Anliegen, dass wir uns dafür einset-zen, dass wir eine Meeresschutzrichtlinie bekommen,die die richtigen Zielvorgaben und die richtigen Hand-lungsimpulse gibt, also sozusagen eine Navigationsvor-gabe darstellt.

An dieser Stelle möchte ich auch auf das schauen,was derzeitiger Stand ist. Es sind einige Erfolge beimSchutz der Meere zu verzeichnen. Negativbeispiele sindaber die noch immer zu hohen Nährstoff- und Schwer-metalleinträge, die Belastungen durch die Schifffahrt,Offshore-Nutzungen verschiedenster Art, die Über-fischung einzelner Fischarten und die Auswirkungen desKlimawandels.

So richtig und so umfassend Ihr Entschließungsantragteilweise ist, so muss ich doch sagen, dass sich die FDPIhrer Haltung nicht anschließen kann, weil Sie der Ent-wicklung der maritimen Wirtschaft und der Anwendungneuer Technologien zu kritisch gegenüberstehen. Dashalten wir für nicht zukunftsgerichtet. Daher werden wirIhrem Antrag nicht zustimmen können.

Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Nun hat Kollege Holger Ortel, SPD-Fraktion, das

Wort.

(Beifall bei der SPD)

Holger Ortel (SPD): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Lassen Sie mich zunächst einmal auf unsere Präsi-dentschaft in Europa und auf das, was unser Minister fürLandwirtschaft und Fischerei vor drei Wochen inLuxemburg erreicht hat, zurückkommen. Peter Bleserwürde sagen: Ein guter Tag für Deutschland.

(Peter Bleser [CDU/CSU]: Richtig!)

Als Norddeutscher hänge ich das etwas tiefer, aber mankann wirklich sagen: Ein gutes Ergebnis für unsereFischer.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ich würde Sie bitten, dem Minis-ter den Dank der norddeutschen Fischer auszurichten;vor allem natürlich auch Ihren Mitarbeitern im Hause,die ja viel zum Gelingen des Agrar- und Fischereirates inLuxemburg beigetragen haben. Herzlichen Dank dafür!

Ich möchte auf einige Zahlen, die Sie, Frau Bulling-Schröter und Herr Holzenkamp schon genannt haben,

noch etwas genauer eingehen. Der Pro-Kopf-Verbrauchan Fisch liegt in Deutschland zurzeit bei etwa 15,5 Kilo-gramm. Er hat sich damit in den letzten vier Jahren von12,4 auf 15,5 Kilogramm erhöht. Das ist gut. Fisch istnämlich ein gesundes und bekömmliches Lebensmittel.Das gilt vor allen Dingen für eine Gesellschaft, die im-mer älter wird und dabei gesund leben will. Nun passenSie einmal auf: Nur 18 Prozent unseres Fischbedarfsfangen wir noch selber. Das entspricht 300 000 Tonnenbei einem Bedarf von gut 2 Millionen Tonnen. Was wirselber dem Meer entnehmen, ist also gar nicht so viel. Au-ßerdem muss erwähnt werden, dass wir von den 2,1 Mil-lionen Tonnen, die wir verbrauchen, 800 000 Tonnen alsFisch- und Fischereiprodukte exportieren. Im Übrigenhat Herr Kollege Holzenkamp recht, wenn er auf die43 000 Arbeitsplätze in der Fischerei, in der verarbeiten-den Industrie, im Handel usw. hinweist.

Sie tun so, als seien wir daran beteiligt, die Meereleerzufischen. Sie müssen wissen, dass unter deutscherFlagge gerade einmal zehn hochseegängige Schiffe fah-ren. Das ist unser direkter Einfluss. In diese Ecke könnenSie die deutschen Fischerinnen und Fischer mit IhrerAnfrage also nicht stellen – die Sie ja zu einem Drittelaus einer Anfrage der SPD von vor zehn Jahren abge-schrieben haben.

(Widerspruch der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE])

Das macht auch nichts; ich bin darüber nicht böse. Ichwill das überhaupt nicht beklagen, Frau Kollegin, wennes denn dazu dient, Ihr Grundwissen in Sachen Fischereizu vervollständigen. Dazu ist diese Anfrage ja gut. Fürdiejenigen, die sich mit dem Thema Fischerei ausken-nen, hat sie aber nichts Neues gebracht; auch das will ichhier sagen.

Die Fischbestände von Dorsch, Seezunge, Scholleund Hering und Seelachs sind bekannt. Sie sind nichtüberall sehr hoch. Man muss auch etwas tun. ErlaubenSie mir dazu folgende Anmerkungen. Das in Luxemburgjetzt neu und erfolgreich verhandelte Dorschmanage-ment ist auch ein Ergebnis von guter Praxis, von nach-haltiger Fischerei. Das BACOMA-Netz mit seinen Se-lektionsfenstern hat wesentlich dazu beigetragen, dass inLuxemburg so entschieden werden konnte.

Nichtsdestotrotz muss über das Abkommen „Dorschin der Ostsee“ vielleicht noch einmal nachgedacht wer-den. Wenn ich Bornholm als Grenze zwischen östlicherund westlicher Ostsee nehme – es gibt auch für die Ost-see so etwas wie ein Schengenabkommen –, ist festzu-stellen, dass 30 bis 40 Prozent der Fische über diesekünstliche Dorschgrenze hinweg wandern. Vielleichtsollte man auch mit den Quoten zumindest zu 10 Prozentvon Ost nach West und von West nach Ost gehen kön-nen. Ich denke, das käme der Praxis schon ziemlichnahe.

Ich begrüße ausdrücklich die verstärkte Fischerei-kontrolle in der äußersten und östlichen Ostsee. Wirwissen, dass es sich bei 30 bis 40 Prozent der dort gefan-genen Fische um Blackfish handelt, also um Fisch, derder illegalen Fischerei zuzurechnen ist. Darauf wird

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Holger Ortel

Brüssel – übrigens auch aufgrund eines Beschlusses ausLuxemburg – aber gut reagieren. Brüssel muss sozial-verträgliche Möglichkeiten finden, um den Flottenabbaubei unseren östlichen Nachbarn zu beschleunigen.

(Beifall der Abg. Dr. Christel Happach-Kasan [FDP])

Die Fischbestände in unseren Gewässern und darü-ber hinaus haben sich in den letzten zehn Jahren unter-schiedlich entwickelt. Die pelagischen Arten sind in denletzten zehn Jahren relativ stabil auf dem gleichen Ni-veau geblieben. Dem Hering in der Nordsee geht es garnicht so gut. Das liegt ohne Frage am Fischereidruck,aber auch an den klimatischen Veränderungen. Mit denletzten zwei Jahrgängen hatten wir auch Probleme be-züglich der Ernährung. Es fehlt eine Planktonart. Das hatsicherlich etwas mit der Erwärmung zu tun. Auch hiermuss die Fischereiforschung noch gut nacharbeiten. DieMakrele hat ebenfalls ihre Probleme.

Mit dem Rotbarsch in den nördlichen Gewässern süd-lich von Island sieht es im Grunde gut aus. Unser Hoch-seefischer, der dort Rotbarsch fängt, spricht nicht nurvon Rotbarsch, sondern sogar von Marzipanschweinen;so gesund und so groß sind die Fische. Ich denke, daszeugt auch von einem guten Bestand.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Wenn die Fische so fett sind, ist das ein„gutes“ Zeichen?)

Noch ein Beispiel – da sind sich alle, die mit Fischereizu tun haben, einig –: Discards sind ein Problem. Ichhätte keine Sorgen, wenn wir uns darauf verständigenkönnten, bei vielen Fischarten in Zukunft die Discardsauf die Quoten anzurechnen. Ich halte dies für richtig.Das kann man allerdings nicht bei allen Fischarten ma-chen.

In der Praxis ist das bei unseren kleinen Küstenfi-schern, die Sie in Ihrer Anfrage gar nicht erwähnt haben,schwer durchzuführen. 250 Krabbenkutter in Nieder-sachsen gibt es für Sie gar nicht. Sie sind in Niedersach-sen und Schleswig-Holstein aber ein Stück Identität.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meines Erachtens sollten Sie mehr auf solche Dinge ein-gehen, die vor unserer Haustür passieren.

Ich frage mich auch: Warum haben Sie beim ThemaFischerei unsere überalterte Küstenflotte nicht erwähnt,deren Schiffe teilweise über 30 Jahre alt sind? Warumhaben Sie nichts zu den Problemen gesagt, die es in derAusbildung zum Fischwirt gibt?

(Beifall der Abg. Dr. Christel Happach-Kasan [FDP])

Auch diese sollten Sie berücksichtigen.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.

Holger Ortel (SPD): Ja, ich komme zum Ende, Herr Präsident.

Die Anfrage diente nur dazu, Sie daran zu erinnern,was Fischerei eigentlich bedeutet und wie es um die Fi-sche bestellt ist. Ihr Entschließungsantrag kommt nunwirklich aus der Flachwasserzone.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Ein Vorgänger von Herrn Seehofer hätte heute zu Ihnengesagt: Wenn Sie mittags Eisbein essen, dann sind Sieabends noch kein Polarforscher.

Herzlichen Dank.(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der

CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Nun erteile ich Kollegin Nicole Maisch, Fraktion des

Bündnisses 90/Die Grünen, das Wort.(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Seit ich Mitglied dieses Hauses bin, habe icheines sehr oft gehört, nämlich dass Ökonomie und Öko-logie kein Widerspruch sind. Das habe ich zum Beispielauch von der FDP gehört. Dies ist sicherlich nicht falsch,aber auch nicht die ganze Wahrheit. Denn richtig ist:Ohne Ökologie gibt es keine Ökonomie.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Eine gesunde Umwelt und die Schonung natürlicherRessourcen sind Voraussetzung für nachhaltige wirt-schaftliche Prosperität. Um im Duktus des KollegenHolzenkamp zu bleiben: Keinen Nutzen ohne Schutz.Oder – das kann selbst ich als Kind des Binnenlandes sa-gen –: Wo keine Fische sind, kann man keine fangen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-KEN)

Meine Fraktion hat sich aktiv in die Diskussion zumGrünbuch Europäische Meerespolitik eingeschaltet. Wirhaben Stellungnahmen eingespeist. Darin wird auchdeutlich, was der Unterschied zwischen grüner Politikund zum Beispiel der Politik der FDP ist. Wir fordern,dass nachhaltiger Meeresschutz, also Natur- und Um-weltschutz, das Leitprinzip und nicht nur eine Säule derMeerespolitik ist. Integrierte Meerespolitik ist richtig.Denn wirtschaftliche Interessen müssen in die Meeres-politik integriert werden. Aber die Leitlinie ist für unsder Meeresschutz.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Hier hat sich die Bundesregierung in den letzten Mo-naten nicht nur mit Ruhm bekleckert. Die Kanzlerin hatauf der Bremer Konferenz sehr kluge Worte gesagt; dashat mir sehr gut gefallen. Noch besser hätte es uns abergefallen, wenn den Worten auch Taten gefolgt wären.

Die Anfrage der Linken ist bei aller Kampfrhetorik,(Zuruf von der LINKEN: Na, na, na!)

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Nicole Maisch

die man vielleicht kritisieren kann, insofern sehr gut, alssie uns Auskunft darüber gibt, wie schlecht es um unsereMeere bestellt ist. Ich will Ihnen am Beispiel einerFischart die Problematik kurz durchdeklinieren. Der Ka-beljau, gestern noch Fischstäbchen auf Ihrem Teller, istheute bereits mehr oder weniger Rote-Liste-fähig. Hiersehen wir wieder: ohne Ökologie keine Ökonomie; wokeine Fische sind, kann man, wie gesagt, keine fangen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Anderes Thema: Schiffsverkehr. Darauf ist die Linkeleider nicht in ausreichendem Maße eingegangen. Emis-sionen und Lärm im Bereich des Schiffsverkehrs sindeine massive Belastung für die Meeresumwelt. In die-sem Bereich muss nachgebessert werden und muss mehrgetan werden, um beispielsweise Meeressäuger zuschützen.

Ein weiteres großes Thema sind die Schadstoffein-träge aus der Landwirtschaft. Trotz internationalerAbkommen können wir nicht verhindern, dass Dünge-mittel und Pestizide in die Gewässer fließen. Was in denFlüssen landet, landet schlussendlich im Meer und auchin dem Fisch, den Sie und ich gerne essen.

Es besteht dringender Handlungsbedarf über Sekto-rengrenzen hinweg. Wir brauchen einen guten Umwelt-zustand der Meere bis 2012. Aber der kommt natürlichnicht von selbst. Da muss man etwas tun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Meer ist ein hochkomplexer und schutzwürdigerNaturraum und eben nicht primär eine Ressource. Werdas Meer nur als Ressource und eben nicht als schutz-würdigen Naturraum sieht, der wird es auch nicht nach-haltig bewirtschaften können und der wird auf Dauerkein Geld damit verdienen können. Es ist eine relativeinfache Rechnung: Wer die Natur zerstört, zahlt dafür –natürlich auch finanziell.

Bezüglich des Schutzes der Meere wird von der FDPoft gesagt, dass die CO2-Abscheidung eine tolle Sacheist. Dieser Meinung bin ich nicht. Ich denke auch nicht,dass sie bald kommen wird. Aber sollte es irgendwannmöglich sein, diese Technologie zu verwenden, dann istdie Tiefsee nicht der richtige Endlagerraum für das abge-schiedene CO2. Ich denke, wer so etwas sagt, sollte sichfragen, wie ernst es ihm mit dem Meeresschutz ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ein letzter Punkt. 2008 wird Deutschland das Gastge-berland der COP 9 sein. Ich denke, das wäre ein guterAnlass, eine gute Gelegenheit, um auf das Thema biolo-gische Vielfalt in den marinen Lebensräumen aufmerk-sam zu machen und dieses Thema auf die Agenda zu set-zen.

Sie haben jetzt die Möglichkeit, unsere Meere zuschützen, damit auch die nachfolgenden Generationensie noch nützen können. Ich denke, dem Antrag der Lin-ken kann man, auch wenn man die Rhetorik schlecht fin-det, trotzdem zustimmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der LINKEN sowie bei Abgeordnetender SPD)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Kollegin Maisch, das war Ihre erste Rede im Bundes-

tag. Herzliche Gratulation und alle guten Wünsche fürIhre weitere Arbeit!

(Beifall)

Nun hat sich schon Kollege Heinz Schmitt am Mikro-fon eingefunden, deswegen muss ich ihm wohl das Wortgeben.

(Heiterkeit)

Heinz Schmitt (Landau) (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe neue Kollegin Frau Maisch, ich darfmich den Glückwünschen ganz herzlich anschließen undhoffe auf weitere gute Reden von Ihnen in den nächstenJahren – vielleicht sogar einmal gemeinsam auf der Re-gierungsbank.

(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh!– Peter Bleser [CDU/CSU]: Das hätten Sienicht sagen müssen!)

– Herr Bleser, eine neue Kollegin muss man einmal einbisschen motivieren.

Es geht heute um den Antrag der Linken zum ThemaMeeresschutz. Ich muss sagen, dass die Erkenntnisse,die wir heute aus Ihrem Antrag und aus den FolgerungenIhrer Großen Anfrage gewonnen haben, so weltbewe-gend nicht sind. Allerdings hat der Antrag auch etwasPositives: Wir erfahren vieles über die aktuellen Be-stände, von der Scholle bis zur Makrele. Von daher wis-sen wir, wie sich einzelne Arten entwickelt haben und obeine Zunahme der Bestände, eine Abnahme der Be-stände oder ein Verschwinden von ganzen Beständenund Fischarten festzustellen war. Von daher kann mandem Antrag durchaus etwas Aktuelles abgewinnen. DieSchlüsse, die daraus gezogen werden, sind aber wirklichnicht so sensationell. Vieles, was Sie aus Ihren neuen Er-kenntnissen schließen, ist bereits in reale Politik umge-setzt worden.

(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Aha!)

Es geht heute auch darum, was wir hinsichtlich derFischereipolitik und hinsichtlich der Meerespolitik aufeuropäischer Ebene unternehmen. Im Jahr 2006 hat dieKommission unter der Überschrift „Eine europäische Vi-sion für Ozeane und Meere“ ein Grünbuch vorgestellt.Vorrangiges Ziel dieses Grünbuches ist es, die Nutzungder Meere in Einklang mit dem Schutz der Meere zubringen. Daher bekommt das Grünbuch noch eine wei-tere, ökologische Säule: Die thematische Strategie fürden Schutz und die Erhaltung der Meeresumwelt und dieMeeresstrategierichtlinie werden in das Grünbuch miteinfließen; das haben wir von den Vorrednern schon ge-hört.

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Heinz Schmitt (Landau)

Gerade das Beispiel Weltmeere zeigt – viele habendas bestätigt –, wie abhängig wirtschaftliche Aktivitätenvon natürlichen Ressourcen, von einer intakten Umweltsind. Herr Kollege Holzenkamp, Sie haben sehr deutlichbeschrieben, welche Arbeitsplätze an den Weltmeerenhängen und welche große wirtschaftliche Bedeutung diemaritime Wirtschaft für uns hat. Wir brauchen aber aucheine intakte Umwelt; denn – Kollegin Maisch vonBündnis 90/Die Grünen hat es gesagt – ohne Fische gibtes keine Fischereiwirtschaft und ohne saubere Küstenauch keinen Tourismus. Diese Paare gehören zusammen.So einfach ist also das Verhältnis zwischen Nutzung undSchutz der Meere. Deswegen steht im Grünbuch:

Eine gesunde Meeresumwelt ist unerlässliche Vo-raussetzung für die Nutzung des vollen Potenzialsder Meere.

Das hört sich selbstverständlich an. Die Praxis siehtaber leider anders aus: Wir haben Überfischung, wir ha-ben enormen Beifang von Meeressäugern, wir haben dieGrundnetzfischerei, wir haben eine Überdüngung, Ver-lärmung und Vermüllung der Meere. Das ist heute nochdie Realität. Hinzu kommen – als wäre das alles nochnicht bedrohlich genug – die Erwärmung und Versaue-rung der Meere durch den Klimawandel. Deshalb ist eswichtig, dass wir – das war heute auch gemeinsamer Te-nor – unseren Beitrag zum nachhaltigen Schutz dieserbelasteten, übernutzten und empfindlichen Ökosystemeleisten, damit sie regenerieren können und wieder einegrößere Artenvielfalt erreicht wird. Die Nutzung derMeere muss also intelligenter und nachhaltiger werden.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)

Die Regierung tut vieles. Die Beschlüsse, die vorgesternzum Klimaschutz gefasst wurden, sind natürlich auchpraktizierter Meeresschutz. Ich habe versucht, das aufzu-zeigen.

Wir müssen uns darum kümmern, dass eine nachhal-tige Bewirtschaftung realisiert wird. Wir brauchen einebessere Überwachung der Fangquoten und eine Be-kämpfung der illegalen Fischerei. Außerdem brauchenwir mehr Forschung und mehr Daten zur Meeresumwelt.Durch die heutige Diskussion werden wir angehalten,uns über den Schutz der Meere noch mehr Gedanken zumachen. Wir müssen vieles auf den Weg bringen.

Ich teile Ihr Engagement für den Erhalt eines gutenZustandes unserer Meere. Ich teile auch Ihre Ansicht,dass die Meere einen Wert an sich darstellen. In der Ge-sellschaft darf nicht alles in Euro, Dollar oder Yen be-wertet werden. Die Schönheit und die Vielfalt der Meeresind ein Wert an sich, den es zu erhalten gilt. Es gehtnicht nur um die wirtschaftliche Nutzung.

(Beifall bei der SPD)

Ich teile aber nicht Ihre Einschätzung, der Meeres-schutz würde einseitig den wirtschaftlichen Interessengeopfert. Dafür gibt es sehr viele gute Beispiele. Deswe-gen müssen wir Ihren Antrag aus inhaltlichen Gründenablehnen. Ich empfehle Ihnen – vielleicht nutzen Sie da-für die Sommerpause –, die Bremer Erklärung zur

künftigen Meerespolitik der EU zu lesen. In dieser Er-klärung sind sehr viele gute Ansätze enthalten, wie dieZiele, über die wir uns alle eigentlich einig sind, erreichtwerden können.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.

Heinz Schmitt (Landau) (SPD): Deshalb kann ich sagen, viele Forderungen Ihres Ent-

schließungsantrags befinden sich bereits in guten Hän-den und sind auf gutem Wege. Wir müssen Ihren Antragablehnen, weil vieles, was Sie fordern, bereits realisiertwurde. Vor allen Dingen ist der einseitige Angriff, hierstünden nur wirtschaftliche Interessen im Vordergrund,nicht zu halten.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich wün-sche Ihnen weiterhin eine interessante Diskussion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungs-antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/5973.Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Gegen-stimmen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantragist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen dieStimmen der Fraktion Die Linke und Bündnis 90/DieGrünen bei Enthaltung der FDP-Fraktion abgelehnt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Reform des Versicherungsvertragsrechts

– Drucksache 16/3945 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 16/5862 –

Berichterstattung:Abgeordnete Marco Wanderwitz Dirk Manzewski Bernhard Brinkmann (Hildesheim)Mechthild Dyckmans Sevim Dağdelen Jerzy Montag

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DieLinke sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion derFDP vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Es gibtkeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Bevor ich dem ersten Redner das Wort gebe, bitte ichdiejenigen, die der Debatte nicht folgen wollen, den Saalzu verlassen, damit die anderen der Debatte ungestörtfolgen können.

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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner erteileich das Wort dem Parlamentarischen StaatssekretärAlfred Hartenbach.

Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun-desministerin der Justiz:

Herr Präsident! Verehrtes Präsidium! Liebe Kollegin-nen! Liebe Kollegen! Bei der ersten Lesung dieses Ge-setzentwurfs hat Frau Bundesministerin Zypries, die Sieübrigens herzlich grüßen lässt – sie hat andere wichtigeAufgaben, lieber Uwe –, gesagt: Der 1. Januar 2008 sollein guter Tag für alle Menschen werden, die eine Versi-cherung abgeschlossen haben. Heute kann ich Ihnen sa-gen: Der 1. Januar 2008 wird ein guter Tag für alle Ver-sicherungsnehmer.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

– Ich danke euch für den Beifall, liebe Freunde. – Wirwerden dann ein modernes Versicherungsvertragsgesetzhaben.

Die Versicherungsnehmer werden dann erstensgründlicher informiert, zweitens haben sie mehr Rechte,und drittens bekommen sie bei Lebensversicherungenmehr Geld. Vor allem bei der Lebensversicherungbringt das neue Gesetz wichtige Verbesserungen. Wirschreiben den Anspruch auf Überschussbeteiligung alsRegelfall im Gesetz fest und bestimmen, dass dabei auchdie stillen Reserven einer Versicherung berücksichtigtwerden.

In Zukunft gibt es auch klare Regeln für die Berech-nung des Rückkaufwertes. Außerdem werden die Ab-schlusskosten auf fünf Jahre verteilt. Das wird dazu füh-ren, dass es beim sogenannten Frühstorno einen höherenRückkaufwert gibt. Wer also nach zwei Jahren kündigt,geht in Zukunft nicht mehr leer aus, weil seine Beiträgenicht mehr vollständig von den Kosten aufgezehrt wer-den.

Das neue Gesetz stärkt den Verbraucherschutz auchüber die Lebensversicherungen hinaus. Wir sorgen imgesamten Versicherungsrecht für mehr Transparenz. Ver-braucher werden künftig besser beraten und informiert,und zwar vor Abschluss eines Versicherungsvertrags.Das sogenannte Policenmodell, bei dem der Versiche-rungsnehmer erst nachträglich die maßgeblichen Infor-mationen erhält, wird abgeschafft. Keine Sorge, lieberBernhard, die Versicherungsvertreter werden künftignicht mit einem Kleinlastwagen durch die Gegend fah-ren müssen. Sie haben alle Informationen auf ihrem Lap-top; da bin ich mir sicher.

(Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Ich habe da keine Sorge!)

– Ich weiß.

Die Verbraucher sollen auch erfahren, was sie ein be-stimmter Vertrag kostet. Vor allem bei der Lebensver-sicherung müssen die Abschluss- und Vertriebskostenin Zukunft vor Vertragsabschluss offengelegt werden.

Das schafft Klarheit über Rendite und Kosten, und da-durch kann man die Lebensversicherung mit anderenKapitalanlageformen besser vergleichen.

Abschaffen werden wir mit dieser Reform das soge-nannte Alles-oder-nichts-Prinzip. Verletzt der Versiche-rungsnehmer künftig seine Vertragspflichten grob fahr-lässig, wird geprüft, wie schwer das Verschulden desVersicherten wirklich wiegt. Nur um diesen Anteil kanndie Versicherung ihre Leistungen kürzen.

Ein wichtiger Zugewinn an Verbraucherschutz istauch der neue Direktanspruch des Geschädigten beiPflichtversicherungen. Zugegeben: Wir hätten gern et-was mehr gehabt, aber die Beratungen haben mich über-zeugt. Es bleibt also jetzt dabei: Wenn ein Schädigernicht greifbar oder insolvent ist, dann hat der Geschä-digte keine Chance, von ihm Ersatz zu verlangen, unddas, obwohl für den Schadensfall Versicherungsschutzbesteht. In diesen Fällen kann er künftig direkt vom Ver-sicherer Schadenersatz verlangen. Wir kennen einen Di-rektanspruch ja schon bei der Kfz-Haftpflichtversiche-rung. Dieses Modell übertragen wir jetzt auf die Fälleder Insolvenz oder Abwesenheit des Schädigers.

Nach nur fünf Monaten parlamentarischer Beratungkönnen wir heute ein großes Reformwerk abschließen.Diese rasche Gesetzgebung war möglich, weil wir diesesProjekt mit einer Expertenkommission gründlich vorbe-reitet haben. Wir bekommen jetzt ein modernes Versiche-rungsrecht mit mehr Fairness und mehr Gerechtigkeit.Das ist ein großer Gewinn. Das alte Versicherungsver-tragsrecht hat hundert Jahre durchgehalten, HerrWanderwitz. Ob das neue so lange hält, wissen wir nicht.Aber wir wollen uns darum bemühen.

Ich darf mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, zumAbschluss sehr herzlich bedanken, zunächst einmal beiden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesminis-teriums der Justiz, die hier ganz gespannt sitzen und da-rauf warten, zu erfahren, was heute dabei herauskommt.

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Keine Angst, es kommt schon durch!)

Ich denke, sie haben eine gründliche und gute Vorarbeitgeleistet. Ich darf mich auch sehr herzlich bei den Be-richterstatterinnen und Berichterstattern aller Parteien– leider kann ich die Linksfraktion bzw. die PDS hierbeinicht einschließen – bedanken. Ich darf folgende Perso-nen ein bisschen hervorheben – ich hoffe, die anderensind mir deswegen nicht böse –: Herrn Wanderwitz, denFachmann Brinkmann und vor allen Dingen DirkManzewski, der mit ruhiger Hand, wie das bei Sozialde-mokraten so üblich ist,

(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Wenn die mal nicht einschläft!)

durch alle Fährnisse dieser Beratungen geführt hat. Da-bei sind wir zu einem guten Schluss gekommen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Mechthild Dyckmans

von der FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Mechthild Dyckmans (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um

es gleich vorwegzunehmen: Gerne hätte ich dem Gesetz-entwurf der Bundesregierung in Übereinstimmung mitmöglichst allen Fraktionen heute zugestimmt.

(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Machen Sieaus Ihrem Herz keine Mördergrube! – JoachimStünker [SPD]: Machen Sie es doch! Wir sa-gen es auch nicht weiter!)

Aber die Umsetzung der von meiner Fraktion strikt ab-gelehnten Gesundheitsreform mit ihren verfassungs-rechtlich äußerst bedenklichen Regelungen zur Einführungeines Basistarifs für private Krankenversicherungen– diese Regelungen wurden in letzter Minute durchArt. 11 des Gesetzentwurfs eingefügt –

(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist wirklich vorgeschoben!)

macht es meiner Fraktion unmöglich, diesem Gesetzent-wurf heute zuzustimmen.

(Joachim Stünker [SPD]: Das ist geltendes Recht!)

Dies ist umso bedauerlicher, als der Gesetzentwurf inweiten Teilen zu begrüßen und zu unterstützen ist. Eswurde dringend Zeit, ein 99 Jahre altes Gesetz zu moder-nisieren und es den heutigen Gegebenheiten anzupassen.Gerade der Schutz der Versicherungsnehmer und damitder Verbraucher musste gestärkt werden. Auch die Um-setzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtsund des Bundesgerichtshofes war notwendig.

Lange und heftig wurde von Anfang an über die Ab-schaffung des Policenmodells diskutiert. Für die einenwar nicht nachvollziehbar, weshalb dem Verbraucher imVersicherungsrecht anders als bei Vertragsabschlüssen inallen anderen Bereichen die notwendigen Informationenerst nach Vertragsabschluss zusammen mit der Policezukommen sollten. Für die anderen war nicht einsichtig,weshalb ein Modell, das in der Praxis zu keinen großenSchwierigkeiten geführt hat, verändert werden sollte.

Letztendlich war uns allen aber klar, dass wir dieVorgaben der EU zu beachten haben. Das von der EU-Kommission gegen Deutschland angestrengte Vertrags-verletzungsverfahren birgt eine so große Rechtsun-sicherheit für die bereits laufenden Verträge, dass es ver-antwortungslos gewesen wäre, das Policenmodellbeizubehalten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist richtig!)

Wie Sie sehen, sind wir mit vielen Punkten einverstan-den.

Nun zu einigen kritischen Punkten. Für meine Frak-tion ist es nicht haltbar, dass künftig der genaue Inhaltder vorvertraglichen Informationen vom Bundesjustiz-

ministerium durch eine Rechtsverordnung festgelegtwerden soll. Ich bin der Ansicht, dass es Sache des Ge-setzgebers ist, die künftig mitzuteilenden Informationenselber in concreto festzulegen, da es sich hierbei umgrundlegende gesetzgeberische Vorgaben handelt. Eskann und darf uns nicht egal sein, welche konkreten In-formationen den Versicherten vor Vertragsabschlussübermittelt werden müssen, damit diese eigenverant-wortlich ihre Entscheidung für oder gegen eine Versiche-rung fällen können.

Machen wir es doch so: Fügen wir dem Versiche-rungsvertragsgesetz eine Anlage wie die zu § 48 b desVersicherungsvertragsgesetzes bei. 2004 war eine solchevom Parlament beschlossene Anlage noch möglich. Dashätten wir uns auch in diesem Fall gewünscht.

Kritisch sehen wir auch die neuen Regelungen zumDirektanspruch. Ursprünglich hatte die Bundesregie-rung vorgeschlagen, den Geschädigten in allen Pflicht-versicherungen einen Direktanspruch gegen die Versi-cherung des Schädigers einzuräumen. Begründet wurdedies mit dem bereits im geltenden Recht vorgesehenenDirektanspruch in der Kfz-Haftpflichtversicherung. Beianderen Pflichtversicherungen – hier sind insbesonderedie Berufshaftpflichtversicherungen bestimmter selbst-ständiger Berufe zu nennen – sind allerdings sowohl dieSchadensumstände als auch die Rahmenbedingungenvöllig andere. Im Übrigen gilt: Wenn es nicht nötig ist,eine Vorschrift zu erlassen, ist es nötig, keine Vorschriftzu erlassen.

(Beifall bei der FDP – Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Oh! Das war Montesquieu, der be-rühmte schwedische Abfahrtsläufer!)

Den Vertretern des Bundesministeriums der Justizwar es in den Berichterstattergesprächen nicht möglich,uns wenigstens eine Handvoll Fälle zu präsentieren, indenen ein Direktanspruch nötig gewesen wäre. Auchwenn der Direktanspruch nach der deutlichen Kritik, diein den Beratungen geäußert wurde, nun auf die Fälle derInsolvenz und des unbekannten Aufenthalts des Schädi-gers reduziert wurde – Herr Hartenbach hat darauf hin-gewiesen –, konnte uns auch insoweit kein wirklichesBedürfnis nach einem Direktanspruch nachgewiesenwerden.

Leider ist die Koalition in dieser Frage vor dem Bun-desjustizministerium eingeknickt.

(Joachim Stünker [SPD]: Machen wir nie! –Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Wir sind auch dafür, Frau Kollegin! –Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Wirknicken höchstens um, nie ein!)

Es wäre besser gewesen, meine Herren, Sie wären beiIhrer eindeutig geäußerten generellen Ablehnung des Di-rektanspruchs geblieben. Ich denke, wir sind uns alle ei-nig, dass dieses Gesetz ein Meilenstein in der Geschichtedes Versicherungsvertragsrechts ist.

(Joachim Stünker [SPD]: Sehr gut! – JerzyMontag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Naalso!)

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11168 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007

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Mechthild Dyckmans

Viele Veränderungen werden sich aber erst im Laufe sei-ner Umsetzung zeigen.

Damit bin ich beim letzten Punkt meiner Kritik: Dieim Gesetzentwurf vorgesehene Frist, innerhalb derer dieVersicherungswirtschaft dies umsetzen muss, ist zuknapp bemessen.

(Joachim Stünker [SPD]: Nein! Die schaffen das!)

Die bestehenden Verträge – es handelt sich hierbei, wiewir alle wissen, um circa 430 Millionen Verträge; allein94 Millionen davon sind Lebensversicherungen – müs-sen laut Gesetzentwurf bis zum 31. Dezember 2008 aufdie neuen Regelungen umgestellt worden sein. Dies istunseres Erachtens nicht zu schaffen; für diese Mammut-aufgabe scheinen uns zwei Jahre notwendig, aber auchangemessen.

(Beifall bei der FDP)

Die genannten Kritikpunkte wären für uns alleinekein zwingender Grund gewesen, dieses Gesetz abzuleh-nen. Es liegt an der Umsetzung der Gesundheitsreformin diesem Gesetzentwurf, die es uns unmöglich macht,dem heute zuzustimmen.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Marco Wanderwitz

von der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Marco Wanderwitz (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am

1. Februar haben wir in erster Lesung über das heute ab-zuschließende Gesetzgebungsverfahren debattiert. Kol-lege Staatssekretär Hartenbach hat schon gesagt: Wirhaben in einer relativ kurzen Zeit umfängliche parlamen-tarische Beratungen hinter uns gebracht, unter anderemeine Expertenanhörung, die aus meiner Sicht erheblichzur Erhellung beigetragen hat.

Ich möchte an dieser Stelle festhalten, dass wir zumeinen eine umfangreiche und gute Zuarbeit der für dasVersicherungsvertragsgesetz eingesetzten Experten-kommission hatten und zum anderen einen bereits sehrguten Entwurf vom BMJ vorgelegt bekamen. Von dahermöchte ich den Mitgliedern der Kommission ebenso wieden Beamten im BMJ, den Experten aus der Anhörungund nicht zuletzt den Berichterstatterkollegen an dieserStelle danken. Da in einer Koalition durchaus einmal er-wähnt werden sollte, wo es ausgesprochen gut funktio-niert hat, möchte ich mich insbesondere beim KollegenManzewski bedanken, der an vielen Stellen für dieRechtspolitik der SPD Verantwortung übernimmt.

Das heute zu beschließende Gesetz ist ein mutigesGesetz; auch das ist schon gesagt worden. Es hat sichnicht mehr gelohnt, das Gesetz, das fast hundert Jahre altwar, weiter zu verbessern. Wir haben es gewagt, es kom-plett neu zu machen. Das Leitbild des Verbrauchers ist

mittlerweile ein anderes als das von 1908: Heute ist derVerbraucher eigenverantwortlich und selbstbestimmt.Der Interessenausgleich zwischen Versicherten und Ver-sicherungen, aber auch zwischen den verschiedenen In-teressen innerhalb der Versichertengemeinschaft istheute anders und prägt dieses Gesetz.

Wir bringen damit heute ein weiteres – das Urheber-recht ist heute schon besprochen worden – gewichtigesrechts- und verbraucherpolitisches Vorhaben der Bun-desregierung in den Hafen. Wir tun dies deutlich vordessen Inkrafttreten zum 1. Januar 2008 und geben da-mit der Versicherungswirtschaft die notwendige Zeit zurVorbereitung.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Vieles hat Kollege Staatssekretär Hartenbach schongesagt, und Richtiges muss man nicht wiederholen.Hinzu kommt, dass noch zwei Kollegen für meine Frak-tion sprechen und auf den einen oder anderen Punkt ein-gehen werden, sodass ich mich auf einige wenige Punktebeschränken möchte. Denn es gab doch manche Verän-derungen am vorliegenden Entwurf, von denen ich ei-nige für die Union in Anspruch nehme.

Zum einen gibt es Veränderungen – die ich für Ver-besserungen halte – rund um § 169. Ich habe schon inmeiner ersten Rede vor diesem Hohen Hause gesagt,dass ich Rückwirkungen auf Bestandsverträge im Be-reich der Lebensversicherungen für kein gutes Zeichenhalte. Wir haben natürlich Änderungsbedarf: gemäß derhöchstrichterlichen Rechtsprechung; das ist völlig klar.Uns ist aufgegeben worden, diese Veränderungen in2008 umzusetzen. Aber Bedarf, in bestehende Verträgeeinzugreifen, haben wir nie gesehen. Deswegen freut esuns, dass in dem heute zu beschließenden Gesetzentwurfin diesem Bereich keine Rückwirkungen mehr vorhan-den sind. Das bedeutet für die Versicherten und für dieVersicherer – sprich: für beide Vertragspartner –: Wasabgeschlossen worden ist, behält Gültigkeit; es findenkeine rückwirkenden Eingriffe in Kalkulationen und inVerträge statt. Das ist für mich ein gewichtiger Punkt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Unionsfraktion hat sich zudem – nicht als einzige,aber auch – dagegen gewandt, einen generellen Direkt-anspruch einzuführen. Ich glaube, wir sind mit den bei-den kleinen Erweiterungen – wir sind also weit entferntvon einem generellen Direktanspruch in den Pflichtver-sicherungen –, die ich für sinnvoll erachte, Frau KolleginDyckmans, und derentwegen wir dem auch zustimmenwerden, auf einem guten Weg, was die Pflichtversiche-rungen betrifft.

Schließlich möchte ich in der Kürze der Zeit noch dasRecht der privaten Krankenversicherungen ansprechen.Wir haben, was den Datenschutz betrifft, höchstrichterli-che Rechtsprechung umzusetzen. Es muss jedem mög-lich sein, Einzeleinwilligungen in die Übermittlung vonGesundheitsdaten zu geben; diese Möglichkeit ist ge-fordert. Der ursprüngliche Entwurf des BMJ sah vor,dass das zum Regelfall wird. Wir haben jetzt eineÄnderung, wonach es zumindest zwei nebeneinander

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Marco Wanderwitz

stehende Alternativen gibt: auf der einen Seite die Einzel-einwilligung, auf der anderen Seite die weiterhin mögli-che pauschale Einwilligung zu Vertragsbeginn oder derjederzeitige Wechsel zwischen diesen beiden Möglich-keiten während der Vertragslaufzeit.

Ganz besonders liegt mir am Herzen, dass der, der be-stellt, auch bezahlen muss. Die Versicherungsnehmer,die das wünschen, müssen also die Mehrkosten selbsttragen und nicht der Teil der Versichertengemeinschaft,der das für sich nicht in Anspruch nimmt.

Ich finde es sehr bedauerlich, liebe Kolleginnen undKollegen von der FDP, dass bei all der Zustimmung aneinem relativ kleinen Punkt das Haar in der Suppe ge-sucht wird.

(Birgit Homburger [FDP]: Das ist ein zentraler Punkt, Herr Kollege!)

Es war ein zentraler Punkt bei der Gesundheitsreform.

(Birgit Homburger [FDP]: Es bleibt ein zentraler Punkt!)

Es gab dazu eine Abstimmung in diesem Hause. Wennman etwas, das schon im Gesetzblatt steht, inhaltsgleichin ein anderes Gesetz überträgt, kann man sich natürlichso verhalten, wie Sie es getan haben. Das ist Ihr gutesRecht. Aber es hätte Ihnen gut zu Gesicht gestanden,wenn Sie wie die Kolleginnen und Kollegen von denGrünen mit uns – bei allen Kritikpunkten und ähnlich,wie es beim Urheberrecht gang und gäbe ist – einen brei-ten Konsens gesucht und gefunden hätten und sich zurZustimmung durchgerungen hätten.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowiebei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Barbara Höll von

der Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Fraktion Die Linke begrüßt viele Neuerungen, die indem Gesetzentwurf zur Reform des Versicherungsver-tragsgesetzes verankert sind. Diese gehen zum Teil aufdie jahrelange Vorarbeit der Kommission zur Reformdes Versicherungsvertragsgesetzes zurück. Die Reformführt zu einigen grundlegenden und überfälligen Verbes-serungen für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Siemüssen besser beraten und informiert werden, das Alles-oder-Nichts-Prinzip wird endlich aufgegeben, und dasPolicenmodell entfällt.

Wichtiger ist noch, dass nunmehr die Inhaber von Le-bensversicherungen endlich zur Hälfte an den stillenReserven beteiligt werden sollen, die mit ihrem Vermö-gen und dem Vermögen anderer Versicherter erwirt-schaftet wurden. Zwar halten wir eine 50-prozentige Be-teiligung für zu gering, ich gestehe aber, dass wir von

der Bundesregierung auch nicht mehr erwartet haben.Denn selbst diesen verhältnismäßig bescheidenen finan-ziellen Zugewinn für die Bürgerinnen und Bürgermusste erst das Bundesverfassungsgericht erzwingen.

(Beifall bei der LINKEN)

Bekanntermaßen verteilt die momentane Mehrheitdieses Hauses Geschenke in der Regel lieber an die gro-ßen Unternehmen. Damit wären wir bei der Kritik, diezu üben leider Anlass besteht. Ich möchte drei Punkteansprechen.

Erstens. Der Entwurf koppelt den Umfang der Bera-tungspflicht des Versicherers an die Höhe der Prämien,die der Versicherungsnehmer leistet. Dies ist jedoch beiHaftpflichtversicherungen extrem gefährlich. Bei diesensind in der Regel nur verhältnismäßig geringe Prämienzu leisten. Aber gerade bei dieser Art der Versicherungkann eine oberflächliche Beratung existenzgefährdendeFolgen haben. Wenn der Versicherungsnehmer erst nach-träglich merkt, dass er falsch versichert ist, zahlt er dannnämlich im Extremfall ein Leben lang.

Zweitens. Hat der Versicherungsnehmer eine ihm ob-liegende Vertragspflicht verletzt, wird vermutet, er habedies grob fahrlässig getan. Dies verstößt meines Erach-tens gegen die allgemeine Systematik des Zivilrechts.Wenn der Versicherungsnehmer beispielsweise eine Fristnicht gewahrt hat, muss er beweisen, sich nicht dümmerangestellt zu haben, als die Polizei erlaubt. Dieser Nach-weis dürfte ihm naturgemäß oftmals gar nicht möglichsein, was zur Folge hat, dass der Versicherer die Versi-cherungsleistung beachtlich kürzen kann. Hierdurchwerden Versicherer geradezu ermutigt, pauschal grobeFahrlässigkeit des Versicherungsnehmers zu behauptenund nur einen Bruchteil der von ihnen geschuldeten Ver-sicherungsleistung zu zahlen.

Drittens. Unterlässt der Versicherer die Belehrungüber das Widerrufsrecht, muss er richtigerweise hin-nehmen, dass der Versicherungsnehmer den Versiche-rungsvertrag prinzipiell unbefristet widerrufen kann. Al-lerdings muss der Versicherer die Prämie dann nur fürdas erste Versicherungsjahr zurückzahlen. Im Bereichder kapitalbildenden Versicherungen wird aber niemanddie Versicherung widerrufen, wenn er die gezahlten Prä-mien nicht zurückbekommt. Diese Beschränkung derRückzahlungspflicht ist Unsinn oder eine gewollte fakti-sche Einschränkung des Widerrufsrechts auf den Zeit-raum von einem Jahr. In jedem Fall widerspricht sie derRechtsprechung des EuGH.

(Beifall bei der LINKEN)

An diesen Punkten hat sich die Große Koalition be-wusst für die Lobby der Versicherungsunternehmen undgegen die Interessen der Verbraucherinnen und Verbrau-cher entschieden.

(Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Scheinhei-lig! – Joachim Stünker [SPD]: Nun reicht esaber! Wirklich! An nichts teilnehmen unddann solche Sprüche machen! Also wirklich!)

– Das ist einfach so.

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Dr. Barbara Höll

Lassen Sie mich noch auf einen anderen Punkt hin-weisen, bei dem ich an ein Versehen glaube. Vielleichthören Sie mir zu.

(Joachim Stünker [SPD]: Ich höre zu!)

Ich hoffe, dass ich hier auch zu Ihnen durchdringenkann.

(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Keine Chance!)

Beantragt der Versicherungsnehmer eine Versiche-rung, aber der Versicherer stellt einen abweichendenVersicherungsschein aus, dann hat der Versicherungs-nehmer die Möglichkeit, zu widersprechen. Auf die Än-derungen und auf das Widerspruchsrecht muss der Versi-cherer hinweisen. Tut er dies nicht, dann gilt der Vertragals mit dem Inhalt des Antrags des Versicherungsneh-mers geschlossen. Diese Vorschrift führt in der Regel zuangemessenen Ergebnissen. Allerdings – darauf möchteich Sie hinweisen – sind durchaus Fälle denkbar, in de-nen diese Vorschrift zu Rechtsfolgen führt, die der ver-braucherfreundlichen Intention der Norm widerspre-chen.

Hat der Versicherungsnehmer über die gesamte Ver-tragslaufzeit die höheren Prämien nach den Vorgabendes Versicherungsscheins gezahlt und hat er nach diesemauch einen Anspruch auf höhere Zahlungen des Versi-cherers, so wird durch den bestehenden § 5 Abs. 3 desVersicherungsvertragsgesetzes bewirkt, dass der Versi-cherungsnehmer trotz Zahlung der höheren Prämie nurdie niedrigere Versicherungsleistung verlangen kann.Das ist widersprüchlich und ungerecht. Ich gehe davonaus, dass Sie das mit Ihrem Gesetzentwurf nicht wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Diesen und die weiteren Mängel des Gesetzes könnenSie relativ einfach beseitigen. Wir haben Ihnen für dieheutige abschließende Beratung einen Änderungsantragunterbreitet. Dies ist einer der Punkte. Ich fordere Sieauf, unserem Änderungsantrag zu folgen. Ansonstenkönnen wir dem Gesetzentwurf heute leider nicht zu-stimmen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Jürgen Gehb[CDU/CSU]: Das macht uns jetzt natürlichnachdenklich! – Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Wir erwarten auch nichts anderes!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Jerzy Montag vom Bünd-

nis 90/Die Grünen.

Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das

Gesetz, das wir heute fast alle gemeinsam reformieren– wir bringen die Reform zu Ende –, ist noch vom Deut-schen Kaiser und König von Preußen vor genau 100 Jah-ren verordnet worden.

In dieser Zeit hat sich ein enormer Änderungsbedarfergeben. Die Praxis hat in den Jahrzehnten nicht auf denGesetzgeber gewartet, sondern in der Praxis und in der

freien Rechtschöpfung wurden viele Institute im Versi-cherungsrecht entwickelt, zum Beispiel zur vorläufigenDeckungszusage und zum Bereich der Berufsunfähig-keit. Wir ziehen mit der Gesetzesänderung jetzt nach.Sie kommt spät, aber sie ist äußerst intensiv vorbereitetworden. Nun kommt sie, und ich glaube, dass das für dieMillionen Menschen, die mit Versicherungen zu tun ha-ben, die also Kunden von Versicherungsgesellschaftensind, ein enormer Fortschritt ist.

Ich will drei große Punkte erwähnen:

Erstens. Die Kollegen der Koalition haben in den Be-ratungen erkennbar immer so getan, als ob sie damit garnicht sehr zufrieden sind, erklären das jetzt aber zu ei-nem großen Punkt. Ich bekenne mich: Ich finde dasEnde des Policenmodells richtig gut.

Ich glaube, in der heutigen Welt ist es nicht mehr rich-tig, dass man den Bürgerinnen und Bürgern zumutet,dass sie Verträge abschließen und den Inhalt erst hinter-her zugeschickt bekommen. Es wird natürlich bürokrati-sche Probleme geben, die die Versicherungswirtschaft zulösen haben wird. Ich finde es aber in Ordnung, dass derGrundsatz, dass man erst liest und zur Kenntnis nimmtund dann unterschreibt, endlich auch so im Gesetz steht.

Zweitens ist auch die Aufgabe des Alles-oder-nichts-Prinzips – bei Vertragsstörungen also vernünftig und an-gemessen zu reagieren und nicht immer gleich mit derBeendigung des Vertrags oder der Auflösung aller An-sprüche zu drohen – aus meiner Sicht in Ordnung.

Drittens sind auch die weitreichenden Informations-und Beratungspflichten, die im Gesetzentwurf imple-mentiert sind, ein großer Pluspunkt. Mit diesem Gesetz-entwurf ist der Versicherungskunde zwar immer nochkein König; er ist aber auch kein Bettler mehr.

Wir Grüne haben zuerst in der Regierung und jetzt inder Opposition bei den Beratungen des Gesetzentwurfsmitgearbeitet. Wir haben uns eingebracht und Vor-schläge gemacht, mit denen wir uns zum Teil auchdurchsetzen konnten. Wir tragen die Reform mit undwerden dem Gesetzentwurf zustimmen.

Ich will in der Kürze der Zeit allerdings auch einigekritische Punkte anmerken. Der Direktanspruch in derPflichtversicherung ist eingeschränkt worden; auchStaatssekretär Hartenbach hat das mit einem Untertondes Bedauerns festgestellt. Ich glaube allerdings nicht,dass das ein herausragender Punkt ist, der uns zu einerAblehnung zwingen müsste. Denn die Ausnahmen, diejetzt vorgesehen sind, sind ein kleiner Schritt nachvorne. Ich kann nichts Schlimmes daran finden, dass derVersicherte dann, wenn er Schwierigkeiten hat, denSchädiger in Haftung zu nehmen, einen Direktanspruchbei der Versicherung geltend machen kann.

(Frank Schäffler [FDP]: Und wenn er ihn gar nicht kennt?)

– Auch dann, wenn er ihn nicht kennt, kann er den Di-rektanspruch geltend machen.

(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Beim Feuer-wehrhauptmann oder wo?)

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11171

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Jerzy Montag

Genau das sind die beiden Ausnahmen, die beibehaltenworden sind.

Dass die im Gesetzentwurf vorgesehene Beratungs-pflicht zwei Bedingungen unterliegt, haben wir in denBeratungen gerügt. Wir meinen, dass eine Bedingungausreichen würde. Es bleibt abzuwarten, wie sich das inder Praxis entwickelt. Denn dass der Vertreter der Versi-cherung, bevor er überhaupt in die Beratung eintritt, ein-seitig in seiner Sphäre eine Entscheidung treffen kann,ob er beraten muss oder will, und – wenn er zu der Über-zeugung kommt, eine Beratung durchzuführen – in einerzweiten Stufe dem Versicherten anbieten kann, darauf zuverzichten, wenn er einen Revers unterschreibt, dass erdie Haftung übernimmt, ist meines Erachtens ein Schrittzu viel.

Auch die Frage der Beweislast ist kritisch zu sehen.Es ist zwar ein Vorteil gegenüber der jetzigen Rechts-lage, dass wir nun bei grober Fahrlässigkeit eine Auftei-lung des Schadens erreichen können. Aber wer dann dieBeweislast trägt, ist immer noch anders geregelt als imallgemeinen Zivilrecht. Wenn es dabei zu Problemenkommt, werden wir uns nicht erst in 100 Jahren, sondernfrüher damit befassen müssen.

Erlauben Sie mir eine abschließende Bemerkung. Eswar unschön, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegenvon der Koalition, die Regelung zur privaten Kranken-versicherung so spät und nur im Rahmen der letzten Un-terlagen in den Gesetzentwurf übertragen haben. Aber,liebe Kollegen von der FDP, die Tatsache, dass Sie undwir dagegen waren, kann doch kein Grund sein, gegenden Entwurf des Versicherungsvertragsgesetzes zu stim-men.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch der Abg. Birgit Homburger [FDP])

Dies ist eine absolut inhaltsgleiche Übertragung einesgeltenden Gesetzes, das uns nicht gefällt. Ich finde, indiesem Zusammenhang reicht, was ich jetzt zu Protokollgeben werde: Ich erkläre für die Grünen, dass die Zu-stimmung zum Versicherungsvertragsgesetzentwurfnicht implizit als Zustimmung zu dem Gesetzentwurf ge-deutet werden kann, den wir damals abgelehnt haben.Damit soll es genug sein. Ich glaube, das reicht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir sollten dem Gesetzentwurf allseitig unsere Zustim-mung geben.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD – Hellmut Königshaus [FDP]:Eine Zustimmung, die keine Zustimmungist! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Eine kon-ditionierte Zustimmung! – Gegenruf des Abg.Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Keine konditionierte Zustimmung!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Dirk Manzewski von

der SPD-Fraktion.

Dirk Manzewski (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Freunde der Rechtspolitik! Als sich die Bundesregierungdes VVG angenommen hat, hat sich sehr schnell die Er-kenntnis durchgesetzt, dass punktuelle Änderungen oderErgänzungen nicht mehr ausreichen, sondern dass eineGesamtreform notwendig ist.

Mein Dank gilt daher zunächst dem BMJ und seinenMitarbeitern, namentlich Herrn Schäfer und HerrnSchöfisch. Denn bereits die Diskussion mit den betroffe-nen Kreisen und die Anhörung haben gezeigt, dass unsein meiner Auffassung nach hervorragender Gesetzent-wurf vorgelegt worden ist.

Die Gewinner dieses Gesetzes werden eindeutig – dasmuss man so deutlich sagen, Herr Kollege Montag undFrau Kollegin Dr. Höll – die Verbraucherinnen undVerbraucher unseres Landes sein. Lassen Sie mich dieskurz konkretisieren.

Erstens. Durch die Abschaffung des Policenmodellsund die neugestalteten §§ 6 und 7 des VVG wird es kei-nen anderen Bereich geben, in dem die Verbraucher be-reits vor Vertragsschluss derart umfassende Informatio-nen und Beratungen über den Vertragsgegenstanderhalten.

Zweitens. Dies wird – sozusagen als Nebeneffekt –dazu führen, dass den Verbrauchern im Streitfall auchdie Beweisführung erleichtert wird.

Drittens. Da der Versicherungsnehmer grundsätzlichnur noch ihm bekannte Umstände anzeigen muss, nachdenen der Versicherer zuvor in Textform gefragt hat,liegt das Risiko einer Fehleinschätzung in der Frage, obnun ein bestimmter Umstand für das Versicherungsver-hältnis wichtig gewesen ist oder nicht, nicht mehr beiden Versicherungsnehmern, sondern bei den Versiche-rern.

Viertens. In bestimmten Fällen, wenn der Aufenthaltdes Schädigers unbekannt ist oder über sein Vermögendas Insolvenzverfahren eröffnet wurde, wird der Ver-braucher – das wurde bereits angesprochen – sogar einenDirektanspruch gegen die Versicherung des Schädigerserhalten. Das ist ein Fortschritt; das kann man nicht weg-diskutieren.

Fünftens. Soweit der Versicherungsnehmer bislanggezwungen war, seinen Anspruch auf die Versicherungs-leistung binnen sechs Monaten geltend zu machen, wirddiese im Grunde genommen einseitige Verkürzung derVerjährungsfrist zulasten der Versicherungsnehmer weg-fallen.

Sechstens. Das Alles-oder-nichts-Prinzip wird weg-fallen. Das bedeutet – für diejenigen, die sich nicht aus-kennen –, dass der Versicherungsnehmer künftig selbstbei grob fahrlässigem Verhalten, abgestuft nach derSchwere seines Verschuldens, Leistungen erhält. Das istneu und gut für den Verbraucher.

Siebtens. Bei der Lebensversicherung wird der Versi-cherungsnehmer künftig mittels einer Modellrechnungvorab darüber informiert werden, welche Leistungen ihnrealistischerweise erwarten werden.

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11172 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007

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Dirk Manzewski

Achtens. Der Versicherungsnehmer wird zukünftigrichtigerweise an den stillen Reserven der Versicherungbeteiligt werden.

Neuntens. Der Rückkaufswert der Lebensversiche-rung wird künftig nicht mehr nach dem Zeitwert, son-dern nach dem Deckungskapital der Versicherung unddamit nach einer feststehenden Größe berechnet werden.

Zehntens. Die Abschlusskosten der Lebensversiche-rung werden auf die ersten fünf Jahre verteilt, sodass derRückkaufswert von Lebensversicherungen in diesen ers-ten fünf Jahren höher ausfallen wird.

Elftens. Wird der Versicherungsvertrag im Laufe desVersicherungsjahres gekündigt, muss der Versicherungs-nehmer die Prämie künftig nur bis zu diesem Zeitpunktund nicht mehr bis zum Ende der Versicherungsperiodezahlen.

Zwölftens. Künftig können alle Versicherungsver-träge unabhängig vom Vertriebsweg und ohne Angabenvon Gründen binnen zwei Wochen – bei Lebensversi-cherungen binnen 30 Tage – widerrufen werden.

Kollege Montag, angesichts dessen kann ich durchausverstehen, dass man diesem Gesetzentwurf zustimmenmuss, trotz aller Bedenken, die möglicherweise noch be-stehen.

Lassen Sie mich deutlich machen, dass ich persönlichdurchaus weiterhin mit dem Policenmodell hätte lebenkönnen. Die Begründung lautet ganz einfach: Es hat sichbewährt, während sich das neue System erst einspielenmuss. Es wäre aber zu befürchten gewesen – KolleginDyckmans hat es angesprochen –, dass uns die Beibehal-tung auf EU-Ebene um die Ohren gehauen worden wäre,sodass ich insoweit gerne unseren Verbraucherschützernentgegengekommen bin.

Auch der Direktanspruch in der jetzigen Form sowiedie Abkehr vom Alles-oder-nichts-Prinzip stellen fürmich – das sage ich deutlich – Kompromisse dar. Soweitkritisiert wird, dass der Direktanspruch im ursprüngli-chen Entwurf noch weiter gefasst war, bleibt anzumer-ken, dass wir in der Koalition davon ausgegangen sind,dass dies zu erheblichen Mehrkosten für die Gemein-schaft der Versicherten geführt hätte. Das kann mankaum als verbraucherfreundlich bezeichnen.

Soweit die FDP rügt – genauso wie die Grünen –,dass ihr die Einfügung der Vorschriften zur Umsetzungder Gesundheitsreform zu spät mitgeteilt worden seien,bleibt festzuhalten, dass es sich hierbei lediglich um de-ren inhaltsgleiche Übernahme handelt. Im Übrigen, FrauKollegin Dyckmans, lagen zwischen Übersendung undder Sitzung des Rechtsausschusses viereinhalb Tage.Damit war genügend Zeit zur Kontrolle. Wir kennenganz andere Gesetzgebungsverfahren, in denen Sie tat-sächlich ein oder zwei Tage vorher damit konfrontiertwerden. Hier kann ich die Kritik durchaus verstehen.Wenn aber insbesondere ein Wochenende dazwischenliegt, bleibt eigentlich genügend Zeit. Frau Kollegin, zu-mindest bis zum heutigen Tag hätte man die Kontrollevornehmen und wenigstens jetzt im Plenum zustimmenkönnen.

Lassen Sie mich zum Schluss kommen und mich ab-schließend bei den Verbraucherschützern der Koalition,namentlich bei Frau Klöckner und Herrn Zöllmer, beimeinem Kollegen Bernhard Brinkmann von der SPD so-wie bei den Kollegen Wanderwitz und Flosbach von derCDU/CSU für die sehr konstruktive Zusammenarbeitbedanken. Wir haben sehr viele Termine gemeinsamwahrgenommen, um zu diesem Ergebnis zu kommen.Ich glaube – das mache ich ganz deutlich, Frau Klöckner –,dass heute ein guter Tag für die Verbraucherinnen undVerbraucher in unserem Lande ist.

Frau Kollegin Dr. Höll, lassen Sie mich abschließendKritik äußern – darüber haben wir schon vorhin im Rah-men der Debatte über das Urheberrecht gesprochen –:Der Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Urheber-rechts war für die Rechtspolitik das wichtigste Vorhabenin diesem Jahr. Ich meine, die Reform des Versiche-rungsvertragsrechts war von seinem Umfang her daszweitwichtigste Vorhaben in diesem Jahr. Sie waren beiden Beratungen nicht dabei. Ich glaube, Sie sind nichtdie federführende Berichterstatterin im Rechtsausschuss;vielleicht treffe ich mit meiner Kritik die Falsche. Ichempfinde es aber als eine ziemliche Frechheit, dass sichmittlerweile bei Ihnen eingebürgert hat – klären Sie dasbitte einmal in Ihrer Fraktion –, dass kein AbgeordneterIhrer Fraktion zu den zahlreichen Berichterstattergesprä-chen, zu denen wir einladen, erscheint, sondern nur nochMitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die nicht aussagefähigsind. Vielleicht hätten wir doch ein paar Bedenken Ihrer-seits aufnehmen können.

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Sehr guter Hin-weis!)

Vielleicht wären Sie dann bereit gewesen, diesem Ge-setzentwurf zuzustimmen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowiebei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat die Kollegin Julia Klöckner von der

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Julia Klöckner (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Staatssekretär!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie bei jedem Gesetzgibt es auch hier unterschiedliche Interessenlagen undunterschiedliche Betroffene. In diesem Fall sind es dieVersicherer und die Versicherten. Ich bin wie mein Vor-redner, Herr Manzewski, der Meinung, dass wir einegute Balance zwischen denen, die Versicherungen anbie-ten und vertreiben, und den Versicherungsnehmern ge-funden haben. Dass es auf beiden Seiten immer Extrem-beispiele des Missbrauchs, der Bürokratie und desNichtverstehens gibt, ist sicherlich klar. Das ist so in ei-ner Demokratie und dort, wo es unterschiedliche Interes-sen gibt.

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Julia Klöckner

Ich bin der Meinung, eine Reform ist nur dann sinn-voll, wenn nachher etwas Besseres herauskommt als das,was man vorher hatte. Wenn man diesen Maßstab anlegt,dann ist die Große Koalition sehr zu loben;

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

denn es kommt in der Tat etwas Besseres heraus. In100 Jahren haben sich die Bedingungen, die Anforde-rungen an die Verbraucher und auch die Angebote im-mens verändert. Das Informationsbedürfnis der Verbrau-cher ist größer geworden, und umgekehrt muss auch derVersicherungsmarkt anders reagieren. Wenn man die Be-ratungszeit von fünf Monaten in Relation zu diesen100 Jahren setzt, dann sieht das Ergebnis relativ gut aus.

Auch ich war etwas enttäuscht über die Bedenken derLinksfraktion. Ich habe im Ausschuss nie etwas von denVerbraucherschützern gehört. Ich finde, das ist eineschlechte parlamentarische Vorgehensweise.

(Joachim Stünker [SPD]: Unparlamentarisch sogar!)

Parlamentarische Debatte heißt, dass man sich zu derZeit einbringt, in der man noch gestalten kann. Das ha-ben Sie leider nicht getan.

(Abg. Dr. Barbara Höll [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

– Sie haben eine Frage, und die lasse ich gerne zu.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Kollegin Höll, bitte schön.

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Frau Kollegin Klöckner, auf den eben geäußerten

Vorwurf der nicht ausreichenden Teilnahme kann ichjetzt nicht eingehen. Würden Sie mir trotzdem zustim-men, dass das nichtsdestoweniger die anderen Mitglie-der des Hauses nicht davon befreit, sich mit inhaltlichenVorschlägen auseinanderzusetzen und zu sehen – deswe-gen habe ich einen Punkt bewusst herausgegriffen –, obvielleicht ein Fehler vorliegt, der gerade bei einem um-fangreichen Gesetzesvorhaben durchaus passieren kann?Wir alle wissen aus langer parlamentarischer Erfahrung,dass Nachbesserungen

(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Dafür sind Sie doch Abgeordnete!)

manchmal noch in letzter Minute gut und wichtig sind.Mir ist Ihr Hinweis zu wenig. Ich erwarte schon eine in-haltliche Auseinandersetzung.

Julia Klöckner (CDU/CSU): Frau Dr. Höll, wir haben von Ihnen eine inhaltliche

Auseinandersetzung erwartet. Das, was Sie heute prä-sentieren, ist eine populistische Auseinandersetzung;denn Sie erwarten, dass wir uns in der heutigen abschlie-ßenden Beratung mit Ihren Argumenten inhaltlich ausei-nandersetzen, obwohl Sie sie vorher, als genau dafürRaum war, nicht geäußert haben. Das ist Populismus.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Wir, die Union, aber auch die Koalitionspartner, ha-ben ein ganz klares Bild vom Verbraucherschutz: Füruns ist der informierte, mündige Verbraucher das Leit-bild. Daher mussten wir mit dem Gesetz zur Reform desVersicherungsvertragsrechts nachbessern. Die Informa-tionspflicht, die Informationshinweise, die Transparenzsind für uns die Voraussetzung dafür, dass ein Verbrau-cher überhaupt mündig entscheiden kann. Insofern un-terstütze ich es ausdrücklich, dass gerade das Policen-modell weggefallen ist. Das Policenmodell war einmaligin Europa. Policenmodell heißt, dass sämtliche Unterla-gen dem Versicherten, sprich: dem Verbraucher, erstnach Unterzeichnung des Versicherungsvertrags zuge-stellt werden. Der Verbraucher hat etwas unterschrieben,und die notwendigen Informationen wurden ihm späterzugesandt.

Es mag in der Praxis so gewesen sein, dass die meis-ten Verbraucher nie in diese Unterlagen – häufig allzudicke Papiere – geschaut haben. Dennoch muss die Lo-gik stimmen, und da ist der Verbraucher gefragt. Ichfinde es richtig, dass zuerst die Informationen und dieUnterlagen vorliegen müssen, bevor ein Versicherungs-vertrag unterschrieben wird. Das bewahrt den eigenstän-digen Verbraucher aber natürlich nicht davor, selbst indiese Unterlagen zu schauen.

Wir haben die notwendigen Rahmenbedingungen ge-setzt. Mehr kann der Staat auch nicht leisten. Jetzt sinddie Verbraucherinnen und Verbraucher gefordert. Siemüssen jetzt nicht mehr die Katze im Sack kaufen. Es gibtauch die Möglichkeit, dass die Unterlagen per E-Mailzugestellt werden bzw. dass man sie sich aus dem Inter-net herunterladen kann. Das ist praxisgerecht und sehrpragmatisch.

Im Zusammenhang mit der Informationspflicht be-grüße ich sehr, dass die Beratungspflichten eingehaltenwerden müssen. Eine fahrlässige Nichtberatung oderFalschberatung kann letztlich auch zu einem Schadener-satz führen. Wer grob fahrlässig gehandelt hat, wer einenBeratungsfehler begangen hat oder wer seine Versicher-ten nicht darüber aufgeklärt hat, dass es eine Beratungs-pflicht gibt, wird für seine Nachlässigkeit aufkommenmüssen. Auch das hat etwas mit Verantwortung und mitVertrauen in die Branche zu tun.

Da wir praktisch veranlagt sind und Bürokratie ab-bauen möchten, haben die Bundesregierung und wir Ko-alitionsfraktionen auf Folgendes Wert gelegt: Wenn sichVersicherer und Versicherter darüber einig sind, dassschon genügend Informationen vorhanden sind oder dasseine Versicherung schnell abgeschlossen werden muss,dann kann auf die Erfüllung der Informationspflicht– Stichwort „Zusendung der entsprechenden Doku-mente“ – verzichtet werden.

Ich finde es sehr gut, dass die Verbraucher künftigohne Angabe von Gründen widerrufen können: bei Le-bensversicherungen bis 30 Tage nach Abschluss, bei al-len anderen Versicherungsverträgen mit einer Frist von14 Tagen. Dadurch wird man der Tragweite dieser Versi-cherungen gerecht. Das Abschließen einer Lebensversi-cherung hat natürlich eine andere Dimension als das Ab-schließen kleinerer Versicherungen.

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11174 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007

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Julia Klöckner

Stichwort „Alles-oder-nichts-Prinzip“: Wie die Kol-legen schon erwähnt haben, ist die komplette Leistungs-verweigerung nur noch bei vorsätzlichen Handlungenmöglich. Was die vorzeitige Kündigung angeht – daswar uns wichtig; schließlich mussten wir dem Bundes-verfassungsgerichtsurteil Folge leisten –, so ist nun gere-gelt, dass letztlich nicht das ganze Geld, das der Versi-cherte bis zur Kündigung eingezahlt hat, weg ist.

Abschließend möchte ich in dieser ganzen Diskussionnoch eines erwähnen: Verbraucher sind wir alle. Ver-braucher sind auch diejenigen, die in einer Versicherungverbleiben, und nicht nur diejenigen, die eine Versiche-rung kündigen. Ich bin wirklich sehr froh, dass wirdiesen Gesetzentwurf heute verabschieden. Dadurchkommt es zu mehr Transparenz, zu mehr Wettbewerbund zu mehr Eigenverantwortung, und das ist zum Vor-teil der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes.

Ich möchte allen, die am Zustandekommen dieses Ge-setzentwurfs mitgearbeitet haben, herzlich danken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt

erteile ich das Wort dem Kollegen Klaus-Peter Flosbachvon der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Herr Manzewski, besonders freue ich michüber die Anwesenheit der Kollegen aus dem Finanzbe-reich und aus dem Verbraucherschutzbereich. Auch ichmöchte sie hier herzlich begrüßen.

Nach der Lektüre dessen, was in der heutigen Pressezur Reform des Versicherungsvertragsrechts steht,möchte ich darauf hinweisen, dass die Versicherungs-wirtschaft und auch die Verbraucherschützer die Novelledieses Gesetzes außerordentlich begrüßen. Das ist nichtnur ein gutes Zeichen, sondern zeigt auch, dass wir beiden Auseinandersetzungen um dieses Gesetz einen fai-ren Ausgleich zwischen der Versicherungswirtschaft undden Verbrauchern geschaffen haben. Insofern ist das eingroßer Erfolg für diese Koalition.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord-neten der SPD)

Seit dem ersten Referentenentwurf sind bereits an-derthalb Jahre vergangen. Insofern gibt es schon einelängere Diskussion zu diesem Thema. Ich bin selbst er-staunt, wie unterschiedlich auch wir in der eigenen Par-tei als Verbraucherschützer, Juristen und Wirtschaftlerdieses Thema betrachten. Dennoch bin ich froh, dass wirzusammengefunden und alle Beteiligten unter einen Hutbekommen haben.

Ich möchte nun ein Thema aufgreifen, das seit25 Jahren in dieser gesamten Debatte eine große Rollegespielt hat, nämlich die stillen Reserven, die ja insbe-sondere in Lebensversicherungsverträgen in Form vonImmobilien, Beteiligungen, Aktien oder festverzinsli-

chen Wertpapieren enthalten sind. Seit 25 Jahren streitensich Verbraucher und Versicherungsunternehmen, wemdiese stillen Reserven gehören: den Versicherten, denKunden oder dem Versicherungsunternehmen und derenAktionären?

Im ersten Entwurf des vergangenen Jahres solltennoch 50 Prozent dieser stillen Reserven innerhalb vonzwei Jahren jedem einzelnen Vertrag zugeordnet wer-den. Die wirtschaftliche Folge wäre gewesen, dass dieVersicherungsunternehmen ihre gesamten Schwan-kungsmöglichkeiten, die ja existieren, nicht mehr hättenausgleichen können, dass man sogar die Immobilien,Aktien oder Wertpapiere hätte verkaufen müssen, um diestillen Reserven zu realisieren und den Verträgen zuzu-ordnen.

Insofern war es ein großer Erfolg, dass wir im Rah-men der Beratungen zwar an der 50-prozentigen Beteili-gung der Verbraucher festgehalten, aber die Lösung ge-funden haben, dass die stillen Reserven erst nach Ablaufdes Vertrages zugeordnet werden, also entweder amEnde der normalen Laufzeit oder vorher bei vorzeitigerKündigung. Das hat den einfachen Vorteil, dass dies ge-nau zu kalkulieren ist. Das betrifft jährlich nur jeden20. Vertrag. Die aufsichtsrechtlichen Bestimmungen, diewir erst vor kurzem geändert haben – wir haben ja aucheine Diskussion über die stillen Reserven im Zusammen-hang mit den festverzinslichen Wertpapieren geführt –,machen nicht das große Problem aus, weil sie letztend-lich beibehalten werden und das Unternehmen bei einemStresstest immer in der Lage ist, die Leistungen zu erfül-len. Lebensversicherungen oder Rentenprodukte sind jaGarantieprodukte, und der Verbraucher ist darauf ange-wiesen, dass diese Leistungen nicht nur versprochen,sondern deren Erbringung auch eingehalten wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord-neten der SPD)

Es ist auch ein Erfolg – Herr Wanderwitz hat daraufhingewiesen –, dass wir nicht in bestehende Verträgeeingegriffen haben. Man hätte die Rückkaufswertedurchaus auch anders berechnen können. Das hätte aberdie wirtschaftliche Folge gehabt, dass bei den Versiche-rungsunternehmen eine Rückstellung in Höhe von bis zu10 Milliarden Euro – von dieser Größenordnung sprichtman – neu gebildet worden wäre. Dies wäre nicht zulas-ten der Versicherungsunternehmen, sondern zulasten derÜberschussbeteiligung anderer Verbraucher gegangen.Die einen hätten einen höheren Rückkaufswert und dieanderen ein bis zwei Jahre keine Überschussbeteiligungbekommen. Insofern bin ich froh, dass wir die Verbrau-cher davon entlasten konnten.

Herr Montag und einige andere Redner haben auf dasPolicenmodell hingewiesen; auch ich möchte die letztenSekunden meiner Redezeit darauf verwenden. Wer dieAnhörung miterlebt und alle Experten gehört hat, der hatvernommen, dass man insgesamt der Meinung war, dassdas deutsche Policenmodell das richtige Modell ist; dennes funktioniert. Die EU-Vorgaben zwingen uns aberletztendlich dazu, etwas anderes umzusetzen. Deswegentun wir das auch. Ich weise darauf hin: Für den Verbrau-cher ist wichtig, dass wir mit der Versicherungsver-

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Klaus-Peter Flosbach

mittlerrichtlinie die Pflicht zur Dokumentation des Bera-tungsprotokolls eingeführt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Auch wenn dem Verbraucher die Unterlagen noch vorUnterzeichnung des Vertrages überreicht werden, wirder sie niemals lesen können. Das Kleingedruckte wurdeja bisher mit der Police zugesandt; das war das Policen-modell. Er hatte dann – je nach Sachversicherung oderLebensversicherung – 14 oder 30 Tage Zeit, dieses zuüberprüfen oder vom Vertrag zurückzutreten.

Ich möchte insgesamt feststellen: Dieses Gesetz istgelungen. Wir von der Koalition können auf dieses Ge-setz stolz sein. Über diesen Erfolg sollten wir uns freuen.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zurReform des Versicherungsvertragsrechts. Der Rechts-ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 16/5862, den Gesetzentwurf der Bundesre-gierung auf Drucksache 16/3945 in der Ausschussfas-sung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag derFraktion Die Linke vor, über den wir zuerst abstimmen.Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-sache 16/5940? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen derKoalitionsfraktionen, der FDP-Fraktion, der Fraktiondes Bündnisses 90/Die Grünen bei Zustimmung derFraktion Die Linke abgelehnt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf inder Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-zeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Ge-setzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim-men der Koalitionsfraktionen und der Fraktion desBündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Die Linke ange-nommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu-stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichenStimmverhältnis angenommen.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-schließungsantrag der Fraktion der FDP auf Druck-sache 16/5974. Wer stimmt für diesen Entschließungs-antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – DerEntschließungsantrag ist mit den Stimmen der Regie-rungsfraktionen, der Fraktion Die Linke und der Frak-tion des Bündnisses 90/Die Grünen bei Zustimmung derFDP-Fraktion abgelehnt.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b auf:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-

schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zudem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken,Bärbel Höhn, Cornelia Behm, weiterer Abgeord-neter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Schutz von Mensch und Umwelt bei Freiset-zungsexperimenten gewährleisten

– Drucksachen 16/4556, 16/5755 –

Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Max Lehmer Elvira Drobinski-Weiß Dr. Christel Happach-Kasan Dr. Kirsten Tackmann Ulrike Höfken

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zudem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken,Bärbel Höhn, Cornelia Behm, Undine Kurth(Quedlinburg) und der Fraktion des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN

Keine Freisetzung von gentechnisch veränder-ten Pflanzen auf dem Gelände des Instituts fürPflanzengenetik und Kulturpflanzenforschungin Gatersleben

– Drucksachen 16/4904, 16/5893 –

Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Max Lehmer Elvira Drobinski-Weiß Dr. Christel Happach-Kasan Dr. Kirsten Tackmann Ulrike Höfken

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Bevor ich dem ersten Redner das Wort gebe, bitte ichwiederum diejenigen, die der Aussprache nicht folgenwollen, den Plenarsaal zu verlassen, damit die anderender Aussprache folgen können.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat dasWort der Kollege Dr. Max Lehmer von der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Dr. Max Lehmer (CDU/CSU): Sehr verehrter Herr Präsident! Herr Staatssekretär!

Herr Bundesminister! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Uns liegen heute zwei Anträge der Fraktion derGrünen vor, über die wir eigentlich schon monatelangausgiebig diskutiert haben

(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Das ist wahr, Herr Lehmer!)

und zu denen es – ich könnte es mit einem Satz sagen –bis heute wirklich keine einzige neue Erkenntnis gibt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

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Dr. Max Lehmer

Damit könnte ich meine Rede eigentlich schon wiederbeenden.

(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann tun Sie es doch!)

Aber nun habe ich mir die Mühe gemacht, noch einmalalles zu recherchieren, und darum trage ich das jetztauch vor.

Der vorliegende Antrag auf Drucksache 16/4904wurde bereits am 10. Mai im Plenum behandelt und hatauch den ELV-Ausschuss schon wiederholt beschäftigt,Frau Vorsitzende,

(Peter Bleser [CDU/CSU]: Das ist wie eine Drehorgel!)

und das – ich sage es noch einmal –, obwohl es wirklichkeine neuen Erkenntnisse gibt. Ich habe keine gefundenund andere auch nicht.

Ich gehe zunächst einmal auf Gatersleben ein. Dazuhabe ich mich bereits in der Debatte im Mai umfänglichgeäußert. Bei diesem Antrag geht es um zwei verschie-dene Freisetzungsversuche, zum einen mit Weizen undzum anderen mit Erbsen. Beide sind durch das BVL ge-nehmigt. Der entscheidende Punkt dabei ist: Der Leiterder angeblich betroffenen Genbank, der neulich im Aus-schuss Rede und Antwort gestanden hat, ProfessorGraner, sieht keinerlei Risiko für die pflanzengeneti-schen Ressourcen dieser Genbank, die im Übrigen auchwir für schützenswert halten.

Auch das BVL kam in seiner der Genehmigung vo-rausgegangenen Sicherheitsbewertung zu dem Schluss,dass von dem Freisetzungsversuch keine schädlichenEinflüsse auf Menschen und Tiere sowie die Umwelt zuerwarten sind. Trotzdem sind vorsorglich zusätzlicheSicherheitsmaßnahmen verfügt worden, die Sie alle ken-nen. Das Leibniz-Institut und das BVL haben entspre-chende Vorsichtsmaßnahmen vorgeschrieben. Gleichzei-tig wurden Stellungnahmen des – das betone ich –unabhängigen Wissenschaftler- und Sachverständigen-gremiums der Zentralen Kommission für die Biologi-sche Sicherheit und der Biologischen Bundesanstalt fürLand- und Forstwirtschaft in die Entscheidung einbezo-gen. Darüber hinaus wurde das BVL auch durch diefachliche Stellungnahme des Landes Sachsen-Anhalt un-terstützt.

Ich halte also als Fazit noch einmal fest: Von der Frei-setzung gehen nach Erkenntnissen aller Wissenschaftlerund Experten, auch aller unabhängigen, keine Risikenaus, weder für die Genbank noch sonst irgendwie fürMensch, Tier und Umwelt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Nun zum zweiten Antrag zur Sicherheit bei den Frei-setzungsversuchen. Ich gebe Ihnen ausdrücklich recht,wenn Sie der Sicherheit von Mensch, Tier und Um-welt in Ihrem Antrag oberste Priorität einräumen. Daswar und ist auch unsere Prämisse, und zwar ohne Wennund Aber.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])

Es ist aber ausdrücklich festzuhalten, dass praktisch allein Ihrem Antrag geforderten Sicherheitsmaßnahmen be-reits Inhalt der geltenden Zulassungsrichtlinien sind, undzwar ausnahmslos. Es ist selbstverständlich, dass bei derFreisetzung von GVO-Pflanzen diese nicht in die Nah-rungs- und Futterkette gelangen sollen. Das wollenselbstverständlich auch wir. Das gilt besonders auch fürPflanzen zur Herstellung von pharmazeutischen Wirk-stoffen und Industrierohstoffen, den sogenannten PMPsoder PMIs. Auf die will ich kurz eingehen.

Sie verschweigen in Ihrem Antrag, dass der Nutzenvon PMP für Menschen und Tiere gegenüber den gen-veränderten Pflanzen der ersten Generation, mit denenwir es bisher zu tun hatten, sehr viel deutlicher in denVordergrund treten wird und auch tritt. PMPs und PMIssind vielversprechende Nutzungsmöglichkeiten der Grü-nen Gentechnik. Das möchte ich hier ausdrücklich an-führen. So werden zum Beispiel bei aktuellen Freiset-zungsversuchen an der Universität RostockKartoffellinien angebaut, die Eiweiße für die Herstellungvon Impfstoffen gegen Cholera, Durchfallerkrankungenund eine Kaninchenseuche enthalten. Dieser Nutzenmuss natürlich bei den Risikobetrachtungen in dieWaagschale geworfen werden. Die in Ihrem Antrag for-mulierte Aussage:

Die Freisetzung von gentechnisch veränderten Pflan-zen, die pharmazeutische Wirkstoffe produzieren(Plant Made Pharmaceuticals – PMP), ist generellstark risikobehaftet,

ist so pauschal einfach falsch.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Hier ist eine Prüfung wie bei allen anderen GVOsauch von Fall zu Fall erforderlich. An den entsprechen-den Zulassungsrichtlinien wird sich da nichts ändern,auch nicht bei denen für PMPs. Diese Prüfung muss inder Praxis nach den geltenden strengen Zulassungs- undAnbauregelungen für die Herstellung von biopharma-zeutischen Wirkstoffen selbstverständlich durchgeführtwerden. Das BVL entscheidet in jedem Einzelfall nachder Befragung der unabhängigen Experten von BfR,Robert Koch-Institut, BfN und BBA über einen Freiset-zungsversuch. Erst wenn eine Gefahr auszuschließen ist,erfolgt die Genehmigung. Das alles sind Binsenweishei-ten und ist längst bekannt. Es steht in dem Gesetz, dasRot-Grün verabschiedet hat.

(Peter Bleser [CDU/CSU]: So ist es!)

Sie verschweigen ebenfalls, obwohl der TAB-Bericht eseindeutig festhält, dass die Wirkstoffe bei PMPs wesent-lich leichter wieder abbaubar sind als andere. Zudemwird es zu einem routinemäßigen Anbau, so vermute ich,von biotechnologisch hergestellten Heilpflanzen imfreien Feld kaum kommen; denn die bereits geltendenVorschriften für die Herstellung biopharmazeutischerWirkstoffe zum Schutze der Patienten lassen dies nichtzu.

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Dr. Max Lehmer

Um die Qualität und Sicherheit zu garantieren, wer-den biotechnologisch gezüchtete Pflanzen immer nurdazu eingesetzt werden, große Mengen von Vor- oderZwischenstufen von Wirkstoffen zu produzieren. DieseStoffe haben nicht die Wirksamkeit der Endprodukte undkönnen deshalb auch unter denselben Bedingungen wieandere biotechnologisch veränderte Pflanzen angebautwerden.

Ihr Antrag enthält einen zweiseitigen Katalog vonForderungen an die Bundesregierung, der mit den übli-chen Verhinderungs- und Behinderungsstrategiender Forschung im Bereich der Grünen Gentechnik ge-spickt ist. Sie scheuen sich im zweiten Antrag auchnicht, noch einmal das Thema Gatersleben aufzuneh-men, auf das ich eben bereits eingegangen bin.

Fazit: Alles in allem enthält der Antrag nichts, waswir von Ihnen nicht schon seit Monaten kennen würden.Es wird Sie daher nicht überraschen, dass wir auch die-sen Antrag ablehnen.

Beide Anträge wie auch alle mir bisher von Ihnen be-kannten Äußerungen und Stellungnahmen zu diesemThemenkomplex reihen sich ein in die offensichtlichpraktizierte Strategie der rigorosen Ablehnung der Grü-nen Gentechnologie. Dies ist umso bemerkenswerter, daSie ja bei der Entstehung des Gentechnikgesetzes selbstaktiv mitgewirkt haben. Diese Strategie halten wir fürvöllig falsch und nicht zielführend im Sinne einer not-wendigen, wissenschaftsbasierten Abwägungsstrategie.Wie bei allen anderen Technologien müssen wir auch beider Grünen Gentechnik verantwortungsvoll Chancenund Risiken gegenüberstellen.

Wir haben bisher einen sehr mühsamen und nichtübereilten Diskussionsprozess erlebt und an vielen Stel-len Vorschläge für einen noch höheren Anforderungs-standard für die anstehende Novellierung des Gentech-nikgesetzes gemacht. Hierzu darf ich zum Schluss nocheinige Punkte nennen.

Bundesminister Seehofer hat einen gründlichen Dia-log mit allen beteiligten Interessensgruppen geführt. DieFragen der Sicherheit und der Haftung wurden jeweilsintensiv bearbeitet. Der Anbauabstand wurde auf150 Meter angehoben. Wir haben die Haftungsfragennochmals gründlich abgeklärt. Wir treten für eine volleTransparenz ein, indem wir eine vollständige prozess-orientierte Kennzeichnung verlangen. Außerdem fordernwir einen EU-einheitlichen Saatgut-Schwellenwert.

Wir sind also intensiv dabei, konstruktive Lösungenzu finden. In dieser Richtung werden wir konsequentweiterarbeiten.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Christel Happach-

Kasan von der FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Lehmer, wie immer kann ich Ihren fachlichen Aus-führungen nur zustimmen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ihrer Bewertung der Umsetzung des Gentechnikgesetzeskann ich hingegen nicht zustimmen. Ich finde es ziem-lich hanebüchen, dass Sie es in Ihrer Regierungszeit im-mer noch nicht geschafft haben, einen Entwurf einesGentechnikgesetzes vorzulegen. Dies ist möglich.

(Peter Bleser [CDU/CSU]: Das liegt nicht an uns!)

Wir von der FDP-Fraktion haben im Januar dieses Jahreseinen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. MeinesErachtens ist es an der Zeit, dass Sie ebenfalls damit he-rüberkommen. Ein solcher Entwurf war für die Zeit vorder Sommerpause versprochen, ist aber noch immernicht auf dem Weg. Ob Sie es bis zur nächsten Sitzungdes Bundesrates am 21. September dieses Jahres schaf-fen, bezweifle ich mit Ihnen.

Der britische EU-Kommissar für Außenhandel PeterMandelson forderte kürzlich eine bessere Debatte übergentechnisch veränderte Organismen. Ich meine, dass errecht hat. Die Bewertung der Anträge der Grünen durchHerrn Lehmer zeigt, dass wir keine gute Debatte überdie Gentechnik haben. Die gegenwärtige Debatte ist un-würdig. Sie erinnert an die Zeit der Hexenverbrennung.Nichts anderes ist das, was Sie hier veranstalten.

(Beifall bei der FDP)

Dazu möchte ich einige Beispiele aus der jüngerenDiskussion nennen. Erstes Beispiel: Erinnern wir uns anAmflora. Im Dezember 2006 lobte BundesministerGabriel die umweltfreundliche gentechnisch veränderteKartoffelsorte Amflora hier im Plenum. Es ging um dieZulassung dieser Stärkekartoffel zur industriellen Ver-wendung. Die Regierung stimmte im Regelungsaus-schuss ebenfalls der Zulassung zu. Jetzt, im Juli 2007,wird auf Betreiben desselben Umweltministers die Ver-schiebung der Abstimmung über die Zulassung bean-tragt.

Das verstehe, wer will. Es geht allein um den industri-ellen Rohstoff Stärkekartoffel. Diese Regierung hat kei-nen Kompass, Herr Lehmer.

(Beifall bei der FDP – Ursula Heinen [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)

Zweites Beispiel – im Agrarausschuss haben wir da-rüber diskutiert –: In den USA wird über ein Bienen-sterben berichtet. Deutsche Gentechnik- und Mobil-funkgegner wissen sofort per Ferndiagnose die Ursache.Es konnten nur die ihnen verhassten Technologien sein,unabhängig davon, ob diese in den betroffenen Regionenüberhaupt genutzt werden. Die Ursachen des Bienen-sterbens in den USA sind erwiesenermaßen andere. Dendeutschen Bienen – das ist die gute Nachricht – geht eshervorragend. Das heißt, niemand in dieser Diskussionhat sich jemals um Bienen gekümmert. Allen ging es da-rum, Gründe für die Ablehnung der Gentechnik zu fin-den, und nichts anderes.

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Dr. Christel Happach-Kasan

Drittes Beispiel: Der Bt-Mais MON 863 erhielt am24. Juni 2005 seine Zulassung als Tierfutter. Der dama-lige Umweltminister Trittin hatte zugestimmt. 2006wurde dieser Mais als Lebensmittel zugelassen. Die Si-cherheitsbewertung war durch das Robert Koch-Institutvorgenommen worden, die positive Bewertung in derFolge von der EFSA, dem BfR, dem BVL und der fran-zösischen Regierung. Die Grünen fordern aufgrund an-geblich neuer Erkenntnisse ein Einfuhrverbot. Warumeigentlich? Die aktuellsten Erkenntnisse berücksichtigenSie doch nicht, liebe Grüne. Das sind nämlich die Erfah-rungen der Landwirte und der Verbraucher.

Welchen Sinn macht es, eine Fütterungsstudie ausdem Jahr 2003 immer wieder neu durchzukauen, obwohldie Praxis keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt, dass mitdem Mais etwas nicht in Ordnung ist? Das ist genau so,als würden Sie die Statikberechnungen Ihres Wohnhau-ses alle drei Monate noch einmal nachrechnen. Das tunSie garantiert nicht.

(Beifall bei der FDP)

Viertes Beispiel: Die Bundesregierung stellte am11. April dieses Jahres fest: Die Bundesregierung ist derAuffassung, dass die Sicherheit der in der EU für denAnbau und den Import zugelassenen transgenen Sortengegeben ist. Zwei Wochen später wird vom BVL ein Er-lass zum Monitoring des Anbaus von MON 810 im Jahr2008 herausgegeben. Warum gibt es eigentlich im April2007 einen solchen Erlass? Das BVL bewertet die im ei-genen Erlass zitierte Literatur kritisch und kommt zudem Schluss: Besondere Anforderungen hinsichtlich desRisikomanagements von MON 810 bestehen aus Sichtdes BVL nicht.

Die „Welt“ berichtet darüber, das Bundesamt für Ver-braucherschutz und Lebensmittelsicherheit habe den Er-lass auf Weisung des Ministeriums herausgegeben. HerrMinister Seehofer, es gab dafür keine Notwendigkeit.Die Fachbehörde musste entgegen ihrer eigenen fachli-chen Einschätzung nach Ihrer Pfeife tanzen. Das gab esübrigens schon einmal, nämlich zu Künasts Zeiten.

Die vier Beispiele zeigen: EU-Kommissar Mandelsonhat recht. Wir brauchen eine bessere Debatte. Er mahntdie Industrie, das Thema besser zu kommunizieren, under kritisiert die Mitgliedsländer, die Angst haben odernicht in der Lage sind, dieses Thema ihren Bürgerinnenund Bürgern zu vermitteln.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Richtig!)

Die Bundesregierung wäre in der Lage, die Debatteüber Grüne Gentechnik besser zu gestalten. Aber sie willes nicht. Minister Seehofer empfindet die sachliche Aus-einandersetzung über die Gentechnik als störend fürseine Bewerbung um den Vorsitz der CSU.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Die „Welt“ schreibt hierzu:

Seehofer hat nicht geschworen, CSU-Chef zu wer-den, sondern dem Wohl des Landes zu dienen.

Herr Minister, walten Sie Ihres Amtes!

(Beifall bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,Zweifel ernst nehmen heißt auch, Aufklärungsarbeit zuleisten und nicht unbegründete Ängste zu verstärken.Der Schutz von Mensch und Umwelt bei Freisetzungs-versuchen ist in Deutschland gewährleistet. Daher ist derAntrag überflüssig. Die Gendatenbank in Gatersleben istdurch die Freisetzungsversuche mit gentechnisch verän-derten Pflanzen in keiner Weise beeinträchtigt. Auchdieser Antrag ist überflüssig.

Wir brauchen eine bessere Debatte, wie Mandelsonsie fordert. Aber dazu werden Partner gebraucht. Wersind diese Partner? Das können Unternehmen, Wissen-schaftler, Institute der Ressortforschung und Wissen-schaftsorganisationen sein. Verschiedene überregionaleZeitungen engagieren sich. Der Bundesumweltminister,der die Stärkekartoffel heute so und morgen so bewertet,ist kein Partner für eine gute Debatte. Auch der Bundes-landwirtschaftsminister, der sich vorrangig in populisti-scher Weise um Stimmen in Bayern bemüht, ist keinPartner. Die Regierung ist in ihrer Zerstrittenheit eben-falls kein Partner und die Regierungskoalition – bis aufeinige wenige – auch nicht.

Ich fordere die Bundesregierung auf, endlich ihrer po-litischen Führungsaufgabe gerecht zu werden und einesachliche Aufklärung über die vielfältigen, weltweitnachgewiesenen großen Chancen der Grünen Gentech-nik zu organisieren.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU])

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Elvira Drobinski-

Weiß von der SPD-Fraktion.

Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer! Wir be-schäftigen uns heute abschließend mit dem Antrag derGrünen „Schutz von Mensch und Umwelt bei Freiset-zungsexperimenten gewährleisten“. Ich möchte klarstel-len, dass dieser Schutz nach wie vor unser oberstes Zielist. Dennoch können wir das grundsätzliche Misstrauengegenüber Freisetzungsexperimenten und gegenüber dengesetzlichen Regelungen, nach denen sie durchgeführtwerden, nicht teilen. Wir lehnen deshalb den Antrag ab.

Was wir aber durchaus kritisch sehen, ist der Anbauvon gentechnisch veränderten Pflanzen, die pharma-zeutische Wirkstoffe produzieren. Der Bericht des Bü-ros für Technikfolgenabschätzung hat deutlich gemacht,dass Freisetzungen solcher Pflanzen generell stark risi-kobehaftet sind. Arzneistoffe stellen uns im Falle einesAustrags in die Umwelt vor völlig neue Probleme, denendas derzeitige Zulassungsverfahren für GVO-Pflanzenbzw. Risikobewertung und Risikomanagement nicht ge-recht werden.

Hinzu kommt, dass das Risiko solcher Freisetzungenim Missverhältnis zum Nutzen steht; denn bei Arznei-mitteln ist schließlich eine höchst genaue Dosierung er-

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Elvira Drobinski-Weiß

forderlich. Diese Grundvoraussetzung für die Wirksam-keit ist bei den sogenannten PMPs nicht gegeben. Dashaben wir auch im Ausschussbericht kritisch angemerktund eine Risiken-Nutzen-Analyse gefordert. Wir werdenauf den Prüfstand stellen müssen, ob und wie die rechtli-chen Grundlagen und die Sicherheitsmaßnahmen sol-chen neuen Anforderungen Rechnung tragen können.

Die Empfehlung des Sachverständigenrates für Um-weltfragen, dass solche transgenen Pflanzen nur in ge-schlossenen Systemen und unter kontrollierten Bedin-gungen eingesetzt werden sollten, muss ernst genommenwerden, wenn man dem Vorsorgegrundsatz entsprechenwill. Dazu haben wir uns im Koalitionsvertrag verpflich-tet.

Auch in Zukunft werden wir im Bereich Grüne Gen-technik mit immer neuen Fragestellungen konfrontiertwerden. Dazu gehört zum Beispiel der Klimawandel mitseinen Auswirkungen auf die Risikoabschätzung. Einaktuelles Beispiel dafür findet sich in Nordrhein-Westfa-len. Dort werden auf einer Freisetzungsfläche am Stand-ort Werne schon seit mehreren Jahren Freisetzungenmit der Monsanto-Maissorte NK 603 durchgeführt.Einem Bericht der Umweltverwaltung des Regierungs-bezirks Arnsberg ist zu entnehmen, dass es dort auf-grund des milden Winters erstmalig zu Durchwuchsmaisaus dem Vorjahr gekommen ist, und zwar – ich zitiere –„in erheblichem Umfang“. In dem Schreiben vom21. Juni 2007 an das Umweltministerium von Nord-rhein-Westfalen wird die Befürchtung geäußert, dassdiese Problematik auch an anderen Maisfreisetzungs-standorten im gesamten Bundesgebiet von Bedeutungsein kann. Das birgt – wenn keine Gegenmaßnahmen ge-troffen werden – Risiken für die Koexistenz mit konven-tionellem und ökologischem Anbau in der Umgebung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In Werne wird der Durchwuchsmais derzeit auf der ge-samten Fläche aufwendig von Hand entfernt. Ob weitereStandorte betroffen sind, ist derzeit noch nicht bekannt.

Insgesamt aber macht dieses Beispiel die Schwierig-keiten der Risikoabschätzung deutlich. Die Bedingungenfür den Einsatz der Grünen Gentechnik werden durchviele Faktoren, auch durch den Klimawandel, beein-flusst. Milde Winter, starke Stürme, extreme Regenfälle –der Klimawandel ist zwar in aller Munde, findet aberbisher wenig Berücksichtigung bei der Sicherheitsbe-wertung von GVO. Deshalb tun Vorsorge und voraus-schauende Regelungen beim Umgang mit der Gentech-nik not.

Wer diese Einschätzung teilt, befindet sich in sehr gu-ter Gesellschaft. Ich zitiere:

Oberstes Ziel des deutschen Gentechnikrechts mussder Schutz von Mensch und Umwelt bleiben. Wennsich Landwirte für die Grüne Gentechnik entschei-den, darf das keine Nachteile für die Verbraucheroder die Landwirte in der Nachbarschaft haben,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten derFDP)

die sich gegen diese Technik entschieden haben.Die Wahlfreiheit der Verbraucher und die Koexis-tenz der unterschiedlichen Bewirtschaftungsformenmüssen gewährleistet bleiben. Hier sehe ich immernoch ungeklärte Fragen. Die Grundvoraussetzungfür glaubwürdige Wahlfreiheit ist Transparenz: AlleBetroffenen – Landwirte wie Verbraucher – habenein berechtigtes Interesse daran, umfassend infor-miert zu werden, wenn sie es mit gentechnisch ver-änderten Pflanzen oder den daraus gewonnenenProdukten zu tun bekommen. Und schließlich soll-ten wir in diesem Zusammenhang auch ein beson-deres Augenmerk auf die möglichen Folgen rich-ten, die sich aus einer marktbeherrschendenStellung einzelner Saatgutunternehmen ergebenkönnen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist ein Auszugaus der Rede des Bundespräsidenten Horst Köhler vom28. Juni anlässlich des Deutschen Bauerntags in Bam-berg. Ich kann mich diesen Ausführungen nur anschlie-ßen; ich denke, Sie auch.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Eva Bulling-Schröter

von der Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In

der letzten Woche reiste der Bund Naturschutz mit Ini-tiativen, die der Gentechnik sehr kritisch gegenüberste-hen, durch die deutschen Lande und hat Podiumsdis-kussionen an den jeweiligen Standorten der wichtigenPolitikerinnen und Politiker der Koalition – also denjeni-gen, die entscheiden und mitreden – initiiert. Auch in un-serem Wahlkreis, Herr Seehofer, also in Ingolstadt, gabes eine solche Podiumsdiskussion. Leider hatten Siekeine Zeit, was ich sehr schade fand.

(Horst Seehofer [CDU/CSU]: Für wen?)

– Natürlich für alle. – Die Diskussion, an der unter ande-rem Bienenzüchter und Biobauern teilnahmen, zeigtenoch einmal, dass viele Mitbürgerinnen und Mitbürgerder Grünen Gentechnik sehr kritisch gegenüberstehen.Im „Donaukurier“ gab es dann einen Artikel mit derÜberschrift „Gentechnik und Seehofer in der Kritik“.Auf dem Bild zu diesem Artikel sieht man einen Imker,der schreibt: Koexistenz – wir fliegen 14 km2. Was da-mit gemeint ist, wissen wir.

Herr Seehofer, ich rate Ihnen: Nehmen Sie die Kritikernst. Es waren sehr viele Leute da, die sich sehr interes-siert gezeigt haben. Es waren nicht nur unsere Wähler

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Eva Bulling-Schröter

oder die der Grünen anwesend, sondern auch Ihre Wäh-ler. Ihre Wähler erwarten etwas.

Ingolstadt hat sich nicht ohne Grund zur gentechnik-freien Zone erklärt, übrigens mit der Mehrheit der CSU.In Bayern gibt es immer mehr gentechnikfreie Zonen.Die Bevölkerung sieht, dass die Gentechnik große Ge-fahren birgt. Diese Risiken will sie natürlich nicht einge-hen.

Hier ist gesagt worden, Horst Seehofer habe sich mitrelevanten Gruppen befasst. Das stimmt. Er hat auch mitdem Abt von Plankstetten diskutiert, der jetzt der Bi-schof von Eichstätt ist. Auch er ist der Meinung, dassdas Gentechnikgesetz nicht liberalisiert werden darf. Ichmeine, Horst Seehofer sollte sich diese Kritik zu Herzennehmen und dem Herrn Bischof endlich Folge leisten.

(Beifall bei der LINKEN – Manfred Grund[CDU/CSU]: Ihr beklatscht aber auch alles,oder? – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ihrgreift aber nach jedem! Da kennt ihr nichts!)

Es wurde auch über die Frage diskutiert, wie sich dieSPD entscheiden würde. Die Kolleginnen und Kollegenaus den Naturschutzverbänden und viele kritische Bür-gerinnen und Bürger haben mir den Auftrag gegeben, Ih-nen noch einmal zu sagen: Bleiben Sie standhaft, setzenSie sich für eine gentechnikfreie Landschaft, für einewirkliche Wahlfreiheit und für Transparenz ein. Dafürhätten Sie eine Mehrheit im Deutschen Bundestag. Auchdie Mehrheit der Verbraucherinnen und Verbraucherwürde hinter Ihnen stehen.

Zu den Anträgen der Grünen möchte ich sagen: Wirkönnen allen Anträgen zustimmen. Wir unterstützendiese Anträge.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Herzlichen Glückwunsch!)

Die Bevölkerung fragt sich, warum Freisetzungsver-suche gemacht werden sollen, warum ein solches Risikoüberhaupt eingegangen werden soll. Sie wissen, was al-les schiefgehen kann. Was schiefgehen kann, zeigte unsim letzten Jahr der Reis LL 601, der in den USA auf Ver-suchsfeldern angebaut und in die ganze Welt verschlepptwurde. Es gab Rückrufaktionen.

So etwas wollen wir nicht. Wir wollen eine vernünf-tige Haftung. Überall gilt: Wer den Schaden verursachthat, muss auch dafür haften. Warum soll das beim Anbaugentechnisch veränderter Pflanzen nicht gelten? Das istfür mich überhaupt keine Frage. Wir wollen eine ver-nünftige Abstandsregelung. Über die Koexistenz werdenbreite Diskussionen geführt.

Herr Seehofer, die Mehrheit der Bevölkerung willdiese Gentechnik nicht. Wir wollen gesunde Nahrungs-mittel. Bitte berücksichtigen Sie, was die Bevölkerungwirklich will, und handeln Sie entsprechend.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg.Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN])

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulrike Höfken von

Bündnis 90/Die Grünen.

Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrtes Präsidium! Liebe Kolleginnen und Kol-

legen! Ich glaube eigentlich nicht, dass der KollegeDr. Lehmer bewusst die Unwahrheit sagt. Vielleicht soll-ten Sie aber eine kritischere Distanz zu dem haben, wasman Ihnen aufschreibt. Sie haben gesagt, Frau Künasthabe keine Abstandsregeln vorgelegt, aber Sie hätteneine Abstandsregel geschaffen – das sei gute fachlichePraxis –, nach der der Abstand 150 Meter betragenmuss.

(Peter Bleser [CDU/CSU]: Vorgelegt!)

Herr Dr. Lehmer und sehr geehrte Kollegen von derCDU/CSU, ich muss Sie – auch Frau Happach-Kasanhat das getan – darauf hinweisen: Dieses Gesetz gibt esüberhaupt noch nicht. Es gibt überhaupt keine Regelnfür den Abstand. Im Gegensatz zu Rot-Grün haben Sieaber den kommerziellen Anbau von MON 810 zugelas-sen. Das heißt, Sie haben etwas zugelassen, aber keinerechtlichen Grundlagen dafür geschaffen, was gute fach-liche Praxis wäre. Das ist ein Unding.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie müssen sich gefallen lassen, dass man die QualitätIhrer Politik an Ihren Aussagen misst:

Auch die Forschung erfolgt immer nach dem obers-ten Prinzip des Schutzes von Mensch und Umwelt.Hier werden keine, auch nicht die geringsten Risi-ken von Mensch und Umwelt eingegangen.

Rede von Horst Seehofer im Deutschen Bundestag am28. Februar dieses Jahres.

Heute muss man deutlich sagen, dass die Forschungvon der Gentechnikindustrie aufgrund der Genehmi-gungspraxis als trojanisches Pferd instrumentalisiertwerden kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was derzeit an Experimenten mit gentechnisch verän-derten Pflanzen genehmigt wird, ist ein Affront gegenUmwelt- und Verbraucherschutz. Erwähnt wurden schondie Pharmaerbsen in der Genbank in Gatersleben, diePharmakartoffeln an der Uni Rostock und Experimentemit gentechnisch veränderten Pflanzen mitten in Natur-schutzgebieten. Die Einwände der Bürger und Bürgerin-nen werden einfach vom Tisch gewischt, und Umwelt-minister Gabriel befindet sich offensichtlich imTiefschlaf.

(René Röspel [SPD]: Herr Gabriel schläft nie!)

Auskreuzungen aus diesen Experimenten mitPharmapflanzen, die die Kollegin Drobinski-Weißschon erwähnt hat, gelangen in unsere Lebensmittel undgefährden Gesundheit und Umwelt. Die kontaminiertenLebensmittel sind nicht mehr verkehrsfähig. Wirtschaft-licher Schaden droht in erheblichem Ausmaß. Das hatzum Beispiel der Skandal um den Genreis, der ja auch

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Ulrike Höfken

aus einem Forschungsfeld in den USA hervorgegangenist, gezeigt. Dieses Experiment von Bayer/Aventis hateinen Schaden in Höhe von weit mehr als 10 MillionenEuro verursacht. Wo sitzen Sie da? Wer von Ihnen über-nimmt dafür die Haftung? In den USA sagt man inzwi-schen, dass es allein durch diesen Fall Folgeschäden inHöhe von über 100 Millionen gibt. Wir haben zahlreicheHinweise darauf und Beweise dafür, dass aus diesenFreisetzungsexperimenten immer wieder Auskreuzun-gen vonstatten gehen, die Sie nicht im Mindesten beherr-schen können und die Industrie ganz offensichtlich auchnicht.

(Peter Bleser [CDU/CSU]: Das haben Sie doch auch gemacht!)

Statt eine solche Gefährdung zu unterbinden, fordertdie Industrie nun die Legalisierung solcher Verseuchun-gen gegen geltendes EU-Recht, und Sie klatschen auchnoch Beifall. Bis an den Rand der Legalität reizt dasBVL die Grenzen des Gentechnikgesetzes aus, zumBeispiel mit der Genehmigung von Amflora. Inzwischenist das Gentechnikgesetz 17 Jahre alt. Bisher ist nochniemand auf die Idee gekommen, eine 155 Hektar großeFläche als Experimentierfeld zu bezeichnen. Jetzt wirdder Zweck eines Forschungsexperimentes auch noch soumdefiniert, dass es nicht mehr der Forschung, ge-schweige denn der biologischen Sicherheitsforschungdient, sondern rein kommerziellen Zwecken: damit dieBASF für die nächste Saison Kartoffelpflanzmaterial ge-winnen kann.

Sie haben also Ansätze und Anlass, das Gentechnik-gesetz zu verbessern – nicht in dem Sinne, wie Sie es inden Eckpunkten gemacht haben, sondern tatsächlich.Wir fordern die Bundesregierung in unserem Antrag vorallem auf, derartige Freisetzungsexperimente gemäß denVorschlägen des TAB zu unterbinden. Wir fordern, dassgentechnisch veränderte Pflanzen, die pharmazeutischeWirkstoffe produzieren, nicht in die Umwelt freigesetztwerden dürfen. Experimente mit gentechnisch veränder-ten Organismen, die keine Zulassung als Lebensmittelhaben, dürfen grundsätzlich nicht ungeschützt im Frei-land stattfinden, siehe Imker, die genau dieses Problemhaben. Die Klagen zeigen auf, dass es Rechtslücken undHandlungsbedarf gibt. Es muss eine Datenbank einge-richtet werden, in der die Referenzmaterialien und Nach-weismethoden hinterlegt werden, damit Kontaminatio-nen überhaupt entdeckt werden können. Stoppen Siediese Genexperimente in Gatersleben! Denn auch wennder Forschungsleiter dies gerne hätte, übernimmt ernicht die persönliche Haftung.

Es muss sichergestellt werden, dass Wissenschaftlernicht an Forschungsprojekten beteiligt sind, die sie spä-ter im Rahmen der Zulassung begutachten. Generellsollte die Unabhängigkeit dieser Wissenschaftler ge-währleistet werden. Denn ich denke, wir sind inzwischenin einer Situation, in der die Freiheit der Forschung aufdiesem Gebiet kaum noch gegeben ist.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat

das Wort der Kollege René Röspel von der SPD-Frak-tion.

René Röspel (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich habe, wie sicherlich viele andere auch, denTAB-Bericht, also den Bericht des Büros für Technik-folgenabschätzung beim Deutschen Bundestag, zu trans-genen Pflanzen der 2. und 3. Generation, also gentech-nisch veränderter Pflanzen, mit Interesse gelesen undmuss sagen: Die Autorinnen und Autoren haben einevernünftige Analyse abgeliefert. Sie ist in vielen Fällengut begründet und nachvollziehbar.

Viele dieser Forderungen sind ja in den grünen An-trag aufgenommen worden. Deswegen kann ich ihn andiesen Stellen inhaltlich gar nicht ablehnen. Die Forde-rung, dass zum Beispiel gentechnisch veränderte Pflan-zen, die pharmazeutische Wirkstoffe, also fast Arznei-mittel oder Arzneimittel, enthalten oder produzieren,nicht freigesetzt werden sollen, entspricht der TAB-For-derung, dass so etwas erst im geschlossenen System, dasheißt im Glashaus, stattfinden sollte. Dies ist anders alsbei der normalen Pharmaproduktion. Wer je in einemPharmabetrieb war, weiß, dass dort absolut standardi-sierte, kontrollierbare, nachvollziehbare und unveränder-liche Produktionsbedingungen herrschen müssen, damiteine Reinheit und absolute Qualität des Produkts ge-währleistet sind.

Anders sieht es auf einem normalen Feld aus. JederGärtner und jede Landwirtin weiß: Je nach Wetter, Nie-derschlagsmenge, Trockenheit, Bodenbeschaffenheit,Klima, Sturm und anderen klimatischen Bedingungenbekommt man kleine oder große bzw. saure oder süßeÄpfel und eine gute oder eine schlechte Ernte. Die äuße-ren Bedingungen sind nicht kontrollierbar und nicht vomMenschen beeinflussbar. Welche Folgen es hat, wennman sensible Stoffe innerhalb von gentechnisch verän-derten Pflanzen ausbringt, steht noch in den Sternenbzw. ist zumindest nicht eindeutig belegt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist purer Unsinn! Das muss man mal ganz klar sagen!)

Im Jahr 2007, also in diesem Jahr, ist eine Studie vonNguyen und Jehle erschienen. Beide Autoren haben ei-nige Felder mit gentechnisch veränderten Pflanzen bzw.mit BT-Mais untersucht. Diese Pflanzen haben selbst In-sektengift produziert. Selbst bei Pflanzen, die sich aufdemselben Acker befanden, haben sie völlig unter-schiedliche Konzentrationen des Insektengiftes festge-stellt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch ganz normal!)

Das ist durch die Ergebnisse der jüngsten von Green-peace finanzierten Studie bestätigt worden. Man kanndiese Studie befürworten oder ablehnen. Auf jeden Fallaber war sie viel breiter angelegt, was die Zahl der Pro-ben angeht, und sie war, wie ich glaube, wissenschaftlichdeutlich fundierter. In dieser Studie zeigen sich eklatante

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René Röspel

Unterschiede zwischen den einzelnen Pflanzen, sogarbis zu hundertfache Unterschiede in der Konzentrationdes produzierten Insektengiftes.

Das kann man auf unterschiedliche klimatische Ver-hältnisse, unterschiedliche Bodenverhältnisse oder sons-tige Gründe zurückführen. Dafür kann man aber auchdie unterschiedliche Beschaffenheit der Pflanzen verant-wortlich machen. Das Problem ist schlicht und einfach– ich war sehr überrascht, dass ich, als ich dieser Fragenachging, zu diesem Ergebnis kam –, dass es keine har-monisierten und standardisierten Methoden zur Bewer-tung gentechnisch veränderter Pflanzen gibt.

Das erste Beispiel, das ich anführen möchte, ist derberühmte MON 863. Dabei handelt es sich um gentech-nisch veränderten Mais, der für seine Zulassung an Rat-ten verfüttert worden ist. Der Hersteller Monsanto sagte,dass kein Risiko bestehe. Das ist von der zuständigen eu-ropäischen Behörde zunächst bestätigt worden. Danngab es eine Studie französischer Forscher, die dieselbenDaten genau untersucht und große Unterschiede festge-stellt haben, die ich persönlich beim Lesen der Veröf-fentlichung habe nachvollziehen können. Wenn solchgroße Unterschiede und Abweichungen zwischen deneinzelnen Ratten und den Kontrollgruppen als normalangesehen werden – sie waren sehr deutlich –, dannmuss man sich fragen, warum Tierversuche überhauptdurchgeführt werden.

Die EFSA, die Europäische Behörde für Lebens-mittelsicherheit, hat das Ganze erneut analysiert und sagtjetzt, dass es keine Probleme gibt und dass kein Risikobesteht. Es existieren also unterschiedliche Bewertungs-methoden, die nicht standardisiert sind.

Das zweite Beispiel – es ist heute schon angeführtworden – ist die gentechnisch veränderte Kartoffel Am-flora. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicher-heit sagt, dass sie ungefährlich ist. Die Europäische Arz-neimittelagentur hingegen hält Teile dieser Kartoffel fürbedenklich, schlicht und einfach, weil sie Antibiotika-resistenzgene enthält, die zumindest problematisch seinkönnten.

(Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Nein! Als Stärkemittel kann man sie benutzen!)

Es fehlen also eindeutige und standardisierte Bewer-tungsmethoden. Deswegen können wir keine wissen-schaftlich fundierte und politisch vernünftige Antwortauf die Frage nach dem Risiko geben.

Dass wir mit dieser Einschätzung nicht allein sind,wird an verschiedenen Stellungnahmen deutlich, in de-nen die Forderung aufgestellt wurde, endlich solcheStandards zu entwickeln. So fordert der Verein Deut-scher Ingenieure, sicherlich nicht für seine Radikalitätbekannt, in seinen Richtlinien zur Beachtung der ökolo-gischen Auswirkungen von gentechnisch verändertenOrganismen ein standardisiertes Vorgehen zur Vergleich-barkeit durch mehrere Institutionen über Ländergrenzenhinweg.

Im VDI-Handbuch Biotechnologie Band 1 vom Okto-ber 2006 heißt es:

Die Dokumentation der Messgrößen, Erhebungs-intervalle und Erhebungsorte muss standardisiertwerden und in einer idealerweise zentralen Meter-datenbank erfolgen.

Vor diesem Hintergrund halte ich zumindest die Freiset-zung dieser Pflanzen für problematisch. Wir Sozialde-mokraten werden uns weiter dafür einsetzen, dass derSchutz der Verbraucher und die Koexistenz in Deutsch-land möglich sind.

Herr Präsident, erlauben Sie mir, zum Schluss einepersönliche Bemerkung an den Kollegen Dr. Patziorekzu richten, und zwar nicht nur von Westfale zu Westfaleund von Schalker zu Schalker:

(Ursula Heinen [CDU/CSU]: Ach du dickes Ei!)

Ich habe unsere Zusammenarbeit in den letzten Jahrentrotz aller inhaltlichen Unterschiede als sehr angenehmund fair empfunden und wünsche Ihnen für Ihr neuesAmt als Regierungspräsident im schönen Münster allesGute und eine glückliche Hand.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-cherschutz zu dem Antrag der Fraktion des Bündnis-ses 90/Die Grünen mit dem Titel „Schutz von Menschund Umwelt bei Freisetzungsexperimenten gewährleis-ten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-fehlung auf Drucksache 16/5755, den Antrag der Fraktiondes Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4556abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-lung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be-schlussempfehlung ist damit mit den Stimmen der Koali-tionsfraktionen und der FDP-Fraktion gegen dieStimmen der Fraktion Die Linke und des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernäh-rung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem An-trag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mit demTitel „Keine Freisetzung von gentechnisch verändertenPflanzen auf dem Gelände des Instituts für Pflanzenge-netik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben“. DerAusschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 16/5893, den Antrag der Fraktion des Bünd-nisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4904 abzu-lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-fehlung ist mit den Stimmen Koalitionsfraktionen undder FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion DieLinke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes

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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

zur Neuregelung des Rechts der Verbraucher-information

– Drucksache 16/5723 –

Zweite und dritte Beratung des von Fraktionender CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts derVerbraucherinformation

– Drucksache 16/5404 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-cherschutz (10. Ausschuss)

– Drucksache 16/5928 –

Berichterstattung:Abgeordnete Ursula Heinen Elvira Drobinski-Weiß Hans-Michael Goldmann Karin Binder Ulrike Höfken

Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen jeein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP, derFraktion Die Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Kein Wi-derspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-nerin das Wort der Kollegin Ursula Heinen von derCDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ursula Heinen (CDU/CSU): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir verabschiedenheute sozusagen zum zweiten Mal in zweiter und dritterLesung das Verbraucherinformationsgesetz. Ich habe einklein bisschen das Gefühl, es handelt sich hier um eine,ich will einmal sagen, Neverending Story, Julia,

(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Das kann man auf Deutsch sagen!)

um eine Geschichte, die nicht zu einem Ende kommt.Aber wir sind vorsichtig optimistisch, dass wir mit demjetzigen Verbraucherinformationsgesetz einen gutenSchritt machen zu mehr Information für die Verbrauche-rinnen und Verbraucher.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Vor fast genau einem Jahr, am 29. Juni 2006, habenwir dieses Gesetz schon einmal verabschiedet. Der Bun-despräsident hatte formale Einwendungen, was dieÜbertragung von Aufgaben vom Bund auf Länder undKommunen anging – das ist seit der Föderalismusreformin dieser Form nicht mehr möglich. Das Gesetz ist jetztin einem langen Prozess so verändert worden, dass esjetzt die Möglichkeit gibt, dass die Länder ihre Aufgabe,an die Verbraucherinnen und Verbraucher weiterzuge-

ben, auf die Lebensmittelüberwachungsbehörden derKommunen übertragen.

Als es um die Überarbeitung des Verbraucherinfor-mationsgesetzes ging, gab es eine ganze Reihe neuer Be-gehrlichkeiten und neuer Ideen, haben die Leute gesagt:Nutzen wir dies und machen wir das Gesetz noch einmalganz neu! – Wir haben uns in der Koalition dagegen ent-schieden, dieses Gesetz komplett neu zu machen, ausdem einfachen Grund, dass es jetzt an der Zeit ist, dassgehandelt wird, damit die Verbraucherinnen und Ver-braucher wenigstens zum 1. Januar des nächsten JahresZugang zu Informationen über Lebensmittel bekommen,und damit es jetzt keine neue Anhörungen, neue Diskus-sionsrunden, neue Arbeitskreise etc. gibt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Wir hatten schon im vergangenen Jahr einen Ent-schließungsantrag verabschiedet, der besagt, dass wirdas Gesetz zwei Jahre nach seinem Inkrafttreten evaluie-ren wollen, um festzustellen, wie es in der Praxis funk-tioniert. Wir in Deutschland haben ja außer vereinzeltenInformationsfreiheitsgesetzen der Länder, die sich auchauf Lebensmittel beziehen, im Grunde keine Erfahrun-gen mit einem solchen Gesetz; wir betreten also einStück weit Neuland. Wir wollen natürlich auch sehen,wie sich die Unternehmen weiter verhalten, ob sie vonsich aus Informationen über Produkte geben. Ich denke,es ist jetzt vernünftiger, zwei Jahre der tatsächlichen An-wendung nach dem Inkrafttreten abzuwarten und dannim Lichte konkreter praktischer Erfahrungen zu sehen,wo das Gesetz richtig funktioniert und wo man, was dieUnternehmen angeht, noch einmal etwas verändernmuss. Dazu brauchen wir aber zunächst diese praktischeErfahrung.

Die Verbraucherinnen und Verbraucher erhalten mitdiesem Gesetz erstmals einen gesetzlich geregelten An-spruch auf Zugang zu Informationen im Bereich des Le-bens- und Futtermittelrechts, die bei den Behörden vor-handen sind. Zu diesem Anwendungsbereich möchteich noch etwas sagen, weil in der Diskussion kritisch an-gemerkt wurde, dass er viel zu kurz greife und noch vielmehr Bereiche berücksichtigt werden müssten. Das Ge-setz betrifft aber nicht nur den engeren Bereich derLebensmittel, sondern auch Kosmetika und Bedarfsge-genstände wie Bekleidung, Spielwaren, Lebensmittel-verpackungen, Schnuller, Bettwäsche, Putz- und Wasch-mittel sowie alles, was mit der Haut oder denSchleimhäuten tatsächlich in Berührung kommt. Es gibtalso einen sehr breiten Anwendungsbereich.

(Gerd Müller [CDU/CSU]: Das Gesetz ist richtig gut!)

Unter anderem aus Baden-Württemberg ist die Anregungeiner Ausweitung des Verbraucherinformationsgesetzesauf andere problematische Sachgebiete – beispielsweisedie Geräte- und Produktsicherheit – gekommen. Wir wer-den in den nächsten zwei Jahren erleben, wie die Ver-braucherinnen und Verbraucher speziell zu diesen Berei-chen Fragen haben werden. Dann werden wir schauen,ob eine weitere Ausweitung überhaupt möglich ist,

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Ursula Heinen

zumal das Produktsicherheitsgesetz und andere Verord-nungen in diesem Bereich schon gelten und einen gewis-sen Schutz für die Verbraucherinnen und Verbrauchergeben.

Ein zweiter sehr wichtiger Punkt, den wir mit diesemGesetz umsetzen, ist eine Verpflichtung, die wir nachdem Gammelfleischskandal eingegangen sind: die Ver-schärfung des § 40 des Lebensmittel- und Futtermit-telgesetzbuches. Die Vorschrift ist im Hinblick auf dieInformationstätigkeit von Behörden zu verschärfen:Wenn riskante Dinge geschehen, wenn gesundheitsge-fährdende Produkte auf dem Markt sind, müssen die Na-men von Produkten tatsächlich genannt werden können,und die Behörden dürfen nicht wie in der VergangenheitSorge haben müssen, dass sie, wenn sie einen Namen ge-gebenenfalls zu früh herausgeben, sofort schadenersatz-pflichtig sind. Ein süddeutsches Land hat damit einmalsehr teure Erfahrungen gemacht. Auch dies ist eine ver-nünftige Änderung.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich will noch einmal kurz auf den Bundesrat zu spre-chen kommen, der in seiner ersten Beratung zum Ver-braucherinformationsgesetz sehr fröhlich verschiedeneÄnderungsanträge gestellt hat. Wir waren aber sehr froh– nicht wahr, Elvira Drobinski-Weiß! –, in der Anhörungzu hören, dass es sich eigentlich gar nicht um Ände-rungsanträge handelt, sondern lediglich um – ich zitiereden Vertreter des Landes Nordrhein-Westfalen – „Anre-gungen“ für den Bundesgesetzgeber, die man in der Dis-kussion vielleicht berücksichtigen kann. Dass der Bun-desrat das tatsächlich nur als Anregungen betrachtet hat,sah man schon daran, dass der einzige Änderungsantrag,der aus diesem Gesetz ein durch die Länderkammer zu-stimmungspflichtiges Gesetz gemacht hätte, von denBundesländern abgelehnt worden ist. Letztlich wolltenalso auch die Bundesländer, dass wir dieses Gesetzschnell zu einem guten Ende bringen.

Lassen Sie uns dieses Gesetz in diesem Sinne heutemit einer überwältigenden Mehrheit – davon gehe ichaus, wenn ich die Kolleginnen und Kollegen hier sehe –in zweiter und dritter Lesung verabschieden. Es ist dannwieder einmal ein guter Tag für die Verbraucherinnenund Verbraucher in Deutschland, weil sie bessere Infor-mationen bekommen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Michael

Goldmann von der FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Hans-Michael Goldmann (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! In einem Punkt hat Frau Heinen sicherlichrecht: Es war ein weiter Weg, bis wir nun zu einer Geset-zesverabschiedung kommen.

(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Bis Frau Künast abgebrochen hat!)

Aber dieses Gesetz hat den Namen nicht verdient, den esals Überschrift trägt.

(Ursula Heinen [CDU/CSU]: Ihr wolltet doch gar keines!)

– So kann man sich vertun, wenn man nicht richtig zu-hört, Frau Heinen. Wir haben im Vermittlungsausschussund in anderen Gremien mehrere Male zusammengeses-sen. Sie können doch nicht ernsthaft behaupten, dass wirkein Gesetz wollten. Wir wollten nur ein Gesetz mitQualität.

(Marianne Schieder [SPD]: Sie wollten kein Verbraucherinformationsgesetz!)

Wir wollten ein Gesetz, das auf eine wesentlich breitereBasis gestellt wurde.

Sie haben es selbst angesprochen: Aus den Ländernkommt schon der Vorwurf des Etikettenschwindels. Wirmüssen doch ganz ehrlich sein: Mit diesem Entwurf ei-nes Verbraucherinformationsgesetzes bezieht sich imKern einzig und allein auf den Bereich der Lebensmittel.Die ganzen Bereiche der Dienstleistungen, der techni-schen Produkte, der Chemikalien und der Werkzeugewerden durch diesen Gesetzentwurf nicht berücksichtigt.Deswegen steht dieser Gesetzentwurf auf schwachenBeinen. Das wissen alle, die sich mit diesem Gesetzent-wurf intensiv beschäftigen.

Der enge Anwendungsbereich dieses Gesetzesbringt ein weiteres Problem mit sich: Er kommt nämlichin Konflikt mit den bereits vorhandenen gesetzlich ver-ankerten Rechten auf Informationszugang. Liebe FrauHeinen, Sie waren bei der Anhörung auch dabei. DerBundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informa-tionsfreiheit, Herr Peter Schaar, hat deutlich gesagt, dassder wichtige Bereich des freien Informationszugangs fürdie Betroffenen immer komplexer und intransparenterwird. Er hat gefragt, ob ein solches Gesetz ein gutes Ge-setz wäre. Ich will die Antwort geben. Sie muss lauten:Nein, es wäre ein schlechtes Gesetz.

(Beifall bei der FDP – Elvira Drobinski-Weiß[SPD]: Das hat er aber nicht gesagt, HerrGoldmann!)

Hinsichtlich des Informationszugangs – das wissenSie auch – droht dem Verbraucher durch das Verbraucher-informationsgesetz eindeutig ein Rückschritt. In demGesetzentwurf stehen nämlich mindestens 15 verschie-dene Gründe, aus denen die Auskunft seitens der Be-hörde verweigert werden kann.

(Dr. Werner Hoyer [FDP]: So ist es!)

Das heißt, wenn der Verbraucher bei der Behörde nach-fragt, wird er demnächst eine Überraschung erleben. Erwird nämlich an sehr vielen Stellen überhaupt keine Ver-braucherinformationen bekommen. Auch das ist ein wei-terer gravierender Mangel des Gesetzentwurfes.

Es kommt noch etwas anderes hinzu: Im Gesetzent-wurf gibt es auch eine erhebliche Unklarheit, und zwar

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Hans-Michael Goldmann

dahin gehend, was eigentlich ein Betriebsgeheimnis ist.Ich verstehe nicht, warum Sie nicht daraus gelernt ha-ben, wie die Dinge im Informationsfreiheitsgesetz defi-niert sind. Darin steht: Ein Betriebsgeheimnis ist ein Be-triebsgeheimnis. – In diesem Gesetzentwurf steht aber,dass auch Dinge, die einem Betriebsgeheimnis ähnlichsind, von einem Unternehmen als Betriebsgeheimnis de-finiert werden können. Der Begriff des Betriebsgeheim-nisses ist rechtlich völlig klar und abgegrenzt. Durch dieFormulierung, die Sie in diesen Gesetzentwurf hineinge-schrieben haben, weiten Sie diesen Begriff unzulässigaus. Auch das wird dazu führen, dass der Verbraucher,wenn er seine Informationsrechte in Anspruch nehmenwill, überrascht sein wird.

(Peter Bleser [CDU/CSU]: Gilt doch nicht bei Verstößen!)

Deswegen bin ich der Meinung, dass der Gesetzentwurfauch an dieser Stelle nicht sehr glücklich formuliertwurde.

(Beifall bei der FDP)

Es gibt ein weiteres Problem, das uns auch bekanntist. Wir haben in der Anhörung davon gehört. Diejeni-gen, die Erfahrung mit dem Informationsfreiheitsgesetzgemacht haben – in den einzelnen Bundesländern gibt esim Grunde genommen schon Verbraucherinformations-gesetze –, kennen das auch. Das Problem lautet, wie kos-tenträchtig der Informationsanspruch des Bürgers ist.Auch hierzu ist die Forderung ganz eindeutig: Es mussauch für finanzschwächere Bürgerinnen und Bürgermöglich sein, diesen Informationsanspruch für sich gel-tend zu machen.

Das ist in Ihrem Gesetzentwurf aber nicht vorgese-hen, sondern in Ihrem Gesetzentwurf steht im Grundegenommen, dass die Kosten, die entstehen und die derVerbraucher zu tragen hat, abgedeckt werden müssen.Das wird dazu führen, dass sich sehr viele Verbraucher– ganz normale Menschen – die Durchsetzung diesesInformationsanspruches nicht leisten können und dassdieser Informationsanspruch im Grunde genommen fürVerbände und Organisationen eingeführt wird, die mög-licherweise auch andere Interessen haben. Das mussman ganz deutlich sagen: Diese möchten sich möglicher-weise Informationen verschaffen, um sie in einer Wett-bewerbssituation mit anderen Anbietern zum Nachteilvon diesen zu nutzen. Ich finde, das ist ein wirklich gra-vierender Mangel dieses Gesetzentwurfes.

(Beifall bei der FDP – Elvira Drobinski-Weiß[SPD]: Das ist doch ein Horrorszenario! Dasist doch ein Killerargument!)

– Nein, das ist kein Killerargument. Das ist in Ihrem Ge-setzentwurf so angelegt. Das wissen Sie auch. Deswegengab es ja auch die Anregung aus dem Bundesrat, in die-sem Bereich Nachbesserungen vorzunehmen. Sie habendiese in Ihren Gesetzentwurf schlicht nicht aufgenom-men.

Wir haben uns die Mühe gemacht, diese Dinge, diewir hier kritisieren, in einen meiner Meinung nach gutenEntschließungsantrag einzubringen. In ihm steht ganz

eindeutig: Wir brauchen eine Ausdehnung des Anwen-dungsbereiches. Wir brauchen keine Verschlechterungder Verbraucherrechte. Wir brauchen Kostenfreiheit fürAuskünfte im Bereich der Gefahren für Gesundheit undSicherheit des einzelnen Bürgers. Wir brauchen eineObergrenze bei den Gebühren.

Ich denke, wenn Sie diesen Dingen zustimmen wür-den, dann könnte man aus diesem meiner Meinung nachsehr schwachen Gesetzentwurf noch etwas machen. Daswerden Sie aber leider nicht tun. Sie beschließen heuteeinen Gesetzentwurf, der weder Fisch noch Fleisch istund von dem Sie genau wissen, dass er von allen ernst-zunehmenden Organisationen und Verbänden kritisiertwird und viele enttäuschen wird. Das finde ich bedauer-lich.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Elvira Drobinski-

Weiß von der SPD-Fraktion.

(Ursula Heinen [CDU/CSU]: Elvira, sag ihm,dass die Anhörung ein anderes Ergebnis ge-bracht hat!)

Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu unserem Entwurfdes VIG kann man in der Tat feststellen – Ulla Heinenhat es schon gesagt; ich sage es noch einmal aufDeutsch, Julia –: Endlich wird die unendliche Ge-schichte beendet – jedenfalls vorläufig.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und derCDU/CSU – Julia Klöckner [CDU/CSU]:Wunderbar!)

Wir werden heute hoffentlich zum letzten Mal überden vorliegenden Entwurf des Verbraucherinformations-gesetzes reden. Aber die Geschichte hat auch eine Fort-setzung. Wir werden wieder über das Thema reden,wenn wir – wie beschlossen; Ulla Heinen hat schon da-rauf hingewiesen – die in der Praxis mit dem Gesetz ge-machten Erfahrungen auswerten.

Die SPD steht weiterhin für eine Ausweitung des In-formationsanspruchs der Verbraucherinnen und Verbrau-cher auch gegenüber den Unternehmen und die Einbe-ziehung aller Produkte und Dienstleistungen.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das steht aber nicht im Gesetzentwurf!)

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ist ein sehrwichtiger erster Schritt auf dem Weg zu mehr Transpa-renz gemacht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Aber nicht zu denPunkten, die wir gerade angesprochen haben!)

Das haben durchweg alle Experten einschließlich unse-rer kritischsten Kritiker bei unserer Anhörung am13. Juni bestätigt.

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Elvira Drobinski-Weiß

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Da müssenSie bei einer anderen Anhörung gewesensein!)

– Sie haben aus der Anhörung den falschen Schluss ge-zogen.

Verbraucherinnen und Verbraucher haben ein Rechtauf Information. Das VIG sieht hierbei deutliche Verbes-serungen vor und verleiht den Interessen der Konsu-menten mehr Gewicht. Die Behörden werden verpflich-tet, die Öffentlichkeit bei Verstößen gegen das geltendeLebensmittelrecht zu informieren. Das wurde auf Druckder SPD mit einer Verschärfung der im Lebensmittel-und Futtermittelgesetzbuch ursprünglich vorgesehenenKannregelung erreicht. Hier gilt jetzt eine Sollregelung.

Insgesamt werden die Pflichten und Möglichkeitender Behörden zur Information der Öffentlichkeit überMissstände im Lebensmittel-, Futtermittel- und Bedarfs-gegenständebereich ausgeweitet. Außerdem können sichVerbraucherinnen und Verbraucher künftig selbst bei denBehörden informieren, auch dann, wenn keine Rechts-verstöße vorliegen. Das, denke ich, ist ein enormerSchritt. Im Diskussionsprozess zu diesem Gesetzentwurfhaben wir stets Offenheit für Vorschläge signalisiert, diedie Ansprüche der Verbraucher stärken.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Unseren Antrag lehnen Sie aber ab!)

Die jüngst im Bundesrat geforderten Änderungen al-lerdings sind wohl eher als Störfeuer zu werten, Ulla.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Nachher kassiert das wieder der Bundespräsident!)

Ich sehe das weniger als Anregung denn als ernstge-meinte Vorschläge.

Der von Baden-Württemberg eingebrachte Vorschlag– ich beziehe mich auf VerbraucherschutzministerHauk –, nach dem Unternehmen Auskunft über Namenund Adressen der Nachfragenden erhalten können soll-ten, kann nur der Abschreckung dienen. Verbraucher-schutzminister Hauk setzt sich gerne öffentlich für mehrTransparenz ein. Dieser Vorschlag macht aber, denkeich, deutlich, dass es dabei eher um transparente Ver-braucher für die Unternehmen als um Transparenz fürdie Verbraucher zu gehen scheint.

Auch die Einschränkung des Informationsrechts beinicht mehr auf dem Markt befindlichen Produkten istnicht tragbar. Ein starkes Stück war, denke ich, auch derVorschlag von Sachsen, dass Auskünfte über Rechtsver-stöße für Verbraucher kostenpflichtig sein sollen.

Solchen Verschlechterungen für die Verbraucherinnenund Verbraucher erteilen wir eine klare Absage. DasVIG muss endlich verabschiedet werden. Für uns ist die-ses Gesetz ein wichtiger erster Schritt auf dem Weg zueinem transparenten Markt.

Wir werden dafür sorgen, dass weitere Schritte fol-gen. Das haben wir in unserem Entschließungsantragaufgezeigt, den wir bereits in der ersten Runde mit demGesetzentwurf eingebracht haben. Wir wollen, dass auchdie Wirtschaft ihre Verantwortung gegenüber den Ver-

braucherinnen und Verbrauchern wahrnimmt und sie in-formiert.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das tut sie doch!)

– Das tut sie eben nicht. –

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Natürlich!)

Denn bei den Unternehmen liegen alle Daten vor, dieeine bewusste Auswahl ermöglichen und eine eigenver-antwortliche Marktteilnahme gewährleisten. Wir wollenauf der Basis der Evaluierung die Aufnahme weitererProdukte und Dienstleistungen in den Geltungsbereichdes Gesetzes erreichen.

Der Entschließungsantrag sieht die Dokumentationund Auswertung der Erfahrungen mit dem Gesetz vor.Damit werden wir zum Beispiel beobachten können, obund, wenn ja, aus welchen Gründen Informationen ver-weigert wurden, wie sich die Kosten entwickeln und wielange die Bearbeitung der Auskunftsanliegen dauert.Wenn diese Auswertung Fehlentwicklungen offenbart,werden wir mit gesetzlichen Maßnahmen gegensteuern.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Dazu wer-det ihr keine Gelegenheit haben!)

Die Unternehmen sind aufgefordert, eigene Initiati-ven zu ergreifen und Zugang zu den bei ihnen vorhande-nen Informationen zu gewähren. Auch wenn sich derDachverband der deutschen Lebensmittelwirtschaft nochsträubt, gibt es von zunehmend mehr UnternehmenSignale der Bereitschaft; denn immer mehr wird diesvon seriösen Anbietern als Wettbewerbsvorteil erkannt.

Missstände auf dem Markt lassen sich nur durchTransparenz und Rückverfolgbarkeit eindämmen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der transparente Markt ist notwendig. Niemand wirddiese Entwicklung auf Dauer verhindern können. Wir er-warten Vorschläge. Sollte sich die Wirtschaft hier nichtbewegen, werden wir auf gesetzliche Maßnahmen drin-gen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU –Hans-Michael Goldmann [FDP]: Dabei wer-den euch die Linken behilflich sein!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat die Kollegin Karin Binder von der Frak-

tion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Karin Binder (DIE LINKE): Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem heutigen Taghätte die Große Koalition einen verbraucherpolitischenMeilenstein setzen können. Ich betone: hätte. Denn derGesetzentwurf, den uns die Koalition hier zur Entschei-dung vorlegt, ist höchstens ein Stolperstein. DiesesGesetz ist kein modernes Verbraucherinformationsge-

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Karin Binder

setz, sondern ein Bürokratiebeschaffungsprogramm. Esschreibt für die Informationsbeschaffung einen büro-kratischen Aufwand fest, der für die Verbraucherinnenund Verbraucher in keinem Verhältnis zum Ergebnissteht. Wenn ich im Supermarkt wissen will, ob die Pa-prika an der Gemüsetheke pestizidbelastet sind, dannmöchte ich nicht erst einen Antrag bei der örtlichen Le-bensmittelkontrolle stellen.

(Peter Bleser [CDU/CSU]: Sondern?)

Das kann und soll der Händler mir bitte schön selber sa-gen.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Mündige Verbraucherinnen und Verbraucher müs-sen Zugang zu den Informationen haben, der ihnendie bewusste Auswahl von Produkten und Dienst-leistungen ermöglichen und eine eigenverantwortli-che Marktteilnahme gewährleistet.

Informationen sind am ehesten bei den Unterneh-men selbst erhältlich. Verbraucherinnen und Ver-braucher sollten daher die Möglichkeit des Zugangszu diesen Informationen bekommen. Dies gilt fürLebensmittel, sonstige Produkte und Dienstleistun-gen gleichermaßen.

Genauso ist es. Das ist auch meine Meinung. Aber dassind nicht meine Worte. Diese Sätze stammen aus demEntschließungsantrag 16/2035, den uns die Kolleginnenund Kollegen der Koalitionsfraktionen im letzten Jahrvorgelegt haben.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner)

Warum haben Sie diese Erkenntnis aus dem Jahr 2006nicht in dem neuen Gesetzentwurf umgesetzt? Mit unse-rem Entschließungsantrag unterstützen wir diese Forde-rungen sogar. Aber Sie haben die Entscheidung des Bun-despräsidenten leider nicht als Chance genutzt, imzweiten Anlauf einen besseren Gesetzentwurf vorzule-gen.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Da hat sie leider recht!)

Sie legen uns jetzt wieder eine Ansammlung von politi-schen Halbherzigkeiten, Schlupflöchern und Informa-tionsbegrenzungen vor. Sie machen sich schon wiederwillfährig zum Anwalt von Wirtschaftsinteressen. Sieignorieren auch dieses Mal die zahlreichen und berech-tigten Einwände von Verbraucherorganisationen und Da-tenschützern.

(Beifall bei der LINKEN)

Ist das nun Halsstarrigkeit, Ignoranz oder Arroganz?

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Jetzt noch Hartz IV!)

Nicht nur wir wollen, dass die Verbraucherinnen undVerbraucher die Informationen bekommen, die sie inte-ressieren und die sie benötigen, ganz gleich, ob es sichdabei um Lebensmittel, technische Geräte oder um Arz-neimittel handelt oder ob jemand Informationen zu

Finanzdienstleistungen oder Pflegediensten braucht.Selbstverständlich müssen die Informationen von dortkommen, wo sie am leichtesten, am umfangreichstenund nicht zuletzt am schnellsten verfügbar sind: von denUnternehmern und den Dienstleistern direkt, undzwar ohne Einschränkungen mit Hinweis auf vermeintli-che Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse oder sonstigewettbewerbsrelevante Informationen.

Verbraucherinnen und Verbraucher sollen eigenver-antwortlich und selbstbestimmt ihre Entscheidungentreffen können. Dazu müssen wir ihnen die Vorausset-zungen schaffen. Ein Verbraucherinformationsgesetz,das diesen Namen auch verdient, müsste deshalb ein um-fassendes Recht auf Information absichern.

(Beifall bei der LINKEN)

Es müsste den kostenfreien Zugang zu Informationen si-chern und die Interessen der Verbraucherinnen und Ver-braucher gegenüber Wirtschaft und Verwaltung stärken.Aber das tut der vorliegende Entwurf nicht. Deshalbwerden wir diesem Informationsbehinderungsgesetznicht zustimmen.

(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das istein großer Fehler, Frau Binder! Ein großerFehler!)

Wir sehen mit Spannung der Evaluierung entgegen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Das Wort hat die Kollegin Ulrike Höfken,

Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehrte Kollegen und

Kolleginnen! Angesichts der Aussage von allen Seiten,dass dieses Gesetz eigentlich schon wieder novelliertwerden sollte, kann man eigentlich kaum jemandem er-klären, warum es heute in dieser Form verabschiedetwird, außer damit, dass Sie diese dauernde Auseinander-setzung nicht mehr aushalten können.

(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Wir sammelnerst mal Erfahrungen! – Mechthild Rawert[SPD]: Wir sind strapazierfähig! Keine Panik!)

Aber das ist nun einmal die Aufgabe einer Regierung.Man muss nun befürchten, dass das vorgelegte „Ver-braucherinformationsgesetz“ – man muss das in Anfüh-rungsstriche setzen – sogar die bisherigen Rechte auf In-formation in Bund und Ländern noch einschränkt. Daskann kaum der Anspruch des Gesetzes sein. Das habenauf jeden Fall die Fachleute in der Anhörung zuletzt be-stätigt.

(Ursula Heinen [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht! In welcher Anhörung waren Sie?)

Zudem erzeugen Sie eine unglaubliche Bürokratie durchdie schwammigen Formulierungen und die vorhandenen

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Ulrike Höfken

Gesetzeslücken. Der Anwendungsbereich ist zu klein– das hat der Kollege Goldmann schon ausführlich aus-geführt –, die Ausschlussgründe sind zu vielfältig, dieAntwortfristen zu lang. Aber vor allem bleibt der Ge-setzentwurf ein Geheimniskrämereigesetz. Es gibt nichtnur keinen Informationsanspruch gegenüber den Un-ternehmen, auch gegenüber den Behörden besteht zumBeispiel bei Finanzdienstleistungen usw. kein Informa-tionsanspruch. Finanzskandale wie den bei der soge-nannten Göttinger Gruppe wird es also auch in Zukunftgeben. Schauen Sie in die „Süddeutsche Zeitung“ vonheute! Das wäre ein Handlungsfeld für ein Verbraucher-informationsgesetz gewesen.

Die ungewöhnlich hohen Schutzwälle bei sogenann-ten Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen bilden einenweiteren Riegel. Ich frage mich wirklich, auf welcherRechtsgrundlage Formulierungen wie die über sonstigewettbewerbsrelevante Informationen beruhen und wiedie Überprüfung stattfinden soll. Der Vollzug dieses Ge-setzes wird sicher ein einziges Chaos. Die Unterneh-men sind weitestgehend geschützt. Sie dürfen ungeprüftselbst bestimmen, was ein Geschäftsgeheimnis ist. Ver-braucherinteressen werden nicht einmal abgewogen, wiedas bei anderen Gesetzen der Fall ist.

Ein Unding ist auch, dass die Verbraucherinnen undVerbraucher durch Gebühren regelrecht abgehaltenwerden, Informationen nachzufragen. Eine Gebühren-obergrenze gibt es nicht, und hohe Finanzbelastungendrohen dem, der Auskunft begehrt. Tatsächlich ist esfraglich, wie zu verstehen ist, dass eine Kostendeckungzu erreichen ist. Eine Ausnahme stellen Auskunftsver-pflichtungen in den Fällen dar, in denen ein Rechtsbruchvorliegt. Das können ein Verbraucher und eine Verbrau-cherin schließlich vorher nicht wissen, übrigens auch diePresse nicht. Man bleibt auf hohen Gebühren sitzen,wenn sich herausstellt, dass die Pestizidbelastung einesLebensmittels gerade an der Grenze war oder das Unter-nehmen keinen direkten Rechtsbruch begangen hat. Werbezahlt die Gebühren dann? Das ist eine unsoziale Rege-lung, die eine hohe Hürde für den Auskunftsbegehren-den darstellt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lange Wartezeiten – auch das noch – von etwa drei Mo-naten müssen in Kauf genommen werden. Es ist in derAnhörung vorgeschlagen worden, die unverzügliche Be-arbeitung in das Gesetz aufzunehmen. Nach drei Mona-ten – dieses Gesetz bezieht sich vor allem auf Lebens-mittel – ist die Ware längst verzehrt.

Die Erreichung des Ziels von Minister Seehofer, denVerbraucherinnen und Verbrauchern ein scharfesSchwert bei Gammelfleischskandalen zu verschaffen, istgescheitert. Ob billige Importe in deutsches Edelfleischumbenannt werden oder Gammelfleisch, dessen Haltbar-keitsdatum abgelaufen ist, in frische Supermarktwareumetikettiert wird – der Verbraucher wird auch in Zu-kunft kaum etwas mit dem Verbraucherinformationsge-setz verhindern können und wir auch nicht. SämtlicheVorschläge der Grünen und auch anderer Fraktionen, denGesetzentwurf zu verbessern, werden ignoriert. DiesesGesetz ist eine Mogelpackung, und offensichtlich fehlt

der Bundesregierung der politische Wille, für mehr Ver-braucherrechte zu sorgen.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –Julia Klöckner [CDU/CSU]: Das hilft abernichts, wenn die Grünen an der Regierungsind!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin

Waltraud Wolff, SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu Zei-

ten der rot-grünen Koalition haben wir kein Verbraucher-informationsgesetz zustande gebracht. Jetzt, in dieserRegierungskonstellation, sind wir so weit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Ich denke, dies wird ein guter Abend. Schön, dass auchSie, Herr Minister Seehofer, noch anwesend sind.

Wir haben uns gestern im Ausschuss für Ernährung,Landwirtschaft und Verbraucherschutz mit einer reprä-sentativen Umfrage der Verbraucherzentralen und desBundesinstituts für Risikobewertung zu cholesterinsen-kenden Lebensmitteln befasst. Meine Damen und Her-ren, die Sie heute Abend hier anwesend sind, wenn Sie inden Supermarkt gehen, dann stoßen Sie auf cholesterin-senkende Lebensmittel wie bestimmte Milch-, Joghurt-und Margarinesorten.

Das Ergebnis dieser Umfrage war ganz eindeutig:Viele Leute nehmen diese Lebensmittel zu sich, obwohles gar nicht nötig ist. Besonders bedenklich ist, dass esMenschen gibt, die cholesterinsenkende Lebensmittel zusich nehmen, ohne Rücksprache mit ihrem Arzt gehaltenzu haben. Diese Menschen nehmen starke Nebenwirkun-gen in Kauf; zum Beispiel wird die Zellstabilität beein-trächtigt.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Aber damit hat das Gesetz doch gar nichts zu tun!)

– Ich komme gleich darauf zu sprechen, HerrGoldmann.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Du erzählst das ja gerade den Besuchern da oben!)

Es kann vorkommen, dass die Vitamin-A-Aufspaltungnicht mehr gewährleistet ist. Der Verzehr dieser Pro-dukte hat keine vorbeugende Wirkung. Es reicht nichtaus, dass auf den Verpackungen Hinweise gegeben wer-den.

Das Ergebnis dieser Umfrage wundert mich eigent-lich überhaupt nicht; denn die Werbespots für choleste-rinsenkende Lebensmittel, zum Beispiel für bestimmteMargarinesorten, vermitteln genau zwei Informationen:

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Waltraud Wolff (Wolmirstedt)

Sieben von zehn Menschen haben einen erhöhten Cho-lesterinspiegel,

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das ist völ-liger Blödsinn!)

und man kann ihn durch den Verzehr dieser Lebensmittelsenken. Ganz abgesehen davon, ob Medizin überhauptins Lebensmittelregal gehört, steht doch fest: Das sindkeine Lifestyle-Produkte, und man sollte sie auch nichtso bewerben dürfen.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das hat mitdem Gesetz überhaupt nichts zu tun! Unlaute-rer Wettbewerb ist mit dem Gesetz überhauptnicht erfasst!)

Warum führe ich das alles an? Ich führe das an, weiles der letzte Verbraucher und die letzte Verbraucherinverstehen sollen und weil dieses Thema den Kern derAuseinandersetzung über das Verbraucherinformations-gesetz genau trifft.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wer gibt denn die Infos? Welche Informationen brau-chen die Verbraucherinnen und Verbraucher, und werentscheidet über die Informationen? Die Verbraucher bisjetzt jedenfalls nicht! Mit der Verabschiedung des Ver-braucherinformationsgesetzes wird sich das – nach ei-nem langen Kampf – ändern.

Die Wirtschaft ist angesprochen worden. In unsererletzten Anhörung forderte ein Vertreter des Bundes fürLebensmittelrecht und Lebensmittelkunde, die Belangeder Wirtschaft zu berücksichtigen. Schauen Sie sich dieVersionen an! Hinter uns liegt ein langer Diskussions-prozess. Klar ist doch: Wenn Unternehmen wollen, dasssie es sind, die informieren, dann heißt das, dass sie essind, die die Kontrolle über die Informationen ausübenwollen. Die Forderung war: Freiwillige Information undProduktkennzeichnung reichen aus. Was dabei heraus-kommt, lässt sich daran zeigen, wie wir jetzt mit dencholesterinsenkenden Lebensmitteln konfrontiert wer-den.

Wir brauchen das Verbraucherinformationsgesetz. DieVerbraucher wollen sich allein, also selbstständig, infor-mieren – sie wollen nicht nur informiert werden –, undgenau diesem Bedürfnis werden wir mit der Verabschie-dung dieses Gesetzentwurfs gerecht. Dieses Gesetz istein erster guter Baustein. Weitere gute Bausteine werdenfolgen. Gehen Sie diesen Schritt mit uns! Auch die Op-position sollte sich das noch einmal überlegen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zurNeuregelung des Rechts der Verbraucherinformation.Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Ver-braucherschutz empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss-

empfehlung auf Drucksache 16/5928, den Gesetzentwurfder Bundesregierung auf Drucksache 16/5723 anzuneh-men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-men wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dage-gen? – Stimmenthaltungen? – Der Gesetzentwurf istdamit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koali-tion bei Gegenstimmen der Opposition angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Stimmenthaltungen? – Der Ge-setzentwurf ist damit in dritter Beratung mit den Stim-men der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition an-genommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie-ßungsanträge.

Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-tion der FDP auf Drucksache 16/5977? – Wer stimmt da-gegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag istbei Gegenstimmen der FDP mit den Stimmen der ande-ren Fraktionen abgelehnt.

Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-tion Die Linke auf Drucksache 16/5975? – Wer stimmtdagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantragist bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke mit denStimmen des übrigen Hauses abgelehnt.

Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktiondes Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5976? –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschlie-ßungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSUund FDP bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und Ge-genstimmen von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.

Wir setzen die Abstimmungen über die Beschluss-empfehlung auf Drucksache 16/5928 fort. Unter Nr. 2seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss,den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU undder SPD zur Neuregelung des Rechts der Verbraucherin-formation für erledigt zu erklären. Wer stimmt für dieseBeschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Ent-haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-men des ganzen Hauses angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 sowie Zusatz-punkt 10 auf:

25 Beratung des Antrags der Abgeordneten PeterRzepka, Ingo Schmitt (Berlin), Monika Grüttersund weiterer Abgeordneter

Flugverkehrskonzept für den Großraum Ber-lin überprüfen – Flughafen Berlin-Tempelhofoffenhalten

– Drucksache 16/4813 –Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuss (f)Ausschuss für Wirtschaft und Technologie VerteidigungsausschussAusschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Tourismus

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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner

ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten WinfriedHermann, Wolfgang Wieland, Hans-ChristianStröbele, weiterer Abgeordneter und der Fraktiondes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Einstellung des Flugbetriebs in Tempelhof –Sinnvolle Nachnutzung des Flughafenareals

– Drucksache 16/5897 –Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuss (f)Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegePeter Rzepka, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU – Abg. PeterRzepka begibt sich mit einem großen Schrift-stück zum Rednerpult – Lutz Heilmann [DIELINKE]: Das ist ja eine Demonstration! Ist daszulässig, Frau Präsidentin?)

Peter Rzepka (CDU/CSU):Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Lassen Sie mich meine Ausführungen zu unse-rem Gruppenantrag mit den Worten des ehemaligenBundeskanzlers Helmut Schmidt beginnen:

Berlin sollte Tempelhof nicht aufgeben. Die Haupt-stadt der Republik darf jetzt die große und letzteChance nicht verpassen, einen bundesweit einmali-gen Standortvorteil zu nutzen: einen Flughafen inunmittelbarer Nähe der Innenstadt.

(Beifall bei Abg. der CDU/CSU – SwenSchulz [Spandau] [SPD]: Auch der kannirren! – Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das passt in die 70er-Jahre!)

Über 70 Prozent der Berlinerinnen und Berliner, zahl-lose Prominente aus Wirtschaft, Politik und Kultur,Helmut Kohl, ein weiterer ehemaliger Bundeskanzler,

(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Es wird immer doller!)

ein ehemaliger Bundespräsident, Wirtschaftsverbändeund Mitglieder der gegenwärtigen Bundesregierung,Herr Kollege, teilen diese Beurteilung des ehemaligenBundeskanzlers Helmut Schmidt. Ein Volksbegehren istmit mehr als 35 000 Unterschriften in Berlin eingeleitetworden.

Helmut Schmidt hat den Kern der Tempelhof-Debattegetroffen: Es geht um eine optimale Anbindung von Re-gierungs- und Parlamentsviertel an den Flugverkehr so-wie um Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze für Ber-lin.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der SPD: Stimmt!)

Die Deutsche Bahn, Luftfahrtunternehmen und wei-tere private Investoren haben solide geplante und finan-ziell abgesicherte Konzepte für eines der modernstenambulanten Gesundheitszentren der Welt vorgelegt undhalten dieses Angebot aufrecht.

(Mechthild Rawert [SPD]: Veraltet!)

Der Berliner Senat dagegen bereitet die Schließung undEntwidmung des legendären Stadtflughafens vor,

(Zuruf von der CDU/CSU: Die Arbeitsplätzesind egal! – Dr. Karl Lamers [Heidelberg][CDU/CSU]: Ein Armutszeugnis!)

ein Vorgang, der weltweit Unverständnis auslöst.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der erste Zivilflughafen in der Geschichte, die Mutteraller Flughäfen, ein Architektursymbol mit weltweiterAusstrahlung,

(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Der wird ja nicht gesprengt!)

soll seiner eigentlichen Funktion beraubt werden. Einwichtiger Standortvorteil für die zukünftige wirtschaftli-che, politische und kulturelle Entwicklung der Haupt-stadt soll aufgegeben werden.

(Beifall des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/CSU])

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Wieland?

Peter Rzepka (CDU/ CSU):Ich habe nur sehr wenig Zeit; vielleicht zum Schluss

noch.

(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird doch nicht ange-rechnet! – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] Das verlängert doch! – SwenSchulz [Spandau] [SPD]: Das ist ja mutig!)

Die Berliner Politik hält damit an einer Entscheidungfest, die längst überholt ist.

(Mechthild Rawert [SPD]: Überholt ist dieser Antrag!)

Es ist weder sachlich noch rechtlich geboten, Tempelhofzum jetzigen Zeitpunkt zu schließen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das Bundesverwaltungsgericht hat im März 2006 festge-stellt, dass es keine Rechtspflicht gibt, Tempelhof vorEröffnung von BBI zu schließen.

(Dr. Karl Lamers [Heidelberg] [CDU/CSU]: So ist es!)

Ob ein Offenhalten über diesen Zeitpunkt hinaus diePlanrechtfertigung für BBI gefährden würde, wie derBerliner Senat behauptet, wird von namhaften Gutach-tern und Rechtswissenschaftlern bestritten. Eine ab-

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Peter Rzepka (CDU/ CSU)

schließende Klärung dieser Rechtsfrage, die mit hoherWahrscheinlichkeit die Offenhaltung des FlughafensTempelhof ermöglichen würde, will der Berliner Senatmit seinem voreiligen Handeln verhindern.

Ebenso fragwürdig wie die Argumente für eineSchließung sind die Nachnutzungskonzepte der Tem-pelhof-Gegner. Die zuständige Berliner Senatorin willein Wiesenmeer mit ein wenig Bebauung und vielenGrünflächen.

(Mechthild Rawert [SPD]: Auch Sie nutzendie frische Luft durch das Wiesenmeer! –Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Haben Sie wasgegen Wiesen?)

Realisierbare Pläne für die Nutzung der riesigen Immo-bilie ohne Start- und Landebahnen sind nicht vorhanden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Es ist doch lächerlich, meine Damen und Herren von derSPD-Fraktion, dass sich der Berliner Senat an die Berli-ner Öffentlichkeit wendet und um Vorschläge dazu bit-tet,

(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das ist doch eine völlig offene Frage!)

was mit diesem Areal passieren soll, nachdem man an-geblich bereits seit elf Jahren dessen Entwidmung alsFlughafen plant.

(Mechthild Rawert [SPD]: Herr Diepgen war maßgeblich beteiligt!)

Im Gegensatz dazu geht man bei allen ernsthaften plane-risch und finanziell abgesicherten Projekten für die Zu-kunft des Areals davon aus, dass die Start- und Lande-bahnen bestehen bleiben müssen.

Ohne hier noch einmal alle für den Innenstadtflugha-fen sprechenden Gründe zu nennen

(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Da gibt es wohl nicht so viele!)

– sie sind in der Begründung zu unserem Gruppenantragenthalten –: Tempelhof hat seine Existenzberechtigungzumindest für die Zeit der Errichtung von BBI, aber mei-nes Erachtens auch darüber hinaus.

(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Was hat Herr Diepgen gemacht?)

Die zusätzlichen Start- und Landebahnen sowie Stellflä-chen für kleinere Maschinen sind eine sinnvolle Ergän-zung zum geplanten Single-Airport in Schönefeld.

Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, ihr po-litisches Gewicht einzusetzen, um nicht wiedergutzuma-chende Schäden vom Standort Berlin abzuwenden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu-rufe von der FDP: Bravo!)

Das kann im Rahmen der anstehenden Verhandlungenzur Hauptstadtfinanzierung geschehen. Die Bundesre-gierung hat auch die Möglichkeit – das ist der wesentli-che Punkt –, durch die Verlegung von Teilen der Flugbe-

reitschaft nach Tempelhof die Offenhaltung rechtlicheindeutig abzusichern,

(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Sehr gute Idee!)

damit die Entwidmung des Flughafens nicht dazu führt,dass ab Tempelhof niemals wieder geflogen werdenkann, und damit das Entstehen einer großen innerstädti-schen Brache im Eigentum des Bundes und in unmittel-barer Nähe zum Regierungsviertel verhindert wird, diezudem den Steuerzahler noch viele Millionen kostenwürde.

(Mechthild Rawert [SPD]: Die Kosten sindgleich! – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: DieKosten sind sowieso schon irre hoch!)

Die Zeit wird knapp. Aber es ist noch nicht zu spät.Bundestag und Bundesregierung müssen jetzt handeln.Wir haben die Möglichkeit dazu.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:Herr Kollege, ich möchte Sie an Ihre Redezeit erin-

nern. Ihre Zeit ist nicht nur knapp; sie ist schon über-schritten.

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Ihre Zeit ist abgelau-fen! – Dr. Karl Lamers [Heidelberg] [CDU/CSU]: Aber die Rede ist gut! Er darf weiterre-den!)

Peter Rzepka (CDU/CSU): Ich komme zum Schluss.

Wer jetzt nicht handelt, trägt die Mitverantwortungfür eine unumkehrbare Entwicklung, die wir schon inwenigen Jahren bitter bereuen werden.

(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Aber wir han-deln doch! Wir bauen den BBI!)

Es geht um die Zukunft unserer Hauptstadt Berlin.

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: So ist es!)

Tempelhof muss offen bleiben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Für diejenigen, die den Flughafen nicht kennen – –

(Der Redner hält ein großes Schriftstück hoch)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:Herr Kollege, Sie haben nicht mehr die Möglichkeit

zu einer Demonstration.

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Das gehört sich nicht!)

Außerdem, Herr Kollege, ist es in diesem Hohen Hauseüblich, dass Sie die Präsidentin fragen, wenn Sie Plakatehochhalten oder sonst etwas demonstrieren wollen.

(Mechthild Rawert [SPD]: Wir haben jetzt alle eine Demonstration frei! – Große Unruhe)

Peter Rzepka (CDU/CSU): Frau Präsidentin, es geht um – –

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Peter Rzepka

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Es geht um die Regeln des Hauses!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:Herr Kollege!

(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Keine Argu-mente, nur Clownereien! Klamauk – Dr. UweKüster [SPD]: Solche Kaspereien müssen wirhier nicht haben! – Mechthild Rawert [SPD]:Sie hätten doch von PR-Gag reden sollen! Dashat mit der Würde des Hauses nichts zu tun!)

Peter Rzepka (CDU/CSU): Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:Nächster Redner ist der Kollege Hellmut Königshaus,

FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP – Swen Schulz [Spandau][SPD]: Mal gucken, ob das vernünftiger wird!Sie können ganz vernünftig sein! Ich weiß esgenau!)

Hellmut Königshaus (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der Kollege Rzepka hat es ja schon ganz gut begründet,warum der Flughafen Tempelhof offen bleiben muss undwarum die Gegenargumente falsch sind. Ich möchte dasGanze eher einmal politisch bewerten; denn das Vorge-hen des Berliner Senats und der ihn tragenden Koalitionist wirklich in mehrfacher Hinsicht unanständig.

So läuft derzeit ein Volksbegehren. Bereits in der ers-ten Stufe gab es mehr als 10 000 Unterschriften, alsomehr als an und für sich benötigt werden. Weil der Senatfürchtet, dass in der zweiten Stufe ein überzeugendes Er-gebnis zustande kommt, will er vorher Fakten schaffen.

(Mechthild Rawert [SPD]: Da sieht man dochnur, wie die Leute hinters Licht geführt wer-den! – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Unan-ständig ist das Begehren!)

Deshalb werden die Initiatoren dieses Volksbegehrens –ich bin der Vertrauensmann dieses Volksbegehrens,wenn ich das einmal sagen darf – das auch zu einer Ab-stimmung über diese Art der Behandlung des Souveräns,des Bürgers, machen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU – Swen Schulz [Spandau][SPD]: Die Leute werden doch belogen!)

Wenn der Souverän so brüskiert wird, dann ist das unan-ständig.

(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Die Leute werden getäuscht! Tricksen und Täuschen!)

Das Bundesverfassungsgericht hat gerade im Zusam-menhang mit der Waldschlösschenbrücke in Dresden

klargestellt, wie wichtig die Politik den Bürger in sol-chen Fragen zu nehmen hat.

(Beifall bei der FDP)

Die Anwohner sind im Übrigen, wie verschiedene re-präsentative Umfragen gezeigt haben, mehrheitlich fürdie Offenhaltung. Alle Argumente, die angeblich zumSchutz der Anwohner dort vorgebracht werden, sind alsofalsch. Die Anwohner selbst sagen, der Straßenverkehrist ihr Problem. Wenn der Flughafen zugemacht wirdund die Fläche dort bebaut wird, entsteht mehr Straßen-verkehr, und dadurch wird diese Belastung noch größer.

(Mechthild Rawert [SPD]: Von welcher Initia-tive reden Sie eigentlich?)

Wenn sich die Grünen mit ihrer Idee durchsetzen, dortEvents stattfinden zu lassen, haben die Nachbarn da, wojetzt ein Nachtflugverbot besteht, nachts große Eventsund die Love Parade zu ertragen.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Ach was! Spielverderber!)

Gute Nacht, liebe Nachbarn, kann ich nur sagen, wennso etwas durchkommt.

(Beifall bei der FDP)

Dann wird nichts aus dem angeblichen Schutz der An-wohner.

(Mechthild Rawert [SPD]: Wir treffen uns beieinem Event! – Zuruf des Abg. Dr. Uwe Küster[SPD])

Der nächste Punkt, der auch unanständig ist, ist diedamit verbundene Kostenüberwälzung auf den Bund.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Sauertopf!)

– Regen Sie sich doch nicht so auf! – Die Investoren ha-ben angeboten, zu 100 Prozent die Finanzierung zu über-nehmen. Wenn der Flughafen geschlossen wird, mussder Bund alle Kosten übernehmen. Dabei geht es jedesJahr um Kosten in Höhe von zig Millionen allein für dieReinigung, die bauliche Unterhaltung und anderes. Es istschlicht unanständig, das einfach so zu machen, meineDamen und Herren.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Verwertungsinteressen für die Gebäude, für die Im-mobilien würden damit weiter geschädigt. Herr Diller,dass Sie so etwas gutheißen können, kann ich mir nichtvorstellen. Die Bundesregierung müsste doch dazu auchendlich einmal etwas sagen, insbesondere vonseiten desFinanzministeriums, statt nur interessiert zuzuschauen.

(Mechthild Rawert [SPD]: Die Bundesregie-rung hat gesagt, sie respektiert den Willen Ber-lins!)

Durch diesen Überraschungscoup des Senats kommtes auch noch zu einer Begrenzung der Möglichkeiten fürden Bund, das Gebäude zu nutzen.

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Hellmut Königshaus

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch kein Überraschungscoup!)

Wenn der Flughafen einmal geschlossen ist, verehrterKollege Wieland, dann kann dort auch die Flugbereit-schaft nicht mehr stationiert werden. Die Bundeswehrwill ja erst noch prüfen, ob sie dort hingehen will odernicht. Diese Möglichkeit wäre dann vertan.

Deshalb ist das insgesamt in dieser Form einfach un-anständig.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Wieland.

Hellmut Königshaus (FDP): Aber natürlich, ich freue mich darauf.

Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Königshaus, Sie sprachen im Zusam-

menhang mit der Schließung von Tempelhof von einemÜberraschungscoup. Der Kollege Rzepka berief sich aufHelmut Kohl. Erinnere ich mich denn richtig, dass in ei-nem sogenannten Konsensbeschluss zu der Zeit, alsHelmut Kohl mit Schwarz-Gelb regierte, von den HerrenDiepgen, Wissmann und Stolpe festgelegt wurde, dasserstens Berlin Brandenburg International in Schönefeldgebaut wird und dass zweitens – das steht in demselbenBeschluss – die beiden innerstädtischen Flughäfen alsVerkehrsflughäfen stillgelegt werden? Erinnere ich michrichtig, dass das als Junktim in diesem Beschluss steht,oder ist hier jetzt irgendetwas plötzlich vom Himmel ge-fallen?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Hellmut Königshaus (FDP): Herr Kollege, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie mir

Gelegenheit geben, das noch einmal in Erinnerung zu ru-fen und auch in der Abfolge darzustellen.

Diesen Konsensbeschluss gab es.

(Mechthild Rawert [SPD]: Gibt es! – Dr. Uwe Küster [SPD]: Gibt es!)

Der Konsensbeschluss ging davon aus, dass man inzwi-schen schon von diesem Flughafen BBI starten und lan-den könnte.

(Mechthild Rawert [SPD]: Das ist unglaub-lich!)

Genau das war der zeitliche Horizont, meine Damen undHerren. Seitdem ist wirklich nicht nur Wasser die Spree,sondern auch den Rhein und anderswo heruntergeflos-sen. Jetzt haben wir eine andere Situation.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Dauernutzung?)

Deshalb müssen wir uns mit dieser Frage noch einmalneu befassen.

Unabhängig davon, ob wir jetzt einen Verkehrsflug-hafen schließen, müssen wir uns über die weitere Nut-zung dieser Fläche unterhalten.

Deshalb geht es an dieser Stelle nicht nur um die Nut-zung als Verkehrsflughafen, sondern auch um das, wasdie heute hier anwesenden Investoren dazu angebotenhaben – nämlich keine Nutzung als Verkehrsflughafen,sondern eine Sondernutzung. Dabei handelt es sich umeine weitere Möglichkeit, die dieser Beschluss kaputt-macht. Deshalb sollten Sie hier keine Legenden bilden,meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischen-

frage, diesmal des Kollegen Rzepka?

Hellmut Königshaus (FDP): Mit noch größerer Freude. Bitte.

Peter Rzepka (CDU/CSU): Herr Kollege, teilen Sie meine Auffassung, dass sich

der Konsensbeschluss von 1996 auf die SchließungTempelhofs als Verkehrsflughafen bezog und keines-wegs auf die Schließung für die allgemeine Luftfahrtund für die von uns beiden angesprochene Flugbereit-schaft des Bundes? Teilen Sie des Weiteren meine Auf-fassung, dass man nach elf Jahren möglicherweise auchklüger werden kann, was der Kollege Wieland für sichvielleicht nicht in Anspruch nimmt?

(Mechthild Rawert [SPD]: Herr Rzepka, blei-ben Sie stehen!)

Hellmut Königshaus (FDP): Geben Sie mir bitte Gelegenheit, Ihnen zu antworten,

lieber Kollege. Ich bin sehr froh, dass Sie diesen Punktnoch einmal ansprechen. Genau das hatte ich gesagt.Deshalb teile ich natürlich Ihre Auffassung.

Es ist aber in der Tat richtig, dass wir uns auch nocheinmal über genau diese Abfolge unterhalten müssen;denn inzwischen hat sich die Situation insgesamt – dahaben Sie völlig recht – massiv verändert.

Dieser Beschluss ist auch deshalb so schädlich fürBerlin, weil er ein negatives Beispiel gibt. Dabei denkeich zum einen an die Bürger, die sehen, dass ihr Volksbe-gehren einfach weggewischt wird.

(Zuruf von der FDP: Unglaublich! – Mechthild Rawert [SPD]: Das ist doch Unsinn!)

Das ist ein schöner Umgang für Demokraten! Zum ande-ren geht es in einer Stadt, die so dringend Investitionenbenötigt, aber auch nicht, dass die potenziellen Investo-ren so schäbig abgemeiert werden – mit diskriminieren-den Äußerungen

(Mechthild Rawert [SPD]: Unsinn!)

nach dem Motto: Da kommen ein paar Leute von Disneyund wollen dort irgendetwas bauen.

Zu diesen Leuten gehört auch die Deutsche Bahn.

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Hellmut Königshaus

(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Die Bahn ist nicht mehr dabei!)

Bei ihnen handelt es sich um Investoren, die mehrerehundert Millionen Euro investieren wollten. Es ist in derTat wichtig, das im Auge zu behalten.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn wir solche Chancen vergeben, werden wir über-haupt keine Chancen mehr bekommen. – Insofern gebeich Ihnen recht.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege, mir liegt jetzt noch eine Zwischenfrage

vor, und zwar vom Kollegen Lamers.

Hellmut Königshaus (FDP): Ich bin beglückt über die viele Redezeit, die mir heute

gegeben wird.

Dr. Karl Lamers (Heidelberg) (CDU/CSU): Herr Kollege, wären Sie bereit, mir zuzustimmen,

dass der Flughafen Berlin-Tempelhof nicht nur für Ber-lin, sondern zum Beispiel auch für die MetropolregionRhein-Neckar, aus der ich komme, von großer Bedeu-tung ist,

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

dass das alles zerstört wird, wenn dieser Flughafen zu ei-nem Zeitpunkt geschlossen wird, zu dem BBI nochlange nicht in Betrieb genommen worden ist,

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Sie müssen sich mal festlegen: WollenSie eine Zwischennutzung, oder wollen Sieeine endgültige Nutzung?)

und dass es Ausdruck höchster Ignoranz ist, diesen tol-len Flughafen zu schließen?

Hellmut Königshaus (FDP): Ich teile Ihre Bewertung. Das ist in der Tat eine

schreckliche Herangehensweise.

(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das ist jetzt sehr überraschend!)

– Ich bin gefragt worden. Daher muss ich das jetzt nocheinmal feststellen. In der Tat teile ich diese Bewertung.

Wie soll Herr Paziorek denn dann nach Münster kom-men? Wie soll Herr Lamers dann nach Rhein-Neckarkommen? Wie soll man nach Basel kommen, wenn die-ser Flughafen geschlossen wird?

(Zuruf von der CDU/CSU: Und zum Beispiel nach Saarbrücken!)

Dann sind nämlich nicht nur die neuen Kapazitäten nochgar nicht da, sondern es werden – da haben Sie völligrecht – in der Zwischenzeit wegen der Bauarbeiten auchnoch Kapazitäten in Schönefeld stillgelegt. Wir werdendort eine weitere Start- und Landebahn verlieren. Zu die-sem Zeitpunkt die Kapazitäten in Tempelhof zu schlie-ßen, ist schlichtweg unverantwortlich.

(Zuruf von der CDU/CSU: Harakiri!)

Insofern gebe ich Ihnen da völlig recht.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich habe eben schon darauf hingewiesen, dass dieschäbige Behandlung, die die Investoren in diesem Fallerfahren haben, auch auf andere Investoren abschre-ckend wirkt. Hier tut man das, obwohl ein sehr solidedurchgerechnetes Projekt vorliegt.

Ich freue mich sehr, dass mir die heute anwesendenInvestoren – Herr Charrabé ist für die Investorengruppeda; auch die Deutsche Bahn ist hier vertreten – in einemgerade geführten Gespräch noch einmal bestätigt haben,dass sie weiterhin als Investoren zur Verfügung stehen,wenn der Flughafen tatsächlich so nutzbar ist, wie es dasProjekt vorsieht.

Alles Gegenteilige, was hier behauptet wird, istschlichtweg falsch und Stimmungsmache.

(Mechthild Rawert [SPD]: Auch die Erklärun-gen in der Presse?)

Nein, die Investoren sind hier und stehen zur Fahne. Siestehen zu dem Projekt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Es gibt keinen Grund, diesen einmaligen Standortvor-teil für die Stadt und die Region Berlin aufzugeben. Esist auch noch nicht zu spät. Wenn die Bundesregierungwirklich Interesse hat, hier auch die Interessen des Bun-des zu wahren und eine wirklich schäbige Überwälzungvon Kosten auf den Bund – für dessen Kasse sind wir javerantwortlich – zu vermeiden, muss sie jetzt dieseChance ergreifen.

Die Klagefrist endet morgen in einer Woche, also amFreitag, dem 13. Die Bundesregierung hat die Möglich-keit, sich die Option für die Stationierung der Flugbereit-schaft offenzuhalten. Auch wenn die Klagefrist abgelau-fen sein sollte, weil die Bundesregierung vermutlichnicht aus der Hüfte kommt, ist noch lange nicht allesverloren; denn niemand hindert beispielsweise den Ber-liner Senat daran, solche Beschlüsse hinterher aufzuhe-ben.

(Beifall bei der FDP)

Es ist ja nicht auszuschließen, dass ein Wunder geschiehtund dass selbst der rot-rote Senat auf einmal Einsichtzeigt und die Möglichkeiten zum Offenhalten von Tem-pelhof von neuem ergreift.

(Mechthild Rawert [SPD]: Die FDP gefährdet 40 000 Arbeitsplätze!)

Viele Chancen stehen hier auf dem Spiel. Gehen Sienoch einmal in sich!

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Ich bin ab-solut sicher: Wenn wir uns mit diesen Anträgen befassenund zu einer übereinstimmenden Auffassung gelangen,

(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Ganz sichernicht! – Mechthild Rawert [SPD]: SchließenSie sich unserer Meinung an? Das ist ja eineganz neue Entwicklung!)

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Hellmut Königshaus

dann werden wir feststellen – davon bin ich überzeugt –,dass wir diesen Flughafen offenhalten und die Chancennutzen müssen, die sich hier bieten.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich gebe das Wort der Kollegin Petra Merkel, SPD-

Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Petra Merkel (Berlin) (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Ich versuche, ein bisschenSachlichkeit in die Debatte hineinzubringen, obwohl dasschwerfällt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Zurufe von der FDP: Oh!)

In dieser Debatte wird sichtbar, dass einige Kollegen, dieimmer schon gemeinsam über dieses Thema diskutierthaben, ihre Rollen kennen. Das ist mir noch ein bisschenfremd.

(Dr. Karl Lamers [Heidelberg] [CDU/CSU]:Das ist kein Rollenverhalten! Das ist Ver-nunft!)

Wir diskutieren über einen Gruppenantrag – das istrelativ ungewöhnlich –, der zum Inhalt hat, den Flugha-fen Tempelhof nicht zu schließen. Die beabsichtigteSchließung hängt natürlich mit dem Bau des Großflug-hafens Berlin Brandenburg International zusammen.Darauf muss man einmal verweisen; es geht nämlichnicht ausschließlich um Tempelhof. Wie schwierig derBau eines Großflughafens ist, haben wir noch alle in Er-innerung. Der letzte Großflughafen ist in München ge-baut worden. Dieser Bau hat 22 Jahre gedauert. BeimFlughafen Berlin Brandenburg International muss undwird diese Bauzeit unterboten werden.

Was ist in den letzten Jahren passiert? Schauen wireinmal zurück. Vor elf Jahren, also 1996, gab es den Be-schluss zum Ausbau von Schönefeld zum BBI. Ich kannmich noch gut daran erinnern, dass ich damals nichtwollte, dass in Schönefeld der Großflughafen gebautwird.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Wir auch nicht!)

Ich war ebenso wie die SPD und die Grünen für Speren-berg. Wir haben uns dann in einem Kompromiss daraufgeeinigt, dass wir auf Wunsch der CDU nach Schönefeldgehen, also nicht nach weit außerhalb, sondern vor dieTore der Stadt. Herr Schmitt, Sie können sich daran erin-nern. 1999, also drei Jahre später, reichte die FlughafenBerlin-Schönefeld GmbH den Planfeststellungsantragein. 2003 war der Beginn der bauvorbereitenden Maß-nahmen. 2005 erfolgte der Planfeststellungsbeschlusszum BBI. 2006 genehmigte das Bundesverwaltungsge-richt den Ausbau des Flughafens Schönefeld. 2007 warendlich Baubeginn.

Wir diskutieren jetzt über die Auswirkungen einesKonsensbeschlusses von 1996. Elf Jahre nach dem Be-schluss wollen Sie wieder von vorne anfangen und allesinfrage stellen.

(Hellmut Königshaus [FDP]: Das ist doch Blödsinn!)

Wollen Sie wirklich durch neue Klagewellen den Baudes Großflughafens Schönefeld verzögern? Das kanndoch nicht Ihr Interesse sein.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

In diesem Konsensbeschluss wurden auch die Aus-wirkungen auf den Flughafen Tempelhof entschieden.Mit Genehmigung der Präsidentin zitiere ich:

Nach Vorliegen der gerichtlich überprüften undrechtskräftigen Planfeststellung für den Single-standort Schönefeld wird der VerkehrsflughafenTempelhof geschlossen.

(Mechthild Rawert [SPD]: Ja!)

Das haben damals alle unterschrieben. Grundlage für diePlanfeststellung war also: Für einen citynahen FlughafenSchönefeld werden die Flughäfen Tegel und Tempelhofgeschlossen.

(Hellmut Königshaus [FDP]: Ja und! Ist er fer-tig? – Gegenruf des Abg. Swen Schulz [Span-dau] [SPD]: Sie kapieren das eh nicht!)

Ich sage es noch einmal, damit es allen ganz klar ist:Dieser Konsensbeschluss war die Grundlage aller Pla-nungen. Er bleibt es auch.

(Mechthild Rawert [SPD]: Jawohl!)

Wichtig zu wissen, ist: Dieser Konsensbeschlusswurde herbeigeführt – auch das wurde eben erwähnt –und beschlossen von BundesverkehrsministerWissmann, CDU, Berlins Regierenden BürgermeisterDiepgen, CDU, und Brandenburgs MinisterpräsidentStolpe, SPD.

(Hellmut Königshaus [FDP]: Das macht es nicht besser!)

Wichtig zu wissen, ist: Tegel, Tempelhof und Schönefeldwerden betrieben von Berlin, Brandenburg und demBund.

(Hellmut Königshaus [FDP]: Richtig!)

Der Bund ist also sowohl an den Entscheidungen in Te-gel als auch in Tempelhof und Schönefeld aktiv beteiligt.Das Bundesverkehrsministerium und das Bundesminis-terium für Finanzen sind unsere Bundesvertreter in die-ser Gesellschaft. Ich bin mir sicher, dass die Entschei-dungen, die von dieser Flughafengesellschaft auch imInteresse des Bundes getroffen werden, von den Vertre-tern dieser Gesellschaft gemeinsam getroffen werden.

Ich kann mir vorstellen, dass der Bund das Areal desFlughafens Tempelhof mit der großen Liegenschaft undmit dem Gebäude optimal vermarkten will. Das muss erauch; darauf werden wir achten.

(Mechthild Rawert [SPD]: Richtig!)

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Petra Merkel (Berlin)

Ich klammere dabei einmal aus, dass der Bund in Bezugauf dieses Areal mit Berlin im Streit liegt, und zwar we-gen des Reichsvermögens.

(Hellmut Königshaus [FDP]: Das können Sie nicht ausklammern!)

Stand der Dinge ist jedenfalls, dass der Großflughafenin der jetzigen Planungsphase baureif ist und Sie wiedervon vorne anfangen wollen.

(Hellmut Königshaus [FDP]: Das stimmt dochgar nicht! – Gegenruf der Abg. MechthildRawert [SPD]: Sie wollen wieder zurück insletzte Jahrtausend!)

Sollen wir uns jetzt wirklich wieder damit auseinander-setzen, dass vor elf Jahren Herr Diepgen, HerrWissmann und Herr Stolpe den politischen Entschlussgefällt haben, einen stadtnahen Flughafen in Schönefeldzu bauen, und dass sie damit einhergehend die Schlie-ßung von Tegel und Tempelhof beschlossen haben?

Wir haben damals alle darüber diskutiert; das ist nichtim stillen Kämmerlein passiert. Einige von uns habendas damals an anderer Stelle getan. Ich kann mich sehrgut erinnern: Herr Ingo Schmitt, Sie waren damals alsStaatssekretär im Land Berlin unter anderem für denVerkehr zuständig und haben an der Entscheidung, Tem-pelhof zu schließen, mitgewirkt.

(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Hört! Hört! –Mechthild Rawert [SPD]: Neuer Job, neueMeinung!)

Ich halte eine erneute Diskussion darüber nicht für sinn-voll.

Ich sage noch ganz kurz etwas zu dem Thema Volks-begehren, das hier eben aufgeflammt ist. Das Ziel desVolksbegehrens ist der Weiterbetrieb Tempelhofs alsVerkehrsflughafen. Sie als CDU-Politiker haben dieLeute hinters Licht geführt.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Wie immer! – Swen Schulz [Spandau][SPD]: So ist es!)

Wenn es überhaupt ein Ergebnis geben kann, dann nurunterhalb des Konsensbeschlusses. Sie wissen ganz ge-nau, dass das nicht zu erreichen ist.

(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das ist unan-ständig!)

Die Frage, wie man es hinbekommen könnte, Tem-pelhof für die Flugbereitschaft zu nutzen, war übrigensim Wahlkampfjahr 2006 in Berlin ein Thema. Ich weiß,dass sich sowohl Angela Merkel als auch KlausWowereit inständig darüber unterhalten haben, ob daseine Möglichkeit wäre. Damals hat weder Wowereitnoch Merkel gesagt, dass es geht.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Bundeswehr wollte doch gar nicht!)

Die Bundeswehr hat gesagt: Das geht nicht.

(Hellmut Königshaus [FDP]: Stimmt doch gar nicht!)

Der Flughafen Tempelhof ist viel zu klein, die Lande-bahnen reichen nicht aus. – Angela Merkel hat sich andem Punkt auch nicht weiter durchgesetzt. Sie hat er-kannt, dass das an dieser Stelle nicht geht.

Zu der Frage der Investoren. Investoren sind in Ber-lin an jeder Stelle herzlich willkommen, auch was dasAreal des Flughafens Tempelhof angeht,

(Mechthild Rawert [SPD]: Jawohl!)

aber nicht unter der Bedingung, dass dieser Flughafengeöffnet bleibt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das ist die Grundbedingung; damit müsste man sich aus-einandersetzen.

Tatsache ist: BBI wird gebaut, Tempelhof wird folge-richtig nach dem Beschluss von 1996 im nächsten Jahrgeschlossen.

(Dr. Karl Lamers [Heidelberg) [CDU/CSU]:Warum jetzt schon? – Hans-MichaelGoldmann [FDP]: Warum jetzt?)

– Weil Tempelhof bei Planreife des Flughafens BBI ge-schlossen werden kann. Das ist der Beschluss von 1996.

(Hellmut Königshaus [FDP]: Er wird geschlossen, weil geschlossen werden muss!)

– Genau, weil wir den Beschluss haben.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Auch wennes noch so dämlich ist! Hauptsache, er wirdgeschlossen!)

– Wir haben alle Erfahrungen, wie wir mit einer großenBürgerbeteiligung umgehen.

(Hellmut Königshaus [FDP]: Ja, ignorieren!)

Es sind Klagen noch und nöcher gerade in Bezug auf denGroßflughafen Berlin Brandenburg International anhän-gig gewesen. Es gibt Gerichtsentscheidungen. Es gibtjetzt die Möglichkeit, zu bauen. Wir haben wirklich alle– auch auf Bundesseite – ein Interesse daran, dass dasGroßprojekt nicht gefährdet wird; davon bin ich über-zeugt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – HellmutKönigshaus [FDP]: Es wird doch überhauptnicht gefährdet! Was soll denn der Quatsch?Was erzählen Sie denn da?)

Ich bin froh, dass die Passierzahlen steigen; denn daszeigt, dass wir einen großen, konkurrenzfähigen Flugha-fen brauchen. Die Hauptstadt der Bundesrepublik undgrößte Stadt Deutschlands braucht auch weite Flugver-bindungen. Wenn man sich ansieht, wie die Flugplänederzeit aussehen, dann mag man nicht glauben, was mansieht. Auch deshalb ist es notwendig, dass wir den Flug-hafen Berlin Brandenburg International bekommen.

Der Flughafen Schönefeld ist ein Großbauprojekt. Inder Region Brandenburg stärkt es die Wirtschaftskraft.40 000 neue Arbeitsplätze werden durch den Bau desGroßflughafens geschaffen. Der Bund kann sich darübernur freuen.

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Petra Merkel (Berlin)

Als Haushälterin sage ich auch etwas zu den Zahlen.Der Flughafen Schönefeld ist das größte Infrastruktur-projekt in Ostdeutschland; ein Investitionsvolumen voninsgesamt 2 Milliarden Euro ist wirklich nicht vonPappe. Der Bund wird für die Verkehrsanbindung circa476 Millionen Euro ausgeben und als Gesellschaftercirca 110 Millionen Euro tragen. Der Bund muss undwird als Teil der Flughafengesellschaft den Bau desFlughafens Schönefeld aktiv begleiten. Aber nicht nurdas. Wir Mitglieder des Deutschen Bundestages, die wirim Rechnungsprüfungsausschuss sind, haben ein Augedarauf, wie die Nutzung von Tempelhof nach dem Endedes Flugbetriebes aussehen könnte.

(Ingo Schmitt [Berlin] [CDU/CSU]: Zelt-platz!)

Meine Kollegen und ich konnten übrigens sogar dieBImA, unsere Bundesimmobilienvermarkter, davonüberzeugen, dass der Standort Tempelhof sehr wohl fürBüro- und Verwaltungsräume – sogar auf ministeriellerEbene – geeignet ist.

(Hellmut Königshaus [FDP]: Gleich morgen!)

Jetzt steht fest, dass Bundesbehörden dort einziehenkönnten. Somit ist die BImA aufgefordert, sich um eineVermarktungsstrategie zu kümmern. Darüber möchte ichgerne mit Ihnen diskutieren. Ich glaube, es ist sinnvoller,darüber zu debattieren, als über einen Antrag, der chan-cenlos ist.

Es ist durchaus möglich, das Areal von Tempelhof zuentwickeln, nach dem Motto: Alter Flughafen – neuesLeben. Das ist eine gemeinsame Aufgabe des Bundesund des Landes Berlin.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Frau Kollegin!

Petra Merkel (Berlin) (SPD): Ich weiß, dass uns viele in der Republik und im Aus-

land darum beneiden, dass man diese Stadt an bestimm-ten Punkten von innen heraus neu entwickeln kann.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Frau Kollegin!

Petra Merkel (Berlin) (SPD): Dazu gehört auch das Flughafenareal Berlin-Tempel-

hof.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich gebe das Wort dem Kollegen Roland Claus, Frak-

tion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN – Manfred Grund [CDU/CSU]: Jetzt kommt der Volkswille!)

Roland Claus (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Es ist sicher gut, dass wir über die Probleme vonTempelhof reden. Um keine falschen Erwartungen zuwecken, sage ich gleich: Ihren Gruppenantrag lehnt dieFraktion Die Linke ab. Ein Satz in Ihrem Antrag hat aberhundertprozentige Gültigkeit:

Ein tragfähiges Konzept für die Nachnutzung …gibt es nicht.

Wir wollen darauf verweisen, dass der 1996 gefun-dene Konsens, der im Übrigen von allen im Abgeordne-tenhaus und im Bundestag vertretenen Kräften mitgetra-gen wurde,

(Hellmut Königshaus [FDP]: Nein, wir nicht!)erst die Planungsvoraussetzungen für den FlughafenBerlin Brandenburg International in Schönefeld geschaf-fen hat. Alle Gründe, die zu dem Beschluss von 1996führten, gelten auch heute noch.

Ich muss gestehen, dass ich mich ein bisschen überdie Autorinnen und Autoren des Antrages gewunderthabe. Da treffe ich auf so aktive Verfechter der Markt-wirtschaft wie Michael Meister, Friedrich Merz, HansMichelbach, Dirk Niebel und Hermann Otto Solms. Undwas fordern sie von mir? Sie fordern von mir die Auf-rechterhaltung eines defizitären Unternehmens.

(Hellmut Königshaus [FDP]: So ein Quatsch!)Die gleichen Kollegen, die ansonsten nicht müde wer-den, gegen sogenannte Subventionstatbestände zu kämp-fen, fordern nichts anderes als die Fortsetzung einesSubventionstatbestandes. Das lassen wir Ihnen nichtdurchgehen.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Königshaus?

Roland Claus (DIE LINKE): Die gestatte ich ihm, ja.

Hellmut Königshaus (FDP): Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass die Defizite

nicht aus dem Flugbetrieb, sondern aus den Immobilienresultieren? Die Immobilien bleiben bekanntlich dort,unabhängig davon, ob dort Flugbetrieb abgewickeltwird. Wenn die Mieteinnahmen und andere Verwer-tungseinnahmen aus dem Flugbetrieb und aus flugbe-triebsnahen Geschäften entfallen, wird es insgesamtnoch teurer. Das Problem ist nur, dass der Eigentümer,nämlich der Bund, diese Kosten tragen muss. Ist Ihnendas bekannt?

Roland Claus (DIE LINKE): Mir sind die Berechnungen, die Sie hier vortragen,

sehr wohl bekannt. (Dr. Karl Lamers [Heidelberg] [CDU/CSU]:

Unbelehrbar!)Ich komme im Laufe meiner Ausführungen auch nochdarauf zu sprechen.

Page 158: Deutscher Bundestag - CDU/CSU 0507.pdfPlenarprotokoll 16/108 (Zu diesem Protokoll folgt ein Nachtrag) Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 108. Sitzung Berlin, Donnerstag, den

11198 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007

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Roland Claus

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sie müssen sich korrigieren!)

– Ich muss mich nicht korrigieren. Das werden Sie merken.Ich bleibe dabei, dass es sich um ein defizitäres Un-

ternehmen handelt, dessen Existenz Sie fortsetzen wol-len. Im Übrigen möchte ich Ihnen und der FDP insge-samt sagen: Ihr Verhalten in dieser Debatte offenbart mireines: Allzu viel unverhohlener Lobbyismus schadetdem Parlament, meine Herren.

(Hellmut Königshaus [FDP]: So ein Quatsch!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege Claus, der Kollege Rzepka möchte

ebenfalls eine Zwischenfrage stellen.

Roland Claus (DIE LINKE): Ich möchte ein Argument vortragen, das Ihre Frage,

Herr Kollege, vielleicht schon beantwortet.Ich will Ihnen eines sagen: Wir haben den Eindruck,

dass Sie Ihren Antrag selbst nicht richtig ernst nehmen.Das will ich Ihnen erklären. Sie sind 106 Antragstelle-rinnen und Antragsteller. Hätten Sie es geschafft, dassdiese 106 Kolleginnen und Kollegen jetzt im Hause an-wesend sind, hätten Sie eine Mehrheit gehabt, mit derSie eine Sofortabstimmung hätten durchsetzen können.Dann hätten Sie Ihren Beschluss selbst durchbringenkönnen. Das haben Sie offenbar versäumt oder gar nichtgewollt.

(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)Wir sind für eine zukunftsfähige und gegen eine rück-

wärtsgewandte Lösung. Meine Fraktion schlägt Ihnenhier nicht zum ersten Mal vor, das Areal von Tempelhoffür den Umzug der in Bonn verbliebenen Regierungs-teile nach Berlin zu nutzen. Wir sprechen hier nicht voneiner Nähe zum Regierungsviertel; Tempelhof wärequasi ein Kernbestandteil des Regierungsviertels. Das isteine zukunftsfähige Nachnutzungslösung. Damit wür-den wir nicht wie Sie die Schlachten der Vergangenheitführen.

(Beifall bei der LINKEN – Hans-MichaelGoldmann [FDP]: Dann gelten die Beschlüsseauf einmal nicht mehr!)

– Auch dazu haben wir vor kurzem etwas gesagt. Sie ha-ben ein bisschen das Recht verwirkt, das hier zu kritisie-ren, da Sie entsprechende Anträge, die im Haus vorgele-gen haben, abgelehnt haben.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage

des Kollegen Rzepka?

Roland Claus (DIE LINKE): Ja.

Peter Rzepka (CDU/CSU): Herr Kollege, vonseiten der FDP sind Sie ja schon

darauf hingewiesen worden, dass die Verluste des Flug-hafens Tempelhof aus den Immobilien resultieren. DieseVerluste werden in Zukunft der Bund und der deutsche

Steuerzahler zu tragen haben. Deshalb frage ich Sie indiesem Zusammenhang, ob Ihnen bekannt ist, dass dieInvestoren – einschließlich der Deutschen Bahn AG alsBetreiber – die Zusage gemacht haben, sowohl den Flug-betrieb als auch die Immobilie zu übernehmen, sodassschon heute die öffentliche Hand, sei es das Land Berlinoder der Bund, von den Defiziten befreit worden wäre,während sie jetzt noch jahrelang vom Steuerzahler zutragen sein werden.

(Mechthild Rawert [SPD]: Wir geben aber400 Hektar nicht einfach so weg! – Gegenrufdes Abg. Hellmut Königshaus [FDP]: DerRedner ist gefragt! Roland, nicht Mechthild!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich würde jetzt dem Redner die Chance geben, diese

Frage zu beantworten.

Roland Claus (DIE LINKE): Da Sie nicht die Einzigen waren, die heute mit dem

Hauptinvestor gesprochen haben – auch ich habe mitihm telefoniert –, kann ich Ihnen durchaus sagen, dassmir diese Konzepte bekannt sind. Ich sehe sehr wohleine Möglichkeit, Investoren, die sich anbieten, im Sinnedes Vorschlages, den wir Ihnen machen – Komplett-umzug der Regierung auf dieses Areal –, konstruktiv zubeteiligen. Meine Gespräche in dieser Richtung warendurchaus konstruktiv. Aber an eine wirklich sinnvolle,ökonomische Nutzung mit dem Minikonzept, dem Flug-konzept, das sie jetzt vorlegen, glauben wir nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Dass das Vorhaben – jetzt komme ich zum Bund –,Tempelhof in dieser Weise umzugestalten, nicht billigist, ist allen klar. Aber auch eine Nichtnachnutzung kämeden Bund teuer zu stehen. Ich fordere uns deshalb auf,einmal über diese Chance nachzudenken. Es gibt keineeuropäische Hauptstadt, die über ein so großes inner-städtisches Areal verfügt. Hier haben wir Gestaltungs-möglichkeiten.

(Peter Rzepka [CDU/CSU]: Für ein Wiesen-meer! Schafweide!)

Ich finde es etwas daneben, wenn Sie hier ausschließ-lich den Berliner Senat angreifen. Wir sprechen nämlichüber ein Problem, das zu vier Fünfteln Eigentum desBundes und zu einem Fünftel Eigentum Berlins ist. DasBegehren Berlins, über das Grundstück zu verfügen, istgerade auf dem Rechtswege abgewiesen worden.

Bund und Berlin werden an der Nachnutzung nichtvorbeikommen. Wir suchen die Lösung in der Zukunftund nicht in der Vergangenheit. Lassen Sie uns deshalbüber unseren Vorschlag nachdenken und nicht über Vor-schläge aus dem vorigen Jahrhundert.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Nächster Redner ist der Kollege Winfried Hermann,

Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Page 159: Deutscher Bundestag - CDU/CSU 0507.pdfPlenarprotokoll 16/108 (Zu diesem Protokoll folgt ein Nachtrag) Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 108. Sitzung Berlin, Donnerstag, den

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11199

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Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn

man nicht aus Berlin kommt, sondern diese Debatte un-ter fachpolitischen Gesichtspunkten aus der Ferne undmit einer gewissen Distanz verfolgt, dann muss man einwenig grinsen; denn diese Diskussion hat etwas außeror-dentlich Provinzielles.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der FDP)

Es hat lange gedauert, bis Berlin in dieser Frage einepolitische Entscheidung getroffen hat. Aber dann kam eszu einem wirklich breiten und überparteilichen Konsens,an dem auch die Parlamente beteiligt waren. Ihre Par-teien waren damals sogar Träger dieser Entwicklung.Man hat sich darauf verständigt, dass Berlin einen neuenFlughafen bekommen und in Zukunft nur einen einzigenFlughafen haben soll und dass die beiden anderen stadt-nahen Flughäfen aufgegeben werden. Das war der Kon-sens.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich sage Ihnen ganz offen: Uns Grünen ist es damalsnicht leicht gefallen, dem zuzustimmen; denn der Stand-ort und das Konzept waren nicht optimal. Es war aberoffenkundig, dass die stadtnahen Flughäfen Tegel undTempelhof hochproblematisch sind, weil sie die Anwoh-ner belästigen und riskant sind. Es gibt auf der Welt nurwenige Flughäfen, die so nah an Häusern gebaut sindund wo die Flugzeuge so knapp an den Häusern entlang-fliegen. Dieses Risiko war zu beseitigen. Das war da-mals übrigens die Ansicht breiter Teile der Berliner Be-völkerung. Das war sogar für einen Schwaben sichtbar.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Königshaus?

Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein. Es würde mir zwar Spaß machen, ihm zu ant-

worten. Aber ich sehe nicht ein, dass wir diese Debatteunnötig verlängern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben uns damals gemeinsam für den FlughafenBBI ausgesprochen. Ihre Parteien haben dem zuge-stimmt. Das war und ist sinnvoll. Jetzt, Jahre später, wol-len Sie das gesamte Verfahren wieder aufrollen und esgefährden. Sie sagen, dass Sie die Entscheidung vo-rübergehend offenhalten wollen. Aber Ihr eigentlichesZiel ist, den Flughafen dauerhaft für Spezialinteressenzu nutzen.

Damit bin ich bei einem wichtigen Stichwort: Wennman sich die Liste Ihrer Unterstützer ansieht, stellt manfest, dass es Ihnen letztendlich nicht darum geht, der Be-völkerung einen netten, kleinen und stadtnahen Flugha-fen zur Verfügung zu stellen.

(Hellmut Königshaus [FDP]: Nein! Uns geht es vor allem um die Arbeitsplätze!)

Wer sind denn Ihre Unterstützer? Es handelt sich um ei-nige Leute aus Berlin, die heute ganz groß herausgekom-

men sind, und um einige Provinzabgeordnete, die dieFlugverbindungen nach Mannheim oder Karlsruhe nut-zen müssen und deswegen schnell bei Ihnen unterschrie-ben haben. So war das.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der SPD – Wider-spruch bei der FDP)

Aber, lieber Kollege aus Mannheim, lieber Nutzer desMannheimer Flughafens, können Sie sich vorstellen,dass es eines schönen Tages sogar eine Flugverbindungvon Mannheim nach Berlin–Schönefeld geben wird?Dann wären auch Ihre Bedürfnisse befriedigt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf vonder FDP: Das sind vielleicht Argumente, meinLieber! Und das sagen Sie in einer Stadt mit sovielen Arbeitslosen!)

Sie sprechen von Konzepten, die sich angeblich tra-gen, und sagen, der Flughafen würde sich rechnen. Denvermeintlichen Zusagen von Investoren glauben Sieohne Zahlengrundlage und ohne Konzept. Das ist Berli-ner Provinzpolitik.

(Dr. Karl Lamers [Heidelberg] [CDU/CSU]: Es geht uns um die Wirtschaft!)

Da kommt ein Investor dahergelaufen, legt Ihnen einpaar schöne Zahlen vor, und Sie glauben ihm sofort.

(Hellmut Königshaus [FDP]: Das sind wirk-lich tolle Argumente! Mein lieber Mann!)

Tatsache ist: Alle Konzepte, die vorgelegt wurden, ha-ben sich nicht getragen. Die Konzepte waren nicht stadt-verträglich. Wir brauchen in Tempelhof einen Neu-anfang. Wir brauchen ein Umgestaltungskonzept, daszur Stadt, zu ihren Bezirken und zu ihren Anwohnernpasst. Dieses Konzept muss gewährleisten, dass mög-lichst viel Grünfläche erhalten bleibt. Außerdem müsseneine behutsame Bebauung und eine positive Entwick-lung im Bereich des Gewerbes sichergestellt sein. Auchdie historischen Gebäude müssen im Sinne Ihrer Initia-tive berücksichtigt werden.

Bei Ihrer Initiative handelt es sich um eine Veranstal-tung von Nostalgikern – das kann ich verstehen – und äl-teren Herren; Sie haben sie zitiert. Im Sinne einer solchnostalgischen Veranstaltung wäre es durchaus korrekt,aus dem Gebäudeteil des Flughafens Tempelhof einLuftfahrtmuseum zu machen. Dort könnten Sie in jederSitzungswoche vorbeigehen, bevor Sie dann aber bitteschön mit dem Zug oder der S-Bahn weiterfahren.

Vielen Dank.(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der SPD – HellmutKönigshaus [FDP]: Das war wirklich ein ganzgroßer Wurf!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Ingo

Schmitt, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU – MechthildRawert [SPD]: Jetzt erklären Sie uns einmalIhren Bogen von damals zu heute!)

Page 160: Deutscher Bundestag - CDU/CSU 0507.pdfPlenarprotokoll 16/108 (Zu diesem Protokoll folgt ein Nachtrag) Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 108. Sitzung Berlin, Donnerstag, den

11200 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007

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Ingo Schmitt (Berlin) (CDU/CSU): Ich glaube, auch dann würden Sie das noch nicht ver-

stehen.Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle-

gen! Heute ist viel über die Vergangenheit gesprochenworden, ohne dabei ernsthaft in die Zukunft zu schauen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)Es wurde aus einem Beschluss aus dem Jahre 1996 zi-tiert, in dem von ganz anderen Verfahrensvoraussetzun-gen und völlig anderen Passagierzahlen die Rede war.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Welche denn?)

Es hieß, dass man heute nicht mehr ernsthaft darüber re-den dürfe, dass sich die Stadt möglicherweise weiterent-wickelt bzw. anders als erwartet entwickelt habe.

Was das Segment des Flugverkehrs betrifft, hat siesich erfreulich entwickelt. Berlin hat, was die Zahl derFluggäste angeht, einen jährlichen Zuwachs von 6 bis7 Prozent zu verzeichnen. Im Jahre 2007 werden es19 Millionen Fluggäste sein.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Ja! Aber die fliegen doch nicht ab Tem-pelhof! Das sind die Billigflieger! – PetraMerkel [Berlin] [SPD]: Toll!)

– Frau Merkel, hören Sie mir erst einmal zu. Sie warensachlich; ich bin jetzt auch sehr sachlich. – Sie wollenTempelhof unbedingt vor Inbetriebnahme des BBIschließen, und zwar ohne Not; denn es gibt kein rechtli-ches Problem.

(Beifall des Abg. Dr. Karl Lamers [Heidel-berg] [CDU/CSU])

Das ist völlig daneben. Das ist überzogen, das ist reineIdeologie.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Ich dachte, Siewollen Schönefeld! – Mechthild Rawert[SPD]: Wir wollen keine weiteren Klagen!)

– Warten Sie! Zu Ihnen komme ich noch.Reden wir nun über die Zeit, wenn der BBI endlich

den Betrieb aufgenommen hat. Es wurden Argumente fi-nanzieller Art genannt. Heute wissen wir alle: Nicht derFlugbetrieb von Tempelhof ist defizitär, sondern die Im-mobilie; das ist mehrfach angesprochen worden.

(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Das Ganze ist defizitär!)

Dann wurden rechtliche Argumente ins Feld geführt.Heute wissen wir, dass es rechtlich gesehen keine großeProblematik darstellt, wenn Tempelhof mit einge-schränktem Flugbetrieb – nicht als Verkehrsflughafen,sondern als Landeplatz mit bestimmten Sonderfunktio-nen – offen bleibt. Das heißt, weder finanzielle nochrechtliche Argumente sind geeignet, diesen Flughafenohne Not zu schließen.

(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Sie wollenihn also offen halten! – Mechthild Rawert[SPD]: Auf welcher Basis hat das Gerichtdann entschieden?)

Es ist schon Helmut Schmidt zitiert worden, der ge-sagt hat: Das ist ein einmaliger Standortvorteil. – Auchdie Berliner Wirtschaft ist zitiert worden, allen voran dieIHK. Ich möchte gerne zwei Drittel bzw. drei Viertel – jenach Meinungsumfrage – der Berliner hier zitieren. Siesagen, sie möchten, dass dieser Flughafen erhaltenbleibt, dass die Chancen, die dieser Flughafen bietet,weiterhin genutzt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –Mechthild Rawert [SPD]: Fragen Sie mal nach40 000 Arbeitsplätzen bei BBI!)

Es kann doch nicht richtig sein, dass der Senat, der erstvor kurzem mit großem Trara erklärt hat, die Bürgersollten mehr Rechte bekommen, es solle mehr Volksbe-gehren und mehr Volksentscheide geben, angesichts ei-nes Volksbegehrens, das ihm nicht passt, im Vorfeld desVolksentscheids sagt: Wie die Berlinerinnen und Berli-ner entscheiden, interessiert mich nicht; ich versuche,der Meinung der Berliner durch die kalte Küche mit ei-nem Entwidmungsverfahren zuvorzukommen. – Es fälltmir schwer, zu glauben, dass ein Senat ein solches De-mokratieverständnis haben kann und einen solchen Um-gang mit Wählerinnen und Wählern praktiziert.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –Hellmut Königshaus [FDP]: Rot-Rot! – PetraMerkel [Berlin] [SPD]: Die Berliner hintersLicht führen und sie belügen! Etwas anderestun, als das, was man gesagt hat! – SwenSchulz [Spandau] [SPD]: Die Leute werdendoch von Ihnen veräppelt!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Wieland, obwohl Sie schon am Ende Ihrer Re-dezeit angelangt sind?

Ingo Schmitt (Berlin) (CDU/CSU): Von Herrn Wieland nehme ich gerne Zwischenfragen

entgegen.

Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lieber Kollege Schmitt, Sie wollten eigentlich nach

vorne schauen, haben aber dennoch Ihren Namensvetter,den Altkanzler, zitiert.

(Ingo Schmitt [Berlin] [CDU/CSU]: Aber er schreibt sich anders!)

Wenn Tempelhof als Verkehrsflughafen für die Berline-rinnen und Berliner so identitätsbildend ist, wie kam esdann, dass unter Eberhard Diepgen ebendieser Verkehrs-flughafen in den 80er-Jahren bereits geschlossen war,sodass wir das Vergnügen hatten, dort in einer großenHalle Ronald Reagan zu empfangen, und Volker Hassemerdort zur 750-Jahr-Feier von Berlin Riesenfeuerwerke hatveranstalten lassen können? Wie können Sie hier dieseNostalgietour reiten und auch noch mit einer Volksbefra-gung kommen, obwohl Sie selber diesen Flughafenschon stillgelegt hatten?

(Hellmut Königshaus [FDP]: Weil 70 Prozent dafür sind, Herr Kollege!)

– Ach, das ist doch alles Demagogie!

Page 161: Deutscher Bundestag - CDU/CSU 0507.pdfPlenarprotokoll 16/108 (Zu diesem Protokoll folgt ein Nachtrag) Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 108. Sitzung Berlin, Donnerstag, den

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11201

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Ingo Schmitt (Berlin) (CDU/CSU): Verehrter Herr Kollege Wieland, wenn Sie so weit zu-

rückgehen, werden Sie sich erinnern, dass damals eineandere Situation in Berlin bestand: Es gab West-Berlin.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Selbst dort konnte man verzichten! Ob-wohl es West-Berlin war, brauchte man nur ei-nen! – Gegenruf des Abg. Hellmut Königshaus[FDP]: Da gab es auch weniger Flugverkehr!)

Damals gab es etwa 4 bis 5 Millionen Fluggäste. Neh-men Sie bitte zur Kenntnis, dass wir hier ein Wachstumverzeichnen können, das wesentlich höher ist.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Das sind die Billigflieger! Aber diefliegen doch nicht von Tempelhof!)

Frau Präsidentin, darf ich die Frage beantworten?

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege Wieland, überwiegend hat der Kollege

Schmitt das Wort.

(Heiterkeit – Wolfgang Wieland [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber ich darf Zwi-schenrufe machen!)

Ingo Schmitt (Berlin) (CDU/CSU): Auch als wir 1996 den Konsensbeschluss gefasst ha-

ben, hatten wir wesentlich geringere Wachstumsraten.Gerade die letzten Jahre haben gezeigt, dass wir An-schluss an internationale Wachstumsraten gefunden ha-ben.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Aber doch nicht in Tempelhof!)

Deswegen brauchen wir die gesamte Kapazität, die mo-mentan in Berlin vorhanden ist.

(Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Sie wollen also Tegel und Tempelhof offen halten?)

Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis, auch wenn Sie dasnicht zur Kenntnis nehmen wollen!

Ich komme zum Schluss meiner Ausführungen.(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

– Klatschen Sie nicht zu früh! – Ihr Regierender Bürger-meister Wowereit hat schon im Herbst in Karlsruhe eineerste Klatsche bekommen. Ich sage Ihnen voraus: Erwird bei diesem Thema die zweite bekommen.

(Beifall des Abg. Dr. Karl Lamers [Heidel-berg] [CDU/CSU])

Ich sage Ihnen noch eines: Tempelhof wird leben. (Widerspruch bei der SPD)

Tempelhof wird als Flughafen leben. Die Berlinerinnenund Berliner werden anschließend sagen: Und das istauch gut so!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagenauf den Drucksachen 16/4813 und 16/5897 an die in derTagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dannist die Überweisung so beschlossen.

(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Frau Präsidentin, dieGrünen haben Sofortabstimmung beantragt! –Gegenruf des Abg. Hellmut Königshaus[FDP]: Wann denn?)

– Frau Kollegin Schewe-Gerigk, uns hier oben ist nichtbekannt, dass die Grünen die Sofortabstimmung bean-tragt haben. Aber wenn Sie das jetzt an dieser Stelle be-antragen, dann lasse ich schlicht und ergreifend darüberabstimmen,

(Hellmut Königshaus [FDP]: Nein! Das ist schon überwiesen!)

ob die Überweisung in die Ausschüsse so gewollt ist. (Hellmut Königshaus [FDP]: Nein!)

Wer ist für die Überweisung in die Ausschüsse? – Das istdie Mehrheit. Wer ist dagegen? – Dann ist die Überwei-sung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Bildung, Forschungund Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Johann-

Henrich Krummacher, Ilse Aigner, MichaelKretschmer, weiterer Abgeordneter und derFraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordne-ten Swen Schulz (Spandau), Jörg Tauss, RenéRöspel, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der SPDGeistes- und Sozialwissenschaften stärken

– zu dem Antrag der Abgeordneten CorneliaPieper, Uwe Barth, Patrick Meinhardt, weitererAbgeordneter und der Fraktion der FDPGeistes-, Sozial- und Kulturwissenschaftenstärken

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. PetraSitte, Cornelia Hirsch, Volker Schneider (Saar-brücken), weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der LINKENPerspektiven für die Geistes- und Sozialwis-senschaften verbessern

– zu dem Antrag der Abgeordneten Krista Sager,Kai Gehring, Priska Hinz (Herborn), weitererAbgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNENDie Geistes- und Sozialwissenschaften inForschung und Lehre fördern

– Drucksachen 16/4161, 16/4153, 16/4154, 16/4406,16/5931 –Berichterstattung:Abgeordnete Johann-Henrich Krummacher Swen Schulz (Spandau)Patrick Meinhardt

Page 162: Deutscher Bundestag - CDU/CSU 0507.pdfPlenarprotokoll 16/108 (Zu diesem Protokoll folgt ein Nachtrag) Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 108. Sitzung Berlin, Donnerstag, den

11202 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007

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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner

Dr. Petra Sitte Krista Sager

Die Kollegen Johann-Henrich Krummacher, SwenSchulz, Patrick Meinhardt sowie die KolleginnenDr. Petra Sitte und Krista Sager haben ihre Reden zuProtokoll gegeben.1)

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-schusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-schätzung auf Drucksache 16/5931. Der Ausschuss emp-fiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung dieAnnahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU undder SPD auf Drucksache 16/4161 mit dem Titel „Geis-tes- und Sozialwissenschaften stärken“. Wer stimmt fürdiese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit denStimmen von SPD und CDU/CSU bei Enthaltung derFraktionen der FDP und der Linken bei Gegenstimmender Grünen angenommen.

Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ableh-nung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksa-che 16/4153 mit dem Titel „Geistes-, Sozial- und Kul-turwissenschaften stärken“. Wer stimmt für dieseBeschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Ent-haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-men von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSUbei Gegenstimmen von FDP und Enthaltung der Frak-tion Die Linke angenommen.

Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seinerBeschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags derFraktion Die Linke auf Drucksache 16/4154 mit dem Ti-tel „Perspektiven für die Geistes- und Sozialwissen-schaften verbessern“. Wer stimmt für diese Beschluss-empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen vonSPD, CDU/CSU und FDP bei Enthaltung vomBündnis 90/Die Grünen und Gegenstimmen der FraktionDie Linke angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 sei-ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antragsder Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-sache 16/4406 mit dem Titel „Die Geistes- und Sozial-wissenschaften in Forschung und Lehre fördern“. Werstimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmtdagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlungist mit den Stimmen von SPD und CDU/CSU bei Gegen-stimmen vom Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltungder Fraktion Die Linke und der Fraktion der FDP ange-nommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten SevimDağdelen, Petra Pau, Ulla Jelpke, Jan Korte undder Fraktion der LINKENFür die zügige Vorlage eines qualifizierten Be-richts über die Lage der Ausländerinnen undAusländer in Deutschland– Drucksache 16/5788 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die

1) Die Redebeiträge werden in einem Nachdruck abgedruckt.

Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-gin Sevim Dağdelen für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! In § 94 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes heißt es: Die Beauftragte erstattet dem Deutschen Bundestagmindestens alle zwei Jahre einen Bericht über dieLage der Ausländer in Deutschland.

Das hätte im Juni 2007 der Fall sein müssen. EndeApril 2007 teilte die Integrationsbeauftragte jedoch demBundestagspräsidenten mit, dass der Bericht erst im ers-ten Quartal 2008 vorgelegt wird. Wenn Migrantinnenund Migranten oder Flüchtlinge so leichtfertig gegen dieihnen auferlegten gesetzlichen Pflichten verstoßen wür-den, wie Frau Böhmer es tut, müssten sie mit hartenSanktionen rechnen. Von Nichtdeutschen fordern Sie im-mer Rechtstreue, aber selbst setzen Sie sich leichtfertigüber das Gesetz hinweg.

Sie haben bereits im Oktober letzten Jahres die Ver-schiebung des Lageberichts im Alleingang beschlossen.Nicht nur das: Sie haben auch noch mitbeschlossen, dassdieses Vorgehen dem Bundestag erst im April diesesJahres mitzuteilen ist. Sie betrachten den DeutschenBundestag offenkundig als eine bloße Abnickmaschine,die das Regierungsgeschäft nicht stören soll. Ich findedies einfach nur skandalös.

(Beifall bei der LINKEN)Als Grund für die Verschiebung des Lageberichts ver-

weist die Integrationsbeauftragte auf den NationalenAktionsplan Integration. Fachlich nachvollziehbarwäre es aber gewesen, erst einen wissenschaftlich fun-dierten Lagebericht vorzulegen und dann einen Aktions-plan zu erarbeiten. Genau das will die Regierung abernicht. Kritische Nachfragen sind nicht erwünscht, wennBundeskanzlerin Merkel den Nationalen Aktionsplan In-tegration nächste Woche vorstellen wird. Da passt es an-scheinend auch nicht, kurz vor dem Integrationsgipfeldie Versäumnisse einer ausgrenzenden Integrations- undFlüchtlingspolitik aufarbeiten zu müssen; denn durch ei-nen kritischen und problemorientierten Bericht über dieLage von Migrantinnen und Migranten sowie Flüchtlin-gen in Deutschland würde vor allem eines deutlich wer-den: Die Integrationspolitik der letzten Jahre ist weit da-von entfernt, soziale Chancengleichheit für alleMenschen hier herzustellen. Eine wirkliche Kehrt-wende in der Integrationspolitik würde eben mehr erfor-dern, als einfach nur ein paar unverbindliche Maßnah-men und Ziele in einen Aktionsplan hineinzuschreiben.

Lieber inszeniert die Bundesregierung einen Gipfelnach dem anderen. Die Beteiligung von Migrantenorga-nisationen wurde dabei auch medial immer groß heraus-gestellt. Auf gleicher Augenhöhe sollte geredet werden.Man wollte miteinander reden. Dabei haben all diese Or-ganisationen einen Maulkorb bekommen. Über aufent-haltsrechtliche Regelungen und über die Integration vongeduldeten Flüchtlingen sowie Menschen ohne Aufent-haltsrecht durften in den Arbeitsgruppen des Integra-

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11203

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tionsgipfels keine Empfehlungen abgegeben werden.Gleiches galt auch für das Thema der politischen Rechte.Während es zum bürgerschaftlichen Engagement eineArbeitsgruppe gegeben hat, durfte das kommunaleWahlrecht für Angehörige von Drittstaaten überhauptnicht thematisiert werden.

Zur gleichen Zeit, als Sie die Arbeitsgruppen noch beiKaffee und Keksen über Integration debattieren ließen,stellte die Große Koalition mit den massiven Verschär-fungen im Aufenthaltsgesetz die Weichen für die zu-künftige Integrationspolitik: Sanktionen statt Angebote,Ausweitung von Abschiebungen statt Aufenthaltsverfes-tigung und Eingriffe in die Grundrechte, wie das Rechtauf Familie, statt Ausbau von Rechten.

Kritik war nicht erwünscht. Der Dialog auf gleicherAugenhöhe war eine Farce und ist es auch noch. Deshalbist es auch kein Wunder, dass die Organisationen keinenSinn mehr in der Teilnahme in der nächsten Woche se-hen und mit einem Ausstieg drohen.

Die bisherigen Berichte über die Lage von Migrantin-nen und Migranten sowie Flüchtlingen in Deutschlandwaren der Regierung offenkundig zu kritisch. Aus demVermerk vom Oktober aus dem Hause Böhmer geht her-vor, dass der zukünftige Bericht nicht mehr wissen-schaftlich abwägend ausfallen soll. Er soll ergebnisori-entiert gestaltet werden. Und wer bestimmt dasErgebnis? Frau Böhmer selbst.

Die von Ihnen angestrebte Veränderung des Lagebe-richts illustriert eben auch den Wandel, für den FrauBöhmer steht, nämlich die Umwandlung des Amtes ei-ner Beauftragten für Migrantinnen und Migranten in dasAmt einer Staatsministerin, die vor allem für die Be-lange der Regierung ist – notfalls auch gegen die Be-lange der Migrantinnen und Migranten. Erst vor dreiWochen hat die Integrationsbeauftragte ein Gesetz be-grüßt und für gut befunden, das massiv in die Rechte vonMigrantinnen und Migranten eingreift.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, der Natio-nale Integrationsplan, der uns in der nächsten Wochepräsentiert wird, steht auf tönernen Füßen. Er wird vonunverbindlichen Handlungsempfehlungen und auch Zie-len geprägt sein und sehr selektiv ausfallen. Dazu passt,dass Sie uns die Vorlage eines fundierten Berichts zurLage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschlandbewusst verweigern wollen. Ich kann Sie nur auffordern,diesen Bericht so zügig wie möglich vorzulegen.

Deswegen haben wir, Die Linke, eine Sofortabstim-mung beantragt. Eine Überweisung dieses Antrages indie Ausschüsse wäre einfach nur eine Fortsetzung derVerzögerungstaktik. Es hat überhaupt keinen Sinn undZweck, einen solchen Antrag in die Ausschüsse zu über-weisen. Wir beantragen die Sofortabstimmung, weil wirder Auffassung sind, dass der Bericht fällig ist.

Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Die Kollegen Reinhard Grindel, Sebastian Edathy,

Josef Winkler sowie die Kollegin Sibylle Laurischk und

die Staatsministerin Professor Dr. Maria Böhmer habenihre Reden zu Protokoll gegeben.1)

Wir kommen zum Antrag der Fraktion Die Linke aufDrucksache 16/5788 mit dem Titel „Für die zügige Vor-lage eines qualifizierten Berichts über die Lage der Aus-länderinnen und Ausländer in Deutschland“. Die Frak-tion Die Linke wünscht Abstimmung in der Sache. DieFraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen Über-weisung, und zwar federführend an den Innenausschussund mitberatend an den Ausschuss für Arbeit und Sozia-les, an den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen undJugend sowie an den Ausschuss für Menschenrechte undHumanitäre Hilfe. Die Abstimmung über den Antrag aufAusschussüberweisung geht nach ständiger Übung vor.Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Über-weisung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –Dann ist die Überweisung so beschlossen, und zwar mitden Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Op-position. Damit stimmen wir heute über den Antrag aufDrucksache 16/5788 nicht ab.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 sowie Zusatz-punkt 11 auf:

19 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Verkehr, Bau undStadtentwicklung (15. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Renate

Blank, Dirk Fischer (Hamburg), Dr. Klaus W.Lippold, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der CDU/CSU sowie der AbgeordnetenAnnette Faße, Hans-Joachim Hacker, SörenBartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder SPDAttraktivität des Wassertourismus und desWassersports stärken

– zu dem Antrag der Abgeordneten PatrickDöring, Hans-Michael Goldmann, Detlef Parr,weiterer Abgeordneter und der Fraktion derFDPSport- und Freizeitschifffahrt in Deutsch-land erleichtern

– Drucksachen 16/5416, 16/4061, 16/5770 –2)

Berichterstattung:Abgeordnete Renate Blank Patrick Döring

ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten DetlefParr, Joachim Günther (Plauen), Miriam Gruß,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDPSportschifffahrt und Wassersport wirksamfördern und von überflüssigen Beschränkun-gen befreien– Drucksache 16/5609 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)Innenausschuss Sportausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus

1) Die Redebeiträge werden in einem Nachtrag abgedruckt.2) Anlage 4

Sevim DaðdelenSevim Dağdelen

Page 164: Deutscher Bundestag - CDU/CSU 0507.pdfPlenarprotokoll 16/108 (Zu diesem Protokoll folgt ein Nachtrag) Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 108. Sitzung Berlin, Donnerstag, den

11204 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007

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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner

Die Kolleginnen Renate Blank, Annette Faße,Dorothée Menzner, Nicole Maisch sowie der KollegePatrick Döring haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1)

Wir kommen deshalb zur Beschlussempfehlung desAusschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 16/5770 die Annahme desAntrags der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD aufDrucksache 16/5416 mit dem Titel „Attraktivität desWassertourismus und des Wassersports stärken“. Werstimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmtdagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlungist mit den Stimmen von SPD und CDU/CSU bei Gegen-stimmen der FDP und Enthaltung der Fraktion desBündnisses 90/Die Grünen sowie der Fraktion Die Linkeangenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Druck-sache 16/5770 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung desAntrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/4061 mitdem Titel „Sport- und Freizeitschifffahrt in Deutschland er-leichtern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-empfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen Die Linke,der SPD und der CDU/CSU bei Gegenstimmen von Bünd-nis 90/Die Grünen und FDP angenommen.

Zusatzpunkt 11. Interfraktionell wird Überweisungder Vorlage auf Drucksache 16/5609 an die in der Tages-ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. SindSie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist dieÜberweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten KristaSager, Irmingard Schewe-Gerigk, Kai Gehring,weiterer Abgeordneter und der Fraktion desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENMehr Qualität und Exzellenz durch mehrChancengerechtigkeit und Gender-Perspekti-ven in Wissenschaft und Forschung– Drucksache 16/5898 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Die Kolleginnen Anette Hübinger, Gesine Multhaupt,Dr. Petra Sitte, Krista Sager sowie der Kollege UweBarth haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.2)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 16/5898 zur federführenden Beratung anden Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfol-genabschätzung sowie zur Mitberatung an den Aus-schuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vorge-schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist derFall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszu dem Abkommen vom 25. Juni 2003 zwi-

1) Die Redebeiträge werden in einem Nachdruck abgedruckt.2) Die Redebeiträge werden in einem Nachtrag abgedruckt.

schen der Europäischen Union und den Verei-nigten Staaten von Amerika über Ausliefe-rung, zu dem Abkommen vom 25. Juni 2003zwischen der Europäischen Union und denVereinigten Staaten von Amerika über Rechts-hilfe, zu dem Vertrag vom 14. Oktober 2003zwischen der Bundesrepublik Deutschlandund den Vereinigten Staaten von Amerikaüber die Rechtshilfe in Strafsachen, zu demZweiten Zusatzvertrag vom 18. April 2006zum Auslieferungsvertrag zwischen der Bun-desrepublik Deutschland und den VereinigtenStaaten von Amerika sowie zu dem Zusatzver-trag vom 18. April 2006 zum Vertrag zwischender Bundesrepublik Deutschland und den Ver-einigten Staaten von Amerika über die Rechts-hilfe in Strafsachen

– Drucksache 16/4377 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 16/5825 –

Berichterstattung:Abgeordnete Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen)Joachim StünkerDr. Peter Danckert Mechthild Dyckmans Sevim DağdelenJerzy Montag

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktiondes Bündnisses 90/Die Grünen vor. Die KollegenSiegfried Kauder, Joachim Stünker, Jerzy Montag sowieder Parlamentarische Staatssekretär Alfred Hartenbachund die Kolleginnen Petra Pau und Mechthild Dyckmanshaben ihre Reden zu Protokoll gegeben.3)

Wir kommen deshalb zur Abstimmung über den vonder Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zuden Abkommen zwischen der Europäischen Union undden Vereinigten Staaten von Amerika über Auslieferungund über Rechtshilfe sowie zu den Verträgen zwischender Bundesrepublik Deutschland und den VereinigtenStaaten von Amerika über die Rechtshilfe in Strafsachenund die Auslieferung. Der Rechtsausschuss empfiehlt inseiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5825,den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck-sache 16/4377 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, diedem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ge-setzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim-men von SPD, CDU/CSU und FDP bei Enthaltung derFraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und Gegenstim-men der Fraktion Die Linke angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung.

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-men wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? –Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in dritter

3) Die Redebeiträge werden in einem Nachtrag abgedruckt.

Page 165: Deutscher Bundestag - CDU/CSU 0507.pdfPlenarprotokoll 16/108 (Zu diesem Protokoll folgt ein Nachtrag) Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 108. Sitzung Berlin, Donnerstag, den

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11205

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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner

Beratung mit demselben Stimmenverhältnis wie in derzweiten Beratung angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-ßungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünenauf Drucksache 16/5978. Wer stimmt für diesen Ent-schließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-gen? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen vonSPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen von Bünd-nis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten FrankSchäffler, Martin Zeil, Dr. Karl Addicks, weitererAbgeordneter und der Fraktion der FDPKonsequenzen aus dem EntschädigungsfallPhoenix Kapitaldienst GmbH– Drucksache 16/5786 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss

Die Kollegen Klaus-Peter Flosbach, Dr. Hans-UlrichKrüger, Frank Schäffler und Dr. Axel Troost sowie dieKollegin Christine Scheel haben ihre Reden zu Protokollgegeben.1)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 16/5786 an den Finanzausschuss vorge-schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist derFall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) – zu dem Antrag des Bundesministeriums der

FinanzenEntlastung der Bundesregierung für dasHaushaltsjahr 2005 – Vorlage der Haus-halts- und Vermögensrechnung des Bundes(Jahresrechnung 2005) –

– zu der Unterrichtung durch den Bundesrech-nungshofBemerkungen des Bundesrechnungshofes2006 zur Haushalts- und Wirtschaftsführungdes Bundes (einschließlich der Feststellungenzur Jahresrechnung 2005)

– Drucksachen 16/1122, 16/3200, 16/5774 –Berichterstattung:Abgeordneter Bernhard Brinkmann (Hildesheim)

Die Kollegen Hans-Joachim Fuchtel und BernhardBrinkmann sowie die Kolleginnen Dr. ClaudiaWinterstein, Dr. Gesine Lötzsch und Anja Hajduk habenihre Reden zu Protokoll gegeben.2)

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-empfehlung des Haushaltsausschusses auf Druck-sache 16/5774 zu dem Antrag des Bundesministeriumsder Finanzen auf Entlastung der Bundesregierung für dasHaushaltsjahr 2005 und zu den Bemerkungen des

1) Die Redebeiträge werden in einem Nachtrag abgedruckt.2) Die Redebeiträge werden in einem Nachtrag abgedruckt.

Bundesrechnungshofes 2006, Drucksachen 16/1122 und16/3200. Unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlungschlägt der Haushaltsausschuss die Erteilung der Entlas-tung für das Haushaltsjahr 2005 vor. Wer stimmt fürdiese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit denStimmen des Hauses bei Gegenstimmen der FraktionDie Linke angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt derHaushaltsausschuss, die Bundesregierung aufzufordern,a) bei der Aufstellung und Ausführung der Bundeshaus-haltspläne die Feststellungen des Haushaltsausschusses zuden Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zu befol-gen, b) Maßnahmen zur Steigerung der Wirtschaftlichkeitunter Berücksichtigung der Entscheidungen des Aus-schusses einzuleiten oder fortzuführen und c) die Be-richtspflichten fristgerecht zu erfüllen, damit eine zeitnaheVerwertung der Ergebnisse bei den Haushaltsberatungengewährleistet ist. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Be-schlussempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hau-ses angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten VolkerSchneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, Dr. MartinaBunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder LINKEN

Keine Leistungskürzungen bei der gesetzli-chen Unfallversicherung

– Drucksache 16/5616 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)RechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten MarkusKurth, Kerstin Andreae, Birgitt Bender, weitererAbgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN

Die gesetzliche Unfallversicherung leistungs-stark und zukunftssicher gestalten

– Drucksache 16/5896 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Gesundheit

Die Kollegen Gerald Weiß, Wolfgang Grotthaus,Heinz-Peter Haustein, Volker Schneider und MarkusKurth sowie der Parlamentarische Staatssekretär FranzThönnes haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.3)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 16/5616 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage aufDrucksache 16/5896 soll zur federführenden Beratungan den Ausschuss für Arbeit und Soziales sowie zur Mit-beratung an den Ausschuss für Wirtschaft und Technolo-

3) Die Redebeiträge werden in einem Nachtrag abgedruckt.

Page 166: Deutscher Bundestag - CDU/CSU 0507.pdfPlenarprotokoll 16/108 (Zu diesem Protokoll folgt ein Nachtrag) Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 108. Sitzung Berlin, Donnerstag, den

11206 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007

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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner

gie und an den Ausschuss für Gesundheit überwiesenwerden. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-ordneten Laurenz Meyer (Hamm), Dr. MartinaKrogmann, Hans-Joachim Fuchtel, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowieder Abgeordneten Dr. Uwe Küster, Dr. RainerWend, Dr. h. c. Susanne Kastner, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion der SPD

Den Wettbewerb stärken, den Einsatz offenerDokumentenstandards und offener Dokumen-tenaustauschformate fördern

– Drucksachen 16/5602, 16/5927 –

Berichterstattung:Abgeordneter Martin Zeil

Die Kolleginnen Dr. Martina Krogmann, Ulla Lötzerund Grietje Bettin sowie die Kollegen Dr. Uwe Küsterund Martin Zeil haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1)

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-logie zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU undder SPD mit dem Titel „Den Wettbewerb stärken, denEinsatz offener Dokumentenstandards und offenerDokumentenaustauschformate fördern“. Der Ausschussempfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-che 16/5927, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSUund der SPD auf Drucksache 16/5602 in der Ausschuss-fassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschluss-empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen vonCDU/CSU und SPD bei Gegenstimmen von der FraktionDie Linke und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltungder FDP angenommen.

Ich rufe die Zusatzpunkte 12 und 13 auf:

ZP 12 Beratung des Antrags der AbgeordnetenMarieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln),Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und derFraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENsowie der Abgeordneten Michael Link (Heil-bronn), Harald Leibrecht, Jens Ackermann, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Ermäßigung der Visumgebühr für Menschenaus Belarus

– Drucksache 16/5905 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss (f)Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

1) Die Redebeiträge werden in einem Nachtrag abgedruckt.

ZP 13 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD

Ermäßigung der Visumgebühr für Bürgerin-nen und Bürger aus Belarus

– Drucksache 16/5909 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss (f)Innenausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

Die Kollegen Manfred Grund und Norman Paech so-wie die Kolleginnen Uta Zapf, Cornelia Pieper undMarieluise Beck haben ihre Reden zu Protokoll gege-ben.2)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufden Drucksachen 16/5905 und 16/5909 an die in der Ta-gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dannist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten CorneliaPieper, Gudrun Kopp, Michael Kauch, weitererAbgeordneter und der Fraktion der FDP

Deutschland, Energieland der Zukunft –Energieforschung und Wettbewerb stärken

– Drucksache 16/5729 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss

Die Kollegen Axel Fischer, Dieter Grasedieck,Michael Link, Hans-Kurt Hill und Hans-Josef Fell habenihre Reden zu Protokoll gegeben.3)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 16/5729 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungso beschlossen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-ordnung.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-destages auf morgen, Freitag, den 6. Juli 2007, 9 Uhr,ein.

Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen sowieMitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen schönenAbend.

Die Sitzung ist geschlossen.

(Schluss: 22.21 Uhr)

2) Die Redebeiträge werden in einem Nachtrag abgedruckt.3) Die Redebeiträge werden in einem Nachtrag abgedruckt.

Page 167: Deutscher Bundestag - CDU/CSU 0507.pdfPlenarprotokoll 16/108 (Zu diesem Protokoll folgt ein Nachtrag) Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 108. Sitzung Berlin, Donnerstag, den

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11207

(A) (C)

(B)

Anlagen zum Stenografischen Bericht

(D)

Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten

* für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-sammlung der OSZE

Anlage 2

Erklärung nach § 31 GO

der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann(DIE LINKE) zur Abstimmung: Sammelüber-sicht 256 zu Petitionen (Drucksache 16/5916)(Zusatztagesordnungspunkt 8 f)

Ich erkläre im Namen der Fraktion DIE LINKE, dassunser Votum „Nein“ lautet.

Abgeordnete(r)entschuldigt biseinschließlich

Andres, Gerd SPD 05.07.2007

Dreibus, Werner DIE LINKE 05.07.2007

Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 05.07.2007

Dr. Geisen, Edmund FDP 05.07.2007

Gruss, Miriam FDP 05.07.2007

Ibrügger, Lothar SPD 05.07.2007

Merten, Ulrike SPD 05.07.2007

Nitzsche, Henry fraktionslos 05.07.2007

Raidel, Hans CDU/CSU 05.07.2007*

Dr. Ramsauer, Peter CDU/CSU 05.07.2007

Reiche (Cottbus), Steffen

SPD 05.07.2007

Roth (Esslingen), Karin

SPD 05.07.2007

Dr. Schick, Gerhard BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

05.07.2007

Schily, Otto SPD 05.-07.2007

Stübgen, Michael CDU/CSU 05.07.2007

Dr. Tabillion, Rainer SPD 05.07.2007

Wächter, Gerhard CDU/CSU 05.07.2007

Dr. Wiefelspütz, Dieter SPD 05.07.2007

Zapf, Uta SPD 05.07.2007*

Zöller, Wolfgang CDU/CSU 05.07.2007

Anlage 3

Erklärung nach § 31 GO

der Abgeordneten Grietje Bettin, Ekin Deligöz,Kai Gehring, Katrin Göring-Eckardt, ClaudiaRoth (Augsburg) und Britta Haßelmann (alleBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmungüber den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zurRegelung des Urheberrechts in der Informa-tionsgesellschaft (Tagesordnungspunkt 7 a)

Die vorliegende Novelle zur Regelung des Urheber-rechts in der Informationsgesellschaft vernachlässigt im-mer noch in wesentlichen Punkten die Interessen vonVerbraucherinnen und Verbrauchern, Wissenschaftlerin-nen und Wissenschaftlern sowie von Urheberinnen undUrhebern. Das können wir trotz der wichtigen von unsdurchgesetzten Verbesserungen im Bereich der Geräte-vergütung nicht ignorieren.

So fehlt immer noch ein durchsetzungsstarkes Rechtauf Privatkopie: Wer Werke rechtmäßig besitzt, mussauch Sicherheitskopien davon machen dürfen. Es ergibtkeinen Sinn, dass Kopien von analogen Werken erlaubtsind, bei digitalen aber nicht, weil der Rechteverwerterdurch die Anbringung von Kopierschutz de facto ent-scheidet, ob man Kopien anfertigen darf oder nicht.

Ebenfalls fehlt eine Bagatellklausel. Wer für den pri-vaten Gebrauch unerlaubt Kopien anfertigt, soll zwarzivilrechtlich belangt werden dürfen (Schadenersatz undUnterlassungerklärungen sind schon jetzt möglich); einestrafrechtliche Verfolgung ist aber unverhältnismäßig.Zudem sind die Staatsanwaltschaften ohnehin nicht inder Lage, jede private Urheberrechtsverletzung zu ver-folgen.

Weiterhin sind die Verlage gegenüber den Bibliothe-ken zu stark privilegiert. Demnach haben Verlage das al-leinige Recht zum elektronischen Kopienversand, sofernsie die Bibliotheken über ihr Angebot in Kenntnis setzenund dieses angemessen ist. Das verhindert Innovationund ist wissenschaftsfeindlich, weil Verlage nicht moti-viert werden, bessere Angebote als die Bibliotheken zuschaffen. Für Studierende und Promovierende wird eskaum bezahlbar sein, Verlagsangebote wahrzunehmen,die jetzt schon bei über 30 Dollar pro Aufsatz liegen. Miteiner Beschränkung des Versandes als ausschließlichgrafische Datei wäre man den Interessen der Verlage an-gemessen entgegengekommen.

Eine ähnliche Bremse für die Wissenschaft ist die Re-gelung zu den elektronischen Leseplätzen, die nur nachZahl der Bestandsexemplare von Werken bereitgestelltwerden dürfen. Außerdem können Leseplätze nicht in al-len öffentlichen Bildungseinrichtungen angeboten wer-den, obwohl die EU-Richtlinie dieses zulässt und diesvon anderen Ländern auch so umgesetzt wurde.

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11208 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007

(A) (C)

(B)

Nicht zuletzt: Auch Filmschaffende haben Urheber-rechte und müssen darüber verfügen können. Laut derNovelle sollen sie kein Widerrufsrecht bei Verträgenüber unbekannte Nutzungsarten haben. Damit wird einerganzen Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern die le-gitime Mitbestimmung über ihre Werke verwehrt und siewird gegenüber anderen Urhebern schlechtergestellt.Das ist nicht akzeptabel. Damit ein einzelner Urhebernicht ganze Neuverwertungen lahmlegen kann, enthältdas Gesetz schon jetzt die Regelung, wonach die Urhe-ber ihr Widerrufsrecht nicht wider Treu und Glaubenausüben sollen. Diese muss auch auf den Filmbereichübertragen werden.

Wir haben bei der Abstimmung mit den Fachaus-schüssen mit „Nein“ gestimmt, Änderungsanträge einge-

Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- uVertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Amsterdamer Str. 19

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bracht und werden weiterhin für Verbesserungen in dengenannten Bereichen eintreten.

Anlage 4

Erklärung nach § 31 GO

des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung überdie Beschlussempfehlung zu dem Antrag:Sport- und Freizeitschifffahrt in Deutschlanderleichtern (Drucksache 16/5770, Nr. 2) (Tages-ordnungspunkt 19)

Ich erkläre im Namen der Fraktion des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN, dass unser Votum „Ja“ lautet.

(D)

nd Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin2, 50735 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Telefax (02 21) 97 66 83 4422-7980