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Plenarprotokoll 16/187 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 187. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 Inhalt: Begrüßung des neuen Abgeordneten Matthäus Strebl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absetzung des Tagesordnungspunktes 21 a . . Nachträgliche Ausschussüberweisung . . . . . . Begrüßung des Präsidenten des Storting des Königreichs Norwegen, Herrn Thorbjørn Jagland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begrüßung von Parlamentarierinnen und Parlamentariern aus Afghanistan, Kasach- stan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan, Usbekistan und der Mongolei . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 15: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung von Familien und haushalts- nahen Dienstleistungen (Familienleistungs- gesetz – FamLeistG) (Drucksache 16/10809) . . . . . . . . . . . . . . . . . Lydia Westrich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Carl-Ludwig Thiele (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ingrid Arndt-Brauer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . Ina Lenke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Patricia Lips (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . Ingrid Fischbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 16: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Neuausrichtung der arbeits- marktpolitischen Instrumente (Drucksache 16/10810) . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Kornelia Möller, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Arbeitslosenversicherung stärken – Ansprüche sichern – Öffent- lich geförderte Beschäftigte einbeziehen (Drucksache 16/10511) . . . . . . . . . . . . . . Olaf Scholz, Bundesminister BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dirk Niebel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU) . . . . . Kornelia Möller (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katja Mast (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl Schiewerling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kornelia Möller (DIE LINKE) . . . . . . . . . 19963 B 19963 B 19964 C 19964 D 19964 D 20025 B 19965 A 19965 B 19967 B 19968 D 19969 D 19971 D 19973 C 19974 C 19976 A 19976 D 19978 A 19979 C 19980 C 19981 A 19981 A 19981 B 19983 C 19985 C 19987 D 19989 B 19991 A 19992 B 19993 C 19994 A

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Plenarprotokoll 16/187

Deutscher BundestagStenografischer Bericht

187. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

I n h a l t :

Begrüßung des neuen AbgeordnetenMatthäus Strebl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Erweiterung und Abwicklung der Tagesord-nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Absetzung des Tagesordnungspunktes 21 a . .

Nachträgliche Ausschussüberweisung . . . . . .

Begrüßung des Präsidenten des Storting desKönigreichs Norwegen, Herrn ThorbjørnJagland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Begrüßung von Parlamentarierinnen undParlamentariern aus Afghanistan, Kasach-stan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan,Usbekistan und der Mongolei . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 15:

Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurFörderung von Familien und haushalts-nahen Dienstleistungen (Familienleistungs-gesetz – FamLeistG)(Drucksache 16/10809) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Lydia Westrich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Carl-Ludwig Thiele (FDP) . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . .

Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Ingrid Arndt-Brauer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . .

Ina Lenke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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19973 C

19974 C

19976 A

Patricia Lips (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . .

Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . .

Ingrid Fischbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 16:

a) Erste Beratung des von der Bundesregie-rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zur Neuausrichtung der arbeits-marktpolitischen Instrumente(Drucksache 16/10810) . . . . . . . . . . . . . .

b) Antrag der Abgeordneten KorneliaMöller, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus,weiterer Abgeordneter und der FraktionDIE LINKE: Arbeitslosenversicherungstärken – Ansprüche sichern – Öffent-lich geförderte Beschäftigte einbeziehen(Drucksache 16/10511) . . . . . . . . . . . . . .

Olaf Scholz, Bundesminister BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dirk Niebel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU) . . . . .

Kornelia Möller (DIE LINKE) . . . . . . . . . . .

Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Katja Mast (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Karl Schiewerling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .

Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Kornelia Möller (DIE LINKE) . . . . . . . . .

19976 D

19978 A

19979 C

19980 C

19981 A

19981 A

19981 B

19983 C

19985 C

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19991 A

19992 B

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19994 A

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II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Tagesordnungspunkt 47:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzesüber die Feststellung des Wirtschafts-plans des ERP-Sondervermögens fürdas Jahr 2009 (ERP-Wirtschaftsplange-setz 2009)(Drucksache 16/10663) . . . . . . . . . . . . . . .

b) Erste Beratung des von der Bundesregie-rung eingebrachten Entwurfs eines ErstenGesetzes zur Änderung des Wohngeld-gesetzes(Drucksache 16/10812) . . . . . . . . . . . . . . .

c) Erste Beratung des von der Bundesregie-rung eingebrachten Entwurfs eines Such-dienstedatenschutzgesetzes (SDDSG)(Drucksache 16/10813) . . . . . . . . . . . . . . .

d) Erste Beratung des von der Bundesregie-rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zu den Protokollen vom 9. Juli 2008zum Nordatlantikvertrag über den Bei-tritt der Republik Albanien und derRepublik Kroatien(Drucksache 16/10814) . . . . . . . . . . . . . . .

e) Erste Beratung des von der Bundesregie-rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zum Schengener Informations-system der zweiten Generation (SIS-II-Gesetz)(Drucksache 16/10816) . . . . . . . . . . . . . . .

f) Erste Beratung des von der Bundesregie-rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zu dem Protokoll vom 7. Dezember2005 zur Änderung des Abkommensvom 20. Juni 1996 zwischen der Regie-rung der Bundesrepublik Deutschland,den Vereinten Nationen und dem Sekre-tariat des Rahmenübereinkommens derVereinten Nationen über Klimaände-rungen über den Sitz des Sekretariatsdes Übereinkommens(Drucksache 16/10815) . . . . . . . . . . . . . . .

g) Antrag der Abgeordneten Undine Kurth(Quedlinburg), Bärbel Höhn, UlrikeHöfken, weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:Die Gefangenschaft von Delfinen unver-züglich beenden(Drucksache 16/9102) . . . . . . . . . . . . . . . .

h) Antrag der Abgeordneten Lutz Heilmann,Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch,weiterer Abgeordneter und der FraktionDIE LINKE: Schnellstmögliche Unter-zeichnung und Ratifizierung der Euro-päischen Landschaftskonvention(Drucksache 16/10821) . . . . . . . . . . . . . . .

19994 C

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19994 D

19995 A

19995 A

19995 B

i) Antrag der Abgeordneten Hans-Kurt Hill,Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch,weiterer Abgeordneter und der FraktionDIE LINKE: Stromübertragungsleitun-gen bedarfsgerecht ausbauen – Bürge-rinnen- und Bürgerbeteiligung sowieEnergiewende umfassend berücksich-tigen(Drucksache 16/10842) . . . . . . . . . . . . . .

Zusatztagesordnungspunkt 5:

a) Erste Beratung des von den AbgeordnetenHans-Joachim Otto (Frankfurt), Jörg vanEssen, Gudrun Kopp, weiteren Abgeord-neten und der Fraktion der FDP einge-brachten Entwurfs eines Gesetzes zurWahrung der Rechtssicherheit bei derTelekommunikationsüberwachung undanderen verdeckten Ermittlungsmaß-nahmen(Drucksache 16/10838) . . . . . . . . . . . . . .

b) Antrag der Abgeordneten WinfriedHermann, Peter Hettlich, Dr. AntonHofreiter, weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:Feinstaubreduktion im Straßenverkehrfortsetzen – Filteraustausch umsetzen,Prüf- und Messverfahren für Dieselruß-partikelfilter einführen(Drucksache 16/9802) . . . . . . . . . . . . . . .

c) Antrag der Abgeordneten ChristineScheel, Dr. Gerhard Schick, BrittaHaßelmann, weiterer Abgeordneter undder Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN: Transparenz an den Finanzmärk-ten schaffen – Anschleichtaktik bei ver-deckten Unternehmensübernahmenverhindern(Drucksache 16/10640) . . . . . . . . . . . . . .

d) Antrag der Abgeordneten Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Eckartvon Klaeden, Anke Eymer (Lübeck), wei-terer Abgeordneter und der Fraktion derCDU/CSU sowie der AbgeordnetenDr. Rolf Mützenich, Gert Weisskirchen(Wiesloch), Gerd Andres, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion der SPD: Nicht-staatliche militärische Sicherheitsunter-nehmen kontrollieren(Drucksache 16/10846) . . . . . . . . . . . . . .

e) Antrag der Abgeordneten WolfgangGehrcke, Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter undder Fraktion DIE LINKE: Pakistan undAfghanistan stabilisieren – Für einezentralasiatische regionale Sicherheits-konferenz(Drucksache 16/10845) . . . . . . . . . . . . . .

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 III

Tagesordnungspunkt 48:

a) Zweite und dritte Beratung des von derBundesregierung eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zur Umsetzung derRichtlinie 2005/36/EG des Europäi-schen Parlamentes und des Rates überdie Anerkennung von Berufsqualifika-tionen in der Gewerbeordnung(Drucksachen 16/9996, 16/10599) . . . . . .

b) Zweite Beratung und Schlussabstimmungdes von der Bundesregierung eingebrach-ten Entwurfs eines Gesetzes zu demÜbereinkommen vom 25. Juli 2007 überdie Beteiligung der Republik Bulgarienund Rumäniens am Europäischen Wirt-schaftsraum(Drucksachen 16/9997, 16/10608) . . . . . .

c) Zweite und dritte Beratung des von derBundesregierung eingebrachten Entwurfseines Vierten Gesetzes zur Änderungdes Straßenverkehrsgesetzes(Drucksachen 16/10175, 16/10899) . . . . .

d) Zweite Beratung und Schlussabstimmungdes von der Bundesregierung eingebrach-ten Entwurfs eines Gesetzes zu demProtokoll vom 15. Oktober 2007 zurÄnderung des Abkommens zwischender Bundesrepublik Deutschland undder Russischen Föderation zur Vermei-dung der Doppelbesteuerung auf demGebiet der Steuern vom Einkommenund vom Vermögen vom 29. Mai 1996und des Protokolls hierzu vom 29. Mai1996(Drucksachen 16/10295, 16/10537,16/10817) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

e) Zweite und dritte Beratung des von derBundesregierung eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zu den Abkommen vom26. Mai 2006 zwischen der Regierungder Bundesrepublik Deutschland undder Regierung der Sonderverwaltungs-region Hongkong der VolksrepublikChina über die gegenseitige Rechtshilfein Strafsachen und über die Überstel-lung flüchtiger Straftäter(Drucksachen 16/10390, 16/10895) . . . . .

f) Zweite und dritte Beratung des von derBundesregierung eingebrachten Entwurfseines Vierten Gesetzes zur Änderungverwaltungsverfahrensrechtlicher Vor-schriften (4. VwVfÄndG)(Drucksachen 16/10493, 16/10844) . . . . .

g) Zweite Beratung und Schlussabstimmungdes von der Bundesregierung eingebrach-ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver-trag vom 26. Februar 2008 zwischender Bundesrepublik Deutschland undder Republik Polen über den Bau und

19996 C

19996 D

19997 A

19997 B

19997 C

19998 A

die Instandhaltung von Grenzbrückenin der Bundesrepublik Deutschland imZuge von Schienenwegen des Bundes, inder Republik Polen im Zuge von Eisen-bahnstrecken mit staatlicher Bedeutung(Drucksachen 16/10533, 16/10840) . . . . .

h) Zweite und dritte Beratung des von derBundesregierung eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zur Änderung des Stra-ßenverkehrsgesetzes und zur Ände-rung des Gesetzes zur Änderung derAnlagen 1 und 3 des ATP-Übereinkom-mens(Drucksachen 16/10534, 16/10583,16/10849) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

i) Zweite und dritte Beratung des von derBundesregierung eingebrachten Entwurfseines Vierten Gesetzes zur Änderungdes Weingesetzes(Drucksachen 16/10552, 16/10875) . . . . .

j) Zweite und dritte Beratung des von denFraktionen der CDU/CSU und der SPDeingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Änderung des Gesetzes zur Entlas-tung der Rechtspflege(Drucksachen 16/10570, 16/10893) . . . . .

k) Beschlussempfehlung und Bericht desAusschusses für Verkehr, Bau und Stadt-entwicklung zu dem Antrag der Abgeord-neten Patrick Döring, Horst Friedrich(Bayreuth), Joachim Günther (Plauen),weiterer Abgeordneter und der Fraktionder FDP: Abschaffung der Vorlage-pflicht von Prüfbüchern – Modifikationder §§ 41, 42 der Verordnung über denBetrieb von Kraftfahrunternehmen imPersonenverkehr(Drucksachen 16/6797, 16/10238) . . . . . .

l) Beschlussempfehlung und Bericht desAusschusses für Verkehr, Bau und Stadt-entwicklung zu dem Antrag der Abgeord-neten Patrick Döring, Jörg Rohde, HorstFriedrich (Bayreuth), weiterer Abgeordne-ter und der Fraktion der FDP: Änderungdes § 34 a der Straßenverkehrs-Zulas-sungs-Ordnung – Mobilität von Roll-stuhlfahrern verbessern, Sicherheitnicht vernachlässigen(Drucksachen 16/8545, 16/10562) . . . . . .

m) – v)

Beschlussempfehlungen des Petitionsaus-schusses: Sammelübersichten 464, 465,466, 467, 468, 469, 470, 471, 472 und 473zu Petitionen(Drucksachen 16/10788, 16/10789,16/10790, 16/10791, 16/10792, 16/10793,16/10794, 16/10795, 16/10796, 16/10797(neu)) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19998 B

19998 C

19998 D

19999 A

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19999 D

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IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Zusatztagesordnungspunkt 6:

a) Beschlussempfehlung und Bericht desAusschusses für wirtschaftliche Zusam-menarbeit und Entwicklung zu dem An-trag der Abgeordneten Thilo Hoppe,Ulrike Höfken, Marieluise Beck (Bre-men), weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:Überschüssige Mittel aus EU-Agrar-haushalt für Bekämpfung der Hunger-krise nutzen(Drucksachen 16/10591, 16/10912) . . . . .

b) Beschlussempfehlung und Bericht desAusschusses für Gesundheit zu der Unter-richtung durch die Bundesregierung: Vor-schlag für eine Richtlinie des Europäi-schen Parlaments und des Rates überdie Ausübung der Patientenrechte inder grenzüberschreitenden Gesund-heitsversorgung (inkl. 11307/08 ADD 1bis 11307/08 ADD 3)KOM(2008) 414 endg.; Ratsdok. 11307/08(Drucksachen 16/10286 A.55, 16/10911)

c) Antrag der Abgeordneten Grietje Staffelt,Jerzy Montag, Manuel Sarrazin, weitererAbgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN: Internetnutze-rinnen und -nutzer nicht massenhaftkriminalisieren – Novellierung des EU-Telekommunikationspaketes nicht fürUrheberrechtsregelungen missbrau-chen(Drucksache 16/10843) . . . . . . . . . . . . . . .

Zusatztagesordnungspunkt 2:

Aktuelle Stunde auf Verlangen der FraktionDIE LINKE: Bahnchef Mehdorn ablösen,Verkehrsminister Tiefensee entlassen, Bör-sengang der Deutschen Bahn endgültigabsagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . .

Dr. Klaus W. Lippold (CDU/CSU) . . . . . . . . .

Patrick Döring (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Klaas Hübner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Oskar Lafontaine (DIE LINKE) . . . . . . . . . . .

Renate Blank (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Sören Bartol (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Enak Ferlemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .

Iris Gleicke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Andreas Scheuer (CDU/CSU) . . . . . . . . .

Christian Carstensen (SPD) . . . . . . . . . . . . . .

20000 D

20001 A

20001 A

20001 B

20001 B

20002 C

20003 C

20004 C

20005 C

20007 A

20007 D

20009 A

20010 A

20011 A

20012 A

20013 B

Tagesordnungspunkt 17:Antrag der Fraktion der FDP: Missbilligungder Amtsführung und Entlassung von Bun-desminister Wolfgang Tiefensee(Drucksache 16/10782) . . . . . . . . . . . . . . . . .

in Verbindung mit

Zusatztagesordnungspunkt 7:Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN: Missbilligung der Amtsführung undEntlassung von Bundesminister WolfgangTiefensee(Drucksache 16/10918) . . . . . . . . . . . . . . . . .Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP) . . . . . . . . .Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)

(CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Dorothée Menzner (DIE LINKE) . . . . . . . . .Patrick Döring (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)

(CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Enak Ferlemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .Dorothée Menzner (DIE LINKE) . . . . . . . . .Klaas Hübner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU) . . . . . .

Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . .Uwe Beckmeyer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .Enak Ferlemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .

Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . .

Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 18:a) – Beschlussempfehlung und Bericht des

Auswärtigen Ausschusses zu dem An-trag der Bundesregierung: Fortsetzungdes Einsatzes bewaffneter deutscherStreitkräfte bei der Unterstützungder gemeinsamen Reaktion auf terro-ristische Angriffe gegen die USA aufGrundlage des Artikels 51 der Sat-zung der Vereinten Nationen und desArtikels 5 des Nordatlantikvertragssowie der Resolutionen 1368 (2001)und 1373 (2001) des Sicherheitsratsder Vereinten Nationen(Drucksachen 16/10720, 16/10824) . . .

– Bericht des Haushaltsausschusses ge-mäß § 96 der Geschäftsordnung(Drucksache 16/10915) . . . . . . . . . . . .

20014 B

20014 C20014 C

20016 A20017 D20019 A

20019 B20019 C20019 D20020 A

20020 D20022 C20023 A20023 D20025 C

20026 B

20028 C

20026 C

20026 C

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 V

b) Beschlussempfehlung und Bericht desAuswärtigen Ausschusses zu dem Antragder Abgeordneten Paul Schäfer (Köln),Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine undder Fraktion DIE LINKE: Keine deutscheBeteiligung an der Operation EnduringFreedom in Afghanistan(Drucksachen 16/6098, 16/7908) . . . . . . .

c) Beschlussempfehlung und Bericht desAuswärtigen Ausschusses zu dem Antragder Abgeordneten Wolfgang Gehrcke,Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin,weiterer Abgeordneter und der FraktionDIE LINKE: Keine deutschen Soldatenfür eine schnelle Eingreiftruppe zurVerfügung stellen – RechtswidrigeKriegshandlungen beenden(Drucksachen 16/7890, 16/9710) . . . . . . .

Walter Kolbow (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Werner Hoyer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . .

Eckart von Klaeden (CDU/CSU) . . . . . . . . . .

Monika Knoche (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . .

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Eckart von Klaeden (CDU/CSU) . . . . . . . . . .

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Uta Zapf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Eduard Lintner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .

Rolf Kramer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Robert Hochbaum (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .

Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . .

Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 19:

a) Unterrichtung durch die Bundesregierung:Jahresbericht der Bundesregierungzum Stand der deutschen Einheit 2008(Drucksache 16/10454) . . . . . . . . . . . . . . .

b) Beschlussempfehlung und Bericht desAusschusses für Verkehr, Bau und Stadt-entwicklung

– zu dem Entschließungsantrag der Ab-geordneten Arnold Vaatz, UlrichAdam, Peter Albach, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten KlaasHübner, Andrea Wicklein, Ernst Bahr

20026 D

20026 D

20027 A

20031 A

20032 B

20033 C

20034 C

20036 B

20036 C

20037 B

20038 B

20039 A

20040 A

20040 D

20041 C

20044 C

20042 A

(Neuruppin), weiterer Abgeordneterund der Fraktion der SPD zu der Un-terrichtung durch die Bundesregie-rung: Jahresbericht der Bundes-regierung zum Stand der deutschenEinheit 2007

– zu dem Entschließungsantrag der Ab-geordneten Joachim Günther (Plauen),Jan Mücke, Horst Friedrich (Bay-reuth), weiterer Abgeordneter und derFraktion der FDP zu der Unterrichtungdurch die Bundesregierung: Jahres-bericht der Bundesregierung zumStand der deutschen Einheit 2007

– zu der Unterrichtung durch die Bun-desregierung: Jahresbericht der Bun-desregierung zum Stand der deut-schen Einheit 2007

(Drucksachen 16/7015, 16/7014,16/6500, 16/8865) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

c) Beschlussempfehlung und Bericht desAusschusses für Verkehr, Bau und Stadt-entwicklung zu dem Antrag der Abgeord-neten Dr. Dagmar Enkelmann, Dr. GesineLötzsch, Roland Claus, weiterer Abgeord-neter und der Fraktion DIE LINKE: Erhö-hung von Transparenz und Ziel-genauigkeit des Mitteleinsatzes für dieostdeutschen Bundesländer(Drucksachen 16/7567, 16/9120) . . . . . . .

Wolfgang Tiefensee, Bundesminister BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Joachim Günther (Plauen) (FDP) . . . . . . . . . .

Volkmar Uwe Vogel (CDU/CSU) . . . . . . . . .

Roland Claus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . .

Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Andrea Wicklein (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Veronika Bellmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . .

Klaas Hübner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .

Arnold Vaatz (CDU/CSU) (Erklärung nach § 30 GO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 20:

Antrag der Abgeordneten Dr. Gregor Gysi,Klaus Ernst, Dr. Barbara Höll, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kin-dergelderhöhung sofort auch bei Hartz IVwirksam machen(Drucksache 16/10616) . . . . . . . . . . . . . . . . .

20042 C

20042 C

20042 D

20046 B

20048 A

20049 C

20051 A

20052 D

20053 D

20054 D

20055 D

20056 D

20057 D

20058 D

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VI Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . .

Jörg Tauss (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Franz Romer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . .

Heinz-Peter Haustein (FDP) . . . . . . . . . . . . . .

Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) . . . . . . . . . .

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . .

Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 23:

a) Zweite und dritte Beratung des von derBundesregierung eingebrachten Entwurfseines Fünften Gesetzes zur Änderungdes Filmförderungsgesetzes(Drucksachen 16/10294, 16/10495,16/10833) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

b) Beschlussempfehlung und Bericht desAusschusses für Kultur und Medien zudem Antrag der Fraktionen CDU/CSU,SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN: Das deutsche Filmerbe sichern(Drucksachen 16/8504, 16/10831) . . . . . .

c) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-schusses für Kultur und Medien zu demAntrag der Abgeordneten Dr. Lothar Bisky,Dr. Petra Sitte, Cornelia Hirsch, weitererAbgeordneter und der Fraktion DIELINKE: Finanzierung zur Bewahrungdes deutschen Filmerbes sicherstellen(Drucksachen 16/10509, 16/10891) . . . . . .

Bernd Neumann, Staatsminister BK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Claudia Winterstein (FDP) . . . . . . . . . . . .

Angelika Krüger-Leißner (SPD) . . . . . . . . . .

Dr. Lothar Bisky (DIE LINKE) . . . . . . . . . . .

Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Philipp Mißfelder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .

Monika Griefahn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dorothee Bär (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 22:

a) Antrag der Abgeordneten Kerstin Müller(Köln), Irmingard Schewe-Gerigk,Marieluise Beck (Bremen), weiterer Ab-geordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN: Sexuelle Gewaltgegenüber Frauen in der Demokrati-schen Republik Kongo unverzüglichwirksam bekämpfen(Drucksache 16/9779) . . . . . . . . . . . . . . . .

20059 A

20060 A

20060 C

20061 C

20062 D

20063 C

20064 D

20065 C

20066 A

20066 B

20066 B

20066 C

20067 D

20068 D

20070 D

20071 D

20072 D

20073 D

20074 D

20076 B

b) Beschlussempfehlung und Bericht desAuswärtigen Ausschusses zu dem Antragder Abgeordneten Kerstin Müller (Köln),Winfried Nachtwei, Irmingard Schewe-Gerigk, weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:UN-Resolution 1325 – Frauen, Friedenund Sicherheit – Nationaler Aktions-plan zur strategischen Umsetzung(Drucksachen 16/4555, 16/8608) . . . . . . .

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . .

Anke Eymer (Lübeck) (CDU/CSU) . . . . . . . .

Marina Schuster (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Brunhilde Irber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Monika Knoche (DIE LINKE) . . . . . . . . . . .

Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) . . . . . . . .

Christel Riemann-Hanewinckel (SPD) . . . . .

Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 25:

a) Beschlussempfehlung und Bericht desAusschusses für Kultur und Medien zu derUnterrichtung durch den Beauftragten derBundesregierung für Kultur und Medien:Fortschreibung der Gedenkstättenkon-zeption des Bundes Verantwortungwahrnehmen, Aufarbeitung verstärken,Gedenken vertiefen(Drucksachen 16/9875, 16/10285 Nr. 6,16/10565) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

b) Beschlussempfehlung und Bericht desAusschusses für Kultur und Medien . . . .

– zu dem Antrag der AbgeordnetenDr. Lukrezia Jochimsen, Dr. PetraSitte, Sevim Dağdelen, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion DIE LINKE:Konzepte der Vermittlung des Wis-sens zur NS-Zeit überprüfen undden veränderten Bedingungen an-passen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

– zu dem Antrag der AbgeordnetenKatrin Göring-Eckardt, Monika Lazar,Priska Hinz (Herborn), weiterer Abge-ordneter und der Fraktion BÜND-

20076 B

20076 C

20077 A

20078 A

20079 C

20080 C

20081 B

20082 A

20083 A

20083 C

20084 C

20085 A

20085 D

20086 D

20087 A

20087 A

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 VII

NIS 90/DIE GRÜNEN: Systemati-sche Weiterentwicklung der politi-schen Bildung beim Thema Natio-nalsozialismus(Drucksachen 16/8880, 16/8184,16/10071) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Bernd Neumann, Staatsminister BK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Christoph Waitz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD) . . . . . . . . . .

Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) . . . . . .

Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Monika Griefahn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 24:

Antrag der Abgeordneten Miriam Gruß,Florian Toncar, Burkhardt Müller-Sönksen,weiterer Abgeordneter und der Fraktion derFDP: Die Schaffung einer Individual-beschwerde im Rahmen des Übereinkom-mens über die Rechte des Kindes(Drucksache 16/9096) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 29:

– Zweite und dritte Beratung des von derBundesregierung eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zur Änderung des Geset-zes über die Überführung der Anteils-rechte an der Volkswagenwerk Gesell-schaft mit beschränkter Haftung inprivate Hand(Drucksachen 16/10389, 16/10896) . . . . .

– Zweite und dritte Beratung des von denAbgeordneten Dorothée Menzner,Dr. Diether Dehm, Dr. Barbara Höll, wei-teren Abgeordneten und der Fraktion DIELINKE eingebrachten Entwurfs eines Ge-setzes zur Änderung des VW-Gesetzes (Drucksachen 16/8449, 16/10896) . . . . . .

Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU) . . . . . .

Dorothée Menzner (DIE LINKE) . . . . . . . . . .

Garrelt Duin (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 26:

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-schusses für Arbeit und Soziales zu dem An-trag der Abgeordneten Katja Kipping, KlausErnst, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeord-neter und der Fraktion DIE LINKE: Verdeckte

20087 A

20087 B

20088 C

20089 D

20091 B

20092 C

20093 C

20094 D

20096 A

20096 B

20096 B

20096 C

20097 C

20099 B

20100 A

Armut bekämpfen – Rechte wahrnehmen,unabhängige Sozialberatung ausweiten undSelbsthilfeinitiativen unterstützen(Drucksachen 16/3908, 16/4826) . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 27:

a) – Zweite und dritte Beratung des von derBundesregierung eingebrachten Ent-wurfs eines Gesetzes zur arbeits-marktadäquaten Steuerung der Zu-wanderung Hochqualifizierter undzur Änderung weiterer aufenthalts-rechtlicher Regelungen (Arbeitsmig-rationssteuerungsgesetz)(Drucksachen 16/10288, 16/10722,16/10914) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

– Zweite und dritte Beratung des vonden Abgeordneten Hartfrid Wolff(Rems-Murr), Gisela Piltz, Dr. MaxStadler, weiteren Abgeordneten undder Fraktion der FDP eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes zur Ände-rung des Gesetzes zur Steuerungund Begrenzung der Zuwanderungund zur Regelung des Aufenthaltsund der Integration von Unionsbür-gern und Ausländern (Zuwande-rungsgesetz)(Drucksachen 16/9091, 16/10914) . . .

b) Beschlussempfehlung und Bericht des In-nenausschusses zu dem Antrag der Abge-ordneten Hartfrid Wolff (Rems-Murr),Dr. Heinrich L. Kolb, Patrick Meinhardt,weiterer Abgeordneter und der Fraktionder FDP: Zuwanderung durch ein Punk-tesystem steuern – Fachkräftemangelwirksam bekämpfen(Drucksachen 16/8492, 16/10914) . . . . . .

Tagesordnungspunkt 28:

Antrag der Abgeordneten Britta Haßelmann,Cornelia Behm, Kerstin Andreae, weitererAbgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN: Sicherung der inter-kommunalen Zusammenarbeit(Drucksache 16/9443) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 21:

b) – Zweite und dritte Beratung des von derBundesregierung eingebrachten Ent-wurfs eines Gesetzes zur Modernisie-rung und Entbürokratisierung desSteuerverfahrens (Steuerbürokratie-abbaugesetz)(Drucksachen 16/10188, 16/10579,16/10910, 16/10940) . . . . . . . . . . . . .

– Bericht des Haushaltsausschusses ge-mäß § 96 der Geschäftsordnung(Drucksache 16/10916) . . . . . . . . . . . .

20101 B

20101 C

20101 C

20101 D

20102 C

20102 D

20102 D

Page 8: Deutscher Bundestagdipbt.bundestag.de/dip21/btp/16/16187.pdf · Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitz ung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 V b) Beschlussempfehlung

VIII Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Tagesordnungspunkt 30:

Antrag der Abgeordneten Martin Zeil, RainerBrüderle, Ulrike Flach, weiterer Abgeordne-ter und der Fraktion der FDP: Mittelstands-förderung sichern – ERP-Vermögen ausder KfW Bankengruppe herauslösen(Drucksache 16/8928) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) . . . . .

Garrelt Duin (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Frank Schäffler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Herbert Schui (DIE LINKE) . . . . . . . . . . .

Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 31:

Zweite und dritte Beratung des von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur Verbesserung der Rahmen-bedingungen für die Absicherung flexiblerArbeitszeitregelungen(Drucksachen 16/10289, 16/10693, 16/10901)

Tagesordnungspunkt 32:

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-schusses für Arbeit und Soziales zu dem An-trag der Abgeordneten Katja Kipping, KlausErnst, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordne-ter und der Fraktion DIE LINKE: Wohnungs-losigkeit vermeiden – Wohnungslose unter-stützen – SGB II überarbeiten(Drucksachen 16/9487, 16/10906) . . . . . . . . .

Maria Michalk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .

Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) . . . . . . . . . .

Heinz-Peter Haustein (FDP) . . . . . . . . . . . . .

Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . .

Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 33:

Zweite und dritte Beratung des von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur Einführung Unterstützter Be-schäftigung(Drucksachen 16/10487, 16/10905) . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 34:

Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle,Martin Zeil, Birgit Homburger, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion der FDP: Wirt-schaftliche Dynamik fördern – Gewerbe-anmeldungen entbürokratisieren(Drucksache 16/9338) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20103 A

20103 B

20104 B

20105 B

20105 D

20106 B

20107 B

20107 D

20107 D

20108 D

20109 C

20110 D

20111 C

20112 D

20113 B

Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) . . . . . . . . . .Dr. Rainer Tabillion (SPD) . . . . . . . . . . . . . .Rainer Brüderle (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . .Sabine Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . . . .Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 35:– Zweite und dritte Beratung des von der

Bundesregierung eingebrachten Entwurfseines Zweiten Gesetzes zur Änderungdes Autobahnmautgesetzes für schwereNutzfahrzeuge(Drucksachen 16/10388, 16/10897) . . . . .

– Bericht des Haushaltsausschusses gemäߧ 96 der Geschäftsordnung(Drucksache 16/10898) . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 36:a) – Zweite und dritte Beratung des von der

Bundesregierung eingebrachten Ent-wurfs eines Zweiten Gesetzes zurÄnderung des Vierten Buches So-zialgesetzbuch und anderer Gesetze(Drucksachen 16/10488, 16/10903) . .

– Bericht des Haushaltsausschusses ge-mäß § 96 der Geschäftsordnung(Drucksache 16/10904) . . . . . . . . . . . .

b) Beschlussempfehlung und Bericht desAusschusses für Arbeit und Soziales zudem Antrag der Abgeordneten WernerDreibus, Dr. Barbara Höll, Ulla Lötzer,weiterer Abgeordneter und der FraktionDIE LINKE: Verstöße gegen den Min-destlohn im Baugewerbe wirksambekämpfen(Drucksachen 16/9594, 16/10902) . . . . . .

Peter Rauen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . .Andreas Steppuhn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . .Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . .Werner Dreibus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . .Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär

BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 37:– Zweite und dritte Beratung des von der

Bundesregierung eingebrachten Entwurfseines Investitionszulagengesetzes 2010(InvZulG 2010)(Drucksachen 16/10291, 16/10496,16/10886) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20113 B20114 C20115 D20116 B

20117 A

20117 D

20117 D

20118 A

20118 B

20118 B20118 C20120 A20121 D20123 A

20123 C

20124 B

20125 B

Page 9: Deutscher Bundestagdipbt.bundestag.de/dip21/btp/16/16187.pdf · Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitz ung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 V b) Beschlussempfehlung

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 IX

– Bericht des Haushaltsausschusses gemäߧ 96 der Geschäftsordnung(Drucksache 16/10917) . . . . . . . . . . . . . . .

Simone Violka (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Christian Ahrendt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . .

Manfred Kolbe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .

Dorothée Menzner (DIE LINKE) . . . . . . . . . .

Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 38:

– Zweite und dritte Beratung des von denFraktionen der CDU/CSU und der SPDeingebrachten Entwurfs eines Ersten Ge-setzes zur Änderung des Bundeseltern-geld- und Elternzeitgesetzes (Drucksachen 16/9415, 16/10689) . . . . . .

– Zweite und dritte Beratung des von derBundesregierung eingebrachten Entwurfseines Ersten Gesetzes zur Änderung desBundeselterngeld- und Elternzeitgeset-zes(Drucksachen 16/10118, 16/10689) . . . . .

Tagesordnungspunkt 39:

Zweite und dritte Beratung des von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurfs einesGesetzes über den Zugang zu digitalen Geo-daten (Geodatenzugangsgesetz – GeoZG)(Drucksachen 16/10530, 16/10580, 16/10892)

Ulrich Petzold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .

Gerd Bollmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Horst Meierhofer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . .

Lutz Heilmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . .

Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 40:

Zweite und dritte Beratung des von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurfs einesGesetzes über das Personal der Bundes-agentur für Außenwirtschaft (BfAI-Perso-nalgesetz – BfAIPG)(Drucksachen 16/10293, 16/10664, 16/10883)

Erich G. Fritz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . .

Rolf Hempelmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . .

Ulrike Flach (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20125 B

20125 C

20127 B

20127 D

20128 D

20129 C

20130 D

20130 D

20131 B

20131 C

20132 D

20133 A

20133 D

20134 D

20135 C

20135 D

20136 B

20137 A

Ulla Lötzer (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 41:

– Zweite und dritte Beratung des von denFraktionen der CDU/CSU und der SPDeingebrachten Entwurfs eines SechstenGesetzes zur Änderung des Urheber-rechtsgesetzes(Drucksachen 16/10569, 16/10894) . . . . .

– Zweite und dritte Beratung des von denAbgeordneten Jerzy Montag, Volker Beck(Köln), Kai Gehring, weiteren Abgeordne-ten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines… Gesetzes zur Änderung des Urheber-rechtsgesetzes(Drucksachen 16/10566, 16/10894) . . . . .

Dr. Günter Krings (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .

Dirk Manzewski (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . .

Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 42:

Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Fünften Geset-zes zur Änderung des Zweiten BuchesSozialgesetzbuch(Drucksache 16/10811) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Karl Schiewerling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .

Angelika Krüger-Leißner (SPD) . . . . . . . . . .

Heinz-Peter Haustein (FDP) . . . . . . . . . . . . .

Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . .

Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 43:

Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurÄnderung des Zugewinnausgleichs- undVormundschaftsrechts(Drucksache 16/10798) . . . . . . . . . . . . . . . . .

20137 C

20138 A

20138 C

20138 C

20138 D

20140 B

20141 A

20141 D

20142 D

20143 C

20144 B

20144 C

20145 A

20146 B

20146 C

20148 D

20149 D

20150 B

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X Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Tagesordnungspunkt 44:

Zweite und dritte Beratung des von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur Neufassung des Raumord-nungsgesetzes und zur Änderung andererVorschriften (GeROG)(Drucksachen 16/10292, 16/10332, 16/10900)

Tagesordnungspunkt 45:

a) – Zweite und dritte Beratung des von derBundesregierung eingebrachten Ent-wurfs eines Gesetzes zur Änderungdes Staatsangehörigkeitsgesetzes(Drucksachen 16/10528, 16/10695,16/10913) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

– Zweite und dritte Beratung des vomBundesrat eingebrachten Entwurfs ei-nes … Gesetzes zur Änderung desStaatsangehörigkeitsgesetzes (StAG)(Drucksachen 16/5107, 16/10913) . . .

– Zweite und dritte Beratung des vonden Abgeordneten Josef PhilipWinkler, Hans-Christian Ströbele,Monika Lazar, weiteren Abgeordne-ten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-wurfs eines Gesetzes zur Änderungdes Staatsangehörigkeitsrechtes(Drucksachen 16/2650, 16/10913) . . .

b) Beschlussempfehlung und Bericht des In-nenausschusses

– zu dem Antrag der AbgeordnetenSevim Dağdelen, Ulla Jelpke, PetraPau, weiterer Abgeordneter und derFraktion DIE LINKE: Einbürgerun-gen erleichtern – Ausgrenzungenausschließen

– zu dem Antrag der AbgeordnetenSevim Dağdelen, Wolfgang Nešković,Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneterund der Fraktion DIE LINKE: Für dieAbschaffung der Optionspflicht imStaatsangehörigkeitsgesetz

– zu dem Antrag der AbgeordnetenSevim Dağdelen, Ulla Jelpke,Dr. Hakki Keskin, Petra Pau und derFraktion DIE LINKE: Klare Grenzenfür die Rücknahme und den Verlustder deutschen Staatsangehörigkeitziehen

(Drucksachen 16/1770, 16/9165,16/9654, 16/10913) . . . . . . . . . . . . . . . . .

20150 C

20151 A

20151 A

20151 A

20151 C

Tagesordnungspunkt 46:

Zweite und dritte Beratung des von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurfs einesDüngegesetzes(Drucksachen 16/10032, 16/10874) . . . . . . . .

Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . .

Anlage 2

Erklärung nach § 31 GO der AbgeordnetenRenate Blank (CDU/CSU) zur namentlichenAbstimmung über die Anträge: Missbilligungder Amtsführung und Entlassung von Bun-desminister Wolfgang Tiefensee (Tagesord-nungspunkt 17 und Zusatztagesordnungs-punkt 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 3

Erklärung nach § 31 GO der AbgeordnetenRenate Gradistanac (SPD) zur namentlichenAbstimmung über die Anträge: Missbilligungder Amtsführung und Entlassung von Bun-desminister Wolfgang Tiefensee (Tagesord-nungspunkt 17 und Zusatztagesordnungs-punkt 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 4

Erklärung nach § 31 GO des AbgeordnetenGeorg Brunnhuber (CDU/CSU) zur namentli-chen Abstimmung über die Anträge: Missbil-ligung der Amtsführung und Entlassung vonBundesminister Wolfgang Tiefensee (Tages-ordnungspunkt 17 und Zusatztagesordnungs-punkt 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 5

Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichenAbstimmung über die Beschlussempfehlungzu dem Antrag der Bundesregierung: Fortset-zung des Einsatzes bewaffneter deutscherStreitkräfte bei der Unterstützung der gemein-samen Reaktion auf terroristische Angriffegegen die USA auf Grundlage des Artikels 51der Satzung der Vereinten Nationen und desArtikels 5 des Nordatlantikvertrags sowie derResolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001)

20152 B

20152 D

20153 A

20155 A

20155 B

20155 C

20155 C

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 XI

des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen(Tagesordnungspunkt 18 a)

Angelika Graf (Rosenheim) (SPD) . . . . . . . . .

Lothar Mark (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Wolfgang Spanier (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . .

Lydia Westrich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 6

Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmungüber den Entwurf eines Gesetzes zur Ände-rung des Gesetzes über die Überführung derAnteilsrechte an der Volkswagenwerk Gesell-schaft mit beschränkter Haftung in privateHand (Tagesordnungspunkt 29)

Thomas Bareiß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .

Clemens Binninger (CDU/CSU) . . . . . . . . . .

Gunther Krichbaum (CDU/CSU) . . . . . . . . . .

Anlage 7

Erklärung nach § 31 GO der AbgeordnetenPeter Albach, Manfred Grund, ChristianHirte, Antje Tillmann und Volkmar UweVogel (alle CDU/CSU) zur Abstimmung überden Entwurf eines Zweiten Gesetzes zurÄnderung des Autobahnmautgesetzes fürschwere Nutzfahrzeuge (Tagesordnungs-punkt 35) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 8

Erklärung des Abgeordneten Volker Beck(Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zurAbstimmung über den Entwurf einesGesetzes zur Änderung des Bundesbesol-dungsgesetzes (186. Sitzung, Tagesordnungs-punkt 8 c) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 9

Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung:Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderungdes Telekommunikationsgesetzes (186. Sit-zung, Tagesordnungspunkt 11)

Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 10

Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratungdes Antrags: Die Schaffung einer Individual-

20155 D

20156 C

20157 A

20157 B

20157 C

20158 B

20158 C

20158 D

20159 A

20159 B

20159 B

beschwerde im Rahmen des Übereinkom-mens über die Rechte des Kindes (Tagesord-nungspunkt 24)

Thomas Mahlberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .

Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Miriam Gruß (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Diana Golze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . .

Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 11

Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung:

– Entwurf eines Gesetzes zur Änderung desGesetzes über die Überführung der An-teilsrechte an der Volkswagenwerk Gesell-schaft mit beschränkter Haftung in privateHand

– Entwurf eines Gesetzes zur Änderung desVW-Gesetzes

(Tagesordnungspunkt 29)

Paul K. Friedhoff (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 12

Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratungder Beschlussempfehlung und des Berichts:Verdeckte Armut bekämpfen – Rechte wahr-nehmen, unabhängige Sozialberatung auswei-ten und Selbsthilfeinitiativen unterstützen(Tagesordnungspunkt 26)

Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Rolf Stöckel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Heinz-Peter Haustein (FDP) . . . . . . . . . . . . .

Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . .

Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 13

Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung:

– Entwurf eines Gesetzes zur arbeits-marktadäquaten Steuerung der Zuwande-rung Hochqualifizierter und zur Änderungweiterer aufenthaltsrechtlicher Regelun-gen (Arbeitsmigrationssteuerungsgesetz)

20160 C

20161 C

20162 B

20163 B

20164 A

20165 A

20166 B

20166 D

20168 A

20169 C

20170 C

20171 C

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XII Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

– Entwurf eines Gesetzes zur Änderung desGesetzes zur Steuerung und Begrenzungder Zuwanderung und zur Regelung desAufenthalts und der Integration vonUnionsbürgern und Ausländern (Zuwan-derungsgesetz)

– Beschlussempfehlung und Bericht: Zu-wanderung durch ein Punktesystem steu-ern – Fachkräftemangel wirksam bekämp-fen

(Tagesordnungspunkt 27 a und b)

Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . .

Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . .

Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . .

Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 14

Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratungdes Antrags: Sicherung der interkommunalenZusammenarbeit (Tagesordnungspunkt 28)

Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .

Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD) . . . . .

Paul K. Friedhoff (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . .

Ulla Lötzer (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . .

Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 15

Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratungdes Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisie-rung und Entbürokratisierung des Steuerver-fahrens (Steuerbürokratieabbaugesetz) (Ta-gesordnungspunkt 21 b)

Manfred Kolbe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .

Gabriele Frechen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . .

Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 16

Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratungdes Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserungder Rahmenbedingungen für die Absicherungflexibler Arbeitszeitregelungen (Tagesord-nungspunkt 31)

20172 D

20175 B

20176 B

20177 A

20178 D

20179 C

20180 D

20181 B

20182 A

20182 C

20183 A

20184 C

20185 C

20186 B

20187 A

Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU) . . . . . . . .

Wolfgang Grotthaus (SPD) . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . .

Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 17

Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratungdes Entwurfs eines Gesetzes zur EinführungUnterstützter Beschäftigung (Tagesordnungs-punkt 33)

Hubert Hüppe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .

Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) . . . . . . . . .

Dr. Erwin Lotter (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . .

Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 18

Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratungdes Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Än-derung des Autobahnmautgesetzes fürschwere Nutzfahrzeuge (Tagesordnungs-punkt 35)

Wilhelm Josef Sebastian (CDU/CSU) . . . . . .

Uwe Beckmeyer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Jan Mücke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Lutz Heilmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . .

Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Achim Großmann, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 19

Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratungder Entwürfe eines Ersten Gesetzes zur Ände-rung des Bundeselterngeld- und Elternzeitge-setzes (Tagesordnungspunkt 38)

Ingrid Fischbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .

Dieter Steinecke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Ina Lenke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20187 D

20189 A

20189 C

20190 D

20191 C

20192 B

20193 A

20194 B

20195 A

20195 D

20196 C

20197 D

20198 C

20200 A

20201 A

20201 D

20202 D

20203 B

20204 B

20206 A

20207 B

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 XIII

Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . .

Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 20

Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratungdes Entwurfs eines Gesetzes zur Änderungdes Zugewinnausgleichs- und Vormund-schaftsrechts (Tagesordnungspunkt 43)

Ute Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . .

Christine Lambrecht (SPD) . . . . . . . . . . . . . .

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . .

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Alfred Hartenbach, Parl. StaatssekretärBMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 21

Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratungdes Entwurfs eines Gesetzes zur Neufassungdes Raumordnungsgesetzes und zur Ände-rung anderer Vorschriften (GeROG) (Tages-ordnungspunkt 44)

Enak Ferlemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .

Petra Weis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Patrick Döring (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Heidrun Bluhm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . .

Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20207 D

20208 C

20209 B

20210 D

20212 B

20213 B

20213 D

20214 C

20215 C

20216 C

20217 C

20218 C

20219 B

20220 A

Anlage 22

Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung:

– Entwurf eines Gesetzes zur Änderung desStaatsangehörigkeitsgesetzes

– Entwurf eines … Gesetzes zur Änderungdes Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG)

– Entwurf eines Gesetzes zur Änderung desStaatsangehörigkeitsrechtes

– Beschlussempfehlung und Bericht:

– Antrag: Einbürgerungen erleichtern –Ausgrenzungen ausschließen

– Antrag: Für die Abschaffung der Op-tionspflicht im Staatsangehörigkeitsge-setz

– Antrag: Klare Grenzen für die Rück-nahme und den Verlust der deutschenStaatsangehörigkeit ziehen

(Tagesordnungspunkt 45 a und b)

Günter Baumann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .

Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . .

Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . .

Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 23

Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratungdes Entwurfs eines Düngegesetzes (Tagesord-nungspunkt 46)

Johannes Röring (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .

Gustav Herzog (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Edmund Peter Geisen (FDP) . . . . . . . . . .

Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . .

Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20221 B

20222 B

20223 B

20224 C

20225 D

20226 B

20227 A

20227 D

20228 B

20229 B

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 19963

(A) (C)

(B) (D)

187. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

Beginn: 9.30 Uhr

Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Guten Morgen, liebe Kolle-

ginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Ich begrüße Sie alle herzlich.

Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich Ihnen mittei-len, dass der Kollege Horst Seehofer am 5. Novemberauf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag ver-zichtet hat.

(Zurufe von der SPD: Das ist aber schade! – Das bedauern wir aber!)

– Das ist Ihnen vor dieser ultimativen Entscheidung of-fensichtlich nicht mit der gleichen Deutlichkeit vorgetra-gen worden, wie das jetzt nachträglich der Fall ist. – Je-denfalls ergibt sich nun die definitive Konsequenz, dassals Nachfolger der Kollege Matthäus Strebl im Deut-schen Bundestag zu begrüßen ist, der uns bereits aus frü-heren Wahlperioden bestens vertraut ist.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lieber Kollege Strebl, ich begrüße Sie ganz herzlich.Ihnen muss ich besonders wenig erläutern, in welcherguten Gesellschaft Sie sich hier befinden. Wir freuenuns, dass Sie wieder dabei sind und auf die weitere Zu-sammenarbeit.

Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbun-dene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste auf-geführten Punkte zu erweitern:

ZP 5 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-fahren (Ergänzung zu TOP 47)

a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Jörg van Essen,Gudrun Kopp, weiteren Abgeordneten und derFraktion der FDP eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur Wahrung der Rechtssicherheitbei der Telekommunikationsüberwachungund anderen verdeckten Ermittlungsmaßnah-men

– Drucksache 16/10838 –

Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss (f)Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)Ausschuss für Kultur und Medien Federführung strittig

b) Beratung des Antrags der AbgeordnetenWinfried Hermann, Peter Hettlich, Dr. AntonHofreiter, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Feinstaubreduktion im Straßenverkehr fort-setzen – Filteraustausch umsetzen, Prüf- undMessverfahren für Dieselrußpartikelfilter ein-führen

– Drucksache 16/9802 – Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und TechnikfolgenabschätzungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

c) Beratung des Antrags der AbgeordnetenChristine Scheel, Dr. Gerhard Schick, BrittaHaßelmann, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Transparenz an den Finanzmärkten schaffen –Anschleichtaktik bei verdeckten Unterneh-mensübernahmen verhindern

– Drucksache 16/10640 – Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss (f)Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Eckart vonKlaeden, Anke Eymer (Lübeck), weiterer Abge-ordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowieder Abgeordneten Dr. Rolf Mützenich, Gert

Redetext

Page 18: Deutscher Bundestagdipbt.bundestag.de/dip21/btp/16/16187.pdf · Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitz ung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 V b) Beschlussempfehlung

19964 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

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Präsident Dr. Norbert Lammert

Weisskirchen (Wiesloch), Gerd Andres, weitererAbgeordneter und der Fraktion der SPD

Nichtstaatliche militärische Sicherheitsunter-nehmen kontrollieren

– Drucksache 16/10846 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss (f)Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieVerteidigungsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

e) Beratung des Antrags der AbgeordnetenWolfgang Gehrcke, Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und derFraktion DIE LINKE

Pakistan und Afghanistan stabilisieren – Füreine zentralasiatische regionale Sicherheits-konferenz

– Drucksache 16/10845 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss (f)Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieVerteidigungsausschuss

ZP 6 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus-sprache (Ergänzung zu TOP 48)

a) Beratung der Beschlussempfehlung und desBerichts des Ausschusses für wirtschaftlicheZusammenarbeit und Entwicklung (19. Aus-schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten ThiloHoppe, Ulrike Höfken, Marieluise Beck (Bre-men), weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Überschüssige Mittel aus EU-Agrarhaushaltfür Bekämpfung der Hungerkrise nutzen

– Drucksachen 16/10591, 16/10912 –

Berichterstattung:Abgeordnete Anette Hübinger Dr. Sascha Raabe Hellmut Königshaus Alexander Ulrich Thilo Hoppe

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Gesundheit (14. Aus-schuss) zu der Unterrichtung durch die Bundesre-gierung

Vorschlag für eine Richtlinie des EuropäischenParlaments und des Rates über die Ausübungder Patientenrechte in der grenzüberschrei-tenden Gesundheitsversorgung (inkl. 11307/08ADD 1 bis 11307/08 ADD 3)KOM(2008) 414 endg.; Ratsdok. 11307/08

– Drucksachen 16/10286 A.55, 16/10911 –

Berichterstattung:Abgeordneter Jens Spahn

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten GrietjeStaffelt, Jerzy Montag, Manuel Sarrazin, weitererAbgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Internetnutzerinnen und -nutzer nicht mas-senhaft kriminalisieren – Novellierung desEU-Telekommunikationspaketes nicht fürUrheberrechtsregelungen missbrauchen

– Drucksache 16/10843 –

ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIELINKE:

Bahnchef Mehdorn ablösen, Verkehrsminis-ter Tiefensee entlassen, Börsengang der Deut-schen Bahn endgültig absagen

ZP 7 Beratung des Antrags der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN

Missbilligung der Amtsführung und Entlas-sung von Bundesminister Wolfgang Tiefensee

– Drucksache 16/10918 –

Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.

Der Tagesordnungspunkt 21 a – dabei handelt es sichum das Jahressteuergesetz 2009 – muss abgesetzt wer-den. In der Folge sollen die Tagesordnungspunkte 23,25, 29 und 21 b jeweils nach den Tagesordnungspunkten20, 22, 24 und 28 aufgerufen werden. – Das scheint nie-manden wirklich zu beunruhigen, sodass wir das so ver-einbaren können.

Schließlich ist vorgesehen, den Entwurf des Erb-schaftsteuerreformgesetzes auf den Drucksachen 16/7918und 16/8547 nachträglich gemäß § 96 unserer Ge-schäftsordnung zusätzlich an den Haushaltsausschusszur Mitberatung zu überweisen:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reformdes Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts(Erbschaftsteuerreformgesetz – ErbStRG)

– Drucksachen 16/7918, 16/8547 – überwiesen:Finanzausschuss (f)Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft und VerbraucherschutzAusschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

Sind Sie auch damit einverstanden? – Das ist offenkun-dig der Fall. Dann ist das so beschlossen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Ehrentri-büne hat der Präsident des Storting des KönigreichsNorwegen, Herr Thorbjørn Jagland, mit seiner Dele-gation Platz genommen.

(Beifall)

Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen des Deut-schen Bundestages, von denen Ihnen einige bereits in

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 19965

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Präsident Dr. Norbert Lammert

den letzten Tagen begegnet sind, begrüße ich Sie ganzherzlich.

Sehr geehrter Herr Präsident, es ist uns eine großeFreude, Sie und Ihre Begleitung zu einem offiziellen Be-such in Deutschland zu Gast zu haben. Der DeutscheBundestag misst der Zusammenarbeit unserer Parla-mente – gerade wegen der immer größeren Bedeutungder europäischen Kooperation – große Bedeutung bei.Ihr Besuch in Deutschland ist Ausdruck der freund-schaftlichen und engen Beziehungen. Wir hatten schongestern Gelegenheit, unsere gemeinsame Freude darüberzum Ausdruck zu bringen, dass nicht nur die Beziehun-gen zwischen unseren Ländern exzellent sind, sonderndass sich auch und gerade die Beziehungen zwischen un-seren Parlamenten in den vergangenen Jahren in einererfreulichen Weise vertieft haben. Daran wollen wir wei-terarbeiten. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einenangenehmen und ergebnisreichen Aufenthalt in Deutsch-land. Herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 15 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förde-rung von Familien und haushaltsnahen Dienst-leistungen (Familienleistungsgesetz – FamLeistG)

– Drucksache 16/10809 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss (f)Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für GesundheitAusschuss für Bildung, Forschung und TechnikfolgenabschätzungHaushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. –Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann können wir soverfahren.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächstdie Kollegin Lydia Westrich für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Lydia Westrich (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Guten Morgen, Kolle-

ginnen und Kollegen! Heute bringen wir den Entwurf ei-nes Familienleistungsgesetzes ein, und darüber freue ichmich sehr. Vor kurzem habe ich in einer Zeitung gelesen,das Klügste, was ein Politiker oder eine Politikerin beimThema Kindergeld machen könne, sei es, einfach zuschweigen. Wir können hierbei im Grunde nichts richtigmachen. Erhöhen wir das Kindergeld, dann ist es nichtgenug; lehnen wir eine Erhöhung ab, dann sind wir na-türlich familienfeindlich. Erhöhen wir den Kinderfreibe-trag, dann nützt es nur den Besserverdienenden; machenwir es nicht, verstoßen wir gegen die Verfassung.

Diese Zeitungsbeschreibung erinnert mich an einigeAnhörungen, Briefe und Presseerklärungen aus den letz-ten Jahren, die unsere Gesetze, die Kindergelderhöhun-

gen beinhaltet haben, regelmäßig begleitet haben. Ichhabe mindestens vier dieser Gesetze bereits mutig mit-gestalten können, und jedes von ihnen hat die Situationder Familien verbessert. Deswegen arbeite ich auch die-ses Mal voll Lust daran mit, trotz aller Widrigkeiten, dieuns bestimmt ins Haus stehen werden.

Als ich 1990 in den Bundestag kam, haben wir fürKindergeld und Kinderfreibetrag umgerechnet geradeeinmal 5,7 Milliarden Euro ausgegeben. 2005/2006, also15 Jahre später, waren es dann über 35 Milliarden Euro.Das Volumen hat sich in dieser Zeit also verfünffacht,und jeder Cent davon ist gut angelegt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Mit diesem Gesetz kommen noch einmal2 Milliarden Euro hinzu. Der Kinderfreibetrag wird aufdas neu ausgerechnete sächliche Existenzminimum fürKinder von 6 024 Euro angehoben. Im Gesetz steht zwarnoch der Betrag von 6 000 Euro; hier war das Kabinettmit seiner Entscheidung schneller als die Rechner.Schon bei der Einbringung können wir also diesen Än-derungsantrag ankündigen. Noch einmal: Der Kinder-freibetrag beläuft sich auf 6 024 Euro. Das Kindergeldwird pro Kind um 10 Euro erhöht; ab dem dritten Kindkommen weitere 6 Euro hinzu.

„Das ist gut“, hat meine Mitarbeiterin gesagt, „dahabe ich ja schon die Hälfte meiner Mieterhöhung wie-der herein; jeden Monat 20 Euro mehr kann man gutbrauchen.“ Meine Nachbarin ist eine alleinerziehendeMutter und Studentin. Sie hat mir erzählt, dass sie nunendlich ein kleines Sparbuch anlegen wird.

So bescheiden die Erhöhung für die einzelnen Fami-lien ausfällt, so summieren sich die Ausgaben ja dochauf mehr als 2 Milliarden Euro. Dazu addieren Sie, liebeKolleginnen und Kollegen, das Kindertagesstättenaus-bauprogramm mit 4 Milliarden Euro, die letzten Restevom Ganztagsschulprogramm, die Abzugsfähigkeit vonKinderbetreuungskosten, also für Kindergartenbeiträge,Tagesmütter usw., die Anhebung des BAföG, die Anhe-bung des Wohngeldes, das erfolgreiche Elterngeld unddie Erhöhung des Kinderzuschlages. Damit erreichenwir innerhalb von nur zwei Jahren eine mehr als statt-liche Summe, die die Große Koalition den Familien zurVerfügung gestellt hat.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Bei all diesen Maßnahmen haben wir immer die indi-viduellen Lebensplanungen der Familien berücksichtigt,also keine Direktiven ausgegeben, sondern Angeboteunterbreitet, die die bunte Vielfalt der Lebensformen un-terstützen und fördern. Dabei ist der Ausbau der Kin-dertagesbetreuung ein ganz besonders wichtiger Schrittfür uns gewesen, versehen mit einem Rechtsanspruch,über den sich die SPD-Fraktion selbstverständlich be-sonders freut. Ich habe nicht geglaubt, dass wir für dieFamilien so weit vorankommen werden.

Die Unterstützung der verschiedenen Familien- undLebensphasen gilt auch für den zweiten Bereich des Fa-

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19966 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

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Lydia Westrich

milienleistungsgesetzes, das mit vollem Namen „Gesetzzur Förderung von Familien und haushaltsnahen Dienst-leistungen“ heißt. Versuche, die Rolle von Haushaltenals Arbeitgeber zu forcieren und den hohen Anteil vonSchwarzarbeit in diesem Bereich zurückzudrängen, lau-fen schon seit vielen Jahren mit mehr oder minder vielErfolg.

Es gibt viele Studien, die einen hohen Arbeitskräfte-bedarf im Bereich haushaltsnaher Dienstleistungen fest-stellen, aber so richtig im Fluss ist dies noch nicht, vorallem im Hinblick auf legale, sozialversicherungspflich-tige Beschäftigungsverhältnisse. Bisher waren die För-dermöglichkeiten in Regelungen hierzu in verschiedens-ten Bereichen versteckt, sodass die Leute sie kaumfinden konnten. Mit diesem Gesetz ist es nun gelungen,alle Regelungen zu Steuerermäßigungen in Bezug aufhaushaltsnahe Dienstleistungen und Beschäftigungsver-hältnisse übersichtlich in einem Paragrafen des Einkom-mensteuerrechts zu verankern. Zudem haben wir denUmfang der Förderung erheblich ausgeweitet.20 Prozent auf alles, angelehnt an einen bekannten Wer-beslogan, kann man hier sagen. Ob Kochen, Putzen, Bü-geln oder Pflegeleistungen zusätzlich zur familiärenPflege oder im betreuten Wohnen oder im Heim – dieKosten für diese Dienstleistungen mindern die tariflicheEinkommensteuer der Auftraggeber. Es sind nicht ein-fach nur Freibeträge, die sich erst bei den Beziehern hö-herer Einkommen richtig vorteilhaft auswirken, sondernes ist ein Abzug von der Steuerschuld, der sich auch beiBeziehern kleiner Einkommen voll bemerkbar machenwird. Ich bin sehr froh darüber, dass die SPD-Bundes-tagsfraktion das durchsetzen konnte.

(Beifall bei der SPD)

Meine andere Nachbarin ist eine alte Dame, die zurFamilie ihrer Tochter gezogen ist, um dort besser ver-sorgt zu werden. Sie hat ihr altes Haus im Dorf vermietetund zahlt deshalb etwas an Steuern. Sie hat richtig ge-strahlt, als ich ihr erklärte, dass sie die Kosten für ihreBügelfrau aus der Sozialstation nun von der Steuer ab-setzen kann. Da könne sie sich nächstes Jahr noch einpaar Stunden mehr Hilfe von der Sozialstation erlauben,sagte sie. Das hat sie ganz glücklich gemacht.

Das bewirkt genau das, was wir mit dieser Förderungerreichen wollen: Stabilisierung und Ausweitung sozial-versicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse beiSozialstationen, Dienstleistungsagenturen, Pflegediens-ten oder wie sie alle heißen und Erleichterung der Fami-lienarbeit in all ihren Facetten, von der Kinderbetreuungbis zur Hilfe bei der Pflege von Angehörigen. Das ist einwichtiger Baustein bei den Bemühungen, Familie undBeruf unter einen Hut zu bekommen.

Für mich ist das eine ganz besondere Familienförde-rung. Der steuersubventionierte Einkauf von Leistungenschenkt der Familie Zeit für sich und das Zusammenle-ben. Man muss nicht mehr sagen: „Schönes Wetter, aberschade, ich muss Fenster putzen“, sondern kann mit denKindern unbeschwert den Gang ins Grüne antreten oderden genussreichen Friseurbesuch machen, während dieOma gut versorgt zu Hause ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das sind immer nur ganz kleine Facetten, aber – dasmüssen Sie zugeben, Kolleginnen und Kollegen – diesemachen die Lebensqualität von Familien erst aus, unddas unterstützen wir bei Familien nachhaltig. Ich bin da-von überzeugt, dass die Ausweitung und Vereinfachungder Förderung von haushaltsnahen Dienstleistungen einguter Beitrag dazu ist.

(Beifall bei der SPD)

Der dritte wichtige Punkt des Gesetzentwurfs ist dasSchulbedarfspaket. Das lässt mich nun wirklich mit ei-nem lachenden und einem weinenden Auge hier stehen.Lange, lange hat die SPD-Fraktion für dieses Schulbe-darfspaket gekämpft. Ich habe mich schon geschämt,wenn die Caritas mir wieder Briefe geschickt hat, in de-nen sie auf die finanziellen Grenzen von Hartz-IV-Emp-fängern bei der Schulbedarfsbeschaffung hingewiesenhat. Nun haben wir das Paket in diesem Gesetzentwurfverankert. 100 Euro pro Kind pro Schuljahr, das ist eineechte Hilfe für Familien, die ihren Kindern trotz Schul-buchgutscheinen und Ähnlichem nicht das erforderlicheMaterial – Schulranzen, Farbkästen, Hefte usw. – zurVerfügung stellen können. Ich freue mich schon auf denBrief, den ich jetzt an die Caritas schreiben kann.

Aber – das ist der große Wermutstropfen für mich unddie gesamte sozialdemokratische Bundestagsfraktion –dieses Schulbedarfspaket ist bis zum 10. Schuljahr be-fristet, und das darf nicht sein. Gerade die Familien, diees trotz niedrigstem Einkommen schaffen, ihren Kinderneine gute Schulausbildung zu ermöglichen, dürfen nichtim Regen stehen gelassen werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU, der LINKEN, des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Carl-Ludwig Thiele [FDP])

Hinzu kommt natürlich, dass die Ausgaben in den höhe-ren Schulklassen steigen.

Da appelliere ich noch einmal ganz ausdrücklich anSie, Frau Ministerin von der Leyen. Wir reden viel da-von, dass es darum gehen muss, Wege zu finden, dieKinderarmut zu bekämpfen. Wir dürfen Familien, dieUnterstützung zum Lebensunterhalt benötigen, dochnicht signalisieren: Eure Kinder unterstützen wir nur biszur 10. Klasse, also Hauptschul- oder Realschulab-schluss. – Das ist undenkbar.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetender LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN)

Alle bisherigen Studien, vor allem internationale, be-anstanden in Deutschland die Undurchlässigkeit desSchulsystems. In keinem Land ist die Herkunft für dasBildungsfortkommen so maßgebend wie bei uns. Dasswir diesen, wie ich finde, schrecklichen Makel unseresLandes, in dem doch alle Kinder mit ihren Talenten undFähigkeiten so dringend gebraucht werden, auch nochdurch ein Familienleistungsgesetz sozusagen festschrei-ben, ist für uns Sozialdemokraten unvorstellbar.

(Beifall bei der SPD)

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 19967

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Lydia Westrich

Wir können doch nicht einen höheren Freibetrag fürKinder einführen, die an Privatschulen unterrichtet wer-den – das tun wir, und das ist auch gut –, und fast gleich-zeitig entscheiden, dass wir die jährlich 100 Euro fürKinder aus Hartz-IV-Familien, die sich den Weg zumGymnasium sicher mehr als hart erkämpft haben, nichtübrig haben.

Der dritte Teil dieses Gesetzes bringt den Familien,die es brauchen, wirkliche Erleichterung. Aber die dorti-gen Regelungen müssen entfristet werden. Ich kann mirdas Signal, Bildung ernst zu nehmen, ganz anders vor-stellen: Wir könnten zum Beispiel Kindern aus Familien,die Zuschuss zum Lebensunterhalt benötigen und daselfte Schuljahr besuchen, einen höheren Schulbedarfs-satz zusprechen. Über die Höhe können wir ja noch ge-meinsam diskutieren. Ich hoffe, dass wir uns auch in die-sem Punkt einigen. Dann, Kolleginnen und Kollegen,wird das Gesetz ein weiterer Meilenstein hin zu einernachhaltigen Familienförderung sein. Wir haben mit derErhöhung des Kindergeldes und des Kinderfreibetrages,mit der Ausweitung und Vereinfachung der steuerlichenAbsetzbarkeit von haushaltsnahen Dienstleistungen undmit dem Schulbedarfspaket zur Förderung der Bildung,über das wir sicher noch konstruktiv beraten werden,schon bisher viel für die Familien getan und werden die-sen Weg auch weitergehen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Carl-Ludwig Thiele ist der nächste Redner für die

FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Carl-Ludwig Thiele (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau KolleginWestrich, ich glaube, in einem Punkt stimmen wir beiden Beratungen über dieses Gesetz in diesem Haus über-ein: Unsere Gesellschaft muss familienfreundlicher wer-den.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Um dieses Ziel zu erreichen, darf es nicht allein um dieFrage gehen, welche finanziellen Leistungen gewährtwerden, sondern es muss auch die Grundeinstellungunseres Landes hinterfragt werden, also wie unsere Ge-sellschaft mit Kindern umgeht. Es gibt leider Menschen,die in Bereichen unserer Gesellschaft leben, in denen esgar keine Kontakte mehr zu Kindern gibt. Diese habenkeine Kinder in ihrem Umfeld. Ich finde, wir alle solltenhier gemeinsam dafür Sorge tragen, dass den Bürgernvermittelt wird, welche Freude Kinder bereiten können.Natürlich bereiten Kinder nicht nur Freude, sondern ver-ursachen auch Stress und Anstrengungen, und von älte-ren Kindern wird man vielleicht auch als Vater oderMutter einmal kritisiert werden. Das gehört dazu.

Kinder bereichern unsere Gesellschaft. Dass alle Teileder Gesellschaft von dieser Bereicherung profitieren, da-für sollten wir uns alle gemeinsam einsetzen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowiebei Abgeordneten der SPD, der LINKEN unddes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb halten wir es auch nicht für angezeigt, die ganzeDiskussion über Familien nur auf den finanziellen Teilzu reduzieren. Das habe ich ja gerade in meinem Vor-wort dargestellt. Aber natürlich muss man sich, wennman sich mit der Situation der Familien beschäftigt,auch damit auseinandersetzen, wie die gesellschaftlicheWirklichkeit in unserem Land für die Familien aussieht.Kinderfreundlichkeit der Gesellschaft ist die eine Seiteder Medaille. Kinder kosten aber auch Geld.

Die letzte Erhöhung des Kindergeldes und des Kin-derfreibetrages erfolgten 2002, also vor sieben Jahren.Wir alle wissen, dass seit diesem Zeitpunkt die Preise er-heblich gestiegen sind, nicht zuletzt durch die Mehrwert-steuererhöhung. Seitens der Koalition ist über die Jahrenichts erfolgt, um den Familien zu helfen. Das haben wirschon oft kritisiert; das werden wir weiter kritisieren.Das ist aber auch der Grund, warum wir uns konstruktivin das Gesetzgebungsverfahren einschalten werden. Wirwollen nämlich erreichen, dass den Familien konkreteHilfe zuteil wird.

(Beifall bei der FDP)

Wenn man sich anschaut, wann dieser Gesetzentwurfvom Kabinett verabschiedet wurde, dann stellt man fest,dass er am selben Tag verabschiedet wurde, an dem auchder einheitliche Beitragssatz zur Krankenversiche-rung festgesetzt wurde. Damit einher geht eine deutlicheMehrbelastung für Familien. Den Familien wurde nunzwar suggeriert, man gebe ihnen mehr Geld, aber das,was auf der einen Seite gegeben wurde, wurde auf deranderen Seite schon wieder einkassiert. Das halten wirfür falsch. Wir wollen, dass ein klares und deutliches Si-gnal zugunsten von Kindern und Familien in unserer Ge-sellschaft gesetzt wird.

(Beifall bei der FDP)

In unserem Steuerprogramm für eine niedrige, ein-fache und soziale Steuer sehen wir schon seit Jahren eineinheitliches Kindergeld von 200 Euro und einen ein-heitlichen Kinderfreibetrag von 8 000 Euro pro Kindvor.

(Beifall bei der FDP)

Wir sind auf dem Wege dorthin und werden uns weiterdafür einsetzen. Das haben wir im vergangenen Wahl-kampf gemacht. Das werden wir auch im nächsten ma-chen. Wir bitten Sie allerdings auch, zu prüfen, ob dieErhöhung des Kindergeldes um 10 Euro ausreichend istoder ob es nicht eventuell um 16 Euro erhöht werdensollte. Denn eines muss man den Bürgern unseres Lan-des ja sagen: Das Kindergeld belief sich immer auf glatteZehnerbeträge: Bis 1996 waren es 70 DM, dann stieg es auf200 DM, 220 DM, 250 DM, 270 DM und dann auf300 DM. Die 300 DM wurden krumm auf Euro umge-rechnet. Seitdem beläuft sich das Kindergeld auf

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19968 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

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Carl-Ludwig Thiele

154 Euro. Ich bitte zu prüfen, ob das weiter sein muss;denn sonst kommt jemand auf die Idee, zu sagen: Mo-ment, müssen es 164 Euro sein, oder sollen es nicht164,50 Euro sein? An dieser Stelle passt es dann nichtmehr richtig, sodass ich an Sie appelliere: Geben Siesich einen Ruck und kehren Sie zurück zu den glattenBeiträgen!

(Beifall bei der FDP)

Wir wissen um die Haushaltsnot. Das ist völlig klar.Wir wollen auch nicht mit der Gießkanne über das Landgehen. Wir brauchen aber klare Regelungen und klareBestimmungen, gerade in diesem Bereich. Insofern wäreich dankbar, wenn Sie im Gesetzgebungsverfahren hie-rüber noch einmal nachdenken könnten.

Dieser Appell gilt insbesondere auch für den Kinder-freibetrag; denn die Gewährung des Kinderfreibetragsist kein Almosen des Staates. Sie beruht auf dem Rechteines jeden Bürgers, seine Existenz aus unversteuertemEinkommen bestreiten zu dürfen.

(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Dr. Barbara Höll [DIE LINKE])

Insofern ist dies eine Bringschuld, die der Staat zu erfül-len hat. Es ist schon erstaunlich, dass auf unsere Forde-rungen auf Erhöhung hin in den vergangenen Jahren im-mer gesagt wurde, man könne noch nicht entscheiden, dader Bericht zum Existenzminimum noch nicht vorliege.Jetzt erleben wir, dass die Koalition entschieden hat,ohne dass der Bericht zum Existenzminimum vorliegt.An dieser Stelle zeigt sich, dass diese Argumentations-kette über die vergangenen Monate und Jahre hinwegüberhaupt nicht gehalten hat und überhaupt nicht haltenkann.

(Beifall bei der FDP)

Sie wollten die Erhöhung des Kindesgeldes und desKinderfreibetrages nicht. Haushaltszwänge konzedierenwir. Dass diese aber zulasten der Familien gegangensind, das halten wir für falsch.

(Beifall bei der FDP)

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ichmöchte zum Schulbedarfspaket, das Sie angesprochenhaben, Frau Kollegin Westrich, einige Ausführungenmachen. Ich halte es für einen Fehler des Gesetzgebers,dass seinerzeit im Rahmen der Hartz-IV-Gesetzgebungdie notwendigen Ausgaben für Bildung nicht berück-sichtigt wurden. Man orientierte sich an den Erwachse-nen. Man unterstellte, dass sie bereits Bildung hätten.Für die Kinder wurde analog zu den Erwachsenen einniedrigerer Förderbetrag vorgesehen.

In vielen Kommunen haben sich deshalb Bürgerinitia-tiven gebildet. Viele Bürger haben gesagt: Wir sehen anunseren Mitbürgern, welche Not die Einzelnen haben,die nicht in der Lage sind, den Kindern Schulhefte, Stifteund Ähnliches zu kaufen. Wir wollen hier tätig werden.

Im ganzen Land verteilt gibt es inzwischen zig Ver-eine, wie zum Beispiel „Kinder in Not“ in Osnabrück,die helfen und tätig werden wollen. Die FDP hat denVorstand dieses Vereins zur Anhörung eingeladen.

Wir bitten Sie zu überprüfen, ob der Gesetzentwurf,so wie er angedacht ist, richtig ist; denn im Gesetzent-wurf findet sich aus meiner Sicht ein Passus, der disku-tiert werden sollte. Dort heißt es: Wenn diese 100 Eurogewährt werden, dann kann im begründeten Einzelfallein Nachweis über die Verwendung des Geldes gefordertwerden.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ichzitiere Finanzminister Steinbrück aus einem Interviewmit der Zeit vom 24. April dieses Jahres.

Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Thiele.

Carl-Ludwig Thiele (FDP): Ich komme zum Ende, Herr Präsident.

Was ist besser für die Kinder, eine Kindergelderhö-hung im Wert von zwei Schachteln Zigaretten be-ziehungsweise drei Pils – oder der Ausbau der Be-treuungsinfrastruktur …?

Insofern möchte ich an Sie alle appellieren. Wer will,dass dieses Geld tatsächlich bei den Kindern ankommt,die es benötigen, sollte überlegen, aus dieser Kannbe-stimmung eine Sollbestimmung zu machen. Konkretwerden wir im Finanzausschuss erörtern, wie wir sicher-stellen können, dass dieses Geld tatsächlich dort an-kommt, wo es unserer Meinung nach ankommen soll.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Bundesministerin Dr. Ursula

von der Leyen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin fürFamilie, Senioren, Frauen und Jugend:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundes-regierung hat beherzte Schritte in der Familienpolitik un-ternommen. Wir haben das Elterngeld eingeführt. Wirbeschleunigen den Ausbau der Kinderbetreuung durchgezielte Investitionen in Höhe von 4 Milliarden Euro.Gerade bei diesen beiden Themen – Vereinbarkeit vonFamilie und Beruf sowie frühkindliche Bildung – bestehtin Deutschland großer Nachholbedarf. Deshalb ist dieseInvestition richtig.

Mit dem heute zu beratenden Familienleistungsgesetzwird eine dritte, ebenso unverzichtbare Säule gestärkt,nämlich die Ausgleichszahlungen an die Familien, dieKinder erziehen. Familien mit Kindern – da stimme ichmit Ihnen vollkommen überein, Herr Thiele – erfahrensicherlich ein ganz großes persönliches Glück durchdiese Kinder. Aber Familien mit Kindern investierenauch Tag für Tag Zeit, Kraft, Geld und Zuwendung indie nächste Generation. Davon profitieren alle in diesemLand. Deshalb ist es richtig, dass Familien mit Kindernweniger besteuert werden als andere. Deshalb ist es auch

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 19969

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Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen

richtig, dass Familien mit Kindern, die kleine Einkom-men haben und die nicht von Steuererleichterungen pro-fitieren, Ausgleichszahlungen über das Kindergeld be-kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das sehen die Menschen in Deutschland auch so. DasKindergeld ist die familienpolitische Leistung mit demhöchsten Ansehen in der Bevölkerung.

Seit 2002 ist das Kindergeld für das erste und zweiteKind nicht mehr erhöht worden. Wir alle wissen, wieviele Güter des täglichen Bedarfs seitdem teurer gewor-den sind. Der Existenzminimumbericht liegt den Res-sorts zur Abstimmung vor und wird nächste Woche imKabinett behandelt. Dieser Bericht zeigt die Entwick-lung sehr deutlich auf. Es wird also höchste Zeit, Fami-lien genau an dieser Stelle zu entlasten. Das Kindergeldist Schutz vor Armut. Ohne das Kindergeld wären1,7 Millionen mehr Kinder von Armut betroffen. Daszeigt: Das Kindergeld ist keine nachrangige Leistung,sondern es schafft Gerechtigkeit und sozialen Ausgleichin diesem Land.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD und der FDP)

Der Kern des Familienleistungsgesetzes sind das er-höhte Kindergeld und das gestaffelte Kindergeld. Dasgestaffelte Kindergeld ist eine ganz gezielte Leistung– auch in anderen europäischen Ländern –, um kinder-reiche Familien zu stärken. Wir haben in der familien-politischen Debatte zu Recht gefragt, warum die Kin-derlosigkeit in Deutschland so hoch ist. Das über Jahrezu beobachtende Abnehmen der Kinderzahlen hat alsUrsache zwei Phänomene.

Das erste Phänomen ist, dass der Mut fehlte, Familienzu gründen; denn es ist schwierig gewesen – und ist eszum Teil noch –, Beruf und Kindererziehung in Einklangzu bringen. Aber hier scheint sich eine positive Trend-wende in den letzten anderthalb Jahren abzuzeichnen.

Das zweite, weniger bekannte Phänomen ist, dass inDeutschland viel schneller als in anderen Ländern diekinderreiche Familie aus der Mitte der Gesellschaft ver-schwunden ist. Diese Familien brauchen ganz gezielt dasgestaffelte Kindergeld. Hier gilt nach wie vor der rich-tige Satz, dass Kinderreichtum nicht zur Armut führendarf.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Es ist unbestritten: Die kinderreichen Familien habenhöhere Fixkosten. Sie brauchen eine größere Wohnung;sie geben mehr Geld für Heizung, Lebensmittel undKleidung aus; die Waschmaschine läuft häufiger. Daskann man nicht nur durch mehr Arbeit ausgleichen.

Ich habe eingangs gesagt, dass zuletzt 2002 das Kin-dergeld für das erste und zweite Kind erhöht worden ist.Für das dritte Kind und die folgenden Geschwister istdas Kindergeld seit zwölf Jahren, nämlich seit 1996,nicht mehr erhöht worden. Deshalb ist es gut – ichdanke, dass das heute gelingt –, dass wir endlich wieder

das Kapitel des gestaffelten Kindergeldes aufschlagen.Damit wird die besondere Lage der kinderreichen Fami-lie berücksichtigt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

An alle diejenigen, die immer sagen, dass 10 oder16 Euro nichts bringen würden und dass man das Geld inandere Projekte stecken sollte, sage ich: Familien mitdrei Kindern verfügen demnächst über 432 Euro mehrim Jahr. Familien mit vier Kindern verfügen demnächstüber 624 Euro mehr im Jahr. Das ist gut angelegtes Geld.Das höhere Kindergeld ist also keine Förderung nachdem Gießkannenprinzip, sondern wirkt zielgenau fürkinderreiche Familien, für Familien mit kleinen undmittleren Einkommen in der Mitte der Gesellschaft undgegen Kinderarmut.

Das Kindergeld ist nicht der einzige Baustein des Fa-milienleistungsgesetzes. Kinder und Jugendliche aus Fa-milien, die von Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe le-ben, bekommen bis zur 10. Klasse zu Beginn jedesSchuljahres 100 Euro für den Kauf nötiger Schulmateria-lien. Hefte, Bücher, Stifte und Füller – das sind Bil-dungschancen zum Anfassen. Daran darf es keinemKind fehlen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Ein weiterer Baustein des Familienleistungsgesetzesist die Förderung von familienunterstützenden Dienst-leistungen. Das reicht von der Hilfe rund ums Haus bishin zur Versorgung zu pflegender Angehöriger. SolcheDienstleistungen entlasten. Sie bedeuten ganz konkretZeit für Familien. Aber in jedem Fall kosten sie auchGeld. In Zukunft können bis zu 20 000 Euro im Jahr fürsolche Ausgaben steuerlich geltend gemacht werden.Das hat eine doppelte positive Wirkung: Erstens habenFamilien mehr Entlastung im Alltag. Zweitens tragen diefamilienunterstützenden Dienstleistungen gleichzeitig zuWachstum und Beschäftigung in Deutschland bei. Dasist in Zeiten einer nachlassenden Konjunktur wichtig.

Mehr Kindergeld, mehr steuerliche Förderung für Fa-milien mit Kindern, mehr familienunterstützendeDienstleistungen, ein Schulbedarfspaket – das sind vierMaßnahmen, ein Familienleistungspaket, das zielgenauwirkt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Dr. Barbara Höll ist die nächste Rednerin für die

Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir disku-

tieren heute über den Entwurf des FamLeistG, des Fami-lienleistungsgesetzes, ein Gesetz zur Förderung von Fa-milien und haushaltsnahen Dienstleistungen. DieserGesetzentwurf beinhaltet zwei wesentliche Punkte: dieErhöhung des Kindergeldes und des Kinderfreibetrages

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Dr. Barbara Höll

sowie die bessere steuerliche Absetzbarkeit von haus-haltsnahen Dienstleistungen.

Ehrlich gesagt erschließt sich mir nicht ganz der in-nere Zusammenhang zwischen der steuerlichen Förde-rung, sprich der Subventionierung von Reichen und Su-perreichen am Starnberger See für ihre Hausangestelltenund Gärtner, und der Erhöhung des Kindergeldes um10 Euro pro Kind für die Kinder dieser Hausangestell-ten.

In der nächsten Sitzungswoche sollen mit demJahressteuergesetz 2009 und dem Gesetz zur Umsetzungsteuerrechtlicher Regelungen des Maßnahmenpakets Be-schäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung zweiweitere Steuergesetze verabschiedet werden. Man hättezumindest die zweite Hälfte des heute vorliegenden Ge-setzentwurfes dahin packen können. Vielleicht wolltenSie das auch ein bisschen; denn im letztgenannten Ge-setz soll die steuerliche Absetzbarkeit von Handwerker-leistungen bei Instandhaltungs- und Modernisierungs-maßnahmen ausgeweitet und mit Wirkung zum 1. Januarnächsten Jahres auf 1 200 Euro erhöht werden. Im heutezu besprechenden Entwurf des Familienleistungsgeset-zes wird vorgeschlagen, die Inanspruchnahme vonHandwerkerleistungen für Renovierungs-, Erhaltungs-und Modernisierungsmaßnahmen ebenfalls ab dem1. Januar 2009 mit maximal 600 Euro zu fördern. Dasbedeutet also alles in allem eine Senkung der zu zahlen-den Steuern um 1 800 Euro, allerdings nur dann, wennman im nächsten Jahr Handwerkerleistungen für min-destens 10 000 Euro in Anspruch nehmen kann undwird.

Das ist nicht mehr als eine kleine Geste an die Bürge-rinnen und Bürger, aber nichts, was die Konjunkturnachhaltig ankurbeln wird oder tatsächlich von derMehrheit der Menschen in Anspruch genommen werdenkann, da ihnen das Geld dafür fehlt, von einer solchenSubventionierung überhaupt profitieren zu können.

Da ich nicht davon ausgehe, dass die Hausangestellteam Starnberger See – nennen wir sie Frau Beyer – andiesem Thema überaus interessiert ist, lassen Sie michzur Kindergelderhöhung zurückkehren. Frau Beyer hatzwei Kinder, ihre Arbeitgeberin und Villenbesitzerin,Frau Schmidt, ebenfalls. Frau Beyer wird ab dem1. Januar 2009 pro Monat 20 Euro mehr an Kindergeldfür ihre Kinder bekommen, das heißt insgesamt328 Euro pro Monat, pro Kind 164 Euro. Frau Schmidterhält jedoch 210 Euro pro Kind und Monat. Jedes Kindist dem Staat gleich viel wert? Mitnichten! Für Kinderreicher Eltern tun Sie mehr – und das ist sozial unge-recht.

(Beifall bei der LINKEN)

Alternativen? Keine, so die lapidare Feststellung aufSeite 2 des Gesetzentwurfs. Ich zitiere Sie, Frau Ministe-rin:

Wenn man das alles auf ein Niveau bringen will,dann kann man das Ganze doch wohl nicht auf dasniedrigste Niveau herunterstufen. Dann muss manvielmehr lege artis auf das höchste gemeinsame Ni-veau heraufstufen. Das würde 15 Milliarden Euro

kosten – eine Illusion, die mit der Realität wenig zutun hat.

So die Frau Ministerin. Frau von der Leyen, reden Siedoch noch einmal mit Herrn Steinbrück. Er hat inzwi-schen sehr viel Geld gefunden für einen sehr großenSchirm für die Finanzwirtschaft. Er ist sogar bereit, seinunumstößliches Ziel eines schuldenfreien Haushaltes da-für zu verschieben.

(Beifall bei der LINKEN)

Sollte uns die Gleichbehandlung aller Kinder nichtdiese 15 Milliarden Euro Mehrausgaben wert sein? Ichsage: Ja.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein kleiner Tipp von mir: Wenn Sie das Ehegattensplit-ting endlich in eine Individualbesteuerung bei gegensei-tiger Übertragbarkeit des steuerfrei zu stellenden Exis-tenzminimums umwandeln würden, hätten Sie 9 Mil-liarden Euro Steuermehreinnahmen pro Jahr.

(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Fällt Ih-nen noch einmal etwas Neues ein?)

Frau von der Leyen, dann bräuchten Sie mit HerrnSteinbrück nur noch über ganze 6 Milliarden Euro zuverhandeln. Das muss doch wohl möglich sein.

(Beifall bei der LINKEN – JohannesSinghammer [CDU/CSU]: Warum gibt es inBerlin besonders viele arme Kinder?)

Die Anhebung des Kinderfreibetrages nutzt nur FrauSchmidt, nicht jedoch Frau Beyer. Nur für 17 Prozent al-ler Kinder kann der Freibetrag vorteilhaft angesetzt wer-den. Nur deren Eltern haben ein entsprechend hohes Ein-kommen.

Ich gehe davon aus, dass Frau Schmidt Frau Beyer so-zialversicherungspflichtig beschäftigt und anständig be-zahlt. Frau Beyer arbeitet gut und zuverlässig für deut-lich mehr als den von uns vorgeschlagenen Mindestlohnvon 8,50 Euro. Frau Beyer wird sich über die 20 Euromehr pro Monat sehr freuen. Frau Beyer und allen ande-ren sei aber ganz klar gesagt: Sie müssen dafür nieman-dem Danke sagen, weder der CSU noch der SPD, auchder CDU nicht. Diese 10 Euro pro Kind stehen ihnen zu.

(Beifall bei der LINKEN)

Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Eshat vorgegeben, dass der Staat das Einkommen der Steu-erpflichtigen so weit steuerfrei belassen muss, als es zurSchaffung der Mindestvoraussetzungen für ein men-schenwürdiges Dasein benötigt wird.

Die Verschonung gilt für alle Familienmitglieder undumfasst damit explizit auch den Bedarf der Kinder. DieHöhe des steuerlich zu verschonenden Existenzmini-mums hängt von den allgemeinen wirtschaftlichen Ver-hältnissen und dem anerkannten Mindestbedarf ab. Dadieses im Sozialhilferecht bestimmt ist, darf das von derEinkommensteuer zu verschonende Existenzminimumdiesen Betrag nicht unterschreiten. Demnach ist der imSozialhilferecht anerkannte Mindestbedarf die Maß-größe für das einkommensteuerliche Existenzminimum.

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 19971

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Dr. Barbara Höll

Da ich darauf schaue, sage ich Frau Beyer und allen an-deren: Ihnen steht viel mehr zu; denn die Berechnungdes Existenzminimums durch die Bundesregierung spie-gelt die reale Entwicklung nicht wider.

Zum Vergleich: Das sächliche Existenzminimum,welches im Existenzminimumbericht 2008 mit 235 Europro Kind und Monat ausgewiesen wird, ist die eineGröße. Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat nachge-rechnet: Für die Bedarfsdeckung hält er einen Regelsatzin Höhe von 299 Euro pro Monat für notwendig, undzwar mindestens, da dieser Betrag nur für die Alters-gruppe der 0- bis 6-Jährigen gilt und der Bedarf mit hö-herem Alter bekanntlich steigt. Grundlage der Berech-nung ist die Preisentwicklung bei Warengruppen undDienstleistungen, die für die Versorgung von Kindern re-levant sind.

Deshalb ist es notwendig, das Kindergeld sofort stär-ker zu erhöhen, und zwar auf mindestens 200 Euro undin der Folge auf 250 Euro.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die unteren Einkommensgruppen fordern wir, dassdas Kindergeld durch einen entsprechend ausgestaltetenKinderzuschlag so gestaltet wird, dass das Existenzmini-mum insgesamt gesichert ist. Die Verwirklichung dieserVorschläge würde Frau Beyer helfen und Frau Schmidtnicht schlechter stellen. In Deutschland sind Kinder nuneinmal das größte Armutsrisiko. Rund 2 Millionen Kin-der leben in Familien, die mit Hartz IV oder Sozialgeldauskommen müssen. Da ihre Eltern über kein eigenesEinkommen verfügen, ist das Kindergeld für sie einereine Sozialleistung. Damit begründen Sie, dass die Er-höhung des Kindergeldes um 10 Euro pro Kind mit demFamilieneinkommen verrechnet wird. Das heißt im Klar-text: Genau die Familien, die das geringste Einkommenhaben, haben nichts von der Kindergelderhöhung. Dasist ein Skandal!

(Beifall bei der LINKEN)

Sie könnten sofort die Anrechnung aufheben bzw.nicht durchführen, und zwar so lange, bis Sie die Regel-sätze so angepasst haben, dass sie den realen Bedarf de-cken. Wir fordern Sie auf, endlich ernsthaft Bedingun-gen zu schaffen, durch die alle Mütter und Väter in derLage sind, ihre Existenz und die ihrer Kinder tatsächlichfür sich selbst zu erarbeiten. Das umfasst neben einemdichten und qualitativ hochwertigen Netz von Kinderbe-treuungseinrichtungen eine angemessene Bezahlung.Das erfordert gesicherte Arbeitsplätze und gleichenLohn für gleiche Arbeit für Männer und Frauen. Davonsind wir weit entfernt.

(Beifall bei der LINKEN)

Abschließend noch ein Wort zu dem vorgeschlagenenSchulgeld für Schülerinnen und Schüler im Rahmen desSGB II und XII, also Hartz IV und Sozialgeld. Wir be-grüßen dies grundsätzlich und ausdrücklich, vor allemvor dem Hintergrund, dass Sie in der rot-grünen Koali-tion, als Sie die Sozialhilfe umgewandelt haben, alleSonderbedarfe gestrichen haben. Es wird endlich Zeit,dass Sie dies korrigieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Für mich ist es aber völlig unverständlich, dass Sie die-ses Schulgeld auf zehn Schuljahre begrenzen wollen.Meinen Sie zynischerweise, dass die Kinder von Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfängern sowieso zu dumm fürdas Abitur sind? Oder wollen Sie einfach dafür sorgen,dass die Ergebnisse der PISA-Studie auch in ZukunftBestand haben, wonach in Deutschland der Schulab-schluss vom Einkommensstatus der Eltern abhängt?

Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Redezeit.

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Das lehnen wir ab. Machen Sie hier eine tatsächliche

Erweiterung, zahlen Sie es bis zum Abschluss des Abi-turs, also zwölf oder 13 Jahre.

(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Küm-mern Sie sich einmal um die armen Kinder inBerlin!)

Gehen Sie das Thema endlich richtig an – so wie die Fi-nanzmarktkrise –, und sorgen Sie dafür, dass Kindernicht mehr das Armutsrisiko in Deutschland sind!

Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Deligöz für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Frau von der Leyen, Sie sind im Wahlkampf undauch am Anfang der Wahlperiode mit dem Versprechenangetreten, die Familienleistungen in Deutschland, dievielfältig und unübersichtlich, kompliziert und bürokra-tisch sind, zu überprüfen und zu effektivieren. Sie habendazu ein Kompetenzzentrum einberufen, und Sie habenuns viele Berichte geliefert. Herausgekommen ist nichts.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Sie sind mit dem Versprechen angetreten, Gerechtig-keit zu thematisieren, auch im Sinne der Armutsbekämp-fung. Sie sind mit dem Versprechen angetreten, Erzie-hung und Erziehungsleistungen ernst zu nehmen und zuunterstützen. Herausgekommen sind 10 Euro mehr Un-terstützung. Das ist mager. Denn jetzt verpassen Sie ge-rade die letzte Chance in dieser Wahlperiode, eine wirk-liche Reform durchzuführen und all Ihre Versprechen,die Sie gegeben haben, in die Realität umzusetzen. Statt-dessen verkaufen Sie uns diese 10 Euro Kindergelderhö-hung als Errungenschaft. Sie wissen doch genau, dassdiese 10 Euro nicht eine freiwillige Entscheidung dieserRegierungspolitik sind,

(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Was ha-ben denn die Grünen in der Bundesregierung

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Ekin Deligöz

gemacht? Von 2002 bis 2005 gab es keine Kin-dergelderhöhung!)

sondern eine Konsequenz, die Sie aus dem Existenzmi-nimumbericht ziehen. Weil im Zuge dieses Berichts dasExistenzminimum angepasst werden muss. Sie könnenkeinen Wahlkampf durchstehen, wenn ausgerechnet die,die am wenigsten verdienen, nichts bekommen. Deshalbmachen Sie das und verkaufen es auch noch als eine Er-rungenschaft. Aber eine Errungenschaft ist es nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was ist denn – damit will ich anfangen – mit den Fa-milien im SGB-II- und SGB-XII-Bezug? Was ist mitdiesen Familien? Sie sagen, Sie unterstützen Familien.Sie bekommen aber keine 10 Euro Kindergelderhöhung.Sind das etwa keine Familien? Sind das keine Erziehen-den, die Verantwortung übernehmen? Warum gehen sieleer aus, obwohl wir alle wissen, dass der Bedarf dort amallerhöchsten ist?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Antworten Sie doch einmal darauf. Sie sagen, 10 Euroseien gut angelegtes Geld. Kennen Sie denn die Realitätnicht?

Die Mehrwertsteuererhöhung haben Sie durchgeführt.Die allgemeinen Preissteigerungen und die Steigerungder Energiepreise – und des Weiteren, dass der Kauf-kraftverlust des Kindergeldes seit 2002 fast 12 Prozentbeträgt – müssen Sie zur Kenntnis nehmen. Da sind10 Euro nicht nur mager, sondern auch einfach nur sym-bolisch. Wenn Sie die Kindergelderhöhung ernst mei-nen, dann sollten Sie das auch ernst debattieren und sichnicht hinter einer Symbolpolitik verstecken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kommen wir dazu, was Sie machen. Sie sagen: Ei-nige Kinder sind uns mehr wert als andere Kinder, dieaus einem gut verdienenden Haushalt kommen, sind unsbesonders viel wert. Diejenigen, die in einem Haushaltmit ALG-II-Bezug aufwachsen, sind uns weniger wert. –Der Staat erhöht das Kindergeld, das er aber sofort wie-der einkassiert. Das heißt, das ist so, als ob sich der Staatselbst Geld auszahlt und dann so tut, als seien in dieserSache die Familien die Gewinner. Das sind sie abernicht.

Kommen wir zu Ihrem 100-Euro-Schulbedarfspa-ket. Den einen Eltern vertrauen Sie und gehen davonaus, dass sie das Geld für ihre Kinder ausgeben. Den an-deren Eltern misstrauen Sie und glauben, dass Sie ihnengar kein Geld geben können. – Wissen Sie, was letztend-lich bei den Menschen ankommt, wenn Sie fordern, dassdie Verwendung dieses Pakets von 100 Euro für denSchulbedarf kontrolliert werden muss, damit es wirklichnur für den Schulbedarf ausgegeben wird? Darüber hi-naus gilt es nur bis zur 10. Klasse. – Ich frage Sie: GehenSie grundsätzlich davon aus, dass Kinder aus ärmerenHaushalten erst gar nicht aufs Gymnasium oder ir-gendeine andere weiterführende Schule gehen?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gehen Sie davon aus, dass diesen Familien diese Kos-ten erst gar nicht entstehen? Oder finden Sie sich etwadamit ab – das wäre noch viel schlimmer –, dass die Si-tuation so ist, wie sie ist, dass nämlich der Schulerfolgeines Kindes von der sozialen Herkunft abhängt und nurdie Kinder aus den Akademikerhaushalten die besserenChancen haben? Das wäre schlimm. Dann würden Sienämlich sagen: Die Situation ist nun einmal so, und wirkönnen sie nicht ändern. Genau das aber ist unsere Auf-gabe. Wir dürfen uns nicht mit dieser Situation abfinden,sondern müssen sie ändern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb brauchen wir doch die Kinderbetreuung. Des-halb brauchen wir Ganztagsschulen. Deshalb brauchenwir die Infrastruktur. Deshalb brauchen wir aber aucheine reelle und materielle Unterstützung der Familien.Ein ganz großer Anteil der Familien gibt das Geld fürdie Kinder aus. Das ist eine Tatsache.

Noch etwas anderes: die Regelsätze. Auch darübermüssen wir reden. Auch da müssen Sie etwas tun. Wennwir sagen, dass das Existenzminimum zu niedrig bemes-sen ist, dann gilt das auch für die Regelsätze.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lydia Westrich [SPD]: Das weiß doch jeder!)

Dann gilt das auch für die Sätze der Kinder. Sie könnensich doch nicht blind und taub stellen. In allen Bereichenreden Sie über Gerechtigkeit. Aber Sie reden nicht überdie Regelsätze. Wir brauchen endlich eine neue Form,wie wir die Regelsätze für Kinder berechnen. Es kannnicht sein, dass wir sie an dem Erwachsenenbedarfausrichten oder das prozentual kalkulieren. Dahinterstecken kein Sinn und keine Logik.

Diese Sätze sind de facto zu niedrig. Nehmen Sie daszur Kenntnis. Tun Sie etwas!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Je länger Sie warten, desto größer wird die Spaltung indieser Gesellschaft. Irgendwann einmal wird uns dieseSpaltung einholen. Für diese Spaltung müssen wir diepolitische Verantwortung übernehmen.

Kommen wir zurück zu Ihren Versprechungen hin-sichtlich der Familienförderung. Ja, sie ist kompliziert,sie ist undurchsichtig. Sie ist bürokratisch. Alles, wasSie machen, ist Stückwerk. Einfach auf die bestehendeUngerechtigkeit – dass diejenigen, die mehr haben, mehrbekommen, und dass diejenigen, die weniger haben, we-niger bekommen – etwas draufzulegen, wie uns das dieLinke vorschlägt – einfach etwas hinzufügen, dann istdas Ganze schon gerecht –, macht die Sache eben nichtgerechter. Vielmehr manifestiert das die Ungerechtig-keit.

Wir haben gute Ideen und gute Erkenntnisse. Wir ha-ben auch gute Strukturvorschläge auf dem Tisch liegen,wie man ein gerechtes Familienfördersystem aufbauenkann. Dazu gehört es auch, darüber zu reden, wie wirbesser Kinder und nicht den Trauschein fördern können.

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Ekin Deligöz

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Starke El-tern sind das Beste für die Kinder!)

Das Ehegattensplitting, Herr Singhammer, ist unserLieblingsproblem. 60 Prozent der Familien bekommenheute nichts, keinen einzigen Cent durch das Ehegatten-splitting. Sie bekommen nichts, weil sie nicht verheiratetsind.

(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Sie können doch heiraten! Es gibt kein Eheverbot!)

Wir reden über Eltern, die beide arbeiten müssen, umüberhaupt über das Existenzminimum zu kommen, dieGeringverdiener. Wir reden nicht über die Großverdie-ner. Nur 5 Prozent der Haushalte im gesamten Ostenprofitieren vom Ehegattensplitting, aber 95 Prozent imWesten mit Schwerpunkt Süden. Das Ehegattensplittingist überholt.

(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Ist Heiraten etwas so Schlechtes?)

Lassen Sie uns doch endlich die Kinder und nicht denTrauschein fördern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Sie machen hier nur Symbolpolitik. Sie halten hierIhre Ideologien hoch. Sie behalten damit Ihre Scheu-klappen. Die Realität ist, dass Menschen, die Kinder er-ziehen, alleine gelassen werden, dass wir durch Trans-fers den Trauschein fördern und unsere Kinder dabei zukurz kommen. 60 Prozent der Familien bekommendurch das Ehegattensplitting keinen Cent mehr. Weg da-mit! Seien Sie mutig! Stehen Sie zu den Kindern, aller-dings nicht nur mit warmen Worten, indem Sie immerwieder betonen, dass wir uns alle einig sind, wie wichtigKinder sind!

(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Was haben Sie gegen die Ehe?)

Ich bin Mutter von zwei Kindern. Ich bekomme sehrwohl mit, wie das Leben ist. Dafür brauche ich nichtmeine Nachbarn und Nachbarinnen. Ich kann Ihnen sa-gen: Die Eltern in diesem Land setzen sich für ihre Kin-der ein, auch dann, wenn sie erwerbstätig sind.

(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das bestreitet ja gar keiner!)

Sie möchten nicht auf große Almosen angewiesen sein.Für diese Familien, Herr Singhammer, brauchen wirAntworten. Für diese Familien haben Sie aber keineAntworten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie verschenken die Chance, echte Reformen auf denWeg zu bringen. Sie verschenken die Chance, die Zu-kunft unserer Kinder zu verbessern. Dabei geht es umdie Zukunft jedes einzelnen Kindes. Es geht nicht nurum die Kinder von Frau Meier und Frau Müller,

(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Meinen Sie die Frau Müller aus dem Saarland?)

sondern auch um die Kinder von Frau Öztürk. Es gehtum alle Kinder. Hier haben wir eine Verpflichtung undsind in der Bringschuld. Das, was Sie machen, ist abernur Symbolpolitik und hat mit der Realität der Familiengar nichts zu tun.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Ist dieKindergelderhöhung symbolisch oder nicht?)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Kollegin Ingrid Arndt-Brauer ist die nächste Red-

nerin für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Ingrid Arndt-Brauer (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer!Heute Morgen ging es ein bisschen kreuz und quer. Des-wegen versuche ich, ein wenig Systematik in unsere Dis-kussion zu bringen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Bevor wir diesen Gesetzentwurf formuliert haben,wurde auch in unserer Partei – aber natürlich nicht nurdort – über die grundsätzliche Frage diskutiert: Sollteman jetzt eine Kindergelderhöhung vornehmen, odersollte man lieber Geld in die Infrastruktur stecken? Ichpersönlich denke, es muss ein Sowohl-als-auch geben.Denn alle, die seit der letzten Kindergelderhöhung imJahre 2002 Kinder erzogen haben, wissen, dass das Le-ben mit Kindern seitdem teurer geworden ist. Deswegenist es wichtig, das Kindergeld zu erhöhen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Natürlich brauchen wir auch mehr Investitionen in dieInfrastruktur. Allerdings haben wir auf diesem Gebietin dieser Legislaturperiode schon eine Menge angesto-ßen, und wir werden noch mehr tun.

Ich möchte auf eine Argumentation eingehen, die mirhäufig begegnet und die auch heute von den Kollegender Linken vorgetragen wurde. Sie argumentieren nachdem Motto: Den Banken habt ihr 500 Milliarden Eurogegeben. Gebt doch auch den Familien ein paar Milliar-den Euro mehr!

Wir alle hoffen, diese 500 Milliarden Euro nie auf denTisch legen zu müssen. In diesem Betrag sind Bürg-schaften und andere Absichtserklärungen enthalten,diese Tatsache müsste mittlerweile in diesem HohenHause bekannt sein. Jetzt können wir nicht einfach sa-gen: Wir nehmen davon mal eben 12 Milliarden Euroweg. Dieses Geld geben wir dann den Familien, und dieBanken bekommen ein bisschen weniger. Wir dürfendiese Themen nicht vermischen. Eine verantwortungs-volle Familienpolitik hat auch mit Haushaltskonsolidie-rung zu tun. Dieses Ziel müssen wir bei allem, was wirtun, immer im Auge behalten.

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Ingrid Arndt-Brauer

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass die meistenEltern – ich hoffe, über 95 Prozent – das Geld, das siefür ihre Kinder bekommen, auch für ihre Kinder ausge-ben;

(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: So ist es! Genau! Richtig!)

davon bin ich fest überzeugt, und das möchte ich beto-nen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Diskussion darüber, dass eine Verrechnung mitden Hartz-IV-Regelsätzen stattfindet, möchte ich nichtvertiefen. Denn im Rahmen von Hartz IV gibt es Regel-sätze, die unabhängig vom Kindergeld gelten. Wennman der Meinung ist, dass sie zu niedrig bzw. falsch be-messen sind und dass die Inhalte nicht stimmen, kannman darüber an anderer Stelle reden. Das hat aber nichtsmit dem Kindergeld zu tun. Wir wissen, dass Hartz-IV-Familien ein Äquivalent zum Kindergeld bekommen.Deswegen kann man ihnen diese Erhöhung nicht oben-drauf geben.

(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das ist aber sehr unlogisch!)

– Das finde ich nicht unlogisch. Bei Gelegenheit kannich Ihnen das einmal genauer erklären.

Im SPD-Programm steht – das ist auch unser Wille –:Jedes Kind sollte dem Staat gleich viel wert sein. Das istschön und hört sich gut an. Aber die Systematik ist eineandere. Das Bundesverfassungsgericht hat uns vorgege-ben, dass wir das Existenzminimum steuerfrei stellenmüssen.

(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Ja! –Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau! Das ma-chen wir!)

Das Existenzminimum folgt der Sozialhilfe plus Wohn-kosten, die vom Bauministerium festgelegt werden;diese Definition ist wichtig. Das Ganze ist ein Freibe-trag; meine Kollegin hat schon kurz auf die Systematikeines Freibetrags hingewiesen.

Ein Freibetrag auf 6 000 Euro bzw. 6 024 Euro – andieser Stelle werden wir wahrscheinlich nachbessernmüssen – bedeutet bei einem Steuersatz von 45 Prozent,der für die ganz Reichen in Deutschland gilt, einen Vor-teil von 225 Euro. Bei einer Steuerbelastung in Höhevon 42 Prozent bedeutet dieser Freibetrag einen Vorteilvon 210 Euro.

Jetzt existiert eine Schere, die uns als SPD, aber ichdenke, auch vielen anderen, natürlich überhaupt nichtgefällt. Wir erhöhen das Kindergeld für das erste Kindauf 164 Euro. Demgegenüber gibt es im Spitzensteuer-bereich einen wesentlich höheren Freibetrag. Die14 Milliarden Euro, die die Linken irgendwo gefundenund für eine Verwendung vorgeschlagen haben, könnten

wir jetzt natürlich noch obendrauf setzen. Wir haben siebisher aber noch nicht gefunden.

Deswegen befinden wir uns in diesem schizophrenenZustand, dass wir die Schere auch schließen könnten,wenn wir den Spitzensteuersatz auf 30 Prozent senkenwürden. Ich warne also alle davor, zu sagen, wir bräuch-ten höhere Steuersätze, um die Schere schließen zu kön-nen. Bei unserer Systematik ist genau das Gegenteil derFall.

(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Das stimmt doch gar nicht!)

Dieses Problem können wir nicht so einfach lösen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich denke, wir müssen das Kindergeld nach und nacherhöhen. Das ist unser ausdrücklicher Wunsch. Das gehtaber nicht von einem Jahr aufs andere und auch nicht in-nerhalb einer Legislaturperiode. Das sollte aber natürlichunser Interesse sein.

Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Höll?

Ingrid Arndt-Brauer (SPD): Ja, natürlich.

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Liebe Kollegin, um das noch einmal ganz klar festzu-

halten: An die bestehende Systematik, die ja viel Guteshat, weil es dadurch eine gesicherte Grundlage hinsicht-lich der Errechnung der notwendigen Höhe des Exis-tenzminimums für Kinder gibt, darf niemand herange-hen. Das ist ein festes Fundament. Wir müssen nurschauen, wie hoch wir das ansetzen.

Auf dieser Basis kann man eine Entlastung natürlichso vornehmen – ich habe nicht umsonst die Familienmi-nisterin zitiert –, dass man das höchste Niveau – denSpitzensteuersatz – für alle ansetzt. Das ist in der Syste-matik nur davon abhängig, was wir wollen. Es kostetmehr Geld. Ich habe die Summe von 6 Milliarden Eurogenannt, die letztlich noch notwendig wäre.

Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin, eigentlich wollten Sie eine Frage stel-

len.

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Stimmen Sie mir zu, dass das innerhalb des bestehen-

den Systems sehr wohl möglich und nur eine Frage despolitischen Wollens und abhängig von den Finanzen ist?

Ingrid Arndt-Brauer (SPD): Es ist nur abhängig von den Finanzen. Wenn man das

Geld irgendwo findet, dann kann man es natürlich ver-wenden. Wir haben es bisher aber noch nicht gefunden.Ich fände es Familien und Kindern gegenüber verant-wortungslos, das über eine Verschuldung zu regeln.

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Ingrid Arndt-Brauer

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zu Herrn Thiele und seinen glatten Zahlen möchte ichsagen: Bei den Lohneinkünften bzw. Einkommen gibt esauch keine glatten Zahlen. Deswegen denke ich, dass dieFamilien auch mit 164 Euro rechnen und leben können.

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Mit 170 Euro ginge es aber auch!)

– Ginge es auch. Man könnte auch bei Lohnabschlüssenglatte Zahlen vereinbaren und sagen, dass jeder6 000 Euro erhält. Das tun wir auch nicht.

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Dazu ist der Gesetzgeber nicht bereit!)

Ich denke also, dass das nicht sein muss. Von daher kanndas so bleiben.

Als Mutter von vier Kindern finde ich persönlich dieStaffelung gut.

(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Jawohl! Sehr gut!)

Ich weiß, dass das viele anders sehen, aber aus meinerLebenserfahrung heraus muss ich sagen: Das dritte Kindist das teuerste.

(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Genau!)

Ich weiß nicht, wie es mit dem fünften und dem siebtenKind aussieht. Das müsste mir vielleicht die Ministerinsagen.

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Beim fünften Kind kann ich auch noch helfen!)

Ich denke, irgendwann überwiegt in der Familie die Or-ganisationsneigung gegenüber der Konsumneigung. Vondaher verschieben sich dann vielleicht auch gewissehaushalterische Gesichtspunkte innerhalb der Familie.Ich persönlich denke aber, dass man mit der Staffelunggut leben kann.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Das Wichtige für uns ist – das dürfen wir nicht ausden Augen verlieren –, dass es in dieser Gesellschaft ei-nen gewissen Anteil von Menschen gibt, der sich gegenKinder entscheidet. Das mag gute Gründe haben. Man-che hätten auch gerne Kinder, können aber keine bekom-men. Deshalb brauchen diejenigen, die eine Familie wol-len, Unterstützung dafür, mehr Kinder zu bekommen.

Man muss sie zum dritten Kind ermutigen, sodass sienicht sagen: Na ja, mit zwei Kindern geht es ganz gut, abdem dritten Kind brauchen wir aber eine neue Wohnungund ein neues Auto; das ist zu viel. – Ich denke, manmuss sie ermutigen und sagen: Wer sich grundsätzlichfür Kinder entscheidet, der sollte eine Erleichterung er-halten, damit er die Finanzierung auch bei mehr Kindernnoch sicherstellen kann.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Meine Kollegin sagte schon, dass wir 37 MilliardenEuro für Kindergeld und Kinderfreibeträge ausgeben.Man kann sich immer mehr wünschen, was man sichaber vor allen Dingen wünschen sollte, ist, dass auch dieLänder ihre Verantwortung wahrnehmen. Ich denke,Lehrmittelfreiheit, kostenlose Nutzung der Schulbusseund auch das Essen in der Schule sind keine originärenBundesangelegenheiten. Das müssen wir immer wiedereinfordern.

(Beifall bei der SPD)

So wünschenswert es ist, dass wir das alles hier zen-tral regeln: Andere Dinge dürfen wir auch nicht zentralgestalten. Solange noch jeder selber seine Fremdspra-chen festlegt, sollte er auch dafür sorgen, dass in denSchulen einigermaßen gute Zustände herrschen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich bin – ganz im Gegensatz zu Frau Höll – der Mei-nung, dass nicht nur die Bürgerinnen und Bürger amStarnberger See, sondern auch in Mecklenburg-Vorpom-mern profitieren, wenn wir haushaltsnahe Dienstleis-tungen absetzbar machen. Es geht nicht immer nur umdas Dienstmädchen, das in irgendeiner Form von Ihnenvorgeführt werden muss,

(Ina Lenke [FDP]: Das Dienstmädchen! Das ist aber diskriminierend!)

sondern auch um eine Entlastung der Familien, die viel-leicht dazu führt, dass beide Elternteile arbeiten können.Wenn man sich eine Dienstleistung kaufen kann, dieman steuerlich absetzen kann, dann geht es nicht darum,angenehm in der Sonne zu liegen. Vielmehr bringt eshäufig Familien aus der Armut heraus, wenn beide El-ternteile arbeiten können. Das möchte ich noch einmalfesthalten.

Meiner Meinung nach gibt es nämlich keine Kinder-armut, sondern nur Familienarmut. Kinder sind nicht sel-ber arm und ihre Familie nicht. In einem solchen Fall istdie gesamte Familie in einer schwierigen Situation, ausder wir ihr heraushelfen müssen, indem beide Elternteilein die Lage versetzt werden, dazuzuverdienen, wenn einEinkommen nicht reicht. Dann ist es nötig und sinnvoll,sich entsprechende Dienstleistungen zu kaufen.

Alles in allem ist der Gesetzentwurf in einer ausge-wogenen Form vorgelegt worden. Wir haben ein paarKritikpunkte, die ohne Frage geändert werden müssen.Die Förderung bestimmter Zielgruppen kann nicht nachzehn Jahren aufhören. Das ist völlig klar. Aber wir sindim Gesetzgebungsverfahren und werden noch einige Än-derungen vornehmen.

Wir freuen uns auf die Diskussion mit Ihnen. Ichdenke, als Vorlage kann man mit dem Gesetzentwurf gutleben.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

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19976 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

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Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Ina Lenke für die

FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Ina Lenke (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als erstes

möchte ich das Wort an meine Vorrednerin richten. Dassgerade eine SPD-Kollegin von einem Dienstmädchenspricht, wundert mich sehr.

(Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Ich habe es zi-tiert! Ich habe es nicht gesagt!)

Ich habe eine Hilfe im Haushalt und bin sehr froh da-rüber, dass sie qualifizierte Arbeit macht.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Nun komme ich zum Gesetzentwurf. „Investitionen inFamilie sind Investitionen in die Zukunft“, heißt es ein-leitend im Gesetzentwurf. Das ist sicherlich eine tref-fende Formulierung. Befasst man sich aber mit den In-halten, dann wird deutlich, dass nur sehr wenig fürInvestitionen in Familie vorgesehen ist, etwa die 10 EuroKindergelderhöhung. Mein Kollege Carl-Ludwig Thielehat bereits darauf hingewiesen, dass die letzte Kinder-gelderhöhung 2002 erfolgt ist.

Fakt ist: Die Große Koalition – und damit auch dieSPD – zieht weiterhin den Familien das Geld aus der Ta-sche.

(Beifall bei der FDP)

Die Mehrwertsteuererhöhung, von der Sie im Parla-ment nicht gerne hören, spüren wir Tag für Tag, undauch die Familien spüren die MehrwertsteuererhöhungTag für Tag. Denn am Ende des Monats ist bei Familien,die rechnen müssen, nichts mehr in der Tasche.

(Beifall bei der FDP)

Ich möchte mich nun der CDU zuwenden. ImSommer vor einem Jahr haben Herr Pofalla und auch Sievon der CDU in einem Zehnpunkteprogramm verspro-chen, dass Sie die Mehrwertsteuer auf Pampers von19 Prozent auf den ermäßigten Mehrwertsteuersatz von7 Prozent senken wollen.

(Sönke Rix [SPD]: Es gibt auch andere!)

Was ist eigentlich daraus geworden? Haben Sie das mitder SPD besprochen?

Was Sie mit der SPD besprochen haben, ist, dass dieSkiliftbetreiber nur noch 7 Prozent statt bisher 19 Pro-zent auf ihre Umsätze zahlen müssen. Das ist eine tolleLeistung.

(Beifall bei der FDP – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Das kann man wohl sagen!)

Aber wenn wir von der FDP seit Jahren einen Mehrwert-steuersatz von 7 Prozent für Windeln fordern, dann sindIhre Ohren verschlossen.

Bei der Diätenerhöhung waren Sie mit den Entschei-dungen schneller als der Schall. Da ging alles ganzschnell. Insofern bitte ich darum, dass Sie sich der Mehr-wertsteuerermäßigung noch einmal widmen.

Weil die Ministerin dankenswerterweise anwesend istund wir das Thema sonst nur im Ausschuss problematisie-ren, möchte ich die Gelegenheit nutzen, Ihnen zu sagen,dass alles, was Sie mit Ihren Gesetzen machen, Stückwerkist. Denn Sie haben die 153 ehe- und familienbezogenenLeistungen in der Bundesrepublik Deutschland mit einemVolumen von 185 Milliarden Euro bisher noch nichtevaluiert. Sie haben das die ganze Zeit angekündigt. ImAusschuss wurde aber gesagt, dass die Fraktionen dasselber machen können. Es gibt keine kritische Bewer-tung der ehe- und familienbezogenen Leistungen. Siegeben hier und da ein bisschen mehr. Aber das reichtnicht, um Familienpolitik aus einem Guss zu gestalten.Das haben Sie in dieser Legislaturperiode nicht ge-schafft.

(Beifall bei der FDP)

Da ich nur noch eine Minute Redezeit habe, will ichganz kurz auf die Kinderbetreuungskosten zu sprechenkommen. Keiner von Ihnen hat gesagt, dass die Kinder-betreuungskosten, wenn der Mann und die Frau oder Al-leinerziehende arbeiten gehen, nur zu zwei Drittel vonder Steuer abgesetzt werden können. Das kann ich, dieich Steuerfachangestellte bin, mir überhaupt nicht erklä-ren. Warum sollen wir Frauen, die wir arbeiten gehen,ein Drittel der Kinderbetreuungskosten selbst tragen?Das muss in diesem Gesetz unbedingt geändert werden.Das wird eine Forderung der FDP sein.

(Beifall bei der FDP)

Mein Fazit lautet: Das Steuerrecht bleibt weiter kom-pliziert. Die Kindergelderhöhung ist unzureichend. Wei-terhin pflegen Sie von der Großen Koalition das Prinzip„Rechte Tasche, linke Tasche“. Die Familien in der Bun-desrepublik Deutschland werden erst durch eine neueRegierung in der nächsten Legislaturperiode wirklichentlastet werden.

(Beifall bei der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Patricia Lips für die

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Patricia Lips (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Zurzeit wird in diesem Haus über zahlreiche Maß-nahmen auf allen Politikfeldern diskutiert, Maßnahmen,die vor allem in naher Zukunft oder mittelfristig unseremLand helfen sollen. Die Finanzmarktkrise hat die Real-wirtschaft erreicht. Nahezu alle davon betroffenen Län-der rüsten sich richtigerweise für die kommende Zeit.Der Fokus zahlreicher Maßnahmen richtet sich natürlichauf den wirtschaftlich-finanziellen Bereich; das ist auchrichtig. Jede Maßnahme verdient es, dass man ihr die nö-tige Aufmerksamkeit schenkt.

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 19977

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Patricia Lips

Frau Höll, gestatten Sie mir, auf das Beispiel von FrauBeyer zurückzukommen. Sie sagten, dass diese Frau gutund zuverlässig arbeitet. Das freut uns, und wir unter-stützen sie dabei. Wir bedauern aber, dass die Maßnah-men, die im Rahmen des Paketes zur Stabilisierung desFinanzmarktes getroffen wurden, immer wieder ange-führt werden, um bestimmte Positionen und Bereiche inunserer Gesellschaft gegeneinander auszuspielen. Dasist nicht richtig; das ist falsch. Die Maßnahmen zur Sta-bilisierung des Finanzmarktes dienen auch dazu, dassdas Unternehmen, bei dem Frau Beyer arbeitet, in Zu-kunft die benötigten Kredite und Aufträge bekommt.Damit wird der Arbeitsplatz von Frau Beyer nachhaltiggesichert. Leider vergessen Sie das immer in Ihren Aus-führungen. Deshalb ist es doppelt wichtig, das an dieserStelle zu sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Wir begrüßen die Ziele, die mit dem vorliegendenLeistungsgesetz für Familien erreicht werden sollen. Essind ganz besonders die Familien, die das Fundament ei-ner stabilen Gesellschaft bilden. Gerade in wirtschaftlichschwierigen Zeiten dürfen und wollen wir sie nicht amRande stehen lassen. Auch deshalb ist dieses Gesetz sowichtig. Leistungen für Familien sind immer auch Inves-titionen in die Zukunft. Mit dem Leistungsgesetz für Fa-milien wollen wir – wir hörten das bereits – einen sehrerfolgreichen Weg fortsetzen. Elterngeld, erweiterterKinderzuschlag, ausgeweitete Betreuungsangebote, Kin-dertagesstätteneinrichtungen, Ganztagsschulen und so-ziale Frühwarnsysteme, dies sind nur einige Marksteineder jüngeren Vergangenheit. Kritik daran wird es immergeben, hier und draußen. Man kann es nicht immer allenrecht machen. Aber es wird kaum jemand bestreiten,dass innerhalb kurzer Zeit viele Maßnahmen auf denWeg gebracht wurden. Diesen erfolgreichen Weg wollenwir heute weitergehen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Erhöhung des Kinderfreibetrages ist – wir hörtenschon mehrfach davon – ein richtiger und vor allem einverfassungsrechtlich notwendiger Schritt. Die Erhöhungdes Kindergeldes sieht eine Staffelung vor, bei der Mehr-kindfamilien besonders berücksichtigt werden. 4,5 Mil-lionen Kinder leben in solchen Familien. Es gibt zudemSonderzahlungen zum Schulbesuch, ein ganz neues Ele-ment. Die Förderung von haushaltsnaher Beschäftigungund Dienstleistung soll ausgebaut bzw. vereinfacht wer-den.

Was wollen, was können wir mit diesen Maßnahmenbewirken? Ich möchte das an dieser Stelle in drei Punk-ten zusammenfassen.

Erstens: die finanzielle Entlastung und Unterstüt-zung von Familien mit Kindern. Wir wollen wirt-schaftliche Stabilität schaffen bzw. ausbauen. Vor allemkinderreiche Familien sowie Familien mit mittleren undunteren Einkommen brauchen häufig verstärkt die Hilfeder Gemeinschaft. An dieser Stelle möchte ich aus deraktuellen Debatte heraus die Gelegenheit nutzen, um aufetwas hinzuweisen. Der Regelsatz im SGB II ist von

2002 bis heute für Kinder bis sechs Jahre um 30 Prozentgestiegen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

Wenn wir die Diskussion hier führen, dann sollten wirsie auch komplett führen. Deshalb ist es wichtig, dassdas noch einmal an dieser Stelle gesagt wurde.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Zweitens: eine bessere Vereinbarkeit von Familie,Pflege und Beruf. Die Anforderungen sind gestiegen.Wir selbst fordern eine erhöhte Flexibilität am und füreinen Arbeitsplatz. Gleichzeitig brauchen wir auchFrauen, die in Kontinuität und ohne ständigen Druck ander Arbeitswelt teilhaben können. Nicht nur Kinder-erziehung, auch die Pflege von Angehörigen spielt eineimmer größere Rolle. Sie hat unmittelbaren Einfluss aufdie Gestaltung einer Gemeinschaft, einer Familie. Oftgeschieht dies nicht geplant, sondern in tragischen Fäl-len werden die Familien völlig unvorbereitet davon be-troffen.

Drittens. Insbesondere die steuerliche Förderung vonhaushaltsnaher Beschäftigung und Dienstleistung sollneben der Erleichterung einer eigenen, individuellen Le-bensplanung auch dazu beitragen, die Ausschöpfung einesgroßen Potenzials zum Beschäftigungsaufbau voranzu-bringen. Der private Haushalt soll noch mehr als bisherzu einem Auftraggeber werden können und zur Schaf-fung von legalen Beschäftigungsverhältnissen beitragen.

Wenn wir die Debatte heute verfolgt haben, dann stel-len wir fest – gestatten Sie mir, dass ich das so sage –,dass wir in der eher komfortablen Situation sind, dasswohl nahezu jeder hier im Haus die grundsätzliche Stoß-richtung aller Maßnahmen begrüßt. Dabei gibt es natür-lich nichts, auch nichts Gutes, was man nicht noch bes-ser machen könnte – selbstverständlich. Viele Dingewurden hier genannt, und es gibt immer jene, die einMehr an Leistung fordern. Wie immer wird es so sein,dass nicht alles erfüllt werden kann. Doch wir stehen amAnfang der Diskussion, und ich bin mir sicher, dass wirfür vieles Regelungen finden werden.

Kindererziehung ist und bleibt Sache der Eltern. DerStaat, die Gemeinschaft aller, unterstützt dabei vielfältigund schreitet dort ein, wo Eltern nicht allein zum Wohlihrer Kinder handeln können oder wollen. So soll essein. Kinderfreundliche Unterstützungsmaßnahmen zuergreifen, ist aber nicht nur eine Aufgabe des DeutschenBundestages, sondern wir sind auf allen Ebenen dazuverpflichtet, Regelungen zu finden. Das ist nicht alleineine politische Aufgabe, sondern es ist eine gesamtge-sellschaftliche Aufgabe, der wir uns stellen müssen. Wirwollen diese Leistungen zur Unterstützung hier undheute an einer weiteren Stelle ergänzen. Das Ganze sollbereits im Januar in Kraft treten. Ich freue mich auf IhreMithilfe und bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

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19978 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

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Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält der Kollege Swen Schulz für die

SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Swen Schulz (Spandau) (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Der von der Bundesregierung vorgelegte Ent-wurf für ein Familienleistungsgesetz setzt sehr gute Si-gnale. Es geht um stärkere Unterstützung für Familien,und es geht um gesonderte Hilfe für bedürftige Schüle-rinnen und Schüler, weil wir auch nach denen schauen,die von der Kindergelderhöhung nicht profitieren wer-den. Tatsächlich haben wir ein schwerwiegendes Pro-blem im Bildungswesen. Die PISA-Studien zeigen deut-lich, dass in keinem Industriestaat der Welt Kinder ausarmen und bildungsfernen Familien so schlechte Bil-dungschancen haben wie in Deutschland. Der nationaleBildungsbericht 2008 hat zum Beispiel festgestellt, dassdie Kinder von Beamten mit Hochschulabschluss zu95 Prozent studieren, dass es aber nur 17 Prozent der Ar-beiterkinder bis an die Hochschule schaffen. Dabei wis-sen wir, dass die Kinder nicht dümmer oder klüger gebo-ren werden. Nein, es sind die gesellschaftlichenBedingungen, die Bildungschancen ermöglichen odereben auch verbauen. Dagegen müssen wir etwas tun.Wir wollen optimale Unterstützung und Chancengleich-heit für alle in der Bildung.

(Beifall bei der SPD)

Darum ist es so wichtig, dass wir in Bildungseinrich-tungen investieren, wie wir es etwa unter Rot-Grün mitdem Ganztagsschulprogramm und dem Tagesbetreu-ungsausbaugesetz oder wie wir es auch in der GroßenKoalition mit dem Kinderförderungsgesetz getan haben.Darum wollen wir auch Familien, die nicht so viel Geldhaben, unterstützen: damit sie für die Kinder Schulbe-darf kaufen können, also Ranzen, Hefte, Füller usw. Dasist ein guter Beitrag dazu, dass Kinder aufgrund der Ar-beitslosigkeit ihrer Eltern im schulischen Leben nichtbenachteiligt werden. Ich will einmal sagen: Es ist dieSPD gewesen, die das initiiert hat, die das in der Koali-tion durchgeboxt hat.

(Beifall bei der SPD)

Ohne den Impuls von Franz Müntefering schon vor eini-ger Zeit hätte es das nicht gegeben.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind stolz auf euch!)

Aber wir wollen noch mehr erreichen, als in diesemGesetzentwurf vorgeschlagen wird. Mir ist vollkommenunklar, warum die CDU/CSU in den Koalitionsverhand-lungen darauf bestanden hat, dass dieses Schulbedarfs-paket zeitlich begrenzt wird, es also nur bis zur zehntenKlasse in Kraft gesetzt wird. Warum nicht auch bis zumAbitur?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Will die Union nicht, dass Bedürftige Abitur machen?Um das Geld kann es an dieser Stelle ja nicht gehen.

Auch der Bundesrat kann das übrigens nicht nach-vollziehen. In seinem Beschluss bezeichnet er diese Be-grenzung als – Zitat – „sachlich nicht gerechtfertigt“ und„kontraproduktiv“. Das ist eine finanzielle Benachteili-gung derjenigen, die einen höheren Bildungsabschlussanstreben, und widerspricht der Zielsetzung, mehr undbessere Bildung zu ermöglichen. Liebe Kolleginnen undKollegen von der CDU/CSU, ich bitte Sie herzlich: Daskann so nicht bleiben. Geben Sie sich einen Ruck undstimmen Sie einer Änderung zu!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Uns ist klar, dass durch dieses Gesetz nicht alle Pro-bleme gelöst werden. Die SPD will weitere, größereSchritte gehen. Wir wollen einen eigenständigen Regel-satz für Kinder, deren Eltern arbeitslos sind. Bislangwird der Bedarf für Kinder so festgelegt, als ob siekleine Erwachsene wären. Das bedeutet, dass sie dann,abhängig vom Alter, 60 oder 80 Prozent dessen bekom-men, was Erwachsenen zugestanden wird, mit dem Ef-fekt, dass Kinder etwa für Alkohol und Tabak Geld be-kommen, nicht aber für Bildung und kindgerechteDinge. Ich glaube, da müssen wir noch einmal heran.Das kann so nicht bleiben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Darüber hinaus wollen wir die Gebührenfreiheit derKitas genauso wie der Hochschulen. Auch das Mittages-sen in den Kitas und in den Schulen sollte für die Elternkostenfrei sein. Ein Schüler-BAföG ist sinnvoll. Wirwollen gute Bildung für alle ermöglichen. Das ist wich-tig für unsere Volkswirtschaft. Das ist aber vor allem einGebot der sozialen Gerechtigkeit. Dafür stehen wir ein.

(Beifall bei der SPD)

Der Gesetzentwurf ist ein Schritt in die richtige Rich-tung. Lassen Sie uns aber noch mutiger sein. Es gibt Ge-legenheiten im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens;die Kollegin Lips hat darauf hingewiesen. Ich werte dasals Signal dafür, dass mit der CDU/CSU darüber nochgeredet werden kann. Ich glaube, dann wird es noch einrichtig gutes Gesetz.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist

die Kollegin Ingrid Fischbach, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ingrid Fischbach (CDU/CSU): Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Ich könnte fast wie immer nach solchenDebatten hier im Deutschen Bundestag sagen: Viel Lärmum nichts.

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 19979

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Ingrid Fischbach

(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeord-neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich würde mich freuen, wenn Sie von der Opposition– jetzt schaue ich auch die rechts sitzende FDP an – unseinmal attestieren würden: In den letzten Jahrzehnten istfür die Familien nie so viel wie in den letzten drei Jahrengetan worden.

(Beifall bei der CDU/CSU – Caren Marks [SPD]: In den letzten drei Jahren?)

Frau Deligöz, Sie stellen sich hier hin und sagen:10 Euro mehr, das ist mager. – Ich schaue einmal zurückauf die Zeit, in der Sie in der Regierungsverantwortungwaren: Sie haben 2002 zum letzten Mal das Kindergelderhöht. Man könnte vermuten, das hätten Sie getan, weilSie die Probleme der Familie erkannt hätten.

(Caren Marks [SPD]: Im Gegensatz zu Ihnen haben wir das getan!)

Aber ich möchte noch einmal darauf hinweisen: Es wardas Verfassungsgerichtsurteil von 1998, das sich eindeu-tig zur Kinderbetreuung geäußert hat.

(Caren Marks [SPD]: Was die CDU-Politik kritisiert hat!)

Im November 1998 kam das Urteil, und daraufhin habenSie 2000 reagiert, aber nicht, weil es Ihnen ein Grundbe-dürfnis war.

(Dr. Hans-Ulrich Krüger [SPD]: Und welche Poli-tik hat das Verfassungsgericht verurteilt?)

Man muss noch einmal sagen, dass dies eine Reaktionwar.

Seit 2002 ist nichts mehr geschehen. Obwohl Ihnendas Thema Armut immer so wichtig ist, haben Sie nichterkannt, dass gerade Familien mit drei und mehr Kin-dern ein erhöhtes Armutsrisiko tragen. Deshalb ist esrichtig und wichtig, dass wir jetzt ein gestaffeltes Kin-dergeld nach vorn bringen.

(Beifall bei der CDU/CSU – JohannesSinghammer [CDU/CSU]: Jawohl, so muss essein!)

Darauf sind wir stolz, und wir können es mit Recht sein.

Frau Höll, ich bin jedes Mal sprachlos, wenn dieLinke hier steht und suggeriert, sie wolle das Beste fürdas Volk.

(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Ja!)

Sie reden über Eckregelsätze, die man erhöhen müsse,und davon, dass wir die Sätze viel zu niedrig ansetzten.Sie wissen aber, wie wir sie auf Bundesebene berechnen:Die sozialrechtlichen Eckregelsätze werden von denLandesregierungen bestimmt; daraus berechnen wir dasMittel.

Ich habe einmal nachgesehen, was Sie in Berlin ma-chen, wo Sie regieren und entsprechende Möglichkeitenhaben. Es müsste Ihnen doch ein Grundanliegen sein,

gerade die Eckregelsätze derjenigen Menschen, für dieSie sich hier so stark machen, so zu erhöhen, dass sie da-von profitieren. Sie haben jedoch genau die gleichen Re-gelsätze wie die anderen Bundesländer auch, nicht einenEuro mehr. Daran müssen Sie sich messen lassen. Siesollten sich nicht hier hinstellen und so tun, als ob Sie et-was änderten. Machen Sie es vielmehr da, wo Sie in derVerantwortung sind! Da können Sie etwas verändern,und da sollten Sie es auch tun.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, ich will noch einmal ver-deutlichen, dass wir nicht nur mit der jetzt vorgesehenenErhöhung des Kindergeldes und des -freibetrages eindeutliches Zeichen setzen, sondern dass während derletzten drei Jahre einige Dinge als Leistung der großenKoalition auf den Weg gebracht wurden, die gerade denFamilien zugutekommen. – Der Präsident blinkt schon?

Präsident Dr. Norbert Lammert: Nein, ich wollte nur fragen, ob Sie bereit sind, eine

Zwischenfrage der Kollegin Höll zu beantworten.

Ingrid Fischbach (CDU/CSU): Nein, heute nicht. Ich mache es sonst immer gern,

aber ich möchte es nicht.

(Zurufe von der LINKEN)

– Ich möchte es heute nicht. Nein, regeln Sie das in Ber-lin! Da haben Sie eine Menge zu tun, und wir reden jetzthier weiter.

(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Heutenicht! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU:Beim nächsten Mal!)

Wir haben, wie gesagt, einiges auf den Weg gebracht,was gut und richtig ist. Wir haben nicht nur das Eltern-geld eingeführt, wir haben nicht nur den Ausbau derKinderbetreuung auf den Weg gebracht.

Wir haben beim Kinderzuschlag – jetzt beziehe ichmich auf die zweite Gruppe, die stark von Armut betrof-fen ist – die Alleinerziehenden noch einmal ganz beson-ders in den Fokus genommen und die Absicht bekundet,dass hier eine Verbesserung gerade für sie erfolgen soll.Das haben wir auch getan, und deshalb, Frau Westrich,habe ich die Aussage in Ihrer Rede nicht verstanden– das muss ich jetzt doch einmal kritisch sagen –, diesesGesetz habe allein die SPD auf den Weg gebracht.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Ich glaube, wir waren durchaus wichtig und haben unsan einigen Stellen sehr deutlich bemerkbar gemacht.

(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Ja, das war gerade das Problem!)

Ich komme noch einmal zum Stichwort „haushalts-nahe Dienstleistungen“. Ich bin zwar schon etwas älter,aber mein Gedächtnis ist noch sehr gut. Ich kann micherinnern, dass unsere ersten Vorschläge gerade von Ih-

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Ingrid Fischbach

nen immer mit der Bemerkung abgetan wurden, das seieine Unterstützung der gut- und besserverdienenden Fa-milien.

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!)

Heute stellen Sie sich hier hin und sagen, das sei das,was die SPD immer gewollt habe. Das hätten wir dannschon viel eher haben können.

(Beifall bei der CDU/CSU – Carl-LudwigThiele [FDP]: So war es! – Dr. NorbertRöttgen [CDU/CSU]: Wenn sie es heute gutfinden, ist es auch etwas! – Volker Kauder[CDU/CSU]: Über verlorene Söhne freuen wiruns, wenn sie zurückkehren!)

Uns hatten Sie da immer auf Ihrer Seite, und Sie werdenuns dabei immer auf Ihrer Seite haben.

Gerade damit wollen wir nicht nur erreichen, die Fa-milien in finanzieller Hinsicht besserzustellen, bessereBetreuungsangebote vorzuhalten – und jetzt kommt derDreiklang, den die Ministerin sehr gut auf den Weg ge-bracht hat –; vielmehr wollen wir auch dafür sorgen,dass Eltern wieder mehr Zeit für ihre Kinder haben.Wenn wir wollen – dies ist gerade auch in Ihrer Partei,Frau Westrich, ein großer Wunsch –, dass die Frauennach der Geburt eines Kindes ganz schnell in den Berufzurückkehren, dann müssen wir Ausgleichsmöglichkei-ten schaffen, damit die Eltern, wenn beide berufstätigsind, Zeit für die Kinder haben. Sie haben sie nur dann,wenn sie bestimmte Aufgaben auslagern können.

Deshalb ist es richtig und wichtig, dass wir ein deutli-ches Signal setzen, indem wir sagen: 20 Prozent derAufwendungen für haushaltsnahe Dienstleistungen sindvon der Steuerschuld absetzbar, und dies mit der Ober-grenze von 20 000 Euro. Das ist ein richtiges, wichtigesund deutliches Signal, und ich bin auch dem Finanz-minister sehr dankbar, dass er dem Ganzen zugestimmthat.

Meine Damen und Herren, ich kann nur noch einmaldeutlich machen, dass wir in den letzten drei Jahren eineMenge auf den Weg gebracht haben. Ich habe das auchanhand dessen feststellen können, wie oft ich in dieserLegislaturperiode im Vergleich zu den letzten geredethabe. Da ich immer für die Familienpolitik zuständigwar, kann man das gut vergleichen. Es ist eine deutlicheSteigerung; das können Sie im Internet nachlesen.

(Sönke Rix [SPD]: Weil die Union im Bundes-rat auch nicht mehr blockiert! – JohannesSinghammer [CDU/CSU]: Chefsache statt Ge-döns!)

Das zeigt einfach, dass wir sehr viele Themen besetzthaben, die Familien betreffen, und dass wir Dinge aufden Weg gebracht haben.

Wir haben auch geschafft – das freut mich nochmehr –, dass unsere Debatten im Plenum des DeutschenBundestags zur Kernzeit stattfinden. Das war frühernicht üblich. Auch dafür ein Dankeschön. Das ist ein

deutliches Zeichen dafür, dass wir die Familien ernstnehmen.

Frau Ministerin, wir sind auf einem guten Weg. Wirbegleiten Sie weiterhin; denn das tun wir für die Fami-lien in Deutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Um die zu Recht hervorgehobene Bedeutung dieses

Themas zu unterstreichen, gestattet das Präsidium jetztnoch eine Kurzintervention, und zwar der Kollegin Höll.

Ich mache aber noch einmal darauf aufmerksam, dasswir aus guten Gründen keinen Rechtsanspruch auf Kurz-interventionen haben. Schon gar nicht gibt es eine Rege-lung, nach der die Abgeordneten, die in der Debatteohnehin zu Wort gekommen sind, sich anschließend inForm von Kurzinterventionen zusätzliche Redezeit ver-schaffen.

Frau Kollegin Höll.

(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Also eine kurze Kurzintervention!)

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Herr Präsident, ich danke Ihnen. – Ich möchte auch

nur ganz kurz auf den gegen mich erhobenen Vorwurfbezüglich Berlins reagieren.

Erstens. Frau Kollegin, Sie sollten hier nicht so tun,als ob der rot-rote Senat für die prekäre Haushaltssitua-tion von Berlin verantwortlich wäre. Dafür trägt vor al-lem die Berliner CDU die Verantwortung. Stehen Sie ge-fälligst dazu!

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-neten der SPD – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Sie ist aber nicht an der Regierung!)

Zweitens. Wenn Sie hier solche Vorwürfe erheben,sollten Sie sich vielleicht doch etwas gründlicher infor-mieren. Berlin regelt die Wohnkostenübernahme fürHartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger und damitauch für ihre Kinder in der großzügigsten Art und Weise.Das Berliner Modell ist das beste Modell, das wir derzeitin der Bundesrepublik haben – und das trotz der ange-spannten Haushaltssituation. Berlin tut in dem sehrengen Rahmen, den es hat, das Bestmögliche.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-wurfs auf Drucksache 16/10809 an die in der Tagesord-nung aufgeführten Ausschüsse und zusätzlich an denAusschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzung vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vor-schläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überwei-sung so beschlossen.

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(A)

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Präsident Dr. Norbert Lammert

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 bauf:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuaus-richtung der arbeitsmarktpolitischen Instru-mente

– Drucksache 16/10810 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten KorneliaMöller, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Arbeitslosenversicherung stärken – Ansprü-che sichern – Öffentlich geförderte Beschäf-tigte einbeziehen

– Drucksache 16/10511 – Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

(Unruhe)

– Sobald die notwendige Aufmerksamkeit für die gemel-deten Redner hergestellt ist, können wir fortfahren. – Eswäre auch schön, wenn in der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen die offenkundig dringlichen Besprechungen we-nigstens im Sitzen stattfinden könnten.

(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Das kriegen die gar nicht mit!)

Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit undSoziales, Olaf Scholz.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Olaf Scholz, Bundesminister für Arbeit und Sozia-les:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir habenschwierige Zeiten, aber in diesen schwierigen Zeitengibt es auch gute Meldungen – die müssen besprochenund zur Kenntnis genommen werden –: Das erste Malseit 16 Jahren ist die Zahl der Arbeitslosen wieder unter3 Millionen gesunken. Das ist das Ergebnis vieler guterEntwicklungen in der Konjunktur. Das ist das Ergebnisvon Entscheidungen, die Unternehmerinnen und Unter-nehmer getroffen haben. Das ist das Ergebnis der An-strengungen vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-mer. Aber das ist auch das Ergebnis guter Politik.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Mit den Reformen auf dem Arbeitsmarkt, die wirzustande gebracht haben, haben wir einen Beitrag dazugeleistet, dass die Arbeitslosigkeit schneller zurückgeht,als sie ohne diese Reformen zurückgegangen wäre. Werdas bezweifelt, kann sich jetzt noch einmal neu beimSachverständigenrat erkundigen. Er hat die Reformen,

die wir in der letzten Legislaturperiode begonnen haben,so bewertet: Zum ersten Mal seit langem ist es gelungen,dass die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt miteinem Rückgang der Langzeitarbeitslosigkeit einher-geht. Zum ersten Mal ist es gelungen, dass innerhalb ei-nes Konjunkturzyklus auch insgesamt eine strukturelleVerbesserung festgestellt werden kann. Schließlich ist esnicht mehr so, dass die Arbeitslosigkeit erst dann zu-rückgeht, wenn das Wirtschaftswachstum über 2 Prozentliegt. Das alles haben wir zustande gebracht. Das mussin diesen Tagen auch einmal gesagt werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Warum ist uns das gelungen? Es ist uns gelungen,weil wir uns die Sache nicht so einfach gemacht habenund nicht auf die hereingefallen sind, die einfache Lö-sungen propagieren: Die einen sagen hier, man müsseden Arbeitsmarkt so organisieren, dass er keine Halteli-nien hat, also sozialstaatliche und soziale Regelungenabschaffen, um ihn hochmobil zu halten. Die anderen sa-gen, man dürfe gar nichts ändern. Wir haben dagegen ei-nen Arbeitsmarkt geschaffen, der unter sozialstaatlichenRahmenbedingungen hoch funktionsfähig und hoch mo-bil ist. Genau das hat zum derzeitigen Rückgang der Ar-beitslosigkeit beigetragen.

Natürlich müssen wir jetzt alles dafür tun, damit esdabei bleibt. Es ist deshalb richtig, dass dem Schutz-schirm für die Finanzmärkte auch ein Schutzschirm fürden Arbeitsmarkt folgt. Darüber diskutieren wir heuteja auch, nachdem zuvor darüber schon in den Fraktionenund anderen Gremien beraten worden ist. Ich halte dasfür notwendig. Für ganz besonders notwendig halte ichin diesem Zusammenhang aber die Maßnahmen, die wirim Bereich der Arbeitsmarktpolitik zusätzlich auf denWeg gebracht haben.

So haben wir angesichts der derzeitigen Situation ge-sagt: Wir verlängern die Dauer des Bezugs von Kurzar-beitergeld. Es wird nicht nur, wie im Gesetz vorgese-hen, sechs Monate gezahlt, sondern kann bis zu 18 Mo-nate gewährt werden. Das starke Signal, das davon andie Unternehmen ausgeht, lautet: Haltet an euren Be-schäftigten fest!

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Entlasst sie nicht, wenn es jetzt Schwierigkeiten gibt,sondern behaltet sie bei euch! Ihr werdet sie schnellerwieder brauchen, als ihr denkt!

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Wir unterstützen in dieser Situation die Unternehmenmit der Verlängerung der Bezugsdauer des Kurzarbeiter-geldes. Dies verbinden wir mit einem weiteren Angebot,das wir im Übrigen auch mit Maßnahmen der Arbeits-marktpolitik auf den Weg gebracht haben. Wir sagen:Qualifiziert, statt zu entlassen! Wir wollen also, dass je-mand, der in Kurzarbeit ist, die Möglichkeit hat, sichweiterzuqualifizieren. Dafür werden wir die Vorausset-zungen schaffen. Wir wollen aber auch, dass generell inden Betrieben häufiger diese Möglichkeit wahrgenom-

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Bundesminister Olaf Scholz

men wird. Deshalb werden wir für eine umfassende Nut-zung des Programms WeGebAU, das wir aufgelegt ha-ben, werben. Wir werden den mittelständischenUnternehmen nahelegen, dafür zu sorgen, dass geringqualifizierte Arbeitnehmer ausgebildet werden, dass siemehr Qualifikation bekommen und nicht entlassen wer-den. Wir werden auch dafür sorgen, dass ältere Arbeit-nehmer nachqualifiziert werden, sodass sie für die Her-ausforderungen der Zukunft gerüstet sind. Auch dasgehört zu den Dingen, die wir jetzt tun.

Im Übrigen werden wir auch dafür Sorge tragen, dassdie Zahl der Vermittler bei der Bundesagentur für Arbeitnoch einmal ausgeweitet wird. 1 000 zusätzliche Ver-mittler sollen als Job-to-Job-Vermittler dafür sorgen,dass diejenigen, die in der jetzt rauer und schwierigerwerdenden wirtschaftlichen Situation arbeitslos werdenund einen neuen Arbeitsplatz suchen, umgehend und in-tensiv betreut werden können. Das ist ein wichtiges Sig-nal an diejenigen, die in der derzeitigen Situation Angstum ihren Arbeitsplatz haben. Wir werden sie nicht al-leinlassen, sondern sie unterstützen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Nicht nur mit dem Job-to-Job-Zusatzprogramm, son-dern ganz generell ist es schon gelungen, die Zahl derje-nigen, die Vermittlungsarbeit leisten, zu erhöhen. So ha-ben wir dafür gesorgt, dass die Zahl der Vermittler beiden Arbeitsagenturen noch einmal erhöht wird, sodassbei den jüngeren Arbeitslosen ein Vermittler 75 Arbeit-suchende betreut und bei den älteren Arbeitslosen einVerhältnis von 1 : 150 erreicht werden kann. Das sindnotwendige Standards, damit Arbeitsuchende in einerschwierigen Situation ihres eigenen Lebens gut unter-stützt werden können.

Ich finde, dass wir hier etwas Richtiges auf den Weggebracht haben, und zwar ganz unabhängig von dem ge-planten Konjunkturpaket. Noch deutlicher wird dies,wenn man sich überlegt, wie die Situation früher war. ZuZeiten der Bundesanstalt für Arbeit waren gerade einmal10 Prozent der dort Beschäftigten für Vermittlung zu-ständig. Jetzt ist fast die Situation erreicht, leider nochnicht ganz, dass die Hälfte der Beschäftigten mit Ver-mittlung befasst ist. Ich will das ausdrücklich sagen, weilich glaube, dass Vermittlung im Mittelpunkt stehenmuss. Wir wollen, dass die Menschen Arbeit finden,dass den Bürgerinnen und Bürgern, die ohne Arbeit sind,Möglichkeiten eröffnet werden, einen Arbeitsplatz zufinden. Das geht nur, wenn wir uns mit vielen Personen,die gut qualifiziert sind, um sie kümmern. Sie müssen,wenn sie eine Agentur, eine Arbeitsgemeinschaft oderein Jobcenter aufsuchen und Unterstützung brauchen,wissen, dass hier alles für sie getan wird. Das geht nur,wenn sich viele Personen darum kümmern.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Die Reform der arbeitsmarktpolitischen Instru-mente reiht sich da ein. Es geht darum, dafür zu sorgen,dass wir nicht im großen Maßstab alles nach Detailhube-reien organisieren, sondern dass wir den Arbeitsvermitt-lerinnen und -vermittlern mehr Flexibilität ermöglichen.

Es geht darum, passgenau für jeden Arbeitsuchenden dasRichtige zu tun. Das kann nicht funktionieren, wenn wireinen Katalog haben, der so lang ist, dass man allein mitdem Wälzen der Unterlagen möglicher Maßnahmenseine Zeit verbringt. Vielmehr muss es zusammenge-fasste Instrumente geben. Sie müssen passgenau sein so-wohl für den Bereich SGB III als auch für den BereichSGB II, für die Versicherungskunden und für diejenigen,die Arbeitslosengeld II erhalten.

Zudem muss die Möglichkeit gegeben sein, etwasNeues zustande zu bringen, etwas, das bisher noch nichtdarin enthalten war, und zwar nicht erst, nachdem derDeutsche Bundestag einen weiteren Einfall für einenweiteren Paragrafen hatte; diese Handlungsmöglichkeitmuss generell gegeben sein. Das ist mit diesem Gesetz-entwurf gegeben. Die wachsende Flexibilität und diebessere Unterstützung der Arbeitsuchenden bedeuten ei-nen guten und richtigen Zug, den wir gemeinsam als Ko-alition voranbringen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Ich will ausdrücklich sagen, dass es eine gemeinsameSache ist, dafür Sorge zu tragen, dass die Zahl der Instru-mente reduziert wird. Wir betrachten dies nicht als et-was, was man irgendwie machen musste. Es geht viel-mehr darum, dass man mit weniger, zusammengefassten,mehr Einzelfallgerechtigkeit ermöglichenden Instrumen-ten besser vorankommt als mit den Instrumenten, dieletztlich nur ein bürokratisches Monster sind. Insofernhoffe ich, dass es für dieses Vorhaben über die Koali-tionsfraktionen hinaus Unterstützung gibt.

Lassen Sie mich im Hinblick auf die Instrumente, ins-besondere auf einen Punkt, der mir wichtig ist, eingehen.Wenn wir uns über die Frage Gedanken machen, wiesich der Arbeitsmarkt der Zukunft entwickeln wird, dannmüssen wir uns ganz klar vor Augen halten: Der Arbeits-markt der Zukunft ist entweder einer mit genügendFachkräften und geringer Arbeitslosigkeit oder ein Ar-beitsmarkt, in dem es eine nicht ausreichend große An-zahl von Fachkräften und eine hohe Arbeitslosigkeit vonnicht qualifizierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-mern gibt. Genau hier muss man ansetzen. Es kann nichtsein, dass 500 000 von 3 Millionen Arbeitslosen keinenSchulabschluss haben, die fast alle langzeitarbeitslossind, und wir nichts dagegen unternehmen. Es kann auchnicht angehen, dass wir wissen, dass die Hälfte derLangzeitarbeitslosen über keinen Berufsabschluss ver-fügt und wir nichts dagegen unternehmen. Wir müssenmit unseren Möglichkeiten etwas dagegen unternehmen.Nicht alles können wir vom Deutschen Bundestag ausbewegen. Nicht alles können die Arbeitsgemeinschaftenund die Agenturen machen. Dass wir es jetzt aber ge-schafft haben, dass jedem Mann und jeder Frau lebens-lang das Recht zugesprochen wird, sich auf den Haupt-schulabschluss gefördert vorzubereiten und ihnnachzuholen, das ist ein großer Fortschritt für diese500 000 Arbeitsuchenden. Es ist aber nicht nur ein gro-ßer Fortschritt, sondern auch ein Zeichen für unsere Ge-sellschaft, dass man sein Leben verbessern kann, wennman sich Mühe gibt. Darum geht es auch bei dem, was

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Bundesminister Olaf Scholz

wir hier machen. Ich bin froh darüber, dass dies jetztmöglich geworden ist.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Ebenso werden wir Sorge dafür tragen, dass all dieje-nigen, die über Sprachprobleme verfügen und deshalbSchwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt haben, jetzt un-terstützt werden und dies ändern können. Ich glaube,auch das ist eine gute Sache, die wir zustande bringen.Dabei geht es darum, Maßnahmen nicht mal hier undmal dort zu ergreifen, sondern flächendeckend. Auch daswird passieren.

Beide Dinge, die ich hier angesprochen habe, betref-fen im Übrigen Maßnahmen, die in der Fläche, vor Ortimmer mal wieder ausprobiert worden sind. Das ist mitverschiedenen Instrumenten – manchmal auch mit In-strumenten, die nicht vom Gesetz vorgesehen waren –gemacht worden. Diese Erfahrungen vor Ort in den Ar-beitsgemeinschaften, die Experimente, die durchgeführtworden sind, haben wir nicht einfach weiter betrachtet,sondern wir haben gesagt: Das soll nicht Experimentbleiben. Das soll etwas Regelhaftes werden, das für alleArbeitsuchende überall in Deutschland flächendeckendzur Verfügung steht, also nicht nur dort, wo sich beson-ders Engagierte darum bemüht haben. Auch das ist eingesetzgeberischer Fortschritt, den wir jetzt zustandebringen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Wir wollen Flexibilität erhöhen. Bisher gibt es sie ei-gentlich nicht. Es gibt derzeit sonstige weitere Leistun-gen, um ein beliebtes Thema anzusprechen. Diese stehenneben den Instrumenten der Regelförderung zur Verfü-gung. Sie sind aber oft genutzt worden als eine Möglich-keit zur freien Förderung, als ein Spielraum, etwas zumachen, das bisher keine gesetzliche Grundlage hatte.Darin unterscheiden sie sich von anderen Instrumenten.Mit dem neuen Gesetz wird es zum ersten Mal im Be-reich der Grundsicherung für Arbeitsuchende eine freieFörderung geben. Dieses Instrument wird neu geschaf-fen. Es ist richtig, dass der Deutsche Bundestag inKenntnis der Bedenken des Haushaltsausschusses, deralle Regelungen auf eine rechtlich einwandfreie Grund-lage stellen will, sagt: Es soll ein Experimentierfeld ge-ben, auf dem weitere Neuerungen, die wir heute nochnicht kennen, getestet werden können. Nachdem sie vorOrt ausprobiert worden sind, können bewährte Maßnah-men später vielleicht verallgemeinert werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, die Arbeitsmarktpolitik istgut, wenn sie für die Bürgerinnen und Bürger, die Arbeitsuchen, gut ist, wenn die Menschen im Mittelpunkt ste-hen und eine Chance erhalten, ein besseres Leben zuführen. Darum bemühen wir uns mit diesem Gesetz. Ichfreue mich auf den Beginn der Gesetzesberatungen.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als nächster Redner hat der Kollege Dirk Niebel von

der FDP-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der FDP)

Dirk Niebel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Am Elften Elften 2005 – ich kann nichts für dasDatum – hat die Große Koalition den Koalitionsvertragunterschrieben, in dem festgelegt ist, dass Sie die ar-beitsmarktpolitischen Instrumente überprüfen und dieBeantwortung der Frage, welche Instrumente sinnvollsind und welche nicht, bis zum Ende des Jahres 2006 ab-geschlossen haben wird. Sie hat vereinbart, dass manspätestens im Jahr 2007 die arbeitsmarktpolitischen In-strumente neu geregelt haben will. Jetzt haben wir denNovember 2008. Das heißt, drei Jahre sind vergangen,seit vereinbart wurde, die arbeitsmarktpolitischen Instru-mente daraufhin zu überprüfen, ob sie sinnvoll sind.

Jetzt legt uns der Bundesminister einen Gesetzent-wurf vor, von dem er meint, dass er das Versprechen imKoalitionsvertrag umsetzt.

(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das stimmt doch auch!)

Das ist mitnichten der Fall. Sie haben die Zeit der gutenKonjunktur zwar genossen, aber Sie haben sie nicht ge-nutzt. Sie haben die Zeit verschwendet; denn seit Januar2006 liegt der Evaluierungsbericht über die Hartz-Re-formen I bis III vor. Dies ist nicht ein Bericht der bösenOpposition, sondern ein Bericht der Bundesregierung. Inihm ist die Feststellung enthalten, dass ein Großteil dervorhandenen arbeitsmarktpolitischen Instrumente nichtnur nicht hilft bei der Integration Arbeitsuchender, son-dern oftmals den Menschen, die damit „beglückt“ wer-den, überproportional schadet; denn sie werden teilweisezusätzlich stigmatisiert und daran gehindert, einen Ar-beitsplatz zu finden.

(Beifall bei der FDP – Andrea Nahles [SPD]:Das ist eine Grundlogik, die wirklich peinlichist!)

Der Bundesarbeitsminister hat versprochen, die An-zahl der Instrumente zu halbieren. Dass er das nicht ge-schafft hat, verwundert nicht angesichts der Tatsache,dass in der Antwort der Bundesregierung vom 25. Juli– das ist die Drucksache 16/10048 – auf unsere KleineAnfrage bemerkt wird:

Für die Zählung der Instrumente bzw. Leistungender aktiven Arbeitsmarktpolitik gibt es in Deutsch-land kein, zwischen den unterschiedlichen Akteu-ren bei der Bundesagentur für Arbeit, der Bundes-regierung und der Wissenschaft, gemeinsamfestgelegtes Konzept.

Das bedeutet übersetzt nichts anderes, als dass die Bun-desregierung keine Ahnung hat, wie viele arbeitsmarkt-politische Instrumente es überhaupt gibt. Mit dem jetztvorgelegten Gesetzentwurf schafft sie zwar 27 vorhan-dene Instrumente ab, die sie offenkundig gefunden hat,aber sie schafft gleichzeitig fünf neue, die teilweise das

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Dirk Niebel

beinhalten, was mit den anderen abgeschafft worden ist.So kann man keine Menschen in den Arbeitsmarkt inte-grieren. Aber das muss das Hauptziel sein.

(Beifall bei der FDP)

Die Bundesagentur versinkt in Bürokratie bei demVersuch, Einzelfallgerechtigkeit zu gewährleisten. 1,5 Mil-lionen Menschen ohne Arbeitsplatz werden in arbeits-marktpolitischen Maßnahmen geparkt, ohne in derArbeitslosenstatistik aufzutauchen.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Darum geht es eigentlich!)

Das ist versteckte Arbeitslosigkeit, die nur politisch be-gründet werden kann.

(Beifall bei der FDP)

Wenn jemand, der sich mit einem sogenannten 1-Euro-Job etwas hinzuverdienen will, nicht als arbeitslos einge-stuft wird, dann ist das absolut unredlich. Wozu dienendiese 1-Euro-Jobs überhaupt? Doch nur dazu – wie auchalle anderen staatlich geförderten Arbeitsverhältnisse,die einen separaten Arbeitsmarkt kreieren –, Menschen,die den Bezug zur Arbeitswelt verloren haben, wieder anden Arbeitsprozess heranzuführen oder auch, um die Ar-beitsbereitschaft zu überprüfen. Aber nur für derartigeFälle kann dieses Instrument genutzt werden. In allenanderen Fällen führt es zu Verwerfungen, Verzerrungenund Mitnahmeeffekten.

Vermittlungsgutscheine sind ein probates Mittel,wenn sie marktgerecht ausgestaltet sind. Die Vermitt-lungsgutscheine, die die Bundesregierung vorschlägt,sind in der Höhe der Bezahlung nach wie vor nur an derDauer der Arbeitslosigkeit ausgerichtet. Das Alter, dieQualifikation und mögliche Vermittlungshemmnissewerden überhaupt nicht berücksichtigt. Das ist keinemarktgerechte Ausgestaltung. Deswegen gibt es für pri-vate, aber nach meinem Dafürhalten auch für staatlicheArbeitsvermittler, die sich durch die Einnahmen aus Ver-mittlungsgutscheinen refinanzieren könnten, keinen An-reiz, sich tatsächlich um diejenigen zu kümmern, die esam nötigsten hätten. Wir haben ja festgestellt, dass diegute konjunkturelle Situation gerade im Bereich der So-ckelarbeitslosigkeit, der Langzeitarbeitslosigkeit keinewirklich durchschlagenden Erfolge brachte.

Die freie Förderung, die Sie bei den Optionskommu-nen einschränken wollen, preisen Sie hier völlig zuRecht als ein probates Mittel für ortsnahe Lösungsmög-lichkeiten. Lassen Sie den Arbeitsvermittlerinnen undArbeitsvermittlern vor Ort viel Freiraum. Geben Sie ih-nen Kompetenz. Engen Sie sie nicht ein. Lassen Sie sieentscheiden, welches Instrument in Passau richtig ist,und zwingen Sie sie nicht, das Instrument zu nehmen,das vielleicht in Rostock wirkungsvoll sein kann.

(Beifall bei der FDP – Zurufe von der SPD: Keiner zwingt! – Das tut keiner!)

Wir brauchen auch keinen flächendeckenden Rechts-anspruch auf einen Hauptschulabschluss, auch wennder Bundesminister dies hier wie eine Monstranz vorsich herträgt. In den Ländern fordert die SPD die Ab-

schaffung der Hauptschule. Hier will sie den Rechtsan-spruch auf einen Hauptschulabschluss mit den Mittelnder Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus der Ar-beitslosenversicherung einführen,

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Unglaublich!)

während man sich auf der Kultusministerkonferenz zeit-gleich darüber berät, ob die Qualitätsstandards bei derHauptschule abgeschafft werden sollen, weil 50 Prozentder Hauptschulabgänger sie nicht erreichen. Glauben Siedenn im Ernst, dass ein 47-jähriger arbeitsloser Ange-lernter mit einem Hauptschulabschluss die Chance aufeinen neuen und vielleicht auch besseren Arbeitsplatzhat? Das ist weltfremd, das ist Symbolpolitik, die Sie un-glaubwürdig macht im Vergleich zu dem Verhalten, dasSie auf Landesebene in der Bildungspolitik zeigen.

(Beifall bei der FDP)

Sie haben die Paragrafen zur Mobilitätsförderunggestrichen. Das ist folgerichtig, wenn man sich denKompromiss zur Erbschaftsteuer anschaut. Wenn einKind nur dann erbschaftsteuerfrei im Haus der Elternwohnen kann, wenn es mindestens zehn Jahre in diesemHaus bleibt, dann braucht es keine Mobilitätsförderungmehr.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP)

Was Sie hier einführen wollen, ist im besten Fall eineAufforderung zu Melderechtsverletzungen, aber mit Si-cherheit nichts, was in einer mobiler werdenden Arbeits-welt dazu führt, dass Menschen, die an einem bestimm-ten Arbeitsplatz benötigt werden, ihn auch annehmen,dass man Arbeitsplätze mit qualifizierten Leuten beset-zen kann, die man benötigt.

Sie sind auch hier auf einem falschen Dampfer. Siehaben die guten Jahre der konjunkturellen positiven Ent-wicklung nicht genutzt. Sie versteifen sich jetzt auf ei-nen kleinen Randbereich – zugegeben, auf einen not-wendigen Randbereich in der Arbeitsmarktpolitik – undsuggerieren, dass damit alle Probleme gelöst werden.Arbeitsmarktpolitische Instrumente sind immer nur einWerkzeugkasten zum Reparieren anderer Fehler. Wirbrauchen keine Konjunkturprogramme, bei denen je-mand durch 100 Euro weniger Kfz-Steuer motiviert wer-den soll, ein 30 000-Euro-Auto zu kaufen, sondern wirbrauchen Strukturprogramme, die bewirken, dass tat-sächlich Arbeitsplätze gesichert und neue geschaffenwerden. Das werden Sie mit einem derartigen Instru-mentenkasten nicht leisten können.

(Beifall bei der FDP)

Hierfür müssten Sie eine echte Steuerstruktur-reform durchführen. Wenn der Instrumentenkasten aus-gelichtet wird, hat er einen entscheidenden positiven Ef-fekt: Dies führt dazu, dass die Beitragsmittel effizienteingesetzt werden und Beitragssenkungsspielräume ge-schaffen werden. Das führt wiederum dazu, dass Arbeitbilliger und dadurch sicherer wird und dass für Arbeit-nehmer Konsum leichter möglich wird. Aber in derGesamtschau dessen, was notwendig ist, um die Arbeits-marktsituation auch im kommenden Jahr zu stabilisie-ren, brauchen Sie Veränderungen der strukturellen

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Dirk Niebel

Rahmenbedingungen. Das geht nur mit einer Steuer-strukturreform, die den Menschen und den Betriebenmehr Netto vom Brutto lässt. Das geht nur mit Flexibili-sierungen und mehr Spielräumen im Arbeitsrecht.

(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Jetztkommen Sie wieder mit Ihren ganzen Laden-hütern!)

Gerade dann, wenn es schwierig ist, Belegschaften zuhalten, muss man sich Gedanken darüber machen, dasArbeitsrecht zu flexibilisieren – ein Thema, das in dergesamten Regierungszeit von Schwarz-Rot nicht ange-sprochen wurde.

(Beifall bei der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Weil die ja nichts zustande bringen!)

Das geht nur, wenn ideologische Scheuklappen wegfal-len.

Damit komme ich noch einmal zum Thema Erb-schaftsteuer. Die Basis unserer Wirtschaft sind die fami-liengeführten Betriebe in Deutschland.

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!)

Wenn der Aktionär eines DAX-Unternehmens stirbt,wird dem Betrieb kein Cent des Vermögens entzogen.Wenn ein mittelständischer Inhaber stirbt, ist dies aller-dings der Fall. Deswegen sind die Vorschläge, die Sie imvierten Superkompromiss dieser Koalition gefunden ha-ben, mit Sicherheit eines: mittelstandsfeindlich. Sie sindfamilienfeindlich, aber sie sind auch mittelstandsfeind-lich;

(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Die bayerische FDP wird das schon wissen!)

denn kein Unternehmen kann am Rande einer Rezessionseine Lohnsumme für zehn Jahre festschreiben. Wennein Unternehmen erbschaftsteuerfrei übergeben werdensoll

(Andrea Nahles [SPD]: Thema verfehlt! Wirreden hier über arbeitsmarktpolitische Instru-mente! Das ist keine Erbschaftsteuerdebatte,Herr Niebel!)

und die Lohnsumme für zehn Jahre festgeschrieben ist,das Unternehmen dann aber in eine Schieflage gerät, hatman die dramatische Situation, dass man den Umfangdes Personals nicht anpassen kann und zusätzlich mit derErbschaftsteuer belastet wird. Das kostet weit mehr Ar-beitsplätze, als Sie mit Ihrem kleinen Instrumentenkästlejemals reparieren können.

(Beifall bei der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb[FDP]: Da können Sie Vermittler einstellen, soviele Sie wollen! Da kommt nichts bei rum!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Stefan Müller von der

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU – Brigitte Pothmer[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt aber malzur Sache, anders als Herr Niebel! – Andrea

Nahles [SPD]: Herr Müller, geben Sie sichMühe! Obwohl, der ist ja von der CSU! Ohje!)

Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Große Koalition hat in den letzten drei Jahren deutlichmehr erreicht, als viele, vor allem Sie, liebe Kolleginnenund Kollegen von den Oppositionsfraktionen, uns zuge-traut haben. Man kann sich immer mal wieder die Fragestellen: Was hätten Sie für Feste in diesem Hause gefei-ert, wenn Sie diese Erfolge vorzuweisen gehabt hätten?Ich vermute, dass das, was wir hier machen, bescheidenist gegenüber dem, was Sie, liebe Frau Pothmer, hier ge-sagt und getan hätten, wenn Sie in der gleichen Funktiongewesen wären, wenn Rot-Grün weiterregiert hätte.

Die Erfolge auf dem Arbeitsmarkt sind unüberseh-bar: Wir haben einen Rückgang bei der Arbeitslosigkeit,wir haben einen Aufwuchs bei den sozialversicherungs-pflichtigen Beschäftigungsverhältnissen, wir habenmehr Ältere im Erwerbsleben und weniger junge Ar-beitslose. Natürlich hat die Politik dieser Großen Koali-tion einen ganz maßgeblichen Anteil an diesen Erfolgen,

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das am aller-wenigsten!)

nämlich aufgrund der Reformen der vergangenen Jahre,vor allem aufgrund der Senkung des Arbeitslosenversi-cherungsbeitrages.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das hatten wir gestern Abend schon!)

– Wir haben gestern zu später Stunde darüber geredet.Weil da schon alle Kameras ausgeschaltet waren, solltedieses Thema heute früh noch einmal angesprochen wer-den.

Herr Niebel,

(Dirk Niebel [FDP]: Hier!)

es ist ja nicht so, dass wir auf den Evaluationsbericht ausdem Jahr 2006 nicht reagiert haben. Es hat entspre-chende Schlussfolgerungen gegeben. Dazu werde ichgleich etwas sagen.

Mit dem Gesetzentwurf, den wir heute in erster Le-sung beraten, geht es uns darum, die Bundesagentur fürArbeit schlagkräftiger aufzustellen, vor allem – der HerrMinister hat darauf hingewiesen –, weil wir nicht wis-sen, wie sich die Finanzmarktkrise auf den Arbeitsmarktin Deutschland auswirken wird. Das heißt, wir wollendarüber reden, wie die Bundesagentur für Arbeit zu ei-nem leistungsfähigen Dienstleister am Arbeitsmarkt ent-wickelt werden kann.

Herr Niebel, Sie haben eine für Ihre Verhältnisse er-staunlich konstruktive Rede gehalten. Ich will das aus-drücklich anerkennen.

(Dirk Niebel [FDP]: Wundert Sie das?)

Allerdings haben Sie am Ende Ihrer Rede wieder Ihrenliberalen Ladenhüter hervorgeholt: Schafft den Kündi-gungsschutz ab; dann haben wir automatisch mehr Ar-

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Stefan Müller (Erlangen)

beitsplätze. – Lassen Sie sich doch einmal etwas Neueseinfallen. Es wird doch dadurch nicht richtiger, dass Siees ständig wiederholen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU undder SPD – Dirk Niebel [FDP]: Lesen Sie docheinmal nach, ob ich das Wort „Kündigungs-schutz“ überhaupt gebraucht habe!)

Zur Erbschaftsteuer. Das ist zwar nicht unserThema, lassen Sie mich aber trotzdem sagen: Ich glaube,dass die bayerische FDP verantwortungsbewusst genugist, um mit dem Thema Erbschaftsteuer ordentlich um-zugehen, und keine Nachhilfe von Ihnen, HerrnWesterwelle, oder sonst jemandem von der Bundesparteibraucht. Ich bin da sehr zuversichtlich. Lassen Sie diebayerischen Kollegen in Ruhe mit uns zusammenarbei-ten. Dann kommt auch etwas Anständiges raus.

Wir wollen die Bundesagentur zu einem schlagkräf-tigen Dienstleister am Arbeitsmarkt entwickeln. Es magja sein, dass Sie, liebe Kollegen von der FDP, daran keinInteresse haben. Sie wollen die Bundesagentur lieber ab-schaffen.

(Dirk Niebel [FDP]: Nein! Auflösen!)

– Auflösen. Den Unterschied müssen Sie mir einmal er-klären. – Die Wahrscheinlichkeit, dass die Bundesagen-tur irgendwann einmal abgeschafft oder aufgelöst wird,ist so hoch wie die Wahrscheinlichkeit, dass die FDP ir-gendwann einmal in Deutschland mit absoluter Mehrheitregiert.

(Dirk Niebel [FDP]: Oder die CSU 17 Prozent verliert!)

Das ist sehr unwahrscheinlich. Ich finde, das ist auch gutso.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf für eineSGB-III-Reform verfolgen wir im Wesentlichen dreiZiele: Erstens. Wir wollen mehr Übersichtlichkeit undeine bessere Handhabbarkeit der Instrumente, um da-durch eine bessere Vermittlung in den Arbeitsmarkt ge-währleisten zu können. Wir wollen zweitens mehr Ent-scheidungsspielräume für die Agenturen und dieMitarbeiter der Agenturen vor Ort. Drittens wollen wirerreichen, dass die Mittel, die der Bundesagentur für Ar-beit zur Verfügung stehen, wirtschaftlicher eingesetztwerden können, damit das Geld der Beitragszahler so ef-fizient und effektiv wie möglich eingesetzt werden kann.

Lassen Sie mich zu den drei Punkten einige kurze Be-merkungen machen: Erstens. Bessere Übersichtlichkeitheißt für mich auch mehr Transparenz. Wir haben imKoalitionsvertrag vereinbart, dass die Zahl der Instru-mente reduziert werden soll. Vor allem aber sollen dievorhandenen Instrumente auf ihre Wirksamkeit geprüftwerden. Das heißt, wir wollen wirksame Instrumentefortentwickeln und unwirksame Instrumente abschaffenoder streichen, und wir haben uns vorgenommen, dassgleichartige Instrumente zusammengefasst werden.

Wenn Sie den Gesetzentwurf durchlesen, werden Siefeststellen, dass wir in der Tat unwirksame Instrumenteabschaffen, zum Beispiel die Jobrotation, den Eingliede-rungszuschuss bei Neugründungen, den Arbeitgeberzu-schuss zur Ausbildungsvergütung und vieles anderemehr. Diese Maßnahmen werden gestrichen, weil sienichts genutzt haben, weil sie die arbeitsmarktpoliti-schen Ziele nicht erfüllt haben, also einfach, weil sie un-wirksam waren. Eine ganze Reihe von Maßnahmen– unterstützende Leistungen und vieles andere mehr –wird, zum Beispiel im Vermittlungsbudget, zu einemneuen Instrument zusammengefasst, sodass wir entge-gen dem, was hier gesagt worden ist, zu einer Reduzie-rung der Zahl der Arbeitsmarktinstrumente kommen. Ichsage aber ausdrücklich dazu: Diese Reduzierung ist keinSelbstzweck. Wir reduzieren die Zahl der Instrumentenur, um dem Ziel näher zu kommen, die Vermittlung zuverbessern und den Arbeitsuchenden, also denen, die un-sere Hilfe und Unterstützung brauchen, noch wirksamerhelfen zu können. Darum geht es.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Wir setzen mit dem, was wir Ihnen heute vorlegen,den bisherigen Kurs der Großen Koalition fort. HerrNiebel, ich habe Ihnen angekündigt, dazu noch etwas zusagen. Natürlich haben wir auf die Evaluationsberichtereagiert

(Dirk Niebel [FDP]: Mit Panik, aber nicht mit Gesetzen!)

und auf so manches, was durch die Hartz-Kommissionund die Hartz-Reformen auf den Weg gebracht wordenist. Ich will Sie daran erinnern, dass wir zum Beispiel diePersonal-Service-Agenturen abgeschafft haben, weil sienichts gebracht haben. Ich will daran erinnern, dass wirdie Ich-AG abgeschafft und in Verbindung mit demÜberbrückungsgeld ein neues Instrument, den Grün-dungszuschuss, geschaffen haben. Selbst Sie müssteneinräumen, dass dieser neue Gründungszuschuss dieZielgruppe erreicht, die er erreichen soll, und das bei we-niger Mitteleinsatz. Dadurch können wir denen helfen,die unsere Hilfe ganz dringend brauchen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dirk Niebel[FDP]: Das haben wir schon vorher ge-braucht!)

Zweitens: mehr Entscheidungsspielräume für dieVermittler vor Ort. Das Vermittlungsbudget wird hiereine zentrale Rolle einnehmen. In diesem Vermittlungs-budget wird eine ganze Reihe von Leistungen zusam-mengefasst, die bisher in einer Reihe von Einzelvor-schriften geregelt wurden. Wichtig ist, dass dieEntscheidung, ob Hilfe gewährt wird, tatsächlich demVermittler vor Ort überlassen bleibt. Dadurch könnenstärkeres Ermessen und stärkere Handlungsspielräumeder Vermittler vor Ort gewährleistet werden. Die Ver-mittler kennen ihre Kunden schließlich am besten undkönnen daher am besten entscheiden, ob eine Maßnahmesinnvoll ist oder nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dirk Niebel [FDP]: Mehr davon!)

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Stefan Müller (Erlangen)

Ich will ausdrücklich sagen: Wir haben bei der Bun-desagentur für Arbeit gute Mitarbeiter. Wir vertrauen aufdie Entscheidungsfähigkeit und das Verantwortungsbe-wusstsein der Mitarbeiter vor Ort. Auch das ist eine we-sentliche Neuerung gegenüber dem, was wir in den ver-gangenen Jahrzehnten erlebt haben. Nur hilft mehrgesetzliche Entscheidungsfreiheit vor Ort gar nichts,wenn diese vom Gesetzgeber gewollte Entscheidungs-freiheit durch irgendwelche Anweisungen der Zentraleaus Nürnberg zunichtegemacht wird. Deswegen sage ichganz deutlich: Es kann nicht sein, dass wir hier ein Ge-setz auf den Weg bringen und die Zentrale in Nürnbergdann den Mitarbeitern vor Ort so viele Dienstvorschrif-ten macht, dass diese Entscheidungsspielräume nichtmehr bestehen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD und der FDP – Dirk Niebel[FDP]: Da hat sich ja doch etwas von unseremVorschlag durchgesetzt!)

Ich finde, die Zentrale wäre gut beraten, diese Spiel-räume zuzulassen.

Im Mittelpunkt sollen nicht mehr die Fragen stehen,welche Leistungen es gibt, welche Leistungen beantragtwerden können und aus welchen Töpfen man Geld holenkann, sondern im Mittelpunkt sollen die Fragen stehen,welche Hemmnisse bei dem jeweiligen Arbeitsuchendenbeseitigt werden müssen und was getan werden kann,um eine Integration in den Arbeitsmarkt zu erreichen.Das heißt, es wird nur noch dann eine Förderung geben– auch das liegt im Ermessen des Vermittlers –, wennAussicht besteht, dass durch diese Maßnahme tatsäch-lich Erfolge am Arbeitsmarkt verzeichnet werden kön-nen.

Ich möchte insgesamt feststellen, dass dieses Ver-mittlungsbudget eine flexible, bedarfsgerechte und un-bürokratische Förderung gewährleisten wird. Die Flexi-bilität, die wir durch das Vermittlungsbudget erreichen,setzen wir mit dem Experimentiertopf fort, den wirebenfalls einführen werden und von dem wir uns ver-sprechen, dass innovative Ansätze der aktiven Arbeits-förderung erprobt werden können. Wir haben da in denvergangenen drei Jahren, Herr Minister, gute Erfahrun-gen gemacht, zum Beispiel mit der Initiative „50 plus“,bei der es im Kern darum geht, dass der Bund Geld fürbestimmte Modellregionen, für bestimmte Modellkom-munen zur Verfügung stellt, die dann selber entscheidendürfen, für welche Instrumente sie es einsetzen. Dabeisind der Kreativität keine Grenzen gesetzt. Es geht da-rum, in den Regionen passende Instrumente zu finden,ohne dafür einen gesetzlichen Rahmen zu haben, aberauch zu lernen, was in den einzelnen Regionen und inden Agenturen vor Ort an Sinnvollem und Richtigem ge-macht werden kann, um Rückschlüsse für die Zukunftder aktiven Arbeitsmarktpolitik zu ziehen.

Wir werden dafür sorgen, dass die Beratung und dieBetreuung durch eine Potenzialanalyse und durch Ein-gliederungsvereinbarungen verbessert werden. DieseDinge haben wir teilweise schon im SGB II eingeführt.Dazu ist es notwendig, dass auch die Ausbildung derMitarbeiter noch weiter verbessert wird.

Lassen Sie mich zum letzten Punkt kommen. DasZiel, das wir mit diesem Gesetzentwurf erreichen wol-len, ist ein wirtschaftlicher Mitteleinsatz. Es ist dieAufgabe der BA, dafür zu sorgen, dass die Mittel derBeitragszahler wirklich verantwortungsvoll eingesetztwerden, dass damit sorgsam umgegangen wird und sieeben nicht in irgendwelchen unwirksamen Arbeitsmarkt-programmen verpuffen. Die bisherige Politik zeigt, dasswir dieser Verantwortung gerecht geworden sind. Nurdie Einsparung steht aber nicht im Mittelpunkt diesesGesetzentwurfes.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Wer glaubt, dass wir 20 Instrumente einsparen, um einViertel des Geldes ausgeben zu können, der täuscht sichgewaltig.

(Katja Mast [SPD]: Sehr richtig!)

Wir brauchen diese freien Finanzmittel, um denen helfenzu können, bei denen der Aufschwung am Arbeitsmarktnoch nicht angekommen ist.

Zusammenfassend will ich sagen, dass mit diesemGesetzentwurf die Arbeitsmarktinstrumente wirkungsvollweiterentwickelt, Entscheidungsspielräume erhöht wer-den und wir die BA in die Lage versetzen, ihren arbeits-marktpolitischen Aufgaben noch besser nachzukommen.Sie sehen also, liebe Kolleginnen und Kollegen: DieGroße Koalition versteht die Arbeitsmarktpolitik als ei-nes ihrer zentralen Handlungsfelder. Ich würde michfreuen, wenn die Opposition die jetzt beginnenden Bera-tungen in den Ausschüssen in gleichem Maße begleitet.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als nächste Rednerin hat die Kollegin Kornelia

Möller von der Fraktion Die Linke das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)

Kornelia Möller (DIE LINKE): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und

Herren! In einem Jahr sind Bundestagswahlen. DieLangzeiterwerbslosigkeit ist hierzulande nach wie voreiner der Brennpunkte. Die Koalition von CDU/CSUund SPD hätte die Chance gehabt, wirklich etwas Nach-haltiges zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit auf denWeg zu bringen. Leider hat sie diese Chance vertan. Die-ser Gesetzentwurf ist offensichtlich mit der heißen Nadelgenäht. Wieder einmal wird klar, dass der Vorrat an Ge-meinsamkeiten in der Arbeitsmarktpolitik längst aufge-braucht ist.

Nun hat man sich nach langen Verhandlungen auf denkleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt. Das heißt, Ein-sparung von Beitrags- und Haushaltsmitteln zulasten derLangzeiterwerbslosen,

(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)

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Kornelia Möller

statt der Eröffnung neuer zukunftsfähiger Wege aus derErwerbslosigkeit durch wirkungsvolle Instrumente. Not-wendig wären andere Weichenstellungen. Eine Vielfaltvon Impulsen kommt dazu aus Gewerkschaften, Wohl-fahrtsverbänden und auch von Arbeits- und Sozialminis-tern aus verschiedenen Bundesländern. Ich möchte hiereinige dieser Vorschläge beispielhaft aufgreifen, dieauch unserer Intention entsprechen.

Erstens. Das Land Berlin schlägt vor, die Regelungenzu ABM im SGB II unbedingt beizubehalten, weil sichdie entsprechenden Förderinhalte bei Wegfall von ABMim Regelkreis des SGB II nicht, wie in der Gesetzesbe-gründung ausgeführt, durch Arbeitsgelegenheiten in derEntgeltvariante ersetzen lassen.

(Beifall bei der LINKEN)

ABM sind strukturwirksam und vergabefähig und habengerade für die neuen Bundesländer vor allem deshalbnach wie vor große Bedeutung, weil sie die Möglichkeitder Verzahnung von Aufträgen der öffentlichen Handmit der Beschäftigungsförderung sichern.

Zweitens. Viele kritische Hinweise aus Wohlfahrts-verbänden und Gewerkschaften beziehen sich auf dasVorhaben, § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB II, also die sonstigenweiteren Leistungen, zu streichen. Bereits während derSonderkonferenz der Amtschefs für Arbeit und Sozialesam 24. April dieses Jahres hatten alle Bundesländer ge-schlossen gefordert, die restriktive Auslegung des § 16Abs. 2 SGB II aufzuheben. Der Handlungsspielraum derlokalen Akteure, der bisher durch diese Generalklauselermöglicht wurde, muss erhalten bleiben,

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-neten der FDP – Katja Mast [SPD]: Es gibtkeine Generalklausel!)

da sonst die erforderlichen, am Einzelfall und an den ar-beitsmarktbezogenen Gegebenheiten vor Ort ausgerich-teten Eingliederungsbemühungen nicht mehr in der nöti-gen Flexibilität und Einzelfallgenauigkeit durchgeführtwerden können.

(Dirk Niebel [FDP]: Da hat sie recht, die Frau Möller!)

– Natürlich habe ich recht. Danke, Herr Niebel.

(Dirk Niebel [FDP]: Gerne! – KarlSchiewerling [CDU/CSU], zur FDP gewandt:Ich freue mich, wie oft ihr übereinstimmt!)

Aus der umfangreichen Liste kritischer Hinweise zuden Auswirkungen, die der vorgelegte Gesetzentwurfauf die Ausbildung junger Leute hätte, möchte ich ganzkurz nur die Forderung nach einheitlicher Ausbildungs-vermittlung durch die für die Arbeitsförderung zuständi-gen Stellen der BA sowie nach Weiterführung der Förde-rung des Jugendwohnheimbaus nennen.

Sie alle wissen, dass der Bundesrat über 50 Anregun-gen – ich wiederhole: über 50 Anregungen – vorgelegthat. Daran wird deutlich, dass hier ein Gesetz am grünenTisch zusammengeschustert wurde. So sehen gute Ge-setze nicht aus. Gute Gesetze sehen anders aus. In jedemFall gehört zu einem guten Gesetz, dass im Vorfeld die

Erfahrungen derjenigen einbezogen werden, die von die-sem Gesetz betroffen sind,

(Beifall bei der LINKEN)

und die Erfahrungen derjenigen, die es umsetzen müs-sen. Die BAG Arbeit hat in ihrem Positionspapier gefor-dert – ich kann es Ihnen vorlesen –: Ziehen Sie diesesGesetz zurück! Damit hat sie recht.

(Beifall bei der LINKEN)

Ihnen scheint die Expertenmeinung aber völliggleichgültig zu sein. So wundert es uns auch nicht, dassdie Große Koalition mit diesem Gesetz nichts an den er-wiesenermaßen gescheiterten Arbeitsmarktinstrumen-ten und -experimenten ändert. Die Flops waren zahl-reich: Ein-Euro-Jobs, Leiharbeit, Minijobs, privatisierteArbeitsvermittlung und nicht zuletzt die weitere Ausdeh-nung des Niedriglohnsektors mit ihren verheerendenFolgen für die Entwicklung der Binnennachfrage.

(Beifall bei der LINKEN)

Armut und soziale Gegensätze sind durch Ihre Politikgewachsen. Das ist der eigentliche Skandal.

(Beifall bei der LINKEN – Stefan Müller [Er-langen] [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)

– Das ist kein Quatsch. Das ist die Realität, Herr Müller.Sie sollten sich ihr stellen.

Langzeitarbeitslose gehen bei Ihrem Gesetz leer aus.Die dringend notwendige neue Qualität geförderter be-ruflicher Weiterbildung wird damit nicht eingeleitet.Aus unserer Sicht wäre das aber ein Hauptkettengliedzukunftsfähiger Arbeitsmarktpolitik. Stattdessen setzenSie in Ihrem Gesetz enge zeitliche Grenzen für Weiter-bildungs- und Trainingsmaßnahmen, um noch mehr zusparen. Das nenne ich Ausgrenzung der Langzeit-erwerbslosen.

(Beifall bei der LINKEN)

Für wen haben Sie eigentlich Ihre Bildungsoffensivegestartet? Auf jeden Fall nicht für die ALG-II-Beziehen-den. Dabei verweist gerade der Nationale Bildungs-bericht 2008 auf den engen Zusammenhang zwischenLangzeitmaßnahmen der beruflichen Weiterbildung undguten Eingliederungsquoten besonders für Ältere. An-dere Instrumente sollen mit der Begründung geringerAnwendung ersatzlos gestrichen werden, zum Beispieldie beschäftigungsbegleitenden Eingliederungshilfenoder die Weiterbildung durch Vertretung. Im Gegensatzzu hier bereits vorgetragenen Meinungen halte ich dieJobrotation für ein ganz wesentliches Instrument.

(Beifall der Abg. Brigitte Pothmer [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN])

Selbstverständlich müssen Unternehmen wieder stär-ker in die Weiterbildungspflicht genommen werden.

(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Macht doch mal vor, wie das funktioniert!)

Dass der Anteil der Unternehmen, die ihren Mitarbeiternund Mitarbeiterinnen Weiterbildung angeboten haben,

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Kornelia Möller

zwischen 1999 und 2005 erheblich gesunken ist, ist einSkandal.

(Beifall bei der LINKEN)

Die fortgesetzte Benachteiligung der Erwerbslosen,die ALG II beziehen, ist ein weiterer sehr gravierenderMangel Ihres Gesetzentwurfes. Dass Sie die aufschie-bende Wirkung bei Widersprüchen und Klagen weitereingrenzen, ist nicht hinnehmbar. Dass sogenannte Auf-stocker tatsächlich ihren Job aufgeben müssen, um einenEin-Euro-Job annehmen zu können, ist ebenfalls nichthinnehmbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Dies bestärkt uns in unserer Forderung.

Wenn ich mir Ihren Gesetzentwurf ansehe, muss ichsagen: Die durch die Hartz-Gesetze verursachte unsin-nige Trennung der Arbeitsmarktpolitik in zwei Rechts-kreise ist durch die Gestaltung einer einheitlichen Ar-beitsmarktpolitik mit gleichen Rechten und gleichenPflichten für alle Erwerbslosen, wie auch von Verdi ge-fordert, zu ersetzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Dies würde auch dabei helfen, ein Problem zu lösen, dasSie, die Sie auf der Regierungsbank sitzen, aufgrundkonträrer Positionen in dieser Wahlperiode wohl nichtmehr bewältigen werden, nämlich die gute Organisationder Betreuung und Förderung langzeiterwerbsloser Men-schen vor Ort im Rahmen des geltenden Grundgesetzes.

Ich komme noch kurz auf unseren Antrag zu spre-chen. Wir fordern die volle Versicherungspflicht fürsämtliche vergütungspflichtige Tätigkeiten innerhalb derMaßnahmen aktiver Arbeitsmarktpolitik. Dies würde al-len Erwerbslosen mehr soziale Sicherheit bringen, alle öf-fentlich geförderten Beschäftigungsverhältnisse gleich-stellen und die Arbeitslosenversicherung, die Sie durchdie gestern beschlossene Beitragssatzsenkung ge-schwächt haben, stärken.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich kann das Gesagte von gestern nur wiederholen:Beerdigen Sie auch diesen Gesetzentwurf, stimmen Sieauch hier unserem Antrag zu; denn Arbeitsmarktpolitikmuss immer Politik für und nicht gegen die Menschensein!

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Brigitte Pothmer von

Bündnis 90/Die Grünen.

Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Mi-

nister Scholz, ich sage es nicht gerne, aber Ihr Gesetzent-wurf taugt einfach nichts.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so-wie der Abg. Kornelia Möller [DIE LINKE] –

Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ach,Frau Pothmer!)

Das ist nicht nur meine Meinung, sondern das ist auchdie Meinung aller Experten, die sich bis jetzt zu Wortgemeldet haben.

(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Wel-che Experten haben Sie denn gefragt?)

Diese Statements liegen auch Ihnen vor. Ich will hier nureinige wenige zitieren:

(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Eine sehr selektive Wahrnehmung!)

„Die Ziele der Reform wurden mit diesem Gesetzent-wurf verfehlt“ – Kooperationsverbund Jugendsozialar-beit. „Die Instrumentenreform weist in die falsche Rich-tung“ – Diakonie Bundesverband. „Der Gesetzentwurfist als Instrumentenreform grundsätzlich verfehlt“ –BAG Arbeit.

Herr Minister, Sie treiben die Betroffenen und dieje-nigen, die mit dem Murks, den Sie hier angerichtet ha-ben, umgehen müssen, wirklich zum Äußersten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP])

Das muss man sich einmal vorstellen: Die Stadt Wiesba-den hat in ihrer Verzweiflung eine Unterschriftenaktiongegen diese Pläne gestartet, weil die Verantwortlicheneinfach Angst haben, dass mit diesem Instrumentenkas-ten die Integrationschancen der Arbeitssuchenden mas-siv verschlechtert werden.

Der CDU-Sozialminister Laumann aus Nordrhein-Westfalen klassifiziert diesen Instrumentenkasten als„stalinistisches Korsett“.

(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Hört! Hört! – Stefan Müller [Erlangen][CDU/CSU]: Das hat aber mit der Reformnichts zu tun! – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Das war vor der Reform!)

Ich sage das hier ganz eindeutig: Mir gefällt diese Wort-wahl nicht. Unabhängig von der Frage, ob man dieseWortwahl nun gut und richtig findet, müssen Sie aberzur Kenntnis nehmen, Herr Minister, dass Sie dieseFachleute, diese Experten nicht einfach als Schafsnasenund Deppen abtun können. Sie müssen auf diese Leutehören und ihre Einwände berücksichtigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vor knapp einem Jahr haben Sie uns allen hier bei Ih-rem Amtsantritt versprochen, Sie wollten die weltbesteArbeitsvermittlung schaffen.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die weltgrößte Arbeitsvermittlung vielleicht!)

Außerdem haben Sie uns Vollbeschäftigung verspro-chen. Sie haben gesagt, „Mehr Chancen auf Arbeit“ solleder Maßstab sein, den Sie anlegen, wenn Sie den Instru-mentenkasten reformieren. Der Instrumentenkastensollte kleiner und die arbeitssuchenden Bürgerinnen undBürger sollten zielgerichteter unterstützt werden.

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Brigitte Pothmer

Der Instrumentenkasten ist kleiner geworden. Das istallerdings das Einzige, was Sie von Ihren Versprechenwirklich eingelöst haben. Zielgerichteter und besser isthier gar nichts geworden. Ich betone ausdrücklich, dasswir Grünen immer gesagt haben: Ja, man kann diesen In-strumentenkasten reformieren; einige Instrumente könn-ten durchaus wegfallen. – Wenn es aber weniger Instru-mente gibt, dann müssen die dann vorhandenenInstrumente flexibler und individueller einsetzbar sein;

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

weil die Problemlagen der Menschen ja nicht wenigerindividuell und vielfältiger geworden sind.

Ich will hier im Übrigen auch noch einmal betonen:Manche Instrumente waren gut und erfolgreich. Die„weiteren Leistungen“ zum Beispiel waren wirklichein Garant für die individuelle Hilfe. Viele Jugendlichekonnten dadurch den Schulabschluss nachmachen undhaben den Einstieg in Ausbildung gefunden. Alleinerzie-hende haben mit kombinierten Maßnahmen davon profi-tiert und in Arbeit zurückgefunden. Auch vielen Migran-tinnen und Migranten ist es über die „weiterenLeistungen“ gelungen, wieder den Weg in die Arbeit zugehen.

Lieber Herr Müller, hören Sie mir doch einmal zu.

(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ich bin ganz Ohr!)

Das sind wirklich keine unwirksamen Instrumente. IhrVersprechen, nur unwirksame Instrumente fallen zu las-sen, ist doch nicht eingelöst worden.

(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: LesenSie doch einmal den Evaluationsbericht! Dasteht es doch drin!)

Dieses Instrument ist gestrichen worden, obgleich es ei-nes der erfolgreichsten war.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Siekönnen sich nur von diesem ganzen Quatschnicht lösen!)

Kommen Sie mir nicht damit, dass die freie Förde-rung ein Ersatz dafür sei. Die freie Förderung ist wederquantitativ noch qualitativ ein Ersatz dafür. 2 Prozentdes Budgets: Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein.Ich weiß, dass Sie das in der Regierungskoalition ge-nauso sehen. Sie wollen die 2 Prozent signifikant aufsto-cken.

(Andrea Nahles [SPD]: Richtig!)

Ich unterstütze Sie gerne dabei. Ich fürchte aber, dass esden Betroffenen nicht hilft. Denn es gibt eine tiefe Miss-trauenskultur dieser Regierung auch gegenüber den Re-gierungsfraktionen im Parlament. Staatssekretär Scheelehat auf der Sitzung der BAG Arbeit am letzten MontagFolgendes angekündigt: Sollte sich das Parlament mitdiesem Vorhaben durchsetzen, dann würde es einen – ichzitiere – „Drahtverhau“ von Regelungen geben, der denflexiblen Einsatz dieser Instrumente verhindert.

(Andrea Nahles [SPD]: Was? – Dr. Heinrich L.Kolb [FDP]: Danach hat er sich aus dem Staubgemacht!)

– Liebe Frau Nahles, begreifen Sie das als das, was eswirklich ist: Es ist eine Kampfansage an das Parlamentals Gesetzgeber.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der FDP und der LIN-KEN und des Abg. Stefan Müller [Erlangen][CDU/CSU])

Es ist insbesondere eine Kampfansage an die Fraktionen,die diese Regierung tragen.

Hören Sie auf, sich das gefallen zu lassen und sichvon dieser Regierung am Nasenring durch die Manegeziehen zu lassen! Wehren Sie sich endlich dagegen!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Dieser Gesetzentwurf atmet den Geist einer tiefsit-zenden Misstrauenskultur

(Dirk Niebel [FDP]: Der Frau Nahles miss-traue ich auch!)

gegenüber dem Parlament als Gesetzgeber, gegenüberden eigenen Regierungsfraktionen, gegenüber den Ak-teuren vor Ort und gegenüber den Arbeitslosen.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So viel Miss-trauen war nie!)

Dieser Gesetzentwurf verschärft die Sanktionsrege-lungen und verschlechtert die Situation der ALG-I- undALG-II-Empfänger zusätzlich. Die bisherigen Erfahrun-gen haben eines deutlich gezeigt: Die Bekämpfung derArbeitslosigkeit ist nicht mit dirigistischen Maßnahmenmöglich. Sie erfordert Vertrauen und Verantwortungsbe-wusstsein, gut qualifiziertes Personal, gute Rahmenbe-dingungen, Handlungsfreiheit vor Ort und ein Instru-mentarium, das sich an den Bedarfen der Menschenausrichtet, statt dass sich die Menschen nach den Maß-nahmen richten müssen.

(Zuruf von der SPD: Das machen wir doch al-les!)

Aber die Politik, die Sie hier machen, folgt einem ande-ren Geist. Deswegen kann sie nicht erfolgreich sein.

Die Arbeitslosen in diesem Land verdienen etwasBesseres. Etwas Besseres als diesen Instrumentenkastenfinden sie allemal.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Katja Mast von

der SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

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Katja Mast (SPD): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Die Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente willdie Regelungen für die aktive Arbeitsmarktpolitik über-sichtlicher gestalten. Das leistet der vorliegende Gesetz-entwurf. Schon das ist ein Erfolg.

Doch damit nicht genug. Die Reform stärkt die aktiveArbeitsmarktpolitik, indem präventive Ansätze wie dieVorbereitung auf das Nachholen eines Hauptschulab-schlusses verbindlich eingeführt werden. Die Kultur derzweiten Chance wird gestärkt. Denn Bildungspolitik istaktive Arbeitsmarktpolitik. Das gilt nicht nur auf demPapier, sondern wird mit diesem Gesetzentwurf erneutumgesetzt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Bei 500 000 Arbeitslosen ohne Schulabschluss – derBundesarbeitsminister hat es bereits angesprochen – undbei jährlich 70 000 Schulabgängern ohne Abschlusswäre diese gesetzliche Verankerung schon lange sinnvollgewesen. Jetzt kommt sie endlich. Einen kleinen Wer-mutstropfen gibt es dabei: Wir müssten im Bundestagnicht handeln, wenn die Bundesländer ihrer Verantwor-tung für die Bildungspolitik an dieser Stelle nachkom-men würden.

(Andrea Nahles [SPD]: Allerdings!)

Aber das ist ein anderes Thema.

(Beifall bei der SPD)

Wir von der SPD-Bundestagsfraktion sind auf jedenFall stolz darauf, dass es uns gelungen ist, das Recht aufdie Vorbereitung auf den Hauptschulabschluss mit die-sem Gesetzentwurf auf den Weg zu bringen. Hinzukommt, dass der nachträgliche Erwerb der deutschenSprache – das ist vor dem Schulabschluss die ersteHürde auf dem Weg zur erfolgreichen Integration –ebenfalls zu einem Recht der Arbeitsuchenden wird.

Die Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumentestärkt aber auch die Entscheidungs- und Handlungskom-petenz vor Ort, und zwar rechtssicher, obwohl schonmehrfach das Gegenteil behauptet wurde. Rechtssicherbedeutet, dass es eben nicht sein kann, dass ein Gesetz,das ausschließlich dafür gedacht war, individuelle Unter-stützung in Einzelfällen zu finanzieren, dafür verwendetwird, Projektförderung zu betreiben.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb schaffen wir mit diesem Gesetz ein Vermitt-lungs- und Aktivierungsbudget, also die Regelungendes SGB III in §§ 45 und 46, die identisch für die Ar-beitslosengeld-II-Empfänger gelten. Hier schaffen wirfür die Vermittler und die Akteure vor Ort die Möglich-keit, Projekte zu fördern und auszustatten, wo dies diebisherige Rechtsgrundlage nicht hergab. Natürlich wis-sen wir, dass die Situation auf dem Arbeitsmarkt nichtimmer gleichbleibt und man deshalb vor Ort Luftbraucht, um neue Ideen auszuprobieren. Wir alle kennendas aus unseren Wahlkreisen. Mit der neuen freien För-derung verschaffen wir Luft.

(Beifall bei der SPD)

Die Bundesregierung ist allerdings der Meinung, dassfür die freie Förderung 2 Prozent der Eingliederungsleis-tungen ausreichen. Leider kann ich hier nicht die Ein-schätzung des Kanzleramts und des Arbeitsministeriumsteilen.

(Dirk Niebel [FDP]: Der erste Lichtblick!)

Ich finde, 2 Prozent sind nicht genug. Wir müssen imzweistelligen Bereich landen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Mit dieser Einschätzung bin ich nicht allein. Zum Glückentscheidet am Ende das Parlament. Auch für diese guteGesetzesvorlage gibt es noch einen parlamentarischenProzess. Da geht es um die Höhe der freien Förderung.

(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Da geht es um alle weiteren Aspekte, wie zum Beispieldarum, ob es noch weiterer detaillierter Regelungen zumHauptschulabschluss bedarf.

Doch eines ist klar: Wer dieses Gesetz beurteilt, darfnicht Äpfel mit Birnen vergleichen, sondern muss einsund eins zusammenzählen. Die neue Qualität dieses Ge-setzentwurfs ist nicht daran zu messen, ob in der freienFörderung das gesamte Budget des bisherigen§ 16 Abs. 2 eingegangen ist; denn mit Sprachkursen undHauptschulabschluss sind wesentliche Kostenblöcke ausdem alten § 16 Abs. 2 herausgelöst. Über rechtswidrigeVerwendung will ich hier gar nicht reden. Hinzu kommt,dass die Vermittler mit dem Vermittlungs- und Aktivie-rungsbudget enorme Handlungsspielräume bekommen.Diese werden finanziell vonseiten des Gesetzgebersnicht gedeckelt. Zusätzlich kommt die freie Förderunghinzu.

(Andrea Nahles [SPD]: Richtig!)

Also lassen Sie mich eins und eins zusammenzählen:Hauptschulabschluss und Spracherwerb in die Regelför-derung, Vermittlungs- und Aktivierungsbudget zur de-zentralen Entscheidung und dann noch die freie Förde-rung, das ist ein guter Ersatz für Rechtsunsicherheit undschafft Handlungsspielräume,

(Beifall bei der SPD)

Handlungsspielräume für die Vermittlung in Arbeit unddamit für die Beseitigung der größten ArmutsfalleDeutschlands. Uns geht es darum, Menschen besser inArbeit zu vermitteln.

Ich bin auf unsere Anhörung im Ausschuss für Ar-beit und Soziales gespannt. Ich glaube, dass wir an dereinen oder anderen Stelle noch mehr für die Arbeits-marktintegration Jugendlicher machen könnten. Ich binaber auch darauf gespannt, weil ich weiß, dass sich vieleFachverbände mit diesem Gesetzentwurf intensiv aus-einandergesetzt und gute Vorschläge unterbreitet haben.Unsere Aufgabe als Gesetzgeber wird es sein, diese Vor-schläge abzuwägen und für Mehrheiten im Parlament zusorgen. Ich weiß mich dabei in guter Gesellschaft mitunserem Koalitionspartner, der zwar beim Hauptschul-

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19992 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

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Katja Mast

abschluss zuerst nicht mitmachen wollte, aber am Endeunseren guten Argumenten nicht widerstehen konnte.

(Beifall bei der SPD – Dirk Niebel [FDP]: Diehaben Sie gezwungen! Die haben Sie wahr-scheinlich mit der Erbschaftsteuer erpresst!)

Den sozialen Trägern vor Ort, die unser Gesetzes-vorhaben kritisch begleiten, will ich klar sagen: Wir wis-sen, es geht um die Menschen; wir wissen aber auch,dass gerade ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darun-ter leiden, dass wir am Anfang bei den Reformen am Ar-beitsmarkt durch die Ausschreibungspraxis Fehler ge-macht haben. Diese haben wir korrigiert, aber das reichtnicht. Uns von der SPD geht es darum, auch in der Trä-gerlandschaft die Verbindlichkeit von Mindestlöhnen si-cherzustellen. Uns geht es darum, dass der Unterbie-tungswettbewerb bei Ausschreibungen ein Ende hat.Deshalb fordere ich auch jede Abgeordnete und jedenAbgeordneten, auch diejenigen von der FDP, auf, derFestlegung von Mindestlöhnen

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Mindestlohn istder Jäger 90 des neuen Jahrtausends! – DirkNiebel [FDP]: Wir schaffen lieber Mindestein-kommen!)

und von verbindlichen sozialen Mindeststandards beimVergaberecht in den kommenden Wochen zuzustimmen.

(Beifall bei der SPD)

Dann wird dieses Gesetz auch zu einem guten Gesetz,nicht nur für die betroffenen Arbeitsuchenden, sondernauch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei denTrägern vor Ort.

Dieses Gesetz leistet viel: Nicht Menschen in Schub-laden stecken, sondern dem Einzelfall durch BudgetsSpielraum geben, nicht Menschen abschreiben, sonderndie Kultur der zweiten Chance verankern.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt

erteile ich nun dem Kollegen Karl Schiewerling von derCDU/CSU-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Karl Schiewerling (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau Kollegin Pothmer,

(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Ja, hier bin ich!)

Arbeitsplätze werden nicht durch Instrumente geschaf-fen, sondern durch die Wirtschaft in einer gut laufendenKonjunktur.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn es darum geht, Arbeitsplätze zu schaffen, dannsind nicht die Instrumente dafür zuständig, sondern die

Wirtschaft und die Tarifpartner durch verantwortungs-volle Abschlüsse etc.

Worum es hier geht, ist, dass wir den Menschen, dieohne fremde Hilfe keine Perspektive haben, Unterstüt-zung zuteil werden lassen. Wir nennen dies nüchtern Ins-trumente und reden gerade so, als ginge es um irgend-welche Apparatschiks; es geht aber darum, MenschenPerspektiven zu geben, damit sie mit ihrer eigenenHände und ihres eigenen Kopfes Arbeit den Lebensun-terhalt für sich und ihre Familien verdienen können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Diese Hilfen sind im Sozialgesetzbuch III beschrie-ben und geregelt. Davon sind 30 Prozent aller Arbeitslo-sen betroffen. Das sind diejenigen, die bis zu einem Jahrerwerbslos sind. Die Hilfen derjenigen, die länger ar-beitslos sind, sind im SGB II geregelt. Das sind immer-hin 70 Prozent aller derjenigen, die letztendlich betrof-fen sind. Darunter sind auch viele junge Menschen, diebisher keine Ausbildung angefangen haben bzw. eineAusbildung nicht abschließen konnten. Darunter sindauch diejenigen, die viele Jahre erwerbslos sind, vieleVermittlungshemmnisse haben und die den Tag nichtstrukturieren können. Darunter sind auch diejenigenohne Schulabschluss und diejenigen, die qualifiziertsind, die aber aufgrund hoher Arbeitslosigkeit in ihrerRegion keinen Arbeitsplatz finden. Für alle diese Men-schen braucht es zielgenauer Hilfen.

Man sollte nun vermuten, dass für jede beschriebeneSituation ein eigenes Instrument und ein detailliertesHilfeangebot notwendig sind. Das hat es in der Vergan-genheit gegeben. Das hat zu viel Bürokratie, aber nichtunbedingt zu mehr Effizienz geführt. Wir brauchen we-niger Instrumente; deren Wirkungsgrad muss aber brei-ter sein. Genau das beabsichtigt dieses Gesetz.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich gestehe gerne zu, dass man über die Streichungdes einen oder anderen Instruments diskutieren kann.Frau Kollegin Möller, ich glaube, dass die Frage des Ju-gendwohnens wichtig ist; daher begrüße ich ausdrück-lich, dass die Bundesfamilienministerin diese Frage auf-greift und das Jugendwohnen in ihrem Haus evaluierenlässt. Ich bin sicher, dass wir auf Dauer zu vernünftigenund guten Lösungen kommen können.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Bei den Menschen, die im Arbeitslosengeld-II-Bezugsind, bedarf es besonderer Hilfen. Das bedeutet, dassdiese Hilfen auch deren persönliches und soziales Um-feld berücksichtigen müssen. Daher ist es gut, wennviele Fallmanager in ein unbefristetes Arbeitsverhältnisbei der BA übernommen werden. Allein in diesem Jahrwerden es 3 000 sein, die neue Dauerstellen bekommen.Dadurch kann besser und intensiver betreut und vermit-telt werden. Jemand, der Ringe unter den Augen hat,weil er nicht weiß, wie lange er selbst in der Beschäfti-gung ist, kann schlecht Menschen beraten, die auf Ar-beitssuche sind.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Insofern ist das eine gute Entscheidung.

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Karl Schiewerling

Wichtig ist allerdings auch, dass die Qualifizierungder Fallmanager sichergestellt ist, weil sie ihre Aufgabensonst letztendlich nicht werden wahrnehmen können.Daher ist es notwendig – auch das sage ich Ihnen in allerDeutlichkeit –, für die Optionskommunen im Rahmender laufenden Organisationsklärung Rechtssicherheitzu schaffen; denn auch dort brauchen die Fallmanagerund die Verantwortlichen Klarheit über ihre beruflichenPerspektiven.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]:Was heißt denn „Rechtssicherheit“, HerrSchiewerling? Können Sie das einmal erläu-tern?)

Wir brauchen vor Ort flexibel einsetzbare Hilfs- undFörderangebote für die Menschen, damit sie wieder inBeschäftigung kommen. Daher ist es hilfreich, dass mitt-lerweile in § 16 f des SGB II nur die freie Förderungaufgenommen wurde. Allerdings – Frau Kollegin Masthat darauf hingewiesen – müssen wir noch über dieHöhe sprechen und die Bedingungen gestalten, damitmehr Gestaltungsspielraum besteht; denn sonst werdendie Instrumente nicht wirken. Sie werden nur dann wir-ken, wenn ihre Handhabung so gestaltet ist, dass vor Ortauch mit der entsprechenden Freiheit entschieden wer-den kann.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Hier müssen wir allen Mitarbeiterinnen und Mitarbei-tern, die dafür zuständig sind, Mut machen, entspre-chend frei zu handeln. Wir müssen dafür sorgen, dass sienicht sofort, wenn irgendein Fehler passiert, mit Sanktio-nen belegt werden. Wir müssen allerdings auch dafürsorgen, dass sich diejenigen, die dafür Verantwortungtragen, am Vermittlungserfolg messen lassen; sie müssenam Schluss das verantworten, was sie getan haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Es ist gut, dass gerade junge Menschen die Möglich-keit erhalten, einen Schulabschluss nachzuholen; schließ-lich gibt es zwischen Wissen und Arbeitslosigkeit einenZusammenhang. Aber es wird auch nötig sein, Schul-abschluss und praktische Erfahrung mehr als bisher mit-einander zu verknüpfen. Hier entwickelt sich dann Bil-dung, und hier heißt es dann, dass Menschen etwasprägen, verändern und auch sich selbst prägen lassen.

Bewährte Bildungsträger haben hier gute Erfahrun-gen. Gerade jungen Menschen fällt es – aus welchenGründen auch immer – im klassischen Schulsystemschwer, den Schulabschluss nachzuholen. Eine Reihevon ihnen ist gescheitert. Daher brauchen wir – auchwenn wir den Schulabschluss nun in den Instrumenten-bereich aufnehmen – Methoden und Wege, durch dieSchulabschluss und praktische Erfahrung so miteinanderverbunden werden, dass die jungen Menschen Erfolg se-hen. Sie brauchen nicht mehr weiter „durchgekurst“ zuwerden, sondern können erkennen, dass sie mit ihrerHände Arbeit etwas schaffen können und so ihren Erfolgbekommen. Dadurch spüren sie, dass sie gebraucht wer-

den. Wenn sie diese Erfahrung einmal gemacht haben,dann sind sie auch bereit, Abschlüsse zu machen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Schiewerling, erlauben Sie eine Zwi-

schenfrage des Kollegen Kurth von Bündnis 90/Die Grünen?

Karl Schiewerling (CDU/CSU): Ja.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön.

Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie haben eben über die Freiheiten, die vor Ort mög-

lich sein sollen, gesprochen. Halten Sie es denn dann an-gesichts der Äußerungen des Staatssekretärs Scheele fürsinnvoll, die Verordnungsermächtigung für das Bundes-ministerium für Arbeit und Soziales in dem Gesetz zustreichen? Sollte man die Verordnungsermächtigungnicht mindestens, wie es offensichtlich Herr Laumannaus NRW vorschlägt, von der Zustimmung der Länderabhängig machen?

Karl Schiewerling (CDU/CSU): Ich halte es für notwendig, sich zwischen der ersten

Lesung dieses Gesetzes und der zweiten und dritten Le-sung dieses Gesetzes das eine oder andere noch einmalgenau anzusehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU unddes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – DirkNiebel [FDP]: Dann machen wir das mal!)

Wir brauchen für die Bezieher von Arbeitslosen-geld II verlässliche, langfristig angelegte Hilfen und sta-bile Hilfestrukturen. Gerade deshalb müssen wir nocheinmal über die Dauer von bestimmten Maßnahmensprechen. Alles in allem brauchen wir mehr örtliche Ent-scheidungsfreiheit, weil die Lebenssituation der Men-schen unterschiedlich ist. Das betrifft nicht nur die ein-zelnen Menschen, sondern auch die unterschiedlichenRegionen. Arbeitslosigkeit in Stralsund sieht anders ausals Arbeitslosigkeit am Starnberger See. Entsprechendmuss gehandelt werden. Der Kollege Müller hat hier inseiner Rede auf das hingewiesen, was da zu tun ist.

Wir müssen die Hilfen, die für Menschen geschaffenwurden, die nur kurzfristig arbeitslos sind, hinsichtlichihrer Wirkung für die Menschen überprüfen, die schonlänger arbeitslos sind. Zudem brauchen wir für denSGB-II-Bereich ein eigenes Instrumentarium, in demdies passgenau entsprechend formuliert wird. Vor allenDingen sollten wir uns hüten, die Entscheidungen überden Einsatz dieser Hilfsangebote oder Instrumente nurunter dem Gesichtspunkt finanzieller Zuständigkeiten zusehen. Subsidiarität bedeutet, der jeweiligen Ebene, diefür die Lösung einer Aufgabe zuständig ist, diese auch

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Karl Schiewerling

zu überlassen und sie, wenn sie dies aus eigener Kraftnicht schaffen kann, dazu in die Lage zu versetzen.

Wenn wir bei der Reform der arbeitsmarktpolitischenInstrumente zu einer Lösung kommen, dann wird es si-cherlich auch möglich sein, in dem eigentlichen, zentra-len Bereich des SGB II, dem Bereich der Aktivierung,hinsichtlich der Organisationsstruktur zu einer Lösungzu kommen, die zurzeit zwischen Bund, Ländern, Kom-munen und anderen noch strittig ist. Ich sehe hierin ei-nen wesentlichen Punkt.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Schiewerling, erlauben Sie auch eine

Zwischenfrage der Kollegin Möller?

Karl Schiewerling (CDU/CSU): Ja.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön, Frau Möller.

Kornelia Möller (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Präsident, vielen Dank, Herr

Schiewerling. – Sie sagten gerade, dass die Vergabe vonMaßnahmen nicht von finanziellen Gegebenheiten ab-hängig sein solle. Nun gab es gestern Abend um21.36 Uhr eine Nachricht in Spiegel Online, die besagt,dass die Bundesagentur für Arbeit im nächsten Jahr miteinem Minus von mindestens 5,8 Milliarden Euro zurechnen habe. Glauben Sie nicht auch, dass sich diesesMinus in irgendeiner Form auf die Vergabe der Maßnah-men auswirken könnte?

(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Ge-nau so wird es sein!)

Karl Schiewerling (CDU/CSU): Erstens. Meine Aussage zu den Finanzen bezog sich

auf die Gesamtmittel, die im Bundeshaushalt zur Verfü-gung gestellt werden, und nicht auf einzelne Maßnah-men.

Zweitens. Die Bundesagentur für Arbeit hat dank ex-zellenter Konjunktur und Aufwuchs von neuen sozial-versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissensowie durch kluges steuerpolitisches Handeln der Bun-desregierung so viele Rücklagen gebildet, dass es an die-sen Fragen nicht scheitern wird.

(Andrea Nahles [SPD]: Richtig!)

Dies haben sowohl die Bundesagentur als auch der Bun-desminister in aller Klarheit deutlich gemacht. Deswe-gen glaube ich es nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zumSchluss kommen. Reform der Instrumente heißt nichtsanderes, als die Hilfsangebote für die Menschen, dieohne fremde Hilfe keine Perspektive auf eine Beschäfti-gung haben, so zu gestalten, dass diese eine solche Per-

spektive entwickeln können. Wir wollen, dass keinMensch verloren geht. Dazu müssen die Hilfen gebün-delt und optimiert werden. Dieses Gesetz bietet dazu Vo-raussetzungen und Rahmen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufden Drucksachen 16/10810 und 16/10511 an die in derTagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offenkundig derFall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 47 a bis 47 i sowiedie Zusatzpunkte 5 a bis 5 e auf:

47 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über dieFeststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2009 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 2009)

– Drucksache 16/10663 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)Finanzausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zurÄnderung des Wohngeldgesetzes

– Drucksache 16/10812 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Suchdienstedaten-schutzgesetzes (SDDSG)

– Drucksache 16/10813 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss (f)Rechtsausschuss

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Pro-tokollen vom 9. Juli 2008 zum Nordatlantik-vertrag über den Beitritt der RepublikAlbanien und der Republik Kroatien

– Drucksache 16/10814 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss (f)VerteidigungsausschussAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schen-

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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

gener Informationssystem der zweiten Gene-ration (SIS-II-Gesetz)

– Drucksache 16/10816 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss (f)Rechtsausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

f) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Pro-tokoll vom 7. Dezember 2005 zur Änderungdes Abkommens vom 20. Juni 1996 zwischender Regierung der Bundesrepublik Deutsch-land, den Vereinten Nationen und dem Sekre-tariat des Rahmenübereinkommens der Ver-einten Nationen über Klimaänderungen überden Sitz des Sekretariats des Übereinkommens

– Drucksache 16/10815 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

g) Beratung des Antrags der Abgeordneten UndineKurth (Quedlinburg), Bärbel Höhn, UlrikeHöfken, weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die Gefangenschaft von Delfinen unverzüglichbeenden

– Drucksache 16/9102 – Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und VerbraucherschutzAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

h) Beratung des Antrags der Abgeordneten LutzHeilmann, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. DietmarBartsch, weiterer Abgeordneter und der FraktionDIE LINKE

Schnellstmögliche Unterzeichnung und Ratifi-zierung der Europäischen Landschaftskon-vention

– Drucksache 16/10821 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und VerbraucherschutzAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Kurt Hill, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. DietmarBartsch, weiterer Abgeordneter und der FraktionDIE LINKE

Stromübertragungsleitungen bedarfsgerechtausbauen – Bürgerinnen- und Bürgerbeteili-gung sowie Energiewende umfassend berück-sichtigen

– Drucksache 16/10842 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und

VerbraucherschutzAusschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und TechnikfolgenabschätzungAusschuss für Tourismus

ZP 5a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Jörg van Essen,Gudrun Kopp, weiteren Abgeordneten und derFraktion der FDP eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur Wahrung der Rechtssicherheitbei der Telekommunikationsüberwachung undanderen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen– Drucksache 16/10838 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss (f)Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)Ausschuss für Kultur und Medien Federführung strittig

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten WinfriedHermann, Peter Hettlich, Dr. Anton Hofreiter,weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN

Feinstaubreduktion im Straßenverkehr fort-setzen – Filteraustausch umsetzen, Prüf- undMessverfahren für Dieselrußpartikelfilter ein-führen– Drucksache 16/9802 – Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und TechnikfolgenabschätzungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten ChristineScheel, Dr. Gerhard Schick, Britta Haßelmann,weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Transparenz an den Finanzmärkten schaffen –Anschleichtaktik bei verdeckten Unterneh-mensübernahmen verhindern– Drucksache 16/10640 – Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss (f)Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Eckart vonKlaeden, Anke Eymer (Lübeck), weiterer Abge-ordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowieder Abgeordneten Dr. Rolf Mützenich, GertWeisskirchen (Wiesloch), Gerd Andres, weitererAbgeordneter und der Fraktion der SPD

Nichtstaatliche militärische Sicherheitsunter-nehmen kontrollieren

– Drucksache 16/10846 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss (f)

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19996 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieVerteidigungsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

e) Beratung des Antrags der AbgeordnetenWolfgang Gehrcke, Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und derFraktion DIE LINKE

Pakistan und Afghanistan stabilisieren – Füreine zentralasiatische regionale Sicherheits-konferenz

– Drucksache 16/10845 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss (f)Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieVerteidigungsausschuss

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-ten Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen andie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zuüberweisen. Die Federführung zur Vorlage auf Druck-sache 16/10838 – Zusatzpunkt 5 a – ist jedoch strittig.Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschenFederführung beim Rechtsausschuss; die Fraktion derFDP wünscht Federführung beim Ausschuss für Wirt-schaft und Technologie.

Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag derFraktion der FDP abstimmen, das heißt Federführungbeim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie. Werstimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Gegen-stimmen? – Enthaltungen?

Soll ich die Abstimmung wiederholen?

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Nein, wir habengegen die PDS – die Linke – gewonnen!Sorry!)

– Der Fairness halber lasse ich die Abstimmung wieder-holen, damit die beiden Regierungsfraktionen dieChance haben, sich daran zu beteiligen.

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Nein, die haben sich enthalten!)

Wer stimmt für den Überweisungsvorschlag der FDP,das heißt Federführung beim Ausschuss für Wirtschaftund Technologie? Ich bitte um das Handzeichen. – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überwei-sungsvorschlag ist abgelehnt. Für ihn haben FDP undBündnis 90/Die Grünen gestimmt, gegen ihn die Koali-tionsfraktionen und die Fraktion Die Linke.

(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das war unser Antrag!)

– Nein, ich habe es richtig vorgetragen; ich kann es aberauch noch einmal wiederholen. Der Überweisungsvor-schlag war der Antrag der FDP; nur damit es keineZweifel gibt. Die FDP hat beantragt, dass die Federfüh-rung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologieliegen soll.

(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Nein, bei mir steht etwas anderes!)

– Doch, so ist es. Dem haben Sie widersprochen, und mitdiesem Widerspruch haben Sie Erfolg gehabt.

Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag derFraktionen von CDU/CSU und SPD abstimmen. Danachsoll die Federführung beim Rechtsausschuss liegen. Werstimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überwei-sungsvorschlag ist mit umgekehrtem Stimmverhältnisangenommen. Die Koalitionsfraktionen und die FraktionDie Linke haben ihm zugestimmt, die Fraktion der FDPund die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen haben ihn ab-gelehnt. Damit liegt die Federführung beim Rechtsaus-schuss.

Sind Sie mit den Überweisungsvorschlägen einver-standen? – Das scheint der Fall zu sein. Dann sind dieÜberweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 48 a bis 48 v sowieZusatzpunkte 6 a bis 6 c auf. Es handelt sich um die Be-schlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Ausspra-che vorgesehen ist.

Tagesordnungspunkt 48 a:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Umsetzung der Richtlinie 2005/36/EG desEuropäischen Parlamentes und des Rates überdie Anerkennung von Berufsqualifikationen inder Gewerbeordnung

– Drucksache 16/9996 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Wirtschaft und Technologie (9. Aus-schuss)

– Drucksache 16/10599 –

Berichterstattung:Abgeordneter Garrelt Duin

Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehltin seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10599,den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache16/9996 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bittediejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas-sung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Gegen-stimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist inzweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfrak-tionen, der Fraktion der FDP und der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion DieLinke angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu-stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichenStimmverhältnis angenommen.

Tagesordnungspunkt 48 b:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung desvon der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 19997

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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom25. Juli 2007 über die Beteiligung der Repu-blik Bulgarien und Rumäniens am Europäi-schen Wirtschaftsraum

– Drucksache 16/9997 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Wirtschaft und Technologie (9. Aus-schuss)

– Drucksache 16/10608 –

Berichterstattung:Abgeordnete Lena Strothmann

Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehltin seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10608,den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache16/9997 anzunehmen.

Zweite Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurfist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Ent-haltung der Fraktion Die Linke angenommen.

Tagesordnungspunkt 48 c:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines ViertenGesetzes zur Änderung des Straßenverkehrs-gesetzes

– Drucksache 16/10175 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung(15. Ausschuss)

– Drucksache 16/10899 –

Berichterstattung:Abgeordneter Patrick Döring

Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick-lung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 16/10899, den Gesetzentwurf der Bundesre-gierung auf Drucksache 16/10175 in der Ausschussfas-sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die zustimmenwollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-haltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratungbei Gegenstimmen der FDP-Fraktion mit den Stimmender übrigen Fraktionen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu-stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichenStimmverhältnis angenommen.

Tagesordnungspunkt 48 d:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung desvon der Bundesregierung eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zu dem Protokoll vom

15. Oktober 2007 zur Änderung des Abkom-mens zwischen der Bundesrepublik Deutsch-land und der Russischen Föderation zur Ver-meidung der Doppelbesteuerung auf demGebiet der Steuern vom Einkommen und vomVermögen vom 29. Mai 1996 und des Proto-kolls hierzu vom 29. Mai 1996

– Drucksachen 16/10295, 16/10537 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-schusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 16/10817 –

Berichterstattung:Abgeordnete Manfred Kolbe Lothar Binding (Heidelberg)

Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 16/10817, den Gesetzent-wurf der Bundesregierung auf Drucksachen 16/10295und 16/10537 anzunehmen.

Zweite Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurfist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und derFDP-Fraktion bei Enthaltung der Fraktionen Die Linkeund Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 48 e:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszu den Abkommen vom 26. Mai 2006 zwischender Regierung der Bundesrepublik Deutsch-land und der Regierung der Sonderverwal-tungsregion Hongkong der VolksrepublikChina über die gegenseitige Rechtshilfe inStrafsachen und über die Überstellung flüchti-ger Straftäter

– Drucksache 16/10390 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 16/10895 –

Berichterstattung:Abgeordnete Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen)Dr. Peter Danckert Jörg van Essen Wolfgang Nešković Jerzy Montag

Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 16/10895, den Gesetzent-wurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/10390 an-zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurfzustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim-men? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zwei-ter Beratung mit den Stimmen aller Fraktionen bei Ent-haltung der Fraktion Die Linke angenommen.

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19998 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu-stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit gleichemStimmverhältnis angenommen.

Tagesordnungspunkt 48 f:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines ViertenGesetzes zur Änderung verwaltungsverfah-rensrechtlicher Vorschriften (4. VwVfÄndG)

– Drucksache 16/10493 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-schusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 16/10844 –

Berichterstattung:Abgeordnete Ralf Göbel Siegmund Ehrmann Gisela Piltz Ulla Jelpke Silke Stokar von Neuforn

Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 16/10844, den Gesetzent-wurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/10493 inder Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-men wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? –Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Bera-tung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Ge-genstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung derFDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünenangenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurfist mit gleichem Stimmverhältnis angenommen.

Tagesordnungspunkt 48 g:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung desvon der Bundesregierung eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zu dem Vertrag vom 26. Fe-bruar 2008 zwischen der BundesrepublikDeutschland und der Republik Polen über denBau und die Instandhaltung von Grenzbrü-cken in der Bundesrepublik Deutschland imZuge von Schienenwegen des Bundes, in derRepublik Polen im Zuge von Eisenbahnstre-cken mit staatlicher Bedeutung

– Drucksache 16/10533 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung(15. Ausschuss)

– Drucksache 16/10840 –

Berichterstattung:Abgeordnete Dorothée Menzner

Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick-lung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 16/10840, den Gesetzentwurf der Bundes-regierung auf Drucksache 16/10533 anzunehmen.

Zweite Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Alle Fraktionen ha-ben dem Gesetzentwurf zugestimmt, und er ist damit an-genommen.

Tagesordnungspunkt 48 h:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Änderung des Straßenverkehrsgesetzesund zur Änderung des Gesetzes zur Änderungder Anlagen 1 und 3 des ATP-Übereinkom-mens

– Drucksachen 16/10534, 16/10583 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung(15. Ausschuss)

– Drucksache 16/10849 –

Berichterstattung:Abgeordneter Patrick Döring

Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick-lung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 16/10849, den Gesetzentwurf der Bundes-regierung auf Drucksachen 16/10534 und 16/10583 inder Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-men wollen, um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? –Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Bera-tung einstimmig angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurfist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 48 i:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines ViertenGesetzes zur Änderung des Weingesetzes

– Drucksache 16/10552 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-cherschutz (10. Ausschuss)

– Drucksache 16/10875 –

Berichterstattung:Abgeordnete Julia Klöckner Gustav Herzog Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Kirsten Tackmann Ulrike Höfken

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 19999

(A) (C)

(B) (D)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 16/10875, den Gesetzentwurf derBundesregierung auf Drucksache 16/10552 in der Aus-schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, diedem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmenwollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be-ratung mit den Stimmen aller Fraktionen bei Enthaltungder Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu-stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit gleichemStimmenverhältnis angenommen.

Tagesordnungspunkt 48 j:

Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-nen der CDU/CSU und der SPD eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes zur Änderung desGesetzes zur Entlastung der Rechtspflege

– Drucksache 16/10570 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 16/10893 –

Berichterstattung:Abgeordnete Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen)Joachim Stünker Mechthild Dyckmans Wolfgang Nešković Jerzy Montag

Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 16/10893, den Gesetzent-wurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD aufDrucksache 16/10570 anzunehmen. Ich bitte diejenigen,die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um dasHandzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – DerGesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmenaller Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion DieLinke angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu-stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit gleichemStimmenverhältnis angenommen.

Tagesordnungspunkt 48 k:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Verkehr, Bau undStadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antragder Abgeordneten Patrick Döring, HorstFriedrich (Bayreuth), Joachim Günther (Plauen),weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Abschaffung der Vorlagepflicht von Prüfbü-chern – Modifikation der §§ 41, 42 der Verord-

nung über den Betrieb von Kraftfahrunter-nehmen im Personenverkehr

– Drucksachen 16/6797, 16/10238 –

Berichterstattung:Abgeordneter Heinz Paula

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 16/10238, den Antrag der Fraktionder FDP auf Drucksache 16/6797 abzulehnen. Werstimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim-men? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung istmit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Frak-tion Die Linke bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion undder Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 48 l:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Verkehr, Bau undStadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antragder Abgeordneten Patrick Döring, Jörg Rohde,Horst Friedrich (Bayreuth), weiterer Abgeordne-ter und der Fraktion der FDP

Änderung des § 34 a der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung – Mobilität von Roll-stuhlfahrern verbessern, Sicherheit nicht ver-nachlässigen

– Drucksachen 16/8545, 16/10562 –

Berichterstattung:Abgeordneter Gero Storjohann

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 16/10562, den Antrag der Fraktionder FDP auf Drucksache 16/8545 für erledigt zu erklä-ren. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-genstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-lung ist einstimmig angenommen.

Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe-titionsausschusses.

Tagesordnungspunkt 48 m:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 464 zu Petitionen

– Drucksache 16/10788 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Sammelübersicht 464 ist einstimmig ange-nommen.

Tagesordnungspunkt 48 n:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 465 zu Petitionen

– Drucksache 16/10789 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Sammelübersicht 465 ist mit den Stimmender Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Ge-

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20000 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) (C)

(B) (D)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

genstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung derFraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 48 o:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 466 zu Petitionen

– Drucksache 16/10790 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Sammelübersicht 466 ist einstimmig ange-nommen.

Tagesordnungspunkt 48 p:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 467 zu Petitionen

– Drucksache 16/10791 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Sammelübersicht 467 ist mit den Stimmenaller Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 48 q:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 468 zu Petitionen

– Drucksache 16/10792 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Sammelübersicht 468 ist mit den Stimmenaller Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion DieLinke angenommen.

Tagesordnungspunkt 48 r:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 469 zu Petitionen

– Drucksache 16/10793 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Sammelübersicht 469 ist mit den Stimmenaller Fraktionen bei Gegenstimmen der FDP-Fraktionangenommen.

Tagesordnungspunkt 48 s:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 470 zu Petitionen

– Drucksache 16/10794 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Sammelübersicht 470 ist mit den Stimmender Regierungsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Ge-genstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen undEnthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.

Tagesordnungspunkt 48 t:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 471 zu Petitionen

– Drucksache 16/10795 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Sammelübersicht 471 ist mit den Stimmender Regierungsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Ge-genstimmen der Fraktion Die Linke und der FraktionBündnis 90/Die Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 48 u:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 472 zu Petitionen

– Drucksache 16/10796 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Sammelübersicht 472 ist mit den Stimmender Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion undder Fraktion Die Linke angenommen.

Tagesordnungspunkt 48 v:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 473 zu Petitionen

– Drucksache 16/10797 (neu) –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Sammelübersicht 473 ist mit den Stimmender Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Opposi-tionsfraktionen angenommen.

Zusatzpunkt 6 a:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-sammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss)zu dem Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe,Ulrike Höfken, Marieluise Beck (Bremen), weite-rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN

Überschüssige Mittel aus EU-Agrarhaushaltfür Bekämpfung der Hungerkrise nutzen

– Drucksachen 16/10591, 16/10912 –

Berichterstattung:Abgeordnete Anette Hübinger Dr. Sascha Raabe Hellmut Königshaus Alexander Ulrich Thilo Hoppe

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 16/10912, den Antrag der FraktionBündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/10591 abzu-lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20001

(A) (C)

(B) (D)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der FraktionBündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion DieLinke angenommen.

Zusatzpunkt 6 b:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Gesundheit (14. Aus-schuss) zu der Unterrichtung durch die Bundes-regierung

Vorschlag für eine Richtlinie des EuropäischenParlaments und des Rates über die Ausübungder Patientenrechte in der grenzüberschrei-tenden Gesundheitsversorgung (inkl. 11307/08ADD 1 bis 11307/08 ADD 3)

KOM(2008) 414 endg.; Ratsdok. 11307/08

– Drucksachen 16/10286 A.55, 16/10911 –

Berichterstattung:Abgeordneter Jens Spahn

Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrich-tung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt fürdiese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit denStimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung derOppositionsfraktionen angenommen.

Zusatzpunkt 6 c:

Beratung des Antrags der Abgeordneten GrietjeStaffelt, Jerzy Montag, Manuel Sarrazin, weitererAbgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Internetnutzerinnen und -nutzer nicht mas-senhaft kriminalisieren – Novellierung desEU-Telekommunikationspaketes nicht für Ur-heberrechtsregelungen missbrauchen

– Drucksache 16/10843 –

Wer stimmt für diesen Antrag? – Gegenstimmen? –Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen derKoalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Zustim-mung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und derFraktion Die Linke abgelehnt.

Jetzt geht es in der Debatte weiter. Wir kommen zumZusatzpunkt 2:

Aktuelle Stundeauf Verlangen der Fraktion DIE LINKE

Bahnchef Mehdorn ablösen, Verkehrsminis-ter Tiefensee entlassen, Börsengang der Deut-schen Bahn endgültig absagen

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort alsRednerin für die antragstellende Fraktion Die Linke derKollegin Dr. Gesine Lötzsch.

(Beifall bei der LINKEN)

Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Der Aufsichtsrat der Deutschen

Bahn hat für den Fall des Börsenganges 1,4 MillionenEuro allein für Bahnchef Mehdorn beschlossen. Das istder letzte dicke Tropfen, der das Fass zum Überlaufenbringt.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Mehdorn übrigens nannte diese Boni nur „Möhr-chen“; ich erinnere an die Peanuts von Herrn Kopper.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Was sind Sie denn so grantig?)

Minister Tiefensee hat diese Boni verschwiegen, weil erden Börsengang nicht gefährden wollte.

Ich kann Ihnen sagen: Die Menschen haben die Nasevoll von raffgierigen Managern, denen der ursprünglicheZweck öffentlicher Güter gleichgültig ist und die Wortewie Gemeinsinn, Solidarität und Daseinsfürsorge aus ih-rem Wortschatz ausgemerzt haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Menschen haben die Nase voll von Politikern, diejahrelang mitgemacht haben, wenn es darum ging, dasVolkseigentum Deutsche Bahn zu verschleudern. Ichhabe nicht die Zeit, alle Politiker von CDU, CSU undSPD aufzuzählen, die die Privatisierung der Bahn voran-getrieben haben, um danach in den gut bezahlten Dienstder Deutschen Bahn zu wechseln, und zwar nicht alsSchaffner.

Der wichtigste Grund für die Entlassungen, die wirfordern, ist aber die gescheiterte Bahnpolitik, die Minis-ter Tiefensee und Bahnchef Mehdorn über Jahre ohneRücksicht auf Verluste betrieben haben. Es ist doch ab-surd, dass Herr Tiefensee erklärt, dass der Börsengangnur aufgeschoben und nicht aufgehoben sei. Er hat im-mer noch nicht verstanden, dass wir uns in der schwers-ten Finanzkrise aller Zeiten befinden.

(Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Ja, reden Sie es noch herbei!)

Die Banken sind nicht mehr bereit, Geld zu verleihen. Inden USA, in Großbritannien und Frankreich werdenBanken verstaatlicht, damit ihr Zusammenbruch verhin-dert wird. Opel und Ford schreiben Briefe an die Kanzle-rin und fordern Milliarden aus der Staatskasse für dieAutoindustrie.

In dieser Situation meinen der Verkehrsminister undder Bahnchef, auf den leergefegten internationalen Fi-nanzmärkten privates Geld für die Bahn zu bekommen.Dieses absurde Ansinnen zeigt doch, dass die beiden Pri-vatisierer überhaupt noch nicht verstanden haben, welchökonomischer Tsunami gerade über uns hereinbricht.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch wenn der Börsengang der Bahn nun verschobenist – Herr Steinbrück hat uns gestern im Ausschuss infor-miert, dass er den Börsengang schon im September ver-schoben haben will –: Die Bahn wurde von Mehdornund Tiefensee auf Rendite getrimmt.

(Enak Ferlemann [CDU/CSU]: Sehr gut!)

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20002 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) (C)

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Dr. Gesine Lötzsch

Die Bürgerinnen und Bürger mussten das schmerzhafterfahren.

(Enak Ferlemann [CDU/CSU]: Stimmt nicht!)

Der zurückgetretene Aufsichtsrat der Deutschen BahnVoscherau kritisiert die Bundesregierung zu Recht. DerBund hat in den vergangenen Jahren akzeptiert, dass dieBahn sich zu einem internationalen Logistikdienstleistermit angehängtem Personenverkehr entwickelt hat. Ge-nau das ist das Problem.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Bahnkunden werden von der Bundesregierung undvom Bahnvorstand nur noch als lästiges Anhängsel be-trachtet. Dafür nur drei Beispiele:

Erstens. Seit Herr Mehdorn Bahnchef ist, sind dieFahrkartenpreise um 22 Prozent in die Höhe geschossen.Er presst die Bahnkunden aus, um seine Renditezieleund damit seine maximale Leistungszulage von3 Millionen Euro zu sichern, die zu seinem Festgehalthinzukommt.

Zweitens. Seit Herr Mehdorn Bahnchef ist, wird ander Sicherheit gespart. Es treten immer wieder schwer-wiegende Sicherheitsmängel auf. Ich erinnere nur an denICE Wolfsburg, der mit 250 Reisenden an Bord am9. Juli nur aufgrund eines glücklichen Zufalls nicht ver-unglückte.

(Uwe Beckmeyer [SPD]: Das ist aber ganzübel, was Sie hier machen! – Enak Ferlemann[CDU/CSU]: Das ist das Allerletzte!)

Drittens. Seit Herr Mehdorn Bahnchef ist, werdenMinderjährige, die einen falschen Fahrschein gelöst ha-ben, aus dem Zug geworfen. Wenn jetzt die Verantwor-tung auf die Schaffner abgewälzt wird, dann entsprichtdas der Politik der Bahn und der Bundesregierung, nieselbst Verantwortung zu übernehmen und immer jeman-den im Visier zu haben, auf den man die Schuld abwäl-zen kann.

(Beifall bei der LINKEN – Uwe Beckmeyer[SPD]: Das ist ein Niveau! Das ist unangemes-sen für dieses Haus! – Dr. Andreas Scheuer[CDU/CSU]: Muss Herr Mehdorn jetzt in je-dem Zug mitfahren oder was?)

Wir Linke fordern eine endgültige Absage des Bör-sengangs der Bahn, mehr Investitionen in die Bahninfra-struktur, insbesondere in die Bahnsicherheit, und denVerzicht auf die zum Ende dieses Jahres geplante Fahr-preiserhöhung.

(Enak Ferlemann [CDU/CSU]: Das geht ja schon nicht auf!)

Die Bürger wollen keine Börsenbahn, sondern siewollen eine Bürgerbahn.

(Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Fünf Mi-nuten können echt hart sein!)

Die Bürgerinnen und Bürger wollen die Bahn sicher undzu vernünftigen Preisen nutzen können. Alle Privatisie-rung ist ein Wahn, der hier beendet gehört.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der SPD: Nur abgeschrieben!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Klaus Lippold von

der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD – Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Der bringt Kompetenz in die Debatte!)

Dr. Klaus W. Lippold (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erstens. Ichwerde der Ablösung von Bahnchef Mehdorn aufgrunddieses Antrages nicht zustimmen; ich nehme an, meineFraktion auch nicht. Zweitens. Ich werde der Entlassungvon Verkehrsminister Tiefensee nicht zustimmen; ichnehme an, meine Fraktion auch nicht. Und wir werdenauch nicht den Börsengang der Bahn endgültig absagen.

(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer weiß, Kollege!)

Frau Lötzsch, Sie haben Herrn Mehdorn angespro-chen. Man muss zu ihm eines sagen: Wir haben mit ihmsicherlich einen unbequemen Partner, aber einen erfolg-reichen.

(Zurufe von der LINKEN: Erfolgreich?)

Rechts hinter Ihnen sitzt ein ebenso unbequemer Politi-ker, aber ein gescheiterter. Sehen Sie, das ist der Unter-schied: Der eine macht sich als Minister bei Nacht undNebel aus dem Finanzministerium, als wäre er ein Dieb,der sich davonschleicht.

(Widerspruch bei der LINKEN)

Ja, man muss doch einmal in Erinnerung rufen, welcheGestalten in Ihren Reihen sind!

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Das sind diejenigen, die hinterher andere kritisieren.Drehen Sie sich um und kritisieren Sie den Mann hintersich. Fordern Sie ihn auf, den Populismus zu lassen undzu vernünftigen Aussagen zurückzukehren.

Jetzt kommen wir zu dem, was eine Linke immer sa-gen muss: Wir brauchen keine Renditebahn. Natürlichnicht. Womit investieren wir dann? Nur mit Staatsmit-teln? Wir wollen Staatsmittel hineinstecken, aber wirwollen auch eine Bahn, die Rendite erwirtschaftet, damitmehr Geld in die Infrastruktur und den Service investiertwerden kann. Das alles wollen Sie zwar, die Schaffungder Voraussetzungen für eine bessere Bahn und eine stär-kere Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße aufdie Schiene verhindern Sie aber aufgrund Ihrer populisti-schen Einstellung. Das Schlimme ist, dass Sie das nochnicht einmal begreifen, sondern in alter Manier wie zuDDR-Zeiten auf Defizite setzen und glauben, damitkönne man in Zukunft Erfolg haben. Das geht nicht!

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20003

(A) (C)

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Dr. Klaus W. Lippold

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Ich gehe davon aus, dass meine Kollegen detaillierterauf das eingehen werden, was Sie mit Sicherheitskrisegemeint haben. Davon kann in dieser Form nicht dieRede sein. Es gibt in einem Riesenunternehmen immerwieder Vorgänge, die sauber geprüft werden müssen.Das machen wir. Dagegen gibt es nichts zu sagen.

Auf einen Punkt will ich noch eingehen. Wir stelleneindeutig klar, dass der Börsengang für diese Legislatur-periode nicht ad acta gelegt ist.

(Enak Ferlemann [CDU/CSU]: So ist es!)

Es gab dazu missverständliche Äußerungen. Sie sinddankenswerterweise vom Chef des Kanzleramtes deMaizière ausgeräumt worden. Wir stehen dazu: Wir hal-ten den Börsengang für richtig; denn wir brauchen Geldfür die Bahn. Die Bahn braucht mehr Eigenkapital, undwir brauchen mehr Geld für die Bereiche Schiene undService. Auch das hat mit dem Börsengang zu tun.

Zu berücksichtigen ist dabei, dass das Ergebnis dersogenannten Roadshow abgewartet werden muss. Sie inIhrer Schlauheit wissen alles schon vorher. Wieso ei-gentlich, wenn es noch nicht zu Ende durchgeführt wor-den ist?

(Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Das sindalles Populisten! – Zuruf von der LINKEN:Wir haben es in England gesehen!)

Sie haben keine Ergebnisse, wir haben auch keine. AberSie fällen ein vorschnelles Urteil. Das kommt davon,Frau Lötzsch, wenn man sich mit der Sache nicht inhalt-lich auseinandersetzt, sondern hier nur billige Sprücheablässt. Das ist so nicht haltbar.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Da ich Freund der Großen Koalition bin, kann ichgleichzeitig festhalten, dass es einige Punkte gibt, die ichetwas kritisch betrachte. Der erste Punkt, Herr Minister,ist die Informationspolitik. Da wird es erhebliche Ver-besserungen geben müssen. Der zweite Punkt ist dieEntscheidungsstruktur. Es kann nicht angehen, dass sichdie Hausspitze vor wesentlichen Entscheidungen nichtabstimmt. Sie haben zugesagt, das zu ändern. Ich gehedavon aus, dass das mittlerweile geändert wurde. Denndas ist entscheidend und notwendig. Der dritte Punkt ist,dass im Hause Klarheit herrschen muss, dass der Bör-sengang nicht irgendetwas ist. Wenn unwidersprochen inder Financial Times steht, dass Ihr Sprecher gesagt hat,dass Sie den Flyer für den Börsengang gar nicht hättenkennen müssen, dann zeigt das ein erschreckendes Aus-maß von Unkenntnis. Das muss abgestellt werden; dassprechen wir offen an.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowiebei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN)

Aber ich sage auch: Das ist jetzt kein Grund, dem Antragder Linken zu folgen.

(Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Wer lesen kann, ist klar im Vorteil!)

Wir werden für eine bessere Bahn sorgen. Wir werdenfür mehr Geld für Investitionen in die Bahn und mehrGeld für Service sorgen. Wir als Koalition werden damiterfolgreich sein.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Patrick Döring von der

FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Patrick Döring (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So-

eben sprach ein Freund der Großen Koalition, einer derwenigen, die es noch gibt.

(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Was? – Na! Na!)

Geschätzter Kollege Lippold, in einem haben Sie natür-lich recht. Herrn Mehdorn kann man sehr viel vorwer-fen. Aber dass er sich in der aktuellen Debatte auf einenvon einem früheren Bundesminister, einem früheren be-amteten Staatssekretär und zwei Arbeitnehmervertreternunterschriebenen Vertrag beruft und sagt, das sei mit ihmvereinbart und dazu stehe er, bis er eine andere Aussagehat, kann man ihm nicht vorwerfen.

Damit kommen wir zu dem, was man dem Ministervorwerfen muss. Da sind wir mit der Fraktion Die Linkeganz einig, und darüber werden wir ja auch noch debat-tieren. Man muss Ihnen, Herr Minister Tiefensee, vor-werfen, dass Sie die Detailregelungen – alles, was in die-sem Zusammenhang im Börsenprospekt aufgeschriebenwurde – des wichtigsten Projekts dieser Legislaturperio-de im Verkehrsbereich, der größten Privatisierung in die-ser Legislaturperiode, also des Börsengangs der Bahnmit dem jetzt gewählten Modell, der von Ihnen in jederRede offensiv verteidigt wird, angeblich nicht haben zurKenntnis nehmen wollen oder können. Das ist das Füh-rungsversagen, das man Ihnen vorwerfen muss.

(Beifall bei der FDP)

Das Parlament hat das Recht, Ihnen das vorzuwerfen,weil es die Hand dafür gehoben hat, diese Privatisierungdurchzuführen. Man muss sich darauf verlassen können,dass sich das Ministerium, also auch der Minister, inhalt-lich mit der Sache auseinandersetzt.

(Beifall bei der FDP)

Ganz verblüffend ist auch die Antwort auf folgendeFrage: Was ist eigentlich ein erfolgreicher Börsengang?Sie selbst haben mehrfach öffentlich gesagt: Wir erwar-ten zwischen 5 und 8 Milliarden Euro. Sie selbst habendiese Latte in der öffentlichen Debatte eingeführt: min-destens 5 Milliarden Euro für 24,9 Prozent. Irgendwannkam dann der Betrag 3,5 Milliarden Euro ins Spiel. Dakann man schon darüber diskutieren, wie viel der Anteil,

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20004 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) (C)

(B) (D)

Patrick Döring

den der Bund verkaufen will, wert ist. Dann sagen auchnoch Mitglieder des Aufsichtsrates – Herr Müller, derfrühere Bundeswirtschaftsminister, ist ja vom Eigentü-mer als Mitglied in den Aufsichtsrat geschickt worden,um die Interessen der AG im Aufsichtsrat, aber natürlichauch die Interessen der Eigentümer zu vertreten –: Unab-hängig vom Erlös, ob 1, 2, 3 oder 4 Milliarden Euro, gibtes – ich zitiere aus dem Börsenprospekt – eine „Event-Tantieme“ für die Mitglieder des Vorstandes. Der Bör-sengang der DB AG ist doch kein Event, sondern einewahrlich ernst zu nehmende politische Entscheidung.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb komme ich zurück zu dem Führungsversa-gen des Ministers, nicht des Staatssekretärs. Sie als Bundhaben alle Mitglieder des Aufsichtsrates, die nicht Ar-beitnehmervertreter sind, berufen. Natürlich sind sienicht weisungsgebunden. Wenn aber Mitglieder des Auf-sichtsrates seit Wochen dem, was der Bundesverkehrs-minister möchte, öffentlich und mehrfach widersprechen– übrigens ist bis heute nicht dem widersprochen wor-den, was sie angeblich dem Kollegen Hübner erzählt ha-ben, dass Sie bereits im Juni im Ministerium ein Ge-spräch geführt hätten und dass dabei über diese Event-und Erfolgstantiemen gesprochen worden sei; der Kol-lege Hübner spricht gleich, dann kann er das klarstellen –,wenn solche Aufsichtsräte weiterhin unwidersprochen indem Konzern ihre aktienrechtliche Aufgabe für den Ei-gentümer Bund wahrnehmen, dann müssen Sie sich fra-gen lassen, ob Handeln und Sagen noch zusammenpas-sen.

Sie können diese Aufsichtsräte durch eine außeror-dentliche Hauptversammlung abberufen. Die kann in30 Tagen stattfinden. Warum machen Sie das nicht,wenn Ihnen diese Leute fortwährend auf der Nase her-umtanzen, Herr Minister?

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN)

Es ist nicht redlich, wie Sie öffentlich mit dem Themaumgehen. Das Parlament legt Wert darauf, dass sich derMinister der Sache seriös und vernünftig annimmt. Dashaben Sie in der Vergangenheit nicht getan. Wenn Siedann öffentlich sagen, Sie hätten sich durchgesetzt, weilder Börsengang und die Tantiemen nicht kommen, dannkann man nur sagen, dass Sie die Dimension der letztendrei Jahre und der Debatte um diese Frage politisch nichteinordnen können und auch nicht verstanden haben.

(Beifall bei der FDP)

Darum hat meine Fraktion – die Debatte darüber wirdsich an diese anschließen – einen Antrag gestellt, in demdie Bundeskanzlerin von diesem Haus aufgefordertwird, Sie zu entlassen. Ich denke, dass der Umgang mitder Frage, wer für die Diskussion um den Börsengangder DB AG verantwortlich ist, das ganz offensichtlicheAuseinanderfallen des Redens und des Handelns desBundesverkehrsministers im Aufsichtsrat und die Tatsa-che, dass Sie keine Konsequenzen in der aufsichts- undder börsenrechtlichen Struktur Ihrer Vertreter im Auf-

sichtsrat ziehen, sowie andere verkehrspolitische Fehlleis-tungen, etwa beim Thema Deutsche Flugsicherung – an-dere Themen brauche ich nicht auch noch zu nennen –,zeigen, dass Sie wieder einmal mit warmen Worten da-vonkommen wollen. Das werden jedenfalls wir Ihnennicht durchgehen lassen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Klaas Hübner von der SPD-

Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Klaas Hübner (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Dieser und der nächste Tagesordnungspunkt sindein klares Zeugnis der inhaltlichen und strukturellenSchwäche der hier vertretenen Oppositionsparteien.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufvon der CDU/CSU: Das ist wahr! – Fritz Kuhn[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Blasen Siesich nicht so auf, mein Lieber!)

Ich komme zur inhaltlichen Schwäche: Während sicheine starke Regierung und eine handlungsfähige Koali-tion darum kümmern, wie man der Finanzmarktkrisebeikommen, wie man die Realwirtschaft stärken und wieman einen Beschäftigungsschirm aufbauen kann, neh-men Sie zwei Stunden Debatte dafür in Anspruch, einenKleinst- und Nebenkriegsschauplatz aufzumachen, mitdem Sie schon im Ausschuss am Mittwoch gescheitertsind, um etwas zu erörtern, was die Menschen momen-tan wirklich nicht interessiert. Deutlicher kann manseine Konzeptionslosigkeit in den entscheidenden Fra-gen unserer Gesellschaft nicht dokumentieren.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Ich komme zur strukturell schwachen Opposition: Dasind Sie sich schon einmal in dem für mich nicht nach-vollziehbaren Wunsch einig, den Minister zu entlassen,und schaffen es noch nicht einmal, sich auf eine gemein-same Formulierung in einem gemeinsamen Antrag zu ei-nigen. Da muss die Linke zu einem Tagesordnungs-punkt, der ordentlich aufgerufen ist, noch einmal eineAktuelle Stunde beantragen. Das ist Populismus pur. Dasist Klamauk vor Inhalt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU – Widerspruch bei der LIN-KEN)

Die zwei Vorsitzenden der Linkspartei – Herr Lippoldhat zu Recht darauf hingewiesen und das muss man im-mer wieder erwähnen – hätten zweimal Verantwortungübernehmen können, der eine als Senator in Berlin, derandere als Bundesfinanzminister, aber sie sind dann, alses darauf ankam, diese Verantwortung wahrzunehmen,weggelaufen. Dieser Minister läuft nicht weg. Er steht zuseiner Verantwortung. Darum hat er auch unsere Unter-stützung.

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Klaas Hübner

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU – Widerspruch bei der LIN-KEN)

Die Fraktion der Grünen kommt hier ein bisschenspät. Alles ist zwar schon gesagt, aber noch nicht von je-dem. Darum mussten sie einen mit dem der FDP wort-gleichen Antrag mit gestrigem Datum noch hinterher-schieben. Damit es auch jeder merkt, wurde dieser zursofortigen Abstimmung gestellt.

(Enak Ferlemann [CDU/CSU]: Genau so ist es!)

Sie mahnen so oft, dass wir eine ordentliche Beratungs-dauer bei vielen Regierungsentwürfen brauchen. Aberwenn es um Ihren Entwurf geht, dann wollen Sie garkeine Beratungsdauer in Anspruch nehmen. Was ist dasfür eine parlamentarische Kultur?

Dann haben wir da noch die FDP, das kann ich Ihnenleider nicht ersparen, lieber Herr Kollege Döring. Sie ha-ben – das ist Ihr gutes Recht – am vergangenen Mitt-woch eine Ausschusssondersitzung einberufen, um dortmit dem Minister einige angeblich offene Fragen zu klä-ren und um ihm Gelegenheit zu geben, Missverständ-nisse auszuräumen. Aber das wollten Sie gar nicht.Schon vor der Sitzung haben Sie sich nämlich entschlos-sen, den Antrag auf Entlassung des Ministers einzubrin-gen. Damit haben Sie dem Ausschuss keinen Gefallengetan. Wenn es Ihnen wirklich um Aufklärung gegangenwäre, dann hätten Sie zumindest diese Sitzung abgewar-tet. Das haben Sie aber nicht getan. Sie waren vorfestge-legt. Man kann einen Ausschuss auch als Zeitvernich-tungsmaschine missbrauchen. Das, was Sie an dieserStelle getan haben, kommt dem sehr nahe.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU – Patrick Döring [FDP]: Wir je-denfalls werden vor der Sitzung nicht vomAufsichtsratsvorsitzenden angerufen!)

Kurzum, die Situation ist wie folgt: Auf der einenSeite haben wir eine handlungsfähige und handlungs-starke Koalition

(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Oh ja! Und wie!)

sowie eine gute Bundesregierung und einen guten Bun-desminister. Auf der anderen Seite sehen wir eine zer-strittene Opposition:

(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

eine Linkspartei, die vor der Verantwortung wegrennt,eine FDP, die sich auf Kleinstschauplätzen verrennt, undeine Grünen-Fraktion, die in diesem Fall leider zielloshinterherrennt. Das sind die Gegensätze in diesem Parla-ment.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU – Patrick Döring [FDP]: Washat Ihnen Herr Müller denn erzählt? Dazu ha-ben Sie kein Wort gesagt!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Oskar Lafontaine von

der Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN – Enak Ferlemann[CDU/CSU]: Um Gottes willen! Muss dassein?)

Oskar Lafontaine (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Es geht heute um einen Ministerrücktritt. Daherbitte ich Sie, mir vorweg eine persönliche Bemerkung zugestatten: Ich werde seit Jahren immer dann, wenn inder Sache nichts zu sagen ist, auf meinen Rücktritt an-gesprochen. Ich will dazu nur so viel sagen: Es gibt Si-tuationen, in denen ein Minister Verantwortung überneh-men und zurücktreten muss.

(Beifall bei der LINKEN)

Das gehört zu einem funktionierenden Parlamentaris-mus. Als jemand, der jahrzehntelang öffentliche Verant-wortung getragen hat, habe ich allerdings die Erfahrunggemacht: Es ist immer schwer, zurückzutreten.

(Enak Ferlemann [CDU/CSU]: Ihnen glaube ich das sofort!)

Es gibt eine weitere Erfahrung, die ich gemacht habeund die ich Ihnen mitteilen möchte: Politische Würst-chen treten nie zurück, weil sie dazu viel zu feige sind.

(Beifall bei der LINKEN – ThomasOppermann [SPD]: Oh! Dann waren Sie alsomutig! Dann war Ihr Rücktritt ja eine Helden-tat! – Heiterkeit bei der SPD)

– Ich hoffe, dass die Kamera jetzt auf die erste Reihe derSPD zeigt. Dann weiß nämlich jeder, was ich gemeinthabe.

(Volker Kauder [CDU/CSU], zur SPD ge-wandt: Habt ihr gehört? Dann tretet mal alleschön zurück, ihr Würstchen! – Heiterkeit beider CDU/CSU)

Nun komme ich zur Sache. Die Bahnpreise sind in derletzten Zeit erheblich gestiegen, und ein öffentliches Un-ternehmen steht in der Kritik. In einer solchen Situationschaut die Bevölkerung natürlich genau hin. Hier geht esnicht um einen Nebenkriegsschauplatz, wie es einer derRedner der Regierungsfraktionen formuliert hat, sonderndarum, wie sich die Bundesregierung zu Kernfragen,über die zurzeit diskutiert wird, verhält.

Eine dieser Kernfragen ist die Privatisierung. Es isteine Tatsache, dass die Privatisierung insbesondere an-gesichts der gegenwärtigen Finanzkrise zu einem regel-rechten Rohrkrepierer wird. Privatisierte Betriebe wer-den erhebliche Arbeitsplatzverluste zu verzeichnenhaben, es kommt nach wie vor zu Lohndrückerei undLeiharbeit, und Leiharbeiter sind immer die Ersten, de-nen gekündigt wird. Es ist so, als gingen Sie blind durchdie Gesellschaft und als würden Sie nicht zur Kenntnisnehmen, welche schädlichen Folgen bereits eingetretensind.

(Beifall bei der LINKEN)

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Oskar Lafontaine

Die Privatisierung der Bahn ist nicht irgendein Neben-kriegsschauplatz. Wie kann man nur ein solches Fehlur-teil abgeben! Die Privatisierung der Bahn ist ein Thema,das viele Menschen in der Bundesrepublik beschäftigt.

Um eines in aller Klarheit zu sagen: Der Hauptakteurist nicht die Bundesregierung. Der Hauptakteur und derVerantwortliche für die Geschäfte der Bahn ist ihr Vor-standsvorsitzender. Im Grunde genommen leitet er dieBahn, nicht die Bundesregierung. Sie ist mehr oder we-niger ein Mitspieler, dem der Bahnchef hin und wieder– in welcher Form auch immer – Möhrchen hinhält, da-mit sie so funktioniert, wie er es gern hätte. Die Bahn istein klassisches Unternehmen, in dem der Vorstand allesbestimmt und in dem der Gesellschafter nichts zu sagenhat. Das haben wir zu kritisieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Das wäre ein Grund, denjenigen, der dort den Gesell-schafter vertritt, zurückzuziehen. Es kann doch nichtsein, dass der Vorstand eines öffentlichen Unternehmensmacht, was er will!

Es gibt auch in den Gemeinden und in den Ländernöffentliche Unternehmen. Hier muss zumindest gewähr-leistet sein, dass die Verantwortlichen die Gesellschaf-terrechte richtig wahrnehmen. Das können sie offen-sichtlich aber nicht.

Ich habe immer wieder versucht, an einem Beispiel,das auch Sie schon angesprochen haben, deutlich zu ma-chen, dass Ihnen die Zusammenhänge gar nicht bewusstsind. Wenn die Bundesregierung die Begrenzung vonManagerbezügen zum Thema macht, dann zeigt das,dass Sie das, was Sie sagen, überhaupt nicht ernst mei-nen. Denn in dem Unternehmen, an dem sie 100 Prozenthält, lässt sie zu, dass genau das Gegenteil von dem ge-schieht, was sie angeblich will. Man gewinnt den Ein-druck, dass nicht der Aufsichtsrat die Höhe der Mana-gerbezüge bestimmt, sondern dass der Vorstand selbstsagt, wie viel er haben will, und dass dies dann von allenanderen abgenickt wird. Das sind doch die Zustände, diebei der Bahn zu beobachten sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Gerade in der gegenwärtigen sensiblen Zeit haben Siedas Thema Bonuszahlungen in die Diskussion gebracht.Der Minister allerdings weiß gar nicht, ob er sie mitzu-verantworten hat oder nicht. Vieles wird aus Ihren öf-fentlichen Äußerungen gar nicht klar. Dass es überhauptmöglich ist, dass bei einem öffentlichen Unternehmenmit einer solchen Gehaltsstruktur auch noch Bonuszah-lungen thematisiert werden, zeigt, dass dort alle Maß-stäbe verlorengegangen sind. Deshalb müssen die Ver-antwortlichen aus unserer Sicht Konsequenzen ziehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Statt über Bonuszahlungen und weitere Gehaltserhö-hungen für die oberen Etagen zu diskutieren, sollte manlieber die Fahrpreiserhöhungen – meine Kollegin hatdies gefordert – zumindest reduzieren, wenn nicht ganzunterlassen; das wäre besser. Denn die Menschen habenkein Verständnis dafür, dass auf der einen Seite Millio-

nengehälter gezahlt werden und auf der anderen SeiteHartz-IV-Empfänger zur Kasse gebeten werden, wennsie einmal mit der Bahn fahren. Dafür haben die Men-schen überhaupt kein Verständnis.

(Beifall bei der LINKEN)

Als jemand, der im Gegensatz zu den Personen aufder ersten Bank hier lange Jahre Gesellschafterrechteausgeübt hat, sage ich Ihnen: Wenn man Gesellschafter-rechte ausübt, dann muss man die Geschäftspolitik desUnternehmens mitbestimmen und in der Lage sein, demVorstand Grenzen aufzuzeigen.

(Uwe Beckmeyer [SPD]: Das ist aber eine ar-rogante Rede!)

Dies ist offensichtlich völlig aus der Mode gekommen,insbesondere bei dem Bundesunternehmen Bahn.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielmehr ist es so, dass sich der Vorstand die Politikmehr oder weniger, so sage ich einmal, geneigt macht.Deswegen ist der Vorstandsvorsitzende vielleicht auchgeeignet, Vorsitzender eines Kaninchenzuchtvereins zuwerden, weil er sich hervorragend auf die Möhrchenfüt-terung versteht.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Auf der anderen Seite hat er aber überhaupt nicht erken-nen lassen, dass er aus der letzten Zeit Konsequenzengezogen hat. Es kann doch wohl nicht wahr sein, dassdie ganze Diskussion über die Leidtragenden der Finanz-krise und diese Maßlosigkeit, die überall Platz gegriffenhat, zu keinerlei Konsequenzen bei der Bahn führt.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Wir sagen auf jeden Fall: Die Bundesregierung ist un-glaubwürdig, wenn sie etwas über das Managerverhal-ten, die Begrenzung von Managergehältern usw. sagt,wenn sie im eigenen Laden nicht für Ordnung sorgt. Füruns ist diese Bahn mehr oder weniger – ich möchte eseinmal so sagen – ein ungeordneter Betrieb

(Enak Ferlemann [CDU/CSU]: Was? –Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: So eineUnverschämtheit!)

– ich vermeide einen anderen Begriff –, in dem ein Ein-ziger das Sagen hat und alle anderen mehr oder wenigeran der Leine mitführt.

(Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Keinenblassen Dunst von einer Ahnung! – WeitererZuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!)

Das ist nicht der Auftrag, den die Bahn hat. Die Bahnsollte von der Bundesregierung geleitet und geführt wer-den und nicht bestimmen, worüber in diesem Hause ab-gestimmt wird.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. GertWinkelmeier [fraktionslos] – Volker Kauder[CDU/CSU]: Jetzt ein Möhrchen! – Zuruf vonder SPD: Für Oskar!)

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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Renate Blank von der

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Renate Blank (CDU/CSU): Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich

mir den Titel der Aktuellen Stunde anschaue, dann seheich, dass dort „ablösen“, „entlassen“ und „absagen“steht. Warum schreiben Sie dann nicht auch noch „Ver-haftung von Personen“, wie Ihr Bundespräsidentenkan-didat, der die Handschellen einmal zu viel hat klickenlassen, vielleicht angeregt hat oder angeregt hätte?

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es fehlt auch noch das Wort „Enteignung“ in Ihrem An-trag.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das alles sind Dinge, zu denen ich sagen muss: Der An-trag ist doch ein bisschen unglaubwürdig. Sie wolleneinfach keinen Börsengang.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich muss dazu sagen: Wir wollen den Börsengang,und ich bin froh, dass wir ihn erreichen werden. Es wa-ren vor allen Dingen die Minister Steinbrück und Glos,die uns bei der Vorbereitung des Börsengangs in der jet-zigen Form sehr geholfen haben. Wenn wir nach demVorschlag des Bahnchefs Mehdorn und des Ministeri-ums vorgegangen wären – es handelte sich um das Ei-gentumssicherungsmodell –, dann hätten wir das Netzder Deutschen Bahn überlassen. Das hätte nicht unsereZustimmung gefunden; denn das wäre wirklich eine Ver-schleuderung von Volksvermögen gewesen. So bleibtdas Netz in der Verantwortung des Bundes, und der Ei-gentümer Bund hat das Sagen. Ich verhehle aber auchnicht, dass hier vielleicht noch etwas mehr Transparenzerreicht werden muss und dass der Eigentümer etwasmehr zum Bereich Netz zu sagen haben sollte.

Aus unserer Sicht ist die Trennung von Netz und Be-trieb aber notwendig; denn die Deutsche Bahn ist ein in-ternationaler Logistikkonzern und für den Betriebverantwortlich. Das liegt in der unternehmerischen Ver-antwortung und ist Angelegenheit des Unternehmens.Wie gesagt: Es muss eine saubere Trennung geben,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

damit wirklich Transparenz erreicht wird und der Bundseiner Verantwortung stärker gerecht werden kann.

Kolleginnen und Kollegen, Bonuszahlungen bei Pri-vatunternehmen, die an die Börse gehen, sind durchausüblich. Es ist Aufgabe des Aufsichtsrats, Boni festzule-gen. Allerdings bin ich der Meinung, dass der Aufsichts-rat die Brisanz hier vielleicht nicht richtig eingeschätzthat. Im Grunde genommen sollten das Ministerium undder Minister natürlich rechtzeitig über diese sensibleMaterie informiert gewesen sein. Auch das Parlamenthätte Interesse daran gehabt, über den Fortgang und denBörsengang laufend informiert zu werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Für Minister sollte es zwar nicht die Gnade der spätenGeburt geben, aber die Entscheidung über den Ministerliegt bei der SPD und bei ihm selbst. Vielleicht wäre esauch gut, wenn der Aufsichtsratsvorsitzende WernerMüller – er wurde heute schon genannt –, der früherBundesminister war und deshalb die Befindlichkeit derPolitik und auch der Menschen kennen müsste, im Aus-schuss einige Fragen klären könnte.

Es ist schon seltsam, dass ein Transnet-Mitglied, frü-her im Aufsichtsrat und jetzt im Vorstand,

(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: SPD-Mitglied!)

keinerlei Anmerkungen zu den Gehältern und Bonuszah-lungen macht, obwohl die Bonuszahlungen um ein Hun-dertfaches den Betrag übersteigen, den die GdL für ihreMitglieder gefordert hat.

(Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Da hat sie recht!)

Die Bahnreform 1993/1994 war auf den Börsengangausgerichtet.

(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Des-halb haben wir das abgelehnt!)

Der Börsengang wird jetzt aufgrund der allgemeinenWirtschafts- und Finanzkrise verschoben; er ist aber da-durch nicht aufgehoben.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr genau!)

Wir wollen den Börsengang, damit sich die DeutscheBahn in unternehmerischer Verantwortung weltweit auf-stellen kann. Aber der Bund als Netzeigentümer musssich in Zukunft auch mehr um das Netz kümmern unddie entsprechenden Mittel dafür zur Verfügung stellen,damit so etwas wie Streckenüberlastung nicht mehrmöglich ist.

Wir wollen auch den Wettbewerb auf der Schiene.Dafür brauchen wir den Börsengang.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der

Kollege Dr. Anton Hofreiter das Wort.

Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Liebe Renate Blank, spannend an deiner Redewar, dass du den meisten Zwischenapplaus nicht von derCDU/CSU, sondern von den Grünen bekommen hast.

(Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Ihr wollt doch nur wieder in die Koalition kommen!)

Wir stehen selbstverständlich auf deiner Seite, wenn esum die Durchsetzung der Trennung von Netz und Trans-

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Dr. Anton Hofreiter

port geht. Leider hat deine kluge Erkenntnis innerhalbder Großen Koalition noch keinen entsprechendenDurchschlag gefunden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Kollege der SPD-Fraktion ist kein Mitglied desVerkehrsausschusses und erlebt deshalb Herrn Tiefenseenicht so intensiv, wie wir ihn im Verkehrsausschuss lei-der erleben müssen.

(Lachen bei der LINKEN)

Ich muss leider feststellen, dass ich selbst als Mitgliedder Opposition mir einen anderen Minister wünschenwürde. Wir brauchen keine lange Ausschussberatungdarüber, ob wir ihn für geeignet halten. Wir haben ihnüber Jahre erlebt, und er hat sich leider als ungeeignet er-wiesen. Fragen Sie Ihre Kollegen im Verkehrsausschuss– Sie müssen es ja nicht öffentlich machen –; sie werdenes Ihnen bestätigen. Sie können auch Herrn Großmannfragen. Er wird es Ihnen auch bestätigen.

(Lachen bei der CDU/CSU und der SPD –Christian Carstensen [SPD]: Das ist unglaub-lich!)

Aber kommen wir zur DB AG. Welche verquerenVorstellungen innerhalb der DB AG herrschen, zeigenzum Beispiel die Aussagen von Herrn Voscherau alsMitglied des Aufsichtsrates. Er hat geäußert, dass diePolitik endlich einsehen möge, dass es sich bei derDB AG um einen internationalen Logistikkonzern mitangehängtem Personenverkehr handelt. Das Problem ist:Die Politik bzw. Ihr Minister hat zugelassen, dass dieseBeschreibung zutrifft. Das ist der eigentliche Skandal.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Der Aufsichtsrat, der von der Politik entsandt wird,hat immer wieder Zukäufe von Logistikunternehmen ge-nehmigt, zuletzt eine rumänische Straßenspedition, dieder Bahn mit Dumpinglöhnen Konkurrenz auf der Straßemacht. Das ist ein Skandal.

Damit kommen wir zu Herrn Lippold, der von denRenditen gesprochen hat.

(Enak Ferlemann [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Herr Lippold, Sie wissen doch selber – im Ausschuss istes uns allen bekannt –, dass die Renditen der Bahn AGnicht in die notwendige Sanierung des Schienennetzesfließen, sondern in den Zukauf von internationalenLogistikunternehmen. Sie fließen weder in die Bahnhöfenoch in den Güterverkehr oder in die Sanierung des vor-handenen Schienennetzes. Sie wissen es selbst besser.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der LINKEN sowie des Abg. GertWinkelmeier [fraktionslos])

Was wollen wir? Wir wollen keine Bahn mit ange-hängtem Personenverkehr, sondern eine Bahn nachSchweizer Vorbild, die eine perfekte Reisekette für dieMenschen bereitstellt. Wenn die Bahn die entsprechendeQualität – regelmäßige, pünktliche, saubere und zuver-lässige Züge – bieten würde, dann könnten wir uns sogar

vorstellen, dass Herr Mehdorn einen Bonus bekommt.Aber was liefert uns denn die Bahn Tag für Tag? Ichweiß nicht, ob Sie alle von der Großen Koalition nurAuto fahren oder fliegen, aber ich persönlich besitzekein Auto und bin deshalb auf die Bahn angewiesen.Man erlebt jeden Tag bei der Bahn, dass die Züge un-pünktlich sind. Es funktioniert nicht. Wichtige Verbin-dungen werden von heute auf morgen gestrichen. Dasjüngste Beispiel, das ich gerade in Bayern erlebt habe, istAugsburg. Diese Stadt mit einer Viertelmillion Einwoh-ner wurde von heute auf morgen vom Fernverkehr Rich-tung Norden nahezu abgehängt. Der Herr Ministerschweigt dazu. Er hat keine Kompetenzen. Das Maxi-mum dessen, was Sie von der Großen Koalition tun, ist,dass Sie sich über Maßnahmen des Bundesrats lustigmachen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So geht es weiter. Das Gleisnetz wird immer maroder.Kleine Bahnhöfe verrotten. ICEs werden auf Verschleißgefahren, wie das jüngste Beispiel der defekten Achsenzeigt. Die Fahrpreise werden immer weiter erhöht. AlsBegründung müssen die höheren Energiekosten herhal-ten. Nun ist der Ölpreis nur noch halb so hoch. Trotzdempassiert nichts. Die Fahrpreise sinken nicht. Die Listeder Probleme ließe sich beliebig fortsetzen.

Was hat der Minister getan? Der Minister hat sichüber drei Jahre mit einem gescheiterten Privatisierungs-modell nach dem anderen aufgehalten. Ich will gar nichtaufzählen, wie viele verquere und seltsame Modelle vor-gestellt wurden. Was hat er nicht getan? Er hat sich nichtum die Bahn gekümmert. Er hat sich nicht um einen ent-sprechenden Ausbau der Bahn und die Einführung einesvernünftigen Taktfahrplans gekümmert. Er setzt auf ein-zelne, überholte Großprojekte wie die Strecke Nürn-berg–Erfurt

(Enak Ferlemann [CDU/CSU]: Die tolle Y-Trasse!)

mit 5 Milliarden Euro – selbst die Bundesregierung gibtzu, dass hier nur anderthalb Züge pro Stunde fahren –und das „schöne“ Projekt Stuttgart 21 mit 8 MilliardenEuro, das keinen Nutzen für den Hafenhinterlandverkehrhat. Das heißt, er hat letztendlich keine eigenen Kon-zepte entwickelt. Währenddessen laufen die Güterver-kehrsstrecken über.

Was wollen wir? Wir wollen eine Bahn mit Personen-verkehr an erster Stelle und einem integrierten Taktfahr-plan, mit sauberen und pünktlichen Zügen mit entspre-chender Anschlusssicherung für die Fahrgäste und einenkapazitätsgestützten Ausbau des Güterverkehrs, um dieEngpässe zu beseitigen. Mit dem vorhandenen Personalist das aber kaum denkbar. Deshalb müsste neben HerrnTiefensee, der sowieso keinen Einfluss auf die Bahnpoli-tik hat, vor allem und zuerst Herr Mehdorn ausgetauschtwerden, der über Jahre auf die falsche Strategie gesetzthat.

Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Hofreiter, achten Sie bitte auf die Redezeit.

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Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):

Dafür ist es nun Zeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Sören Bartol für die SPD-

Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Sören Bartol (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Frau Lötzsch, lieber Herr Lafontaine, ich glaube,dass Ihre Reden außer Beleidigungen der Abgeordnetenin der ersten Reihe der SPD-Fraktion inhaltlich nichts zubieten hatten. Die Menschen draußen wollen keine Re-den von Leuten hören, die vom Thema überhaupt keineAhnung haben, die Dinge von sich geben, die völlig ab-strus sind. Die Menschen brauchen Antworten auf diewirklich wichtigen Fragen nach der Mobilität der Zu-kunft, auf die Frage, wie es in Zukunft mit der Bahn wei-tergeht. Das wollen die Menschen hören und nicht das,was Sie in dieser Debatte gesagt haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN – Frank Spieth [DIE LINKE]: Gottsei Dank erleben die Menschen die Realität!)

Wir alle von der Koalition können nachvollziehen,dass die Opposition in dieser Debatte gern ihr Mütchenkühlen möchte. Es ist Ihnen schon im Verkehrsausschussin keiner Weise gelungen, auch nur einen Pflock einzu-schlagen. Sie waren absolut zahnlos. Auch der KollegeDöring, der hier eine gute Rede gehalten hat, aber imAusschuss nicht so viel hinbekommen hat, muss zuge-stehen, dass das Ganze im Sande verlaufen ist.

(Patrick Döring [FDP]: Weil der Minister nurvom Zettel abliest und nicht auf die Fragenantwortet! So einfach ist das! – Zuruf des Abg.Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN])

– Kollege Hermann, dazu komme ich gleich noch.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, versuchen wir wie-der, uns den inhaltlichen Themen zu widmen. Es gehtdoch darum, wie es mit der Verkehrspolitik und derBahn weitergeht. Die SPD-Fraktion ist der Meinung– und Sie alle sollten daran ein Interesse haben –, dasswir eine starke Bahn brauchen. Wir brauchen eine wett-bewerbsfähige Bahn. Wir brauchen eine Bahn, die inDeutschland einen anständigen Verkehr organisierenkann. Wir brauchen aber auch eine Bahn, die sich demliberalisierten europäischen Wettbewerb stellen kannund eine Chance hat, den Verkehr in Europa vernünftigzu organisieren. Wir brauchen eine Verlagerung des Ver-kehrs von der Straße auf die Schiene. An der Erreichungdieses Zieles müssen wir gemeinsam arbeiten. Ich hoffe,dass wir nach dieser Debatte wieder zu einer sachlichen

Arbeit im Ausschuss zurückkommen und uns diesenFragen wirklich widmen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Minister Wolfgang Tiefensee hat unsere Interessenund die Interessen des Bundes als Eigentümer gegenüberder DB AG vertreten. Der Minister hat das, was falschgelaufen ist, korrigiert. Der Minister hat zur Frage derBoni eine klare Position bezogen. Der Minister hat sichmit dem Bahnvorstand zu Recht angelegt, als es darumging, einen Bedienzuschlag einzuführen, den wir, glaubeich, fraktionsübergreifend für absoluten Schwachsinngehalten haben. Da gilt es, ihm den Rücken zu stärken.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Legenden!)

Wir sollten die Einflussmöglichkeiten, die wir zu Rechthaben wollen, nutzen und als Eigentümer dafür sorgen,dass die Bahn so funktioniert, wie wir uns das vorstellen.Dazu gehört auch, dass wir jetzt im Ausschuss vernünfti-gerweise die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarungweiterbearbeiten, um die Bahn an die Zügel zu nehmenund in die Richtung zu bringen, die wir wollen.

(Beifall bei der SPD)

Noch ein Wort zum Börsengang der Bahn. Verant-wortliche Politik zeichnet sich dadurch aus, dass mandann, wenn man erkennt, dass das Umfeld den Börsen-gang nicht zulässt, sagt: Im Moment geht es einfachnicht. – Diesen Schritt ist die Bundesregierung gegan-gen, diesen Schritt sind wir gemeinsam gegangen; dennes geht eben nicht darum, Volksvermögen zu verschleu-dern, wie immer wieder behauptet wird, sondern es gehtdarum, die Kapitalbasis der Bahn zu verbreitern, damitsie ihre Aufgaben in der Zukunft vernünftig wahrneh-men kann.

Zum Schluss noch ein kritisches Wort in RichtungBahnvorstand. Ich glaube, dass der Bahnvorstand aufhö-ren muss, sich immer nur damit zu beschäftigen, welcheAbgeordneten, welche Minister und welche Bürgermeis-ter als nächstes zu beschimpfen sind. Der Bahnvorstandhat in nächster Zukunft genug zu tun, sich zu überlegen,wie es mit der Bahn weitergeht, wie die Kundenfreund-lichkeit weiter verbessert werden kann und wie das inak-zeptable Verhalten einzelner Schaffner gegenüber Kin-dern unterbunden werden kann. Ich hoffe, dass die Bahnschnellstmöglich daran arbeitet. Es gibt aber noch an-dere Dinge, Stichwort Boni. Ich kann nicht verstehen,dass man als Manager in einer solchen Situation den Bo-nus in Anspruch nimmt. Da ist mehr Fingerspitzengefühlgefragt.

(Patrick Döring [FDP]: Das gilt auch für die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat!)

Das gilt auch für den „Zug der Erinnerung“. Ich bin im-mer noch der Meinung, dass sich die Bahn an dieserStelle falsch verhalten hat.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zum Schluss: Lassen Sie uns nach dieser Debattesachlich daran weiterarbeiten, wie wir die Mobilität der

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(A) (C)

(B) (D)

Sören Bartol

Zukunft gestalten. Ich glaube, dass uns als Mitgliederndes Verkehrsausschusses allen daran gelegen sein sollte,dass die Bahn dabei eine bedeutende Rolle spielt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Enak

Ferlemann das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Enak Ferlemann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die Linke hat deutlich gesagt, was eigentlichZiel der heutigen Debatte neben dem ganzen Klamaukist: Man will die Bahnreform stoppen. Das Problem istnur bei den Linken: Wie immer sagen sie zwar, was sienicht wollen, aber sie sagen nicht, was sie wollen.

(Zuruf des Abg. Oskar Lafontaine [DIE LINKE])

– Verehrter Herr Kollege Lafontaine, Sie mit Ihrer Ah-nungslosigkeit über Verkehrspolitik haben heute wiederden Beweis angetreten. Ihre Rede war ein Nichts. Es warkeine einzige Lösung dabei. Gar nichts war das.

(Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Nein! Haben Sie es nicht kapiert?)

Das haben wir jedes Mal bei dieser Debatte, weil Sie vonder Bahn einfach nichts verstehen. Wahrscheinlich fah-ren Sie auch nicht mit der Bahn. Dann kann man das na-türlich auch nicht erwarten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg.Patrick Döring [FDP] – Oskar Lafontaine[DIE LINKE]: Dummes Gesabber!)

Ich möchte nur den vielen Menschen, die uns an denFernsehschirmen zuschauen, erklären, warum wir dieBahnreform eigentlich so gemacht haben und warum wirsie so fortsetzen.

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Hoffentlich hö-ren alle Bahnfahrer zu!)

Sie dient nicht dazu, die Menschen zu ärgern. Von Ihnenkommen nur Fehlinformationen. Nein, die Bahnreform,die 1994 von einer großen Mehrheit dieses Hauses be-schlossen wurde, wird weiter konsequent umgesetzt,weil sie richtig ist. Es wird immer vertuscht, leider auchvon den Kollegen der Grünen, dass wir im Grunde ge-nommen längst zwei Bahngesellschaften haben, nämlicheine, die ein internationaler Logistikkonzern gewordenist – mit einem Riesenerfolg –, die DB ML AG, und zumanderen Bahngesellschaften, die sich um die Infrastruk-tur kümmern. Nun wird so getan, als wenn in Deutsch-land alles dem privaten Kapital zum Fraß vorgeworfenwird. Das ist mitnichten richtig. Diese Koalition hat esnach schwierigen Diskussionen hinbekommen – da gebeich Ihnen recht –, eine Trennung vorzunehmen. Wir las-

sen die gesamte Infrastruktur zu 100 Prozent beim Staat.Da wird überhaupt nichts privatisiert. Das bleibt in derHand des Staates.

Was aber teilprivatisiert werden soll, das sind die Be-triebsgesellschaften. Da muss ich Sie einmal fragen: Mitwelcher Berechtigung soll der deutsche Steuerzahler ei-nen internationalen Logistikkonzern finanzieren? Das istnicht seine Aufgabe.

(Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Das machenSie doch! – Dr. Anton Hofreiter [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Frage stellt sichwirklich!)

Seine Aufgabe ist es vielmehr, für das Wachstum diesesgroßen Bereichs Kapital zu besorgen. Das machen wirüber die Privatwirtschaft, und das ist richtig, und das istgut so.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD – Oskar Lafontaine [DIELINKE]: Sie treten als Experte auf und wissenüberhaupt nicht, wie der Laden funktioniert! –Widerspruch des Abg. Dr. Anton Hofreiter[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Warum ist das erforderlich, Herr Kollege Hofreiter?Auch Ihnen habe ich es von dieser Stelle aus schonmehrfach erklärt: Es ist notwendig, in der Öffnung dereuropäischen Märkte die Marktanteile für diese Gesell-schaften zu erhalten. Wenn wir wollen, dass Europa aufder Schiene zusammenwächst, dann muss auch dieDB AG in neue Züge, in neue Lokomotiven, übrigensauch in neues Personal investieren können. Dafürbraucht man Geld – Geld, das der Staat dieser Gesell-schaft nicht geben kann, weil wir davon für solche Zwe-cke nicht genug haben. Deswegen ist es richtig, eineTeilprivatisierung vorzunehmen. Die Konsequenz derBahnreform von 1994 wird umgesetzt. Sie wird ihreFrüchte tragen.

(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Trennung!)

Worauf wir als öffentliche Hand, als Staat uns kon-zentrieren müssen, das ist die Infrastruktur. Da gebe ichIhnen recht: Wir müssen mehr in Bahnhöfe, in Schienen-wege, in die Weichen, in die Signalanlagen, in die mo-derne Technik investieren. Darauf müssen wir uns kon-zentrieren. Dafür brauchen wir das öffentliche Geld.Wenn wir eine gute Infrastruktur haben, bekommen wirviel Betrieb. Wo viel Betrieb ist, ist viel Wettbewerb,und wo Wettbewerb ist, ist den Menschen gedient, weilmehr Verkehr von der Straße auf die Schiene verlagertwird. Das ist eine der Kernaussagen der Bahnreform.

Deshalb unser klares Fazit: Die Linken können wei-terhin ihre Parolen bringen. Sie sind leider substanzlos,und leider bieten sie keine Alternative zu unserem Kon-zept. Deswegen wird die Bahnreform kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD –Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Sie habenkeine Ahnung! Sie sind ahnungslos!)

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Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Iris Gleicke für die SPD-

Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Iris Gleicke (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Es gibt so Tage, da versteheich die Welt nicht mehr. Ich gebe zu: Heute ist so einTag. Heute debattieren wir allen Ernstes darüber, ob einMinister zurücktreten muss, weil er verhindert hat, dasssich ein paar Manager in einem Staatsunternehmen einenordentlichen Schluck aus der Pulle genehmigen.

(Joachim Günther [Plauen] [FDP]: Nein, des-wegen nicht! – Patrick Döring [FDP]: Nein,deswegen nicht! Sie haben es nicht verstan-den! – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Erhat es überhaupt nicht verhindert!)

Ich verstehe das nicht.

Ich sehe nicht ein, warum jemand seinen Hut nehmensoll, weil er das ganz normale und gesunde Gerechtig-keitsempfinden wie jeder andere Bürger und jede andereBürgerin auf der Straße hat.

(Patrick Döring [FDP]: Nur zwei Monate zuspät! – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Erhat im Ausschuss erklärt, er könne es gar nichtverhindern! Das ist die Wahrheit!)

Manchmal kann man sich wirklich nur noch die Au-gen reiben. Da erklärt ein Mitglied des Aufsichtsrats derBahn dieser Tage allen Ernstes, es sei ganz unmöglich,wie die Regierung mit der Bahn umgehe.

(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Zu Recht!)

Er schimpft darauf, dass immer noch der Eigentümer,also wir Abgeordnete, die Bundesregierung und jederBürgermeister von Flensburg bis Garmisch, mitredendürfe. Ich gebe ganz ehrlich zu: Das ist doch dreist. Jetztsind es also die bösen Politiker. Vielleicht müsste einmaljemand dem Herrn Eggert Voscherau erklären, dass diesePolitikerinnen und Politiker aller Ebenen demokratischgewählt sind, so richtig vom Volk in freier, gleicher undgeheimer Wahl.

(Zurufe von der FDP)

– Ich weiß gar nicht, warum Sie sich gerade so aufregen.

(Patrick Döring [FDP]: Weil die Bundes-regierung den gewählt hat!)

Es ist die verdammte Pflicht und Schuldigkeit vonuns, von diesen Volksvertretern, darauf zu achten, dassdie Interessen der Bürgerinnen und Bürger eben nichtunter die Räder der Deutschen Bahn AG geraten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – PatrickDöring [FDP]: Ihre Bundesregierung hat dendoch gewählt!)

Ich will auch etwas zu Herrn Mehdorn sagen. Es ist inunserem Land geradezu zu einem Volkssport geworden,auf Herrn Mehdorn einzuprügeln. Daran will ich mich

nicht beteiligen. Für mich ist Herr Mehdorn ein wirklichschwieriger – das kann ich aus langjähriger Erfahrungsagen –, aber ein anständiger Mensch, der viel für dieBahn geleistet hat. Ich glaube, das beurteilen zu können,weil ich mich immerhin anderthalb Jahrzehnte mit Ver-kehrspolitik beschäftigt habe.

Was Sie, Frau Kollegin Lötzsch, da gerade gemachthaben, das ist unanständig. Ihre abschätzigen Zwischen-rufe während der Debattenbeiträge der Kolleginnen undKollegen hier, Herr Lafontaine, waren in meinen Augenebenfalls unanständig.

(Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Aber Siemeinen, Sie könnten hier permanent Beleidi-gungen loslassen!)

Ich glaube, dass Mehdorn nicht mit den billigen Raff-kes zu vergleichen ist, erst recht nicht mit den inkompe-tenten Finanzjongleuren, die versucht haben, ganzeVolkswirtschaften in Schutt und Asche zu legen.Mehdorn gehört zu denen, die etwas aufbauen wollen;

(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das ein Nachruf?)

aber manchmal setzt dieser Mann, wie wir alle wissen,zu echten politischen Geisterfahrten an.

Ich bin froh darüber, dass wir in der Bundesregierungeinen Minister haben, der sich dem regelmäßig entge-genstellt, zum Beispiel bei den Bonuszahlungen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Patrick Döring [FDP]: Autosuggestion!)

Es ist schon unerträglich, dass der Herr Bahnchef dieBonuszahlungen als „Möhrchen“ bezeichnet. Dazu sageich: Nur Esel brauchen Bonuszahlungen, um in Gang zukommen.

(Beifall bei der SPD)

Erinnern Sie sich bitte mit mir an ein paar andereDinge. Wolfgang Tiefensee war gerade einmal ein paarTage im Amt, als Herr Mehdorn erklärte, er wolle mitder Bahnzentrale vom Potsdamer Platz nach Hamburgumziehen. Wolfgang Tiefensee und Klaus Wowereit ha-ben das verhindert. Ich bin beiden dankbar dafür.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das mag an meiner ostdeutschen Befindlichkeit liegen.Ich fand es nämlich überhaupt nicht lustig, dass eine derwenigen Konzernzentralen, die wir überhaupt in Ost-deutschland haben, nun auch noch in den Westen umzie-hen sollte. Wolfgang Tiefensee hat das gestoppt.

Dann fand es Herr Mehdorn aus mir bis heute uner-findlichen Gründen nicht gut, auf den Bahnhöfen eineAusstellung über die Deportation jüdischer Kinder in dieVernichtungslager und Konzentrationslager zu zeigen.Tiefensee hat sich auch in dieser Frage durchgesetzt.Heute gibt es eine solche Ausstellung. Sie wird auch imkommenden Jahr gezeigt. Im Moment ist sie im Mün-chener Hauptbahnhof zu sehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

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Iris Gleicke

Das dritte Beispiel, das ich anführen will, ist diegeniale Idee der Schaltergebühren. Sie alle können sichdaran erinnern. Ich habe mich da gefragt, ob sich das diegleichen Oberstrategen der Bahn ausgedacht haben, diedamals das Preissystem der Bahn reformieren wollten.Auch hier hat sich der Minister eindeutig dagegenge-stellt; Mehdorn hat wieder den Kürzeren gezogen.

Herr Döring, ich wiederhole: Das ist kein Zeichenvon Führungsschwäche, sondern ein Zeichen vonDurchsetzungsstärke; denn diesen ganzen Quatsch hatMinister Tiefensee verhindert. Dafür gebühren ihmDank und Anerkennung und vor allem die Unterstützungdes ganzen Hauses.

Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Dr. Andreas Scheuer hat nun für die

CDU/CSU-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Andreas Scheuer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Damen im Sitzungsvor-

stand! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Verlaufder Debatte in dieser Aktuellen Stunde, die wir heuteausgerechnet auf Antrag der Linken erleben, ist wirklichtraumhaft; man kann sich als Redner an Ihrer Vergan-genheit abarbeiten. Es tut Ihnen wirklich weh; denn alsNachfolgeorganisation der SED sind Sie dafür zustän-dig, dass die Verkehrsinfrastruktur in den neuen Bundes-ländern marode war, dass es eine Deutsche Reichsbahngab, die heute noch auf Schienen herumeiern würde, dienicht sicher sind.

(Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Das war der Althaus!)

Sie stellen sich hier hin und wollen die moderne Deut-sche Bahn AG kritisieren. Das ist doch wirklich skurril.Erinnern tut bei Ihnen weh. Deswegen werden wir, dieCDU/CSU, immer gegen das Vergessen der Bürgerinnenund Bürger ankämpfen, für welches System Sie alsNachfolgeorganisation der SED stehen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD – Oskar Lafontaine [DIELINKE]: Der Schalck-Golodkowski war beieuch!)

– Herr Lafontaine, Sie können gerne mit Zwischenrufenglänzen. Sie haben sich als Vorsitzender zu diesenSchrottkönigen des 20. Jahrhunderts dazugesellt. Dasspricht Bände.

(Volker Schneider [Saarbrücken] [DIELINKE]: Gucken Sie mal, was bei Ihnen allesrumsitzt! – Zuruf des Abg. Oskar Lafontaine[DIE LINKE])

Anträge der Opposition wären hilfreicher,

(Zuruf von der LINKEN: Aha!)

wenn sie uns als Verkehrspolitiker stärken würden, wennsie nicht dazu führen würden, hier über Personen zu dis-kutieren und sie zu diskreditieren, sondern dazu beitra-gen würden – das gilt für alle Kolleginnen und Kollegenaus der Opposition –, dass im Verkehrsbereich die Infra-strukturmittel ansteigen. Wenn Sie solche Anträgeschreiben würden, bei denen es darum geht, dass wir allezusammen helfen, dass die notwendigen Investitionen indie Infrastruktur – in die Schiene, in die Straße, in dieWasserstraße – zustande kommen, dann wären Sie kon-zeptionell auf dem richtigen Weg. Sie sind es nicht,wenn Sie mit solchen Aktuellen Stunden und in derFolge mit Missbilligungsanträgen Personen diskreditie-ren.

(Beifall bei der CDU/CSU – Horst Friedrich[Bayreuth] [FDP]: Das ist das Angebot zur Re-gierungsübernahme durch uns!)

Frau Kollegin Gleicke hat einige Sätze über BahnchefMehdorn gesagt. Jeder weiß, dass Herr Mehdorn etwasstur und seiner eigenen Person gegenüber vielleicht et-was zu unkritisch ist. Aber er führt einen erfolgreichenKonzern. Dieser Konzern – mein Kollege EnakFerlemann hat darauf hingewiesen – agiert weltweit. Einsolcher Erfolg ist eben nur zu erreichen, wenn man einharter Hund ist.

Natürlich könnte man kritisieren, dass der Bahn-Bör-sengang so spät über die Bühne gehen sollte, bedingtauch dadurch, wie Mehdorn uns als Parlamentarier be-handelt hat. Insofern ist er vielleicht sogar eine tragischeFigur. Wenn Mehdorn im parlamentarischen Verfahrenviel zügiger mitgearbeitet hätte, hätten wir den Bahn-Börsengang schon längst.

Wir haben uns auf ein Modell verständigt, das dieTrennung von Netz und Betrieb beinhaltet. Der Punktist, dass die Deutsche Bahn AG für die Zukunft im Be-trieb Erfolg hat. Vor dem Hintergrund sollten wir in die-sem Hohen Hause nicht jede Maßnahme schlechtreden,sondern den Erfolg herausstellen und vor allem auf dieDeutsche Bahn AG stolz sein.

(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fahren Sie mal mit derBahn?)

Die Deutsche Bahn AG agiert als weltweiter Logistikerüber die Grenzen hinweg, und das ist auch ein Qualitäts-ausweis für den Standort Deutschland.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – VolkerSchneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Vorlauter weltweit ist ihnen der Regionalverkehrscheißegal!)

Das Ministerium, Herr Bundesminister Tiefensee,hätte manches Interview des Bahnchefs Mehdorn, zumBeispiel als er von „Möhrchen“ gesprochen hat – auchwieder ein skurriler Begriff –, etwas stärker hinterfragenkönnen. Ich gebe also in die Diskussion hinein, dass dieKommunikation mit den Vertretern des Bundes im Auf-sichtsrat offenbar nicht funktioniert hat. Das soll unseine Lehre für die Zukunft sein. Diesen Fall möchte ichnicht für die Vergangenheit bewerten, Herr Bundes-

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Dr. Andreas Scheuer

minister, sondern vor allem für die Zukunft. Wir als Par-lament, als Eigentümer Bundesrepublik Deutschlandmüssen unsere Vertreter im Aufsichtsrat beim Bahn-Bör-sengang so koordinieren, dass die Kontrolle auch funk-tioniert.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Im parlamentarischen Prozess haben wir Verkehrs-politiker uns in zig Stunden von Anhörungen – vielleichthat das zu sehr unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt-gefunden – fleißig Modelle um die Ohren gehauen undtagelang Experten für Experten angehört. Solcher Fleißder Parlamentarier sollte damit belohnt werden, dass dieDeutsche Bahn AG ohne Umschweife Informationen andas Parlament weitergibt. Ich verlange für die Zukunft,dass dies bei einem Bahn-Börsengang passiert, sodassdie Kontrolle durch das Parlament funktionieren kann.Was Informationen zur Zukunft und zur Ausrichtung derDeutschen Bahn AG angeht, so ist das keine Holschuldder Abgeordneten, sondern eine Bringschuld der Deut-schen Bahn AG.

Für die Zukunft bitte ich darum, dafür zu sorgen, auchim Bundesministerium, dass diese Koordinationsarbeitvon Verkehrspolitikern, Parlament und Eigentümer ge-leistet wird. Dann schaffen wir die Kommunikationspro-bleme, die in der Vergangenheit bestanden haben, ausder Welt, dann funktioniert die Kontrolle, und dann ha-ben wir eine erfolgreiche Deutsche Bahn AG.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege

Christian Carstensen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Christian Carstensen (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ha-

ben eine Stunde lang eine wirklich überflüssige Debatteerlebt.

(Zurufe von der LINKEN)

Schlimm daran finde ich: Diese Aktuelle Stunde ist nochnicht einmal aktuell; denn bereits vor einer Woche – dasist hier schon angesprochen worden – hat die FDP dasgleiche Thema schon in Antragsform gegossen. Es waralso klar, dass wir heute darüber reden würden. DieLinke hat sich wieder mal nur angehängt, um billige Ef-fekthascherei zu betreiben. Deswegen hat auch niemandvon ihren Verkehrspolitikerinnen und -politikern gespro-chen. Es ging nur um Klamauk.

Noch schlimmer aber ist, dass von den wirklichenProblemen der Menschen kein einziges angesprochenwurde. Nun frage ich mich die ganze Zeit, die Stunde,die ich hier sitze, wie das eigentlich auf die Zuhörerin-nen und Zuhörer an den Fernsehschirmen, vor dem Ra-dio und hier auf der Besuchertribüne wirkt, also auf dieMenschen, für die wir eigentlich tätig sein sollen, für die

wir als Volksvertreter hier sitzen. Nun frage ich mich:Haben diese sich Politik so vorgestellt? Ich hoffe, dasszum Beispiel Sie hier auf den Besuchertribünen sagen:Nein, nein, so eigentlich nicht. – Ich befürchte aber, dassvielleicht gerade die Jüngeren sagen: Doch, na klar ha-ben wir uns das so vorgestellt. Es ist doch klar, wir sindim Deutschen Bundestag. Da gibt es das Ritual, dass dieOpposition den Rücktritt von irgendeinem Minister for-dert und sich alle gegenseitig beschimpfen, aber amEnde die Mehrheit das ablehnt. Das ist ja auch egal.Hauptsache, die Opposition ist am nächsten Tag mit ei-ner Schlagzeile in den Zeitungen vertreten. Darum gehtes doch.

Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaubenicht, dass es so sein sollte. Wir sollen hier vielmehr da-für sorgen, dass die Fragen, Interessen und Ideen derMenschen zur Sprache kommen, dass deren Problemeangesprochen werden. Das tut die Große Koalition, unddas tut unser Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee.

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Ei, jetzt geht es los!)

Die Verkehrspolitik wurde in Richtung Nachhaltig-keit und Klimaschutz ausgerichtet.

(Zuruf von der LINKEN: Aha! – Lachen desAbg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN])

– Sie sind nicht im Verkehrsausschuss, deswegen sageich es Ihnen gerne: zum Beispiel mit dem Nationalen In-novationsprogramm Wasserstoff- und Brennstoffzellen-technologie. 1 Milliarde Euro stehen hierfür zur Verfü-gung. Wir sagen: Gut gemacht, Herr Minister Tiefensee!

(Beifall bei der SPD)

Mit dem Masterplan „Güterverkehr und Logistik“wurden die Weichen für einen wirtschaftlich erfolgrei-chen und zugleich umweltfreundlichen Güterverkehr ge-stellt. Flughafen- und Hafenkonzept werden folgen. Wirsagen: Gut gemacht, Herr Minister Tiefensee!

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der LIN-KEN)

Die Verkehrssicherheit wurde deutlich verbessert:vom Alkoholverbot für Fahranfänger bis zur Nachrüst-pflicht von Lkw-Spiegeln, um den toten Winkel zu ver-kleinern.

(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geht es noch kleinteiliger?)

Noch nie gab es so wenige Verkehrstote auf deutschenStraßen nach Unfällen. Ein Erfolg für uns alle. Gut ge-macht, Herr Minister Tiefensee!

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Mit dem Nationalen Verkehrslärmschutzpaket wur-den die Sorgen und Nöte der Menschen an großen Ver-kehrswegen, insbesondere an den Schienenwegen, dietäglich von Verkehrslärm betroffen sind, aufgegriffen.50 Millionen Euro standen zu Anfang dieser Legislatur-periode dafür zur Verfügung. Wir haben diesen Betrag

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Christian Carstensen

auf 100 Millionen Euro verdoppelt. Wir werden jetzt dennächsten Schritt tun. Wir sagen: Gut gemacht, Herr Mi-nister Tiefensee!

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufevon der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Klimaschutz- und Energieeinsparmaßnahmen bei Ge-bäuden wurden auf den Weg gebracht.

(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut gemacht!)

Seit 2006 wurden durch das CO2-Gebäudesanierungs-programm schon über 750 000 Wohneinheiten saniert.Ganz nebenbei wurden dadurch bis zu 220 000 Arbeits-plätze erhalten bzw. neu geschaffen. Wir sagen: Gut ge-macht, Herr Minister Tiefensee!

(Beifall bei der SPD – Patrick Döring [FDP]: Autosuggestion!)

Die soziale Absicherung von rund 800 000 Mieter-haushalten wurde durch die Erhöhung des Wohngeldesverbessert. Wir sagen: Gut gemacht, Herr MinisterTiefensee!

(Patrick Döring [FDP]: Wollen Sie Staatsse-kretär werden?)

Vielleicht als letztes Beispiel: Ab 2009 werden mitder Förderung seniorengerechten Umbaus des Woh-nungsbestandes die Interessen der Menschen, die auchim Alter länger in den eigenen vier Wänden leben wol-len, aufgegriffen. Auch da sagen wir: Gut gemacht, HerrMinister Tiefensee!

(Lachen bei der LINKEN)

Bei all diesen Punkten – man könnte diese Liste nochfortführen – hat der Minister unsere Unterstützung ver-dient und nicht irgendeinen durch Anträge hervorgerufe-nen Klamauk, der uns zwei Stunden von den eigentli-chen Themen ablenkt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU – Patrick Döring [FDP]: Ein-deutig eine Bewerbungsrede als Parlamentari-scher Staatssekretär!)

Vizepräsidentin Petra Pau: Die Aktuelle Stunde ist beendet.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 sowie Zusatz-punkt 7 auf:

17 Beratung des Antrags der Fraktion der FDP

Missbilligung der Amtsführung und Entlas-sung von Bundesminister Wolfgang Tiefensee

– Drucksache 16/10782 –

ZP 7 Beratung des Antrags der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN

Missbilligung der Amtsführung und Entlas-sung von Bundesminister Wolfgang Tiefensee

– Drucksache 16/10918 –

Über die beiden Anträge werden wir später nament-lich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinenWiderspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeHorst Friedrich für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Bevor ich auf denAntrag zu sprechen komme, noch ein Wort zu HerrnKollegen Klaas Hübner von der SPD. Das genau ist IhrProblem, Herr Kollege Hübner. Sie blenden für sich unddie SPD die Realität aus und malen sich die Welt so, wieSie glauben, dass sie tatsächlich ist. Genau deswegen ha-ben Sie soeben so unheimlich kraftvolle Erfolge in Bay-ern und Hessen gefeiert. Ihr Problem ist, dass Sie garnicht mehr wahrnehmen, worin die eigentlichen Pro-bleme bestehen, und versuchen, es der Opposition imDeutschen Bundestag madigzumachen, diese anzuspre-chen. Vielleicht denken Sie über diese Worte einmalnach.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt zum Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen. Esgeht nicht darum, inhaltlich die Bahnreform zu bewer-ten. Es geht eindeutig nur um die eine Frage: WelcheVerantwortung hat ein Minister persönlich zu überneh-men, wenn etwas, was von ihm aus unserer Sicht langeZeit vorher gewusst, gedeckt und bestätigt wurde, auf-kommt? Hat er dann auch politische Konsequenzen zuziehen? Verantwortung besteht nämlich auch in derGröße, freiwillig zurückzutreten. An dieser Stelle be-steht ein Dissens.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will es kurz fassen. Der Minister hat gesagt: Ichbin zwar Minister, aber beim größten verkehrspoliti-schen Ereignis dieser Periode spiele ich die Geschichtevom Hasen. Ich weiß von nichts. Mir sagt nämlich nie-mand etwas. – Das Problem ist allerdings, dass dies rela-tiv unglaubwürdig ist, Herr Minister.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine Ihrer ersten Anweisungen zu Beginn Ihrer Amts-zeit als Minister lautete: Auf Weisung des Ministers sollder Kopfbogen für Schreiben des Ministers geändertwerden. Die Schriftgröße der Funktionsbezeichnung„Bundesminister“ wird von 9 Punkt auf 11 Punkt vergrö-

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Horst Friedrich (Bayreuth)

ßert. Die Ministerschreiben sind ab sofort mit dieser Än-derung zu fertigen.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dagegen kann man nichts einwenden. Liebe Kolle-ginnen und Kollegen, ein Minister aber, der sich so imDetail um sein Ministerium kümmert, der kann uns nichtdrei Jahre später erklären, er habe eine der wesentlichenBedingungen des Börsenganges nicht gewusst.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Aufsichtsrat ist nicht vom Himmel gefallen. AlleMitglieder des Aufsichtsrates sind von der Bundesregie-rung benannt und bestimmt worden. Unter den Auf-sichtsratsmitgliedern gibt es auch drei Staatssekretäre.

(Zuruf von der FDP: Hört! Hört!)

Im Aufsichtsrat vertreten sind das Verkehrsministerium,das Wirtschaftsministerium und das Finanzministerium.

(Zuruf von der FDP: Und Sie haben alle nichts gewusst!)

Überraschenderweise haben offensichtlich die Ministerfür Finanzen und Wirtschaft von ihren Staatssekretärengewusst, dass es Bonuszahlungen gibt; denn bis Diens-tag vergangener Woche haben diese beiden Ministermehrfach öffentlich erklären lassen, sie hätten kein Pro-blem mit den Bonuszahlungen. Spätestens dann hätte derdritte und federführende Minister wissen müssen, dassBonuszahlungen vereinbart worden sind.

Herr Tiefensee ist sowieso der Rekordminister. Wennich mich richtig erinnere, ist Herr Tiefensee der erste Mi-nister, der in seiner Amtszeit drei Staatssekretäre entlas-sen hat. Begonnen hat er mit Ralf Nagel, dann kam JörgHennerkes und jetzt Matthias von Randow.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die wechseln schneller als die Minister!)

Wie viele Staatssekretäre muss er noch aus dem Amtentlassen, bis er endlich selbst die Konsequenzen zieht?Das ist das eigentliche Problem.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Er hat Matthias von Randow Ende Oktober mit deröffentlichen Aussage entlassen, er habe erst vor wenigenTagen erfahren, dass es Bonuszahlungen gibt. DieserTermin wurde dann auf den 2. Oktober, auf den Terminder Veröffentlichung des Börsenprospekts vorverlegt.Daraufhin kam die Antwort aus dem Hause Tiefensee,diesen habe er noch nicht gelesen. Mittlerweile gestehter wenigstens zu, dass er seit Mitte September weiß, dassBonuszahlungen vereinbart worden sind.

Herr Minister, ehrlich gesagt glauben meine Fraktionund ich Ihnen das nicht; denn am 27. August hat im Ver-kehrsministerium eine Abteilungsleiterkonferenz statt-gefunden – das Protokoll liegt vor –, an der der Ministerteilgenommen hat. Unter anderem hat der Hauptabtei-lungsleiter E. zur Teilprivatisierung mitgeteilt, der Bör-

senprospekt sei am 27. August 2008 der BaFin übersandtworden, die Erstellung des Börsenprospekts sei intensivvon BMVBS, BMF und BMWi begleitet worden, unddie Zusammenarbeit der Ressorts sei sehr kooperativ ge-wesen.

Selbst wenn in dem Protokoll nicht steht, dass derHerr Minister etwas davon wusste, spätestens zu diesemZeitpunkt hätte man wenigstens nachfragen können, wasim Börsenprospekt steht.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen bleibe ich dabei: Die Beschlusslage für dieBonuszahlungen ist nicht vom Vorstand vorgegebenworden, sondern diese hat der Personalausschuss desAufsichtsrates bestätigt. Es wäre das erste Mal in derGeschichte der Bahnprivatisierung, dass es von Auf-sichtsratssitzungen kein Protokoll im Verkehrsministe-rium gegeben hätte. Es würde mich sehr überraschen,wenn dem so wäre. Die Realität sieht doch völlig andersaus.

Es gibt noch ein weiteres Problem. Offensichtlich hatder Minister gemerkt, dass Bonuszahlungen für die Be-völkerung anrüchig sind. Diese Haltung kann man ver-treten. Aber die Bedingungen für diese Zahlungen hatder Minister mitbestimmt. Wenn man Bonuszahlungenausschließlich davon abhängig macht, dass ein gewähl-ter Vorstand den Börsengang überhaupt schafft, danndarf man sich nicht wundern, dass es Widerspruch gibt.Wer ist eigentlich in der Lage, Berechnungsgrößen fest-zulegen? Warum kommt aus dem Hause Tiefensee nichtdie Vorgabe, dass es Bonuszahlungen erst ab einem Bör-senwert von beispielsweise 8 Milliarden Euro gibt unddass man bei einem Börsenwert von unter 5 Milliar-den Euro erst gar nicht über das Thema zu redenbraucht? – Was macht der Minister? Von ihm ist dazunichts zu hören.

Am Mittwoch letzter Woche wurde uns gesagt, dasses keine Bonuszahlung gibt, weil der Börsengang nichtstattfindet, und dass deswegen der Minister auch keineVerantwortung übernehmen muss. Vom KollegenLippold haben wir heute gehört, dass das Kanzleramtdiese Position korrigiert hat; denn der Börsengang istnicht abgesagt. Damit sind auch die Bonuszahlungennicht vom Tisch. Der Aufsichtsratsbeschluss gilt alsonoch.

Ich habe schon letzte Woche gefragt, wann der Minis-ter gedenkt, den Aufsichtsratsbeschluss zu ändern. AlsAntwort konnte man immer nur die gleiche Platte hören:„Das Vertrauensverhältnis ist gestört, das Vertrauensver-hältnis ist gestört, das Vertrauensverhältnis ist gestört.“Es gibt aber keine konkrete Antwort auf die Frage, wannes eine Initiative des Ministers gibt.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten derLINKEN)

Offensichtlich ist das Problem noch nicht gelöst.

Nun kann man sagen: Er hat mal wieder Glück ge-habt. Durch die famosen Vorgänge bei der kraftvollen

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Horst Friedrich (Bayreuth)

SPD in Hessen ist sein Stuhl ein bisschen sicherer ge-worden. Aber Realität ist weiterhin: Der Minister bleibtangeschlagen; er ist einer der schwächsten Verkehrsmi-nister, die diese Republik je erlebt hat.

(Beifall bei der FDP)

Wenn der Minister noch einen Funken Anstand hatund demokratische Spielregeln für ihn wichtig sind,dann sollte er den Hut nehmen und zurücktreten. Sich al-lein aufgrund der Mehrheit der Großen Koalition amStuhl festzuhalten, trägt nicht. Der Minister ist ange-schlagen. Die Verkehrspolitik in Deutschland hat einenbesseren Minister verdient.

Danke.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Petra Pau: Nun hat der Kollege Dr. Hans-Peter Friedrich das

Wort für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kol-

leginnen und Kollegen! Ich weise den Antrag der FDP-Fraktion auf Entlassung des Bundesverkehrsministerszurück und nehme Bezug auf all das, was meine Kolle-gen von der CDU/CSU-Fraktion vorhin in der AktuellenStunde gesagt haben. Der Minister hat klar und deutlichauf alle Fragen sowohl im Verkehrsausschuss als auchim Haushaltsausschuss geantwortet.

(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Du warstgar nicht dabei! Du kannst es gar nicht wis-sen!)

Meine Damen und Herren von der Opposition, wasich nicht zurückweisen kann und will, ist die generelleKritik der Bürger an der Schienenverkehrspolitik inDeutschland. Menschen fragen uns, wer denn eigentlichüber die Schienenverkehrspolitik in Deutschland be-stimmt: Aufsichtsräte, Manager und Vorstände oder dievon uns gewählten Politiker? Weil wir auf dieses Unbe-hagen reagieren müssen, meine sehr verehrten Damenund Herren von der Opposition, insbesondere von derFDP, bitte ich Sie, das Vertrauensverhältnis bei der Zu-sammenarbeit mit der Bundesregierung, den Koalitions-fraktionen und dem Minister nicht weiter zu belasten.Die Kritik der Bevölkerung sollte vielmehr aufgenom-men und beantwortet werden.

Ja, die Schiene hat in den letzten Jahren eine Renais-sance erfahren. Wir müssen uns überlegen, wie wir alsVerkehrspolitiker und wie die Politik im Allgemeinenwieder mehr Einfluss auf die Gestaltung der Schienen-verkehrspolitik in Deutschland nehmen kann. Da mussman zunächst die Frage stellen, was eigentlich Schienen-verkehrspolitik in Deutschland ist. Ich beginne damit,festzuhalten, was sie nicht ist. Das Unternehmen Schenker,das in Deutschland, Europa und in der Welt mit LkwGüter auf der Straße transportiert, gehört nicht zu dem

Bereich, mit dem sich die Schienenverkehrspolitik be-schäftigt.

Es ist auch nicht Aufgabe des Staates, auf den Schie-nen Güter von A nach B zu transportieren. Wir habenheute Hunderte von leistungsfähigen, guten Unterneh-mern, die beweisen, dass man mit unternehmerischemMut und Kraft sehr gute Angebote im Güterschienenver-kehr machen und sehr große Erfolge erzielen kann. Ichhabe in meinem Wahlkreis einen Unternehmer, der vorwenigen Jahren am Bahnhof von Hof Flächen gepachtetund einen Containerterminal errichtet hat. Dieses Unter-nehmen transportiert heute täglich Container von Hof inBayern in den Hamburger Hafen. Dazu braucht er denStaat nicht. Das kann ein Unternehmer leisten; das istnicht Aufgabe des Staates.

Ist es Aufgabe des Staates, Personenverkehr auf derSchiene zu verantworten? Ja, das ist Aufgabe des Staa-tes. Deswegen tut das der Staat auch, indem der BundJahr für Jahr Milliarden an die Länder auszahlt und dieLänder über Ausschreibungen Schienenverkehr für Per-sonen organisieren und einkaufen.

Ich halte es für überflüssig, dass der Staat selber Fahr-zeuge kauft und Beamte diese Fahrzeuge fahren lässt.

(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das ist al-les nicht das Thema, lieber Hans-Peter!)

Es reicht vielmehr aus, wenn der Staat die Ausschrei-bung vornimmt und im Wettbewerb leistungsfähige Un-ternehmen gewinnt. An den Bahnhöfen dieser Republikkönnen Sie viele verschiedene leistungsfähige Verkehrs-unternehmen in allen Farben sehen, die dieses Angebotdes Staates in die Realität umsetzen. Der Betrieb auf derSchiene ist keine Staatsaufgabe. Das kann im Wettbe-werb erfolgen, und es erfolgt im Wettbewerb.

Schienenverkehrspolitik bedeutet – hier fordere icheinen höheren Einfluss der Verkehrspolitiker als in derVergangenheit, als in den letzten 10, 15 Jahren, die übri-gens auch die FDP und die Grünen während ihrer Regie-rungszeit mitzuverantworten haben – eine Verstärkungder Daseinsvorsorge, der Zurverfügungstellung von In-frastruktur:

(Beifall bei der CDU/CSU – Horst Friedrich[Bayreuth] [FDP]: Dies ist weder das Themanoch eine Frage an die Opposition! Ihr habtdoch die Mehrheit! Ihr könnt dies doch be-schließen! Warum macht ihr es denn nicht?)

Leistungsfähige Schienen, elektrifizierte Schienen, sau-bere Bahnhöfe – das sind die entscheidenden Dinge, dieder Staat, der Bund,

(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Sind Sie in der Opposition oder inder Regierung?)

gewährleisten muss. Hier sind die entscheidenden Auf-gaben der Politik.

Wir haben in dieser Woche – der Herr Minister hatdazu eine Pressekonferenz abgehalten – eine unter-schriftsreife Leistungs- und Finanzierungsvereinbarungvorgelegt bekommen, mit der der Einfluss der Politik auf

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Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)

den Schienenverkehr gestärkt wird. Wir haben in dieserWoche ein Sonderprogramm dieser Bundesregierung inMilliardenhöhe vorgelegt bekommen, in dem mehr Aus-gaben für die Erhöhung der Leistungsfähigkeit derSchieneninfrastruktur in Deutschland vorgesehen sind.So wird die Schienenverkehrspolitik in Deutschland ge-stärkt.

Ich halte es für dramatisch, dass es uns in der Vergan-genheit nicht gelungen ist, wichtige Schienenverbindun-gen in Deutschland instand zu setzen oder auf Vorder-mann zu bringen, Schienenverbindungen, die notwendigsind, um den Investitionsstandort Deutschland zu er-schließen. Ich nenne nur als Beispiel die VerbindungMünchen–Mühldorf–Freilassing. Die chemische Indus-trie will in dieser Region Investitionen in Milliardenhöhetätigen. Sie kann diese Investitionen nicht vornehmen,weil wir keine leistungsfähige Schienenverbindung ha-ben. Dort muss der Staat handeln.

(Enak Ferlemann [CDU/CSU]: So ist es!)

Der Minister selber hat den Bau einer dritten Start-bahn auf dem Flughafen München als ein Projekt vonnationaler Bedeutung bezeichnet. Wir können dies denMenschen nur zumuten, wenn wir auch die Frage beant-worten, wie dieser Flughafen an ein leistungsfähigesSchienennetz angebunden wird, weil wir den Menschen,die in der Umgebung dieses Flughafens wohnen, allesandere nicht zumuten können. Hier besteht Handlungs-bedarf in der Schienenverkehrspolitik.

Das Gleiche gilt für den Güterbereich. Hier haben wirdie Problematik, dass wir die Güter aus unseren Häfen inHamburg, Bremen und von wo auch immer nicht schnellgenug herausbringen, weil leistungsfähige Verbindungennach Süden fehlen. Der Güterverkehrsknoten Fürth istüberlastet. Wir schaffen es nicht, es über den Bau einesBypasses zwischen Reichenbach im Vogtland, lieberKollege Günther, Hof und Regensburg zu ermöglichen,Güter möglichst schnell und leistungsfähig auf derSchiene zu transportieren.

(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das ist alles nicht das Thema!)

Hier muss die Schienenverkehrspolitik handeln.

Wir müssen begreifen, was Kollege Ferlemann gesagthat: Die Deutsche Bahn AG besteht heute aus zwei Un-ternehmen: Das erste Unternehmen ist ein internationa-ler Logistikkonzern. Dieser kann sehr gut und beeindru-ckend im Wettbewerb agieren. Deswegen kann er auchprivatisiert werden, und zwar zu einem Zeitpunkt und ineiner Form, dass er das Geld einbringt, das er wert ist.Dieses Geld muss in die Schieneninfrastruktur inDeutschland reinvestiert werden.

Das zweite Unternehmen ist die Staatsaufgabe Infra-struktur. Hier muss der Einfluss der Politik stärker wer-den.

(Enak Ferlemann [CDU/CSU]: Richtig!)

Wir müssen die Trennung von Netz und Betrieb über denerreichten Stand hinaus vorantreiben, ohne – ich sagedas ausdrücklich – den konzerninternen Arbeitsmarkt zu

gefährden. Das haben wir mit den Gewerkschaften ver-einbart. Das haben wir ihnen versprochen. Dazu müssenwir stehen.

Ob es richtig ist, dass der Vorstandsvorsitzende derBetriebsgesellschaft DB ML, Herr Mehdorn, gleichzei-tig der Vorstandsvorsitzende der Infrastrukturgesell-schaft ist, daran mache ich ein großes Fragezeichen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wirauch!)

Wir sollten uns überlegen, wie wir eine klare Trennungvon Netz und Betrieb auf den Weg bringen können. Dasdoppelte Lottchen Mehdorn halte ich für keine günstigeLösung.

Lassen Sie mich zu Herrn Mehdorn aber etwas Allge-meines sagen: Ich schätze diesen Mann in besondererWeise. Er hat als kluger und hervorragender Managerdieses internationale Unternehmen auf Vordermann ge-bracht. Die Leistungsfähigkeit dieses Unternehmens istbeeindruckend. Er hat zum Wohle seines Unternehmensund zum Wohle der Arbeitnehmer die Spielräume ge-nutzt, die ihm die Politik eingeräumt hat, die wir alleihm eingeräumt haben. Nun müssen wir die Frage stel-len: Wo müssen wir die Grenze für ihn ziehen? DieGrenze ist an der Stelle zu ziehen, an der wir jetzt dieTrennung auf den Weg bringen sollten. Ich hoffe, dasswir das mit Unterstützung der Grünen – Ihr Beifall hatbei mir Optimismus aufkommen lassen –, aber auch mitUnterstützung der FDP machen werden. Herr Minister,ich bin überzeugt, dass Sie, wenn wir dieses Thema vo-rantreiben, die wohlwollende Unterstützung dieser bei-den Oppositionsfraktionen gewinnen werden. Dann wirdder Antrag, der heute von der FDP gestellt wird, obsoletsein.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Dorothée Menzner für die

Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Dorothée Menzner (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Oppositionsfraktionen missbilligen die Amtsfüh-rung von Minister Tiefensee und fordern seine Entlas-sung. Ich sage ganz deutlich: Das Problem ist nicht nurMinister Tiefensee, sondern mindestens gleichermaßenBahnchef Mehdorn.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Was Rücktritte überfällig macht, sind die unerträgli-chen Ereignisse der vergangenen Wochen. Wir habenschon einiges gehört, was ich nicht wiederholen möchte.Ich nenne nur das Stichwort Bahn-Bonuszahlungen.

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Dorothée Menzner

Gibt es Konsequenzen, etwa Initiativen aus dem Minis-terium zur Rückgängigmachung dieses Beschlusses?Fehlanzeige. Wenn der Minister es zulässt, dass ein ihmunterstelltes Staatsunternehmen – das ist die DB AG noch– ihm auf der Nase herumtanzt, dann hat das nichts mehrmit Autorität zu tun, dann ist keine Autorität mehr vor-handen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Das gilt insbesondere dann, wenn die Bahn-Führungnicht einmal davor zurückschreckt, Minister, Regierungund Parlamentarier medial zu kritisieren, sogar mit Kla-gen droht. Allein dafür hätten Minister Tiefensee undKanzlerin Merkel Herrn Mehdorn und andere Mitgliederdes Vorstandes und des Aufsichtsrates längst entlassenmüssen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENund des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Das ist aber nur möglich, wenn man gegenüber HerrnMehdorn handlungsfähig ist. Im Fall der Bahn ist dieBundesregierung aber offensichtlich – das wird immerdeutlicher – nicht mehr Herr im eigenen Haus. Hier we-delt ganz eindeutig der Schwanz mit dem Hund undnicht umgekehrt. Der DB-Vorstand und nicht das HausTiefensee – das ist von Kollegen der Koalition angespro-chen worden – macht in diesem Land Bahnpolitik. DasParlament hat bei der Teilprivatisierung nichts mehr zusagen,

(Enak Ferlemann [CDU/CSU]: Quatsch!)

obwohl das 1994 eigentlich ganz anders verabredetwurde. Konsens war, dass alle Schritte im parlamentari-schen Verfahren vollzogen werden. Nicht umsonst setztdas Grundgesetz für Privatisierungsaktionen bei derBahn enge Grenzen: Die Bahn ist und bleibt Daseinsvor-sorge.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Politik am Parlament vorbei wurde auch bei denBahn-Immobilien gemacht. Ich will dieses Thema nurganz kurz anreißen. Ich nenne das Beispiel Aurelis. Esist eine Bankrotterklärung des Hauses Tiefensee, dassGrundstücke der Bahn, zusammengefasst in der FirmaAurelis, mit einem Wert von insgesamt einigen Milliar-den Euro, ohne das Parlament zu informieren, nebenbeiverkauft und verhökert wurden. Wir sind nach wie vorzusammen mit anderen mit der Aufklärung dieses Vor-gangs beschäftigt. Alles deutet darauf hin, dass wir unsdamit noch einmal sehr ernsthaft und konsequent ausein-andersetzen müssen.

All dessen ungeachtet machen Mehdorn undTiefensee weiter mit dem Ausverkauf, mit den Versu-chen, fremdes Kapital an der Bahn zu beteiligen. Bisheute wird uns das Märchen erzählt, es werde um Geld-geber gerungen, die ein Interesse an der Bahn haben. DieWahrheit ist aber: Hier werden Kapitalgeber in Kauf ge-nommen, die innerhalb weniger Jahre das Doppelte undDreifache dessen herausholen wollen, was sie rein-

stecken. Hart am Rande des Zulässigen durfte HerrMehdorn versuchen, die Bahn umzustrukturieren unddie Mobility Logistics AG zu gründen, die nun an dieBörse gehen soll. Weil das aufgrund der Weltfinanz-marktkrise nicht genug bringen würde, ist jetzt sogar imGespräch, doch an der Börse vorbei zu privatisieren undanders zu veräußern. Das ist in unseren Augen Politiknach Feudalherrenart und einer Demokratie unwürdig.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Schon im April dieses Jahres haben die Verkehrs-minister der Länder bei einem Treffen in WernigerodeHerrn Tiefensee zu Recht die gelbe Karte gezeigt. Siefühlten sich genauso wenig einbezogen wie wir Parla-mentarier. Das ist ein Beweis dafür, dass die Koalitionparlamentarische Kontrolle und Beteiligung offensicht-lich gering schätzt. Das ist deutlich zu kritisieren.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. GertWinkelmeier [fraktionslos])

Über die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung,die uns diese Woche vorgelegt wurde, wurde schon ge-sprochen. Sie beinhaltet, dass wir über 15 Jahre jährlich2,5 Milliarden Euro an die Bahn geben sollen.

(Enak Ferlemann [CDU/CSU]: Nein! Falsch!Nix 15 Jahre! – Patrick Döring [FDP]: FünfJahre!)

Mehdorn hat es nicht fertiggebracht, dass wir bis heuteeinen Netzzustandsbericht bekommen, der seinen Na-men verdient. Ich möchte erst einmal wissen, was mitdem Geld in der Vergangenheit passiert ist, bevor wir be-schließen, weitere Milliarden Steuergelder bereitzustel-len.

(Enak Ferlemann [CDU/CSU]: Das stimmtnicht! Korrigieren Sie das einmal! – RainerFornahl [SPD]: Das ist ja fürchterlich! PrüfenSie einmal, was Sie vorgelegt bekommen!)

Man könnte wirklich den Verdacht bekommen, dassdiese Finanzzusagen nur Investoren locken sollen, dassdas die Motivation ist.

Das Versagen des Ministers Tiefensee geht weiter. Esbetrifft auch andere Großprojekte, wie zum Beispiel dasBerliner Stadtschloss. Ich kann das nicht im Detail aus-führen. Es betrifft auch Stuttgart 21. Immer wieder erle-ben wir, dass Großprojekte verfolgt werden, statt Ver-kehrsinfrastruktur in diesem Land zu erhalten und für dieBürger zur Verfügung zu stellen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Großprojekte berauben uns der Möglichkeiten, Infra-struktur für Menschen auszubauen. Ich nenne nur dasBerliner Stadtschloss, die A 39, Stuttgart 21 oder die fürdie Lösung der Probleme ungeeignete Y-Trasse.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

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Notwendig ist die Sanierung der bestehenden Infra-struktur, zum Beispiel der Schiene und der Straße. DerAusbau von Lkw-Stellplätzen an der Autobahn ist nötig,um die Arbeitsbedingungen und die Verkehrssicherheitan den Autobahnen für die dort arbeitenden Menschenund alle, die dort unterwegs sind, zu gewährleisten. Alldas sind Versäumnisse des Ministers.

(Rainer Fornahl [SPD]: Ist das ein linkes Projekt, oder was ist das?)

Aus unserer Sicht ist das Elementarste, was man voneinem Verkehrsminister erwarten kann, dass er die Pro-bleme der Menschen, die tagtäglich unterwegs sind, löst.Sie sind nicht angegangen worden. Von daher unterstüt-zen wir den Antrag der Oppositionsfraktionen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Vizepräsidentin Petra Pau: Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Döring das

Wort.

Patrick Döring (FDP): Herr Kollege Friedrich – ich meine Hans-Peter

Friedrich von der CDU/CSU –, ich muss noch einmalauf Ihre Bemerkung zum doppelten Lottchen zurückkom-men, auf Ihre kritische Bemerkung, dass es vielleichtnicht zu einer stärkeren Interessentrennung zwischen Netzund Betrieb kommt, wenn der Vorstandsvorsitzende per-sonenidentisch ist. Im Gegensatz zum Bundesministerhabe ich den Börsenprospekt gelesen.

(Rainer Fornahl [SPD]: Was?)

Darin steht – ich lese das jetzt einmal vor –:

Zur Sicherung einer integrierten Konzernführungist beabsichtigt, dass der Vorstand der DB ML AGund der Vorstand der DB AG ihre Vorstandssitzun-gen regelmäßig gemeinsam durchführen.

Sind Sie mit mir der Meinung, dass auch dieser Satz ausdem Börsenprospekt sehr dafür spricht, dass die von derCDU/CSU und auch von der FDP beabsichtigte Interes-sentrennung zwischen Netz und Betrieb gar nicht ge-wollt ist?

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Petra Pau: Sie haben die Möglichkeit zu einer Erwiderung, Kol-

lege Friedrich.

Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): Lieber Herr Kollege Döring, Sie haben auf einen

wichtigen Punkt hingewiesen. Sie wissen, dass der Bör-sengang verschoben worden ist. Man sollte jetzt die Ge-legenheit vor dem nächsten Anlauf, den wir nehmenwerden, sobald der DAX auf 8 000 Punkte – ich glaube,diesen Wert sollte er erreichen – gestiegen ist, nutzen,

(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Können wir das als Ziel aufschreiben?)

weitere Änderungen, notfalls auch am Börsenprospekt,vorzunehmen, die wir als Politiker für richtig halten. Wirmüssen uns allerdings gut überlegen, welche Schritte wirim Einzelnen vorschlagen. Ich bin dezidiert dafür, eineInteressenverquickung zwischen der DB ML und derDB AG zu untersagen und nach Möglichkeit eine Perso-nalunion in den Vorständen zu vermeiden.

Vizepräsidentin Petra Pau: Zu einer weiteren Kurzintervention hat nun der Kol-

lege Ferlemann das Wort.

Enak Ferlemann (CDU/CSU): Frau Kollegin Menzner, ich möchte Sie noch einmal

direkt ansprechen. Ich hatte das schon mit einem Zwi-schenruf gemacht, aber Sie haben die von mir ange-mahnte Korrektur nicht vorgenommen. Deswegen willich Sie in dieser Form ansprechen.

Sie haben behauptet, die Leistungs- und Finanzie-rungsvereinbarung würde einen Zeitraum von 15 Jahrenumfassen. Sie haben am Dienstag dieser Woche den ak-tuellen Entwurf der Leistungs- und Finanzierungsverein-barung erhalten. Sie haben schon am gestrigen Mittwochmit uns gemeinsam eine Anhörung zu dieser Leistungs-und Finanzierungsvereinbarung beschlossen, kennenalso die Inhalte.

Ich darf § 23 Abs. 1 der Leistungs- und Finanzie-rungsvereinbarung – Vertragsdauer und Kündigung – zi-tieren:

Diese Vereinbarung tritt am 1. Januar 2009 in Kraft.Sie hat eine feste Laufzeit bis zum 31. Dezember2013.

Nach meiner Rechnung sind das 5 Jahre, nicht 15 Jahre.Angesichts der Bedeutung dieser Angelegenheit bitte ichSie, sich dafür zu entschuldigen und die Korrektur hiervorzunehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Menzner hat das Wort.

Dorothée Menzner (DIE LINKE): Kollege Ferlemann, Sie haben eben gesagt, wir hätten

die Unterlagen – sie umfassen einen Leitz-Ordner – amDienstag bekommen. Ich kann es konkretisieren: Diens-tag, 19.40 Uhr. Mittwoch früh war die Ausschusssit-zung. Wahrscheinlich waren auch Sie nicht in der Lage,das in Gänze zur Kenntnis zu nehmen.

(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Das sind zwei Zeilen!)

Es kann gut sein, dass mir ein Fehler unterlaufen ist.Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass wir mit die-ser Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung langjäh-

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Dorothée Menzner

rig hohe Zahlungen an die DB festlegen und beschließenwollen.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das, was Sie ausgesagt haben, ist nicht richtig!)

Auf der anderen Seite wurde uns bis heute – das hatauch der Minister nicht geschafft – kein Netzzustandsbe-richt aus dem Hause Mehdorn vorgelegt, anhand dessenwir kontrollieren könnten, ob die in der Vergangenheitgeflossenen Steuergelder wirklich zweckbestimmt ver-wendet wurden.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Was Sie gesagthaben, war falsch! Punkt! – Dirk Fischer[Hamburg] [CDU/CSU]: Wo habt ihr denn die15 Jahre her?)

Vizepräsidentin Petra Pau: Nun hat der Kollege Klaas Hübner für die SPD-Frak-

tion das Wort.

Klaas Hübner (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Wir haben eben eine Aktuelle Stunde zum glei-chen Thema gehabt. Da habe ich gesagt, es mache wenigSinn, hier eine Showveranstaltung zu machen. Dass daseine ist, das hat Herr Ferlemann eben klargemacht.

Frau Menzner, jedem können Fehler passieren. Aberwenn Sie sich explizit darauf berufen, was irgendwosteht, obwohl Sie es vorher nicht gelesen haben, dann istdas, gelinde gesagt, eine schlechte Vorbereitung. Damitzeigen Sie auch deutlich, dass Sie dieser Debatte inhalt-lich nichts beimessen, sondern dass Sie einfach nur eineShowveranstaltung machen wollen. Deswegen wäre esam einfachsten, wenn wir alle unsere Redebeiträge ausder Aktuellen Stunde zu Protokoll geben würden; dennes wird bei dieser Debatte das Gleiche herauskommen.Damit wäre der Sache dann am besten gedient.

Aber Sie haben doch etwas gesagt, worauf ich nocheingehen möchte. Frau Menzner, Sie haben wieder ein-mal erklärt, dass die DB AG eine Institution der Da-seinsvorsorge ist. Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dassseit 1994 die DB AG de facto privatisiert ist und dass dieLänder über die Regionalisierungsmittel selber entschei-den, bei wem sie Fahrleistungen bestellen. Das mussnicht bei der DB AG sein. Das können sie auch bei je-dem anderen Unternehmen tun. Diese Aussage ist sach-lich richtig. Aber Sie tun immer wieder so, als ob dieDB AG für die Daseinsvorsorge zuständig ist. Nein, wirsind es, die das über das Netz darstellen müssen. DieLänder können entscheiden, bei wem sie Fahrleistungenbestellen wollen. Hören Sie auf, die Menschen mit sol-chen unsachlichen und unrichtigen Aussagen zu verunsi-chern.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Da ich in der Tat auf das verweisen kann, was ichschon in der anderen Debatte gesagt habe, möchte ichnur kurz auf die Anträge der Urheber dieser Debatte, derFDP und der Kopisten, der Grünen, eingehen, in denendie Entlassung des Ministers gefordert wird. Die Grund-

lage in dieser Debatte ist für uns die Frage: Was habenwir im Koalitionsvertrag beschlossen, und was ist davonabgearbeitet? Das CO2-Gebäudesanierungsprogrammsollte aufgestockt werden; das ist erfolgt. Den Master-plan Güterverkehr und Logistik, ein wichtiges Projekt,hat der Minister gerade erst umgesetzt bzw. auf einenguten Weg gebracht. Die Verkehrsinvestitionen wurdenerhöht. Im Jahre 2005 betrugen sie 9 Milliarden Euro,im Jahre 2009 werden sie bei 11 Milliarden Euro liegen.Die Erhöhung der Mittel für die Eisenbahninfrastrukturist über die LuFV erfolgt. Der Vertrag über die Fehmarn-belt-Querung wurde abgeschlossen. Ich könnte dieseAufzählung ewig fortführen.

Kurzum: Herr Minister, Sie haben die meistenPunkte, die im Koalitionsvertrag enthalten sind, abgear-beitet; dafür danken wir Ihnen. Darum haben wir keiner-lei Grund, den vorliegenden Anträgen zuzustimmen. ImGegenteil, wir müssen sagen: Wir haben einen guten Mi-nister, und wir stehen hinter Ihnen; wir sind an der Stellebei Ihnen.

(Zuruf von der SPD: „Hinter ihm“ ist aber einbisschen missverständlich! – Heiterkeit beiAbgeordneten der SPD, der CDU/CSU unddes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

– Ja.

Das gilt übrigens auch für den Ausschuss. Dort hat erseinerzeit die Bonifikationen thematisiert. Auch in die-sem Fall hat der Minister richtig gelegen. Der KollegeCarstensen hat im Ausschuss gefragt: Wer in diesemParlament ist eigentlich nicht der Meinung des Minis-ters, dass die Bonifikationen nicht in Ordnung sind? –Alle haben gesagt – auch Sie –, dass sie der Meinung desMinisters sind. Darum sage ich Ihnen: Geben Sie sich ei-nen Ruck, und loben Sie den Minister dafür, dass er einwichtiges Thema auf die richtige Art und Weise ange-sprochen hat!

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun

der Kollege Fritz Kuhn.

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-

legen! Die Formulierung, dass die SPD hinter Ihnensteht, können Sie, Herr Minister, natürlich auch als Dro-hung verstehen. Sie mussten ja selbst lachen, als Sie sa-hen, dass diese Deutung gerade in Ihren eigenen Reihenaufkam.

Ich will Ihnen erklären, warum wir diese Debatte füh-ren und warum wir unseren Antrag gestellt haben. DasParlament kontrolliert die Regierung. Die Regierungs-fraktionen haben bezüglich der Personalauswahl einenbesonderen Auftrag. Sie müssen prüfen, ob sie das rich-tige Personal ausgewählt haben. Wenn eine Regierungs-fraktion, in diesem Fall die SPD, nicht in der Lage ist,

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Fritz Kuhn

diese Verantwortung wahrzunehmen, dann ist es, wennes um den Vorwurf schwerer Verfehlungen im Amt geht,Aufgabe des Parlaments, die Frage zu stellen, ob ein Mi-nister eigentlich geeignet ist oder nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir diskutieren jetzt nicht über die Frage: Bahn-Pri-vatisierung – ja oder nein? Ich jedenfalls tue das nicht.Das haben wir an anderer Stelle getan. Wir wollen jetztnur darüber diskutieren, ob Minister Tiefensee in derLage ist, sein Amt ordnungsgemäß zu führen oder nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der FDP und der LIN-KEN)

Minister Tiefensee hat uns in diesem Hause mehrfacherklärt – auch Frau Merkel hat das in ihren Regierungs-erklärungen immer wieder betont –, dass der Börsen-gang der Bahn eines der wichtigsten Verkehrsprojektedieser Legislaturperiode ist. Das wurde uns erklärt. Nachvielem Hin und Her hat man sich auf eine bestimmteForm der Privatisierung geeinigt. Diese Einigung wurdeallerdings nicht in Form eines Gesetzes festgehalten,sondern lediglich per Beschluss.

Jetzt fragen wir uns natürlich: Wird dieser Beschlussordentlich umgesetzt, wie von der Mehrheit des Parla-ments gewünscht: ja oder nein? Ich sage Ihnen: Die Aus-einandersetzungen um den Börsengang der Bahn – ge-nauer: um den Börsenprospekt und die darin erwähntenBonuszahlungen – sind ein Beispiel dafür, dass MinisterTiefensee dieses Thema von Anfang an nicht beherrschthat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ich beginne mit der Frage: Seit wann hat er davon ge-wusst? Zuerst hörten wir: seit Anfang Oktober. Dann hatman sich korrigiert, und es hieß: seit Mitte September.Der entscheidende Punkt ist aber, dass am 27. Augustdieses Jahres eine Abteilungsleiterkonferenz stattgefun-den hat; Kollege Friedrich hat dies bereits erwähnt. Andieser Konferenz, in der der Entwurf des Börsenpro-spektes Verhandlungsgegenstand war, hat auch MinisterTiefensee teilgenommen. Wie in der Ausschussdiskus-sion deutlich wurde, gab es dazu keine Leitungsvorlage.Das muss man den Leuten erklären: Unter „Leitungsvor-lage“ ist zu verstehen, dass der Minister von seinen Mit-arbeitern, zum Beispiel von seinem Staatssekretär, vorder Sitzung aufgeschrieben bekommt, auf welche wich-tigen Punkte er in der Abteilungsleiterbesprechung zuachten hat.

Ich frage Sie, Herr Minister: Was sind Sie eigentlichfür ein Minister, wenn Sie an einer Abteilungsleiterbe-sprechung, in der der Börsenprospekt Thema ist, teilneh-men und vorher nicht wissen, um was es dabei geht– noch letzte Woche waren Sie im Ausschuss regelrechtstolz darauf, dass Sie den Börsenprospekt nicht kennen –,und wenn Sie dazu keine Leitungsvorlage haben? Wasmachen Sie eigentlich in Abteilungsleiterbesprechun-gen, Herr Tiefensee?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der FDP und der LIN-KEN)

Schauen Sie in Ihren SMS nach, ob Sie jemand gelobthat und, wenn ja, wer? Was veranstalten Sie dort eigent-lich?

Aus diesem Grund ziehen wir die Schlussfolgerung– es tut mir leid, dass ich sie Ihnen nicht ersparen kann –,dass es nur zwei Möglichkeiten gibt: Entweder habenSie gelogen, als es um die Frage ging, seit wann Sie denBörsenprospekt kennen und über die BonuszahlungenBescheid wissen, oder Sie sind so unverschämt ahnungs-los und unfähig, dass Sie nicht wissen, worauf es bei derAmtsführung konkret ankommt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN)

Es soll übrigens auch welche geben, die eine Kombina-tion von beiden Möglichkeiten, also lügen und ahnungs-los sein, nicht ausschließen. Darüber will ich aber nichtrichten.

Wir haben den Eindruck, dass Sie Ihr Amt nicht ein-fach nur fahrlässig führen, sondern dass Sie mit grobemVorsatz lange gar nicht wissen wollten, was im Börsen-prospekt steht und was es mit den Bonuszahlungen aufsich hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Tiefensee, wir haben die These, dass Sie eslängst gewusst haben, dass es Sie aber nicht gestört hat.Dafür spricht übrigens auch, dass Sie Ihren Staatssekre-tär, Herrn von Randow, noch am 2. Oktober 2008 damitbeauftragt haben, Sie auf einer Reise in die VereinigtenArabischen Emirate zu vertreten, zu einem Zeitpunktalso, über den Sie uns später erzählt haben, dass das Ver-trauensverhältnis da schon komplett gestört war. Das istauch eine gute Story: Er schickt ihn als Vertretung vonsich selber auf eine Dienstreise, erklärt aber hinterher,dass das Vertrauensverhältnis da schon zerstört gewesensei.

Weil Sie so mit Staatssekretären umgehen, wie diesdurch dieses Beispiel gelehrt wird, wundert sich in die-sem Hause niemand mehr darüber, welch schlechten RufSie auch im Verkehrsministerium haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Um zu wissen, dass das so ist, muss man ja nur einmaldie Spitznamen recherchieren, die in Ihrem Hause fürSie kreiert worden sind.

Später haben Sie im Zuge der Finanzkrise gemerkt– das erklärt die ganze Show –, dass das Thema Bonus-zahlungen und Gehälter eine große Rolle spielt, und Siehaben sich gedacht, dass Sie einen populistischen Nut-zen für Ihr ansonsten angeschlagenes Image daraus zie-hen können.

Vor lauter Aufregung haben Sie den Börsengang imAusschuss dann ganz versenkt: Er findet nicht statt,

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20022 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

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Fritz Kuhn

hurra; ich fühle mich bestätigt, ich habe die Boni abge-schafft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Das kommt mir so vor, als ob jemand ein ganzes Hauszusammenhaut, um irgendwie mit einer Maus zurechtzu-kommen, die ihn stört. Herr Minister, das ist aber keineAmtsführung, sondern einfach kläglicher Populismusund nichts sonst.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Herr Tiefensee, deswegen haben wir den Antrag derFDP richtig gefunden und unterstützt. Dass es zwei gibt,sei dahingestellt. Sie meinen das Gleiche. Was Sie nichtnur in diesem Finale der letzten Wochen, sondern gene-rell in den drei Jahren geliefert haben, ist nach unsererÜberzeugung peinlicher Murks und Mist. Um mit MaxWeber zu sprechen: Sie werden nicht aus Leidenschaft inder Sache getrieben – in der Verkehrspolitik –, sondernwas Sie kennzeichnet, ist das, was Max Weber „sterileAufgeregtheit“ genannt hat. Ansonsten könnten Sie Ihrwichtigstes Projekt dieser Legislaturperiode, den Bör-sengang, nicht mir nichts, dir nichts in den Sand setzenund abräumen und müssten Sie wissen, wie die Lage inder Koalition bei diesem Thema tatsächlich ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen fordern wir Frau Merkel auf – der Antraggeht ja an die Regierung –, dass sie Sie entlassen soll.Ich verstehe die CDU/CSU, warum sie sich dabei so pas-siv verhält, liebe Genossinnen und Genossen, nämlichweil sie sich natürlich sagt: Ein dermaßen lausig schwa-cher Minister ist im Wahljahr gut für uns.

(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Das ist doch unglaublich!)

Ich kann aber nicht verstehen, mit welchem Grad derSelbstverachtung Sie als SPD nach den eklatanten Ver-fehlungen von Minister Tiefensee immer noch sagen,wie toll er ist. Die Reden, die ich vorhin dazu gehörthabe, waren doch geradezu peinlich. Solange Sie nichtbereit sind, einem Minister, der sein Amt nicht führenkann, zu sagen, dass Sie einen anderen und besseren ha-ben, werden Sie aus dem Problem, in dem die SPD ge-rade steckt, nicht herauskommen. Das wollte ich Ihnenzum Abschluss ins sozialdemokratische Stammbuch ge-schrieben haben.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg.Dr. Axel Troost [DIE LINKE])

Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dirk Fischer für die CDU/

CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Solche Anträge auf Rücktritt eines Ministers stelltman eigentlich erst dann, wenn es einem gelungen ist,ihm ein Fehlverhalten nachzuweisen.

(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Der vorliegende FDP-Antrag wurde aber bereits imVorfeld über die Presse angekündigt und ging schon am4. November 2008, also einen Tag vor der Sondersitzungdes Ausschusses, durch die FDP-Fraktion.

(Enak Ferlemann [CDU/CSU]: Unerhört!)

Die Grünen haben das hinterher abgeschrieben und sichdrangehängt.

(Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: So ein schlechter Stil!)

Damit wird deutlich, dass die FDP mit der Sondersit-zung gar kein wirkliches Informationsinteresse verbun-den hat. Denn wenn Ihr Antrag der Aufklärung voraus-eilte, dann kam es auf die Sitzung gar nicht mehr an.

(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Die Sondersitzung war von den Grünenbeantragt!)

Ich bin in Sorge um das Rechtsstaatsverständnis derFDP.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Lachen bei der FDP)

Denn eigentlich gilt in unserem Lande: Erst kommt dieVerhandlung und dann das Urteil. Die FDP ist aber aufdem Wege, zuerst zu verurteilen und dann die Verhand-lung zu führen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Ich muss allerdings feststellen:

(Patrick Döring [FDP]: Sie sind doch der beste Zeuge der Anklage!)

Die Ausschusssitzung ist zur Enttäuschung der Opposi-tion jedenfalls nicht so verlaufen, dass damit Anträgedieser Art legitimiert worden wären. Denn es ist der Op-position nicht gelungen – ich verstehe Ihren Frust da-rüber –, Minister Tiefensee Widersprüche oder Fehlver-halten nachzuweisen. Das haben Sie nicht geschafft.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Petra Pau: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen

Koppelin?

Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): Gleich. – Daher sind die vorliegenden Anträge unbe-

gründet und nachher in namentlicher Abstimmung abzu-lehnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD –Christian Carstensen [SPD]: Herr Koppelin er-klärt uns jetzt das Rechtsstaatsverständnis derFDP!)

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20023

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Jürgen Koppelin (FDP): Herr Kollege Fischer, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu

nehmen, dass nicht nur Ihr Ausschuss, sondern auch derHaushaltsausschuss Minister Tiefensee fünf Stunden – miteiner Unterbrechung – angehört hat, dass wir uns sehrintensiv damit befasst haben und dass wir dann zusam-men mit unseren Verkehrspolitikern festgestellt haben,dass es mit diesem Verkehrsminister nicht mehr geht? Eshat also eine weitere Ausschusssitzung stattgefunden,für Sie vielleicht bedauerlicherweise vor Ihrer Sitzung.Aber im Haushaltsausschuss hat der Minister, wie ge-sagt, fünf Stunden – mit einer Unterbrechung – Redeund Antwort gestanden. Jeder dort hatte den Eindruck:Mit diesem Minister geht es wirklich nicht.

Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): Das ändert aber nichts an der zeitlichen Abfolge

(Patrick Döring [FDP]: Doch! – JürgenKoppelin [FDP]: Es ist ein Tag vorher gewe-sen!)

– nämlich der Ankündigung in der Presse – und an derTatsache, dass unsere Verkehrspolitiker den Minister erstam Mittwoch befragt haben. Es kann nur eine Sitzungbeurteilt werden, an der man teilgenommen hat. Deshalbhätten die Kollegen der FDP nach dem Verlauf der Ver-kehrsausschusssitzung eigentlich fordern müssen, dassder Antrag zurückgezogen wird. Er ist völlig unbegrün-det.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Patrick Döring [FDP]: Nein! Wahrlich nicht!)

Nach dem gesamten Geschehen wird Herr MinisterTiefensee wissen, dass die Koordination und Kommuni-kation besonders wichtiger Fragen im Ministerium zuverbessern sind. Selbstverständlich stellen sich für unsnoch Fragen. Wenn der Bundesfinanzminister erklärt, erhabe aus den Medien von dem Sonderbonus erfahren, sieseien bei der Festlegung der Privatisierungsregelungennicht vorgesehen gewesen und es werde eine solche Re-gelung nicht geben, wenn es zu einem Börsengang kom-men werde, dann stellt sich schon die Frage, ob HerrMehdorn, der Aufsichtsratsvorsitzende Müller oder Herrvon Randow sich vorsätzlich über diese Privatisierungs-regelungen, die ihnen bekannt gewesen sein müssen,hinweggesetzt haben.

Minister Tiefensee hat dem Staatssekretär von Ran-dow nicht nur vorgeworfen, ihn Mitte September viel zuspät informiert zu haben, sondern er hat ihm in einem In-terview in der Bild-Zeitung auch vorgeworfen, ihn nichtvor der entscheidenden Sitzung des Personalausschussesam 24. Juni – also spätestens am 23. Juni – in dieser Sa-che befragt und sie nicht mit ihm abgestimmt zu haben.Auch nach meiner Einschätzung war die Entlassung desStaatssekretärs deshalb unausweichlich.

Aber selbstverständlich ist auch das Verhalten vonHerrn Müller als Hauptvertrauensmann des Alleinaktio-närs Bund im Aufsichtsrat ein Stück weit aufklärungsbe-dürftig.

(Patrick Döring [FDP]: Jetzt kommen wir der Sache näher!)

Denn auf ihn muss sich der Alleinkapitaleigner in sol-chen Fragen verlassen können.

Ich teile die Auffassung von Minister Tiefensee aus-drücklich, dass die regulären Bonuszahlungen, die sicham Unternehmenserfolg orientieren, ausreichend sind.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Opposition,wesentlicher als eine Debatte über überflüssige, weil in-haltlich nicht legitimierte Anträge sind doch die positi-ven Entwicklungen für das deutsche und europäische Ei-senbahnwesen: die wechselseitige Netzöffnung für denGüterverkehr ab 2007 und für den Personenfernverkehrab 2010 in Europa – wir kommen also aus einer rein na-tionalen zu einer europäischen Landkarte des Eisenbahn-verkehrs – und die positive Umstrukturierung einerBehördenbahn zu einer kunden- und wettbewerbsorien-tierten DB AG mit allen positiven Leistungen und Ver-diensten, die sich Herr Mehdorn dort unzweifelhaft er-worben hat.

Nur daraus ergab sich die Chance, den Börsengangvorzubereiten, der bei einer besseren Lage der Finanz-märkte jederzeit in die Wege geleitet werden kann. Indiesem Zusammenhang ist eine Unternehmenskonfigu-ration ordnungspolitisch richtig, in der Infrastruktur undBetriebsgesellschaften sauber getrennt werden: Infra-struktur, Netz, Bahnhöfe und Energieversorgung verblei-ben dauerhaft zu 100 Prozent beim Staat.

Die Betriebe wurden schrittweise privatisiert, soweites die Unternehmensentwicklung einschließlich der Si-cherheit der Arbeitsplätze im Unternehmen und die Ent-wicklung des Wettbewerbsmarktes zulassen. In dieserWoche wurde eine Leistungs- und Finanzierungsverein-barung vorgelegt, mit der die Steuerung und die Quali-tätskontrolle bei der Verwendung öffentlicher Mittel ver-bessert werden. Das ist seit Jahrzehnten ein wirklicherDurchbruch, ein großer Fortschritt. Bei dem, was vorge-legt wurde, handelt es sich um erstklassige Arbeit. Icherinnere zudem an die Erfolge der Bundesnetzagenturbei der Begleitung des Wandels von einer Monopolland-schaft hin zu einer Wettbewerbslandschaft.

Das alles sind große Erfolge. Die Große Koalition hatin ihrer Verantwortung ab 2005 großartige Leistungenerbracht. Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Oppo-sition, darüber zu diskutieren, ist meines Erachtens alle-mal fruchtbarer, als über eigentlich überflüssige Show-anträge zu debattieren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Uwe

Beckmeyer.

(Beifall bei der SPD)

Uwe Beckmeyer (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Es geht um die Amtsführung des Bundesver-kehrsministers. Wenn man hört, was die gesamte Oppo-

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20024 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

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Uwe Beckmeyer

sition dazu zu sagen hat, dann stellt man fest, dass sieihre Missbilligung daraus ableitet, dass der Minister ge-gen Bonuszahlungen bei der DB AG ist. Ich habe Sie imAusschuss gefragt, ob Sie für Bonuszahlungen bei derDB AG sind. Ich habe festgestellt, dass auch Sie dage-gen sind. Missbilligen Sie sich nun selbst?

Die Sozialdemokraten messen die Amtsführung einesMinisters daran, welchen Auftrag er hat, wie seine Ar-beit aussieht und welchen Erfolg er mit seiner Arbeit hat.Das sind die Kriterien, an denen man die Amtsführungeines Bundesministers messen sollte, und nicht an denDingen, die Sie vordergründig aufgezählt haben. Wiesieht das Ergebnis, die Bilanz der Amtsführung des Bun-desministers Wolfgang Tiefensee aus? Wir haben in denvergangenen Jahren in der Bundesrepublik Deutschlandfestgestellt, dass die ökonomische Ausrichtung der Ver-kehrspolitik viel stärker in den Vordergrund gerückt istals in der Zeit zuvor. Wir haben mit dem Masterplan Gü-terverkehr und Logistik Verantwortung für ein Feldübernommen – darum müssen wir uns besonders küm-mern –, in dem 2,6 Millionen Arbeitnehmer in der Bun-desrepublik Deutschland beschäftigt sind und das derTransmissionsriemen für die Ökonomie dieser Republikist. Hier geht es um die Verantwortung für Hunderttau-sende, wenn nicht gar für Millionen von Arbeitsplätzeninsgesamt.

Minister Tiefensee hat es geschafft, für 2009 einenHaushalt mit einem absoluten Rekordvolumen durchzu-setzen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesre-publik Deutschland werden 11 Milliarden Euro für dieVerkehrsinfrastruktur ausgegeben. Wenn man sich dieMaßnahmen, die wir im Koalitionsvertrag vereinbart ha-ben, anschaut, stellt man fest, dass in den vergangenenJahren Punkt für Punkt und kontinuierlich an der Umset-zung dieser Maßnahmen gearbeitet worden ist. Ich willeinige exemplarisch aufzählen. Nehmen wir als Beispieldie Maut. Hier gab es heftige Kritik, aber es funktioniert.Wir haben eine intensive Diskussion über das Mauthar-monisierungsprogramm geführt. Inzwischen hat es einErgebnis gezeitigt, sodass selbst die Verbände, die esbisher kritisiert haben, einvernehmlich akzeptieren, dasseine Mautharmonisierung mit einem Volumen von600 Millionen Euro pro Jahr vereinbart wurde. Dies al-les sind Punkte, die der Minister als Erfolge vorweisenkann. Ich denke, die kann man nicht einfach unbeachtetlassen.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte darüber hinaus sagen, dass wir das CO2-Gebäudesanierungsprogramm in diesem Ministeriumentwickelt haben. Die parlamentarische Unterstützungder vergangenen Jahre hat gezeigt, dass dies ein Pro-gramm ist, auf das wir vertrauen können, das enormeImpulse in der Bundesrepublik Deutschland gesetzt hat,das sich bewährt hat – ein Programm, von dem wir wis-sen, dass es fortgesetzt werden muss, und das in einerganz entscheidenden Art und Weise Impulse für die wirt-schaftliche Entwicklung des deutschen Mittelstands ge-setzt hat. Dieses Programm hat sich bewährt, und ihmwird inzwischen in anderen Staaten Europas nachgeei-fert. Ich denke, das ist ein weiterer Meilenstein, den die

erfolgreiche Politik in Deutschland in diesem Bereichvorzuweisen hat.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben mit den Investitionen in die Verkehrswegeund mit dem Beschluss über den Bundesverkehrswege-plan in der vergangenen Legislaturperiode einen Mark-stein gesetzt. An den Maßnahmen arbeiten wir intensivweiter. Das gilt für die Wasserstraßen, das gilt für dieStraßen, und das gilt für die Schiene. Ich glaube, diesesMinisterium ist auf gutem Wege, alle die von uns erwar-teten Maßnahmen umzusetzen. Das bedeutet, dass mitmehr Geld und mit einem klaren Konzept auch die Infra-struktur in Deutschland noch weiter verbessert wird. DasMinisterium ist dafür bestens aufgestellt, auch unter derFührung von Wolfgang Tiefensee.

(Beifall bei der SPD)

Weitere Beispiele. Wir haben uns gerade im Zusam-menhang mit der Kontrolle der Deutschen Bahn AG inden vergangenen Wochen und Monaten damit beschäf-tigt, welche Form die Leistungs- und Finanzierungsver-einbarung für die vom Bund jährlich zur Verfügung ge-stellten 2,5 Milliarden Euro für die Schiene haben soll.Es ist gelungen, dem Hause nach intensiven Beratungeneine Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung vorzule-gen. Wir werden sie im Ausschuss beraten. Wir habendie Hoffnung und die Zuversicht, dass wir sie mit Wir-kung vom 1. Januar 2009 in Kraft setzen. Zum erstenMal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschlandnach der Bahnreform von 1994 ist es gelungen, dass dasParlament, also unser Haus mit seinen Ausschüssen, di-rekte Kontrollmöglichkeiten über das Geld bekommt,das wir der Bahn geben. Darüber hinaus ist es gelungen,die Bahn zu verpflichten, eine zusätzliche MilliardeEuro und weitere 500 Millionen Euro jährlich für denUnterhalt der Schiene und für Investitionen bereitzustel-len.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

In der Summe gehören – das will ich deutlich sagen –Auftrag, Arbeit und Erfolg zusammen. Herr Bundes-minister Wolfgang Tiefensee, ich kann Ihnen für die so-zialdemokratische Fraktion sagen: Wir haben vollesVertrauen in Ihre Amtsführung, und wir haben auch vol-les Vertrauen in Ihre Arbeits- und Innovationskraft.

(Beifall bei der SPD)

Es ist vorhin davon gesprochen worden, dass wir beider Bahn aufpassen müssen. Natürlich müssen wir beider Bahn aufpassen. Mich ärgert natürlich auch die eineoder andere öffentliche Aussage, die man hin und wiederlesen kann, so die vom 10. November in der FrankfurterAllgemeinen Zeitung, wonach der Bahnchef um Ölstaa-ten buhlt. So hieß es in der Überschrift. Wenn man denText liest, dann steigt einem manchmal die Zornesröteins Gesicht.

(Beifall der Abg. Heidi Wright [SPD])

Dort wird geschrieben: Durch den Einstieg von privatenGeldgebern will der Bahnchef vor allem seinen ehrgeizi-gen weltweiten Expansionskurs finanzieren und den Ein-

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20025

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Uwe Beckmeyer

fluss des Staates zurückdrängen. – Im zweiten Satz heißtes: Vor allem Ölstaaten, Russlands Staatsbahn und Chi-nas Staatsfonds gelten in Konzernkreisen als erste Wahlfür eine Beteiligung an der Bahn.

So kann es nicht gehen. Man kann nicht den deut-schen Staat als den bösen Staat bezeichnen, aber die au-tokratischen Systeme als die guten. Das passt irgendwienicht zusammen. Darum Obacht auch an dieser Stelle.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowiebei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden hier genau aufpassen müssen. Wir habenim Deutschen Bundestag den Börsengang der Bahn be-schlossen. Dieser Beschluss gilt auch für die Linksfrak-tion. Sie können ihn nicht ignorieren. Aber wir werdenaufzupassen haben, unter welchen Kautelen, unter wel-chen Umständen, vor allem mit welchem Ergebnis die-ser durchgesetzt wird. Das ist der entscheidende Punkt,an dem wir uns zu orientieren haben.

Das Thema Börsengang und natürlich auch dasThema Börsenprospekt sind spezielle Themen. Ich darffür die SPD-Fraktion die Erwartung ausdrücken – wiralle kennen den Börsenprospekt nicht; es ist auch auf-grund der entsprechenden Vorbereitung eine lange ge-heim gehaltene und uns nicht zugängliche Schrift, dieangeblich 600 Seiten umfasst –,

(Patrick Döring [FDP]: Ich habe daraus zitiert!)

dass mit diesem Börsengang nicht die Bahnpolitik, diewir, der Deutsche Bundestag, durch Beschlüsse artiku-liert und postuliert haben, untergraben wird.

(Patrick Döring [FDP]: Ich kann daraus zitieren, Herr Kollege!)

Dies ist nicht hinnehmbar. Die Ministerien, die darauf zuachten haben, werden dies, bitte schön, genau beachten;denn das entspricht der Grundlage der Verkehrspolitik,der Bahnpolitik dieses Hauses. Darauf wird der Deut-sche Bundestag mit Argusaugen schauen.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU])

Vizepräsidentin Petra Pau: Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich dem Kol-

legen Enak Ferlemann das Wort gebe, möchte ich Siedarüber informieren, dass auf der Tribüne Parlamen-tarierinnen und Parlamentarier aus Afghanistan,Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan,Usbekistan und der Mongolei Platz genommenhaben. – Wir begrüßen Sie recht herzlich.

(Beifall)

Für die CDU/CSU-Fraktion hat als letzter Redner indieser Debatte der Kollege Enak Ferlemann das Wort.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Enak Ferlemann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Sehr verehrter Herr Minister Tiefensee, wer vonuns beiden hätte gedacht, dass ich eines Tages der letzteRedner in einer Debatte sein werde, in der es um IhreEntlassung gehen soll. Auch ich hätte mir das vor eini-gen Jahren nicht träumen lassen; aber so kommt esmanchmal in der Politik. Man kann am Schluss dieserDebatte nur sagen: Die Anträge der Opposition sind eineZumutung für die Große Koalition, für dieses Parlament.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Die verehrte Opposition konnte sich noch nicht einmaleinigen. Die Grünen konnten sich mit der FDP nicht aufeinen gemeinsamen Antrag einigen. Deswegen hat dieFDP einen eigenen Antrag eingebracht. Die Grünen ha-ben ebenfalls einen eigenen Antrag vorgelegt, der genaudas Gleiche beinhaltet. Deswegen werden wir in weni-gen Minuten wahrscheinlich zweimal über das Gleicheabstimmen.

(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Sie sind mal wieder nicht auf der Höheder Zeit!)

Da man die Linken nicht mit ins Boot genommen hat,haben sie noch eine Aktuelle Stunde beantragt. Bei al-lem geht es um dasselbe.

Man muss sich vor Augen führen, dass wir am Vor-abend einer schweren Wirtschaftskrise stehen. Eine derLösungen, da wieder herauszukommen und nicht nochtiefer hineinzurutschen, als wir es eh erwarten, sind In-vestitionen – ich sage sogar: massive Investitionen – indie Infrastruktur, insbesondere in die Verkehrsinfrastruk-tur. Was hat die Große Koalition auf den Weg gebracht?1 Milliarde Euro mehr aus dem Bundeshaushalt für2009, 1 Milliarde Euro zusätzlich für den Bundeshaus-halt 2010, eine Erhöhung der Lkw-Maut, die noch ein-mal jedes Jahr 1 Milliarde Euro einspielt. Wir haben alsoinnerhalb von zwei Jahren sage und schreibe 4 Milliar-den Euro, die wir im Rahmen eines Sonderinfrastruktur-programms ausgeben können. In dieser Situation ist esdie Stunde der Verkehrspolitiker. Wir können in dieStraße, in Schienenwege, Wasserwege, Flughäfen undHäfen investieren. Mancher sagt: Endlich! Andere sa-gen: Das kommt zu spät. – Aber es kommt, und ichdenke, es kommt zur rechten Zeit.

Sie muten uns hier eine Debatte über Personen zu,eine Personaldebatte in einer Situation, in der wir zu-sammenstehen müssen, um dieses Programm voranzu-bringen, um hier in Deutschland Arbeitsplätze zu erhal-ten und zu sichern. Meine Fraktion erwartet von Ihnen,sehr verehrter Herr Minister, dass wir jetzt zügig überdie Investitionsprojekte entscheiden. Wir erwarten auch– das muten wir Ihnen wiederum zu –, dass Sie dieseProjekte in enger Abstimmung auch mit meiner Frak-tion, der CDU/CSU, jetzt vorlegen und verankern.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es darf nicht sein, dass hier jeder eine Wunschlistevorlegt, sei es von den Bundesländern, sei es von Minis-tern, sei es von Fraktionsvorsitzenden. Nein, das muss

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20026 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

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Enak Ferlemann

eng mit den Verkehrspolitikern abgesprochen werden,damit die Projekte zügig und schnell umsetzbar sind.Hier braucht es eine enge Kommunikation. Ich gehe da-von aus, dass wir in dieser Liste auch PPP-Projekte fin-den, weil diese besonders schnell und zügig umzusetzensind.

Angesichts des Anlasses sind die Maßnahmen, die dieFDP und die Grünen beantragt haben, geradezu lächer-lich. Die Opposition ist heute leider wieder einmalsubstanzielle Kritik schuldig geblieben. Ob der Ministergut oder weniger gut ist, hat die SPD-Fraktion entschie-den; er bleibt im Amt. Das gilt damit auch für die GroßeKoalition. Letztlich hat der Wähler im September 2009das Wort, weil dann auch über diese Dinge entschiedenwird. Wir lehnen die Anträge der Opposition heute ab.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache.

Die Kollegin Renate Blank von der CDU/CSU-Frak-tion hat eine Erklärung zur Abstimmung nach § 31 unse-rer Geschäftsordnung abgegeben. Diese nehmen wir zuProtokoll.1)

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat beantragt,über die beiden gleichlautenden und inhaltsgleichen An-träge der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/10782und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-sache 16/10918 in einer gemeinsamen namentlichen Ab-stimmung abzustimmen. – Ich höre dazu keinen Wider-spruch. Dann verfahren wir so.

Wir stimmen jetzt über die Anträge auf den Druck-sachen 16/10782 und 16/10918 mit dem Titel „Missbilli-gung der Amtsführung und Entlassung von Bundes-minister Wolfgang Tiefensee“ ab. Die Fraktionen derFDP und des Bündnisses 90/Die Grünen verlangen na-mentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnenund Schriftführer, die dafür vorgesehenen Plätze einzu-nehmen. – Sind alle Schriftführerinnen und Schriftführeran ihrem Platz? – Das ist der Fall. Ich eröffne die Ab-stimmung.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall.

Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh-rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-nen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wirdIhnen später bekannt gegeben.2)

Wir setzen die Beratungen fort. Ich rufe die Tagesord-nungspunkte 18 a bis 18 c auf:

1) Anlage 32) Ergebnis Seite 20028 C

a) – Beratung der Beschlussempfehlung und desBerichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus-schuss) zu dem Antrag der Bundesregierung

Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deut-scher Streitkräfte bei der Unterstützung dergemeinsamen Reaktion auf terroristischeAngriffe gegen die USA auf Grundlage desArtikels 51 der Satzung der Vereinten Natio-nen und des Artikels 5 des Nordatlantikver-trags sowie der Resolutionen 1368 (2001)und 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Ver-einten Nationen

– Drucksachen 16/10720, 16/10824 –

Berichterstattung:Abgeordnete Eckart von Klaeden Gert Weisskirchen (Wiesloch)Dr. Werner Hoyer Wolfgang Gehrcke Kerstin Müller (Köln)

– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus-schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung

– Drucksache 16/10915 –

Berichterstattung:Abgeordnete Herbert Frankenhauser Lothar Mark Jürgen Koppelin Roland Claus Omid Nouripour

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus-schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten PaulSchäfer (Köln), Dr. Gregor Gysi, OskarLafontaine und der Fraktion DIE LINKE

Keine deutsche Beteiligung an der OperationEnduring Freedom in Afghanistan

– Drucksachen 16/6098, 16/7908 –

Berichterstattung:Abgeordnete Bernd Schmidbauer Detlef Dzembritzki Dr. Werner Hoyer Monika Knoche Kerstin Müller (Köln)

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus-schuss) zu dem Antrag der AbgeordnetenWolfgang Gehrcke, Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und derFraktion DIE LINKE

Keine deutschen Soldaten für eine schnelleEingreiftruppe zur Verfügung stellen –Rechtswidrige Kriegshandlungen beenden

– Drucksachen 16/7890, 16/9710 –

Berichterstattung:Abgeordnete Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen)Markus Meckel

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20027

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Vizepräsidentin Petra Pau

Dr. Werner Hoyer Dr. Norman Paech Kerstin Müller (Köln)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir fortfah-ren können, muss ich Sie bitten, hier die notwendigeAufmerksamkeit an den Tag zu legen oder, wenn Siesich an der folgenden Debatte nicht beteiligen können,den Saal zu verlassen. – Liebe Kolleginnen und Kolle-gen auf der – von mir aus gesehen – rechten Seite, bitteschenken Sie den gleich folgenden Rednerinnen undRednern die notwendige Aufmerksamkeit.

Ich mache darauf aufmerksam, dass wir über die Be-schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zudem Antrag der Bundesregierung später namentlich ab-stimmen werden.

Zu dem Antrag der Bundesregierung liegen je einEntschließungsantrag der Fraktion der FDP und derFraktion Die Linke vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinenWiderspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeWalter Kolbow für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Walter Kolbow (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die SPD-Bundestagsfraktion wird dem vorliegendenAntrag der Bundesregierung auf Verlängerung der Ope-rationen Enduring Freedom und Active Endeavour mitgroßer Mehrheit zustimmen. Wir haben auch diesenAuslandseinsatz gründlich und verantwortungsbewusstberaten, auch außerhalb von Routine, und verbinden mitdieser Zustimmung selbstverständlich unseren Dank andie Soldatinnen und Soldaten, hier insbesondere der Ma-rine, die in den Operationsgebieten einen verantwor-tungsvollen, schweren, aber für uns wichtigen und er-folgreichen Dienst absolvieren.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Das deutsche OEF-Mandat wird nur noch den mariti-men Einsatz im Seeraum am Horn von Afrika umfassen,wobei „nur noch“ eine rhetorische, keine qualitative Ein-schränkung ist; denn die Aufgabe bleibt schwierig. Dasbedeutet, dass der mandatierte Einsatzraum den tatsäch-lichen Erfordernissen angepasst und im Ergebnis erheb-lich eingegrenzt wird. Das bedeutet weiter, dass dasdeutsche militärische Engagement in Afghanistan nun-mehr ausschließlich unter dem ISAF-Mandat stattfindet.Für meine Fraktion begrüße ich ausdrücklich, dass diesdie Bundesregierung so entschieden und so auch in denAntrag geschrieben hat.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Außenminister, wir danken Ihnen für diese Initia-tive und auch Ihnen, Herr Bundesverteidigungsminister,dafür, dass Sie in die Konzeption das aufgenommen ha-ben, was politisch wichtig und richtig für die Zukunft ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich denke, dass die Herausnahme der KSK-Kompo-nente auch im Sinne des Parlamentsbeteiligungsgesetzesist. Das Parlament will und kann ja in keiner Weise Vor-ratsbeschlüsse treffen. Wir Abgeordnete haben nicht nurdas Recht, sondern auch die Pflicht, die Umstände zukennen, unter denen bewaffnete Einsätze unserer Streit-kräfte stattfinden sollen.

Die Operationen Enduring Freedom und Active En-deavour haben weiterhin zum Ziel, Führungs- und Aus-bildungseinrichtungen von Terroristen auszuschalten,Terroristen zu bekämpfen, gefangen zu nehmen und vorGericht zu stellen sowie Dritte dauerhaft von der Unter-stützung terroristischer Aktivitäten abzuhalten.

Das inhaltlich veränderte Mandat, das wir bis Dezember2009 erteilen und dessen weitere Beratung dann aus-schließlich in den Händen des neuen Deutschen Bundesta-ges liegen wird, hat auch, wie wir wissen, Konsequenzenfür den Personalumfang. Die Reduzierung des Kontin-gents von 1 400 auf 800 Soldatinnen und Soldaten ist an-gesichts des Verzichts auf die Landkomponente mehr alsvertretbar. Es kann so auch von einer Unterteilung dermandatierten Personalobergrenze abgesehen werden.

Ich füge hinzu, liebe Kolleginnen und Kollegen, dassmit einer Personalobergrenze von 800 Soldatinnen undSoldaten Deutschland weiterhin in der Lage ist, das er-forderliche Fähigkeitsprofil für den Antiterroreinsatz amHorn von Afrika und im Mittelmeerraum abzubilden.Diese Obergrenze zeigt einerseits auf, wie viele Kräftenotwendig sind, um hinreichend flexibel sowie ange-passt an die Lage und den Auftrag operieren zu können.Sie demonstriert aber auch andererseits unseren Partnerndas bündnisgerechte militärische Engagement Deutsch-lands bei der Bekämpfung des internationalen Terroris-mus.

Ich denke, es ist wichtig, weil in diesem Zusammen-hang auch Rechtsfragen aufgeworfen werden, deutlichzu machen, dass durch den Einsatz von See-/Seeluft-streitkräften den Terroristen am Horn von Afrika der Zu-gang zu Rückzugs- und Aktionsräumen und die Nutzungpotenzieller Verbindungswege zu terroristischen Struk-turen auf der arabischen Halbinsel erschwert werden unddass gleichzeitig ein Beitrag zum Schutz dieser für denWelthandel strategisch so wichtigen Seepassage vor ter-roristischen Angriffen geleistet wird. Die gleiche Wir-kung erzielen die NATO-See-/Seeluftstreitkräfte im Mit-telmeer im Rahmen der Operation Active Endeavour.

Meine Damen und Herren, es wird teilweise kritischbetrachtet, ob Art. 51 der UN-Charta, der das Recht aufindividuelle und kollektive Selbstverteidigung ein-räumt, eine hinreichende Rechtsgrundlage für die Opera-tion Enduring Freedom darstellt. Es wird die Frage ge-stellt, ob dieses Recht noch sieben Jahre nach demauslösenden bewaffneten Angriff, der mit den Anschlä-gen in New York und Washington am 11. September2001 begonnen hat, anwendbar ist.

(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Ist nicht!)

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20028 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) (C)

(B) (D)

Walter Kolbow

Bereits im letzten Jahr haben wir hier intensive Diskus-sionen geführt. Die FDP-Bundestagsfraktion setzt sichin ihrem Entschließungsantrag auch kurz damit ausein-ander.

Es gilt festzuhalten, dass den Anschlägen vom11. September 2001 weitere Terroranschläge in allerWelt bis in die jüngste Zeit folgten. Durch eine intensiveZusammenarbeit unserer Sicherheitsbehörden konnteglücklicherweise eine Reihe von weiteren Anschlägenim Vorfeld verhindert werden. Die Gefahr des internatio-nalen Terrorismus und von terroristischen Anschlägenist von daher immer noch nicht gebannt. Der internatio-nale Terrorismus stellt leider nach wie vor eine andau-ernde Gefahr dar.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir teilen die herrschende Rechtsauffassung, dass derAngriff so lange als andauernd betrachtet werden muss,bis eine nachhaltige Zerschlagung der al-Qaida-Struktu-ren erreicht wurde, sodass eine Wiederholung der An-schläge vom 11. September 2001 nach Möglichkeit aus-geschlossen werden kann.

(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Abenteuerlich!)

Wichtige Voraussetzung hierfür ist weiterhin, dass deral-Qaida-Stützpunkte entzogen und Rückzugsgebieteverwehrt werden.

Schauen wir in den Jemen. Ich komme gerade aus Sy-rien zurück und habe den Platz gesehen, wo17 Menschen auf tragische Weise durch einen Spreng-stoffanschlag ihr Leben verloren haben, wo also auch einterroristisches Netzwerk tätig gewesen ist. Ich bin der

Auffassung, dass diese andauernde Gefahr präventiv unddurch Präsenz eingehegt werden muss, damit sie be-herrscht werden kann.

Das Selbstverteidigungsrecht war und ist bis heute dievölkerrechtliche Grundlage für diese Operation. DieseBeurteilung der Sach- und Rechtslage wird von der in-ternationalen Gemeinschaft geteilt; in den letzten Reso-lutionen des UN-Sicherheitsrats zur ISAF-Mission wirddie Operation Enduring Freedom ausdrücklich erwähnt.

Ich denke, dies rechtfertigt, den Deutschen Bundestagzu einer Zustimmung zu veranlassen, zur Zustimmungzur Fortsetzung des Mandates Operation Enduring Free-dom.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Petra Pau: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zurück

zu Tagesordnungspunkt 17 sowie Zusatzpunkt 7 und gebedas von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermit-telte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über dieAnträge der Fraktion der FDP und Bündnis 90/Die Grü-nen auf den Drucksachen 16/10782 und 16/10918 mitdem Titel „Missbilligung der Amtsführung und Entlas-sung von Bundesminister Wolfgang Tiefensee“ bekannt:An der Abstimmung haben 572 Kolleginnen und Kolle-gen teilgenommen. Mit Ja haben 156 gestimmt, mit Neinhaben 414 gestimmt, 2 Kolleginnen oder Kollegen habensich enthalten. Die Anträge sind damit abgelehnt.1)

1) Anlagen 3 und 4

Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 572;davon

ja: 156nein: 414enthalten: 2

Ja

SPD

Renate Gradistanac

FDP

Jens AckermannDr. Karl AddicksChristian AhrendtDaniel Bahr (Münster)Uwe BarthAngelika BrunkhorstErnst BurgbacherPatrick DöringMechthild DyckmansJörg van EssenUlrike FlachPaul K. Friedhoff

Horst Friedrich (Bayreuth)Dr. Edmund Peter GeisenDr. Wolfgang GerhardtHans-Michael GoldmannMiriam GrußJoachim Günther (Plauen)Dr. Christel Happach-KasanElke HoffBirgit HomburgerDr. Werner HoyerMichael KauchDr. Heinrich L. KolbHellmut KönigshausGudrun KoppJürgen KoppelinHeinz LanfermannHarald LeibrechtIna LenkeSabine Leutheusser-

SchnarrenbergerMichael Link (Heilbronn)Markus LöningDr. Erwin LotterHorst MeierhoferPatrick MeinhardtBurkhardt Müller-SönksenDirk Niebel

Hans-Joachim Otto (Frankfurt)

Detlef ParrCornelia PieperGisela PiltzFrank SchäfflerDr. Konrad SchilyMarina SchusterDr. Hermann Otto SolmsDr. Rainer StinnerCarl-Ludwig ThieleFlorian ToncarDr. Daniel VolkChristoph WaitzDr. Guido WesterwelleDr. Claudia WintersteinDr. Volker WissingHartfrid Wolff (Rems-Murr)

DIE LINKE

Hüseyin-Kenan AydinDr. Dietmar BartschKarin BinderDr. Lothar BiskyHeidrun BluhmEva Bulling-Schröter

Dr. Martina BungeRoland ClausSevim DağdelenDr. Diether DehmDr. Dagmar EnkelmannKlaus ErnstWolfgang GehrckeDiana GolzeDr. Gregor GysiLutz HeilmannHans-Kurt HillCornelia HirschInge HögerDr. Barbara HöllUlla JelpkeDr. Lukrezia JochimsenDr. Hakki KeskinKatja KippingMonika KnocheJan KorteKatrin KunertOskar LafontaineUlla LötzerDr. Gesine LötzschUlrich MaurerDorothée MenznerKornelia Möller

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20029

(A) (C)

(B) (D)

Vizepräsidentin Petra Pau

Kersten NaumannWolfgang NeškovićDr. Norman PaechPetra PauBodo RamelowElke ReinkePaul Schäfer (Köln)Volker Schneider

(Saarbrücken)Dr. Herbert SchuiDr. Petra SitteFrank SpiethDr. Kirsten TackmannDr. Axel TroostAlexander UlrichJörn Wunderlich

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kerstin AndreaeMarieluise Beck (Bremen)Volker Beck (Köln)Cornelia BehmBirgitt BenderAlexander BondeEkin DeligözDr. Thea DückertDr. Uschi EidHans Josef FellKai GehringKatrin Göring-EckardtBritta HaßelmannBettina HerlitziusWinfried HermannPeter HettlichPriska Hinz (Herborn)Ulrike HöfkenDr. Anton HofreiterBärbel HöhnThilo HoppeUte KoczySylvia Kotting-UhlFritz KuhnRenate KünastUndine Kurth (Quedlinburg)Markus KurthMonika LazarAnna LührmannNicole MaischJerzy MontagKerstin Müller (Köln)Winfried NachtweiOmid NouripourBrigitte PothmerClaudia Roth (Augsburg)Krista SagerManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergIrmingard Schewe-GerigkDr. Gerhard SchickGrietje StaffeltRainder SteenblockSilke Stokar von NeufornDr. Wolfgang Strengmann-

KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeJürgen Trittin

Wolfgang WielandJosef Philip Winkler

fraktionslose Abgeordnete

Henry NitzscheGert Winkelmeier

Nein

CDU/CSU

Ulrich AdamIlse AignerPeter AlbachPeter AltmaierDorothee BärThomas BareißNorbert BarthleDr. Wolf BauerGünter BaumannErnst-Reinhard Beck

(Reutlingen)Veronika BellmannDr. Christoph BergnerOtto BernhardtClemens BinningerRenate BlankPeter BleserAntje BlumenthalDr. Maria BöhmerJochen BorchertWolfgang Börnsen

(Bönstrup)Wolfgang BosbachKlaus BrähmigHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeMonika BrüningCajus CaesarGitta ConnemannLeo DautzenbergHubert DeittertAlexander DobrindtThomas DörflingerMarie-Luise DöttMaria EichhornDr. Stephan EiselAnke Eymer (Lübeck)Ilse FalkDr. Hans Georg FaustEnak FerlemannIngrid FischbachHartwig Fischer (Göttingen)Dirk Fischer (Hamburg)Axel E. Fischer (Karlsruhe-

Land)Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachHerbert FrankenhauserDr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)Erich G. FritzJochen-Konrad FrommeDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelDr. Jürgen GehbNorbert GeisEberhard Gienger

Michael GlosRalf GöbelPeter GötzDr. Wolfgang GötzerUte GranoldReinhard GrindelMichael Grosse-BrömerMarkus GrübelManfred GrundMonika GrüttersDr. Karl-Theodor Freiherr zu

GuttenbergOlav GuttingHolger HaibachGerda HasselfeldtUrsula HeinenUda Carmen Freia HellerMichael HennrichBernd HeynemannErnst HinskenChristian HirteRobert HochbaumKlaus HofbauerFranz-Josef HolzenkampJoachim HörsterAnette HübingerHubert HüppeSusanne Jaffke-WittDr. Peter JahrDr. Hans-Heinrich JordanAndreas Jung (Konstanz)Dr. Franz Josef JungBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KampeterAlois KarlBernhard KasterSiegfried Kauder (Villingen-

Schwenningen)Volker KauderEckart von KlaedenJürgen KlimkeJulia KlöcknerJens KoeppenKristina Köhler (Wiesbaden)Manfred KolbeNorbert KönigshofenDr. Rolf KoschorrekHartmut KoschykThomas KossendeyMichael KretschmerDr. Günter KringsDr. Martina KrogmannDr. Hermann KuesDr. Karl Lamers (Heidelberg)Andreas G. LämmelDr. Norbert LammertHelmut LampKatharina LandgrafDr. Max LehmerPaul LehriederIngbert LiebingEduard LintnerPatricia LipsDr. Michael LutherThomas MahlbergStephan Mayer (Altötting)Wolfgang Meckelburg

Dr. Michael MeisterDr. Angela MerkelLaurenz Meyer (Hamm)Maria MichalkDr. h. c. Hans MichelbachPhilipp MißfelderDr. Eva MöllringMarlene MortlerStefan Müller (Erlangen)Dr. Gerd MüllerBernd Neumann (Bremen)Michaela NollDr. Georg NüßleinFranz ObermeierEduard OswaldHenning OtteRita PawelskiUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferBeatrix PhilippRonald PofallaRuprecht PolenzDaniela RaabThomas RachelDr. Peter RamsauerPeter RauenEckhardt RehbergKatherina Reiche (Potsdam)Klaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberFranz RomerJohannes RöringKurt J. RossmanithDr. Norbert RöttgenDr. Christian RuckAlbert Rupprecht (Weiden)Peter RzepkaAnita Schäfer (Saalstadt)Hermann-Josef ScharfDr. Wolfgang SchäubleHartmut SchauerteDr. Annette SchavanDr. Andreas ScheuerKarl SchiewerlingNorbert SchindlerGeorg SchirmbeckBernd SchmidbauerChristian Schmidt (Fürth)Andreas Schmidt (Mülheim)Ingo Schmitt (Berlin)Dr. Andreas SchockenhoffDr. Ole SchröderBernhard Schulte-DrüggelteUwe SchummerWilhelm Josef SebastianKurt SegnerMarion SeibBernd SiebertThomas SilberhornJens SpahnErika SteinbachChristian Freiherr von StettenGero StorjohannAndreas StormMax StraubingerMatthäus StreblThomas Strobl (Heilbronn)

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20030 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) (C)

(B) (D)

Vizepräsidentin Petra Pau

Lena StrothmannMichael StübgenHans Peter ThulAntje TillmannDr. Hans-Peter UhlArnold VaatzVolkmar Uwe VogelAndrea Astrid VoßhoffGerhard WächterMarco WanderwitzKai WegnerMarcus WeinbergPeter Weiß (Emmendingen)Gerald Weiß (Groß-Gerau)Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannAnette Widmann-MauzKlaus-Peter WillschWilly Wimmer (Neuss)Elisabeth Winkelmeier-

BeckerDagmar WöhrlWolfgang ZöllerWilli Zylajew

SPD

Dr. Lale AkgünGregor AmannGerd AndresNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldErnst Bahr (Neuruppin)Doris BarnettDr. Hans-Peter BartelsKlaus BarthelSören BartolSabine BätzingDirk BeckerUwe BeckmeyerKlaus Uwe BenneterDr. Axel BergUte BergPetra BierwirthLothar Binding (Heidelberg)Volker BlumentrittKurt BodewigClemens BollenGerd BollmannDr. Gerhard BotzKlaus BrandnerWilli BraseBernhard Brinkmann

(Hildesheim)Edelgard BulmahnMarco BülowUlla BurchardtMartin BurkertDr. Michael BürschChristian CarstensenMarion Caspers-MerkDr. Peter Danckert

Dr. Herta Däubler-GmelinKarl DillerMartin DörmannDr. Carl-Christian DresselElvira Drobinski-WeißGarrelt DuinDetlef DzembritzkiSebastian EdathySiegmund EhrmannHans EichelPetra ErnstbergerElke FernerGabriele FograscherRainer FornahlGabriele FrechenDagmar FreitagPeter FriedrichSigmar GabrielIris GleickeGünter GloserAngelika Graf (Rosenheim)Dieter GrasedieckMonika GriefahnKerstin GrieseGabriele GronebergAchim GroßmannWolfgang GrotthausWolfgang GunkelHans-Joachim HackerBettina HagedornKlaus HagemannAlfred HartenbachMichael Hartmann

(Wackernheim)Hubertus HeilDr. Reinhold HemkerRolf HempelmannDr. Barbara HendricksGustav HerzogPetra HeßGabriele Hiller-OhmStephan HilsbergPetra Hinz (Essen)Gerd HöferIris Hoffmann (Wismar)Frank Hofmann (Volkach)Eike HovermannKlaas HübnerChristel HummeBrunhilde IrberJohannes Jung (Karlsruhe)Josip JuratovicJohannes KahrsUlrich KasparickDr. h. c. Susanne KastnerUlrich KelberChristian KleimingerHans-Ulrich KloseAstrid KlugDr. Bärbel KoflerWalter KolbowFritz Rudolf Körper

Karin KortmannRolf KramerAnette KrammeErnst KranzVolker KröningAngelika Krüger-LeißnerDr. Hans-Ulrich KrügerHelga Kühn-MengelUte KumpfDr. Uwe KüsterChristine LambrechtChristian Lange (Backnang)Waltraud LehnHelga LopezGabriele Lösekrug-MöllerDirk ManzewskiLothar MarkCaren MarksKatja MastHilde MattheisMarkus MeckelPetra Merkel (Berlin)Ulrike MertenDr. Matthias MierschUrsula MoggMarko MühlsteinDetlef Müller (Chemnitz)Michael Müller (Düsseldorf)Franz MünteferingDr. Rolf MützenichAndrea NahlesThomas OppermannHolger OrtelHeinz PaulaJohannes PflugJoachim PoßChristoph PriesDr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeMechthild RawertMaik ReichelGerold ReichenbachDr. Carola ReimannChristel Riemann-

HanewinckelSönke RixRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannKarin Roth (Esslingen)Michael Roth (Heringen)Ortwin RundeMarlene Rupprecht

(Tuchenbach)Anton SchaafAxel Schäfer (Bochum)Bernd ScheelenDr. Hermann ScheerMarianne SchiederUlla Schmidt (Aachen)Silvia Schmidt (Eisleben)Dr. Frank Schmidt

Heinz Schmitt (Landau)Carsten Schneider (Erfurt)Ottmar SchreinerReinhard Schultz

(Everswinkel)Swen Schulz (Spandau)Ewald SchurerDr. Angelica Schwall-DürenDr. Martin SchwanholzRolf SchwanitzRita Schwarzelühr-SutterWolfgang SpanierDr. Margrit SpielmannJörg-Otto SpillerDr. Ditmar StaffeltDieter SteineckeAndreas SteppuhnLudwig StieglerRolf StöckelChristoph SträsserDr. Peter StruckJoachim StünkerDr. Rainer TabillionJörg TaussJella TeuchnerDr. h. c. Wolfgang ThierseJörn ThießenFranz ThönnesRüdiger VeitSimone ViolkaJörg VogelsängerDr. Marlies VolkmerHedi WegenerAndreas WeigelPetra WeisGunter WeißgerberGert Weisskirchen

(Wiesloch)Dr. Rainer WendLydia WestrichDr. Margrit WetzelAndrea WickleinHeidemarie Wieczorek-ZeulDr. Dieter WiefelspützEngelbert WistubaWaltraud Wolff

(Wolmirstedt)Heidi WrightUta ZapfManfred ZöllmerBrigitte Zypries

Enthalten

CDU/CSU

Carsten Müller (Braunschweig)

FDP

Heinz-Peter Haustein

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20031

(A) (C)

(B) (D)

Vizepräsidentin Petra Pau

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir kehren nun zurück zu Tagesordnungspunkt 18.Das Wort hat der Kollege Dr. Werner Hoyer für dieFDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Dr. Werner Hoyer (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die FDP-Bundestagsfraktion wird dem Antrag der Bun-desregierung zustimmen. Meine Kollegin BirgitHomburger und mein Kollege Rainer Stinner haben diesin der vergangenen Woche ausführlich begründet. Ichwill das jetzt nicht wiederholen, sondern mich auf einigewenige Punkte konzentrieren.

Sie haben auch unsere Bedenken vorgetragen; HerrKollege Kolbow ist darauf eingegangen. Auch wir sindder Auffassung, dass die völkerrechtlichen und verfas-sungsrechtlichen Grundlagen ausreichend sind; aberman wird sie nicht unendlich dehnen können. Man kannsich nicht ewig auf einen Ausnahmetatbestand berufen.Deshalb wird man an dieser Baustelle weiterarbeitenmüssen. Ein Ausnahmetatbestand ist es nämlich, wennwir uns auf Art. 51 der Charta der Vereinten Nationenberufen. Es würde auch keinen Sinn machen, eine Über-dehnung vorzunehmen, weil man damit das kollektiveSelbstverteidigungsrecht im Sinne der Charta der Ver-einten Nationen auf Dauer entwerten würde.

Wir sehen zudem die Schwierigkeit, dass es bislangnicht gelungen ist, international eine verbindliche Defi-nition des Begriffs Terrorismus herbeizuführen. Das öff-net dem Missbrauch Tür und Tor. Es ist ein ziemlich un-erträglicher Zustand, dass sich jedes Regime dieser Weltauf das Argument der Terrorismusbekämpfung stützenkann, nur um damit schlicht und ergreifend Rechtsver-stöße kaschieren zu wollen.

(Beifall bei der FDP)

Mein Kollege Stinner hat in der vergangenen Wocheausführlich dargestellt, dass wir Abgrenzungsproblemehaben. Das betrifft insbesondere die bizarre Debatte überdie Rechtsgrundlagen der Pirateriebekämpfung. Wirmüssen aufpassen, dass wir uns als Deutsche nicht vorder Welt bis auf die Knochen blamieren, zum Beispieldann, wenn wir nicht handlungsfähig sind, wenn es da-rum geht, Lebensmitteltransporte der Vereinten Natio-nen in Länder der größten Not von uns aus nicht gegenPiraten schützen zu können.

Wir stimmen übrigens auch deshalb zu, weil wir indieser Zeit nicht ein falsches Signal aussenden wollen undweil dieses OEF-Mandat auch ein Übergangsmandat ist.Wir sind davon überzeugt, dass der Amtswechsel imWeißen Haus die Chance einer Bestandsaufnahme undeiner kritischen Revision unserer gemeinsamen Anstren-gungen im Kampf gegen den internationalen Terrorismusund beim Aufbau Afghanistans bringen wird. DieseChance sollten wir entschlossen ergreifen.

Wir sollten nicht kleinmütig die Debatte darauf redu-zieren, welche Erwartungen die amerikanischen Freunde

im Hinblick auf die Bereitstellung von Bundeswehrsol-daten haben. Der Bundesverteidigungsminister beant-wortet nach meiner Auffassung ständig Fragen, die kei-ner stellt – zumindest jetzt nicht und nicht so simpel.

Ich fürchte, die Bundesregierung ist nicht wirklichvorbereitet auf die großen Veränderungen, die sich inAmerika und von Amerika ausgehend jetzt vollziehenwerden. Die Zeitenwende, die wir in Amerika beobach-ten, und die Paradigmenwechsel, die sich daraus für dieamerikanische Außenpolitik und damit für die Weltpoli-tik abzeichnen, sind in vielen Köpfen in Berlin nochnicht angekommen. Diese werden in ministerialer Rou-tine sträflich unterschätzt.

Für die Regierung Obama wird der Kampf gegen deninternationalen Terrorismus und der Aufbau Afghanis-tans natürlich eine ganz große Bedeutung haben – übri-gens auch für uns. Aber klug, wie Senator Obama, Sena-tor Biden und ihre exzellenten Berater nun einmal sind,werden sie sehr sorgfältig analysieren, bevor sie neu jus-tieren. Sie werden verhindern wollen, dass nach dem – fürdie USA übrigens auch ökonomischen – Desaster durchden Irakkrieg in Afghanistan eine ähnliche Mission Im-possible definiert wird, die sie von ihrer Hauptaufgabe,die sie mit ihrer neuen Administration werden bewältigenmüssen, ablenkt und die sie politisch wie ökonomischüberlastet. Amerika muss nämlich in den nächsten Jahrenund Jahrzehnten gigantische Herausforderungen im In-nern meistern.

Sie werden Afghanistan einordnen in den Gesamt-kontext ihrer Neudefinition amerikanischer Außenpoli-tik. Deshalb besteht für Deutschland und Europa jetztdie einmalige Chance, gemeinsam mit unserem amerika-nischen Partner die Ziele präzise zu definieren, die wirbei der Terrorismusbekämpfung und konkret beim Auf-bau Afghanistans haben. Daraus sind gegebenenfallsveränderte Zielerreichungsstrategien abzuleiten. Es istnach meiner Einschätzung ein gutes Zeichen, dass Ame-rika wegkommt von der Definition unrealistischer Ziele.

(Beifall bei der FDP)

Es ist zu begrüßen, dass sich die amerikanische Re-gierung keine Kontaktsperre auferlegen will, wenn ausdem Kreise der Taliban versöhnungsbereite Persönlich-keiten zum Dialog bereit sein sollten. Wir sollten sehrbegrüßen, dass die USA offenbar in den Dialog mit denNachbarn Afghanistans eintreten wollen; denn wir wer-den dieses Problem nur mithilfe regionaler Zusammen-arbeit in den Griff bekommen. Die Chance, China undRussland, Indien und Pakistan und nicht zuletzt den Iranin eine Problemlösung einzubeziehen, dürfte für die Re-gierung Obama größer sein als für die Regierungen da-vor. Das ist sehr ermutigend.

In der NATO haben wir das präzise Setzen von Zielenund das Erarbeiten von Zielerreichungsstrategien sträf-lich vernachlässigt. Es wird zwar wie zuletzt auf derATA-Tagung diese Woche in Berlin gebetsmühlenhaftwiederholt, dass wir diese Ziele nicht allein militärischerreichen können. Aber wenn es dann um die Verzah-nung der militärischen und der nichtmilitärischen An-strengungen in der NATO geht, kommt nichts. Der

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20032 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) (C)

(B) (D)

Dr. Werner Hoyer

NATO-Generalsekretär wiederum wird nicht müde, zubetonen, dass die NATO keine Entwicklungsagentur ist.Das behauptet auch keiner. Aber die Koordination unse-rer militärischen und nichtmilitärischen Bemühungen istüberfällig.

Amerika besinnt sich auf seine besten Tugenden. Esknüpft bewusst an die Traditionen und Werte an, die unsmit Amerika verbunden haben und die für uns inDeutschland nach der Nazibarbarei den Leuchtturm derFreiheit, nämlich Amerika, so attraktiv gemacht haben:Rechtsstaat, Toleranz, Demokratie und Würde des Men-schen, Rückbesinnung auf die Aufklärung, Versöhnungvon Glauben und Vernunft, Respekt vor den Ergebnissender naturwissenschaftlichen Forschung. Das sind dochgenau die Kernelemente, die das zusammenhalten, waswir gemeinhin den Westen nennen – nicht eine geografi-sche Definition, sondern ein geistiges Fundament.

Die Terrorangriffe vom 11. September, die zu OEFgeführt haben, waren doch Angriffe auf dieses Funda-ment, auf diese freiheitliche westliche Lebensform. Be-klagenswerterweise haben die Glaubwürdigkeit und dieAttraktivität dieses Wertefundamentes in der Folge des11. September schwer gelitten. Man denke an die Bildervon Abu Ghureib und Guantánamo Bay, die heute dasImage Amerikas in der Welt vielleicht mehr prägen alsdie Freiheitsstatue.

Die neue amerikanische Regierung will offensichtlichdie Glaubwürdigkeit und Attraktivität der Fundamentedes Westens wiederherstellen. Daran müssen sich diekritische Bestandsaufnahme und die kritische Revisionunserer Anstrengungen im Zusammenhang mit Afgha-nistan und der Bekämpfung des Terrorismus messen las-sen. Präsident Obama wird – da bin ich ganz sicher –seine Hand ausstrecken. Wir sollten sie beherzt ergrei-fen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege

Eckart von Klaeden das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle-

gen! Kollege Werner Hoyer hat die Debatte um die Ver-längerung des OEF-Mandates genutzt, grundlegend zuden Fragen der transatlantischen Beziehungen Stellungzu nehmen. Ich möchte an das anknüpfen, was KollegeKolbow ausgeführt hat, an Fragen des Mandates, willaber schon jetzt auf meine Rede in der Haushaltsdebatteverweisen,

(Walter Kolbow [SPD]: Sehr gut!)

in der ich die Aspekte aufgreifen werde, die Sie, HerrKollege Hoyer, hier angesprochen haben.

(Zuruf: Ist das eine Drohung?)

– Ob Sie das als Drohung empfinden oder nicht, bleibtIhnen überlassen. Ich hoffe jedenfalls, dass es Sie unter-halten wird.

Ich möchte zunächst die Gelegenheit nutzen, noch et-was zur Rechtsfrage zu sagen, weil ja die Rechtsgrund-lage der Operation Enduring Freedom immer wieder di-rekt oder indirekt infrage gestellt wird und weil nachmeinem Eindruck bei manchem die Vorstellung vor-herrscht, dass die Legitimation aus der Charta der Ver-einten Nationen dann am höchsten ist, wenn es eine Re-solution des Sicherheitsrates gibt. Diese Rechtsansichtist falsch; denn die höchste Legitimation ergibt sich un-mittelbar aus der UN-Charta, nämlich aus Art. 51, indem es um das Recht auf Selbstverteidigung geht. Dassdieses Recht zur kollektiven Selbstverteidigung im Hin-blick auf OEF auch vom Sicherheitsrat anerkannt wird,ist in verschiedenen Resolutionen deutlich geworden.Dies sind zum einen aus dem Jahr 2001 die Resolution1368 vom 12. September und die Resolution 1373. Zumanderen hat der UN-Sicherheitsrat selbst in diesem Jahrnoch einmal ausdrücklich auf das kollektive Recht zurSelbstverteidigung im Rahmen der Operation EnduringFreedom hingewiesen, nämlich in der Resolution 1833.

Es ist eine paradoxe Situation: Die Arbeit unserer Si-cherheitsorgane hat dazu geführt – man muss hinzufü-gen, dass uns auch das Glück hold gewesen ist –, dasswir in Deutschland erfreulicherweise keine großen Ter-roranschläge haben erleiden müssen. Das führt bei demeinen oder anderen dazu, dass er glaubt, die Gefahrdurch den internationalen Terrorismus sei für uns nichtmehr gegenwärtig. Das wiederum führt zu dem Trug-schluss der Infragestellung der völkerrechtlichen Grund-lagen.

Aber wenn man sich einmal die Zahlen allein diesesund des letzten Jahres vergegenwärtigt, dann muss manbedauerlicherweise feststellen, dass die Gefahr des inter-nationalen Terrorismus nichts von ihrer Intensität verlo-ren hat. Die Zahl der weltweiten Terroranschläge blieb2007 mit 15 000 auf dem Niveau des Vorjahres 2006.Die Zahl der Todesopfer stieg noch einmal um 10 Pro-zent an. Wenn man Entführte und Verwundete hinzu-zählt, dann hat es allein im Jahr 2007 70 000 Opferdurch den internationalen Terrorismus gegeben.

Es ist uns nach den Anschlägen in Schottland im Juni2007 erfreulicherweise gelungen, die Zahl der An-schläge in Europa zu vermindern. Es ist auch gelungen,dass Afghanistan heute keine Brutstätte und kein Rück-zugsraum mehr für den internationalen Terrorismus ist.Aber wir wissen, dass sich die Gefahr verlagert hat unddass heute insbesondere die FATAs, die Grenzregionzwischen Pakistan und Afghanistan, dieser Rückzugs-raum und diese Brutstätte sind.

Wenn wir heute über die Region des Mittelmeers unddes Horns von Afrika sprechen, so wenden wir uns eineranderen Weltregion zu, die nicht in der gleichen Intensi-tät – aber fast genauso – ein solcher Rückzugsraum fürden internationalen Terrorismus ist, nämlich dem Opera-tionsgebiet der Operation Enduring Freedom. Aufgabeder Bundeswehr, der Marine, ist es, dort mit unserenPartnern den Terrorismus und seine Verbindungslinien,

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20033

(A) (C)

(B) (D)

Eckart von Klaeden

seine Kommunikations- und Nachschubwege an derQuelle zu bekämpfen. An dieser Operation beteiligensich nicht nur westliche Länder; dazu gehören vielmehrauch Schiffe aus Australien und sogar aus Pakistan. Werunterstellt, das sei eine Operation des Westens gegen denMittleren Osten oder gar eine Operation der westlichengegen die islamische Welt, der ist schief gewickelt.

Nahezu alle Staaten dieser Region haben ein großesTerrorproblem. Laut der Datenbank des amerikanischenNational Counterterrorism Center gab es 2007 in diesenLändern nicht weniger als 512 terroristische Angriffe,bei denen 1 369 Menschen getötet, 1 897 verwundet und151 entführt wurden. Zentrum des Terrorismus in dieserRegion ist Somalia, ein Land, das de facto aufgehört hat,als Staat zu existieren, und seit langem das ist, was maneinen Failed State nennt.

Es ist richtig, dass wir gemeinsam mit unseren Part-nern in der Region alles tun müssen, um die Lebenssitua-tion der Somalierinnen und Somalier zu verbessern, ins-besondere durch den Aufbau staatlicher Strukturen. Daswird aber nicht gelingen, wenn man den Terror in derRegion nicht bekämpft und nicht versucht, ihn einzu-dämmen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Von den genannten 512 Terroranschlägen in der Re-gion wurden 413 in Somalia und 45 im Nachbarland Ke-nia verübt, das seit dem Anschlag von al-Qaida auf dieamerikanische Botschaft in Nairobi im August 1998 nurselten mit Terrorismus in Verbindung gebracht wordenist. Vor zwei Wochen drohte der Führer der somalischenAl-Shabaab-Bewegung Kenia mit einem Dschihad, fallsdas Land nicht damit aufhöre, die Streitkräfte der soma-lischen Übergangsregierung auszubilden. Das ist alsoeine ähnliche Konfliktlage wie die, die wir in Afghanis-tan beobachten können, wo radikale Taliban versuchen,den Aufbau staatlicher Strukturen in Afghanistan zu ver-hindern. Ähnliche Drohungen wurden gegen Ugandaund gegen westliche Einrichtungen in der Region ausge-sprochen. Kenia und Uganda leisten einen konstruktivenBeitrag in dem mühseligen Prozess, die Lage in Somaliazu stabilisieren.

Wenn wir in den Sudan schauen – wir haben unter an-deren Vorzeichen häufig über die Lage in diesem Landgesprochen –, müssen wir feststellen, dass dort allein2007 68 Terroranschläge verübt worden sind.

Die Anrainerstaaten des Einsatzes der Marine, Äthio-pien, Eritrea, Jemen und Saudi-Arabien, sind ebenfallsOpfer terroristischer Anschläge. Insbesondere das See-gebiet zwischen dem Jemen und Somalia ist von größterBedeutung für die Unterbindung der Kommunikationzwischen den auf der arabischen Halbinsel und den aufdem afrikanischen Kontinent operierenden Terroristen.

Allein ein Blick auf die Karte – das ist mein letzterSatz, Frau Präsidentin – und die Gefahren, die unter an-derem in Algerien entstehen und auch uns drohen kön-nen, zeigen, dass die Gefahr des internationalen Terroris-mus nach wie vor gegenwärtig ist und es nicht nurunsere Aufgabe, sondern auch unsere Pflicht ist, ihn zur

Sicherheit unserer eigenen Bürger an der Wurzel zu be-kämpfen. Dazu leistet die Operation Enduring Freedomeinen unverzichtbaren Beitrag.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächste Rednerin ist die Kollegin Monika Knoche für

die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Monika Knoche (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und

Damen! Die USA haben einen neuen Präsidenten.Barack Obama steht für eine große Hoffnung. Endlichhaben die Vereinigten Staaten die Chance, einen Wegaus dem Bush-Desaster zu finden. Vor allem den Afro-amerikanern und den Hispanos ist dafür zu danken, dasssie das demokratische System genutzt haben, umDummheit, Dreistigkeit und Demokratievergessenheit indie Vergangenheit zu schicken. Wir gratulieren demamerikanischen Volk.

Obama verspricht, das dunkelste Kapitel republikani-scher Rechtsbeugung zu beenden; denn er verspricht,das Gefangenenlager Guantánamo aufzulösen. Hatte dieBundesregierung bislang gegenüber Bush nicht den Mut,dieses Krebsgeschwür des weltweiten Antiterrorkampfeszu skandalisieren, muss Obama wenigstens jetzt bei sei-nem Weg zurück zu rechtsstaatlichen Standards unter-stützt werden. Deshalb sagen wir Linke: Deutschlandmuss bereit sein, Häftlinge aufzunehmen. Aus China, Li-byen, Russland, Tunesien und Usbekistan kommen dieGefangenen. In 15 bis 20 Ländern wird nach RumsfeldsBefehl Jagd auf und die Tötung von vermeintlichen Ter-roristen betrieben. Damit muss jetzt Schluss sein.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Es liegt im deutschen Interesse, den Antiterrorkampf inall seinen rechtswidrigen Ausmaßen zu beenden. Des-halb fordern wir die Aufnahme von US-Gefangenen.

Doch, meine Herren und Damen, ohne die völker-rechtswidrige OEF-Mission – Herr von Klaeden, Siewissen, dass wir Ihre völkerrechtliche Interpretation danicht teilen; wir gehen von einer völkerrechtswidrigenOEF-Mission aus – wären diese Übergriffe, von denenich sprach, so gar nicht geschehen. Wer zu OEF Ja ge-sagt hat, nahm Menschenrechtsverletzungen billigend inKauf. Wer weiter Ja zu OEF sagt, nimmt weiterhin inKauf, dass das Völkerrecht gebrochen wird.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Die OEF hat nämlich nie ein Mandat der Vereinten Na-tionen bekommen.

Im Namen von OEF werden in Afghanistan und inPakistan Dörfer bombardiert. Mit Drohnen aus demISAF-Gebiet werden Frauen und Kinder getötet. Dieser

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20034 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

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Monika Knoche

Krieg ist schmutzig, und dieser Krieg ist gescheitert. Pa-kistans Premier nennt ihn kontraproduktiv. PräsidentKarzai sagt – ich zitiere –, er stärke Antiamerikanismusund führe dazu, dass einheimische Stammesmilizen mitTaliban und al-Qaida kollaborieren. Darüber hinaus gibtes keine staatliche Souveränität in Afghanistan. Wer alsoStaats- und Zivilaufbau stärken will, muss diesen Anti-terrorkampf beenden.

Die Ausweitung von OEF auf Pakistan unterminiertdie Grundlagen für einen Dialog mit der dortigen Regie-rung. Herr Außenminister Steinmeier will einen Dialogführen. Wenn er Erfolg haben will, muss er sich gegenOEF aussprechen. Ein Verbleib Deutschlands in derOEF macht seine diplomatische Mission politisch un-glaubwürdig.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Natürlich weiß ich, dass die USA nicht wollen, dassdas deutsche KSK an diesem Teil des Krieges teilhat. Siewollen das lieber selber erledigen. Der deutschen Bevöl-kerung aber zu sagen – die Bundesregierung tut dies –,dass man das KSK aus der OEF abziehe, macht dieseRegierung weder zu Friedensstiftern noch entlässt es sieaus der politischen Verantwortung für OEF. Darüber hi-naus weiß mittlerweile alle Welt, dass erstens das KSKund die Quick Reaction Force längst in Afghanistan mitKampfauftrag im Einsatz sind und dass zweitens die ge-samte maritime Seite der OEF weitergeführt wird.

Wir Linke sagen auch zum maritimen Antiterror-kampf entschieden Nein, nicht nur weil derzeit versuchtwird, die Pirateriebekämpfung mit dem Antiterrorkampfzu verbinden, sondern auch weil im Rahmen der ent-grenzten Selbstmandatierung, also im Zuge einer militä-rischen Selbstermächtigung, schon heute de facto die Si-cherung von Handelswegen für Öl und Gas betriebenwird. Das Horn von Afrika und die Straße von Hormussind die Lebensadern dieser begehrten fossilen Ressour-cen. Hier wird bereits Militär für die Energiesicherungeingesetzt. Dies hat keine zeitliche Begrenzung. MitSelbstverteidigung hat das nichts mehr zu tun. Auch daslehnen wir ab.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Wir Linke kennen die politischen Koordinaten. Es istzweifellos richtig, dass sich Deutschland mit einem ge-nerellen Ausstieg aus OEF in eine Konfliktstellung zumtransatlantischen Bündnis und den USA begeben würde.Zurück zum Völkerrecht ist denn auch eine außenpoliti-sche Orientierung, die wir positiv mit Barack Obamaverbinden. Das würde auch ihm neue Wege für eine Poli-tik des Dialogs und der Kooperation statt der Konfronta-tion öffnen. Es würde deutlich dokumentieren, dass ereine Zäsur zur miserabelsten Politik will, die die Falkenin den USA jemals gemacht haben.

Die Bilanz von sieben Jahren Krieg gegen Terror istvernichtend. Der Anschlag auf das World Trade Centeram 11. September 2001 war ausschlaggebend für die mi-litärische Operation. Heute kann er nicht mehr für eineBegründung der Selbstverteidigung nach Art. 51 der

UN-Charta herangezogen werden. Man kann auch sa-gen: Spätestens seit der Regierungsübernahme durchKarzai ist er hinfällig geworden. Überzeugen Sie, meineDamen und Herren von der Regierung, den zukünftigenPräsidenten Obama davon, dass die transatlantischenBeziehungen gedeihen, wenn der Krieg gegen Terror be-endet wird.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Müller für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Auch wenn die Debatte scheinbar routinemäßig abläuft:Wenn man sich die heutige Debatte und auch die Debat-ten der letzten Male genau anschaut, dann muss manfeststellen, dass es im Gegensatz zu ISAF, dem Unter-stützungsmandat in Afghanistan, für OEF eigentlichkaum noch eine Akzeptanz im Deutschen Bundestaggibt. Zumindest kann festgestellt werden, dass diese Ak-zeptanz ziemlich bröckelt.

Herr Kolbow, Ihre Argumentation hier und heute war,dass OEF im Grunde genommen eine Ermächtigungs-grundlage ist – auf ewig und überall in der Welt.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das hat erdoch gar nicht gesagt! – Jürgen Trittin[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], zur CDU/CSU gewandt: Doch, das hat er gesagt! – Ge-genruf des Abg. Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wo Staaten von Terror betroffen sind!)

– Sie haben sogar von Uganda, Eritrea und Somalia ge-sprochen. Sie meinen doch nicht wirklich, dass OEF eineErmächtigungsgrundlage ist, auf ewig in all diesen Staa-ten einzugreifen. Genau das ist das Problem von OEF. –

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das, Herr Kolbow, wird die Akzeptanz hier im Deut-schen Bundestag nicht stärken.

Herr Hoyer hat hier für seine Fraktion und auch imAusschuss sehr deutlich die Kritikpunkte vorgetragen.Ich habe Sie so verstanden, dass auch Sie eine sehr kon-troverse Debatte darüber hatten. Sie haben angekündigt,dass es auch wegen dieser schwierigen Grundlage mög-licherweise das letzte Mal ist, dass die FDP zustimmt.Die Linke und wir werden nicht zustimmen.

Bei der SPD muss man ehrlich sagen: Wenn es demAußenminister nicht gelungen wäre, den Abzug der so-zusagen fiktiven KSK-Soldaten und die Reduzierung derMarineeinheiten am Horn von Afrika durchzusetzen,dann hätten Sie hier kaum noch eine Zustimmung. Sogarin der CDU gibt es Enthaltungen und Neinstimmen.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Die hat es immer gegeben!)

Das muss man hier einmal ganz klar feststellen.

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Kerstin Müller (Köln)

Deshalb meine ich: Dieser Einsatz ist im Grunde ge-nommen heute nur noch reine Symbolpolitik. Er ist einverbliebener Solidaritätsbeweis gegenüber den USA.Aber – das will ich hier sehr deutlich erklären, HerrNachtwei hat dies das letzte Mal gesagt – Soldaten ausreiner Symbolpolitik in einen höchst fragwürdigen Ein-satz zu schicken, ist unverantwortlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der LINKEN und desAbg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Vor dem Hintergrund der US-Wahlen wird das Ganzevollends absurd. Wenn irgendetwas für den gescheitertenAntiterrorkrieg – die Bush-Regierung hat ja von Krieggesprochen – steht, dann ist das neben dem Irakkrieg derOEF-Einsatz. Wir können nicht einfach business asusual machen und das OEF-Mandat verlängern. Wenn esstimmt, dass die Wahl von Obama auch außenpolitischeine Zäsur ist, dann muss es jetzt darum gehen, diesenWechsel in den USA hin zu Obama für einen Neuanfangin der internationalen Politik und – so möchte ich es so-gar sagen – für eine Neubegründung des transatlanti-schen Verhältnisses zu nutzen.

Jetzt ist auch der Zeitpunkt, ganz ehrlich und ganz of-fen gerade vor dem Hintergrund der Ankündigungen, dieObama und seine Administration gemacht haben, ge-meinsam darüber zu sprechen, wie denn eine Erfolgs-strategie in Afghanistan und eine Erfolgsstrategie imKampf gegen den internationalen Terrorismus künftigaussehen muss. Dafür ist heute der Zeitpunkt gekom-men.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zur Bemerkung von Herrn Hoyer, dass in den Medienschon jetzt Fragen beantwortet werden, die noch garnicht gestellt wurden, will ich sagen: Erst einmal solltenwir genau hinschauen, was von der künftigen Adminis-tration bzw. von den außenpolitischen Beratern Obamasbisher geschrieben und gesagt wurde. Er selbst hat ge-sagt: Es ist die Zeit für eine neue Ära der internationalenKooperation. Es ist die Zeit für Amerika und Europa, un-sere gemeinsamen Vereinbarungen zu erneuern, um denHerausforderungen des 21. Jahrhunderts gemeinsam zubegegnen.

Das heißt, er will internationale Kooperation. Er willgemeinsam beraten und entscheiden. An erster Stellesteht für ihn – das betont er immer wieder –: gemeinsammit Europa, mit der Europäischen Union. Das ist ein gro-ßer Unterschied zur Politik der Alleingänge der ÄraBush. Ich meine, genau dies ist der Ansatzpunkt, um dastransatlantische Verhältnis neu zu begründen. Hier müs-sen wir uns aktiv einbringen und diese Chance nutzen.Wir dürfen nicht wie ein Kaninchen vor der Schlangestehen und erst einmal abwarten, welche Forderungendie Amerikaner an uns richten. Vielmehr müssen wirjetzt mit der neuen amerikanischen Administration einestrategische Debatte darüber führen, wie es in der inter-nationalen Politik weitergeht und wie eine Erfolgsstrate-gie nicht nur für Afghanistan, sondern insgesamt ausse-hen kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Antiterrorkrieg der Bush-Regierung ist nicht nurim Irak, sondern auch in Afghanistan gescheitert. UnsereArgumente haben wir an verschiedenen Stellen darge-legt. Das haben übrigens nicht nur wir getan, sondernauch Kollegen aus der SPD und andere Mitglieder diesesHauses. Wir müssen genau hinschauen, was im Rahmenvon OEF eigentlich getan wird. Man muss konstatieren,dass die Art und Weise der Kriegsführung im Süden undim Südosten die paschtunische Bevölkerung gegen dieinternationale Gemeinschaft aufgebracht hat.

Ein Grund dafür ist, dass OEF überproportional vielezivile Opfer fordert. Ich verweise auf die Zahlen vonUNAMA, der UN-Organisation vor Ort, die davonspricht, dass die Zahl ziviler Opfer gegenüber 2007 um40 Prozent zugenommen hat. 90 Prozent der zivilen Op-fer sind im Süden des Landes zu beklagen, und dieHälfte geht auf das Konto von OEF, also auf das Kontoeiner Kriegsführung, die oft – zu diesem Ergebnis kamHuman Rights Watch in einer sehr guten Analyse – aufungeplante Luftangriffe zurückzuführen ist. Das schürtden Hass, und das hat den Terrorismus dort gestärkt, stattihn zu schwächen.

Noch etwas: Im Rahmen von OEF werden immerwieder Tötungen auf Verdacht vorgenommen. Das isteindeutig völkerrechtswidrig. Das ist etwas, was man an-sprechen und kritisieren muss.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der LINKEN sowie des Abg. GertWinkelmeier [fraktionslos])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen – imISAF-Headquarter ist davon immer wieder die Rede –:OEF kommt ISAF in die Quere, weil man unabgestimmtnach eigenen Einsatzregeln vorgeht. Summa summarummuss man sagen: Dieser Einsatz ist kontraproduktiv. Ergefährdet und untergräbt die Entwicklung einer Erfolgs-strategie für ISAF in Afghanistan insgesamt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb sind wir für die Beendigung des OEF-Mandats.Wir sind fest davon überzeugt, dass wir die Debatte da-rüber mit unseren amerikanischen Partnern jetzt führenmüssen.

Diese Diskussion sollten wir führen, bevor diese Artder Kriegsführung auch noch systematisch auf Pakistanausgeweitet wird; ich hoffe, diesen Schritt haben Sie mitIhrer Rede heute Morgen nicht rechtfertigen wollen,Herr Kolbow. An dieser Stelle verstehe ich die Bundes-regierung überhaupt nicht. Sie, Herr Außenminister, ha-ben Pakistan zu einem Schwerpunkt gemacht; so habeich Sie jedenfalls verstanden. Sie sind mehrfach dort ge-wesen und haben hier berichtet: Dieses Land brauchtUnterstützung, damit es nicht weiter destabilisiert wird,nicht nur mit Blick auf Afghanistan, sondern auch, weiles gefährlich ist, wenn eine Atommacht bzw. ein Atom-land destabilisiert wird.

Ich verstehe aber nicht, warum man sich nicht öffent-lich – wenn nicht öffentlich, dann zumindest gegenüberden Amerikanern – glasklar äußert und sich gegen dieEinsätze, die dort stattfinden, ausspricht. Die pakistani-

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Kerstin Müller (Köln)

sche Regierung hat sich darüber beklagt. Wir wissenzwar nicht, ob das wirklich ernst gemeint ist; aber sie hatsich öffentlich beklagt. Man kann objektiv festhalten:Auch diese Einsätze sind kontraproduktiv. Auch dieseEinsätze stärken die Taliban in den Tribal Areas. Das isteine verfehlte Strategie, die auch in Pakistan zum Schei-tern und möglicherweise zu einer Destabilisierung desLandes führen wird. Das können wir nicht wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIELINKE])

Ich glaube, die US-Wahlen und die neu gewählteamerikanische Regierung markieren eine Zäsur. DieseChance müssen wir nutzen: für eine neue Zeit in der in-ternationalen Politik, für mehr Multilateralismus, füreine Stärkung des Völkerrechts und für die Beachtungder Menschenrechte, auch und gerade im Kampf gegenden Terrorismus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Frau Kollegin Müller, Sie haben vielleicht gemerkt,

dass ich hinsichtlich der Redezeit etwas großzügiger warals sonst. Das ist Ihrem heutigen Geburtstag geschuldet.Ich gratuliere Ihnen sehr herzlich.

(Beifall)

Nun erteile ich dem Kollegen Eckart von Klaeden zueiner Kurzintervention das Wort.

Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Frau Kollegin Müller, trotz Ihres Geburtstags kann

ich Ihnen meinen Widerspruch zu dem, was Sie mir un-terstellt haben, leider nicht vorenthalten.

Zum Ersten. Sie haben behauptet – Ihr Kollege Trittinhat das durch einen Zwischenruf noch unterstrichen –,dass ich durch die Tatsache, dass ich geschildert habe,welche Länder in Afrika von terroristischen Anschlägenbetroffen sind, geradezu ein Interventionsrecht für unskonstruieren würde, um in diesen Staaten militärischeingreifen zu können. Das ist wirklich eine geradezu ab-surde Unterstellung, die ich hier mit aller Entschieden-heit zurückweise.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Zum Zweiten haben Sie erneut behauptet, dass dieRechtsgrundlage nicht gegeben ist, und Sie sind mit kei-nem Wort auf die UN-Resolution eingegangen, die ich inmeiner Rede zitiert habe und durch die – das gilt auch fürdieses Jahr – das Selbstverteidigungsrecht aus Art. 51 derUN-Charta hinsichtlich der Operation Enduring Free-dom unterstützt wird.

Sie haben aber nicht nur die Rechtsgrundlage hin-sichtlich des Zeitablaufs, sondern Sie haben das Mandatgrundsätzlich infrage gestellt. Ich finde, es gehört zurRedlichkeit dazu, dann auch zu erwähnen, dass diesesMandat zum ersten Mal von der rot-grünen Bundesregie-

rung beschlossen worden ist und dass der grüne Außen-minister Fischer für dieses Mandat die Federführung ge-habt hat.

Wenn Sie jetzt in dieser Art und Weise sagen, dass derWechsel in der amerikanischen Regierung dazu führenmuss, dass man das Mandat und auch seine völkerrecht-liche Grundlage grundsätzlich infrage stellt, dann bestä-tigen Sie damit den Vorwurf der Linkspartei, dass Siedieses Mandat damals nicht aus eigenem Willen und ineigener Souveränität, sondern auf fremde Veranlassunghin beschlossen haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich erwarte, dass Sie zu dem, was Sie in Ihrer Regie-rungszeit getan haben, weiter stehen und hier vernünf-tige Gründe vortragen, wenn Sie glauben, davon abwei-chen zu können. Wenn Sie die Dinge aber grundsätzlichinfrage stellen, dann stellen Sie damit auch das infrage,was Sie in Ihrer Regierungszeit getan haben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Walter Kolbow [SPD])

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Frau Kollegin Müller, bitte.

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):

Es ist völlig klar, dass es trotz meines Geburtstagsauch eine Kontroverse geben kann.

Jetzt haben Sie Behauptungen aufgestellt, die so nichtrichtig sind. Ich habe das Mandat nicht grundsätzlich in-frage gestellt. Ich habe vor allen Dingen politische Argu-mente dagegen genannt.

Sie sagen, wir hätten dem Mandat zugestimmt. Natür-lich, aber ich bitte Sie: 2001 gab es eine völlig andere Si-tuation.

(Beifall des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN] – Eckart von Klaeden[CDU/CSU]: Und 2005?)

– Ja, sie war völlig anders. – Damals gab es die ISAFnoch nicht. Nicht nur unsere Fraktion, sondern auch dieFraktion der FDP und jede andere Fraktion muss sich dieRechtsgrundlage dieses Mandates noch einmal genauanschauen.

Zu Art. 51 der UN-Charta, dem Selbstverteidigungs-recht. Schauen wir einmal, was sich verändert hat. In-zwischen hat es den Petersberger Prozess gegeben. NachAbschluss des Petersberger Prozesses hat die afghani-sche Regierung die volle Souveränität über ihr Landübernommen. Das ist ein großer Unterschied. Die ISAFhat mit ihrer Arbeit angefangen, und ihre Tätigkeitwurde auf das ganze Land ausgedehnt. Dieser Prozesssollte spätestens im Jahre 2006 abgeschlossen sein.

Spätestens seitdem gibt es zumindest im Hinblick aufAfghanistan nur eine sehr fragwürdige Grundlage fürdas OEF-Mandat.

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20037

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Kerstin Müller (Köln)

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie der Abg. Monika Knoche [DIELINKE])

ISAF ist dazu befugt, in enger Abstimmung mit und zurUnterstützung der afghanischen Regierung für die Si-cherheit der Afghanen zu sorgen. Zumindest das mussman sich sehr genau anschauen.

Ich frage Sie: Wollen Sie wirklich und ernsthaft be-haupten, dass das richtige Selbstverteidigungsrecht derUSA nach dem 11. September 2001 überall dort auf derWelt, wo es Terrorismus gibt, auf ewig gelten soll? Ichsage: Das kann nicht sein. Herr Kolbow, Sie haben sogargesagt: Dieses Selbstverteidigungsrecht steht über einemBeschluss des Sicherheitsrates. – Das kann ja nun garnicht sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie der Abg. Monika Knoche [DIELINKE])

Der Sicherheitsrat muss als Souverän entscheiden kön-nen, wann dieses Recht beendet ist und wann man denKampf gegen den Terrorismus mit anderen Maßnahmenführt. Darum geht es uns, Herr von Klaeden. Wir sehendas – anders als die Linke – ganz klar so. Selbstverständ-lich müssen wir den Kampf gegen den internationalenTerrorismus führen, aber so, dass er wirksam ist, stattden Terrorismus weiter zu stärken. Genau das passiertaber durch OEF.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nun hat für die SPD-Fraktion die Kollegin Uta Zapf

das Wort.

(Beifall bei der SPD)

Uta Zapf (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich denke, manchmal sollte man versuchen, eine Num-mer kleiner anzusetzen. Worum geht es? Ich denke, wirsind uns alle einig, dass es darum geht, den Terrorismuszu bekämpfen. Wir sind uns uneinig darüber – manch-mal gibt es nur kleine Unterschiede, manchmal etwasgrößere –, mit welchen Mitteln man das macht. Deshalbhalte ich die Forderung für unsinnig, OEF zu beenden,ohne zu sagen, wie es dann weitergehen soll, und zwar inganz Afghanistan, aber auch in Bezug auf Pakistan, aufdas sich das OEF-Mandat nicht erstreckt.

Wir haben als SPD schon darüber nachgedacht, dassdie beiden Mandate im Prinzip zusammengeführt wer-den müssten. Aber das ist nur vor dem Hintergrund einesStrategiewechsels möglich, den Sie, Frau Müller, mitRecht einklagen und der auch in Bezug auf Pakistan gel-ten müsste. Denn wie wir alle immer wieder beklagt ha-ben, ist es durch die Kriegsführung insbesondere derAmerikaner zu zivilen Opfern gekommen. Diese Kriegs-führung ist kontraproduktiv, weil sie – darauf haben Siehingewiesen – Hass erzeugt und dadurch den Terroris-mus fördert.

Aber wie können wir Terrorismus und Aufständischebekämpfen, ohne in dem gesamten Bereich eine solcheStrategieänderung und unangenehme Nebenwirkungen– wenn ich das etwas zynisch so formulieren darf – her-beizuführen? Dafür haben wir noch keine endgültige Lö-sung. Wir sind alle aufgefordert, an einer Lösung mitzu-arbeiten.

Wir haben viel diskutiert und uns insbesondere – ichdenke, das hat das ganze Haus ausgezeichnet – auf diezivile Hilfe konzentriert und diese immer weiter ver-stärkt. Wir wissen aber, dass dies auch heute noch nichtausreichend wirksam ist, um eine so schwierige Situa-tion wie in Afghanistan zu heilen. Es ist eine Illusion,sozusagen aus dem Mittelalter und nach einem 30-jähri-gen Krieg plötzlich in die Moderne übergehen zu kön-nen.

Hinzu kommt – das haben wir vielleicht ein bisschenarg spät erkannt –, dass dasselbe Problem in Pakistan imGrenzgebiet zu Afghanistan virulent ist, weil sich dortRuheräume für den Terrorismus aufgetan haben. Denndort ist in den FATAs vonseiten der pakistanischen Re-gierung überhaupt keine staatliche Souveränität mehrwirksam. Deshalb ist davon auszugehen – wie am ver-gangenen Mittwoch im Auswärtigen Ausschuss festge-stellt wurde –, dass Pakistan auf der Kippe steht, einFailed State zu werden.

Insofern glaube ich nicht, dass es um die Neubegrün-dung der transatlantischen Zusammenarbeit oderFreundschaft – das ist eine große Nummer – durch einenNeuanfang in Afghanistan geht; vielmehr ist es eine in-ternationale Aufgabe, endlich einmal über die virulentenKriegsgebiete hinauszudenken. Wir müssen die gesamteRegion in den Blick nehmen und regionale Möglichkei-ten entwickeln, um Pakistan zu stabilisieren. In diesemZusammenhang möchte ich Frank-Walter Steinmeierherzlich danken, weil er durch seine Initiativen schoneine ganze Menge in die Wege geleitet hat.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Wir müssen versuchen, die Situation in Pakistan mög-lichst schnell zu beeinflussen. Dabei haben wir immernoch eine etwas bessere Ausgangsposition als in Afgha-nistan. Das heißt aber auch, dass wir in diesen Gebietennicht mit militärischen Mitteln vorgehen dürfen. Ichglaube, jeder wird unterstreichen, dass die Angriffe derUS-Amerikaner auf pakistanisches Gebiet zur Terrorbe-kämpfung kontraproduktiv sind. Wir müssen uns in die-sen Regionen um Stabilisierung bemühen. Wir müsseneine Regionalstrategie unter Einschluss der Nachbarstaa-ten entwickeln. Das bedeutet, dass natürlich Pakistan imMittelpunkt steht, dass wir aber auch Indien einbeziehenmüssen, weil der pakistanisch-indische Konflikt seineSchatten auf diesen Bereich wirft. Ich möchte hinzufü-gen: Wir müssen auch den Iran einbeziehen.

(Beifall des Abg. Dr. Rolf Mützenich [SPD])

Das ist aufgrund unserer Beziehungen zum Iran relativschwierig. Sicherlich hoffen wir, dass Obama einiges an-ders machen wird. Aber wir müssen auch unseren eige-nen Beitrag, zum Beispiel verstärkte Hilfe für Pakistan,

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Uta Zapf

leisten. Das ist von den Friends of Pakistan auch zuge-sagt worden. Es gibt eine weitere Initiative, die vor allemvon der Türkei ausgeht, um einen Versöhnungsprozesszwischen Afghanistan und Pakistan, die sonst feindlicheGefühle füreinander hegen, zu bewirken. Wir müssendarüber nachdenken, ob es nicht sinnvoll ist, noch ein-mal Geld in die Hand zu nehmen und Aufbauhilfe in derRegion, in Pakistan und vor allem in den Gebieten zuleisten, in denen staatliche Strukturen nicht mehr wirken,damit die jungen Menschen dort eine Perspektive haben.Sonst laufen sie zum Terrorismus über.

Lassen Sie mich einen weiteren regionalen Punkt an-führen. Es gibt ein wenig beachtetes Flüchtlingsproblemin der Region. Über 4 Millionen sind nach 2002 aus Pa-kistan und dem Iran zurückgekehrt. Zudem gibt es sehrviele Binnenflüchtlinge, die zum Teil in Camps lebenund immer wieder vertrieben werden und daher humani-täre Hilfe benötigen. Diese Menschen haben keine Jobsund vegetieren unter elenden Umständen. Ich denke, hierist eine neue Quelle der Rekrutierung von Terroristenauszumachen. Wir müssen daher die internationalen Be-mühungen zur Befriedung einer ganzen Region, aberauch die Unterstützung zum Wiederaufbau und dieHilfsmaßnahmen für Pakistan, Afghanistan und mögli-cherweise andere Länder genauer aufeinander abstim-men.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist der Kollege Eduard Lintner für

die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Eduard Lintner (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir müssen unsimmer wieder bewusst machen, dass sich der DeutscheBundestag als Parlament in der wohl einmaligen Situa-tion befindet, über Ziel, Art, Umfang und Zeit des Ein-satzes der Bundeswehr im Ausland entscheiden zu kön-nen. Das ist eine Entscheidung, wie sie normalerweise inanderen Staaten nur die Exekutive, die Regierung, zutreffen hat. Deshalb müssen wir uns bei dieser Entschei-dung in besonderem Maße vergegenwärtigen, dass wirdamit eine unmittelbare persönliche Verantwortung fürdie betroffenen Menschen übernehmen. Zugleich müs-sen wir aber bedenken, dass wir internationalen Ver-pflichtungen unterliegen und gemeinsam mit anderenStaaten betroffen sind. Leider ist diese Last der Verant-wortung offenbar nicht allen im Hause gegenwärtig, so-dass immer wieder dazu aufgerufen wird – möglicher-weise schielen die Betreffenden auf eine bestimmteStimmungslage beim Wähler –, das Engagement zu be-enden. An dieser Stelle möchte ich mich beim Verteidi-gungsministerium bedanken, das durch eine heute veröf-fentlichte Umfrage klargestellt hat, dass in der Tat dreivon vier Wählern hinter dem Einsatz der Bundeswehr in

Afghanistan stehen. Ich finde, das ist bisher viel zu we-nig bekannt gewesen und uns bewusst geworden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Würden wir dem Begehren, alles stehen und liegen zulassen und uns sofort zurückzuziehen, nachgeben, wärendie Folgen äußerst ernst. Wir würden uns der internatio-nalen Solidarität im Kampf gegen den nach wie vor ge-fährlichen Terrorismus verweigern, obwohl Deutschland– das müssen wir uns vergegenwärtigen – genauso wieFrankreich, Spanien, Großbritannien oder die USA un-verändert ein relevantes Ziel der Terroristen ist. DieFolge wäre eine tiefgreifende Isolierung in der Gemein-schaft demokratischer Staaten und Völker. Die Terroris-ten würden in einer beispiellosen Art und Weise ermu-tigt, ihren Weg weiterzugehen, könnten sie unserAusscheiden doch als Erfolg ihres Tuns ansehen. DieVerantwortung, die uns vom Verfassungsgeber auferlegtworden ist, zwingt uns, im Rahmen einer pflichtgemä-ßen Güterabwägung den Versuch aller – hier der Frak-tion Die Linke –, sich aus dieser Verantwortung davon-zustehlen, entschieden zurückzuweisen.

Dennoch dürfen unsere Debatten und Entscheidungenüber die Teilnahme von Angehörigen unserer Bundes-wehr an internationalen Einsätzen nie Routine werden.Jeder einzelne Schritt muss stets neu geprüft und wohl-überlegt werden. Deshalb sind in den zurückliegendenJahren Umfang und Natur des Einsatzes immer wiederangepasst und auch geändert worden. Nur so können wirin der Tat der uns auferlegten Verantwortung gerechtwerden.

(Beifall des Abg. Erich G. Fritz [CDU/CSU])

Dieses Bemühen kommt auch im vorliegenden An-trag zum Ausdruck. Der Einsatz der Bundeswehr imRahmen von OEF in Afghanistan wird deshalb beendet.Die 2001 unter den damaligen Gegebenheiten gerecht-fertigte Obergrenze von 3 900 Soldatinnen und Soldatenwird auf nur noch 800 reduziert, und ihr Einsatzgebietwird entsprechend verkleinert und neu definiert, ebensoder Umfang und die Art ihres Einsatzes. Er beschränktsich künftig auf die Überwachung und Sicherung vonSeewegen. Das bedeutet natürlich nicht, dass unsere Ar-beit in Afghanistan etwa erledigt ist; vielmehr eröffnetdiese Neujustierung die Möglichkeit, dass wir uns nochstärker als bisher auf unsere Aufgaben im Rahmen vonISAF konzentrieren können. Dazu müssen wir unserenVerbündeten und unserer Bevölkerung deutlich machen,dass Terrorbekämpfung für uns nicht bloß eine rein mili-tärische Aufgabe ist, sondern vor allem ein Instrument,um den zivilen Wiederaufbau in Afghanistan voranzu-treiben. Nur so werden wir letztlich Zustände schaffenkönnen, die es uns eines Tages erlauben, uns guten Ge-wissens aus Afghanistan zurückzuziehen.

Die verbleibenden Kräfte werden im Sinne des An-trags insbesondere zur Überwachung und Sicherung derSeewege am Horn von Afrika eingesetzt. Gerade die im-mer aggressiver werdenden Attacken von Piraten vor dersomalischen Küste führen uns die Verletzlichkeit derSeewege immer wieder deutlich vor Augen. Ich bin froh,dass sich jetzt ein Weg zu mehr konkretem Schutz der

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Eduard Lintner

Schiffe vor solchen Verbrechen abzeichnet und Deutsch-land sich daran beteiligen wird. Wir müssen uns bewusstsein, dass wir ein Land sind, das in ganz hohem Maßevon einem sicheren Zugang zu den Weltmärkten auf demSeeweg abhängig ist. Wir sind durch solche Angriffedeshalb höchst verletzlich. Der Einsatz der Bundeswehrzur Sicherung von Seewegen schützt daher auch unsereureigenen nationalen Interessen. Damit bestätigt Deutsch-land wiederum seinen Ruf als ein zuverlässiger Partnerseiner Freunde und Mitstreiter in einer insgesamt rechtunruhigen Welt. Das so erworbene Vertrauen ist ein Ka-pital – so müssen wir es sehen –, auf das wir hoffentlichnie zurückgreifen müssen; aber wir könnten doch imFalle des Falles darauf angewiesen sein.

Ich halte daher den vorliegenden Antrag der Bundes-regierung für richtig und unterstützenswert. Unsere Sol-datinnen und Soldaten können sich bei diesem Einsatzauf unsere nachhaltige Unterstützung stets verlassen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist nun der Kollege Rolf Kramer für

die SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Rolf Kramer (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Frau Müller, auch von dieser Stelle herzlichenGlückwunsch zum Geburtstag! Allerdings hätte ich mirgewünscht, dass Sie sich bei Ihren Ausführungen auf dasThema besonnen hätten, das heute ansteht, nämlich dieVerlängerung des im Antrag der Bundesregierung for-mulierten Mandats. Ich lese noch einmal vor, wo wir tä-tig werden sollen:

Der deutsche Beitrag wird im Gebiet gemäß Arti-kel 6 des Nordatlantikvertrages sowie am Horn vonAfrika einschließlich angrenzender Seegebiete (dasRote Meer, der Babel-Mandeb, der Golf von Aden,die Arabische See, der Golf von Oman mit derStraße von Hormus bis zum Längengrad 56° E so-wie das Nordarabische Meer und Teile des Indi-schen Ozeans bis zum Breitengrad 11° S und biszum Längengrad 68° E) geleistet.

Sie haben hier fast ausschließlich über Afghanistanberichtet. Das ist nicht Gegenstand des heute zu beraten-den Mandats. Wir entscheiden heute ausschließlich da-rüber, wo die deutsche Bundesmarine – es ist ausschließ-lich ein seegebundenes Mandat – in Zukunft tätig seinwird. Wenn Sie einfordern, dass zusammen mit den Ver-einigten Staaten – auch wir setzen große Hoffnung inden neuen amerikanischen Präsidenten – eine neue Tak-tik, eine neue Strategie entwickelt wird, dann wäre esaus unserer Sicht der falsche Weg, jetzt aus diesem Man-dat auszusteigen, um Fakten zu schaffen. Das kann,wenn es in Zukunft mehr multilaterale Vereinbarungengibt, nur gemeinsam mit der neuen amerikanischen Ad-ministration gemacht werden. Auf diesen Weg solltenwir uns tatsächlich begeben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Frau Knoche von der Linkspartei hat hier die üblichenDinge vorgetragen, die sich darin erschöpfen, dass wireinen völkerrechtswidrigen Krieg führen, dass derAntiterrorkampf beendet werden muss und dass wirmenschenrechtswidrige Maßnahmen unterstützen. FrauKnoche, wenn wir nicht der Meinung wären, dass diesesMandat durch die Resolutionen 1368 und 1373 der Ver-einten Nationen gedeckt ist, dann würden wir dem nieund nimmer zustimmen; denn wir legen sehr viel Wertdarauf, dass wir hier Mandate ausführen, die aufgrundeines Aufrufs der Vereinten Nationen entstanden sind.Wir sind nicht der Meinung, dass das völkerrechtswidrigist.

Sie tragen immer das gleiche Argument – Völker-rechtswidrigkeit – vor. Ich finde, Sie sollten sich überle-gen, ob Sie nicht zum Bundesverfassungsgericht gehen,um diese Angelegenheit endgültig zu klären. Es ist voll-kommen unangemessen, was Sie hier tun. Wir sprechenin jedem Jahr über die Verlängerung dieser Mandate,und wir hören von Ihrer Seite immer das gleiche Argu-ment: völkerrechtswidrig. Ich meine, Sie sind jetzt in derBringschuld, das klären zu lassen. Dazu ist in Deutsch-land das Bundesverfassungsgericht anzurufen.

Lassen Sie mich noch kurz aus verteidigungspoliti-scher Sicht folgende Dinge ausführen:

Das Mandat, über das wir reden, existiert seit 2001.Wir haben ursprünglich mit etwa 3 900 Soldatinnen undSoldaten angefangen. Dieses Mandat war teilweise auchfür Afghanistan vorgesehen. Wir haben dank der Initia-tive der SPD-Fraktion seit etwa zwei Jahren eine Ar-beitsgruppe – sie nennt sich Taskforce –, die sich mit un-serem Einsatz in Afghanistan ganz intensiv beschäftigt.Wir haben im letzten Jahr vorgeschlagen, dass die100 KSK-Soldaten nicht mehr Gegenstand dieses Man-dats sind. Ich danke unserem Außenminister für seineZustimmung dazu, dass wir in diesen Antrag hineinge-schrieben haben, dass wir nur noch am Horn von Afrikatätig sind.

Die Reduzierung umfasste aber nicht nur die Anzahlder Soldatinnen und Soldaten; wir haben darüber hinausmehrfach die Qualität des Mandats reduziert. Ich nennenur den Wegfall der ABC-Abwehrkräfte im Jahr 2003.Aktuell sind am Horn von Afrika 96 Bundeswehrange-hörige im Einsatz. Im Mittelmeer beteiligen sich an derOperation Active Endeavour 23 bis 24 Soldaten, die aufeinem U-Boot tätig sind. Wir werden dort in Zukunftwieder mit einem etwas verstärkten Ansatz tätig sein.Das Orion-Aufklärungsflugzeug wird durch eine Fre-gatte abgelöst, und dann werden wir dort sicherlich wie-der etwas über 200 Soldaten im Einsatz haben.

Man hört von Zeit zu Zeit folgende Argumente: WennSchiffe im Einsatz sind, haben die deutschen Soldateneigentlich sehr wenig zu tun. Sie haben sehr wenigeBoarding-Maßnahmen etc. durchzuführen. Eigentlichsollten wir sehr glücklich sein, dass es allein aufgrundder Anwesenheit der Soldatinnen und Soldaten der Bun-deswehr in diesem Bereich nicht nötig ist, stärkere ak-tive Maßnahmen zu ergreifen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

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20040 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

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Rolf Kramer

Ich möchte mich ganz herzlich bei den Soldatinnen undSoldaten der Bundesmarine bedanken, die dort im Ein-satz sind. Wir werden der Verlängerung dieses Mandateszustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege

Robert Hochbaum für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Robert Hochbaum (CDU/CSU): Danke schön, sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Der Name des Mandats, des-sen Verlängerung heute beschlossen werden soll, gehtuns, auch wenn er nicht in deutscher Sprache ist, nachsiebenmaliger Verlängerung und breiter Diskussion rechteinfach über die Lippen. Es scheint mir jedoch, als seibei uns im Hause die innere Bedeutung der sogenanntenOperation Enduring Freedom nicht immer präsent. Er-lauben Sie mir deshalb, speziell auch für Sie, FrauKnoche, auf die Übersetzung einzugehen, die uns dasübergeordnete Ziel dieses Einsatzes in Erinnerung ruft.Frau Knoche, Operation Enduring Freedom heißt so vielwie Einsatz für nachhaltige Freiheit bzw. für dauerhaftzu erhaltende Freiheit. Es ist schon schlimm, wenn manden Antiterroreinsatz als „Krebsgeschwür“ bezeichnet.

(Beifall des Abg. Karl-Georg Wellmann [CDU/CSU])

Dauerhaft zu erhaltende Freiheit: Das ist es, worum esim Kern geht, warum es wichtig ist, dass wir das Mandatverlängern, und warum sich Deutschland an der Be-kämpfung des Terrorismus aktiv beteiligen muss. Wirkönnen bei der gegenwärtigen asymmetrischen Bedro-hungslage eben noch nicht von nachhaltiger Freiheitoder nachhaltiger Friedenssicherung sprechen; denn im-mer wieder müssen wir leider schmerzlich erfahren, mitwelcher Menschenverachtung und Hinterhältigkeit Ter-roristen vorgehen, wobei sie weder Frauen noch Kinderund andere verschonen.

Der Einsatz bleibt also notwendig, um der Bedro-hungslage entgegenzuwirken. Man kann es nicht oft ge-nug sagen: Wir müssen den Gefahren dort begegnen, wosie auftreten, zum Beispiel auch am Horn von Afrika.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir müssen handeln, bevor die verheerenden Auswir-kungen und Folgen perfiden terroristischen Handelnsauch das Leben der Bürgerinnen und Bürger unseresLandes bedrohen können.

An dieser Stelle – es wurde schon mehrfach getan,aber man kann es gar nicht oft genug tun – möchte ichnicht versäumen, allen eingesetzten Soldatinnen undSoldaten, aber auch den zivilen Kräften im Einsatz mei-nen Dank auszusprechen. Sie leisten hoch motiviert eineausgezeichnete Arbeit und dienen dadurch direkt demSicherheitsinteresse unseres Landes und unserer Bürger.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Darauf können sie und wir stolz sein, und deswegen soll-ten wir sie heute hier mit einer breiten Zustimmung un-terstützen.

Weil im Zusammenhang mit dem OEF-Mandat immerwieder von angeblicher Rechtsunsicherheit gesprochenwird – da bin ich wie viele andere, auch der Sicherheitsrat,anderer Meinung –, freut es mich ganz besonders, dassauch die FDP die rechtlichen Grundlagen, nämlichArt. 51 der Charta der Vereinten Nationen und Art. 5 desNordatlantikvertrages, in ihrem vorliegenden Entschlie-ßungsantrag jedenfalls zurzeit klar als gegeben ansieht.In diesem Zusammenhang erlaube ich mir, einmal posi-tiv festzustellen, wie verantwortungsvoll sich die FDPals Oppositionspartei in diesem Fall verhält. Auch hierwurde meiner Meinung nach erkannt, dass es bei derheutigen Entscheidung letztendlich um die Sicherheitder Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande geht.

Ich weiß, meine Damen und Herren von der FDP,dass es für eine Oppositionspartei nicht selbstverständ-lich ist, mit den Regierungsparteien zu stimmen. Ichdanke Ihnen, weil Sie das gerade bei einem für die Men-schen in unserem Land so wichtigen Thema tun, weil SieVerantwortung und nicht Populismus in den Vorder-grund stellen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Natürlich muss sich mittelfristig erst etwas ändern.Natürlich gelten die Bedingungen und Voraussetzungenfür das Mandat zwar noch heute, aber sicher nicht fürimmer. Erfreulicherweise hat auch unsere Bundeskanz-lerin vor einigen Tagen in ihrer Rede anlässlich einerVeranstaltung der Deutschen Atlantischen Gesellschaft e. V.von einer Überarbeitung des strategischen Konzeptes derNATO gesprochen. Ich kann ihr in dieser Hinsicht alsMitglied der Parlamentarischen Versammlung derNATO aus vollster Überzeugung zustimmen. In der Tatist das derzeitige strategische Konzept der NATO vor derneuen internationalen Bedrohung des Terrorismus ent-standen. Man hat sich damals kaum vorstellen können,dass Terroristen generalstabsmäßig geplante, militärischdurchgeführte Terroraktionen begehen, die Tausendenvon unschuldigen Menschen das Leben kosten.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Nachtwei?

Robert Hochbaum (CDU/CSU): Gern.

Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lieber Kollege Hochbaum, ich habe allen Rednern

der Großen Koalition sehr sorgfältig zugehört, um eineAntwort auf die entscheidende Frage nach der Wirksam-keit der Operation Enduring Freedom zu bekommen.Am letzten Montag gab es eine sehr interessante Veran-staltung der Friedrich-Ebert-Stiftung, wo ein ehemaligerpakistanischer Botschafter in Kabul und jetziger Beraterder Friedens-Jirga auf pakistanischer Seite zu Enduring

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Winfried Nachtwei

Freedom sagte, dass sie mehr Militanz geschaffen undmehr Terrorismus hervorgebracht habe. Das sehe manjeden Tag. Es sei ein Paradigmenwechsel notwendig.

Meine erste Frage: Wie bewerten Sie diese Aussagezur kontraproduktiven Wirkung von Enduring Freedom?Zweitens. Sind Ihnen von der Bundesregierung irgend-welche Informationen zugänglich gemacht worden, diedieses harte Urteil widerlegen würden? Ich als Obmannhabe dazu keinerlei widerlegenden Argumente und In-formationen von der Bundesregierung bekommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Robert Hochbaum (CDU/CSU): Danke für Ihre Frage. – Ich will zu dieser einzelnen

Stellungnahme nicht Stellung beziehen. Es gibt vieleStellungnahmen. Wir alle können Papiere von vielenklugen Menschen, die zu allem viel Kluges sagen, ausder Tasche ziehen.

Aber auf einen Aspekt möchte ich eingehen. Es wirdoft kritisiert, dass wenige Terroristen festgenommenworden oder wenige große Waffen gefunden wordensind. Aber das heißt für mich nicht, dass wir dadurch,dass wir dort präsent und aktiv sind, so etwas nicht ver-hindern. Sie können doch nicht beispielsweise die Poli-zei abschaffen, nur weil keine Straftäter gestellt werden.Das geht doch nicht. Wir sind dort auch präventiv tätig.Wir sorgen dafür, dass keine terroristischen Aktivitätenerfolgen, das heißt, wir verhindern terroristische Aktivi-täten. Das ist für mich ein deutliches Zeichen, dass wirerfolgreich sind.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Doch unabhängig davon entscheiden wir heute überdie Verlängerung des OEF-Mandates. Das ist übrigensein Einsatz, bei dem – es wurde eben genannt – nicht nurdie USA, Großbritannien und Deutschland, sondernauch Länder wie Kanada, Tschechien, Italien, Frank-reich, die Niederlande und Norwegen – auch Pakistan,wie wir vorhin erfahren haben –, also viele Nationen derfreien Welt, beteiligt sind. Sie alle wollen nur eines,nämlich Schaden von ihren Bürgerinnen und Bürgernabhalten und Sicherheit für ihre Länder gewährleisten.Deshalb sind sie mit uns gemeinsam gegen den inter-nationalen Terrorismus angetreten und aus keinem ande-ren Grund, Frau Knoche. Weil es nicht um billigenPopulismus, sondern um die Sicherheit der Bürgerinnenund Bürger in unserem Land geht, bitte ich um Ihre Zu-stimmung zur Mandatsverlängerung.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen nun zur Abstimmung über die Beschluss-empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Druck-sache 16/10824 zu dem Antrag der Bundesregierung zurFortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streit-kräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion

auf terroristische Angriffe gegen die USA. Dazu liegenvon fünf Kolleginnen und Kollegen persönliche Erklä-rungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor, die wirzu Protokoll nehmen.1)

Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Druck-sache 16/10720 anzunehmen.

Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte dieSchriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenenPlätze einzunehmen.

Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist derFall. Ich eröffne die Abstimmung.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimme nicht abgegeben hat? – Das ist offensichtlichnicht der Fall. An allen Urnen sind die Stimmen abgege-ben.

Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh-rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-nen. Das Ergebnis der Abstimmung gebe ich Ihnen an-schließend bekannt.2)

Nun, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf ich dieje-nigen, die den weiteren Abstimmungen und Beratungennicht folgen wollen, bitten, den Saal zu verlassen oderihre Gespräche einzustellen.

Wir können jetzt die Abstimmungen fortsetzen.

Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-tion der FDP auf Drucksache 16/10890? – Wer ist dage-gen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag istdamit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, derFraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion DieLinke gegen die Stimmen der FDP-Fraktion abgelehnt.

Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-tion Die Linke auf Drucksache 16/10829? – Wer ist da-gegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag istmit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegendie Stimmen der Linken ebenfalls abgelehnt.

Tagesordnungspunkt 18 b. Beschlussempfehlung desAuswärtigen Ausschusses zum Antrag der Fraktion DieLinke mit dem Titel „Keine deutsche Beteiligung an derOperation Enduring Freedom in Afghanistan“. Der Aus-schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 16/7908, den Antrag der Fraktion Die Linkeauf Drucksache 16/6098 abzulehnen.

Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer istdagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlungist damit angenommen mit den Stimmen der Koalitions-fraktionen, der FDP-Fraktion und der FraktionBündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FraktionDie Linke.

Tagesordnungspunkt 18 c. Beschlussempfehlung desAuswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der FraktionDie Linke mit dem Titel „Keine deutschen Soldaten füreine schnelle Eingreiftruppe zur Verfügung stellen –

1) Anlage 52) Ergebnis Seite 20044 C

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Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt

Rechtswidrige Kriegshandlungen beenden“. Der Aus-schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 16/9710, den Antrag der Fraktion Die Linkeauf Drucksache 16/7890 abzulehnen.

Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer istdagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlungist damit angenommen mit den Stimmen der Koalitions-fraktionen, der FDP-Fraktion und der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion DieLinke.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a bis c auf:

a) Unterrichtung durch die Bundesregierung

Jahresbericht der Bundesregierung zum Standder deutschen Einheit 2008

– Drucksache 16/10454 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)Innenausschuss Sportausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft und VerbraucherschutzAusschuss für Arbeit und Soziales VerteidigungsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für Bildung, Forschung und TechnikfolgenabschätzungAusschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Verkehr, Bau undStadtentwicklung (15. Ausschuss)

– zu dem Entschließungsantrag der Abgeordne-ten Arnold Vaatz, Ulrich Adam, Peter Albach,weiterer Abgeordneter und der Fraktion derCDU/CSU sowie der Abgeordneten KlaasHübner, Andrea Wicklein, Ernst Bahr (Neurup-pin), weiterer Abgeordneter und der Fraktionder SPD zu der Unterrichtung durch die Bun-desregierung

Jahresbericht der Bundesregierung zumStand der deutschen Einheit 2007

– zu dem Entschließungsantrag der Abgeordne-ten Joachim Günther (Plauen), Jan Mücke,Horst Friedrich (Bayreuth), weiterer Abgeord-neter und der Fraktion der FDP zu der Unter-richtung durch die Bundesregierung

Jahresbericht der Bundesregierung zumStand der deutschen Einheit 2007

– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-rung

Jahresbericht der Bundesregierung zumStand der deutschen Einheit 2007

– Drucksachen 16/7015, 16/7014, 16/6500,16/8865 –

Berichterstattung:Abgeordnete Petra Weis Jan Mücke

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Verkehr, Bau undStadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antragder Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann,Dr. Gesine Lötzsch, Roland Claus, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion DIE LINKE

Erhöhung von Transparenz und Zielgenauig-keit des Mitteleinsatzes für die ostdeutschenBundesländer

– Drucksachen 16/7567, 16/9120 –

Berichterstattung:Abgeordneter Joachim Günther (Plauen)

Zum Jahresbericht 2008 liegen ein Entschließungs-antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD sowieein Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und zwei Entschließungsanträge derFraktion DIE LINKE vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich sehe, dass Siedamit einverstanden sind. Dann können wir so verfah-ren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort fürdie Bundesregierung Herrn Bundesminister WolfgangTiefensee.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wolfgang Tiefensee, Bundesminister für Verkehr,Bau und Stadtentwicklung:

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren Abgeordnete! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Wir diskutieren über den Bericht zum Stand derdeutschen Einheit am 13. November, vier Tage nachdem 9. November 2008. Ich bin jetzt mittlerweile fast19 Jahre im politischen Geschäft – in ganz unterschiedli-chen verantwortungsvollen Funktionen, ausgehend vomrunden Tisch der Stadt Leipzig, an dem ich imMärz 1990 Platz genommen habe.

Es erfüllt mich mit Blick auf den 9. Oktober, auf den9. November oder auf den 3. Oktober immer wieder mitStolz, dass wir konstatieren können, dass unser Landzusammengewachsen ist. Der Aufbau Ost hat an Fahrtgewonnen. Wir können mit großem Respekt vor der Le-bensleistung insbesondere derjenigen, die in Ostdeutsch-land leben, feststellen, dass wir sehr gut vorankommen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein paareinfache Wahrheiten am Anfang. Wenn wir in denJahren 2009 und 2010 die großen Jubiläen vor uns ha-ben, dann bleibt daran zu erinnern, dass es die Menschenin der ehemaligen DDR, die Menschen in Ostdeutsch-land gewesen sind, die die deutsche Einheit möglich ge-

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20043

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Bundesminister Wolfgang Tiefensee

macht haben. Wir können mit Stolz und Respekt vor die-ser Leistung diese Jubiläen begehen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Niemand in diesem Hause rüttelt am Solidarpakt II.Das ist das große Versprechen der Solidarität.156 Milliarden Euro stehen zur Verfügung, um den An-gleichungsprozess zu beschleunigen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sieden Bericht aufschlagen, dann werden Sie eine Fülle vonDatenmaterial vorfinden. So wäre es für mich relativeinfach, jetzt wieder den Ost-West-Vergleich zu zitieren,das Bruttoinlandsprodukt zu vergleichen, aber auch– negativ – die immer noch zu hohe Arbeitslosigkeit. Ichmöchte aber in diesem Jahr einen neuen Akzent setzenund Ihre Aufmerksamkeit auf einen anderen Punkt len-ken. Wir dürfen die deutsche Einheit nicht immer nur andiesen Vergleichszahlen messen. Damit würden wir nurimmer wieder auf die Frage zielen, ob Ostdeutschlandschon in jedem einzelnen Bereich so weit ist wie die al-ten Bundesländer oder Westeuropa. Wir brauchen eineandere Betrachtungsweise. Diese haben wir erstmals indiesem Bericht zum Stand der deutschen Einheit nieder-gelegt.

Wir stehen in Ostdeutschland vor Herausforderungen,vor denen gleichermaßen ganz Deutschland steht. Die-sen Herausforderungen wollen wir mit ostdeutschenAntworten begegnen. Dabei geht es um folgendePunkte:

Erstens. Wir müssen deutlich machen, dass ausge-hend von Ostdeutschland eine Innovationskraft in derWirtschaft wächst, die für ganz Deutschland gut ist.

Zweitens. Ostdeutschland muss in der Lage sein, diegroßen sozialen Spannungen, die es überall in unseremLand gibt – insbesondere was die Arbeitslosigkeit be-trifft –, zu meistern.

Drittens. Wir stehen vor immensen demografischenProblemen. Es gilt, in Ostdeutschland für Gesamt-deutschland die Antworten auf diese Probleme zu fin-den.

Viertens. Ostdeutschland steht für eine intensiveKooperation zwischen Deutschland und den neuen EU-Mitgliedstaaten. Ostdeutschland rennt also nicht West-europa hechelnd hinterher, Ostdeutschland versuchtnicht, etwas zu kopieren, was andere Bundesländer ir-gendwann vorgemacht haben, sondern Ostdeutschlandhat die Antworten, um ganz Deutschland innerhalb derEuropäischen Gemeinschaft voranzubringen.

Ich gehe zunächst auf den Bereich der Wirtschaft ein.Wir haben eine hervorragende Entwicklung im indus-triellen Sektor bei den erneuerbaren Energien.

(Zustimmung bei der SPD)

Wir stärken diese Entwicklung, indem wir die Maßnah-men im Zusammenhang mit der Investitionszulage fort-setzen, indem wir die Mittel für die Gemeinschaftsauf-gabe jetzt noch einmal aufstocken und indem wir imRahmen des Maßnahmenpakets der Bundesregierung,

das wir dem Bundestag und dem Bundesrat vorschlagen,noch einmal Investitionsmittel aufstocken, was insbe-sondere Ostdeutschland zugute kommt. Das ist heute diepositive Nachricht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Darüber hinaus investieren wir in Forschung und Ent-wicklung. Wir brauchen in der Industrie und im Mittel-stand mehr Forschungs- und Entwicklungskapazitäten.Programme wie Inno-Watt und Inno-Regio, Innovations-wettbewerbe wie „Wirtschaft trifft Wissenschaft“ sowiedas Bemühen um externe Forschungs-GmbHs führendazu, dass wir bestehende Defizite beheben. Wenn wir indie Arbeitsplätze und in die Wirtschaftskraft Ostdeutsch-lands investieren, dann betreiben wir nachhaltigen Auf-bau Ost. Die Bundesregierung steht dafür.

In Richtung der Linken sei es noch einmal gesagt:Wer diese wirtschaftliche Entwicklung konterkariert, in-dem er immer wieder nur schwarzmalt, wird die Kräfte,die wir in Ostdeutschland brauchen, nicht wecken, son-dern erdrücken. Deshalb müssen wir eine Politik ma-chen, die die Kräfte in Ostdeutschland stärkt.

Ich komme zu einem weiteren Thema. Es geht darum,die Langzeitarbeitslosigkeit erfolgreich zu bekämpfenund die Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland, die immernoch doppelt so hoch ist wie in Westdeutschland, abzu-bauen. Es gab noch nie so wenige Arbeitslose wie imOktober 2008. Das ist die gute Nachricht. Aber immernoch gibt es eine verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit,der wir zum Beispiel mit unserem Programm „Kommu-nal-Kombi“ begegnen. Wir kombinieren Gelder derBundesregierung, der Länder und des Europäischen So-zialfonds. Mein Appell an die Länder ist: Tun Sie mehrin dieser Richtung!

Wir müssen uns aber auch den demografischen He-rausforderungen stellen. Mit unseren Programmen„Stadtumbau Ost“ und „Soziale Stadt“ sorgen wir dafür,dass Wohnungen vom Markt genommen werden und da-durch Wohnungsunternehmen stabilisiert werden.Gleichzeitig werten wir dadurch die Innenstädte und dieinnenstadtnahen Räume auf. Das sind Stadtentwick-lungspolitik und Sozialpolitik par excellence. Wir kom-binieren das mit unserem CO2-Gebäudesanierungspro-gramm.

(Beifall bei der SPD)

Licht und Schatten liegen nach wie vor dicht bei-einander. Lassen Sie uns auf der Basis dieses Berichtesden Herausforderungen, vor denen ganz Deutschlandsteht, mit den ostdeutschen Antworten, mit unserer spe-ziellen Erfahrung und mit unserer Motivation begegnen.

Meine Damen und Herren, der Osten ist auf gutemWege. Wir werden auch die nächste Distanz gut zurück-legen – mit vereinten Kräften, vor allen Dingen aberauch mit der Kraft der Bürgerinnen und Bürger in Ost-deutschland und mit einer großen Solidarität, die keineHimmelsrichtungen kennt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

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Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:Bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe, würde

ich Ihnen gerne das von den Schriftführerinnen undSchriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichenAbstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregie-rung zur Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher

Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reak-tion auf terroristische Angriffe gegen die USA bekannt-geben: abgegebene Stimmen 566. Mit Ja haben gestimmt428, mit Nein haben gestimmt 130. 8 Kolleginnen undKollegen haben sich enthalten. Die Beschlussempfeh-lung und damit der Antrag der Bundesregierung sindalso angenommen.

(D)

Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 566;davon

ja: 428nein: 130enthalten: 8

Ja

CDU/CSU

Ulrich AdamIlse AignerPeter AlbachPeter AltmaierDorothee BärThomas BareißNorbert BarthleGünter BaumannErnst-Reinhard Beck

(Reutlingen)Veronika BellmannOtto BernhardtClemens BinningerPeter BleserAntje BlumenthalDr. Maria BöhmerJochen BorchertWolfgang BosbachKlaus BrähmigHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeMonika BrüningGeorg BrunnhuberCajus CaesarGitta ConnemannLeo DautzenbergHubert DeittertAlexander DobrindtThomas DörflingerMarie-Luise DöttMaria EichhornDr. Stephan EiselAnke Eymer (Lübeck)Ilse FalkDr. Hans Georg FaustEnak FerlemannIngrid FischbachHartwig Fischer (Göttingen)Dirk Fischer (Hamburg)Axel E. Fischer (Karlsruhe-

Land)Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachHerbert Frankenhauser

Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)

Erich G. FritzJochen-Konrad FrommeDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelDr. Jürgen GehbNorbert GeisEberhard GiengerRalf GöbelPeter GötzDr. Wolfgang GötzerUte GranoldReinhard GrindelMichael Grosse-BrömerMarkus GrübelManfred GrundMonika GrüttersDr. Karl-Theodor Freiherr zu

GuttenbergOlav GuttingHolger HaibachGerda HasselfeldtUrsula HeinenUda Carmen Freia HellerJürgen HerrmannBernd HeynemannErnst HinskenChristian HirteRobert HochbaumKlaus HofbauerFranz-Josef HolzenkampJoachim HörsterAnette HübingerHubert HüppeSusanne Jaffke-WittDr. Peter JahrDr. Hans-Heinrich JordanAndreas Jung (Konstanz)Dr. Franz Josef JungBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KampeterAlois KarlBernhard KasterSiegfried Kauder (Villingen-

Schwenningen)Volker KauderEckart von KlaedenJürgen KlimkeJulia KlöcknerJens KoeppenKristina Köhler (Wiesbaden)Manfred KolbeNorbert KönigshofenDr. Rolf Koschorrek

Hartmut KoschykThomas KossendeyMichael KretschmerGunther KrichbaumDr. Günter KringsDr. Martina KrogmannDr. Hermann KuesDr. Karl Lamers (Heidelberg)Andreas G. LämmelDr. Norbert LammertHelmut LampKatharina LandgrafDr. Max LehmerPaul LehriederIngbert LiebingEduard LintnerPatricia LipsDr. Michael LutherThomas MahlbergStephan Mayer (Altötting)Wolfgang MeckelburgDr. Michael MeisterDr. Angela MerkelLaurenz Meyer (Hamm)Maria MichalkPhilipp MißfelderDr. Eva MöllringMarlene MortlerCarsten Müller

(Braunschweig)Stefan Müller (Erlangen)Dr. Gerd MüllerBernd Neumann (Bremen)Dr. Georg NüßleinFranz ObermeierEduard OswaldHenning OtteRita PawelskiUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferBeatrix PhilippRonald PofallaRuprecht PolenzDaniela RaabThomas RachelDr. Peter RamsauerPeter RauenEckhardt RehbergKatherina Reiche (Potsdam)Klaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberFranz RomerJohannes RöringKurt J. RossmanithDr. Norbert Röttgen

Dr. Christian RuckAlbert Rupprecht (Weiden)Peter RzepkaAnita Schäfer (Saalstadt)Hermann-Josef ScharfDr. Wolfgang SchäubleHartmut SchauerteDr. Annette SchavanDr. Andreas ScheuerKarl SchiewerlingNorbert SchindlerGeorg SchirmbeckBernd SchmidbauerChristian Schmidt (Fürth)Andreas Schmidt (Mülheim)Ingo Schmitt (Berlin)Dr. Andreas SchockenhoffDr. Ole SchröderBernhard Schulte-DrüggelteUwe SchummerWilhelm Josef SebastianKurt SegnerMarion SeibBernd SiebertThomas SilberhornJens SpahnErika SteinbachChristian Freiherr von StettenGero StorjohannAndreas StormMax StraubingerMatthäus StreblThomas Strobl (Heilbronn)Lena StrothmannMichael StübgenHans Peter ThulAntje TillmannDr. Hans-Peter UhlArnold VaatzVolkmar Uwe VogelAndrea Astrid VoßhoffGerhard WächterMarco WanderwitzKai WegnerMarcus WeinbergPeter Weiß (Emmendingen)Gerald Weiß (Groß-Gerau)Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannAnette Widmann-MauzKlaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-

BeckerDagmar WöhrlWolfgang ZöllerWilli Zylajew

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20045

(A) (C)

(B) (D)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt

SPD

Gerd AndresNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldErnst Bahr (Neuruppin)Doris BarnettDr. Hans-Peter BartelsSabine BätzingDirk BeckerUwe BeckmeyerKlaus Uwe BenneterUte BergPetra BierwirthVolker BlumentrittKurt BodewigGerd BollmannDr. Gerhard BotzKlaus BrandnerWilli BraseBernhard Brinkmann

(Hildesheim)Edelgard BulmahnUlla BurchardtMartin BurkertDr. Michael BürschChristian CarstensenMarion Caspers-MerkDr. Herta Däubler-GmelinKarl DillerMartin DörmannDr. Carl-Christian DresselElvira Drobinski-WeißGarrelt DuinDetlef DzembritzkiSebastian EdathySiegmund EhrmannHans EichelPetra ErnstbergerKarin Evers-MeyerElke FernerGabriele FograscherRainer FornahlGabriele FrechenPeter FriedrichSigmar GabrielIris GleickeGünter GloserAngelika Graf (Rosenheim)Dieter GrasedieckMonika GriefahnKerstin GrieseGabriele GronebergAchim GroßmannWolfgang GrotthausWolfgang GunkelHans-Joachim HackerBettina HagedornKlaus HagemannAlfred HartenbachMichael Hartmann

(Wackernheim)Nina HauerHubertus HeilRolf HempelmannDr. Barbara HendricksGustav HerzogPetra Heß

Stephan HilsbergGerd HöferFrank Hofmann (Volkach)Eike HovermannKlaas HübnerChristel HummeBrunhilde IrberJohannes Jung (Karlsruhe)Josip JuratovicJohannes KahrsUlrich KasparickDr. h. c. Susanne KastnerUlrich KelberHans-Ulrich KloseAstrid KlugDr. Bärbel KoflerWalter KolbowFritz Rudolf KörperKarin KortmannRolf KramerAnette KrammeErnst KranzVolker KröningAngelika Krüger-LeißnerDr. Hans-Ulrich KrügerHelga Kühn-MengelUte KumpfDr. Uwe KüsterChristine LambrechtChristian Lange (Backnang)Waltraud LehnGabriele Lösekrug-MöllerLothar MarkCaren MarksKatja MastMarkus MeckelPetra Merkel (Berlin)Ulrike MertenDr. Matthias MierschUrsula MoggMarko MühlsteinDetlef Müller (Chemnitz)Michael Müller (Düsseldorf)Franz MünteferingDr. Rolf MützenichThomas OppermannHolger OrtelHeinz PaulaJohannes PflugJoachim PoßChristoph PriesDr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeMechthild RawertDr. Carola ReimannChristel Riemann-

HanewinckelRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannKarin Roth (Esslingen)Michael Roth (Heringen)Ortwin RundeMarlene Rupprecht

(Tuchenbach)Anton SchaafAxel Schäfer (Bochum)Bernd Scheelen

Marianne SchiederUlla Schmidt (Aachen)Silvia Schmidt (Eisleben)Dr. Frank SchmidtHeinz Schmitt (Landau)Carsten Schneider (Erfurt)Ottmar SchreinerReinhard Schultz

(Everswinkel)Dr. Martin SchwanholzRolf SchwanitzRita Schwarzelühr-SutterJörg-Otto SpillerDr. Ditmar StaffeltDieter SteineckeAndreas SteppuhnRolf StöckelChristoph SträsserDr. Peter StruckJoachim StünkerJörg TaussJella TeuchnerDr. h. c. Wolfgang ThierseJörn ThießenFranz ThönnesSimone ViolkaJörg VogelsängerHedi WegenerAndreas WeigelPetra WeisGunter WeißgerberGert Weisskirchen

(Wiesloch)Dr. Rainer WendDr. Margrit WetzelAndrea WickleinHeidemarie Wieczorek-ZeulDr. Dieter WiefelspützEngelbert WistubaWaltraud Wolff

(Wolmirstedt)Heidi WrightUta ZapfManfred ZöllmerBrigitte Zypries

FDP

Jens AckermannChristian AhrendtDaniel Bahr (Münster)Uwe BarthAngelika BrunkhorstErnst BurgbacherPatrick DöringMechthild DyckmansJörg van EssenUlrike FlachPaul K. FriedhoffHorst Friedrich (Bayreuth)Dr. Edmund Peter GeisenDr. Wolfgang GerhardtHans-Michael GoldmannMiriam GrußJoachim Günther (Plauen)Dr. Christel Happach-KasanHeinz-Peter HausteinElke HoffBirgit Homburger

Dr. Werner HoyerHellmut KönigshausGudrun KoppHeinz LanfermannHarald LeibrechtIna LenkeMichael Link (Heilbronn)Markus LöningDr. Erwin LotterHorst MeierhoferPatrick MeinhardtBurkhardt Müller-SönksenDirk NiebelHans-Joachim Otto

(Frankfurt)Detlef ParrCornelia PieperGisela PiltzFrank SchäfflerDr. Konrad SchilyMarina SchusterDr. Hermann Otto SolmsDr. Rainer StinnerCarl-Ludwig ThieleFlorian ToncarDr. Daniel VolkChristoph WaitzDr. Claudia WintersteinDr. Volker WissingHartfrid Wolff (Rems-Murr)

Nein

CDU/CSU

Wolfgang Börnsen (Bönstrup)

Dr. Peter GauweilerWilly Wimmer (Neuss)

SPD

Dr. Lale AkgünGregor AmannKlaus BarthelSören BartolDr. Axel BergLothar Binding (Heidelberg)Clemens BollenMarco BülowDr. Peter DanckertRenate GradistanacDr. Reinhold HemkerGabriele Hiller-OhmPetra Hinz (Essen)Christian KleimingerHelga LopezHilde MattheisMaik ReichelGerold ReichenbachSönke RixSwen Schulz (Spandau)Wolfgang SpanierDr. Rainer TabillionRüdiger VeitDr. Marlies VolkmerLydia Westrich

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20046 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) (C)

(B)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt

FDP

Jürgen KoppelinSabine Leutheusser-

Schnarrenberger

DIE LINKE

Hüseyin-Kenan AydinDr. Dietmar BartschKarin BinderHeidrun BluhmEva Bulling-SchröterDr. Martina BungeRoland ClausSevim DağdelenDr. Diether DehmDr. Dagmar EnkelmannKlaus ErnstWolfgang GehrckeDiana GolzeDr. Gregor GysiLutz HeilmannHans-Kurt HillCornelia HirschInge HögerDr. Barbara HöllUlla JelpkeDr. Lukrezia JochimsenDr. Hakki KeskinKatja KippingMonika KnocheJan KorteKatrin KunertOskar Lafontaine

Ulla LötzerDr. Gesine LötzschUlrich MaurerDorothée MenznerKornelia MöllerKersten NaumannWolfgang NeškovićDr. Norman PaechPetra PauBodo RamelowElke ReinkePaul Schäfer (Köln)Volker Schneider

(Saarbrücken)Dr. Herbert SchuiDr. Petra SitteFrank SpiethDr. Kirsten TackmannDr. Axel TroostAlexander UlrichJörn Wunderlich

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kerstin AndreaeMarieluise Beck (Bremen)Volker Beck (Köln)Cornelia BehmBirgitt BenderAlexander BondeEkin DeligözDr. Thea DückertDr. Uschi Eid

Hans Josef FellKai GehringKatrin Göring-EckardtBritta HaßelmannBettina HerlitziusWinfried HermannPeter HettlichPriska Hinz (Herborn)Ulrike HöfkenDr. Anton HofreiterBärbel HöhnThilo HoppeUte KoczySylvia Kotting-UhlFritz KuhnRenate KünastUndine Kurth (Quedlinburg)Markus KurthMonika LazarAnna LührmannNicole MaischJerzy MontagKerstin Müller (Köln)Winfried NachtweiOmid NouripourBrigitte PothmerClaudia Roth (Augsburg)Krista SagerManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergChristine ScheelIrmingard Schewe-GerigkDr. Gerhard SchickGrietje Staffelt

Rainder SteenblockSilke Stokar von NeufornDr. Wolfgang Strengmann-

KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeJürgen TrittinWolfgang WielandJosef Philip Winkler

fraktionslose Abgeordnete

Henry NitzscheGert Winkelmeier

Enthalten

CDU/CSU

Dr. Wolf BauerRenate Blank

SPD

Iris Hoffmann (Wismar)Dirk ManzewskiEwald SchurerDr. Angelica Schwall-Düren

FDP

Michael KauchDr. Heinrich L. Kolb

(D)

Nun hat als nächster Redner das Wort der KollegeJoachim Günther für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Joachim Günther (Plauen) (FDP): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Wir sprechen heute zum wiederholten Male überden Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit.Auch nach 19 Jahren halte ich es für etwas tragisch, dassdarüber immer am späten Nachmittag debattiert wird.

(Peter Hettlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Ja!)

Ich glaube, die deutsche Einheit hätte einen besserenZeitpunkt verdient, als das jetzt der Fall ist.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben wieder einen Bericht vorliegen, der eineFleißaufgabe der Bundesregierung darstellt; das ist un-umstritten, Herr Minister. Wir haben einen Bericht vor-liegen, in dem einige Fakten klar aufgelistet werden.

Die Menschen wollen aber nicht nur die Vorlage einesBerichts. Sie wollen im Endeffekt aus den Ergebnissen

dieses Berichts ein Handeln abgeleitet haben. DiesesHandeln merken sie im tagtäglichen Leben. Wir werdennoch so lange über einen Bericht zum Stand der deut-schen Einheit sprechen, solange es unterschiedlicheLohn- und Rentenberechnungen gibt, solange es unter-schiedliche Beitragssätze und unterschiedliche Beitrags-bemessungsgrenzen gibt. Das sind Dinge, die die Men-schen täglich spüren. Die müssen wir auflösen. Deshalbhatte ich, ehrlich gesagt, das Gefühl: Sie haben hier zwarein hervorragendes Grußwort gehalten, aber auf die Fak-ten keine Antwort gegeben.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Peter Hettlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das müssen wir meines Erachtens ändern.

Lassen Sie mich zum Jahresbericht zum Stand derdeutschen Einheit kommen. Es wurden wirklich alle Fel-der aufgenommen: von der Wirtschafts- bis zur Jugend-politik; ich will nicht jeden Punkt aufführen. Absolut be-trachtet – auch Sie haben das gesagt – geht es auf demArbeitsmarkt im Osten aufwärts; das bestreitet niemand.Aber der Beseitigung des Phänomens, das wir seit Jah-ren haben, nämlich dass die Arbeitslosigkeit, betrachtetman Gesamtdeutschland, im Osten doppelt so hoch ist,sind wir leider keinen Schritt nähergekommen.

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20047

(A) (C)

(B) (D)

Joachim Günther (Plauen)

Das gilt auch für das Wirtschaftswachstum. Sie habenzwar gesagt, man solle dies nicht immer in Zahlen aus-drücken. Man muss so etwas aber in Zahlen ausdrücken.

(Beifall bei der FDP)

Nehmen wir das Bruttoinlandsprodukt: Es ist seit 1995in Westdeutschland um 16,9 Prozent und im Osten nurum 16,3 Prozent gestiegen. Das bedeutet, die Schere istselbst statistisch betrachtet nicht enger geworden. Dasmuss uns in dieser Zeit wachrütteln.

Das bedeutet, dass es ein gemeinsames Engagementvon Bund, Ländern und Kommunen geben muss. Dasbedeutet, dass es nicht immer nur darum geht, mehr Mit-tel zu fordern. Das wollen wir nicht. Es ist das Anliegender Linken, ständig mehr Geld zu fordern, ohne zu sa-gen, woher es kommen soll. Meines Erachtens ist es abersehr wichtig, das zur Verfügung stehende Geld zu ko-ordinieren und in die richtigen Bahnen zu lenken, dort-hin, wo es die größten Effekte hat.

(Beifall bei der FDP)

Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur, in funktio-nierende Wohnungsmärkte, lebenswerte Städte – all dassind Dinge, die die Standortbedingungen in Ostdeutsch-land erhalten und ausbauen können. Die Menschen wol-len das. Sie wissen, dass viel getan wurde; das streitetniemand ab. Aber es muss weitergehen; sonst setzt sichdie Abwanderung aus dem Osten Deutschlands fort. Da-bei müssen in der heutigen Situation Infrastrukturinves-titionen als Konjunkturprogramm gesehen werden undeinen besonderen Vorrang erhalten.

Ich finde es auch gut, dass Sie den Investitionsanteilim Bau- und Verkehrshaushalt erhöht haben. Das istzweifelsohne richtig. Bloß, wer die Zahlen genauer be-trachtet – dies jetzt zu tun, würde zu weit führen –, wirdsehen, dass mit dieser Erhöhung noch nicht einmal dieInflationsrate und der Preisanstieg ausgeglichen wurden.Wir bauen also in der Relation weniger als 1998.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Ich möchte Ihnen zwei Beispiele nennen: Als ehema-liger OB von Leipzig kennen Sie sicherlich die A 72. Siesollte zur Fußballweltmeisterschaft 2006 fertig sein.Heute reden wir über den letzten Planungsabschnitt. Siekennen sicher die – scherzhaft gesagt – schnellste Eisen-bahnverbindung Deutschlands von Dresden nach Berlin.Auf dieser Strecke sind wir vor 80 Jahren schneller ge-fahren, als das heute der Fall ist. Da müsste man sicheinmal etwas einfallen lassen.

(Beifall bei der FDP)

Als ich gestern sächsische Zeitungen gelesen habe,habe ich gedacht, Sie haben die Koalition gekündigt. Zu-mindest kommt es einem so vor. Die Große Koalitiongibt es ja in Dresden und hier. Der Kollege Kretschmer– ich sehe ihn jetzt nicht – hat gesagt: Wir wollen dieBauanträge sofort schreiben. Wir wollen noch in diesemJahr damit beginnen. Die ersten Bagger müssen rollen. –Der Herr Minister hat darauf geantwortet – in gewisserHinsicht kann ich das sogar verstehen –: Was der datreibt, ist unsachlich und billige Polemik. – Ich habe ei-

nen Vorschlag: Sie bilden eine Koalition. Setzen Sie sichzusammen und reden Sie darüber. Sagen Sie den Men-schen, wo es hingehen soll.

(Beifall bei der FDP)

Herr Tiefensee, es gibt aber auch Projekte, die mitüberschaubaren Mitteln sofort eine ganze Region weiter-entwickeln können. Ich möchte hier die durchgehendeElektrifizierung der Franken-Sachsen-Magistrale nen-nen. Das ist ein Projekt, das die Freistaaten Sachsen undBayern vorangetrieben haben. Alle Voruntersuchungensind abgeschlossen. Es geht nur noch um das Unterwerkfür Energieeinspeisung in Hof. Das ist das Einzige, wasbei diesem immensen Bauabschnitt noch offen ist. Siesagen, es gibt neue Investitionen in die Infrastruktur.Hier geht es um 30 Millionen. Durchschlagen Sie diesenKnoten. Fangen Sie an dieser Stelle an. Es kann sofortlosgehen mit Investitionen, die den Menschen in der Re-gion nützen und Arbeitsplätze schaffen.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Arnold Vaatz [CDU/CSU])

Ein Wort zur Städtebauförderung. Der StadtumbauOst ist eine wichtige Voraussetzung, um wirtschaftlicheKerne in einer Region aufzubauen. Die Städte haben inletzter Zeit zum Teil eine gute Entwicklung genommen.Nach wie vor gibt es aber 1 Million Wohnungen im Os-ten, die leer stehen. Das ist etwas, was der Attraktivitätschadet. Das Programm Stadtumbau Ost ist eindeutig einhervorragendes Programm und schafft gute Ansätze. Zudem, was gut ist, muss man stehen. Unsere Aufgabewird es sein, die Attraktivität der Städte im Osten weiterzu steigern. Es muss nach einer geschickten Verbindungzwischen Rückbau und Stadtentwicklung gesucht wer-den. Wenn man diese Synthese findet, werden hoffent-lich nicht mehr so viele alte Häuser, die ein Stadtbildprägen, abgerissen, dann werden diese alten Häuser hof-fentlich stärker integriert. Dann muss man eben amStadtrand zurückbauen. Weitere Wohnungen auf grünenFlächen brauchen wir nicht. Davon haben wir im Mo-ment genügend.

Als Beispiel ist in diesem Zusammenhang dasSchloss Osterstein in Zwickau zu nennen. Hier hat manetwas geschaffen, was Stadtentwicklungs- und Stadtför-dermittel verdient. Ein Renaissanceschloss, das demVerfall preisgegeben war, aber für Sachsen in architekto-nischer Hinsicht wertvoll ist, wurde umgebaut. In denoberen Etagen befindet sich ein Pflegeheim, und in denunteren Etagen gibt es Gemeinschaftsräume, Restau-rants, Arztpraxen und Ähnliches. Das heißt, mitten inder Stadt ist aus einer Ruine ein Begegnungszentrumentstanden. Das ist ein gutes Beispiel für richtige Stadt-entwicklung.

(Beifall bei der FDP)

Gestatten Sie mir zum Schluss zwei Bemerkungen:Über die Anträge der CDU/CSU werden wir im Aus-schuss beraten. Der Antrag der Grünen enthält Geldfor-derungen. Es muss in der gegenwärtigen Situation viel-leicht nicht sein, lieber Peter Hettlich, dass noch mehrGeld gefordert wird. Deswegen werden wir uns enthal-ten oder den Antrag ablehnen.

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20048 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) (C)

(B) (D)

Joachim Günther (Plauen)

Eines erscheint mir ziemlich kurios. In der LeipzigerVolkszeitung habe ich gestern gelesen, dass die HerrenWeißgerber, Fornahl und Vaatz – das sind ja nicht irgend-welche in der Fraktion – mit ihrem Anliegen gescheitertseien, die Gestaltung eines Freiheits- und Einheitsdenk-mals auf die Tagesordnung des Kulturausschusses zu set-zen. Damit bleibt Leipzig praktisch vor der Tür. Ich haltedas 19 Jahre nach der Wende für ein fatales Zeichen. Wirreden stets über riesige Kosten der deutschen Einheitund darüber, wie die Anpassung vorangehen soll. Ichbitte Sie, dabei nicht die Menschen zu vergessen, die diedeutsche Einheit möglich gemacht haben. Dazu zählendie Menschen in Leipzig. Geben Sie sich einen Ruck.Ich glaube, gemeinsam können wir einiges erreichen.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist der Kollege Volkmar Vogel für

die CDU/CSU-Fraktion.

Volkmar Uwe Vogel (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die deutscheEinheit ist volljährig. Volljährigkeit bedeutet Eigenver-antwortung, selbstständiges Handeln, Chancen erkennenund Chancen nutzen. Genau das tun die Ostdeutschenseit 1990 immer besser. Ich denke, das ist die gemein-same Quintessenz, die wir aus dem diesjährigen Berichtzum Stand der deutschen Einheit entnehmen können.

18 Jahre Einheit heißt auch 18 Jahre Abstand von ei-nem durch die SED ruinierten Staat. Das Schild undSchwert dieser Partei, das Ministerium für Staatssicher-heit, kontrollierte alle Teile des täglichen Lebens im Os-ten und vielleicht auch ein bisschen im Westen. Die ka-tastrophale Lage wurde bis zuletzt verheimlicht und wirdleider auch heute noch von manchen Schönfärbern ver-harmlost. Millionen Menschen sind über die Jahre geflo-hen, die Wirtschaft war am Boden, der Staat war hoff-nungslos verschuldet, die Rentenkassen waren leer undeine Absenkung des ohnehin bescheidenen Lebensstan-dards um mindestens 25 Prozent unabwendbar. Das istnicht in der Bild-Zeitung nachzulesen, sondern in einerPolitbürovorlage, die „Analyse der ökonomischen Lageder DDR mit Schlussfolgerungen“ heißt. Sie war von derStaatlichen Plankommission in Auftrag gegeben worden.

Das allein ist sicherlich schon schlimm. Aber fürmein Empfinden ist es noch schlimmer, wie das SED-Regime mit den Kritikern, mit den Andersdenkenden imLand umgegangen ist. Es ist aus heutiger Sicht unbe-schreiblich, was den eigenen Landsleuten von der Stasi,vom Schild und Schwert der SED, auf Befehl dieser Par-teiführung angetan wurde. Zum großen Glück gibt es dieStasi heute nicht mehr. Alle Demokraten in diesem Haus– ich denke, da sind wir uns einig – begrüßen die Rentefür SED-Opfer, ein Vorhaben, das von der Großen Koali-tion zum Abschluss gebracht worden ist, wenngleich wiralle wissen, dass es am Ende nur eine symbolische Gestefür diejenigen ist, die großes Leid erfahren haben, und

dass wir das große Leid damit nicht tatsächlich entschä-digen können.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD und der FDP)

Es ist und bleibt eine Verpflichtung für uns, die Aufar-beitung unserer jüngeren Geschichte voranzutreiben unddabei ganz besonders bei allen Gelegenheiten das Ge-denken der Opfer in besonderer Art und Weise hervorzu-heben.

Der Osten in unserem Land hat in den letzten Jahrenin allen gesellschaftlichen Bereichen enorme Umstruktu-rierungen durchgemacht. Dazu gehört natürlich auch dergroße Bereich der Infrastruktur. Mobilität ist Freiheit, In-frastruktur verbindet Menschen und sorgt für wirtschaft-lichen Aufschwung. Die Verkehrsprojekte „DeutscheEinheit“ waren Anfang der 90er-Jahre eine richtige Ent-scheidung. Alle Projekte sind entweder abgeschlossenoder befinden sich im Bau. Es kommt darauf an, diejeni-gen, die noch im Bau sind, zielstrebig und planmäßigzum Abschluss zu bringen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

Dazu gehören die ICE-Strecke der VDE 8.1 und 8.2ebenso wie die Lückenschlüsse auf der A 9 zwischenBayern und Thüringen oder auf der A 4 von Sachsen inRichtung Hessen. Ich weise ganz bewusst darauf hin,dass diese Projekte nicht nur den ostdeutschen Bundes-ländern dienen, sondern auch entscheidend für die infra-strukturelle Entwicklung in der gesamten Bundesrepu-blik sind.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Ein anderer Aspekt spielt dabei noch eine wesentlicheRolle. All diese wichtigen Fernverbindungen sind auchTeil der transeuropäischen Netze. Deswegen nenne ichdiese Projekte auch bewusst Teile der „VerkehrsprojekteEuropäische Einheit“. Neue Korridore – auch durch Ost-deutschland – von großer europäischer Bedeutung kom-men auf uns zu. Ich nenne den Viermeereskorridor, aberauch Hinterlandanbindungen der Häfen in Deutschlandin Richtung Süden und Südosten, die in den nächstenJahren und Jahrzehnten eine entscheidende Rolle spie-len.

Infrastrukturmaßnahmen sind natürlich nur ein Mosaik-stein zur Beherrschung der demografischen Entwick-lung, die uns im Osten ganz besonders zu schaffenmacht. Nach meiner Einschätzung wird es in den nächs-ten 30 Jahren besonders schwierig. Deswegen ist es un-sere Aufgabe, diesen Trend langfristig umzukehren unddie Durststrecke bis dahin mit geeigneten Maßnahmenabzufedern.

Dafür haben wir heute schon geeignete Mittel, zumBeispiel und vor allen Dingen im Bereich der Stadtent-wicklung. Das Programm Stadtumbau Ost ist ein Erfolg.Deswegen wird es unser Ziel sein, dieses Programmüber 2009 hinaus fortzuschreiben. Wir werden es bessermit anderen Programmen in diesem Bereich verzahnen.Wir müssen für Flexibilität bei der Anwendung der Mit-tel sorgen: auf der einen Seite Abriss, auf der anderen

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20049

(A) (C)

(B) (D)

Volkmar Uwe Vogel

Seite Aufwertung. Wir müssen eine stärkere Fokussie-rung auf die Innenstädte entwickeln und dies mit einemgeeigneten Denkmalschutz kombinieren, aber vor allenDingen mit der Stadtkernerhaltung und der Verbesserungder Attraktivität der Innenstädte. Flankierende Maßnah-men sind dabei ausgesprochen wichtig. So kann ich mirfür die Bewältigung dieser auch in finanzieller Hinsichtschwierigen Aufgabe durchaus vorstellen, dass wir miteiner Investitionszulage und neu überdachten Sonderab-schreibungen einiges mehr erreichen können.

Eines liegt mir noch ganz besonders am Herzen; dasist der ländliche Raum. Eine starke Stadt-Umland-Bezie-hung sorgt für Stabilität auch in Krisenzeiten. Starkelandwirtschaftliche Betriebe sorgen für attraktive Ar-beitsplätze; sie sind besonders in den strukturell schwa-chen Gebieten in allen Teilen der Bundesrepublik not-wendig, natürlich auch im Osten. Für uns steht fest: Wirhalten an dem Ziel der Umsetzung des Solidarpakts bis2019 fest. Dafür setzen wir uns ein und werden Verein-barungen zu einer Verstetigung der GA-Mittel treffen.Dabei kommt es darauf an, dass man für Transparenzbeim Mitteleinsatz sorgt und dass eine Zielorientierungvorgegeben wird, ohne Gefahr zu laufen, dass die Flächedabei verödet.

Die so oft gescholtene Gießkanne muss man differen-ziert betrachten. Die Gießkanne statt des Gartenschlau-ches sorgt richtig eingesetzt aus meiner Sicht für Wachs-tum und blühende Flächen. Die Alternative heißt Wüstemit Oasen. Wüsten sind aus meiner Sicht etwas für Ka-mele, aber nicht für verantwortungsvolle Politiker. Des-halb – auch das ist ein Ergebnis des Aufbaus Ost in denvergangenen Jahren – sprechen wir zum Beispiel heutein Mikrofone, die aus Gefell im Vogtland kommen, des-wegen baut Opel in Eisenach im Wartburgkreis Fahr-zeuge, deswegen gibt es einen Airbuszulieferer im Al-tenburger Land, und deswegen können wir heute überArbeitslosenquoten von 10 Prozent reden. Das ist ein Er-folg des Aufbaus Ost und vor allen Dingen ein Erfolgder Union, die sich immer dafür eingesetzt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit?

Volkmar Uwe Vogel (CDU/CSU): Am Ende bleibt mir nur noch zu sagen: Ich freue

mich auf eine interessante Diskussion in den Ausschüs-sen. Ich bin mir sicher, die Menschen in Ostdeutschland,die ostdeutschen Bundesländer, gehen selbstbewusst ih-ren Weg in unserem vereinten Vaterland, auch wenn daseinigen Ewiggestrigen nicht passt. Das kann uns egalsein. Es geht um unser Vaterland, um die Weiterentwick-lung aller Regionen.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist der Kollege Roland Claus für die

Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Roland Claus (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Der Jahresbericht zum Stand der deutschen Ein-heit soll Antwort auf die Frage geben, wie viel Einheitzwischen Ost und West hergestellt ist. Es ist die einzigeDebatte im Deutschen Bundestag, die fast ausschließlichvon ostdeutschen Abgeordneten geführt wird.

(Petra Weis [SPD]: Aber nur fast!)

Das sagt auch einiges über die Kultur der Einheit undden Zustand, den wir erreicht haben.

Warum müssen wir eigentlich immer noch über denOsten reden? Zunächst sei Folgendes klargestellt: Selbst-verständlich, Herr Bundesminister Tiefensee, freut sichauch die Fraktion Die Linke über jeden wirklichenSchritt nach vorn. Es war bekanntlich unsere Fraktion,die Ihnen vorgeschlagen hat, der aufgrund der Finanz-krise drohenden Krise der Realwirtschaft mit einemKonjunkturprogramm zu begegnen. Jetzt haben Sie einsolches Programm aufgelegt, dürfen es aber nicht „Kon-junkturprogramm“ nennen.

(Heiterkeit bei der LINKEN)

Wenn Sie uns aber absprechen, dass wir uns über Fort-schritte freuen, muss ich Ihnen ausdrücklich widerspre-chen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Fakten kann man nicht leugnen. Wenn man einenVergleich aller Landkreise der Bundesrepublik vor-nimmt und sich das Ende der Liste anschaut, stellt manfest, dass sich unter den 50 letztplatzierten Landkreisen49 ostdeutsche Landkreise befinden.

Ein anderer Fakt: Addiert man die Leistungskraft der100 größten ostdeutschen Unternehmen, kommt mannoch nicht einmal auf die Hälfte der Leistungskraft desDaimler-Konzerns. Deshalb sind wir der Meinung: Wirhaben in Deutschland viele Probleme. Dazu gehört nachwie vor das Problem der Ost-West-Teilung.

Der Bericht, den uns die Bundesregierung vorlegt, istbemerkenswert problembewusst. Wenn man allerdingsnach Schlussfolgerungen und nach Konsequenzen fürdie Politik der Bundesregierung sucht, stellt man fest:Fehlanzeige. Deshalb muss man mit aller Deutlichkeitsagen: Sie sind mit Ihrer Unlogik, den Aufbau Ost aus-schließlich als Nachbau West zu gestalten, und zwarnach dem Motto „Wie im Westen, so auf Erden!“, ge-scheitert. Das ist keine Basis für eine zukunftsfähigeEntwicklung.

(Beifall bei der LINKEN)

Man kann diese Frage auch einmal andersherum stel-len: Was kann der Westen vom Osten lernen? Ich möchteeinige wenige Punkte aufzählen. Er kann lernen, derKrise in schwierigen Situationen in die Augen zu sehen

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20050 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) (C)

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Roland Claus

und besonnen zu handeln. Er kann lernen, keine Angstvor Systemfragen zu haben. Ich bin mir ganz sicher, dassder Osten bei der Bewältigung der aktuellen Krise ganzeindeutig einen Kompetenzvorsprung hat.

Die Abgeordneten der Koalition haben sich fürchter-lich beklagt, als Umfrageergebnisse bekannt wurden,nach denen nur noch 31 Prozent der Ostdeutschen Ver-trauen in die soziale Marktwirtschaft haben. Aber dieSchlussfolgerung, die Sie daraus gezogen haben und dieSie uns politisch anbieten – darauf zu warten, dass dieinternationalen Finanzmärkte eines Tages wieder sofunktionieren, wie sie einmal funktioniert haben –, istvöllig falsch. An dieser Stelle können Sie vom Osten inder Tat neues Denken lernen. Das halten wir auch fürdringend geboten.

(Beifall bei der LINKEN – Veronika Bellmann[CDU/CSU]: Meinen Sie damit die zentralisti-sche Planwirtschaft?)

Außerdem kann man vom Osten lernen, Transforma-tionserfahrungen einzubringen, will heißen: erfolgrei-ches Handeln unter völlig neuen gesellschaftlichen Situa-tionen.

Nur zwei Beispiele:

Die erfolgreiche Einführung erneuerbarer Energien,beispielsweise in Brandenburg und Sachsen-Anhalt, be-deutet natürlich auch eine gesellschaftspolitische Um-wälzung; denn es muss gegen Bewährtes und Altes vor-gegangen werden. Das ist im Osten beispielhaftgelungen.

Ein anderes Beispiel ist die Etablierung und Ausbrei-tung erfolgreich wirkender Sparkassen. Dies ist ein gutesBeispiel für eine gelungene Ost-West-Einigung. Deshalbsagen wir: Sparkassen sind in Europa kein Auslauf-,sondern ein Zukunftsmodell,

(Beifall bei der LINKEN)

das wir uns durchaus auch als Ratgeber bei der Neuorga-nisation der Stromnetze vorstellen können.

Vom Osten kann man lernen, neue Wege zu gehen.Nur ein Beispiel: Viele, auch ostdeutsche Unternehmenklagen inzwischen über den drohenden oder schon anzu-treffenden Fachkräftemangel. Sie haben die Hoffnungaufgegeben, Löhne oder Gehälter wie im Westen zahlenzu können. Sie haben sich allerdings selbst geholfen, undzwar mit einer typischen Erfahrung aus dem Osten. Siehaben Betriebskindergärten installiert, sodass die Arbeit-nehmer ideale Bedingungen vorfinden. Das ist ein As-pekt, der unserer Meinung nach viel stärker als bisherberücksichtigt werden sollte.

(Beifall bei der LINKEN)

Über Ostdeutschland zu reden, heißt nach wie voraber auch, Diskriminierungen zu überwinden. Als wirdieser Tage eine breite Diskussion über die Angleichungvon Ost- und Westrenten geführt haben, warnte der säch-sische Ministerpräsident Tillich tatsächlich 18 Jahrenach der deutschen Einheit vor überhasteten Schritten.Ich frage Sie: Wo leben wir denn? Die Hoffnung der

Ostdeutschen auf eine Angleichung von Ost- undWestrenten hat die Bundesregierung am Tag der Deut-schen Einheit enttäuscht.

(Veronika Bellmann [CDU/CSU]: Ja, ja! WennSie den Rentnern jeden Monat Geld wegneh-men wollen, dann müssen wir das so machen,wie Sie sagen! Sonst nicht!)

Die Bundeskanzlerin antwortete den Ostdeutschen ledig-lich mit der Formel: Die Höhe der Renten wird nicht sin-ken. Ich muss Ihnen sagen: Damit haben Sie die Erwar-tungen der Ostdeutschen nicht erfüllt.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben heute schon viel über die Bahn debattiert.Dass der Osten durch die am 14. Dezember 2008 erfol-genden Preiserhöhungen stärker als das gesamte restli-che Bundesgebiet getroffen wird, halten wir ebenfallsfür eine nicht hinzunehmende Diskriminierung.

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Dagegen muss man etwas tun!)

Wir stellen die Frage: Warum ist die Bundesregierungeigentlich so reformunfähig, und warum gibt es im Wes-ten so viel Beharrung? Ich glaube, das liegt auch daran,dass viele in den alten Bundesländern die deutsche Ein-heit nicht als einen Zugewinn in ihrem Lebensalltag er-fahren konnten. Nehmen wir dieses einfache Beispiel:Es gibt im Westen Arbeit und keine Kinderbetreuungs-einrichtungen, im Osten gibt es Kitas und keine Arbeit.

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Das ist Quatsch!)

Man muss an dieser Stelle doch einmal die Erwartung andie Politik ausdrücken dürfen, das jetzt einmal zusam-menzubringen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir geben uns auch nicht damit zufrieden, dass nochimmer 54 Prozent der Beschäftigten der Bundesregie-rung in Bonn tätig sind. Ich sage es Ihnen gleich: Alle imBonn-Berlin-Gesetz fixierten Ziele für die BundesstadtBonn sind mit der Jahrtausendwende erreicht worden.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Überer-füllt!)

Da Sie unsere entsprechenden Anträge seit Monaten imHaushaltsausschuss blockieren, legen wir Ihnen heuteden Antrag „Wiedervereinigung der Bundesregierung inBerlin“ vor. Das ist eine angemessene Aufgabe.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Linke wird deshalb im Westen und im Osten undimmer wieder auch in diesem Parlament für die Anglei-chung der Lebensverhältnisse aller Bürger dieser Repu-blik eintreten. Deshalb gilt: Ohne eine starke Linkekeine wirkliche deutsche Einheit.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

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Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun

der Kollege Peter Hettlich.

Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich finde, dass dasbis jetzt eine ausgesprochen müde Debatte ist. Das hatvielleicht etwas damit zu tun, dass wir heute Nachmittagschon eine etwas längere und erhitzte Debatte über dengleichen Minister geführt haben, der auch für den Auf-bau Ost zuständig ist. Es kann sein, dass die Energien et-was verbraucht sind.

Ich weise darauf hin, dass dies heute die letzte De-batte ist, die wir in dieser Legislaturperiode zum Standder deutschen Einheit führen.

(Veronika Bellmann [CDU/CSU]: Schauen Sie einmal in unseren Entschließungsantrag!)

Insofern kann ich meinem Kollegen Joachim Günthernur ausdrücklich recht geben: Es ist außerordentlichschwach, dass wir diese Debatte hier nachmittags um16 Uhr und nicht morgens zur Primetime führen. Daswäre diesem Thema absolut angemessen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg.Joachim Günther [Plauen] [FDP] und der Abg.Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE])

Ich kann dazu nur sagen, dass wir uns hier einmal einenRuck geben müssen.

(Veronika Bellmann [CDU/CSU]: Sie haben unse-ren Antrag nicht gelesen, Herr Hettlich!)

Ich spreche zu diesem Thema hier vorne jetzt schonzum sechsten oder siebten Mal und habe natürlich alleBerichte zum Stand der deutschen Einheit sehr aufmerk-sam gelesen. Wenn man sich einmal die Berichte dieserLegislaturperiode anschaut, dann muss man sagen: DerBericht über das Jahr 2005 aus dem Jahre 2006 warwirklich positiv, weil er eine sehr ehrliche und relativschonungslose Analyse der Situation in Ostdeutschlandenthielt. Der Bericht aus dem Jahre 2007 fiel schon wie-der in alte Stereotype zurück: viel erreicht, der Aufhol-prozess gewinnt an Fahrt, die Schere schließt sich.

Wir haben uns damals gefragt, wie sich bei einem Un-terschied von 0,3 Prozent beim Wirtschaftswachstumzwischen Ost und West eine Schere schließen kann.Joachim Günther hat eben auch noch einmal darauf hin-gewiesen, dass sich bei Betrachtung eines längeren Zeit-raums ganz deutlich zeigt, dass es beim Aufholprozessseit etwa 12, 13 Jahren eine Stagnation gibt. Dabei kannman doch nicht von einer sich schließenden Schere spre-chen.

Dieses Jahr gibt es eigentlich wieder einen Rückfallin das Jahr 2006. Es werden die industriellen Stärkenund die strukturellen Defizite beschrieben. Wir sind ei-gentlich wieder dort, wo wir schon vor drei Jahren wa-ren, aber es werden keine Rückschlüsse aus der gutenAnalyse gezogen. Das genau ist das Dilemma nicht nur

dieser Großen Koalition, sondern auch des Ministers undseines Ministeriums. Hier erwarte ich einfach mehr. Andieser Stelle erwarten auch die Leute von uns ehrlicheAnalysen mit ehrlichen und vor allen Dingen auch nach-vollziehbaren Lösungsvorschlägen mit der entsprechen-den Diskussion.

(Beifall des Abg. Joachim Günther [Plauen] [FDP])

Ich will das nicht immer wiederholen, weil die Zu-sammenlegung der Debattentage mit den Jahrestagen9. November und 9. Oktober natürlich immer wieder be-schworen wird: Die Lebensleistung der Ostdeutschen ist,das ist keine Frage, überragend – jeden Tag und auch inschwierigen Situationen. Das muss man auch immerwieder sagen.

Ich erinnere daran, dass wir letztes Jahr hier eine ge-waltige Debatte über das Einheitsdenkmal geführt ha-ben. Ich stelle jetzt fest, dass ich vom Minister und auchaus den Reihen der Koalition nichts dazu höre. Was istdenn jetzt eigentlich mit dem Einheitsdenkmal? Wennich der Presse jetzt einmal wirklich glauben kann, dannschaffen Sie es in dieser Legislaturperiode offensichtlichnicht einmal, dass das Einheitsdenkmal zum 20. Jahres-tag im nächsten Jahr steht. Das ist wirklich ein Armuts-zeugnis.

An meine Kolleginnen und Kollegen aus Leipzig ge-richtet, die heute nicht anwesend sind, kann ich nur sa-gen: Vermutlich werden es die Leipziger wieder selbst indie Hand nehmen müssen und sich selbst ein Denkmalbauen müssen. Ich glaube nicht, dass die Große Koali-tion in der Lage sein wird, uns an dieser Stelle etwasPositives zu liefern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Es gibt viele Themen. Wir werden heute Abend nocheine Debatte zum Investitionszulagengesetz führen. Da-rauf werde ich noch eingehen.

Es ist interessant, wenn man Revue passieren lässt,was die CDU/CSU und die SPD im letzten Jahr zumAufbau Ost beigetragen haben. Da hat man sich über dieCDU/CSU schon arg gewundert. Ich erinnere beispiels-weise an den Ost-Kongress in Dresden. Interessanter-weise hat noch niemand in irgendeiner Weise daraufBezug genommen, was ihr damals dort verzapft habt– vielleicht gehen die nächsten Redner noch darauf ein –und was ihr auch groß diskutiert und verkündet habt.Selbst der Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalthat dazu gesagt, dass man so keine Diskussion Ost füh-ren kann.

Insofern erwarte ich von Ihnen auch an der Stelle et-was mehr Konstruktivität.

Lieber Volkmar Vogel, ich schätze dich sehr, aber duhast eher eine verkehrspolitische als eine aufbaupoliti-sche Rede gehalten. Ich frage die beiden Kollegen, diegleich zu dem Thema sprechen werden: Was enthält derEntwurf der CDU/CSU für den Osten jenseits der Frage,wo wir 1989 waren, ob auf der Straße oder in irgendwel-chen Ämtern?

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Peter Hettlich

Zur SPD. Es war sehr interessant, als die CDU/CSUihr Papier in der Bundesgeschäftsstelle vorgestellt hat.Die Kollegen von der SPD standen mit ihrem Gegenent-wurf vor dem Haus, um ihn dort zu verteilen. Wenn manbeide Papiere gelesen hat, hat man gemerkt, dass sich dieGroße Koalition nicht grün ist. Wenn sie sich nicht grünist, dann ist das nicht gut für die Menschen in Ost-deutschland. Das hilft uns insgesamt nicht weiter.

Das ist ein Armutszeugnis für die Große Koalition.An dieser Stelle haben wir von Ihnen nicht viel zu erwar-ten.

Ich lade Sie alle ein, an unserem Ost-Kongress am12. und 13. Dezember teilzunehmen. Wir werden nichtvon großen Masterplänen schwadronieren, die sonst im-mer gefordert werden. Wir werden grüne Impulse fürOstdeutschland vorstellen. Es sind 15 an der Zahl. Ichwerde noch erläutern, welche Impulse das konkret sind.Es geht darum, den Menschen ehrliche Botschaften zuvermitteln, statt ihnen große Masterpläne und Worthül-sen zu verkaufen, die sie nicht voranbringen, wie es inden letzten Jahren oft genug der Fall war.

Wir müssen die Wirtschaftsförderung viel stärker vonder Investitionsförderung auf die Innovationsförderungverlagern. Neulich hat in Dresden der Bildungsgipfelstattgefunden. Zumindest ist erkannt worden, dass dasThema Bildung für uns sehr wichtig ist. Aber wir wer-den nicht an unseren Worten, sondern an unseren Tatengemessen. Unsere Taten lassen etwas ganz anderes zu.Ich denke in diesem Zusammenhang an die Verwendungder Mittel in Korb II. Das sind die überproportional ho-hen Mittel, die der Bund im Rahmen des Solidarpakts andie ostdeutschen Bundesländer gibt. Wir geben fünfmalso viel Mittel für harte Infrastrukturmaßnahmen aus wiefür Maßnahmen, die für den Standort Ostdeutschlandwichtig sind, nämlich in den Bereichen Bildung, For-schung, Entwicklung und Innovation. An dieser Stellemüssen wir unbedingt umsteuern.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN)

Daher fordern wir in unserem Entschließungsantrag für dieletzten Jahre des Solidarpakts, 50 Prozent der Korb-II-Mittel in diese Bereiche zu investieren.

Was das Handlungsfeld Bildung angeht, konnte ichkaum glauben, was ich heute im Tagesspiegel gelesenhabe: „Ost-Länder wollen neuen Soli“, und zwar denBildungssoli. Das ist unsere Erfindung, die wir im Rah-men der Föderalismusreform II vorgestellt haben. Sei-nerzeit sind wir von allen anderen abgebügelt worden.Ich müsste eigentlich Urheberrechtsgebühren von denostdeutschen Ministerpräsidenten verlangen, weil sie un-seren Bildungssoli eins zu eins als ihr Produkt verkau-fen. Sie glänzen wieder einmal durch Abwesenheit. Daszeigt, wie wenig offensichtlich auch von dieser Seite imBildungsbereich zu erwarten ist.

Der Ansatz von Herrn Tillich, immer mehr Geld zufordern, ist der falsche Weg. Das Problem besteht nichtdarin, dass wir zu wenig Geld im System haben; wirrichten aber mit dem zur Verfügung stehenden Geld zuwenig aus, vor allem deswegen, weil wir in den letzten

Jahren den Fehler gemacht haben, die Politikfelder Bil-dung, Forschung und Innovation sträflich zu vernachläs-sigen.

Zum Schluss komme ich zum Rentenwert Ost-West.Lieber Kollege Claus, wir haben bereits im Septemberhierzu einen Antrag vorgelegt. Die Kollegin IrmingardSchewe-Gerigk war dabei für uns federführend. Ich gebeIhnen eine gute Empfehlung: Lesen Sie den Antrag!Dann können wir demnächst darüber diskutieren.

(Zuruf der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE])

– Ja, genau das ist der Punkt. Sie versprechen den Leu-ten alles nach dem Motto „Wasch mich, aber mach michnicht nass!“. – Ich habe schon vor fünf Jahren in diesemHause darauf hingewiesen, dass uns die dauerhafteNiedriglohnpolitik in Ostdeutschland noch einmalmordsmäßig auf die Füße fallen wird. Mit der jetzigenRegelung der Rentenwerte werden wir nicht zurandekommen. Insofern brauchen wir andere Lösungen. DieLösungen, die wir dazu vorgelegt haben, sind innovativund intelligent. An dieser Stelle brauchen wir Ihre Un-terstützung von allen Seiten.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächste Rednerin ist die Kollegin Andrea Wicklein

für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Andrea Wicklein (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Lieber Kollege Hettlich, ich empfehle Ihnenein sehr spannendes Papier, nämlich den Entschlie-ßungsantrag der Koalitionsfraktionen. Aus ihm geht her-vor, was wir in den nächsten Jahren vorhaben, um denAufbau Ost weiter voranzubringen. Ich kann Sie beru-higen: Dort steht auch, dass es im nächsten Jahr und da-rüber hinaus einen Bericht zum Stand der deutschen Ein-heit geben wird; das haben wir vereinbart. Wir schauenalso auch im nächsten Jahr, was wir erreicht haben undwas in Ostdeutschland noch zu tun ist.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Am 9. November wurde ich auf einer Veranstaltungzum Mauerfall gefragt, wie ich mir Ostdeutschland inzehn Jahren vorstelle. Ich habe geantwortet: Ich wün-sche mir, dass dort alle eine hervorragende Schulbildungbekommen, dass mehr Jugendliche als heute dort studie-ren, dass eine ausreichende Zahl an Studienplätzen vor-handen ist, dass genug Arbeit für alle da ist, dass jederdort eine Perspektive hat und dass es für diejenigen, diesich die Welt angeschaut haben, genügend Gründe gibt,nach Hause zurückzukehren, weil sie dort für ihre Fami-lien eine gute Zukunft sehen.

Warum habe ich gerade diese Wünsche geäußert? Ge-hen wir zurück in die Gegenwart. Schauen wir uns die

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Andrea Wicklein

Situation in Ostdeutschland heute an, 19 Jahre nach demFall der Mauer. Die Arbeitslosigkeit in Ostdeutschlandist auf dem niedrigsten Stand seit 1991. Die Verkehrsin-frastruktur und die Kommunikationsnetze haben einenhervorragenden Ausbaustand erreicht. Seit dem Jahr2000 ist die industrielle Wertschöpfung um 54 Prozentgestiegen. Im Osten entstehen Kompetenzzentren undExzellenzcluster für innovative Zukunftsfelder, wie inDresden, Jena und Potsdam, um nur einige Beispiele zunennen. Bei den erneuerbaren Energien ist der Ostenvorn. Das sind Erfolge, auf die wir gemeinsam stolz seinkönnen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir haben in Ostdeutschland sehr viel erreicht. Aberin der Tat gibt es noch viel zu tun. Die Arbeitslosigkeitin Ostdeutschland ist zwar auf dem niedrigsten Standseit 1991, aber leider immer noch doppelt so hoch wie inWestdeutschland. Seit 2000 ist die industrielle Wert-schöpfung zwar um 54 Prozent gestiegen. Aber leiderbeträgt der Produktivitätsrückstand zum Westen 22 Pro-zent. Der Abstand der Löhne in der Industrie liegt beiknapp 32 Prozent; das wurde bereits angesprochen. Wa-rum weise ich ausdrücklich darauf hin? Gerade durchden demografischen Wandel wirken sich diese Faktorenauf Ostdeutschland besonders dramatisch aus. Zurzeitverlieren die ostdeutschen Bundesländer im Saldo jähr-lich circa 50 000 Menschen im Alter zwischen 18 und 30.Die anhaltende Abwanderung zeigt, dass wir die struktu-rellen Probleme im Osten noch nicht überwunden haben.Ein Grund dafür ist das Fehlen von kapitalstarken Unter-nehmen. Umso wichtiger ist es, dass Unternehmen wiedie Verbundnetz Gas AG in Leipzig als eigenständiges,wettbewerbsfähiges Unternehmen am ostdeutschenStandort gehalten werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Die Wirtschaft Ostdeutschlands ist wesentlich stärkerdurch kleine und mittlere Unternehmen geprägt. Das istein weiterer Grund für die strukturellen Defizite; denndiese Unternehmen sind oft nicht in der Lage, die erfor-derliche Finanz- und Wirtschaftskraft aufzubringen, umsich eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilungenzu leisten. Deshalb liegt der ostdeutsche Anteil an denindustriellen Forschungsaufwendungen unter 5 Prozent.

Wir sind uns einig: Es liegt im Interesse des ganzenLandes, die teilungsbedingten strukturellen Unterschiedezwischen Ost und West zu überwinden. Wir wollen, dassOstdeutschland 2019 auf eigenen Füßen steht. DieserProzess ist kein Selbstläufer. Hier ist trotz aller Erfolgenach wie vor politisches Handeln erforderlich – und wirhandeln.

Den entscheidenden Einfluss auf den weiteren An-gleichungsprozess werden die Bildungspolitik, die Aus-bildung sowie die Wirtschafts- und Forschungsförde-rung haben. Der eingeschlagene Weg mit demHochschulpakt, der Fortsetzung der Exzellenzinitiativeoder dem Programm „Spitzenforschung und Innovationin den Neuen Ländern“ ist der richtige Weg. Auch die

von der Bundesregierung geförderte Clusterbildung istder richtige Ansatz. Beispielsweise bestehen in Ost-deutschland vielfältige Forschungskompetenzen, umErdöl in Kunststoffen durch Pflanzen zu ersetzen. Mitder Schaffung eines Bioraffinerieclusters Mitteldeutsch-land könnten diese Kompetenzen gebündelt werden.Deshalb ist es wichtig, dass solche Initiativen weiterver-folgt und mit den notwendigen finanziellen Mitteln aus-gestattet werden.

Wir brauchen in den kommenden Jahren eine neue In-novations- und Gründungswelle in Ostdeutschland, umdie immer noch vorhandenen Defizite zu überwinden.Dafür brauchen wir ein noch größeres Engagement desBundes, der Länder, aber auch der Wirtschaft. Ost-deutschland hat das Zeug, sich in den kommenden zehnJahren zu dem Innovationslabor Deutschlands zu entwi-ckeln, zu einem Zentrum für Zukunftstechnologien. Eskann zu einem Zentrum für neue Ideen und Innovationensowie zum Ideengeber für die Bewältigung des demo-grafischen Wandels werden. Der Aufbau Ost kann zueinem Gewinn für alle werden und den StandortDeutschland insgesamt stärken, so wie es im Entschlie-ßungsantrag der Koalitionsfraktionen formuliert ist.

Wenn ich in zehn Jahren zu Ostdeutschland befragtwerde, dann möchte ich sagen können: Ostdeutschlandhat seine Chancen genutzt. Hier wollen die Menschenstudieren, arbeiten und leben. Es gibt keine nach Ost undWest getrennten Statistiken mehr. Beschäftigung, Löhneund Renten sind auf gleichem Niveau. Und vor allem: InOstdeutschland ist ein neues Selbstwertgefühl entstan-den. Die Menschen in Ost und West sind stolz auf dasErreichte und geben ihre Erfahrungen weiter.

Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass unserLand weiter zusammenwächst.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nun hat das Wort die Kollegin Veronika Bellmann für

die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Heinz-Peter Haustein [FDP])

Veronika Bellmann (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! 18 Jahre deutsche Einheit, 18 Jahrevereintes Deutschland, Gott sei Dank ohne Mauer undStacheldraht. Obgleich ich nicht verkenne, dass auchohne Finanzkrise noch jede Menge Aufgaben vor unsstehen, können die Menschen im Osten und WestenDeutschlands stolz sein, was sie bisher unter dem Motto„getrennt, vereint, gemeinsam“ geleistet haben. Wer mitoffenen Augen durch die Welt geht, der wird beim Ver-gleich der Abschlussbilanz DDR/Eröffnungsbilanz Bun-desrepublik und der jetzigen Situation zugeben müssen,dass sich unheimlich viel zum Besseren verändert hat.Ich möchte nur den zentralen Punkt der Verkehrsinfra-struktur herausgreifen. Ein altes chinesisches Sprichwortsagt: Wenn du reich werden willst, dann musst du Stra-

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Veronika Bellmann

ßen bauen. – Auf unsere Zeit übertragen ergänze ich:Dann musst du moderne Infrastruktur bauen, und zwarfür alle Verkehrsträger: Schiene, Straße, Wasser, Luft.Dann kannst du nicht mehr nur in der Kategorie „Bun-desland“ planen, sondern dann musst du deutschland-weit und – mehr noch – europäisch planen.

Dem Aufbau einer modernen, dynamischen Wirt-schaft und leistungsfähiger Wachstumskerne in einigenostdeutschen Regionen ging der Aufbau einer modernenVerkehrsinfrastruktur voraus, oder er ging parallel mitihm einher. Das Tempo und die Intensität haben sich lei-der in den letzten Jahren etwas verringert. Ein Beispieldafür ist die Bahnstrecke Hamburg–Stralsund. 2002sollte sie ursprünglich fertig sein. Jetzt spricht MinisterTiefensee von einer Verschiebung bis 2011. Ähnlichesspielt sich – darauf wies Kollege Günther schon hin –bei der Bahnstrecke Berlin–Dresden ab. Fahrzeiten, dienicht einmal die von 1938 erreichen, entsprechen nunwirklich nicht modernen Standards.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so-wie der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE])

Vielleicht liegt das daran, dass man eben nicht mehr dasPrinzip anerkennt, dass der weitere Ausbau der Infra-struktur eine zentrale Voraussetzung für mehr Wachstumin Deutschland ist. Oder es liegt daran, dass sich dieMeinung breitmacht – so ist von der DB AG immer wie-der zu vernehmen –, dass Infrastruktur schließlich keineEntwicklungspolitik sei und deshalb im Osten nichtmehr investiert werde, da dort zu wenig Wertschöp-fungs- und zu geringe Bevölkerungspotenziale seien.Das halte ich für eine Unverschämtheit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordne-ten der SPD, der FDP und der LINKEN)

Wenn wir ab 1990 auch so gedacht hätten, hätten wirdas Buch gleich zugeklappt und der Osten wäre ein he-runtergekommener Landstrich geblieben. Stattdessen ha-ben wir durch den Aufbau leistungsfähiger Verkehrsver-bindungen Standortvorteile geschaffen – wenn auchnoch zu wenige –, Industrieinvestitionen gefördert undein bescheidenes Wachstum erzeugt. Ganz Deutschlandprofitiert davon, weil sich dort, wo sich Verkehrswegekreuzen, immer auch wirtschaftliche Chancen ergeben.Durch die EU-Erweiterung sind – teilweise auf altenHandelswegen – neue Warenströme entstanden. Bei denaufstrebenden Wirtschaftszentren in Mittel- und Ost-europa haben wir es mit einer Perlenkette dynamischwachsender Metropolen zu tun. Mit besseren undschnelleren Anbindungen an diese Schrittmacherregionkann und muss Ostdeutschland an dieser Dynamik teil-haben. Das transeuropäische Verkehrsnetz ist deshalbein Schlüsselelement für die Gewährleistung des schnel-len und reibungslosen Personen- und Warenverkehrszwischen den Mitgliedstaaten.

Gleiches gilt für den Aufbau von Wirtschaftsräumenund von Korridoren über Ländergrenzen hinweg. Derwichtigste Korridor für uns ist dabei die Nord-Süd-Ver-bindung von Skandinavien über die Nord- und Ostsee-häfen bis an die Häfen der Adria und des SchwarzenMeeres. Der sogenannte Vier-Meeres-Schienen-Korri-

dor hat das Potenzial eines wirtschaftlichen Kernraumesin der EU, der Ostdeutschland mit seinen Wachstums-kernen einschließt. Das ist für den weiteren Aufbau Ostunheimlich wichtig.

Inzwischen haben sich alle ostdeutschen Ministerprä-sidenten in nunmehr drei Regierungskonferenzen hinterdiese Korridorinitiative gestellt, auch die Regional- undRaumentwicklungsminister sowie einige Nachbarstaaten– Tschechien, Österreich, Kroatien, Schweden – und so-gar der EU-Koordinator Karel van Miert. Bundesminis-ter Tiefensee hat in vielen Reden, auch hier im Plenum,von seiner Unterstützung für diesen Korridor gespro-chen. Geschrieben hat er dann ein wenig anders; gehan-delt hat er diesbezüglich leider noch gar nicht. Aus sei-nem Hause hört man gar, dass es stattdessen größereSympathien für die Konkurrenzstrecke einer Nord-Süd-Verbindung auf polnischem Gebiet, von Stettin aus, ge-ben soll. Das halten wir ebenfalls für sehr fragwürdig.Ich hoffe nur, dass Bundesminister Tiefensee seit demheutigen Tage in seinem Hause nicht nur Cello, sonderndie erste Geige spielt.

Fakt ist, dass wir keine Zeit zu verlieren haben; dennentscheidende Weichen werden in den kommenden Mo-naten auf EU-Ebene gestellt. Der Vier-Meeres-Schie-nen-Korridor soll in der Revision der TEN-Leitlinienverankert werden, und das, meine Damen und Herren, istein wesentlicher Bestandteil unseres heutigen Entschlie-ßungsantrags, für den ich ganz herzlich um Ihre Zustim-mung bitte.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kollege Klaas Hübner, SPD-Frak-

tion.

Klaas Hübner (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Lieber Kollege Claus, Sie haben in Ihrer Rede ebenangesprochen, dass diese Regierung und diese Koalitionabwarten, bis sich die Finanzmärkte wieder beruhigt ha-ben. Das steht in einem gewissen Widerspruch zu dem,was Sie sonst immer sagen. Es ist diese Regierung, dieeinen Rettungsschirm für die Banken aufgespannt hat,was notwendig war. Sie haben es kritisiert. Ich wieder-hole: Sie widersprechen sich an dieser Stelle. Sie habendas seinerzeit abgelehnt. Diese Regierung handelt hier.Sie wartet im Hinblick auf die Finanzmärkte gar nichtab, sondern handelt, weil sie weiß, dass ein funktionie-rendes Bankensystem ein öffentliches Gut ist. Ohne die-ses öffentliche Gut können wir keine erfolgreiche Wirt-schaftspolitik betreiben, auch nicht in Ostdeutschland.Darum sind wir hier die Handelnden; für Sie gilt das we-niger.

Wir debattieren zum Herbst immer wieder den Standder deutschen Einheit. Das ist in meinen Augen auch gutso. Es ist recht und billig, dass die Bundesregierung Re-chenschaft über die Verwendung der von uns zur Verfü-gung gestellten Mittel ablegen muss. Wichtig ist auch,dass wir uns bei diesem Anlass Gedanken darüber ma-

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Klaas Hübner

chen, inwieweit die gesteckten Ziele erreicht sind undwas dort noch zu tun ist.

Die aktuelle Lage der Weltwirtschaft macht diese De-batte nicht einfacher. Daher sollte jeder vernünftige Vor-schlag ernsthaft diskutiert werden. Selbstverständlich istmit dem Abschluss der heutigen Debatte kein Schluss-punkt gesetzt. Mir sind, offen gestanden, lieber KollegeHettlich, einige in Ihrem Entschließungsantrag enthalte-nen Vorschläge nicht unsympathisch. Trotzdem werdenwir ihm heute wahrscheinlich nicht zustimmen können,weil die Finanzierung diejenige Seite ist, die wir als Ko-alition an dieser Stelle mit bedenken müssen.

Gleiches kann ich vom Entschließungsantrag der Lin-ken nicht unbedingt behaupten. Sie beklagen zwar im-mer wieder gerne das Gefühl der Zweitklassigkeit imOsten, aber Sie machen in Ihrem Antrag zu wenig Mut.In meinen Augen kann man ermutigen, gerade auch imOsten, und zwar bei jeder passenden und jeder unpassen-den Gelegenheit.

Der Aufbau, der nach dem Zweiten Weltkrieg in Ost-deutschland geleistet worden ist, ist eine genauso großeLeistung wie der Aufbau in Westdeutschland, nur unterungleich schlechteren Bedingungen. Liebe Kollegen vonder Linksfraktion, Ihre Vorgängerpartei hat einen nichtunwesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass die Bedin-gungen für die Ostdeutschen so schlecht waren. Manmuss aber die Leistung anerkennen, die dort erbrachtwurde.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Natürlich ist es ein Verdienst der Menschen in Ost-deutschland, dass man seit 1989 in der neuen Selbstbe-stimmung, in der neuen Freiheit viel erreicht hat. Mankann vor dem, was erreicht worden ist, nur Respekt ha-ben. Man soll auch sagen: Das, was ihr erreicht habt,muss euch Mut machen.

Wir sind in vielen Feldern sehr weit nach vorne ge-kommen. Wir sind in vielen Feldern sehr innovativ ge-wesen. Wir sind vielleicht noch nicht dort angelangt, wowir sein wollen; aber einige Beispiele – gerade im Be-reich der erneuerbaren Energien und der Wirtschaftsfel-der, die wir daraus entwickelt haben – geben doch Mutund Anlass, zu sagen: Jawohl, wir können aus eigenerKraft eine Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse inOst und West erreichen.

Wirtschaft ist bei der Angleichung der Lebensverhält-nisse der entscheidende Punkt. Wenn wir die Zahlen be-trachten, kann man zwar sagen – wie es der Kollege vonder FDP getan hat, –, dass das Wachstum im Osten mo-mentan nicht ganz so groß wie im Westen ist; das istnicht ganz falsch. Man muss dabei allerdings berück-sichtigen, dass das schwächere Wachstum im Osten vorallen Dingen darauf beruht, dass im Sektor der öffentli-chen Dienstleistungen ein Rückgang verbucht wordenist, der gewollt war; es ist Teil der Konsolidierungsan-strengungen der ostdeutschen Landesregierungen, dafürzu sorgen, dass sich Länder und Kommunen zurückzie-hen und Personal abbauen, um mehr Mittel für Innova-tionen freizubekommen. Das hat den statistischen Ef-fekt, dass das Wachstum formal etwas geringer ist.

Insgesamt kann man jedoch sagen, dass das Wachs-tum im industriellen Bereich in den neuen Bundeslän-dern deutlich stärker ist als im Westen. Die Bauwirt-schaft ist momentan einigermaßen stabilisiert. Ich findeden Weg, den wir gegangen sind, gut. Wir wollen unsereBemühungen weiter verstärken.

Das Kabinett hat beschlossen, die GA-Mittel nocheinmal aufzustocken. Damit wird eine Forderung erfüllt,die in diesem Hause oft erhoben wurde. Die GA-Mittelsind das zielgenaueste Instrument für eine effektiveWirtschaftsförderung. Darum bin ich sehr dankbar dafür,dass die Große Koalition, das Kabinett, beschlossen hat,genau diese zielgenauen Mittel noch einmal um rund200 Millionen Euro für zwei Jahre aufzustocken. Ichglaube, damit kann man den neuen Bundesländern einengewaltigen Schub geben.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Meine Kollegin Wicklein hat gerade angesprochen,dass wir im Bereich der Innovationen im Osten zum Teilnoch zurückliegen. Das ist leider richtig. Ja, wir habenheute im Osten zum Teil noch Firmen, die in der Wert-schöpfungskette ziemlich weit hinten liegen, die nochnicht weit genug vorne sind. Wir müssen insgesamtmehr tun, um das zu ändern. Das ist aber in meinen Au-gen nicht nur eine Aufgabe des Bundes, der öffentlichenHand. Vielmehr müssen wir bei der Wirtschaft, bei denUnternehmen, einfordern, dass sie mehr tun. Wir habenim Osten sehr viele motivierte, junge Mitarbeiter. Wirhaben dort gute Hochschulen. In meinen Augen lohnt essich für die Wirtschaft allemal – auch ohne staatlicheSubventionen –, im Osten die Innovationen voranzutrei-ben.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege Hübner, gestatten Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Hettlich?

Klaas Hübner (SPD): Selbstverständlich, gern.

Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Kollege Hübner. Sie sprachen eben die

Gemeinschaftsaufgabe Ost an. Sie wissen, dass sie Be-standteil des Korbs II ist. Insofern wird der Betrag fürdie Aufstockung aus diesem gedeckelten Korb genom-men. Wenn Sie dies als großen Erfolg der Bundesregie-rung verkaufen, stellt sich die Frage: Bedeutet das nicht,dass an anderer Stelle Mittel aus dem Korb II gestrichenwerden müssen?

Sie haben nichts zur I-Zulage gesagt. Gehe ich rechtin der Annahme, dass Sie später in Ihrer Rede daraufeingehen werden? Ich weise auf die heute Abend statt-findende Debatte dazu hin, bei der ich übrigens als Ein-ziger reden werde, obwohl das Instrument laut MinisterTiefensee so wichtig ist. Ist das für Sie kein Themamehr? Das wundert mich eigentlich. Warum wird diezweite und dritte Lesung quasi zu nachtschlafender undnicht zu prominenter Zeit gehalten, wenn Sie doch sa-

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Peter Hettlich

gen, dass die I-Zulage ein hervorragendes Instrumentist?

(Iris Gleicke [SPD]: Das haben wir doch so vereinbart! Das ist ja wohl witzig!)

Klaas Hübner (SPD): Vielen Dank, Herr Kollege Hettlich. Die Bundesre-

gierung hat im Zusammenhang mit ihrem Konjunktur-programm gesagt, sie wolle die GA-Mittel um 200 Mil-lionen Euro aufstocken. Es handelt sich dabei in der Tatum zusätzliche Mittel.

Was den späten Zeitpunkt der Debatte angeht: Ichgebe Ihnen Recht, dass die Debatte spät stattfinden wird.Ich muss Ihnen allerdings sagen: Wir hätten sie gernefrüher geführt; aber Sie von den Oppositionsparteien ha-ben uns heute zwei Stunden lang mit einer Debatte überHerrn Tiefensee aufgehalten, die in dieser Form nichtnotwendig war. Herr Kollege Hettlich, wir hätten dasdurchaus weglassen können, um diese Debatte im Ple-num sehr viel prominenter, besser und früher führen zukönnen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Abschließend möchte ich aus aktuellem Anlass einpaar Worte zum Thema Rente sagen. Ich möchte vor al-lem mit einem Dank beginnen. Die faktische Entwick-lung der Renten in Ostdeutschland beruht in meinenAugen auf einer grandiosen Solidarisierung der Bei-tragszahler und Beitragszahlerinnen sowie des gesamt-deutschen Steuerbürgers.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der nach 1990 eingeschlagene Weg war bisher erfolg-reich. Wir sollten das an dieser Stelle nicht vergessen.

Gestern hat sich die Bundeskanzlerin mit den Minis-terpräsidenten der ostdeutschen Länder und den Minis-tern Scholz und Tiefensee getroffen. Dabei wurde auchzu dieser Frage Position bezogen. Wir unterstützen dieAbsichtserklärung der Bundesregierung, zu einer Rege-lung zu kommen, ausdrücklich, auch unter den von ihrgesetzten Prämissen.

Sie werden dazu von mir heute keine Zahlen hören.Immerhin hat der gestrige Tag zu einer erfreulichen Ver-sachlichung der Diskussion in der Presse beigetragen. Esgab allerdings eine Ausnahme des Pressebildes vonheute: das Zentralorgan Ihrer Partei, nämlich das NeueDeutschland. Darin hat Frau Kollegin Enkelmann, dieeine Anfrage an die Bundesregierung gestellt hatte, vor-gerechnet, was eine Angleichung der Rentenwerte kos-ten würde. 6 Milliarden Euro war die Antwort. Sie sagt:6 Milliarden Euro in vier Jahren. Was Sie dort vorstel-len, sind doch bloß 1,5 Milliarden Euro pro Jahr.

So kann man es sich natürlich auch schönrechnen,Frau Enkelmann. Natürlich wären es 6 Milliarden Europro Jahr. Das heißt: Es sind nicht nur 1,5 MilliardenEuro pro Jahr, sondern 6 Milliarden Euro jedes Jahr. Siekönnen das beliebig mit einer Zahl von Jahren multipli-zieren und wissen dann, wie hoch die Haushaltsbelas-tung ist.

Wenn Sie sich die Dinge auf diese Weise schönrech-nen, dann ist Politik natürlich ganz einfach. Sie müssensich aber auch um die Finanzierung kümmern. Da blei-ben Sie uns eine Antwort immer schuldig. Insofern istdas in meinen Augen ein deutliches Zeichen dafür, dassgerade die Rentenpolitik bei denjenigen in besserenHänden ist, die verantwortungsvoll mit Finanzen umge-hen können.

Wie wollen Sie den Beitragszahlern und Beitragszah-lerinnen erklären, dass wir die Beiträge erhöhen oder dieNeuverschuldung um 6 Milliarden Euro erhöhen müs-sen, was dann andere Generationen bezahlen müssen?Das wäre keine sozialgerechte Politik.

Insgesamt glaube ich, dass wir im Hinblick auf denStand der deutschen Einheit auf einem guten und richti-gen Weg sind. Wir sind aber bei Weitem nicht am Ende.Herr Kollege Hettlich, darum werden wir die Berichteauch weiterhin hier im Parlament beraten; das ist wich-tig. Wir brauchen die Einheit für das Gesamtgefüge inDeutschland. Insofern freue ich mich auf die Debatte imHerbst nächsten Jahres und darauf, hier an gleicherStelle reden zu können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kollege Eckardt Rehberg, CDU/

CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich glaube, es ist gelegentlich wichtig, nichtständig von Ost nach West zu schauen, sondern geradein diesen Tagen einmal zu überlegen, wo wir eigentlichherkommen.

Ich kann mich an die Zeit vor 19 Jahren, im Oktoberbzw. November 1989, erinnern, als man feststellte – daswar damals noch nicht so öffentlich –: Die DDR ist ei-gentlich pleite. Das ging aus dem sogenannten Schürer-Bericht hervor. Wenn ich weiter an 1990 und an die Un-tersuchungen im Zuge der Solidarpaktverhandlungen derfünf Wirtschaftsforschungsinstitute denke, erinnere ichmich, dass man sagte: 1990 waren im Gegensatz zu denalten Bundesländern nur 40 Prozent der Infrastrukturund Produktivität in den neuen Bundesländern vorhan-den. Wir haben heute einen Stand von 75 Prozent er-reicht.

Herr Claus, wenn Sie in diesem Zusammenhang da-von reden, dass die Westdeutschen die deutsche Einheitnicht als Zugewinn betrachten, dann muss ich Ihnenganz deutlich widersprechen. Ihre Rede, so wie Sie siehier vorgetragen haben, gräbt die Gräben tiefer und bautneue Mauern auf. Wir müssen gerade im Jahr der Voll-jährigkeit der deutschen Einheit dafür sorgen, dass dieMauer weg bleibt. Dies muss deutlich gemacht werden,damit die Gräben nicht tiefer, sondern flacher werden.

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Eckhardt Rehberg

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Herr Kollege Hübner ist bereits auf meinen nächstenPunkt eingegangen. Sie reden von Diskriminierungender Ostdeutschen und haben beim Thema „Rente Ost/West“ einen Scherbenhaufen sondergleichen hinterlas-sen – einen Scherbenhaufen ohne Ende.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Ich denke, wir müssen wirklich einmal ein paar Fak-ten und Daten nennen:

Erstens. Das Niveau der Ostrenten lag 1990 bei40 Prozent der Westrenten, heute liegt es bei 88 Prozent.Das, was wir in knapp zwei Jahrzehnten geschafft haben,ist eine Riesenerfolgsgeschichte.

Zweitens. 14 Milliarden Euro der Renten im Ostenwerden von den Beitragszahlern in Westdeutschland be-zahlt. Das sind fast zwei Rentenbeitragspunkte. Demje-nigen, der hier von Diskriminierung redet, muss ich sa-gen: Das ist wirklich pure Solidarität Westdeutschlandsgegenüber Ostdeutschland. Das sind die Fakten, nichtsanderes.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Ein Weiteres: Wir müssen auch über den sogenanntenBewertungsfaktor reden. Sie, meine Damen und Herrenvon der Linkspartei, haben in Ihrer Angleichungsdebatteja völlig verschwiegen, dass dieser Faktor mittlerweileviele Arbeitnehmer in den neuen Bundesländern undauch viele derjenigen, die heute Rente beziehen, bevor-teilt.

(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Genau so ist das!)

Nehmen Sie allein einmal den Mindestlohn im Bauge-werbe: In den alten Ländern sind es in der Lohngruppe 110,70 Euro und in den neuen Ländern 9 Euro. Durch dieAufwertung um 18 Prozent dank des Bewertungsfaktorssind diese beiden Lohngruppen bei der Rentenberech-nung gleichgestellt. Es ergibt sich der gleiche Entgelt-punkt.

Sie haben auch verschwiegen – das macht es besondersschlimm, dass Sie hier von Diskriminierung reden –, dassder Bauarbeiter in Deutschland West auf der Basis von10,70 Euro Stundenlohn Rentenbeiträge bezahlt, dage-gen der Bauarbeiter in Deutschland Ost auf der Basisvon 9 Euro Stundenlohn. Er ist hier deutlich im Vorteil,denn er zahlt weniger Rentenbeiträge, aber er erhält diegleichen Rentenentgeltpunkte.

Wenn wir heute eine Angleichung vornehmen wür-den, gäbe es nicht nur das Problem, dass es 6 MilliardenEuro pro Jahr kosten würde – das entspräche ja knapp ei-nem Rentenbeitragspunkt –, sondern es käme auch dazu,dass der Bauarbeiter Ost, der deutlich weniger Beiträgefür einen Entgeltpunkt eingezahlt hat, in fünf oder zehnJahren gegenüber dem westdeutschen Bauarbeiter deut-lich im Vorteil wäre, weil er bei einem gleichen Renten-wert in Ost und West die gleiche Rente beziehen würde.

Liebe Freunde, das Thema Rente ist äußerst sensibel.Wer den Eindruck erweckt, man könne hier von heuteauf morgen eine Lösung präsentieren, dem muss man sa-gen: Das ist nicht möglich. Ich rate jedem dringend, ver-antwortungsvoll in der Öffentlichkeit zu handeln und zudebattieren, damit nicht eine echte Neid- und Missgunst-debatte zwischen West und Ost entsteht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Minis-ter Tiefensee, auf uns wird in den nächsten Jahren eineminentes Problem zukommen. Wir müssen uns fragen,wie wir eine bestimmte Gruppe von Langzeitarbeitslo-sen in Beschäftigung bekommen. Unter Punkt II. Nr. 3unseres Entschließungsantrags haben wir zwei Modellegegenübergestellt: den Kommunal-Kombi und das Mo-dellprojekt Bürgerarbeit. Wir sollten hier sehr sachlichund ohne Polemik abwarten, wie sich beides entwickelt.

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Das ist ausge-zeichnet, das stimmt!)

Der Kommunal-Kombi ist jetzt ein Dreivierteljahr amNetz. 5 400 Personen nehmen am Kommunal-Kombiteil, es gab knapp 8 000 Anträge. Die ModellprojekteBürgerarbeit sind aber deutlich erfolgreicher. Diese Mo-dellprojekte gibt es mittlerweile nicht nur in Sachsen-Anhalt, sondern auch in Bayern, so zum Beispiel in Wei-den, Hof und Coburg. Man kann sagen, dass hier die Ar-beitslosigkeit in einem vierstufigen Prozess um durch-schnittlich 50 Prozent gesunken ist. Dazu trug dieBeschäftigung in Bürgerarbeit nicht einmal zur Hälfte,sondern nur etwa zu einem Drittel bei. Der Abbau gehtvielmehr insbesondere darauf zurück, dass erstens jederEinzelne gecheckt wird, zweitens jedem ein Weiterbil-dungsangebot gemacht wird und drittens die Vermittlungin den ersten Arbeitsmarkt Vorrang vor der Bürgerarbeithat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten wirklichsehr sorgfältig in den nächsten Wochen und Monate bei-des beobachten. Ich sage Ihnen, Herr Minister Tiefensee:Das Prä haben für die CDU/CSU-Bundestagsfraktionganz eindeutig die erfolgreichen Modellprojekte Bür-gerarbeit in Sachsen-Anhalt, Thüringen und Bayern.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort für eine Erklärung zur Aussprache erhält

nun Kollege Arnold Vaatz.

Arnold Vaatz (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich

möchte kurz auf jeweils eine Bemerkung der KollegenGünther und Hettlich eingehen. Ich kann zwar nicht fürmeine beiden Leipziger Kollegen Fornahl undWeißgerber sprechen. Ich glaube aber für mich und in ih-rem Namen sagen zu können, dass es selbstverständlichunser fester Vorsatz und unser fester Wille ist, den Ge-

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Arnold Vaatz

danken zur Errichtung eines Denkmals, das an den Ein-satz der Leipziger für Freiheit und Einheit Deutschlandserinnert, weiterzuverfolgen. Das muss klar sein.

Im Übrigen möchte ich hinzufügen: Ganz egal, wieeinige das heute sehen, dieses Denkmal wird eines Tagesstehen, und zwar ohne jeden Zweifel. Es wird auch dannstehen, wenn wir uns heute nicht dafür engagieren, undzwar aus einem ganz einfachen Grund. Die historischeWahrheit wird sich durchsetzen. Die historische Wahr-heit lautet, dass der Einsatz der Leipziger, stellvertretendfür den Einsatz von vielen, insbesondere im südlichenTeil der damaligen DDR, die Voraussetzung für einegrundlegende Veränderung in Richtung Demokratisie-rung in Deutschland und Europa geschaffen hat. Der Fallder Berliner Mauer ist nicht der Beginn, sondern das Re-sultat dieser Initiative gewesen.

Aus diesem Grunde möchte ich all diejenigen, diediesem Gedanken heute skeptisch gegenüberstehen, ein-dringlich darum bitten, sich zu vergegenwärtigen, dassdas letztendliche Resultat selbstverständlich eine Erinne-rung an diese Tat der Leipziger sein wird, weil sie in derGeschichte Deutschlands einer der positivsten, nachhal-tigsten und wirkungsvollsten politischen Einsätze über-haupt gewesen ist. Daran werden wir selbstverständlicherinnern.

Noch eine kurze Bemerkung an Herrn KollegenHettlich. Herr Kollege Hettlich, Sie haben gesagt, wirhätten oftmals das Geld nicht so effizient ausgegeben,wie wir es hätten ausgeben können. Dies ist unter ande-rem der Tatsache geschuldet, dass eine Reihe von Infra-strukturvorhaben im Wesentlichen durch die grünen Ba-taillone so verzögert und in die Länge gezogen wordenist, dass diese am Ende doppelt so teuer geworden sind.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das war hart am Rande des unter uns Erlaubten. Das

war eigentlich eine Kurzintervention, die sofort erfolgenund sich auf die Rede des Vorredners beziehen muss. Eswar nicht unbedingt eine Erklärung zur Aussprache. Wirwollen die Diskussion aber nicht verlängern.

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage aufDrucksache 16/10454 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungs-antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD aufDrucksache 16/10852 und der Entschließungsantrag derFraktion Die Linke auf Drucksache 16/10854 sollen andieselben Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie da-mit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind dieÜberweisungen so beschlossen.

Wir stimmen nun über die weiteren Entschließungs-anträge ab. Wer stimmt für den Entschließungsantrag derFraktion Die Linke auf Drucksache 16/10853? – Werstimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungs-antrag ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP gegen die Stimmen der

Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen abgelehnt.

Wer stimmt für den Entschließungsantrag der FraktionBündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/10855? –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ent-schließungsantrag ist mit den Stimmen der Fraktionender CDU/CSU und der SPD gegen die Stimmen derFraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung derFraktion der FDP und der Fraktion Die Linke abgelehnt.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf Druck-sache 16/8865. Der Ausschuss empfiehlt unter Nummer 1seiner Empfehlung, in Kenntnis des Jahresberichts derBundesregierung zum Stand der deutschen Einheit 2007auf Drucksache 16/6500, die Annahme des Entschlie-ßungsantrags der Fraktionen der CDU/CSU und der SPDauf Drucksache 16/7015 zum genannten Jahresbericht.

Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Werstimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-fehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD gegen die Stimmen der Fraktion DieLinke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beiStimmenthaltung der Fraktion der FDP angenommen.

Unter Nummer 2 seiner Beschlussempfehlung emp-fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Entschließungs-antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/7014zum Jahresbericht 2007. Wer stimmt für diese Be-schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Frak-tionen der CDU/CSU, der SPD und der Fraktion DieLinke gegen die Stimmen der Fraktion der FDP beiStimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünenangenommen.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu demAntrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Erhöhungvon Transparenz und Zielgenauigkeit des Mitteleinsat-zes für die ostdeutschen Bundesländer“. Der Ausschussempfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-sache 16/9120, den Antrag der Fraktion Die Linke aufDrucksache 16/7567 abzulehnen. Wer stimmt für dieseBeschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Ent-haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-men von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmender Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen angenommen.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 20 auf:

Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, Dr. Barbara Höll,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKE

Kindergelderhöhung sofort auch bei Hartz IVwirksam machen

– Drucksache 16/10616 – Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)Finanzausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

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Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei dieFraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. – Ichhöre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort demKollegen Gregor Gysi, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir beschäftigen uns mit einer Angelegenheit,bei der ich die Regierungskoalition, also sowohl Unionals auch SPD, dringend bitte, hier Hilfe zu leisten. Wennes so bleibt, wie es gegenwärtig geregelt ist, halte ich esfür einen nicht zu rechtfertigenden und nicht zu verteidi-genden Skandal.

(Beifall bei der LINKEN)

In Deutschland gibt es 2,5 Millionen arme Kinder.Wegen der Kostensteigerung haben Sie eine Kindergeld-erhöhung von 10 Euro für das erste und zweite Kind undvon 16 Euro für die weiteren Kinder beschlossen. Das istein sehr geringer Betrag. Es ist die erste Kindergelderhö-hung nach 2002. Man muss hinzufügen, dass BischofMixa – er ist sicherlich vieles, aber kein Linker – erklärthat, das Ganze sei ein Skandal, weil dadurch die Kosten-steigerung bei den Ausgaben für Kinder überhaupt nichtausgeglichen würden. Aber immerhin erhöhen Sie dasKindergeld um 10 bzw. 16 Euro.

Nun passiert etwas, was ich den Leuten nicht erklärenkann,

(Heinz-Peter Haustein [FDP]: Ich auch nicht!)

nämlich dass Oskar Lafontaine für seinen elfjährigenSohn und ich für meine zwölfjährige Tochter diese10 Euro mehr bekommen, dass wir aber der Hartz-IV-Empfängerin und der Sozialhilfeempfängerin sagen: Dubekommst zwar diese 10 Euro mehr, aber sie werden mitdem Eckregelsatz für deine Kinder gleich wieder ver-rechnet. – Real bekommt sie also keinen Cent mehr. Dasist nicht vermittelbar. Es geht hier um Kinder.

(Beifall bei der LINKEN)

Man muss noch Folgendes hinzufügen. Wie hoch sindim Augenblick die Eckregelsätze für Kinder? EineHartz-IV-Empfängerin oder eine Sozialhilfeempfängerinbekommt für Kinder bis zum 14. Lebensjahr 211 Euround für die 14- bis 17-jährigen Kinder 281 Euro. Das istdeshalb interessant, weil die Bundesregierung das Exis-tenzminimum für Kinder gutachterlich hat ausrechnenlassen. Das Ergebnis liegt seit September vor: Das Exis-tenzminimum für ein Kind beträgt 3 864 Euro.

(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Im Monat?)

– Im Jahr! Aufgeschlüsselt auf den Monat – das könnenSie mir zutrauen – bedeutet das 322 Euro.

Jetzt bekommt aber die Hartz-IV-Empfängerin oderdie Sozialhilfeempfängerin nur 211 bzw. 281 Euro proKind. Damit liegt sie deutlich unter dem Existenzmini-mum in Höhe von 322 Euro. Ab Januar könnte sie

10 Euro Kindergeld mehr bekommen. Aber Sie wollendiese 10 Euro gleich mit den 211 Euro wieder verrech-nen. Das ist wirklich nicht nachvollziehbar und grob un-gerecht.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn Sie argumentieren, dass das zu teuer ist, dannkann ich nur sagen: Das ist, nachdem 480 MilliardenEuro für die Sicherung der Banken und für die Stabilitätder Finanzmärkte beschlossen worden sind, kein zulässi-ges Argument. Dieses Argument ist erst recht nicht zu-lässig, wenn Besserverdienende – ich hatte Ihnen zweiBeispiele genannt – diese 10 Euro real bekommen, aberdie Sozialhilfeempfängerin oder die Hartz-IV-Empfän-gerin keinen Cent mehr bekommt. Es ist nicht vertretbar;es ist nicht hinnehmbar.

(Zuruf des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

– Entschuldigen Sie, die Kosten für Kinder sind um min-destens 10 Prozent gestiegen.

(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Eben!)

Das wird durch die Erhöhung um 10 Euro nicht ausge-glichen. Das habe ich doch schon kritisiert. Aber darumgeht es hier nicht. Der Hartz-IV-Empfängerin zu sagen:„Du bekommst zwar die 10 Euro, aber sie werden dirgleich wieder weggenommen“, ist doch der Gipfel ange-sichts von 2,5 Millionen armen Kindern. Das ist denÄrmsten in der Gesellschaft nicht zumutbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte einmal wissen, ob Frau Merkel, HerrSteinmeier, Herr Steinbrück, Herr Scholz, Herr Kauder,Herr Ramsauer und Herr Struck es wirklich als gerechtempfinden – Sie können das ja an die Betreffenden wei-terleiten –, dass Oskar Lafontaine, ich und andere fürihre Kinder ab 1. Januar real mehr Geld bekommen unddie Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger sowiedie Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger für ihreKinder real keinen Cent mehr bekommen. Wenn sie daswirklich als gerecht empfinden sollten, sehen sie dieWelt so extrem anders als ich, dass es für mich über-haupt nicht nachvollziehbar ist.

(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Das kann wohl sein!)

– Ja, es kann sein. Wenn Sie das als gerecht empfinden– das ist wirklich interessant –, dann sollte man aberauch überall verbreiten, dass die Union es für richtighält, das Besserverdienende für ihre Kinder 10 Euromehr bekommen und Hartz-IV-Empfänger und Sozial-hilfeempfänger nicht. Ich hatte gedacht, Sie zeigen andieser Stelle Vernunft und sagen: Das ist nicht in Ord-nung; wir werden das reparieren. – Es wäre nämlichhöchste Zeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Kommen Sie mir bitte jetzt nicht mit dem Schulgeld.Das Schulgeld – 100 Euro – wird erst im August nächs-ten Jahres gezahlt. Das ist ja zunächst einmal okay.

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Dr. Gregor Gysi

(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Da soll-ten Sie mal klatschen!)

Aber Sie gewähren es nur bis zur 10. Klasse und sagen:Diejenigen, die in der 11., 12. oder 13. Klasse sind undAbitur machen, bekommen nichts. – Damit bringen Siezum Ausdruck, dass Kinder von Hartz-IV-Empfängerin-nen und -Empfängern sowie von Sozialhilfeempfänge-rinnen und -empfängern kein Abitur machen sollen. DerBundesrat – nicht die SPD-Fraktion im Bundestag – hatdazu gesagt: Das geht zu weit. Das machen wir nichtmit. – Da hat der Bundesrat übrigens recht.

(Beifall bei der LINKEN – Jörg Tauss [SPD]: Jetzt lügen Sie aber wirklich!)

– Wieso sind Sie so grob? Er hat es doch entschieden,oder nicht? Er hat es doch kritisiert, oder nicht? WennSie noch nicht einmal das zur Kenntnis nehmen, dann tutmir das leid.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Erlauben Sie eine Zwischenbemerkung des Kollegen

Tauss?

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Mal sehen, ob es eine Frage wird.

Jörg Tauss (SPD): Lieber Kollege Gysi, würden Sie zur Kenntnis neh-

men, dass die SPD dafür eintritt, das Schulgeld bis zum13. Schuljahr zu zahlen – wir hatten nie eine andere Po-sition –, dass im Rahmen von Koalitionsverhandlungenin der Tat der jetzige Zustand erzielt worden ist, wir wei-terhin für die Verbesserung eintreten, es allerdings einFortschritt gegenüber der bisherigen Situation ist, in derüberhaupt kein Schulgeld gezahlt wurde? Ich stimme Ih-nen in der Tat ausdrücklich zu. Würden Sie bitte zurKenntnis nehmen, dass es zwischen der CDU und derCSU im Bundesrat und der CDU/CSU im BundestagUnterschiede gibt und die SPD nicht die Position vertre-ten hat, die von Ihnen kritisiert wird?

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der LINKEN)

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Ich nehme das schon zur Kenntnis. Ich habe doch

auch heute früh zur Kenntnis genommen, dass Sie daskorrigieren wollen. Das halte ich auch für richtig.

(Jörg Tauss [SPD]: Es geht nicht um die Kor-rektur! Es geht um die Positionierung und IhreBehauptung!)

Aber Sie haben der Zahlung eines Schulgeldes nur biszur 10. Klasse erst einmal im Bundestag zugestimmt!

(Widerspruch bei der SPD – Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Das gibt es doch wohl nicht!)

Eine SPD-Fraktion hätte immer sagen können: Wirschließen diese Leute nicht vom Abitur aus. – Wenn dieUnion das nicht mitgemacht hätte, dann hätten Sie dieAuseinandersetzung öffentlich führen müssen.

Darum geht es aber nicht. Jetzt geht es um das Kin-dergeld.

(Zuruf des Abg. Jörg Tauss [SPD])

– Hier, bei diesem Antrag. – Ich möchte, dass Sie erklä-ren: Wir werden eine Regelung finden, damit den betrof-fenen Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfängern so-wie den Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängernzumindest diese 10 bzw. 16 Euro, also zumindest dieKindergeldsteigerung, zugutekommen und nicht wiederabgezogen werden. Das ist das Mindeste, was wir errei-chen müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kollege Franz Romer, CDU/CSU-

Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Franz Romer (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Es war ja zu erwarten: Erhöht dieBundesregierung das Kindergeld, tritt sofort die Links-partei auf den Plan, verurteilt diesen Schritt als Unge-rechtigkeit und sieht sofort, wo noch mehr Geld verteiltwerden kann.

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Sie haben nicht kapiert, was Kollege Gysi gesagt hat!)

Wir lehnen den Antrag der Linkspartei ab.

(Beifall bei der CDU/CSU – Frank Spieth [DIE LINKE]: Das war uns klar!)

Die Kindergelderhöhung wird bei Hartz-IV-Empfän-gern sinnvollerweise auf den Regelsatz der Grundsiche-rung, den Eltern für ihre Kinder erhalten, angerechnet. InWahrheit streiten wir darum, ob eine generelle Anrech-nung des Kindergeldes bei Hartz-IV-Empfängern sinn-voll ist oder nicht. Hier ist unsere Position klar: Kinderin ALG-II-Bedarfsgemeinschaften bekommen je nachAlter zwischen 60 und 80 Prozent des Regelsatzes. Ei-nen Anspruch auf sogenannte Mehrbedarfe für Alleiner-ziehende gibt es ebenfalls. In vielen Kommunen gibt eszusätzliche Vergünstigungen bei Eintrittsgeldern odersonstigen Gebühren. Neben der Absicherung des gesam-ten Lebensunterhalts der Kinder werden auch Wohn-und Heizkosten für die Kinder durch den Steuerzahler fi-nanziert. Ich will hier ausdrücklich sagen, dass das sosein muss. Das Kindergeld aber soll den Familien mitKindern helfen, die sonst keine Unterstützung bei der Fi-nanzierung des Lebensunterhalts ihrer Kinder bekom-men.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Wir alle wissen, dass die Erziehung von Kindern inunserem Land immer noch mit starken Belastungen fürdie Eltern verbunden ist. Mehr Teilzeitarbeitsplätze undeine bessere, flexiblere Kinderbetreuung sind Themen,mit denen wir uns beschäftigen. Es ist richtig, das Kin-dergeld anzuheben und es gerade denen zu geben, die für

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Franz Romer

den Lebensunterhalt ihrer Familie selbst aufkommen.Nun gibt es Kritiker, die meinen, dass mit dem Kinder-geld und den Kinderfreibeträgen vor allem besserverdie-nende Familien unterstützt werden. Herr Gysi, Sie habendas betont, indem Sie auf Herrn Lafontaine und sichselbst verwiesen haben. Ich könnte Ihnen da andere Kür-zungen vorschlagen. Tatsächlich ist es so, dass 120 Euroje Kind und Jahr gerade für Normalverdiener eine nen-nenswerte Unterstützung sind.

Meine Damen und Herren von der Linkspartei, dieBundesregierung wird die Grundsicherung auch in Zu-kunft regelmäßig anpassen. Wer hier weitere Erhöhun-gen fordert, auch wenn sie noch so gut gemeint sind,muss immer berücksichtigen, dass sie auch von Familienmit begrenztem Arbeitseinkommen über Steuern undAbgaben finanziert werden müssen. Dies wäre die wahreUngerechtigkeit. Sie stellen sich hierhin und wollen Ge-schenke verteilen, die Sie von Geringverdienern mitfi-nanzieren lassen wollen.

Der Regelsatz für Kinder unter 14 Jahre beträgt imMoment 211 Euro plus anteilige Übernahme der Kostenfür Unterkunft und Heizung. Für Kinder über 14 Jahresind es 281 Euro, Mehrbedarfe bei Alleinerziehendennicht eingerechnet. Es sollte immer sichergestellt sein,dass dieses Geld bei den Kindern ankommt und nichtdurch die Eltern zweckentfremdet wird.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich kenne Beispiele, wo Kinder vernachlässigt werdenund zusätzliche Mittel in Alkohol, Zigaretten oder einenneuen Flachbildfernseher fließen.

(Zuruf der Abg. Elke Reinke [DIE LINKE])

Ich weiß, dass man solche Nachrichten nicht verallge-meinern kann.

(Elke Reinke [DIE LINKE]: Ach ne!)

Wir dürfen uns aber auch nicht abwenden und darüberhinwegsehen. Wenn wir das Kindergeld zusätzlich zurGrundsicherung an Eltern, die ALG II beziehen, auszah-len würden, wären die Anreize, eine Arbeit aufzuneh-men, entsprechend geringer. Solche möglichen Auswir-kungen müssen wir immer im Blick haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ebenso müssen wir dafür sorgen, dass die Nettoeinkom-men der arbeitenden Bevölkerung über dem Hartz-IV-Niveau liegen. Leistung muss sich lohnen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Britta Haßelmann[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was soll dasdenn?)

Ich glaube, wir alle würden gerne mehr für Kindertun. Natürlich sollen auch Kinder, die eine Grundsiche-rung erhalten, ständig bessere Lebensverhältnisse haben.Aber Sie wissen, dass alle Leistungen von der Gemein-schaft erbracht werden müssen. Oft sind es Familien mitKindern und kleinen oder mittleren Familieneinkom-men, die einen bedeutenden Teil ihres Geldes für Steuernund Abgaben aufwenden müssen. Deshalb müssen wirgerade sie in Zukunft mehr fördern.

Letztlich brauchen wir in unserem Land mehr Kinder-freundlichkeit. Die Große Koalition hat hierbei in kurzerZeit mehr erreicht, als in vielen Jahren vorher von ande-ren Parteien durchgesetzt werden konnte. Wir könnenaber nicht alles mit immer mehr Geld regeln. Wir brau-chen abseits der finanziellen Unterstützung der Familienmit Kindern, von Elterngeld, besserer Kinderbetreuungund Kindergelderhöhung eine kinderfreundliche Gesell-schaft.

Arbeitgeber und Arbeitskollegen müssen genausotolerant werden wie Nachbarn im Haus und Verkehrsteil-nehmer in Wohngebieten. Wir brauchen mehr familienge-rechte Wohnungen und Spielplätze in jedem Wohnge-biet. Es ist traurig, dass zahlreiche Kinder in unseremLand auf Grundsicherung angewiesen sind. Unser Zielist und bleibt, hier anzusetzen und diese Zahl zu verrin-gern. Kinder gehören in unser Leben. Kinder sichern un-sere Zukunft.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kollege Heinz-Peter Haustein, FDP.

(Beifall bei der FDP)

Heinz-Peter Haustein (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Schon bei dieser Überschrift wirdmir ein bisschen mulmig im Bauch. Hier steht: Kinderund Hartz IV. Hier finden wir „Kinder“ und „Sozial-hilfe“ in einem Satz. Das ist nicht gut.

(Elke Reinke [DIE LINKE]: Wer hat sie denn dahin gebracht?)

Kinder sind das Wichtigste, was wir haben. Sie sind et-was Wunderbares und Herrliches. Für Kinder müssenwir alles tun. Dafür kämpfen wir als FDP.

(Beifall bei der FDP)

Die Linke bezieht sich in ihrem Antrag darauf, dassdas ALG II mit dem Kindergeld verrechnet wird. Aufden ersten Blick sieht es so aus, als sei das eine großeUngerechtigkeit. Nun ist dieser Begriff der relativen Ar-mut nicht ganz so einfach. Er wird wie folgt definiert:Wenn 60 Prozent des mittleren Einkommens unterschrit-ten werden, ist man arm. Nun sage ich der Linken: Setzenwir uns einmal gedanklich – wirklich nur gedanklich –ganz kurz 25 Jahre zurück und betrachten dieses Themabezogen auf die Altbundesrepublik und die DDR. Dannwären nach dieser Definition 99 Prozent der DDR-Be-völkerung arm gewesen. Auch das ist Fakt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN)

Das ist die Definition. Das muss man bitte einmal zurKenntnis nehmen.

(Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU], an dieLINKE gewandt: Das hört ihr nicht gern! –

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20062 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

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Heinz-Peter Haustein

Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]:Manchmal tut Wahrheit weh!)

In der Begründung Ihres Antrags, verehrte Linke, ge-hen Sie auf die gestiegenen Preise und Lebenshaltungs-kosten ein.

(Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: In der DDRgab es nichts zu kaufen! Die brauchten keinGeld!)

Ich erinnere nur an die unselige Mehrwertsteuererhö-hung, die vor allem Familien mit Kindern trifft.

(Beifall bei der FDP)

Nun kann man – das machen auch wir – mit Blick aufdie CDU/CSU zugestehen, sie hat es vorher ja gesagt.Aber ihr von der SPD habt gesagt: Mit uns gibt es keineMehrwertsteuererhöhung, keine Merkel-Steuer.

(Dirk Niebel [FDP]: Bei Ypsilanti war das auch so!)

Dann habt Ihr um 3 statt um 2 Prozentpunkte erhöht. Daswar nicht in Ordnung, Kollegen. Jetzt merken wir, dassdie Leute weniger in den Taschen haben, dass sie weni-ger Netto vom Brutto haben.

(Beifall bei der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Ihrhabt das Kindergeld damals gekürzt! – Gegen-ruf des Abg. Dirk Niebel [FDP]: Tauss, Mundhalten und schämen!)

Die FDP hat weitergehende Anträge. Wir wollen – dasist in der Diskussion vor wenigen Wochen schon ange-sprochen worden – ein Kindergeld in Höhe von200 Euro pro Monat für jedes Kind.

(Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Ja, dagegen haben wir nichts!)

Wir möchten den Freibetrag auf 8 000 Euro anheben.Wir möchten mehr für unsere Kinder. Das ist eine Fragedes Ansatzes. Es wäre besser, wenn wir die Kinder, un-sere Zukunft, in den Mittelpunkt stellen und an ihnenden Haushalt ausrichten würden. Jetzt sagen wir immer,für die Kinder sei kein Geld mehr da. Das kann so nichtweitergehen.

(Beifall bei der FDP)

Wichtiger als Geld zu verteilen, ist, etwas dafür zutun, dass Arbeitsplätze und mit den Arbeitsplätzen dieLebensgrundlage für Familien und deren Kinder entste-hen. Dort muss man ansetzen.

(Zuruf von der LINKEN: Sagen Sie einmal et-was zum Antrag!)

Deshalb fordern wir eine Entlastung des Mittelstands.Man muss den Leuten mehr lassen, damit die Betriebeinvestieren können. Wir fordern mehr Investitionen inForschung und Bildung. Wir brauchen Bildung; denn sieist unser Rohstoff. Dort müssen wir investieren.

(Beifall bei der FDP)

Wir möchten eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes.Auch das ist ganz wichtig.

(Beifall bei der FDP – Markus Kurth [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das mit demThema zu tun?)

Für unsere Kinder müssen wir alles tun.

Es hat in verschiedenen Ländern großflächig Schul-schließungen gegeben. Dort verlangt man, dass die Kin-der mit dem Bus weite Strecken zur Schule fahren unddafür auch noch zahlen. Auch das kann nicht richtigsein. Kurze Wege für kurze Beine, so muss es sein. Allesfür unsere Kinder!

(Beifall bei der FDP)

Ebenso habe ich schon vor drei Jahren, damals im Wahl-kampf, kostenlose Kitas für alle gefordert. Warum ma-chen wir es denn nicht? Wenn es darauf ankommt, dannist ja auch Geld für andere Sachen da. Ein Thema, dasmich ebenfalls wurmt, ist das Schulessen; es sollte füralle Kinder kostenlos sein.

(Jörg Tauss [SPD]: Das haben Sie in Baden-Württemberg als FDP gerade abgelehnt!)

Sie sehen also, wir als FDP sind eine sehr soziale Par-tei. Wir kämpfen für unsere Kinder, denn die Kinder sindunsere Zukunft.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Ich halte es mit unserem Fußballkaiser, Franz Beckenbauer,der gesagt hat: Gott liebt alle Kinder. – Machen wir esauch so, tun wir alles für unsere Kinder! In diesem Sinneein herzliches Glückauf für unsere Kinder!

(Beifall bei der FDP – Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ausdem Erzgebirge!)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kollegin Gabriele Lösekrug-Möller

für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Gabriele Lösekrug-Möller (SPD): Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Damen und Herren! Zunächst muss ich mich beimKollegen Gysi dafür entschuldigen, dass ich seine Redenur vor dem Fernseher verfolgen konnte. Es tut mir leid,dass ich nicht im Plenarsaal war. Das ist aber auch dasEinzige, was ich dazu formell anmerken möchte.

Ansonsten kann ich nur sagen: Herr Gysi, ich würdeIhnen weder mein Auto noch das soziale System inDeutschland zur Reparatur anvertrauen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Sie haben mit Ihrer Rede bewiesen, dass Sie dazu nichtin der Lage sind; denn ein solcher Antrag zeigt, dass Ih-nen gar nicht klar ist, wie dieses System aufgebaut istund mit welcher Logik es funktioniert. Zu jemandem,der meint, er könne es mal eben so reparieren, kann ichnur sagen: Hände weg! Mit Verlaub, ich sage das auchaus eigener Erfahrung, Herr Kollege Gysi.

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Gabriele Lösekrug-Möller

Mehr will ich zu Ihrem Vortrag hier gar nicht sagen.Sie täten etwas Gutes für die Kinder in Deutschland,wenn Sie dazu beitrügen, dass es ein solides Systemgibt, auf das sich Familien verlassen können, wenn esdarum geht, eine gute Zukunft zu organisieren.

Wir haben heute Morgen hier in diesem Haus eineausführliche Debatte darüber geführt, wie wir den Fami-lienleistungsausgleich voranbringen wollen. Das wareine ausgesprochen gute Debatte, weil sie zeigte, wieviel wir in den letzten zehn Jahren für Familien und da-mit auch für Kinder getan haben. Das kann sich im Ver-gleich zu jenen Zeiten unbedingt sehen lassen, in denenFamilie ein ausschließlich privater Bereich war.

Wir sind uns wohl alle einig, dass wir für unsere Kin-der eine gute Zukunft wollen. Eine gute Zukunft für Kin-der umfasst etwas mehr als eine Kindergelderhöhung,für die ich mich ausdrücklich ausspreche.

(Beifall bei der SPD)

Wir als SPD setzen deshalb auf eine gute Betreuung, aufbessere Förderung, auf gute Schule und auf gute Ausbil-dung. Dennoch müssen wir, weil dazu auch Ehrlichkeitgehört, festhalten: Kinder sind in Deutschland eher einArmutsrisiko als eine Reichtumschance. Auch das ist einTeil der Wahrheit.

Insofern ist es geradezu eine Verlockung, der dieLinke leider erlegen ist, die Erhöhung des Kindergeldesso zu gestalten, dass sie bei Empfängern von Grundsi-cherung nicht auf das Grundsicherungseinkommen an-gerechnet wird, sondern zusätzlich gewährt wird. Daswollen Sie ja mit Ihrem Antrag erreichen. Ich und mitmir meine Fraktion halten das für falsch, und ich will dasgern begründen, weil mir daran liegt, dass ein wenigFachkenntnis in die Debatte kommt. Das ließen Sie, HerrGysi, leider in jeder Hinsicht vermissen.

Ich nehme an, dass Ihnen das Prinzip der Nachrangig-keit sehr wohl bekannt ist. Ich halte dieses Prinzip für ei-nen zentralen Aspekt des sozialen Sicherungssystems,und dies ist aus gutem Grund so. Im SGB II ist aus-drücklich festgelegt, dass Kindergeld als anzurechnen-des Einkommen gilt. Das ist vom System her richtig undnotwendig; deshalb trete ich nach wie vor dafür ein. Siehaben in Ihrer Begründung darauf hingewiesen, dass wir1999 einmal versucht haben, es anders zu regeln. Wirhaben damit keine guten Erfahrungen gemacht.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Gysi?

Gabriele Lösekrug-Möller (SPD): Wenn es seinem Erkenntnisgewinn dient, den er nötig

hat, gern.

(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Völlig hoffnungslos!)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das könnte ja sein.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Vorab: Sie leisten immer einen Beitrag zu meinem Er-

kenntnisgewinn, egal in welcher Richtung.

Meine Frage ist folgende: Das Land Rheinland-Pfalzunter Ministerpräsident Beck, Mitglied der SPD, hat imBundesrat – natürlich nach uns, aber immerhin am5. November – genau dasselbe beantragt wie wir. HaltenSie ihn in jener Hinsicht für genauso daneben wie mich,oder wie darf ich Sie interpretieren?

Gabriele Lösekrug-Möller (SPD): Ich kann Ihnen nur sagen: Ich antworte Ihnen sehr

gerne, und Sie werden einen Erkenntnisgewinn erzielen;daran habe ich gar keinen Zweifel, Herr Gysi.

Ich glaube, dass Herr Beck ein sehr guter Ministerprä-sident ist. Ich kann seinem Vorschlag etwas abgewinnen.Er hat ihn allerdings für sein Bundesland gemacht. Dortkann er auf eine gute Politik für Kinder zurückblicken.Sie haben hier im Bundestag eine völlig andere Verant-wortung. – Da ich noch bei der Beantwortung IhrerFrage bin, möchte ich Sie bitten, mir freundlicherweiseauch zuzuhören.

Wir Bundespolitiker haben guten Grund, zu sagen,dass das nicht der richtige Weg ist. Ich zeige Ihnen an-dere Vorschläge auf. Wenn Sie ein wenig Geduld haben– ich glaube, Sie werden sie haben –, können Sie erken-nen, welche besseren Vorschläge wir machen.

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Noch in dieser Legislaturperiode?)

Deshalb fahre ich jetzt fort.

Im Rahmen des Schulbedarfspakets, das wir heuteauch andiskutiert haben, stellen wir zum Beginn jedesneuen Schuljahres 100 Euro zur Verfügung. Damit wol-len wir genau jene Schüler und Schülerinnen unterstüt-zen, die unsere Unterstützung verdammt nötig haben;das ist heute deutlich geworden.

(Beifall der Abg. Andrea Nahles [SPD])

Die SPD tritt dafür ein, dass diese Unterstützung nichtbei Schülern der 10. Klasse aufhört. Vielmehr sagen wir:Solange ein Kind zur Schule geht – in möglichst vielenFällen hoffentlich bis zum Abitur –, gibt es am Beginneines jeden Schuljahres 100 Euro.

(Beifall bei der SPD)

Ich denke, an dieser Stelle sollte einmal daran erinnertwerden, wer diese Idee ins Gespräch gebracht hat. MitVerlaub, Herr Gysi, das waren nicht Sie, sondern das warFranz Müntefering.

(Beifall bei der SPD)

Er machte im letzten Jahr den Vorschlag, ein Schulstar-terpaket auf den Weg zu bringen.

(Jörg Tauss [SPD]: Genau! Zunächst ging esnur um Schulstarter! Inzwischen geht es sogarum Zehntklässler! Das ist doch toll!)

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20064 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

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Gabriele Lösekrug-Möller

Weil wir auch Gutes noch verbessern wollen, haben wiraus dem Schulstarterpaket ein Schulbedarfspaket ge-macht. Das ist zielführend und richtig. Darüber freue ichmich sehr.

(Beifall bei der SPD)

Besser würde die Lage von Kindern im Übrigen auch,wenn Länder und Kommunen durch Lernmittelfreiheit,Ganztagsschulen, gebührenfreie Kitas und mehr ihrenTeil dazu beitragen würden. Das Land Rheinland-Pfalzist hierfür wirklich modellhaft.

(Beifall bei der SPD)

In diesem Zusammenhang ist auch der von uns einge-führte Kinderzuschlag unbedingt zu erwähnen. Wer dasZiel des Kinderzuschlags kennt, weiß, dass er ausgespro-chen positiv wirkt. Zum Jahreswechsel werden wir ihnnoch weiter verbessern. Denn unser Ziel ist, dafür zusorgen, dass Kinder gar nicht erst in die Bedürftigkeit hi-neinkommen, sondern dass schon vorher ein Weg ge-sucht wird, um dies zu verhindern. Das halte ich für ein-deutig besser.

In der Begründung Ihres Antrags gehen Sie kluger-weise auf die wirklich wichtigen Aspekte ein. Um diewünschenswerte Verbesserung der Leistungen für Kin-der zu erreichen, muss man Grundlagenarbeit machen.Dem stellen wir uns. Wir fragen uns: Was ist der Bedarfeines Kindes im Sinne einer Grundsicherung? Ist ein ausdem Erwachsenenbedarf unmittelbar abgeleiteter Regel-satz sinnvoll? Wie könnte man einen eigenen Kinder-regelsatz ausgestalten? Wir fragen uns auch, welche Al-tersstufen sinnvollerweise gebildet werden sollten.

Daran zu arbeiten, ist ein bisschen anstrengender, alsganz flott einen Antrag aufs Papier zu bringen und sichdann zu beschweren, dass er nicht angenommen wird.Wir arbeiten an diesen Fragen sehr lösungsorientiert.Damit haben wir uns viel vorgenommen. Wir sind unsaber sicher: Die Kinder, die wir damit erreichen wollen,verdienen das.

Zum Schluss möchte ich noch eine Anmerkung ma-chen, die ich für ziemlich wichtig halte. Es ist richtig,dass wir über unsere sozialen Sicherungssysteme disku-tieren. Es ist richtig, dass wir sie verbessern wollen. Las-sen Sie uns aber auch berücksichtigen, wie die Situationwäre, wenn wir sie nicht hätten. In dieser Debatte ver-gessen wir immer wieder, dass wir im europäischen Ver-gleich

(Zurufe von der LINKEN)

– das ist so, auch wenn Sie das nicht hören wollen; dasweiß ich – gar nicht so schlecht dastehen. Ich denke,dass wir ein Sozialstaatsmodell haben, über das sich an-dere freuen würden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Das bedeutet allerdings nicht, dass nicht auch wir nochdas eine oder andere verbessern könnten. Daran arbeitenwir zurzeit.

Abschließend: Das Wichtigste ist, dafür zu sorgen,dass möglichst viele Menschen eine Arbeit haben, vonder sie auskömmlich leben können. Noch besser wäre es,wenn ganze Familien in einem Verbund davon lebenkönnten. Deshalb behaupte ich: Sozialstaatspolitik undSozialpolitik sind wichtig. Dafür braucht man aber aucheine gute Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik.

(Zurufe von der LINKEN)

– Wir sind mittendrin. Aber ich merke, dass Sie das nichtso recht mitbekommen.

(Lachen bei der LINKEN)

Das ist allerdings schon seit längerer Zeit der Fall. –Eine gute Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik ist derSchlüssel für eine gute Zukunft der Kinder.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Insofern glaube ich, dass unsere Schwerpunkte richtigsind und dass sich unsere Anstrengungen lohnen. FürSchnellschüsse sind mir die deutschen Kinder nämlichein kleines bisschen zu schade.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kollege Markus Kurth, Fraktion

Die Grünen.

(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Auch„Chamäleon“ genannt, weil er alles, was Rot-Grün früher gemacht hat, heute für schlechthält!)

Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

10 Euro Kindergelderhöhung nicht auf den Regelsatz fürKinder anzurechnen, klingt auf den ersten Blick gut undrichtig, und dadurch werden auch die Herzen der Men-schen gewärmt. Die 10 Euro, die hier zur Debatte stehen,liegen allerdings deutlich unter dem, was Kinder, diesich im Hartz-IV-Bezug befinden, wirklich brauchen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das eigentliche Problem sind die viel zu niedrigen Re-gelleistungen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb ist Ihr Antrag strategisch-politisch falsch,und er ist auch systematisch falsch, weil Sie damit denNachrangigkeitsgrundsatz bei den Sozialleistungen aus-hebeln. Frau Lösekrug-Möller, das ist einer der wenigenPunkte, bei denen ich Ihnen zustimme. Entscheidend ist:Die politisch-gesellschaftlich wirklich wichtige Debatteist die um die höheren Regelsätze und nicht die um ir-gendwelche Trostpflästerchen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Mehr Geldfür alle!)

Mit der Trostpflasterdebatte haben wir unsere eigenenErfahrungen. Im Jahre 1999 – das ist ja ausdrücklich IhrVorbild; damals regierte Rot-Grün – haben wir Grüne

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20065

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Markus Kurth

gefordert, die Kindergelderhöhung von damals noch20 DM nicht auf die Sozialhilfe anzurechnen. Wegen derverfassungsrechtlichen Probleme konnte das dann auchnur befristet für drei Jahre geschehen.

Was ist politisch passiert? Aus der Debatte um Regel-sätze ist der Druck herausgenommen worden. Mankonnte sich erst einmal zurücklehnen und sich auf dieSchultern klopfen – ich reflektiere das durchaus selbst-kritisch –, und man hat die gesamte Bedarfsdebatte nichtangemessen geführt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diesen politischen Fehler wollen Sie jetzt um des kurz-fristigen populistischen Erfolges willen wiederholen,

(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Oh!)

obwohl die Voraussetzungen in der gesellschaftlichenDebatte um die Höhe der Kinderregelleistungen garnicht schlecht sind.

(Katja Kipping [DIE LINKE]: Warum habenSie denn keinen Antrag dazu gestellt, HerrKurth?)

Im September dieses Jahres hat der Paritätische Wohl-fahrtsverband in einer Studie festgestellt, dass die Regel-leistungen für Kinder auf der Basis der Einkommens-und Verbrauchsstichprobe deutlich über dem jetzigenStand liegen müssten, nämlich zwischen 276 und 358 Euro.Im Juni dieses Jahres haben wir im Ausschuss für Arbeitund Soziales eine Anhörung dazu geführt. Wir haben ei-nen Antrag zu Kinderregelsätzen gestellt, und auch dieFraktion Die Linke hat einen Antrag gestellt, mit dem siein eine ähnliche Richtung geht. Sie verfolgen ihn abergar nicht ernsthaft.

(Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Den habendie meisten Sachverständigen für schlecht be-funden!)

Ich sage das jetzt einmal der Großen Koalition: DieBundesländer haben am 23. Mai dieses Jahres einstim-mig eine Anhebung der Kinderregelleistungen gefordert.Die Bundesländer – auch Baden-Württemberg, HerrRomer – haben die Bundesregierung einstimmig aufge-fordert, den Kinderbedarf auf der Basis der entwick-lungsspezifischen Bedarfe von Kindern neu zu berech-nen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das hat Baden-Württemberg mitunterzeichnet, und dieFDP war im Übrigen auch dabei.

Mehr noch: Am vergangenen Donnerstag hat der Bun-desrat anlässlich der Abstimmung zum Familienförder-gesetz noch eine allgemeine Bemerkung zu diesem Ge-setz beschlossen – „8. Zum Gesetzentwurf allgemein“ –,aus der ich hier jetzt noch einmal zitiere:

Der Bundesrat begrüßt den Beschluss der Bundes-regierung, für hilfebedürftige Kinder einen geson-derten Schulbedarf … zu finanzieren.

Und dann:

Für die dringend erforderliche Berücksichtigungdes kinderspezifischen Bedarfs bei der Neubemes-sung der Regelleistungen und Regelsätze ist dies al-lerdings lediglich ein erster Schritt.

Das ist Mahnung und Auftrag für uns alle.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –Franz Romer [CDU/CSU]: Die Regelleistun-gen!)

– Herr Romer, die Regelleistungen sollen angehobenwerden. Das ist hier festgehalten und Auftrag für unsalle. Die politische Dynamik, die darin steckt, dass sogarCDU-geführte Bundesländer dies tun, sollten wir auf-greifen.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege Kurth, gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Gysi?

Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr gerne.

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Ich habe nur eine Frage. Ich habe vorhin gesagt, dass

das Existenzminimum eines Kindes – gutachterlich fest-gestellt – jetzt bei 322 Euro monatlich liegt. Davon sindwir meilenweit entfernt – sowohl bei den Sozialhilfe-empfängerinnen und Sozialhilfeempfängern als auch beiHartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IV-Empfängern.

Ich bin völlig damit einverstanden, dass wir das mitdem Trostpflaster sein lassen, wenn Sie mir sagen, dasssie ab Januar eine solche Erhöhung erhalten. Sie sagen,dass Sie über etwas anderes reden. Sie bekommen im Ja-nuar nichts, und dann wollen Sie ihnen auch noch nichteinmal diese 10 Euro pro Monat geben. Das ist für michnicht nachvollziehbar.

(Beifall bei der LINKEN – WolfgangMeckelburg [CDU/CSU]: Was Sie da machen,ist Mogelei!)

Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aus meiner Sicht müsste die Regelleistung ab sofort

entsprechend angepasst werden.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich das noch sagen – Sie sind ja anErkenntnisgewinn interessiert, wie ich eben erfahrenhabe –: Ihr Vergleich der 322 Euro mit den heutigen Re-gelsätzen hinkt insofern, als Sie den Mietanteil an derStelle unterschlagen haben. Letzten Endes hilft Ihnender Verweis auf das steuerliche Existenzminimum dannauch nicht weiter. Da bewegen Sie sich auch fachlich aufdünnem Eis.

In politischer Hinsicht bin ich dafür, den Schwer-punkt insgesamt auf eine angemessene Regelleistung zulegen, statt ab dem 1. Januar 10 Euro mehr zu zahlen. Ichfinde, man sollte in dieser Frage so redlich sein, die Sys-

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Markus Kurth

tematik der nachrangigen Sozialleistungen an der Stellenicht auszuhebeln. Wenn sich dafür in diesem Hauseeine Mehrheit findet, dann kommen wir, glaube ich,auch politisch weiter.

Auch das Schulstarterpaket ist ein Trostpflaster, FrauLösekrug-Möller, das nicht annähernd an die Erhöhungdes Kindergeldes um 10 Euro herankommt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es beläuft sich auf 8,33 Euro im Monat. Angesichts des-sen, was sich an Expertise dazu geäußert hat, ist das, mitVerlaub, mehr als kläglich. Diskutieren Sie nicht nur,sondern fangen Sie möglichst bald an zu handeln!

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 16/10616 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungso beschlossen.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 cauf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines FünftenGesetzes zur Änderung des Filmförderungs-gesetzes

– Drucksachen 16/10294, 16/10495 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Kultur und Medien (22. Ausschuss)

– Drucksache 16/10833 –

Berichterstattung:Abgeordnete Philipp Mißfelder Angelika Krüger-Leißner Dr. Claudia Winterstein Dr. Lukrezia Jochimsen Claudia Roth (Augsburg)

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Kultur und Medien(22. Ausschuss) zu dem Antrag der FraktionenCDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN

Das deutsche Filmerbe sichern

– Drucksachen 16/8504, 16/10831 –

Berichterstattung: Abgeordnete Philipp Mißfelder Angelika Krüger-Leißner Dr. Claudia Winterstein Dr. Lukrezia Jochimsen Claudia Roth (Augsburg)

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Kultur und Medien

(22. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne-ten Dr. Lothar Bisky, Dr. Petra Sitte, CorneliaHirsch, weiterer Abgeordneter und der FraktionDIE LINKE

Finanzierung zur Bewahrung des deutschenFilmerbes sicherstellen

– Drucksachen 16/10509, 16/10891 –

Berichterstattung: Abgeordnete Philipp Mißfelder Angelika Krüger-Leißner Dr. Claudia Winterstein Dr. Lukrezia Jochimsen Claudia Roth (Augsburg)

Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt einEntschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Staats-minister Bernd Neumann das Wort.

Bernd Neumann, Staatsminister bei der Bundes-kanzlerin:

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen undKollegen! Der deutsche Film hat seit der letzten Novel-lierung des Filmförderungsgesetzes deutlich an Bedeu-tung gewonnen. Er befindet sich auf Erfolgskurs.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Gerade die aktuellen Kinobesucherzahlen für die deut-schen Filme können sich sehen lassen. Der Marktanteildeutscher Filme betrug in den ersten neun Monaten26,3 Prozent; die Erwartungen reichen sogar bis über30 Prozent bis zum Jahresende. Noch vor wenigen Jah-ren schwankte dieser Anteil zwischen 10 und 18 Pro-zent. Unter den 28 Kinofilmen, die in diesem Jahr inDeutschland die 1-Million-Grenze durchbrochen haben,waren immerhin zehn deutsche Filme. Das hat es langenicht gegeben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Auch international wird der deutsche Film derzeit ge-würdigt und gefeiert wie schon lange nicht mehr. Auf al-len bedeutenden Festivals und Wettbewerben laufendeutsche Filme mit großem Erfolg.

(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])

In den letzten beiden Jahren ging der Oscar für den bes-ten fremdsprachigen Film an von der Filmförderungs-anstalt geförderte Projekte.

Der Deutsche Filmförderfonds hat in den letzten bei-den Jahren – er besteht seit 2007 – unser Land auch alsFilmstandort attraktiv gemacht. Bisher wurden 116 Mil-lionen Euro Fördermittel für 190 Projekte vergeben unddadurch in Deutschland fast 740 Millionen Euro inves-tiert.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

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Das ist ein Erfolg, und deshalb wollen wir diesen Fondsum weitere drei Jahre verlängern.

Der heute zur Beratung vorliegende Entwurf desFilmförderungsgesetzes ist der Schlüssel zum Erfolg desdeutschen Films. Er unterstützt den gesamten Prozessder Entstehung und Verwertung von Filmen: vom Dreh-buch über die Filmherstellung bis zur Vorführung imKino und der Auswertung in weiteren Verwertungsstu-fen.

Der schwierigen Situation unserer Filmtheater habenwir nach intensiven Gesprächen mit den Kinoverbändenin vielerlei Hinsicht Rechnung getragen. Wir haben aufder einen Seite die Abgabenlast der Kinos um fast 8 Pro-zent verringert. Damit sinken deren Beiträge von19,5 Millionen auf 18 Millionen Euro. Auf der anderenSeite haben die Fernsehsender nach vertrauensvollenGesprächen ihre Leistungen noch einmal erhöht. Siewerden ihre sogenannten Medialeistungen in Form vonWerbezeiten für Kinofilme um 5,5 Millionen Euro anhe-ben.

(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Anerkennenswert!)

Insgesamt steigen damit die Beiträge der Sender von23 Millionen auf 28,5 Millionen Euro. Das ist ein gutesErgebnis, insbesondere wenn man die prekäre finanzielleLage mancher Privatsender sieht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Monika Griefahn [SPD])

Manche sind damit unzufrieden, dass wir mit denFernsehsendern das alles in Verträgen vereinbart haben.Sie hätten gern einen gesetzlichen Abgabetatbestand.Das ist ein altes Thema. Meine Position dazu hat sichnicht verändert. Mir kommt es auf das Ergebnis an. Wa-rum sollen wir denn ein verfassungsrechtliches Risikoeingehen? Warum sollen wir einen Streit mit den Bun-desländern vom Zaun brechen, weil sie ihre eigene Film-förderung bedroht sehen? Warum sollen wir das machen,wenn wir anders ein gutes Ergebnis erzielen können?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Wir haben alle Fernsehsender als verlässliche Vertrags-partner kennengelernt. So soll es auch bleiben.

(Monika Griefahn [SPD]: Sehr gut!)

Mit dem Gesetzentwurf nehmen wir auch die Heraus-forderungen der Digitalisierung unserer Kinos an. Aberin unserer Wirtschaftsordnung sind erst einmal die Un-ternehmen selbst für Erneuerungsinvestitionen verant-wortlich. Deshalb erwarten wir hier endlich ein gemein-sames Konzept von Verleihern und Kinobesitzern, umdann mit allen, auch mit den Bundesländern, über Finan-zierungsmodalitäten zu reden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg.Monika Griefahn [SPD] und des Abg.Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN])

Das Filmförderungsgesetz zielt auf die Förderung desKinofilms als besonderes ästhetisches Gut. Große Filmebrauchen eine große Leinwand. Der Erhalt der Kinos alskulturelle Begegnungsstätte ist das zentrale Anliegendieses Gesetzes. Deswegen hat das Gesetz es verdient,insbesondere von den Kinobesitzern Beifall zu bekom-men.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Monika Griefahn [SPD])

Der Gesetzentwurf ist das Ergebnis langer Verhand-lungen mit allen Beteiligten. Auf Grundlage der Ergeb-nisse des runden Tisches, zu dem ich im Dezemberletzten Jahres in Hamburg 100 Vertreter der Branche ein-geladen hatte, und nach sich anschließenden, zahlreichenEinzelgesprächen wurde ein breiter Konsens erzielt. Andieser Stelle möchte ich den Mitgliedern des Bundesta-ges, insbesondere dem Kulturausschuss, für die kon-struktive Zusammenarbeit danken. Ich bin überzeugt,dass das neue FFG ein gelungener Wurf ist, und würdemich freuen, wenn der Gesetzentwurf im Parlament einebreite Zustimmung erhielte.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kollegin Claudia Winterstein für

die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Dr. Claudia Winterstein (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Der deutsche Film feiert ein erfolgreiches Kino-jahr 2008. Der Staatsminister hat schon darauf hingewie-sen: Der Marktanteil deutscher Produktionen liegt nachdrei Quartalen bei über 25 Prozent. 20 Millionen Zu-schauer haben in diesem Jahr einen Film aus deutscherProduktion gesehen. Das ist ein toller Erfolg.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Gerne werden diese Zahlen als Erfolg der deutschenFilmförderung gefeiert. Eines ist auf jeden Fall klar:Ohne die Filmförderung hätte der deutsche Film sicher-lich einen sehr schweren Stand. Ich glaube, darüber sindwir uns alle einig. Schließlich haben 90 Prozent derFilme aus deutscher Produktion eine Förderung erhalten.

Aufgrund der Ausweitung der Förderung ist die Zahldeutscher Filme in den letzten Jahren deutlich angestie-gen. Vor zehn Jahren startete pro Woche ein Film ausdeutscher Produktion in den Kinos. Heute sind es mehrals zwei pro Woche. Die Filmförderungsanstalt fördertjährlich etwa 170 Filme. Allerdings sagt die große Zahlder deutschen Filme noch nichts über ihren Erfolg aus.Leider erreichen 40 Prozent der geförderten Werke nurweniger als 10 000 Zuschauer. Den hohen Marktanteil indiesem Jahr verdanken wir lediglich acht Produktionen,die Besucherzahlen im Millionenbereich erreicht haben.

Staatsminister Bernd Neumann: Staatsminister Bernd Neumann

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Dr. Claudia Winterstein

Nun ist für die FDP der Marktanteil nur ein Erfolgs-maßstab für den deutschen Film.

(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Er ist auch ein Kulturgut!)

Natürlich zählt auch die künstlerische Bedeutung. Wirhalten aber den wirtschaftlichen Erfolg für ein sehrwichtiges Kriterium der Filmförderung. Bei allem Jubelüber die aktuellen Zahlen muss man zugeben: AndereLänder sind weitaus erfolgreicher als wir in Deutsch-land. Frankreich zum Beispiel erreicht dauerhaft einenMarktanteil von über einem Drittel heimischer Produk-tionen. Das muss auch unser Ziel in Deutschland sein.Deswegen brauchen wir eine effektive Filmförderungnach dem Motto „mehr Klasse statt Masse“.

Wird das neue Filmförderungsgesetz nun diesem An-spruch gerecht? Zunächst möchte ich die Arbeit des Kul-turstaatsministers loben, der hier insgesamt ein gutesGesetz vorgelegt hat.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

Jeder, der die Filmwirtschaft kennt, weiß, wie schwieriges ist, die unterschiedlichen Interessen der einzelnen Ak-teure auf einen einigermaßen gleichen Nenner zu brin-gen. Dies ist Ihnen, Herr Neumann, mit diesem Gesetzgelungen, und wir werden diesem Gesetz natürlich zu-stimmen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Zwei positive Punkte möchte ich herausgreifen. Zumeinen halte ich die Ausweitung der Drehbuchförderungim neuen Filmförderungsgesetz für ein sinnvolles Mittel,um die Stoffentwicklung zu stärken. Dies ist die grundle-gende Voraussetzung, um gute Filme zu schaffen, dieauch an der Kinokasse erfolgreich sind. Zum anderendürfte die stärkere Absatzförderung dazu beitragen,mehr Zuschauer für deutsche Filme zu begeistern.

Leider haben Sie das – zugegebenermaßen – schwie-rigste, aber auch wichtigste Problem ausgespart, nämlichdie Finanzierung der Filmförderungsanstalt. Zahlungenunter Vorbehalt, Klagen bei der EU, Zahlungsverweige-rung einzelner Anbieter – das Finanzierungssystem istund bleibt die Achillesferse der FFA. Dabei braucht dieFFA eine verlässliche finanzielle Grundlage für die För-derung. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund ei-ner sich rasch verändernden Landschaft der Verwertervon Filmen. Die Angebote sind vielfältiger und unüber-sichtlicher geworden. IP-TV, Video-on-Demand, Pay-per-Channel und wie sie alle heißen – die Abgrenzungzwischen diesen Anbietern fällt oft schwer.

Leider ist in der FFG-Novelle die Einbeziehung derneuen Dienste in die Finanzierungsstruktur nicht befrie-digend.

(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Aber ein erster guter Schritt!)

Wir brauchen ein übersichtliches, faires Abgabensystemauf einer einheitlichen Grundlage, das alle Nutzer vonKinofilmen nach ihrer Leistungsfähigkeit in die Finan-

zierung einbezieht, ohne einzelne Anbieter zu überfor-dern.

(Beifall bei der FDP)

Der dauernde Kuhhandel über die Beiträge muss endlichbeendet werden. Die FDP hatte im Ausschuss einen An-trag gestellt, um eine Verbesserung bei der Finanzierungzu erreichen, aber leider hat die Koalition diesem Vor-schlag nicht zugestimmt.

(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Aber schwer nachgedacht!)

Ich wünsche mir, dass wir die Evaluation des Deut-schen Filmförderfonds, die im Moment läuft, auf die Ar-beit der FFA ausdehnen, auch unter dem Aspekt, wie dieeinzelnen Förderinstrumente miteinander wirken. Diesist neben der Frage nach der Archivierung des Filmerbesdie zentrale filmpolitische Aufgabe für das nächste Jahr.Hier haben wir in einem gemeinsamen Antrag die wich-tigsten Forderungen an die Bundesregierung formuliert.Der Kulturstaatsminister hat angekündigt, im nächstenJahr ein Konzept vorzulegen, wie die Bewahrung dieseskulturellen Filmerbes organisiert werden kann.

(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Weitsichtig und weise!)

Für mich ist besonders wichtig, dass die Archivierungnach klaren Kriterien erfolgt, welche filmischen Werkeverbindlich aufbewahrt werden sollen. Es ist übertrie-ben, jeden Werbespot, Videospiele oder Internetfilmchenaufzubewahren, wie die Linke es hier vorgeschlagen hat.Dies würde nur Bürokratie und hohe Kosten für denSteuerzahler und die Filmwirtschaft bedeuten.

(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: 90 Millionen!)

Wir brauchen effektive Instrumente der Filmförde-rung, die gut aufeinander abgestimmt sind, um sowohlder künstlerisch-kreativen als auch der wirtschaftlichenBedeutung des Filmes gerecht zu werden.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kollegin Angelika Krüger-Leißner,

SPD-Fraktion.

Angelika Krüger-Leißner (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! In diesem Jahr konnten wir ein erfreuliches Ju-biläum feiern: 40 Jahre Filmförderungsanstalt. 40 JahreFFA heißt auch vier Jahrzehnte erfolgreiche Filmförde-rung auf der Grundlage des FFG. Heute wollen wir daszum fünften Mal fortschreiben.

Was uns nun zur Abstimmung vorliegt, ist wirklicheine gute Novelle.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Aber alle wissen, dass dieses Ergebnis nur möglich ge-worden ist, weil in diese Vorbereitungen immense Arbeitgesteckt wurde. Mit größtem Aufwand wurde in zahlrei-

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Angelika Krüger-Leißner

chen Abstimmungen, Gesprächsrunden und Anhörungenmit allen Beteiligten der Filmbranche nach Lösungen ge-sucht. Mit bewundernswerter Geduld und harter Arbeitwurde um den Interessenausgleich gerungen.

An dieser Stelle möchte ich – das wird niemandenwundern – ganz herzlich Herrn KulturstaatsministerNeumann danken und ihn bitten, diesen Dank auch anseine Mitarbeiter weiterzugeben.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Ich möchte an der Spitze Herrn Hanten und Frau Schauznennen.

(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]:Dem Dank schließen wir uns an! – MonikaGriefahn [SPD]: Sie sind da! Sie nehmen denDank gleich mit!)

Ich sage das nicht nur so dahin. Ich habe nämlich wirk-lich großen Respekt vor diesem außergewöhnlichen Ein-satz. Mein Dank gilt auch den Koalitionsfraktionen fürdie konstruktive Zusammenarbeit. Ich glaube auch, dassdie Oppositionsfraktionen und wir ziemlich nahe bei-einander sind.

Ich finde, die Mühen haben sich insgesamt gelohnt,weil wir jetzt ein gutes Gesetz auf den Weg bringen. Esist uns gelungen, die Förderung und ihre Finanzierungan die veränderten Rahmenbedingungen für die Herstel-lung und die Auswertung des deutschen Kinofilms anzu-passen. Wir haben die rasanten technischen und medien-wirtschaftlichen Entwicklungen der vergangenen Jahreberücksichtigt. Ich freue mich ganz besonders, dass wirauch die kreative Seite des Filmemachens gestärkt ha-ben.

Ich will einige Kernpunkte ansprechen: Wir haben dieneuen Anbieter, die Videoabrufdienste und Programm-anbieter, in die Finanzierung der FFA einbezogen; jetzthaben wir eine breite Grundlage. Wir haben die Produ-zenten in der Rechtefrage gegenüber den Sendern ge-stärkt. Wir haben die Drehbuchförderung verbessert undausgebaut. Außerdem konnten wir die wichtige Absatz-förderung erhöhen. Darüber hinaus haben wir die Sperr-fristen zeitgemäß ausgestaltet. Ich glaube, wesentlichwar, dass wir die Kino- und die Abspielförderung ge-stärkt haben. Darauf möchte ich nachher besonders ein-gehen.

Ich finde, dass das FFG insgesamt solidarischer ge-worden ist und aus meiner Sicht auch gerechter. Ich binauch ein wenig stolz darauf; denn ich bin mir sicher, dasswir auf dieser Grundlage künftig auch in der Breite mehrQualität in den deutschen Film bringen können.

(Beifall bei der SPD – Unruhe bei der CDU/CSU)

– Einige hören gar nicht zu. Das stört ganz schön, HerrBörnsen.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Der Koalitionspartner hört nicht zu!)

Lassen Sie mich aber zunächst auf die Verbesserun-gen für die Kinos eingehen. Ich finde, dass wir in diesem

Bereich eine Menge getan haben. Dies war aus meinerSicht auch nötig, weil es mit der wirtschaftlichen Lageder Kinos wirklich nicht zum Besten steht. Wir habenseit Jahren rückläufige Besucherzahlen. Während man inder Geburtsstunde des FFG, 1967, noch klagte, dass mannur 290 Millionen Eintrittskarten im Jahr verkaufenkonnte, sind wir heute schon froh, wenn wir das Resultatdes letzten Jahres, nämlich 125 Millionen Besucher, er-reichen. Es gab 2005 einen regelrechten Einbruch. Da-von haben sich die Kinos noch nicht erholen können.

Aber es kommt noch mehr zusammen. Viele Kinobe-triebe schleppen noch die Belastungen der Altdarlehenmit sich, weil sich die damaligen Prognosen, dass dieBesucherzahlen steigen, nicht erfüllt hatten. Vor diesemHintergrund hat sich bei vielen Häusern ein Investitions-stau gebildet. Das heißt, viele Kinos können nicht mehrdie Ausstattung und den Komfort bieten, den der Zu-schauer erwartet. Für viele Kinos wird die anstehendeUmrüstung auf die digitale Projektion zu einer Frage desÜberlebens werden. Auf all diese Herausforderungenhaben wir mit der neuen Kinoförderung reagiert.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich will die Punkte einzeln benennen:

Erstens stehen für besondere Werbemaßnahmen undzur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit künftig Zu-schüsse bis zu einer halben Million Euro zur Verfügung.

Zweitens können Förderungshilfen für die Moderni-sierung, die Verbesserung und die Neuerrichtung vonFilmtheatern, die bisher nur als Darlehen vergeben wor-den sind, künftig bis zu 30 Prozent als Zuschuss gewährtwerden.

Drittens haben wir die Möglichkeit geschaffen, dassalte Darlehensschulden gegenüber der FFA bis zu50 Prozent erlassen werden.

Viertens haben wir mit dem sogenannten SondertopfDigitalisierung die Voraussetzung dafür geschaffen, dassdie FFA einen beachtlichen Beitrag zur Finanzierung derDigitalisierung leisten kann.

Fünftens haben wir insgesamt den Anteil der Kinosam Förderkuchen deutlich erhöht: Bisher waren es20 Prozent; jetzt sind es 25,5 Prozent. Ich will ganz deut-lich sagen: Kein anderer Bereich kann von dieser Novel-lierung so stark profitieren wie die Kinobranche.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Sechstens konnten wir, die Koalitionsfraktionen, nachder Anhörung eine weitere Entlastung der Kinos durch-setzen – sie ist in das Gesetz aufgenommen worden –,von der vor allen Dingen die größeren Kinos, bei denendie Lage besonders angespannt ist, profitieren werden;denn die Kinos werden bei der Filmabgabe um rund1,3 Millionen Euro entlastet.

Ich habe Ihnen diese sechs Maßnahmen nicht ohneGrund aufgezeigt. Ich finde, wir haben so ein Stückmehr Abgaben- und Fördergerechtigkeit geschaffen. Ichbin sehr froh, dass wir das für die Kinos erreichen konn-ten. Ich hoffe, dass das Ergebnis der Kinobranche Mut

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Angelika Krüger-Leißner

macht und Zuversicht schafft, dass es ein gutes Zeichenfür die Solidarität in der Branche ist. Wenn jetzt alle Ki-nos zusammenstehen, werden wir auch die nächste He-rausforderung – die Phase der Digitalisierung – gemein-sam bewältigen. Ich stehe jedenfalls fest an der Seite derKinos.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU und des Abg. WolfgangWieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, der mirwichtig ist. Zu den guten Rahmenbedingungen für dieFilmwirtschaft gehören auch – das ist ganz wichtig – gutqualifizierte und motivierte Beschäftigte. Was mir Sor-gen macht, sind die Arbeitsbedingungen bei der Film-produktion, die sich in den letzten Jahren unter dem zu-nehmenden Kostendruck für die Unternehmenverschlechtert haben. Viele Filme, insbesondere Low-Budget-Produktionen, könnten unter den Vorgaben star-rer Arbeitszeitregelungen gar nicht entstehen. Deshalbhaben wir die Möglichkeit, im Rahmen des Tarifvertra-ges besonders hohe Arbeitszeiten zuzulassen. Im Gegen-zug erwarten wir, dass Ruhezeiten, Arbeitszeitkontenund Vergütungen berücksichtigt werden.

(Beifall der Abg. Monika Griefahn [SPD])

Aber dazu müssen die Tarifverträge angewendet werden.Wir machen leider die Erfahrung, dass diese in der Bran-che mit Pauschalverträgen unterlaufen werden.

Ich habe lange geprüft, welche Auswirkungen eshätte, wenn man – entsprechend dem Antrag der Linken –die Einhaltung sozialer Standards als Förderbedingungins FFG aufnähme. Ich bin zu dem Schluss gekommen,dass das mehr Schaden anrichten würde, als es weiter-helfen würde. Aus diesem Grunde lehnen wir den An-trag der Linken ab. Die Umsetzung würde große EU-rechtliche Probleme bringen. Wahrscheinlich würde dasGesetz gestoppt. Dieses Risiko dürfen wir nicht einge-hen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so-wie des Abg. Wolfgang Wieland [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir haben mit unserem Koalitionspartner einen Weggefunden. Ich möchte mich ganz herzlich bei HerrnBörnsen und bei Herrn Mißfelder bedanken, dass unsdas gelungen ist. Die FFA hat sich künftig um die Be-lange der Filmwirtschaft einschließlich ihrer Beschäftig-ten zu kümmern.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Das ist sicherlich schwierig!)

Das haben wir in der Begründung deutlich ausgewiesen.In Zukunft können wir darauf Bezug nehmen. Die Film-schaffenden selber können sich darauf berufen. Das wirdihre Position nachhaltig stärken. Ich halte das für einengroßen Fortschritt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Zugleich bitte ich Herrn Börnsen, Frau Connemannund Herrn Mißfelder, die Kollegen Sozialpolitiker zu ge-

winnen, eine weitere Veränderung einzubringen: dieVeränderung der Rahmenfrist. Mir ist egal, wie das er-reicht wird. Wenn wir wirklich etwas für die Branche derFilmschaffenden tun wollen, müssen wir auch an dieRahmenfrist herangehen.

Ein letzter Punkt, den ich herausgreifen will: die För-derung der Kreativen und die Beteiligung der Regisseurean der Referenzfilmförderung. Tomy Wigand hat es klarzum Ausdruck gebracht: Die Regisseure sind darauf an-gewiesen, dass wir ihnen bei der Projektentwicklung et-was mehr den Rücken freihalten. Ich würde hier gern et-was mehr tun. Auch hier habe ich geprüft, ob das imRahmen des FFG möglich ist. Ich sage Ihnen: Das wärefalsch. Wir brauchen einen Konsens in der Branche. Wirkönnen nicht einfach Geld hin- und herverteilen.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.

Angelika Krüger-Leißner (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident, für den Hinweis.

Ich komme zum Schluss.

(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Schade!)

Wir sollten etwas mehr tun, aber an einer anderen Stelle:im Rahmen des Deutschen Filmpreises. Ich bitte meineKollegen, mich dabei zu unterstützen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich denke, dass wir mit dieser Novellierung eineMenge für das Kulturgut und Wirtschaftsgut Film getanhaben. Ich bin mir ganz sicher, dass wir für die Kinosund für die Verbesserung der Qualität und der Vielfaltdes deutschen Filmschaffens die Weichen gut gestellthaben. Das ist, finde ich, ein gutes Fazit.

Danke.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kollege Lothar Bisky, Fraktion Die

Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Dr. Lothar Bisky (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der

Zukunft der Filmförderung und der Sicherung des Film-erbes stehen heute zwei wichtige Themen für die Kulturunseres Landes zur Debatte. Bei der Sicherung des Film-erbes sind wir uns einig, dass die Archivbestände vor derZerstörung bewahrt werden müssen. So weit, so gut. Esist mir aber ein Rätsel, wie das ohne zusätzliche Haus-haltsmittel funktionieren soll. Wer das Filmerbe sichernwill, muss auch darlegen, wie das finanziert werdenkann.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

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Dr. Lothar Bisky

Wir haben mit vielen beteiligten Institutionen, demBundesfilmarchiv, der Deutschen Kinemathek, derDEFA-Stiftung und vielen anderen Akteuren gespro-chen. Nach ersten Schätzungen wird die Sicherung desdeutschen Filmerbes um die 90 Millionen Euro kosten.Deshalb schlagen wir erstens vor, dass die Filmwirt-schaft und die Bundesregierung über einen Zeitraum vonfünf Jahren jeweils 6 Millionen Euro jährlich für dieSicherung des Filmerbes zur Verfügung stellen. Zwei-tens sollen weitere 6 Millionen Euro im Jahr durch einezweckgebundene Abgabe auf jede Kinokarte in Höhevon 5 Cent erhoben werden. Drittens fordern wir einegesetzlich verankerte Abgabepflicht für alle öffentlichaufgeführten, neu produzierten Filme.

(Beifall bei der LINKEN)

Wer das deutsche Filmerbe ernsthaft schützen will, dermuss dafür auch die nötigen Mittel aufbringen. Ichmeine, dass das Geld hier wirklich gut angelegt ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Sicherung des Filmerbes ist unser gemeinsames In-teresse. Nehmen Sie sich daher unsere Vorschläge ruhigzu Herzen, und prüfen Sie sie ganz genau!

Auch bei der Novelle zum Filmförderungsgesetz gehtes um grundlegende Rahmenbedingungen der Filmpro-duktion in den kommenden fünf Jahren. Das Filmförde-rungsgesetz ermöglicht es, dass weitere Kinofilme inDeutschland produziert werden. Deshalb ist die Filmför-derung in unserem Lande und in ganz Europa zu Rechteine breit akzeptierte Praxis. Auch wir akzeptieren sie.

Der vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Ände-rung des Filmförderungsgesetzes enthält gute Pläne zurNeujustierung der hiesigen Filmwirtschaft. Die Förder-bedingungen des deutschen Films werden optimiert. Dasist zwar alles in Ordnung; aber uns fehlt ein wichtigerAspekt: Die soziale Situation der beim Film Beschäftig-ten muss Berücksichtigung finden.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Linke fordert deshalb, dass die Vergabe von Film-fördermitteln verbindlich an die Einhaltung sozialerMindeststandards für die in der Filmbranche Tätigen ge-bunden ist.

Gegenwärtig sonnen sich die Promis aus Politik undGesellschaft im Glanz des roten Teppichs,

(Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Herr Gysi!)

und die große Zahl der nicht wenigen Filmschaffendenarbeitet in sehr schlecht bezahlten Jobs. Wenn Ihnen dasegal ist, dann bleiben Sie bei Ihrer Haltung. Wir werdendas immer wieder thematisieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Dumpinglöhne und mangelnde soziale Absicherungmüssen nicht sein. Damit muss Schluss sein. So wie derdeutsche Film gegenüber der Marktmacht der Holly-wood-Produktionen konkurrenzfähig gehalten werdenmuss, so müssen auch die Filmschaffenden vor derMacht des Marktes geschützt und gestärkt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Filmförderungsgesetz ist dafür genau das richtigeInstrument. Wir sagen Ja zur Förderung, aber nur bei gu-ter sozialer Absicherung und angemessener Bezahlungder festen und freien Beschäftigten. Wir wissen, dass al-lein dadurch keine guten Filme entstehen. Ich hoffe, dasswir nicht auf die Tradition zurückkommen, dass der Er-folg des deutschen Films vor allem der Politik zu dankenist. Nein, das ist den Menschen, die diese Filme produ-zieren, zu verdanken und den vielen anderen, die daranbeteiligt sind: von der Beleuchtung, über die Garderobe,die Maske usw. Auch sie sollten am Erfolg des deut-schen Films beteiligt sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, auch wir Linken wissen,dass Filmförderung und gute soziale Absicherung keinehinreichenden, aber nach unserer Meinung doch erfor-derlichen Bedingungen für gute Produktionen sind.

(Jörg Tauss [SPD]: Das wissen alle!)

– Herr Tauss, ich freue mich immer, wenn auch Sie daswissen. Das ist ja gut so. Ich erwähne es trotzdem. ImÜbrigen scheint die Große Koalition ja vor Wissen fastzu platzen. –

(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN)

Vieles andere wie Vertriebsförderung, stimulierendeFilmpreise und Belohnungen für publikumswirksameFilme, die dank des Enthusiasmus und der Risikobereit-schaft der Produzenten gedreht wurden, gehören ebensodazu. Es gehört also viel mehr zur Filmförderung.

Lassen Sie uns gemeinsam die Kreativschaffenden alsdie eigentlichen Leistungsträger der Filmwirtschaft inden Mittelpunkt der Filmförderung stellen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Wolfgang Wieland für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.

Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen und

Herren! Ich bin der Sprecher für innere Sicherheit mei-ner Fraktion,

(Zuruf von der SPD: Das passt!)

aber keine falschen Schlüsse: Der deutsche Film ist füruns kein Sicherheitsproblem geworden.

(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Sicher ist sicher!)

Nein, die Kollegin Roth, die hier gerne geredet hätte, istschon auf dem Weg, nicht nach Hollywood, aber immer-hin nach Erfurt zu unserem Bundesparteitag.

(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Das ist auch Hollywood!)

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Wolfgang Wieland

Von daher habe ich die Ehre, hier zu Ihnen zur Filmför-derung reden zu dürfen. Das ist schwierig für einen In-nenpolitiker; denn so viel Lob für einen Minister wie indieser Debatte gibt es in innenpolitischen Debatten ei-gentlich nie, noch nicht einmal vom Koalitionspartner.Deswegen muss ich mir – das gestehe ich zu – Mühe ge-ben, um mich hier nicht wie in einem falschen Film, son-dern nur wie in einem ungewohnten Film zu fühlen.

Für uns hat die Novelle Licht und Schatten. Tucholskyfragt: Wo bleibt das Positive? Damit fangen wir also an.

Gut ist auf jeden Fall, dass die Drehbuchautorinnenund Drehbuchautoren mehr Fördermittel erhalten unddiese nun auch selbstständig beantragen können.

Gut finden wir auch – Herr Neumann hat es angespro-chen –, dass die Frage der Digitalisierung der Kinos zumThema geworden ist. Uns ist es wichtig, dass auch Pro-grammkinos und mittelständische Kinos diesen Wegmitgehen können.

(Monika Griefahn [SPD]: Das ist für uns auch wichtig!)

Angesichts dessen, was da auf uns zukommt, haben wirGrüne die Einrichtung eines runden Tisches Kino ange-regt, damit alle diesen Weg mitgehen können und esnicht zu einer weiteren Marktbereinigung und einemweiteren Sterben der kleinen Kinos kommt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie des Abg. Wolfgang Börnsen [Bönstrup][CDU/CSU])

Kritik üben wir daran, dass es nicht gelungen ist, dieZusammensetzung des Präsidiums der Filmförderungs-anstalt zu verbessern. Wir hatten vorgeschlagen, auchdort den Kreativen einen Sitz einzuräumen und nicht nurwie bisher im Verwaltungsrat. Dort wird dies ja prakti-ziert; aber auch im Präsidium sollten sich die BereicheDrehbuch, Regie, Kurz- und Dokumentarfilm einen Sitzteilen. Das wurde von Ihnen mit Ihrer Mehrheit im Aus-schuss abgelehnt. Das halten wir für misslich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es geht ja bei der Filmförderung nicht nur um wirt-schaftliche, sondern auch um kulturelle Fragen.

Ein anderes Anliegen von uns Grünen war die Einbe-ziehung von Regisseurinnen und Regisseuren in die Re-ferenzmittelförderung. Sie sollten die Möglichkeit erhal-ten, auch für einen geplanten Film Fördermittel zubeantragen. Das Geld wäre sozusagen in der Produktiongeblieben und nicht abgezogen worden. Meines Erach-tens ist das – das ist ja für mich Neuland; ich habe mirdas erklären lassen – ein durchaus originärer und guterVorschlag. Auch in dieser Frage haben Sie es nicht fürnötig gehalten, unser Anliegen aufzugreifen.

Die Frage ist jetzt natürlich, was Sie sozusagen andiese Stelle setzen wollen

(Angelika Krüger-Leißner [SPD]: Habe ich gesagt!)

– ja, ich hätte es gerne von Herrn Neumann gehört – undwie dieses Loch, in das Regisseure ja oft fallen, gefüllt

werden soll. Nachdem Regisseure einen guten Film ge-dreht haben, bleibt ja häufig der Anschlussfilm aus, so-dass sie zum Teil gezwungen sind, sich anderweitig Be-schäftigung zu suchen. Um das zu verhindern, gibt esauch andere Möglichkeiten, zum Beispiel über den Bun-desfilmpreis. Ich denke, an dieser Stelle muss nochnachgearbeitet werden.

(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Das tun wir auch!)

– Ja, ich hoffe, dass das kommt.

Ich komme deswegen jetzt zu einem ganz versöhnli-chen Schluss.

(Beifall des Abg. Wolfgang Börnsen[Bönstrup] [CDU/CSU] – Dr. Stephan Eisel[CDU/CSU]: Das macht Frau Kollegin Rothauch gern!)

– Ich sagte ja, dass ich die Anpassung übe.

Es sind positive und negative Elemente darin enthal-ten. Hätte der Herr Kulturstaatsminister etwas zu derFrage gesagt, die ich als letztes angeschnitten habe,

(Zuruf von der CDU/CSU: Kommt noch!)

nämlich zur Stellung der Regisseurinnen und Regis-seure, dann hätten wir zustimmen können. So wird sichunsere Fraktion der Stimme enthalten.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kollege Philipp Mißfelder für die

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Ich habe mir natürlich eine breitere Zu-stimmung für diesen Gesetzentwurf gewünscht, nach-dem wir schon die ganze Zeit konstruktiv diskutiert ha-ben. Offensichtlich haben sich die Grünen aber imfalschen Film befunden – Sie haben es ja gerade gesagt,Herr Kollege Wieland –,

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Nicht im falschen! Im ungewohnten!Sie können noch nicht mal zuhören, HerrMißfelder!)

während sich die Linkspartei in einem ganz anderenFilm befindet. Sie versucht zwar, davon abzulenken, in-dem sie Tatort-Kommissare ins Rennen schickt. Wennich Sie aber reden höre, Herr Dr. Bisky, dann denke icheher an Das Leben der Anderen statt an alles andere.

(Beifall bei der CDU/CSU – WolfgangWieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Daswar ja mit dem Holzhammer!)

Ich möchte ausdrücklich das Zustandekommen desGesetzentwurfs hervorheben. Wir haben tatsächlich

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Philipp Mißfelder

lange und konstruktiv über die routinemäßig anstehendeNovellierung diskutiert. Frau Krüger-Leißner, Sie habenbereits gesagt, dass das nicht ohne Diskussionen vonstat-ten gegangen ist. Ich möchte mich aber ganz herzlich beiIhnen als SPD-Berichterstatterin bedanken und hervor-heben, dass die Zusammenarbeit mit den Mitarbeiterin-nen und Mitarbeitern von Herrn Neumann so erfreulichwar, dass ich mich schon jetzt auf die nächste Novellie-rung freue, die ab dem Zeitpunkt der Verabschiedung an-steht; denn Sie haben bereits ein breites Feld an Aufga-ben für die kommenden Jahre aufgezählt.

Ich glaube, es ist notwendig, über das hinaus, was wirzu regeln versucht haben, noch weitere Themen aufzu-greifen. Wir reißen einen bestimmten Bereich an, bei-spielsweise die Frage der Digitalisierung, die Frage desErhalts des Filmerbes und die Frage der zukünftigenEinbeziehung anderer Medien. Dies betrifft ganz konkretdie Frage von Video-on-Demand, wo wir zum erstenMal einsteigen. Dabei müssen wir aber auch die Fragestellen, ob wir bei der nächsten Novellierung nicht nochweitergehen können.

Im Laufe der Entwicklung des Medienbereichs in denkommenden Jahren wird der Weg des Films zum Zu-schauer eine größere Rolle spielen. Deshalb muss dieserWeg einbezogen werden, auch wenn sich starke Interes-senvertretungen dagegen aussprechen. Bei der nächstenNovelle wollen wir das Thema noch deutlicher angehen,als wir es bislang angegangen sind.

(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Richtig!)

Der Film ist ein großes Kulturgut geworden und istnicht nur wichtig für die deutsche Sprache, sondern auchfür das Vermitteln von historischen und gesellschaftli-chen Zusammenhängen. Deshalb ist es gerade in unse-rem Interesse, dass möglichst viele deutsche Produktio-nen in Deutschland erfolgreich sind und darüber hinausnatürlich auch international eine Chance bekommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Das hat sich in den vergangenen Jahren sehr stark be-währt. Deshalb gilt ein ausdrücklicher Dank unseremKulturstaatsminister, der vielfach – dies nicht ganz zuUnrecht – als Filmminister bezeichnet wird. Denn beimThema Film haben wir es mit einer Bündelung von Maß-nahmen, wie zum Beispiel mit dem DFFF und der heutezu beratenden FFG-Novelle, geschafft – auch gemein-sam mit Herrn Steinbrück; das möchte ich gar nicht un-terschlagen –, den Film finanziell so gut auszustatten,dass ich mir um den deutschen Film in den kommendenJahren wenig Sorgen machen muss.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Was die Sicherung des Filmerbes angeht – dies warauch ein wichtiger Punkt in der Diskussion –, so möchteich zumindest darauf verweisen, dass wir im Rahmender Neuregelung des Bundesarchivgesetzes auch noch indieser Legislaturperiode die Möglichkeit haben, in die-sem Bereich Erfolge zu erzielen, sodass der Eindruck,der aufgrund des Antrags der Linken entsteht, wir wür-den hier zu wenig tun, einfach nur trügt. Wir werden die-

ses Thema in dieser Legislaturperiode hoffentlich nochweiter verfolgen können. Die Diskussion im Rahmendes Kulturausschusses macht mich sehr optimistisch.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Mit diesem Gesetzentwurf würdigen wir nicht nur dieLeistungen der Produzenten, die ich besonders hervorhe-ben möchte, also die Leistung derjenigen, die Film vorallem als Wirtschaftsgut darstellen. Deshalb haben wirsie stärker in den Verwaltungsrat der FFA eingebunden,was ich für eine sinnvolle Maßnahme erachte. Und soschaffen wir zumindest auch appellativ den Einstieg indie Diskussion darüber, wie man eine Verbesserung dersozialen Situation der Menschen, die beim Film arbeiten,erreichen kann. Das ist auch ein Wert dieses Gesetzes ansich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Ich wünsche uns allen viele vergnügliche Kinoerleb-nisse mit möglichst vielen deutschen Filmen. Ich wün-sche mir auch, dass im Abspann oft der Hinweis zu se-hen ist, dass der Film mit von uns bewilligten Mittelnproduziert worden ist. Dann können wir zu Recht stolzdarauf sein, dass wir für das Kulturgut Film sehr viel ge-tan haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich erteile nun das Wort Kollegin Monika Griefahn,

SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Monika Griefahn (SPD): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Wie sehr Filme Menschen bewegen und unser tägli-ches Leben künstlerisch widerspiegeln, hat sich für michgestern erneut gezeigt. Bei einer Sondervorführung desFilms „Let’s make money“, die für die Mitglieder desDeutschen Bundestages veranstaltet wurde, konnten wirmit dem Filmemacher Erwin Wagenhofer diskutieren.Sein neuer Dokumentarfilm gibt einen sehr realen Ein-blick in die komplizierte Welt der Finanzströme. Vordem Hintergrund der aktuellen Finanzkrise fand ich die-sen Film auch deshalb so beeindruckend, weil er auf sehrplastische Weise die mit diesem globalen Geldkreislaufverbundenen Folgen verdeutlicht. Ich kann diesen Filmnur empfehlen. Bilder machen manchmal mehr deutlichals viele Worte und Tabellen. Deswegen ist es mir einbesonderes Anliegen, den Dokumentarfilm zu unterstüt-zen,

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowiebei Abgeordneten der FDP und des BÜND-NISSES 90/DIE GRÜNEN)

der leider – auch von den Fernsehanstalten – viel zuschlecht bezahlt wird; das muss man deutlich sagen. DieBezahlung pro Minute ist seit 20 Jahren gleich geblie-ben. Das, finde ich, ist kein Zustand. Deshalb richte ichden Appell an die Fernsehanstalten, das zu ändern.

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20074 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

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Monika Griefahn

Bevor ein Film ins Kino kommt, müssen viele Men-schen – beispielsweise Schauspielerinnen und Schau-spieler, Kostümbildnerinnen und Kostümbildner sowieRegisseurinnen und Regisseure – künstlerisch daran mit-gewirkt haben. Diese Arbeit wollen wir hier wertschätzenund fördern. Aber wir müssen – das hat meine Kolleginsehr deutlich gemacht – auch die Arbeitsbedingungender Filmschaffenden in besonderer Weise berücksichti-gen. Das möchte ich hier noch einmal unterstreichen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Doch die Kunst des Filmemachens lässt sich nichtohne den Zusammenhang mit den technischen Mittelndenken. Da spielt das Problem des Urheberrechts eineRolle, das wir bis jetzt noch nicht vollständig gelöst ha-ben. Die Novellierung des Filmförderungsgesetzes warauch deshalb notwendig geworden, weil die Förder- undVergabebedingungen an die technischen und medien-wirtschaftlichen Entwicklungen der vergangenen Jahreangepasst werden mussten. Denn heute gibt es DVD, In-ternet, Fernsehen und andere Plattformen, von denensich viele noch in der Erprobung befinden. Diese Ver-wertungsformen und die vielfältige Vermarktung vonFilmen spielen eine immer größere Rolle. Wir müssen zuimmer besseren Regeln kommen, nach denen die Künst-ler entlohnt werden. Dieses Problem ist, wie gesagt,noch nicht vollständig gelöst.

Wir haben allerdings – das freut mich sehr; HerrStaatsminister hat darauf aufmerksam gemacht – dieFernsehanstalten noch stärker in das Finanzierungssys-tem der FFA einbinden können. Sowohl private als auchöffentlich-rechtliche Fernsehanstalten haben aktiv daranmitgearbeitet, sodass eine gesetzliche Regelung, die wirvorgesehen hatten, entfallen konnte. Eine Vereinbarungüber zusätzliche Medialeistungen konnte getroffen wer-den. Darüber bin ich sehr froh. Wenn die Kinofilme imFernsehen beworben werden, dann werden sie auch vonmehr Menschen gesehen. Auf diese Weise haben diejeni-gen, die die Filme gemacht haben, hinterher mehr davon.Ich glaube, das ist ein gutes Ergebnis.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Ein Problem bleibt ungelöst. Dabei geht es um Fragenim Zusammenhang mit den Widerspruchsrechten, diewir im Urheberrecht noch lösen müssen. Das schaffenwir wahrscheinlich in dieser Legislaturperiode nichtmehr. Wenn zum Beispiel eine unangemessene Verwen-dung der Werke über neue Nutzungsarten erfolgt, bei-spielsweise als Filmschnipsel über Handy, dann habendie Hersteller der Filme im Moment kaum Widerspruchs-möglichkeiten; denn der Verwerter muss den Urheber erstnachträglich informieren. Diesen Aspekt haben wir in un-serer Entschließung zum Filmförderungsgesetz aufge-nommen, und wir wollen, dass die Auswirkungen dieserRegelung mit Blick auf die unbekannten Nutzungsartennoch einmal sorgfältig geprüft werden. Ich bitte denStaatsminister, dieses Problem in Zusammenarbeit mitder Justizministerin aufzugreifen, damit wir es in dernächsten Legislaturperiode im Zuge einer Reform desUrheberrechtes lösen können. Das haben wir beim letz-ten Mal nicht geschafft, aber es muss gemacht werden.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Ebenfalls kein Bestandteil der Novelle zum Filmför-derungsgesetz – das wurde hier mehrfach angesprochen –ist das Thema Filmerbe. Wir haben dazu einen fraktions-übergreifenden Antrag eingebracht, weil wir die Not-wendigkeit sehen, dazu Regelungen zu treffen. Wir wol-len, dass das Filmerbe als Teil unseres kulturellenGedächtnisses erhalten bleibt. Filme müssen erhaltenund gesehen werden, um ihre Wirkung zu entfalten. Wirmüssen sie aufbewahren. Wir haben mit der Durchfüh-rung eines öffentlichen Expertengespräches, das wir imAusschuss geführt haben, und dem vorliegenden Antragdeutlich gemacht, dass uns dieses Thema wichtig ist. Ichbin froh, dass wir uns Anfang des nächsten Jahres mitdem Bundesarchivgesetz beschäftigen werden und ganzkonkrete und praktische Regelungen treffen und veran-kern können. Das braucht noch ein bisschen Zeit undkann nicht schon in dieser Novelle geregelt werden.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Die FFG-Novelle, die wir heute beschließen, ist – meineKollegin hat das deutlich gemacht – intensiv geplant undvorbereitet worden. Ich denke, wir sind gemeinsam zueinem Ergebnis gekommen, das sich sehen lassen kann.Dies ist für die Filmbranche ein wichtiger Schritt in dieZukunft. Ich stimme Herrn Mißfelder zu: Wir werden,wenn wir uns die Medienlandschaft anschauen, beimnächsten Mal sicherlich nicht über ein Filmförderungs-gesetz diskutieren, sondern über ein Medienförderungs-gesetz. Dazu brauchen wir ein bisschen mehr Vorberei-tung. Ich danke für die Kooperation und hoffe, dass wirin dieser guten Koordination weitermachen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowiedes Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: In einer anderen Koalition! – Gegenrufder Abg. Monika Griefahn [SPD]: Warten wires einmal ab!)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kollegin Dorothee Bär, CDU/CSU-

Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dorothee Bär (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber HerrStaatsminister! Ein erfolgreicher Film in letzter Zeit hießVier Minuten und trägt den Titel meiner Rede.

(Heiterkeit und Beifall des Abg. Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU])

– Jetzt sind schon wieder 10 Sekunden mehr weg,Wolfgang.

Wir haben nur deswegen einen so erfolgreichen deut-schen Film, weil jeder Kinosaal in Deutschland meistensbis auf den letzten Platz gefüllt ist. Wenn die Kinosäle so

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Dorothee Bär

voll wären wie unser Plenarsaal, würde es um den deut-schen Film nicht so gut stehen.

(Iris Gleicke [SPD]: Ich sitze schon seit 12 Uhr hier!)

– Ein Sonderapplaus für Frau Gleicke: Sie sitzt schonseit 12 Uhr im Plenum. –

(Iris Gleicke [SPD]: Aber Sie waren nicht die ganze Zeit im Saal!)

Aufgrund der vielen Millionen, die zugeschaut haben,hatten wir ein erfolgreiches Jahr. – Natürlich lohnt sichvielleicht nicht jede einzelne Debatte, aber die Debattezum deutschen Film ist doch sehr lohnenswert.

Noch besser, als heute Abend über den deutschenFilm zu reden, wäre es natürlich, wenn wir alle gemein-sam im Anschluss ins Kino gehen würden, um die deut-sche Filmwirtschaft weiterhin zu fördern.

(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Ein guter Vorschlag!)

Wir haben sowohl seitens des gesamten Bundestages alsauch seitens unserer Fraktion Initiativen ergriffen. Wirbieten sehr viele Dinge an, um den Kollegen die Mög-lichkeit zu geben, sich mehr mit dem deutschen Film zubeschäftigen.

Ich möchte zwei Genres – auch Frau Griefahn hat ei-nes angesprochen – ganz besonders hervorheben. Es gibtin Deutschland nicht nur herausragende Spielfilme, son-dern auch ganz herausragende Dokumentarfilme. Diesehaben in den letzten Jahren eine immer größere Bedeu-tung gewonnen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte mich bei allen Dokumentarfilmern bedan-ken, die sich oft mit Themen beschäftigen, die auf denersten Blick vielleicht nicht spannend klingen undschwierig sind. Man muss sich mit diesen Filmen we-sentlich länger und teilweise auch kritischer auseinan-dersetzen. Sie erzielen vielleicht nicht besonders hoheEinspielergebnisse. Aber sie lohnen sich wirklich, undderen Bedeutung ist in den letzten Jahren Gott sei Dankgrößer geworden. Bei diesen Filmen geben die Filmema-cher oft sehr viel mehr von sich preis, als es bei manchenSpielfilmen der Fall ist. Ich konnte mich bei den HoferFilmtagen von einigen sehr guten Dokumentarfilmenüberzeugen. Ich würde mir wünschen, dass wir darauf inden nächsten Jahren ein noch größeres Augenmerk rich-ten.

Ein anderes Genre, das wirklich sehr lohnenswert istund das in den letzten Jahren in Deutschland zunehmendBedeutung bekommen hat, ist der Kinder- und Jugend-film. Auch da haben wir sehr gute Filmemacher. Es gibtganz tolle Themen. Es sind in Deutschland vom Stoff hersehr hochwertige Filme entstanden. Auch all denjenigen,die am Kinder- und Jugendfilm beteiligt sind, ein ganzherzliches Dankeschön.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn ich mir jetzt die Produktionen 2008/2009 an-schaue, sehe ich, dass wir in Deutschland auf einemnoch besseren Weg sind.

Ich brauche nicht alle Preise aufzuzählen, die derdeutsche Film in den letzten Jahren gewonnen hat. Wirhaben es nicht nur geschafft, Filme zu machen, die inDeutschland erfolgreich sind. Auch bei den Filmfest-spielen in Cannes oder der Verleihung des EuropäischenFilmpreises müssen wir uns nicht verstecken, und beider Oscar-Verleihung ist regelmäßig ein deutscher Filmdabei. Liest man die Nominierungsliste für den diesjäh-rigen Europäischen Filmpreis, dann begegnen einemsehr viele deutsche Namen. Deswegen ist es lohnens-wert, sich mit dem deutschen Film auseinanderzusetzen.

Heute Abend ist vielen gedankt worden, ganz oft demHerrn Staatsminister und seinem Team. Ich möchte die-ses Lob wiederholen. Frau Schauz hat vorhin gequält ge-schaut, als Herr Mißfelder gesagt hat, dass er sich schonauf die sechste Novelle freut. Man sieht Ihnen gar nichtan, dass die fünfte so anstrengend war. Deswegen glaubeich, dass wir die nächste, sobald sie ansteht, frischenMutes angehen können. Einige Probleme sind noch zulösen. Alles in allem haben wir das gut hinbekommen,sowohl fraktionsübergreifend als auch mit dem BKM.

Frau Gleicke, ich hoffe sehr, dass wir, nachdem dasPlenum geschlossen ist, alle zusammen in die Spätvor-stellung gehen können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Iris Gleicke[SPD]: Kommen Sie doch auch öfter ins Ple-num! Dann sind wir sofort mehr!)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-rung des Filmförderungsgesetzes. Der Ausschuss fürKultur und Medien empfiehlt unter Buchstabe a seinerBeschlussempfehlung auf Drucksache 16/10833, denGesetzentwurf der Bundesregierung auf den Druck-sachen 16/10294 und 16/10495 in der Ausschussfassunganzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, umdas Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-gen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratungmit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP beiStimmenthaltung der Linken und der Grünen angenom-men.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-wurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie inder zweiten Beratung angenommen.

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 16/10833 empfiehlt der Ausschuss, eineEntschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be-

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Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse

schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmenvon CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der FDPund der Grünen bei Stimmenthaltung der Linken ange-nommen.

Wir stimmen nun über den Entschließungsantrag derFraktion Die Linke auf Drucksache 16/10889 ab. Werstimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmtdagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantragist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP ge-gen die Stimmen der Linken bei Enthaltung der Grünenabgelehnt.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-schusses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Frak-tionen der CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/DieGrünen mit dem Titel „Das deutsche Filmerbe sichern“.Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlungauf Drucksache 16/10831, den Antrag auf Druck-sache 16/8504 anzunehmen. Wer stimmt für diese Be-schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hau-ses bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-ses für Kultur und Medien zu dem Antrag der FraktionDie Linke mit dem Titel „Finanzierung zur Bewahrungdes deutschen Filmerbes sicherstellen“. Der Ausschussempfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-sache 16/10891, den Antrag der Fraktion Die Linke aufDrucksache 16/10509 abzulehnen. Wer stimmt für dieseBeschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Ent-haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-men von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmender Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Grünen ange-nommen.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 bauf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten KerstinMüller (Köln), Irmingard Schewe-Gerigk,Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordne-ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN

Sexuelle Gewalt gegenüber Frauen in der De-mokratischen Republik Kongo unverzüglichwirksam bekämpfen

– Drucksache 16/9779 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss (f)VerteidigungsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus-schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten KerstinMüller (Köln), Winfried Nachtwei, Irmingard

Schewe-Gerigk, weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

UN-Resolution 1325 – Frauen, Frieden und Si-cherheit – Nationaler Aktionsplan zur strate-gischen Umsetzung

– Drucksachen 16/4555, 16/8608 –

Berichterstattung:Abgeordnete Holger Haibach Detlef Dzembritzki Marina Schuster Monika Knoche Kerstin Müller (Köln)

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile Kerstin Müllerfür die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieheutige Debatte hat leider eine traurige Aktualität be-kommen; denn die Lage im Osten des Kongos eskaliertdramatisch. Ich glaube, landesweit gibt es seit Augustdieses Jahres 1,6 Millionen Flüchtlinge, 250 000 alleinin und um Goma. Es gibt Massaker an Zivilisten, Plün-derungen und Zerstörung und vor allem Vergewaltigun-gen und sexualisierte Gewalt in einem unvorstellbarenAusmaß. Vor allen Dingen sind viele Frauen und Mäd-chen im Ostkongo betroffen. Ihre Lage ist katastrophal.Wir haben vor einigen Wochen eine Anhörung durchge-führt. Daran nahmen auch Vertreterinnen anderer Frak-tionen gemeinsam mit medica mondiale teil. Dort sprachman von 40 Frauen pro Tag. Das sind Schätzungen; dieDunkelziffern sind unbekannt. Die UNO jedenfallsspricht von den schlimmsten Verbrechen weltweit.

Die Schilderungen sind schrecklich. Sie haben sichdas im Vorfeld sicherlich noch einmal angesehen. Hierzuhat medica mondiale Zitate und Erzählungen veröffent-licht, zum Beispiel von einer 15-Jährigen, einem Opfer,die erzählt: Sie kidnappten und vergewaltigten mich dreiMonate lang. Ich weiß nicht, wie viele es waren. Als ichimmer mehr einnässte, ließen sie mich gehen. – Es gibtviele solche Schilderungen. Jetzt jüngst in Goma kam eswieder zu solchen Verbrechen. Man muss darauf hinwei-sen, dass diese dort von marodierenden Regierungssol-daten ausgeübt wurden, und zwar in Anwesenheit derUNO, die in der Stadt ist und tatenlos zugeschaut hat.

Ich glaube, wenn nicht schnellstens etwas passiert– das ist ein Punkt in dieser Debatte –, bekommt dieUNO ein schweres Glaubwürdigkeitsproblem. Manmuss sich ernsthaft fragen, ob wir aus Ruanda nichts ge-lernt haben, ohne zu sagen, dass es sich hier jetzt schonum einen Völkermord handelt. Die Tatsache, dass sichnichts tut, erinnert daran.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Schewe-Gerigk?

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):

Ja.

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):

Liebe Frau Kollegin Kerstin Müller, Sie haben hierganz eindrucksvoll über die Situation im Kongo gespro-chen. Wie empfinden Sie es, dass niemand auf der Re-gierungsbank sitzt? Jetzt kommt gerade der Herr Staats-sekretär aus dem Familienministerium. Glauben Sienicht, dass es diesem Thema angemessen wäre, wenn dieRegierungsbank besetzt wäre?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der LINKEN sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU und der SPD)

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):

Das finde ich in der Tat schlecht. Ich weiß nicht, obman vonseiten der Fraktionen etwas in der Hinsicht ma-chen kann. Es ist ein Thema, das mindestens das Ent-wicklungsministerium, das Auswärtige Amt, aber auchdas Verteidigungsministerium hochrangigst angeht. In-sofern wäre es gut, wenn Sie vielleicht dafür sorgenkönnten, dass noch ein paar Vertreter kommen.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Werte Kolleginnen, mir wird gerade mitgeteilt, dass

Herr Staatsminister Gloser gleich erscheint. Er ist ir-gendwo aufgehalten worden. Ich wollte das auf die An-frage hin mitteilen.

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):

Gut.

Frauen und Mädchen werden von den Milizen derFDLR, Mai-Mai-Milizen sowie Nkundas Milizen, abereben auch von Regierungssoldaten systematisch alsKriegswaffe missbraucht. Durch die Vergewaltigungensollen sie seelisch und körperlich vernichtet werden. Esgeht darum, den jeweiligen Gegner zu demoralisieren.Inzwischen spricht medica mondiale von einem Femi-zid, weil es sich um schwerste Menschenrechtsverlet-zungen begangen an Frauen und Mädchen handelt. Eswird auch nur vereinzelt von diesen Massakern, die ander Zivilbevölkerung stattfinden, berichtet, etwa vondem in Kiwanja, bei dem mindestens 20 Zivilisten brutalermordet wurden, indem nacheinander Nkundas Milizenund Mai-Mai-Milizen über das Dorf herfielen.

Ich glaube, es ist nicht nur ein Gebot der internationa-len Schutzverantwortung, der im Jahre 2005 alle zuge-stimmt haben, dass jetzt alle Hebel in der EU und UNOin Bewegung gesetzt werden, um die Zivilbevölkerungim Ostkongo zu schützen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, derSPD, der FDP und der LINKEN)

Ich meine, das folgt nicht nur aus der Schutzverantwor-tung, sondern eben auch aus den Resolutionen 1325 und1820, die insbesondere die Rolle der Frauen als Opfer insolchen Krisen zum Thema haben.

Die Bundesregierung hat jetzt gesagt, eine EU-Battle-Group wolle sie nicht. Wenn man aber auf Diplomatiesetzt, dann frage ich Sie: Wo sind die diplomatischen In-itiativen? Wieso wird nicht mehr Druck auf Kabila ge-macht? Immerhin haben wir Kabila mit einer EU-Mis-sion unterstützt; er hat zugesagt, die Armee aufzubauenund die FDLR zu entwaffnen. All das ist nicht passiert;stattdessen hat sich die Regierungsarmee inzwischen mitden Hutu-Milizen, also den Völkermördern aus Ruanda,verbündet.

Herr Fischer, Frau Irber, ich schätze Ihr persönlichesEngagement für Afrika. Aber ich verstehe nicht, warumangesichts einer solch dramatischen humanitären Lagenicht der Außenminister selber eine aktivere Vermitt-lungsrolle in dieser Krisenregion einnimmt, zumindesteine diplomatische Vermittlungsrolle. Selbst zu demZeitpunkt, als die Franzosen und Briten dort waren, warder Außenminister nicht präsent. Meines Erachtens gehtdas nicht; dafür ist die Lage zu dramatisch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN)

Nun zur UNO: 17 000 Soldaten sind vor Ort, 900 al-lein in der Region Goma, aber die Menschen sind derGewalt schutzlos ausgeliefert. Herr Fischer, ich kann mirvorstellen, dass Sie das ähnlich sehen: Meiner Auffas-sung nach muss zumindest ein robusteres MONUC-Mandat her, eines, das die Zivilbevölkerung schützt, undzwar auch gegen marodierende Regierungssoldaten. Eskann doch nicht sein, dass wir wieder erleben, dass dieMenschen traktiert werden und die UNO-Soldaten dane-benstehen. Die UNO bekommt ein schwerwiegendesGlaubwürdigkeitsproblem. Wenn sich jetzt, weil dieUNO nicht handelt, auch noch Ruanda und Angola ein-mischen, wir also möglicherweise vor einem zweitenafrikanischen Weltkrieg stehen – das wird zum Teilschon geschrieben –, dann müssen wir zumindestMONUC so robust ausstatten, dass sie in der Lage ist,die Zivilbevölkerung zu schützen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Müller, achten Sie bitte auf die Zeit.

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):

Ich komme gleich zum Schluss. – Die Opfer sexuali-sierter Gewalt verlangen ebenfalls nach Gerechtigkeit.Sie verlangen, dass den Vergewaltigern aus den Reihender eigenen Armee und der Miliz der Prozess gemachtwird. Wenn die kongolesische Justiz dies nicht macht,gehören sie vor einen internationalen Strafgerichtshof.

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Kerstin Müller (Köln)

Ich will noch eine letzte Forderung nennen, die sichebenfalls in der Anhörung ergeben hat. Es gibt einenFriedensfonds, den die Entwicklungshilfeministerinnach ihrer letzten Reise aufgelegt hat. Er wird leider nurfür den Wiederaufbau und eben nicht für die Opfersexualisierter Gewalt zur Verfügung gestellt. Es wäreaber sehr wichtig, Mittel für die Opfer sexualisierter Ge-walt und für die Hilfsorganisationen bereitzustellen. Da-von gibt es nur sehr wenige; sie kämpfen zum Teil umihr Leben und werden auch bedroht. Zumindest auf die-ser Ebene müssen wir von Deutschland aus wirklich et-was tun.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Petra Pau: Nun hat die Kollegin Anke Eymer für die CDU/CSU-

Fraktion das Wort.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Anke Eymer (Lübeck) (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Der erste hier heute vorliegende An-trag bezieht sich auf sexuelle Gewalt gegen Frauen. Dieeskalierenden Ereignisse im Ostkongo – davon sprachmeine Vorrednerin bereits – scheinen in ihrer Geschwin-digkeit unsere parlamentarische Debatte zu überholen.

Die Situation ist vielschichtig und verworren. EndeJanuar dieses Jahres gab es bekanntlich in der Demokra-tischen Republik Kongo das Friedensabkommen vonGoma. Es wurde dort unterzeichnet; es ist aber nicht dasPapier wert, auf dem es steht.

(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

Die Kämpfe im Ostkongo sind verantwortlich fürMassaker an Frauen, Kindern und Männern sowie fürdie Flucht von mittlerweile einer Viertelmillion Men-schen in dieser Region. Die Regierungen in Kongo undin Ruanda bezichtigen sich wechselseitig, die gegneri-schen Milizen auf der jeweils anderen Seite der Grenzezu unterstützen.

Ende der 90er-Jahre forderte der sogenannte ersteafrikanische Weltkrieg Millionen Opfer. Wie weit sindwir jetzt noch von solchen Verhältnissen entfernt, wennein Nachbarstaat wie Angola sich wieder mit eigenenTruppen aktiv am Konflikt beteiligt? Was nützen eigent-lich Diplomatie und Krisengipfel in Nairobi und in Jo-hannesburg, wenn verantwortliche Kombattanten wieGeneral Nkunda nicht erscheinen? Wie viel wirklicheBereitschaft ist vorhanden, wenn verfeindete Präsiden-ten sich für ein gemeinsames Gespräch nur knapp fünfMinuten Zeit nehmen, wie von Präsident Kabila undStaatschef Kagame beim Treffen in Nairobi berichtetwird?

Die Lage ist katastrophal; darin sind wir uns einig.Eine humanitäre Katastrophe droht nicht, sie ist bereitseingetreten. Aber sie kann noch schlimmer werden,wenn die Verantwortlichen nicht zu wirklichen Gesprä-

chen, zu Stabilität und einer friedlichen Lösung bereitsind.

Es ist richtig, dass Frauen und Kinder in diesem Kon-flikt und in den allermeisten anderen gewaltsamen Kon-flikten und Kriegen in besonderem Maße die Leittragen-den sind. Ich möchte allerdings bezweifeln, dass essinnvoll ist, sich angesichts dieser bedrückenden Situa-tion in einem Antrag auf die Lage der Frauen im Ost-kongo zu beschränken. Eine Lösung für die gesamte Re-gion und ein entschiedenes internationales Handeln sindunverzichtbar.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Dazu müssen sich die Verantwortlichen an einenTisch setzen, und Partikularinteressen müssen beiseite-geschoben werden. Das ist in dieser Region natürlichbesonders schwierig. Hier bietet sich für unzähligeGruppen ein ungeheuer großes Feld der partikularen Be-reicherung. Dazu zählen insbesondere die Milizen, aberauch die hinter ihnen stehenden Regierungen. IllegalerRohstoffabbau und -handel sind das Feuer, das unter denKesseln der Kriegsherren brennt. Dadurch sichern siedie Finanzierung. So werden ständig neue Begehrlich-keiten geweckt. Eine Komponente ist der ungelösteKonflikt zwischen Hutu und Tutsi, der immer wiederideologischen Nährboden bietet und jede Gewalt gegenden anderen zu rechtfertigen scheint.

In Ihrem ersten Antrag beschreiben Sie die Tatsache,dass sexualisierte Gewalt gegen Frauen im Ostkongo zueinem der abscheulichsten Mittel der Kriegsführendengeworden ist, im Kern richtig. Die Lage ist aber viel um-fassender, auch wenn bei der noch ausstehenden Lösungdes Problems diese besondere Gefährdung der Frauen zuberücksichtigen ist. Daher ist Ihr Antrag in dieser Formnicht zu unterstützen.

Die Ausschreitungen im Ostkongo stehen auch imZusammenhang mit dem zweiten vorliegenden Antrag,in dem es um die Umsetzung der UN-Resolution 1325geht. Ich möchte darauf hinweisen, dass er nicht dererste Antrag zu diesem Thema ist. Ein entsprechenderAntrag, der von CDU/CSU und SPD eingebracht wor-den war, ist in diesem Hause längst beschlossen worden.Natürlich geht es auch hier um Frauenrechte, den Schutzvon Frauen und die gleichberechtigte Teilhabe vonFrauen auf den unterschiedlichsten Ebenen, also um einThema, das nicht neu ist und nicht erst mit derResolution 1325 begonnen hat.

Es ist unbestritten, dass mit der Resolution 1325 einweiterer wichtiger Schritt getan wurde. Es ist eine Tatsa-che, dass die Gefährdung und Belastung von Frauen inKrisensituationen und in kriegerischen Auseinanderset-zungen besonders groß ist. Von Verschleppung, Miss-handlung und Vergewaltigung sind insbesondere Frauenbetroffen. Der Konflikt im Ostkongo ist ein besondersscheußliches Beispiel dafür, wie sexualisierte Gewalt alsMittel der Kriegsführung eingesetzt wird. Hinzu kom-men die Gefahr einer HIV-Infektion der betroffenenFrauen und die anschließende Stigmatisierung derFrauen in ihren Familien und in ihrem sozialen Umfeld.

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Anke Eymer (Lübeck)

Wenig beachtet wird, dass Gewalt gegen Frauen oftvon männlichen Familienangehörigen ausgeübt wird undeine Strafverfolgung dann meist ausbleibt. Diese Über-griffe werden gesellschaftlich tabuisiert. Auch hierfürbietet die Demokratische Republik Kongo zahlreiche er-schütternde Beispiele.

Solche Übergriffe stellen eine klare Verletzung derMenschenrechte dar. Sie fordern uns alle zu konsequen-tem Handeln auf. Frauen brauchen aber nicht nur einenbesonderen Schutz, sondern sie müssen darüber hinausauch an der Schaffung friedlicher Lebens- und Arbeits-bedingungen für sich und ihre Familien mitwirken.Frauen müssen als Mitgestalterinnen in friedenschaffen-den und friedensichernden Prozessen eine wichtigeRolle spielen. In der Resolution 1325 hat der Sicher-heitsrat der Vereinten Nationen darauf hingewiesen undzum Handeln aufgefordert.

Die vorgeschlagenen Maßnahmen konzentrieren sichauf drei Kernbereiche: auf die Stärkung der politischenTeilhabe von Frauen, die Konfliktprävention und denSchutz von Frauen vor Gewaltübergriffen. Die großenErwartungen, die mit dieser Resolution verbunden wa-ren, haben sich nicht erfüllt. Allerdings hat der Prozessder Umsetzung der Resolution in den vergangenen Jah-ren mehr Dynamik erfahren.

Deutschland gehört zur Freundesgruppe der Resolu-tion 1325. Wir unterstützen auch die Europäische Unionin besonderer Weise bei ihrer Umsetzung und beim Be-mühen um die Gleichstellung von Männern und Frauen.Das der Verwirklichung der Gleichstellung zugrunde lie-gende Prinzip, bekannt als Gender-Mainstreaming, ist inder deutschen Politik mittlerweile gut verankert. Es bie-tet eine gute Grundlage für die nationale Umsetzung derResolution. Dennoch ist der Handlungsbedarf weiterhingroß.

Wie anfangs bereits erwähnt, haben wir auch überdieses Thema im Deutschen Bundestag schon diskutiertund dazu einen Beschluss gefasst. Ein entsprechenderAntrag von uns, der CDU/CSU, und unserem Koali-tionspartner ist in diesem Hause längst angenommenworden.

Der vorliegende Antrag beruht in weiten Teilen aufeiner sehr vergleichbaren Einschätzung der Faktenlage.Die Arbeit der Bundesregierung wird allerdings nichtrichtig bewertet und eingeschätzt. Insofern bietet derAntrag auch keine sinnvolle Ergänzung.

Daher halte ich die aus den Ausschüssen stammendenBeschlussempfehlungen, nämlich den Antrag abzuleh-nen, für sinnvoll.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Marina Schuster spricht nun für die

FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Marina Schuster (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die dramatischen Schreckensbilder, die unsaus dem Ostkongo erreichen, wurden von meinen Vor-rednerinnen bereits geschildert. Es sind wirklich erschre-ckende Bilder: Flüchtlingslager, die geplündert und nie-dergebrannt werden, Kinder, die zu Soldaten gemachtwerden, Frauen, die systematisch durch sexuelle Gewaltterrorisiert werden. Das Internationale Rote Kreuz attes-tiert unzählige Vergewaltigungen, und niemand kenntdie Dunkelziffer. Doch damit ist es nicht genug: Es gibtAnzeichen für ethnisch motivierte Massaker an Zivilisten.

Wer heute in die FAZ schaut, der kann den Schre-ckensbericht lesen, den Thomas Scheen von seiner Ent-führung geschrieben hat. Ich glaube, wir alle hier sindsehr froh und erleichtert, dass er wieder frei ist. Ichdenke, dieser Bericht gibt noch einmal Aufschluss da-rüber, wie dramatisch die Situation ist.

Dies zeigt auch, wie gefährlich die Situation im Hin-blick auf einen Flächenbrand ist. Es besteht die Gefahr,dass wir dort ein Déjà-vu-Erlebnis haben, dass sich näm-lich, wie beim letzten Kongo-Krieg, sieben afrikanischeNachbarstaaten in einen mörderischen Krieg verwickeln.Bei diesem Problem dürfen wir eben nie die regionaleDimension vergessen – und auch nicht, welche Eigen-interessen die jeweiligen Staaten haben.

Ruanda spielt noch heute eine äußerst zweifelhafteRolle in dieser Region, und auch Angola hat gestern an-gekündigt, eigene Truppen in das Gebiet zu entsenden –natürlich ohne Blauhelmmandat. Auch die SADC hat einmilitärisches Vorauskommando losgeschickt.

Dabei fragt man sich natürlich, wohin das führenwird. Ich sehe die Gefahr, dass man hier militärisch ver-sucht, etwas zu lösen, was sehr komplexe Wurzeln hat.Meine Vorrednerinnen sind darauf schon eingegangen.

Die kongolesische Regierung und Nkundas Rebellenwerden aus eigener Kraft kaum eine friedliche Lösungfinden. Sie scheinen sie auch nicht anzustreben. Und wasmachen die Vereinten Nationen? Das MONUC-Mandatist mit über 17 000 Soldaten das größte derzeit existie-rende Mandat. Wir hören schreckliche Nachrichten vonüberforderten UN-Soldaten, die sich auf die Seite derRebellen schlagen oder Menschenrechtsverletzungen be-gehen. Das muss unverzüglich gestoppt werden.

(Beifall der Abg. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP])

Welche weiteren Schlüsse ziehen wir aus dieser Situa-tion? Heute rächt sich die mangelnde Aufmerksamkeitder EU und der Bundesregierung gegenüber der Lage imOstkongo.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als wir vor zwei Jahren deutsche Soldaten zur Sicherungder freien Wahlen nach Kinshasa geschickt haben, habenwir immer darauf hingewiesen, dass demokratischeWahlen eben nur ein Schritt – ein wichtiger und ersterSchritt – auf dem Weg zur Demokratie sind und dass da-

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Marina Schuster

mit noch nicht die Stabilisierung des Landes erreichtwird.

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)

Wir haben auch damals schon deutlich gemacht, dass wirdringend eine bessere Unterstützung der EU-MissionenEUPOL und EUSEC brauchen, damit dort ein funktio-nierendes Justizsystem errichtet wird und Polizei undMilitär entsprechend ihrer Strukturen arbeiten können,

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber da kam nichts!)

und dass es dort eben keine rechtsfreien Räume undkeine Kultur der Straflosigkeit geben darf.

Die Sicherheitslage ist schon lange fragil. Es gabviele Warnzeichen dafür, die die Bundesregierung nichtaufgeweckt haben. Hier ist die Bundesregierung meinesErachtens viel zu spät tätig geworden, und sie hat dieKrise aus den Augen verloren.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen aber auch an die Konfliktparteien appel-lieren, die diesen Kreislauf der Gewalt endlich stoppenmüssen. Die Friedensabkommen sind das Papier nichtwert, auf dem sie stehen. Das hat die Kollegin schon an-gesprochen. Auch die AU ist gefragt, den politischenDruck zu erhöhen. Aber auch die Bundesregierung mussdie ihr zur Verfügung stehenden Kanäle aktiver nutzen.

Die Bemühungen des UN-Generalsekretärs sind rich-tig. Er hat gesagt: Politische Lösungsansätze müssenVorrang haben. – Kabila und Kagame sind die Schlüssel-figuren für eine Lösung. Es müssen aber eben auch Ge-spräche mit dem Rebellenführer Nkunda und anderenParteien stattfinden. Denn es zeigt sich, dass die Bemü-hungen um einen tiefgreifenden Versöhnungsprozessviel zu lange vernachlässigt worden sind.

Was die heillos überforderten UN-Truppen angeht,muss die personelle und finanzielle Ausstattung verbes-sert werden. Denn selbst der Leiter von MONUC hatverkündet, dass er die Zivilbevölkerung nicht mehrschützen kann. Die Maßnahmen müssen aber von einerpolitischen Komponente begleitet werden. Sonst wirdsich an der Krise nichts ändern, weil man nicht an dieUrsachen herangeht.

Lassen Sie mich zum Schluss noch auf die Umset-zung der UN-Resolution eingehen. Der Blick in denKongo zeigt, dass die körperliche und seelische Zerstö-rung von Frauen zum teuflischen Instrumentenkasten derKonfliktparteien gehört. Gerade weil Frauen oft dieLeidtragenden solcher Krisen sind, sind sie dann auchder Schlüssel, wenn es darum geht, dauerhaften Friedenund Versöhnung zu erreichen.

Der Bericht, den uns die Bundesregierung vorgelegthat, führt zwar Projekte und Maßnahmen auf, aber erlässt keine Strategie erkennen. Stattdessen hat man ver-sucht, alles, was mit dem Thema Frauen zusammen-hängt, in ein Schema zu pressen. Das führt zu einem ver-worrenen Flickwerk ohne roten Faden.

(Beifall der Abg. Monika Knoche [DIE LINKE])

Was haben die Einrichtung eines Containerkrankenhau-ses in Afghanistan, eine Schreibwerkstatt und die Konfe-renz einer finnischen Ministerin für Gleichstellungsan-gelegenheiten gemeinsam? Worin besteht die Strategie?

(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde, die Bundesregierung bleibt weit hinter denErwartungen zurück. Sie hätte Vorreiter sein können. Esbraucht einen genauen Fahrplan bzw. eine Strategie, wiedie UN-Resolution weiter umgesetzt werden soll. DennFrieden und Rechtsstaatlichkeit müssen hart erarbeitetwerden, und zwar nicht nur auf dem Papier, sondern tat-sächlich. Dazu fordere ich Sie auf.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN)

Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Brunhilde

Irber das Wort.

Brunhilde Irber (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir debattieren heute über den Antrag derGrünen vom Juni dieses Jahres. Schon damals war dieSituation der Frauen im Kongo schlimm genug. Seit Au-gust hat sich mit dem Wiederaufflammen der Kämpfedie Situation noch einmal dramatisch verschlimmert.Frauen und Mädchen sind und waren Opfer beispielloserbrutaler sexualisierter Gewalt.

Angehörige der Armee sowie aller bewaffneten Grup-pen nehmen die körperliche und seelische Zerstörungder Frauen in Kauf. Es macht ihnen überhaupt nichtsaus. Sie benutzen es als Kriegwaffe.

Es ist daher unsere Pflicht, zu helfen und dafür einzu-treten, die Gewalt im Kongo dauerhaft zu beenden. Des-halb hege ich große Sympathie für den Antrag der Grü-nen. Zugleich habe ich aber ernsthafte Zweifel an derWirksamkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen. Warum?Der Antrag erweckt den Eindruck, dass es möglich sei,die Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen, ohne in denKonflikt selbst einzugreifen. Ich glaube aber nicht, dassdies möglich ist.

Die Gewalt gegen Frauen im Osten des Kongos isteine Folge des fortwährenden Krieges. Solange es imOstkongo so gut wie keine staatlichen Strukturen gibt,sind unsere Einflussmöglichkeiten denkbar gering.

Natürlich ist es dringend geboten, auf die Einhaltungder UN-Resolution 1325 zu pochen und sich für entspre-chende Schulungen der kongolesischen Soldaten undPolizisten einzusetzen. Denn Vergewaltigung ist imKongo seit 2006 strafbar. Doch müssen wir der Tatsacheins Auge sehen, dass die Reform von EUSEC und EUPOLund der Aufbau der Justiz langfristige Aufgaben sind.Beides kommt bedauerlicherweise nicht so schnellvoran, wie wir uns das wünschen.

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Brunhilde Irber

Um die Lage der Frauen im Kongo zu verbessern,gibt es nur einen Weg: eine politische Lösung des Kon-flikts. Dass Deutschland diesen Weg ernst nimmt, hat esin den letzten Tagen bewiesen. Die Bundesregierung hatmit ihrem Engagement aktiv dazu beigetragen, dass esam vergangenen Wochenende in Nairobi endlich zu ei-nem Gipfeltreffen zur Lage im Ostkongo gekommen ist.Am Unwillen des kongolesischen Präsidenten Kabilaund des ruandischen Präsidenten Kagame, von Ange-sicht zu Angesicht zu verhandeln, können wir allerdingsermessen, wie steinig der Weg zum Frieden noch seinwird. Dennoch wird die Bundesregierung weiterhin fürGespräche zur Umsetzung des 2002 in Pretoria und imJanuar 2008 in Goma geschlossenen Abkommens wer-ben.

Diese Bemühungen um eine politische Lösung wer-den von einem breiten Katalog von Hilfsmaßnahmenflankiert. Er umfasst neben Maßnahmen zur Verbesse-rung der Lage der Zivilbevölkerung Hilfen zum Staats-aufbau sowie die Finanzierung der VN-Mission MONUC.Schließlich sind wir uns bewusst, dass die jetzige Situa-tion für eine Vielzahl der Beteiligten sehr profitabel ist.Das Fehlen staatlicher Ordnungsstrukturen ermöglicht esden Konfliktparteien, die Schätze des Kongos außerLandes zu schmuggeln und mit dem Erlös die eigenenTaschen zu füllen. Es ist daher dringend notwendig, dassdie Bundesregierung den kongolesischen Provinzregie-rungen beim Aufbau eines wirksamen Zoll- und Grenz-regimes unter die Arme greift.

Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Irber, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Müller?

Brunhilde Irber (SPD): Ja, bitte.

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):

Frau Irber, Sie haben die nicht unmaßgebliche finan-zielle Beteiligung der Bundesregierung an MONUC an-gesprochen. Nun hat der Leiter von MONUC, AlanDoss, eine sogenannte Shoppingliste vorgelegt. BanKi-moon hat gestern einen dringlichen Appell an dieStaatengemeinschaft gerichtet, MONUC so auszurüstenund die Mittel so aufzustocken, dass die Mission wirkenkann. Doss hat 18 Transporthubschrauber, zwei Trans-portflugzeuge, eine Pioniereinheit, zwei Militärtrainerund zwei zusätzliche Polizeieinheiten gefordert. DerStaatssekretär hatte sich im Ausschuss ebenfalls auf diesogenannte Doss-Liste bezogen. Ich frage Sie: Was wirdIhrer Meinung nach die Bundesregierung leisten, damitMONUC robust wird und die Zivilbevölkerung schützenkann, also den Auftrag erfüllen kann, den sie von denVereinten Nationen erhalten hat?

Brunhilde Irber (SPD): Frau Müller, ich komme im Laufe meiner Rede da-

rauf zurück, was die Bundesregierung meiner Meinungnach hier zu tun hat.

(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Auch auf die Shopping-Liste?Sonst frage ich noch einmal nach!)

Ich fahre mit meiner Rede fort. Nach meiner Meinungist es wichtig, ein Zoll- und Grenzregime einzuführen.Zusammen mit der Initiative zur Zertifizierung von Roh-stoffen, EITI, besteht dann die Möglichkeit, die Erlöseaus dem Rohstoffhandel endlich der breiten Bevölke-rung zukommen zu lassen. Wir müssen den Konfliktpar-teien den Geldhahn zudrehen. Ich glaube, das ist dasWichtigste.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Auch dem Präsidenten der FDLR, rich-tig?)

– Ja.

Die Demokratische Republik Kongo ist bereits heutedas Land, welches nach Afghanistan die umfassendsteUnterstützung von Deutschland erhält. Ich selbst habemich im Juni mit meiner Kollegin Bärbel Kofler dafüreingesetzt, dass der 50 Millionen Euro umfassende Frie-densfonds ausgezahlt wird. Wir waren im Mai im Kongound haben uns selbst ein Bild von der Lage gemacht.Darüber hinaus hat die Bundesregierung für die nächstenzwei Jahre mehr als 50 Millionen Euro für die techni-sche und finanzielle Zusammenarbeit eingeplant. Nochumfangreicher sind die Beteiligungen an den zahlreicheninternationalen Hilfsprogrammen. Allein von den Kos-ten des VN-Militäreinsatzes trägt Deutschland in diesemJahr 67,5 Millionen Euro. Vielleicht kann man damitauch die Einkaufsliste ein bisschen aufpeppen.

Darüber hinaus fließen 2008 12 Millionen Euro anNothilfe. Unterstützt werden damit rückkehrende Flücht-linge und die Opfer von sexuellen Gewalttaten. Außen-minister Frank-Walter Steinmeier hat zusätzlich Sofort-hilfen für den Wiederaufbau des Flughafens von Gomazugesagt. Damit wird ein dringend benötigter Versor-gungszugang für internationale Hilfsleistungen geschaf-fen. Eine weitere Aufstockung der Hilfen ist nach Ein-schätzung von Fachleuten kaum möglich, da dieAufnahmefähigkeit der staatlichen Strukturen weitge-hend erschöpft ist. Aufgrund dieser Tatsache bemühensich vor allem die Hilfsorganisationen nach Kräften umdie Opfer sexualisierter Gewalt. Dafür bedanke ich michbesonders beim Evangelischen Entwicklungsdienst undbei seiner Durchführungsorganisation „Heal Africa“ inGoma.

(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist unbefriedigend, von all diesen Initiativen zu hö-ren und zugleich zu wissen, dass sie die humanitäre Ka-tastrophe im Ostkongo nicht verhindern können. Es istmir daher umso wichtiger, Sie alle zu bitten, die Bundes-regierung bei der Suche nach einer politischen Lösungzu unterstützen.

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu drängen!)

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Brunhilde Irber

Wir müssen die militärischen Einsatzkräfte der Verein-ten Nationen vor Ort stärken. Das heißt, wir müssen dierechtlichen und technischen Möglichkeiten von MONUCverbessern. MONUC verfügt zwar schon jetzt über einrobustes Mandat nach Art. 7 der VN-Charta, doch sinddie konkreten Aufgaben und Kompetenzen der Missioneher zurückhaltend beschrieben. Ich bitte die Bundes-regierung daher, sich bei der bevorstehenden Mandats-verlängerung Ende des Jahres dafür einzusetzen, dassdie Aufgaben und Kompetenzen von MONUC ausge-weitet werden. MONUC muss rechtlich und ausrüs-tungstechnisch in die Lage versetzt werden, die Frauenim Kongo zu schützen.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Monika Knoche für die

Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Monika Knoche (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren

und Damen! Meine Vorrednerinnen haben in großer Ein-dringlichkeit geschildert, vor welcher Situation wirheute im Kongo stehen. Während wir hier reden, werdendort Frauen vergewaltigt. Auf jeder Seite der kriegfüh-renden Parteien werden Frauen zum Objekt der Racheund der Erniedrigungsrituale gemacht; denn sexuelleGewalt ist eine Waffe im Krieg, egal wer diesen Kriegführt. Frauen sind Mittel zum Zweck, um den Feind zutreffen. Wer das versteht und durchdenkt, kann meinerMeinung nach nicht zu der Forderung kommen, dieserEntkultivierung mit den Mitteln der militärischen Ge-walt Herr zu werden. Ich halte das für einen Irrtum. Esist wahr: Auch Soldaten der MONUC sind Täter undüben sexuelle Gewalt aus, und die UN-Null-Toleranz-Richtlinie wird nicht eingehalten.

Dennoch sind wir aufgefordert, etwas zu tun. Ich sehedie Notwendigkeit, den Schutz der Frauen im Kongozum zentralen Thema zu machen. Ich sehe die Notwen-digkeit, zivile Konfliktintervention im Krieg zu leisten.Wir müssen uns mit massiven zivilen Maßnahmen aufdie Seite der Opfer stellen. Das ist meines Erachtens dasGebot der Stunde. Der Antrag der Grünen benennt diezivilen, die politischen und die sozialen Instrumente. Ichkann mich sämtlichen Forderungen anschließen. Sie sindnahezu vollständig. Es gibt aber eine Ausnahme: Ich binnicht der Meinung, dass diese Gewalt mit militärischenMitteln bekämpft werden kann;

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Das steht da auch nicht drin!)

denn sie wohnt dem Krieg inne, und sie wird in der mili-tärischen Auseinandersetzung immer wieder neu geboren.Das muss man verstehen. Daraus erklärt sich, warumauch UN-Soldaten in diese erniedrigenden Handlungeninvolviert sind. Es gehört zu der Entzivilisierung, zurEntkultivierung im Krieg, dass sich dieser Machismusausbreitet. Das wissen wir, und daraus muss man Lehren

ziehen. Man muss sich auf die Seite der Opfer stellen.Eines erwarte ich: Ich erwarte, dass Frau Bundeskanzle-rin Merkel sich als Frau mit Macht einmal explizit aufdie Seite der ohnmächtigen Frauen stellt. Ich erwartevon der Bundeskanzlerin, dass sie sich in dieser Weisezu dem Konflikt im Kongo verhält.

Die UN-Resolution, um die es heute auch geht, würdeman als Völkerrechtsnorm nur unzulänglich verstehen,wenn man sie lediglich als Hilfe für Frauen, die Opfervon Krieg und Kriegsverbrechen geworden sind, inter-pretierte. Ich will deshalb als ein Handlungsfeld Afgha-nistan nennen; denn in keiner Stellungnahme der Regie-rung zu Afghanistan hat die Bundesregierung bisher dieImplementierung der UN-Resolution 1325 in ihr Kon-zept aufgenommen. Wo bleibt zum Beispiel die offizielleUnterstützung für die mutigen und tapferen Frauen vonRAWA? Sie repräsentieren antifundamentalistische Kräfte.Es gilt, sie zu stärken, wenn man den demokratischenAufbau voranbringen will. Wer einen zivilen Wiederauf-bau will, muss auf solche Frauen bauen. Wer es mitMenschenrechten der Frauen in Afghanistan wirklichernst meint, der darf überhaupt keine Kooperation mitWarlords und mit korrupten Politikern erlauben.

Wer frauenverachtenden Fundamentalisten entgegen-wirken will, der muss nicht nur den Krieg beenden, dermuss auch emanzipiatorischen Frauen Anerkennung undvor allen Dingen endlich einmal internationale Präsenzgeben. Mit der UN-Resolution 1325 ist eines beabsich-tigt: Frauen am Aufbau des Staatswesens zu beteiligen,sie an prominente Stellen zu setzen, sie zu Entscheide-rinnen zu machen. Wenn ich mir die Debatten im Aus-wärtigen Ausschuss ansehe, stelle ich fest: Es ist bei denHerren Kollegen Außenpolitikern noch überhaupt nichtangekommen, dass die UN-Resolution 1325 eine Völ-kerrechtsnorm ist, die es in allen Bereichen der Politikund der Außenpolitik umzusetzen gilt. Es ist nicht eineFrage von Entwicklungspolitikerinnen und Menschen-rechtlerinnen allein. Die UN-Resolution 1325 ist dasweltweite Recht der Frauen, und das muss in alle Berei-che der Politik aufgenommen werden.

Ich meine, Deutschland muss in Europa eine Initiativestarten, dass im Nahostkonflikt endlich die Frauen, dietagtäglich für Frieden arbeiten – israelische Frauen, diedie Besatzung ablehnen, palästinensische Frauen, diesich von der Hamas absolut distanzieren –, als die kom-petenten Politikerinnen im Nahen Osten beim anstehen-den Friedensprozess und bei den anstehenden Friedens-verhandlungen einbezogen werden, damit sie endlichEinfluss darauf nehmen können. Das sind Initiativen imSinne der UN-Resolution 1325, die ich mir von dieserRegierung wünsche.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege

Hartwig Fischer das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Christel Riemann-Hanewinckel [SPD])

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Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich bin der festen Überzeugung, dass es richtig ist, dieSituation im Kongo – egal in welcher Form – immerwieder auf die Tagesordnung zu setzen. Als ich 2002 ge-wählt wurde, wurde ich von der Gesellschaft für be-drohte Völker auf das Thema Coltan angesprochen. Ichhabe dann versucht, mich in die Situation im Kongo zuversetzen. In deutschen Medien gab es kaum Informatio-nen; die Neue Zürcher Zeitung und die taz haben damalsberichtet.

Als ich im Mai 2003 das erste Mal hier im Bundestagreden durfte, ging es um den Haushalt, und ich habemich nicht an das Thema gehalten, sondern über denKongo geredet, weil ich den Eindruck hatte, dass viel zuwenige Kolleginnen und Kollegen die Situation dortkennen. Inzwischen müsste sie jeder hier im Bundestagkennen: ein Krieg, der bereits doppelt so lange dauertwie der Zweite Weltkrieg, ein Bürgerkrieg mit über4 Millionen Toten, ein Bürgerkrieg, der auch aus einemGenozid entstanden ist.

Frau Müller, ich glaube, in einem einzigen Punkt ha-ben Sie nicht recht: dass die UN in eine schwere Glaub-würdigkeitskrise kommen. Diese Krise existiert bereits.Die UN haben nicht mehr das Vertrauen der Menschen,und das ist auch das Problem mit MONUC. MONUC hatein Mandat, das immer wieder verlängert wird.

Das ist toll. Man kann Sprüche lesen wie:

… feststellend, dass die Situation in der Demokrati-schen Republik Kongo nach wie vor eine Bedro-hung des Weltfriedens und der internationalen Si-cherheit in der Region darstellt …

Wenn es eine Bedrohung für den Weltfrieden gibt, dannfrage ich, warum man ein Mandat immer nur verlängertund am Schluss des Antrags auf Mandatsverlängerungfesthält – zuletzt war das am 15. Februar 2008 –, dassman das Mandat zum Jahresende noch einmal überprü-fen will. Ein Satz wie dieser ist übrigens in den letztensieben Resolutionen enthalten gewesen; aber die Art desMandats hat sich nicht verändert.

Da bin ich absolut anderer Meinung als Sie, FrauKnoche. Wir haben mit dem Mandat Artemis – zeitlichbegrenzt – gezeigt: Ein Mandat ist robust auszustatten,und man muss genau wissen, in welcher Region man wiehandeln muss. Bei dem Konflikt zwischen Hema undLendu haben wir MONUC in eine bestimmte Ausgangs-lage versetzt. Wir waren natürlich nur am Stab und mitMedivac beteiligt. Darauf konnte MONUC aufbauen.Danach wurden zwei Gerichte gebildet. Da wurde Poli-zei eingesetzt. In Ituri wurden Vergewaltiger verurteilt.Das heißt, da ging es vorwärts.

Dann haben wir aus Deutschland auch bei den Wah-len Unterstützung geleistet. Aber nach den Wahlen istdie öffentliche Diskussion wieder verstummt, und dasMorden und das Vergewaltigen als Mittel der Kriegsfüh-rung gehen auf allen Seiten weiter.

Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Fischer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Müller?

Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Ja, bitte.

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):

Herr Kollege Fischer, Sie haben soeben Artemis an-gesprochen. Auch ich meine, dass das eine zeitlich be-grenzte, aber sehr erfolgreiche Mission war, jedenfallsum die Zivilbevölkerung dort vor Gewalt zu schützen.Ich meine das wirklich ernst. Wir haben auch in unsererFraktion darüber diskutiert. Sind Sie nicht der Meinung,dass es, um schnell zu handeln, um die schlimmste Ge-walt einzudämmen, erforderlich wäre, dass die EU dochnoch eine EU-Battle-Group zur Unterstützung vonMONUC – und nur Hand in Hand mit MONUC –schickt? Wenn das nicht möglich ist: Wie steht es umeine Aufstockung? Was wird Deutschland bzw. was wer-den die Europäer dazu beitragen?

Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Frau Müller, ich hatte das Glück, den Bundespräsi-

denten für eine Woche nach Nigeria zu begleiten. Dorthat er am Afrika-Forum teilgenommen. Man hatte dortdie Gelegenheit, mit vielen prominenten Afrikanern zusprechen. Ich habe den Eindruck, die Afrikaner würdendas Problem am liebsten selbst im Rahmen der Afrikani-schen Union lösen, mit einer eigenen Stand-by-Force,über die sie aber zurzeit noch nicht verfügen. Ich habe inden Gesprächen auch den Eindruck gewonnen, dass manerwartet, dass wir uns mit dafür verwenden, dassMONUC – auch technisch – dazu in die Lage versetztwird.

Damit komme ich auf die von Ihnen erwähnte Doss-Liste zu sprechen. Bevor man sich mit der Frage be-schäftigt, ob man dieser Doss-Liste zustimmen möchteund ob man dafür zusätzliche Mittel aus Deutschland ge-ben möchte, sollte das Mandat verändert werden. Wennes bei dem MONUC-Mandat bei der bisherigen Grund-lage bleibt – MONUC ist eigentlich nur eine kongolesi-sche Rumpfarmee, die nicht vernünftig ausgebildet ist,die keine Moral hat, aber die Entwaffnung der Milizenunterstützt –, dann werden wir den Kampf gegen die Mi-lizen und die Rebellen weiter auf kleiner Flamme kö-cheln lassen. Die Menschen in dieser Region werdendarunter leiden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Deshalb bin ich der festen Überzeugung: Es darf nurein MONUC-Mandat geben, das von der Ausstattungbzw. von der rechtlichen Situation her aber Artemis äh-nelt. Erst dann werden wir die Möglichkeit haben, in denanderen Bereichen, die hier angesprochen wurden, etwabei der Frage der Rohstoffzertifizierung, voranzukom-men. Ich finde es gut, dass wir dort Initiativen ergriffenhaben, auch aus dem Ministerium heraus. Ich finde es

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Hartwig Fischer (Göttingen)

wichtig, dass wir diese Maßnahmen ergriffen haben, umden vergewaltigten Frauen dort zu helfen.

All das findet in einem Umfeld statt, in dem null Si-cherheit gewährleistet ist, wo die EntwicklungshelferFurchtbares erleben und traumatisiert werden. Ich kannnur noch einmal an den Bericht von Frau Schuler-Deschryver vor dem Menschenrechtsausschuss erinnern.Sie hat eine Situation beschrieben, von der die Men-schen in der Bundesrepublik Deutschland kaum wissen.Ich sage es hier noch einmal: Da werden seit über einemJahr Dörfer überfallen. Da werden die Männer ge-schlachtet, die Mädchen und die Jungen vor den Augender Mütter vergewaltigt. Dann verschwinden die Kinderfür wenige Tage. Danach wird den Müttern gesagt: Hierhabt ihr euer Kind. – Der Kopf ist im Jutebeutel, dieKnochen sind abgekocht. – Dann wird ihnen gesagt: Ihrglaubt doch nicht, dass ihr unser wertvolles Ziegen-fleisch gegessen habt.

Das ist die Realität in diesem Land. Da kann man ver-zweifeln. Die Menschen dort erwarten von uns, dass wirhandeln. Wir sind gewählt worden, um zu handeln.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich bin an einem Punkt angelangt, wo ich mich frage:Verzweifelst du? Es muss doch eine Möglichkeit geben,in der Gemeinschaft der Staaten, die ein Koordinaten-system gemeinsamer Grundwerte haben, sich endlichauf UN-Ebene zu einigen.

Dazu gehören die Rahmenbedingungen für die Hutus,die nach dem Völkermord dorthin geflohen sind. Inzwi-schen ist aber auch eine Generation von Kindern nachge-wachsen, die eine gewisse Verantwortung für die Ge-schichte tragen, so wie wir Verantwortung für unsereGeschichte tragen. Es muss versucht werden, eine diplo-matische Lösung zu finden. Man muss prüfen, ob manihnen irgendwo ein Refugium schaffen kann. In Ruandaist das wahrscheinlich nicht möglich. Ich weiß, dass sichdiese Frage wie bei den Palästinensern entwickeln kann;aber wenn das Problem der Hutus nicht gelöst wird, wirdNkunda immer versuchen – er wird das als Rechtferti-gung für sich in Anspruch nehmen –, die kongolesischenTutsis vor ihnen zu schützen.

Ich möchte auch Murwanashyaka ansprechen, dersich hier in Deutschland aufhält. Das ist für uns eineElendsgeschichte.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich muss sagen: Deutschland hat die Stabschefin– oder wie man sie nennen will – von Herrn Kagameausgeliefert. Wir haben ein europäisches Recht, nachdem dieses Land nach meiner Überzeugung verpflichtetgewesen ist, sie auszuliefern; aber ich frage mich vordem Hintergrund des deutschen Rechts wirklich, wiedieser Mann, der Präsident der FDLR, über die Home-page und über alle Kanäle den Kampf in diesem Land,im Kongo, ungestraft anheizen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und demBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg.Marina Schuster [FDP])

Ich bin kein Jurist; das müssen andere beurteilen.

Wer wie ich und andere hier in Goma gewesen ist– wir waren dort vor wenigen Wochen – und das Flücht-lingslager gesehen hat, hat mitbekommen, dass die Mais-mehlrationen für eine Familie von 12 Kilo auf 6 Kilo proMonat reduziert wurden, weil kein Geld mehr zur Verfü-gung steht, und dass die Menschen nur noch dahinsie-chen. Wer solche Bilder von geschlachteten Kindernsieht – Sie können sie sich anschauen –, der muss sicheinfach fragen: In welcher Gesellschaft leben wir eigent-lich? Warum sind wir nicht in der Lage, gemeinsam alsWeltgemeinschaft menschlich zu handeln?

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Petra Pau: Zu einer Kurzintervention hat nun die Kollegin

Heidemarie Wieczorek-Zeul das Wort.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

In dieser Diskussion ist folgende Frage mehrfach ange-sprochen worden: Was können wir vor allen Dingen tun?Das ist ein Thema, das ich, seitdem ich politisch tätigbin, auch als Ministerin, immer wieder verfolgt habe.Was können wir tun, um dazu beizutragen, dass den sys-tematischen Vergewaltigungen und der Gewalt gegenFrauen in der Region, insbesondere der des Ostkongos,entgegengearbeitet wird?

Wir, die Entwicklungsminister, haben dazu schon vorvielen Monaten eine klare Position entwickelt. Ich willan dieser Stelle ausdrücklich sagen – neben all dem, washier genannt worden ist und was ich in vielen Punktenteile –: Es gibt ein Instrument, das von der internationa-len Gemeinschaft bisher noch nicht genutzt worden ist.Ich bin dafür, dass es genutzt wird.

Jede Regierung ist verpflichtet, nach den Regeln desinternationalen Rechts dafür zu sorgen, dass die Verbre-chen gegen die Menschlichkeit entsprechend geahndetwerden. Ich fordere alle Beteiligten auf, sicherzustel-len, dass die Regierungen – das gilt auch für die kongo-lesische Regierung – dafür sorgen, dass Verbrechengegen die Menschlichkeit – systematische Vergewalti-gungen sind ein solches Verbrechen – im eigenen Landgeahndet werden. Wenn dies nicht geschieht, hat die in-ternationale Gemeinschaft die Verpflichtung, dafür zusorgen, dass die Namen der Täter genannt werden unddiese dann vor den Internationalen Strafgerichtshof ge-bracht werden.

Somit wird ein Signal gesetzt, das klarmacht, dass esnicht bloß um Gewalt oder dergleichen geht, sonderndass es sich um Verbrechen gegen die Menschlichkeithandelt. Das soll dann auch ein Signal an die entspre-chende Region sein.

(Beifall der Abg. Monika Knoche [DIE LINKE])

Deshalb fordere ich, dass es zu einer solchen Initia-tive kommt. Ich habe das an mehreren Stellen bereits ge-

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Heidemarie Wieczorek-Zeul

sagt, auch in meiner Funktion als Mitglied der Regie-rung.

Das wirkt nicht unmittelbar. Moreno-Ocampo, derentsprechende Chefankläger, hat aber gesagt, dass er be-reit ist, die Täter vor den Internationalen Strafgerichts-hof zu bringen, wenn ihm deren Namen genannt werden.Das ist eine Möglichkeit, zu agieren.

Wir können nicht einfach zusehen. Ich habe Frauengetroffen, die Opfer schrecklichster Gewalttaten wurden.Unterschiedliche Gruppen vergewaltigen und massakrie-ren Frauen. Das können wir nicht zulassen. Deshalb soll-ten wir, mit vielen anderen zusammen, eine gemeinsameInitiative auf den Weg bringen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Christel

Riemann-Hanewinckel das Wort.

Christel Riemann-Hanewinckel (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Als letzte Rednerin in dieserDebatte wende ich mich noch einmal den grundsätzli-chen Fragen zu, da heute ein Antrag zur Resolution 1325behandelt wird. Unter anderem spielt heute auch eine an-dere Resolution eine große Rolle.

Zu Beginn möchte ich auf die Resolution 1325 zusprechen kommen. Seit acht Jahren gibt es diese Resolu-tion des Sicherheitsrates. Sie macht sehr deutlich, dassFrauen von den Auswirkungen von Konflikten und Kri-sen und vor allen Dingen von kriegerischen Auseinan-dersetzungen überproportional betroffen sind, vor allenDingen – das haben wir hier schon mehrfach gehört –durch sexuelle Gewalt.

Die Resolution 1325 macht aber auch noch etwas an-deres deutlich. Sie macht sehr deutlich, dass Frauen einewichtige Rolle spielen müssen, wenn es darum geht,Konflikte zu verhindern oder aber nach Konflikten in ei-nem Land für den Wiederaufbau bzw. für Lösungen zusorgen.

Die Verabschiedung dieser Resolution vor acht Jahrenwar ein sehr wichtiges Ereignis, das inzwischen viele in-ternationale Debatten ausgelöst hat. Wir haben hier imDeutschen Bundestag und in den Ausschüssen in diesemJahr schon mehrfach darüber debattiert.

Ich möchte noch einmal die wichtigen Punkte in die-ser Resolution in Erinnerung rufen. Auf Deutsch könnteman sagen: Es handelt sich um drei „P“, die hier wichtigsind: Protektion, Partizipation und Prävention.

Protektion – bei diesem Punkt waren wir eben – wirdFrauen in kriegerischen Auseinandersetzungen eigent-lich kaum gewährt. An Schutz von Frauen und Mädchenvor Not, Elend und Gewalt und davor, dass sie in kriege-rischen Auseinandersetzungen ermordet, vertrieben oderausgeplündert werden, mangelt es. Sie alle wissen, wases bedeutet, wenn Menschen gezwungen sind, zu flüch-

ten, und in der Hoffnung auf bloßes Überleben alles hin-ter sich lassen müssen.

Vor allem Frauen sind immer wieder Zielscheibe derGewalt. Wir haben es heute schon mehrfach gehört undkennen es auch aus anderen kriegerischen Auseinander-setzungen, dass sexuelle Gewalt eine Kriegswaffe ist,die ganz gezielt eingesetzt wird. Das ist in vielen Regio-nen dieser Welt der Fall; und es ist noch gar nicht allzulange her, dass wir über solche Vorfälle selbst in Europadebattieren mussten. Im Nachgang mussten wir dannvieles unternehmen, um den Frauen und Mädchen zuhelfen, diese Traumata wenigstens halbwegs zu über-winden. Keine Frau kann so etwas vollständig verarbei-ten oder irgendwann in ihrem Leben vergessen.

Es gilt, darauf hinzuwirken, dass das militärische undzivile Personal darin trainiert und geschult wird, wäh-rend kriegerischer Auseinandersetzungen und danachdie Resolution 1325 zu beachten. Dazu muss es vor allenDingen wissen, dass diese Resolution eigentlich völker-rechtlich bindend ist; denn sie ist damals einstimmig be-schlossen worden. Aber wenn wir bei Soldaten einmalnachfragen, wer eigentlich diese Resolution kennt, dannwürden wir selbst dann, wenn wir nur deutsche Soldatenbefragten, feststellen, dass die Soldaten vor Ort die Re-solution 1325 kaum kennen. Sie scheint vor allen Din-gen für die obersten Heerführer gedacht zu sein. Aber esmuss genau darum gehen, dass Soldaten lernen und trai-nieren müssen, was es bedeutet, im Notfall dazwischen-zugehen, und vor allen Dingen, was es bedeutet, selbstnicht zu Tätern zu werden.

Das zweite „P“ in der Resolution 1325 steht für Parti-zipation. Frauen muss auf allen Ebenen die gleichbe-rechtigte Teilhabe an der Friedenskonsolidierung und amWiederaufbau ermöglicht werden. Aber wenn wir unsdie Bilder dieser Welt anschauen, stellen wir fest, dassinsbesondere die Außen- und Sicherheitspolitik eineMännerdomäne ist. Die Fotos machen es deutlich. MitAusnahme einiger weniger Frauen sehen wir dort nurMänner. Das heißt, alle Entscheidungen werden vorran-gig von Männern getroffen. Die Frauen dagegen tragendie soziale Verantwortung für die Gemeinschaft.

Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Hanewinckel, gestatten Sie eine Zwischen-

frage der Kollegin Koczy?

Christel Riemann-Hanewinckel (SPD): Ja, bitte.

Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Kollegin, Sie sprachen die Resolution 1325 an.

Meine Frage lautet: Warum zögert die Bundesregierung,einen Aktionsplan umzusetzen, nachdem Kofi Annandas schon 2005, also vor drei Jahren, gefordert hat?

Christel Riemann-Hanewinckel (SPD): Das ist für mich jetzt nicht einfach zu beantworten,

weil ich nicht Mitglied der jetzigen Bundesregierungbin. Ich kann nur für die Vergangenheit, als ich nochMitglied der Bundesregierung war, feststellen, dass es

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Christel Riemann-Hanewinckel

schon damals nicht einfach war bzw., im Klartext, nichtgelungen ist, einen Aktionsplan für Deutschland aufzu-stellen. Die Begründung war – diese wird, soweit ichweiß, auch heute noch angeführt –, dass Deutschland ei-gentlich ganz gut dasteht und wir vieles von dem tun underfüllen, was die Resolution 1325 fordert. Sie wissendas, Frau Kollegin Koczy. Wir haben im Ausschussschon darüber debattiert, als es um einen entsprechendenAntrag der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion ging.

Ein Aktionsplan hätte den Charme, dass eine jede Re-gierung sich daran messen lassen müsste, was sie davontatsächlich abgearbeitet hat. An dieser Stelle stimme ichIhnen zu. Ich muss Ihnen aber auch sagen, dass ich ei-gentlich keine Lust mehr habe, mir Gedanken darüber zumachen, wie ich eine Bundesregierung dazu bewegenkann, einen Aktionsplan aufzustellen.

Deshalb bin ich sehr froh, dass es uns gelungen ist,die Bundesregierung dazu zu bewegen, dass sie im Aus-schuss für Menschenrechte versprochen hat, in zwei Jah-ren, wenn wir über zehn Jahre Resolution 1325 debattie-ren werden, einen Bericht darüber vorzulegen, wie sichdas in der Bundesrepublik weiterentwickelt hat.

Wir haben in unseren Debatten im Ausschuss sehrdeutlich gemacht, in welchen Bereichen wir Defizite se-hen. Ein Defizit habe ich schon angesprochen, dass näm-lich auch in der Bundeswehr die Kenntnis derResolution 1325 so gut wie nicht vorhanden ist. Ich binder Meinung, dass noch sehr viel getan werden muss;denn dies wird auch von anderen Armeen dieser Weltgefordert. Dabei müsste Deutschland mit sehr gutemBeispiel vorangehen.

Das dritte „P“ steht für Prävention. Das heißt, wirbrauchen nachhaltigen Frieden und Entwicklung. Daserreichen wir aber nicht – wie es bisher immer versuchtwird – ohne die Beteiligung von Frauen. Ihr Beitrag zurKonfliktlösung, zur Versöhnung und zum Wiederaufbau,ihr Fachwissen und ihre andere Sicht der Dinge sind einPotenzial, das nicht länger ignoriert werden darf.

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat im Junidieses Jahres die Resolution 1820 verabschiedet und da-rin ein sofortiges Ende von sexueller Gewalt in bewaff-neten Konflikten gefordert. Auch diese Resolutionmacht noch einmal deutlich, dass sich die Mitglieder desSicherheitsrates einig sind. Dies ist also ein klares Si-gnal.

Außerdem wird nochmals deutlich – wie schon an an-deren Stellen festgestellt –, dass sexualisierte Gewalt einVerbrechen gegen die Menschlichkeit ist und – Zitat –„die Wiederherstellung des Weltfriedens und der interna-tionalen Sicherheit behindern kann“. Den betroffenenFrauen wird also höchste Priorität eingeräumt.

Wie wird diese Resolution aber umgesetzt? Wir habenzwei wichtige und notwendige Resolutionen des Sicher-heitsrates, zwei gute Instrumente, um Frauen zu schüt-zen, aber auch zu fordern und zu fördern sowie zu stär-ken. Wir wissen aber alle, dass Instrumente nur dannhelfen, wenn man sie auch benutzt. Genau das passiertaber nicht oder zu wenig.

Wenn Soldaten der UN-Mission MONUC – wie be-richtet wurde – an Vergewaltigungen beteiligt gewesensind und nicht klar ist, ob sie dafür bestraft werden, dannheißt das, dass die Umsetzung dieser beiden Resolutio-nen nicht zur Genüge betrieben wird. Das heißt, dass beiallen internationalen Einsätzen der Vereinten Nationendiese beiden Resolutionen zur Grundausstattung einesjeden Soldaten und einer jeden Soldatin gehören müs-sen. Das heißt auch, dass wir im Hinblick auf die unter-schiedliche Herkunft der Soldaten daran arbeiten müs-sen, dass ein Frauenbild entsteht, das Frauen nicht zuMenschen zweiter Klasse macht. Es muss weltweit deut-lich werden, dass Frauenrechte Menschenrechte sind,dass sich niemand auf die Kultur oder aber auf die Tradi-tion seines Herkunftslandes zurückziehen kann. Wirmüssen insgesamt darum kämpfen, dass diese Verbre-chen gegen die Menschlichkeit – dies wurde hier bereitsangemahnt – vor den Internationalen Gerichtshof ge-bracht werden, und wir müssen ernst nehmen, was derSicherheitsrat als letzten Punkt in der Resolution 1820beschlossen hat, nämlich sich weiterhin aktiv mit diesem– das ist jetzt meine Formulierung – vorrangig männli-chen Problem zu beschäftigen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 16/9779 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungso beschlossen.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 22 b: Be-schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zudem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mitdem Titel „UN-Resolution 1325 – Frauen, Frieden undSicherheit – Nationaler Aktionsplan zur strategischenUmsetzung“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-schlussempfehlung auf Drucksache 16/8608, den Antragder Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache16/4555 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss-empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Die Beschluss-empfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Frak-tion, der SPD-Fraktion und der FDP-Fraktion gegen dieStimmen der antragstellenden Fraktion Bündnis 90/DieGrünen und der Fraktion Die Linke angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a und 25 b auf:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Kultur und Medien(22. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch denBeauftragten der Bundesregierung für Kultur undMedien

Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeptiondes Bundes Verantwortung wahrnehmen, Auf-arbeitung verstärken, Gedenken vertiefen

– Drucksachen 16/9875, 16/10285 Nr. 6, 16/10565 –

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Vizepräsidentin Petra Pau

Berichterstattung:Abgeordnete Wolfgang Börnsen (Bönstrup)Dr. h. c. Wolfgang Thierse Christoph Waitz Dr. Lukrezia Jochimsen Katrin Göring-Eckardt

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Kultur und Medien(22. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. LukreziaJochimsen, Dr. Petra Sitte, Sevim Dağdelen,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKE

Konzepte der Vermittlung des Wissens zurNS-Zeit überprüfen und den verändertenBedingungen anpassen

– zu dem Antrag der Abgeordneten KatrinGöring-Eckardt, Monika Lazar, Priska Hinz(Herborn), weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Systematische Weiterentwicklung der politi-schen Bildung beim Thema Nationalsozialis-mus

– Drucksachen 16/8880, 16/8184, 16/10071 –

Berichterstattung:Abgeordnete Dorothee Bär Angelika Krüger-Leißner Christoph Waitz Dr. Lukrezia Jochimsen Katrin Göring-Eckardt

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Staats-minister Bernd Neumann.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Bernd Neumann, Staatsminister bei der Bundes-kanzlerin:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Am 18. Juni dieses Jahres hat das Bundeskabinett dieFortschreibung der Gedenkstättenkonzeption des Bun-des von 1999 beschlossen. Diese neue Konzeption stelltin meinen Augen einen Meilenstein für die Erinnerungs-kultur in Deutschland dar. Unser Ziel ist es, Verantwor-tung wahrzunehmen, die Aufarbeitung zu verstärken unddas Gedenken zu vertiefen.

Die Bundesregierung trägt mit dieser Fortschreibungder historischen und moralischen VerpflichtungDeutschlands Rechnung. Die Geschichte Deutschlandsund Europas im 20. Jahrhundert wurde durch die Schre-cken und Gräuel geprägt, die unter der nationalsozialisti-schen Terrorherrschaft in deutschem Namen geschehensind. Die historisch einzigartige Dimension des national-sozialistischen Terrorregimes wird durch das Wissen umdie Singularität des Holocaust bestimmt.

Dem systematischen Völkermord an den europäi-schen Juden als Menschheitsverbrechen bisher nicht ge-kannten Ausmaßes kommt in der deutschen Erinne-rungskultur eine unvergleichlich hohe Bedeutung zu –jetzt und für alle Zeiten. Deshalb müssen wir die authen-tischen Erinnerungsorte an die NS-Schreckensherrschaftpflegen und erhalten. Das neue Gedenkstättenkonzeptsieht daher vor, die Gedenkstätten in Bergen-Belsen,Dachau, Flossenbürg und Neuengamme neu in die insti-tutionelle Förderung aufzunehmen und darüber hinaus ineinem Stufenplan für die Sanierung einiger Gedenkstät-ten, wo nötig, Sorge zu tragen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Für die Bundesregierung bekräftige ich noch einmaldie besondere Verantwortung für das Gedenken an dieim Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma.Sinti und Roma wurden Opfer eines Völkermordes, dervom NS-Staat systematisch ins Werk gesetzt wurde undder die vollständige Vernichtung dieser Minderheit zumZiel hatte. Das geplante „Denkmal für die Opfer des na-tionalsozialistischen Völkermordes an den Sinti undRoma“ bringt den besonderen Stellenwert dieses Verbre-chens im Gedächtnis der Bundesrepublik Deutschlandzum Ausdruck. Mit diesem zentralen Gedenkort zwi-schen Reichstag und Brandenburger Tor bekennt sichunser Land zu seiner historischen Verpflichtung gegen-über den Sinti und Roma.

Wir gedenken im Rahmen unseres Konzeptes aberauch der nationalsozialistischen Morde an behindertenMenschen sowie der Verfolgung Homosexueller und an-derer Opfergruppen. Wir vergessen nicht, was dieFrauen und Männer erleiden mussten, die sich zum Wi-derstand gegen das Regime entschlossen.

Zum Erbe des wiedervereinigten Deutschlands zähltauch die kommunistische Diktatur in der ehemaligenSBZ bzw. DDR. Ich sage ganz klar: Auch bei der Aufar-beitung des SED-Unrechts müssen wir unsere Anstren-gungen verstärken. Wir müssen der Bagatellisierung unddem Verklären entgegenwirken.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hier leistet die Bundesstiftung Aufarbeitung ganzhervorragende Arbeit,

(Beifall bei der CDU/CSU)

gerade auch im Bereich der historisch-politischen Bil-dung von Kindern und Jugendlichen.

Im Bereich der Gedenkstätten zur SED-Herrschaftwerden wir drei weitere Einrichtungen in die institutio-nelle Förderung aufnehmen und die Unterstützung beianderen, wie dem Jugendwerkhof Torgau und der Run-den Ecke Leipzig, fortsetzen, gegebenenfalls auch stär-ker.

Meine Damen und Herren, die Birthler-Behörde, alsodie Behörde, die die Stasiunterlagen verwaltet, bearbei-tet und durchforstet, hat für die Aufarbeitung der SED-Diktatur in ganz Europa Vorbildcharakter. Ich möchte an

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Staatsminister Bernd Neumann

dieser Stelle sagen: Sie hat bei der Aufklärung wichtigeund gute Arbeit geleistet.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Arbeit wird sie fortsetzen, obwohl diese Einrich-tung nie als Dauereinrichtung vorgesehen war. In dernächsten Legislaturperiode wird der Deutsche Bundes-tag – so ist es von den Fraktionen vereinbart worden –eine unabhängige Expertenkommission einsetzen, diedann als Entscheidungshilfe Vorschläge zum langfristi-gen Umgang und zur Aufbewahrung der Stasiakten ma-chen wird.

Für die Realisierung des Gedenkstättenkonzeptes ha-ben wir die Mittel für die Jahre 2008 und 2009 um50 Prozent auf insgesamt 35 Millionen Euro angehoben.Dies soll deutlich machen, welchen Stellenwert die Auf-arbeitung dieser beiden Diktaturen hat.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Hinzugekommen zu diesem bisherigen Gedenken ist– das will ich an dieser Stelle sagen; denn dies spielteauch in der Debatte über den Bericht zum Stand derdeutschen Einheit eine Rolle – die Erinnerung an indiesem Falle eher positive Momente der deutschen Ge-schichte – dies geschieht auch auf der Basis eines Be-schlusses des Deutschen Bundestages –: an die Ereig-nisse in den ostdeutschen Bundesländern sowie in Berlinin den Jahren 1989 und 1990, in diesem Falle also miteher positiver Assoziation.

(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Sehr gut!)

So schnell wie möglich soll das Einheits- und Freiheits-denkmal auf dem Schlossplatz in Berlin verwirklichtwerden. Das ist die Grundlage eines Beschlusses desDeutschen Bundestages. Ich werde dazu beitragen, dieszügig umzusetzen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Ich möchte abschließend sagen: Ich bin sehr dankbar,dass die von mir vorgelegte Fortschreibung der Gedenk-stättenkonzeption nicht nur von der CDU/CSU-Fraktionund dem Koalitionspartner SPD, sondern in diesem Falleauch von der FDP und dem Bündnis 90/Die Grünen vollunterstützt wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Für mich ist es ein wichtiges Signal für die politischeKultur dieses Hauses und für das Demokratieverständnisin unserem Land, dass wir bei einem so schwierigen,sensiblen und emotionalen Thema so große Einigkeit er-zielen konnten. Dafür bedanke ich mich. Die Erinnerungund das Gedenken in der Bundesrepublik erhalten mitdieser Fortschreibung des Gedenkstättenkonzeptes eintragfähiges Fundament für die Zukunft. Es ist umso trag-fähiger, je stärker die Unterstützung ist. Dafür noch ein-mal herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Petra Pau: Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Christoph

Waitz das Wort.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU])

Christoph Waitz (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! DreiJahre haben wir über das Gedenkstättenkonzept beraten.Dem Kulturstaatsminister, dem BKM, ist es zu verdan-ken, dass es gelungen ist, ein konsensfähiges Konzept zuentwickeln. Nachdem Sie vorhin so ausdrücklich gelobtworden sind, habe ich mir überlegt, ob ich mein Lob einbisschen reduziere. Aber die Arbeit, die in Ihrem Amtgeleistet worden ist, rechtfertigt ein ausdrückliches Lob.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)

Der Bundestag steht hinter dem Gedenkstättenkonzept.Der vorliegende Entschließungsantrag fast aller Fraktio-nen belegt das.

Es gibt wenige Möglichkeiten, sich im DeutschenBundestag mit der komplexen und wechselvollen deut-schen Geschichte im 20. Jahrhundert zu beschäftigen. Esist traurig, dass diese Debatte auch in dieser Plenarwo-che wieder etwas an den Rand gedrängt wurde, obwohlman uns dieses Mal eigentlich einen zentraleren Platzversprochen hatte. Aufgrund der aktuellen wirtschaftli-chen Situation gibt es aber sicherlich Gründe, warumdiese Debatte zurückgedrängt worden ist.

Das Gedenkstättenkonzept klärt Fördervoraussetzun-gen und formuliert Ziele und Schwerpunkte der Aufar-beitung der beiden Diktaturen, die wir im letzten Jahr-hundert auf deutschem Boden gesehen haben. Ich habevor einigen Monaten mit einigem Entsetzen die Studiedes Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Uni-versität Berlin über die Kenntnisse von 15- und 16-jähri-gen Schülern gelesen, die mehr als nur schlaglichtartigbeleuchtet, welchen erstaunlichen Fehleinschätzungendiese Schülerinnen und Schüler unterliegen und welcheUnkenntnis bei ihnen hinsichtlich der Realitäten in derdamaligen DDR vorherrscht. Ich befürchte, dass eineStudie über das Wissen von Schülern über die NS-Jahreähnliche Befunde hätte und keine besseren Ergebnissezutage treten würden. Das Gedenkstättenkonzept kanndaher nicht nur als statischer Rahmen für Institutionenverstanden werden. Vielmehr müssen gerade durch dieFörderung der Aufarbeitung und eine intensivierte Bil-dungsarbeit Impulse gesetzt werden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN)

Dem Bund sind im Feld der schulischen BildungSchranken gesetzt. Wir appellieren daher insbesonderean die Kultusministerkonferenz der Länder, sich dieses

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Christoph Waitz

Themas anzunehmen und sich mit den Defiziten bei dergeschichtlichen Bildung von Schülern auseinanderzuset-zen.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und derSPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN)

Was der Bund leisten kann und leisten muss, ist insbe-sondere der Erhalt der bedeutenden Erinnerungs- undGedenkorte und die Gestaltung dieser Orte als Lernorte.

(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Richtig!)

Durch die Aufnahme der KZ-Gedenkstätten in Dachau,Bergen-Belsen, Neuengamme und Flossenbürg in die in-stitutionelle Förderung leisten wir einen wichtigen Bei-trag für die Vermittlung von geschichtlichem Wissenüber Aspekte der deutschen Geschichte, die mit Schuld,Schmerz und Scham verbunden sind.

Besuchsfahrten, wie sie Schülerinnen und Schüler aufden Ettersberg, in das Konzentrationslager Buchenwaldmachen, sind durch keinen noch so gut gemachten Ge-schichtsunterricht zu ersetzen. Die Erfahrung, auf die-sem gewaltigen, leeren Lagerplatz zu stehen, der Gangdurch das Krematorium und die Ausstellung schnüreneinem den Hals zu und machen die Geschichte diesesOrtes geradezu körperlich spürbar. Bei diesen Besuchs-fahrten wird die Basis für weitergehende Fragen gelegt:Wie konnte es an dieser Stelle nahe Weimar, einer Stadt,die wir mit dem Humanismus, der deutschen Klassik,mit Namen wie Wieland, Goethe und Schiller verbinden,zu diesen Verbrechen im Namen Deutschlands kommen?Was machte die Weimarer Republik und ihre Verfassungso verletzlich für die Attacken von Kommunisten, Natio-nalsozialisten und weiteren antidemokratischen Parteien,und was bereitete den Weg für den Aufstieg des Natio-nalsozialismus? Weshalb haben große Teile der deut-schen Bevölkerung der Entrechtung der jüdischen Mit-bürger und der späteren Deportation und Vernichtungtatenlos zugesehen?

Das Konzentrationslager in Buchenwald ist aus einemweiteren Grund bemerkenswert. Dort wurde im Au-gust 1945 das NKWD-Speziallager 2 der sowjetischenBesatzungstruppen eingerichtet. Während anfangs Funk-tionäre der Nationalsozialisten und mutmaßliche Kriegs-verbrecher in das Lager eingewiesen wurden, waren esspäter auch Sozialdemokraten, Bauern, willkürlichDenunzierte und Personen, die im Verdacht standen,Sympathie für den Westen zu haben. Auch wenn diesesLager kein Vernichtungslager war, kamen von den28 000 Insassen bis 1950 über 7 000 Menschen durchHunger und unbehandelte Krankheiten ums Leben. Die-ser Teil der Lagergeschichte war zu DDR-Zeiten tabui-siert. Heute existiert auf diesem Gelände eine Daueraus-stellung, die an das Speziallager und an die Insassenerinnert.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Die Differenzierung zwischen den beiden Diktaturen,die auch im Gedenkstättenkonzept vorgenommen wird,ist dringend geboten. Es ist notwendig, darauf hinzuwei-

sen, dass sich beide Diktaturen in ihren Zielen und Kon-sequenzen unterscheiden. Eine Auseinandersetzung umdie Frage, in welchem Umfang die beiden totalitärenSysteme Parallelen aufweisen, muss aber weiterhinmöglich bleiben.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Zwei Punkte zum Schluss.

Erstens. Das vorliegende Gedenkstättenkonzept darfnicht als abgeschlossen gelten. Die FDP-Fraktion gehtdavon aus, dass zu einem späteren Zeitpunkt weitereEinrichtungen im Rahmen der institutionellen Förderungaufgenommen werden können. Es geht uns vor allem da-rum, dass nicht nur Gedenkstätten in Berlin, sondernauch in den anderen Bundesländern erhalten und geför-dert werden. Ich freue mich, Herr Staatsminister, dassSie neben der Runden Ecke in Leipzig insbesondere denJugendwerkhof in Torgau in Ihrer Rede erwähnt haben,weil Sie damit deutlich gemacht haben, dass es eineVielzahl von weiteren Einrichtungen gibt, die ganzwichtig sind, um ein komplettes Bild dieser Art von Be-drohung und Repression zu zeichnen.

Zweitens. Wir fordern, die pädagogische Arbeit aus-zubauen. Im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen wirdrichtig beschrieben, dass der Staffelstab der Erinnerungnach dem Verschwinden der Erfahrungsgeneration ankommende Generationen weitergegeben werden muss.Eine Bildungsoffensive zum Thema Nationalsozialismusist notwendig. Darum stimmen wir Ihrem Antrag aus-drücklich zu.

Heinrich Heine schrieb in einem Gedicht:

Die alten, bösen Lieder, Die Träume schlimm und arg, Die laßt uns jetzt begraben, Holt einen großen Sarg.

Die Opfer der beiden Diktaturen auf deutschem Bo-den lassen nicht zu, dass wir diese Themen beerdigen.

(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Das Gedenkstättenkonzept ist eine wichtige Basis für dieweitere gemeinsame Auseinandersetzung mit unsererGeschichte.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Nur durch diese Auseinandersetzung können wir unsereKinder für die Gefahren für unsere offene Gesellschaft,für Demokratie und Menschenrechte sensibilisieren.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und demBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg.Dr. h. c. Wolfgang Thierse [SPD])

Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Wolfgang Thierse für die

SPD-Fraktion.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ein Jahr ist es her, dass wir im Kulturausschuss im Rah-

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Dr. h. c. Wolfgang Thierse

men einer Anhörung über die Fortschreibung der Ge-denkstättenkonzeption intensiv mit Experten diskutierthaben. Seitdem hat es viele weitere Diskussionen gege-ben. Die kritischen Anmerkungen der Experten wurdenzu einem großen Teil eingearbeitet. Die jetzt vorliegendeFortschreibung des Gedenkstättenkonzepts hat deutlicheVerbesserungen erfahren. Es ist ein gutes Konzept, daswir voll unterstützen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Natürlich konnte nicht alles Wünschenswerte aufge-nommen und nicht jede Einrichtung genannt werden.Denn es handelt sich um eine Konzeption des Bundes,die die Länder nicht ihrer Pflichten enthebt und Raumfür zivilgesellschaftliche Initiativen lässt, ohne die es imÜbrigen die vielfältige Erinnerungs- und Gedenkstätten-landschaft in Deutschland nicht geben würde.

Grundlage für die Fortschreibung war das 1999 vonder rot-grünen Bundesregierung vorgelegte Gedenkstät-tenkonzept. Es wird nicht ersetzt, sondern sinnvoll er-gänzt und dort fortentwickelt, wo nach fast zehn JahrenPraxis Verbesserungen möglich und notwendig sind.

In der Anhörung vor einem Jahr wurde von mehrerenExperten, insbesondere von Salomon Korn undVolkhard Knigge, deutliche Kritik an der historischenEinordnung der NS-Diktatur und der SED-Diktatur ge-äußert. Beide Diktaturen würden gleichgesetzt und eineNeugewichtung der Erinnerung vorgenommen. Die SPDhat mit dafür Sorge getragen, dass es keine Verschiebungund Neugewichtung in der Gedenk- und Erinnerungspo-litik gibt.

Die Debatte zum sichtbaren Zeichen gegen Vertrei-bung nährte die Befürchtung einer solchen Verschiebungin der Erinnerungspolitik. Bei der Umsetzung diesesProjekts und in den politischen Debatten dazu muss allesvermieden werden, was den Verdacht nährt, wir Deut-schen wollten uns zu einem Opfervolk stilisieren undvon Schuld reinwaschen. Wir dürfen niemals vergessen,dass die Expansions- und Vernichtungspolitik der Nazis,die damals von breiten Teilen der deutschen Bevölke-rung unterstützt wurde, die wesentliche Ursache der Ver-treibungen war.

Erinnerung und Gedenken bleiben eine gesamtgesell-schaftliche Aufgabe. Das Gedenken an die Opfer derNS-Terrorherrschaft wird mit der Fortschreibung derGedenkstättenkonzeption deutlich gestärkt. Vier weitereGedenkstätten werden aufgrund ihrer nationalen und in-ternationalen Bedeutung in die institutionelle Förderungdes Bundes aufgenommen.

In der Gedenkstättenkonzeption haben alle Opfer-gruppen angemessene Berücksichtigung gefunden. DasGedenken – wir wissen das – kann sich nicht an der An-zahl der ermittelten Opfer bemessen. Erlittenes Unrechtwird nicht hierarchisiert, der Terror der Naziherrschaftnicht relativiert.

(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Richtig!)

Es ist gut, dass in diesem Jahr das Denkmal für die imNationalsozialismus verfolgten Homosexuellen einge-

weiht wurde. Auf das Denkmal für die ermordeten Sintiund Roma bin ich sehr gespannt.

Auch bei der Erinnerung an die kommunistische Dik-tatur hat der ursprünglich vorgelegte Entwurf deutlicheVerbesserungen erfahren. Vier Punkte sind für mich vonbesonderer Bedeutung.

Erstens wird die mittlerweile gegründete Stiftung„Berliner Mauer“ institutionell gefördert. Mit AxelKlausmeier, der in der letzten Woche vom Stiftungsratbenannt wurde, hat die Stiftung einen kompetenten Di-rektor erhalten und kann jetzt ihre Arbeit aufnehmen.

Zweitens. Die Stasiunterlagenbehörde erhält eine ver-lässliche Zeitperspektive. Sie bleibt als wichtiger Be-standteil der gesamtgesellschaftlichen Aufarbeitung derkommunistischen Diktatur in vollem Umfang arbeits-und funktionsfähig. Eine unabhängige Expertenkommis-sion wird in der nächsten Legislaturperiode ein Konzepterarbeiten, welche Aufgaben der Stasiunterlagenbehördekünftig in welcher Form erfüllt werden, denn auch nacheinem Ende der Behörde wird die Aufarbeitung derkommunistischen Diktatur nicht zu Ende sein.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Drittens. Der Bundestag muss sich zur dringend not-wendigen Sanierung von Haus 1 der ehemaligen Sta-sizentrale in der Normannenstraße bekennen und dienotwendigen finanziellen Mittel dafür zur Verfügungstellen. Das wäre gerade im Hinblick auf den anstehen-den 20. Jahrestag des Mauerfalls ein wichtiges Signal.Das Haus 1 muss als authentischer Ort der Täter erhaltenbleiben. Die Stasiunterlagenbehörde soll gemeinsam mitdem ASTAK ein neues Ausstellungskonzept entwickelnund die ehemalige Stasizentrale zu einem Lernort derDemokratie weiterentwickeln. Dabei handelt es sich üb-rigens nicht, wie von verschiedenen Seiten häufig kriti-siert, um eine zusätzliche Aufgabe der Behörde. Ausstel-lung und politische Bildung entsprechen dem im Stasi-Unterlagengesetz festgeschriebenen Auftrag der Be-hörde.

Viertens. Auch das Thema Alltag in der DDR, vor al-lem Widerstand im Alltag, findet sich in der Konzeptionangemessen wieder. Der Schwerpunkt der Darstellungliegt hierbei vernünftigerweise in Leipzig und diesmalnicht in Berlin.

Besonderes Augenmerk haben wir im Entschlie-ßungsantrag auf die politische Bildung und die Vermitt-lung der Geschichte der nationalsozialistischen Terror-herrschaft und der kommunistischen Diktatur gelegt.Damit haben wir auch Anliegen der Linken und der Grü-nen, die in den beiden anderen Anträgen deutlich wer-den, aufgegriffen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir befinden uns ineinem Zeitenwechsel in der Erinnerungskultur. Mit demTod der Zeitzeugen, sowohl der Opfer als auch der Täterwie der Mitläufer, ist ein historischer Einschnitt verbun-den, der besondere Herausforderungen an die pädagogi-sche Arbeit der Gedenkstätten und an die politische Bil-

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dung insgesamt, aber auch und besonders in den Schulenstellt.

Jetzt – das ist die eigentliche Herausforderung – mussder Übergang vom individuellen Gedächtnis in das kol-lektive und kulturelle Gedächtnis gelingen. Das ist un-sere Aufgabe.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDPund dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowieder Abg. Dr. Lukrezia Jochimsen [DIELINKE])

Deshalb ist die politische Verantwortung für die authen-tischen Orte und für die Bildungs- und Vermittlungspro-zesse so groß. Diese, die authentischen Orte, und dasAngebot von Bildung und Vermittlung sind Einladungenan die nachfolgenden Generationen; Einladungen, keineVorschriften.

Folgendes sage ich immer wieder: Wir haben nichtdas Recht, zu unterstellen, dass nachfolgende Generatio-nen moralisch weniger sensibel wären als wir. Sie müs-sen ihre eigenen Formen der Erinnerung, der Aneignungdes Geschehenen gewinnen. Wir müssen ihnen dabeihelfen, und in diesem Sinne ist die Gedenkstättenkon-zeption auch ein Angebot an die kommenden Generatio-nen, diese deutsche Geschichte in ihren bitteren Seitensich anzueignen, so mühselig und so schmerzlich diesauch gelegentlich sein mag.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, insgesamt handeltes sich um eine sehr gelungene Konzeption, die jetzt mitLeben erfüllt werden muss. Ich freue mich, dass es ge-lungen ist, mit vier Fraktionen einen gemeinsamen Ent-schließungstext zu erarbeiten. Das beweist bei allen Dif-ferenzen im Detail, dass es einen Grundkonsens überden Umgang mit der Geschichte und über die fortdau-ernde Auseinandersetzung mit der nationalsozialisti-schen Terrorherrschaft und der kommunistischen Dikta-tur gibt. Das ist sehr gut so; denn das ist der Konsens,der diese Republik trägt.

Ich möchte mich bei allen Beteiligten, vor allem beiden angehörten Experten, für die Zusammenarbeit be-danken. Jetzt geht die Arbeit zwar nicht los, aber sie gehtweiter – die schwierige, wichtige Erinnerungsarbeit.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin

Jochimsen das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)

Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Drei Postulate, die gar nichternst genug genommen werden können, überschreibendie Gedenkstättenkonzeption, über die wir heute abstim-men wollen: „Verantwortung wahrnehmen, Aufarbei-

tung stärken, Gedenken vertiefen“. Das sind angesichtsunserer Geschichte schwierige Aufgaben. Wer sie ange-hen will, muss hohen Erwartungen gerecht werden. Wirddie Konzeption in ihren inhaltlichen Positionen und inihrer konkreten Umsetzung diesen hohen Erwartungengerecht? Wir sagen: leider nein. Deshalb können wir denVorlagen auch nicht zustimmen. Wir sind zwar die Ein-zigen, die nicht zustimmen, aber da sind wir selbstbe-wusst.

Warum? Die inhaltliche Ausrichtung, die Sie in derUnterrichtung durch den Staatsminister und in der Be-schlussempfehlung des Ausschusses festgeschrieben ha-ben, ist widersprüchlich. Im Vorwort heißt es:

Die Politik des Nationalsozialismus führte in derKonsequenz zur Teilung Deutschlands.

Wohl wahr! Aber dieser Satz bleibt ohne Konsequenzeninnerhalb der Umsetzung der Konzeption. Dort ist vonder gesamtstaatlichen Verantwortung für das Gedenkenan die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherr-schaft und für die Folgen des Zweiten Weltkrieges dieRede. In einem Satzsprung heißt es dann aber: Außer-dem gelte es seit der Wiedervereinigung, das Unrechtder kommunistischen Diktatur aufzuarbeiten.

(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Das ist doch richtig!)

Ich habe schon in der Ausschussberatung darauf hin-gewiesen, dass dies auf eine Verzerrung der Geschichtehinausläuft. Es sind nämlich nicht zwei nebeneinander-stehende Geschichtskapitel, sondern es ist eine ursäch-lich ineinander übergreifende und dadurch im Übrigengemeinsame Vergangenheit, mit der wir uns auseinan-dersetzen müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben nicht nur eine gesamtgesellschaftliche Ver-antwortung gegenüber den Opfern des NS-Regimes,sondern auch die Pflicht und Schuldigkeit, die Terror-herrschaft insgesamt aufzuarbeiten, in diesem Zusam-menhang vor allem auch unsere Nachkriegszeit.

Wer wie ich das Verschweigen und Leugnen derNachkriegsbundesrepublik, Nazis in hohen Positionen,die schmachvoll späten und angefeindeten KZ-Prozesse,die Gedenkstättenarbeit, die fast nur von den Betroffe-nen betrieben wurde, und die jahrzehntelang verschlepp-ten Fragen der Restitution erlebt hat, für den sind dieNS-Geschichte und die Nachkriegsgeschichte in beidenGesellschaften ein Komplex, dessen Aufarbeitung, in ih-ren Zusammenhängen wohlgemerkt, insgesamt aussteht.Diese Chance hätte man mit einer in vielfältiger, lang-jähriger Arbeit entstandenen Gedenkstättenkonzeptionjetzt gehabt. Man hat sie aber nicht genutzt.

Es reicht nicht, dass nun endlich vier KZ-Gedenkstät-ten im Westen institutionell gefördert werden. Wie einMantra wird ständig wiederholt und stets beschworen,dass es ein neues Gedenkstättenkonzept gibt und dasswir jetzt auch vier Gedenkstätten im Westen institutio-nell fördern. Das ist natürlich zu begrüßen. Aber was hatdie Lagergemeinschaft Ravensbrück in einem Schreibenan uns Abgeordnete festgehalten?

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Dr. Lukrezia Jochimsen

Groß ist der Bedarf bei der Erforschung der Ge-schichte der über ganz Deutschland verteilten KZ-Außenlager.

An anderer Stelle wurde in aller Bescheidenheit daraufhingewiesen:

Wenn man die Ausführung zu den Gedenkstättenund Erinnerungsorten zur NS-Herrschaft vergleichtmit den Erläuterungen zum Geschichtsverbund zurAufarbeitung der kommunistischen Diktatur inDeutschland, so fällt vor allem auf, wie viel detail-lierter die letzteren Festlegungen ausgeführt wer-den.

„Detaillierter“ ist das eine. Das andere sind dieschiere Zahl, der Umfang und die Gewichtung. Währendsich im Konzept genau zwei Kapitel mit der NS-Ge-schichte befassen, werden neun Kapitel zur Aufarbei-tung der DDR-Geschichte aufgezählt und entsprechendeFörderungsprojekte beschrieben.

(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Das ist nicht richtig!)

Innerhalb dieser geht es bis auf das Dokumentationszen-trum in Eisenhüttenstadt nicht um den Alltag in derDDR, den Lauf der Geschichte und die Fragen: Wie kames zur DDR, wer hat sie geformt und getragen, und wiehat sie sich schließlich selbst befreit? Darum geht esnicht.

Verantwortung wahrnehmen, Aufarbeitung verstär-ken, Gedenken vertiefen: Das sind große Worte undschwierige Aufgaben, gerade hinsichtlich der Zeit desnationalsozialistischen Terrorregimes. Hier stehen wir aneiner Wende – Kollege Thierse hat es beschrieben –: DieZeitzeugen, die in den vergangenen Jahrzehnten durchihren persönlichen Einsatz so vieles für die Auseinander-setzung und Vermittlung geleistet haben, werden unsfehlen. Wir brauchen dringend ein neues Gesamtkonzeptfür die zukünftige Vermittlungsarbeit, das in der vorlie-genden Gedenkstättenkonzeption leider fehlt.

Die Fraktion Die Linke hat einen Antrag zu dieserProblematik eingebracht. Wie Sie alle heute darauf rea-gieren, könnte eine Art Lackmustest dafür sein, wiewichtig Ihnen der Satz in der Einleitung der Unterrich-tung ist, der da lautet:

Es ist unverzichtbar, den Unterschieden zwischenNS-Herrschaft und SED-Diktatur Rechnung zu tra-gen.

Es wäre gut, wenn Sie dieser Erklärung mit dem Ge-denkstättenkonzept tatsächlich nachkämen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun

die Kollegin Katrin Göring-Eckardt.

Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):

Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ja, dem heutigenTag ist eine lange Debatte im Kulturausschuss und vorallem auch in der Öffentlichkeit vorausgegangen. Ichfinde, das war eine gute Debatte, die zu einem breitenKonsens geführt hat. Ich schließe mich ausdrücklich undsehr gern dem Dank auch an diejenigen an, die uns dabeimit klaren und oft auch unbequemen Urteilen unterstützthaben. Herr Knigge und Herr Korn sind hier zu Recht er-wähnt worden.

Auf die Problemstellen des ersten Entwurfs haben wirals Grüne ganz am Anfang – im Sommer letzten Jahres –schon hingewiesen. In dem ursprünglichen Entwurf desneuen Gedenkstättenkonzeptes wurde aus unserer Sichtin unverantwortlicher Weise eine Gleichsetzung zwi-schen dem Nationalsozialismus und der DDR-Diktaturvorgenommen, wodurch die Unterschiede verwischtwurden.

Frau Jochimsen, ich bin aber der Meinung, dass esmit dem neuen Entwurf gelungen ist, deutlich zu ma-chen, dass es eben eine sehr klare Unterscheidung gibt.

(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Genau richtig!)

Am Anfang heißt es wörtlich:

Es ist unverzichtbar, den Unterschieden zwischenNS-Herrschaft und SED-Diktatur Rechnung zu tra-gen.

Daran werden wir die Erinnerungspolitik der GroßenKoalition messen. Dass das hier steht, ist auch ein Erfolgunserer gemeinsamen Diskussionen, den wir nicht klein-reden sollten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Ganz besonders freut es mich natürlich, dass durchdieses Konzept jetzt sehr deutlich wird, wie wichtig zi-vilgesellschaftliches Engagement und zivilgesellschaftli-che Initiativen sind. Erinnerung von oben funktionierteben nicht, sondern wir brauchen die Zivilgesellschaft,und wir müssen verhindern, dass wir uns allein in öffent-lichen Ritualen und sogenannter Anlasserinnerung er-schöpfen. Die zivilgesellschaftlichen Initiativen undProjekte aus der Mitte der Gesellschaft sind lebendigeErinnerung und Aufarbeitung von unten.

Der „Zug der Erinnerung“ und das Projekt „Stolper-steine“ stehen symbolisch dafür, und sie sind Zeichendafür, dass sich gerade auch junge Menschen in unseremLand dafür interessieren und sich auf ganz wunderbareArt und Weise und, wie ich finde – dies erfährt man,wenn man mit diesen Jugendlichen darüber redet –, sehrnachhaltig mit ihrer eigenen Geschichte beschäftigenund auseinandersetzen.

Aus genau diesem Grund, weil zivilgesellschaftlichesErinnern eben auch mit Bildung und Wissen zu tun hat,haben wir heute einen Antrag eingebracht. Herr Waitzhat darauf hingewiesen. Vielen Dank, dass Sie ihm zu-stimmen wollen. Ich glaube, damit wird auch der Über-

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Katrin Göring-Eckardt

gang zum nächsten Schritt der Erinnerungskultur be-schrieben, der so wichtig ist; denn wir befinden uns amÜbergang von der kommunikativen Erinnerung zum kul-turellen Erinnern. Das bedeutet mehr als einen Epochen-wechsel.

Paul Spiegel hat ja den Begriff „Staffelstab der Erin-nerung“ geprägt, der übergeben werden muss. Er hat ihnzu Recht geprägt. Wir brauchen jetzt eine systematischeVerankerung in schulischen Lehrplänen und gleichzeitigin außerschulischen Bildungsangeboten. Ich glaube, dasswir daran nicht vorbeikommen, nicht vorbeikommensollten und auch nicht vorbeikommen wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP)

Das gilt übrigens auch – es ist hier schon einmal zuRecht darauf hingewiesen worden – hinsichtlich desWissens über die Geschichte der DDR-Zeit. Auf der ei-nen Seite gibt es eine Art von Verklärung, die immerneue Blüten treibt und bei der häufig der Satz „Es warnicht alles schlecht“ geäußert wird. Auf der anderenSeite gibt es diejenigen, die sich zu Recht für die Aner-kennung ihrer eigenen Biografie einsetzen. Beides wi-derspricht sich aber sehr stark. Die Anerkennung der ei-genen Biografie ist zentral und wichtig. Es geht aberauch darum, deutlich zu machen, was das Leben auch indieser Diktatur bedeutet hat, und sich damit auseinander-zusetzen, was es bedeutet hat, Mitläufer zu sein und zuversuchen, in dieser Diktatur zurechtzukommen.

Die Eltern- und Lehrergeneration hat dabei eine großeVerantwortung. Wir als Politiker haben sie erst recht.

Gerade bei der Bildung zum Thema Nationalsozialis-mus muss immer wieder deutlich gemacht werden, dasser nicht wie eine Naturkatastrophe von oben überDeutschland kam, sondern tief in der Gesellschaft veran-kert war. Diesen Auftrag haben wir auch heute, wenn wiruns mit rechtsextremistischen und rechtsradikalen Ge-danken, Taten, Gruppierungen und Parteien auseinander-setzen. Dazu gehört übrigens auch, sich mit dem Antise-mitismus in der DDR zu befassen. Dazu gehörenauthentische Orte. Deswegen bin ich sehr froh, dass wirdie KZ-Gedenkstätten auch als Lernorte stärken wollen.Die authentischen Orte des Grauens der Naziverbrechenhelfen, wenn wir heute über unsere Erinnerung reden,sehr viel weiter, als museale Erinnerung das jemalskann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Gestatten Sie mir eine letzte Bemerkung; denn dieFrage der authentischen Orte betrifft auch die Erinne-rung an die SED-Diktatur. Dass beim einzigen verblie-benen ehemaligen Grenzbahnhof in Probstzella jetzt dieBagger für den Abriss bereitstehen, weil das Geld nichtreicht, um ihn winterfest zu machen, ist sehr bedauer-lich. Noch ist er zu retten. Ich hoffe, dass das gelingt,weil er einer der authentischen Orte ist, an denen mandie Teilung Deutschlands auf ganz besondere Art undWeise sehen, erleben und nachempfinden kann. Deswe-gen hoffe ich sehr, dass der Abriss noch verhindert wer-den kann.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Wolfgang Börnsen für die

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Für jeden dritten Jugendlichen in der Bundesrepu-blik gilt: Erich Mielke war ein Schriftsteller, HelmutKohl war Kanzler der DDR, Adenauer ein Ossi. Für je-den vierten Schüler unseres Landes war Willy BrandtRepräsentant des SED-Regimes. Auf einen Abgrund vonFehl- und Falschwissen der jungen Generation weisteine aktuelle Studie der FU Berlin hin.

Es ist erschreckend. Auf die Feststellung „Wer dieDDR verlassen wollte, war selber schuld, wenn an derGrenze auf ihn geschossen wurde!“ antwortete jederfünfte Jugendliche mit Ja.

Fehlende Kenntnisse führen zu falschen Beurteilun-gen. Nichtwissen schadet der Demokratie. Ahnungslo-sigkeit macht verführbar. Das Feld für Extremisten istdann bestellt.

In seiner Ballade des Vergessens formulierte derDichter Klabund bereits vor 100 Jahren eine eindringli-che Mahnung:

Vergaßt ihr die gute alte Zeit,die schlechteste je im Lande?Euer Herrscher hieß Narr, seine Tochter Leid,die Hofherren Feigheit und Schande.Es führte euch in den Untergangmit heitern Mienen, mit kessen.Längst habt ihr’s bei Wein, Weib und Gesangvergessen, vergessen, vergessen.

Zwei Drittel aller Schüler – in einigen Bundesländernsogar mehr – gaben an, das geteilte Deutschland sei imUnterricht kein Thema gewesen. Selbstverständlichmuss die Schule solche Defizite aufarbeiten. Auch undgerade das Wissen und das Gedenken an die eigene Ge-schichte führt zu der Einstellung: Nie wieder!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD und der FDP)

Nie wieder Rechts- oder Linksdiktaturen! Nie wiederAusgrenzung von Menschen- und Bürgerrechten! Niewieder ein Verlust an Freiheit!

Das neue Gedenkstättenkonzept wird diesen Ansprü-chen gerecht. Es verstärkt die Aufarbeitung unsererDiktaturgeschichte. Es ermöglicht, Opfer- wie Täter-geschichte unmittelbar wahrzunehmen. Die menschen-verachtende Zeit des NS-Staates wird ebenso konse-quent, schonungslos, aber auch differenziertaufgearbeitet und dargestellt wie die DDR-Vergangen-heit. Dem Unterschied zwischen dem Naziterror und derSED-Diktatur wird Rechnung getragen. Eine verantwor-tungsbewusste Erinnerungspolitik darf weder die Ver-

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Wolfgang Börnsen (Bönstrup)

brechen der Nationalsozialisten relativieren noch dasSED-Unrecht bagatellisieren.

Klabund appelliert in seiner Ballade des Vergessensan die Wegseher und Vereinfacher mit folgenden für un-sere Ohren heute ungewohnten Worten:

Wir haben Gott und Vaterlandmit geifernden Mäulern geschändet,wir haben mit unsrer dreckigen HandHemd und Meinung gewendet.Es galt kein Wort mehr ehrlich und klar,nur Lügen unermessen ...Wir hatten die Wahrheit so ganz und garvergessen, vergessen, vergessen.

Das neue Gedenkstättenkonzept stärkt die Erinne-rungskultur, weil es eine zentrale Struktur vermeidet, dieEigenständigkeit der zeithistorischen Einrichtungen ga-rantiert, weil es Rücksicht auf die eindrucksvollen Leis-tungen der bürgerschaftlichen Aufarbeitungsinitiatorennimmt, weil es auf der Authentizität der Gedenkstättenberuht, Geschichte am Ort des Geschehens erlebbarmacht, weil es erstmals kooperative Vernetzungen zwi-schen den Trägern institutionalisiert – das gilt für dieNS-Gedenkstätten ebenso wie für die DDR-Rudimente –und weil es die Geschichte der SED-Diktatur wie dieZeit des Dritten Reiches zu einer Herausforderung fürOst- wie für Westdeutschland erklärt, es endlich eine ge-samtdeutsche Aufgabe wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir können aus unserer Geschichte nicht flüchten.Wir müssen uns ihr stellen. Das gilt für die dunklen Ka-pitel unserer Vergangenheit wie für die glücklichen Mo-mente. Leipzig gehört dazu, beispielgebend als Stadt desunerschrockenen Bürgermutes. Es ist sachgerecht – da-rin bin ich mir mit Wolfgang Thierse einig –, hier, in die-ser Stadt, den Schwerpunkt für die Erinnerung an denWiderstand gegen die SED-Diktatur zu setzen. Es ver-dient auch die Unterstützung des Bundes, wenn an dieserStelle der Freiheit und Einheit gedacht wird. Es ist rich-tig und respektvoll, wenn vor Ort ein passendes Konzeptdafür entwickelt wird. Was für Leipzig gilt, gilt auch fürBonn. Es gilt auch den westdeutschen Beitrag zur Wie-dervereinigung dort zu dokumentieren. Dass ein nationa-les Freiheits- und Einheitsdenkmal in die Mitte unsererHauptstadt gehört, haben wir vor einem Jahr beschlos-sen. 200 Jahre couragierte Freiheits- und Parlamentsge-schichte dokumentieren den Teil unserer Vergangenheit,auf den wir stolz sein können. Eine historisch gerechteErinnerungslandschaft kommt ohne ein solches Symbolder Freiheitsbekundung nicht aus.

Der Bund wird mit dieser neuen Gedenkstätte seinerVerantwortung gerecht. Hier wird den Orten von natio-naler Bedeutung Zukunft gegeben. Die vier schon ge-schilderten NS-Gedenkstätten, die durch die institutio-nelle Förderung eine viel stärkere Möglichkeit alsLernorte erhalten, sind ein Teil dieser Zukunftsorientie-rung. Die BStU, um deren Perspektiven wir lange gerun-gen haben, wird dann ihre Akten und Unterlagen in dasBundesarchiv überführen, wenn eine Kommission dafürdem Bundestag eine Entscheidungsgrundlage erarbeitet

hat. Unabhängig davon bleibt festzuhalten – darin binich mir mit vielen in diesem Saal einig –: Deren Mitar-beiter leisten eine notwendige und ambitionierte Aufar-beitungsarbeit. Die BStU hat Anerkennung verdient. IhrKonzept hat europaweit Bedeutung. Das gilt auch für dieBundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur undviele andere Häuser.

Das Konzept zur geschilderten Erinnerungsland-schaft, über das wir heute befinden, wird von vier Frak-tionen getragen. Das ist eine ganz großartige Grundlage.Es ist gut für unser Land und gut für die Demokratie,dass eine so starke parlamentarische Mehrheit sagt: Wirstehen zu diesem Konzept. – Trotzdem bleiben wir auf-gefordert, weiter wachsam zu sein, im Sinne der Balladedes Vergessens:

Habt ihr vergessen, was man euch tat,des Mordes Dengeln und Mähen?Es lässt sich bei Gott der Geschichte Rad,beim Teufel nicht rückwärts drehen.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Monika Griefahn für die

SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Monika Griefahn (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Ich möchte mich dem Dank der Vorredne-rinnen und Vorredner anschließen. Nachdem der Staats-minister im Juni 2007 einen doch umstrittenen Entwurffür die Fortschreibung des Gedenkstättenkonzeptes vor-gelegt hat, haben wir nun einen sehr konstruktiven Pro-zess durchlebt und die vorliegende Konzeption gemein-sam erarbeitet. Daran haben sowohl der Ausschuss miteiner Anhörung als auch eine Reihe externer Expertenmitgewirkt. Ich denke, diese Konzeption ist ein überzeu-gendes Ergebnis dieser gemeinsamen Arbeit.

Frau Jochimsen, es gibt schon ein Gedenkstättenkon-zept von 1999, in dem die NS-Diktatur ausführlich be-handelt wurde. Es ist nicht durch dieses Gedenkstätten-konzept aufgehoben, sondern fortgeführt, und ergänztwurden jetzt die Punkte, die vorher noch nicht darinstanden. Es gab vorher – das ist mehrfach gesagt worden –eben keine institutionelle Förderung von Gedenkstättenin den alten Bundesländern. Es gab sie in den neuen,aber nicht in den alten. Deswegen haben wir jetzt Ber-gen-Belsen in Niedersachsen, Neuengamme in Hamburgsowie Dachau und Flossenbürg in Bayern institutionellgefördert. Das war notwendig. Wir alle haben immerwieder erlebt, dass Schulgruppen und andere Gruppen,die sich informieren wollten, keine anständige Führungbekommen konnten, weil das Geld nicht da war, umLeute zu beschäftigen etc. Das ist jetzt möglich. Das istauch notwendig; denn dann können die Gruppen, diedorthin kommen, qualifiziert informiert werden, und dasist eine wichtige Grundlage für die Demokratie.

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Monika Griefahn

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte an dieser Stelle auch dem Bundesfinanz-minister danken; denn üblicherweise gibt es keine neueninstitutionellen Förderungen. Ich glaube, es ist ein ganzwichtiger Aspekt, dass wir das hier machen. Zugleichführen wir die Projektförderung des Bundes für authenti-sche und national bedeutsame Erinnerungsorte und Ge-denkstätten fort. Ich erinnere daran, dass wir in Sachsenden Jugendwerkhof in Torgau jetzt mit Projektmittelnfördern. Der Herr Staatsminister hat ihn erwähnt. DieBesucher können dort ein fragwürdiges Erziehungskon-zept, den menschenunwürdigen Alltag und das drakoni-sche Strafsystem im geschlossen Jugendwerkhof sehen,der dem Ministerium für Volksbildung der DDR direktunterstand. Viele hätten diese Möglichkeit nicht, wennes eine solche Projektförderung nicht gäbe. Deswegenglaube ich, dass einer der wesentlichen Aspekte, die wirsehr ausführlich diskutiert haben, das zivilgesellschaftli-che Engagement von vielen Gruppen ist – dies wurdemehrfach erwähnt; auch Frau Göring-Eckardt hat daraufhingewiesen –, aber auch die politische Bildung. In derDiskussion über das Konzept ist deutlich geworden, wiewichtig Vermittlung und politische Bildung beim Um-gang mit unserer Geschichte sind und wo es noch hapert.Wir haben die Lücken alle aufgedeckt. Deswegen bin ichfroh, dass wir in der nächsten Sitzungswoche, wenn wirden Haushalt diskutieren, die Mittel dafür entsprechenderhöhen werden und damit etwas tun.

Im Umgang und bei der Vermittlung unserer Ge-schichte, ob es nun die Geschichte des Nationalsozialis-mus ist oder die DDR-Geschichte, sind wir alle gefor-dert, nicht nur der Bund, sondern auch Elternhäuser,Schulen, Medien und Politik; denn viele Schüler – HerrBörnsen hat darauf hingewiesen –, aber leider auch vieleErwachsene wissen nur wenig über unsere Vergangen-heit und wenig über die beiden Teile unserer Gesell-schaft, wie sie vor dem Fall der Mauer tatsächlich waren.Hier wird besonders deutlich, dass sich unser Bemühennicht nur auf die gute Ausgestaltung der Gedenkstättenbeschränken darf, sondern dass es auch einer umfassen-den Aufarbeitung bedarf. Dabei müssen wir weiterhinauf Zeitzeugen zurückgreifen, nicht nur auf die Zeitzeu-gen aus der Zeit des Nationalsozialismus, die uns leidernach und nach nicht mehr zur Verfügung stehen, sondernauch auf Zeitzeugen aus der ehemaligen DDR. Da habenwir Menschen unter uns, die in beiden Teilen gelebt ha-ben und die erzählen können, wie das eigentlich damalswar. Es sind Menschen, deren Familien getrennt warenund die erlebt haben, wie es war, sich zu besuchen, unddie den jeweiligen Alltag erlebt haben. Diese persönli-chen Erfahrungen sollten wir noch stärker einbringen,gerade auch in der Schule. Das muss in allen Bundeslän-dern überhaupt erst einmal in den Schulplänen verankertwerden; denn das findet in vielen Schulen leider nochnicht statt.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Wenn ich meine Kinder danach frage, ob sie in derSchule schon einmal etwas davon gehört haben, alsovom täglichen Leben in einem Konstrukt von Überwa-

chung und Zersetzung, vom menschlichen Miteinanderin einem unmenschlichen System, dann stelle ich fest:Das haben sie so noch nicht wahrgenommen. Ich glaube,man kann das zusammen mit Zeitzeugen, mit Menschen,die so etwas direkt erlebt haben, viel besser nachvollzie-hen. Ich denke, wir sind auf einem guten Weg.

Wir haben heute Nachmittag den Bericht zur deut-schen Einheit diskutiert. Dabei sind viele Schritte, diezeigen, dass wir zusammenwachsen, aufgeführt worden.Das, was ich angesprochen habe, ist sehr notwendig, da-mit wir zu einem bestimmten Punkt kommen: Nie wie-der darf es uns passieren, dass wir durch Diktaturen be-stimmt werden. Wir haben im nächsten Jahr eine MengeGedenktage. Wir feiern 20 Jahre Fall der Mauer, wir fei-ern 60 Jahre Grundgesetz. Aber wir haben auch Erinne-rungstage, die uns nachdenklich stimmen müssen, zumBeispiel den 70. Jahrestag des Überfalls Deutschlandsauf Polen. Ich hoffe sehr, dass wir dieses Jahr mit seinenGedenktagen zum Nachdenken und für die Erinnerungnutzen und dass wir mit dem Gedenkstättenkonzept alsguter Grundlage für das gemeinsame Bewusstsein aktivarbeiten, damit sich das Bewusstsein vor Ort so ändert,dass die Demokratie erhalten bleibt und gestärkt wirdund dass Geschehnisse wie Diktaturen, Gewalt und Bru-talität nicht mehr stattfinden können. Das wünsche ichmir. Ich bin froh, dass wir gemeinsam daran gearbeitethaben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache.

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kulturund Medien auf Drucksache 16/10565 zu der Unterrich-tung durch den Beauftragten der Bundesregierung fürKultur und Medien auf Drucksache 16/9875 zur Fort-schreibung der Gedenkstättenkonzeption des Bundes mitder Überschrift „Verantwortung wahrnehmen, Aufarbei-tung verstärken, Gedenken vertiefen“. Der Ausschussempfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschlie-ßung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussemp-fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen derCDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der FDP-Frak-tion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen dieStimmen der Fraktion Die Linke angenommen.

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kulturund Medien auf Drucksache 16/10071. Der Ausschussempfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfeh-lung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linkeauf Drucksache 16/8880 mit dem Titel „Konzepte derVermittlung des Wissens zur NS-Zeit überprüfen undden veränderten Bedingungen anpassen“. Wer stimmtfür diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit denStimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktiongegen die Stimmen der FDP-Fraktion und der Fraktion

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Vizepräsidentin Petra Pau

Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Wir sind noch beim Tagesordnungspunkt 25 b. UnterBuchstabe b der Beschlussempfehlung auf Drucksa-che 16/10071 empfiehlt der Ausschuss für Kultur undMedien die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/8184 mit dem Ti-tel „Systematische Weiterentwicklung der politischenBildung beim Thema Nationalsozialismus“. Wer stimmtfür diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit denStimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktiongegen die Stimmen der FDP-Fraktion, der FraktionDie Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an-genommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten MiriamGruß, Florian Toncar, Burkhardt Müller-Sönksen,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Die Schaffung einer Individualbeschwerde imRahmen des Übereinkommens über dieRechte des Kindes

– Drucksache 16/9096 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)Rechtsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die-sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. – Ichsehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich umdie Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: ThomasMahlberg für die CDU/CSU-Fraktion, Marlene Rupprechtfür die SPD, Miriam Gruß für die FDP, Diana Golze fürdie Fraktion Die Linke und Ekin Deligöz für die Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen.1)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 16/9096 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungso beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 29 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Änderung des Gesetzes über die Überfüh-rung der Anteilsrechte an der Volkswagen-werk Gesellschaft mit beschränkter Haftungin private Hand

– Drucksache 16/10389 –

– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-neten Dorothée Menzner, Dr. Diether Dehm,Dr. Barbara Höll, weiteren Abgeordneten und derFraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs ei-nes Gesetzes zur Änderung des VW-Gesetzes

– Drucksache 16/8449 –

1) Anlage 10

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 16/10896 –

Berichterstattung:Abgeordnete Michael Grosse-Brömer Joachim Stünker Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Wolfgang NeškovićJerzy Montag

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parla-mentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun-desministerin der Justiz:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Frau Bundesministerin Zypries hat bereits bei der erstenLesung dieses Gesetzentwurfs vor wenigen Wochen aufdie Bedeutung und Entstehung des VW-Gesetzes undauf die besondere Geschichte des größten deutschen Au-tobauers hingewiesen. Es ist eben aufgrund der Ge-schichte des Volkswagenwerkes gerechtfertigt, dass dasVW-Gesetz gewisse Abweichungen vom allgemeinenAktienrecht vorsieht. Selbstverständlich ist, dass die Re-gelungen des VW-Gesetzes dabei nicht gegen das EU-Recht verstoßen dürfen und dass wir, soweit das der Fallist, Abhilfe schaffen müssen.

Damit bin ich schon beim Urteil des EuropäischenGerichtshofs vom Oktober 2007. Der EuGH hat darinentschieden, dass Deutschland mit einigen Vorschriftendes VW-Gesetzes gegen die Kapitalverkehrsfreiheit ver-stoße. Dieses Urteil setzen wir mit dem Gesetzentwurf,um den es heute geht, in nationales Recht um, und zwar– das sage ich auch in Richtung Brüssel – zu100 Prozent.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Angesichts seiner besonderen Historie werden wiraber am VW-Gesetz nicht mehr ändern, als es das Urteilverlangt. Wie Sie wissen, gibt es unterschiedliche Mei-nungen zu der Frage, was das Urteil genau verlangt. Se-hen wir uns daher noch einmal den Tenor der Entschei-dung an – ich darf zitieren, Frau Präsidentin –:

Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch, dasssie § 4 Abs. 1 sowie § 2 Abs. 1 in Verbindung

– ich wiederhole: in Verbindung

– mit § 4 Abs. 3 des VW-Gesetzes beibehalten hat,gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 56 Abs. 1 EGverstoßen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die genannten Bestimmungen betreffen das gesetzli-che Entsenderecht für den Bund und das Land Nieder-

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Parl. Staatssekretär Alfred Hartenbach

sachsen, die Stimmrechtsbeschränkung auf 20 Prozentund das besondere Mehrheitserfordernis für Hauptver-sammlungsbeschlüsse von 80 Prozent plus einer Aktie,also die Sperrminorität von 20 Prozent.

Der Europäische Gerichtshof hat das gesetzliche Ent-senderecht für rechtswidrig erklärt, die beiden anderenBestimmungen aber nur „in Verbindung“ miteinander,also nicht jede für sich. Im Übrigen – so sagt es das Ge-richt; ich habe es schon zitiert – ist die Klage abgewie-sen worden.

Wenn zwei Paragrafen aber nur „in Verbindung“ mit-einander rechtswidrig sind, dann liegt es auf der Hand,dass man sie nicht beide aufheben muss. Es reicht aus,einen davon aufzuheben, wodurch der andere weiterbe-stehen kann, ohne gegen das Europarecht zu verstoßen.

Ich gehe davon aus, dass der Europäische Gerichtshofdiese Formulierung sehr wohl mit Bedacht gewählt hatund genau das gemeint hat, was er gesagt hat. Es ist ausmeiner Sicht unverständlich und dem EuGH gegenübernicht gerade von Respekt getragen, wenn man darüberhinweggeht und sagt, das habe der Gerichtshof nicht sogemeint, vielmehr seien alle drei Bestimmungen isoliertrechtswidrig.

Deshalb sieht der Regierungsentwurf genau das vor,was der Urteilstenor verlangt: Wir schaffen das gesetzli-che Entsenderecht für den Bund und das Land Nieder-sachsen ab, denn dies verlangt der EuGH. Der Gesetz-entwurf der Linken, der hier noch Abstufungen undWinkelzüge macht, wird von uns nicht mitgetragen. InBrüssel würden wir sofort auffliegen. Wir schaffen dieStimmrechtsbeschränkung auf 20 Prozent ab. Die Sperr-minorität bei Hauptversammlungen, die im Übrigen vomallgemeinen Aktienrecht gar nicht so weit abweicht,kann allerdings isoliert weiter bestehen.

Außerhalb des offiziellen Verfahrens kamen Presse-äußerungen aus Brüssel, dass wir alle drei Bestimmun-gen ersatzlos streichen müssten. Eine begründete Stel-lungnahme der Kommission, durch die unsererRechtsansicht widersprochen würde, gibt es bisher abernicht. Sollte eine solche Stellungnahme kommen, hätteDeutschland zwei Monate Zeit, um darauf zu reagierenund gegenüber der Kommission seine Ansicht darzule-gen. Wir sind uns unserer Sache sehr sicher. Sie sehen,dass es keinen Anlass dafür gibt, dass die Bundesregie-rung von ihrem einstimmig gefassten Beschluss abrü-cken sollte, die Sperrminorität des VW-Gesetzes fortbe-stehen zu lassen und das Änderungsgesetz in der Formzu verabschieden, wie sie Ihnen vorliegt. Lassen Sie sichdavon weder durch nicht korrektes Hochdeutsch nochdurch Briefe mit Goldprägung abhalten.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Petra Pau: Die Rede des Kollegen Paul Friedhoff für die FDP-

Fraktion nehmen wir zu Protokoll.1) Das Wort hat derKollege Michael Grosse-Brömer für die Unionsfraktion.

1) Anlage 11

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Heute wollen wir das in einigen Punkten geän-derte VW-Gesetz in zweiter und dritter Beratung be-schließen. Ich halte das für eine gute Idee. Wir haben inden letzten Wochen mehrfach über dieses Gesetz disku-tiert. Ich habe dabei stets die Gelegenheit genutzt, umdarauf hinzuweisen, dass VW für viele Deutsche, undnicht nur für Niedersachsen, eine Herzensangelegenheitund ein Stück deutscher Identität darstellt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das VW-Gesetz besteht seit dem 21. Juli 1960 und istdamit – wenn auch nur knapp – älter als ich selbst. Seit-her ist das Gesetz eng mit der Erfolgsgeschichte von VWverknüpft. Der niedersächsische Ministerpräsident hatsich bei der letzten Debatte sogar persönlich die Ehre ge-geben, um die Bedeutung des Gesetzes noch einmal her-vorzuheben. Im September hat er im Bundesrat dazuausgeführt, dass das VW-Gesetz kein Hindernis für einegute Entwicklung von VW ist. Im Gegenteil: Es war bis-her und wird auch in Zukunft eine Voraussetzung dafürsein.

Es ist deshalb gut, dass wir heute im Bundestag denErhalt des VW-Gesetzes bei zwei notwendigen Ände-rungen beschließen wollen. Der Parlamentarische Staats-sekretär hat darauf hingewiesen, dass wir so vorgehen,weil der Europäische Gerichtshof es verlangt hat, ob-wohl es eigentlich sinnvoll wäre, in ein Unternehmen,das, wie Volkswagen, sehr erfolgreich arbeitet, am bes-ten gar nicht einzugreifen. Wir kommen den uns aufer-legten europarechtlichen Verpflichtungen nach. DerRechtsprechung des EuGHs werden wir durch den heutevorliegenden Gesetzentwurf gerecht.

Das Bundesjustizministerium hat das Urteil sorgfältiganalysiert. Das Ergebnis ist eben von Herrn Hartenbachvorgetragen worden. Es geht um die Verbindung zwi-schen Höchststimmrecht und den besonderen Mehrheits-erfordernissen. Nur das wurde beanstandet, und nur dashaben wir geändert.

(Beifall der Abg. Rita Pawelski [CDU/CSU])

Letztlich ist das im Urteilstenor genau erkennbar. DerEuGH spricht explizit von § 2 Abs. 1 in Verbindung mit§ 4 Abs. 3 des VW-Gesetzes.

Der zuständige EU-Kommissar Charlie McCreevyhält die genannten Normen alternativ und nicht kumula-tiv für europarechtswidrig. Damit ignoriert er erstensden Urteilstenor, und zweitens überinterpretiert er dieReichweite der Grundfreiheiten.

(Rita Pawelski [CDU/CSU]: So ist es!)

Mit unserer Bundesjustizministerin bin ich hoff-nungsfroh, dass das Gesetz nach dem Passieren des Bun-desrates, einschließlich Unterzeichnung und Verkün-dung, zum 1. Januar 2009 in Kraft treten kann. Das wärefür die Beschäftigten – nach meiner Kenntnis sind esweltweit 364 000 – und auch für ihre Familien zu Be-

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Michael Grosse-Brömer

ginn des neuen Jahres eine schöne Nachricht. In Krisen-zeiten sind solche Zeichen gut für die Menschen. Zwarhat das Wort Krise gegenwärtig Hochkonjunktur. Es istaber nicht mehr zu leugnen, dass die Krise auf dem Fi-nanzmarkt auf die sogenannte Realwirtschaft übergegrif-fen hat. Anzeichen dafür sind vorhanden. Sie betreffenmittlerweile unstreitig auch die Automobilindustrie. Vordiesem Hintergrund ist die Volkswagen-Gruppe offen-sichtlich noch gut aufgestellt. Unter den aktuell schwie-rigen Bedingungen wird VW von Fachleuten und auchin der Fachpresse häufig noch als „Fels in der Brandung“bezeichnet.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

– Ich bin froh, dass doch einige Niedersachsen da sind.Das zeigt sich ja jetzt am entsprechenden Applaus.

(Garrelt Duin [SPD]: Wir sind diesmal mehr! Das lasse ich mir nicht zweimal sagen!)

– Das finde ich auch anständig, dass die Sozialdemokra-ten dazugelernt haben. Im Vergleich zum letzten Malsind deutlich mehr Niedersachsen da, auch auf IhrerSeite.

(Garrelt Duin [SPD]: Danke für die Anerken-nung!)

Die Politik sollte diese positive Entwicklung von VWhonorieren und erfreut zur Kenntnis nehmen. Jedenfallssollten wir sie nicht durch unnötige Veränderungen be-lasten.

Ich habe gestern erfreulicherweise und fast auch einwenig überraschend ein Schreiben vom Vorstandsvorsit-zenden der Porsche Holding, Herrn Wendelin Wiedeking,erhalten.

(Dorothée Menzner [DIE LINKE]: Wir alle!)

Auch er ging auf die künftigen Herausforderungen ein,insbesondere die der Automobilbranche. Ich zitiere einePassage aus seinem Brief.

Die Automobilbranche steht vor gewaltigen He-rausforderungen. Um vor dem Hintergrund der ak-tuellen Finanzmarktkrise zu bestehen und weiter zuwachsen, wollen wir gemeinsam ein starkes Unter-nehmen schaffen, das mit Ideenreichtum und Inno-vationskraft auf der Basis weltweiter Erfolge Ar-beitsplätze erhält und neue Arbeitsplätze schafft.Am Standort Deutschland.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Mit diesen Worten von Herrn Wiedeking kann ich michvoll und ganz einverstanden erklären. Ich schließe michihnen an. Unternehmen müssen leistungsstark und inno-vativ sein, um bestehen zu können. VW hat exakt dies inder Vergangenheit immer wieder eindrucksvoll bewie-sen – mit dem VW-Gesetz.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Das VW-Gesetz war auch deswegen eine wichtigeVoraussetzung für den Erfolg dieses Unternehmens, weiles wohl in einmaliger Weise Zukunftsfähigkeit mit be-

sonderer Treue und Verantwortung zur Belegschaft undzu den Standorten gerade in Deutschland beweist. Auchbei internationalen Beziehungen gab es nie rechtlicheBedenken. Infolgedessen kann ich in einem Punkt HerrnWiedeking nicht zustimmen, nämlich seiner Behaup-tung, dass dieses Gesetz europarechtswidrig sei. Auf-grund der genannten Erfolgsgeschichte wünsche ich mirvielmehr, dass das VW-Gesetz weiterhin, wie die letzten48 Jahre, als stabile Grundlage eines Traditionsunterneh-mens, als Mittel der Standortsicherung und als Instru-ment der Beschäftigungssicherung erhalten bleibt.

Ich würde mich freuen – darauf ist vorhin schon Be-zug genommen worden –, wenn die Europäische Kom-mission das auch so sehen könnte. Sie sollte ihre Ankün-digung überdenken, eventuell wiederum zu klagen. Esgab leider schlechte Nachrichten. Ich habe heute in derZeitung gelesen, dass Kommissar McCreevy gegenüberdem Handelsblatt erklärte, noch vor Weihnachten diezweite Stufe des Verfahrens einleiten zu wollen.

(Zuruf des Parl. Staatssekretärs Alfred Hartenbach)

Ich halte das für ein überflüssiges Geschenk in der Vor-weihnachtszeit. Es ist im Übrigen auch ein schlechtes Si-gnal für Hunderttausende von Menschen. Dazu kommt,dass dieses Signal auch noch in denkbar ungünstigenZeiten ausgesendet wird.

Ich halte dieses Vorgehen auch für bedenklich; dennim Rahmen der Ratifikation des Lissabon-Vertrageswurde immer wieder gefordert, Europa müsse endlichbei den Menschen ankommen. Die EU-Bürger solltensich mit ihrer Union identifizieren können. Dazu gehörtdann auch, ein Stück weit Rücksicht auf die Interessender Menschen zu nehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)

Damit einher muss dann auch Zurückhaltung in Berei-chen gehen, die nicht von Brüssel, sondern von den Mit-gliedstaaten geregelt werden sollen.

Man kann zwar unterschiedlicher Auffassung sein,aber die Kommission hat noch nicht so richtig nachvoll-ziehbar begründet, warum sie immer wieder Klage ein-reichen will. Sie behauptet immer pauschal, es liege einVerstoß gegen die Freiheit des Kapitalverkehrs vor.Wenn sie das auf die gesetzlich verankerte Sperrminori-tät bezieht, muss man sich einmal die Frage stellen, obman nicht irgendwann auch gegen die Ausgabe vonstimmrechtslosen Aktien gerichtlich vorgehen sollte. In-haber dieser Aktien haben ja auch keinen Einfluss aufEntscheidungen eines Unternehmens. Es stellt sich alsodie Frage: Wo beginnt der freie Kapitalverkehr, und wohört er auf?

Der EuGH wird sich im Streitfall mit den sorgfältigenÜberlegungen der Bundesregierung auseinandersetzenmüssen, die in den heute vorliegenden Entwurf einge-flossen sind. Ich denke, wir haben das gerügte Zusam-menspiel aus Höchststimmrecht und Mehrheitserforder-nissen beendet. Wir haben auch bei den Regelungen zurEntsendung in den Aufsichtsrat den Forderungen des

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Michael Grosse-Brömer

EuGH Folge geleistet. Die Sperrminorität von 20 Pro-zent bleibt aber bestehen. Ich denke, dass sie auch untereuroparechtlichen Gesichtspunkten zulässig sein dürfte.

Schließlich – auf diese Aussage lege ich gesteigertenWert – ist die Ausgestaltung des Gesellschaftsrechtskeine europarechtliche Materie. Schauen Sie sich dendritten Teil des EG-Vertrages, also „Die Politiken derGemeinschaft“, an. Dort sucht man vergebens nach ei-nem Kompetenztitel „Gesellschaftsrecht“. Das Urteildes EuGH wird also schon denklogisch – da haben Siewiederum völlig recht, Herr Staatssekretär – vollständigbeachtet und eins zu eins umgesetzt.

Schauen wir jetzt einmal in unser nationales Aktien-recht; darüber könnte man ja auch noch nachdenken.Dieses sieht keine feste Grenze für Sperrminoritäten vor.

(Rita Pawelski [CDU/CSU]: So ist es!)

Zwar sind 25 Prozent der gesetzliche Regelfall. Aus-nahmen sind aber möglich, nach oben wie nach unten.Porsche zum Beispiel hat in seiner Satzung eine Sperr-minorität von 33,3 Prozent festgeschrieben, VW hat die20-Prozent-Regelung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der heutigenVerabschiedung des Entwurfs, den die Bundesregierungvorgelegt hat, können wir ein klares Zeichen setzen, einZeichen erstens für die europäische Integration und ge-gen unzulässige Einmischung aus Brüssel unter Berück-sichtigung originärer Interessen der Mitgliedstaaten

(Beifall bei der CDU/CSU)

und zweitens für ein weiterhin erfolgreiches Unterneh-men Volkswagen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich gebe das Wort der Kollegin Dorothée Menzner für

die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Dorothée Menzner (DIE LINKE): Sehr geehrte Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und

Kollegen! Der Novellierungsvorschlag der Bundesregie-rung zur Anpassung des VW-Gesetzes erscheint uns et-was halbherzig. Er nimmt Änderungen auch in den Be-reichen vor, in denen sie nach unserer Auffassung durchdas Urteil des Europäischen Gerichtshofes nicht gebotensind. Das Entgegenkommen nützt aber nichts.

Die EU-Kommission in ihrer neoliberalen Verblen-dung wird das nicht überzeugen. Kommissar McCreevyhat schon jetzt angekündigt, noch vor Weihnachten wie-der gegen das Gesetz vorzugehen. Auch das nach denVorschlägen der Bundesregierung geänderte VW-Ge-setz entspreche den EU-Verträgen nicht, meint er. Nachseiner Auffassung würde auch unsere neue Fassung desGesetzes gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstoßen.

Worum geht es wirklich? Die Presseagentur Reutersschrieb gestern:

Der größte VW-Eigner Porsche dagegen will dasGesetz abgeschafft sehen. Nur wenn die Sperrmino-rität auf 25 Prozent angehoben würde, hätte derSportwagenbauer die Chance, einen Beherr-schungsvertrag durchzusetzen.

Weiter heißt es:

Der volle Durchgriff des Porsche-Managements aufVW wäre dann gesichert.

In diesem Sinne wurden wir Abgeordneten von WendelinWiedeking angeschrieben.

Der „volle Durchgriff“ bedeutet, dass der gesamteVW-Konzern dem Interesse der Eigentümer von Porscheuntergeordnet würde. Interessen der VW-Belegschaft,des Bundes oder des Landes Niedersachsen würdennicht mehr zählen.

Dabei geht es nicht nur abstrakt um Beherrschung,sondern es geht auch und vor allem um eine vertraglichauferlegte Gewinnabführung an das beherrschende Unter-nehmen. Es geht um die Umwandlung von VW-Gewin-nen in Profite der Porsche-Eigner. Mit der Ermöglichungeines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrageswürde VW seine eigenständige Bedeutung verlieren.

Die langfristige Zukunft dieses für die gesamteVolkswirtschaft bedeutenden Unternehmens würde denkurzfristigen Gewinninteressen einiger Kapitaleigneruntergeordnet. Spekulative Interessen würden dem Ge-meinwohlinteresse und den Interessen der Arbeitnehme-rinnen und Arbeitnehmer vorgehen.

Die Interessen der Eigentümer von Porsche an derFreiheit ihres Kapitals gelten Kommissar McCreevymehr; sie gelten ihm als Kapitalverkehrsfreiheit, als eineder Grundfreiheiten des EU-Binnenmarktes.

All das können wir und kann die Bundesregierung sonicht hinnehmen. Wir brauchen eine eindeutige Klarstel-lung im EU-Vertragsrecht, im Primärrecht. Dazu habenwir Vorschläge gemacht, die ich aus Zeitgründen hiernicht genau ausführen kann.

Das Ratifizierungsverfahren zum Vertrag von Lissa-bon muss ausgesetzt werden. Es muss eine soziale Fort-schrittsklausel in das Primärrecht aufgenommen werden.

In diesem Sinne stellen wir fest, dass der Vorschlagder Bundesregierung auch unter den Bedingungen desEuGH-Urteils nicht optimal ist. Unser Vorschlag, denwir vorgelegt haben, wäre besser. Dennoch werden wirdem Vorschlag der Bundesregierung zustimmen, weil erimmer noch besser ist, als wenn nichts passieren würde.

Mit der Novellierung des VW-Gesetzes aber sind dieProbleme keineswegs bewältigt. Wir brauchen Regelun-gen für die Wirtschaft insgesamt, nicht nur für ein Groß-unternehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir müssen das Europarecht so verändern, dass esnicht weiter als Brechstange gegen den Sozialstaat ein-

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gesetzt werden kann. Meiner Ansicht nach sollte sichniemand folgender Einsicht – damit möchte ich meineRede beenden – verschließen: Europa wird sozial sein,oder es wird nicht sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Die Kollegin Thea Dückert, Fraktion Bündnis 90/Die

Grünen, hat ihre Rede zu Protokoll gegeben1).Jetzt gebe ich Herrn Kollegen Garrelt Duin, SPD-

Fraktion, das Wort.

Garrelt Duin (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Man kann Frau Dückert nicht den Vorwurf machen, dasssie sich in der Vergangenheit nicht sehr intensiv mit die-sem Thema auseinandergesetzt hätte. Sie hat auch hierim Plenum immer wieder zu diesem Thema gesprochen.

Anders liegt der Fall bei den Kolleginnen und Kolle-gen von der FDP – das finde ich sehr bedauerlich –, dienicht zum ersten Mal hier die direkte Auseinanderset-zung scheuen. Ich gehe nicht davon aus, dass sie nachherbei der Abstimmung der Weisheit der Linkspartei folgen,die ja den Gesetzentwurf der Bundesregierung unter-stützt. Darüber freue ich mich ausdrücklich. Es ist näm-lich notwendig, dass wir dieses VW-Gesetz mit großerMehrheit beschließen,

(Beifall des Abg. Joachim Stünker [SPD])

damit auch in Brüssel registriert wird, dass wir uns hiertrotz unterschiedlicher Auffassungen in manchen Fragennicht auseinanderdividieren lassen. Im Interesse diesesUnternehmens und seiner Beschäftigten wollen wir die-ses Gesetz gemeinsam auf den Weg bringen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Um diese Zeit – jetzt ist es ungefähr 21.10 Uhr – läuftbei VW noch die Spätschicht. Was denkt ein Beschäftig-ter bei VW in diesem Moment? Denkt dieser Beschäf-tigte: „Die Politik kümmert sich sowieso nicht um mich;denen ist doch sowieso egal, was mit uns passiert; diekönnen auch nichts tun“? Denkt er, dass wir der Auffas-sung sind, der Markt werde es schon richten? Was erzurzeit erlebt, könnte derartige Gedanken durchaus be-fördern: die gigantische Finanzmarktkrise, die Meldun-gen über eine drohende Konjunkturkrise mit besonderenAuswirkungen auf die Autobranche, Aktienkurse des ei-genen Unternehmens, die in den vergangenen Wochenvöllig verrückt gespielt haben – wie wir jetzt wissen, ausnachvollziehbaren Gründen –, eine Auseinandersetzungim Aufsichtsrat, angesichts derer der Beschäftigte nurmit dem Kopf schütteln kann, weil dort offensichtlichganz persönliche Dinge eine größere Rolle spielen alsdas Interesse des gesamten Unternehmens.

Mit der Verabschiedung des VW-Gesetzes haben wirdie Chance, ein Stück – allein wird es nicht ausreichen –Vertrauen in die Politik und in staatliches Handeln zu-

1) Anlage 11

rückzugewinnen. Dieses Vertrauen ist erschüttert. Euro-päische Entscheidungen haben dazu ihren Teil beigetra-gen. Aber wir haben die Chance, dieses Vertrauen neu zuschaffen. Wir können unter Beweis stellen: Politik küm-mert sich, nimmt die Sorgen ernst und lässt sich auchdurch wirtschaftliche Einzelinteressen – auch wenn sie24 Stunden vor der Abstimmung noch einmal schriftlichartikuliert werden – nicht beeindrucken. Politik lässt sichaber auch nicht durch die Drohung der EU-Kommissionbeeinflussen, dass ein neues Verfahren angestrengt wer-den soll. Wir halten den Kurs – gemeinsam mit der Bun-desregierung und mit Zustimmung anderer.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Wir machen das VW-Gesetz EU-rechtskonform. Wirmachen dies im Bewusstsein der Geschichte dieses Un-ternehmens und im Bewusstsein, dass das UnternehmenVW das geworden ist, was es heute ist – nicht trotz die-ses Gesetzes, sondern gerade wegen dieses Gesetzes.

Der freie Kapitalverkehr wird auch in Zukunft nichtgefährdet. Aber mit diesem Gesetz – das ist uns Sozial-demokraten natürlich besonders wichtig – wird auch dieMitbestimmung in dem Unternehmen Volkswagen zu-künftig nicht gefährdet. Das sage ich an die Adresse der-jenigen, die versuchen, an dieser Stelle herumzuoperie-ren.

Wir haben nicht nur den Brief von Porsche bekommen,wir haben heute auch einen Brief von Bernd Osterloh be-kommen. Darin schreibt er: Sehr geehrte Damen undHerren Abgeordnete! Die Beschäftigten von Volkswa-gen sind in großer Sorge um ihre Mitbestimmungsrechteund in der Folge um die langfristige Sicherheit ihrer Ar-beitsplätze. Denn wer nichts Böses im Schilde führt, dermuss sich vor Mitbestimmung und einem VW-Gesetznicht fürchten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich finde, man kann diese Worte von Herrn Osterloh nurunterstreichen: Wer nichts Böses im Schilde führt,braucht dieses Gesetz nicht zu fürchten.

Wir sagen dies mit großem Nachdruck an die Adressealler Anteilseigner, und wir sagen dies auch in Richtungder EU-Kommission: Dieses VW-Gesetz ist EU-rechts-konform. Das ist unsere feste Überzeugung. Wir sind si-cher, dass wir gegebenenfalls einen Rechtsstreit darübergewinnen werden.

Ich bin stolz darauf, dass es uns heute nach vielenJahren der Auseinandersetzung gelingt, ein solches Ge-setz zu beschließen. Ich hoffe auf eine große Zustim-mung des Hauses, damit dem Beschäftigten, von demich vorhin gesprochen habe und der jetzt noch in derSpätschicht ist, klar wird: Der Deutsche Bundestag ist anseiner Seite und weiß seine Interessen zu schützen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich schließe die Aussprache.

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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner

Wir kommen zur Abstimmung über den von derBundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzeszur Änderung des Gesetzes über die Überführung derAnteilsrechte an der Volkswagenwerk Gesellschaft mitbeschränkter Haftung in private Hand. Zu dieser Ab-stimmung liegen mir einige Erklärungen nach § 31 un-serer Geschäftsordnung vor.1)

Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei-ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10896, denGesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache16/10389 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurfist damit in zweiter Beratung bei einigen Gegenstimmenin der CDU/CSU und Gegenstimmen der FDP mit denrestlichen Stimmen des Hauses angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-wurf ist damit in dritter Beratung bei Gegenstimmen derFDP und zwei Gegenstimmen aus der CDU/CSU mitden restlichen Stimmen des Hauses angenommen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Abstimmung über den Gesetzentwurf der FraktionDie Linke zur Änderung des VW-Gesetzes. Der Rechts-ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 16/10896, den Gesetzent-wurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/8449abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurfzustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim-men? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit inzweiter Beratung bei Gegenstimmen der Fraktion DieLinke mit den restlichen Stimmen des Hauses abgelehnt.Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die wei-tere Beratung.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales(11. Ausschuss) zu dem Antrag der AbgeordnetenKatja Kipping, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKE

Verdeckte Armut bekämpfen – Rechte wahr-nehmen, unabhängige Sozialberatung auswei-ten und Selbsthilfeinitiativen unterstützen

– Drucksachen 16/3908, 16/4826 –

Berichterstattung:Abgeordneter Markus Kurth

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die-sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. – Ichsehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich umdie Reden folgender Kollegen und folgender Kollegin:

1) Anlage 6

Peter Weiß, CDU/CSU, Rolf Stöckel, SPD, Heinz-PeterHaustein, FDP, Katja Kipping, Die Linke, MarkusKurth, Bündnis 90/Die Grünen.2)

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss fürArbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussemp-fehlung auf Drucksache 16/4826, den Antrag der Frak-tion Die Linke auf Drucksache 16/3908 abzulehnen. Werstimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmtdagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlungist mit den Stimmen der Fraktionen von SPD,Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP bei Ge-genstimmen der Fraktion Die Linke angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a und 27 b auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-setzes zur arbeitsmarktadäquaten Steue-rung der Zuwanderung Hochqualifizierterund zur Änderung weiterer aufenthalts-rechtlicher Regelungen (Arbeitsmigrations-steuerungsgesetz)

– Drucksachen 16/10288, 16/10722 –

– Zweite und dritte Beratung des von den Abge-ordneten Hartfrid Wolff (Rems-Murr), GiselaPiltz, Dr. Max Stadler, weiteren Abgeordnetenund der Fraktion der FDP eingebrachten Ent-wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ge-setzes zur Steuerung und Begrenzung derZuwanderung und zur Regelung des Aufent-halts und der Integration von Unionsbür-gern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz)

– Drucksache 16/9091 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Innen-ausschusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 16/10914 –

Berichterstattung:Abgeordnete Reinhard Grindel Rüdiger Veit Dr. Michael Bürsch Hartfrid Wolff (Rems-Murr)Sevim DağdelenJosef Philip Winkler

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zudem Antrag der Abgeordneten Hartfrid Wolff(Rems-Murr), Dr. Heinrich L. Kolb, PatrickMeinhardt, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der FDP

Zuwanderung durch ein Punktesystem steu-ern – Fachkräftemangel wirksam bekämpfen

– Drucksachen 16/8492, 16/10914 –

Berichterstattung:Abgeordnete Reinhard Grindel Rüdiger Veit

2) Anlage 12

Page 156: Deutscher Bundestagdipbt.bundestag.de/dip21/btp/16/16187.pdf · Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitz ung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 V b) Beschlussempfehlung

20102 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) (C)

(B) (D)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner

Dr. Michael Bürsch Hartfrid Wolff (Rems-Murr)Sevim DağdelenJosef Philip Winkler

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die-sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. – Ichsehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich umdie Reden folgender Kollegen und folgender Kollegin:Stephan Mayer, CDU/CSU, Rüdiger Veit, SPD, HartfridWolff, FDP, Sevim Dağdelen, Die Linke, Josef PhilipWinkler, Bündnis 90/Die Grünen.1)

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurf eines Arbeitsmigra-tionssteuerungsgesetzes. Der Innenausschuss empfiehltunter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-che 16/10914, den Gesetzentwurf der Bundesregierungauf den Drucksachen 16/10288 und 16/10722 in derAusschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, diedem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmenwollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be-ratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstim-men der Fraktion der FDP und Enthaltung der FraktionBündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke an-genommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-wurf ist damit in dritter Beratung mit demselben Stim-menergebnis wie in zweiter Beratung angenommen.

Abstimmung über den von der Fraktion der FDP ein-gebrachten Entwurf eines Zuwanderungsgesetzes. DerInnenausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 16/10914, den Gesetzent-wurf der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/9091 ab-zulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurfzustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim-men? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit inzweiter Beratung bei Gegenstimmen der FDP abgelehnt.Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die wei-tere Beratung.

Tagesordnungspunkt 27 b. Wir setzen die Abstim-mung zu der Beschlussempfehlung des Innenausschus-ses fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Be-schlussempfehlung auf Drucksache 16/10914 dieAblehnung des Antrages der Fraktion der FDP aufDrucksache 16/8492 mit dem Titel „Zuwanderung durchPunktesystem steuern – Fachkräftemangel wirksam be-kämpfen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-empfehlung ist mit den Stimmen der Fraktion Die Linke,der SPD und der CDU/CSU bei Gegenstimmen der FDPund Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen ange-nommen.

1) Anlage 13

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten BrittaHaßelmann, Cornelia Behm, Kerstin Andreae,weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Sicherung der interkommunalen Zusammen-arbeit

– Drucksache 16/9443 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die-sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. – Ichsehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich umfolgende Kolleginnen und Kollegen: Dr. Georg Nüßlein,CDU/CSU, Reinhard Schultz, SPD, Paul K. Friedhoff,FDP, Ulla Lötzer, Fraktion Die Linke, und BrittaHaßelmann, Bündnis 90/Die Grünen.2)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 16/9443 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungso beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 b auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Modernisierung und Entbürokratisierungdes Steuerverfahrens (Steuerbürokratieabbau-gesetz)

– Drucksachen 16/10188, 16/10579 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-schusses (7. Ausschuss)

– Drucksachen 16/10910, 16/10940 –

Berichterstattung:Abgeordnete Antje Tillmann Gabriele Frechen

– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)gemäß § 96 der Geschäftsordnung

– Drucksache 16/10916 –

Berichterstattung:Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme Carsten Schneider (Erfurt)Otto Fricke Dr. Gesine Lötzsch Alexander Bonde

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die-sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. – Ichsehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich umfolgende Kolleginnen und Kollegen: Manfred Kolbe,CDU/CSU, Gabriele Frechen, SPD, Dr. Volker Wissing,

2) Anlage 14

Page 157: Deutscher Bundestagdipbt.bundestag.de/dip21/btp/16/16187.pdf · Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitz ung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 V b) Beschlussempfehlung

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20103

(A) (C)

(B) (D)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner

FDP, Dr. Barbara Höll, Fraktion Die Linke, undChristine Scheel, Bündnis 90/Die Grünen.1)

Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-empfehlung, den Gesetzentwurf der Bundesregierung inder Ausschussfassung anzunehmen, Drucksachen 16/10188,16/10579, 16/10910 und 16/10940. Ich bitte diejenigen,die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-men wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? –Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiterBeratung mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltungder Opposition angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurfist damit in dritter Beratung mit den Stimmen der Koali-tion bei Enthaltung der Opposition angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten MartinZeil, Rainer Brüderle, Ulrike Flach, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion der FDP

Mittelstandsförderung sichern – ERP-Vermö-gen aus der KfW Bankengruppe herauslösen

– Drucksache 16/8928 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)Finanzausschuss Haushaltsausschuss

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden dieReden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um fol-gende Kolleginnen und Kollegen: Dr. Hans Michelbach,CDU/CSU, Garrelt Duin, SPD, Frank Schäffler, FDP,Dr. Herbert Schui, Die Linke, Hans-Josef Fell,Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Niemand kann bestreiten, dass die KfW einige nicht

akzeptable Managerfehler zu verkraften hat und ein star-ker Gewinneinbruch zu erwarten ist. Ich kann Ihnen ver-sichern, dass ich über die Geschäftsvorgänge der KfWaus Sorge um das ERP-Sondervermögen nicht glücklichbin. Ich kann Ihnen aus meiner Unternehmerpraxis je-doch auch sagen, dass man für das KrisenmanagementRuhe und Besonnenheit haben sollte. Dies sollten wir be-herzigen, wollen wir insgesamt den Instituten nicht weiterSchaden zufügen. Wir sollten eine klare Analyse treffenund zukunftsgerechte Lösungen schaffen.

Welcher Sachstand ist uns bekannt? Erstens. Am15. September 2008 hat die KfW rund 300 MillionenEuro an die bereits insolvente US-InvestmentbankLehman Brothers überwiesen. Die Summe war Bestand-teil mehrerer vereinbarter Termingeschäfte.

Zweitens. Die bislang letzte Hiobsbotschaft ereilte unsam 6. November: Die KfW-Bankengruppe hat rund288 Millionen Euro bei mehreren Banken in Island ange-

1) Anlage 15

legt. Dabei ist ein Engagement bei der Kaupthing Bank.Hier dürfte eine Rückerstattung wohl mehr als kompli-ziert werden und fraglich sein.

Mein Ziel als Vorsitzender des Unterausschusses„ERP-Wirtschaftspläne“ ist es, die Substanz und Förder-kraft des ERP-Sondervermögens in voller Höhe zu erhal-ten. Trotz allem Vorgenannten halte ich jetzt eine Rollerückwärts für den falschen Weg, das ERP-Sondervermö-gen wieder aus der KfW herauszulösen. Das würde in derFinanzmarktkrise die Probleme verschärfen. Unser Ziel,die Finanzierungsbedingungen für den Mittelstand kon-kret und gerade jetzt zu verbessern, muss Priorität haben.Denn nach wie vor haben vor allem kleine und mittelstän-dische Unternehmen, aber auch Unternehmerpersönlich-keiten, die den Schritt in die Selbstständigkeit wagen, einzu geringes Eigenkapitalpolster oder Probleme bei derFremdfinanzierung. Unser Mittelstand darf jetzt nichtdurch unbesonnenes Handeln in die Kreditklemme kom-men.

Der Innovations- und Mittelstandsförderung kommtnach wie vor große Bedeutung zu. Dazu werden Finanzie-rungen dringlich benötigt. Wenn ich mit Unternehmerin-nen und Unternehmern gerade auch über Gründungenvon Unternehmen spreche, dann sagen sie mir: Das zen-trale Problem ist die Finanzierung.

Der Unterausschuss „ERP-Wirtschaftspläne“ hat sichin der letzten Zeit natürlich gerade aufgrund der Ge-schäftsvorgänge in der KfW und der allgemeinen Finanz-krise ausführlich mit der Frage befasst, welche Auswir-kungen die Vorgänge auf den Substanzerhalt des ERP-Sondervermögens und die Förderfähigkeit haben werden.In der letzten Sitzung des Unterausschusses „ERP-Wirt-schaftspläne“ am 14. Oktober 2008 haben alle Vertreter,sowohl die der KfW, die des BMF als auch die des BMWi,betont, dass das ERP-Vermögen in seiner Substanz und inseiner Förderfähigkeit voll erhalten bleibt und die verein-barte faire Lastenverteilung eingehalten wird. Das BMWihat in der Sitzung ausgeführt, dass der Bund aus seinenSondergewinnrücklagen zeitnah in 2008 einen temporä-ren Ausgleich in Höhe von 300 Millionen Euro zugunstendes Sonderrücklagenkontos des ERP-Sondervermögenszur Verfügung stellt. Der Betrag dient als Abschlagszah-lung und soll ein erstes Signal sein, dass man zu den Ver-einbarungen steht.

Sobald das ERP-Sondervermögen in einem Bilanzjahrwieder Erträge erzielt, die den vereinbarten Benchmarkzuzüglich Inflationsausgleich gewährleistet, wird manden den Benchmark übersteigenden Ertrag aus dem fürdas ERP-Sondervermögen geführten Sondergewinnrück-lagenkonto auf das für den Bund geführte Sonderrückla-genkonto zurückbuchen. Die Rückbuchungen erfolgen solange, bis eine vollständige Kompensation des vom Bundgeleisteten Umbuchungsbetrages erreicht ist. Dabei han-delt es sich um eine Vorsorgemaßnahme, damit man dieERP-Förderung ungeschmälert fortführen kann.

Die Höhe des wahrscheinlichen Verlusts für die KfWist eine Frage, die sich in Zukunft stellen wird. Entschei-dend ist, dass man für die Gegenwart ein klares Signal ge-schaffen hat, nämlich belastbare Verhältnisse. Das BMFhat seine Zusage, die Förderfähigkeit des ERP-Sonder-

Page 158: Deutscher Bundestagdipbt.bundestag.de/dip21/btp/16/16187.pdf · Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitz ung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 V b) Beschlussempfehlung

20104 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) (C)

(B) (D)

Dr. h. c. Hans Michelbach

vermögens sicherzustellen, eingehalten. Das findet auchAusdruck im Wirtschaftsplan, der dem Ausschuss zur Be-ratung vorliegt.

Man kann sicher erwarten, dass die Geschäftsbilanzder KfW in diesem Jahr und unter Umständen auch imnächsten Jahr negativ ausfallen wird. Aber die300 Millionen Euro des BMF sind geeignet, die Förder-fähigkeit sicherzustellen. In der Frage der Verzinsung ha-ben sich BMWi und BMF allerdings noch nicht verstän-digt. Diese Vereinbarung muss jetzt dringlich erfolgen.Für weitere Verzögerungen gibt es kein Verständnis. Esbraucht Vertrauen. Die KfW stellt 460 Millionen Euro un-abhängig vom Jahresergebnis bereit. Das stärkt das Ver-trauen, dass man die Festlegungen für die Erhaltung desERP-Sondervermögens einhalten wird.

Der Bundesrechnungshof überprüft die jeweilige Ent-wicklung und wird den Sachverhalt im Auge behalten.Der Bundesrechnungshof ist vom Unterausschuss „ERP-Wirtschaftspläne“ mit der Erstellung eines Gutachtensbeauftragt worden. Gegenstand des Berichts des Bundes-rechnungshofs sollen mögliche Risiken für die ERP-Wirt-schaftsförderung und den Substanzerhalt des ERP-Son-dervermögens sein.

Ich kann Ihnen heute versichern, dass ich mich weiterdafür einsetzen werde, dass dem Mittelstand weiterhin soviel Förderung wie möglich zugute kommt. Denn einesweiß ich als Unternehmer nur zu gut: Die Gründung undder Erhalt eines Unternehmens und damit die Schaffungvon Arbeitsplätzen stehen und fallen mit der Finanzie-rung.

Garrelt Duin (SPD): Angefangen vom Wiederaufbau über die Unterstüt-

zung exportintensiver Industrien und Investitionen sowieden Umweltschutz bis hin zu Beteiligungskapital für tech-nische Innovationen – die Geschichte der ERP-Förde-rung liest sich wie die Erfolgsgeschichte des Wirtschafts-standortes Deutschland. Anhand dieser Entwicklungwird ganz klar, welche Bedeutung das ERP-Vermögen fürzahlreiche Wirtschaftsunternehmen, aber auch für diewirtschaftliche Position Deutschlands weltweit hat.

Wir haben das ERP-Sondervermögen im vergangenenJahr in die Obhut der KfW-Bankengruppe übertragen.Mit der KfW wurde ein im Bereich Mittelstandsförderungkompetenter Partner mit ins Boot genommen. Durchdiese Zusammenarbeit haben wir Effizienzsteigerung undBürokratieabbau erreicht. Es war trotz der jetzigen Pro-bleme eine richtige Entscheidung. Man darf Manage-mentfehler – die ich an dieser Stelle sicherlich nichtschönreden will – nicht mit grundsätzlicher Inkompetenzseitens der KfW gleichsetzen. Die Herausnahme desERP-Vermögens aus der KfW, wie sie im FDP-Antrag ge-fordert wird, wäre die endgültige Bankrotterklärung fürdie KfW. Das kann und darf nicht unser Ziel sein.

Die Auswirkungen des Verkaufs der IKB-Bank an denUS-Finanzinvestor Lone Star und der Vorgänge um dieinsolvente Investmentbank Lehman Brothers führen dazu,dass die KfW im Geschäftsjahr 2008 einen Verlust aus-weisen wird. Dies hat auch Auswirkungen auf das ERP-

Vermögen. Um das ERP-Vermögen effektiv für die Wirt-schaft zu nutzen, werden für das Fördergeschäft 300 Mil-lionen Euro, für den Substanzerhalt 290 Millionen plusInflationsausgleich benötigt. 459 Millionen Euro der590 Millionen Euro sind dabei völlig unabhängig von derBilanzierung und der Gewinnentwicklung der KfW. Dierestlichen 130 Millionen können mangels Gewinn derKfW nicht bereitgestellt werden.

Das Bundesfinanzministerium hat vor, eine Umbu-chung in Höhe von 300 Millionen Euro zugunsten desERP-Vermögens vorzunehmen, um dessen Fördervolu-men „ungeschmälert“ sicherzustellen. Dabei handelt essich um ein Darlehen, das zurückgebucht werden soll, so-bald das ERP-Vermögen wieder Erträge erzielt.

Aus Sicht der KfW wäre diese Situation auch eingetre-ten, wenn es im vergangenen Jahr die Neuordnung desERP-Vermögens nicht gegeben hätte. Der KfW-Sprechersagte, er gehe davon aus, dass die Gesamtförderfähigkeitauf dem Durchschnitt der vergangenen drei Jahre beibe-halten werden könne.

Der Bundesrechnungshof teilte mit, dass die Förderfä-higkeit des ERP-Vermögens mit fester Verzinsung sicher-gestellt sei, in der Frage des Substanzerhalts jedoch130 Millionen Euro fehlten. Dass nun 300 Millionen Eurobereitgestellt würden, stelle noch keine „Substanzstär-kung“ dar, sondern sei lediglich ein Liquiditätszufluss.Die Alternative zu dem Darlehen sei eine „tatsächlicheKapitalübertragung“ zum Ausgleich von Substanzverlus-ten. Wir müssen an dieser Stelle überlegen, ob es nicht einsinnvollerer Weg wäre, das Kapital an das ERP-Sonder-vermögen zu übertragen und es dort auch zu belassen.

Der Vorstandsvorsitzende der KfW Bankengruppe Dr.Ulrich Schröder erklärte:

Die KfW hat trotz der weiter verschlechterten Lagean den Kapitalmärkten und der verstärkten kon-junkturellen Abschwächung ihre Förderaktivitätenauf hohem Niveau weitergeführt. Wir werden auchweiterhin als wichtiger Finanzierungspartner be-reitstehen und gerade im Rahmen der Finanzkriseunseren Aufgaben als größte deutsche Förderbanknachkommen. So wollen wir mithelfen, möglichennegativen Auswirkungen zum Beispiel bei der Kre-ditvergabe entgegenzuwirken.

Und genau das ist es, was wir in der Zeit unsicherer Fi-nanzmärkte brauchen: eine verlässliche Zusammenarbeitund eine breite Förderung. Denn unser vorrangiges Zielist und bleibt es, die Investitionsfähigkeit mittelständi-scher Unternehmen langfristig zu sichern und die Grün-dung neuer Unternehmen zu unterstützen. Das Fördervo-lumen und die Förderintensität des ERP bleiben dabeibestehen. Das in der KfW angelegte Sondervermögenbleibt ausdrücklich weiterhin der Wirtschaftsförderungerhalten. Wir wollen mit der Wirtschaftsförderung weiter-hin zukunftsorientierte Akzente setzen. Unsere Politiksetzt eindeutige Zeichen für nachhaltige Belebung undStützung der wirtschaftlichen Dynamik im Mittelstand.

Die ERP-Förderung von Existenzgründern sowie klei-nen und mittleren Unternehmen stärkt den StandortDeutschland und damit die Position im Rahmen des eu-

Zu Protokoll gegebene Reden

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20105

(A) (C)

(B) (D)

Garrelt Duin

ropäischen und des globalen Standortwettbewerbs. Nichtzuletzt stellt sie einen wichtigen Beitrag zur Lösung derBeschäftigungsprobleme dar. Denn neue Betriebe und dieAusweitung mittelständischer Unternehmen wirken sichpositiv und nachhaltig auf den Arbeitsmarkt aus. Die Fi-nanzierung von betrieblichen Umweltprojekten undneuen Energiequellen leistet einen wichtigen Beitrag fürunsere ökologischen Zielsetzungen. Gerade in struktur-schwachen Regionen ist das ERP ein wichtiges Förder-mittel, besonders für die kleinen und mittelständischenUnternehmen.

Diese Ziele haben wir mit dem vereinbarten Konjunk-turpaket nachdrücklich unterstrichen. Hier haben wir dieMittel für die KfW ausgeweitet. Um die Kreditversorgungder Wirtschaft und insbesondere des Mittelstands auchbei Engpässen im Bankenbereich zu sichern, wird bei derKfW zeitlich befristet bis Ende 2009 ein zusätzliches Fi-nanzierungsinstrument mit einem Volumen von bis zu15 Milliarden Euro geschaffen, mit dem das Kreditange-bot der privaten Bankwirtschaft verstärkt wird. In diesemZusammenhang sind auch Haftungsübernahmen durchdie KfW von bis zu 80 Prozent und eine Abdeckung desBankenrisikos der KfW vorgesehen, die durch eine ent-sprechende Bundesgarantie unterlegt werden. Die EU-Kommission wird in das Vorhaben eingebunden.

Das ist doch genau das, was wir mit unserer Politik er-reichen wollen: Wir wollen den Mittelstand stärken unddie Menschen in Deutschland am Aufschwung teilhabenlassen.

Frank Schäffler (FDP):Wenn es unseren Antrag noch nicht geben würde, dann

müsste man ihn jetzt einbringen, denn er war niemals ak-tueller und dringlicher als zum gegenwärtigen Zeitpunkt.Warum? Weil Substanz und Förderkraft des ERP-Sonder-vermögens aufgrund der negativen Geschäftsbilanz derKreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) in diesem und allerVoraussicht nach auch in den nächsten Jahren akut ge-fährdet sind.

Rekapitulieren wir noch einmal: Seit der Neuordnungdes ERP-Sondervermögens im Juli 2007 wird die Wirt-schaftsförderung nicht mehr durch Darlehen, sondernaus den Erträgen des Sondervermögens finanziert. Fürdie Mittelstandsförderung wurde eine jährliche Zielgrößevon 300 Millionen Euro angesetzt, für den Substanzerhaltjährliche (Zins-)Erträge von 290 Millionen Euro als not-wendig berechnet. Um das vorgesehene Fördervolumenzu sichern, ist der Bund jetzt allerdings gezwungen, demERP-Sondervermögen ein Darlehen in Höhe von 300 Mil-lionen Euro zu gewähren; denn es gibt 2008 eine Unter-deckung von 130 Millionen Euro. Im nächsten Jahr istÄhnliches zu erwarten. Für diesen Kredit wird das ERP-Sondervermögen Zinsen in noch unbekannter Höhe zah-len müssen, die zusätzlich an seiner Substanz zehren wer-den.

Dass die Situation brenzlig ist, spiegelt sich auch imERP-Wirtschaftsplan 2009 wider, in dem die Bundesre-gierung sich bewusst nebulös bzw. gar nicht zu den inkünftigen Jahren entstehenden Risiken und Belastungendes ERP-Sondervermögens äußert, was auch der Bundes-

rechnungshof in einer Stellungnahme ausdrücklich an-merkt und kritisiert. Der Bund war davon ausgegangen,dass die KfW die entsprechenden Beträge für das ERP-Sondervermögen erwirtschaften könne, ein Traum, deraufgrund der Finanzkrise und vor allem wegen des En-gagements der KfW bei der Krisenbank IKB wie eine Sei-fenblase geplatzt ist.

Eine Bedingung für die im Juli 2007 in Kraft getreteneNeuordnung des ERP-Sondervermögens war, dass sichseine Substanz und Förderkraft nicht verschlechtern dür-fen. Genau dies ist aber eingetreten. Das widersprichteindeutig dem ERP-Gesetz und ist nicht hinnehmbar. DieFDP-Bundestagsfraktion hat eine solche Entwicklungvon Anfang an befürchtet. Deshalb haben wir die Neuord-nung des ERP-Sondervermögens immer entschieden ab-gelehnt. Wir haben kritisiert, dass ohne ersichtlichenMehrwert mit einer 53 Jahre alten bewährten Praxis ge-brochen und die Mittelstandsgelder aus der Verfügungs-gewalt des Bundeswirtschaftsministeriums gelöst unddem KfW-Vorstand unterstellt wurden. Aus unserer Sichtbestand der wichtigste Grund dafür darin, dass das Bun-desfinanzministerium seinen Einflussbereich ausweitenund über seine „Hausbank“ KfW die Mittelstandsförde-rung stärker an sich binden wollte.

Auch erlaubte es dieser Coup dem Finanzministerium,die Herauslösung von 2 Milliarden Euro aus dem ERP-Sondervermögen und deren Einstellung in den Haushaltrelativ geräuschlos über die Bühne zu bringen. Ein bei-spielloser Vorgang, der deutlich machte, dass die Bundes-regierung keine Hemmungen hat, den bislang immer ri-gide gehüteten Bestand des ERP-Sondervermögens alsSteinbruch zu benutzen, um ihre Haushaltslöcher zu stop-fen.

Nun muss der Mittelstand die Suppe auslöffeln, die dieBundesregierung ihm ohne Not versalzen hat. Zwar wardas Bundesfinanzministerium sehr eifrig, als es darumging, dem Bundeswirtschaftsministerium die Oberhoheitüber das ERP-Sondervermögen zu entwinden, aber jetzt,wo es gilt, die entstandenen Finanzlöcher zu stopfen, hältsich das Ministerium äußerst bedeckt. Da ist bestenfallsein Kredit drin, für den wahrscheinlich auch noch saftigeZinsen anfallen. Wie das ERP-Sondervermögen dieseSchulden angesichts der eklatanten Ertragsschwäche derKfW wieder loswerden soll, das interessiert HerrnSteinbrück offenbar weit weniger. Wir erwarten vom Fi-nanzminister, dass er nicht wortbrüchig wird und eineZerschlagung des ERP-Vermögens verhindert. Dazu wirder notfalls auch Kapital an das Sondervermögen übertra-gen müssen.

Wir unterstreichen noch einmal, was wir in unseremAntrag gefordert haben: dass die Neuordnung der ERP-Wirtschaftsförderung, die sich bereits nach kurzer Zeit er-kennbar nicht bewährt hat, wieder rückgängig gemachtwird.

Dr. Herbert Schui (DIE LINKE): Das ERP-Sondervermögen erfüllt eine wichtige Funk-

tion. Es ermöglicht die Ausgabe von zinsgünstigen Kredi-ten an kleine Unternehmen. Die Bundesregierung hat imletzten Jahr dieses Sondervermögen des Bundes auf die

Zu Protokoll gegebene Reden

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20106 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) (C)

(B) (D)

Dr. Herbert Schui

KfW übertragen mit dem Argument, dass es dort beson-ders gut angelegt sei.

Die Operation war mit großen Vorteilen für den Bun-deshaushalt verbunden. Da lag die Vermutung nahe, dassden Vorteilen für den Bundeshaushalt entsprechendeNachteile für das Sondervermögen gegenüberstehenwürden. Schließlich ist nicht zu erwarten, dass sich durchdas Umsortieren von Vermögenswerten das Gesamtver-mögen steigern lässt.

Und so kam es dann auch. Die Bewertung des Forde-rungsvermögens wurde, wie der Bundesrechnungshoffeststellte, „politischen Zielsetzungen unterworfen“. DasBundesfinanzministerium hob stille Reserven in der Bi-lanz des Sondervermögens und eignete sie sich an, lautRechnungshof in Höhe von 373 Millionen Euro. Im Zugeder Auflösung von Rückstellungen übernahm der Bundtatsächliche Risiken in Höhe von 437 Millionen Euro undbekam zum Ausgleich 1 Milliarde Euro in bar aus demERP-Vermögen. Die Lasten aus der gebündelten Über-tragung von Forderungen und Verbindlichkeiten auf denBund sollten, so war vereinbart, fair geteilt werden. Tat-sächlich trägt das Sondervermögen mit 976 MillionenEuro deutlich mehr als der Bund.

Die Bundesregierung sagte dennoch verbindlich zu,dass die Substanz des Sondervermögens und seine För-derleistungen erhalten bleiben sollen. Ausgerechnet dieAnlage in der KfW sollte die notwendigen Erträge si-chern. Daraus wird nun nichts, nachdem die Bundesre-gierung der KfW erst die Verluste der IKB zugeschobenhat und sie dann dazu bewegt hat, ihre Anteile an der sa-nierten IKB an einen Finanzinvestor praktisch zu ver-schenken.

Die KfW macht bis auf Weiteres Verlust. Also fehlendem ERP-Sondervermögen jährlich 130 Millionen Euro.Das Bundesfinanzministerium möchte nun mit einem Kre-dit über 300 Millionen Euro aushelfen, den das Sonder-vermögen zurückzahlen soll, wenn die KfW-Anteile ein-mal mehr Ertrag abwerfen als erwartet. Worauf dashinausläuft, ist völlig klar: Die Verbindlichkeiten desSondervermögens gegenüber dem Bund werden wachsen,bis die Förderleistung zurückgefahren wird. Da trifft essich gut, dass dies für die nächsten Jahre ohnehin geplantist: Nach 300 Millionen Euro Förderleistung im Jahr2009 soll sie auf 228 Millionen im Jahr 2010 sinken.

Es ist genau das eingetreten, was wir befürchtet haben.Wer das ERP-Sondervermögen als Mittel der Wirtschafts-politik erhalten wollte, konnte der Übertragung auf dieKfW nicht zustimmen. Er muss nach den vorliegendenZahlen dafür sein, die Übertragung rückgängig zu ma-chen. Die Kosten für die komplizierten Finanztransaktio-nen, die dafür notwendig waren, lassen sich dadurch al-lerdings nicht wieder hereinholen.

Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Bundesfinanzministerium hat ganze Arbeit geleis-

tet. Zuerst hat es große Teile des ERP-Sondervermögensgegen den Widerstand des Parlaments in die KfW ge-drückt. Nur wenige Wochen nachdem das Geld bei derKfW auf den Konten einging, hat es dann die KfW dazu

bemüßigt, den Hauptteil der IKB-Lasten zu übernehmen.Damit hat das BMF gleich zwei Fliegen mit einer Klappegeschlagen. Vordergründig hat das BMF selbst Geld ge-spart, da ja die KfW statt des Bundes einsprang.

Vor allem aber hat das BMF mit dieser Aktion so gut esging das eigene Versagen in der IKB-Aufsicht übertüncht.Zuständig für die mangelnde Aufsicht war der damaligeBMF-Abteilungsleiter Asmussen. Zum Dank für sein Ver-sagen wurde er mittlerweile zum Staatssekretär befördert.

Doch zurück zum ERP-Sondervermögen. Dieses hattedas Pech, dass es mittlerweile den größten Teil seinesVermögens in die KfW investiert hatte. Folglich muss esauch einen großen Teil der Verluste tragen. Der Schadenfür das ERP-Sondervermögen dürfte zwischen 4 und4,5 Milliarden Euro betragen. Die Bundesregierung unddie KfW tun alles, um diesen Substanzverlust zu übertün-chen. Dass dies immer schwerer fällt, zeigen die jüngstenBerichte des Bundesrechnungshofes. Die Berichte zeigenauf, dass die Substanz des ERP-Sondervermögens infragegestellt ist und dass in den nächsten Jahren ein Rückgangder Förderung zu befürchten ist.

Die Tragik für den Mittelstand liegt darin, dass genaudann, wenn die KfW und das ERP-Sondervermögen be-sonders gebraucht werden, diese staatlichen Geldgeberausgedörrt sind. Jetzt, zu Beginn der Wirtschaftskrise,sind die wichtigsten Finanzierungsinstrumente weitge-hend lahmgelegt. Die Politik des Bundesfinanzministe-riums verursacht große Schäden im deutschen Mittel-stand, der gerade jetzt auf eine finanzkräftige KfW undein finanzkräftiges ERP-Sondervermögen angewiesenwäre.

Hätten die verantwortlichen Akteure im Bundesfinanz-ministerium Charakter, würden sie die Verantwortung fürden Schaden übernehmen, den sie zu verantworten ha-ben. Aber gerade das wollen sie nicht. Es kommt sogarnoch schlimmer: Um von den Fehlern und den Schädenabzulenken, hat das BMF zwar vor einem Dreivierteljahrzugesagt, dass die Schäden, die das ERP-Sondervermö-gen aus den IKB-Verlusten erleidet, ausgeglichen werdensollen. Selbstverständlich hat man im BMF aber keine Se-kunde daran gedacht, dieses Versprechen zu halten.

Bis heute liegt dazu noch keine Einigung in der Bun-desregierung vor. Es gibt keinen Grund für das Bundes-wirtschaftsministerium, dem BMF bei dessen Wortbruchauch noch Hilfestellung zu geben. Das BMF will doch tat-sächlich für den Verlustausgleich nur einen Kredit zurVerfügung stellen, den das ERP-Sondervermögen danachbrav verzinst zurückzahlen darf. Alle reden im Zusam-menhang mit der Finanzmarktkrise von einer Vertrauens-krise, und der Bundesfinanzminister weigert sich, seinWort zu halten, das er auch gegenüber dem Parlament ge-geben hat.

Als Folge des Wortbruchs sind wir in der absurden Si-tuation, dass die Unternehmen des Mittelstandes mit ver-schlechterten Kreditkonditionen und Kreditzugängen ei-nen Großteil der Last der IKB-Verluste tragen müssen.Dies wurde bis heute von keinem politischen Gremium sobeschlossen. Aber das sind die Fakten, auch wenn das

Zu Protokoll gegebene Reden

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20107

(A) (C)

(B) (D)

Hans-Josef Fell

Bundesfinanzministerium sehr darum bemüht ist, die Tat-sachen unter den Tisch zu kehren.

Was muss getan werden? Hier muss das Verursacher-prinzip gelten. Die verursachten Schäden sind durch dasBundesfinanzministerium zu tragen. Das heißt: Zum ei-nen muss die verloren gegangene Vermögenssubstanz inHöhe von mindestens 4 Milliarden Euro vom Bundesfi-nanzministerium an das ERP-Sondervermögen übertra-gen werden. Ein Teil dieser Mittel kann von BMF-Betei-ligungen an der KfW auf das ERP-Sondervermögenübertragen werden.

Darüber hinaus muss das BMF im Rahmen des ERP-Gesetzes gesetzlich dazu verpflichtet werden, einen Aus-gleich für die Mittel zu leisten, die jährlich weniger zurVerfügung stehen, als dies in der Benchmark, inklusiveInflationsausgleich, vorgesehen war. Nur so kann dieSubstanz und die Förderung erhalten bleiben. Die Bun-desregierung will Hunderte Milliarden für die Finanz-märkte zur Verfügung stellen. Die Stärkung des ERP-Son-dervermögens und der KfW hat sie in all der Eileübersehen. Dies muss jetzt korrigiert werden.

Das ERP-Sondervermögen wieder aus der KfW he-rauszulösen, ist zwar im Grundsatz richtig, würde aberangesichts der veränderten Verhältnisse die KfW quasipleite machen, was auch nicht im Sinne der Mittelstands-förderung sein kann. Die Herauslösung des ERP-Sonder-vermögens aus der KfW hätte eine drastische Verringe-rung des Eigenkapitals der KfW zur Folge. Wie die KfWim Falle der ERP-Herauslösung handlungsfähig gehal-ten werden kann, sagt uns der FDP-Antrag leider nicht.Für die Mittelstandsförderung brauchen wir aber sowohlein starkes ERP-Sondervermögen als auch eine hand-lungsfähige KfW. Darauf hat die FDP in ihrem Antragkeine Antwort gegeben.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 16/8928 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungso beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Verbesserung der Rahmenbedingungenfür die Absicherung flexibler Arbeitszeitrege-lungen

– Drucksachen 16/10289, 16/10693 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)

– Drucksache 16/10901 –

Berichterstattung:Abgeordneter Dr. Heinrich L. Kolb

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der FraktionDie Linke vor. Interfraktionell wird vorgeschlagen, dieReden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zugeben. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es han-

delt sich um folgende Kolleginnen und Kollegen:Wolfgang Meckelburg, CDU/CSU, Wolfgang Grotthaus,SPD, Dr. Heinrich Kolb, FDP, Dr. Barbara Höll, DieLinke, Brigitte Pothmer, Bündnis 90/Die Grünen, undden Parlamentarischen Staatssekretär Klaus Brandner.1)

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss fürArbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussemp-fehlung auf Drucksache 16/10901, den Gesetzentwurfder Bundesregierung auf den Drucksachen 16/10289und 16/10693 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ichbitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. –Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf istdamit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koali-tion bei Gegenstimmen des Bündnisses 90/Die Grünenund Enthaltung der FDP und der Fraktion Die Linke an-genommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf istdamit in dritter Beratung mit demselben Stimmenergeb-nis wie in der zweiten Beratung angenommen.

Abstimmung über den Entschließungsantrag derFraktion Die Linke auf Drucksache 16/10907. Werstimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmtdagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantragist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP beiEnthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstim-men der Fraktion Die Linke abgelehnt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales(11. Ausschuss) zu dem Antrag der AbgeordnetenKatja Kipping, Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKE

Wohnungslosigkeit vermeiden – Wohnungs-lose unterstützen – SGB II überarbeiten

– Drucksachen 16/9487, 16/10906 –

Berichterstattung:Abgeordnete Gabriele Lösekrug-Möller

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden dieReden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um fol-gende Kolleginnen und Kollegen: Maria Michalk, CDU/CSU, Gabriele Lösekrug-Möller, SPD, Heinz-PeterHaustein, FDP, Katja Kipping, Die Linke, MarkusKurth, Bündnis 90/Die Grünen.

Maria Michalk (CDU/CSU):Heute steht der Antrag der Fraktion Die Linke zur ab-

schließenden Beratung an. Seit der ersten Lesung am16. Oktober 2008 können wir keinen Erkenntnisgewinnverzeichnen, der etwa die Berechtigung dieses Antragesim Nachhinein verdeutlicht. Die Zahl der wohnungslosen

1) Anlage 16

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20108 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

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Maria Michalk

Personen hat einen rückläufigen Trend. Unter anderemhat das in einer verbesserten Beratungsleistung vor Ortseine Begründung. Damit ist eine der Forderungen ausdem Antrag gegenstandslos. Selbstverständlich ist, dassvon den handelnden Verantwortlichen in den Städten undGemeinden immer und immer wieder hinterfragt wird, obdie Beratungsleistungen quantitativ und qualitativ opti-mal organisiert sind. Dieser Prozess liegt allein im Hand-lungsspielraum dort und nicht beim Bundesgesetzgeber.

Dass diese Beraterarbeit immer besser organisiertwird, belegt die prognostizierte Zahl von wohnungslosenKindern und Jugendlichen. Die 2003 prognostizierteZahl ist nicht eingetreten. Sie hat sich dankenswerter-weise halbiert. Dazu hat ein Bündel von Maßnahmen vorallem im SGB-II-Bereich beigetragen, das ich noch ein-mal zusammenfassen möchte.

Erstens. Durch die Übernahme der Kosten für Unter-kunft und Heizung sowie Erstausstattungen für die Woh-nung einschließlich Haushaltgeräte ist sichergestellt,dass es einem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nicht anden erforderlichen Mitteln fehlen muss, damit er mit denzu seiner Bedarfsgemeinschaft gehörenden Personen ineiner angemessenen und mit den notwendigen Einrich-tungsgegenständen ausgestatteten Wohnung leben kann.

Zweitens. Wohnbeschaffungs- und Umzugskosten so-wie eine Mietkaution können bei entsprechender Zusiche-rung des Grundsicherungsträgers übernommen werden.Dabei wird die Mietkaution in der Regel in Form einesDarlehens erbracht. Dies so umzuwandeln, dass statt ei-nes Darlehens in der Regel Beihilfe gezahlt wird, wie imAntrag gefordert, ist allein aus dem Gleichheitsgrundsatzunmöglich. Denn Arbeitnehmer mit geringem Einkom-men, denen auch keine Aufstockung zusteht, wären un-proportional belastet.

Drittens. Die Unterstützung für die Unterkunft wirdgrundsätzlich in Form von Geldleistungen ausgezahlt.Um trotz dieser Regelung das Mietverhältnis durch aus-bleibende Mietzahlungen nicht zu gefährden, soll jedochder zuständige Träger die Kosten für Unterkunft und Hei-zung ausnahmsweise direkt an den Vermieter oder andereEmpfangsberechtigte zahlen. Damit ist die zweckentspre-chende Verwendung der Leistungen für Unterkunft undHeizung durch den Hilfebedürftigen gesichert, wenn er esselbst nicht gewährleisten kann. Auch das ist eine sozialeLeistung und mit Verwaltungsaufwand auf Kosten desSteuerzahlers verbunden. Ich erinnere auch an die Mög-lichkeit der Schuldenübernahme.

Soweit zum Bereich der Grundsicherung.

Verweisen will ich des Weiteren auf die Regelungenzum Wohngeld. Es leistet einen wichtigen Beitrag zur so-zialen Absicherung des angemessenen und familienge-rechten Wohnens. Zum 1. Januar 2009 tritt die Wohngeld-novelle in Kraft. Die Wohngeldtabellenwerte werden um8 Prozent und die Miethöchstpreise um 10 Prozent er-höht. Dafür werden insgesamt 520 Millionen Euro aufge-wandt. Zukünftig werden erstmals die Heizkosten in pau-schalierter Form einbezogen. Damit erreichen wir inVerbindung mit dem reformierten Kinderzuschlag einespürbare Entlastung für etwa 70 000 einkommensschwa-

che Haushalte außerhalb des Sozialgesetzbuches. Undwie immer ignorieren die Linken den Beschluss der Ko-alition, die Wohngeldnovelle rückwirkend auf den 1. Ok-tober 2008 in Kraft zu setzen, damit die Vorteile schon indieser Heizperiode genutzt werden können.

Wohnungslosigkeit ist nicht eine Frage des Angebotesvon Wohnungen, sondern oft auch Ergebnis von persön-lichen Entscheidungen von Wohnungslosen. Sie habensich aus unterschiedlichen Gründen zu diesem Leben ent-schieden. Hier gibt es viele Lebensschicksale. Auch die-sen Menschen zu helfen, damit sie Anlaufpunkte habenund Versorgung bekommen, ist eine öffentliche Aufgabe,die in Deutschland sehr ernst genommen wird. Ichmöchte diese Debatte dafür nutzen, den vielen sozialenEinrichtungen vor Ort und den ehrenamtlichen Helfernfür ihr Engagement zu danken.

Um Wohnungslosigkeit zu vermeiden, werden wir auchweiterhin die Arbeit der BundesarbeitsgemeinschaftWohnungslosenhilfe unterstützen, die dieses Jahr rund240 000 Euro erhält.

Zusammenfassend kann man feststellen, dass wir inunserem Land eine Fülle von sozialen Leistungen einge-führt haben, die genutzt werden, Menschen in schwieri-gen Situationen zu helfen. Die beste Hilfsmöglichkeit istaber in jedem Fall das Angebot bzw. die Aufnahme einerArbeit. Auch die Vielfalt der Beschäftigungsmöglichkei-ten in den Kommunen ist zu würdigen und muss weiter ge-nutzt werden.

Sein Dach über dem Kopf zu haben, ist ein Grundbe-dürfnis eines jeden Menschen, dem sich unser Staat in derVerantwortungszuständigkeit unserer föderalen Strukturausgesprochen intensiv widmet. Deshalb betrachten wirden vorliegenden Antrag als gegenstandslos. Wir werdenihn ablehnen.

Gabriele Lösekrug-Möller (SPD):Leider ist der Antrag der Linken von der ersten Lesung

bis heute nicht besser geworden. Wie auch? Er erwecktnach wie vor den Eindruck, dass das ALG II die Vorstufezur Wohnungslosigkeit ist. Derartige Ängste zu schüren,ist vollkommen fehl am Platz. Insofern wäre es durchausangemessen, die Rede vom 16. Oktober 2008 zu wieder-holen. Ich will davon absehen und die Zeit nutzen, einigesnoch einmal klar zu stellen, was in Ihrem Antrag tenden-ziös bis unzutreffend formuliert ist.

Wir sorgen dafür, dass Menschen nicht wohnungsloswerden. Deswegen heißt es im Sozialgesetzbuch, SGB II,§ 22 (1): „Leistungen für Unterkunft und Heizung werdenin der Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht,soweit diese angemessen sind. Das heißt, der Staat wirdin dieser Vorschrift seiner Fürsorgepflicht gerecht. DieKosten der Unterkunft werden vom Staat getragen, undzwar vollumfänglich in der Höhe der tatsächlich entstan-denen Kosten, sofern diese angemessen sind.

Sie verlangen Mietschuldenübernahme als Regelfallim SGB II. Für die Sicherung der Unterkunft ist eineÜbernahme von Mietschulden im Rahmen des Ermessensmöglich, ein Darlehen ebenso. Damit kann sehr wohlWohnungslosigkeit abgewendet werden.

Zu Protokoll gegebene Reden

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20109

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Gabriele Lösekrug-Möller

Sie verlangen die komplette Streichung des § 7 Abs. 4,SGB II, und – das sagte ich bereits im Oktober – damitschießen sie weit über ein möglicherweise sinnvolles Zielhinaus.

Das Versagen von Leistungen zur Grundsicherung vonArbeitssuchenden nach einem Aufenthalt in einer vollsta-tionären Einrichtung von länger als sechs Monaten istsinnvoll geregelt. Gesetzesbegründung und Kommentie-rung belegen dies. Die besondere Situation wohnungslo-ser Erwerbsfähiger in stationären Einrichtungen ist nichtder Regelfall. Deshalb ist diese jeweils zu prüfen. Sie kön-nen davon ausgehen, dass eine entsprechende Rechtspre-chung ganz sicher weder von Parlament noch Bundesre-gierung missachtet wird. Daraus jedoch eine kompletteStreichung des § 7 Abs. 4 SGB II abzuleiten, ist unange-messen.

Sie wollen einen Rechtsanspruch auf Kostenüber-nahme für alle unter 25-Jährigen, die umziehen – wir ha-ben ihn aus guten Gründen eingeschränkt. Die Zustim-mung des Leistungsträgers ist erforderlich, und sieerfolgt bei Bedarf. Diese Einzelfallentscheidungen imRahmen des Ermessens sind nötig und durch Sozialge-richte überprüfbar. Zu den Sanktionen im Rahmen derLeistungen Kosten zur Unterkunft habe ich in meinerRede am 16. Oktober 2008 ausführlich den SGB-II-Kom-mentar zu § 31 Abs. 5 SBG II zitiert. Dem ist nichts mehrhinzuzufügen. Dies gilt auch für Ihre Forderung, von Ge-walt betroffene Frauen präventiv vor Wohnungsverlust zuschützen. Vielleicht haben Sie die Zwischenzeit genutztund dazu den Aktionsplan II der Bundesregierung zur Be-kämpfung von Gewalt gegen Frauen gelesen und sichüber das breite Spektrum an Maßnahmen informierenkönnen.

Nun zum Wohngeld: Das Wohngeld leistet einen wich-tigen Beitrag zur sozialen Absicherung des angemesse-nen und familiengerechten Wohnens. Die Wohngeld-Tabellenwerte werden um 8 Prozent und die Miethöchst-beträge um 10 Prozent erhöht. Nicht nur das: Erstmalswerden die Heizkosten in pauschalierter Form einbezo-gen. Mit dem Wohngeld wird in Verbindung mit dem re-formierten Kinderzuschlag eine spürbare Entlastung füretwa 70 000 einkommensschwache Haushalte außerhalbdes Sozialgesetzbuches erreicht.

Zurück zum Anfang Ihres Antrages. Die rückläufigenZahlen der Wohnungslosigkeit belegen, dass die ver-stärkte Präventionsarbeit der Kommunen zur Verhinde-rung von Wohnungsverlust sowie die Integrationsarbeitder Wohnungslosenhilfe ihre Wirkung zeigen. Um Woh-nungslosigkeit zu vermeiden – auch drauf habe ich be-reits hingewiesen – werden wir auch weiterhin die Arbeitder Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe un-terstützen.

Fassen wir zusammen: Die Linke schreibt also ganzrichtig, dass die Zahl der Wohnungslosen in den letztenJahren erfreulicherweise zurückgegangen ist. Diesewirklich erfreulichen Nachrichten versuchen Sie umzu-münzen, um bei Arbeitsuchenden Ängste vor Wohnungs-verlust zu schüren. Was Sie den Menschen suggerieren istdoch: Erst verlierst du die Arbeit, dann nimmt der Staat

dir die Wohnung, und dann kämpft nur noch die Linke fürdeine Rechte. – Armes Deutschland – wenn das so wäre.

Ich halte davon ebenso wenig wie von rosa Brillen.Man muss auf das, was ist, schauen, das Gute erkennenbzw. anerkennen, Schwächen oder Fehler erkennen undbesser werden. Das ist mühsamer, das ist schwieriger,aber ehrlicher und am Ende die bessere Politik.

Heinz-Peter Haustein (FDP):Niemand möchte, dass Menschen wohnungslos wer-

den. Wir müssen alles dafür tun, dass den Betroffenen dienotwendige Unterstützung zuteil wird. Deswegen heißt esauch in § 22 Abs. 1 Sozialgesetzbuch III:

Leistungen für Unterkunft und Heizung werden inder Höhe der tatsächlichen Aufwendungen er-bracht, soweit diese angemessen sind.

Das gilt es zu allererst festzustellen, wenn wir hierüber das Problem der Wohnungslosigkeit reden. Dasheißt, dass es Wohnungslosigkeit, wie die Fraktion DieLinke sie mit dem vorliegenden Antrag thematisiert, ei-gentlich gar nicht geben dürfte. Denn der Staat trägt jaüber diese Vorschrift bereits heute die Kosten der Unter-kunft, und zwar nicht in begrenzter Höhe in Form be-stimmter Sätze, sondern vollumfänglich in der Höhe dertatsächlich entstandenen Kosten, sofern diese angemes-sen sind. Der Staat wird in dieser Vorschrift des SGB IIseiner Fürsorgepflicht gerecht. Dass damit auch Pflich-ten des Leistungsempfängers verbunden sind, mussselbstverständlich sein.

Die Linke fordert in ihrem Antrag eine Reihe von Maß-nahmen, auf die ich gerne im Einzelnen eingehen möchte:

Erstens. Zunächst soll im SGB II die Möglichkeit ge-schaffen werden, dass der Staat bestehende Mietschuldeneines Leistungsbeziehers übernimmt. Dies soll künftig alsBeihilfe geschehen. Der Antrag argumentiert, Mietschul-den seien der dominierende Grund für den Wohnungsver-lust. Die Vermeidung von Wohnungslosigkeit sei nicht nursozialer und effektiver, sondern auch günstiger als die Re-integration von Wohnungslosen. Es ist richtig, dass Miet-schulden die Hauptursache für den Verlust der Wohnungund für Wohnungslosigkeit sind. Ebenso richtig ist, dasses ökonomisch sinnvoll ist, Wohnungslosigkeit von Anbe-ginn zu vermeiden, anstatt die Folgen zu bekämpfen. Na-türlich ist Prävention günstiger als Heilung.

Richtig ist aber auch, dass Mietschulden bereits nachheutiger Rechtslage keine Auslöser für Wohnungslosig-keit sein müssen. Laut § 23 Abs. 5 Satz 3 sollen Miet-schulden sogar explizit vom Leistungsträger übernom-men werden, um drohende Wohnungslosigkeit zuvermeiden. Dass dies als Darlehen geschieht, schmälertnicht die Wirksamkeit dieses Instruments zur Vermeidungdes Wohnungsverlustes.

Zweitens. Der Antrag greift die Regelung des § 7Abs. 4 SGB II auf, nach der Personen von der Leistungausgeschlossen sind, die sich länger als sechs Monate ineinem stationären Aufenthalt befinden. Die Regelung sollgestrichen werden. Tatsächlich sind für den Leistungs-ausschluss des § 7 die Art der Einrichtung und der Um-

Zu Protokoll gegebene Reden

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20110 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

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Heinz-Peter Haustein

fang der Unterbringung entscheidend. Das Bundessozial-gericht hat in seiner Entscheidung vom 6. September2007, auf die sich die Antragsteller hier beziehen, neueKriterien für die Prüfung aufgestellt, ob es sich im Ein-zelfall um eine stationäre Einrichtung handelt. Eine sta-tionäre Einrichtung im Sinne des SGB II liegt nach Hin-weisen der Bundesagentur für Arbeit vor, wenn diese sostrukturiert und gestaltet ist, dass es dem dort Unterge-brachten nicht möglich ist, aus der Einrichtung herausmindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. DerUntergebrachte, so die Argumentation, ist dann derartzeitlich und räumlich fremdbestimmt, dass er der Integra-tion in den Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung steht, wie esdas SGB II verlangt.

Drittens. Ferner thematisiert der Antrag die Woh-nungslosigkeit junger Menschen, die droht, wenn unter25-jährige Leistungsbezieher von zu Hause ausziehen. Indiesem Fall ist laut § 22 Abs. 2 a SGB II zuvor eine Ge-nehmigung des Trägers einzuholen, sofern weiterhinLeistungen bezogen werden wollen. Dass die Linke hierabermals erklärt, die Einholung der Genehmigung seiden betroffenen jungen Menschen nicht zuzumuten und essei abzulehnen, dass erwachsene Menschen nicht ausfreien Stücken einen eigenen Hausstand gründen dürfen,ist nichts Neues. Diese Haltung ist jedoch gleichermaßenbekannt und falsch. Denn worüber reden wir hier?

Diejenigen unter 25-Jährigen, die eine eigene Woh-nung brauchen und die Entsprechendes rechtzeitig bean-tragen, werden selbstverständlich Unterstützung erfah-ren. Dass sie dies zuvor beantragen müssen, ist eineSelbstverständlichkeit. Vom dem Minimum an Eigenver-antwortung dürfen wir die Menschen nicht entbinden.Sich als unter 25-Jähriger ohne Einkommen vor dem Ab-schluss eines Mietvertrages zu fragen, wer die Kosten fürdie neue Wohnung trägt, ist eine Selbstverständlichkeit.Falls schwerwiegende soziale Gründe oder aber die Ein-gliederung in den Arbeitsmarkt eine eigene Wohnung er-forderlich machen, wird der Träger auf Antrag selbstver-ständlich die Kostenübernahme erklären. Dies zuvor zubeantragen, ist allerdings nicht nur zumutbar. Es ent-spricht dem Maß an Eigenverantwortung, das unerläss-lich ist, nämlich sich rechtzeitig um seine finanziellen An-gelegenheiten selbst zu kümmern, wenn Bedürftigkeitdroht oder naht.

Viertens. Auch wendet sich die Linke gegen die beste-hende Regelung des § 31 Abs. 5 SGB II, der die Möglich-keit vorsieht, auch die Kosten der Unterkunft vollständigzu streichen, weil dies zu Wohnungslosigkeit führe. Es istklar, dass Wohnungslosigkeit droht, wenn die Kostennicht länger getragen werden. Doch über die Ursache fürdie Kürzung der Leistungen geht man leichtfüßig hinweg.Denn erstens gilt die Möglichkeit, die Leistungen einzu-schränken, als Ultima Ratio. Und sie gilt nur für den Fall,dass der Betroffene mehrfach seine Pflichten gegenüberdem Leistungsträger verletzt hat. Des Weiteren erlaubenauch dann noch die Durchführungsbestimmungen derBundesagentur für Arbeit, nach Ermessen zu entscheidenund die Leistungen wieder zu gewähren, wenn der Betrof-fene sich nachträglich bereit erklärt, seinen Pflichtennachzukommen. Bis hierhin hat es der Leistungsbezieher

also selbst in der Hand, die Wohnungslosigkeit abzuwen-den.

Allerdings muss darüber hinaus auch gesehen werden,dass die Ultima Ratio der Leistungsstreichung ihre Be-rechtigung hat. Der Staat kann nicht jemanden, der wie-derholt gezeigt hat, dass er nicht mit dem Leistungsträgerkooperiert, dauerhaft weiterhin unterstützen. Das kannnicht die Lösung sein. Es muss doch jedem verständlichund klar sein, dass auch der größtmögliche Unterstüt-zungswille irgendwann seine Grenzen findet, wenn nichtein Minimum an Kooperation erfolgt. Dass mit fehlenderKooperation die Wohnungslosigkeit quasi in Kauf ge-nommen wird, ist eine traurige Erkenntnis. Aber denStaat hier der Sanktionsmöglichkeit zu berauben, ihngleichsam wehrlos zu machen, ist der falsche Weg.

Fünftens. Schließlich erklärt die Linke, dass für Woh-nungslose spezielle Beschäftigungs-, Aus- und Fortbil-dungsangebote vorzuhalten seien. Das ist richtig, inso-fern man hierbei oftmals mit komplexen Problem- undHärtefällen zu tun hat, die einer maßgeschneiderten undpersönlichen Hilfe bedürfen. Allerdings zieht der Antrag-steller hieraus die Folgerung, es müsse auf Sanktions-maßnahmen und repressive Angebote verzichtet werden.Die FDP hält dies für falsch, wie ich oben bereits ausge-führt habe. Wo der Staat Leistungen erbringt, muss er inletzter Konsequenz auch das Recht haben, diese zu kür-zen, wenn der Betroffene nicht kooperiert.

Es bleibt die zentrale Aufgabe des Sozialstaates, sichum die Bedürftigen zu kümmern. Dieser Aufgabe werdendie bestehenden Regelungen gerecht. Mit der Übernahmeder Mietkosten durch den Leistungsträger ist eine Absi-cherung ausreichend gegeben. Auch darf nicht vergessenwerden, dass das Hauptaugenmerk auf dem Ziel der Inte-gration in den Arbeitsmarkt liegen muss.

Katja Kipping (DIE LINKE): Kurz vor Weihnachten werden die Medien wieder über

sie berichten und dabei viel Mitleid erregen. Kurz vorWeihnachten wird so mancher in den eigenen Geldbeutelgreifen, um mit einer Spende ihre Not etwas zu lindern. Inder kalten Jahreszeit wird es für sie besonders hart. DieRede ist von den rund 250 000 Menschen in diesem Land,die wohnungslos sind. Doch Wohnungslosigkeit ist nichtnur um die Weihnachtszeit für diejenigen, die davon be-troffen sind, ein Problem. Ursprünglich hatte ich gehofftbei einem Thema, welches existenzielle Not betrifft, seieine fraktionsübergeifende Zusammenarbeit möglich,und hatte versucht, Vertreter und Vertreterinnen der Ko-alition für einen gemeinsamen Antrag zu gewinnen. Lei-der bisher erfolglos. Die Linksfraktion im Bundestag hatdeswegen nun einen eigenständigen Antrag zum ThemaWohnungslosigkeit in den Bundestag eingebracht. Daringeht es um zweierlei: erstens um die Vermeidung vonWohnungslosigkeit und zweitens um bessere Teilhabe fürMenschen, die bereits wohnungslos sind.

Meist bedürfte es gar nicht viel, um Wohnungslosigkeitzu verhindern. So sieht das Gesetz bereits heute die Mög-lichkeit vor, dass Mietschulden von Menschen übernom-men werden, denen aufgrund dieser Schulden die Woh-nungslosigkeit droht.

Zu Protokoll gegebene Reden

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20111

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Katja Kipping

Trotzdem sind 13 Prozent der Wohnungslosen durchMietschulden wohnungslos geworden. Auch kann bishernach Gesetz die Übernahme der Mietschulden nur alsDarlehen erfolgen, nicht als Beihilfe. Das Problem be-steht jedoch darin, dass die betroffenen Personen meistschon verschuldet sind; im Jahre 2006 waren es circa65,2 Prozent der Wohnungslosen. Eine zusätzliche Ver-schuldung konterkariert das Ziel der sozialen Stabilisie-rung. Insofern ist auch eine spätere Rückzahlung desDarlehens nur selten möglich. Deswegen sollte im Notfalldie Übernahme der Mietschulden auch als Beihilfe erfol-gen können.

Das herrschende Sozialgesetzbuch II scheint eher aufdie Schaffung als auf die Vermeidung von Wohnungslo-sigkeit geeicht. So sieht das Sozialgesetzbuch II vor, dassbei Sanktionen gegen Erwerbslose auch die Kosten derUnterkunft gekürzt werden können. Hier sind Mietschul-den vorprogrammiert. Diese Sanktionsmöglichkeit ge-hört also sofort abgeschafft, da sie dem Ziel der Vermei-dung von Wohnungslosigkeit zuwiderläuft.

Zentrale Auslöser des Wohnungsverlustes bei Frauenlauten „Trennung vom Partner“ – 25 Prozent – sowieakute Gewalt des Partners – 14 Prozent –; diese spezifi-schen Gründe müssen beachtet werden. Deswegen isteine ausreichende Infrastruktur an Hilfeangeboten undhilfeleistenden Einrichtungen wie Frauenhäuser zur Ver-fügung zu stellen.

Auch Menschen, die wohnungslos sind, können Ar-beitsangebote unterbreitet werden. Entscheidend ist je-doch, dass diese Tätigkeitsangebote freiwillig sind undden konkreten Lebensumständen der Betroffenen ange-passt werden. Wo Sanktionen drohen, ist eine soziale Sta-bilisierung nur schwer möglich. Sanktionen für dieGruppe der Wohnungslosen sind in besonderer Weisekontraproduktiv und daher abzuschaffen.

Weiterhin hat die Bundesarbeitsgemeinschaft Woh-nungslosenhilfe beobachtet, dass das Personal bei denTrägern des SGB II bislang nicht auf die besonderen Be-dürfnisse von Wohnungslosen bzw. von Wohnungslosig-keit bedrohten Personen vorbereitet ist. Die Erfahrungen,die in den Kommunen seit den späten 80er-Jahren mitdem Konzept der „Zentralen Fachstelle“ gemacht wur-den, müssen in eine analoge Praxis in die Strukturen desSGB II integriert werden. In diesem Zusammenhang istauch sicherzustellen, dass Meldungen der Amtsgerichteüber Räumungsklagen unverzüglich bei den zuständigenStellen ankommen und Wohnungslosigkeit vermeidendeAktivitäten auslösen.

Dies ist nur eine kleine Auswahl von sinnvollen Schrit-ten zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit bzw. zur Ver-besserung der Situation von Wohnungslosen. Diese undweitere Schritte umzusetzen, ist sowohl ein Gebot derMenschlichkeit als auch der Wirtschaftlichkeit. Ist einMensch erst einmal wohnungslos geworden, bedarf es soviel mehr an Energie und Mittel, um diesen Zustand zuverbessern. Christdemokraten und Sozialdemokraten wä-ren also gut beraten, sich dieses Problems anzunehmen,nicht nur in der Weihnachtszeit.

Zum Schluss eine alarmierende Zahl aus dem Statistik-bericht der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosen-hilfe vom Oktober 2008: Über 42 Prozent der Wohnungs-losen klagen über einen schlechten Gesundheitszustand.Die Praxisgebühr und Zuzahlung für Medikamente undmedizinische Leistungen gehören abgeschafft; denn sieverursachen in nicht geringem Maße eine mangelnde Ge-sundheitsversorgung der Wohnungslosen, weil die Befrei-ung von der Praxisgebühr und der Zuzahlungspflicht erstnach großen bürokratischen Hürden, die für Wohnungs-lose schwer überwindbar sind, gewährt wird. Die Linkehat diese Praxisgebühr als auch die Zuzahlungspflichtschon immer wegen ihrer ungerechten und selektierendenWirkung heftig kritisiert. Die Einschätzung des Gesund-heitszustandes der Wohnungslosen bestätigt uns in dieserfundamentalen Kritik. Es besteht also ein massiver poli-tischer Handlungsbedarf, wohnungslosen MenschenTeilhabe und eine Gesundheitsversorgung zu ermögli-chen sowie prinzipiell Wohnungslosigkeit zu überwindenund präventiv zu vermeiden; denn Wohnungslose habeneinen großen Wunsch nach den eigenen vier Wänden.Über 70 Prozent wünschen sich eine eigene Wohnung, fürsich und für ihre Partner.

Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Von Obdachlosigkeit Betroffene sind in vielfacher Hin-

sicht vom gesellschaftlichen Leben und den Leistungendes Sozialstaats ausgeschlossen. Nicht wenige müssen ihrLeben dafür lassen. Für die Fraktion Bündnis 90/DieGrünen gilt deshalb: Jeder Obdachlose ist einer zu viel.

Verglichen mit dem Wohnungslosen-Hoch von530 000 Personen im Jahr 1998, fällt der Rückgang von254 000 Personen im Jahr 2006 zwar deutlich aus. DerTrend abnehmender Obdachlosigkeit geht aber nicht– wie es der Kollege Schiewerling von der CDU/CSU-Fraktion meint – auf politisches Engagement und die be-sonders für diese Zielgruppe geeigneten Regelungen imSGB II zurück.

Im Gegenteil: Der Rückgang von Obdachlosigkeit istvielmehr auf eine deutlich spürbare Entspannung amWohnungsmarkt zurückzuführen, für die wiederum derdemografische Wandel und eine verringerte Zuwande-rung ursächlich sind. Der Rückgang ist außerdem der ge-zielten präventiven Arbeit durch soziale Träger und be-sonders engagierter Großstädte – wie zum Beispiel derStadt Köln – zu verdanken, die trotz der Widrigkeiten inder Sozialgesetzgebung des Bundes, Obdachlosigkeitverhindern oder beenden konnten.

Nach wie vor besorgniserregend ist die Zahl der vonWohnungslosigkeit bedrohten Menschen. Die Bundesar-beitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe geht davon aus,dass weitere 235 000 Menschen im Arbeitslosengeld-II-Bezug akut von Wohnungslosigkeit bedroht sind. Dieselatente Bedrohung für viele Arbeitslosengeld-II-Bezie-hende ist zu einem großen Teil auf neue, verschärfendeRegelungen der schwarz-roten Koalition zurückzuführen.

Bereits in der ersten Lesung des hier zur Debatte ste-henden Antrages haben Bündnis 90/Die Grünen deutlichgemacht, dass sie besonderen Handlungsbedarf bei denjungen Erwachsenen im Arbeitslosengeld-II-Bezug se-

Zu Protokoll gegebene Reden

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Markus Kurth

hen. Der Anteil junger von Wohnungslosigkeit bedrohterErwachsener nimmt überproportional zu.

Dieser Trend wurde durch das SGB-II-Fortentwick-lungsgesetz der Bundesregierung mit verursacht, dennmit diesem Gesetz wurden nicht nur die Sanktionsrege-lungen im Arbeitslosengeld II, sondern auch die Möglich-keiten für unter 25-Jährige zur Gründung eines eigenenHaushalts deutlich eingeschränkt. Es gibt also keinenGrund, sich beim Thema Obdachlosigkeit zurückzuleh-nen, wie es offenbar die Koalitionsfraktionen und Bun-desarbeitsminister Scholz tun.

Leider leben viele der obdachlosen jungen Menschenin so zerrütteten Familien, dass sie das Leben auf derStraße oder in ungesicherten Wohnverhältnissen dem Le-ben in der Familie vorziehen. Die Beiträge der Kollegenvon der CDU/CSU und der FDP zu diesem Antrag lassenjedes Gespür für die Lebenswirklichkeit der von Obdach-losigkeit betroffenen Jugendlichen vermissen. Statt jungeErwerbslose zu qualifizieren und in den Arbeitsmarkt zuintegrieren, treiben Sie mit Ihrer Sanktionspolitik die jun-gen Menschen in Kriminalität und Obdachlosigkeit.

Die Fraktion Die Linke schlägt sinnvolle Maßnahmenvor, die Bündnis 90/Die Grünen zu großen Teilen bereitsin ihrem Antrag vom 4. April 2006 „Hartz IV weiterent-wickeln – existenzsichernd, individuell, passgenau“– Drucksache 16/1124 – gefordert haben. Die Vorschlägeder Linken sind allerdings in einigen Punkten änderungs-bzw. ergänzungsbedürftig:

Dies gilt insbesondere für die Sanktionsbestimmungennach dem SGB II für Jugendliche und junge Erwachsenebis 25 Jahre, die unbedingt flexibilisiert und entschärftwerden müssen. Die entsprechende Regelung im SGB IIist in eine Ermessensvorschrift umzuwandeln, die dieRücknahme der Sanktion bei einer Verhaltensänderungermöglicht, denn um eine Verhaltensänderung bei einemjungen Erwachsenen bewirken zu können, muss dieserdie Gewissheit haben, dass ein Wohlverhalten zu einer so-fortigen Rücknahme der Sanktion führt.

Die jetzige von der Großen Koalition eingeführteSanktionsregelung wird zu Recht von den Betroffenen alsreine Schikane empfunden. Außerdem müssen von Sank-tionen nicht nur – wie Die Linke es fordert – die Kostender Unterkunft unberührt bleiben. Keinesfalls darf derGrundbedarf, der zum Leben notwendig ist, angetastetwerden.

Das Zustimmungserfordernis des kommunalen Trä-gers für alle Umzüge von Jugendlichen und jungen Er-wachsenen bis 25 Jahre, das von der Großen Koalitionmit dem sogenannten SGB-II-Fortentwicklungsgesetzeingeführt wurde, bedeutet ebenfalls einen Rückschrittgegenüber der von Rot-Grün auf den Weg gebrachtenHartz-IV-Reform.

Auch hier gehen wir Grüne über die Forderung derFraktion Die Linke hinaus, die diese Regelung lediglichmodifizieren möchte: Wir fordern, dass junge Erwach-sene, auf eigenen Beinen stehen können müssen und beiHilfebedürftigkeit grundsätzlich nicht wieder auf ihrElternhaus zurückverwiesen werden dürfen. Sie müssen– wie im ursprünglich von Rot-Grün eingeführten Ar-

beitslosengeld II vorgesehen – einen Anspruch darauf ha-ben, einen eigenen Haushalt zu gründen. Deshalb istdiese Regelung zu streichen.

Um den besonderen Bedürfnissen von Obdachlosengerecht zu werden, muss die organisatorische Schnitt-stelle zwischen Jobcenter und Kommune verbessert wer-den: Die Jobcenter müssen sich fachlich und organisato-risch auf die besonderen Bedürfnisse von Obdachloseneinstellen.

Richtig ist der Vorschlag der Linken, „zentrale Fach-stellen“ für die Belange von Wohnungslosen einzurich-ten. Anders als Die Linke es fordert, sollten diese jedochnicht nur für Arbeitslosengeld-II-, sondern auch für So-zialhilfe-Beziehende rechtskreisübergreifend eingerichtetwerden.

Insbesondere in Großstädten ist eine besondere Orga-nisationsform erforderlich, die auch präventiv gegenObdachlosigkeit agiert. Es wird in der Regel nicht aus-reichen, Obdachlose von einem speziell geschulten Sach-bearbeiter zu betreuen. Wir Grüne schlagen vor, nachdem Vorbild des Kölner Modells der Obdachlosenhilfeeine besonders spezialisierte Organisationseinheit fürdas Fallmanagement von Obdachlosen und von Obdach-losigkeit bedrohter Menschen in Großstädten zur Pflichtzu machen. Diese speziellen trägerübergreifenden Ein-heiten für Wohnungslose sollten sowohl für präventiveMaßnahmen gegen Obdachlosigkeit als auch für dieakute Hilfe zuständig sein.

Um nachhaltig Obdachlosigkeit zu vermeiden, solltedie Begleichung von Mietschulden als Beihilfeleistungdes Jobcenters – wie die Linken es vorschlagen – an dieEinschaltung einer Schuldnerberatung gekoppelt sein.

Unabhängig von diesen Verbesserungen im Detailweist der Vorschlag der Linken in die richtige Richtung.In jedem Falle besteht dringender Handlungsbedarf mitBlick auf eine Anpassung der Bestimmungen für das Ar-beitslosengeld II und die Sozialhilfe auf die besonderenBedürfnisse von Obdachlosen und von Obdachlosigkeitbedrohter Menschen. Auch um diesen Handlungsbedarfzu unterstreichen, stimmt meine Fraktion diesem Antragzu.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für

Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussemp-fehlung auf Drucksache 16/10906, den Antrag der Frak-tion Die Linke auf Drucksache 16/9487 abzulehnen. Werstimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmtdagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlungist damit mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU undFDP bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen und der Fraktion Die Linke angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Einführung Unterstützter Beschäftigung

– Drucksache 16/10487 –

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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)

– Drucksache 16/10905 –

Berichterstattung:Abgeordneter Hubert Hüppe

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die-sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. – Ichsehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich umfolgende Kolleginnen und Kollegen: Hubert Hüppe,CDU/CSU, Gabriele Lösekrug-Möller, SPD, Dr. ErwinLotter, FDP, Dr. Ilja Seifert, Die Linke, Markus Kurth,Bündnis 90/Die Grünen, und den ParlamentarischenStaatssekretär Klaus Brandner.1)

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss fürArbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussemp-fehlung auf Drucksache 16/10905, den Gesetzentwurfder Bundesregierung auf Drucksache 16/10487 in derAusschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, diedem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmenwollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be-ratung mit den Stimmen von der Fraktion Die Linke, derSPD, der CDU/CSU bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion der FDP ange-nommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurfist damit in dritter Beratung mit demselben Stimmen-ergebnis wie in zweiter Beratung angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 34 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten RainerBrüderle, Martin Zeil, Birgit Homburger, weitererAbgeordneter und der Fraktion der FDP

Wirtschaftliche Dynamik fördern – Gewerbe-anmeldungen entbürokratisieren

– Drucksache 16/9338 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden dieReden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um fol-gende Kolleginnen und Kollegen: Andreas Lämmel,CDU/CSU, Dr. Rainer Tabillion, SPD, Rainer Brüderle,FDP, Sabine Zimmermann, Die Linke, Kerstin Andreae,Bündnis 90/Die Grünen.

Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Wir beraten heute in erster Lesung den FDP-Antrag

„Wirtschaftliche Dynamik fördern – Gewerbeanmeldun-gen entbürokratisieren“. Für meine Fraktion und als Vor-sitzender der Mittelstandsvereinigung der sächsischenUnion möchte ich betonen, dass ich das grundsätzlicheZiel einer möglichst bürokratiearmen und schnellen Ge-

1) Anlage 17

werbeanmeldung unterstütze. Allerdings teile ich die Zu-standsbeschreibung durch die FDP, wonach gewerbe-rechtliche Anmelde- und Zulassungsverfahren „in derRegel durch einen hohen Verwaltungsaufwand, unüber-schaubare Verfahrensstrukturen, unterschiedliche Kom-petenzen und zum Teil Doppelzuständigkeiten sowie ei-nen unverhältnismäßigen Zeitaufwand gekennzeichnet“seien, in dieser Allgemeinheit nicht.

Für den weit überwiegenden Teil aller Gewerbe ist le-diglich die Gewerbeanzeige nach § 14 Gewerbeordnungerforderlich; eine spezielle gewerberechtliche Prüfungerfolgt nicht. Für diese Gewerbeanzeige ist nur ein Vor-druck auszufüllen, der vom kommunalen Gewerbeamt be-stätigt wird und danach behördenintern anderen Behör-den ganz oder teilweise zugänglich gemacht wird. Beipersönlichem Erscheinen ist die Anzeige in fünf Minutenerledigt; elektronische oder schriftliche Anzeigen dauernetwas länger. Die Behörde ist darüber hinaus verpflichtet,innerhalb von höchstens drei Tagen den Empfang der An-zeige zu bestätigen. Nach meiner Kenntnis ist dies diekürzeste Frist, die in Verfahren für den Beginn eines Be-rufes gesetzlich vorgegeben wird.

Natürlich gibt es auch Gewerbe, die wegen einer be-sonderen Überwachungsbedürftigkeit und aufgrund so-zialpolitischer Notwendigkeiten weiteren Zulassungs-schranken, insbesondere Erlaubnissen, unterworfen sind.Dies betrifft bestimmte Betriebe, die sich auf den Handelmit Gebrauchtwaren spezialisiert haben, sowie zum Bei-spiel Detekteien, Partnervermittlungen, Betrieb von Rei-sebüros und Schlüsseldienste. Das Bundeswirtschaftsmi-nisterium achtet aber darauf, dass diese zusätzlichenZulassungsschranken nur für möglichst wenige Gewerbegelten.

Meine Damen und Herren von der FDP, Sie erwähnenin dem Antrag das Beispiel eines reisenden Gewerbetrei-benden, der in einer Fußgängerzone Waren von einem vo-rübergehend ortsfesten Verkaufsstand anbieten will.Diese reisegewerbliche Tätigkeit setzt nach § 55 Gewer-beordnung die Erteilung einer bundesrechtlichen Erlaub-nis in Form der Reisegewerbekarte voraus. Eine solcheReisegewerbekarte, einmal ausgestellt, gilt dann aberbundesweit und nicht nur für den speziellen Ort X, wosich die Fußgängerzone befindet. Dass für diese Fußgän-gerzone noch eine straßenrechtliche Genehmigung nachdem jeweiligen Landesstraßen- und Wegegesetz erforder-lich ist, liegt schlicht an der verfassungsrechtlichen Kom-petenzaufteilung zwischen Bund und Ländern für unter-schiedliche Sachverhalte.

Bei der straßenrechtlichen Genehmigung geht es näm-lich nicht um die grundsätzliche Eignung des Gewerbe-treibenden für eine reisegewerbliche Tätigkeit sondernum die Frage, ob er seinen Stand zum Beispiel in einerFußgängerzone, wo auch Busverkehr herrscht, tatsäch-lich aufstellen darf oder nicht. Auf eine Erlaubnis dafürkann leider nicht verzichtet werden, denn diese besonde-ren Umstände kann die Reisegewerbekarte nicht vorher-sehen. Der Bundesgesetzgeber könnte hier außerdem,selbst wenn er wollte, wegen der erwähnten Aufteilungder Gesetzgebungskompetenzen auch keine Aufgaben-konzentration bei der Genehmigung festlegen. Insofern

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Andreas G. Lämmel

taugt das von Ihnen angeführte Beispiel nicht besondersgut, um generell einen hohen Verwaltungsaufwand beiGewerbeanmeldungen zu belegen.

Lassen Sie mich nun die fünf Forderungen, die dieFDP in ihrem Antrag stellt, der Reihe nach durchgehen.Zuerst zur Nummer eins, die Bundesregierung solle dieBürokratiebelastung der Wirtschaft durch die Gewerbe-ordnung evaluieren, und zur Forderung Nummer zwei, siesolle in diesem Bereich weitere Maßnahmen zum Büro-kratieabbau umsetzen. Dies ist längst geschehen. DieInformationspflichten der Wirtschaft, die in der Gewerbe-ordnung enthalten sind, wurden im Rahmen der Stan-dardkostenmessung vollständig ermittelt.

Als Ergebnis dieser Prüfung sind mit dem Zweiten Mit-telstandsentlastungsgesetz unter anderem Erleichterun-gen bei der Reisegewerbekartenpflicht und beim automa-tisierten Datenabruf von Daten aus der Gewerbeanzeigeumgesetzt worden. Im Dritten Mittelstandsentlastungsge-setz, welches sich momentan im parlamentarischen Ver-fahren befindet, sind weitere Erleichterungen enthalten.So soll zum Beispiel die Anzeigepflicht bei der Aufstel-lung von Automaten zurückgeführt werden und Bestim-mungen zur Anbringung des Namens von Gewerbetrei-benden an offenen Betriebsstätten entfallen. Dies hörtsich vielleicht etwas kleinteilig an. Aber Bürokratieabbaufängt genau bei diesen Kleinigkeiten an, denn in derSumme sind viele Kleinigkeiten eben keine Kleinigkeitmehr.

Unter Nummer drei fordert die FDP die Bundesregie-rung auf, die gewerberechtlichen Anmeldeverfahrendurch Konzentration von Zuständigkeiten zu vereinfa-chen und zu beschleunigen. Hierzu ist zu sagen: EineKonzentration von Zuständigkeiten, das heißt Entschei-dungskompetenz bei einer einzigen Behörde, ist nur mög-lich, wenn ein gewisser Sachzusammenhang zwischenden zu entscheidenden Fragen besteht. In vielen Fällen,zum Beispiel bei Normen des speziellen Ordnungsrechtsoder des Gesundheitsrechts, werden die Gewerbebehör-den in der Regel nicht in der Lage sein, diese Fragen zuprüfen. Ob eine Kommune die Verfahren so gestaltet, dassfaktisch eine Konzentration erreicht wird, hängt entschei-dend davon ab, wie wirtschaftsorientiert sich die Kom-mune aufstellt.

Im Rahmen der Umsetzung der EU-Dienstleistungs-richtlinie werden auch Kontaktstellen eingerichtet, überdie Dienstleistungserbringer künftig alle zur Aufnahmeihrer Tätigkeit notwendigen Verfahren und Formalitätenabwickeln können. Die Zuständigkeit für die Einrichtungund Ausgestaltung dieser „Einheitlichen Ansprechpart-ner“ liegt bei den Ländern.

Zum Punkt Nummer vier: Eine elektronische Gewer-beanmeldung, wie sie die FDP fordert, ist bereits jetztrechtlich zulässig. Hierfür ist – wie auch zum Beispielbeim Einwohnermeldeverfahren – eine elektronische Si-gnatur erforderlich. Die hierfür notwendigen gesetzli-chen Änderungen wurden bereits vor einigen Jahren vor-genommen.

Bleibt noch die Forderung Nummer fünf, alle gewerb-lichen Anzeigepflichten zu bündeln. Solche Bündelungen

erfolgen bereits. Ich gebe aber zu, in dieser Angelegen-heit müssen wir noch weiter kommen. Bislang scheitertedies jedoch an dem Bestehen anderer Ressorts auf ihrerjeweiligen Vollzugskompetenz. Gleichwohl wird in Zu-sammenhang mit der Einführung des „Einheitlichen An-sprechpartners“ geprüft, inwieweit die im Vergleich zuanderen Anzeigeverfahren sehr einfache und schnelleGewerbeanzeige vermehrt auch für andere Verwaltungs-aufgaben genutzt werden kann. Notwendig hierfür ist eineverbesserte Vernetzung der Kommunen untereinanderund mit anderen Verwaltungsträgern. Ein solches Vorha-ben eines übergreifenden Gewerberegisters könnte auchzu einer Verschlankung von Verwaltungsabläufen genutztwerden.

Insofern nehmen wir die FDP-Vorschläge als Anre-gung und Motivation, weiter an dem Thema Bürokratie-abbau – auch im Bereich der Gewerbeordnung – dranzu-bleiben. Wir stellen aber gleichzeitig fest, dass sich diemeisten der hier genannten FDP-Forderungen zeitlichüberholt haben, weil sie entweder schon umgesetzt wor-den sind oder sich in Umsetzung befinden. Ich freue michauf die bevorstehende Diskussion des Antrags in den Aus-schüssen.

Dr. Rainer Tabillion (SPD): Mit ihrem hier zu Debatte stehenden Antrag fordert die

FDP, Gewerbeanmeldungen zu entbürokratisieren um diewirtschaftliche Dynamik zu fördern. Sicherlich, wir sindin unserem täglichen Leben von einer Vielzahl von Rege-lungen und Vorschriften umgeben, sodass der Eindruckvon Einschränkungen, Beschränkungen oder gar Behin-derungen entsteht. Ebenso ist es auch erwiesen, dass eineVielzahl bestehender Regelungen hohe Kosten für dieVolkswirtschaft verursacht und so die wirtschaftlicheEntwicklung behindert. Insoweit möchte ich nicht von derHand weisen, dass Bürokratieabbau oder Entbürokrati-sierung wichtige Aufgaben für unsere politische Arbeitsind. Nicht zuletzt hat sich die Große Koalition ja auchzum Ziel gesetzt, die Entbürokratisierung weiter voranzu-treiben. Doch nicht jede Vorschrift ist auch wirklich über-flüssig. Nicht jede Meldung oder jeder Gang zu einer Be-hörde ist erlässlich. Vielmehr müssen mit Sorgfalt undBedacht alle Auswirkungen und Folgen, die eine rechtli-che oder administrative Erleichterung bringen kann, be-rücksichtigt werden.

Das Gewerberecht steht normalerweise nicht unbe-dingt im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit, istaber in der Praxis von hoher Bedeutung, da es erhebli-chen Einfluss auf das Wirtschaftsleben hat. Aus demPolizeirecht heraus hat es sich zu einem selbstständigenGebiet innerhalb des Wirtschaftsverwaltungsrechts ent-wickelt und unterliegt der konkurrierenden Gesetzgebungdes Bundes. Grundlage ist die hier zur Debatte stehendeGewerbeordnung (GewO), die vom Grundsatz der Ge-werbefreiheit ausgeht und deren Beschränkungen zur Ge-währleistung der öffentlichen Sicherheit unter Berück-sichtigung des Arbeitschutzes dienen. Letzte Änderungenhat es durch das Zweite Gesetz zum Abbau bürokratischerHemmnisse insbesondere in der mittelständischen Wirt-schaft (MEG II) vom 7. September 2007 erfahren, was einBeispiel für die fortlaufende Überarbeitung und Bearbei-

Zu Protokoll gegebene Reden

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20115

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Dr. Rainer Tabillion

tung der bestehenden Regelungen unter dem Gesichts-punkt des Bürokratieabbaues ist.

Um zu zeigen, dass die Forderungen der FDP nicht be-rechtigt sind, möchte ich im Folgenden kurz verschiedeneFallkonstellationen im Rahmen der Gewerbeanmeldungerläutern. § 14 der GewO verpflichtet jeden, der ein Ge-werbe betreiben will, zu einer Anzeige desselben bei derzuständigen Behörde. Zur Bearbeitung der Gewerbe-anmeldung wird in den meisten Fällen nur der Personal-ausweis benötigt, bei Ausländern außerdem die Aufent-haltsgenehmigung. In den Fällen, in denen es sich umjuristische Personen handelt, sind noch Gesellschaftsver-träge vorzulegen, deren Erfordernis aber mit den Beson-derheiten des Gesellschaftsrechts zusammenhängt. Beierlaubnis- oder handwerkskartenpflichtigen Gewerbenmuss natürlich noch die entsprechende Erlaubnis oderHandwerkskarte vorgelegt werden.

Zweck der Vorschrift des § 14 GewO ist, der zuständi-gen Behörde Aufschluss über die Zahl und Art der inihrem Bezirk vorhandenen Betriebe zu geben und einewirksame Überwachung der Gewerbeausübung zu er-möglichen. Durch die Gewerbeanzeigen werden die zu-ständigen Behörden insbesondere in die Lage versetzt,bei Bedenken gegen die Zuverlässigkeit oder auch beiNichterfüllung von sonstigen gesetzlichen Voraussetzun-gen gegen den Gewerbetreibenden einzuschreiten. Siedient einerseits zur Überwachung der Gewerbeausübungund andererseits dem Schutz des Kunden, also den Men-schen, mit denen der Gewerbetreibende später zu tun ha-ben wird.

Die Gewerbeanmeldung ist in vielen Städten und Ge-meinden heute online möglich, das heißt, der Bürger kannseine Unterlagen elektronisch zur Behörde schicken,muss allerdings meistens noch einmal persönlich erschei-nen, um eine Unterschrift zu leisten. Da die Frist zur An-zeige, Veränderung oder Beendigung eines Gewerbessechs Wochen beträgt, denke ich, dass jeder Gewerbetrei-bende die Möglichkeit haben müsste, ohne allzu großenAufwand zu seiner zuständigen Behörde zu gehen. Viel-fach kann man in den Ämtern auch Termine vereinbaren,sodass die Wartezeit eingeschränkt sein wird. Die Online-anmeldung soll richtigerweise weiter vorangetriebenwerden. Sie hat aber auch Schwächen, nämlich dann,wenn es zum Beispiel um Rückfragen der Behörde geht.Hier erhöht sich der Aufwand einer vollständigen elektro-nischen Bearbeitung gegenüber der Konstellation, dassder Gewerbetreibende persönlich erscheint und möglicheProbleme besprochen und zeitnah gelöst werden können.Auch muss im Fall der elektronischen Anmeldung sicher-gestellt sein, dass die Dokumente wirklich vom Unter-zeichner stammen. Das kann zwar die elektronische Si-gnatur gewährleisten, deren Verbreitung ist aber nochnicht ausreichend, weil die Kosten zur Anschaffung derVerschlüsselungstechnik noch sehr hoch sind.

Auch dauert der Vorgang einer Gewerbeanmeldungnicht so lange, wie gerne behauptet. Innerhalb von dreiTagen nach Eingang der Gewerbeanzeige wird derenEmpfang von der Behörde durch einen Durchschlag be-stätigt, und der Gewerbetreibende erhält eine Empfangs-bestätigung. Diese ist der Gewerbeschein.

Die vielfach kritisierten Barrieren in Form von Sach-kundeprüfung und Unterrichtung betreffen nur das Bewa-chungsgewerbe und sind, da es sich hier um einen sensib-len Bereich handelt, auch angesichts der grundrechtlichgarantierten Gewerbefreiheit, vertretbar. Auch die ande-ren in der GewO formulierten Berufsausübungsregelun-gen dienen dem Schutz der anderen bereits am Markt be-stehenden Anbieter, der Sicherung der Qualität sowiedem Schutz des Kunden und sind nicht einem freien Spielder Kräfte am Markt zu opfern.

Eine Bündelung verschiedener mit einer Gewerbeaus-übung verbundener Verfahren, wie zum Beispiel die even-tuelle Notwendigkeit einer baurechtlichen Genehmigung,erscheint mir nicht sinnvoll, da sichergestellt sein müsste,dass die zuständigen Bearbeiter die Sachkunde besitzen,über all die unterschiedlichen Fälle zu entscheiden.

Mit der Gewerbeanmeldung sind die Anzeigepflichtengegenüber dem Finanzamt und der zuständigen IHK er-füllt. Zusätzlich muss nur noch eine Meldung bei derBerufsgenossenschaft erfolgen und, wenn ein zulassungs-pflichtiges Handwerk betrieben wird, eine Meldung beider Handwerkskammer. Nicht zuletzt die Zahl von850 000 Gewerbeanmeldungen im Jahr 2007 ist Beweisgenug, dass kein potentieller Gewerbetreibender wegeneiner zusätzlichen Meldung oder eines Behördengangesvon der Gründung einer ihm lohnenden Existenz absieht.Vielmehr verhindern oder bremsen wirtschaftliche Verun-sicherung oder restriktive Kreditvergabe an Selbststän-dige oder bestimmte Berufsgruppen die wirtschaftlicheBetätigung.

Aus den eben genannten Gründen ist der Antrag derFDP abzulehnen.

Rainer Brüderle (FDP):In Deutschland herrscht Gewerbefreiheit – jedenfalls

im Prinzip. Jeder hat das Recht, ein Gewerbe zu betreibenund Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zuwählen. Ein Gewerbe zu betreiben, ist wirtschafts-politisch erwünscht. Das sollte der Staat nach Kräften un-terstützen. Selbstverständlich muss beim Betrieb einesGewerbes bestimmten technischen Anforderungen Rech-nung getragen werden. Auch soziale Schutzanliegen darfein Staat verfolgen. Gewerberechtliche Anmelde- und Zu-lassungsverfahren sind jedoch in der Regel durch einenhohen Verwaltungsaufwand, unüberschaubare Verfah-rensstrukturen, unterschiedliche Kompetenzen und zumTeil Doppelzuständigkeiten und einen unverhältnismäßigenZeitaufwand gekennzeichnet. Das trägt weder berechtig-ten sozialpolitischen Schutzanliegen wie dem Gesund-heitsschutz von Mitarbeitern Rechnung, noch dient es derVermeidung von Gefahren und dem Schutz des Gemein-wesens.

Über Bürokratieabbau, Entschlackung von Vorschrif-ten und Mittelstandsentlastung wird viel geredet, aller-dings mehr geredet als gehandelt. Die Bürokratie ist nichtnur außerordentlich lästig, sie ist zu einem richtigen Pro-blem geworden. Mit geschätzten 50 Milliarden Euro anBürokratiekosten werden die Unternehmen in Deutsch-land jährlich belastet. Das macht deutlich, dass Bürokra-

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Rainer Brüderle

tieabbau auch ein Standortfaktor ist, vor allem für kleineund mittlere Unternehmen.

Die erste Begegnung mit der Bürokratie hat ein Ge-werbetreibender, wenn er seinen Betrieb eröffnen will,wenn er das Gewerbe anmeldet oder die Erlaubnis bean-tragt. Das Gewerberecht, die Gewerbeordnung muss des-halb entrümpelt werden. Die Bundesregierung rühmtsich, einiges dafür zu tun. Die Reisegewerbekartenpflichtist mittlerweile etwas eingeschränkt und für bestimmteGewerbe vereinfacht worden. Trotzdem bleibt der Auf-wand bei der Beantragung einer Gewerbeerlaubnis fürviele Gewerbetreibende unverhältnismäßig hoch. Wirt-schaftliche Dynamik kann sich nur entfalten, wenn diestaatlichen Betätigungsbarrieren, wenn gewerbliche An-melde- und Zulassungsverfahren auf das wirtschaftlichsinnvolle und sozialpolitisch notwendige Maß zurück-geführt werden. Hier schafft auch der von der Bundes-regierung inzwischen beschlossene Entwurf eines drittenMittelstandsentlastungsgesetzes noch keine Abhilfe. Wirwollen die Barrieren weiter abbauen. Die Gewerbeord-nung muss weiter entrümpelt werden. Deshalb fordernwir die Bundesregierung auf, die bürokratischen Belas-tungen der Wirtschaft, die sich aus der Gewerbeordnungergeben, zu überprüfen und auf das wirklich notwendigeMaß zu reduzieren.

Zum Beispiel sollten die Zuständigkeiten für die gewer-berechtlichen Erlaubnisverfahren vereinfacht werden. Esmuss ausreichen, wenn sich ein Gewerbetreibender mitder Anmeldung an eine einzige Behörde wendet, bei derdie Zuständigkeiten und die Entscheidungskompetenz ge-bündelt sind. Diese Behörde muss dann zügig entscheidenund die benötigten Dokumente ausstellen.

Die Europäische Dienstleistungsrichtlinie fordert schoneinheitliche Ansprechpartner für in- und ausländischeDienstleistungsunternehmen. Sie sollen sicherstellen, dassjeder Erbringer von Dienstleistungen alle Verfahren undFormalitäten über eine einzige Kontaktstelle abwickelnkann. Solche kurzen Verwaltungswege sollte es für alleGewerbetreibenden geben.

Elektronische Gewerbeanmeldungen sollten Standardwerden. Dann müssten Gewerbetreibende nicht mehrpersönlich bei der Anmeldung erscheinen oder einenStellvertreter schicken. Stattdessen könnten sie sich onlineanmelden. Die Entwicklung von Signatur- oder Authentifi-zierungsverfahren ist weit genug fortgeschritten, sodasseine eindeutige Identifizierung gewährleistet werdenkann. Mit der Anmeldung sollten gleichzeitig auch alleInformationspflichten erfüllt werden.

Solche Änderungen würden es vor allem Existenzgrün-dern schon deutlich erleichtern, ihr Gewerbe starten zukönnen. Bürokratieabbau ist und bleibt aber darüber hi-naus weiter eine ordnungspolitische Daueraufgabe.

Sabine Zimmermann (DIE LINKE):Um uns herum wird die Finanzkrise immer mehr zur

Weltwirtschaftskrise. Das Statistische Bundesamt meldetheute für das dritte Quartal 2008 zum zweiten Mal inFolge einen Rückgang der Wirtschaftsleistung. Wir ste-cken mitten in der Rezession. Und was fällt der FDP dazu

ein? Sie will die wirtschaftliche Dynamik fördern, indem– ich zitiere – die Gewerbeanmeldungen „entbürokrati-siert“ werden. Das ist wirklich ein ganz besonderes Kon-junkturpaket, was Sie da vorlegen, liebe Kolleginnen undKollegen von der FDP. Zur wirtschaftlichen Dynamikwürde das mit Sicherheit noch weit weniger beitragen alsdas wirre Paket von Kleinigkeiten, mit dem die Bundes-regierung angeblich die Konjunktur stützen will.

Aber Ironie beiseite! Natürlich ist es zu begrüßen,wenn neue Unternehmen gegründet werden, insbeson-dere wenn das nicht aus der Not heraus geschieht, etwa inForm von prekärer Selbstständigkeit. Denn – machen wiruns nichts vor – ein gehöriger Anteil des Wachstums derSelbstständigkeit in den vergangenen Jahren ist genaudarauf zurückzuführen, dass Menschen gezwungen wur-den, sich als Ich-AG oder Scheinselbstständiger selbstauszubeuten, weil keine vernünftigen Arbeitsplätze ange-boten wurden. Solch eine prekäre Selbstständigkeit willdie Linke ausdrücklich nicht fördern, liebe Kolleginnenund Kollegen.

Was die Linke will, ist, dass mehr sinnvolle, gute Ar-beitsplätze entstehen. Und wenn eine Unternehmerinoder ein Unternehmer eine gute Geschäftsidee hat unddas Wagnis einer Unternehmensgründung auf sichnimmt, dann begrüßen wir das sehr. Wir sind auch derAuffassung, dass die Probleme, die eine Entstehung neuerUnternehmen und neuer Arbeitsplätze erschweren oderverhindern, analysiert und gegebenenfalls beseitigt wer-den müssen.

Aber um welche Probleme handelt es sich dabei? Washält potenzielle Unternehmer von der Gründung ab? DieFDP behauptet, Gewerbeanmeldungen seien zu kompli-ziert. Auch andere „bürokratische Lasten“ hat sie in ih-ren regelmäßigen Schaufensteranträgen immer wiederkritisiert. Es ist sogar durchaus möglich, dass sich dereine oder andere Gründer über die Formalitäten ärgert,die er zu berücksichtigen hat. Das Hauptproblem ist dieBürokratie allerdings in keinem Fall. In der Regel gibt esfür Auflagen und Melderegeln gute Gründe. Sie dienendem Umweltschutz, der Sicherheit oder anderen gesamt-gesellschaftlichen Zielen.

Die KfW hat sich im Rahmen ihrer Gründungsmoni-torstudie vor einiger Zeit intensiv mit der Frage ausei-nandergesetzt, welche Faktoren Unternehmensgründun-gen in Deutschland behindern. Danach werden – ichzitiere – „als Hauptprobleme bei der Existenzgründungdie schlechte konjunkturelle Lage, das hohe finanzielleRisiko sowie die individuell schlechten Erfolgsaussichtenauf Grund mangelnder Nachfrage gewertet“. Auch dieAngst vor einem sozialen Abstieg bei Scheitern des Un-ternehmens spielt eine wichtige Rolle. BürokratischeHürden sind hingegen für zwei Drittel der befragtenGründer wenig bis überhaupt nicht relevant.

Die mangelnde Nachfrage ist hierzulande das Pro-blem, liebe Kollegen von der FDP. Schreiben Sie docheinmal einen Antrag mit dem Titel „Wirtschaftliche Dy-namik fördern – Binnennachfrage stärken“. Oder nochbesser: Schließen Sie sich der Linken an, die genau dasschon immer gefordert hat. Kämpfen Sie für höhereLöhne, für eine sozial gerechte Grundsicherung, für an-

Zu Protokoll gegebene Reden

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Sabine Zimmermann

ständige Renten! Dann haben die Menschen mehr Geld inder Tasche, die Binnennachfrage wächst und damit auchdie Wirtschaft. Gerade in der aktuellen konjunkturellenSituation ist ein solches Umsteuern dringend nötig.

Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Der Bundesregierung fehlt ein umfassendes Konzept

zum Bürokratieabbau. Zwar hat die Große Koalition mitden zwei beschlossenen und dem in dieser Woche einge-brachten dritten Mittelstandsentlastungsgesetz vielekleinteilige Regelungen auf den Prüfstand gestellt, die je-weils an sich entlastend wirken, ohne einen positiven Ef-fekt oder Nutzen zu haben. Es ist richtig, wenn die Hand-werkszählung durch den Rückgriff auf vorhandeneVerwaltungsdaten vereinfacht wird, Schausteller in Zu-kunft kein Umsatzsteuerheft mehr führen müssen oder dieAnzeigepflicht bei der Aufstellung von Automaten abge-schafft wird.

Das Maßnahmenpaket der Regierung krankt aber ins-gesamt an der viel zu niedrigen Zielmarke, die sich dieBundesregierung gesetzt hat. Der Normenkontrollrat er-fasst allein bundesseitig um die 45 Milliarden Euro Büro-kratielasten in Deutschland. Die Belastungen durch Re-gelungen der Länder oder der Sozialversicherungsträgerkommen noch dazu. Mit dem dritten Mittelstandsentlas-tungspaket will die Große Koalition jetzt eine weitereEntlastung um 76 Millionen Euro schaffen. Das ist deut-lich zu wenig. Zum Vergleich: Die Niederlande haben ineiner Legislaturperiode die Bürokratielasten um 25 Pro-zent abgebaut und diesen Prozess bereits 2006 abge-schlossen. Die deutsche Bundesregierung will dasselbeZiel bis 2011 erreichen. Die Niederlande sind dagegenbereits im Anschlussprozess, die Bürokratielasten noch-mals um 25 Prozent zu senken. Das heißt im Klartext:Deutschland hinkt im Vergleich um eine Legislaturperio-de hinterher.

Selbst die Zielerreichung bis 2011 ist mit den kleinenSchritten, die die Bundesregierung vorschlägt, unsicher.Nach den Erfahrungen in der EU hochgerechnet ist eineGesamtentlastung, die unter 20 Milliarden Euro liegt, fürDeutschland zu klein. Und die wird auch mit dem drittenMittelstandsentlastungsgesetz sowie den beiden schonbeschlossenen Maßnahmenpaketen bei weitem nicht er-reicht.

Vor diesem Hintergrund weist der FDP-Antrag zwar indie richtige Richtung. Zentrale Bürokratieprobleme wiedie Gewerbeanmeldungen drängen und müssten zuvör-derst angegangen werden. Eine Bündelung der Zuständig-keiten bei der Gewerbeanmeldung, die Schaffung eineseinheitlichen Ansprechpartners oder die elektronischeGewerbeanmeldung machen Sinn. Aber die Problematikdes Bürokratieabbaus geht noch weit über das hinaus,was die FDP hier thematisiert.

Wir brauchen ein umfassendes Konzept für den Büro-kratieabbau, das Ressort für Ressort umgesetzt wird. Inden Niederlanden und in Österreich berichten die Fach-minister jährlich zu den Haushaltsberatungen über dieErreichung der Bürokratieabbauziele und über neueZiele, die sie sich setzen. In Deutschland führt der Büro-

kratieabbau dagegen ein Schattendasein. Dieser Stand-ortnachteil wird, wie bereits an den Bemühungen in denNiederlanden beschrieben, immer mehr wachsen.

Darum muss der Normenkontrollrat endlich umfas-sende Kompetenzen bekommen. Wir brauchen eine ehrli-che Durchsicht aller geltenden gesetzlichen Regelungenauf ihre Bürokratielasten hin. Bei der Prüfung durch denNormenkontrollrat muss in Zukunft das Ergebnis eines je-den Gesetzgebungsverfahrens Prüfungsgegenstand sein.Heute ist es nur der Regierungsentwurf, der ins Parla-ment geht. Entwürfe, die über die Fraktionen eingebrachtwerden, bleiben bei der Bürokratieprüfung sogar ganzaußen vor.

Der Normenkontrollrat hat bei der Vorstellung seinesdiesjährigen Jahresberichtes selbst in deutlichen Wortendarauf hingewiesen, dass die Bemühungen der Bundesre-gierung beim Bürokratieabbau nicht reichen, und ein Ge-samtkonzept eingefordert, das die Abbaumaßnahmen dereinzelnen Bundesministerien inhaltlich und zeitlich fest-legt. Solange es ein solches Gesamtkonzept nicht gibt,werden Einzelmaßnahmen zum Bürokratieabbau immernur Stückwerk bleiben.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 16/9338 an den Ausschuss für Wirtschaftund Technologie vorgeschlagen. Sind Sie damit einver-standen? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung sobeschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines ZweitenGesetzes zur Änderung des Autobahnmautge-setzes für schwere Nutzfahrzeuge

– Drucksache 16/10388 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung(15. Ausschuss)

– Drucksache 16/10897 –

Berichterstattung:Abgeordneter Jan Mücke

– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)gemäß § 96 der Geschäftsordnung

– Drucksache 16/10898 –

Berichterstattung:Abgeordnete Bartholomäus Kalb Carsten Schneider (Erfurt)Dr. Claudia Winterstein Roland Claus Anna Lührmann

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die-sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. – Ichsehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich umfolgende Kolleginnen und Kollegen: Wilhelm JosefSebastian, CDU/CSU, Uwe Beckmeyer, SPD, JanMücke, FDP, Lutz Heilmann, Die Linke, Winfried

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20118 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner

Hermann, Bündnis 90/Die Grünen, und des Parlamenta-rischen Staatssekretärs Achim Großmann.1)

Ich weise darauf hin, dass uns zu diesem Tagesord-nungspunkt einige Erklärungen nach § 31 unserer Ge-schäftsordnung vorliegen.2)

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Ver-kehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Be-schlussempfehlung auf Drucksache 16/10897, den Gesetz-entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/10388in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni-gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu-stimmen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiterBeratung bei Gegenstimmen der Fraktion der FDP mitden restlichen Stimmen des Hauses angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen, sich zu erheben. – Werstimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurfist damit in dritter Beratung bei Gegenstimmen der FDPmit den restlichen Stimmen des Hauses angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a und 36 b auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines ZweitenGesetzes zur Änderung des Vierten Buches So-zialgesetzbuch und anderer Gesetze

– Drucksache 16/10488 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)

– Drucksache 16/10903 –

Berichterstattung:Abgeordneter Andreas Steppuhn

– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)gemäß § 96 der Geschäftsordnung

– Drucksache 16/10904 –

Berichterstattung:Abgeordnete Hans-Joachim Fuchtel Waltraud Lehn Dr. Claudia Winterstein Dr. Gesine Lötzsch Alexander Bonde

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales(11. Ausschuss) zu dem Antrag der AbgeordnetenWerner Dreibus, Dr. Barbara Höll, Ulla Lötzer,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKE

Verstöße gegen den Mindestlohn im Bauge-werbe wirksam bekämpfen

– Drucksachen 16/9594, 16/10902 –

Berichterstattung:Abgeordnete Gitta Connemann

1) Anlage 182) Anlage 7

Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt einEntschließungsantrag der Fraktion der FDP vor.

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden dieReden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um dieReden folgender Kolleginnen und Kollegen: PeterRauen, CDU/CSU, Andreas Steppuhn, SPD, Dr. HeinrichKolb, FDP, Werner Dreibus, Die Linke, BrigittePothmer, Bündnis 90/Die Grünen, sowie des Parlamen-tarischen Staatssekretärs Klaus Brandner.

Peter Rauen (CDU/CSU): Ein wirksames und durchgreifendes Gesetz mit klaren

Regelungen zur Eindämmung der Schwarzarbeit inDeutschland wollen wir heute beschließen. Wir habendies im Koalitionsvertrag angekündigt, und es ist nunauch höchste Zeit, dies umzusetzen. Denn die wieder an-steigenden Zahlen der Schattenwirtschaft sprechen einebedenklich deutliche Sprache.

Das Volumen der gesamten Schattenwirtschaft inDeutschland – so Friedrich Schneider von der Universi-tät Linz – umfasste 2007 etwa 349 Milliarden Euro. 2006waren es noch etwa 345,5 Milliarden Euro. Das sindknapp 15 Prozent des deutschen Bruttoinlandsproduktsund entspricht ungefähr der Wirtschaftsleistung von Ba-den-Württemberg. Rein rechnerisch stellt das circa3 Millionen Vollzeitstellen dar. Ein Drittel davon wärelaut Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in die legaleWirtschaft als reguläre sozialversicherungspflichtige Be-schäftigung überführbar.

Schwarzarbeit verhindert aber nicht nur sozialversi-cherungspflichtige Arbeitsplätze, Schwarzarbeit unter-gräbt den Wettbewerb und ist Steuerhinziehung und Ver-sicherungsbetrug zulasten aller ehrlichen Angestelltenund Unternehmer. Doch leider ist Schwarzarbeit einMassenphänomen, moralisch teilweise sogar schon ak-zeptiert und bis in den letzten Winkel der Republik ver-breitet. Viele betrachten Schwarzarbeit als die Notwehrdes kleinen Mannes gegen zu hohe Steuern und Sozialab-gaben. Grund hierfür: Das steile Brutto-Netto-Gefälle.

Zwei Drittel der Schwarzarbeiter führen überdies imHauptjob regulär ihre Steuern ab und werkeln erst nachFeierabend im arbeitsrechtlichen Schattenreich. Dazukommt noch ein psychologischer Effekt: Je mehrSchwarzarbeiter ein Mensch persönlich kennt, desto we-niger verurteilt er Schwarzarbeit als unrechtmäßig. Dievermeintliche Entschuldigung ist so einfach wie falsch:Es mache ja schließlich jeder.

Um dieses Phänomen gezielt einzudämmen, wurde2004 die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) gegrün-det. Sie sollte durch die Erfolge ihrer Ermittlungen nebenden Präventionseffekten auch 1 Milliarde Euro jährlichder Staatskasse direkt einbringen. Doch der Behörde ge-lang es nicht einmal, ihre eigenen Kosten wieder reinzu-holen. Der Grund ist offensichtlich: Bei den derzeitig be-stehenden gesetzlichen Möglichkeiten ist es abwegig, mitdieser 7 000 Mann starken Einheit den rund 13 MillionenSchwarzarbeitern das Handwerk legen zu wollen. DasUrteil des Bundesrechnungshofes Anfang des Jahres fielhierzu dann auch eindeutig aus: „Der Gesetzgeber kann

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20119

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Peter Rauen

nicht davon ausgehen, dass Schwarzarbeit an Attraktivi-tät verloren hat.“

Schwarzarbeit – da sind sich alle einig – wird niemalsganz verschwinden. Denn, wo der Anreiz da ist, unter derHand zu arbeiten und arbeiten zu lassen, wird es auch im-mer schwarze Schafe geben. Doch gerade das Volumender Schattenwirtschaft ist ein deutliches Anzeichen dafür,inwieweit staatliches Handeln gerade in Bezug auf Abga-ben und Regulierungen noch angemessen ist. Denn redu-zierte man die Bürokratiedichte und damit die Kosten fürhiesige Unternehmen auf angelsächsisches Niveau, könn-ten 500 000 neue Jobs mit einer Wertschöpfung von bis zu40 Milliarden Euro entstehen. So zumindest folgert dasInstitut der deutschen Wirtschaft. Auch ermutigt die Tat-sache, dass ein Handwerker heutzutage fünf Stunden ar-beiten gehen muss, um sich eine reguläre Stunde seinesKollegen leisten zu können, zu vorgeschichtlich anmuten-dem Tauschhandel nach dem Motto: Du reparierst meinAuto, und ich pflastere Dir Deine Auffahrt.

Aus all den genannten Gründen haben wir infolgedes-sen diesen Gesetzentwurf formuliert, vor allem aber umdie Arbeit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit leichterund effizienter zu gestalten. Gerade für die von Schwarz-arbeit besonders betroffenen Branchen sollen klare Rege-lungen eingeführt werden, die spätere Ausreden bezüg-lich des Arbeitsbeginns und Unklarheiten bei derIdentifikation unmöglich machen.

Mit dem heute zur Debatte stehenden Gesetzentwurfwerden wir erreichen, dass künftig jeder neu eingestellteArbeitnehmer sofort zum Beginn des ersten Arbeitstagesbei der Sozialversicherung angemeldet sein wird. Die So-fortmeldung benötigt lediglich vier Angaben: erstens Fa-milien- und die Vornamen, zweitens Versicherungsnum-mer, soweit bekannt, ansonsten Tag und Ort der Geburt,Anschrift, drittens Betriebsnummer des Arbeitgebers undviertens Tag der Beschäftigungsaufnahme.

Dass dies für einige Branchen nicht einfach werdenwird, möchte ich nicht verhehlen. Gerade in denjenigenArbeitsfeldern, in denen viel an Wochenenden und auf dieSchnelle Personal akquiriert werden muss – im Gaststät-tengewerbe, bei Messeaufbauten und natürlich auch beiden Gebäudereinigern – entstehen Probleme, die nichteinfach zu lösen sein werden. Hier baue ich darauf, dassbei der Formulierung der „Gemeinsamen Grundsätze“zu diesem Gesetz zwischen den beteiligten Ministerienund den Spitzenverbänden der betroffenen Branchengangbare Lösungen gefunden werden. Jedenfalls machtein Gesetz nur dann Sinn, wenn es auch praktisch umsetz-bar ist. Dies betrifft vor allem die Ausgestaltung der So-fortmeldung auf elektronischem Wege und womöglich dieEinrichtung einer Anlaufstelle zur telefonischen An-nahme und Umsetzung der Sofortmeldungen. Die bisherhäufigste Ausrede bei Kontrollen jedenfalls, man habeeben erst mit der Tätigkeit begonnen und die Meldung er-folge noch, zieht dann nicht mehr.

Weiterhin soll das ständige Mitführen von ausreichen-den Ausweispapieren in den von Schwarzarbeit beson-ders betroffenen Wirtschaftsbranchen Pflicht werden. Eshat sich nämlich gezeigt, dass der Sozialversicherungs-ausweis keine sichere Identifizierung der entsprechenden

Person gewährleisten kann. Dieser Umstand verzögertedie Arbeit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit enorm undverhinderte eine schnelle und sachgerechte Feststellunglegaler bzw. illegaler Beschäftigung. Da auch hier trotzder einzusehenden Notwendigkeit zu Beginn praktischeProbleme zu erwarten sind, appelliere ich an den Verord-nungsgeber, die Bußgeldbewehrung in diesem Zusam-menhang moderat und der Situation angemessen auszu-gestalten. In Berufsfeldern mit ständig wechselndenArbeitsorten, bei Tätigkeiten im Freien bei Wind und Wet-ter wird es insbesondere Beschäftigten aus Nicht-EU-Staaten schwer fallen, ihre Ausweispapiere, deren Wie-derbeschaffung äußerst umständlich ist, fortwährend pa-rat zu halten. Gleichwohl ist die schnelle und genaueFeststellung der Personalien für einen effizienten Einsatzder Kontrolleure unabdingbar.

Um zudem das Abgleichen der erforderlichen Datenzur Kontrolle fortwährend aktuell zu halten, werden inZukunft die Einwohnermeldedaten durch die entspre-chenden Meldebehörden direkt und zentral an die Deut-sche Rentenversicherung übertragen.

Dennoch sind alles in allem die Beratungen zu diesemGesetzentwurf leider nicht optimal gelaufen. Die Kürzeder parlamentarischen Beratung erscheint mir in Bezugauf die Tragweite der Entscheidung nicht angemessen.Meiner Auffassung nach wäre auch ein noch besseresEinbinden der Spitzenverbände der betroffenen Wirt-schaftszweige mit ihren Erfahrungen sinnvoll gewesen.Die Bereitschaft der Verbände jedenfalls war und ist – imeigenen Interesse, gegen Schwarzarbeit vorzugehen –vorhanden.

Schließlich wird sich in den kommenden Jahren zei-gen, inwieweit sich das Gesetz in seiner praktischenUmsetzung als zielführend erweist. Hierauf müssen wirbesonderes Augenmerk legen. Immerhin sind die im Ge-setzentwurf genannten Maßnahmen Ergebnis einer vo-rangegangenen Diskussion, die auch zu verschiedenenKompromissen geführt hat. So wurde auf die geplanteelektronische Überwachung von Registrierkassen gene-rell verzichtet. Die Anzahl der Wirtschaftszweige, die alsvon Schwarzarbeit besonders betroffen gelten, wurde von16 auf 9 reduziert. Auch wurde die zuerst vorgesehenetägliche Überprüfungspflicht der Mitführung von Perso-naldokumenten durch den Arbeitgeber durch eine einma-lige Aufforderung ersetzt.

Um jegliche Möglichkeit einer späteren Ausrede beieventuellen Kontrollen zu vermeiden, wurde die Formu-lierung bei der Sofortmeldepflicht auf die Formel „spä-testens bei Beschäftigungsaufnahme“ konkretisiert.

Fazit: Mit diesem Gesetzentwurf wollen wird den circa7 000 Mitarbeitern der Finanzkontrolle Schwarzarbeitkonkrete Mittel in die Hand geben, um schnell und sicht-bar Missbräuche auf dem Arbeitsmarkt zu bekämpfen.Dennoch wird uns eine generelle Eindämmung derSchwarzarbeit erst dann gelingen, wenn wir zuvor diegrundlegenden Ursachen dieses Missbrauches bekämp-fen. Dies kann als positiver Anreiz für Arbeitgeber undArbeitnehmer nur bedeuten: Runter mit den Kosten derArbeit und mehr Netto vom Brutto!

Zu Protokoll gegebene Reden

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20120 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

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Andreas Steppuhn (SPD): Mit der heutigen Verabschiedung des Zweiten Geset-

zes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuchund anderer Gesetze sagen wir Schwarzarbeit und illega-ler Beschäftigung in Deutschland den Kampf an. Wir be-schließen heute sehr wichtige Maßnahmen, um gegenSchwarzarbeit und illegale Beschäftigung noch stärkerund effektiver als bisher vorzugehen.

Schwarzarbeit ist kein Kavaliersdelikt, das man soeben unter den Tisch kehren kann. Im Gegenteil:Schwarzarbeit ist – um es sehr deutlich zu sagen – hand-feste Wirtschaftskriminalität. Sie schadet dem Allgemein-wohl.

Was mich daran am meisten ärgert, ist, dass Schwarz-arbeit selbst in einem so wirtschaftlich gut aufgestelltenLand wie Deutschland bei vielen Unternehmen, egal wel-cher Größenordnung, auf der Tagesordnung steht. Ge-rade die größeren Unternehmen ärgern mich dabeibesonders. Denn durch Schwarzarbeit und illegale Be-schäftigung werden legale Arbeitsplätze zerstört, werdenehrliche Unternehmen geschädigt, und es wird unsererGesellschaft erheblicher Schaden zugefügt. Wir redenhierbei über volkswirtschaftliche Schäden in Milliarden-höhe, die durch Schwarzarbeit und illegale Beschäfti-gung entstehen – Geld, das nicht nur den Sozialversiche-rungen fehlt, sondern auch Geld, das für die Schaffungvon neuen Arbeitsplätzen, für neue Investitionen in Bil-dung und Forschung oder für Familien nicht zur Verfü-gung steht. Darum bin ich stolz darauf, dass wir uns alsSPD durchsetzen konnten und mit dem vorliegenden Ge-setz dazu beitragen, dass Schwarzarbeit sowie illegaleBeschäftigung in Deutschland weiter eingedämmt unddie Bekämpfung von Schwarzarbeit deutlich erleichtertwerden.

Für uns als SPD-Fraktion war es seit Beginn dieserWahlperiode ein entscheidendes Ziel, den Kampf gegendie Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung weiter vo-ranzutreiben, die Instrumente zu verbessern und vor al-lem die Finanzkontrolle Schwarzarbeit in ihrer Arbeit zustärken. Mit dem vorliegenden Gesetz lösen wir unserVersprechen ein. Sicherlich ist das Gesetz noch nicht derletzte Schritt im Kampf gegen Schwarzarbeit, aber es istein weiterer wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Die Praxis hat uns die derzeitigen Defizite aufgezeigt,und wir haben sie aufgegriffen. Beispielsweise bei demPunkt der „Feststellung von Personalien bei Kontrolle“vor Ort. Hier gab es bislang erhebliche Probleme. Dieeindeutige Identifizierung der angetroffenen Personendurch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit konnte nichtimmer vorgenommen werden, sei es aufgrund der Aktua-lität der Daten oder der Nichtmitführung von Dokumen-ten. Dass eine wirkungsvolle Aufdeckung von Schwarz-arbeit aber nur erfolgen kann, wenn sich dieKontrollierten auch ausweisen können, darüber bestehtsicherlich kein Zweifel. Daher wird mit dem Gesetz eineMitführungs- und Vorlagepflicht von Ausweisdokumen-ten eingeführt. Beschäftigten in Branchen, in denen einerhöhtes Risiko zu illegaler Beschäftigung und Schwarz-arbeit besteht, müssen künftig Ausweisdokumente ver-

bindlich mit sich führen und sich auf Verlangen auch aus-weisen können.

Wir nehmen aber nicht nur die Arbeitnehmer in diePflicht, sondern auch die Arbeitgeber. Sie müssen künftigihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eben über dieAusweispflicht nachweislich belehren und diese Unter-weisung auch schriftlich belegen können.

Neben dieser Problematik hat sich in der Vergangen-heit ein zweiter wesentlicher Punkt als schwierig darge-stellt: die Meldung zur Sozialversicherung. Wie Ihnen si-cherlich bekannt ist, muss diese bisher nicht vor oder mitBeginn der Beschäftigungsaufnahme erfolgen, sondernerst mit der ersten Lohn- oder Gehaltszahlung. Dies kannbis zu sechs Wochen dauern. Das Problem, das hierbeibestand, war, dass Beamte der FKS oftmals bei Kontrol-len zu hören bekamen: Ich habe erst heute mit der Arbeitbegonnen oder eine Meldung musste noch nicht erfolgen.Damit konnte die Kontrollbehörde sehr oft nicht feststel-len, ob eine Meldung bei der Deutschen Rentenversiche-rung vorlag bzw. noch erfolgt ist oder ob es sich um einenillegal Beschäftigten handelte.

Die im Gesetz enthalte Neuregelung zur Sofortmelde-pflicht bei Beschäftigungsaufnahme setzt eine klare Rege-lung. Die Kontrollbehörde kann mittels eines elektroni-schen Datenabgleichs zukünftig sofort überprüfen, ob essich um einen ehrlichen Arbeitgeber handelt, der ord-nungsgemäß seine Arbeitnehmer sozialversichert, odernicht.

Zu dem Argument, so etwas kann gar nicht von denFirmen geleistet werden bzw. was geschieht in dem Mo-ment, in dem die Beschäftigungsaufnahme an einemSonntag oder Feiertag erfolgt: Dieses Argument kann ichbeim besten Willen und in Zeiten eines modernen Kom-munikationszeitalters nicht nachvollziehen. Denn ange-sichts dessen, dass es heute in fast allen Unternehmenmöglich ist, Sofortmeldungen auch elektronisch vor-zunehmen, und zum anderen den Unternehmen eineautomatische Ausfüllhilfe vonseiten der Einzugsstellekostenlos zur Verfügung gestellt wird, dürfte es für die Be-auftragten vor Ort, die Arbeitsverträge abschließen, keinProblem darstellen, dies ebenso einfach zu tun. Zudembelasten sie den Arbeitgeber nicht über Gebühr. Im Ge-genteil: Durch die Möglichkeit einer zügigen Kontrollewerden auch sie entlastet. Zumal die umfangreiche An-meldung, das heißt die Meldung aller Daten, wie bisher ineinem zweiten Schritt erfolgt: mit der ersten Lohn- undGehaltsrechnung nach Beschäftigungsbeginn.

Nicht zu vergessen in diesem Zusammenhang – dasdürfte auch im Interesse der Beschäftigten sein – ist dieTatsache, dass mit dieser Sofortmeldung zugleich ein Zu-griff der Leistungsträger, zum Beispiel der Unfallversi-cherungsträger, auf diese Daten ermöglicht wird, um soeventuelle Ansprüche etwa bei Arbeitsunfällen geltendmachen zu können.

Ein weiterer Punkt ist die Verbesserung der Übermitt-lung von Meldedaten durch die Meldebehörden an dieDeutsche Rentenversicherung. Dieser Punkt ist ebensowichtig für die Kontrolle vor Ort. Denn nur wer mitaktuellen Angaben arbeiten kann, kann eine effektive und

Zu Protokoll gegebene Reden

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20121

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Andreas Steppuhn

schnelle Kontrolle sicherstellen. Dies wird aber nicht nurdie Arbeit der Beamten vor Ort erleichtern, sondern dieswird auch den Unternehmen zugutekommen.

Diese von mir genannten Punkte waren für uns alsSPD-Fraktion von hoher Priorität: die sofortige Identi-tätsfeststellung durch die Mitführungspflicht vonAusweisdokumenten, die Sofortmeldung sowie die Ver-besserung der Übermittlung von Meldedaten. Zudem er-möglichen diese Maßnahmen auch eine effektivere Kon-trolle von Mindestlöhnen in den Branchen nach demArbeitnehmer-Entsendegesetz. Dazu gehört, meine Da-men und Herren von den Linken, natürlich auch der Bau-bereich. Denn was nützt es, Mindestlöhne in den Bran-chen einzuführen, wenn diese nicht wirksam überprüftwerden können?

Nicht zuletzt deshalb sehen wir als SPD-Fraktion indiesen Maßnahmen einen ersten wichtigen Schritt, ge-rade auch in einer von Schwarzarbeit stark betroffenenBranche wie der Baubranche die Einhaltung von Min-destlöhnen durchzusetzen und zugleich auch Schwarz-arbeit zu bekämpfen. Denn die Kontrollinstanzen werdenin die Lage versetzt werden, die Kontrolle über die Ein-haltung der Mindestarbeitsbedingungen, wie sie das Ar-beitnehmer-Entsendegesetz der Branche vorsieht, aucheffektiv und wirksam durchzuführen.

Abschließend möchte ich aber noch auf eine weitereRegelung in diesem Gesetzentwurf eingehen. Damitkomme ich zu Ihnen, meine Damen und Herren von derFDP-Fraktion. Sie haben einen Entschließungsantragformuliert, in dem Sie fordern, die im Gesetz vorgeseheneNeufassung der Befreiungsmöglichkeiten von der gesetz-lichen Rentenversicherung in § 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB IVdurch das vorliegende zweite SGB-IV-Änderungsgesetzabzulehnen. Hier möchte ich mir doch eine Bemerkunggestatten: Ich freue mich, dass Ihnen das so kurzfristigeingefallen ist und Sie sich in Ihrer Fraktion so gut ab-stimmen. Nicht nur, dass wir diesen Punkt im Ausschussfür Arbeit und Soziales ausführlich beraten und diskutierthaben, nein, Sie haben selbst dem Änderungsantrag unddem geänderten und jetzt vorliegenden Gesetzentwurf imAusschuss für Arbeit und Soziales am 3. November 2008zugestimmt. Sie können dies gern nachlesen im 100. Pro-tokoll des Ausschusses für Arbeit und Soziales, Tagesord-nungspunkt 3.

Nichtsdestotrotz möchte ich auf Ihre Forderung imEntschließungsantrag nochmals eingehen. Meine Damenund Herren von der FDP, Sie fordern eine Beibehaltungder jetzigen Regelungen der Befreiungsmöglichkeitenvon der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht für Leh-rer an nichtöffentlichen Schulen. Wir als SPD-Fraktionteilen diese Auffassung nicht. Wie bereits gesagt, nichtnur, dass wir uns im Vorfeld intensiv mit diesem wichtigenPunkt und dem Anliegen der privaten Schulen auseinan-dergesetzt haben. Wir haben uns auch dafür eingesetzt,dass über die ursprünglich im Gesetz geplante personen-bezogene Vertrauensschutzbestimmung eine darüber hin-ausgehende Vertrauens- bzw. Bestandsschutzregelungaufgenommen wird.

Uns war es wichtig, Rücksicht zu nehmen auf die be-reits seit längerem von bestimmten Schulen für ihre be-

schäftigten Lehrer in Anspruch genommenen Altersein-richtungen. Gerade auch, weil diese für das Fortbestehenauf einen Neuzugang an Mitgliedern angewiesen sind.Das bedeutet konkret, dass auch zukünftig Personen vonder Versicherungspflicht befreit werden können, diedurch solche Einrichtungen abgesichert werden: Perso-nen, die zwar nicht die verschärften Voraussetzungen füreine Befreiung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 in der neuenFassung ab 1. Januar 2009 erfüllen, wohl aber die bishe-rigen Voraussetzungen für die Antragsbefreiung erfüllen.Ich denke, hier haben wir einen sehr guten Kompromissim Sinne der Lehrerinnen und Lehrer, aber auch derSchulen gefunden.

Ihre Anmerkung, man würde diese Lehrerinnen undLehrer nichtöffentlicher Schulen schlechter stellen, kannich ehrlich gesagt nicht ganz nachvollziehen. Denn wirsorgen jetzt dafür, dass sie auch im Krankheitsfall abge-sichert sein müssen und ebenso einen Anspruch auf Bei-hilfe haben. Wo, meine Damen und Herren von der FDP,stellen wir an dieser Stelle diese Lehrerinnen und Lehrerschlechter? Das kann nur im Interesse der betroffenenLehrerinnen und Lehrer sein, um die es im Endeffekt hierja wohl geht: die soziale Absicherung von Beschäftigten.

Mit der Verabschiedung des Gesetzes und den darinenthaltenen Maßnahmen sind wir aber im Kampf gegendie Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung noch nichtam Ende der Fahnenstange angekommen. Uns als SPD-Fraktion ist bewusst: Dies ist ein erster Schritt. Dies istaber auch ein wesentlicher Schritt in die richtige Rich-tung. Wir stärken die Kontrolle vor Ort. Für eine nochbessere Bekämpfung von Schwarzarbeit und illegaler Be-schäftigung müssen wir aber alle mit ins Boot holen.Dazu gehören auch die Länder. Darum richte ich meinenAppell an dieser Stelle insbesondere nochmals an dieLänder. Steigen Sie mit ein ins Boot und ermöglichen Siemehr Transparenz bei vereinnahmten Geldern und einebessere Verfolgung und Ahndung von aufgedeckten Straf-taten. Unsere Vorschläge haben wir den Ländern bereitsmehrfach an anderer Stelle unterbreitet. Nun liegt es anihnen, dass wir gemeinsam noch besser und noch effekti-ver gegen Schwarzarbeit vorgehen können.

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Erstens. Die FDP verurteilt Schwarzarbeit ohne Wenn

und Aber. Denn Schwarzarbeit schadet nicht nur derVolkswirtschaft insgesamt, sondern benachteiligt ehrli-che Arbeitnehmer und ehrliche Unternehmer gleicher-maßen. Allein im letzten Jahr, 2007, sind in Deutschland348 Milliarden Euro schwarz erwirtschaftet worden. Daswar ein Plus von 1 Prozent gegenüber dem Vorjahr. DerLinzer Wissenschaftler Friedrich Schneider führt diesenAnstieg übrigens auf die Erhöhung der Mehrwertsteuerzurück.

Zweitens. Zur effektiven Bekämpfung der Schwarz-arbeit muss man deren Ursachen kennen und bekämpfen.Ebenso entscheidend ist es, die Anreize zur Aufnahmelegaler Beschäftigung zu stärken. Und hier hat die Bun-desregierung schlicht kontraproduktiv agiert: Steuer-erhöhung, Beitragssatzerhöhung in allen Bereichen derSozialversicherung außer bei der Arbeitslosenversiche-

Zu Protokoll gegebene Reden

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20122 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

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Dr. Heinrich L. Kolb

rung und die geplante Einführung von Mindestlöhnenverstärken nicht die Anreize zur Aufnahme einer legalenTätigkeit, sondern befördern die Schwarzarbeit. Die aus-ufernde Bürokratie tut ein Übriges dazu.

Drittens. Die FDP-Fraktion wird effektive Maßnah-men zur Verhinderung von Schwarzarbeit unterstützen. Inder ersten Lesung zu diesem Gesetzentwurf habe ich fürdie FDP-Fraktion deutlich gemacht, dass wir die Maß-nahmen Sofortmeldung und Mitführungspflicht von Aus-weisdokumenten in schwarzarbeitgefährdeten Branchenausdrücklich begrüßen. Dies hat die FDP im Übrigenschon länger gefordert. Im FDP-Antrag „Mehr Wett-bewerb und Kapitaldeckung in der Unfallversiche-rung“ vom Oktober letzten Jahres – Bundestagsdruck-sache 16/6645 – haben wir uns allerdings darauffestgelegt, dass die Sofortmeldung an die jeweils zustän-dige Meldestelle, die Krankenversicherung, und nicht dieRentenversicherung zu erfolgen hat. Dies hat den Vorteil,dass den Arbeitgebern nicht noch eine zweite Melde-adresse für die Mitarbeiter vorgegeben wird und somitzusätzliche bürokratische Strukturen geschaffen werden.Sinnvoll ist auch die vorgesehene Aufbewahrungspflichtdes Arbeitgebers betreffend die einmalige schriftliche Be-lehrung der Arbeitnehmer über die Mitführungspflichtder Personaldokumente.

Erwägenswert erscheinen mir auch die Hinweise desDeutschen Anwaltvereins. Dies gilt insbesondere für Prä-zisierungen zur Vermeidung von Unsicherheiten. ZuRecht hat der Deutsche Anwaltverein darauf hingewie-sen, dass, wenn es bezüglich der Einführung der Sofort-meldepflicht Unklarheiten gibt, dies zu erheblichen Be-lastungen aller Beteiligten – Justiz, Unternehmen undVerwaltung – führen kann.

Viertens. Zur Benachteiligung von freien Schulen ge-genüber konfessionellen und staatlichen Schulen bei derGründung von Versorgungswerken: Die FDP hat zu denim Gesetzentwurf enthaltenen Regelungen zu den Versor-gungswerken von Schulen in privater Trägerschaft einenEntschließungsantrag eingebracht. Wir sehen keinen An-lass, weshalb es Lehrern an nichtöffentlichen Schulenund Anstalten künftig nur noch dann möglich sein soll,sich von der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Ren-tenversicherung befreien zu lassen, wenn sie entweder annichtöffentlichen Schulen beschäftigt sind, die vor der ab-schließenden Lesung des Gesetzentwurfs Mitglied einerVersorgungseinrichtung geworden sind, oder die den ver-schärften Bedingungen des § 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI neuerFassung genügen. Der vorliegende Gesetzentwurf schränktdie Befreiungsmöglichkeit einer Vielzahl von Lehrern annichtöffentlichen Schulen unzulässig ein. Es sollen künf-tig nur solche Lehrer sich von der Pflicht zur Versiche-rung in der gesetzlichen Rentenversicherung befreien las-sen können – Antragsbefreiung nach § 6 Abs. 1 Satz 1Nr. 2 SGB VI für Lehrer und Erzieher an Privatschulen –,die über eine beamtenähnliche Absicherung verfügen.Dies ist aber bei Versorgungseinrichtungen privaterSchulen gerade nicht gegeben.

Hier sei auch darauf hingewiesen, dass Schulen in pri-vater Trägerschaft, wie beispielsweise die Waldorfschu-len, andere gewachsene Vergütungsstrukturen aufweisen.

Hinzu kommt, dass es die Finanzsituation den Schulen oftnicht erlaubt, neue Vergütungsstrukturen einzuführen.

Die FDP fordert, auch künftig Lehrern den Eintritt insolche Versorgungswerke ohne unüberwindbare Hinder-nisse zu ermöglichen. Diese Hürden sind nicht geeignet,die Altersversorgung der betroffenen Lehrer und Erzieherzu verbessern. Denn Versorgungswerke an nichtöffentli-chen Schulen bieten bereits heute eine ausreichende bzw.sehr gute Absicherung ihrer Lehrer. Durch das Entfalleneigener Versorgungswerke und den Verweis auf die ge-setzliche Rentenversicherung ist zu befürchten, dassSchulen in privater Trägerschaft gegenüber staatlichenSchulen benachteiligt werden, die eine Absicherung nachBeamtenrecht vorsehen.

Bei den Beratungen im zuständigen Ausschuss am ver-gangenen Mittwoch wurde in diesem Zusammenhang sei-tens des Ministeriums darauf verwiesen, dass es seit 1995die sogenannte Friedensgrenze zwischen gesetzlicherRentenversicherung einerseits und den Versorgungswer-ken andererseits gebe und hier nur eine Fortschreibungerfolge. Dem ist entgegenzuhalten: Die im Gesetzentwurfenthaltene Regelung ist nicht mit der sogenannten Frie-densgrenze aus § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI vergleichbar, mitder festgelegt wurde, wer sich in berufsständischen Ver-sorgungswerken statt in der gesetzlichen Rentenversiche-rung versichern lassen kann. Denn der Kammerzwangder jeweiligen Berufsgruppe zum 1. Januar 1995, der in§ 6 Abs. 1 Nr. 1 a SGB VI als Voraussetzung für eine Be-freiung von der Mitgliedschaft in der gesetzlichen Ren-tenversicherung verankert ist, umfasste tatsächlich be-reits vor 1994 alle Berufsgruppen der freien Berufe.Durch diese Regelung sollte nur ausgeschlossen werden,dass sich noch weitere Berufsgruppen zusätzlich zu denbereits befreiten Berufsgruppen von der Pflicht zur Versi-cherung in der gesetzlichen Rentenversicherung befreienlassen. Es gilt aber, dass auch nach 1995 beispielsweisevon Ärzten, Anwälten und Architekten noch Versorgungs-werke gegründet werden können. Entsprechend mussauch weiterhin an nichtöffentlichen Schulen die Grün-dung von Versorgungswerken möglich sein.

Zum Antrag der Linken: Die in ihrem Antrag vorge-schlagenen Maßnahmen taugen nicht zur Bekämpfungder Schwarzarbeit. Die Maßnahmen sind ineffektiv, zubürokratisch, zu teuer. Und für mich der entscheidendePunkt: Sie sind zum Teil schädlich und dazu angetan,auch reguläre Arbeitsplätze zu vernichten. Es ist nichtzielführend, ehrlichen Unternehmen zusätzliche bürokra-tische Belastungen aufzuerlegen, um die schwarzenSchafe zu bekämpfen. Dadurch werden die seriösen Fir-men mit zusätzlichen Kosten belastet. Wir brauchen effek-tive, unbürokratische und realistische Maßnahmen, umillegale Beschäftigung, Schwarzarbeit und Lohndumpingzu bekämpfen. Die Bauwirtschaft braucht keine neuenBelastungen durch bürokratische Hürden.

Zur wirksamen Bekämpfung der Schwarzarbeit ge-hört, nach den Ursachen und Gründen dafür zu suchen.Ein nicht unwesentlicher Grund ist die zu hohe Steuer-und Abgabenlast, die mit dafür verantwortlich ist, dassSchwarzarbeit und illegale Beschäftigung nicht zurück-gehen, sondern eher noch zunehmen. Die Kosten für le-

Zu Protokoll gegebene Reden

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20123

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Dr. Heinrich L. Kolb

gale Arbeit sind um ein Vielfaches höher als die für ille-gale Arbeit. Die Senkung der Lohnzusatzkosten istsicherlich das wirksamste Mittel zur Bekämpfung vonSchwarzarbeit, illegaler Beschäftigung und Dumpinglöh-nen. Darüber hinaus ist ein flexibles Tarifrecht, damitsich die Löhne an der Produktivität orientieren können,dringend geboten.

Ideologisch motivierter Populismus ist der falscheWeg und überaus schädlich. Deshalb lehnt die FDP-Fraktion den Antrag der Linken ab.

Werner Dreibus (DIE LINKE):Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung sind kein

Kavaliersdelikt, sondern ein absolut ernst zu nehmendesProblem. Es kann nicht angehen, dass Unternehmen so-genannte Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung alsLohndumpingstrategie einsetzen, um die Zahlung von Ta-rif- und Mindestlöhnen zu umgehen. Diese Unternehmengefährden zigtausende reguläre Arbeitsplätze und schwä-chen die Sozialversicherungskassen. So zahlen wir amEnde alle für den Extraprofit, den diese skrupellosen Un-ternehmen durch den Einsatz von Schwarzarbeit und ille-galer Beschäftigung herausholen. Das ist nicht hinnehm-bar! Wir begrüßen deshalb, dass die Bundesregierungendlich zwei wichtige Maßnahmen ergreift, die meineFraktion bereits vor der Sommerpause in dem Antrag„Für eine wirksame Bekämpfung von Verstößen gegenden Mindestlohn im Baugewerbe“ gefordert hat. Die Ver-pflichtung zur Sofortmeldung zur Sozialversicherung unddie Mitführungspflicht von Personaldokumenten am Ar-beitsplatz sind zwei wichtige Schritte, um die Kontrollenzu vereinfachen und den Kampf gegen den Einsatz vonSchwarzarbeit und illegaler Beschäftigung zu effektivie-ren. Diese Maßnahmen reichen jedoch noch nicht aus.Meine Fraktion stellt deshalb heute den Antrag „Für einewirksame Bekämpfung von Verstößen gegen den Mindest-lohn im Baugewerbe“ ebenfalls zur Abstimmung.

In der Baubranche gelten bereits seit Jahren Mindest-löhne. Und der Mindestlohn ist ein Erfolg! Er sorgt nichtnur dafür, dass die Beschäftigten im Baugewerbe im Ge-gensatz zu Millionen Arbeitnehmern und Arbeitnehme-rinnen in anderen Branchen ein auskömmliches Einkom-men haben. Er hat auch zehntausende Arbeitsplätzeerhalten. Da sind sich die Spitzenverbände der Bauwirt-schaft und die IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) einig.Trotzdem gibt es immer wieder Verstöße gegen den Min-destlohn, oftmals durch den Einsatz von Schwarzarbeitoder illegaler Beschäftigung.

Aber es gibt auch konkrete Vorstellungen zu wirksa-men Gegenmaßnahmen. Meine Fraktion hat in Gesprä-chen mit Vertretern der Arbeitgeber und der IG BAU eineReihe praktikabler und wirksamer Maßnahmen für denSchutz des Mindestlohns in der Baubranche identifiziert,die Sie alle begründet in unserem Antrag wiederfinden.Dazu gehört, dass die zuständige Kontrollbehörde „Fi-nanzkontrolle Schwarzarbeit“ eine deutlich bessereSachmittelausstattung erhält und ihr Personal umgehendauf 8 000 Stellen aufgestockt wird. Nur so wird sie in dieLage versetzt, ihren umfassenden Kontroll- und Ahn-dungsaufgaben tatsächlich auch gerecht werden zu kön-

nen. Und dazu gehört auch, dass die Sanktionen bei Ver-stößen so gestaltet und angewendet werden, dass sie aufdie Unternehmen eine deutlich abschreckendere Wirkungentfalten. In diesem Sinn erwarten wir von der Verschär-fung der Generalunternehmerhaftung und dem sofortigenAusschluss der Unternehmen, bei denen Verstöße gegenMindestlohnvorschriften oder der Einsatz von Schwarz-arbeit oder illegaler Beschäftigung festgestellt werden,deutliche präventive Effekte. Gehen Sie die weiterenSchritte, die im Kampf gegen Schwarzarbeit und illegaleBeschäftigung notwendig sind! Sichern Sie den Mindest-lohn im Baugewerbe! Stimmen Sie für unseren Antrag!

Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Schwarzarbeit bedeutet Steuerhinterziehung, So-

zialversicherungsbetrug und Arbeitsplatzklau. Da, woSchwarzarbeit blüht, wird reguläre Beschäftigung ver-drängt. Deshalb muss Schwarzarbeit ein Riegel vorge-schoben werden. Das hat auch etwas mit fairem Wettbe-werb zu tun. Um Schwarzarbeit deutlich einzudämmen,muss es vorbeugende Maßnahmen, effektive Kontrollenund wirksame Strafen geben.

Im Ziel sind sich alle Fraktionen im Bundestag einig.In der Frage, wie diese Ziele erreicht werden können,liegen die Differenzen. Den Gesetzentwurf der Bundesre-gierung halten wir auch nach den vorgenommenen Modi-fizierungen in wesentlichen Punkten nicht für praxistaug-lich. Darüber hinaus bleiben wichtige Bereiche, die zumAbbau von Schwarzarbeit beitragen können, weiterhinaußen vor und werden von der Bundesregierung bishernicht in Angriff genommen oder sogar abgelehnt. Ichmöchte das an wenigen Beispielen erläutern:

Ja, eine Meldefrist von sechs Wochen bei der Sozial-versicherung lädt geradezu zum Missbrauch ein. Die jetztvorgesehene Sofortmeldung bei der Sozialversicherungignoriert aber die Gegebenheiten in vielen Arbeitsberei-chen, in denen kurzfristig an den Wochenenden und amAbend eingestellt wird. Die betroffenen Unternehmen ha-ben deshalb den Vorschlag gemacht, die Meldepflicht aufden Beginn des ersten Werktages nach Beschäftigungs-aufnahme zu legen. Das ist vernünftig. Die Union hat diesbei der ersten Beratung auch so gesehen, aber es wurdekeine praxistaugliche Modifizierung des Gesetzentwurfesvorgenommen.

Ja, die kontrollierten Personen auf den Baustellen, imGastgewerbe oder in Reinigungsfirmen müssen für diePrüfer identifizierbar sein. Aber die Mitführung von Per-sonaldokumenten bedeutet für viele Menschen, die in denbetroffenen Branchen beschäftigt sind, ein unzumutbaresRisiko. Ausländerinnen und Ausländer haben leider zuRecht große Angst vor dem Verlust ihrer Papiere. Manch-mal ist die Wiederbeschaffung schlicht unmöglich, undaufenthaltsrechtliche Probleme sind die Folge. Auch hierhatte die Union in der ersten Beratung angekündigt,brauchbare Alternativen zu erarbeiten. Das ist aber nichtgeschehen.

Damit Schwarzarbeit wirksam unterbunden werdenkann, muss nicht nur die Kontrolle einfacher und besserwerden. Auch die Folgen für die Unternehmen, denenSchwarzarbeit nachgewiesen wird, müssen spürbar und

Zu Protokoll gegebene Reden

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20124 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

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Brigitte Pothmer

abschreckend sein. Geldstrafen, die verhängt werden,müssen auch gezahlt werden, und Unternehmen, die beiSchwarzarbeit erwischt werden, müssen zukünftig von öf-fentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden können. Wirhaben gestern über den Gesetzentwurf der Grünen zurEinführung eines bundesweiten Korruptionsregisters de-battiert. Ein solches Korruptionsregister brauchen wirauch, um zu verhindern, dass Unternehmen, die aufSchwarzarbeit setzen und so fairen Wettbewerb untergra-ben, bei der nächsten öffentlichen Auftragsvergabe wie-der berücksichtigt werden. Die Einrichtung eines bundes-weiten Korruptionsregisters ist auch dafür ein wirksamesInstrument, wurde aber von der Union bisher immer blo-ckiert.

Insgesamt müssen die Rahmenbedingungen auf demArbeitsmarkt so gesetzt werden, dass faire Löhne gezahltwerden und dass legales Arbeiten attraktiv ist. Auch da-rum schlagen wir Mindestlohnregelungen vor, die die Be-sonderheiten in den einzelnen Branchen und Regionenberücksichtigen, und auch darum fordern wir eine ge-zielte und deutliche Entlastung der unteren Einkommenbei den Sozialversicherungsbeiträgen. Letzteres bedeutetfür die Unternehmen eine deutliche Entlastung bei denLohnnebenkosten und für die Beschäftigten mehr Nettovom Brutto. Damit wird Schwarzarbeit vorgebeugt.

Insgesamt ist das, was die Bundesregierung zur Be-kämpfung der Schwarzarbeit vorgelegt hat, weder praxis-tauglich noch ausreichend. Darum lehnen wir den Ge-setzentwurf ab.

Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär beim Bundes-minister für Arbeit und Soziales:

Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung sind inDeutschland nach wie vor verbreitet und fügen dem Ge-meinwesen schweren Schaden zu. Die Bekämpfung derSchwarzarbeit und illegalen Beschäftigung hat daher– da weiß ich mich mit Ihnen allen einig – weiterhin hohePriorität.

Mit dem Aktionsprogramm „Recht und Ordnung aufdem Arbeitsmarkt“ hat die Bundesregierung ein umfang-reiches Maßnahmenpaket beschlossen. Mit dem heutezu beschließenden Gesetzentwurf werden wesentlichePunkte des Pakets umgesetzt. In der Prüfungspraxis hattesich gezeigt, dass sich bei der Meldung zur Sozialversi-cherung Unklarheiten ergeben können, da die Meldungenbisher nicht vor oder mit Beginn der Beschäftigung abzu-geben sind, sondern mit der ersten Lohn- und Gehaltsab-rechnung. So ist bisher eine abschließende Klärung desSachverhalts durch die Kontrollbehörden vor Ort vor al-lem dann nicht möglich, wenn eine Meldung bei der Deut-schen Rentenversicherung Bund nicht oder noch nichtvorliegt.

Ein weiteres Problem stellt bislang die Schwierigkeitdar, Personalien festzustellen, um Personen, die über-prüft werden sollen, eindeutig zu identifizieren. Mit denMaßnahmen des vorliegenden Gesetzentwurfes werdendiese Probleme angepackt:

Maßnahme Nummer eins ist die Einführung der So-fortmeldepflicht spätestens bei Beschäftigungsaufnahme.

Sie ermöglicht es den Behörden, vor Ort schnell und zwei-felsfrei festzustellen, ob das Beschäftigungsverhältnis derSozialversicherung gemeldet wurde. Liegt in den neunBranchen, in denen ein erhöhtes Risiko für Schwarzarbeitund illegale Beschäftigung besteht, für einen Beschäftig-ten keine Meldung in der Stammsatzdatei der Rentenver-sicherung vor, ist das als ein klarer Hinweis auf Schwarz-arbeit zu werten. Auch die Berufsgenossenschaften derUnfallversicherung erhalten im Leistungsfall Zugriff aufdie Stammsatzdatei, um bei Schwarzarbeit den Arbeitge-ber in Regress nehmen zu können.

Maßnahme Nummer zwei ist die Einführung einer Mit-führungs- und Vorlagepflicht von Personaldokumentenbei der Erbringung von Dienst- oder Werkleistungen inden neun betroffenen Branchen. Schon heute müssen beider Überprüfung insbesondere ausländischer Arbeitneh-mer Personaldokumente vorgelegt werden, um die betref-fende Person eindeutig identifizieren zu können. InZukunft werden auch die Arbeitgeber mit in die Verant-wortung genommen. Sie müssen ihre Beschäftigtenschriftlich über die Mitführungs- und Vorlagepflicht vonPersonaldokumenten belehren. Diese Belehrung wie-derum muss aufbewahrt und gegebenenfalls vorgelegtwerden können – andernfalls drohen Bußgelder.

Maßnahme Nummer drei zielt auf eine bessere Quali-tät der Anschriftendaten, die im Verdachtsfall einen ein-deutigen Abgleich der Personendaten mit den Daten derVersichertenkonten bei der Rentenversicherung ermögli-chen. Aus diesem Grund erhalten die Träger der Deut-schen Rentenversicherung über ihre Datenstelle zu-künftig aktualisierte Anschriftendaten, die von denMeldebehörden bei Geburt, Anschriftenänderung oderim Sterbefall übermittelt werden. Mit dieser zentralenÜbermittlung der Anschriftendaten können die besonde-ren Meldungen der Arbeitgeber in den Fällen einer An-schriftenänderung entfallen.

Das vorgesehene Verfahren senkt die Bürokratiekostenerheblich: Die Meldebehörden der Kommunen wie auchdie Rentenversicherungsträger werden um geschätztrund 180 Millionen Euro im Jahr entlastet – vor allem,weil nach der Umstellung die bisher notwendigen, aberkostspieligen Einzelaufklärungen entfallen.

Neben den skizzierten Maßnahmen zur Bekämpfungder Schwarzarbeit sieht der vorliegende Gesetzentwurfzwei Neuregelungen vor, die den Bereich der Altersvor-sorge betreffen. Punkt eins betrifft die staatliche Förde-rung privater Altersvorsorge. Durch eine Ergänzung imSGB XII unterstützen wir hilfebedürftige und dauerhaftvoll erwerbsgeminderte Personen beim Aufbau einerRiester-Rente. Die Beiträge für eine solche Altersvor-sorge werden durch die Sozialhilfe übernommen.

Darüber hinaus enthält der Gesetzentwurf eine Rege-lung zur Begrenzung der Versorgungswerke für Lehrerin-nen und Lehrer an Privatschulen. Eine Bestandsschutzre-gelung nimmt hier Rücksicht auf Einrichtungen, diebereits seit längerem in Anspruch genommen werden undfür ihr Fortbestehen auf Neuzugänge angewiesen sind.Durch diese Regelung sind auch die Ansprüche der Ver-sicherten in diesen Versorgungswerken geschützt.

Zu Protokoll gegebene Reden

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20125

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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Wir kommen zur Abstimmung zu Tagesordnungs-punkt 36 a. Der Ausschuss für Arbeit und Sozialesempfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-che 16/10903, den Gesetzentwurf der Bundesregierungauf Drucksache 16/10488 in der Ausschussfassung anzu-nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf inder Ausschussfassung zustimmen, um das Handzeichen. –Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf istdamit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD,CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke an-genommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen, sich zu erheben. – Werstimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurfist damit in dritter Beratung mit demselben Stimmener-gebnis wie in der zweiten Beratung angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungs-antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/10908.Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Werstimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungs-antrag ist mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltun-gen der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und DieLinke bei Gegenstimmen der FDP abgelehnt.

Tagesordnungspunkt 36 b. Der Ausschuss für Arbeitund Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlungauf Drucksache 16/10902, den Antrag der Fraktion DieLinke auf Drucksache 16/9594 abzulehnen. Wer stimmtfür diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit denStimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen, derCDU/CSU und der FDP bei Gegenstimmen der FraktionDie Linke angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 37 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Investi-tionszulagengesetzes 2010 (InvZulG 2010)

– Drucksachen 16/10291, 16/10496 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-schusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 16/10886 –

Berichterstattung:Abgeordnete Manfred Kolbe Simone Violka

– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)gemäß § 96 der Geschäftsordnung

– Drucksache 16/10917 –

Berichterstattung:Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme Carsten Schneider (Erfurt)Otto Fricke Dr. Gesine Lötzsch Alexander Bonde

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-gin Simone Violka, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Simone Violka (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir sprechen heute über ein Förderinstru-ment, das eigentlich Erfolgsinstrument heißen müsste. In19 Jahren gab es so manchen Versuch der Förderung.Vieles war erfolgreich, anderes nicht. Aber das Investi-tionszulagengesetz gehört auf jeden Fall zu den gelunge-nen Versuchen.

Auch wenn es spät ist – ich hoffe, dass viele vor denFernsehern sitzen –, möchte ich die Gelegenheit nutzen,mich bei den Unternehmerinnen und Unternehmern,aber auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, derGewerkschaft und ebenso bei den vielen zumeist ehren-amtlich arbeitenden Kommunalpolitikerinnen und Kom-munalpolitikern zu bedanken, die in den vergangenen19 Jahren neben den finanziellen Mitteln das meiste zumAufbau Ost beigetragen haben.

Wir sprechen in dieser Zeit, so auch heute, über denAufbau Ost und den Stand der deutschen Einheit, und eswird viel darüber geredet, was noch nicht so funktio-niert. Aber ich halte es auch für wichtig, zu sagen, dassvieles geschaffen wurde.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich will als Sächsin in diesem Zusammenhang auf Fol-gendes hinweisen: In den neuen Ländern haben wir ins-besondere im Hinblick auf alternative Energien aus denChancen, die uns gegeben wurden, unglaublich viel ge-macht. Ich erinnere nur an Solarworld in Freiberg und anRoth & Rau in Hohenstein. Inzwischen sind in Ost-deutschland viele gute und neue Unternehmen ansässig,bei denen viele Menschen in Lohn und Brot stehen unddie den Menschen in der Region eine Perspektive geben.

Wer sich Gedanken darüber macht, ob es überhaupteinen idealen Zustand gibt bzw. wann er erreicht ist,muss ehrlich sein und sagen: Einen idealen Zustand gibtes in Deutschland nirgendwo, weder im Osten noch imWesten noch im Norden noch im Süden. Das hat etwasmit Entwicklung zu tun. Natürlich hatten wir im Ostendes Landes erst einmal viel nachzuholen; das ist nachwie vor so. Allerdings ist bei uns auch viel passiert. Ichmöchte nicht darüber nachdenken, in welchem Zustandsich zum Beispiel unsere Kanalisation heute befindenwürde, hätte es die Wende und die folgenden Investitio-nen nicht gegeben.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Als ich ein Kind war, gehörten massive Rohrbrüche vorallen Dingen im Winter zum täglichen Bild. Wennmanch einer einwendet, dass das vielleicht etwas mitdem Klimawandel zu tun hat, und darauf hinweist, dassdie Winter heute nicht mehr so hart wie früher sind,

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20126 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

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Simone Violka

muss ich sagen: Ich glaube nicht, dass dies die Gründesind; denn damals lag vieles im Argen. Es fand ein un-glaublicher Raubbau an der Substanz statt, dessen Fol-gen erst einmal bewältigt werden mussten. Wer glaubt,19 Jahre hätten ausreichen müssen oder können, um die-sen Rückstand wettzumachen, der sollte einmal intensivdarüber nachdenken, dass dieser Rückstand sozusagen40 Jahre Zeit hatte, sich aufzubauen.

Zu den Ursachen dieses Rückstands gehören nicht nurder Raubbau an Material und zum Teil am Menschen,sondern auch, dass bewusst kein Mittelstand zugelassenwurde, dass innovativen Betrieben, die sich hätten er-weitern können, die Verstaatlichung drohte, sobald sieeine gewisse Mitarbeiterzahl überschritten, sodass indiesem Bereich praktisch keine Entwicklung stattfand.Man kann nicht davon ausgehen, dass Menschen, die40 Jahre lang unter solchen Rahmenbedingungen einenBetrieb führen mussten, von heute auf morgen zu her-vorragenden Unternehmern werden, die sich darüberhinaus – das kommt noch hinzu – in einem neuen Sys-tem zurechtfinden mussten, was sie schlicht und ergrei-fend nicht konnten, weil ihre Lebensbedingungen diesnicht hergaben. In Anbetracht dessen muss man wirklichsagen: Es ist super, was die Leute aus dieser Situationgemacht haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte noch einmal auf den Faktor Zeit zu spre-chen kommen. Ich sage immer: Das ist wie beim Abneh-men. Zu viele Kilos hat man schnell drauf. Will manaber nachhaltig und vor allen Dingen auf gesunde Artund Weise wieder schlank werden, dauert das seine Zeit. –Wie beim Abnehmen muss man auch beim Aufbau Ostvon Zeit zu Zeit überprüfen, welche Maßnahmen gutsind und deshalb fortgesetzt werden sollten und welcheinzwischen nicht mehr zeitgemäß und somit „ungesund“sind.

Die Investitionszulage, die wir heute in zweiter unddritter Lesung beraten, hat sich als gutes Instrument er-wiesen und sich bewährt. Deshalb ist es gut und richtig,dass sie auch nach 2009 weiterhin zur Verfügung steht.

Natürlich hat auch dieses Gesetz Schwächen. Wennman ehrlich ist, muss man sich allerdings fragen: Wel-ches Gesetz hat denn keine Schwächen? Ich bin politischnicht bereit, ein Gesetz, von dem Menschen profitieren,wegen ein paar Schwächen, die in keinem Verhältnis zuseinen Stärken stehen, preiszugeben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zu den Schwächen dieses Gesetzes gehören nach wievor die Mitnahmeeffekte. Mitnahmeeffekte gibt es aller-dings überall, wo gefördert wird. Man kann sie nicht ver-hindern, ohne die Menschen, die auf das Gesetz ange-wiesen sind, ihrer Existenz zu berauben. Dem gegenüberstehen Rechtssicherheit, Schnelligkeit und vor allen Din-gen eine unbürokratische Abwicklung. Diese Aspektehaben dieses Förderinstrument so beliebt gemacht. Dassind Stärken, die wahrlich nicht jedes Förderinstrumentvorweisen kann. Daher ist sehr zu begrüßen, dass es mitdem jetzt zu verabschiedenden Investitionszulagen-gesetz 2010 ein Nachfolgegesetz für das Investitions-

zulagengesetz 2007, welches Ende des Jahres 2009 aus-läuft, gibt, welches die Förderung auch nach 2009 mög-lich macht und die geförderten Maßnahmen bis 2013 si-cherstellt.

Trotz aller Freude will ich nicht verschweigen, dassdas nicht selbstverständlich war, nicht wegen der Ein-stellung der Bundesrepublik zu diesem Gesetz, sondernwegen Brüssel. Schon als es um das Investitionszulagen-gesetz 2007 ging, waren intensive Verhandlungen in denzuständigen Brüsseler Stellen, die diesem Förderinstru-ment eher skeptisch gegenüberstanden und ihm nach wievor skeptisch gegenüberstehen, notwendig. Mein Dankgilt an dieser Stelle all jenen, die das jetzt zur Abstim-mung stehende Gesetz durch intensive Gespräche unddurch Überzeugungsarbeit in den Verhandlungen inBrüssel ermöglicht haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Das war natürlich nicht ohne Kompromisse machbar.Eine Forderung aus Brüssel war die Festschreibung ei-nes Endpunktes der Förderung und eines degressivenVerlaufs der Fördersätze. Dieser Forderung wird durchdie Ausgestaltung des vorliegenden Investitionszulagen-gesetzes 2010 Rechnung getragen. Allerdings haben wirim Ausschuss deutlich gemacht, dass für uns in dieserAngelegenheit noch nicht das letzte Wort gesprochen ist.Sollte 2011 festgestellt werden, dass die Wirtschaftskraftim Fördergebiet noch immer weit unter dem Bundes-durchschnitt liegt, muss die Degression noch einmal aufden parlamentarischen Tisch und auf ihre Notwendigkeithin überprüft werden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

Dadurch haben wir für den Osten viel gewonnen. Anstattden Zugeständnissen nachzuweinen, sollten wir bis 2013das Beste daraus machen.

Dank dem Entgegenkommen Brüssels wird mit demInvestitionszulagengesetz 2010 auch die Förderlücke ab-geschafft werden können. Das wird möglich, weil dieEuropäische Kommission am 6. August 2008 eine All-gemeine Gruppenfreistellungsverordnung verabschiedethat, wonach eine Förderung von kleinen und mittlerenUnternehmen im D-Fördergebiet, also in Berlin, weiter-hin möglich ist. Vorher war eine Förderung in diesemGebiet auf bis Ende 2008 begonnene Investitionsvorha-ben beschränkt. Dadurch wurde ein nahtloser Übergangder Förderung für alle Gebiete ermöglicht.

Neu ist auch, dass kleine Unternehmen jetzt stärkergefördert werden. Für Erstinvestitionen bei kleinen Un-ternehmen beträgt die Investitionszulage 20 Prozent derBemessungsgrundlage, und für mittlere Unternehmenbeträgt sie zukünftig 10 Prozent. Auch damit wird einerForderung aus Brüssel Rechnung getragen.

Aufgrund der Fördersummen haben wir alle Chancenauf weitere gute Ergebnisse. Neben anderen Förderin-strumenten wollen wir auch mit diesem Gesetz weiterUnterstützung leisten. Durch die Beträge wird deutlich,dass es sich bei dieser Unterstützung um ganz schöne

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20127

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Simone Violka

Brocken handelt und nicht um kleine Möhrchen, von de-nen heute früh schon gesprochen wurde.

Durch die Umsetzung des vorliegenden Gesetzent-wurfes wird es zu folgenden Förderungen kommen: ImJahre 2011 sind es über 550 Millionen Euro, imJahr 2012 über 770 Millionen Euro, im Jahr 2013 über540 Millionen Euro, im Jahr 2014 über 315 MillionenEuro, und im Jahr 2015 sind es wegen der degressivenAusgestaltung, die 2011 aber noch einmal überprüft wer-den soll, noch einmal 90 Millionen Euro.

Das Investitionszulagengesetz 2010 ist ein gutes Ge-setz. Es ist eine gute Nachricht für die Unternehmer– vor allem aus Mittelstand und Handwerk –, die dieseFörderung bereits in der Vergangenheit gern und oft inAnspruch genommen haben. Es werden natürlich nochweitere Mittel freigesetzt, weil mit jedem Euro Förder-geld natürlich auch Eigeninvestitionen verbunden sind,was gerade in dem Bereich der mittelständischen undkleinen Betriebe zu unglaublich großen Kräften für dieheimische Wirtschaft führt.

Wir haben uns im Verfahren aber nicht nur mit derDegression, der Förderlücke und den Fördersummen be-schäftigt, sondern auch die Forderungen und Wünscheder verschiedenen Verbände und Unternehmerinnen undUnternehmer angehört und sie, wenn es ging, auch be-rücksichtigt. Soweit es möglich und politisch gewolltwar, ist es gelungen, dementsprechende praxisnahe Ver-änderungen herbeizuführen. Beispielhaft möchte ich diekonstruktiven Vorschläge des Zentralverbands des Deut-schen Handwerks nennen. Einigen der zentralen Punkteihres Wunsches auf Veränderung konnten wir folgen,und ich bin mir sicher, dass diese Veränderungen in un-ser aller Interesse sind.

Wir stimmen heute über ein gutes Gesetz ab, das hilft,Deutschland in Gänze und damit die ostdeutschen Län-der im Besonderen weiter nach vorne zu bringen. Des-halb fordere ich Sie auf: Machen Sie mit, stimmen Siezu, und schaffen Sie in den neuen Bundesländern bis2013 weitere Chancen, damit wir die deutsche Einheitendlich auch auf wirtschaftlichem Sektor vollenden kön-nen!

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Das Wort hat der Kollege Christian Ahrendt, FDP-

Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Christian Ahrendt (FDP): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen,

die Sie zu so später Stunde noch hiergeblieben sind! DieFDP wird dem Investitionszulagengesetz 2010 zustim-men. Wir halten dies nach wie vor für wichtig. Der Auf-holprozess in den neuen Bundesländern ist nicht abge-schlossen. Es gibt nach wie vor die Situation, dass vorallem die kleinen und Kleinstunternehmen in den neuenBundesländern Schwierigkeiten haben, über ihre Eigen-kapitalausstattung Investitionen zu finanzieren. Hier wardie Investitionszulage in den letzten Jahren ein sicherer

und kalkulierbarer Faktor, der gerade jetzt, da man ange-sichts der Finanzmarktkrise, in der wir uns befinden,über den wirtschaftlichen Abschwung nachdenken muss,im Osten stabilisierend wirken und dadurch weiterhindazu beitragen kann, dass Investitionen im Mittelstandgetätigt werden.

Gleichwohl – das muss man an dieser Stelle auch sa-gen – könnte man die Rede auch mit den Worten „AlleJahre wieder“ beginnen; denn das Investitionszulagenge-setz ist ein Gesetz, dessen Gültigkeit alle zwei Jahre ver-längert wird. Damit wird ein Stück weit auch gezeigt,wie schwierig es ist, eine einmal gewährte Subventionwieder abzubauen.

Der Kollege Hettlich hat es in seiner letzten Rede ge-sagt: Es gibt keine wirklich sinnvolle Untersuchung da-rüber, ob die Investitionszulage zu den Effekten und Er-folgen geführt hat, die wir alle konstatieren.

(Simone Violka [SPD]: Das wirkliche Leben beweist es!)

Zu einem Erfolg hat sie geführt: Sie hat zumindest dazugeführt – das habe ich schon in der letzten Rede zudiesem Thema angeführt –, dass das Finanzministeriumin Mecklenburg-Vorpommern staatsanwaltschaftlich durch-sucht wurde, weil dort jahrelang Missbrauch mit Kernge-bietsbescheinigungen betrieben wurde, was zu einementsprechenden Abfluss von Investitionszulagen aufdurchaus unberechtigter Weise geführt hat. Insofernmuss man sich – wenn man das Gesetz alle zwei Jahreverlängert – die Frage stellen, ob es langfristig so weiter-gehen kann. Auch wenn man nicht an den Solidarpakt II,zu dem das Gesetz gehört, herangehen möchte, ist esfraglich, ob die Investitionszulage letzten Endes das er-reicht, was wir uns davon versprechen.

Gleichwohl käme die Diskussion jetzt zum falschenZeitpunkt. Sie wird zu einem späteren Zeitpunkt geführtwerden müssen, wenn wir die wirtschaftlichen Krisen-zeiten, die jetzt auf uns zukommen, hoffentlich erfolg-reich überstanden haben. Die mittelständischen Unter-nehmer in den neuen Bundesländern brauchen dieInvestitionszulage. Vor diesem Hintergrund stimmt dieFDP dem Gesetzentwurf zu.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Nächster Redner ist der Kollege Manfred Kolbe,

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Manfred Kolbe (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Große Koalition arbeitet auf vielen Gebieten rei-bungslos zusammen, so auch auf dem Gebiet der Investi-tionszulage. Das zeigt sich auch daran, dass die KolleginViolka mehr oder weniger meine Rede vorgetragen hat.Wir haben unabhängig voneinander mehr oder wenigerdenselben Text verfasst. Ich kann mich deshalb auf ei-

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Manfred Kolbe

nige zusätzliche Anmerkungen beschränken und darf imInteresse der anwesenden Kollegen verkünden, dass ichkeineswegs gedenke, die Redezeit voll auszuschöpfen.

Ich möchte mit dem Dank an die Bundesregierung be-ginnen. Wir beschließen die Nachfolgeregelung für dasInvestitionszulagengesetz 2007. Die Bundesregierunghat frühzeitig auf der Kabinettsklausur im letzten Augustin Meseberg das Investitionszulagengesetz bis 2013 aufden Weg gebracht. Herr Schauerte, Herr Diller, vielenDank namens meiner Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Kollegin Violka hat ausgeführt, dass wir im Ostenviele Erfolge erzielt haben. Wer vor 20 Jahren in derehemaligen DDR war und heute dieselben Städte undLandschaften besucht, wird diese in jeder Hinsicht nichtwiedererkennen. Wir haben teilweise den Westen in eini-gen Bereichen nicht nur eingeholt, sondern auch über-holt. Wenn man auf der A 4 von Dresden nach Frankfurtfährt, dann wird man feststellen, dass in Thüringen dieAutobahn sechsspurig ist. In Hessen verengt sie sich aufeinmal auf vier Spuren, obwohl es dort nicht wenigerVerkehr gibt. Wir haben auch die Pflegeheime, Kranken-häuser und den gesamten Bereich der öffentlichen Infra-struktur ganz wesentlich auf Vordermann gebracht.

Nichtsdestotrotz gibt es noch Schwachpunkte beimAufbau Ost. Ein Schwachpunkt ist sicherlich die ge-werbliche Wirtschaft. Uns fehlen noch nach wie vorselbstständige Unternehmen. Wir haben nur einen größe-ren Unternehmenssitz im Osten Deutschlands. Das istein Defizit. Deshalb sind – das ist auch durch Zahlen be-legt – die Wachstumsraten im Osten Deutschlands leiderseit einigen Jahren wieder niedriger als im Westen. Auchdie Arbeitslosigkeit ist nach wie vor doppelt so hoch.Der Abwanderungstrend setzt sich leider weiter fort.Deshalb halten wir von der CDU/CSU-Fraktion das In-vestitionszulagengesetz 2010 für notwendig.

Das Fördergebiet umfasst die östlichen Länder. Be-günstigte Wirtschaftszweige sind das verarbeitende Ge-werbe, produktionsnahe Dienstleistungen und das Be-herbergungsgewerbe. Der Investitionszeitraum umfasstdie Zeit bis zum 31. Dezember 2013. Der Fördersatz istdegressiv, von 12,5 Prozent im Jahr 2010 bis 2,5 Prozentim Jahr 2013. Das Investitionsvolumen beträgt 550 Mil-lionen Euro im Jahr 2011, 770 Millionen Euro in 2012,540 Millionen Euro in 2013, 315 Millionen Euro in 2014und weitere 90 Millionen Euro in 2015.

Damit komme ich zu der scharfen Degression, die dasInvestitionszulagengesetz 2010 enthält. Auch darin sindwir uns einig, liebe Simone Violka: Wir sind froh überdie Fortführung des Investitionszulagengesetzes, aberwir bedauern etwas die scharfe Degression, die im Wi-derspruch zu der Tatsache steht, dass der Osten nochnicht so richtig aufholt und wir dieses Instrument des-halb weiter brauchen.

Aus aktuellem Anlass möchte ich noch auf Folgendeshinweisen: Wir machen uns dieser Tage Gedanken überein Konjunkturprogramm, das einen zweistelligen Mil-liardenbetrag kosten soll. Es macht angesichts dessenwenig Sinn, die Mittel für ein bewährtes Konjunkturpro-

gramm wie die Investitionszulage zurückzufahren unddamit möglicherweise 200 Millionen Euro im Jahr ein-zusparen. Das sollte man vielleicht bedenken. Wir sinddeshalb froh, dass die Koalitionsfraktionen – SimoneViolka hat das schon vorgetragen – in ihrem Bericht Fol-gendes formuliert haben – ich darf das zitieren –:

Die Koalitionsfraktionen fordern die Bundesregie-rung auf, dem Finanzausschuss im Jahre 2011 überdie wirtschaftliche Situation im Fördergebiet zu be-richten, damit bewertet werden kann, ob die Inves-titionszulage tatsächlich 2013 auslaufen oder dochdarüber hinaus verlängert werden soll.

So lautet die Beschlussempfehlung des Finanzausschus-ses.

Ich möchte bereits auf den letzten Redner in dieserDebatte eingehen, obwohl ich deine Rede noch gar nichtkenne, lieber Kollege Peter Hettlich.

(Peter Hettlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Du ahnst es!)

Du hast vorhin in der Debatte zur deutschen Einheit ge-äußert, dass den Koalitionsfraktionen dieser Punkt offen-bar nicht so wichtig sei, weil sie nicht redeten. Das warfalsch. Wir haben geredet. Du siehst mich doch hier amRednerpult stehen. Du wirst gleich möglicherweise be-klagen, dass wir diese Debatte zu so später Stunde füh-ren. Das liegt aber an eurem morgigen Parteitag, auf denwir Rücksicht nehmen. Sicherlich hätte man morgen zueiner besseren Zeit über diesen Punkt diskutieren kön-nen. Du wirst möglicherweise auch beklagen, dass dieInvestitionszulage durch andere Instrumente ersetzt wer-den soll. Ich meine aber – darin stimmen wir mit derSPD überein –, dass das ein unbürokratisches Förderin-strument ist. Es wird angenommen. Wenn du mit denVertretern der Wirtschaft vor Ort sprichst – wir beide ha-ben denselben Wahlkreis –, dann wirst du feststellen,dass das nach wie vor das beliebteste Förderinstrumentist.

Abschließend darf ich mich bei allen Beteiligten, derBundesregierung, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiternim Finanzausschuss sowie den Kollegen, bedanken, diedieses Gesetz auf den Weg gebracht haben. Wir habendamit einen kleinen weiteren Baustein zur inneren Ein-heit gelegt und wünschen diesem Gesetz viel Erfolg.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Nächste Rednerin ist die Kollegin Dorothée Menzner,

Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Dorothée Menzner (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Der vorliegende Gesetzentwurf ist angesichts deraktuellen Entwicklungen auf den internationalen Finanz-märkten und deren Auswirkungen auf die Realwirtschaftleider anachronistisch. So empfinde ich im Übrigen viele

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Dorothée Menzner

von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwürfe,gerade mit ihren Konsequenzen für die ostdeutschenBundesländer. In diesem Fall aber und angesichts einesparallel durch die Bundesregierung geplanten Konjunk-turprogramms zur Abfederung der Wirtschaftskrise stelltsich die Frage nach der inhaltlichen Ausgestaltung desGesetzesvorhabens noch dringlicher.

Warum? Das Gesetz selbst regelt eine Fortführung derInvestitionsförderung in den neuen Bundesländern überdas Jahr 2009 hinaus. Das begrüßen wir, ebenso wie derBundesrat. Der vorliegende Entwurf verstetigt einerseitsdie Trennung zwischen Ost und West, ignoriert jedochandererseits die aktuelle Entwicklung in Richtung einerschweren und wahrscheinlich lang anhaltenden Phaseökonomischer Rezession. Angesichts dessen – und so-lange im Grundgesetz die Gleichwertigkeit der Lebens-verhältnisse postuliert wird – ist es politisch geradezufahrlässig, die Investitionszulage für die neuen Bundes-länder ab 2009 kontinuierlich abzusenken, um sie dannnach 2013 auslaufen zu lassen.

(Beifall bei der LINKEN)

Um es ganz deutlich zu sagen: Natürlich unterstütztdie Linke die weitere Förderung. Gleichzeitig setzt siesich jedoch gegen die Einstellung der Investitionszulagenach 2013 ein, weil man sich damit eines Instrumentszur Förderung des Mittelstandes in den neuen Bundes-ländern beraubt; denn aktuell ist dieses Mittel umsodringlicher und kann von den im Rahmen des Konjunk-turprogramms der Bundesregierung geplanten Förde-rungsmaßnahmen für den Mittelstand nur flankiert wer-den. Niemand wird bezweifeln, dass die besondereFörderung des ostdeutschen Mittelstandes notwendig ist,um den neuen Bundesländern zu dem selbsttragendenAufschwung zu verhelfen, von dem die Große Koalitionimmer redet. Eine doppelt so hohe Arbeitslosigkeit,kaum Forschung und Entwicklung, die Verfestigung pre-kärer Arbeitsverhältnisse sowie ein geringeres Lohn-und Rentenniveau sprechen eine deutliche Sprache.

Nun trifft es ja zu, dass aufgrund des ökonomischenWandels auch in den alten Bundesländern struktur-schwache Regionen mit ähnlichen Problemen entstandensind, die auch staatlicher Hilfe bedürfen. Diese aber zu-lasten der ostdeutschen strukturschwachen Regionen zugewähren, spricht einer nachhaltigen Politik Hohn. Hierwird offensichtlich Ost gegen West bei der Wirtschafts-förderung ausgespielt.

Apropos sozial: Sie glauben doch nicht ernsthaft, dassdurch die Kürzung der Investitionszulage und die Neu-aufteilung der Gelder zwischen Ost und West irgendei-ner strukturschwachen Region wirklich geholfen werdenkann. Die bestehenden und anwachsenden Probleme las-sen sich durch die allgemeine Ausdünnung des Förderni-veaus ganz bestimmt nicht sinnvoll und nachhaltig lö-sen. Dass die Bundesregierung statt eines langfristigenund finanzpolitisch nachhaltigen Engagements jeden fi-nanzökonomischen Unsinn mitmacht, ist die Steuerzah-ler leider schon mehr als teuer zu stehen gekommen.Dass diese Regierung die schwächeren Regionen, gleichob in Ost oder West, perspektivisch ihrem Schicksalüberlässt, wird die Menschen auch noch teuer zu stehen

kommen. Dass Sie dann noch versuchen, diesen von Ih-rer Politik mehrfach benachteiligten Menschen ein X fürein U vorzumachen, zeugt schlichtweg von schlechtempolitischem Stil.

Da wir als Fraktion Die Linke eine Förderung von In-vestitionen in den neuen Bundesländern nicht ablehnen,das vorliegende Gesetz aber für unzureichend halten,werden wir uns enthalten.

Ich danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Peter

Hettlich, Bündnis 90/Die Grünen.

(Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Oh! Er ist ganz alleine!)

Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Erst einmal muss ich sagen: Lieber ManfredKolbe, ich freue mich ausdrücklich, dass wir diese De-batte führen; ich werde mich nicht beklagen. Wir warenuns darin einig, dass wir in der letzten Legislaturperiodeöfter auch um ein oder zwei Uhr hier geredet haben. Dashat sich ein bisschen verändert. Neue Jahre, neue Sitten.Wie gesagt, ich freue mich ausdrücklich und bedankemich bei den Kollegen, dass sie noch zu so später Stundehier im Saal sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der LINKEN)

Ich finde, das ist ein wichtiges Thema. Deswegenhabe ich auch gesagt, wir sollten darüber diskutieren;denn die Investitionszulage, die Frage der Verlängerungund die Frage, wie es nach 2013 weitergeht, sind Dinge,die meine Fraktion schon sehr lange bewegen. Ich binseit sechs Jahren Sprecher der AG Ost. Das Thema Wirt-schaftsförderung stand natürlich von Anfang an bei unsim Zentrum. Wir haben uns im Rahmen dieses Themasauch länger mit der Frage auseinandergesetzt, wie es ei-gentlich weitergehen soll. Ich glaube, wir sind uns in derAnalyse des Aufholprozesses in Ostdeutschland einig.Wir wissen, dass wir eine ganze Menge erreicht haben,und das wird, so glaube ich, von keinem hier im Hausnegiert. Aber wir wissen natürlich auch, dass wir von ei-nem Erfolg dieses Aufholprozesses, den wir eigentlichmit dem Solidarpakt gestalten wollten, und von der An-gleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West nochein Stück entfernt sind. Wenn wir uns die Zahlen anse-hen – die haben wir heute Nachmittag bei der Debattezum Stand der deutschen Einheit genannt –, dann sehenwir, dass wir noch einen Riesenweg vor uns haben. Wirmüssen einfach konstatieren, dass uns die letzten zehnJahre da nicht unbedingt weitergebracht haben.

Insofern muss man sich über die Sinnhaftigkeit derFörderinstrumente Gedanken machen. Ich finde, dassman das Recht haben muss, auch ein Instrument wie dieI-Zulage von einer anderen Seite zu beleuchten und teil-weise auch infrage zu stellen. Lieber Kollege Ahrendt, inder ersten Rede – die zu Protokoll ging – haben wir auf

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Peter Hettlich

die Probleme der Fehlverwendung und auf die Rückfor-derungen in einigen Bundesländern hingewiesen. Ichhabe eben von Ihnen sehr interessante Aspekte überMecklenburg-Vorpommern erfahren.

Für mich ist es wichtig, die Botschaft zu senden. Wirhaben den Solidarpakt II, der aus zwei Körben besteht,nämlich dem Korb I und dem Korb II. Der Korb I um-fasst quasi die Barmittel für die Bundesländer, die Sonder-bedarfs-Bundesergänzungszuweisungen, und der Korb II,aus dem die Investitionszulage und auch die Gemein-schaftsaufgabe Ost letztendlich gespeist werden, ist ge-deckelt. Er hat ein Volumen von 51 Milliarden Euro, vondenen wir laut den Statistiken des Finanzministeriumsbis heute etwa 16 Milliarden Euro ausgegeben haben.Somit bleiben 35 Milliarden Euro für die letzten zehnJahre des Solidarpakts II übrig. Wir müssen uns also ver-gegenwärtigen, dass wir das Geld, das wir dem Korb IIentnehmen – dazu gehört auch die I-Zulage –, möglichsteffizient einsetzen müssen. Deswegen kann man nichteinfach so mit Jubelfanfaren auftreten, sondern manmuss überlegen, ob das an der Stelle wirklich sinnvollist.

Wenn wir die Probleme in Ostdeutschland betrach-ten, dann müssen wir feststellen, dass wir einen Teilunserer Klientel eigentlich nicht erreichen, auch nichtmit der I-Zulage; denn die I-Zulage bekommt nur derje-nige, der Kapital hat, um Investitionen zu tätigen. Derbekommt dann über die I-Zulage einen Zuschuss. Es gibtaber viele kleine, mittelständische und Kleinstunterneh-men in Ostdeutschland, die ganz andere Probleme ha-ben. Ich nenne als Beispiel das klassische Problem derMittelstandsfinanzierung, also die Frage der Liquidität.Das ist eine eminent wichtige Frage, die sich gerade inZeiten der Finanzmarktkrise stellt.

Wir sind der Meinung, dass uns die I-Zulage an dieserStelle nicht weiterhilft. Unabhängig von den Fragen derFehlverwendungen haben wir immer gesagt, dass dieGemeinschaftsaufgabe Ost aus unserer Sicht sinnvollerist. Das bedeutet natürlich mehr Bürokratie und mehrArbeit. Deswegen ist sie auch nicht so beliebt. Aber wirwissen uns auf der Seite der wirtschaftswissenschaftli-chen Institute und der Sachverständigen.

Ich kann mich noch an die letzte Debatte in diesemHause vor etwa drei Jahren erinnern. Damals hat mir dieKollegin Antje Tillmann von der CDU/CSU zugestan-den, dass dieses Instrument nicht so toll ist, wie es aufden ersten Blick immer erscheint. Der Diskussionspro-zess ist in allen Fraktionen offensichtlich vorangeschrit-ten; insofern hat sich die Position der CDU/CSU hin zurZustimmung entwickelt.

Ich erinnere mich auch an das, was Jan Mücke imAusschuss zur Frage des Beherbergungsgewerbes gesagthat. Aufgrund seiner Erfahrungen in Dresden hat er be-richtet: Liebe Leute, die Förderung des Beherbergungs-gewerbes in Dresden über die I-Zulage führt zu einerFehlallokation. Dann haben wir eine Kleine Anfrage andie Bundesregierung gerichtet. Die Bundesregierung hatuns geantwortet: Wir können Ihnen dazu nichts sagen,weil wir das nicht evaluieren.

(Christian Ahrendt [FDP]: In Mecklenburg-Vorpommern ist aber evaluiert worden!)

– Ja.

Ich wollte nur sagen: Das ist aber das Problem. Inso-fern begrüße ich ausdrücklich den Vorschlag des Finanz-ausschusses, sich 2011 über das Thema Instrumente zuunterhalten.

Ich muss jetzt nicht mehr sagen. Meine Redezeit istauch abgelaufen.

(Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Genau!)

Sie kennen unsere Position – wir haben sie auch in derersten Beratung dargelegt; da hat sich bei uns nichts ge-ändert –: Wir werden dieses Gesetz ablehnen. Ich bitteum Verständnis dafür, dass wir es für sinnvoller halten,die Mittel an anderen Stellen einzusetzen, beispielsweisebei Innovationen, Bildung und Forschung. Wir sähen eslieber, wenn die Gelder aus Korb II dort verwendet wür-den. Damit könnten wir gut leben.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und wün-sche Ihnen noch einen schönen Abend.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-desregierung eingebrachten Gesetzentwurf eines Investi-tionszulagengesetzes 2010. Der Finanzausschuss emp-fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-sache 16/10886, den Gesetzentwurf der Bundesregie-rung auf Drucksache 16/10291 und 16/10496 in derAusschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, diedem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmenwollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-haltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratungmit den Stimmen von SPD, CDU/CSU, FDP bei Gegen-stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und beiEnthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurfist in dritter Beratung mit demselben Stimmenergebniswie in zweiter Beratung angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 38 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-nen der CDU/CSU und der SPD eingebrachtenEntwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderungdes Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes

– Drucksache 16/9415 –

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines ErstenGesetzes zur Änderung des Bundeselterngeld-und Elternzeitgesetzes

– Drucksache 16/10118 –

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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschussesfür Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Aus-schuss)

– Drucksache 16/10689 –

Berichterstattung:Abgeordnete Ingrid Fischbach Caren Marks Ina Lenke Jörn Wunderlich Ekin Deligöz

Hierzu liegt uns ein Entschließungsantrag der Frak-tion Die Linke vor.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zudiesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. –Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sichum die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen:Ingrid Fischbach, CDU/CSU, Dieter Steinecke, SPD, InaLenke, FDP, Jörn Wunderlich, Die Linke, Ekin Deligöz,Bündnis 90/Die Grünen.1)

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Fa-milie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt unter Nr. 1seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10689,den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU undSPD auf Drucksache 16/9415 anzunehmen. Ich bitte die-jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, umihr Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthaltungen? – DerGesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit denStimmen der Koalition bei Gegenstimmen vonBündnis 90/Die Grünen und FDP und bei Enthaltung derFraktion Die Linke angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurfist in dritter Beratung mit demselben Stimmenergebniswie in zweiter Beratung angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehltder Ausschuss, den Gesetzentwurf der Bundesregierungauf Drucksache 16/10118 für erledigt zu erklären. Werstimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmtdagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlungist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.

Abstimmung über den Entschließungsantrag derFraktion Die Linke auf Drucksache 16/10830. Werstimmt für diesen Entschließungsantrag? – Gegenprobe! –Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit denStimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Enthaltungvon Bündnis 90/Die Grünen und bei Gegenstimmen derFraktion Die Linke abgelehnt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 39 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes

1) Anlage 19

über den Zugang zu digitalen Geodaten (Geo-datenzugangsgesetz – GeoZG)

– Drucksachen 16/10530, 16/10580 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-heit (16. Ausschuss)

– Drucksache 16/10892 –

Berichterstattung:Abgeordnete Ulrich Petzold Gerd Bollmann Horst Meierhofer Lutz Heilmann Sylvia Kotting-Uhl

Hierzu liegt uns ein Entschließungsantrag der Frak-tion der FDP vor.

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden dieReden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um dieReden folgender Kolleginnen und Kollegen: UlrichPetzold, CDU/CSU, Gerd Bollmann, SPD, HorstMeierhofer, FDP, Lutz Heilmann, Die Linke, SylviaKotting-Uhl, Bündnis 90/Die Grünen.

Ulrich Petzold (CDU/CSU):Wissen ist Macht. Wenn alle Macht vom Volke ausgehen

soll, ist es zwingend notwendig, den Zugang zu Wissen sodemokratisch wie nur irgend möglich auszugestalten. Eswird allerhöchste Zeit, dass wir im Informationsbereichmehr Demokratie einführen.

Lassen Sie mich von einem Gespräch berichten, dasich vor wenigen Tagen in Vorbereitung auf die heutige Le-sung in einem Landesamt für Geoinformationen geführthabe. Ein leitender Mitarbeiter erzählte mir, dass ihn seinNachbar vor kurzem gebeten hatte, Informationen zurGröße und Bebauung eines Grundstückes zu besorgen,das er zu kaufen beabsichtigte. Dieser leitende Mitarbei-ter des früher als Katasteramt benannten Amtes setzteauch alle Hebel in Bewegung, um die Informationen zuerhalten. Er holte Genehmigungen ein, sah Akten ein. Alser schließlich nach einigen Tagen freudestrahlend ob sei-nes Ergebnisses bei seinem Nachbarn erschien, zuckteder nur mit den Schultern und entgegnete: Das, was ichbrauchte, habe ich mir schon längst über Google besorgt.Werkzeuge und Daten sind dort alle vorhanden, und eshat mich nichts gekostet.

Nun will ich nicht behaupten, dass wirklich alle Datenso leicht erreichbar wären, doch vieles von dem, was ei-nige Ämter nur mit großem Aufwand herausrücken, Infor-mationen, um die man ewig kämpfen muss, sind längstaus dem Internet beziehbar. So wäre es dann gar nichtnotwendig, diese Daten von Amts wegen in das Netz zustellen? Doch. Amtliche Daten sind nun einmal amtlicheDaten mit einer großen Zuverlässigkeit, und amtliche Da-ten gehören nun einmal auch auf die Datenplattform, aufdie sie hingehören. Es kann nicht sein, dass nur der anDaten herankommt, der entweder ein Ratefuchs ist oderaber hoch versiert am Computer arbeiten kann. Zur De-mokratie gehört auch ein einfacher Zugang zu Daten. Ge-rade wir als Abgeordnete müssten das nachvollziehen

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Ulrich Petzold

können, werden wir doch auch manchmal regelrecht mitDaten zugeschüttet. Ich habe den Eindruck, dass das hinund wieder mit Absicht geschieht.

Also könnte man sagen voll und ganz rundum zufrie-den? Ein paar Sorgen bleiben schon noch. In § 12 desheute zu beratenden Gesetzes sind auch Zugangsbeschrän-kungen zu Daten geregelt. Dazu wird auf die §§ 8 und 9 desUmweltinformationsgesetzes verwiesen. Jedoch bleibt dieFrage, ob das geistige Eigentum an Geodaten richtig ge-schützt ist. Selbstverständlich wird auch immer ein Inte-resse der Öffentlichkeit an Geodaten vorhanden sein, andenen geistiges Eigentum besteht. Die datenverwaltendenBehörden werden dann in der Zwickmühle des öffentlichenInteresses stehen. Geht dann im Einzelfall das öffentlicheInteresse über das Interesse des Schutze am geistigen Ei-gentum? Hier stehen Urheberrecht und Umweltinforma-tionsgesetz meiner Auffassung nach unberührt nebenein-ander, sodass ich die Mitarbeiter der Behörden nurbedauern kann.

Diese Zwickmühle wäre dann einfacher zu lösen, wenneine Einvernehmensregelung des jeweiligen Amtes mitdem Dateneigentümer, in welcher Form auch immer, ge-geben wäre. Die Bundesregierung hat sich eine breiteVerordnungsermächtigung im Gesetz gegeben. Da in § 14des GeoZG auch eine Verordnungsermächtigung zuDurchführungsbestimmungen nach Art. 5 Abs. 4 derRichtlinie enthalten ist, die die Durchführung der Zu-gangsbeschränkung regeln kann, kann meine Sorge nochbehoben werden. Es muss jedoch dann in einer Verordnungklar zum Ausdruck kommen, dass Geodaten, an denenDritte Rechte des geistigen Eigentums haben, der Öffent-lichkeit nur mit Zustimmung dieses Dritten zugänglichgemacht werden dürfen. Die Aufhebung der Zugangs-beschränkung zu geistigem Eigentum Dritter sollte nichtim freien Ermessen von Behörden liegen.

§ 13 spricht Geldleistungen und Lizenzen für Geoda-ten an. So grundsätzlich richtig solche Gebühren sind,dürfen sie doch auch nicht dazu führen, dass Personen-gruppen aus finanziellen Gründen von Informationen aus-geschlossen werden, die für sie wichtig sind. Ich erwartehier eine klare Abgrenzung zur kommerziellen Nutzung.Auch wenn wir der juristischen Argumentation der Bun-desregierung in ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahmedes Bundesrates folgen, sehe ich vom Rechtsgefühl herden Streit des Bundesrates mit der Bundesregierung inder Frage der Zustimmungsbedürftigkeit der zu erlassen-den Verordnungen nach § 14 durch den Bundesrat als un-befriedigend.

Nicht von der Hand zu weisen ist, dass von dem vorlie-genden Gesetz in großem Umfang auch Geodaten betrof-fen sein werden, die bei Länderbehörden gespeichertsind. Wie Geodaten haltende Stellen des Bundes ohnebeständige Mitarbeit von Länderverwaltungen ihrer In-formationspflicht nachkommen wollen, erschließt sichmir noch nicht vollständig. Auch wenn die Geobasisdatenals Kernkompetenz der Länder ausdrücklich auf Wunschder Länder in § 5 Abs. 1 aufgenommen wurden, sehe ichdoch auch eine nationale Geodateninfrastruktur immervor unserem föderalen Hintergrund und damit eine Invol-vierung der Länder.

Wie soll gemäß § 10 ein nationales Lenkungsgremiumdes Bundes und der Länder Verantwortung für die Orga-nisation der nationalen Geodateninfrastruktur tragen,wenn nach § 14 die Bundesländer bei der Verordnungs-ermächtigung zum Beispiel zu Zugangsbeschränkungennach Art. 13 der Richtlinie und damit bei einem wesent-lichen Teil der Organisation außen vor sind? Wenn es umdie Organisation der nationalen Geodateninfrastrukturgeht, macht eine alleinige Verordnungskompetenz desBundes bei Verantwortung eines gemeinsamen Lenkungs-gremiums des Bundes und der Länder keinen Sinn. Werhaftet für fehlerhafte, unvollständige oder falsche Geo-daten, wer haftet für unberechtigt herausgegebenesgeistiges Eigentum? Alles das lässt mich zu dem Schlusskommen, dass hier endlich Kooperation statt Konfronta-tion zwischen Bund und Ländern angesagt ist.

Die von anderen Fraktionen gestellte Frage nach demausreichenden Schutz von personenbezogenen Daten er-ledigt sich dadurch, dass auch der in vielen Fragen sehrkritische Bundesbeauftragte für den Datenschutz das Geo-datenzugangsgesetz geprüft und für zulässig in dieserFrage befunden hat. Deshalb können wir den Antrag derFDP ohne weitere Bedenken ablehnen.

Zusammenfassend darf ich für meine Fraktion ausfüh-ren, dass es höchste Zeit für die Umsetzung der Richtliniewar und dass wir trotz einiger Bedenken dem Gesetzzustimmen werden. Wir erwarten jedoch, dass sich dieBundesregierung gegenüber den Bundesländern koope-rativ verhält, und gleichzeitig erwarten wir natürlich dasgleiche kooperative Verhalten der Länder, wenn es um dieZulieferung von Geodaten und die Organisation dieserZulieferung geht.

Gerd Bollmann (SPD): Geschätzte 80 Prozent der Entscheidungen, die wir im

öffentlichen wie auch im privaten Leben treffen, haben ei-nen räumlichen Bezug. Sei es der Ausflug am Wochen-ende, die Wahl eines Firmenstandortes oder Wohnsitzes,die Überlegung, ob eine Geothermieanlage rentabel istoder welche Energieeffizienzmaßnahmen sinnvoll sind,allen diesen Fragen liegen räumliche Überlegungen zu-grunde. Doch bisher war es nicht immer möglich oder zu-mindest mit Aufwand und Kosten verbunden, Zugang zudiesen entscheidenden Daten zu erlangen. Mit der soge-nannten INSPIRE-Richtlinie, die das Europäische Parla-ment und der Rat im März des vergangenen Jahres erlas-sen habe wurde dem Problem auf europäischer Ebenebegegnet. Die Richtlinie sieht die Schaffung einer Geo-dateninfrastruktur in der Europäischen Gemeinschaftvor.

Mit der heutigen Beratung über den Entwurf einesGesetzes über den Zugang zu digitalen Geodaten setzenwir die europäische Richtlinie in nationales Recht um.Das Geodatenzugangsgesetz regelt den Zugang zu unddie Nutzung von Geodaten der öffentlichen Verwaltung.Zukünftig müssen harmonisierte Geodaten und Metada-ten der öffentlichen Verwaltung aus dem Themenbereichder europäischen Umweltpolitik über entsprechendeGeodatendienste für Bürgerinnen und Bürger, Wirtschaftund Verwaltung öffentlich verfügbar bereitgestellt wer-

Zu Protokoll gegebene Reden

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Gerd Bollmann

den. Dritten wird die Möglichkeit eingeräumt, ihre Da-ten freiwillig in das System einzupflegen. Durch die Ver-einfachung des Zugangs zu und der Nutzung dieserDaten werden wir endlich in der Lage sein, das Wert-schöpfungspotenzial dieser Daten zu erschließen.

Die Daten müssen dabei interoperabel sein. Um dieseInteroperabilität – sowohl auf lokaler, regionaler wieauch auf nationaler Ebene – zu gewährleisten, wurde eineenge Verbindung zu der im Aufbau befindlichen Geo-dateninfrastruktur hergestellt. Die europäischeINSPIRE-Richtlinie berücksichtigt und unterstützt sogardie seit 2004 in Deutschland unternommenen Aktivitätenzum Aufbau einer Geodateninfrastruktur.

Ob die Suche nach Rohstoffen oder die Planung vonRettungseinsätzen, ob Daten für Navigationssystemeoder den Verkehr im Allgemeinen, das vorliegende Gesetzwird all dies wirtschaftlicher und einfacher machen.

Horst Meierhofer (FDP):Geodaten kommt eine immense Bedeutung zu: Dies

gilt auch und gerade für den Umweltbereich. Ohne eineseriöse Datengrundlage kann man weder sagen, ob sichdie Gewässerqualität verbessert oder verschlechtert hat,noch, ob der Biotopschutz wirkt oder wie es um die bio-logische Vielfalt steht.

Als jemand, der aus seinem Wohnzimmerfenster direktauf die Donau schauen kann, weiß ich zudem, wie wichtiges ist, bei Hochwasser schnell europaweit abgestimmteReaktionen treffen zu können. Je einfacher die hierfür re-levanten Geodaten über die nationalen Grenzen hinwegverfügbar sind, umso besser. Die Brüssler INSPIRE-Richtlinie setzt genau hier an. Geoinformationen, die fürdie Umwelt bedeutsam sind, sollen Behörden und Öffent-lichkeit europaweit zugänglich gemacht werden. Das istkonsequent, und auch wir Liberale finden das prinzipiellgut.

Was macht die Bundesregierung aus den Brüssler Vor-gaben? Anders als Brüssel beschränkt sich das deutscheGesetz nicht auf die umweltrelevanten Geodaten. Daskann man machen. Die deutsche „Geodatenlandschaft“ist schließlich verwirrend und zersplittert genug. Aber:Gerade dann, wenn man sich für diese „große“ – weilüber umweltrelevante Daten hinausgehende – Lösungentscheidet, darf der Datenschutz nicht so stiefmütterlichbehandelt werden, wie es beim Entwurf des BMU den An-schein hat. Auch Geodaten können schließlich personen-bezogene Daten sein, auch in diesem Gesetz.

An dieser Stelle möchte ich auch noch einmal klarstel-len: Anders als die Bundesregierung gestern im Aus-schuss sind wir Liberale sehr wohl der Meinung, dassauch die von dem Gesetz erfassten Geodaten Personen-bezug haben können. Oder was bitteschön – wenn nichtpersonenbezogen – ist die „Lokalisierung von Grundstü-cken anhand von Adressdaten“? Auch bei der sogenann-ten Orthofotografie sehe ich ab einem gewissen Maßstabund Auflösungsgrad Personenbezug. Wir wissen sehrwohl, dass private Unternehmen zum Teil noch sehr vieldetaillierter solche Daten erheben. Aber das entbindetden Gesetzgeber nicht davon, dem Datenschutz einen be-

sonderen Stellenwert einzuräumen. Ohne einen sinnvol-len Datenschutz ist der öffentliche, europaweite Zugangzu Geodaten für uns deshalb indiskutabel.

Wir sind der Meinung, das Recht auf informationelleSelbstbestimmung muss auch in diesem Gesetz angemes-sen berücksichtigt werden. Aber genau da haben wir nochunsere Zweifel. Den Behörden die Entscheidung aufzu-halsen, wann und in welchem Umfang die angefragtenDaten herausgegeben werden dürfen, halten wir wederfür sachgerecht noch für tatsächlich praktikabel. Immer-hin geht es jetzt nicht mehr nur um gelegentliche Einzel-anfragen, wie das beim Umweltinformationsgesetz derFall war und auf das das Geodatenzugangsgesetz ver-weist, sondern um den Massenabruf, und das europaweit.

Wir Liberale sind deshalb der Meinung: Hier ist derGesetzgeber gefragt. Eine gewisse Vorfestlegung durchden Gesetzgeber, ob und in welchem Ausmaß personen-bezogene Daten betroffen sein können, erleichtert denVollzug und macht das Gesetz für die Betroffenen nichtganz so willkürlich. In diesem Zusammenhang halten wirvor allem ein Ampelsystem, das die Geodaten je nachPersonenbezug in die Kategorien Rot, Gelb und Grüneinteilt, und je nach Kategorie unterschiedliche Zugangs-bedingungen bereithält, für sinnvoll. In unserem Ent-schließungsantrag haben wir deshalb die Bundesregie-rung aufgefordert, das jetzige Gesetz zurückzuziehen undein neues, das vor allem dem Grundrecht auf informatio-nelle Selbstbestimmung angemessen Rechnung trägt, zuerarbeiten.

Ich bitte Sie daher, unserem Antrag zuzustimmen. Zudem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzesent-wurf enthalten wir uns.

Lutz Heilmann (DIE LINKE): Vermutlich wissen nur wenige, was genau Geodaten

eigentlich sind. Man könnte sie als digitale Karten be-zeichnen. Dadurch wird der große Unterschied zu echtenKarten aber eher verschleiert als erhellt. So können Geo-daten in mehr als zwei Dimensionen dargestellt werden.Und Sie können zeitliche Entwicklungen abbilden. Kon-kreten Gebieten lassen sich durch die digitale Verfügbar-keit auch viel mehr Informationen zuordnen, als man aufeiner einzelnen Karte darstellen könnte. Und Geodatenkann man in Geoinformationssystemen bearbeiten.

Die EU hat in der INSPIRE-Richtlinie nun festgelegt,dass Geodaten europaweit zentral verfügbar gemachtwerden sollen und dass die Daten dafür bestimmten Stan-dards unterliegen müssen, damit sie europaweit einheit-lich nutzbar sind. Das ist zu begrüßen.

Geodaten an sich sind genauso neutral wie alle ande-ren Daten auch. Die Frage ist hier wie dort, wer was mitden Daten machen kann, bzw.: Wie sieht es mit dem Da-tenschutz aus?

Warum ist der Datenschutz bei Geodaten überhauptwichtig? Dazu muss man sich vor Augen halten, dassGeodaten eben nicht immer „irgendwas mit Umwelt“ zutun haben, wie viele vielleicht denken. Geodaten liefernInformationen über die räumliche Verteilung aller mögli-chen Aspekte. Das sind natürlich auch umweltbezogene

Zu Protokoll gegebene Reden

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20134 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

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Lutz Heilmann

Informationen wie die Verteilung landwirtschaftlicherFlächen, der Bodenbeschaffenheit, der Verteilung undAnzahl des Vorkommens geschützter Arten und Biotop-typen. All das kann gespeichert werden. Wie gesagt, mitGeodaten kann man viele sinnvolle Sachen machen.

Da es in Deutschland leider keine bundesweite undeinheitliche Erfassung aller Flächen mit rechtlichen Bin-dungen zugunsten des Naturschutzes und der Land-schaftspflege gibt, ist es aus dieser Sichtweise mehr alswünschenswert, Geodaten zentral verfügbar zu machenund einheitliche Standards einzuführen. Eine solche „Da-tenbank der Natur“ könnte für Deutschland und Europasehr große Dienste dabei leisten, den Anforderungen imNaturschutz durch den Klimawandel und den dadurch be-dingten Lebensraumveränderungen für Pflanzen undTiere besser gerecht werden zu können.

Geodaten sind aber weit mehr als das. Geodaten sindauch Informationen über die Verteilung von Krankheiten,Armut, Arbeitslosigkeit, den Anteil von Migrantinnen undMigranten. Wenn man solche Daten wissenschaftlichnutzt, können auch die sehr nützlich sein.

Im Umweltausschuss haben wir direkt im Anschluss andie Beratung dieses Gesetzes über die auffällige Häufungvon Kinderkrebsfällen in der Umgebung von Atomkraft-werken gesprochen. Wenn alle Kinderkrebsfälle als Geo-daten vorliegen würden, könnte man die mit den Informa-tionen über die Standorte von Atomanlagen kombinieren,die Wahrscheinlichkeit der zufälligen räumlichen Über-einstimmung berechnen – und so sehr leicht wichtige In-formationen gewinnen.

Die räumliche Verteilung von Krebs, Lungenentzün-dungen und anderen Krankheiten kann aber auch fürganz andere Zwecke genutzt werden. Ich sage dabei be-wusst „kann“ und nicht „wird“. Es „kann“ aber sein,dass Krankenkassen ein großes Interesse an solchen Da-ten entwickeln. Das „könnte“ dann dazu führen, dassMenschen, die da wohnen, wo viele Menschen bestimmteKrankheiten haben, nicht mehr in eine Krankenkasse auf-genommen werden oder zumindest einen Risikoaufschlagzahlen müssten. Und es „kann“ auch sein – in den USA istdas durchaus üblich –, dass sich Banken dafür interessie-ren, wo man wohnt. Wohnt man in einer Gegend, in derviele Menschen arm oder arbeitslos sind oder einen Mi-grantionshintergrund haben, dann bekommt man viel-leicht keinen Kredit mehr oder nur mit einem Zinsauf-schlag. Wollen wir das? Die Linke will das nicht. Wirwollen nicht, dass man aufgrund seines Wohnortes diskri-miniert werden kann. Das ist ein Grund, warum wir die-ses Gesetz ablehnen.

Der andere ist, dass sich viele Daten direkt personen-bezogen zuordnen lassen. Die Schranken für den Zugangzu diesen Daten sind unzureichend. Für die Bereitstellungamtlicher Geodaten sowohl nach der europäischen Richt-linie als auch nach deutschem Verfassungsrecht ist derSchutz personenbezogener Daten angemessen zu ge-währleisten.

Der Gesetzentwurf leistet das aber nicht. Er sieht eineAnwendung der Schutzvorschriften des Umweltinforma-tionsgesetzes vor. Darin heißt es, dass die Abgabe perso-

nenbezogener Daten nur dann eingeschränkt wird, wenndie schützwürdigen Interessen Betroffener „erheblich be-einträchtigt“ werden. Der Leiter des schleswig-holsteini-schen Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutzschlägt für das Landesgesetz ganz andere Formulierun-gen vor. Danach sollte bereits dann der Antrag auf Zu-gang zu Geodaten abgelehnt werden, wenn die InteressenBetroffener „beeinträchtigt“ würden. Vor allem aber sol-len die Betroffenen vor der Freigabe der Daten informiertoder angehört werden. All das sieht der Gesetzentwurfder Bundesregierung eben nicht vor.

Die Anwendung des Umweltinformationsgesetzes istzudem auch unpassend. Es regelt den Zugang Einzelnerzu Informationen von allgemeinem Interesse. Der Zugangzu Geodaten meint auch das. Er kann aber auch das ge-naue Gegenteil bedeuten, dass nämlich staatliche Stellenund sogar die Wirtschaft Informationen über Einzelne er-halten.

Auch nach der INSPIRE-Richtlinie soll die Zugangs-möglichkeit eingeschränkt werden, wenn dies nachteiligeAuswirkungen auf die Vertraulichkeit personenbezogenerDaten haben kann. Das leistet der Gesetzentwurf derBundesregierung aber nicht. Deswegen lehnen wir diesesGesetz ab. Die Risiken überwiegen bei diesem Gesetz lei-der die vielfältigen Chancen. Es eröffnet dem Missbrauchdurch die Wirtschaft Tür und Tor. Und es bietet keinenausreichenden Schutz davor, dass Daten über einzelnePersonen in Hände gelangen, in die sie nicht gehören.Die FDP zeigt eine praktikable Lösung auf, wie der Da-tenschutz gewährleistet werden kann. Wenn die Bundes-regierung einen vernünftigen Gesetzentwurf vorlegthätte, dann hätten wir dem mit Freude zugestimmt.

Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dieses Gesetz ist ein beredtes Beispiel dafür, wie man

ein wichtiges und berechtigtes Anliegen so blamierenkann, dass auch Befürwortern der öffentlichen Zugäng-lichkeit von Geodaten eine Unterstützung nicht möglichist. Blamiert haben Sie das Anliegen durch Ihr völligesUnverständnis für das Bedürfnis nach informeller Selbst-bestimmung. Die Große Koalition hat schon viele Bei-spiele geliefert, dass sie kein Gespür für das Bedürfnisder Bevölkerung nach dem Schutz der eigenen Daten hat,zuletzt beim BKA-Gesetz, aber auch bei den Terrorismus-gesetzen.

Beim vorliegenden Entwurf des Geodatenzugangs-gesetzes geht es darum, digitale räumliche Daten der Öf-fentlichkeit zugänglich zu machen. Mit der an dieserStelle ausdrücklich von uns begrüßten stärkeren Einmi-schung des Staates in die Informationswelt des Internetwerden Standards für die Qualität und Nutzbarkeit vonverschiedensten geografisch abbildbaren Daten gesetzt.Damit werden die ohnehin in den Verwaltungen vorhan-denen und mit Steuergeldern erhobenen und archiviertenInformationen nun auch miteinander verknüpft der brei-ten Bevölkerung zur Verfügung gestellt. In Form von da-tenunterlegten Karten können sie allen für eine besserePlanung von Maßnahmen und Vorhaben dienen. Der Zu-griff auf flurstücksgenaue und zuverlässige Daten durchden Aufbau der Geodateninfrastruktur in Deutschland– und nicht nur durch die bisher marktführenden privaten

Zu Protokoll gegebene Reden

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20135

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Sylvia Kotting-Uhl

Anbieter – wird aus grüner Umweltsicht ausdrücklich be-grüßt.

Ein grünes Kernanliegen ist es aber auch, die Persön-lichkeitssphäre zu schützen und den „gläsernen Bürger“zu verhindern. Würde der Gesetzentwurf nur halb so vielzur Datensicherheit wie zur Frage der Kostenregelungund angemessenen Geldleistungsforderungen beinhaltenoder wenigstens Aussagen im Umfang des europaweit un-terschiedlich gehandhabten geistigen Eigentumsrechtsumfassen, wären unsere Bedenken kleiner. Stattdessenwird der Datenschutz nicht geregelt und unter Verweisauf das Umweltinformationsgesetz (UIG) abgetan. Wäh-rend die Entscheidung nach dem UIG auf eine Einzelfall-abwägung zugeschnitten ist, richtet sich dieser Entwurfzur Umsetzung der europäischen INSPIRE-Richtlinie nunauf einen Massenabruf von Daten.

Auch beim UIG ist der Schutz personenbezogener Da-ten nur dann vorgesehen, wenn die Interessen der Betrof-fenen „erheblich“ beeinträchtigt werden. Beim UIG wirdaber wenigstens im Einzelfall durch die Behörden abge-wogen. Im Ergebnis senkt das Geodatenzugangsgesetzdas Schutzniveau der Daten stark ab. Damit haben es dieTeile der Wirtschaft, die schon in der Vergangenheit gro-ßes Interesse an Geodaten hatten, wesentlich leichter, dasvon den Grünen kritisierte Geoscoring noch schnellerdurchzuführen und auch zielgenauer zu nutzen. Wer alsobeispielsweise im „falschen“ Viertel wohnt, bekommtkünftig zum Beispiel vielleicht keinen Kredit mehr, weilsich die Einzelfallprüfung für die Kreditinstitute nichtlohnt.

Folglich unterstützen wir den Entschließungsantragder FDP mit der Forderung nach Überarbeitung undNeuvorlage des Gesetzes bis April nächsten Jahres. DerEntschließungsantrag stützt sich auf die Argumentations-linie der Grünen, die Datenfreigabe zu differenzieren.Dazu sollen die Ergebnisse der sogenannten Ampelstudieberücksichtigt werden. Die vom Unabhängigen Landes-zentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein im Auftragder Kommission für Geoinformationswirtschaft am22. September 2008 vorgelegte Studie wurde bisher vonder Koalition ignoriert. Wir lehnen folglich den vorgeleg-ten Entwurf des Gesetzes aus Datenschutzgründen ab,hoffen aber, dass eine längst überfällige Regelung nochvor der Umsetzungsfrist der EU die staatlichen Umwelt-datendienste befördert.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für

Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt inseiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10892,den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck-sachen 16/10530 und 16/10580 anzunehmen. Ich bittediejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthaltungen? –Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit denStimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Fraktio-nen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen sowie Ent-haltung der Fraktion der FDP angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –

Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-wurf ist damit in dritter Beratung mit demselben Stim-menergebnis wie in zweiter Beratung angenommen.

Abstimmung über den Entschließungsantrag derFraktion der FDP auf Drucksache 16/10909. Wer stimmtfür diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dage-gen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mitden Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Op-position abgelehnt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 40 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzesüber das Personal der Bundesagentur für Au-ßenwirtschaft (BfAI-Personalgesetz – BfAIPG)

– Drucksachen 16/10293, 16/10664 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Wirtschaft und Technologie (9. Aus-schuss)

– Drucksache 16/10883 –

Berichterstattung:Abgeordnete Ulrike Flach

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden dieReden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um dieReden folgender Kolleginnen und Kollegen: Erich Fritz,CDU/CSU, Rolf Hempelmann, SPD, Ulrike Flach, FDP,Ulla Lötzer, Die Linke, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Bündnis 90/Die Grünen.

Erich G. Fritz (CDU/CSU): Die Bundesrepublik Deutschland besitzt ein anerkannt

gutes Außenwirtschaftsinstrumentarium. Der verschärfteglobale Wettbewerb aber fordert eine bessere Vernetzungder Aktivitäten. Deshalb setzt die Bundesregierung aufein neues Konzept zur effizienteren Gestaltung der Instru-mente der Außenwirtschaftsförderung. Aus dem uns heutehier vorliegenden Gesetz über das Personal der Bundes-agentur für Außenwirtschaft (BfAI) geht hervor, dass diefür die Bereitstellung von außenwirtschaftlichen Infor-mationen für das In- und Ausland zuständige BfAI und diefür das Standortmarketing zuständige Invest in GermanyGmbH ab 1. Januar 2009 zu einer neuen, privatrechtlichorganisierten Gesellschaft zusammengelegt werden sol-len.

Aufgabe der neuen Gesellschaft mit dem Namen „Ger-many – Trade and Invest – Gesellschaft für Außenwirt-schaft und Standortmarketing mbH“ (GTaI) ist derAufbau eines schlagkräftigen Netzwerkes aus Außenwirt-schaftsförderung und Standortmarketing auf Bundes-ebene. Die neue Gesellschaft wird künftig nicht nurDienstleistungen für deutsche Exporteure erbringen, in-dem sie Informationen über ausländische Märkte zur Ver-fügung stellt, sondern auch ausländische Unternehmenals Investoren in Deutschland anwerben und beraten.

Warum ist das nötig? Wir erhoffen uns von dem neuenKonzept mehr Schlagkraft in der Außenwirtschaftsförde-rungs- und Standortpolitik. Mit beispielsweise mehr als140 unterschiedlichen Förderprogrammen auf Bundes-

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20136 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

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Erich G. Fritz

und Länderebene zur Unterstützung allein des Mittelstan-des im Ausland sind Zweifel erlaubt, ob das derzeitigeKonzept seine Ziele auch wirklich erreicht.

Mit der bevorstehenden Zusammenführung wird keineÄnderung in der Außenwirtschaftsförderpolitik desBundes bezweckt. Auch die Unabhängigkeit des BfAI-Korrespondentennetzes wird nicht angetastet. Die Kor-respondenten sollen weiterhin neutrale und objektive In-formationen über Marktchancen für die mittelständischeWirtschaft liefern. Zugleich können sie von den Bran-chenkenntnissen und Kontakten der bisherigen Invest inGermany als zusätzlichem Input profitieren.

Noch sind nicht alle Konflikte ausgeräumt. Der Pro-zess der Integration der verschiedenen Instrumente unterein Dach wird kompliziert. Dies gilt auch hinsichtlich derBeschäftigten der BfAI, deren Beamtinnen, Beamten, Ar-beitnehmerinnen und Arbeitnehmer laut vorliegendemGesetzentwurf dem Bundesamt für Wirtschaft und Aus-fuhrkontrolle (BAFA) zugeordnet werden und gleichzeitigTätigkeiten bei der neuen Germany – Trade and Investzugewiesen bekommen sollen.

Vieles konnte aber schon im Interesse des Personalsgeregelt werden. Statusfragen des Auslandskorrespon-dentennetzes – Kassenstaatsprinzip, Status- und Akkredi-tierungsfragen, Sozialversicherung – sind ebenso geklärtwie die Standortfrage.

Große Anerkennung verdient die Arbeit der Mitarbei-tervertretungen, die mit voller Kraft dafür gesorgt haben,dass die Gespräche zwischen der Belegschaft und demBMWi zu befriedigenden bis guten Ergebnissen geführthaben. Ich bin zuversichtlich, dass noch verbleibendeUnsicherheiten bis Januar 2009 geklärt werden können.Dies gilt etwa für den Kooperations- bzw. Gestellungs-vertrag zwischen dem BAFA und der künftigen Geschäfts-führung der GTaI, der zwar vorliegt, aber einer Über-arbeitung und Erweiterung bedarf. Dies gilt aber auchinsbesondere hinsichtlich der Frage der beruflichenChancen und Perspektiven der Beamten und Tarifbe-schäftigten der BfAI und der in diesem Zusammenhangdurch das BMWi zugesagten Beförderungen und Höher-gruppierungen. Die verantwortungsvolle Lösung dieserpersonellen Fragen ist unerlässlich für das Gelingen derVerschmelzung und eine erfolgreiche Arbeit der neuenBundesgesellschaft.

Das neue Konzept bietet die Chance, durch die Fusionvon BfAI und Invest in Germany über einen höheren Wir-kungsgrad und eine deutlichere Sichtbarkeit des Stand-orts Deutschland im Ausland zu verfügen als dies bislangder Fall ist. Solche Synergieeffekte sind angesichts der imBundeshaushalt 2009 für Maßnahmen der Außenwirt-schaftsförderung zur Verfügung stehenden 203 MillionenEuro und der internationalen Konkurrenz – UK Trade &Investment verfügt über einen Jahresetat von 350 Millio-nen Euro – sinnvoll und notwendig.

Rolf Hempelmann (SPD): Die Außenwirtschaftsförderung und das Standortmar-

keting des Bundes werden derzeit über drei verschiedeneOrganisationen abgewickelt: die Bundesgesellschaft In-

vest in Germany GmbH (Invest), die dem BMWi nachge-ordnete Bundesagentur für Außenwirtschaft (BfAI) unddie mit der Bundesagentur verbundene Gesellschaft fürAußenhandelsinformationen (GfAI). Aufgrund einerEmpfehlung des Haushaltsausschusses des DeutschenBundestages vom 10. Mai 2006 sieht die Bundesregie-rung nun eine organisatorische Zusammenführung vor.Ab dem Jahr 2009 soll eine neu zu gründende Gesell-schaft, die „Germany – rade and Invest – Gesellschaft fürAußenwirtschaft und Standortmarketing mbH“ – kurz:GTI – die Aufgaben der Investorenanwerbung und derExportförderung wahrnehmen. Die GTI wird nach Auflö-sung der BfAI formal dem Bundesamt für Wirtschaft undAusfuhrkontrolle – kurz: Bafa – zugeordnet.

Über die Verknüpfung der verschiedenen Kompeten-zen sollen nicht nur Kosten gespart werden, sondern vorallem Synergieeffekte erzielt werden. So erlaubt eine Bün-delung des Standortmarketings und der Exportförderungtrotz der sehr unterschiedlichen Aufgaben, die die Invest,BfAI und GfAI bislang wahrgenommen haben, eine ge-genseitige Stärkung von Länder-, Fach- und Branchen-wissen. Am wichtigsten erscheint mir jedoch, dass dieBundesrepublik künftig einheitlicher nach außen auftritt.Die Auslandsaktivitäten der GTI sollen inhaltlich und or-ganisatorisch unter dem Dach der Außenhandelskam-mern gebündelt werden. Damit schaffen wir einen An-laufpunkt für die unterschiedlichen Zielgruppen der in-und ausländischen Unternehmen sowie Verbände und be-seitigen die Zersplitterung der aus dem BMWi geförder-ten Instrumente.

Kritiker haben an dieser Stelle Bedenken geäußert,dass es zu einer ungleichen Schwerpunktsetzung zuguns-ten des Standortmarketings in der neuen GTI kommenkönnte. Ich denke, dass hierfür kein Anlass besteht.Gleichwohl werden die erhofften Vorteile der Zusammen-legung erst im Laufe der Zeit greifen können. Deshalb giltes auch weiterhin, den Prozess der organisatorischen Zu-sammenführung zu begleiten.

Bei der Zusammenlegung wird im Übrigen Wert da-rauf gelegt, dass keine Arbeitsplätze abgebaut und die be-stehenden Standorte Berlin und Rheinland erhalten blei-ben. Dienstsitz der GTI wird Berlin sein. Daneben wird esjedoch eine dauerhafte zweite Betriebsstätte im Rhein-land geben. Derzeit sitzen etwa 100 Mitarbeiter in Berlinund an die 250 Mitarbeiter in Köln. An diesen Größen-ordnungen sollte sich durch die Zusammenlegung derbeiden Einrichtungen nichts ändern. Auch müssen unnö-tige Härten für die Mitarbeiter, wie ein Hin- und Herzie-hen, nach Möglichkeit vermieden werden.

Von den organisatorischen Details einmal abgesehen,denke ich, dass Deutschlands ausgeprägte Exportorien-tierung von einem integrierten und gut funktionierendenAuslandsnetz sowie einer gemeinsamen Außendarstel-lung nur profitieren kann. Ausländische Investitionen tra-gen in Deutschland in erheblichem Maße zur Wertschöp-fung bei. Gut zwei Millionen Arbeitsplätze könnenUnternehmen in ausländischer Hand direkt zugeordnetwerden, und die indirekten Arbeitsmarkteffekte liegennoch weit höher. Angesichts dessen bitte ich Sie, liebeKolleginnen und Kollegen, die Stärkung des Wirtschafts-

Zu Protokoll gegebene Reden

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20137

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Rolf Hempelmann

standortes Deutschland durch eine enge Vernetzung vonStandortmarketing, Investorenanwerbung, Exportförde-rung und Außenwirtschaftsinformation mit dem vorlie-genden Gesetzentwurf zu unterstützen.

Ulrike Flach (FDP): Die organisatorische Bündelung des Standortmarke-

tings des Bundes ist lange überfällig. Die FDP mahnt diesschon seit vielen Jahren an und begrüßt, dass nun nachäußerst zähen Verhandlungen ein Durchbruch erzieltwerden konnte. Das gilt sowohl für die Zusammenfüh-rung im Haushalt als auch für das heute zu beratendeBfAI-Personalgesetz.

Die Bundesagentur für Außenwirtschaft, die Bundes-gesellschaft Invest in Germany und die Gesellschaft fürAußenhandelsinformationen, das sogenannte Korrespon-dentennetz, werden zum 1. Januar 2009 zu einer neuenBundesgesellschaft Germany Trade and Invest verbun-den werden. Das ist richtig so. Ich habe es nie für richtiggehalten, dass der Bund eine Organisation für die Wer-bung für deutsche Investoren im Ausland hat und eine fürausländische Investoren bei uns, die miteinander nichtszu tun haben. Es hat leider auch viel zu lange gedauert,ehe Vertreter der beiden Organisationen mal miteinandergesprochen haben. Diese lange Jahre falsche Aufstellunghat uns im harten internationalen Wettbewerb geschadet.Es hat auch erhebliche Fehler aufseiten der Regierungund bei der BfAI gegeben: Ich will hier gar nicht ausbrei-ten, welche Eifersüchteleien, welche Probleme mit Ge-schäftsführern es hier gegeben hat. Gut gemanagt wordenist der Integrationsprozess wirklich nicht.

Mit dem Gesetz werden die Mitarbeiter in die neueGesellschaft überführt, und zwar zu sehr günstigen Kon-ditionen. Sie werden ihrer Qualifikation entsprechendeingesetzt. Wo das nicht geht, werden sie in der Entgelt-gruppe vergütet, die ihrer vorigen Tätigkeit entspricht,auch wenn die Tätigkeit geringerwertig ist. Es müsstealso möglich sein, sich hier auch gegen die Beharrungs-kräfte durchzusetzen.

Ich sage allerdings für die FDP: Wir würden gern wei-ter gehen. Wir würden auch die Außenhandelskammerneinbeziehen. In einigen Ländern klappt diese Integrationschon ganz hervorragend, hin zu einem „DeutschenHaus“, in dem sich verschiedene Institutionen nicht nurunter einem Dach befinden, sondern auch wirklich gemein-sam den Standort Deutschland bewerben. In anderenLändern aber sehen wir, dass verschiedene deutsche In-stitutionen miteinander noch nicht mal reden! Vieles ist zustark von den handelnden Personen vor Ort abhängig.Wir brauchen stattdessen eine wirklich schlagkräftigeOrganisation, die den Standort Deutschland im Auslandvertritt. Ein ausländischer Investor muss an einem Ortund auf einer Internetseite alle Kontakte finden, die erbraucht, wenn er sich für Investitionen in oder ausDeutschland interessiert, wenn er Arbeitskräfte sucht,wenn er Innovationsallianzen eingehen oder Forschungmit deutschen Partnern betreiben will.

Aus meinem Vorleben als Forschungspolitikerin liegtmir deshalb am Herzen, dass die Forschungsorganisatio-nen, wie die DFG oder die Max-Planck-Gesellschaft, die

ja auch Büros im Ausland – zum Beispiel in USA – haben,noch viel stärker eingebunden werden. WirtschaftlicherErfolg hängt immer mehr von Innovationen ab. Die deut-schen Forschungsorganisationen haben international ei-nen ausgezeichneten Ruf, aber unser Land leidet darunter,dass der Weg von der Idee zum Produkt zu lang und zuhindernisreich ist. Auch hier könnte eine engere Verzah-nung von Forschung und Außenhandelsmarketing guteDienste leisten.

Ebenso würden wir uns wünschen, dass eine Organi-sation wie die Dena als Multiplikator deutscher Energie-politik im Ausland stärker auftritt, beispielsweise aufAuslandsmessen.

Wir meinen, das heutige Gesetzesvorhaben ist ein rich-tiger und guter Schritt auf einem Weg, der noch langenicht abgeschlossen ist.

Ulla Lötzer (DIE LINKE):Die operativen Aufgaben des Standortmarketings des

Bundes und die Bereitstellung von außenwirtschaftlichenInformationen für das In- und Ausland werden derzeit imVerantwortungsbereich des BMWi getrennt voneinanderwahrgenommen. Diese Aufgaben sind aufgeteilt auf dieBundesgesellschaft Invest in Germany GmbH, die nach-geordnete Bundesoberbehörde Bundesagentur für Au-ßenwirtschaft und die mit der Bundesagentur verbundeneGesellschaft für Außenhandelsinformationen mbH. DieFusion dieser verschiedenen Stellen ist differenziert zubewerten. Einerseits ist es sicherlich sinnvoll, die Aufga-ben von Standortmarketing und außenwirtschaftlichemInformationsdienst in einer einzigen Stelle zusammenzu-führen. Dies birgt die Chance zu größerer Effzienz undKohärenz bei der Erledigung der Aufgaben und zu einemeinheitlicheren Erscheinungsbild.

Andererseits ist es fragwürdig, dass diese Fusion miteiner Ausgliederung der Aufgaben der Bundesagentur fürAußenwirtschaft in eine privatrechtliche GmbH und einerAuflösung der Bundesagentur einhergehen muss. Dies istein Rechtsformwechsel zugunsten einer privaten Rechts-form, der nicht notwendig ist. Eine Verbesserungen desStandortmarketings kann eine Chance insbesondere auchfür die ostdeutschen Bundesländer sein. Aber nur, wennin Zukunft darauf geachtet wird, mit welchen ArgumentenInvestoren für Deutschland angelockt werden sollen.

Wir haben in der Vergangenheit erlebt, dass die Investin Germany in verschiedenen Werbebroschüren aus-drücklich damit geworben hat, dass in Deutschland ein„niedriger gewerkschaftlicher Organisationsgrad“ herr-sche, was zusammen mit „flexiblen Arbeitskräften“ undanderen Merkmalen einen Vorteil für ausländische Inves-toren darstelle. In Bezug auf Ostdeutschland wird als wei-terer Vorteil genannt, dass die Löhne dort bis zu30 Prozent unter dem westdeutschen Niveau lägen. Dasist schon ein dreistes Stück, die prekäre finanzielle Situa-tion der ostdeutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-mer auch noch als Vorteil darzustellen, und das ist nichtfrei von Zynismus.

Die Bundesregierung hat auf eine Anfrage von unsdarauf hingewiesen, dass diese Aussagen von ihr nicht

Zu Protokoll gegebene Reden

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20138 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

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Ulla Lötzer

autorisiert gewesen wären und nicht mehr verwendetwerden würden. Bleibt zu hoffen, dass das Wirtschaftsmi-nisterium auch künftig in diesem Sinne Aufsicht über dieprivatrechtliche Invest in Germany GmbH führt.

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Bisher werden verschiedene Aufgaben der Beratungvon Unternehmen in der Außenwirtschaft getrennt von-einander vorgenommen. Die Invest in Germany GmbH istvor allem für Marketing zuständig und berät ausländi-sche Unternehmen, die in Deutschland investieren wol-len. Umgekehrt stellen die Bundesagentur für Außenwirt-schaft und Gesellschaft für Außenhandelsinformation,die ein weltweites Korrespondentennetz organisiert, In-formationen zu ausländischen Märkten für deutsche Un-ternehmen zur Verfügung.

Bündnis 90/Die Grünen begrüßen die Bündelungdieser verschiedenen außenwirtschaftspolitischen Aufga-ben, die bisher von drei unterschiedlichen Organisatio-nen wahrgenommen wurden. Es macht Sinn, diese Aufga-ben in einer Gesellschaft zusammenzufassen. Dazu solleine neue Gesellschaft mit dem Titel „Germany – Tradeand Invest – Gesellschaft für Außenwirtschaft und Stand-ortmarketing mbH“ ins Leben gerufen werden.

Das unterstützen wir, weil wir uns davon erstens Sy-nergieeffekte erhoffen, zweitens können die unterschied-lichen Aufgabenbereiche – Bereitstellung von Informa-tionen für potenzielle ausländische Investoren im Inlandauf der einen Seite und Bereitstellung von Informationenzu ausländischen Märkten für deutsche Investoren auf deranderen Seite – voneinander lernen. Schließlich könnendie bisher getrennt aufgebauten Netzwerke im Ausland inZukunft gemeinsam genutzt werden.

Zu dem Vorschlag gehört auch, dass die Beamtinnenund Beamten, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, diein den zusammenzufassenden Organisationen tätig sind,dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle zu-geordnet und der neu entstehenden Gesellschaft zugewie-sen werden, die aus der Verschmelzung von Invest inGermany GmbH und der Gesellschaft für Außenhandels-information entstehen wird. Auch diese Konstruktion hal-ten wir für sinnvoll.

Natürlich entstehen durch den Vollzugsaufwand kurz-fristig Kosten, die nicht zu vermeiden sind und im Bun-deshaushalt berücksichtigt werden. Insgesamt bestehtaber die Chance, dass die außenwirtschaftlichen Dienst-leistungen, insbesondere für kleine und mittlere Unter-nehmen, transparenter, effektiver und effizienter gestaltetwerden können. Deswegen unterstützen wir den Geset-zesentwurf.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für

Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 16/10883, den Gesetzent-wurf der Bundesregierung auf Drucksachen 16/10293und 16/10664 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, um das Hand-zeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Ge-

setzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Enthaltungder Fraktion Die Linke mit den restlichen Stimmen desHauses angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf istdamit mit demselben Stimmenergebnis wie in zweiterBeratung angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 41 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-nen der CDU/CSU und der SPD eingebrachtenEntwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Ände-rung des Urheberrechtsgesetzes

– Drucksache 16/10569 –

– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-neten Jerzy Montag, Volker Beck (Köln), KaiGehring, weiteren Abgeordneten und der Frak-tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach-ten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderungdes Urheberrechtsgesetzes

– Drucksache 16/10566 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 16/10894 –

Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Günter Krings Dirk Manzewski Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Wolfgang NeškovićJerzy Montag

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden dieReden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um dieReden folgender Kolleginnen und Kollegen: Dr. GünterKrings, CDU/CSU, Dirk Manzewski, SPD, SabineLeutheusser-Schnarrenberger, FDP, Dr. Petra Sitte, DieLinke, Jerzy Montag, Bündnis 90/Die Grünen, sowie desParlamentarischen Staatssekretärs Alfred Hartenbach.

Dr. Günter Krings (CDU/CSU): „Rückfall in die Steinzeit“ betitelten laut Evaluie-

rungsbericht des Bundesjustizministeriums zum § 52 aUrhG einige Länder die mögliche Aufhebung des Para-grafen im Urheberrechtsgesetz. Und andere Länder wie-derum sahen, zumindest schon einige tausend Jahre fort-geschritten, mit dem Wegfall der Regelung das„Mittelalter“ heraufschreiten. Ob derartige – eher un-wissenschaftlich anmutende – Kraftausdrücke der Reali-tät entsprechen, muss allerdings bezweifelt werden. Dievon den Ländern gegebenen Antworten können qualitativnicht befriedigen, wobei man den Ländern noch zugeste-hen kann, dass die Fragen teilweise auch nicht viel bessersind.

Ich will dies an ein paar Beispielen illustrieren. DasZahlenmaterial der Länder ist ungenau.Ich finde es skan-dalös, dass die Länder es ihren Universitäten durchgehen

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Dr. Günter Krings

lassen, derart ungenaues Zahlenmaterial zu liefern. Sokann ich mir kaum vorstellen, dass es keinen Unterschiedmachen soll, ob Werke für die Veranschaulichung im Un-terricht oder für die wissenschaftliche Forschung genutztwerden. Denn die prozentuale Verteilung ist in beidenFällen identisch. 75 Prozent fallen jeweils in den Verwer-tungsbereich der VG Wort, und 25 Prozent nehmen dieübrigen Verwertungsgesellschaften ein. Da wurde wohleher der Daumen als der Taschenrechner zurate gezogen.Beim nächsten Bericht werden wir eine derartige Verwei-gerung von genauer Datenerhebung nicht mehr durchge-hen lassen.

Die FH des Bundes macht unvollständige Angaben,wobei die Kritik fairerweise nicht nur an die Länder zurichten ist, sondern auch den Bund betrifft. Mit seinerFachhochschule verfügt er über eine eigene, recht über-sichtliche Einrichtung und lässt es dort zu, dass bei29 Prozent der Nutzungen keine Angaben darüber ge-macht werden, in welche Gruppe, also Büchern oderBildmaterialien etc., sie einzuordnen sind.

Bei der wissenschaftlichen Forschung sieht es nochverheerender aus. Über die Nutzung von zwei Dritteln derWerke liegen bei der FH des Bundes gar keine Erkennt-nisse vor. Wenn eine Hochschule schon selbst nicht weiß,wie und welche urheberrechtlich geschützten Inhalte sienutzt, dann kann ich die Verlage und Autoren gut verste-hen, die Sorge haben, dass sie am Ende leer ausgehen.

Wie wir gerade gesehen haben, entfällt der größte Teilder Nutzungen an Hochschulen in den Vergütungsbereichder VG Wort. Bis zum heutigen Tage ist für diesen größtenund wichtigsten Bereich der Nutzung des § 52 a nicht eineinziger Cent geflossen. Die VG Wort hat ihren Teil getan,als sie im Mai 2005 einen Tarif aufgestellt und ihn sogarmit einer Musterkalkulation versehen hat, die erklärt, wiesie auf die angesetzte Vergütung kommt. Mir scheint dieseMusterkalkulation durchaus leistungsgerecht zu sein,sodass ich die mehrjährige Totalverweigerung der Län-der in diesem Bereich nicht nachvollziehen kann. Überdrei Jahre haben sich die Länder Zeit gelassen, um vorder Schiedsstelle diesen Tarif anzugreifen. Und erst durchden Druck der Bundesjustizministerin und unserer Frak-tion haben sich die Länder endlich dazu bewegen lassen,das Schiedsverfahren einzuleiten.

Wenn ich eben namentlich die FH des Bundes kritisierthabe, so verdient sie aber auch ein Lob, nämlich für ihreOffenheit und Ehrlichkeit; denn zwei Drittel der dortigenProfessoren erklärten, dass der Wegfall des § 52 a UrhGim Bereich „Veranschaulichung des Unterrichts“ keiner-lei Auswirkungen auf ihre Arbeit habe. Die Forschungs-einrichtungen, vertreten durch die Allianz der deutschenWissenschaftsorganisationen, sehen dies genauso, wobeider Wert wohl noch deutlich höher anzusetzen ist als beider FH des Bundes. Und sie liefern allerdings auch dieentscheidende Begründung dafür: Der überwiegende Teilder Nutzungen laufe inzwischen eh über Lizenzvereinba-rungen. Das Vertragsrecht hat sich also hier erwartungs-gemäß als praktischer und effektiver erwiesen als das Ge-setzesrecht.

Und eben hier liegt der richtige Ansatzpunkt. An sichist der § 52 a UrhG ein Relikt aus alten Zeiten, als die

Verlage noch nicht die Vorzüge der Digitalisierung vonInhalten erkannt hatten. Zur damaligen Zeit mag es viel-leicht noch einen Sinn gegeben haben, eine Vorschrifteinzuführen, die es den Schulen und Hochschulen ermög-lichte, das Intranet der jeweiligen Einrichtung zur Veran-schaulichung von Bildungsinhalten zu nutzen. Inzwischenhalten die Verlage jedoch entsprechende Angebote vorund investieren viel Geld, um den Bildungsinstitutionenattraktiv aufbereitete Inhalte anzubieten. Anstatt auf der-artige Angebote zuzugreifen, kämpft man auf der anderenSeite einen Kampf, der antiquiert anmutet.

Die Verlage haben ja ein großes Interesse, derartigeAngebote mittels Lizenzen den wissenschaftlichen Ein-richtungen bereitzustellen, und es wäre aus meiner Sichtangebracht, dass sich beide Seiten einmal an einen Tischsetzen, um nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen. DerWille, eine Lösung zu finden, die für alle Seiten befriedi-gend ist, liegt auf der Seite der Verlage ganz offensicht-lich vor. Und auf der Länderseite müsste diese Bereit-schaft eigentlich auch gegeben sein, wenn es ihnen um einwirklich attraktives Angebot für ihre Schüler, Studentenund Forscher geht. Diese Einigungsbereitschaft fehlt al-lerdings, wenn es den Ländern nur darum geht, den Ver-lagen und Autoren ihre gerechte Entlohnung zu verwei-gern und es nur billig haben zu wollen.

Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu dem immerwieder herbeigeredeten Antagonismus zwischen den Ver-lagen und dem Wissenschaftsbetrieb machen. Mir ist eswichtig zu betonen, dass die Verlage einen integralen Be-standteil dieses Wissenschaftsbetriebes ausmachen. DieTausenden von Wissenschaftlern, die ihre Arbeit ebennicht einfach so ins Internet stellen, sondern eine Verlags-veröffentlichung vorziehen, bestätigen das Tag für Tag.Nur Verlage können durch kritische Prüfung von einge-reichten Beiträgen eine Qualitätskontrolle erreichen, dieein hohes wissenschaftliches Niveau gewährleistet. Wis-senschaftsverlage sind auf das Renommee ihrer Veröf-fentlichung angewiesen, da sie ansonsten ihren Ruf ver-lieren und damit in der Wissenschaftsfamilie nicht mehrernst genommen werden.

Zumal mit einem weiteren Mythos aufgeräumt werdensollte: dass es sich bei den Wissenschaftsverlagen nur umgroße Verlagshäuser handelt, die mit ihren Publikationenriesige Gewinne einfahren. Der weitaus größte Teil derdeutschen Wissenschaftsverlage sind mittelständischeUnternehmen, die zum Teil nur deshalb in dem Geschäftbleiben, weil ihre Eigentümer und ihre Mitarbeiter ihreArbeit aus innerer Überzeugung und mit viel Herzblut be-treiben.

Aus den Gesprächen mit vielen Verlagen weiß ich: DieAbsatzzahlen von Lehrbüchern sind teilweise eingebro-chen. Das bezieht sich insbesondere auf Nischenpro-dukte, die in der Anschaffung entsprechend teuer sind.Studenten nutzen für ihre Arbeit zunehmend lieber das,was im Intranet eingestellt ist, als sich das entsprechendeLehrbuch anzuschaffen. Bei manchen dieser Verlage gehtder § 52 a UrhG an die Substanz.

Daher ist es auch traurig zu sehen, dass der Antrag derGrünen in seiner Begründung auf die Interessen der Ur-heber und ihrer Verlage gar nicht weiter eingeht, sondern

Zu Protokoll gegebene Reden

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Dr. Günter Krings

einfach nur von den positiven Auswirkungen der Wissen-schafts- und Ausbildungsschranke in der Praxis spricht,die eine Aufhebung der Befristung rechtfertigen würden.Sie weisen zwar zu Recht darauf hin, dass das BMJ in sei-nem Evaluierungsbericht in der Zusammenfassung zudem Ergebnis kommt, die Befristung sei aufzuheben.Wenn Sie allerdings den ganzen Bericht genau gelesenhätten, müssten Sie eigentlich zu einem anderen Ergebniskommen. Derartige Regierungsgläubigkeit von einer Op-positionspartei hätte ich nicht erwartet. Ich werde an an-derer Stelle gerne noch einmal darauf zurückkommen.

Die nun gefundene Kompromisslösung halte ich insge-samt für vertretbar. Die beiden vorgelegten Evaluie-rungsberichte haben uns leider nur ein sehr rudimentäresBild von der Anwendung des § 52 a UrhG in der Praxisgeliefert. Für den nächsten Bericht sollte man den Fra-genkatalog unbedingt überarbeiten und hinterfragen, ober wirklich zielgerichtet die Informationen abfragt, diefür eine vernünftige Beurteilung der wirtschaftlichenLage der Verlage notwendig ist. Denn das war das eigent-liche Ziel der Befristung: zu sehen, wie stark § 52 a in dasEigentumsrecht der Verlage eingreift. Dies ist bislang nurunzureichend möglich.

Übrigens verpflichtet uns niemand, die Vierjahresfristvoll auszuschöpfen. Wir sollten uns schon zu Beginn dernächsten Wahlperiode mit der Evaluierung dieses The-mas beschäftigen. Geeignete Vorschläge zur Verbes-serung dieser Bestimmung, unter denen wir auch denberechtigten Bedenken der Verlage Rechnung tragen,können wir als Unionsfraktion jederzeit vorlegen.

Wir geben mit dieser Verlängerung vor allen den Län-dern noch eine – aus meiner Sicht letzte – Chance, mitdieser problematischen Urheberrechtsschutzschranke soverantwortlich umzugehen, dass auch die Autoren undVerlage zu ihrem Recht kommen. Da es ohne Original be-kanntlich auch keine Kopien mehr gibt, müssen endlichangemessene Honorare für die Nutzung fremden Eigen-tums gezahlt werden.

Dirk Manzewski (SPD):Als wir seinerzeit den § 52 a des Urhebergesetzes neu

geschaffen haben, haben wir es im Interesse der Bildungunter anderem erlaubt, das kleine Teile eines Werkes,Werke geringen Umfangs oder auch einzelne Beiträgeaus Zeitungen oder Zeitschriften zum Beispiel zur Veran-schaulichung im Unterricht an Schulen oder Hochschu-len zugänglich gemacht werden können. Dem ist damalseine kontroverse Diskussion vorangegangen. Mit Urhe-bern und Rechteinhabern, die diese Regelung strikt ab-lehnten und mit Vertretern aus dem Bereich Bildung, de-nen diese Öffnungsklausel noch nicht weit genug ging.

Auch innerhalb der Fraktionen gab es unterschiedli-che Meinungsbilder. Die Rechts- und Kulturpolitiker, dieeher auf der Seite der Urheber und Rechteinhaber stan-den und die Bildungs- und Verbraucherpolitiker, die dieseneue Vorschrift noch viel zu einengend empfanden.

Wir haben uns damals deshalb sehr intensiv mit diesereinzelnen Vorschrift befasst, weil eben zwei immanentwichtige Bereiche betroffen waren: Bildung und geistiges

Eigentum. Und beiden Seiten haben damals gewichtigeArgumente für ihre jeweilige Position vorgetragen.

Nach langen Beratungen haben wir gleichwohl die im-mer noch Streit befangene Vorschrift erlassen. Wir habenaber diese Vorschrift allerdings unter eine Befristung ge-stellt um eben festzustellen, ob insbesondere die Befürch-tungen der wissenschaftlichen Verleger vor unzumutba-ren Beeinträchtigungen wirklich berechtigt sind.

Diese Befristung lief zunächst bis zum 31. Dezember2006 und wurde von uns dann bis zum 31. Dezember2008 verlängert. Dementsprechend stellt sich uns nun dieFrage, wie wir mit dieser auslaufenden Befristung weiterumgehen.

Die unterschiedlichen Gruppierungen haben sich wie-der zu Wort gemeldet und interpretieren – oh, Wunder –die Resultate dieser Vorschrift höchst unterschiedlich.Die Koalition hat sich darauf verständigt, die Evaluie-rungsphase dieser Vorschrift noch einmal zu verlängernund zwar bis zum 31. Dezember 2012. Die Gewichtungder Gründe sind hierfür innerhalb der Koalition durch-aus unterschiedlich – das will ich nicht verhehlen.

Für mich reicht der entsprechende Bericht des BMJ füreine abschließende Entscheidung jedenfalls noch nichtaus. Wir hätten wohl den Hinweis, die vorgegebene Zeit-spanne sei für eine vernünftige Evaluierung viel zu kurz,ernster nehmen sollen. Ich sage das ganz selbstkritisch.

Bildung ist ein hohes Gut – keine Frage – aber einevernünftige Abwägung hat auch die Interessen der Rechte-inhaber mit zu berücksichtigen.

Deshalb fand ich es schon ganz interessant, in dem Be-richt zu lesen, dass ein nicht unerheblicher Teil der Hoch-schulen, gar nicht an einer intensiveren Nutzung von§ 52 a UrhG interessiert ist, da der Bedarf unter anderemüber Campus-Lizenzen etc. völlig ausreichend abgedecktsei.

Es gibt auch noch kein System für die Registrierung,Meldung und Abrechnung der einzelnen Nutzungen durchdie Hochschulen. Das wäre aber Voraussetzung um vonden bisher gültigen pauschalen Nutzungsentgelten aufeine gerechtere werksbezogene Einzelabrechnung zukommen.

Hinzu kommt, dass in dem Gesamtvertrag „Hochschu-len“, der zwischen den Ländern und den Verwertungsge-sellschaften geschlossen wurde, die Verwertungsgesell-schaft mit dem höchsten Anteil der Nutzungen – die VGWort – noch nicht eingebunden ist. Der VG Wort ist ein-fach das Entgelt, das für die Nutzungen an Hochschulengezahlt werden soll, zu niedrig.

Bislang sind die Länder nur bereit, für die Nutzungdurch ihre sämtlichen Hochschulen einen relativ gerin-gen Betrag zu zahlen. Dass die VG Wort das nicht akzep-tiert und nun wohl vor die Schiedsstelle gehen wird, ist fürmich mehr als verständlich.

Die Befristung ist seinerzeit aber eben auch eingeführtworden, um zu sehen, ob die Interessen der Rechteinha-ber hinreichend gewahrt werden. Da dieses zumindestderzeit offenbar nicht der Fall ist, sollte die Befristung

Zu Protokoll gegebene Reden

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Dirk Manzewski

nicht einfach aufgehoben, sondern noch einmal verlän-gert werden.

Ich würde mich freuen, wenn Sie uns hierbei unterstüt-zen würden.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP): Zu Recht betont die Bundesregierung immer wieder

die gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Bedeutung,die der wirksame Schutz des geistigen Eigentums geradeim digitalen Umfeld hat. In der praktischen Umsetzungwird die Bundesregierung ihren eigenen Maßstäben aberoft nicht gerecht. Das konnten wir in letzter Zeit vor allemam Beispiel des Urheberrechts beobachten.

Mit § 52 a UrhG wurde im Jahr 2003 ein neue Ausnah-mevorschrift in das Urheberrechtsgesetz eingefügt. Sieerlaubt die öffentliche Zugänglichmachung urheber-rechtlich geschützter Werke in Intranets zur Veranschau-lichung im Unterricht und in der Forschung. Die FDP hat§ 52 a abgelehnt, weil diese Vorschrift über das Ziel hi-nausschießt und weil nicht absehbar war, in welchemMaß die Vorschrift die Entwicklung digitaler Verlagsan-gebote beeinträchtigt. Auch der Rechtsausschuss hat dieBefürchtungen der Verlage vor unzumutbaren Beein-trächtigungen damals immerhin insoweit anerkannt, alser durchgesetzt hat, dass § 52 a UrhG zunächst auf zweiJahre bis zum 31. Dezember 2006 befristet wird.

Die Bundesregierung war nicht in der Lage, dem Bun-destag rechtzeitig eine aussagekräftige Evaluation derAuswirkungen von § 52 a UrhG vorzulegen. Die Über-gangsfrist ist deshalb 2006 um weitere zwei Jahre bis zum31. Dezember 2008 verlängert worden. Um die Chanceauf eine dauerhafte und tragfähige Regelung zu wahren,hat meine Partei diese Verlängerung gebilligt.

Obwohl lange bekannt war, dass der Bundestag in die-sem Jahr über § 52 a entscheiden muss, weil die Norm an-dernfalls am 31. Dezember 2008 außer Kraft tritt, hat dieKoalition das Thema vor sich hergeschoben. Jetzt will sieim Eilverfahren eine erneute Übergangsregelung durchden Bundestag peitschen und sich wieder einer inhaltli-chen Entscheidung entziehen.

Der Evaluationsbericht des Bundsjustizministeriumsliegt seit Frühjahr vor. Auch dieser Bericht ist unzurei-chend und lässt eine positive Bewertung, die eine Entfris-tung von § 52 a UrhG rechtfertigen würde, weiterhinnicht zu. Das sieht ausdrücklich auch die Koalition so.Das ist der kleinste gemeinsame Nenner innerhalb derKoalition; denn darüber, wie es mit § 52 a UrhG weiter-gehen soll, konnte in der Koalition keine Einigkeit erzieltwerden.

§ 52 a soll deshalb erneut verlängert werden – diesesMal gleich um weitere vier Jahre. Sollte der Entwurf derKoalition Gesetz werden, würden bis zur endgültigen Ent-scheidung des Gesetzgebers seit dem Inkrafttreten von§ 52 a also neun Jahre vergehen. Damit wird die Befris-tung, die nach einem überschaubaren Zeitraum eine seriöseÜberprüfung ermöglichen sollte, zur Farce.

Es kann nicht sein, dass der Gesetzgeber sich auf dieseWeise seiner Verantwortung entzieht. Faktisch haben wir

es dann doch mit einer Entfristung zu tun. Wenn die Koali-tion das will, dann soll sie es auch so nennen.

Es ist noch immer nicht geklärt, welche Auswirkungen§ 52 a tatsächlich hat. Vor allem ist nicht akzeptabel, dassdie begünstigten Einrichtungen offenbar noch immerkeine Vorkehrungen für eine werkbezogene Abrechnungder Nutzungen getroffen haben. Es ist keineswegs auszu-schließen, dass § 52 a UrhG die Verlage beim Ausbau ihresdigitalen Geschäfts nicht nur unerheblich beeinträchtigt.Und dabei geht es keineswegs nur um einige wenige do-minierende Großverlage, wie gelegentlich behauptet wird.Auch und gerade mittlere und kleinere deutsche Fachver-lage sehen § 52 a UrhG unverändert mit Sorge. DieseSorgen muss der Bundestag ernst nehmen, wenn er seineurheberrechtspolitische Glaubwürdigkeit nicht verlierenmöchte.

Dass es auch anders geht, zeigt ja der „Zweite Korb“.Da haben wir Regelungen geschaffen, die sehr wohl dieInteressen der Nutzer und der Rechteinhaber zum Aus-gleich bringen. Die Nutzerbedürfnisse sind hier berück-sichtigt worden, ohne zugleich die berechtigten Interessender Rechteinhaber über Bord zu werfen.

Das Ziel, das hinter § 52 a steht, ist grundsätzlich richtig.Das stelle ich hier ausdrücklich fest, damit keine Missver-ständnisse entstehen. Natürlich ist es richtig, Lehre undForschung durch sinnvolle Rahmenbedingungen den Zu-gang zu digitalen Inhalten zu erleichtern. Aber das darfnicht zu Lasten der Rechteinhaber gehen. Es ist Aufgabeder Träger der Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen,diese mit den notwendigen Mitteln auszustatten. Es kannnicht sein, dass wir das Urheberrecht zurückdrängen, umauf diese Weise die Bildungs- und Wissenschaftshaus-halte auf Kosten der Rechteinhaber zu entlasten. Genaudiese Gefahr besteht aber bei § 52 a in seiner geltendenForm unverändert.

Der Bundestag hat § 52 a UrhG im Jahr 2003 bewusstmit einer knapp bemessenen Frist versehen, damit zeitnaheine Bewertung erfolgt. Der Gesetzentwurf der Koalitionführt das Konzept der befristeten Geltung ad absurdum.Die FDP wird dem Gesetz deshalb nicht zustimmen.

Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Allenthalben werden in der Debatte über qualitative

Veränderungen unserer Gesellschaft und ihrer ökonomi-schen Grundlagen Schlagworte wie „Wissensgesell-schaft“, „Informationsgesellschaft“ oder neuerdingsauch „Bildungsrepublik“ gebraucht. Abgesehen davon,dass diese Begriffe eher interessengeleitet als objektiv be-schreibend verwendet werden, enthalten sie doch auchWahres: Die Bedeutung von Wissen und Kreativität, aberauch von Kommunikation und Information steigt weiterstark an. Diese Kompetenzen werden immer mehr zuwichtigen Produktionsfaktoren im gesellschaftlichen wiewirtschaftlichen Bereich. Wenn unsere Gesellschaft sichalso in umfassendem Sinne weiterentwickeln will, musssie die Verbreitung des Wissens fördern und die kreativenKompetenzen der Menschen herausfordern.

Mit dem Bedeutungszuwachs des Wissens stiegen auchdessen Verwertungsmöglichkeiten als lukrative Handels-

Zu Protokoll gegebene Reden

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Dr. Petra Sitte

ware. Dieser schlichte Bezug zur „Wissensgesellschaft“meint, dass sich heute mit wissensintensiven Gütern mehrGeld verdienen lässt als früher, und das auch im Bil-dungs- und Forschungsbereich. Sowohl Schulbuch- wieauch Wissenschaftsverlage konnten ihre Umsätze undGewinne in den vergangenen Jahren stark steigern. DerZugang zu Wissen wird dadurch jedoch verknappt. Hoch-schulen müssen Zeitschriften abbestellen, Schulen sparenam Lehrmaterial und Familien an Kinderbüchern, um diesteigenden Beschaffungskosten abzufangen. Dabei profi-tieren weniger die Kreativen und Wissenschaftler von die-ser Entwicklung, denn sie schließen zumeist Abtretungs-verträge mit den Verwertern ab. Die Digitalisierung vonInhalten erweist sich in diesem Prozess als zweischneidi-ges Schwert: Zum einen ist prinzipiell die Verbreitung aufBasis des Internets fast ohne Kosten möglich, zum ande-ren sind jedoch Möglichkeiten des Rechtemanagementsdurch die Verlage und Firmen im Vergleich zur Papier-form stark angestiegen. Mit einem Wort: Die technischenMöglichkeiten sind den gesellschaftlichen Regularien beider Schaffung von Gemeinnutzen weit voraus. Es leuchtetein, dass hier zwischen kommerziellen Verwertern desWissens und den Nutzern ein Interessenwiderspruch be-steht. Die Gesellschaft muss infolgedessen eine Güterab-wägung vornehmen, wobei die beiden genannten Berei-che Bildung und Wissenschaft als Schlüsselsektoren einerwissensbasierten Gesellschaft besonderer staatlicherFörderung bedürfen.

Der Gesetzgeber hat im Jahr 2003 daher als vorsichti-gen, aber richtigen Schritt eine Regelung im Urheber-rechtsgesetz verankert, die es Bildungs- und Wissenschafts-einrichtungen ermöglicht, urheberrechtlich geschützte,sogenannte kleine Werke und Teile von Werken in inter-nen Netzwerken in digitaler Form einem begrenzten Per-sonenkreis zur Verfügung zu stellen. Auf diese Weisedienen sie fördernswerten Zwecken, ohne die Verwer-tungskreisläufe zu boykottieren. Denn für diese Nutzungzahlen die Einrichtungen bzw. ihre Träger pauschale Nut-zungsgebühren. Die Vorbehalte gegen eine solch leichteÖffnung des Urheber- und Verwerterschutzes, mithin dieAngst vor Kontrollverlust durch Verlage und Produk-tionsfirmen war und ist groß. Zudem ist die Verteilung dergezahlten Pauschalen durch die Verwertungsgesellschaf-ten noch ein Problem. Daher ist diese Regelung zuerst bis2006 und dann – aufgrund unzureichender Evaluierungs-ergebnisse – bis zum Jahr 2008 befristet worden. Die er-neute Evaluierung durch das Bundesministerium der Jus-tiz in den letzten zwei Jahren bezieht Befragungen allerBeteiligten ein und kommt zu einem eindeutigen Ergeb-nis: Die genannte Regelung hat sich bewährt. Sie trägtdazu bei, das Lehrangebot in Schulen und Hochschulenaktuell zu halten und qualitativ zu verbessern. In For-schungseinrichtungen werden vor allem Kooperationenund Kollektivarbeiten befördert. Zudem habe selbst derBörsenverein des deutschen Buchhandels bisher keinenennenswerten Umsatzeinbußen infolge der Ausnahme-regelungen feststellen können. Eine Erweiterung des§ 52 a Urheberrechtsgesetz, wie Schulen und Forschungforderten, könne das BMJ zwar nicht empfehlen, einenochmalige Befristung sei jedoch in keinem Fall be-gründbar.

Ich bin erstaunt, dass Sie, liebe Koalitionäre, nach die-sem eindeutigen und gut belegten Plädoyer aus dem Be-richt nun trotzdem eine Befristung beantragen. TrauenSie Ihrem Ministerium nicht? Oder hat hier die Lobby-arbeit von Verlagen und Verbänden Wirkung gezeigt?Eine nochmalige Befristung um vier Jahre hilft doch nie-mandem! Sie behindert den Auf- und Ausbau von Intra-nets in Schulen und Hochschulen durch mangelndeNutzungsperspektiven, führt dennoch nicht zu mehr Er-kenntnissen in der Folgenabschätzung.

Und zur FDP: Sie haben sich in der Sitzung des Bil-dungsausschusses als Partei des Eigentums dargestelltund wollten den § 52 a am liebsten ganz abschaffen. Dasist konsequent. Wie verträgt sich diese restriktive Haltungjedoch mit Ihrer Rhetorik von Wissenschaftsfreiheit undBildungsaufschwung? Der FDP steht die genannte Gü-terabwägung offensichtlich noch bevor.

Meine Fraktion wird dem Gesetzentwurf der Grünenzustimmen, der eine Entfristung des § 52 a vorschlägt.Kompromisse zwischen widerstreitenden Interessen, diesich nachweislich in der Praxis bewährt haben, sollteman um der Planungssicherheit der Beteiligten willenbeibehalten. Trotzdem, das darf ich hier anfügen, kanndiese Regelung nicht der letzte Schritt auf dem Weg zu ei-nem bildungs- und wissenschaftsfreundlichen Urheber-recht gewesen sein. Die Linke fordert, wie der Bildungs-ausschuss, eine dritte Novelle des Urheberrechtsgesetzes,in dem der „Open Access“-Gedanke umfassend eingear-beitet ist und dem Recht auf Bildung und Informations-freiheit Vorrang vor der kommerziellen Verwertung ein-geräumt wird.

Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit der Einführung des § 52 a in das Urheberrechts-

gesetz hat der Gesetzgeber im September 2003 einenwichtigen Beitrag zur Förderung von Bildung undForschung in einer digitalen Informationsgesellschaftgeleistet. Durch die dort festgelegte Ausbildungs- undWissenschaftsschranke ist es zulässig unter bestimmteneinschränkenden Voraussetzungen, Werke für Unter-richtszwecke oder für Forschungszwecke in kleine Intra-nets von Schulen oder Universitäten einzustellen. Um dieAuswirkungen dieser Norm in der Praxis evaluieren zukönnen, wurde § 52 a UrhG zunächst bis zum 31. Dezem-ber 2006 befristet. Dann folgte mangels abschließenderEvaluation wiederum eine Befristung bis zum 31. Dezem-ber 2008. Nun wird im zweiten Evaluierungsbericht desBundesjustizministeriums vom 2. Mai diesen Jahres eineAufhebung der Befristung empfohlen. Dies halte ich fürrichtig.

Die neue Regelung des § 52 a UrhG hat sich in derPraxis bewährt und muss – unbefristet – bleiben. For-schung und Lehre müssen auch weiterhin einen einfachenZugriff auf urheberrechtlich geschützte Informationen er-halten. Laut der begünstigten Institutionen hat sie beson-ders im Bereich der Lehre zu einer gesteigerten Aktualitätund einer besseren Vermittlung von Lehrinhalten sowie zueiner Verbesserung der Medienkompetenz der Studieren-den geführt. Besonders im Bereich der Hochschulen hatdie Regelung sehr große Akzeptanz gefunden – nahezu

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900 000 Nutzungen – davon circa 600 000 im BereichLehre und zirka 300 000 im Bereich Forschung – habendort allein im Sommersemester auf der Grundlage derneuen Schranke des § 52 a UrhG stattgefunden.

Die Länder gaben übereinstimmend an, dass ein Weg-fall der Vorschrift erhebliche negative Konsequenzenhätte. Hamburg bezeichnete den Wegfall als „absoluteKatastrophe“, Bayern und Baden-Württemberg als„Rückfall in die Steinzeit“ und Nordrhein-Westfalen als„Rückfall ins Mittelalter“. Dies zeigt, wie wichtig es fürden Bildungs- und Wissenschaftsstandort Deutschlandist, innovative gesetzliche Neuerungen zu schaffen, dieForschung und Lehre den Zugriff auf Informationen auchim digitalen Bereich schnell und einfach ermöglichen.

Dass dabei die Rechte der Urheber und Verwertungs-gesellschaften nicht außer Acht gelassen werden dürfen,steht für mich völlig außer Frage. Wir brauchen ein funk-tionierendes Vergütungssystem. Der grundsätzliche Rah-men dafür ist durch den § 52 Abs. 4 UrhG und die Ver-handlungen zu den Gesamtverträgen „Hochschulen“und „Schulen“ zwischen den Verwertungsgesellschaftenund den Ländern geschaffen. Die Länder haben die Zah-lungen aufgrund der Pauschalvergütungen nach den Ge-samtverträgen „Schule“ und „Hochschulen“ aufgenom-men. Dass dabei mit der VG Wort, die die Rechte der beiihr zusammengeschlossenen Rechteinhaber vertritt, auchnach mehreren Jahren noch keine Einigung auf einen Ge-samtvertrag „Hochschulen“, an dem auch sie beteiligtist, erzielt worden ist, ist sicherlich ärgerlich. Doch ge-rade dieser Tage findet zwischen den beteiligten Kreisenvor der Schiedsstelle des Patent- und Markenamts inMünchen ein erneutes Treffen zur Einigung statt. DieseEinigung kann nur ein Kompromiss zwischen den Par-teien sein. Eine weitere Befristung würde das durch dieEinführung von § 52 a UrhG bezweckte Ziel „Förderungdes Bildungs- und Wissenschaftsstandorts Deutschlandin einer digitalen Informationsgesellschaft bei Achtungder Urheberrechte“ gefährden. Zum einen würde derAusbau der Infrastruktur für die Nutzungen, die § 52 aUrhG ermöglicht, empfindlich gehemmt werden – beson-ders im schulischen Bereich ist dies evident. Nur circazehn Prozent der befragten Schulen haben die Möglich-keiten des § 52 a UrhG genutzt. 50 Prozent der Schulender Sekundarstufe I und II, die noch kein Intranet nutzen,gaben an, in Zukunft schulische Intranets nur dann nut-zen zu wollen, wenn die Norm unbefristet fortgelte.

Zum anderen wird eine weitere Befristung auch dieProbleme bei der Einigung auf eine angemessene Vergü-tung im Bereich „Hochschulen“ nicht herbeiführen kön-nen. Im Gegenteil – die Befristung der Norm war dochgerade ein Grund dafür, dass im Gesamtvertrag derHochschulen nur pauschale Nutzungsentgelte vereinbartwurden. Die Verwertungsgesellschaften gaben an, dassdie bestehende Befristung der Norm die Gesamtvertrags-verhandlungen erschwert hätten. Um eine für alle Seitenzufriedenstellende Einigung über die Vergütung und an-statt einer Pauschal-, auch eine Einzelabrechnung er-möglichen zu können, muss hier eine langfristige Per-spektive und Rechtssicherheit für die Nutzer sowie dieRechteinhaber geschaffen werden. Deshalb dürfen nochausstehende Einigungen im Vergütungsbereich nicht die

grundsätzliche Richtigkeit und den Erfolg des § 52 aUrhG in Frage stellen – ich meine, eine weitere Befris-tung würde genau das Gegenteil bewirken.

Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei derBundesministerin der Justiz:

„Zum 10. Mal wiederholt, wird es gefallen“. Dies hateinmal der berühmte Dichter Horaz gesagt. Ich hoffenicht, dass es einer zehnten Befristung von § 52 a Urhe-berrechtsgesetz bedarf, bis uns die Norm gefällt.

§ 52 a des Urheberrechtsgesetzes wurde durch dasErste Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der In-formationsgesellschaft vom 10. September 2003 erstma-lig in das deutsche Urheberrechtsgesetz eingeführt. DieseRegelung erklärt es unter bestimmten, einschränkendenVoraussetzungen für zulässig, Werke für Unterrichts-oder Forschungszwecke in Intranets von Schulen undHochschulen einzustellen. Die Regelung wurde damalsbis zum 31. Dezember 2006 befristet. Hiermit wollte manden Befürchtungen wissenschaftlicher Verleger vor unzu-mutbaren Beeinträchtigungen ihres Kerngeschäfts Rech-nung tragen.

Nach einer ersten Evaluierung über die Auswirkungder Norm in der Praxis im Jahr 2006 war eine abschlie-ßende Bewertung nicht möglich. Mit dem Fünften Gesetzzur Änderung des Urheberrechtsgesetzes vom 10. No-vember 2006 wurde die Befristung daher um zwei Jahreverlängert. In diesem Jahr hat das Bundesministeriumder Justiz eine erneute Evaluierung durchgeführt. Wirsind zu dem Ergebnis gekommen, dass die Befristung derNorm aufgehoben werden sollte. In den nachfolgendenBeratungen mit den Berichterstattern der Regierungsko-alition sind jedoch erneut Bedenken im Hinblick auf dieBelange der wissenschaftlichen Verlage geäußert wor-den. Das Ergebnis der Beratungen war eine erneute Be-fristung um weitere vier Jahre.

Ich hoffe nunmehr sehr, dass aller guten Dinge nichtzehn, sondern drei sind und die im Jahr 2012 anstehendedritte Evaluierung ausreichende Erkenntnisse für eineendgültige Entscheidung über den Fortbestand der Rege-lung und eventuelle Modifizierungen bringen wird.

Die in diesem Jahr durchgeführte Evaluierung hat injedem Fall gezeigt, dass die Norm für den Bildungs- undWissenschaftsstandort Deutschland eine positive Rollespielt. Von § 52 a Urheberrechtsgesetz wurde an denHochschulen im großen Umfang Gebrauch gemacht. DieHochschulen haben angegeben, dass die Norm es ihnenermögliche, die Lehre besser und aktueller zu gestalten;außerdem steige durch den erleichterten Austausch vonInhalten unter den Wissenschaftlern die Qualität der For-schung.

Aber auch im Bereich der Schulen gewinnt die Normzunehmend an Bedeutung. Sicherlich verfügen bislangnicht alle Schulen über die technischen und personellenRessourcen, um den Schülern Werke in Intranets öffent-lich zugänglich zu machen. Ich denke aber, dass hier wei-tere Investitionen folgen werden. Denn die Erfahrungender Schulen mit der Nutzung des Intranets waren durch-gehend positiv. Ich freue mich daher sehr, dass wir – die

Zu Protokoll gegebene Reden

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20144 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

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Parl. Staatssekretär Alfred Hartenbach

Regierungskoalition – zu dem Ergebnis gekommen sind,die Norm fortgelten zu lassen. Ich bin auch davon über-zeugt, dass uns bei der erneuten Evaluierung im Jahr2012 – nach immerhin neun Jahren – genügend Daten füreine abschließende Bewertung vorliegen werden. Bis da-hin wird sich der Zahlungsmechanismus so eingespielthaben, dass wir noch genauer absehen können, inwieweitUrheber und Verleger von den Ausschüttungen der Ver-wertungsgesellschaften profitieren.

In jedem Fall kann ich Ihnen bereits jetzt versichern,dass das Bundesministerium der Justiz bei der im Jahr2012 – hoffentlich letzten – Evaluierung von § 52 a Urhe-berrechtsgesetz sowohl die Belange von Wissenschaft undForschung als auch die Interessen der Rechtsinhaberausreichend berücksichtigen wird.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss

empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlungauf Drucksache 16/10894, den Gesetzentwurf der Frak-tionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/10569anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-wurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Gegen-stimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist da-mit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionbei Gegenstimmen der Opposition angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurfist damit in dritter Beratung mit den Stimmen der Koali-tion bei Gegenstimmen der Opposition angenommen.

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 16/10894 empfiehlt der Rechtsausschuss,den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünenauf Drucksache 16/10566 abzulehnen. Ich bitte diejeni-gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um dasHandzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Der Gesetzent-wurf ist damit in zweiter Beratung mit Stimmen derSPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen der Frak-tionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke abgelehnt.Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die wei-tere Beratung.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 42 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zurÄnderung des Zweiten Buches Sozialgesetz-buch

– Drucksache 16/10811 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden dieReden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um dieReden folgender Kolleginnen und Kollegen: KarlSchiewerling, CDU/CSU, Angelika Krüger-Leißner,SPD, Heinz-Peter Haustein, FDP, Katrin Kunert, Die

Linke, Markus Kurth, Bündnis 90/Die Grünen, und desParlamentarischen Staatssekretärs Klaus Brandner.

Karl Schiewerling (CDU/CSU): Mit dem vorliegenden Regierungsentwurf setzen wir

die Beteiligung des Bundes an den kommunalen Leistun-gen für Unterkunft und Heizung für das Jahr 2009 neufest. Das geschieht auf der Grundlage des SGB II. DerBund beteiligt sich nach § 46 Abs. 5 des Zweiten BuchesSozialgesetzbuch – SGB II – zweckgebunden an den Leis-tungen der kommunalen Träger für Unterkunft und Hei-zung im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsu-chende. Damit wird sichergestellt, dass die Kommunendurch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen amArbeitsmarkt – unter Berücksichtigung der sich aus die-sem Gesetz ergebenden Einsparungen der Länder – umjährlich 2,5 Milliarden entlastet werden – und das aus gu-ten Grund, denn die Kommunen sollen dieses Geld fürden Ausbau der Kinderbetreuung aufwenden.

Um die Entlastung der Kommunen um jährlich2,5 Milliarden Euro sicherzustellen, wurde im Rahmendes Ersten Gesetzes zur Änderung des Zweiten BuchesSozialgesetzbuch für die Jahre 2005 und 2006 ein Bun-desbeteiligungssatz von 29,1 Prozent festgeschrieben.

Da sich das Verfahren regelmäßiger Anpassungen derHöhe der Bundesbeteiligung auf der Grundlage einerjährlichen Be- und Entlastungsrechnung für die Kommu-nen als nicht zweckmäßig erwiesen hatte, gleichwohlaber nicht auf eine jährliche Anpassung der erforderli-chen Höhe der Bundesbeteiligung verzichtet werdensollte, wurde im Einvernehmen mit den Ländern durchdas Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialge-setzbuch und des Finanzausgleichsgesetzes bestimmt,dass die Höhe der Beteiligung des Bundes an den Leis-tungen für Unterkunft und Heizung gemäß der gesetzlichverankerten Anpassungsformel zu bestimmen ist. Inner-halb der Anpassungsformel spielt die Entwicklung derZahl der Bedarfsgemeinschaften eine wesentliche Rolle.Um es kurz zu fassen: Mehr Bedarfsgemeinschaften be-deuten mehr Bundeszuschuss. Weniger Bedarfsgemein-schaften bedeuten weniger Bundeszuschuss.

Für das Jahr 2008 hatte das folgende Konsequenz: Dasich die jahresdurchschnittliche Zahl der Bedarfsgemein-schaften im maßgeblichen Zeitraum von Juli 2005 bisJuni 2006 im Vergleich zu dem Zeitraum von Juli 2006 bisJuni 2007 um mehr als 0,5 Prozent verändert hatte – siewar nämlich um 3,7 Prozent gesunken –, musste laut An-passungsgesetz die Bundesbeteiligung für das Jahr 2008um 2,6 Prozentpunkte auf bundesdurchschnittliche29,2 Prozent gesenkt werden. An den Leistungen für Un-terkunft und Heizung in Baden-Württemberg beteiligtsich der Bund für das Jahr 2008 mit 32,6 Prozent, inRheinland-Pfalz mit 38,6 Prozent und in den übrigen14 Ländern mit 28,6 Prozent.

Auch für das Jahr 2009 muss die Höhe der Bundesbe-teiligung erneut angepasst werden. Die jahresdurch-schnittliche Zahl der Bedarfsgemeinschaften hat sich imZeitraum von Juli 2006 bis Juni 2007 im Vergleich zu demZeitraum von Juli 2007 bis Juni 2008 von 3 827 934 auf3 653 757 verringert. Das entspricht 4,6 Prozent.

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20145

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Karl Schiewerling

In der Anpassungsformel heißt es, dass bei einer Ver-änderung der Bedarfsgemeinschaften um plus oder minus1 Prozent eine Anpassung des Beteiligungssatzes um plusoder minus 0,7 Prozentpunkte zu erfolgen hat. Dement-sprechend verringert sich die Bundesbeteiligung um3,2 Prozentpunkte; 4,6 mal 0,7 gleich 3,22. Hieraus er-gibt sich eine Bundesbeteiligung in Höhe von bundeswei-ten 26,0 Prozent. Die Sonderquoten für Baden-Württem-berg werden folglich auf 29,4 Prozent, die für Rheinland-Pfalz auf 35,4 Prozent und für die übrigen Länder auf je-weils 25,4 Prozent festgelegt.

Die teilweise von kommunaler Seite beanstandete an-gebliche Benachteiligung beim Anpassungsgesetz istnicht nachvollziehbar. Schließlich wurde die Anpas-sungsformel nach langen Verhandlungen mit den Län-dern vereinbart und im Bundesrat einmütig beschlossen.

Mit dem hier vorliegenden Regierungsentwurf wendenwir schlicht die gesetzlich festgelegte Anpassungsformelan. Aus diesem Grund sehe ich keine Bedenken, diesesGesetz im Bundestag in naher Zukunft zu verabschieden.

Angelika Krüger-Leißner (SPD): Diejenigen unter uns, die sich seit Jahren intensiv mit der

Arbeitsmarktpolitik und insbesondere mit der Hartz-IV-Ge-setzgebung beschäftigen, wissen, von welcher Brisanz dasThema Beteiligung des Bundes an den Kosten der Unter-kunft und Heizung (KdU) ist. Jedes Jahr aufs Neue hattenwir bei der Festsetzung der Höhe der Bundesbeteiligung dieAuseinandersetzungen mit den Ländern, den Kommunenund ihren Spitzenverbänden.

Schon mit Einführung von Hartz IV musste der Ver-mittlungsausschuss eine Lösung zwischen Bundestag undBundesrat herbeiführen. Beide Seiten haben sich daraufverständigt, die Kommunen im Zuge der Umsetzung vonHartz IV um 2,5 Milliarden Euro jährlich zu entlasten.Die Entlastung – das wurde ebenfalls im Vermittlungs-ausschuss verabredet – erfolgt über die Beteiligung desBundes an den KdU für Hartz-IV-Empfänger.

Mit dem ersten SGB-II-Änderungsgesetz haben wirfür die Jahre 2005 und 2006 die Bundesbeteiligung auf29,1 Prozent festgelegt. Für die Jahre ab 2007 musste je-doch eine gesetzliche Neuregelung gefunden werden.Denn die Idee, die Höhe der Bundesbeteiligung anhandeiner aufwendigen Berechnung regelmäßig neu zu be-rechnen, hat sich als nicht praxistauglich erwiesen.

Nach auch hier langen Verhandlungen mit den Län-dern konnte eine Vereinbarung getroffen werden, die imWesentlichen drei Punkte umfasst:

Erstens. Die durchschnittliche Beteiligung des Bundeswurde auf 31,8 Prozent festgesetzt. Damit ist der Bunddem Votum des Bundesrates gefolgt und stellte 450 Millio-nen Euro mehr zur Verfügung als aus seiner Sicht notwen-dig gewesen wäre. Für 14 Länder wurde die Bundesbetei-ligung auf 31,2 festgelegt, für Baden-Württemberg auf35,2 Prozent und für Rheinland-Pfalz auf 41,2 Prozent.Diese Regelung wurde einmütig mitgetragen.

Zweitens. Es war mir besonders wichtig, dass der „Aus-gleich Ost“ über die Sonderbedarfsbundesergänzungs-

zuweisungen bis 2010 verlängert wurde. Damit wurde der– bis heute immer noch – schwierigen Arbeitsmarkt-situation in den neuen Bundesländern Rechnung getragen.

Drittens. Die Anpassung der Bundesbeteiligung ab denJahren 2008 bis 2010 soll anhand der Entwicklung derAnzahl der Bedarfsgemeinschaften erfolgen. Vereinfachtausgedrückt: Steigt die Zahl der Bedarfsgemeinschaften,steigt auch die Beteiligung des Bundes, und umgekehrt. Inbeiden Fällen erfolgt die Beteiligung unterproportional.Auf eine detaillierte Darstellung der Anpassungsformelverzichte ich an dieser Stelle. Die Interessierten unter Ihnenkönnen das im Gesetz genau nachlesen.

In diesem Punkt konnte aber der Bund dem Vorschlagder Länder, nämlich die Höhe der Ausgaben für die Kostender Unterkunft als Maßstab für die Bundesbeteiligung zuGrunde zu legen, nicht folgen. Ich halte die Entwicklungder Bedarfsgemeinschaften als Berechnungsgrundlagenach wie vor für richtig. Denn das primäre Ziel im SGB IIist es, die Zahl der Hilfebedürftigen und damit die Anzahlder Bedarfsgemeinschaften zu reduzieren. Somit geht dasZiel Senkung der Bedarfsgemeinschaften einher mit derVerringerung der Kosten der Unterkunft. Für die Kommu-nen besteht somit ein Anreiz, die Wohnkosten regelmäßigauf Ihre Angemessenheit zu prüfen.

Darüber hinaus haben wir mit dieser Berechnungs-methode Transparenz geschaffen. Denn jeder kann dieAnzahl der Bedarfsgemeinschaften den entsprechendenStatistiken entnehmen. Somit ist der Anpassungsmecha-nismus eindeutig und nachvollziehbar.

Nicht sonderlich überrascht war ich, dass Ende 2007das Feilschen der Länder, als wir mit dem dritten Ände-rungsgesetz des SGB II den Bundeszuschuss für 2008nach eben diesem Verfahren festlegen wollten, erneutbegann. Dabei hatten wir doch in dieser Frage einenKonsens erreicht. Die Position der Länder und kommuna-len Spitzenverbände und der Kommunen war eindeutig:Bei der Berechnung sollten auch die enorm gestiegenenEnergiekosten berücksichtigt werden. In der Anhörungdazu konnten die Sachverständigen die aktuellen Kosten-steigerungen jedoch nicht seriös nachweisen. Es konntevor allem nicht dargelegt werden, ob und wie die Länderihre Einsparungen beim Wohngeld an die Kommunenweitergegeben haben. Insofern blieb es bei der verabre-deten Berechnung.

Im Juni dieses Jahres haben wir mit dem vierten Ände-rungsgesetz des SGB II beschlossen, die zeitliche Befristungder Anpassungsformel aufzuheben. Dem Gesetzentwurfging ein intensives Beratungsverfahren mit den Ländernvoraus, dem die Länder letztendlich in Zusammenhangmit der Wohngeldnovelle im SGB XII zustimmten.

Wenn man die Entwicklung der Bedarfsgemeinschaftenverfolgt, so ist festzustellen, dass es einen kontinuierlichenRückgang – auch bedingt durch gesetzliche Änderungen –gibt. Der Bundesanteil in 2008 an den KdU hat sich ge-genüber 2007 erheblich verringert. Das ist auch dadurchbedingt, dass der Bund in 2007 einen höheren Anteil aus-gegeben hat, als seiner Auffassung nach nötig gewesenwäre. Ich habe bereits darauf hingewiesen.

Zu Protokoll gegebene Reden

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20146 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

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Angelika Krüger-Leißner

Für 2008 sind Gesamtkosten von 13,4 Milliarden Eurovorgesehen. Davon entfallen gemäß der Beteiligung desBundes von durchschnittlich 29,2 Prozent 3,9 MilliardenEuro auf den Bund und 9,5 Milliarden Euro auf die Kom-munen. Für 2008 sind bereits 83,5 Prozent der bereitge-stellten Mittel abgerufen. Es ist also anzunehmen, dass diegeplanten Kosten auch den tatsächlichen entsprechen.

Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Anzahlder Bedarfsgemeinschaften in 2009 weiter rückläufig ist.Sie veranschlagt Gesamtkosten für die Kosten der Unter-kunft von 12,3 Milliarden Euro. Daraus ergibt sich eineBeteiligung des Bundes von 26,0 Prozent. Das führt zuAusgaben in Höhe von rund 3,2 Milliarden Euro. Gegen-über 2007 ergibt sich eine Entlastung des Bundes umrund 0,7 Milliarden Euro. Die Kommunen tragen gemäßihrem Anteil rund 9,1 Milliarden Euro. Das entspricht einerEntlastung von 0,4 Milliarden Euro gegenüber dem Vorjahr.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf bestimmen wirnur das Ergebnis für 2009 gemäß der verabredetenAnpassungsformel. Trotz rückläufiger Bundesbeteiligungsteht der Bund weiterhin dazu, die Kommunen in ihrerGesamtheit um jährlich 2,5 Milliarden Euro zu entlasten.Damit bleibt der Bund wie in den letzten Jahren ein verläss-licher Partner der Kommunen. Jedoch kann der Bund nichtdie Entlastung jeder einzelnen Kommune garantieren. Daslässt unsere Finanzverfassung nicht zu. An dieser Stellesind die Länder gefordert, über den Finanzausgleich füreinen Ausgleich zu sorgen.

Heinz-Peter Haustein (FDP): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll – entspre-

chend den Regelungen der Vorjahre – die Höhe der Bun-desbeteiligung an den Kosten für Unterkunft und Heizungfür das kommende Jahr angepasst werden. Damit soll dieZusage erfüllt werden, die den Kommunen im Rahmender Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozial-hilfe gemacht worden ist. Es geht um eine Entlastung derKommunen in einer Größenordnung von 2,5 MilliardenEuro. Das war von Anfang an das entscheidende Ziel: dieEntlastung der Kommunen.

Die FDP hat bereits in vergangenen Jahren auf denFehler hingewiesen, den Bundeszuschuss ausschließlichnach der Zahl der Bedarfsgemeinschaften zu bemessen.Wir haben das Ziel unterstützt, im Interesse der Kommu-nen eine gewisse Planungssicherheit zu schaffen. Dochdie Ausrichtung an der Zahl der Bedarfsgemeinschaftenhielten wir für falsch. Wir halten es nach wie vor fürfalsch. Daran hat sich nach den Jahren nichts geändert.Denn die Bedarfsgemeinschaften sind als Bezugsgrößeungeeignet, die tatsächlichen Verhältnisse abzubilden.

Ein Singlehaushalt verursacht geringere Miet- undHeizkosten als eine Großfamilie. Arbeitet man hier miteinem Mittelwert über alle Größen von Bedarfsgemein-schaften hinweg, dann sind automatisch diejenigen Kom-munen benachteiligt, in denen strukturell bedingt mehrkinderreiche Familien leben. Die Ballungsräume mit derVielzahl an Singlehaushalten werden dann begünstigt.Die Kommunen im ländlichen Raum mit einer strukturellbedingt höheren Zahl an Bedarfsgemeinschaften mit

mehreren Personen haben das Nachsehen. Das ist nichtim Sinne einer gerechten Entlastung aller Kommunen.

Die FDP hat immer deutlich gemacht, dass hier nurein Weg richtig sein kann: Wir müssen wegkommen vomder Bezugsgröße der Bedarfsgemeinschaften. Wir müssendahin kommen, dass die tatsächlich entstandenen Kostender Maßstab für die Bundesbeteiligung sind. Anders wer-den wir die Angelegenheit nicht lösen können. Planungs-sicherheit und finanzielle Entlastung für die Kommunensind ja schön und gut – aber dann auch bitte entsprechendden tatsächlich entstandenen Kosten.

Katrin Kunert (DIE LINKE): Während der Bund das Risiko für die Banken über-

nimmt, bürdet er den Kommunen weitere Risiken auf. Fürdas Funktionieren des Finanzmarktes werden förmlichüber Nacht 480 Milliarden Euro durch die Bundesregie-rung bereitgestellt. Zeitgleich erhalten Länder undKommunen 700 Millionen Euro weniger Mittel zur Fi-nanzierung der Kosten der Unterkunft. Ich finde es unge-heuerlich, dass diese Entscheidung im selben Atemzug mitder Entscheidung zum Finanzmarktpaket getroffenwurde.

Mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf zur Änderungdes SGB II – Zweites Buch Sozialgesetzbuch – will dieBundesregierung eine erneute Absenkung des Bundesan-teils an der Finanzierung der Leistungen für Unterkunftund Heizung für Hartz-IV-Beziehende vornehmen. DerBundesanteil soll von 29,2 Prozent auf 26 Prozent abge-senkt werden Das entspricht 700 Millionen Euro. NachSchätzung der Bundesregierung werden sich die Gesamt-ausgaben für die Kosten der Unterkunft im Jahr 2009 aufrund 13 Milliarden Euro belaufen. Davon müssen dieKommunen 9,1 Milliarden Euro an Kosten tragen.

Berücksichtigt man die bereits für das Jahr 2008 vor-genommene Reduzierung des Bundesanteils, kommt esfür die Folgejahre zu einer dauerhaften Zusatzbelastungder Kommunen von insgesamt über 1,5 Milliarden Euro.Hinzu kommen zusätzliche Ausgaberisiken infolge derSteigerungen des Ölpreises oder Anhebungen des Miet-spiegels, und es ist zu befürchten, dass die Kommunendiesen finanziellen Druck an die Betroffenen weiterrei-chen. An dieser Stelle will ich abermals bundesweit ein-heitliche Mindeststandards für die Berechnung der KdUeinfordern.

Der Bundesrat hat sich am 7. November 2008 mit demGesetzesentwurf befasst. Wie nicht anders zu erwartenwar, haben die Länder mehrheitlich zugestimmt. Warum?Die Antwort darauf finden Sie – stellvertretend für alleanderen Länder – in einer Anmerkung des Landes Sach-sen-Anhalt zu diesem Gesetzesentwurf. Ich zitiere:

Der Haushalt des Landes Sachsen-Anhalt selbstwird durch die Verringerung des Bundesanteilsnicht belastet. Wohl aber sind die Haushalte derLandkreise und kreisfreien Städte betroffen. DerenAusgaben für Unterkunft und Heizung dürften indiesem Jahr (nach gegenwärtigem Stand) um rund3,75 Prozent sinken, so dass landesweit die Sen-kung in 2008 kompensiert werden könnte.

Zu Protokoll gegebene Reden

Page 201: Deutscher Bundestagdipbt.bundestag.de/dip21/btp/16/16187.pdf · Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitz ung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 V b) Beschlussempfehlung

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20147

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Katrin Kunert

Auf Antrag der Fraktion Die Linke im Bundestag müs-sen sich nun auch in erster Lesung zum Entwurf einesFünften Gesetzes zur Änderung des SGB II alle Fraktio-nen erneut zum Vorgehen des Bundes in dieser Frage po-sitionieren. Eine einfache Überweisung, das heißt ohneAussprache, an die entsprechenden Ausschüsse – wie esvon den Koalitionsfraktionen geplant war – konnte somitverhindert werden.

Die Fraktion Die Linke will damit signalisieren, dasswir an diesem Thema dranbleiben, auch weil wir meinen,dass schlechte Gesetze wieder geändert werden müssenund können. Wenn es zu Korrekturen in der Politik kommt,um die Finanzmarktkrise zu bewältigen, warum sollteeine Korrektur hinsichtlich der Beteiligung des Bundesan der Finanzierung der Kosten der Unterkunft nichtmöglich sein? Ich meine, der Bundesanteil muss erhöhtwerden. Grundlage für die Berechnung müssen die realenKosten für Unterkunft und Heizung sein. Das wäre einSchritt in die richtige Richtung.

Der Gesetzentwurf ist als besonders eilbedürftig ge-kennzeichnet, da die Gesetzesänderung zum 1. Januar2009 in Kraft treten soll. Die Eilbedürftigkeit hat zurKonsequenz, dass ein anderes Verfahren angewandt wird;Art. 76 Abs. 3 Grundgesetz. Der Gesetzentwurf kann be-reits nach drei Wochen – auch schon ohne Stellungnahmedes Bundesrates – an den Bundestag weitergeleitet wer-den. Das heißt hätte der Bundesrat am 7. November 2008keine Entscheidung dazu getroffen, hätte sich der Bun-destag trotzdem damit befassen können.

Den kommunalen Spitzenverbänden wurde nicht dieMöglichkeit der Stellungnahme eingeräumt. Die Bundes-regierung hat die kommunalen Spitzenverbände erst mitSchreiben vom 20. Oktober 2008 über den Gesetzesentwurfin Kenntnis gesetzt. Der Gesetzesentwurf selbst datiertvom 16. Oktober 2008. Laut GGO der Bundesministerien,§ 47 GGO, sind aber die kommunalen Spitzenverbände beiallen Gesetzesvorhaben, die ihre Belange berühren,grundsätzlich zu beteiligen. Auch Änderungsgesetze fal-len darunter.

Die jeweils federführenden Bundesministerien müssenlaut GGO bei den kommunalen Spitzenverbänden recht-zeitig Angaben zu den Ausgaben einholen. In der Antwortder Bundesregierung auf meine schriftliche Anfrage heißtes hierzu:

Mit dem Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Ände-rung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuches, dasam 15. Oktober 2008 im Bundeskabinett beschlos-sen wurde, wird die Höhe der Bundesbeteiligung anden Leistungen für Unterkunft und Heizung imSGB II im Jahr 2009 festgelegt. Die gesetzlichenVorgaben zur Bestimmung und Festlegung derHöhe der Bundesbeteiligung sind in § 46 Abs. 7 undAbs. 8 SGB II eindeutig festgeschrieben und für dieÖffentlichkeit transparent nachvollziehbar. Bei demGesetzentwurf handelt es sich daher um ein reinesFeststellungsgesetz, mit dem die gesetzlichen Vor-gaben zur Bestimmung der Höhe der Bundesbeteili-gung umgesetzt werden. Den kommunalen Spitzen-verbänden wurde der Gesetzentwurf nachKabinettsbeschluss zur Kenntnis übersandt.

Der Bund zieht sich mit dem Gesetzesentwurf aus derFinanzierung der Leistungen für Unterkunft und Heizungweiter zurück und meint, dass er aufgrund der Gesetzes-lage dabei im Recht ist. Vollkommen in Vergessenheit ge-rät dabei, dass die Kommunen und die kommunalen Spit-zenverbände, die Oppositionsparteien im Bundestag undanfangs auch die Länder ihre Zustimmung zu dieserRechtsgrundlage versagt hatten.

2007 betrug die Bundesbeteiligung 31,8 Prozent. 2008wurde die Bundesbeteiligung auf 29,2 Prozent abgesenkt.Hintergrund hierfür ist die Einführung einer neuen Be-rechnungsformel, mit der sich der Bund quasi aus derVerantwortung rechnen kann. Für die Berechnung des-sen, was der Bund zahlen will, werden nicht die Istzahlen– also die realen Kosten, die den Kommunen entstehen –zugrunde gelegt, sondern die Anzahl der Bedarfsgemein-schaften. Da die Zahl der Bedarfsgemeinschaften auf-grund der Politik der großen Koalition rückläufig ist, dierealen Kosten aber weiter steigen, geht dies erneut zulas-ten der Kommunen.

Die Berechnungsformel ist ein Deal zwischen Bundund Ländern, der im Ergebnis eines Vermittlungsverfah-rens erzielt wurde. Man wollte auf diesem Weg künftigenAuseinandersetzungen aus dem Weg gehen. Die Kommu-nen waren daran nicht beteiligt.

Die neue Berechnungsformel ist 2008 erstmalig ange-wandt worden. Dabei ergab sich eine eklatante Differenzzwischen den realen Kosten für Unterkunft und Heizung,die um 8 Prozent gestiegen waren, und der als Maßstabfür die Anpassung herangezogenen Zahl der Bedarfsge-meinschaftszahlen, die um 4 Prozent gesunken war. Dasses hier eine Differenz gibt, hatte selbst die Bundesregie-rung im Rahmen der Debatte zum Bundeshaushalt 2008zugeben müssen.

Auf die Frage der Fraktion Die Linke, in welchem Ver-hältnis die Entwicklung der Zahl der Bedarfsgemein-schaften zu der Entwicklung der Gesamtkosten für KdUim SGB II steht, antwortete die Bundesregierung imHaushaltsausschuss:

Die Leistungen für Unterkunft sind von 12,1 Milliar-den Euro im Jahr 2005 auf 13,9 Milliarden Euro imJahr 2006 gestiegen. Im gleichen Zeitraum ist diedurchschnittliche Zahl der Bedarfsgemeinschaftenvon 3,7 Millionen Euro in 2005 auf 3,9 MillionenEuro in 2006 gestiegen. Die Zahlen machen deut-lich, dass sich die durchschnittlichen LfU pro Be-darfsgemeinschaft und die Zahl der Bedarfsgemein-schaften in den letzten Jahren unterschiedlichentwickelt haben.

Das führte allerdings nicht dazu, die Berechnungsfor-mel infrage zu stellen, da der Bund dann eine Erhöhungder Bundesbeteiligung hätte vornehmen müssen. Die Ab-senkung der Bundesbeteiligung führte im Jahr 2008 beiden Kommunen im Saldo zu einer Belastung der Kommu-nen von 1,15 Milliarden Euro.

In dem vorliegenden Gesetzesentwurf heißt es:

Für das Jahr 2009 werden Gesamtausgaben fürLeistungen für Unterkunft und Heizung von rd.

Zu Protokoll gegebene Reden

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20148 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

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Katrin Kunert

12,3 Mrd. Euro erwartet. Bei einer Bundesbeteili-gung in Höhe von 26,0 Prozent führt dies zu Ausga-ben des Bundes in Höhe von rd. 3,2 Mrd. Euro. Fürdas Jahr 2009 ist daher mit einer Entlastung fürden Bund in Höhe von rund 0,7 Mrd. Euro … zu re-chen …Die Kommunen tragen … einen Betrag in Höhe vonrd. 9,1 Mrd. Euro.

Was heißt das konkret für die Kommunen? WelcheMehrbelastungen kommen auf sie zu? Wir haben in denStädten und Landkreisen nachgefragt; hier nur einigeBeispiele. In folgenden Kommunen kommt es zu Mehrbe-lastungen: Erfurt: circa 2 Millionen Euro, Berlin: 45 Mil-lionen Euro, Landkreis Märkisch-Oderland: 1,5 Mil-lionen Euro, Landkreis Nordwestmecklenburg: 740 800Euro, Freiburg: 1,3 Millionen Euro, Würzburg: 570 000Euro, Landkreis Ostvorpommern: 1 Millionen Euro,Landkreis Ilm: 660 000 Euro, Landkreis Rügen :567 000Euro, Kassel: 1 689 216 Euro, Landkreis Offenbach:1,6 Millionen Euro, München: rund 6,7 Millionen Euro,Landkreis Oberhavel: rund 1,44 Millionen Euro, Wup-pertal: 3,2 Millionen Euro, Landkreis Stendal 1,08 Mil-lionen Euro, Oberhausen: rund 1,64 Millionen Euro,Landkreis Nordsachsen: rund 1,47 Millionen Euro, Dres-den rund 3,7 Millionen Euro.

Die erneute Absenkung der Bundesbeteiligung um3,2 Prozentpunkte entlastet den Bund um 700 MillionenEuro und belastet die Kommunen erneut – diesmal umcirca 400 Millionen Euro. Das führt insgesamt zu einerDauerbelastung der Kommunen von über 1,5 MilliardenEuro nur im Bereich der Kosten der Unterkunft, alsoLeistungen für Unterkunft und Heizung.

Im Zuge der Hartz-IV-Gesetzgebung hatte man denKommunen versprochen, sie um 2,5 Milliarden Euro zuentlasten. Tatsächlich hatten die Länder und Kommunen2006 eine detaillierte Berechnung vorgelegt, die hierfüreine Bundesbeteiligung im Jahr 2007 von über34 Prozent erfordert hätte.

Lassen Sie mich an dieser Stelle stellvertretend fürviele andere Städte und Landkreise den Oberbürgermeis-ter der Stadt Erlangen zitieren, der seine Empörung überdie erneute Absenkung des Bundesanteils zur Finanzie-rung der KdU wie folgt zum Ausdruck bringt:

Im Ergebnis ist festzustellen, dass– der große Gewinner der Gesetzesänderungen

der letzten Jahre im Sozialbereich die Ländersind,

– der Bund seine Haushaltsbelastung zur Finan-zierung der Unterkunftskosten bedürftiger Be-völkerungskreise in erheblichem Umfang senkenkonnte und

– die großen Verlierer die Kommunen sind, die fürdie Finanzierung der Unterkunftskosten bedürf-tiger Bevölkerungskreise Haushaltsmittel inganz erheblichem Umfang zur Verfügung stellenmüssen.

Offensichtlich ist die gesetzliche Verpflichtung desBundes aus § 46 Abs. 5 SGB II, wonach der Bundverpflichtet ist, eine finanzielle Entlastung der

Kommunalebene durch Inkrafttreten des SGB-II-Gesetzes um 2,5 Milliarden Euro sicherzustellen,von allen Verantwortlichen völlig aus dem Augeverloren worden. Diese bedenkliche, kommunalun-freundliche Entwicklung wird besonders dadurchdeutlich, dass neuerdings die Höhe der Bundesbe-teiligung an den KdU-Kosten des SGB II nichtmehr von der tatsächlichen KdU-Belastung derKommunen abhängig gemacht wird, sondern viel-mehr nur noch von der – davon völlig abweichen-den – Entwicklung der Anzahl der SGB II Bedarfs-gemeinschaften.

Sicher verfügen die Kommunen in den letzten beidenJahren insgesamt über höhere Gewerbesteuereinnahmen.Aber es sind nicht alle Kommunen, die davon profitieren.Auch hier wird die Schere zwischen Arm und Reich immergrößer. Die Kommunen haben ein strukturelles Defizit,das insbesondere infolge der Aufgabenübertragungdurch Bund und Länder ohne die dafür erforderlichen Fi-nanzen im sozialen Bereich entstanden ist. Es beträgtmehr als 10 Milliarden Euro. Sie schieben es seit fast zweiJahrzehnten vor sich her. Die Gesamtverschuldung derKommunen beträgt aktuell 110 Milliarden Euro, darunter30 Milliarden Euro Kassenkredite, die zur Finanzierungder laufenden Aufgaben benötigt werden.

Fazit: Es ist mehr als makaber, dass die Entscheidungzur weiteren Absenkung des Bundesanteils zur Finanzie-rung der Kosten der Unterkunft zum gleichen Zeitpunkterfolgte wie die Bewilligung von 480 Milliarden Euro fürdie Banken. Diese Entscheidung hätte ausgesetzt werdenmüssen.

Während man etliche „Schutzschirme“ aufspannt,lässt die Bundesregierung zum wiederholten Mal dieKommunen im Regen stehen. Der Bund hat in den letztenJahren die Kommunen finanziell immer mehr belastet.Deshalb muss endlich eine Gemeindefinanzreform auf dieTagesordnung.

Letztendlich zeigt dieser Vorgang auch, dass ein ver-bindliches, im Grundgesetz verankertes Mitwirkungs-recht der kommunalen Spitzenverbände im Gesetzge-bungsverfahren des Bundes längst überfällig ist.Österreich hat dieses Recht seinen kommunalen Spitzen-verbänden vor mehr als 15 Jahren in der Verfassung zu-gestanden. Seitdem gibt es eine andere politische Kulturdes Austragens von Interessenkonflikten. Die österreichi-sche Bundesregierung würde es niemals wagen, Gesetze,die die Belange ihrer Kommunen berühren, ohne frühzei-tige Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände undKommunen zu verabschieden.

Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Scheinbar ist die mit dem vorliegenden Gesetzentwurf

eingeleitete Kürzung des Bundesanteils an den Kostender Unterkunft nach dem SGB II von ursprünglich29,1 Prozent in 2005 auf 26 Prozent in 2009 nur nocheine Formalie. Auch die Bundesländer erheben in ihremBundesratsbeschluss vom 7. November 2008 keine Ein-wände, ist doch die Festlegung des Bundesanteils einelogische Konsequenz des im Vermittlungsausschuss nochvor der Sommerpause getroffenen Formelkompromisses,

Zu Protokoll gegebene Reden

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20149

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Markus Kurth

wonach der Bund sich künftig an den Kosten der Grund-sicherung im Alter und bei Erwerbsminderung mit einergestaffelten Quote beteiligt, die von 13 Prozent im Jahr2009 auf einen Anteil von 16 Prozent im Jahr 2012 steigt.Im Gegenzug wurde die umstrittene und von den kommu-nalen Spitzenverbänden bis heute kritisierte Anpassungs-formel für die Ermittlung des Bundesanteils an denKosten der Unterkunft für SGB-II-Beziehende festge-schrieben. Bedingt durch den konjunkturellen Auf-schwung ist die jahresdurchschnittliche Zahl der Be-darfsgemeinschaften gesunken. Entsprechend sinkt derBundesanteil an den Kosten der Unterkunft. Auf den ers-ten Blick scheint also alles in bester Ordnung zu sein.

Jedoch nur auf den ersten Blick: Die mit dem genann-ten Formelkompromiss festgeschriebene Anpassungsfor-mel für den Bundesanteil an den Kosten der Unterkunftbenachteiligt strukturell die Kommunen. Dies wirkt sichwiederum zulasten der Menschen aus, die am Ende diesesVerteilungsprozesses stehen, die Langzeitarbeitslosen;denn faktisch sind die tatsächlichen Kosten für Unter-kunft und Heizung je Bedarfsgemeinschaft nicht gesun-ken, sondern deutlich gestiegen. Trotz rückläufiger Ent-wicklung der Zahl der Hilfeempfänger blieben daher dieAusgaben der Kommunen für Unterkunft und Heizung mit13,65 Milliarden Euro in 2007 unverändert hoch. In die-sem Jahr drohen den Kommunen nach meinen Schätzun-gen allein wegen der Heizkosten, die im Vergleich zumVorjahr um fast 60 Prozent gestiegen sind, Mehrausga-ben von 1 Milliarde Euro. In der Folge ist zu erwarten,dass in 2008 trotz der weiter rückläufigen Entwicklungder Bedarfsgemeinschaften die Gesamtausgaben derKommunen für Unterkunft und Heizung nicht sinken.Diese Kostensteigerung wird in der Anpassungsformel,die sich ausschließlich an der Zahl der Bedarfsgemein-schaften, nicht jedoch an den tatsächlichen Kosten derUnterkunft orientiert, nicht abgebildet.

Ebenfalls unberücksichtigt bleibt die beängstigendeZunahme des Niedriglohnsektors auf mehr als 20 Pro-zent. Dies schlägt sich in der Zahl der Aufstocker nieder,das heißt der Personen, die ergänzend zum Erwerbsein-kommen Arbeitslosengeld II beziehen. Auch die Zahl derAufstocker ist trotz des konjunkturellen Aufschwungesseit 2006 kontinuierlich gestiegen. Diese Bedarfsgemein-schaften beziehen oftmals ausschließlich Kosten der Un-terkunft, da das Einkommen zunächst auf die vom Bundfinanzierte Regelleistung angerechnet wird. Die Unfähig-keit der Bundesregierung, Niedriglöhne durch dieflächendeckende Einführung von Mindestlöhnen zubekämpfen, trifft nicht nur die betroffenen Arbeiterneh-merinnen und Arbeitnehmer, sondern auch die Kommu-nen, die diese Fehlentwicklung finanziell primär abfe-dern.

Die strukturelle Veränderung des Arbeitsmarktes trifftdie Kommunen doppelt hart; denn der Anstieg des Nied-riglohnsektors trägt auch in besonderem Maße zur Ent-wicklung von Altersarmut bei. So wird die Untätigkeit derBundesregierung im Kampf gegen Armut trotz Arbeit mit-tel- bis langfristig zu einer drastischen Zunahme derEmpfänger von Grundsicherung im Alter führen. Deroben genannte Formelkompromiss, der eine Bundes-beteiligung an den Kosten für die Grundsicherung im Al-

ter vorsieht, wird als Kompensationsleistung an die Kom-munen nicht lange Bestand haben; denn schon in denvergangenen Jahren stiegen die Ausgaben für die Grund-sicherung im Alter kontinuierlich, zuletzt im Jahr 2007um 7,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. In wenigen Jah-ren wird sich herausstellen, dass die kompensatorischeingeführte Bundesbeteiligung an diesen Kosten von derEntwicklung der Altersarmut überflügelt wird.

Ein Blick in die Zukunft lässt ebenfalls nichts Gutes er-warten. Angesichts des bevorstehenden konjunkturellenAbschwunges geht das Institut für Arbeitsmarkt- und Be-rufsforschung der Bundesagentur für Arbeit in seiner zu-letzt veröffentlichten Prognose vom 24. Oktober 2008 voneiner Zunahme der Arbeitslosigkeit in 2009 aus, die vor-wiegend aufseiten der Langzeitarbeitslosen, also im Ar-beitslosengeld II zu verbuchen sein wird.

So werden wir im nächsten Jahr mit deutlich steigen-den Kosten der Unterkunft bei einem gleichzeitig sinken-den Bundesanteil konfrontiert sein. Es braucht nicht vielFantasie, um sich auszumalen, auf wessen Schultern die-ser Verteilungskampf letztlich ausgetragen wird: Auf denSchultern der Arbeitslosengeld-II-Beziehenden. Diesewerden von den Job Centern verstärkt unter Druck ge-setzt werden, sich eine kostengünstigere Wohnung zu su-chen. Schon jetzt versuchen einige Kommunen mit recht-lich fragwürdigen Tricks die Heizkosten zu deckeln. StattLangzeitarbeitlose in Arbeit zu vermitteln, werden sie,etwa durch Zahlung von begrenzten Pauschalbeträgen, inUnsicherheit bezüglich ihrer Wohnsituation gehalten.Dies ist kein Beitrag zur Förderung der Integration vonLangzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt. Der Impuls fürdiese Fehlsteuerung geht auf das Konto der Bundesregie-rung.

Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär beim Bundes-minister für Arbeit und Soziales:

Mit dem heute eingebrachten Gesetzentwurf ist vorge-sehen, die Bundesbeteiligung an den Leistungen derKommunen für Unterkunft und Heizung anzupassen.Diese Anpassung steht am Ende einer mehrjährigen,nicht immer einfachen und von allen Beteiligten mit gro-ßem Engagement geführten Diskussion.

Kurz zum Hintergrund: Bundestag und Bundesrat ha-ben sich im Vermittlungsausschuss 2004 grundsätzlichüber die Verteilung der finanziellen Belastungen aus derZusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfeverständigt. Danach werden die Kommunen im Zuge derUmsetzung des Vierten Gesetzes für Moderne Dienstleis-tungen am Arbeitsmarkt um insgesamt 2,5 MilliardenEuro entlastet – unter anderem, um Spielraum für denAusbau von Kinderbetreuungsmaßnahmen zu schaffen.In § 46 Abs. 5 SGB II wurde dies gesetzlich verankert. Umdiese Entlastung zu erreichen, soll sich der Bund entspre-chend der Vereinbarung aus dem Vermittlungsausschuss2004 an den Leistungen für Unterkunft und Heizung vonSGB-II-Beziehern beteiligen. So weit die ursprünglicheVereinbarung.

In den ersten beiden Jahren wurde diese Bundesbetei-ligung anhand einer in 2004 vereinbarten, sehr aufwen-digen Berechnung durchgeführt. Dabei mussten wir unter

Zu Protokoll gegebene Reden

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20150 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

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Parl. Staatssekretär Klaus Brandner

anderem auf eine fiktive Fortschreibung der Entlastungder Kommunen zurückgreifen. Diese Methode war natur-gemäß streitanfällig und hat zu vielen Auseinanderset-zungen zwischen Bund und Ländern geführt. Ende 2006haben sich Bund und Länder daher nach schwierigenVerhandlungsrunden darauf verständigt, die Berechnungder erforderlichen Höhe der Bundesbeteiligung auf eineandere Basis zu stellen.

Anstelle der bis dahin gesetzlich verankerten Berech-nung zur Be- und Entlastung der Gesamtheit der Kommu-nen trat auf Vorschlag der Länder ein neuer Mechanis-mus, der Streit vermeiden soll und dies augenscheinlichnun auch tut. Wir haben vereinbart, dass die weitere An-passung der Bundesbeteiligung von der Entwicklung derZahl der Bedarfsgemeinschaften im SGB II abhängensollte – ausgehend von der Situation in 2006. Auf dieseWeise war keine fiktive Berechnung der Entlastungen derKommunen mehr notwendig.

Schon die Höhe der Bundesbeteiligung für das Jahr2008 wurde anhand dieser damals noch neuen Formelberechnet und gesetzlich festgelegt. Das geschieht nunauch für das Jahr 2009. Die gesetzlich verankerte Anpas-sungsformel gibt uns dabei genau vor, wie wir zu rechnenhaben. Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf wird damit le-diglich die gemeinsam vereinbarte Regelung umgesetzt.

Die Berechnungen haben einen durchschnittlichenRückgang der Zahl der Bedarfsgemeinschaften in Höhevon 4,6 Prozent und damit eine erforderliche Senkung derBundesbeteiligung in Höhe von 3,2 Prozentpunkten erge-ben. Dementsprechend muss – das ist der Auftrag des Ge-setzes – die Bundesbeteiligung für Rheinland-Pfalz aufeine Höhe von 35,4 Prozent, jene für Baden-Württembergauf eine Höhe von 29,4 Prozent und jene für die anderen14 Länder auf eine Höhe von 25,4 Prozent festgelegt wer-den. Dies entspricht einer bundesdurchschnittlichen Bun-desbeteiligung in Höhe von 26 Prozent.

Die neue Anpassungsformel hat sich bewährt. Ichdenke, ich spreche hier für den Bund und die Länder. ImSommer dieses Jahres haben sich Bund und Länder des-halb im Vermittlungsausschuss darauf verständigt, dieseAnpassungsformel über das ursprünglich vereinbarteJahr 2010 hinaus unbefristet anzuwenden.

Das ist eine gute Entscheidung für alle Beteiligten,weil sie langfristig für Transparenz und Planungssicher-heit sorgt. Deshalb freue ich mich auch, dass der Bundes-rat keine Einwendungen gegen das vorliegende Gesetzerhoben hat.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-

wurfs auf Drucksache 16/10811 an die in der Tagesord-nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt esdazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 43 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-

rung des Zugewinnausgleichs- und Vormund-schaftsrechts

– Drucksache 16/10798 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss (f)Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die-sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. – Ichsehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich umdie Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: UteGranold, CDU/CSU, Christine Lambrecht, SPD, SabineLeutheusser-Schnarrenberger, FDP, Jörn Wunderlich,Die Linke, Irmingard Schewe-Gerigk, Bündnis 90/DieGrünen, und des Parlamentarischen StaatssekretärsAlfred Hartenbach.1)

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-wurfs auf Drucksache 16/10798 an die in der Tagesord-nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt esdazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 44 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Neufassung des Raumordnungsgesetzesund zur Änderung anderer Vorschriften(GeROG)

– Drucksachen 16/10292, 16/10332 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung(15. Ausschuss)

– Drucksache 16/10900 –

Berichterstattung:Abgeordneter Patrick Döring

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die-sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. – Ichsehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich umdie Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: EnakFerlemann, CDU/CSU, Petra Weiß, SPD, PatrickDöring, FDP, Heidrun Bluhm, Die Linke, Peter Hettlich,Bündnis 90/Die Grünen, und des ParlamentarischenStaatssekretärs Ulrich Kasparick.2)

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss fürVerkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seinerBeschlussempfehlung auf Drucksache 16/10900, den Ge-setzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/10292und 16/10332 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ichbitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-schussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-chen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-entwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmenvon SPD, CDU/CSU, FDP bei Enthaltung von Bünd-nis 90/Die Grünen und Gegenstimmen der Fraktion DieLinke angenommen.

1) Anlage 202) Anlage 21

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20151

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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf istdamit in dritter Beratung mit demselben Stimmenergeb-nis wie in zweiter Beratung angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 45 a und 45 b auf.

a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Änderung des Staatsangehörigkeitsgeset-zes

– Drucksachen 16/10528, 16/10695 –

– Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrateingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zurÄnderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes(StAG)

– Drucksache 16/5107 –

– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-neten Josef Philip Winkler, Hans-ChristianStröbele, Monika Lazar, weiteren Abgeordnetenund der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än-derung des Staatsangehörigkeitsrechtes

– Drucksache 16/2650 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-schusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 16/10913 –

Berichterstattung:Abgeordnete Reinhard Grindel Dr. Michael Bürsch Rüdiger Veit Hartfrid Wolff (Rems-Murr)Sevim DağdelenJosef Philip Winkler

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Innenausschusses (4. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen,Ulla Jelpke, Petra Pau, weiterer Abgeordneterund der Fraktion DIE LINKE

Einbürgerungen erleichtern – Ausgrenzungenausschließen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen,Wolfgang Nešković, Ulla Jelpke, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion DIE LINKE

Für die Abschaffung der Optionspflicht imStaatsangehörigkeitsgesetz

– zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen,Ulla Jelpke, Dr. Hakki Keskin, Petra Pau und derFraktion DIE LINKE

Klare Grenzen für die Rücknahme und denVerlust der deutschen Staatsangehörigkeit zie-hen

– Drucksachen 16/1770, 16/9165, 16/9654, 16/10913 –

Berichterstattung:Abgeordnete Reinhard Grindel Dr. Michael Bürsch Rüdiger Veit Hartfrid Wolff (Rems-Murr)Sevim Dağdelen Josef Philip Winkler

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die-sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. – Ichsehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich umdie Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: GünterBaumann, CDU/CSU, Rüdiger Veit, SPD, HartfridWolff, FDP, Sevim Da_delen, Die Linke, Josef PhilipWinkler, Bündnis 90/Die Grünen.1)

Wir kommen zur Abstimmung über den von derBundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zurÄnderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes. Der Innen-ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 16/10913, den Gesetzentwurf derBundesregierung auf Drucksachen 16/10528 und 16/10695in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni-gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu-stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt da-gegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damitin zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition beiGegenstimmen der Opposition angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-wurf ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen derKoalition bei Gegenstimmen der Opposition angenom-men.

Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesra-tes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes. DerInnenausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 16/10913, den Gesetzent-wurf des Bundesrates auf Drucksache 16/5107 abzuleh-nen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurfzustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmtdagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damitin zweiter Beratung bei Enthaltung der Fraktion der FDPmit den restlichen Stimmen des Hauses abgelehnt. Da-mit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitereBeratung.

Abstimmung über den Gesetzentwurf der FraktionBündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Staatsangehö-rigkeitsrechtes. Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 3seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10913,den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünenauf Drucksache 16/2650 abzulehnen. Ich bitte diejeni-gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um dasHandzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den

1) Anlage 22

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20152 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner

Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstim-men der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Frak-tion Die Linke abgelehnt. Damit entfällt nach unsererGeschäftsordnung die weitere Beratung.

Wir setzen die Abstimmung zu den Beschlussempfeh-lungen des Innenausschusses auf Drucksache 16/10913zu den Anträgen der Fraktion Die Linke fort.

Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 4 seiner Be-schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags aufDrucksache 16/1770 mit dem Titel „Einbürgerungen er-leichtern – Ausgrenzungen ausschließen“. Wer stimmtfür diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit denStimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Enthaltungvon Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstimmen derFraktion Die Linke angenommen.

Unter Nr. 5 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnungdes Antrags auf Drucksache 16/9165 mit dem Titel „Fürdie Abschaffung der Optionspflicht im Staatsangehörig-keitsgesetz“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Be-schlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen von Bündnis 90/DieGrünen und Die Linke angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 6 sei-ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antragsauf Drucksache 16/9654 mit dem Titel „Klare Grenzenfür die Rücknahme und den Verlust der deutschenStaatsangehörigkeit ziehen“. Wer stimmt für diese Be-schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-men von SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmenvon Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linkeangenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 46 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Düngege-setzes

– Drucksache 16/10032 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-cherschutz (10. Ausschuss)

– Drucksache 16/10874 –

Berichterstattung:Abgeordnete Johannes Röring Gustav Herzog Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Kirsten Tackmann Cornelia Behm

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der FraktionBündnis 90/Die Grünen vor.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die-sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. – Ichsehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich umdie Reden folgender Kolleginnen und Kollegen:Johannes Röring, CDU/CSU, Gustav Herzog, SPD,Dr. Edmund Peter Geisen, FDP, Dr. Kirsten Tackmann,Die Linke, Cornelia Behm, Bündnis 90/Die Grünen.1)

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss fürErnährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutzempfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-che 16/10874, den Gesetzentwurf der Bundesregierungauf Drucksache 16/10032 in der Ausschussfassung anzu-nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf inder Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – DerGesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit denStimmen der Fraktionen Die Linke, SPD und CDU/CSUbei Gegenstimmen der FDP und Enthaltung von Bünd-nis 90/Die Grünen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-wurf ist damit in dritter Beratung mit demselben Stim-menergebnis wie in zweiter Beratung angenommen.

Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/10888.Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Werstimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungs-antrag ist bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den restlichen Stimmen des Hauses ab-gelehnt.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-ordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-destages auf Dienstag, den 25. November 2008, 10 Uhr,ein.

Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, allenMitarbeiterinnen und Mitarbeitern noch einen schönenAbend.

Die Sitzung ist geschlossen.

(Schluss: 22.19 Uhr)

1) Anlage 22

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20153

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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner

Berichtigung

186. Sitzung, Seite 19897 (A), erster Absatz: Derletzte Satz ist wie folgt zu lesen: „Auch die Themen ge-meinsame Bilanzierungsrichtlinien und IFRS, die in derZwischenzeit von den USA und in Europa anerkannt wer-den, werden dazu führen, dass wir uns gegenseitig besserverstehen und dass zukünftig in den Märkten mehr Ver-trauen vorhanden sein wird.“

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20155

(A) (C)

(B)

Anlagen zum Stenografischen Bericht

(D)

Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten

Anlage 2

Erklärung nach § 31 GO

der Abgeordneten Renate Blank (CDU/CSU)zur namentlichen Abstimmung über die An-träge: Missbilligung der Amtsführung und Ent-lassung von Bundesminister Wolfgang Tiefensee(Tagesordnungspunkt 17 und Zusatztagesord-nungspunkt 7)

Ich stimme dem Antrag der FDP und dem Antrag vonBündnis 90/Die Grünen nicht zu, denn laut Koalitions-vereinbarung der Großen Koalition vom 18. November

Abgeordnete(r)entschuldigt biseinschließlich

Dreibus, Werner DIE LINKE 13.11.2008

Faße, Annette SPD 13.11.2008

Gerster, Martin SPD 13.11.2008

Göppel, Josef CDU/CSU 13.11.2008

Gröhe, Hermann CDU/CSU 13.11.2008

Hänsel, Heike DIE LINKE 13.11.2008

Hintze, Peter CDU/CSU 13.11.2008

Kucharczyk, Jürgen SPD 13.11.2008

Dr. Lauterbach, Karl SPD 13.11.2008

Leutert, Michael DIE LINKE 13.11.2008

Mücke, Jan FDP 13.11.2008

Raidel, Hans CDU/CSU 13.11.2008

Dr. Scheer, Hermann SPD 13.11.2008

Schily, Otto SPD 13.11.2008

Schmidt (Nürnberg), Renate

SPD 13.11.2008

Staffelt, Grietje BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

13.11.2008

Dr. Wodarg, Wolfgang SPD 13.11.2008

Zimmermann, Sabine DIE LINKE 13.11.2008

2005 stellt die SPD die Leitung des Bundesministeriumsfür Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und hat das Vor-schlagsrecht. Deshalb muss unser Koalitionspartner eineAblösung in eigener Hoheit beschließen bzw. muss derMinister von sich aus zurücktreten.

Der Deutsche Bundestag ist hier aus meiner Sichtnicht gefragt.

Anlage 3

Erklärung nach § 31 GO

der Abgeordneten Renate Gradistanac (SPD)zur namentlichen Abstimmung über die An-träge: Missbilligung der Amtsführung und Ent-lassung von Bundesminister Wolfgang Tiefensee(Tagesordnungspunkt 17 und Zusatztagesord-nungspunkt 7)

In der Ergebnisliste erscheint mein Name unter „Ja“.Mein Votum lautet „Nein“.

Anlage 4

Erklärung nach § 31 GO

des Abgeordneten Georg Brunnhuber (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über dieAnträge: Missbilligung der Amtsführung undEntlassung von Bundesminister WolfgangTiefensee (Tagesordnungspunkt 17 und Zusatz-tagesordnungspunkt 7)

In der Ergebnisliste ist mein Name nicht aufgeführt.Mein Votum lautet „Nein“.

Anlage 5

Erklärungen nach § 31 GO

zur namentlichen Abstimmung über die Be-schlussempfehlung zu dem Antrag der Bundes-regierung: Fortsetzung des Einsatzes bewaffne-ter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützungder gemeinsamen Reaktion auf terroristischeAngriffe gegen die USA auf Grundlage des Arti-kels 51 der Satzung der Vereinten Nationen unddes Artikels 5 des Nordatlantikvertrags sowieder Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001)des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen (Ta-gesordnungspunkt 18 a)

Angelika Graf (Rosenheim) (SPD): In den letztenJahren habe ich dem oben genannten Mandat zu OEF,Operation Enduring Freedom, nicht zugestimmt. Ichhabe – wie viele nationale und internationale Menschen-rechtsorganisationen – stets kritisiert, dass die internatio-nale OEF-Operation in Afghanistan massiv zivile Opfergefordert hat. Dazu kommt, dass die am deutschen Kon-

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20156 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

(A) (C)

(B) (D)

tingent beteiligten KSK-Kräfte seit mehreren Jahrennicht eingesetzt wurden, wobei die Transparenz über ih-ren Einsatz auch nicht zufriedenstellend gewährleistetwar. Deshalb begrüße ich die im veränderten Mandatneu zu erkennende Haltung der Bundesregierung, diediese Punkte im Wesentlichen aufnimmt.

Erstens hat die Bundesregierung die Kritik an derMandatsumsetzung im Hinblick auf die vielen zivilenOpfer, die der Kampf für die „Operation dauerhafte Frei-heit“ kostet, ernst genommen und dies in ihre Ein-satzauflagen einbezogen. Dies muss weiterhin und ver-stärkt geschehen. Die Bundesregierung muss zudemweiter auf die USA einwirken, dass diese die Vermei-dung von zivilen Opfern zur obersten Priorität in ihrenEinsätzen machen.

Zweitens hat die Bundesregierung die langjährigeKritik bezüglich der 100 in Afghanistan stationiertenKSK-Soldaten anerkannt und zieht diese zugunsten ei-nes verstärkten ISAF-Engagements – das einer starkenparlamentarischen und damit öffentlichen Kontrolle un-terliegt – zurück. Dies unterstütze ich ausdrücklich. Diemilitärische Option der Bekämpfung von Terroristenkann nur eine von vielen sein. Im Sinne der Nachhaltig-keit sind die Bekämpfung der existenziellen Not und derDefizite in der Sicherheit im täglichen Leben und dermenschenrechtlichen Situation in Afghanistan mindes-tens genauso wichtig. Deshalb freue ich mich über denAbzug der KSK-Soldaten aus Afghanistan und begrüßeausdrücklich den Richtungswechsel zu einer Verstär-kung des ISAF-Engagements und die Aufstockung desEntwicklungs- und Nothilfebudgets.

Die Bundesregierung, die deutschen Hilfsorganisatio-nen und viele internationale Organisationen leisten inAfghanistan gute Arbeit. Mit unserem Engagement inAfghanistan haben wir uns selbst in die Verantwortunggenommen, in Afghanistan gemeinsam mit den Afgha-ninnen und Afghanen und der internationalen Gemein-schaft ein funktionierendes demokratisches Staatswesenzu etablieren und daran zu arbeiten, dass Afghanistan inder Zukunft in der Lage ist, die Bedürfnisse der afghani-schen Bevölkerung selbst zu sichern. Dies ist ein lang-wieriger Prozess, und trotz einiger Erfolge ist dieser bis-her nicht frei von Enttäuschungen und Rückschlägen. Invielen Regionen leben die Menschen weiterhin in abso-luter Armut, die Sicherheitssituation verschlechtert sichseit vielen Jahren, und die in der Verfassung erklärtenMenschenrechte sind in den größten Teilen des Landesnoch nicht zur Geltung gebracht worden.

Ich bin der Überzeugung, dass Deutschland genau indiesem Bereich noch mehr tun muss. Frieden und Si-cherheit müssen entwickelt werden, denn sonst lassensich Hunger und Armut nicht nachhaltig bekämpfen.Wie kann es sein, dass nach sieben Jahren des internatio-nalen Engagements Afghanistan immer noch zu denärmsten Ländern der Welt gehört und jeden Winter Hun-gerkatastrophen drohen? Wir müssen die neuen politi-schen Institutionen unterstützen und helfen, ihrem de-mokratischen und menschenrechtspolitischen Gehalt zurRealität zu verhelfen. Denn wie kann es sein, dass sichin den neuen politischen Institutionen neben einigen De-

mokraten auch Protagonisten aus der Bürgerkriegszeitund Drogenbarone tummeln?

Auf diese Fragen gibt es keine einfachen Antworten.Doch ich finde, über eines sollten wir uns stärker be-wusst werden: Die Entwicklung von Frieden, Armutsbe-kämpfung und der Aufbau von Rechtstaatlichkeit undDemokratie können nur unzureichend von oben nach un-ten aufgebaut werden. Deshalb plädiere ich dafür, dasswir in unsere Bemühungen die afghanische Bevölkerungstärker einbeziehen. Wir müssen sie zu aktiven Partnernund Mitentscheidern beim Wiederaufbau ihres Landesmachen. Ich hoffe, die Bundesregierung wird diese Ein-sicht in ihrem zukünftigen Engagement noch stärker be-rücksichtigen. Dafür werde ich mich weiterhin einset-zen.

Ich stimme aus den oben angeführten Gründen derFortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streit-kräfte zu. An meinen generellen Bedenken bezüglich derVerfassungs- und Völkerrechtsmäßigkeit des OEF-Man-dates halte ich allerdings fest.

Lothar Mark (SPD): Nachdem das Bundeskabinettauf Vorschlag des Außenministers die Beteiligung derbisherigen 100 Spezialkräfte (KSK-Truppen) in Afgha-nistan zurückgezogen hat, stimme ich, wenn auchschweren Herzens, der Verlängerung des Mandats fürdie deutsche Beteiligung am OEF-Mandat zu. Damit be-schränkt sich die deutsche Beteiligung an der internatio-nalen Terrorbekämpfung gegenwärtig auf eine Beteili-gung an der maritimen Komponente am Horn vonAfrika. Im Rahmen des ISAF-Mandats wurden dagegenzusätzliche militärische Aufgaben übernommen, wes-halb ich diesem nicht zustimmen konnte. Beide Mandatelassen sich nach wie vor schwer voneinander trennen,auch wenn sich die Operationen nach Inhalt und Auftragdes Mandats unterscheiden.

Trotz unseres Rückzugs der KSK-Truppen appelliereich an die Bundesregierung, die am OEF-Einsatz betei-ligten europäischen Partner dazu aufzufordern, sich ver-stärkt an der Aufbauarbeit in Afghanistan zu beteiligen,und auch die Vereinigten Staaten unter der neuen Regie-rung Obama dazu zu bringen, künftig hier den Schwer-punkt zu setzen.

Nach wie vor bin ich der Meinung, dass kein glaub-würdiges und schlüssiges Gesamtkonzept für den Einsatzin Afghanistan mit Chancen auf einen stufenweisen Aus-stieg und einen sich selbst tragenden Friedensprozess er-kennbar ist. Erst kürzlich hat der frühere AußenministerJoschka Fischer eine „klare Strategie“ der VereinigtenStaaten und der NATO angemahnt. Auch AltkanzlerGerhard Schröder hat sich für die Festlegung eines Zeit-punkts zum Rückzug der ausländischen Truppen aus Af-ghanistan ausgesprochen. Er dürfe nicht in 20 bis 30 Jah-ren liegen, sondern müsse in der kommenden Dekadeumgesetzt werden, so Schröder bei einem Podiumsge-spräch mit dem ehemaligen österreichischen Bundes-kanzler Franz Vranitzky. Schröder geht davon aus, dassman mit dem künftigen US-Präsidenten Barack Obama

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besser über dieses Thema sprechen könne als mitGeorge W. Bush.

Das OEF-Mandat des Bundestages umfasst auch diedeutsche Beteiligung an dem bündnisgemeinsamen Bei-trag zur Unterstützung der USA im Rahmen des Art. 5NATO-Vertrag, der Operation Active Endeavour (OAE).OAE besteht aus Überwachungs- und Präsenzoperatio-nen im gesamten Mittelmeer. Die deutsche Beteiligungan OAE wurde erstmals im Jahr 2003 durch den Bundes-tag mandatiert. Hintergrund hierfür waren Entscheidun-gen des NATO-Rats, die den Einsatz fortentwickeltenund mit einem „robusteren“ Charakter versahen, wo-durch die Schwelle zu einer Einbeziehung in eine be-waffnete Unternehmung überschritten wurde. Gegen-wärtig ist Deutschland an dem Einsatz mit einem U-Bootbeteiligt.

Die Operation Enduring Freedom wurde im An-schluss an die Terrorangriffe des 11. September 2001 be-gonnen, nachdem der VN-Sicherheitsrat in seiner Reso-lution 1368 (2001) vom 12. September 2001 dasVorliegen einer Selbstverteidigungssituation bestätigtund die NATO den Bündnisfall gemäß Art. 5 des NATO-Vertrages festgestellt hatte. Nach mehr als sieben Jahrenfrage nicht nur ich, sondern fragen auch Rechtsexperten,ob die UN den Selbstverteidigungsfall der USA weiter-hin feststellen darf und der Bündnisfall nach wie vor ge-geben ist.

Wolfgang Spanier (SPD): Ich begrüße ausdrück-lich, dass sich Deutschland zukünftig nicht mehr an derOEF-Mission auf afghanischem Boden beteiligt. Auf dieBereitstellung von 100 KSK-Spezialkräften wird ver-zichtet.

Ich begrüße auch, dass die Obergrenze der einzuset-zenden Soldatinnen und Soldaten von 1 400 auf 800 be-grenzt wird.

Nachdrücklich unterstütze ich die grundsätzliche Ein-stellung der Bundesregierung zur Bekämpfung des inter-nationalen Terrorismus: „Die Bekämpfung des inter-nationalen Terrorismus ist nicht primär eine militärischeAufgabe. Die internationale Gemeinschaft darf in ihrenumfassenden Anstrengungen zur wirksamen Beseitigungder gesellschaftlichen, sozialen und ökonomischen Um-stände, die das Entstehen von Terrorismus begünstigen,nicht nachlassen.“

Nach wie vor bleibt aber ein wesentlicher Kritikpunktbestehen. Ich zweifle daran, dass der NATO-Bündnisfall,auf dem der Einsatz beruht, noch gegeben ist. Ich binüberzeugt, dass nach sieben Jahren eine Prüfung der völ-kerrechtlichen Einsatzgrundlagen notwendig ist. In die-ser entscheidenden Frage gibt es leider keinen Fort-schritt.

Aus diesem Grund lehne ich nach wie vor die Fortset-zung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte imRahmen von OEF ab.

Dr. Rainer Stinner (FDP): Ich stimme dem Antragder Bundesregierung zur Fortsetzung des Einsatzes zu.

Ich verbinde mit dieser Zustimmung die feste Erwar-tung, dass die Bundesregierung bei der Ausführung desMandates nicht gegen das Völkerrecht verstößt, indemsie die Verpflichtung zur Nothilfe unangemessen undsachfremd einengt.

Dies ist in der Vergangenheit dadurch geschehen, dassVertreter der Bundesregierung die Ansicht geäußert ha-ben, die deutsche Marine dürfe dann nicht mehr eingrei-fen, wenn Piraten nach einem erfolgten Überfall mit demgekaperten Schiff und auf dem Schiff festgehaltenenGeiseln davonführen, da die Bedingung der Nothilfedann nicht mehr gegeben seien. So ist auch die Befehls-lage der deutschen Marine. Diese Einschränkung ist fürmich sachlich unzumutbar und rechtlich falsch. Die Ver-pflichtung zur Nothilfe besteht selbstverständlich solange, wie Personen in Not sind.

Ich werde bei der Umsetzung des Mandates sehr ge-nau beobachten, ob die Einsatzregeln sicherstellen, dassBundeswehrsoldaten nicht durch sachfremde Befehledes Bundesministeriums der Verteidigung gezwungenwerden, in Extremfällen gegen das Völkerrecht zu ver-stoßen.

Lydia Westrich (SPD): Ich stimme – wie bereits imvergangenen Jahr – gegen die weitere Verlängerung desMandates der Operation Enduring Freedom (OEF). AlsAntwort auf die schrecklichen Ereignisse des 11. Sep-tember 2001 war der OEF-Einsatz von großer Bedeu-tung. Seiner Zielsetzung, „Führungs- und Ausbildungs-einrichtungen von Terroristen auszuschalten, Terroristenzu bekämpfen, gefangen zu nehmen und vor Gericht zustellen sowie Dritte dauerhaft von der Unterstützung ter-roristischer Aktivitäten abzuhalten“ (Bundestagsdruck-sache 14/7296, 7. November 2001), ist er bis 2006 auchzu einem guten Teil gerecht geworden. So wurden dieRückzugsgebiete der Taliban- und al-Qaida-Kämpfererfolgreich eingeschränkt, ihre Ausbildungslager ausge-hoben und damit Afghanistan wesentlich sicherer ge-macht.

Völkerrechtliche Grundlage für diesen Einsatz wardas Recht zur individuellen und kollektiven Selbstvertei-digung nach Art. 51 der UN-Charta. Nach Art. 51 derUN-Charta darf dieses Selbstverteidigungsrecht aber nurso lange dauern, „bis der Sicherheitsrat die zur Wahrungdes Weitfriedens und der internationalen Sicherheit er-forderlichen Maßnahmen getroffen hat.“ Ob das Selbst-verteidigungsrecht, welches ohne UN-Mandat angewen-det werden kann, auch nach nunmehr sieben Jahrentaugliche Grundlage für den OEF-Einsatz sein kann, istmehr denn je fragwürdig. Ein dauerndes Berufen auf dasSelbstverteidigungsrecht würde bedeuten, das zentraleGewaltverbot der Charta der Vereinten Nationen zu ent-werten – ein Vorgang, der von anderen Staaten dann zu-künftig als Präzedenzfall genutzt werden könnte. Diesdarf uns nicht Recht sein!

Erschwerend kommt hinzu, auch hieran hat sich imvergangenen Jahr nichts geändert, dass mit der Interna-tionalen Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF) seit2001 eine von den Vereinten Nationen mandatierte Ope-

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ration besteht, deren Einsatzgebiet im Laufe der Jahreimmer weiter ausgeweitet wurde. Mittlerweile umfasstdas Einsatzgebiet von ISAF ganz Afghanistan, sodasssich die Operationsgebiete von ISAF und OEF über-schneiden. Dies wiederum führt dazu, dass militärischeHandlungen der OEF innerhalb der afghanischen Bevöl-kerung vermehrt der ISAF zugeschrieben werden. Dadas Auftreten und die Operationsweisen der OEF oft-mals – gelinde gesagt – wenig gedeihlich sind, um fürVertrauen in der afghanischen Bevölkerung zu werben,werden deshalb auch immer häufiger beide Operationenals Besatzungstruppen wahrgenommen. Die unbestreit-baren Erfolge von ISAF werden damit zunichte gemachtund die deutschen Truppenkontingente innerhalb desISAF unnötig in Gefahr gebracht. Dies zeigen nicht zu-letzt die zahlreichen Anschläge auch gegen deutscheISAF-Truppen im vergangenen Jahr.

All diese Gründe führen mich zu der Erkenntnis, dasswir uns auf unser ISAF-Engagement konzentrieren soll-ten und uns dafür stark machen müssen, dass OEF ent-weder beendet oder zumindest in die ISAF eingegliedertwird. Damit wäre letztlich auch die Gefahr der miss-bräuchlichen Verwendung der Erkenntnisse aus Tor-nado-Aufklärungsflügen gebannt. Denn derzeit ist esnicht auszuschließen, dass die Daten mandatswidrigauch für OEF-Einsätze genutzt werden.

Anlage 6

Erklärungen nach § 31 GO

zur Abstimmung über den Entwurf eines Geset-zes zur Änderung des Gesetzes über die Über-führung der Anteilsrechte an der Volkswagen-werk Gesellschaft mit beschränkter Haftung inprivate Hand (Tagesordnungspunkt 29)

Thomas Bareiß (CDU/CSU): Dem vorliegendenGesetzentwurf zur Änderung des VW-Gesetzes stimmeich aufgrund europarechtlicher und grundsätzlich ord-nungspolitischer Bedenken nicht zu. Mit dem Urteil vom23. Oktober 2007 hat der EuGH das bisherige VW-Ge-setz für unvereinbar mit dem Grundsatz der Kapitalver-kehrsfreiheit (Art. 56 EGV) erklärt. Das nun vorliegendeGesetz geht zwar in Teilbereichen auf das EuGH-Urteilein, räumt aber die grundsätzlichen Bedenken nicht aus.Die Beibehaltung der Sperrminorität von 20 Prozent sollgezielt einem bestehenden Anteilseigner Sonderrechteeinräumen. Dies ist meiner Auffassung nach weder mitdem EuGH-Urteil vereinbar noch ist es wirtschafts- undordnungspolitisch zu begründen.

Eine erneute Niederlage der Bundesrepublik Deutsch-land vor dem EuGH und damit einhergehende Strafzah-lungen der EU sind zwangsläufig zu erwarten und wür-den Deutschland nachhaltig schaden. Darüber hinaus istes nicht nachzuvollziehen, warum die Volkswagen AGweiterhin einen gesetzlichen Sonderstatus erhalten soll.

Aufgrund meiner Bedenken lehne ich den Gesetzent-wurf der Bundesregierung zur Änderung des VW-Geset-zes daher ab und stimme mit Nein.

Clemens Binninger (CDU/CSU): Mit Urteil vom23. Oktober 2007 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH)drei wesentliche Elemente des bisherigen VW-Gesetzesfür unvereinbar mit Art. 56 EGV (Kapitalverkehrsfrei-heit) erklärt. Das nun vorliegende Änderungsgesetz hebtzwar die Vorschriften zum Entsenderecht in den Auf-sichtsrat und zur Stimmrechtsbeschränkung auf; dieebenfalls als Kapitalverkehr beschränkend beurteilteSperrminorität soll jedoch weiter Bestand haben. DieSichtweise, der EuGH habe alle drei Bestandteile desVW-Gesetzes nur im Zusammenwirken mit Art. 56 EGVals unvereinbar erklärt, findet meiner Auffassung nachkeine Stütze in dem Urteil. Eine erneute Niederlage derBundesrepublik Deutschland vor dem EuGH ist viel-mehr – ohne dem Europäischen Gerichtshof vorgreifenzu wollen – angesichts der umfangreichen Spruchpraxisdes EuGH zu den sogenannten goldenen Aktien der öf-fentlichen Hand absehbar.

Die soziale Marktwirtschaft – unsere bewährte Wirt-schaftsordnung – gründet auf fairem Wettbewerb. DieserWettbewerb beruht auch darauf, dass für alle Wettbewer-ber dieselben Rahmenbedingungen gelten. Vor diesemHintergrund ist es für mich nicht nachvollziehbar, wa-rum für Volkswagen nicht dieselben rechtlichen Rege-lungen gelten sollten, an die sich auch alle anderen Mit-bewerber zu halten haben. Meines Erachtens ist esordnungspolitisch verfehlt und wirtschaftspolitisch frag-würdig, an Sonderregelungen für Volkswagen noch län-ger festzuhalten. Daher lehne ich den Gesetzentwurf derBundesregierung zur Änderung des VW-Gesetzes abund stimme mit Nein.

Gunther Krichbaum (CDU/CSU): Dem Gesetzent-wurf der Bundesregierung zur Änderung des VW-Geset-zes stimme ich nur unter schwersten europarechtlichenund europapolitischen Bedenken zu. Gleichzeitig stelleich mein Votum unter die Maßgabe, dass die Bundesre-gierung im Falle einer erneuten Klageerhebung seitensder Europäischen Kommission vor dem EuGH zur Ab-wendung der dann mit hinreichender Wahrscheinlichkeitzu erwartenden Strafzahlungen erneut gesetzgeberischinitiativ wird.

Mit Urteil vom 23. Oktober 2007 hat der EuGH dreiwesentliche Elemente des bisherigen VW-Gesetzes fürunvereinbar mit Art. 56 EGV (Kapitalverkehrsfreiheit)erklärt. Das nun vorliegende Änderungsgesetz hebt zwardie Vorschriften zum Entsenderecht in den Aufsichtsratund zur Stimmrechtsbeschränkung auf; die ebenfalls alsKapitalverkehr beschränkend beurteilte Sperrminoritätsoll jedoch weiter Bestand haben. Die Sichtweise, derEuGH habe alle drei Bestandteile des VW-Gesetzes nurim Zusammenwirken als mit Art. 56 EGV unvereinbarerklärt, findet meiner Auffassung nach keine Stütze indem Urteil. Eine erneute Niederlage der BundesrepublikDeutschland vor dem EuGH ist vielmehr angesichts derumfangreichen Spruchpraxis des EuGH zu den soge-nannten „goldenen Aktien“ der öffentlichen Hand abseh-bar.

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Anlage 7

Erklärung nach § 31 GO

der Abgeordneten Peter Albach, ManfredGrund, Christian Hirte, Antje Tillmann undVolkmar Uwe Vogel (alle CDU/CSU) zur Ab-stimmung über den Entwurf eines Zweiten Ge-setzes zur Änderung des Autobahnmautgesetzesfür schwere Nutzfahrzeuge (Tagesordnungs-punkt 35)

Die Lkw-Mauterhöhung darf nicht mit einer zusätzli-chen und damit wettbewerbsverzerrenden Belastungoder gar Insolvenzgefährdung für das Straßengüterver-kehrsgewerbe verbunden sein. Die gestiegenen Energie-preise sowie verschärfte Sozialvorschriften bedeuteneine enorme Belastung für die Transportunternehmen.Hinzu kommt die unsichere wirtschaftliche Gesamtlage.

Es gilt jetzt, die rechtlichen Möglichkeiten von Steu-ersenkungen und anderen Kostenerleichterungen für dasTransport- und Verkehrsgewerbe zu prüfen.

Darüber hinaus sind die Investitionen des Bundes indie Verkehrsträger Straße, Schiene und Wasserstraßen zuerhöhen. Entsprechend den Regelungen des Auto-bahnmautgesetzes sind die Mauteinnahmen für die Ver-kehrsinfrastruktur sowie für Harmonisierungsleistungenzugunsten des Güterkraftverkehrsgewerbes einzusetzen.

Anlage 8

Erklärung

des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung überden Entwurf eines Gesetzes zur Änderung desBundesbesoldungsgesetzes (186. Sitzung, Tages-ordnungspunkt 8 c)

Ich erkläre im Namen der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen, dass unser Votum „Nein“ lautet.

Anlage 9

Zu Protokoll gegebene Rede

zur Beratung:

– Entwurf eines Dreizehnten Gesetzes zurÄnderung des Außenwirtschaftsgesetzesund der Außenwirtschaftsverordnung

– Antrag: Rückbesinnung auf die sozialeMarktwirtschaft – Die europäische Alterna-tive zu Wirtschaftsprotektionismus undAusländerdiskriminierung

(186. Sitzung, Tagesordnungspunkt 12 a und b)

Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bun-desminister für Wirtschaft und Technologie: Deutsch-land profitiert von offenen Märkten und hat ein großes

Interesse, günstige Rahmenbedingungen für ausländi-sche Investoren zu schaffen. Dies ist ein traditionellerGrundsatz unserer Wirtschaftspolitik. Der wirtschaftli-che Aufstieg Deutschlands nach dem Zweiten Weltkriegist nicht zuletzt der Offenheit unseres Investitionsstand-orts zu verdanken. Wir haben deshalb zusammen mit denanderen G-8-Staaten auf dem Heiligendamm-Gipfelnochmals die Bedeutung eines offenen Investitionskli-mas unterstrichen. Dieser Grundsatz ist und bleibt Richt-schnur für das Handeln der Bundesregierung.

Vor diesem Hintergrund wird häufig die Frage ge-stellt: Wie sind diese Grundsätze mit der geplanten No-vellierung des Außenwirtschaftsrechts vereinbar? Undwie ist die Gesetzesinitiative mit der aktuellen Finanz-krise vereinbar, in der Unternehmen mehr denn je aufKapital angewiesen sind? Wir bewegen uns in der Tathier in einem gewissen Spannungsverhältnis zwischenunserem Interesse an einem liberalen Investitionsregimeund der Pflicht des Staates, die öffentliche Ordnung undSicherheit zu schützen. Diese Pflicht besteht auch mitBlick auf ausländische Direktinvestitionen. Aufgabe desStaates ist es, eine angemessene Balance zwischen die-sen Interessen zu finden. Wenn die öffentliche Ordnungund Sicherheit zu schützen sind, dann muss der Staatauch mögliche Risiken identifizieren und ein Schutz-instrument bereithalten, um darauf reagieren zu können.Daran ändert auch die Finanzkrise nichts.

Mit Blick auf die Finanzkrise ist es aber unser allerAufgabe, gegenüber ausländischen Investoren den be-schränkten Anwendungsbereich des Gesetzes zu ver-deutlichen: Das Kriterium für eine Prüfung, die Gefähr-dung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, ist anstrenge Voraussetzungen geknüpft: Notwendig ist, dassdie Investition ein Grundinteresse der Gesellschaft alsGanzes gefährden könnte. Dies ist bei Investitionen ineinzelne Unternehmen nur in seltenen Einzelfällen denk-bar. Wir haben uns bewusst für diesen zurückhaltendenAnsatz entschieden, um die gebotene Ausgewogenheitzwischen notwendigen staatlichen Interventionen undden freien Kräften der Wirtschaft herzustellen.

Ich möchte zudem klarstellen: Die Möglichkeit, aus-ländische Investitionen zu prüfen, bildet kein Instrumentder Industriepolitik. Dies ist uns durch die europarechtli-chen Vorgaben zu Recht untersagt. Der Europäische Ge-richtshof hat in seiner Rechtsprechung klargestellt, dasswirtschaftspolitische Ziele, etwa die Stärkung des natio-nalen Unternehmertums, nicht unter dem Vorwand desSchutzes der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit be-gründet werden können. Hinzu kommt: Die europarecht-lichen Anforderungen an das Verfahren für Prüfungensind – zu Recht – hoch. Der Bundesregierung waren da-her bei der Ausgestaltung des Gesetzentwurfs engeGrenzen gesetzt.

Im Einzelnen sieht unser Gesetzentwurf Folgendesvor. Einer Prüfung unterliegen grundsätzlich nur Inves-toren mit Sitz außerhalb der EU. Voraussetzung für jedePrüfung ist, dass der ausländische Erwerber durch denErwerb mindestens 25 Prozent der Stimmrechte desdeutschen Unternehmens erlangt. Um Umgehungsge-schäfte zu vermeiden, können Investoren mit Sitz in der

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EU dann geprüft werden, wenn ein Anteilseigner mitSitz außerhalb der EU 25 Prozent der Stimmrechte andem EU-Investor hält. Investoren aus den Mitgliedstaa-ten der EFTA werden wie Investoren aus den EU-Mit-gliedstaaten behandelt.

Das Erfordernis, dass 25 Prozent der Anteile an demdeutschen Unternehmen erworben werden müssen, stellteine hohe Hürde für eine Prüfung dar. Marktwirtschaft-lich agierende Investoren diversifizieren ihr Portfolio.So zeigt etwa die Praxis großer Staatsfonds, dass diese inder Regel in geringem Umfang in einzelne Unternehmeninvestieren. Staatsfonds sind und bleiben in Deutschlandhochwillkommen. Wir haben über Jahrzehnte gute Er-fahrungen mit Staatsfonds gemacht.

Weil der Anwendungsbereich des Gesetzentwurfshinsichtlich der erfassten Investoren und des Schwellen-werts für die zu prüfenden Investitionen beschränkt ist,haben wir auf die Benennung bestimmter Sektoren ver-zichtet. Sicherheitsrelevante Transaktionen sind nichtauf bestimmte Wirtschaftszweige begrenzt. Zudemmüsste ein sektorbezogenes Gesetz häufig an technolo-gische Weiterentwicklungen angepasst werden. Die Zu-kunftsbranchen von heute, etwa die Gen- und Biotech-nologie, steckten vor 20 Jahren zum Teil noch in denKinderschuhen oder existierten noch gar nicht, wie zumBeispiel die Internetwirtschaft.

Das Gesetz vermeidet bürokratische Belastungen fürInvestoren. Eine Genehmigungs- oder Anmeldepflichtist nicht vorgesehen. Vielmehr können Investitionen nurinnerhalb kurzer Fristen auf Initiative des Bundesminis-teriums für Wirtschaft und Technologie geprüft werden.Wenn das Bundesministerium für Wirtschaft und Tech-nologie innerhalb von drei Monaten nach dem Erwerbkeine Prüfung einleitet, hat der Erwerb Bestand. Wenndas Bundesministerium für Wirtschaft und Technologieden Erwerb prüft, muss es binnen zwei Monaten nachÜbermittlung der relevanten Unterlagen über eine Unter-sagung oder Anordnung entscheiden, die der Zustim-mung des gesamten Kabinetts bedarf. Eine Untersagungkommt nur in Betracht, wenn die Gefährdung nichtdurch Auflagen zum Erwerb beseitigt werden kann.Nach Ablauf der Fristen ist eine Prüfung der Investitionausgeschlossen. Durch die kurzen Fristen wird ein hohesMaß an Rechts- und Planungssicherheit für Unterneh-men und Investoren erreicht.

Investoren sind aber nicht darauf angewiesen, abzu-warten, ob ein Prüfverfahren eröffnet wird. Sie könnensich vielmehr bereits im Vorfeld des Erwerbs vom Bun-desministerium für Wirtschaft und Technologie eine ver-bindliche Stellungnahme zur Unbedenklichkeit des Er-werbs geben lassen.

Der Gesetzentwurf enthält mithin hohe inhaltlicheund verfahrensmäßige Hürden für die Überprüfung vonInvestitionsentscheidungen. Darüber hinaus werden wirbei der Anwendung der Bestimmungen sicherstellen,dass die Investitionsfreiheit gewahrt wird und Deutsch-land ein hervorragender Investitionsstandort bleibt.

Anlage 10

Zu Protokoll gegebene Reden

zur Beratung des Antrags: Die Schaffung einerIndividualbeschwerde im Rahmen des Überein-kommens über die Rechte des Kindes (Tages-ordnungspunkt 24)

Thomas Mahlberg (CDU/CSU): Ein Meilenstein inder Geschichte der Kinderrechte war es, als vor über16 Jahren am 5. April 1992 das Übereinkommen überdie Rechte des Kindes, die UN-Kinderrechtskonvention,vom 20. November 1989 in Kraft trat. Erstmals wurdendamals verschiedene völkerrechtlich verbindlicheRechte formuliert. Sie beziehen sich auf das persönliche,politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Lebender Kinder. Ausdruck finden sie in der Festschreibungvon Mindestanforderungen an die Versorgung, denSchutz und die Beteiligung von Kindern am gesell-schaftlichen Leben.

Die Bedeutung dieser UN-Kinderrechtskonventionsteht außer Frage und ist allen bekannt. Auch inDeutschland wurde die Kinderpolitik dadurch wesent-lich gestärkt. Die Ratifizierung durch die Bundesrepu-blik im Jahr 1992 geschah mit der Hinterlegung einerErklärung, die unter anderem besagt, dass keine Bestim-mung der UN-Kinderrechtskonvention so ausgelegt wer-den kann, dass sie das Recht der BundesrepublikDeutschland beschränkt, Gesetze über die Einreise vonAusländern und die Bedingung ihres Aufenthaltes zu er-lassen. Die Länder waren damals nur unter der Bedin-gung, dass die deutsche Erklärung zur UN-Kinderrechts-konvention abgegeben wurde, mit der Ratifizierungeinverstanden.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP-Fraktion, Sie haben einen Antrag gestellt zur Schaffungeines Individualbeschwerderechts im Rahmen der Kin-derrechtskonvention. In gleicher Weise wird dies auchvon nationalen und internationalen Menschenrechts- undKinderrechtsorganisationen gefordert. Durch ein Indivi-dualbeschwerderecht soll Kindern und Jugendlichen dieMöglichkeit gegeben werden, sich direkt beim UN-Aus-schuss zu beschweren, wenn ihre Rechte verletzt wurdenoder werden. Zweifelsohne würde die Einrichtung einesIndividualbeschwerdeverfahrens die Durchsetzbarkeitder persönlichen, politischen, wirtschaftlichen und sozia-len Rechte Minderjähriger stärken. Klingt gut, zumin-dest rein theoretisch.

Die Vorbehaltserklärung zur UN-Kinderrechtskon-vention, die in den vergangenen Jahren mehrfach Gegen-stand parlamentarischer Beratungen sowie Kleiner undGroßer Anfragen war, besteht nach wie vor. Die Ländersind mit einer Rücknahme nach wie vor nicht einverstan-den. Dieser Aspekt darf nicht übergangen werden. EineRücknahme der Erklärung gegen den Willen der Länderist in keiner Weise ratsam und sinnvoll.

Ich weiß, dass das Argument des Widerstandes derLänder von Kolleginnen und Kollegen anderer Parteienvielfach als Ausrede interpretiert wird. Es ist jedochFakt, dass die Bundesländer mehrheitlich gegen eine

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Rücknahme der Erklärung sind. Die Länder sehen dieGefahr, dass eine Rücknahme zu Rechtsunsicherheitenbei der Anwendung des nationalen Aufenthalts- undAsylrechts führen würde. Darüber hinaus bestehen Be-denken, dass es zu einem Anstieg der Einreise unbeglei-teter minderjähriger Ausländer nach Deutschland kom-men könnte.

Im Übrigen sollte die Sachlage mit weniger Dramatikbehaftet werden, als dies bisweilen geschieht. Das Bun-desamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gehtnicht leichtfertig mit Asylanträgen unbegleiteter Minder-jähriger um. Sonderbeauftragte Asylsachbearbeiter mitbesonderen rechtlichen und psychologischen Schulun-gen berücksichtigen unter anderem die speziellen Be-dürfnisse der Minderjährigen, ihren Entwicklungsstandsowie die kulturellen Hintergründe. Die asylverfahrens-rechtliche Anhörung Minderjähriger wird weniger for-mal durchgeführt als bei Volljährigen. Die Mitarbeiterund Mitarbeiterinnen sind dabei sehr um Einfühlsamkeitbemüht. Unbegleiteten Minderjährigen unter 16 Jahrenwird zur Durchführung des Asyl- und des aufenthalts-rechtlichen Verfahrens vom Vormundschaftsgericht einPfleger bestimmt, der die Interessen des Minderjährigenund die Stelle der abwesenden Eltern wahrnimmt. Überdas Asyl- und aufenthaltsrechtliche Verfahren hinaustrifft das Jugendamt bei unbegleiteten Minderjährigengeeignete erziehungsrechtliche Maßnahmen. Dabei orien-tiert es sich an dem deutschen Kinder- und Jugendhilfe-recht. Dies sind nur einige Beispiele.

An dieser Stelle muss ganz klar hervorgehoben wer-den, dass sich das deutsche Recht im Einklang mit derUN-Kinderrechtskonvention befindet. Aus diesemGrund werden Verstöße bereits in den Verfahren vor dendeutschen Gerichten geahndet. Dies macht ein weiteresVerfahren vor den UN-Gremien nicht zwingend notwen-dig.

Grundsätzlich halte ich – und dies ist auch Meinungder Bundesregierung – ein Individualbeschwerderechtfür geeignet, Rechtsstellungen und Rechtsbewusstseinder Betroffenen zu stärken und die Bereitschaft der Ver-tragsstaaten zur Umsetzung ihrer Vertragspflicht zu för-dern. Ohne Zweifel ist ein derartiges Beschwerdeverfah-ren ein wichtiges Instrument des internationalenMenschenrechtsschutzes. Die Rechte der Kinder sind zustärken, darin sind wir uns alle einig. Da jedoch dasdeutsche Recht in Einklang mit der Kinderrechtskonven-tion steht, besteht meines Erachtens keine Dringlichkeit,sich über die Position der Bundesländer hinwegzusetzen.Die aktuelle Arbeit, die vor Ort in den Ländern undKommunen geleistet wird, zeigt eine gute Umsetzungder Grundsätze sowie der Ideale der UN-Kinderrechts-konvention.

Ich halte es dennoch für ratsam, bezüglich der Schaf-fung einer Individualbeschwerde in Kontakt mit denLändern zu bleiben. Ich spreche mich deshalb für eineÜberweisung federführend an den Ausschuss für Fami-lie, Senioren, Frauen und Jugend aus.

Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD): Recht ha-ben alleine reicht nicht aus – Rechte müssen auch durch-setzbar sein. Um die Kinderrechte weiter zu stärken,wäre die Einführung eines Individualbeschwerderechtesfür die UN-Kinderrechtskonvention ein wichtiger Bau-stein.

Im Unterschied zu fünf anderen Menschenrechtsab-kommen verfügt die UN-Kinderrechtskonvention bis-lang nicht über ein Individualbeschwerdeverfahren. Wasgenau ist das Individualbeschwererecht? In einem sol-chen Beschwerdeverfahren könnte sich im Falle einerMenschenrechtsverletzung ein Kind selbst oder eine Per-son in seinem Namen an den Ausschuss für die Rechtedes Kindes der Vereinten Nationen wenden, der diesedann untersucht. Die Entscheidung des Ausschusseswäre rechtlich zwar nicht bindend. Dennoch könnte erauf Abhilfe drängen und für den Kläger gegebenenfallseine Entschädigung fordern. Wie bei allen internationa-len Beschwerdemechanismen muss vorher der inner-staatliche Rechtsweg ausgeschöpft sein.

Die Einführung dieses Instrumentes wäre weltweitein wichtiges Signal für starke Kinderrechte. Ein Be-schwerderecht würde dazu führen, dass die Vertragsstaa-ten ihr Rechtssystem konsequenter den in der Konven-tion anerkannten Kinderrechten anpassen und auf derenEinhaltung achten. Die Überwachungsmechanismensind derzeit zu schwach, sodass die Verletzung der Kin-derrechte in vielen Vertragsstaaten folgenlos bleibt.

Das Ministerium für Familie, Senioren, Frauen undJugend, das Ministerium der Justiz und das AuswärtigeAmt sind derzeit in einem Abstimmungsprozess, wiedem Anliegen am sinnvollsten entsprochen werdenkann. Ich bin jedoch zuversichtlich, was die weitere Ent-wicklung angeht, heißt es doch bereits 2005 im vom Mi-nisterium publizierten Nationalen Aktionsplan „Für einkindergerechtes Deutschland 2005 bis 2010“:

Ein Individualbeschwerderecht ist grundsätzlichgeeignet, Rechtsstellung und Rechtsbewusstseinder betroffenen zu stärken und die Bereitschaft derVertragsstaaten zur Implementierung ihrer Ver-pflichtungen zu fördern. Die Bundesregierung wirddie mögliche Einführung eingehend prüfen.

Zudem gibt es bereits ein Individualbeschwerderechtin fünf anderen Menschenrechtsabkommen, nämlich indem Internationalen Pakt über bürgerliche und politischeRechte – UN-Zivilpakt, Pakt II –; dem Übereinkommengegen Folter und andere grausame, unmenschliche odererniedrigende Behandlung oder Strafe; dem Internatio-nalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form vonRassendiskriminierung, in der Internationalen Konven-tion zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmerund ihren Familienangehörigen; dem Übereinkommenzur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung derFrau sowie in der Konvention über die Rechte von Men-schen mit Behinderungen – dies teilweise über ein Fa-kultativprotokoll.

Für die Einführung eines Beschwerdeverfahrens istder Beschluss der UN-Vollversammlung über einen zu-

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sätzlichen Vertrag zu der Kinderrechtskonvention erfor-derlich. Das Verfahren kann durch Einbringen eines Ent-wurfes von einer Staatengruppe auf den Weg gebrachtwerden. Der Entwurf müsste die zuständigen Gremiendurchlaufen und wäre dann der UN-Vollversammlungvorzulegen. Diese würde gegebenenfalls ein Zusatzpro-tokoll beschließen, das daraufhin von den Mitgliedstaa-ten ratifiziert werden müsste. Es tritt in Kraft, wenn 20– manchmal 30 – Staaten ihre Ratifikationsurkunde hin-terlegt haben.

Ein erster Schritt wäre die Einsetzung einer Arbeits-gruppe bei dem UN-Menschenrechtsrat, die den Text zueinem Individualbeschwerdeverfahren zur Kinderrechts-konvention in einem Zusatzprotokoll ausarbeiten würde.Um das Beschwerderecht auf den Weg zu bringen, mussalso diese Arbeitsgruppe beim UN-Menschenrechtsrateingesetzt werden. Wir fordern die Bundesregierung auf,sich für eine solche Arbeitsgruppe einzusetzen.

Die SPD-Bundestagsfraktion engagiert sich seit lan-gem für die Stärkung der Kinderrechte. So fordert sie dieRücknahme der Vorbehaltserklärung zur UN-Kinder-rechtskonvention sowie die Verankerung der Kinder-rechte im Grundgesetz. Unsere Bemühungen sind leiderbislang am Widerstand der Union gescheitert. Zum Jah-restag der UN-Kinderrechtskonvention am 20. Novem-ber, die Deutschland 1992 ratifiziert hat, stünde es unsallen parteiübergreifend gut zu Gesicht, alles in unsererMacht Stehende zu tun, um die Kinderrechte in unseremLand und weltweit zu stärken. Ein Individualbeschwer-deverfahren zur UN-Kinderrechtskonvention ist hier fürmich neben der Rücknahme der Vorbehalte zur Konven-tion sowie der Verankerung der Kinderrechte im Grund-gesetz ein weiterer Baustein einer Politik, die Kinderund ihre Rechte ernst nimmt.

Miriam Gruß (FDP): Kinderpolitik muss als ein ei-genständiger Bereich der Politik und nicht nur als Teilder Familienpolitik verstanden werden. Die Kinder- undJugendpolitik berührt den Aufgabenbereich der ver-schiedensten Entscheidungsträger auf regionaler, überre-gionaler, europäischer und internationaler Perspektive.Wir müssen uns bei allen Entscheidungen fragen, welcheWirkungen sie für die jungen Menschen von heute undmorgen haben. Kinder und Jugendliche sind ein wichti-ger Teil der Gegenwart, und sie sind die Zukunft der Ge-sellschaft. Es ist daher im Interesse der Staaten, kinder-freundliche Strukturen zu schaffen und zu fördern unddamit den Bedürfnissen von Kindern in allen Lebensbe-reichen besondere Bedeutung und Beachtung beizumes-sen.

Mehr und mehr begreifen wir, dass Kinder keine klei-nen Erwachsenen sind, sondern ureigenste Bedürfnisse,Rechte und Pflichten haben und auch einer besonderenFörderung bedürfen, um sich zu einer eigenständigenPersönlichkeit zu entwickeln. Eine stärkere Beachtungvon Kinderrechten könnte dazu führen, dass in allen Be-reichen – insbesondere bei Schutz-, Förder- und Partizi-pationsrechten – kindgerechte Lebensverhältnisse ge-

schaffen werden. Denn Kinder müssen und sollen ernstgenommen werden.

Am 5. April 1992 trat für die BundesrepublikDeutschland das Übereinkommen über die Rechte desKindes in Kraft. Das Übereinkommen, die UN-Kinder-rechtskonvention, gilt als ein Wegweiser für die Schaf-fung einer kinderfreundlichen Gesellschaft. Mit diesemÜbereinkommen wurden erstmals völkerrechtlich ver-bindlich persönliche, politische, wirtschaftliche und kul-turelle Rechte von Kindern formuliert, die ihren Aus-druck in der Festschreibung von Mindestanforderungenan die Versorgung, den Schutz und die Beteiligung vonKindern am gesellschaftlichen Leben finden.

Mit dieser Konvention sind Kinder Inhaber von Rech-ten und Freiheiten, das heißt nicht mehr Objekte des in-ternationalen Rechts, sondern Rechtssubjekte, deren be-sondere Schutzbedürftigkeit betont wird; das in Art. 3der Konvention niedergelegte Prinzip des Kindeswohlsdurchzieht das gesamte Abkommen. 193 Staaten habendieses Übereinkommen ratifiziert.

Eine Kontrolle hinsichtlich der Einhaltung der in denMenschenrechtsverträgen eingegangenen Verpflichtun-gen erfolgt zunächst über die anlassunabhängige Kon-trolle im Rahmen von Staatenberichtsverfahren. DieStaaten reichen nach der UN-Kinderrechtskonventionbeim Ausschuss über die Rechte des Kindes Berichteüber Maßnahmen ein, die sie zur Verwirklichung der imÜbereinkommen genannten Rechte getroffen haben, so-wie über Fortschritte, die dabei erzielt wurden. Die Staa-ten sorgen für eine Verbreitung der Berichte im eigenenStaat.

Erweitert wurde das System der Staatenberichte beianderen Menschenrechtsinstrumenten vielfach durch In-dividualbeschwerdeverfahren. Diese sorgen dafür, dasseine Menschenrechtsverletzung im Einzelfall erkannt,benannt, beseitigt und wiedergutgemacht wird. Darüberhinaus dienen sie als Orientierungspunkte für eine men-schenrechtskonforme Ausgestaltung nationaler Rechts-ordnungen. Sie können als Instrument des internationa-len Menschenrechtsschutzes einen wichtigen Beitrag zurVerwirklichung der Menschenrechte leisten.

Nach der UN-Kinderrechtskonvention haben einzelnePersonen bislang keine Möglichkeit, sich im Rahmen ei-nes Individualbeschwerdeverfahrens direkt an diesenAusschuss zu wenden, obwohl andere Menschenrechts-instrumente wie etwa der Internationale Pakt über bür-gerliche und politische Rechte, das Übereinkommen ge-gen Folter und andere grausame unmenschliche odererniedrigende Behandlung oder Strafe, das Internatio-nale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form vonRassendiskriminierung, die Internationale Konventionzum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer undihrer Familienangehörigen und das Übereinkommen zurBeseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frauwie auch die Konvention über die Rechte von Menschenmit Behinderungen bzw. deren Fakultativprotokolle diesdurchaus vorsehen und im Rahmen der EuropäischenMenschenrechtskonvention (EMRK) sogar ein echtesgerichtliches Verfahren geschaffen wurde.

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Die Individualbeschwerde würde zu mehr Kinder-freundlichkeit beitragen. Mehr als drei Viertel aller El-tern in Deutschland wünschen sich nach einer Umfrageeine kinderfreundlichere Gesellschaft. Eine Individual-beschwerde würde dazu beitragen, die Umsetzbarkeitder UN-Kinderrechtskonvention zu verbessern, undwäre damit eine Ergänzung der existierenden Berichts-pflicht.

Eine Individualbeschwerde würde ferner dazu beitra-gen, die Kinder als vollberechtigte Inhaber von Rechtenanzuerkennen und zu stärken. Mit der Individualbe-schwerde hätten Kinder das Recht, sich gegen eine Ver-letzung ihrer Rechte zu wehren. Die Vertragsstaatenwürden stärker als bisher in die Rechenschaftspflicht ge-nommen.

Im Nationalen Aktionsplan „Für ein kindgerechtesDeutschland 2005 – 2010“ der Bundesregierung wirdausgeführt, dass ein Individualbeschwerderecht grund-sätzlich geeignet ist, Rechtsstellung und Rechtsbewusst-sein der Betroffenen zu stärken und die Bereitschaft zurImplementierung ihrer Verpflichtungen zu fördern. DieBundesregierung werde die mögliche Einführung einge-hend prüfen. Das Bundesministerium für Familie, Senio-ren, Frauen und Jugend hat darüber hinaus eine Reiheverschiedener Initiativen ergriffen, um Kinder und Ju-gendliche, Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen undLehrer sowie die Eltern über Kinderrechte zu informie-ren.

Der bevorstehende Weltkindertag am 20. November– Deutschland entschied sich für den 20. September alsdeutschen Kindertag – wie auch das Internationale Jahrdes Menschenrechtslernens wären ein guter Zeitpunkt,um einen Schritt in Richtung einer Individualbe-schwerde voranzugehen. Ich plädiere deshalb dafür, dasswir uns gemeinsam für ein Individualbeschwerderechtim Rahmen der UN-Kinderrechtskonvention einsetzen –ein längst überfälliger Schritt auf dem Weg zu Stärkungder Kinderfreundlichkeit in Deutschland.

Diana Golze (DIE LINKE): Vor 16 Jahren hat dieBundesrepublik Deutschland die UN-Kinderrechtskon-vention ratifiziert und damit einen wichtigen und zu-gleich besonderen Menschenrechtsvertrag mitgezeich-net. Das Besondere an der Kinderrechtskonvention ist,dass sie der einzige Menschenrechtsvertrag mit einer Be-richtspflicht ohne ergänzendes Beschwerdeverfahren ist.Dass das nun geändert werden soll, erscheint auch derLinken folgerichtig.

Denn glaubt man den Grußworten außerhalb des Par-lamentes und den großen Reden hier im Plenum, so ist eshier allseits anerkannt, dass Kinder und Jugendliche alseine Bevölkerungsgruppe angesehen werden, die zu denschutzbedürftigsten Menschengruppen der Gesellschaftgezählt werden. Auch aus diesem Grund unterstützenwir das Vorhaben, die Kinderrechte durch die Möglich-keit der individuellen Beschwerde mit anderen Men-schenrechten gleichzustellen. Auch teilen wir die Auf-fassung vieler Kinderrechtsorganisationen, dass diesesInstrument ein wichtiges ist, um internationalen Druck

zu erzeugen, wenn es um die Verwirklichung und dieEinhaltung der Kinderrechte geht.

Gerade in den vergangenen Wochen wurde durch denBildungsgipfel oder auch durch die Vorstöße einigerVerbände zur Bekämpfung der Kinderarmut sehr oft her-vorgehoben, dass Kinder eine Gruppe in unserer Gesell-schaft bilden, deren besondere Ansprüche auch beson-dere Aufmerksamkeit im politischen Handeln benötigen.In solchen Debatten höre ich oft auch von Kolleginnenund Kollegen aus anderen Parteien, dass Kinder eine ei-genständige Bevölkerungsgruppe sind. Indem Sie, sehrgeehrte Kolleginnen und Kollegen, sich für ein Indivi-dualbeschwerderecht einsetzen und die Bundesregierungauffordern, ein solches Fakultativprotokoll mitzuzeich-nen, könnten Sie dieser Feststellung einen greifbarenund realen Hintergrund geben und somit dazu beitragen,dass Kinder in ihrer Stellung als vollberechtigte Inhabervon Rechten anerkannt sind.

Auch wenn die Bundesrepublik auf internationalemParkett zur Umsetzung von Kinderrechten beiträgt,bleibt bei dieser Debatte, deren Beginn ich nochmalsnachdrücklich gutheißen möchte, ein fader Beige-schmack: Obwohl die Bundesregierung seit 1992 zu den193 Staaten gehört, die die UN-Kinderrechtskonventionratifiziert haben, sind diese Kinderrechte in einem Landmitten in Europa, das für sich beansprucht, zu den wich-tigsten Industrieländern zu gehören, immer noch nichtvollständig anerkannt. Auch 16 Jahre später sind die beider Ratifizierung formulierten Vorbehalte nicht vollstän-dig aufgehoben. Sowohl in der 14. als auch in der15. Wahlperiode gab es parlamentarische Initiativen, de-ren Ziel es war, diese Vorbehalte endlich zurückzuneh-men. Seit drei Jahren nun haben wir eine Große Koali-tion mit einer breiten Mehrheit in Bundestag undBundesrat. Auf die Rücknahme der Vorbehalte zur UN-Kinderrechtskonvention warten wir trotzdem bis heute.

Da mit diesem Antrag endlich deutlich wird, dass sichauch die FDP für die Rechtsstellung von Kindern stark-macht, müssen sich die Koalitionsfraktionen und dieBundesregierung also nicht mehr um die Zustimmungder Opposition sorgen. Sie können sich einer überwälti-genden Mehrheit im Parlament sicher sein und gemein-sam mit der Unterzeichnung des Fakultativprotokollsendlich auch die Kinderrechte in Gänze anerkennen undsomit alle in Deutschland lebenden Kinder gleichstellen.

Wenn wir dann schon beim Punkt Durchsetzung vonKinderrechten sind, könnte dieses Parlament auch miteiner breiten Mehrheit eine weitere längst überfälligeEntscheidung treffen. Oder gibt es für die Festschrei-bung von Kinderrechten im Grundgesetz der Bundesre-publik Deutschland doch keine so breite Mehrheit, ob-wohl zum Beispiel die Bekämpfung der Kinderarmutnun seit längerem schon von der Kanzlerin zur Chef-sache erklärt wurde? Denn der Schutz von Kindern vorArmut ist ein wichtiger Bestandteil der UN-Kinder-rechtskonvention. Seit dem April des Jahres 1992 istdiese Konvention geltendes Recht in Deutschland. Da-mit einher geht auch eine Verpflichtung, alle geeignetenGesetzgebungs- und Verwaltungsverfahren sowie sons-

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tige Maßnahmen zur Realisierung der damit anerkanntenRechte einzuleiten. An vielen Stellen ist die Gesetzge-bung bereits so geändert worden, dass sie zur Rück-nahme einiger Vorbehalte führte. Ein entscheidenderpolitischer Schritt fehlt: die Verankerung der Rechte vonKindern und Jugendlichen im Grundgesetz. Kinder wer-den hier immer noch einzig und allein in Abhängigkeitzur Erziehungspflicht ihrer Eltern gesehen. Das ist eineRechtslage, die weder dem Geist des 21. Jahrhundertsentspricht noch der Umsetzung der Kinderrechtschartagerecht wird.

Sosehr die Bemühungen, die mit der Einrichtung ei-ner Individualbeschwerde verbunden sind, von uns auchbegrüßt werden, sie dürfen uns nicht über eines hinweg-täuschen: Der umfassende Schutz von Kindern und ihrerRechte muss vor allem durch unsere Gesetzgebung hierin Deutschland gewährleistet sein.

Auch als derzeit amtierende Vorsitzende der Kommis-sion des Deutschen Bundestages für die Belange derKinder (Kinderkommission) möchte ich mich hinter dieForderungen der vielen Kinderrechtsorganisationen nachdem Recht auf Anhörung stellen. Die Einführung einerIndividualbeschwerde käme damit Art. 12 der UN-Kin-derrechtskonvention entgegen.

Kinder sind vollberechtigte Inhaber von Rechten. Wirsollten beginnen, sie ihnen auch einzuräumen.

Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ichdenke, ich muss Ihnen nicht erläutern, dass die Kinder-rechte ein Markenzeichen der Grünen sind. Wir werdendaher diesem Antrag zustimmen, weil er richtig ist –auch wenn wir das von FDP-Anträgen eher selten den-ken.

Die Kinderrechte stützen sich heute auf einen breitengesellschaftlichen und überparteilichen Konsens – aller-dings nur bei einer oberflächlichen Betrachtung. Gucktman genauer hin, zeigt sich, wie dringend die Kinder-rechte eine Stärkung benötigen. Von der Großen Koali-tion können wir in Sachen Kinderrechte nicht mehr vielerwarten. Allen Ankündigungen folgte bisher lediglichein großes Schweigen. Von Einigkeit keine Spur. DieGroße Koalition hat auch nicht den Mut, sich zu den vor-liegenden Kinderrechtsanträgen zu positionieren. Ich be-fürchte, so wird es auch diesem Antrag ergehen. Er wirdin den Ausschüssen nicht auf die Tagesordnung gesetztund nicht mehr ins Plenum zurückfinden.

Unsere Fraktion hat hierfür bekanntermaßen zwei Pa-radebeispiele.

Erstens. Bis heute gibt es der Kinderrechtskonventiongegenüber Vorbehalte, wegen derer beispielsweise unbe-gleitete minderjährige Flüchtlinge nicht die gleichenRechte wie deutsche Kinder genießen. Wir fordern seitJahren die Rücknahme dieser Vorbehalte. Es ist kein Ge-heimnis, dass wir hier unter Rot-Grün an der SPD ge-scheitert sind. Nun hat auch die SPD die Kurve gekriegt,kann sich aber gegenüber der CDU/CSU nicht durch-setzten. Wenn am 20. November die Kinderrechtskon-vention wieder ihren Jahrestag hat, wird es auf die Frage

nach den Vorbehalten wieder nur die gleichen Antwortengeben. Unser Antrag wird seit zweieinhalb Jahren nichtbehandelt.

Zweitens. Nach den positiven Äußerungen der ehe-maligen Jugendministerin und heutigen BundeskanzlerinMerkel, nach der Positionierung von Frau von der Leyenund vieler anderer zugunsten einer Stärkung der Kinder-rechte in der Verfassung ist die Union dann wiederzurückgerudert. Von Einigkeit innerhalb der Koalitionwieder keine Spur. Allen Bestrebungen der Kinderkom-mission des Deutschen Bundestages zum Trotz will dieUnion keine Diskussion über das Thema. Auch hier hatdie SPD-Fraktion spät die Kurve gekriegt. Jetzt stellt siesich hin, als wären sie die Erfinder der Initiative. Dabeikam der erste Antrag und der letzte „Wiederbelebungs-versuch“ von meiner Fraktion. Ausgebremst wird dieserAntrag seit eineinhalb Jahren.

Nun haben wir in Deutschland zwar ausgesprochenengagierte Bemühungen, ein Monitoring zur UN-Kin-derrechtskonvention zu schaffen. Bis zur Etablierung istes aber noch ein weiter Weg. Schwere Kinderrechtsver-letzungen können dem UN-Ausschuss nur über die vier-jährige Berichterstattung bekannt werden. Das ist sehrumwegig, oft zeitversetzt und wenig partizipativ.

Die Möglichkeit einer Individualbeschwerde ist daherein wichtiger Baustein in einem Monitoringkonzept. Siestärkt zudem die Kinder als Träger eigener Rechte underhöht die Kontrolle seitens der UN, wenn es um dieEinhaltung der Kinderrechte geht. Damit sind die Kin-derrechte zwar nicht international einklagbar, es sollteaber gewährleistet werden, das Kinderrechtsverletzun-gen – wenn überhaupt – Einzelfälle bleiben. Praktischalle und vor allem neuere Menschenrechtsabkommen se-hen ein Individualbeschwerderecht vor. Es spricht alsorein gar nichts dagegen, sich für einen solchen Mecha-nismus starkzumachen.

Wer jetzt ernsthaft ins Feld führt, Kinder könnten al-tersbedingt von einer solchen Möglichkeit gar keinenGebrauch machen, hat ein defizitäres Bild vom Kind undwenig Ahnung von modernen Partizipationsmöglichkei-ten. Gerade Kinder haben ein ausgesprochen ausgepräg-tes Unrechtsempfinden und sind die Altersgruppe, diesich am stärksten engagiert. Vielen Kindern und Jugend-lichen ist die UN-Kinderrechtskonvention zwar bekannt,aber bisher ist sie für sie „weit weg“ und „wenig greif-bar“. Die reale Lebenssituation jedoch mit den Vorgabender Konvention abgleichen zu können und sich gegebe-nenfalls beschweren zu können, macht die Konventionfür sie erst „anfassbar“. Das Individualbeschwerderechterhöht somit den Gebrauchswert der UN-Kinderrechts-konvention.

Gerade einem menschenrechtlich und demokratischfortschrittlichen Land wie Deutschland, das sich aktuellintensiv mit der Kinder- und Familienfreundlichkeit be-schäftigt, würde es gut zu Gesicht stehen, sich bei derUN für eine Beschwerdemöglichkeit starkzumachen.Das allerdings erfordert in der Großen Koalition erst-mals Einigkeit, Mut und Engagement in Sachen Kinder.Woran ich allerdings meine Zweifel habe.

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Anlage 11

Zu Protokoll gegebene Reden

zur Beratung

– Entwurf eines Gesetzes zur Änderung desGesetzes über die Überführung der Anteils-rechte an der Volkswagenwerk Gesellschaftmit beschränkter Haftung in privater Hand

– Entwurf eines Gesetzes zur Änderung desVW-Gesetzes

(Tagesordnungspunkt 29)

Paul K. Friedhoff (FDP): Vor gut einem Monat habeich hier schon einmal zum VW-Gesetz gesprochen undklargemacht, dass die FDP-Bundestagsfraktion markt-ferne und europarechtswidrige Gesetze wie dieses ab-lehnt. Nun steht heute neben der Schlussabstimmungüber den Regierungsentwurf noch ein Gesetzesentwurfzu der Thematik von der Linken aus dem März diesesJahres zur Debatte. Lassen Sie mich einmal mehr dieliberale Position in dieser Thematik deutlich zu machen.

Die Linke meint, die den derzeitigen Gesetzesinitiati-ven zugrundeliegende Entscheidung des EuropäischenGerichtshofes verstoße ihrerseits gegen den EG-Vertrag.Diese Sicht teilt die FDP-Bundestagsfraktion nicht. DerEuGH greift nicht etwa – wie im Entwurf behauptet – indie deutsche Eigentumsordnung ein. Er stellt dagegenklar, dass vielmehr das auf einen Einzelfall bezogeneVW-Gesetz gegen die deutsche Eigentumsordnung ver-stößt. Es wird mit der Entscheidung gerade auf eine Wie-derherstellung der Eigentumsordnung hingewirkt.Ebenso wie den von der Bundesregierung vorgelegtenEntwurf lehnen wir auch den Gesetzesvorschlag der Lin-ken ab, weil beide Entwürfe auf halber Strecke steckenbleiben. Zwar werden im Entwurf der Linken mancherder auf Europa-Ebene kritisierten Punkte beseitigt, aberdiese Teillösung des Problems wird nicht konsequent zuEnde geführt. Das Entsenderecht von Bund und Landwird lediglich begrenzt. Dabei gibt es keine ökonomi-schen Gründe, im Fall von Volkswagen vom üblichendeutschen Entsenderecht abzuweichen. Aus unsererSicht einzig konsequent wäre die komplette Aufhebungdieses Einzelfallgesetzes von 1960. Es ist schlicht nichtmehr zeitgemäß, wenn ein Bundesland bei einem voll imWettbewerb stehenden Automobilkonzern hineinregiert.

Mit den dem Bundesland Niedersachsen als Teil-eigentümer gewährten Sonderrechten hält das Gesetz po-tentielle Investoren davon ab, Anteile zu kaufen um Ein-fluss zu gewinnen; der Anteilskauf erscheint durch diefeste Stellung des Sonderaktionärs weniger attraktiv.Diese Sicht des Europäischen Gerichtshofes ist für jedenverständigen Teilnehmer des Wirtschaftslebens nach-vollziehbar.

Ich zähle ihnen noch einmal kurz die Hauptkritik-punkte der europäischen Rechtsprechung im geltendenVW-Gesetz auf:

Das Entsenderecht erlaubt es sowohl dem Bund alsauch dem Land Niedersachsen, jeweils zwei Vertreter in

den VW-Aufsichtsrat zu entsenden, sobald Bund oderLand auch nur zwei Aktien besitzen. Die Stimmrechts-beschränkung verbietet es einem Aktionär unabhängigvon seinem tatsächlichen Kapitalanteil, mehr als 20 Pro-zent der Gesamtstimmrechte auszuüben. Die Regelungzur geminderten Sperrminorität erlaubt es einem Aktio-när, Satzungsänderungen bereits mit einem Kapitalanteilvon 20 Prozent statt der im deutschen Aktienrecht übli-chen 25 Prozent zu blockieren.

Die Kombination dieser Regelungen im geltendenVW-Gesetz führt dazu, dass Grundsatzentscheidungenohne die Stimmen des Landes Niedersachsen nicht mög-lich sind und der Staatseinfluss fixiert ist. Die Privilegie-rung des staatlichen Aktionärs gegenüber den übrigenprivaten beschränkt die Kapitalverkehrsfreiheit und istals Investitionshürde mit dem Europäischen Gemein-schaftsrecht nicht vereinbar. Diese Kapitalverkehrsbe-schränkung ist auch nicht etwa zur Sicherung des Allge-meinwohls notwendig, wie oft behauptet. Die von derBundesregierung dafür angeführten sozialpolitischenoder gar industriepolitischen Gründe reichen nicht aus.Auch ein Schutz vor feindlichen Übernahmen kannkeine Rechtfertigung dafür bieten, VW nicht als norma-les Unternehmen zu behandeln. Dies hat der EuGHmehrfach deutlich gemacht. Die Bundesregierung meintdennoch, die Auffassung des Europäischen Gerichtsho-fes beharrlich ignorieren zu können. Die Justizministerinprobiert einfach weiter am Gesetz herum, ohne eineklare Lösung zu schaffen. Der EuGH wird das VW-Ge-setz aber zu Recht erst akzeptieren, wenn seine Kritik-punkte ausgeräumt sind. Die Bundesregierung wird dieswissen. Dennoch ist sie nicht lernwillig, sondern provo-ziert ein Vertragsverletzungsverfahren nach dem nächs-ten. Es kann und darf jedoch nicht sein, dass die deut-schen Steuerzahler am Ende von Brüssel verhängteStrafgelder bezahlen müssen, nur weil die Bundesregie-rung dem Land Niedersachsen eine europarechtswidrigeSonderrolle länger sichern will.

Nach Ansicht der FDP sind Vetorechte für den Staatbei einem im Wettbewerb stehenden Unternehmen sys-temfremd. Wenn in Unternehmenspolitik vom Staat hi-neinregiert werden kann, so ist dies für das Unternehmenkeinesfalls förderlich. Hat ein Aktionär Sonderrechte, soliegt in dieser Begünstigung klar die Gefahr, dass er sieim Eigeninteresse und zulasten der normalen Aktionäreausnutzt. Ein Wegfall von Sonderrechten und GoldenenAktien ist daher zur Stärkung der Hauptversammlung alslegitimem Eigentümergremium geboten.

Ein besonderer gesetzlicher Schutzwall ist nach unse-rer Meinung für das Unternehmen Volkswagen nicht nö-tig. Der Schutz der Eigentümerinteressen wird ebensowie die Durchsetzung der Hauptversammlungsbe-schlüsse durch Aktiengesetz und Handelsgesetzbuch fürVW – wie für alle anderen Aktiengesellschaften – ge-währleistet. Das Beibehalten eines Einzelfallgesetzes istunnötig. Nötig dagegen ist, die Volkswagen Aktienge-sellschaft als ein normales Unternehmen zu betrachten.Da Volkswagen nicht gleicher oder ungleicher ist als an-dere Autobauer, muss der Staatseinfluss konsequent zu-rückgefahren werden. Die Verfechter einer starken Be-teiligung der öffentlichen Hand an diesem Unternehmen

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20166 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

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sollten bedenken, dass das VW-Gesetz früher einmalVW-Privatisierungsgesetz genannt wurde. Wenn dieBundesregierung im Fall Volkswagen auf Protektionis-mus setzt, so torpediert sie damit vor allem die Förde-rung des europäischen Binnenmarktes. Mitgliedsländermit protektionistischen Tendenzen in ihrer Industriepoli-tik wie Frankreich, wo häufig auch deutsche Mittel-ständler diskriminiert werden, dürften sich durch eineBeibehaltung des VW-Gesetzes bestätigt sehen.

Die FDP-Bundestagsfraktion wird sich dafür einset-zen, dass bei Volkswagen in Zukunft das Verhältnis zwi-schen Kapitalanteil und Kontrolle wieder proportionalund europarechtskonform nach dem Prinzip „eine Aktie,eine Stimme“ ausgestaltet wird. Einen Dauerstreit derBundesjustizministerin mit der EU-Kommission aufKosten der Steuerzahler gilt es zu vermeiden. DasZwangsgeldverfahren der EU-Kommission steht in denStartlöchern. Das Bundeswirtschaftsministerium gehtvon einem zu zahlenden Tagessatz von 90 000 Euro aus.Wenn die Bundesregierung durch ihre Sturheit tatsäch-lich riskieren mag, dass Steuergelder derart sinnlosdurch den Auspuff gejagt werden, werden wir ihr das imkommenden Wahljahr nicht vergessen vorzuhalten.

Meine Damen und Herren Kollegen, ich appellierenoch einmal dringend an Sie: Nutzen Sie in der heutigenletzten Lesung dieses Gesetzes die Chance, die ord-nungspolitisch gebotene Normalität auch bei dem gro-ßen Konzern Volkswagen AG einkehren zu lassen. DieFDP-Bundestagsfraktion jedenfalls streitet auch in Sa-chen Volkswagen für die Rückkehr zu den Regeln dersozialen Marktwirtschaft.

Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Wir Grünen unterstützen den Gesetzentwurf der Bundes-regierung. Er sichert den Kern des VW-Gesetzes undpasst dieses an die Vorgaben des EuGH an. Die Sonder-rechte der Beschäftigten hinsichtlich der Schließung undVerlagerung von Produktionsstätten bleiben erhalten.Nach Vorgängen wie bei Nokia in Bochum wäre die Ab-schaffung dieser Arbeitnehmerrechte zu Recht auf völli-ges Unverständnis gestoßen. Ebenso bleibt der EinflussNiedersachsens gewahrt, was für die Beschäftigten unddie Werke in Niedersachsen von zentraler Bedeutung ist.

Doch auch wenn wir mit dem Inhalt des Gesetzent-wurfes einverstanden sind, so sind wir Grüne doch äu-ßerst unzufrieden mit dem Agieren der Bundesregierungin dieser Frage. Insbesondere die Unionsseite hat ständigquergeschossen. Mal lässt der Wirtschaftsminister sei-nen Widerwillen in einer Protokollnotiz zum Kabinetts-beschluss dokumentieren. Mal kündigt Oettinger eineBundesratsinitiative gegen das VW-Gesetz an.

Im Ergebnis werden dadurch diejenigen in Brüsselbestärkt, die das VW-Gesetz ganz abschaffen wollen.Wie soll denn die Europäische Kommission von derRechtmäßigkeit des VW-Gesetzes überzeugt werden,wenn offensichtlich noch nicht einmal der deutscheWirtschaftsminister davon überzeugt ist? Das ganze Hinund Her hat der deutschen Position in Brüssel schwer ge-schadet.

Ich möchte an dieser Stelle aber auch noch einmal andie Kommission appellieren, sich davon nicht beeindru-cken zu lassen, sondern vielmehr das novellierte VW-Gesetz, welches wir heute beschließen, zu akzeptieren.Die erneute Klage gegen das VW-Gesetz sollte zurück-gezogen werden. Die Kommission muss meines Erach-tens aufpassen, nicht die gleichen Fehler wie damals beider Dienstleistungsrichtlinie zu machen. Kluge Ord-nungspolitik darf nicht mit blinder Prinzipienreiterei ver-wechselt werden. Auch bei der Setzung eines wirtschaft-lichen Ordnungsrahmens gilt es, die Menschenmitzunehmen.

Die Besonderheiten des VW-Gesetzes sind in der Ge-schichte des Unternehmens begründet. Die Nazis bautendas Volkswagenwerk mit beschlagnahmtem Gewerk-schaftsvermögen auf. Nach dem Zweiten Weltkriegwollte niemand die Reste dieses Werkes haben. Darauf-hin bauten die Arbeitnehmer das Werk eigenverantwort-lich wieder auf. Das VW-Gesetz würdigte diese Ge-schichte durch besondere Mitentscheidungsrechte derArbeitnehmerschaft. Wir Grüne stehen zu dieser Ge-schichte und wollen das VW-Gesetz deshalb erhalten.

Anders übrigens als die FDP, die mit ihren Ände-rungsanträgen im Wirtschaftsausschuss diese besonde-ren Mitentscheidungsrechte der Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer abschaffen wollte – obwohl diese über-haupt nicht vom EuGH moniert worden waren. Ich kannmir nicht vorstellen, dass die Menschen dieses doppelteSpiel der FDP gutheißen: Als Teil der niedersächsischenLandesregierung angeblich für das VW-Gesetz zu strei-ten und in Berlin, wenn es darauf ankommt, dagegen zustimmen – das ist unredlich.

Ich habe bereits bei der Einbringung des Gesetzent-wurfes betont, dass es für VW jetzt wichtig ist, Ruhe inden Konzern zu bekommen. Gerade angesichts der Krisein der Automobilindustrie kann sich VW keinen dauer-haften internen Machtkampf erlauben. Es ist deshalbentscheidend, mit dem VW-Gesetz einen klaren Rahmenzu setzen, auf den sich alle Beteiligten – Volkswagen,das Land Niedersachsen, Porsche und die Beschäftigten –einstellen können. Dann kann sich Volkswagen endlichauf das konzentrieren, was letztlich über die Zukunftsfä-higkeit des Konzerns entscheidet: auf das Bauen von in-novativen und umweltfreundlichen Autos.

Anlage 12

Zu Protokoll gegebene Reden

zur Beratung der Beschlussempfehlung und desBerichts: Verdeckte Armut bekämpfen – Rechtewahrnehmen, unabhängige Sozialberatung aus-weiten und Selbsthilfeinitiativen unterstützen(Tagesordnungspunkt 26)

Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Zu dengrundlegenden Leistungen unseres Sozialstaates gehörtdie Zusage an jede Mitbürgerin und jeden Mitbürger:Wer aus eigenem Einkommen und eigener Leistung sei-nen Lebensunterhalt und den seiner Familie nicht be-

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streiten kann, der hat Anspruch auf eine gesetzlich klardefinierte staatliche Leistung. Diese staatliche Leistungist kein Almosen, vielmehr besteht ein Rechtsanspruchdarauf. Zu den tragenden Prinzipien dieser staatlichenHilfe gehört aber auch, dass jeder zuerst sein eigenesEinkommen und Vermögen einsetzen muss, bevor er dievon allen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern mitfinan-zierte staatliche Hilfe in Anspruch nimmt.

Diese staatliche Hilfe, die wir früher Sozialhilfe ge-nannt haben, wurde und wird von etlichen Berechtigten,vor allem aus der älteren Generation, nicht in Anspruchgenommen – aus Scham oder aus einer falsch verstande-nen Bescheidenheit, man wolle niemand anderem zurLast fallen. Die alte Sozialhilfe ist jedoch in den letztenJahren durch neue Gesetze abgelöst worden a) für dieSeniorinnen und Senioren durch die Grundsicherung imAlter und b) für alle, die zumindest wenige Stunden er-werbsfähig sind, durch die Grundsicherung für Arbeitsu-chende, das Arbeitslosengeld II.

Beide Grundsicherungssysteme haben dazu geführt,dass viele, die bislang keinen Sozialhilfeantrag gestellthaben, jetzt die staatliche Hilfe in Anspruch nehmen.Die „verdeckte Armut“ ist durch die neuen Grundsiche-rungssysteme nicht zum neuen Problem geworden, viel-mehr wird „verdeckte Armut“ jetzt entschiedener aufge-deckt und bekämpft als je zuvor. Das ist ein guter Erfolg.Die gesetzlichen Regelungen für die Grundsicherung imAlter und für die Grundsicherung für Arbeitsuchendesind nicht die Ursache für „verdeckte Armut“, sondernsie helfen zusätzlich im Kampf gegen Armut. Das hateine Reihe sachlicher Gründe, die es den Betroffenen er-leichtern, einen Antrag zu stellen:

Erstens. Die Grundsicherung im Alter wird gewährt,ohne dass Rückgriff auf unterhaltspflichtige Kinder ge-nommen wird. Das ist ein großer Unterschied zur altenSozialhilfe. Diese Regelung führt dazu, dass heute ältereMenschen nicht mehr darauf verzichten, einen Grundsi-cherungsantrag zu stellen, weil man niemand „zur Lastfallen“ wolle.

Zweitens. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende,das Arbeitslosengeld II, hat für die einstigen Empfängervon Sozialhilfe bessere Hinzuverdienstmöglichkeitenund höhere Beträge für das Schonvermögen gebracht.Beide Verbesserungen sind für etliche Antragsteller, diein der Vergangenheit vielleicht auf einen Sozialhilfean-trag verzichtet haben, jetzt doch ein Anreiz, Grundsiche-rung für sich zu beantragen.

Zu Recht wird gefordert, dass Leistungsberechtigteeine gute und unabhängige Beratung erhalten. Beratungist selbstverständlich auch Aufgabe der Sozialbehörden.Es ist eine Unverschämtheit sondergleichen, dass in ei-nem Antrag der Linken die Sozialbehörden in Deutsch-land unter den Generalverdacht gestellt werden, sie wür-den Leistungsberechtigte von einer Antragstellunggeradezu abschrecken. Ich stelle fest: Es mag Ausnah-men geben, aber die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter inden örtlichen Sozialämtern, in den Arbeitsgemeinschaf-ten für Empfänger von Arbeitslosengeld II und in denAgenturen für Arbeit machen gute Arbeit. Und sie ver-

dienen auch unsere politische Unterstützung. Wir vonder CDU/CSU wollen, dass die Beratung weiter verbes-sert wird. Deshalb begrüßen wir es, dass 3 000 zusätzli-che Stellen in der Arbeitsvermittlung bis zum Jahr 2010geschaffen werden, um speziell für Empfänger vonArbeitslosengeld II die Beratung nochmals auszubauen.

Darüber hinaus haben wir in Deutschland ein flächen-deckendes Angebot sozialer Dienste der Wohlfahrtsver-bände: Caritas, Diakonie, Rotes Kreuz, ParitätischerWohlfahrtsverband, Arbeiterwohlfahrt und Zentralwohl-fahrtsstelle der Juden. Sie sind gerade dort tätig, wo sozia-le Brennpunkte sind, und sie engagieren sich zusätzlichmit einer Reihe von Beschäftigungsgesellschaften fürdie Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen. Deshalbwerden die Wohlfahrtsverbände in ihrer Arbeit auchdurch öffentliche Mittel auf der Bundes-, Landes- undkommunalen Ebene unterstützt. Der Staat unterstütztalso schon heute die unabhängige Beratung in großemUmfang.

Hinzu kommt, dass die großen Sozialverbände VdKund SoVD ebenfalls flächendeckend mit regelmäßigenSprechstunden Beratung in Sozialrechtsfragen anbieten.

Ich will all denen, die sich in dieser Beratungstätig-keit engagieren, heute ein herzliches Dankeschön sagen.Sie leisten hervorragende Arbeit. Deshalb brauchen wirkein neues zusätzliches Beratungssystem, wie es dieLinkspartei fordert.

Das Entscheidende ist jedoch: Armut bekämpft mannicht mit einem aufgeblähten Apparat zusätzlicher Bera-tungsinstitutionen, mit mehr Klagen und Gerichtsverfah-ren. Armut bekämpft man mit Arbeit, damit Menschennicht weiter von staatlicher Unterstützung abhängigsind. Es gibt einen großen politischen Unterschied: DieLinke will die Armut verwalten. Wir wollen die Armutbekämpfen. Die Linke will einen rundum versorgendenStaat. Sie will die Menschen entmündigen. Wir wollen,dass Menschen aus der Abhängigkeit herauskommenund möglichst schnell durch eigenes Einkommen wiederauf eigenen Füßen stehen.

Um die Wege raus aus der Arbeitslosigkeit und rein inArbeit und selbst erarbeitetes Einkommen weiter zu ver-bessern, haben die Bundesregierung und die Koalitions-fraktionen von CDU/CSU und SPD heute im DeutschenBundestag das Gesetz zur Neuausrichtung der arbeits-marktpolitischen Instrumente eingebracht. Zur Qualifi-zierung und Vermittlung in Arbeit werden jetzt die Maß-nahmen noch individueller eingesetzt werden können.Vermittlungsbudget und Experimentierbudget führen alsneue Instrumente zu einem flexibleren und der örtlichenSituation angepassterem Einsatz der Eingliederungsmit-tel. Sie verbessern die Leistungen für benachteiligtejunge Menschen. Unsere aktive Arbeitsmarktpolitikwird effektiver und zielgenauer. Arbeitslose könnenschneller in Erwerbstätigkeit integriert werden.

Nicht Arbeitslosigkeit verwalten, Arbeitslose nochbesser qualifizieren und fördern, damit sie wieder in ei-nen Job kommen können – das ist die richtige Antwort,um Armut effektiv zu bekämpfen.

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Rolf Stöckel (SPD): Das Thema „verdeckte Armut“ist heute nicht zum ersten Mal auf der Tagesordnung desHauses. Der hier diskutierte Antrag ist allerdings eherein Dokument ideologischer Blindheit und fachlicher In-kompetenz als ein konstruktiver Vorschlag, wie man ver-deckte Armut noch besser bekämpfen könnte. Um es mitanderen Worten zu sagen: Die Linke ignoriert die realenErfolge der Reformen in der Arbeitsmarkt-, Sozial- undFamilienpolitik. Der Antrag ist ein erneuter Versuch, po-pulistischen Honig aus dem Paradigmenwechsel hin zumvorsorgenden, aktivierenden Sozialstaat zu saugen.

Wir sind uns einig, dass es verdeckte Armut immernoch gibt und dass sie – soweit der Staat dazu in derLage ist – konsequent bekämpft werden muss. Damit be-ginnen wir nicht heute, und wir müssen auch nicht vonder Linken dazu aufgefordert werden. Sozialdemokratenhaben seit 1998 in den Regierungen Schröder undMerkel dafür gesorgt, dass Ausmaß und Gründe vonArmutslagen untersucht werden, regelmäßig darüber be-richtet wird und wirksame Maßnahmen eingeleitet werden.Wir haben dafür gesorgt, dass gerade die benachteiligtenund ausgegrenzten Menschen neue Rechtsansprüche aufTeilhabe am Arbeitsmarkt und bessere Leistungen derGrundsicherungen und Familienförderung erhalten.

Es bleibt richtig: Der beste Schutz vor Armutsrisikenist eine Beschäftigung, die den Lebensunterhalt und einemenschenwürdige Existenz sicherstellt. Heute ist die Ar-beitslosigkeit auf den tiefsten Stand seit 16 Jahren ge-sunken; im Vergleich zu 1998 hat sie sich fast halbiert.Das DIW stellt fest, dass in Fortschreibung des letztenArmuts- und Reichtumsberichtes, dessen Daten bis zumJahre 2005 reichen, in den Jahren 2006 und folgendeüber 1 Million Menschen weniger unterhalb der Armuts-risikoschwelle leben muss. Bei allen Mängeln und Defi-ziten, die es natürlich auch noch gibt und an denen wirim Zuge der Weiterentwicklung der Arbeitsmarktrefor-men zielgenau arbeiten müssen: Die Behauptung, eshätte keine Leistungsverbesserungen und keine Förde-rung der von Langzeitarbeitslosigkeit Betroffenen undihrer Familien gegeben, ist schlicht gesagt demagogi-scher Unsinn. Neben den vielen Maßnahmen der Ver-gangenheit wurden erst vor kurzem der Kinderzuschlagund das Wohngeld von der Koalition nochmals erhöht.Die Regelsätze der Grundsicherungen werden wie dieRente angepasst, das Kindergeld erhöht und eine neueeinmalige Leistung bei Bedarf, das Schulstarterpaket,eingeführt.

Es gibt verdeckte Armut in Deutschland, aber sienimmt ab, wie sie in Ihrer Begründung selbst schreiben.Sie selbst führen die Untersuchungen von Hauser undBecker zur verdeckten Armut vor und nach der Zusam-menlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe im Jahre2005 an. Danach liegen die Schätzungen für die Nicht-inanspruchnahme von Leistungsansprüchen vor 2005 beifast 50 Prozent der Berechtigten und heute – das istwirklich bemerkenswert – unter 20 Prozent.

Für die Nichtinanspruchnahme gibt es natürlich ver-schiedenste Gründe. Die Welt ist eben nicht, wie dieLinke uns mit ihrem Antrag suggerieren will, nurschwarz und weiß. Da gibt es neben der Unwissenheit,

der wir nur durch Aufklärung und Beratung entgegen-wirken können, auch den Verzicht auf oftmals geringeergänzende Leistungen – aus Scham, aber auch aus Stolzoder weil die Bürokratie und die Überprüfung von Ver-mögen oder Partnereinkommen gescheut wird. Aber esgibt natürlich auch die Fakten des illegalen Aufenthaltesund der Schattenwirtschaft, die Menschen davon abhal-ten, Rechtsansprüche durch Antragstellung und Mitwir-kung einzulösen. Das hat überhaupt nichts mit einem„Missbrauchsvorwurf“ zu tun. Manchmal geht es in derPraxis nur darum, die größere Wohnung, das Auto oderdie offizielle Bedarfsgemeinschaft mit verdienendenPartnern, Kindern oder Eltern zu erhalten. Die Betroffe-nen müssen auch in Zukunft selbstständig entscheidenkönnen, auf eine Beantragung von Leistungen zu ver-zichten. Wer Mitwirkungspflichten, Sanktionen und Ar-beitsgelegenheiten bei der Grundsicherung für Arbeit-suchende als Folter- und Abschreckungsinstrumentedarstellt, die zu einer erhöhten Nichtinanspruchnahmeführen, hat von der Gerechtigkeit, der Stabilität und derFinanzierung unseres Sozialstaates entweder nichts ver-standen oder ignoriert seine Legitimationsbasis bewusstaus demagogischen Gründen.

Das Prinzip der Nachrangigkeit der staatlichenGrundsicherungen, die Mitwirkungspflichten, die Prinzi-pien der Hilfe zur Selbsthilfe und der individuellen Be-darfsabhängigkeit stellen die notwendigen Vorausset-zungen dafür dar, dass die Beitrags- und Steuerzahler,die mit ihrem Einkommen oftmals selbst nur knapp überder Bedarfsgrenze liegen, bereit sind, unsere sozialen Si-cherungssysteme auch zu tragen. Wir sprechen ja nichtmehr von Armenhilfe, Fürsorge oder Sozialhilfeempfän-gern, die in ihrem Dasein mehr oder weniger schlechtversorgt und kaum persönlich gefördert werden. Wirsprechen zu Recht von Menschen, die einen Anspruchauf Grundsicherung, Beratung und Teilhabe auf dem Ar-beitsmarkt und in der Gesellschaft haben.

Im SGB I, in den §§ 13 und 14, ist der Anspruch allerBürgerinnen und Bürger auf Aufklärung und Beratungüber ihre Rechte und Pflichten durch die zuständigenLeistungsträger, Verbände und öffentlich-rechtlichenVereinigungen geregelt. Es wäre ein Armutszeugnis,wenn wir uns damit abfinden würden, dass diese Aufklä-rungs- und Beratungspflicht unzureichend umgesetztwird oder von einer restriktiven Ausgabenpolitik geprägtist und deshalb unabhängige Beratungsstellen flächende-ckend eingerichtet und vom Staat finanziert werdenmüssten. Nicht nur, dass diese Beratungsstellen ihre Un-abhängigkeit verlieren würden. Die öffentliche Aufklä-rung und Beratung muss durch ausreichendes und quali-fiziertes Personal, durch ein besseres Fallmanagementund persönliche Hilfen sichergestellt werden.

Was noch zu oft fehlt und was wir dringend brauchen,ist eine Kultur des Staates als „Partner der Bürger“, sindengagierte Verwaltungen und die aktive Bürgergesell-schaft, die sich vernetzen und Armuts- und Benachteili-gungslagen nicht nur verwalten und alimentieren, son-dern tatsächlich verändern wollen. Wir brauchen eineZusammenarbeit der Arbeits- und Sozialverwaltung mitden Beratungsstellen der freien Verbände und Selbsthil-fegruppen, gesellschaftliche Beiräte, Ombudsleute, die

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ihre spezifischen Beiträge zur Bekämpfung der Armutund Ausgrenzung koordinieren und über die besten An-gebote und Instrumente öffentlich streiten. Die Praxisder Jobcenter und Argen entwickelt sich längst in dieseRichtung, und das ist gut so.

Wir stellen mit dem Gesetz, das wir heute in den Bun-destag eingebracht haben, neue Arbeitsmarktinstru-mente, insbesondere für Arbeitsuchende mit besonderenVermittlungshemmnissen, und Fallpauschalen zur Verfü-gung, die helfen, auch die vorhandenen Arbeitslosenzen-tren der freien Träger und Selbsthilfegruppen zu unter-stützen.

Wir beklagen, dass die Landesregierung in Nord-rhein-Westfalen mit Billigung des Arbeits- und Sozial-ministers Laumann und des MinisterpräsidentenRüttgers sich aus der Finanzierung dieser Beratungsstel-len und subsidiären Dienstleister zurückzieht und damiteine gute Praxis der sozialen Integration, der Bewer-bungshilfen und Sprachförderung gefährdet, wenn nichtkaputt macht. Dort, wo die Argen und Kommunen mitdem Instrumentenkasten des SGB II helfen können,sinnvolle Angebote zu stützen, werden wir ihnen dabeihelfen. Eine Politik, bei der der Bundeshaushalt immermehr zum Ausfallbürgen verfehlter und falscher Landes-politik, zum Beispiel bei der Beratung und Unterstüt-zung von Arbeitslosen und in einer mangelhaften Bil-dungs- und Qualifizierungspolitik der Länder undKommunen, werden soll, ist ein Irrweg; den werden wirsicher nicht mitgehen.

Die Rechtswege müssen barrierefrei, auch in Hinsichtauf die Prozesskostenhilfe, jedem offenstehen. Wenn imAntrag der Linken beklagt wird, dass es 60 000 Verfah-ren vor den Sozialgerichten gibt, dann sind das ganze1,1 Prozent von der gesamten Fallzahl. Das ist, wennman die Widerspruchsverfahren und Klagen vor Verwal-tungs- und Sozialgerichten in der Vergangenheit sieht,keine wesentliche Steigerung. Das ist im Rechtsstaat nunmal so gewollt.

So wie das Grundsicherungsrecht individuelle An-sprüche und Leistungen garantiert, bleibt auch das Kla-gerecht individuell. Wir sehen deshalb keinen Bedarfnach einem Verbandsklagerecht, das den Verbändennützt, die Zahl der Klagen noch ausweitet, aber den Be-troffenen kaum hilft. Armutsbekämpfung stellen wir unsanders vor. Wir brauchen einen ressortübergreifendenAnsatz der sozialen Integration und Teilhabe. Das giltfür Frauen auf dem Arbeitsmarkt, die bessere Kinderbe-treuung benötigen, für Kinder, die eine qualitativ bessereBildung im Ganztagsschulbereich benötigen. Das giltauch für Migranten, die nicht nur bessere Sprachkennt-nisse, sondern auch die beidseitige Bereitschaft zur In-tegration brauchen. Für Langzeitarbeitslose ist die Job-perspektive wichtig, für Ältere, Pflegebedürftige undBehinderte das Persönliche Budget und die Bereitschaft,Inklusion und Barrierefreiheit konsequent umzusetzen.

Den sozialen Zusammenhang und die Hilfsbereit-schaft der Zivilgesellschaft können wir fördern, abernicht gesetzlich verordnen. Aus all diesen Gründen – vorallem, weil es bessere, sachgerechtere und erfolgreichereKonzepte der Armutsbekämpfung gibt – werden wir der

Ausschussempfehlung zustimmen und den Antrag derLinken ablehnen.

Heinz-Peter Haustein (FDP): Der Antrag, den wirhier in zweiter Lesung beraten, trägt den Titel „Ver-deckte Armut bekämpfen …“ Darin kritisiert Die Linkedas hohe Maß an verdeckter Armut. Die Rede ist von5 Millionen Bedarfsgemeinschaften, die eine Berechti-gung haben, Leistungen zu beziehen, und von lediglich4,1 Millionen Bedarfsgemeinschaften, die tatsächlichLeistungen erhalten. Man rechnet demnach richtiger-weise, es gebe 900 000 Bedarfsgemeinschaften, die ei-nen Anspruch auf staatliche Leistungen haben, aberkeine Leistungen beziehen. Mit dem Rechenergebnis istaber auch schon alles, was an dem Antrag richtig ist, er-schöpfend genannt.

Die Linke schlägt Maßnahmen vor, die die 900 000 Be-darfsgemeinschaften dazu bringen sollen, staatlicheLeistungen zu erhalten. Aber: Dadurch, dass Menschenin größerem Umfang staatlich alimentiert werden, istnoch nicht die Ursache von Armut bekämpft. Damit be-kämpfen Sie die Verdeckung der Armut, nicht aber die„verdeckte Armut“! Der Titel führt also in die Irre.

Die FDP hat das Fortentwicklungsgesetz aus gutenGründen abgelehnt. Aber wenn Die Linke in ihrer An-tragsbegründung implizit unterstellt, die derzeitigeRechtslage hätte die Funktion, Leistungsberechtigte vonder Beantragung staatlicher Leistungen abzuschrecken,muss dem deutlich widersprochen werden. So wird derKlassenkampf beschworen. Eine Hilfe für die Menschenist das nicht. Im Antrag heißt es, das Fortentwicklungs-gesetz habe „offensichtlich die Funktion, Leistungsbe-rechtigte abzuschrecken“. Die Linke zitiert aus derBegründung des Fortentwicklungsgesetzes: „Die früh-zeitige Unterbreitung von Eingliederungsangeboten istein geeignetes Mittel, um … die Bereitschaft des Hilfesu-chenden zur Arbeitsaufnahme zu überprüfen.“ Im Inte-resse aller Menschen, die redlich ihrer Arbeit nachgehenund mit Steuern und Beiträgen staatliche Sozialleistun-gen erst ermöglichen, muss es verantwortungsvolle Pra-xis sein, die Bereitschaft zur Arbeitsaufnahme auch ein-zufordern, wo Angebote dazu vorliegen.

Der Antrag übersieht, dass die Möglichkeit der Ge-währung von Prozesskostenhilfe besteht, dass es ein gu-tes Netz unabhängiger Beratungsstellen der Wohlfahrts-verbände gibt und dass die über 100 000 Klagen vorSozialgerichten in Deutschland nicht unbedingt dafürsprechen, dass die Menschen ihre Rechte nicht kennen.Es ist eine Selbstverständlichkeit, zu betonen, dass esnicht sein darf, dass sich Armut negativ auf die Möglich-keiten der Menschen auswirkt, den Rechtsweg zu be-schreiten. Rechtsprechung nach dem Geldbeutel ist nichtnur rechtsstaatlich bedenklich. Sie wird es mit derRechtsstaatspartei FDP auch nicht geben.

Die Linken zitieren eine Studie, die als einen Faktorfür die Nichtinanspruchnahme von Leistungen man-gelnde Kenntnisse der Rechtslage angibt. Daraus leitenSie die Notwendigkeit ab, eine vom Träger der Leistun-gen unabhängige Rechtsberatung einzurichten. Sie ver-mitteln damit den falschen Eindruck, die Mitarbeiter der

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Argen würden die Anspruchsberechtigten nicht ausrei-chend oder sogar falsch beraten. Auch das kann man sonicht stehen lassen. Vielmehr ist eine völlige Unkenntnisüber die Berechtigung zu einer Leistung die Ursache derNichtinanspruchnahme, nicht eine falsche Beratung. Soheißt es auch in der von Ihnen zitierten Studie von IreneBecker: „… möglicherweise ist die Differenz auf Teil-zeit- oder geringfügig Beschäftigte zurückzuführen, dieihren … Anspruch auf ergänzende Leistungen nach demSGB II nicht kennen.“ (Irene Becker: Armut in Deutsch-land. Bevölkerungsgruppen unterhalb der ALG-II-Grenze, Seite 38) Das heißt, die Menschen wissenschlicht nichts von ihrem Anspruch. Daraus abzuleiten,sie seien falsch oder unzureichend beraten worden, istnicht hinnehmbar. Vieles in den Argen funktioniertnicht, läuft schlecht. Die FDP will die Struktur ja mit gu-tem Grund ändern. Aber die Mitarbeiter der Argen, dienach ihren Möglichkeiten handeln und beraten, mussman gegen den Vorwurf der Linken in Schutz nehmen.Andersherum wird „ein Schuh daraus“: Eigeninitiativeder Betroffenen ist durch nichts zu ersetzen. Den Gangzu einer Arge zur Anspruchsprüfung kann den Betroffe-nen keiner abnehmen, auch nicht unabhängige Rechtsbe-rater.

Das Schreckgespenst, das in dem Antrag beschriebenwird, gibt es nicht. Weder beraten die Mitarbeiter der Ar-gen falsch und machen eine unabhängige Beratung not-wendig, noch ist die Intention des Gesetzes die Abschre-ckung von der Beantragung von Leistungen.

Zur Deckung der Kosten, die durch die neue „unab-hängige Rechtsberatung“ entstehen, sagt der Antragstel-ler auch gar nichts.

Lassen Sie uns auf das zu sprechen kommen, was derAntrag verspricht, jedoch nicht hält: Es muss um die Be-kämpfung der verdeckten Armut gehen, nicht nur um de-ren Offenlegung. Denn: Dass es verdeckte Armut gibt,bestreitet ja niemand ernsthaft. Dazu brauchen wir keineStudie, wie Sie es fordern. Es gibt Menschen in diesemLand, die vollzeitbeschäftigt sind und dennoch so wenigverdienen, dass sie leistungsberechtigt sind. Ich habeschon oft an dieser Stelle berichtet, dass in meinemWahlkreis der Anteil der vollbeschäftigten ALG-II-Empfänger mit über 25 Prozent so groß ist wie sonst nir-gends in Deutschland. Schon bei diesen offiziellen Zah-len brauche ich weder eine Studie noch eine Offenle-gung, um das Problem zu erkennen. Das Problem liegtlängst offen vor uns. Nur die notwendige Konsequenzaus dieser Erkenntnis bleibt der Antrag schuldig. Damitbefindet sich die Linke in seltener Eintracht mit der Bun-desregierung.

Bei uns stimmt das gesamte Gleichgewicht nichtmehr. Dem Lohnabstandsgebot muss wieder zum Durch-bruch verholfen werden. Es darf nicht sein, dass jemand,der arbeitet und sich redlich bemüht, seine Familie zu er-nähren, am Ende weniger übrig behält als jemand, der zuHause ist und sich auf die Solidargemeinschaft verlässt.

Wir brauchen eine konsequente Entlastung. Den Men-schen muss von dem Erarbeiteten mehr übrig bleiben.Wir brauchen eine konsequent mittelstandsorientiertePolitik. Unser Bürgergeldkonzept wäre daher genauso

dringend umzusetzen wie die notwendigen Flexibilisie-rungen im Tarif- und Arbeitsrecht.

Geben wir den Menschen den Freiraum zurück, ei-genverantwortlich für ihr Leben zu sorgen! Dann tun wirdas Beste zur Bekämpfung der Armut.

Katja Kipping (DIE LINKE): In Deutschland lebenmehr Menschen in Armut als gemeinhin angenommenund zugegeben. Das erlebe ich natürlich zum einen im-mer wieder im Rahmen meiner täglichen Arbeit, aberauch Sozialverbände, wie beispielsweise die Caritas, be-richten von einer großen Anzahl an verdeckt armen Per-sonen und nennen dort besonders Familien mit Kindernund Alleinerziehende. In der Antwort auf unsere KleineAnfrage zum Ausmaß der verdeckten Armut im Rechts-bereich des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch, Druck-sache 16/3551, gibt die Bundesregierung zu, dass sie diein der Studie von Irene Becker, die 2006 eine umfas-sende Untersuchung zu diesem Thema durchgeführt hat,getroffenen Aussagen für grundsätzlich zutreffend hält.Ich rufe Ihnen gern noch einmal die wesentlichen Ergeb-nisse der Forschungen von Irene Becker ins Gedächtnis:Statt der circa 10 Millionen potenziell Berechtigten aufLeistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch(SGB II) bezogen im Juli 2005 nur circa 6,8 Millionenund im Mai 2006 circa 7,4 Millionen Berechtigte die ih-nen zustehenden Leistungen. Bei den Bedarfsgemein-schaften (BG) bezogen statt circa 5 Millionen anspruchs-berechtigter Bedarfsgemeinschaften im Juli 2005 nurcirca 3,8 Millionen Bedarfsgemeinschaften und im Mai2006 nur circa 4,1 Millionen Bedarfsgemeinschaften dieihnen zustehenden Leistungen nach dem SGB II.

Demnach nahmen im Untersuchungszeitraum meh-rere Millionen Bedürftige ihren Rechtsanspruch aufstaatliche Unterstützung nicht wahr. Es handelt sich da-bei häufig um Personen, die zwar laut Gesetz einen An-spruch auf Sozialleistungen hätten, aber keinen Antragauf deren Erhalt gestellt haben. Die Gründe für dieseNichtinanspruchnahme können dabei recht verschiedensein. Häufig besteht Angst vor Stigmatisierung, Diskri-minierung oder Repressionen, wie Arbeitszwang oderVerfolgungsbetreuung. Viele dieser Personen geben an,dass sie schlechte Erfahrungen mit Ämtern und Behör-den gemacht hätten und diese nun meiden. Teilweise be-steht auch schlichte Unkenntnis über Ansprüche. IreneBecker hat sich zudem auch bestimmte Personengruppenganz genau angeschaut und festgestellt: „Das Problemder verdeckten Armut betrifft insbesondere Erwerbstä-tige; die Zahl der Bedürftigen (etwa 2,8 Millionen) be-läuft sich hier auf etwa das Dreifache der Zahl der soge-nannten Aufstocker (0,9 Millionen).“ (Becker, Irene(2006): Armut in Deutschland: Bevölkerungsgruppenunterhalb der ALG-II-Grenze, Seite 36 ff.)

Somit lassen mehrere Millionen Erwerbstätige ihrengeringen Verdienst nicht auf den ihnen eigentlich zuste-henden Geldbetrag „aufstocken“. Der Bezug einesArbeitseinkommens schützt demnach nicht vor Bedürf-tigkeit. An diesen Zahlen lässt sich übrigens auch erken-nen, dass sich die von interessierter Seite immer gernpropagierte These über negative Arbeitsanreize der

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staatlichen Grundsicherungszahlungen nicht aufrecht-erhalten lässt.

Auch die Gruppe der Alleinerziehenden hat sich IreneBecker genauer angeschaut und kommt zum Ergebnis:„Bei Alleinerziehenden ergibt sich dagegen eine gegen-über denjenigen mit faktischem ALG-II-Bezug etwadoppelt so hohe Zahl der bedürftigen Bedarfsgemein-schaften“ (Becker, Irene (2006): a. a. O.)

Nun kann man darauf verweisen, dass die Studie etli-che Änderungen im Bereich der Sozialgesetzgebung,wie beispielsweise die Einführung der Grundsicherungfür Ältere und Erwerbsgeminderte, nicht berücksichtigt.Allerdings gibt es sowohl nach Kenntnis der Bundes-regierung als auch nach meinem Wissen keine aktuelle-ren Untersuchungen zu verdeckter Armut. Im Gegenteil:Die Bundesregierung hat die Erkenntnisse aus derBecker-Studie im 3. Nationalen Armuts- und Reichtums-bericht nicht aufgegriffen. Warum wohl? Soll verdeckteArmut etwa verdrängt werden, frei nach dem Motto„Was ich nicht kenne, das gibt es auch nicht“?

Ich fordere im Namen meiner Fraktion die Bundes-regierung auf, eine Nachfolgestudie in Auftrag zu geben,um das tatsächliche Ausmaß der Nichtinanspruchnahmevon Leistungsansprüchen zum heutigen Zeitpunkt aufzu-decken und in der Folge entsprechende passgenaue Maß-nahmen zu deren Bekämpfung sowie zu einer Entstig-matisierung des Bezuges von sozialen Leistungen in dieWege leiten zu können. Dazu möchten wir aber schonheute ganz konkrete Vorschläge unterbreiten. Zum einenmüssen alle zuständigen Leistungsstellen zu einer sach-gerechten Aufklärung über die Rechtslage der Unterstüt-zung suchenden Personen sowie zu einer Unterlassungsämtlicher Maßnahmen, die zur Abschreckung von Leis-tungsberechtigten führen, verpflichtet werden. Wir for-dern darüber hinaus einen Rechtsanspruch für jeden undjede auf ergänzende Beratung, persönliche Hilfe und Un-terstützung bei einer unabhängigen geeigneten Stelle.Das können zum Beispiel Einrichtungen der freienWohlfahrtspflege oder auch Beratungsstellen von be-rufsständischen Vereinigungen und Verbänden auf demGebiet des Sozialrechts sein. In diesem Zusammenhangfordern wir die Bundesregierung ebenfalls auf, den Auf-bau und Erhalt der notwendigen Infrastruktur für unab-hängige Beratung und Unterstützung organisatorischund finanziell zu unterstützen und die Organisationenbzw. Vereinigungen von Betroffenen entsprechend anzu-erkennen. Des Weiteren fordern wir einen strikten Ver-zicht auf alle Maßnahmen, welche die Gewährleistungund faktische Einklagbarkeit von sozialen Rechten wei-ter einschränken. Ich nenne dazu nur die Bundesratsini-tiative zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes, die dieEinführung von Gebühren vorsieht, um Leute von einemGang zum Gericht abzuhalten.

Und nicht zu vergessen unsere wichtigste Forderungund Erkenntnis: Grundsätzlich ist zur Vermeidung vonverdeckter Armut die Einführung einer sozialen und re-pressionsfreien Grundsicherung die beste Maßnahme.Zudem schiebt sie Stigmatisierungen und Diskriminie-rungen einen wirksamen Riegel vor.

Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): DerAntrag der Linken greift ein wenig bekanntes, aber den-noch zentrales Phänomen der unzureichenden Organisa-tion unseres Sozialstaates auf: die verdeckte Armut. AusUnwissenheit oder aus Angst vor Stigmatisierung undvor aufwendigen wie unangenehmen behördlichen Ver-fahren nehmen zu viele Menschen, leider auch Familienmit Kindern, nicht ihre Ansprüche auf Sozialleistungenwahr. Ausweislich der Studie der Armutsforscherin IreneBecker „Armut in Deutschland“ vom Februar 2007 über-steigt die Zahl der bedürftigen Bedarfsgemeinschaftendie Zahl der Bedarfsgemeinschaften mit tatsächlichemLeistungsbezug erheblich – im Jahr 2005 waren dies1,2 Millionen, im Jahr 2006 rund 0,9 Millionen Haus-halte. Das ist entschieden zu viel und Ausdruck einer un-zureichenden Organisation bzw. Ausführung der sozia-len Leistungen in diesem Lande.

Mehr als bedenklich sollte auch die nicht abebbendeKlageflut im Rechtskreis des SGB II stimmen. Wenn inmanchen Bundesländern 60 Prozent der Widersprücheund bis zu 50 Prozent der sich anschließenden Klagenerfolgreich sind, dann besteht dringender Handlungsbe-darf. Der Bundesregierung und den für das Justizwesenzuständigen Bundesländern fällt jedoch nichts weiterein, als Rechte der Betroffenen vor den Behörden undden Gerichten zu schwächen. Das ist offenkundig derfalsche Weg. Wesentlich effektiver ist es, erst gar keineGründe für Widerspruchs- und Gerichtsverfahren entste-hen zu lassen. Deshalb müssen die Qualität der Arbeit inden Job-Centern verbessert und die Rechte der Betroffe-nen gestärkt werden. Die Vorschläge der Bundesländer,die hohe Hürden für einkommensschwache Rechtsu-chende durch die Einführung von Sozialgerichtsgebüh-ren und eine Einschränkung der Beratungs- und Prozess-kostenhilfe vorsehen, würden nicht nur in unakzeptablerWeise den Rechtsschutz der Betroffenen einschränken.Sie vermindern auch den Druck auf die Sozialleistungs-träger, rechtsförmig zu bescheiden.

Gleiches gilt für die aktuellen Planungen der Koali-tionsfraktionen und der Bundesregierung im Rahmen derReform der Arbeitsmarktinstrumente. Die Instrumen-tenreform sieht vor, dass Rechtsmittel von ALG-II-Be-rechtigten gegen Entscheidungen der Grundsicherungs-träger des SGB II keine aufschiebende Wirkung mehrhaben. Das galt bereits vorher für alle Leistungs- undÜberleitungsbescheide der Grundsicherungsträger undsoll nunmehr auch für alle Bescheide gelten, mit denenLeistungen zurückgenommen, widerrufen, herabge-setzt, Pflichten aufgegeben und zur Beantragung einervorrangigen Leistung oder persönlichen Meldung aufge-fordert wird. Mit diesen Plänen zur Einschränkung vonRechtsstaatlichkeit machen SPD und Union in Bund undLand Sozialleistungsbeziehende zu Bürgern zweiterKlasse. Für ALG-II-Berechtigte werden damit die Wir-kung von Rechtsmitteln und die allen Bürgern der Bun-desrepublik Deutschland zustehenden Bürgerrechte mas-siv eingeschränkt. Das Gebot der Stunde ist jedoch – wieBündnis 90/Die Grünen es fordern –, die aufschiebendeWirkung von Widersprüchen und weitere Verfahrens-rechte auszuweiten.

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Keine der von CDU und SPD in Bund und Ländernfavorisierten Maßnahmen zur Eindämmung von Sozial-gerichtsverfahren ist geeignet, eine verbesserte Qualitätder Entscheidungen und der Beratungen in den Jobcen-tern zu gewährleisten und damit verdeckte Armut zu re-duzieren. Wir Grüne fordern organisatorische Innovatio-nen in den Jobcentern durch Mitarbeiterschulung,Planungssicherheit durch unbefristete Beschäftigungs-verhältnisse und effiziente dezentrale Organisations-strukturen. Dagegen sind die Vorschläge von Bundesar-beitsminister Scholz zur Reorganisation der Trägerschaftder Jobcenter, bei denen nur das Etikett „Zentren für Ar-beit und Grundsicherung (ZAG)“ neu ist, nicht geeignet,die organisierte Unverantwortlichkeit und das konflikt-reiche Nebeneinander von Kommunen und Bundesagen-tur für Arbeit in den Argen zu beseitigen.

Auch die Forderungen der Linken zur Bekämpfungvon verdeckter Armut sind nur begrenzt tauglich. DerVorschlag, ein Verbandsklagerecht einzuführen, ergibtkeinen Sinn, da es beim Arbeitslosengeld II um dieWahrnehmung subjektiver Ansprüche geht. Sinn undZweck eines Verbandsklagerechtes ist es, Dritten durchVerbände ein Klagerecht einzuräumen, wenn sie selbstkein subjektives Recht in Anspruch nehmen können, sozum Beispiel im Umweltrecht. Dies ist im Falle desSGB II erkennbar nicht der Fall. Die Leistungsansprüchesind subjektiv herleitbar und individuell klagefähig, so-dass es einer Verbandsklage nicht bedarf.

Die Linke spricht zu Recht die unzulängliche Bera-tung von Sozialleistungsbeziehenden in den Behördenan. Doch liegt dies nicht an unzureichenden Gesetzes-vorgaben, sondern an der mangelnden Umsetzung desbestehenden Rechts. Deshalb sind Bund und Länder inder Pflicht, via Rechtsaufsicht ein korrektes Verwal-tungshandeln, insbesondere die Einhaltung der Bera-tungspflicht durchzusetzen und gleichzeitig die Rechts-schutzmöglichkeiten der Betroffenen auszubauen. Auchdie zentralstaatlichen Lösungen der Fraktion Die Linke,die eine Finanzierung des Bundes für Beratungseinrich-tungen vorsehen, sind der falsche Weg. Denn dies würdeempfindlich die Unabhängigkeit der Beratungseinrich-tungen treffen. Grundsätzlich ist für uns Grüne eine un-abhängige Beratung der richtige Weg. Unabhängige Be-ratungsstellen können zeitaufwendige Beratungen besserdurchführen als eine Behörde, und als Gegengewicht zurVerwaltung dienen. Bündnis 90/Die Grünen setzen aufSubsidiarität, auf die bereits bestehende unabhängigeBeratungsstruktur und die Kompetenz vor Ort. Kommu-nen verstehen es besser, zu organisieren und festzustel-len, welcher Beratungsbedarf besteht. Es ist Aufgabe derKommunalpolitik, in den Arbeitsgemeinschaften daraufhinzuwirken, dass eine Infrastruktur an Initiativen undBeratungsstellen zur Verfügung steht und die entspre-chenden Mittel eingesetzt werden. Wir fordern in diesemZusammenhang ausdrücklich die Finanzierungsverant-wortung der Länder und Kommunen für unabhängigeBeratungsstellen ein und kritisieren den Rückzug derLänder aus der Finanzierung. Ein besonders schlechtesBeispiel ist die CDU/FDP-Landesregierung in Nord-rhein-Westfalen, die Ende September 2008 vollständigdie Landesförderung der Arbeitslosenzentren abschaffte.

Eines muss jedoch klar sein: Auch eine gut ausge-baute und unabhängige Beratungsinfrastruktur kann imKampf gegen verdeckte Armut wenig ausrichten, wenndie Betroffenen in ihren Rechten und Rechtsschutzmög-lichkeiten eingeschränkt werden. Bündnis 90/Die Grü-nen wollen die Rechte der Betroffenen im Verfahrenstärken sowie die Qualität behördlicher Entscheidungenund der Eingliederungsleistungen verbessern. Wir wol-len Wunsch- und Wahlrechte bei den Leistungen zurEingliederung einführen, damit die Instrumente indivi-duell und passgenau genutzt werden können, statt dieBetroffenen in sinnlosen Qualifizierungs- und Beschäfti-gungsmaßnahmen kreisen zu lassen. In unserem Antrag„Rechte von Arbeitssuchenden stärken – KompetentesFallmanagement sicherstellen“ – Drucksache 16/9599 –haben wir ausführlich dargelegt, wie wir uns dies imEinzelnen für die Arbeitslosengeld-II-Beziehenden vor-stellen.

Die Linke fordert in ihrem Antrag, mit ungeeignetenMitteln die Beratungsinfrastruktur, nicht jedoch die Ver-fahrensrechte der Betroffenen zu stärken. Wir stimmendeshalb dem Antrag nicht zu.

Anlage 13

Zu Protokoll gegebene Reden

zur Beratung:

– Entwurf eines Gesetzes zur arbeitsmarkt-adäquaten Steuerung der ZuwanderungHochqualifizierter und zur Änderung weite-rer aufenthaltsrechtlicher Regelung (Ar-beitsmigrationssteuerungsgesetz)

– Entwurf eines Gesetzes zur Änderung desGesetzes zur Steuerung und Begrenzung derZuwanderung und zur Regelung des Aufent-halts und der Integration von Unionsbür-gern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz)

– Beschlussempfehlung und des Bericht: Zu-wanderung durch ein Punktesystem steuern –Fachkräftemangel wirksam bekämpfen

(Tagesordnungspunkt 27 a und b)

Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Das Ar-beitsmigrationssteuerungsgesetz setzt einen Teil derMaßnahmen um, die die Bundesregierung am 16. Juli2008 im „Aktionsprogramm – Beitrag der Arbeitsmigra-tion zur Sicherung der Fachkräftebasis in Deutschland“beschlossen hat. Es geht im Wesentlichen um Änderun-gen des Aufenthaltsgesetzes. Die Bundesregierung willmit diesem Gesetzentwurf einen Teil dazu beitragen, denFachkräftebedarf in der deutschen Wirtschaft besser ab-zudecken. Vor diesem Hintergrund hat sie vorgeschla-gen, den Blick auch auf solche Ausländer zu richten, diesich mit dem Status der Duldung im Inland aufhalten,ein gewisses Qualifikationsniveau besitzen und bereitsnachweislich gut in den Arbeitsmarkt integriert sind.Solche Personen sollen, wenn sie bestimmte Vorausset-zungen erfüllen, eine Aufenthaltsperspektive in Deutsch-

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land erhalten können. Um es gleich vorweg ganz klar zusagen: Dieser Schritt ist ausländerrechtlich betrachtet al-les andere als eine Selbstverständlichkeit. Wir müssenuns bewusst sein, dass es sich bei diesem Personenkreisum Ausländer handelt, die an sich ausreisepflichtig sindund die lediglich aus bestimmten rechtlichen oder tat-sächlichen Gründen, die sie teilweise nicht selbst zu ver-treten haben, nicht abgeschoben werden. Wir als CDU/CSU-Fraktion möchten dies an dieser Stelle ganz klarfesthalten.

Die Tatsache, dass einige dieser Personen unter be-stimmten Voraussetzungen nun eine Aufenthaltserlaub-nis erhalten sollen, ist eine Neuerung und als wirklicheAusnahmeregelung zu verstehen. Es handelt sich dabeinicht um eine Bleiberechtsregelung aufgrund humanitä-rer Erwägungen, sondern um eine Regelung im Interessesolcher Unternehmen, die seit längerer Zeit eine qualifi-zierte und bewährte ausländische Fachkraft mit Dul-dungsstatus beschäftigen und auf diese Fachkraft ange-wiesen sind. Diese Unternehmen – die gibt es inMünchen, Hamburg, Düsseldorf, aber auch in Altöttingund Burghausen – sollen eine bessere Planungssicherheiterhalten, indem den betroffenen Arbeitnehmern eineAufenthaltsperspektive gegeben wird – nicht mehr undnicht weniger. Damit tragen wir der Tatsache Rechnung,dass es zumindest in Teilen der deutschen Wirtschaft ei-nen Bedarf an Fachkräften gibt, der nicht immer zeitnahmit deutschen Arbeitnehmern oder EU-Bürgern gedecktwerden kann. Hintergrund ist die positive wirtschaftlicheEntwicklung, die wir in Deutschland zumindest in denletzten Jahren hatten.

Allerdings müssen wir die Konjunkturentwicklungder letzten Wochen und Monate selbstverständlich zurKenntnis nehmen. Möglicherweise wird die Debatteüber den Fachkräftemangel in wenigen Monaten vordiesem Hintergrund ganz anders als noch vor kurzemgeführt werden. Wenn mit diesem Gesetz trotzdem be-stimmten Ausländern mit Duldungsstatus eine Aufent-haltsperspektive eröffnet wird, dann muss man festhal-ten: Wir stellen durch entsprechende Definition desPersonenkreises sicher, dass daraus keine Zuwanderungin die Sozialsysteme wird. Es geht nur um Fachkräfte,also qualifizierte Arbeitnehmer mit Duldungsstatus, diebereits über einen längeren Zeitraum ununterbrochen imInland beschäftigt waren. Diese Personen wurden somitbereits über mehrere Jahre in ihrem Unternehmen ge-braucht und werden auch weiterhin gebraucht. Das Inte-resse des Unternehmens, solche Leute weiterzubeschäf-tigen, ist verständlich. Nur deshalb ist es verantwortbar,diesen an sich ausreisepflichtigen Personen einen gefes-tigteren Aufenthalt im Inland zu ermöglichen.

Wir haben uns in der Großen Koalition im parlamen-tarischen Verfahren verständigt, bei den Fachkräften mitqualifizierter Berufsausbildung die notwendige Dauerder ununterbrochenen Vorbeschäftigung noch einmalvon zwei auf drei Jahre anzuheben. Wir wollen damitnoch besser sicherstellen, dass Missbrauchspotenzialenund Pull-Effekten ein Riegel vorgeschoben wird. Dies istfür uns als CDU/CSU eine entscheidende Vorausset-zung, die erfüllt werden muss, damit die Gewährung ei-ner Aufenthaltserlaubnis an einen Geduldeten überhaupt

verantwortbar ist. Aus Sicht der Innenpolitiker derUnion ist das ein Schritt, den wir uns nicht leicht ge-macht haben. Wir glauben aber, dass mit der Beschäfti-gungsdauer von drei Jahren, zu der noch das erste Jahrhinzukommt, das verstreichen muss, bis ein Ausländermit Duldungsstatus überhaupt einen Zugang zum Ar-beitsmarkt erhält, somit also mit einer Voraufenthaltszeitvon vier Jahren, im Wesentlichen nur solche Personenerfasst sind, bei denen eine Rückkehr in ihr Herkunfts-land faktisch in den meisten Fällen ohnehin sehr un-wahrscheinlich ist.

Wir gehen selbstverständlich davon aus, dass dieAusländerbehörden und die Arbeitsagenturen die gesetz-lichen Voraussetzungen, unter denen die Erteilung einerAufenthaltserlaubnis an einen Geduldeten in Betrachtkommt, sehr genau im Blick haben. Die Verwaltung wirdvor allem prüfen müssen, ob der betroffene Arbeitneh-mer in dem Betrieb, in dem er tätig ist, tatsächlich eineseinem Abschluss angemessene, qualifizierte Beschäfti-gung ausübt. Wir gehen davon aus, dass die Verwaltunghier insbesondere auch konsequent überprüft, ob dieEntlohnung des Arbeitsnehmers derjenigen einer qualifi-zierten Fachkraft entspricht, und zwar während der ge-samten vorausgesetzten Vorbeschäftigungszeiten. Wirdenken, dass wir gerade mit der Erhöhung der notwendi-gen Vorbeschäftigungsdauer bei den Fachkräften mitqualifizierter Berufsausübung von zwei auf drei Jahrenoch stärker betonen, dass wirklich nur qualifizierteFachkräfte von der Regelung erfasst werden.

Wir stellen außerdem konsequent sicher, dass vondiesen Regelungen keine Fehlanreize für einen Zuzug indie sozialen Sicherungssysteme ausgehen. Aus diesemGrund verlangen wir mit unserem Änderungsantrag,dass eine Fachkraft mit qualifizierter Berufsausbildungund Duldungsstatus zusätzlich zu der ununterbrochenenBeschäftigungsdauer von drei Jahren innerhalb des letz-ten Jahres zumindest weitgehend – das heißt nach demÄnderungsantrag: abgesehen von Zuschüssen für Unter-kunft und Heizung – nicht auf ergänzende Sozialleistun-gen angewiesen war.

Abschließend halte ich zum Themenbereich der Ge-duldeten fest: Unter Abwägung des Für und Wider undinsbesondere vor dem Hintergrund, dass nur solche Ge-duldeten erfasst werden, die als Fachkräfte seit mehrerenJahren in ihren Betrieben gebraucht werden, ist es ver-tretbar, unter den hier eng definierten Voraussetzungeneine Aufenthaltsperspektive zu eröffnen.

Ich betone es noch einmal: Uns als Union geht es beidieser Regelung darum, den Unternehmen in Deutsch-land in Fällen eines konkreten Bedarfs an Fachkräften zuhelfen. Es geht nicht um eine Aufenthaltsregelung miteinem wie auch immer gearteten humanitären Hinter-grund. Daran sollte niemand – auch nicht bei den Kolle-gen von der SPD – zweifeln.

Ein weiterer Schritt, zu dem wir uns in diesem Gesetzentschlossen haben, ist die Absenkung der Mindestver-dienstschwelle für die Erteilung einer Niederlassungser-laubnis an einen hoch qualifizierten Ausländer. Ich er-laube mir an dieser Stelle – wie schon bei der erstenLesung dieses Gesetzentwurfs – wieder den Hinweis,

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dass ich die Heftigkeit der öffentlichen Diskussion überdie Verdienstschwelle für überzogen halte. Ich glaubenicht, dass diese Verdienstschwelle von bislang86 400 Euro bislang eine unüberwindbare Hürde für dieGewinnung von hoch qualifizierten Kräften aus demAusland war. Denn es gab und es gibt auch unterhalbdieser Schwelle eine Reihe von Möglichkeiten, eine of-fene Stelle auch mit einer Fachkraft aus dem Ausland zubesetzen. Gleichwohl mag eine Absenkung dieserSchwelle auf derzeit 63 600 Euro vertretbar sein. Ich binaber davon überzeugt: Wichtiger als diese oder jene Ge-haltsschwelle ist die Frage, was deutsche Unternehmenfür wirkliche Spitzenkräfte zu bezahlen bereit sind.Wenn ein Unternehmen einen Arbeitsplatz, für den ganzspezielle Kenntnisse notwendig sind, mit einem Bewer-ber aus dem Inland nicht besetzen kann und deshalb ei-nen Spezialisten aus dem Ausland benötigt, dann solltees diesen auch anständig bezahlen. Es sind nicht zuletztdie Verdienstmöglichkeiten, die viele Hochqualifiziertein den letzten Jahren motiviert haben, vielleicht eher indie USA oder auch in eines unserer Nachbarländer als zueinem Unternehmen nach Deutschland zu gehen. Des-halb denke ich: Nur wer einer Spitzenkraft auch attrak-tive Arbeitsbedingungen und eine angemessene Entloh-nung anbietet, wird im globalisierten Wettstreit um diesogenannten High Potentials eine Chance haben. DerGesetzgeber kann in dieser Frage nur begrenzt Einflussnehmen. Deshalb greifen die weitgehend eindimensio-nale Ausrichtung der Diskussion auf die Verdienstschwelleoder der Ruf mancher Unternehmen nach pauschalen,möglichst starken Lockerungen des Arbeitsmarktzu-gangs für Ausländer zu kurz.

Aus Sicht der Union müssen oberste Priorität – in je-der konjunkturellen Entwicklung – die gute Ausbildungund Qualifizierung der Menschen im Inland haben. Dasbleibt auch mit diesem Gesetz so. Wir müssen das Fach-kräftepotenzial im Inland erschließen, bevor wir nachZuwanderung rufen. Ich bin davon überzeugt, dass weiteTeile des inländischen Fachkräftebedarfs durch das Ar-beitskräftepotenzial im Inland gedeckt werden können.

Wer dagegen bei guten Auftragslagen nur nach aus-ländischen Arbeitskräften ruft, muss die Frage beant-worten, was mit diesen Menschen geschehen soll, wenneinmal die Auftragsbücher nicht so voll sind. DieseFrage haben wir als CDU/CSU-Fraktion an allerersterStelle im Blick. Deshalb gilt für uns: Qualifizierung gehtvor Zuwanderung. Der Gesetzgeber darf bei der Fragedes Fachkräftebedarfs nicht nur kurzfristig denken, son-dern muss die gesamtwirtschaftlichen mittel- und lang-fristigen Auswirkungen eines Zuzugs ausländischerArbeitskräfte im Blick haben. Die konjunkturelle Ent-wicklung hat sich in den letzten Monaten sehr deutlicheingetrübt. Dehalb gilt bei allen Schritten, die auf einenZugang zum Arbeitsmarkt aus dem Ausland gerichtetsind: Es darf daraus kein Zuzug in die sozialen Siche-rungssysteme werden. Aus diesem Grunde haben wir ge-rade auch den vorliegenden Gesetzentwurf im Bereichder Geduldeten noch einmal so nachjustiert, wie ich esbeschrieben habe.

Ich lege weiter Wert darauf, dass wir auch im Bereichder Erteilung der Niederlassungserlaubnis Sorge dafür

tragen, dass Missbrauch bekämpft wird. Durch die Er-gänzung des § 55 Aufenthaltsgesetz wird ein zusätzli-cher Ausweisungstatbestand eingeführt, der mit der Ab-senkung des Mindestverdienstes für die Erteilung einerNiederlassungserlaubnis an Hochqualifizierte zusam-menhängt. Denn diese Absenkung birgt natürlich auchein Missbrauchspotenzial. Wenn ein Ausländer seinenArbeitgeber bei Abschluss des Arbeitsvertrages überseine Qualifikation oder seine Berufserfahrung täuschtund dieser Arbeitsvertrag die Grundlage dafür ist, dasser ein Einreisevisum oder eine Niederlassungserlaubniserhält, dann muss die Ausländerbehörde darauf zumin-dest reagieren können. Deshalb erhält die Ausländerbe-hörde die Möglichkeit, im Wege einer Ermessensent-scheidung darüber zu befinden, ob der Aufenthalt zubeenden ist. Durch die Gestaltung als Ermessensauswei-sungstatbestand können auch etwaige Interessen des Ar-beitgebers berücksichtigt werden. Denn es ist – wennauch meines Erachtens nicht unbedingt wahrscheinlich –jedenfalls nicht ganz undenkbar, dass der Arbeitgebertrotz einer solchen Täuschung so überzeugt von seinemArbeitnehmer ist, dass er bereit ist, diesem auch weiter-hin ein Gehalt in Höhe der Beitragsbemessungsgrenzeder gesetzlichen Rentenversicherung zu bezahlen.

Zu dem Antrag der FDP-Fraktion, die Zuwanderungdurch ein Punktesystem zu regeln, haben der KollegeReinhard Grindel und ich schon am 29. Mai bei der ers-ten Beratung dieses Antrags das Nötige gesagt. Sie ken-nen deshalb die Position der CDU/CSU-Fraktion. DasKernargument der FDP ist, dass man mit einem Punkte-system gewissermaßen punktgenau eine Zuwanderungermöglichen könnte, die den Bedürfnissen des Arbeits-marktes gerecht wird. Das halte ich für einen Irrglauben.Aus Sicht der Union muss es dabei bleiben: Eine Zuwan-derung auf den Arbeitsmarkt kommt nur in Betracht,wenn im konkreten Fall ein Arbeitsplatzangebot vor-liegt. Jedes andere – wie auch immer im Detail gearte-te – System, das auf diese Voraussetzung verzichtet, pro-voziert Zuwanderung in die sozialen Sicherungssysteme.

Auch das Argument, wonach der Zugang für Auslän-der zum Arbeitsmarkt unterhalb der Gehaltsschwelle fürdie Niederlassungserlaubnis weitgehend versperrt wäre,stimmt eindeutig nicht. Allein im Jahr 2007 wurden rund63 000 Arbeitserlaubnisse für ausländische Arbeitneh-mer erteilt. Es stimmt auch nicht, dass nach geltendemRecht immer und stets die Vorrangprüfung zur Anwen-dung kommen müsste. Richtig ist stattdessen: Die Bun-desagentur für Arbeit kann schon auf Grundlage des gel-tenden Rechts den Zugang zum Arbeitsmarkt füreinzelne Berufsgruppen und regionale Wirtschaftszweigeauch ohne die sogenannte Vorrangprüfung ermöglichen,wenn es im konkreten Fall arbeitsmarkt- und integra-tionspolitisch verantwortbar ist. Bei diesem Rahmenmüssen wir bleiben.

Aus diesem Grunde lehnen wir die Vorschläge derFDP ab.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung enthält imÜbrigen auch eine Regelung zur Entfristung des § 23 aAufenthaltsgesetz. Damit können die Bundesländer auchweiterhin Härtefallkommissionen für das Aufenthalts-

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recht bilden. Der entsprechende Gesetzentwurf der FDP,der hier noch zur Abstimmung steht, hat sich deshalb da-mit erledigt.

Abschließend möchte ich betonen: Mit dem heute zurAbstimmung stehenden Gesetz wollen wir die Unterneh-men in Deutschland unterstützen, die Fachkräfte benöti-gen. Es enthält verantwortbare Schritte mit Augenmaßund für konkrete Fälle, in denen qualifizierte ausländi-sche Arbeitnehmer mit Duldungsstatus gut in den deut-schen Arbeitsmarkt integriert sind. Es handelt sich umeine speziell zugeschnittene Lösung für Unternehmen,die auf diese Arbeitnehmer angewiesen sind. Deshalbund nur deshalb ist es vertretbar, einem Geduldeten indiesem speziellen Fall eine Aufenthaltserlaubnis zu er-teilen. Analogien zu diesem Fall oder Rufe nach weiter-gehenden Bleiberechten für Personen mit Duldungssta-tus kommen für uns nicht in Betracht.

Dieses Gesetz setzt deshalb auf punktgenaue, bedarfs-gerechte Lösungen und vermeidet pauschale Schritte zurÖffnung des Arbeitsmarkzugangs nach dem Motto „Öff-net die Schranken“. Es bleibt abzuwarten, inwieweit beieiner sich offenbar abkühlenden Konjunktur die Diskus-sion über den Fachkräftemangel, vor allem vonseiten derWirtschaft, auch weiterhin mit dem gleichen Eifer wienoch vor wenigen Monaten weitergeführt werden wird.Ich denke aber, das vorliegende Gesetz gibt der Wirt-schaft ein klares Signal, dass wir als Große Koalitiondort, wo es einen legitimen Bedarf für die Beschäftigungeiner ausländischen Fachkraft gibt, offen für pragmati-sche Lösungen sind, die die legitimen Interessen derWirtschaft berücksichtigen.

Rüdiger Veit (SPD): Den Rahmen für die heutigeDebatte gibt das Aktionsprogramm der Bundesregierungzur Sicherung der Fachkräftebasis in Deutschland vom16. Juli 2008 vor. Im wiederum hierfür den Vorlauf dar-stellenden Beschluss, der anlässlich der Kabinettklausurin Meseberg im Juli 2007 gefasst wurde, heißt es: „Wirwollen eine arbeitsmarktadäquate Steuerung der Zuwan-derung hochqualifizierter Fachkräfte vorsehen und diePosition unseres Landes im Wettbewerb um die Bestenstärken.“

Und nun haben wir das Arbeitsmigrationssteuerungs-gesetz. Der Titel vermittelt hehre Ziele, aber auch her-metische Zwecke. Die Regelung der arbeitsbedingtenZuwanderung und die zielgenaue Öffnung des heimi-schen Arbeitsmarkts sind wichtige Aspekte für unserwirtschaftliches Wohlergehen. Wer etwas steuern will,muss sich auch im Klaren darüber sein, wie kurz dieLeine gefasst wird. Ich möchte daher das ambitionierteZiel des vorgenannten Arbeitsprogramms zu Beginnmeiner Rede hervorheben: eine Öffnung und Verbesse-rung des Arbeitsmarktzugangs für Hochqualifizierte undFachkräfte in Deutschland. Dabei ist mir klar, dass wirnoch nicht am optimalen Ende des Weges sind; aller-dings haben wir mit den Schritten, die wir nun imASMG unternehmen, einen guten Teil der Strecke ge-macht.

Im Einzelnen: Das zuwanderungspolitische Paket desAktionsprogramms enthält ein Bündel von Maßnahmen,

die gemeinsam zum 1. Januar 2009 in Kraft treten sollen.Das vorliegende Arbeitsmigrationssteuerungsgesetz de-finiert die maßgeblichen Neuerungen:

Erstens. Wir senken die Einkommensgrenze fürHochqualifizierte. Wie ich ja bereits in der ersten Lesungausführen konnte, wird die Mindesteinkommensgrenzefür die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis an Hoch-qualifizierte von dem Doppelten der Beitragsbemes-sungsgrenze der gesetzlichen Krankenversicherung (der-zeit 43 200 Euro mal zwei = 86 400 Euro) auf dieBeitragsbemessungsgrenze (West) der allgemeinen Ren-tenversicherung in Höhe von derzeit 63 600 Euro ge-senkt. Neben der Frage, wie wir die Zuwanderung vonderart Hochqualifizierten stimulieren und Anreize setzenkönnen, richtet sich der Blick des AMSG richtigerweiseaber auch auf das im Bundesgebiet ruhende Potenzial:auf diejenigen, die noch keinen verfestigten Aufenthalts-status innehaben, aber aufgrund der Situation in ihremHerkunftsstaat, nicht zwangsweise aus Deutschland ab-geschoben werden können.

Wir führen daher zweitens eine Statusverbesserungfür sogenannte Bildungsinländer und Bildungsinlände-rinnen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus ein. Mit demAMSG können wir beruflich gut qualifizierten Gedulde-ten, die ihre Ausbildung in Deutschland erfolgreich ab-geschlossen haben, und Geduldeten, die sich aufgrundihrer bereits im Herkunftsland erworbenen Qualifika-tionen am Arbeitsmarkt bewährt haben, eine Aufent-haltsperspektive bieten und damit das durch die Bleibe-rechtsregelung der IMK vom 17. November 2006 und diegesetzliche Altfallregelung in §§ 104 a, 104 b AufenthGentstandene Bild komplettieren. Wir erfassen dabei dreiPersonengruppen: zunächst Geduldete, die erfolgreich inDeutschland eine Berufsausbildung absolviert oder stu-diert haben, sodann geduldete Hochschulabsolventenund -absolventinnen, deren ausländischer Studienab-schluss in Deutschland anerkannt ist oder mit einemdeutschen Hochschulabschluss vergleichbar ist, und diezwei Jahre lang eine dem Abschluss angemessene Be-schäftigung ausgeübt haben und schließlich geduldeteFachkräfte, die drei Jahre lang in einer qualifizierten Be-schäftigung tätig waren und die im letzten Jahr vor derAntragstellung nicht auf öffentliche Mittel für die Siche-rung des Lebensunterhalts angewiesen waren.

Für die letztgenannte Gruppe ist von Beachtung, dassder Bezug von Mitteln zur Deckung der notwendigenKosten für die Unterkunft beziehungsweise Wohngeldunschädlich ist. Auch wird hinsichtlich der dreijährigenVorbeschäftigung in den Verwaltungsvorschriften klar-gestellt, dass kurzfristige Unterbrechungen der Erwerbs-tätigkeit von bis zu drei Monaten irrelevant sind.

Hinsichtlich der zweiten Gruppe ist angesichts derProblematik, die zunehmend unter dem Gesichtspunktder Verschwendung von geistigen Ressourcen diskutiertwird, die Öffnung für Geduldete mit einem dem deut-schen Abschluss vergleichbaren ausländischen Hoch-schulabschluss von einiger Bedeutung.

Ergänzend möchte ich darauf hinweisen, dass weiteremaßgebliche Maßnahmen durch Verordnung geregeltwerden; von Interesse ist dabei insbesondere die Rege-

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lung eines erleichterten Zugangs zu einer Ausbildung fürGeduldete, die nach den allgemeinen Regelungen nochkeinen gleichrangigen Arbeitsmarktzugang besitzen.Eine Veränderung des Status als Geduldete ist hiermitwährend der Ausbildung noch nicht verbunden. Die Ver-ordnungsregelung verbessert aber die Stellung auf demAusbildungsmarkt erheblich. Nach erfolgreicher Ausbil-dung erfolgt diese jedoch über den neuen § 18 a Abs. 1Nr. 1 a) AufenthG.

Daran anknüpfend möchte ich noch einen Aspekt her-vorheben, der mir am AMSG neben der Einbettung indas Aktionsprogramm wichtig war: Im parlamentari-schen Verfahren haben wir den ursprünglichen Gesetzent-wurf durch die Einbeziehung von Änderungen der für dieAusbildungsförderung maßgeblichen Gesetze SGB IIIund BAföG sinnvoll ergänzt. Die durch das Aktionspro-gramm initiierten Verbesserungen des Ausbildungszu-gangs für Geduldete werden nun im Ausbildungsförde-rungsrecht gespiegelt, so dass Geduldete, die eineAusbildungsstelle bekommen und damit allein nicht ih-ren Lebensunterhalt sichern können, nicht auf die Aus-bildung verzichten müssen. Sie können nunmehr, wennsie einen vierjährigen ununterbrochenen Aufenthalt inDeutschland nachweisen, die Förderung beantragen.Ohne die Möglichkeit der Ausbildungsförderung wäreder verbesserte Zugang für Geduldete in betrieblicheAusbildung oder Studium eine leere Hülse geblieben.Mit der Aufnahme der Regelungen zur Ausbildungsför-derung von Geduldeten beweist das AMSG jedoch, dasshinsichtlich des Angebots zur Statusverbesserung keinehalben Sachen gemacht werden.

Schließlich ist hier die Entfristung der Härtefallrege-lung zu nennen, die zu den eindeutigen Pluspunktendieses Gesetzes zählt. Denn mittlerweile haben alle Bun-desländer Härtefallkommissionen geschaffen, die natür-lich nicht alle gleich arbeiten. Im Großens und Ganzenwird jedoch das gute Wirken der Härtefallkommissionennicht bestritten. Und daran sollten wir festhalten.

Insgesamt kann man das AMSG also als den berühm-ten Schritt in die richtige Richtung bewerten. In diesemSinne steht die SPD-Bundestagsfraktion weiteren aus-länderrechtlichen Gesetzgebungsvorhaben im Bereichder Arbeitsmigration aufgeschlossen gegenüber.

Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Der vorliegendeGesetzentwurf zur Steuerung der Arbeitsmigration bleibtauch nach Ausschussberatungen und in letzter Minutegestrickten Änderungen der Koalition weit hinter sachli-chen Erfordernissen und dem Diskussionsstand zurück.Die vorgesehene Öffnung des deutschen Arbeitsmarktesfür Akademiker aus allen EU-Staaten, die Senkung derMindesteinkommensgrenze und der vereinzelte Verzichtauf die Vorrangprüfung sind Minimalschritte. Sie sindentschieden zu kurz gesprungen. Die Absenkung derMindesteinkommen geht nicht weit genug.

Die grundsätzliche Beibehaltung der bürokratischenVorrangprüfung für Hochqualifizierte bleibt eine Belas-tung besonders für den Mittelstand. Wie sollen geradeklein- und mittelständische Unternehmen so ihre Perso-nalplanung betreiben? Auch die nach wie vor zu hohen

Einkommensgrenzen sind Hürden, die dem Hochtechno-logiestandort Deutschland insgesamt und unserem Mit-telstand schaden. Vor allem aber werden die wenigenund unzureichenden Verbesserungen konterkariert durcheine geradezu reaktionäre Politik im Bereich der Arbeit-nehmerfreizügigkeit in der EU.

Eine weitere Beschränkung der EU-Arbeitnehmer-freizügigkeit für Arbeitnehmer aus neu beigetretenenMitgliedstaaten in der Bundesrepublik Deutschland istkontraproduktiv. Die Bundesregierung muss von ihremVorhaben dringend ablassen, bei der EU-Kommissioneine erneute Verlängerung der Einschränkung bis 2011anzumelden. Wieso differenzieren Sie für diesen kurzenZeitraum von zwei Jahren nochmals nach Akademikernund anderen? Das schafft Bürokratie bei Unternehmen,Unsicherheit bei den Arbeitnehmern, das schafft Unver-ständnis bei unseren Nachbarn. Vielmehr ist die Öffnungdes deutschen Arbeitsmarktes für Arbeitnehmer aus denneuen EU-Staaten erforderlich.

Die Zukunft unseres Landes hängt davon ab, dass wiruns weiterentwickeln können und die entsprechendenKapazitäten hierfür haben. Gerade dann, wenn es kon-junkturelle Schwierigkeiten gibt, brauchen wir Innova-tionen, Forschung und Entwicklung, und das geht nurmit Hochqualifizierten und Fachkräften. Dazu müssenwir das Problem des Fachkräftemangels dringend behe-ben. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände sind sicheinig, dass der stärkere Zuzug von Fachkräften nachDeutschland über ein Punktesystem ein Beitrag zur Be-kämpfung der Arbeitslosigkeit bei uns ist. Denn der Ein-satz jeder weiteren Fachkraft zieht weitere Arbeitsplätzenach sich. Jede neue Entwicklung stärkt die Unterneh-men in Deutschland.

Gebraucht werden nicht nur Hochqualifizierte, wie esdie Bundesregierung teilweise vorsieht, sondern auchFacharbeiter und Saisonarbeitskräfte. In der Landwirt-schaft beispielsweise trifft die weitere bürokratische Ver-schiebung der Geltung der Arbeitnehmerfreizügigkeitauf komplettes Unverständnis. Die Bundesregierung be-dient hier lediglich ungerechtfertigte Ängste. Die Erfah-rungen aus den anderen EU-Staaten zeigen, dass eineüberbordende Zuwanderung auf den deutschen Arbeits-markt nicht erfolgen wird. Hier wäre die Bundesregie-rung in der Pflicht, die Bevölkerung wahrheitsgetreuaufzuklären, anstatt die Angstmache durch Verlängerungder Dauer der Übergangsregelungen zu verstärken.

Ohne ein einheitliches System droht Deutschland, denWettbewerb um die klügsten Köpfe zu verlieren. Aberanstatt die bewusste Gestaltung dieser Politik beherzt indie eigenen Hände zu nehmen, wird der Schwarze Peterder EU zugeschoben: Die grundsätzliche Idee mit derBlue Card entbindet uns jedoch nicht davon, unsereHausaufgaben zu machen. Die nationalen Arbeitsmärktedivergieren stark. Die deutsche Regierung muss sichselbst an die Arbeit machen.

Die FDP hat die Aufhebung der Befristung der Härte-fallkommissionen gefordert. Ich begrüße es nachdrück-lich, dass sich die Bundesregierung diesen Vorschlagjetzt zu eigen gemacht hat. Die Kommissionen sind ein

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erfolgreiches Instrument für kritische Prüfung migra-tionspolitischer Maßnahmen.

Die demografische Entwicklung lässt erwarten, dasswir mittelfristig den wirtschaftlichen Standard nichtmehr werden halten können, wenn wir uns nicht für qua-lifizierte Zuwanderung öffnen. Das Gegenmodell zur res-triktiven Politik von CDU/CSU und SPD hat die FDPvorgelegt: Wir brauchen ein Punktesystem, das die Zu-wanderung nach klaren Kriterien steuert und auch unsereInteressen und Erwartungen an die Zuwanderer klar de-finiert. Dabei spielen vor allem die Qualifikation, die be-rufliche Erfahrung, das Alter und die Kenntnisse derdeutschen Sprache eine große Rolle.

Entscheidend ist: Wen wollen wir nach Deutschlandeinladen? Wer kann unsere Gesellschaft weiterbringen?Für diese brauchen wir eine Willkommenskultur, die esfür Hochqualifizierte und Fachkräfte aus dem Auslandleichter macht, sich für Deutschland zu entscheiden.

Die Bundesregierung will steuern, aber sie steuert mitstotterndem Motor auf Zickzackkurs. Deutschlandbraucht nicht das angstgeleitete zuwanderungspolitischeStückwerk von CDU/CSU und SPD, sondern eine mo-derne, klare, nachvollziehbare Zuwanderungssteuerungaus einem Guss.

Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Die Zeit der parla-mentarischen Beratung hat die Bundesregierung leidernicht genutzt, die Kritik – nicht nur der Opposition, son-dern auch von verschiedenen Verbänden – zu nutzen, umsubstantielle Verbesserungen für Migrantinnen und Mi-granten sowie in der BRD lebende Menschen mit Dul-dung zu schaffen. Das Arbeitsmigrationssteuerungsge-setz hätte anstelle seiner einseitigen Konzentration aufdie Interessenlage der deutschen Wirtschaft unter ande-rem die Gelegenheit geboten, die Härten der Bleibe-rechtsregelung abzumildern. Das tut es aber nicht. Fürdie hier lebenden geduldeten Menschen wird zwar mit§ 18 a ein neuer Aufenthaltstitel in das Aufenthaltsge-setz, AufenthG, eingeführt. Doch selbst hier hat sich dieBundesregierung nicht durchringen können, ihren groß-spurigen Worten von Integration auch mal Taten folgenzu lassen. Die Zeit ihres Asylverfahrens soll nicht ange-rechnet werden. Ihnen wird sogar im Vergleich zu Inha-berinnen und Inhabern einer Aufenthaltserlaubnis aushumanitären Gründen die Verfestigung des Aufenthaltserschwert. Hinzu kommt, dass selbst diese Regelung le-diglich eine Ermessensregelung ist. Denn auch sonstbleibt sich die Bundesregierung hinsichtlich ihrer Diskri-minierungspolitik treu. Es bleibt bei den arbeitserlaubnis-rechtlichen, leistungsrechtlichen sowie gegebenenfallsauch residenzpflichttechnischen faktischen Arbeits-, Aus-bildungs- und Studierverboten. Die im Heimatland er-worbenen Qualifikationen werden nach wie vor nichtoder nur teilweise anerkannt.

In § 18 a AufenthG sind die Ausschlussgründe derAltfallregelung nach § 104 a AufenthG übernommenbzw. hinsichtlich notwendiger Kenntnisse der deutschenSprache gar verschärft worden. Gefordert wird Sprach-niveau B 1. Damit wird in diesen Fällen eine höhere

Messlatte angelegt, als bei der Erteilung einer Aufent-haltserlaubnis nach der Altfallregelung.

Die Linke hat die gesetzliche Altfallregelung geradeauch wegen deren Ausschlussgründe kritisiert. Die Er-fahrungen haben diese Kritik bestätigt. Die Handhabungder Altfallregelung erfolgt in den einzelnen Bundeslän-dern teilweise sehr unterschiedlich. Dies gilt etwa für dieAnwendung der Kriterien „ausreichender Wohnraum“und “eigenständige Sicherung des Lebensunterhaltes“.Nun sind aber genau diese von uns abgelehnten Aus-schussgründe nahezu identisch in die Regelung zur Ar-beitsmarktsteuerung übernommen worden. Auch hierwird soziale Selektion groß geschrieben. Ziel der Rege-lungen – so die Begründung im Änderungsantrag derRegierungsfraktionen – ist, dass kein „Anreiz für einengezielten Zuzug von Ausländern nach Deutschland“ ge-schaffen wird, um „hier geduldet zu werden“. Was hieralso als großer humanitärer Akt der Bundesregierungpropagiert wird, wird praktisch kaum Auswirkungen ha-ben. Insgesamt wird die Anzahl der Geduldeten, die vondem neuen Aufenthaltstitel profitierten können, sehr ge-ring sein.

Und genau darum geht es im Grundsatz in der Migra-tions- und Flüchtlingspolitik der Bundesregeierung imAllgemeinen und im Arbeitsmigrationssteuerungsgesetzim Konkreten. Es geht um Auslese und rassistischenHierarchisierung. Migrantinnen und Migranten werdenjeweils abgestuft soziale und politische Rechte verwei-gert bzw. zugestanden. Und dies erfolgt entlang der Be-dürfnisse der deutschen Wirtschaft, des Standortnationa-lismus und der Arbeitsmärkte. Die Linke hat diesenNützlichkeitsrassismus der bundesdeutschen Zuwande-rungsgesetzgebung und -politik immer kritisiert.

„Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“. So oderähnlich muss wohl die Migrationspolitik der Bundesre-gierung zu beschreiben. Allerdings geht es dabei weni-ger um eine Zerreißprobe zwischen hellen und dunklenMächten. Vielmehr kann sich die Bundesregierung nichtzwischen den Forderungen der deutschen Wirtschaft undderen Profitstreben einerseits und ihrem deutschnationa-len und völkischen Homogenisierungsnostalgie anderer-seits entscheiden. Deutlich wird dies nicht nur darin,dass sie gegenüber den aus ihrer Sicht nützlichen Hoch-qualifizierten kulanter ist als gegenüber den lange in derBRD lebenden Geduldeten, denen mit zahlreichen Res-triktionen das Leben erschwert wird.

Deutlich wird dies eben auch in ihrer Politik gegen-über den Interessen der deutschen Wirtschaft. So wirdzwar die Mindestgehaltsgrenze in § 19 AufenthG Abs. 2Nr. 3 von 86 400 auf 63 600 Euro Jahresgehalt gesenkt.Natürlich wurden gleichzeitig neue Widerrufsmöglich-keiten innerhalb der ersten fünf Jahre eingeführt. DemBundesrat geht die Absenkung der Mindestgehalts-grenze nicht weit genug, wie der Presseerklärung „Deut-lichere Akzente bei der Arbeitsmigration“ vom 10. Ok-tober 2008 zu entnehmen ist. Aus seiner Sicht bleibtFachkräften aus mittelständischen Unternehmen der Zu-gang zum Arbeitsmarkt verschlossen. Kritisiert wirdvom Bundesrat auch, dass keine Absenkung der Mindest-investitionssumme für Selbstständige vorgesehen ist.

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Um dies noch einmal ganz deutlich zu sagen: DieLinke befürwortet sehr wohl, dass Menschen in die Bun-desrepublik kommen können. Auch, um hier zu arbeiten.Wir lassen aber nicht zu, dass hoch qualifizierte gegengering qualifizierte Arbeitsmigrantinnen und -migranten,Arbeitsmigrantinnen und -migranten gegen Flüchtlinge,Migrantinnen und Migranten sowie Flüchtlinge gegen„Deutsche“, Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängergegen Arbeitslose, Frauen gegen Männer, Ossis gegenWessis, Kinderlose gegen Eltern bzw. Familien, Alt ge-gen Jung ausgespielt wurden. Doch die Bundesregierungwill genau dies. Sie tut alles, um im Interesse der deut-schen Wirtschaft billige, flexible und vor allem fügsameArbeitsmigrantinnen und -migranten zu sichern. Sie tutalles, um im kapitalistischen Interesse, Niedriglohnjobsauszuweiten und die Konkurrenz zwischen Migrantinnenund Migranten mit den ansässigen Einwohnerinnen undEinwohnern zu verschärfen.

Sie nimmt wissentlich und gezielt in Kauf, dass quali-fizierte Migrantinnen und Migranten in der Regel unqua-lifizierten Tätigkeiten nachgehen müssen. Die Integra-tionsbeauftragte Böhmer lamentiert zwar im Focus vom28. Oktober 2008 von „dringendstem Handlungsbedarf“und sie wolle den „Anerkennungsdschungel lichten“.Gleiches in ihrer Presseerklärung vom 8. Mai 2008 zurVorstellung der Studie „Brain Waste“. Da stellt sie fest:„Notwendig seien transparente, bundesweit vergleich-bare und zügige Verfahren zur Anerkennung von imAusland erworbenen Qualifikationen. Darauf solltenkünftig alle Zugewanderten einen Anspruch haben.“

Wir haben mit unserem Antrag „Für eine erleichterteAnerkennung von im Ausland erworbenen Schul-, Bil-dungs- und Berufsabschlüssen“, Drucksache 16/7109,die Situation der circa eine halbe Million eingewander-ten Akademikerinnen und Akademiker verbessern wol-len. Wir fordern die Entwicklung und Finanzierung einesKonzepts für eine bundeseinheitliche, vereinfachte undbeschleunigte Anerkennung von im Ausland erworbenenSchul-, Berufs- und Hochschulabschlüssen und machenzahlreiche konkrete Vorschläge, etwa zur Teilanerken-nung und Ergänzungsqualifizierung, zu vereinfachtenpraktischen Anerkennungsverfahren, zu vereinfachtenAbschlussprüfungen usw. Doch Frau Böhmer und dieBundesregierung lehnen unseren Antrag aber ab. Ge-nauso haben sie einen uneingeschränkten Arbeitsmarkt-zugang für Asylsuchenden und Geduldeten, wie wir ihnin unserem Antrag Drucksache 16/4907 forderten, abge-lehnt.

Die Linke ist für Arbeit, die ein Auskommen garan-tiert, und für gleiche Rechte für alle; sie ist gegen Lohn-dumping, das die Bundesregierung zu verschärfen ver-sucht. Dass bei der Bundesregierung Humanität unterNützlichkeitserwägungen bzw. -vorbehalt steht, zeigtauch, dass sie sich hinsichtlich der Härtefallregelung le-diglich zu einer Entfristung durchringen konnte. Grund-sätzlich ist diese natürlich ersteinmal zu begrüßen. Ichwill es aber der Bundesregierung nicht ersparen, hiereines noch mal klar zu stellen: Die Bundesregierung istes, die mit ihrer restriktiven Migrations- und Flücht-lingspolitik erst die Härtefälle schafft, die über die Här-

tefallregelung geheilt werden. Das betrifft vor allemauch die mehr als dürftige Bleiberechtsregelung.

Schlimm genug also, dass es überhaupt einer Härte-fallregelung bedarf. Aber diese stellt eben kein sonderli-ches Ruhmesblatt dar. Nicht nur, weil es nicht einmaleine verbindliche Verpflichtung zur Einrichtung einerHärtefallkommission auf Länderebene gibt. Nein, esbleibt letztlich der obersten Landesbehörde überlassen,ob sie dem Votum der Kommission folgt und einen Auf-enthaltstitel erteilt. Auch die Entfristung ist letztlichnicht bindend. Die Möglichkeit, die eingerichteten Här-tefallkommissionen wieder abzuschaffen bleibt unbe-rührt.

Die Linke hat immer gefordert, dass es bundesrecht-lich verbindliche Vorgaben geben muss. Die Linke lehntdas vorgelegte Arbeitsmigratiossteuerungsgesetz ab. Wirkönnen keinen Regelungen zustimmen, die einem Kon-zept Rechnung zu tragen, in der BRD lebende Dritt-staatsangehörige gegenüber erwünschten Hochqualifi-zierten weiterhin zu diskriminieren. Die Linke fordert,dass das Aufenthaltsrecht vom konkreten Arbeitsplatzunabhängig sein muss. Tatsächliche Verbesserungen inder Migrationspolitik wären die Ratifizierung der Inter-nationalen Konvention der Vereinten Nationen zumSchutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrerFamilienangehörigen und die Einführung von Mindest-standards für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, obsie nun aus Deutschland kommen oder aus anderen EU-Ländern oder Drittstaaten. Die Bundesregierung mussendlich dafür sorgen, dass unter gleichen Arbeitsbedin-gungen am gleichen Ort und für die gleiche Arbeit auchder gleiche Lohn gezahlt wird. Es muss endlich ein ge-setzlicher Mindestlohn eingeführt werden, damit Be-schäftigte nicht mehr gegeneinander ausgespielt werdenkönnen. Das Arbeitserlaubnisrechts muss endlich abge-schafft, Fortbildungsmaßnahmen für arbeitslose Akade-mikerinnen und Akademiker gewährleistet und ausländi-sche Bildungsabschlüsse anerkannt werden, wie das DieLinke in den Anträgen auf den Drucksachen 16/4907,16/3912, 16/7109 und im Gesetzentwurf 16/369 gefor-dert hat. Solchen gesetzlichen Regelungen kann dannauch Die Linke zustimmen.

Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN): Die OECD, die Organisation für wirtschaftlicheZusammenarbeit und Entwicklung, gelangte im Septem-ber dieses Jahres in ihrem „International Migration Out-look“ zu ernüchternden Feststellungen. Erstens. NachDeutschland wandern immer weniger Ausländer ein –ein maßgeblicher Grund, weswegen hierzulande die Er-werbsbevölkerung besonders stark abnimmt. Zweitens.Auf Grundlage der Hochqualifiziertenregelung des Zu-wanderungsgesetzes kamen in den letzten beiden Jahrengerade einmal 900 Fachkräfte nach Deutschland. Drit-tens. Und schließlich ist gerade bei der Gruppe der Hoch-qualifizierten die Abwanderungsquote aus Deutschlandbesonders hoch.

Die Maßnahmen der Großen Koalition gegen diesenTrend sind halbherzig. Dies gilt zum Beispiel im Hin-blick auf die Mindesteinkommensgrenze für Hochquali-

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fizierte oder die Mindestinvestitionssumme für Selbst-ständige. In beiden Fällen wurden zum Beispiel dieVorschläge des Bundesrates zum „Abbau unnötiger Zu-wanderungshürden“ mit kleingeistigen Argumenten vomTisch gewischt.

Und dennoch: Meine Fraktion wird dieses Gesetznicht ablehnen, sondern sich der Stimme enthalten. Denndieses Gesetzespaket enthält auch positive Aspekte. Be-sonders begrüßen wir die Entfristung der Härtefallrege-lung in § 23 a des Aufenthaltsgesetzes. Ohne diesenSchritt wäre die nach unserem Ermessen erfolgreicheArbeit der Härtefallkommissionen der Länder Ende2009 ausgelaufen. Weiterhin begrüßen wir es, dass be-ruflich qualifizierte Geduldete nun zum Zwecke der Be-schäftigung eine Aufenthaltserlaubnis erhalten sollenbzw. dass die Große Koalition – christdemokratischenBedenkenträgern zum Trotz – die Ausbildungsförderungnun auch von Geduldeten verbessern will. Wir meinenaber, dass der Kreis derjenigen, die nach diesem Gesetzein Bleiberecht erhalten sollen, viel zu eng gefasst ist. Esist für uns zum Beispiel nicht nachvollziehbar, warumnicht auch das Durchlaufen des Schulsystems ein Zei-chen für eine Verwurzelung in der hiesigen Gesellschaftsein soll.

Wir meinen: Soll die neue Regelung wirksam sein, sodürfen die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholtwerden. Die Große Koalition stellt in ihrer Begründungdes Gesetzentwurfs ja selbst fest: „Sowohl die Bleibe-rechtsregelung der IMK vom 17. November 2006 alsauch die gesetzliche Altfallregelung in §§ 104 a, 104 bAufenthG stellen für die Erlangung eines sicheren Auf-enthaltsstatus für zahlreiche, insbesondere jüngere Ge-duldete hohe Hürden auf.“

Die Bleiberechtsregelung der Großen Koalition bleibtin vielfältiger Weise weit hinter den eigenen hochge-steckten Zielen zurück. Wer dies ändern will, muss dieerkannten Hürden für die Inanspruchnahme dieser Rege-lung systematisch beseitigen. Bleibt es jedoch bei demrestriktiven Ansatz der Großen Koalition, könnte es sein,dass die Ziele dieses Gesetzes nicht erreicht werden,nämlich aus der Gruppe der Geduldeten zumindest diequalifizierten Fachkräfte mit einem Aufenthaltstitel aus-zustatten.

Das Arbeitsmigrationssteuerungsgesetz ist undbleibt Stückwerk. Zum einen wehrt sich die Große Ko-alition – allen guten Erfahrungen anderer westeuropäi-scher Volkswirtschaften zum Trotz – partout gegen dieFreizügigkeit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-mern aus den Beitrittsländern, obwohl dies gerade vondenjenigen Bundesländern gefordert wird, von denenimmer behauptet wird, man müsse sie davor schützen.Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburgwissen, dass sie von dieser Freizügigkeit, die ja 2011 oh-nehin kommen wird, schon jetzt profitieren könnten.Zum anderen traut sich Schwarz-Rot nicht, ein Punkte-system zur Zuwanderung vorzuschlagen, das die abseh-bar gravierenden Probleme des Alterungsprozesses un-serer Gesellschaft zumindest ein Stück weit abmildernkönnte.

Deutschland hat bereits viel Zeit verloren. Rot-Grünhat schon 2002 hierfür eine gesetzliche Regelung vorge-schlagen. Und obwohl sowohl die Zuwanderungskom-mission der CDU als auch die Kommission von RomanHerzog „Zur Reform der sozialen Sicherungssysteme“festgestellt haben, dass „Zuwanderung einen Beitrag zurAbmilderung des Alterungsprozesses leisten kann“,stemmen sich die Konservativen gegen diese gesell-schaftliche Notwendigkeit.

Neben uns Grünen fordert nicht nur die EU-Kommis-sion und das Europäische Parlament, fordert nicht nurdas Institut der deutschen Wirtschaft und die Vereini-gung der Bayerischen Wirtschaft, sondern fordert nun-mehr selbst der Bundesrat in seinem Beschluss zum Ar-beitsmigrationssteuerungsgesetz die Große Koalitionauf, „umgehend mit der Vorbereitung eines Punktesys-tems zur demografischen Zuwanderung zu beginnen“.Aber zu einer solch grundlegenden Modernisierung desdeutschen Zuwanderungsrechts hat Schwarz-Rot nichtmehr die Kraft. Es ist Zeit für einen grünen Neuanfang.

Anlage 14

Zu Protokoll gegebene Reden

zur Beratung des Antrags: Sicherung der inter-kommunalen Zusammenarbeit (Tagesord-nungspunkt 28)

Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Auch ich halte Ver-waltungszusammenarbeit zwischen kommunalen Ge-bietskörperschaften für ein geeignetes und vielfacherforderliches Mittel interner Staatsorganisation, umkosteneffizient und im Interesse des Gemeinwohls Leis-tungen der öffentlichen Daseinsvorsorge zu erbringen.Die interkommunale Zusammenarbeit ist ein wesentli-cher Bestandteil der Organisationshoheit unseres Staa-tes.

Ich habe jedoch drei Einwände gegen den hier vonder Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vorgelegten An-trag:

Erstens. Bei der Frage der innerstaatlichen Organisa-tion verfügt der Bundesgesetzgeber nur über sehr einge-schränkte Kompetenz. Ganz im Sinne unseres Bestre-bens nach Subsidiarität ist jede Instanz unterhalb desBundesstaats auch wieder für die eigene Organisationzuständig. Demnach sind bei staatlich zu lösenden Auf-gaben – wie der Einrichtung von Förderprogrammen fürinterkommunale Kooperationen – zuerst und im Zweifeldie Länder für eine Umsetzung zuständig, während über-geordnete Glieder zurücktreten.

Die Aktivitäten des Bundesamtes für Bauordnungund Raumwesen können den Ländern hier als Orientie-rung dienen. Es führt zahlreiche Modellvorhaben zu er-folgreicher interkommunaler Kooperation durch. DieBundesländer Hessen und Nordrhein-Westfalen habenbereits Förderprogramme aufgelegt, die sich eng an dieEmpfehlungen des Bundesamtes halten und sich guterResonanz erfreuen. Bayern und das Saarland befindensich derzeit in der Planungsphase. Im Gespräch mit Ver-

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tretern der zuständigen Landesbehörden wurde mir ver-mittelt, dass es nicht erwünscht sei, wenn der Bund hierin Konkurrenz mit den Ländern treten und die Förderungim kommunalen Bereich an sich ziehen würde. Für michist dies nachvollziehbar: Die Landesregierungen kennendie lokalen Bedürfnisse, ein bundeseinheitliches Pro-gramm würde der Komplexität des Themas gewiss nichtgerecht.

Zweitens. Für den Antrag besteht kein Bedarf. Derderzeit verhandelte Regierungsentwurf zur Novellierungdes Vergaberechts regelt die interkommunale Zusam-menarbeit bereits in § 99 Abs. 1 Satz 2 GWB-E neu. Erwird gegenwärtig zwischen den Berichterstattern bera-ten. Gemäß Entwurf liegt bei interkommunaler Zusam-menarbeit nur dann keine ausschreibungspflichtige Ver-gabe vor, wenn kein privates Kapital am Auftragnehmerbeteiligt ist und dieser nicht am Markt agiert oder imWesentlichen für öffentliche Auftraggeber tätig ist. Dasheißt: Ist privates Kapital am Auftragnehmer beteiligt,muss ausgeschrieben werden.

Diese Negativdefinition des öffentlichen Auftrages istnicht ganz unproblematisch. Im Berichterstattergesprächhaben wir heute erörtert, wie wir den Regierungsentwurfso fortentwickeln, dass einerseits das Interesse des Staa-tes an einer möglichst freien Ausübung seiner Organisa-tionshoheit gesichert ist, andererseits verhindert wird,dass unter dem Deckmantel der Organisationshoheit öf-fentliche Aufträge gezielt am Vergaberecht vorbeidiri-giert und ganze Wirtschaftszweige gegenüber der Staats-wirtschaft benachteiligt werden.

Und damit bin ich bei drittens. Natürlich dürfen wirdie Auswirkungen einer Stärkung der interkommunalenZusammenarbeit auf mittelständische Unternehmen derPrivatwirtschaft nicht aus den Augen lassen. Der Ver-such, hier einen Ausgleich der Interessen zwischen öf-fentlichen Auftraggebern, Bürgern und Unternehmern zufinden, hat uns in unseren Beratungen zur Novelle desVergaberechts immer wieder vor dasselbe Problem ge-stellt:

Der Bundesverband der Deutschen Entsorgungswirt-schaft, der Zentralverband des Deutschen Handwerksund der Bundesverband für Informationswirtschaft – un-terstützt von einer Reihe von weiteren Wirtschaftsunter-nehmen – sprechen sich mit Nachdruck gegen die Rege-lung in § 99 GWB aus. Wenn der Gesetzgeber dieKooperation unter rechtlich selbstständigen staatlichenEinheiten in Zukunft ausdrücklich von der Ausschrei-bungspflicht freistelle, schließe er mittelständische Un-ternehmen der Privatwirtschaft von einem großen Teildes Marktes aus.

Für die Position der Wirtschaftsverbände sprechenwirtschaftspolitische Überlegungen, mit denen ich michals CSUler durchaus identifizieren kann: Die Ausschrei-bung bestimmter Dienstleistungen der Daseinsvorsorge,etwa im Bereich der Abwasserentsorgung, könnte dieMarktzugangschancen von Privatunternehmen und ge-rade auch von Mittelständlern verbessern. Dies ist poli-tisch von unserer Fraktion zunächst einmal gewollt.Auch politisch gewollt ist es, im Bereich der öffentli-chen Aufträge kosteneffizient zu wirtschaften. Es ist si-

cherlich problematisch, wenn es öffentlichen Auftragge-bern durch Inhouse-Vergaben oder interkommunaleKooperation möglich ist, Aufträge vom Vergaberechtinsgesamt auszunehmen. Deshalb sollte tatsächlich im-mer sorgfältig geprüft werden, ob nicht eine Vergabe anprivate Unternehmen unter dem Aspekt der Kosten-ersparnis und Entlastung der öffentlichen Haushalte vor-teilhafter ist, als die Aufträge selbst auszuführen.

Als Kommunalpolitiker kann ich aber auch die Be-denken der anderen Seite verstehen. Würde die inter-kommunale Kooperation dem Vergaberecht unterwor-fen, würde das de facto auf eine Privatisierungspflichthinauslaufen. So weit entmündigen können und wollenwir unsere Kommunen nicht. Die Entscheidung, ob eineLeistung am Markt eingekauft oder selbst ausgeführtwird, obliegt alleine den betroffenen staatlichen Einhei-ten. So geht es hier in erster Linie darum, Kommunen zuermöglichen, miteinander interkommunale Kooperatio-nen einzugehen, und nicht darum, sich dem Wettbewerbzu verschließen und aus der Verantwortung zu stehlen.Unter diesem Gesichtspunkt werden wir noch einmalüber die entsprechenden Regelungen diskutieren. Es istrichtig und wichtig, dass wir das im Verlauf der Beratun-gen zur Vergaberechtsnovelle tun. Die Garantie der kom-munalen Selbstverwaltung ist ein hohes Gut im Selbst-verständnis des deutschen Staates und gehört geschützt.

Es ist also sowieso schon ein schwieriges Thema, dasSie hier mit Ihrem Antrag anschneiden. Stellen Sie sichdie Diskussionen vor, die wir auf Bundesebene mit derWirtschaft – zu Recht – provozieren würden, wenn wirjetzt zusätzlich zu unseren Bestrebungen in der Novelledes Vergaberechts, die Vergabe öffentlicher Aufträge ab-zusichern, noch Förderprogramme für die Kooperatio-nen auflegen.

Werte Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, insge-samt ist es ein schwer erkämpfter, ausgewogener Vor-schlag, der uns mit der Vergaberechtsnovelle vorliegt.Wir werden mit angemessenen Nachbesserungen im par-lamentarischen Verfahren als Große Koalition – nebender Absicherung der staatlichen Organisationshoheit ge-genüber der EU-Kommission – auch und gerade für denMittelstand, der es in diesem Land bitter nötig hat, etwasvoranbringen. Ihr Antrag ist also nicht nur überflüssig,sondern schlägt Wogen, die wir gerade mühsam versu-chen zu glätten.

Darauf können wir derzeit dankend verzichten, wirhaben andere Probleme.

Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Die inter-kommunale Zusammenarbeit sorgt in schöner Regelmä-ßigkeit und das seit Jahrzehnten für heftige Diskussionenzwischen Befürwortern der öffentlichen Wirtschaftstä-tigkeit und deren Gegnern. Aufgeheizt hat sich die Dis-kussion in jüngster Zeit jedoch vor allem durch die Viel-zahl der Vertragsverletzungsverfahren, mit denen uns dieEuropäische Kommission im Bereich der interkommu-nalen Zusammenarbeit überzieht. Das ist in hohemMaße ärgerlich und nicht hinnehmbar. Dahinter stehtzum einen die grundsätzlich tendenziöse Haltung derKommission, dass der freie Wettbewerb durch die kom-

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munale Wirtschaftstätigkeit beeinträchtigt werde. Zumanderen stehen dahinter natürlich auch Interessenver-bände der Wirtschaft. Diese wollen mit der Kommissionals Speerspitze ihren privaten Unternehmen neue Märkteauf Kosten der kommunalen Wirtschaftstätigkeit er-schließen. Zu beiden Punkten haben wir eine klare Mei-nung: Für uns ist die kommunale Zusammenarbeit einErfolgsmodell, das wir gegen jegliche ungerechtfertigtenAngriffe verteidigen. Das tut die Bundesregierung imÜbrigen auch, und zwar mit großem Nachdruck gegen-über der Kommission. Denn die Maßnahmen der EU-Kommission sind und bleiben ein unzulässiger Eingriffin unser Staatsorganisationsrecht. Sie richten sich ein-deutig gegen unsere föderale Struktur. Die Kommissionignoriert dabei völlig, dass es in einem föderalen Staatzusätzlicher Regelungen zwischen den Hoheitsträgernbedarf, um die Zusammenarbeit sicherzustellen. Bei die-sen Regelungen geht es um Verwaltungsorganisationund nicht um Beschaffung. Aber auch das versucht dieBundesregierung der Kommission bereits ein ums an-dere Mal klarzumachen. Abgesehen davon haben wir imRahmen der laufenden Vergaberechtsreform eine Rege-lung zur Vergaberechtsfreiheit der interkommunalen Zu-sammenarbeit aufgenommen. Damit schaffen wir nuneindeutig Rechtssicherheit.

Eines bleibt abschließend noch festzuhalten: Die in-terkommunale Zusammenarbeit unterliegt bereits heutegrundsätzlich weder dem europäischen Vergaberechtnoch dem deutschen Vergaberecht im GWB. Mit demAntrag werden also wieder einmal Eulen nach Athen ge-tragen. Bleibt nur noch die Frage, warum Bäume unnützsterben mussten, um diesen Antrag auf Papier zu brin-gen. Nachhaltig ist das nicht.

Paul K. Friedhoff (FDP): Wir debattieren hier einenAntrag der Grünen aus dem Juni dieses Jahres zur inter-kommunalen Zusammenarbeit. Mit dieser sollen Kom-munen die Möglichkeit erhalten, mit Beschaffungenoder Dienstleistungen eine andere Kommune direkt zubeauftragen. Problematisch ist, dass es bei dieser Art öf-fentlicher Auftragsvergabe den Kommunen möglich ist,ein Vergabeverfahren zu umgehen. Ich glaube kaum,dass die Fraktion der Grünen einen Antrag wie den vor-liegenden heute noch so stellen würde. Denn die Stel-lungnahmen der überwiegenden Mehrheit der Sachver-ständigen im Rahmen der Anhörung zum Vergaberechtim Oktober dieses Jahres sprachen deutlich gegen dieaus dem Antrag sprechende Sichtweise. Sie bestätigtenvielmehr die von meiner Fraktion vorgebrachten Hin-weise auf die Gefahren, die in der interkommunalen Zu-sammenarbeit liegen. Die mittelständische Wirtschaftdieses Landes kann kaum verstehen, warum ihre Unter-nehmen als private Auftragnehmer sich den hohenAnforderungen der Vergabeverfahren stellen sollen,während öffentlichen Auftragnehmern der bequeme Wegohne jede Ausschreibung, also ohne Wettbewerb, offen-stünde. Eine krasse Wettbewerbsverzerrung zulasten derregionalen Unternehmen wäre unausweichlich die Folgeeiner Ausweitung interkommunaler Zusammenarbeit.

Gerade von den Grünen, die doch das Gebot derTransparenz angeblich so hoch halten, hätte ich erwartet,dass sie für größtmögliche Transparenz auch in deut-schen Vergabeverfahren sind. Stattdessen wollen sie dieinterkommunale Zusammenarbeit fördern, in der sie eine„verwaltungsinterne Lösung“ sehen, für die das Verga-berecht nicht gelten solle.

Die Begründung hierfür ist absurd: Die Anwendungdes Vergaberechts würde einen faktischen Privatisie-rungszwang auslösen. Dies ist schlichter Unsinn. Esfordert nämlich niemand, dass sich kommunale, also öf-fentliche Auftragnehmer, an Ausschreibungen von öf-fentlichen Auftraggebern nicht mehr beteiligen dürfen.Es wird nur gefordert, dass für alle potenziellen Auftrag-nehmer die gleichen Bedingungen eines fairen Wettbe-werbs um den zu erlangenden Auftrag gelten. Wenn dieöffentlichen Bewerber gut und effizient sind, brauchensie den Wettbewerb mit den privaten nicht zu fürchten.Wenn sie ineffizient und zu teuer sind, sollten sie ihr Ge-schäftsmodell überprüfen. Die Vergabe an zu teure oderzu schlechte Auftragnehmer kann jedoch niemals imSinne der vergebenden Kommune sein; denn diese mussstets wirtschaftlich haushalten und beschaffen. Wenn dieGrünen in ihrem Antrag denn auch schreiben, dass dievon ihnen so geschätzte Art des Zusammenwirkens vonGemeinden ein erforderliches Mittel ist, um kosteneffi-zient Leistungen zu erbringen, haben sie dabei scheinbarden Grundgedanken des Vergaberechts völlig aus denAugen verloren. Dieser liegt darin, für die öffentlicheHand einen wirtschaftlichen Einkauf von Leistungen zugewährleisten. Diese Wirtschaftlichkeit lässt sich ohneWettbewerb nicht erreichen.

Die Möglichkeit einer vom Grünen-Antrag favorisier-ten Auftragsvergabe nach Gutdünken an befreundetekommunale Betriebe klingt für Bürgermeister sicherlichattraktiv, aber sie gefährdet den Wettbewerb bei öffentli-chen Aufträgen: Während sich Kommunen zur Auslas-tung ihrer Eigenbetriebe Aufträge hin- und herschanzenkönnen, bleiben die privaten Unternehmer außen vor.Die Transparenz sinkt, und die Wirtschaftlichkeit dieserArt der Beschaffung ist nicht gewährleistet. Daher weiseich hier auch noch einmal darauf hin, dass der in diesemZusammenhang von der Bundesregierung geplante neue§ 99 Abs. 2 im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkun-gen dem Ziel wirtschaftlicher Vergabe widerspricht.

Eine Wirtschaftlichkeitskontrolle würde bei verstärk-ter kommunaler Verflechtung immer weniger stattfin-den. Unter dem Leitbild einer transparenten Auftrags-vergabe der öffentlichen Hand verbietet sich geradezudie Schaffung der Möglichkeit, Betriebe anderer Kom-munen ohne Ausschreibung zu beauftragen. Das Verga-berecht soll fairen Wettbewerb sicherstellen und es nichtetwa den Kommunen einfach machen, unerwünschtenWettbewerb auszuschalten.

Lassen sie mich eines nochmals klarstellen: Wennkommunale Unternehmen gut wirtschaften, brauchen sieden Wettbewerb mit der Privatwirtschaft nicht zu fürch-ten. Es gibt deshalb auch keinen Grund, die städtischenBetriebe von den Vergabevorschriften auszunehmen undso vor Wettbewerb zu schützen.

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Ulla Lötzer (DIE LINKE): Wir als Linke unterstützenden Antrag der Grünen, die interkommunale Zusammen-arbeit zu sichern. Der Gesetzentwurf der Bundesregie-rung zur Modernisierung des Vergaberechts, der vieleSchwächen hat, ist wenigstens in dieser Hinsicht positiv.Er nimmt die interkommunale Zusammenarbeit von derVergabe aus. Bleibt zu hoffen, dass die Koalition stand-haft bleibt und nicht angesichts der massiven Lobby-arbeit von BDI und Konsorten doch noch umfällt. Dadiese Lobby auch in Brüssel massiv tätig ist und bei Tei-len der EU-Kommission auf ein offenes Ohr trifft, ist dasAnliegen, die interkommunale Zusammenarbeit aucheuroparechtlich abzusichern, sinnvoll.

Es muss in der Entscheidungshoheit der demokratischlegitimierten Kommunen verbleiben, ob sie eine Auf-gabe an einen privaten Dritten vergeben möchten oderob sie diese vergaberechtsfrei in Eigenregie ausführen.Dabei muss es unerheblich sein, ob dies eine Kommunealleine oder in Zusammenarbeit mit anderen Kommunenerledigt.

Wohlgemerkt geht es uns dabei um regionale Zusam-menarbeit und um regionale Wirtschaftskreisläufe. Esgeht um die Zusammenarbeit mit Nachbarkommunenoder innerhalb einer Region auch über die Grenzen vonBundesländern oder Staaten hinweg. InterkommunaleZusammenarbeit darf nicht dazu führen, die Kommunenmiteinander in den bundesweiten Wettbewerb zu treiben.Wenn eine Kommune am einen Ende der Republik sichdie Versorgung der Menschen in einer Kommune am an-deren Ende oder gar im Ausland unter den Nagel reißt,würde sie sich von ihrer Aufgabe, der Sicherstellung vonöffentlichen Gütern und Dienstleistungen für die Bürge-rinnen und Bürger im eigenen Gebiet, zu weit entfernen.In solchen Fällen agieren die Kommunen nicht andersals Private und haben dafür keinen besonderen Schutzverdient. Anders gesagt: Wenn die Stadtwerke Münchenmit der Gemeinde Sauerlach kooperieren, um ein geo-thermisches Kraftwerk zu errichten, so macht das Sinn.Eine europaweite Ausschreibung wäre hier irrwitzig.Wenn die Mannheimer Stadtwerke die Köthener Stadt-werke aufkaufen, spielen sie nur das Spiel der großenEVU mit.

Interkommunale Zusammenarbeit nimmt angesichtsder prekären finanziellen Situation von Kommunen ei-nen immer größeren Stellenwert ein. Insbesondere fürkleinere und strukturschwächere Gemeinden ist die Zu-sammenarbeit mit anderen Kommunen ein wichtigesMittel, ihre Selbstständigkeit und Handlungsfähigkeit zuerhalten. Wer diese Zusammenarbeit jedoch als reinesInstrument von Rationalisierung versteht, greift zu kurz.Dann erreicht er keine Verbesserung der öffentlichenLeistungen. Im Gegenteil, die Wege der Bürgerinnenund Bürger zu den Einrichtungen ihrer Gemeinde wer-den immer länger und umständlicher.

Uns muss es darum gehen, im Sinne der öffentlichenDaseinsvorsorge, der Bereitstellung öffentlicher Infra-struktur und des Ausbaus sozialer und kultureller Ange-bote die Kommunen in die Lage zu versetzen, durchZusammenarbeit mit ihren Nachbarkommunen Syner-gieeffekte im Sinne der Bevölkerung zu nutzen. In

vielen Regionen gibt es hierzu bereits langjährige Erfah-rungen. Man denke nur an den öffentlichen Personen-nahverkehr.

Es wird jedoch auch immer Bereiche geben, in denenkommunale Kooperation schwierig ist. Insbesonderedort, wo die Kommunen miteinander im Wettbewerb ste-hen, bei der Einwohnerzahl und bei der Gewerbeansied-lung. Zumindest bei Letzterem würde der Vorschlag derGrünen, im Falle gemeinsamer grenzüberschreitenderGewerbegebiete einen Verteilungsmodus für die Gewer-besteuer einzuführen, einen positiven Effekt haben kön-nen.

Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Die Möglichkeit, das eigene Lebensumfeld direkt zu ge-stalten, macht den besonderen Reiz kommunalpoliti-schen Engagements aus. Gerade deshalb ist es problema-tisch, dass der Bezugsrahmen für kommunalpolitischeArbeit immer unübersichtlicher wird: durch die privatisie-rungsbedingte Intransparenz, die gestiegene Regelungs-dichte seitens Bund und Land und vor allem – darum gehtes hier heute – das Hineinregeln der EG-Wettbewerbs-politik in die kommunale Selbstverwaltung.

Ein besonders dringlicher Konflikt zwischen EG-Ver-gaberecht und kommunaler Selbstverwaltung betrifft dieinterkommunale Zusammenarbeit. Vor dem Hintergrunddes demografischen Wandels ist die gemeinsame Aufga-benwahrnehmung verschiedener kommunaler Gebiets-körperschaften unverzichtbar, um Daseinsvorsorge inwirtschaftlich tragfähigen Einheiten zu sichern. Die zu-künftige Bedeutung verschiedener Kooperationsformennimmt dabei gerade auch in Schlüsselbereichen wie derBildungsinfrastruktur zu.

Die EU-Kommission war in der Vergangenheit be-strebt, unter Berufung auf einschlägige Rechtsprechungdes Europäischen Gerichtshofs interkommunale Zusam-menarbeit in die europaweite Ausschreibungspflicht ein-zubeziehen. Und genau hier setzt unsere Kritik an. Denndurch diese Ausschreibungspflicht versucht die EU-Kommission, einen faktischen Privatisierungszwang zuerzeugen. In dem Moment, da eine Gebietskörperschaftdie Leistungserbringung aus der Hand gibt, ist der Markteröffnet. So die Position der Kommission. Ein solcherPrivatisierungszwang kann und darf aber nicht hinge-nommen werden; denn bei interkommunaler Zusammen-arbeit – da sind wir uns hier wohl alle einig – handelt essich um einen Vorgang interner Staatsorganisation.

Die Bundesregierung ist deshalb aufgerufen, sich fürdie Freistellung interkommunaler Zusammenarbeit vomVergaberecht auf EU-Ebene einzusetzen. Entscheidenddabei ist allerdings, dass sich die Freistellung nur aufsolche Formen der Zusammenarbeit bezieht, die ohneBeteiligung Privater stattfindet. Denn sobald Private insSpiel kommen, greift das EG-Vergaberecht. Und das istauch richtig so, denn europäisches und nationales Verga-berecht bleiben notwendige Schwerter gegen Korruptionauf einem milliardenschweren Markt.

Gleichzeitig machen wir in unserem Antrag auchdeutlich, dass es noch andere Hausaufgaben zu machen

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gilt, um die interkommunale Zusammenarbeit zu si-chern. Es reicht nicht, auf die EU zu zeigen. So muss dieUnterscheidung zwischen mandatierender und delegie-render Vereinbarung im deutschen Vergaberecht abge-schafft werden. Die Europäische Union kennt diese Un-terscheidung nicht. Ein weiterer erforderlicher Beitragder Länder besteht darin, in ihren eigenen Rechtsvor-schriften klarzustellen, dass interkommunale Zusam-menarbeit aus den genannten Gründen nur ohne privateBeteiligung stattfinden kann. Leider ist das noch nichtüberall der Fall.

In unserem Antrag haben wir Ihnen aufgelistet, wasauf europäischer, Bundes- und Landesebene zu tun ist,um die interkommunale Zusammenarbeit abzusichernund auszubauen. Ich denke, es wäre ein gutes Zeichen,wenn wir uns als Deutscher Bundestag in dieser Fragemit breiter Mehrheit zu unserer politischen Verantwor-tung für die kommunale Ebene bekennen würden.

Anlage 15

Zu Protokoll gegebene Reden

zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zurModernisierung und Entbürokratisierung desSteuerverfahrens (Steuerbürokratieabbauge-setz) (Tagesordnungspunkt 21 b)

Manfred Kolbe (CDU/CSU): Die Gesetzesbezeich-nung „Steuerbürokratieabbaugesetz“ ist meines Erach-tens etwas irreführend, da mit dem uns vorliegenden Ge-setz im Wesentlichen die Umstellung von der papiernenauf die elektronische Steuererklärung eingeführt wird.

Im Jahr 1997 nutzten 6,5 Prozent der Deutschen dasInternet. Zehn Jahre später waren es bereits 62,7 Prozentder Gesamtbevölkerung, die einen Zugang zum Internethatten. Dies sind 40,8 Millionen Menschen in Deutsch-land. Dies ist ein offensichtliches Zeichen, dass die Digi-talisierung unseres Lebens nach und nach fortschreitet.Statt Briefe werden E-Mails geschrieben, statt an denBankschalter zu gehen, erledigen die Menschen ihre Fi-nanzgeschäfte online, und Bücher werden häufiger beiOnlineanbietern anstatt im Bücherladen um die Ecke ge-kauft. Auch der Trödelmarkt ist mit Ebay online zu fin-den.

Das uns heute zur abschließenden Beratung vorlie-gende Steuerbürokratieabbaugesetz setzt diese digitaleEntwicklung fort. „Elektronik statt Papier“ könnte dasLeitmotto dieses Gesetzes sein. Mit diesem Gesetzent-wurf soll die Strategie, papierbasierte Verfahrensabläufedurch elektronische Kommunikation zu ersetzen, fortge-setzt und vertieft werden. Folgende Maßnahmen seienhier exemplarisch erwähnt: standardmäßige elektroni-sche Übermittlung von Steuererklärungen der Unterneh-men, standardisierte und elektronische Übermittlung derInhalte der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnungfür Wirtschaftsjahre, die nach dem 31. Dezember 2010beginnen. Die Verpflichtung, anlässlich der Aufnahmeder beruflichen und gewerblichen Tätigkeit Auskunftüber steuerrelevante rechtliche und tatsächliche Verhält-

nisse zu geben, soll künftig auf elektronischem Wege er-füllt werden. Steuerpflichtige sollen bestimmte, dem Fi-nanzamt bisher auf Papierbasis vorzulegende Belege undUnterlagen künftig elektronisch bereitstellen.

Die Grundsatzfrage, die sich durch das ganze Gesetz-gebungsverfahren hingezogen hat, war die, ob wir dieSteuerpflichtigen künftig verpflichten, ihre Steuererklä-rungen in elektronischer Form abzugeben, oder ob wirihnen nicht die grundsätzliche Wahlfreiheit lassen, ent-weder in Papierform oder elektronisch ihre Erklärungabzugeben.

Außerhalb der staatlichen Verwaltung haben wirWahlfreiheit. Auch wenn immer mehr Bürgerinnen undBürger per E-Mail kommunizieren, so ist dennoch nochniemand auf die Idee gekommen, die Postkarte abzu-schaffen oder gar zu verbieten. Auch das Onlinebankingmuss freiwillig bleiben, da es durchaus berechtigte Sor-gen hinsichtlich dessen Stör- und Betrugsanfälligkeitgibt.

Die bisher für einzelne Steuererklärungen wie etwadie Umsatzsteuervoranmeldung geltende Pflicht zurelektronischen Abgabe mit lediglich der Möglichkeit,dass die Finanzverwaltung im Gnadenwege bei Härtefäl-len davon Ausnahmen zulässt, ist unbefriedigend. VieleKlein- und Kleinstunternehmen sind aus wirtschaftli-chen Gründen nicht in der Lage, die Voraussetzungen fürdie elektronische Abgabe zu schaffen. Der Aufwandwäre für sie zu hoch, und gerade dies kann nicht Sinnund Zweck eines Steuerbürokratieabbaugesetzes sein.Auch ist es eines Rechtsstaates unwürdig, den Bürger,der die Voraussetzungen der elektronischen Abgabenicht erfüllen kann, als Bittsteller auf eine Härtefall-Ausnahmeregelung zum Finanzamt zu schicken.

Aus diesen Gründen schafft dieses Steuerbürokratie-abbaugesetz einen neuen § 150 Abs. 8 Abgabenordnung,der einmal generell für alle Steuererklärungen den Be-griff des Härtefalls definiert und somit gegebenenfallseinen entsprechenden Anspruch des Bürgers auf die wei-tere Abgabe der Steuererklärung in Papierform begrün-det. Dieser neue § 150 Abs. 8 Abgabenordnung lautetwie folgt:

Ordnen die Steuergesetze an, dass die Finanzbe-hörde auf Antrag zur Vermeidung unbilliger Härtenauf eine Übermittlung der Steuerklärung nach amt-lich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfern-übertragung verzichten kann, ist einem solchen An-trag zu entsprechen, wenn eine Erklärungsabgabenach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durchDatenfernübertragung für den Steuerpflichtigenwirtschaftlich oder persönlich unzumutbar ist. Diesist insbesondere der Fall, wenn die Schaffung dertechnischen Möglichkeiten für eine Datenfernüber-tragung des amtlich vorgeschriebenen Datensatzesnur mit einem nicht unerheblichen finanziellenAufwand möglich wäre oder wenn der Steuer-pflichtige nach seinen individuellen Kenntnissenund Fähigkeiten nicht oder nur eingeschränkt in derLage ist, die Möglichkeiten der Datenfernübertra-gung zu nutzen.

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In der Begründung heißt es dazu:

Einem Steuerpflichtigen ist die Erklärungsabgabenach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durchDatenfernübertragung insbesondere nicht zuzumu-ten, wenn er nicht über die erforderliche technischeAusstattung verfügt und es für ihn nur mit nicht un-erheblichem finanziellen Aufwand möglich wäre,die für eine elektronische Übermittlung der Steuer-erklärungen nach amtlich vorgeschriebenem Daten-satz mittels Datenfernübertragung erforderlichentechnischen Möglichkeiten zu schaffen. Eine unbil-lige Härte ist darüber hinaus anzunehmen, wenn derSteuerpflichtige nach seinen individuellen Kennt-nissen und Fähigkeiten nicht oder nur einge-schränkt in der Lage ist, die Möglichkeiten einerDatenfernübertragung zu nutzen. In der Praxis dürf-ten diese Voraussetzungen insbesondere beiKleinstbetrieben gegeben sein. Der Härtefall-An-trag kann auch konkludent (z. B. in Gestalt der Ab-gabe einer herkömmlichen Feststellungserklärungauf Papier) gestellt werden. In diesem Fall sindSachverhaltsermittlungen der Finanzbehörde nurgeboten, wenn das Vorliegen eines Härtefalls nichtals glaubhaft angesehen werden kann.

Im Ergebnis bedeutet diese neue Regelung in § 150Abs. 8 Abgabenordnung sowie die dazu gehörige Geset-zesbegründung, dass die Bürgerinnen und Bürger eineweitgehende Wahlfreiheit haben, ob sie künftig ihreSteuererklärung weiterhin in Papierform oder elektro-nisch abgeben. Dies liegt auch im Interesse der Finanz-verwaltung, da naturgemäß die Einführung der elektroni-schen Steuererklärung in vielen Bereichen mitStartschwierigkeiten verbunden ist und eine generelleVerpflichtung diese Startschwierigkeiten deutlich ver-größern würde.

Weiter enthält ein neuer § 50 Abs. 1 Einkommen-steuer-Durchführungsverordnung die Bestimmung, dasskünftig Spender den Spendenempfänger bevollmächti-gen können, die Spendenbestätigung der Finanzbehördenach amtlich vorgeschriebenen Datensatz durch Daten-fernübertragung nach Maßgabe der Steuerdaten-Über-mittlungsverordnung zu übermitteln. Diese Regelung hatzu großer Verunsicherung geführt, da viele kleinere Ver-eine, Kirchengemeinden und sonstige Spendenempfän-ger das Problem haben, dass sich die notwendigen Inves-titionen in Soft- und Hardware im Verhältnis zu ihremSpendenaufkommen wirtschaftlich nicht rechnen. Siehaben deshalb im Gesetzgebungsverfahren klargestellt,dass § 50 Abs. 1 Einkommensteuer-Durchführungsver-ordnung nur eine Bevollmächtigung enthält, diese aberkeine Verpflichtung für den Spendenempfänger beinhal-tet. Der Spendenempfänger ist danach frei, eine solcheBevollmächtigung auch nicht auszunutzen, wenn ernicht über die entsprechende technischen Voraussetzun-gen verfügt. Dies ist eine wichtige Klarstellung für klei-nere Vereine und Kirchengemeinden, die die aufgetrete-nen Irritationen beseitigt.

Darüber hinaus enthält der Gesetzentwurf weitereMaßnahmen zur Entbürokratisierung und Vereinfa-chung und Verbesserung des Steuerrechts, beispiels-

weise die Möglichkeit von gemeinsamen Außenprüfun-gen der Finanzverwaltung und der Rentenversicherungin Unternehmen. Außerdem haben wir die Schwellen-werte insbesondere für die monatlich abzugebende Um-satzsteuervoranmeldung und Lohnsteueranmeldungenangehoben.

Abschließend möchte ich mich für die zügigen Bera-tungen zu diesem Gesetz bei Ihnen, sehr verehrte Kolle-ginnen und Kollegen, sowie den Mitarbeiterinnen undMitarbeitern des Ausschussekretariats recht herzlichbedanken. Hoffen wir, dass es bei der weiteren Realisie-rung dieses Gesetzes zu einem wirklichen Steuerbürokra-tieabbau für alle kommt und es keine Benachteiligungenzwischen den Steuerpflichtigen gibt – egal ob die Unter-lagen elektronisch oder postalisch übersandt wurden.

Gabriele Frechen (SPD): Wir verabschieden heutedas Gesetz zur Modernisierung und Entbürokratisierungdes Steuerverfahrens. Hauptgegenstand des Gesetzes istdie Nutzung der elektronischen Medien. Künftig sollenunter anderem Steuererklärungen und Bilanzen von Un-ternehmen nicht mehr auf Papier, sondern auf elektroni-schem Wege an die Finanzbehörden übermittelt werden.Wir haben uns entschieden, die Umstellung ab dem1. Januar 2010 verpflichtend zu machen. Der Ausbau derInfrastruktur in den Finanzbehörden ist aufwendig undarbeitsintensiv. Diese Investitionen sind nur dann wir-kungs- und sinnvoll zu vertreten, wenn das Verfahrenumfassend genutzt wird.

Außerdem ist es unsere Aufgabe, für gleiche Lebens-verhältnisse zu sorgen. Dazu gehört auch, dass die Steuer-erhebung und der Steuervollzug in allen Ländern und füralle Steuerpflichtigen gleichmäßig erfolgen. Das gehtnur mit einem wirkungsvollen Risikomanagement. Dasgeht wiederum mit einem vertretbaren Aufwand an Bü-rokratie nur, wenn alle Daten auf elektronischem Wegevorliegen.

Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme daraufhingewiesen, dass angesichts des Umfangs des Projektszeitliche Verschiebungen nicht ausgeschlossen werdenkönnen und bat um eine flexiblere Lösung. Dieser Bittedes Bundesrats sind wir nachgekommen. Wir werdenprüfen, ob zum 31. Dezember 2010 die Voraussetzungenvorliegen. Ist dies nicht der Fall, wird der erstmalige An-wendungszeitpunkt verschoben.

Die Frage, ob eine freiwillige Umstellung nicht aus-reichend wäre, haben wir in der Anhörung mit den Sach-verständigen ausführlich diskutiert. Herr Ondracek vonder Deutschen Steuer-Gewerkschaft sagte dazu: „Ohneverpflichtende Erklärung wird es nicht funktionieren.Vielleicht kriegen wir 20 Prozent, aber das ist nicht dasZiel, das man erreichen will, sondern die 70 bis80 Prozent-Marke sollte schon die Folge sein.“ HerrSchwab von der Bundessteuerberaterkammer stimmteihm in diesem Punkt ausdrücklich zu:

„Leider muss ich im Kern Herrn Ondracek Rechtgeben. Deswegen bin ich mit meinen Kollegen inder Bundessteuerberaterkammer der Meinung, dassman das langfristig durchaus verpflichtend machen

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kann. Aber man muss natürlich Härtefallregelungenvorsehen – das haben wir auch in unserer Stellung-nahme noch einmal geschrieben –, dass die Perso-nen, die das tatsächlich nicht machen können, aus-genommen werden.“

Genau das haben wir im Laufe des parlamentarischenVerfahrens beschlossen: Wenn es dem Steuerpflichtigenaus persönlichen oder aus wirtschaftlichen Gründennicht zugemutet werden kann, ist seinem Antrag, dieSteuererklärungen weiter auf Papier abzugeben, stattzu-geben. Das heißt: Wenn der oder die Steuerpflichtigenicht mit dem Umgang eines Computers vertraut ist oderwenn die technischen Voraussetzungen nicht vorliegenoder nur mit erheblichem finanziellen Aufwand herzu-stellen wären, kann die Abgabe der Erklärung weiterhinauf Papier erfolgen. Dieser Antrag wird keinen zusätzli-chen bürokratischen Aufwand erfordern, da die Abgabeselbst als Antrag gewertet wird.

Auch Spenden und Mitgliedsbeiträge können künftigpapierlos übermittelt werden, wenn der Spender daswünscht. Durch diese Regelung werden allerdings wederder Zuwendende noch der Zuwendungsempfänger ver-pflichtet, die Spendenbestätigung der Finanzverwaltungauf elektronischem Weg zu übermitteln. Als weiterenBeitrag zum Bürokratieabbau werden mit diesem Gesetzdie Grenzen für die Verpflichtung zur monatlichen Ab-gabe der Umsatzsteuervoranmeldung und der Lohnsteu-eranmeldung angehoben. Das ist gerade für kleine Be-triebe eine wesentliche Erleichterung.

Auch die Möglichkeit der gemeinsamen Prüfung derFinanzbehörden und der Rentenversicherung wird dieBetriebe deutlich entlasten. Es stellt für Betriebe und Be-rater oftmals eine Belastung dar, wenn die Lohnsteuer-prüfung gerade abgeschlossen ist und alle Ordner wiederan ihrem Platz stehen und dann kurz darauf der Sozial-versicherungsprüfer kommt und die gleichen Ordner undUnterlagen wieder herausgegeben werden müssen. Daskommt heute leider sehr häufig vor und bindet in derPraxis nicht nur räumliche sondern auch personelle Res-sourcen.

Es ist unbestritten, dass allein die Umstellung aufelektronische Übermittlung nicht der einzige Schrittbeim Bürokratieabbau sein kann. Aber wer behauptet,das wäre so gut wie nichts, der weiß nicht, wovon erspricht. Es ist ein Heidenaufwand, die Daten, die manelektronisch besitzt, auf Papier auszudrucken, postfertigzu verpacken und zu versenden, damit sie dort, wo sieankommen, dann den umkehrten Weg gehen, bis sie wie-der in elektronischer Form vorliegen.

Herr Schaub von der Bundessteuerberaterkammersagte dazu in der Anhörung:

„Die elektronische Übermittlung von Daten darfkeine Einbahnstraße sein, das heißt, auch der Steu-erpflichtige muss einen Anspruch darauf haben,Daten elektronisch zurückübertragen zu bekom-men. Ganz besonders der Steuerberater sollte einenAnspruch auf Bescheid-Rückübertragung habenund eine Abweichungsanalyse bekommen. Daswürde die Akzeptanz auf beiden Seiten erhöhen

und gehört einfach zur elektronischen Übermittlungdazu.“

Unser Ziel ist die vorausgefüllte Steuerklärung des Fi-nanzamts, die von den Steuerpflichtigen elektronischübermittelt wird, beim Finanzamt das Risikomanage-ment durchläuft und mit einem detaillierten Bescheid,der elektronisch übermittelt wird, endet. Damit stellenwir die gleichmäßige Besteuerung sicher und schaffenPersonalkapazitäten, die wir für die wirklich bedeuten-den Fälle in der Betriebsprüfung nutzen können.

Dr. Volker Wissing (FDP): Während die Bundes-regierung über ein zusammengeflicktes 50-Milliarden-Konjunkturpaket berät, fallen in Deutschland jährlich50 Milliarden Bürokratiekosten an. Unternehmen müs-sen diese gigantische Summe in wirtschaftlich äußerstschwierigen Zeiten aufbringen, um von der Politik zuverantwortende bürokratische Pflichten zu erfüllen. Mil-liardensummen fehlen damit für Investitionen. Das kos-tet Arbeitsplätze und ist in diesen Zeiten schwer zu ver-kraften.

Angesichts der gegenwärtigen Rezession ist es wich-tiger denn je, Steuerbürokratie abzubauen. Man istdeshalb fast geneigt, sich zu freuen, dass die Bundesre-gierung ein Steuerbürokratieabbaugesetz vorlegt. Aberwenn man genau hinsieht, vergeht einem das Lachenganz schnell wieder.

In Ihrer Gesetzesbegründung schreiben Sie hochtra-bend, die Bundesregierung sei entschlossen – ich zitie-re –, „einen weiteren Meilenstein auf dem Weg zumvollständigen Abbau überflüssiger Steuerbürokratie zuerreichen“. Ich frage Sie: Wo ist denn dieser Meilen-stein? Es wäre ja schön, wenn Sie die Steuerzahlerinnenund Steuerzahler endlich von Ihrem Steuerdschungel be-freien würden. Aber wenn Sie Steuerbürokratie abbauen,stellen Sie sich immer zuerst die Frage: Was können wirdenn Gutes für die Verwaltung tun? Sie denken nur andie Finanzverwaltung. Die Interessen der Privaten igno-rieren Sie einfach. Die Bundesregierung kümmert sichum die Verwaltung. Alle anderen müssen sich um sichselbst kümmern.

Das Steuerrecht wird mit Ihrem Gesetz nicht entbüro-kratisiert, es wird nur digitalisiert. Sie denken offenbar,wenn man den deutschen Steuerwahnsinn in elektroni-scher Form verwaltet, sei alles schon viel einfacher. MitIhrem Motto „Elektronik statt Papier“ sollen alle Unter-nehmen ihre Steuerdaten auf elektronischem Wege andie Finanzbehörde übermitteln. Aber die elektronischeÜbermittlung ist eine Einbahnstraße. Eine elektronischeRückübertragung des Steuerbescheides von der Finanz-verwaltung zum Unternehmen mit entsprechender Ab-weichungsanalyse findet nicht statt. Sie verpflichtenSteuerzahler, bei staatlichen Behörden alles elektronischeinzureichen und schicken dann einfach Papier zurück.

Damit liegt der Vorteil wieder einmal alleine bei derFinanzverwaltung. Sie vereinfachen den Beamten dieArbeit und denken, damit sei den Unternehmen gehol-fen. Das ist doch absurd. Sie haben es wieder einmal ge-schafft, einseitig der Verwaltung etwas Gutes zu tun. Sie

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sollten deshalb aufhören, das Ganze als großen Wurf fürdie Unternehmen zu verkaufen. Ihr Bürokratieabbauge-setz ist kein Meilenstein. Aus Sicht der Steuerzahler istes eher ein Armutszeugnis. Machen Sie doch endlicheinmal ein Steuergesetz für die Bürgerinnen und Bürger.Der Bundesfinanzminister kann sich das vielleicht nichtmehr vorstellen, aber in Deutschland leben nicht nur Be-amte.

Eigentlich hätte heute gemeinsam mit Ihrem Steuer-bürokratieabbaugesetz das Jahressteuergesetz 2009 bera-ten werden sollen. Das hätte einen Überblick über dasermöglicht, was Sie auf der einen Seite für die Verwal-tung alles vereinfachen, und über die vielen neuen Son-derregeln auf der anderen Seite, mit denen Sie die Steu-erzahler weiter quälen.

Während wir hier debattieren, planen Sie Änderungenin 22 verschiedenen Steuergesetzen und haben kurz vorAbschluss der Beratungen rund 70 Änderungsanträgedazu vorgelegt. Weil Sie mit den vielen Änderungsanträ-gen am Ende selbst überfordert waren, musste die Bera-tung ausgesetzt werden. Das ist der wahre Kern IhrerFinanzpolitik. Sie betreiben einen Bürokratieaufbaunach dem anderen.

Die FDP macht dieses Steuerchaos nicht mit. Wirwollen kein Steuerrecht für die Verwaltung. Wir wollenein Steuerrecht für die Bürgerinnen und Bürger. Es mussdringend einfacher werden. Und genau das schaffen Sienicht. Deshalb sollten Sie aufhören mit Ihrer Flickschus-terei. Sie sprechen von Steuerbürokratieabbau und ma-chen ständig das genaue Gegenteil.

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): „Gesetz zur Moder-nisierung und Entbürokratisierung des Steuerverfahrens(Steuerbürokratieabbaugesetz)“ – schon dieser Titelweckt irreführende Erwartungen, die im Eingangstextdes Entwurfs auch noch bestätigt werden. Das Bundes-finanzministerium verbreitet damit den Anschein, einenentscheidenden Durchbruch zu mehr Steuervereinfa-chung erreicht zu haben. Diesem Anschein wird das vor-liegende Gesetz nicht gerecht.

Das Ziel der Steuervereinfachung steht mit dem derSteuergerechtigkeit zum Teil in Einklang, zum Teil inWiderspruch. Grundsätzlich gilt festzuhalten, dass dort,wo ein Überborden an Steuerbürokratie festzustellen ist,dies im Steuerrecht selbst mit seinen unzähligen Sonder-regelungen und Ausnahmetatbeständen begründet ist.Diese überbordende Komplexität des Steuerrechts führtdazu, dass viele Menschen mangels Zeit oder Einblickihnen zustehende Vergünstigungen nicht wahrnehmenund somit zu viel Steuern bezahlen. Das betrifft insbe-sondere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowiekleine Selbstständige, die sich keine Steuerberatung leis-ten können oder wollen. Insofern trägt die Komplexitätzur Steuerungerechtigkeit bei.

Andererseits spiegelt die Komplexität des Steuer-rechts auch die zunehmende Komplexität des Lebensund die Vielfalt der Lebensformen wider. Steuergerech-tigkeit im Sinne von steuerlicher Gleichbehandlungheißt auch, dass Ungleiches ungleich behandelt werden

muss. Daher sollten notwendige individuelle Aufwen-dungen im Steuerrecht berücksichtigt werden. „Einfach“und „leistungsgerecht“ stehen so in einem gewissenWiderspruch zueinander.

Dennoch gibt es Ansatzpunkte für Vereinfachungen.Viele Sonderregelungen und Ausnahmetatbestände sindüberholt oder das Ergebnis von durchgesetzten Sonder-interessen. Ein prominentes Beispiel ist das Ehegatten-splitting, das aus gleichstellungs-, familien- und sozial-politischen Gründen nicht mehr zeitgemäß ist. Dieausschließliche Berücksichtigung von Ehegatten privile-giert diese ungerechtfertigt gegenüber anderen Lebens-weisen. Die Streichung von ungerechtfertigten Sonderre-gelungen und die Einführung von realistischenPauschalbeträgen wäre ein gangbarer Weg zur Steuer-vereinfachung.

Doch wer solches im vorliegenden Gesetzentwurfsucht, wird herbe enttäuscht. Leider geht der Entwurfüber verfahrensrechtliche Regelungen nicht hinaus –materiellrechtliche Steuervereinfachungen sind ausge-sprochen dünn gesät. Es werden vielmehr Fragen desDatenaustauschs behandelt und die Neufestsetzung vonbestimmten Betragsgrenzen vorgenommen. Insofernwurde dieses eher an technischen Fragen orientierte Ge-setzeswerk mit einem ausgesprochen großspurigen Titelversehen.

Trotzdem meint die Bundesregierung, mit dem Ge-setz Steuerverwaltung und Wirtschaft um viele Millio-nen Euro zu entlasten. So sollen damit alle Unternehmenverpflichtet werden, ab 2011 ihre Steuererklärungen aufelektronischem Wege an die Finanzbehörde zu übermit-teln. Aufseiten der Finanzämter soll die elektronischeÜbermittlung eine computergestützte Vorabprüfung er-möglichen und somit die Finanzbeamtinnen und -beam-ten entlasten. Zugleich wird dies als ein effektivererSteuervollzug verkauft, der dauerhaft und verlässlichstaatliche Einnahmen sicherstellen soll. Aber ob das sofunktioniert, darf bezweifelt werden. Die Vielzahl anSteuerrechtsänderungen konnte oftmals nicht rechtzeitigin die elektronischen Programme eingearbeitet werden.In den vergangenen Jahren waren Neuerungen durch dasBundesfinanzministerium lausig vorbereitet, sodass sieviel Nacharbeit und Kosten verursacht haben – nicht zu-letzt bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fi-nanzverwaltung.

Im Detail kann festgehalten werden: Trotz der Neu-formulierung von § 150 Abs. 8 AO sind die Ausnahme-tatbestände, um auf eine elektronische Übermittlung ver-zichten zu können, zu unpräzise formuliert und damitweitgehend ins Ermessen der Finanzverwaltung gestellt.Mit der klaren Benennung von Gewinn-, Umsatz- und/oder Betriebsgrößen hätte zumindest geregelt werdenkönnen, wann die Finanzverwaltung einem Antrag aufAusnahme unbedingt stattzugeben hat. Damit ist ein we-sentlicher Kritikpunkt aus der Sachverständigenanhö-rung nicht ausgeräumt. An den vorliegenden Änderungs-anträgen ist zu begrüßen, dass mit der erstmaligenAnwendung der elektronischen Übermittlung der Bilan-zen sowie der Gewinn- und Verlustrechnung mehr Flexi-bilität ermöglicht wird. Erfreulich ist auch, dass das

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Unterschriftenprozedere für unmittelbar bei der Alters-vorsorge zulageberechtigte Ehegatten vereinfacht wurde.In der Gegenäußerung der Regierung zur Stellungnahmedes Bundesrates war zu lesen, dass man die Möglichkeitzur Selbstveranlagung – § 150 Abs. 8 AO – prüfenwolle. Ich stelle mit Erleichterung fest, dass dieses An-sinnen – im Gegensatz zum Referentenentwurf – keinenEingang in das Gesetz gefunden hat. Insbesondere vordem Hintergrund der ungenügenden Personalausstattungbei den Finanzbehörden hätte eine Steuerumgehung ingrößerem Ausmaß nicht ausgeschlossen werden können.

Summa summarum bringt der Gesetzentwurf eineleichte Vereinfachung für die Finanzverwaltung undkaum nennenswerte Verbesserungen für die Steuer-pflichtigen. Geringfügige Verbesserungen und die nichtaufgegriffene berechtigte Kritik am Ermessensspielraumder Finanzverwaltung sowie der großspurige und damitirreführende Gesetzestitel sind letztlich Grund für dieFraktion Die Linke, sich der Stimme zu enthalten.

Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Dieses Gesetz hält nicht, was der Titel verspricht. Ichmuss ganz klar betonen: Für die Bürgerinnen und Bürgerbringt dieses Gesetz kaum Erleichterungen. Bürokratie-abbau im Sinne dieses Gesetzes bedeutet weniger Arbeitfür die Finanzverwaltung, aber neue Pflichten für dieSteuerpflichtigen.

Die Bürgerinnen und Bürger warten seit Jahren aufdie versprochene durchgreifende Steuervereinfachung.Statt Vereinfachung hat die große Koalition das Steuer-recht deutlich komplizierter gemacht. Zum Beispieldurch die Streichung der ersten 20 Kilometer bei derEntfernungspauschale, durch die völlig unsystematischeAusgestaltung der Abgeltungssteuer – zu der wir jetzt imJahressteuergesetz schon wieder ein Dutzend Ände-rungsanträge beraten mussten – oder auch durch die Be-grenzung des Abzugs von Steuerberatungskosten, umnur einige zu nennen. Auch mit dem Steuerbürokratieab-baugesetz wird es für die Bürgerinnen und Bürger nichteinfacher werden, ihrer Steuerpflicht nachzukommen.Im Kern des Gesetzes geht es darum, bisher papierba-sierte Steuererhebungsverfahren auf elektronische Ver-fahren umzustellen. Nicht nur die Grünen, sondern auchdie Sachverständigen in der öffentlichen Expertenanhö-rung haben grundsätzlich kritisiert, dass hier eine neuePflicht für die Steuerpflichtigen eingeführt wird.

Die große Koalition hat darauf reagiert und eine Es-cape-Regelung geschaffen. Die ist aber wiederum büro-kratisch. Die Steuerpflichtigen müssen einen Antragstellen, dass sie an dem neuen elektronischen Verfahrennicht teilnehmen können, aus wirtschaftlichen oder per-sönlichen Gründen. Die Finanzverwaltung muss dannauf die elektronische Abgabe verzichten. Der Schriftver-kehr hat sich damit also verdoppelt. Statt wie bisher dieSteuererklärung in den Briefumschlag zu stecken undabzuschicken, müssen die Steuerpflichtigen jetzt einenAntrag stellen und dann dürfen sie wie vorher auch dieSteuererklärung per Post abschicken. Es ist wirklichschon fraglich, worin hier die Erleichterungen für dieBürgerinnen und Bürger bestehen sollen. Dieses Verfah-

ren muss deshalb nach einiger Zeit überprüft werden, obes für die Steuerpflichtigen einfach zu handhaben ist unddie Steuerbehörden tatsächlich im Sinne der Antragstel-lenden entscheiden.

Bürokratieabbau kann keine Einbahnstraße sein. DieSteuererhebung müsste viel bürgernäher werden. Eswäre viel besser, auf den Zwang zu verzichten und dieSteuerpflichtigen für die elektronische Übermittlung zu„belohnen“, zum Beispiel durch einen Bonus bei derletztendlich fälligen Steuerschuld, denn schließlich er-sparen die Bürgerinnen und Bürger, die ihre Steuererklä-rung elektronisch übermitteln, der Finanzverwaltungviel Arbeit.

Kritik am Gesetz kommt auch von den Datenschüt-zern. Das Verfahren der qualifizierten elektronischen Si-gnatur sei derzeit alternativlos. Deshalb sehen sie die imGesetz geschaffene Möglichkeit, anstelle der elektroni-schen Signatur auf andere sichere Verfahren beim elek-tronischen Besteuerungsverfahren zurückzugreifen oderauf beides ganz zu verzichten, mit Besorgnis. Die Daten-schützer sehen es deshalb als notwendig an, dass dieseanderen Verfahren von unabhängigen Gutachtern, bei-spielsweise der Bundesnetzagentur, beurteilt werden.Außerdem muss es für die Steuerpflichtigen auch immermöglich sein, bei der elektronischen Kommunikationmit dem Fisku, die qualifizierte elektronische Signaturzu nutzen. Diese ernsthaften Bedenken und Forderungender Datenschützer müssen bei der Umsetzung des Geset-zes berücksichtigt werden.

Weitere Änderungen im Gesetz, wie höhere Schwel-lenwerte für monatliche bzw. vierteljährliche Umsatz-steuer- und Lohnsteuervoranmeldungen, sind durchaussinnvoll, denn dies entlastet kleinere Unternehmen undVerwaltung. Ebenso zu begrüßen ist es, dass die Verwal-tung bei offenen BFH-Verfahren die Steuer vorläufigfestsetzen kann, denn damit bleiben den Bürgern„rechtswahrende“ Einsprüche erspart und der Verwal-tung natürlich deren Bearbeitung.

Insgesamt bringt der Gesetzentwurf einige kleineFortschritte, die Pflicht zur Abgabe einer elektronischenSteuererklärung und das bürokratische Verfahren, dieszu vermeiden, sind aber problematisch. Meine Fraktionwird sich deshalb bei der Abstimmung zu diesem Gesetzenthalten.

Anlage 16

Zu Protokoll gegebene Reden

zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zurVerbesserung der Rahmenbedingungen für dieAbsicherung flexibler Arbeitszeitregelungen(Tagesordnungspunkt 31)

Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Mit der heuti-gen Verabschiedung des Entwurfs eines Gesetzes zurVerbesserung der Rahmenbedingungen für die Absiche-rung flexibler Arbeitszeitregelungen, auch Flexi II ge-nannt, erfolgt eine konsequente Umsetzung des Koali-

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tionsvertrages von 2005. Damit wird das Flexi-I-Gesetzaus dem Jahre 1998 weiterentwickelt. Unser Hauptziel:Wir wollen Langzeitkonten attraktiver machen. – Wa-rum? Wir wollen, dass die Menschen ihre Lebensarbeits-zeit flexibler gestalten können. Langzeitkonten gewin-nen auch an Bedeutung im Hinblick darauf, dass diegesetzliche Förderung der Altersteilzeit auslaufen wirdund wir Ende der 20er-Jahre dieses Jahrhunderts einRenteneintrittsalter von 67 Jahren haben werden. MitLangzeitarbeitskonten sind Arbeitnehmer auch für be-sondere Lebensphasen vorbereitet. Zum Beispiel bei Fa-milien- und Pflegezeiten. Darum geben wir den Beschäf-tigten mit diesem Gesetz ein Steuerungsinstrument andie Hand, mit dem sie ihre Lebensarbeitszeiten in Zu-kunft besser lenken können.

Wie macht man das? Erstens durch die deutliche Un-terscheidung von Langzeitkonten gegenüber Kurzzeit-oder Flexikonten. Sie haben unterschiedliche Funktio-nen. Zweitens durch die Absicherung der Langzeitar-beitskonten gegen Risiken. Drittens durch eine flexibleAusgestaltung über Tariföffnungsklauseln, Ausnahme-und Übergangsregelungen. Und genau dies haben wirgemacht.

Erstens ist es wichtig, Langzeitkonten gegenüberFlexi- oder Kurzzeitkonten abzugrenzen. Kurzzeitkon-ten dienen nur der Arbeitszeitflexibilisierung und habennicht den Anspruch, größere Guthaben anzusparen. Siedienen zum Beispiel dazu, kurzfristig die werktäglichewöchentliche Arbeitszeit mit angesammelten Überstun-den abzubauen. Bei Langzeitkonten geht es um einelangfristige Ansammlung von Arbeitszeiten, Überstun-den oder auch Urlaubszeiten inklusive Sozialversiche-rungsbeiträgen und Steuern. Diese angesparte Arbeits-zeit soll zu gesetzlich begründeten Anlässen wieKinderbetreuung, Pflege, Zeiten der Qualifizierung oderWeiterbildung oder auch zur Verwendung vor Bezug derAltersrente genutzt werden. Steuern und Sozialversiche-rungsbeiträge fallen hier erst an, wenn es zur Auszah-lung aus dem Langzeitkonto kommt. Damit der Arbeit-nehmer Wertguthaben wirklich als Steuerungsinstrumentnutzen kann, muss er eine Übersicht seiner angespartenArbeitszeit haben. Deshalb wird der Arbeitgeber ver-pflichtet, jährlich einen Kontoauszug zu erstellen, damitder Arbeitnehmer weiß, wie viel er auf seinem Konto an-gespart hat.

Zweitens sichern wir mit diesem Gesetz Wertgutha-ben gegen Risiken ab. Wir haben zunächst den Insolvenz-schutz von Wertguthaben – ein Kernpunkt diesesGesetzes – optimiert. Generell ist die Frist zur Informa-tionspflicht über den Insolvenzschutz auf zwei Monateverkürzt worden. Unsichere Insolvenzschutzmaßnahmenwie Patronatserklärungen und konzerninterne Bürg-schaften sind nicht mehr zulässig. Arbeitnehmer erhaltendie Möglichkeit zur Kündigung der Wertguthabenver-einbarung bei fehlendem Insolvenzschutz und habeneinen Schadensersatzanspruch bei ungenügendem Insol-venzschutz. Eine Prüfung des Insolvenzschutzes durchdie Deutsche Rentenversicherung Bund rundet hier dasBündel der Maßnahmen zum Insolvenzschutz von Wert-

guthaben ab. Die sichere Anlage von Wertguthaben istein weiterer Punkt. Hoch spekulative Anlagen sollenausgeschlossen werden. Bei Wertguthaben soll der Akti-enanteil auf 20 Prozent beschränkt werden. Außerdemwird Werterhaltgarantie zum Zeitpunkt der Entnahmegefordert, die dem Arbeitnehmer die Auszahlung dermindestens eingebrachten Summe garantiert. Ausnah-men in Bezug auf einen höheren Aktienanteil sind aberdurch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarungen sowiebei Verwendung des Wertguthabens vor Bezug der Al-tersrente möglich.

Des Weiteren ist die Portabilität von Wertguthabenverbessert worden. Neben der Auszahlung des Wertgut-habens beim Arbeitgeberwechsel bestehen nun zweineue Möglichkeiten. Durch die Neuerung ist es jetztmöglich, bei einem Arbeitgeberwechsel das Wertgutha-ben auf den neuen Arbeitgeber oder die Deutsche Ren-tenversicherung Bund zu übertragen, die in diesem Falldas Konto führt und verwaltet.

Während der Beratungen war es Notwendigkeit, denGesetzesentwurf an der einen oder anderen Stelle nach-zujustieren. So wurde der Schwellenwert für den Insol-venzschutz gesenkt. Im Gesetzentwurf war noch dasdreifache der monatlichen Bezugsgröße vorgesehen, abdem das Guthaben gegen Insolvenz gesichert ist. Der In-solvenzschutz soll früher beginnen. Deshalb haben wirden Schwellenwert auf eine monatliche Bezugsgröße re-duziert. Dies entspricht einem Betrag von 2 485 Euro inden alten und 2 100 Euro in den neuen Bundesländern.

Auch den Schwellenwert zur Übertragung von Wert-guthaben auf die Deutsche Rentenversicherung Bund ha-ben wir von der 12-fachen Bezugsgröße auf die 6-facheBezugsgröße abgesenkt. Das bedeutet in den alten Bun-desländern ein Volumen von 14 900 Euro und in denneuen Bundesländern von 12 600 Euro. Damit kommenwir einer Forderung des Bundesrates entgegen und er-möglichen die Führung von Wertguthaben bei der Deut-schen Rentenversicherung Bund schon ab einer geringe-ren Höhe.

In der Praxis ist die Umwandlung von Wertguthabenin die betriebliche Altersvorsorge teilweise sehr exzessivausgenutzt worden. Dadurch konnte die Sozialversiche-rungspflicht bei der Entgeltumwandlung oberhalb von4 Prozent umgangen werden. Dies entspricht aber nichtder Intention von Wertguthaben. Zukünftig – Stichtag istder 13. November 2008 – wird dies nicht mehr möglichsein. Hiermit werden betriebliche Altersvorsorge undWertguthaben genauer voneinander abgegrenzt.

Eine weitere Änderung bezieht sich auf die in § 7 cSGB IV genannten Freistellungszwecke. Freistellungenzum Zwecke pflegebedürftiger Angehöriger, Elternzeit,Qualifizierungszeiten oder Verwendung des Guthabensvor Bezug der Rente sind bei Bezug von Kurzarbeiter-geld künftig gleich zu behandeln. Die Regelungen zu derÜbertragung von Wertguthaben treten zum 1. Juli 2009in Kraft. So ist hier die Möglichkeit gegeben, dass sichdie Deutsche Rentenversicherung Bund optimal auf dieNeuerungen einstellen und vorbereiten kann.

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Während der Beratungen des Gesetzentwurfs ist übereine ganze Reihe von Fragen diskutiert worden, die ausmeiner Sicht für die Verabschiedung des Gesetzentwurfsnur vorläufig beendet worden sind oder noch ungeklärtgeblieben sind. Dazu gehört die Frage des Aktienanteilsund der Werterhaltungsgarantie, weiterhin die Frage, obdie Portabilität auch auf andere als die Deutsche Renten-versicherung Bund möglich ist oder die Rückübertra-gung auch auf neue Arbeitgeber zugelassen werden kann.Auch die Frage, ob Wertguthaben ins Schonvermögenübertragen werden sollen, konnte nicht endgültig geklärtwerden.

Trotzdem bin ich mir sicher, dass wir mit dem Gesetzeine gute Grundlage für die Gestaltung von Arbeitszeit-konten legen. Die Bundesregierung wird bis zum31. März 2012 einen Bericht zu den Auswirkungen derÄnderungen vorlegen. Bis dahin gilt es, Erfahrungen mitLangzeitkonten zu sammeln, vor diesem Hintergrundeine Überprüfung der jetzigen Regelung vorzunehmenund die noch offenen Fragen zu klären. Während desGesetzgebungsverfahrens hat sich der Gesetzentwurf zueinem sogenannten Omnibus entwickelt, das heißt, essind Artikel mit Änderungen von anderen Gesetzen an-gehängt worden, die nicht direkt mit Langzeitarbeitskon-ten zu tun haben. Zur Erläuterung dieser Vorhaben ver-weise ich auf den Ausschussbericht.

Wolfgang Grotthaus (SPD): Das uns vorliegendeGesetz ist ein gutes Gesetz, denn es macht die Langzeit-konten von angesparter Arbeit sicherer, es schafft Klar-heit, um welche Konten – hier Wertguthabenkonten ge-nannt – es sich handelt. Es schafft die Möglichkeit einereingeschränkten Portabilität, und mit dem Gesetz wirddafür gesorgt, dass das von den Arbeitnehmern ange-sparte Kapital nicht spekulativ angelegt werden kann.Gleichzeitig eröffnet es aber auch den Tarifvertragspar-teien, bei dem letztgenannten Punkt in Eigenverantwor-tung im Rahmen eines Tarifvertrages andere als im Ge-setz formulierte Vorgaben zu vereinbaren.

Die Zusammenarbeit in den Koalitionsfraktionen liefgut. Verbesserungen zum Wohle derjenigen, die Wert-guthabenkonten ansparen wollen, wurden zügig abge-schlossen. Die Koalitionsfraktionen konnten Forderun-gen, die ich nachfolgend aufzeigen möchte, durchsetzen.Im Änderungsantrag wurden diese Verbesserungen indas Gesetz aufgenommen. Im Einzelnen: die Herabset-zung des Schwellenwertes, ab dem der Insolvenzschutzgreift; die Herabsetzung der Wertgrenze für die Übertra-gung von Wertguthaben auf die DRV; die Verhinderungder beitragsfreien Übertragung von Wertguthaben in diebetriebliche Altersversorgung; die genaue Formulierung,zu welchem Zweck Zeit aus dem Wertguthaben genom-men werden kann; schließlich die Gültigkeit der Freistel-lungszwecke auch bei Kurzarbeit.

Gerne hätten wir noch in das Gesetz mit aufgenom-men, dass auch Kurzzeitkonten – Gleitzeit – dem Insol-venzschutz unterliegen. Dies war aber aufgrund des Ko-alitionsvertrages nicht möglich. Auch war keineEinigkeit zu erzielen bei der Hereinnahme der Langzeit-

konten in das Schonvermögen von ALG-II-Empfängern.Nach unserer Vorstellung haben Wertguthaben, für dieeine unwiderrufliche Festlegung auf eine ausschließlicheAltersbindung besteht, den Charakter einer Altersvorsor-geleistung wie zum Beispiel die Riester-Rente; so hättendiese Wertguthaben ebenso wie die als Schonvermögenbei Bezug von ALG II behandelt werden können. Hierkündigen wir heute schon an, dass wir diese zwei The-men im Rahmen der Evaluierung des Gesetzes wiederauf die Tagesordnung setzen werden.

Also ein gutes Gesetz, das nicht alle unsere Wünscheerfüllt, das aber für die Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmer eine größere Zeitsouveränität und Sicherheit beiihrer Lebensarbeitszeitgestaltung ermöglicht.

Den zu diesem Gesetz eingebrachten Antrag der Lin-ken lehnen wir ab.

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Die Bundesregierunglegt heute einen Gesetzentwurf zur Schlussberatung vor,mit dem die Arbeitswelt durch Flexibilisierung der Ar-beitszeiten im Interesse der Arbeitnehmer und Arbeitge-ber verbessert werden soll. Arbeitszeitkonten sollenkünftig noch besser als bisher für eine selbstbestimmteGestaltung des Arbeitslebens eingesetzt werden können.Über insolvenzrechtlich geschützte und portable Ar-beitszeitkonten sollen Arbeitnehmer Unterbrechungendes Erwerbslebens (zum Beispiel für Erziehungs- undPflegezeiten) ermöglichen können. Auch soll durch Ar-beitszeitkonten die Flexibilität beim Übergang vom Er-werbsleben in den Ruhestand verbessert werden. ImVordergrund des vorliegenden Gesetzentwurfs steht dasBemühen, einerseits die Portabilität der Wertguthaben zustärken, andererseits den Insolvenzschutz der Wertgutha-ben von Langzeitkonten zu verbessern.

Dabei baut der vorgelegte Gesetzentwurf auf dem un-ter liberaler Mitwirkung im April 1998 erlassenenGesetz zur sozialrechtlichen Absicherung flexibler Ar-beitszeitregelungen (BGBl. 1998 I Seite 688) auf, dasdie Grundlage für die Flexibilisierung der Arbeitszeitbildete. Die FDP-Bundestagsfraktion hat den Gedankeneines selbstbestimmten Arbeitslebens seitdem, unter an-derem mit dem Konzept eines flexiblen Renteneintrittsab dem 60. Lebensjahr bei Wegfall aller Zuverdienst-grenzen und mit Vorschlägen zur Stärkung der betriebli-chen und privaten Vorsorge, konsequent weiterentwi-ckelt. Arbeitszeitkonten, welche die Arbeitnehmer imÜbergang von der vollen Erwerbstätigkeit in den Ruhe-stand einsetzen können, ergänzen dieses Modell einesflexiblen Rentenzugangs in geradezu idealer Weise.

Allerdings wurden in der Anhörung und in denschriftlichen Stellungnahmen von den Sachverständigenzum Teil erhebliche Zweifel an den Regelungen des Ge-setzentwurfs geäußert, sodass die FDP-Fraktion demvorliegenden Gesetzentwurf am Ende nicht zustimmenkann. Ich will dies im Folgenden begründen:

Erstens: Mangels einer Bestandsschutzregelung fürden Rechtsrahmen bereits bestehender Arbeitszeitkontenführt der Gesetzentwurf die Gefahr herbei, dass viele Ar-

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beitgeber kurzfristig bestehende Arbeitszeitkonten auf-lösen. Denn der Gesetzentwurf sieht vor, dass auch fürbereits existierende Arbeitszeitkonten das neue Rechtgilt. Daraus ergibt sich, dass für bestehende Arbeitszeit-konten die neu eingeführte Werterhaltungsgarantiegreift. Arbeitgeber, deren Arbeitszeitkonten im Zusam-menhang mit der Finanzmarktkrise in den letzten Mona-ten starke Einbußen erlitten haben, könnten daher ein In-teresse daran haben, die bestehenden Arbeitszeitkontenvor Inkrafttreten der Werterhaltsgarantie aufzulösen. Da-bei ist davon auszugehen, dass auch die Wertguthabenseriöser Arbeitgeber, die keine spekulative Anlagestrate-gien verfolgten und beispielsweise in Aktienfonds mitdeutschen Unternehmenswerten investierten, in den letz-ten Monaten hohe Verluste aufweisen.

Zweitens: Der im Gesetzentwurf vorgesehene Wegzur Verbesserung der Portabilität über die gesetzlicheRentenversicherung ist in der gegenwärtigen Fassungaus mehreren Gründen insbesondere für die Arbeitneh-mer unattraktiv. Zum einen wird ein Rückübertragungs-anspruch des Kontos eines Beschäftigten von derRentenversicherung auf einen neuen Arbeitgeber ausge-schlossen. Er muss dann bei einem neuen Arbeitgeberein neues Wertkonto bilden, wenn er einmal ein beste-hendes Konto auf die Rentenversicherung übertragenhat. Das kann dazu führen, dass er am Ende über meh-rere Konten verfügt. Diese Regelung ist insbesonderedeswegen ärgerlich, weil der Vertreter der DeutschenRentenversicherung in der Anhörung geäußert hat, dasseine Rückübertragung durchaus denkbar sei, wenn dieentsprechenden Vorschriften zur Werterhaltsgarantie an-gepasst würden. Die im Gesetzentwurf abstrakt genann-ten „Gründe der Verwaltungssicherheit und Finanzie-rung“ sind also gar nicht der wirkliche Grund für diemangelnde Portabilität, sondern die fehlende Ausarbei-tung durch die Bundesregierung.

Zum anderen blieb in der Anhörung unklar, ob dieAnlage der Arbeitszeitkonten bei der Rentenversiche-rung überhaupt attraktiv ist. Der Arbeitnehmer muss dieVerwaltungskosten für das Wertguthaben tragen. Zu-gleich gelten die konservativen Anlagevorschriften füröffentlich-rechtliche Sozialversicherungsträger. Mankönnte und sollte darüber nachdenken, den Arbeitneh-mern ein Wahlrecht zuzugestehen, welchen Risikogradsie bei der Anlage ihres Wertkontos haben möchten, wassich natürlich auch auf die Garantiesumme auswirkt.Wenn die Anlage zu unattraktiv ist, wird dieser Weg derPortabilität nicht genutzt werden.

Aus den Stellungnahmen zur Anhörung ergab sichauch, dass eine treuhänderische Übernahme von Arbeits-zeitkonten durch private Institutionen durchaus möglichist. Im Gesetzentwurf werden dagegen viele Gründe auf-gezählt, warum eine treuhänderische Übernahme der Ar-beitszeitkonten durch private Anbieter nicht zulässigsein soll. Dabei steht vor allem der Schutz der Sozialver-sicherungsbeiträge im Vordergrund, also weniger die In-teressen der Arbeitnehmer als die Interessen der Sozial-versicherungsträger. Mit dieser Interessengewichtungwird die Attraktivität des Gesetzes für Arbeitnehmeraber beschnitten.

Drittens: Mit dem Gesetz sollen Wertguthaben wäh-rend der Ansparphase besser als bisher geschützt wer-den. Dafür sollen die Vermögensanlagevorschriften des§ 80 ff. SGB IV, die für öffentlich-rechtliche Sozialversi-cherungsträger gelten, künftig auf Arbeitszeitkonten an-gewendet werden. In der Anhörung wurde aber mehr-fach darauf hingewiesen, dass für die Versicherungender Verweis auch auf die Anlagevorschriften des § 80 ff.SGB IV problematisch ist. Denn die Versicherungenkönnten dann gezwungen sein, die Mittel aus Wertgutha-ben gesondert zu verwalten, neben den Geldern, die nachden Bestimmungen des Versicherungsaufsichtsgesetzesangelegt werden. Dabei bieten bereits das Versiche-rungsaufsichtsgesetz und die darauf basierende Anlage-verordnung einen sehr hohen Sicherungsstandard.

Viertens werden bei dem Versuch, Arbeitszeitkontenbesser gegen Insolvenz zu schützen, Regelungen einge-führt, die der weiteren Verbreitung von Arbeitszeitkon-ten im Wege stehen werden. Zwar wird damit auf dieTatsache reagiert, dass in der Praxis bisher viele Arbeits-zeitkonten nicht wirksam insolvenzgesichert waren undes dadurch zu Ausfällen von Arbeitszeitkonten bei Insol-venzen kam.

Kontraproduktiv für die weitere Verbreitung von Ar-beitszeitkonten ist aber der im Gesetzentwurf vorgese-hene Schadensersatzanspruch gegen den Vorstand oderdie Geschäftsführer eines Unternehmens, wenn sich derInsolvenzschutz nachträglich als nicht wirksam erweist.In der Anhörung wurde darauf hingewiesen, dass bereitsheute ein Schadensersatzanspruch gegen den Arbeitge-ber besteht, wenn er eine Insolvenzabsicherung unterVortäuschung falscher Tatsachen unterlassen hat.

Darüber hinaus soll das Wertguthaben des Kontoskünftig durch Dritte, insbesondere Treuhänder, geführtwerden. Es stellt sich die Frage, ob das nicht gerade fürkleinere Betriebe einen zu hohen Abfluss an Kapital be-deutet. In der Anhörung wurde angemahnt, auch andereals die im Gesetzentwurf vorgesehenen Sicherungs-instrumente, beispielsweise schuldrechtliche, gegen In-solvenzfälle zuzulassen.

Unklar bleibt schließlich auch, warum Arbeitszeit-konten künftig nur noch in Geldform und nicht mehr alsZeitkonten geführt werden können. Eine wirkliche Be-gründung liefert der Gesetzentwurf hier nicht. So wirdlediglich die Vertrags- und Tarifautonomie beschnitten.

Im Ergebnis enthält der heute zu beratende Gesetzent-wurf zu viele undurchdachte Regelungen, bei deren In-krafttreten zu befürchten ist, dass sich Arbeitszeitkontennicht weiter verbreiten, sondern die Verbreitung sogarbehindert wird. Damit ist das Gesetz nicht zustimmungs-fähig. Die FDP-Bundestagsfraktion wird sich – weil siesich zu dem grundsätzlichen Ziel weiterhin bekennt –der Stimme enthalten.

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Wie stellte das Han-delsblatt am 9. November treffsicher fest: „Für die Ar-beitgeber ist derweil einer der erfreulichsten Aspekte desGesetzes, dass die Koalition nicht alle Arbeitszeitkonten

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einschränken will: Kurzfristige Gleitzeitkonten und ähn-liche Modelle sollen weitgehend verschont bleiben.“ Eswird Sie sicherlich nicht verwundern, dass dies auch un-ser Hauptkritikpunkt ist. Ausgerechnet die große Masseder Arbeitszeitkonten, mit denen die Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmer zudem wesentlich zum Ausgleichwirtschaftlicher Schwankungen beitragen, nämlich dieGleit- und Kurzzeitkonten, sind ausdrücklich von einemInsolvenzschutz ausgenommen. Insbesondere die Sach-verständigenanhörung hat deutlich gemacht, dass es da-für keinen sachlichen Grund und keine Notwendigkeitgibt: Modelle zur Sicherung von Gleit- und Kurzzeitkon-ten befinden sich längst auf dem Markt.

Begrüßenswert ist, dass sich die Koalition völlig un-erwartet als lernfähig erwiesen hat, indem sie im Ände-rungsantrag auf die Zeitgrenzen beim Insolvenzschutzverzichtet. Unklar bleibt allerdings, warum Wertkontennicht vom ersten Cent an gesichert werden können, sindsie doch von den übrigen Arbeitszeitkonten funktionellgetrennt.

Einem selbstgestellten Anspruch wird auch der geän-derte Gesetzentwurf nicht gerecht: Er stellt keine Alter-native zur auslaufenden Förderung der Altersteilzeitdurch die Bundesagentur für Arbeit und zur Anhebungder Altersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherungauf 67 Jahre dar. Zum einen ist der Adressatenkreis desGesetzes auf relativ wenige Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer begrenzt. Zum anderen muss selbst dieserkleine Kreis den vorzeitigen Austritt aus dem Erwerbsle-ben erst herausarbeiten.

Langzeitarbeitszeitkonten sollen die Zeitsouveränitätder Beschäftigten erhöhen. Sie sollen insbesondere fürFamilienzeiten und Weiterbildung genutzt werden. Diessetzt aber voraus, dass diese Konten durch nicht vergü-tete Arbeitszeit gespeist werden, was wiederum bedeu-tet, dass zunächst länger gearbeitet werden muss. DieseVerdichtung der Arbeit geht ausschließlich auf Kostender Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sie geht zu-lasten der Gesundheit und der Familienplanung. Dieslegt den Verdacht nahe, dass die Bundesregierung diesesInstrument vorrangig für Besserverdienende gedacht hat,die durch das Ansparen hoher Einmalzahlungen oderPrämien eher in der Lage sein werden, von dieser Formder Flexibilisierung der Lebensarbeitszeit Gebrauch zumachen.

Bereits bei der Einführung des Gesetzes habe ich da-rauf aufmerksam gemacht, dass die im § 7 c vorhandeneÖffnungsklausel nicht geeignet ist zu verhindern, dassdie nunmehrigen Wertkonten auch zum Ausgleich kon-junktureller Schwankungen herangezogen werden kön-nen. Angesichts der stärkeren Verhandlungsposition desArbeitgebers wird sich diese Möglichkeit der Inan-spruchnahme des Wertkontos in den Verträgen zuhaufwiederfinden.

Die Übertragbarkeit von Wertkonten auf die DeutscheRentenversicherung Bund trägt der wachsenden Anzahlgebrochener Erwerbsbiografien Rechnung. Doch auchdiese Regelung, sowohl im ersten Entwurf als auch inder zur Abstimmung vorliegenden Fassung, beantwortet

nicht die Frage, warum diese Portabilität eine Einbahn-straße sein muss. Weshalb soll es nicht möglich sein, einauf die Deutsche Rentenversicherung Bund übertragenesWertguthaben auf einen neuen Arbeitgeber zu übertra-gen? Diese Frage konnte auch in der Sachverständigen-anhörung nicht beantwortet werden.

Ein Problem ist nach wie vor ausgespart: Die beste-hende Gesetzeslage verhindert nicht, dass Wertkonten,die auf die Deutsche Rentenversicherung Bund übertra-gen wurden, bei einem zwischenzeitlichen Bezug vonArbeitslosengeld II aufgelöst werden müssen. Damitwird besonders bei jungen Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmern die Hemmschwelle für den Eintritt in dieFlexibilisierung der Lebensarbeitszeit besonders hochsein. Doch gerade für diese Generation wäre dies wich-tig, weil sie von der Heraufsetzung des Renteneintritts-alters besonders betroffen sind.

Unbestritten ist die Insolvenzsicherung der Langzeit-arbeitskonten gegenüber der bisherigen Gesetzeslagedurch den vorliegenden geänderten Gesetzentwurf einSchritt in die richtige Richtung. Leider bleibt aber vielesunausgegoren – wie es ein Experte so schön formulierthat –: „Das Flexi-II-Gesetz in seiner Unausgereiftheitweckt insgesamt Assoziationen an ein Montagsauto.“Würden Sie sich, meine Damen und Herren, bewusst füreinen solchen Wagen entscheiden?

Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Flexibilität ist keine Einbahnstraße, die wir nur von Ar-beitnehmern verlangen können. Immer mehr Menschenwollen und müssen ihre Erwerbsbiografien an ihre indi-viduellen Bedürfnisse und Erfordernisse anpassen, undhierfür sind Langzeitarbeitszeitkonten ein wichtiges In-strument. Familienphasen, Weiterbildung, Auszeiten, einindividueller Ausstieg aus dem Erwerbsleben – für dieseZwecke eignen sich im Idealfall Langzeitkonten.

In der konkreten Ausgestaltung von Langzeitkontenlag bislang aber einiges im Argen. Die Koalition wolltedas mit ihrem Gesetzentwurf ändern, aber aus grünerSicht ist sie dabei – trotz einiger Verbesserungen im Be-ratungsverfahren – viel zu kurz gesprungen. Deswegenwerden wir den Entwurf ablehnen. Die Gründe dafür lie-gen auf der Hand:

Erstens. Der Insolvenzschutz von Langzeitarbeitskon-ten bleibt lückenhaft. Nach wie vor bleiben generell Gut-haben ungesichert, die weniger als 2 485 Euro betragen.Bis zu dieser Grenze ist bei einer Insolvenz das Risikovon Beschäftigten, ihr bereits erarbeitetes Entgelt zu ver-lieren, sehr groß. Unsere Forderung bleibt, dass Lang-zeitkonten ab dem ersten Euro geschützt sein müssen.Aber selbst wenn ein Beschäftigter auf seinem Kontomehr als 2 485 Euro angespart hat, trägt er weiter einsei-tig Risiken: Denn hat sein Arbeitgeber nicht für ausrei-chenden Versicherungsschutz gesorgt, bekommt er zu-künftig zwar einen Schadenersatzanspruch eingeräumt –ob er den gegenüber seinem insolventen Arbeitgeberaber auch durchsetzen kann, muss bezweifelt werden.Am Ende bleibt dasselbe Ergebnis: Das Guthaben istfutsch.

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Zweitens. Die Übertragbarkeit von Langzeitarbeits-konten ist weiterhin unzureichend. Arbeitgeberwechselsind heute die Regel und nicht mehr die Ausnahme.Trotzdem ermöglicht die Neuregelung nicht die konti-nuierliche Kontoführung über mehrere Beschäftigungs-verhältnisse hinweg. Die Konsequnez: Will ein neuerArbeitgeber das zuvor erarbeitete Konto nicht überneh-men, bleibt nur, es aufzulösen. Damit sind aber auch diePläne, die mithilfe des Langzeitkontos realisiert werdensollten, hinfällig geworden,

Lediglich für Beschäftigte, die bereits ein hohes Gut-haben von mindestens 14 900 Euro angespart haben, hatdie Bundesregierung eine weitere Option geschaffen: Siekönnen ihr Guthaben auf die Deutsche Rentenversiche-rung übertragen. Dann ist es jedoch nur noch für be-stimmte gesetzlich normierte Zwecke nutzbar, wie zumBeispiel die Eltern- oder die Pflegezeit. Diese Lösunghat einen weiteren Haken: Unakzeptabel ist aus grünerSicht, dass ein Beschäftigter ein bestehendes Guthabennicht wieder von der Rentenversicherung auf einen spä-teren Arbeitgeber übertragen kann, selbst wenn dieserdas Konto übernehmen würde. Für diese Beschränkunggibt es keinen nachvollziehbaren Grund. Auch die Ver-treter der Rentenversicherung haben bestätigt, dass eineRückübertragung grundsätzlich möglich wäre.

Drittens. Die Rechte der Arbeitnehmer werden bezo-gen auf die Nutzung ihrer Langzeitkonten nicht gestärkt.Der Arbeitnehmer, der ein Langzeitarbeitskonto aufge-baut hat, kann nach den Plänen der Bundesregierungauch weiterhin nicht weitgehend frei über sein Guthabenverfügen. Einen Anspruch auf Entnahme oder Freistel-lung gegenüber dem aktuellen Arbeitgeber wird es auchzukünftig nicht geben. Diese Regelung wäre aus unsererSicht aber notwendig, auch wenn wir im Normalfall eineinvernehmliches Arrangement erwarten.

Viertens. Langzeitkonten gelten nicht als Schonver-mögen im SGB II. Das bedeutet, dass Arbeitnehmer ge-zwungen werden können, ihre Wertguthaben zur Siche-rung ihres Lebensunterhalts wegen Arbeitslosigkeit zuverbrauchen. Auch das entspricht nicht unserer Vorstel-lung. Angesichts solcher konkreten Gefahren werdenviele Arbeitnehmer zögern, Zeit und Geld in ein Lang-zeitkonto zu investieren. Selbstgestecktes Ziel der Bun-desregierung war es, Langzeitkonten attraktiver und si-cherer zu machen. Aber auch nach den Beratungen istdie Mängelliste lang geblieben, zu lang, als dass wirGrünen dem Gesetzentwurf zustimmen könnten.

Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär beim Bundes-minister für Arbeit und Soziales: Die eigene Lebensar-beitszeit planen, eine ganze Erwerbsbiografie langselbstbestimmt gestalten – das sind berechtigte Wünschevieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Der Ihnenvorliegende Gesetzentwurf wird diesen Wünschen mitklareren Regelungen und besserer Absicherung gerecht.Schon heute können Beschäftigte durch viele gesetzlicheAnsprüche ihre Zeit selbstbestimmt planen. Dies giltetwa bei der Pflege, bei der Teilzeitarbeit, bei der Kin-dererziehung und bei der Bildung. Aber auch über die

Elternzeit hinausgehende Familienzeiten und sogenannteSabbaticals gewinnen in der betrieblichen Praxis immermehr an Bedeutung.

Durch Langzeitkonten kann der Beschäftigte über dasganze Arbeitsleben hinweg souverän über die eigene Ar-beitszeit verfügen. Diese vor zehn Jahren eingeführteGrundidee attraktiver zu gestalten, dazu dient das Ge-setz. Arbeitszeit kann angespart, ja sogar vorgespartwerden, und sie wird erst verbeitragt und versteuert,wenn der Beschäftigte tatsächlich einen Freistellungs-zeitraum nutzt.

Allerdings weisen die derzeit bestehenden Regelun-gen Lücken auf, insbesondere, weil sich viele in der Pra-xis nicht an die gesetzlichen Verpflichtungen halten,wenn es um den Schutz der Langzeitkonten geht. Wirsetzen uns mit dem vorliegenden Gesetz engagiert fürdiese Verbesserungen ein, weil wir wissen, dass die jetzi-gen Regelungen zum Insolvenzschutz nicht richtig grei-fen oder nicht beachtet werden.

Man darf nicht vergessen, dass Wertguthaben nebenArbeitsentgelt noch Sozialversicherungsbeiträge undLohnsteuer beinhalten. Diese Entgelte und die Einnah-men der öffentlichen Kassen müssen wirksam geschütztund verlässlich sein. Wenn der Insolvenzschutz nicht ge-währleistet ist, gilt die Vereinbarung zukünftig bei feh-lender Heilung nicht, und Steuern und Abgaben werdensofort fällig. Das ist ein deutlicher Anreiz, diese leicht-fertig ungeschützte Situation zu vermeiden.

Erstmals wird auch das Anlagerisiko für Wertgutha-ben geregelt. Langzeitkonten sind kein Privatvermögenund keine private Kapitalanlage, sondern ein Instrumentzur Ermöglichung von Freistellungszeiten im Lauf derErwerbsbiografie. Dieses hart erarbeitete Arbeitsentgeltist kein Spielgeld von irgendwelchen Schnellverspre-chern und Finanzjongleuren. Bei der Erarbeitung desGesetzentwurfes war von der Finanzkrise noch keineRede. Wir haben jedoch von Anfang an die richtigen Re-geln vorgesehen, die einen optimalen Ausgleich zwi-schen Sicherheit und Renditechance schaffen.

Der Gesetzesentwurf greift Anregungen der Tarifpart-ner auf und enthält erstmals Vorschriften zur Portabilitätvon Wertguthaben. Wer keinen neuen Arbeitgeber fin-det, auf den er bei Wechsel des Arbeitsplatzes sein Wert-guthaben übertragen kann, der kann dies in Zukunft aufdie Deutsche Rentenversicherung Bund übertragen undbei gesetzlichen oder mit dem aktuellen Arbeitgeber ver-einbarten Freistellungszeiten darauf zugreifen.

Diese Regelungen werden durch den Änderungsan-trag der Regierungsfraktionen weiter verbessert: Durchdie deutliche Absenkung des Schwellenwertes könnenmehr Menschen von dieser Regelung profitieren undmüssen ihre Guthaben nicht mehr auflösen. Damit schaf-fen wir es, die Funktion von Wertguthaben als Lebensar-beitszeitkonten zu sichern. Ich bin mir sicher: Auf derGrundlage dieses Gesetzes werden derartige Kontenschon in wenigen Jahren eine weite Verbreitung gefun-den haben.

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Anlage 17

Zu Protokoll gegebene Reden

zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zurEinführung Unterstützter Beschäftigung (Ta-gesordnungspunkt 33)

Hubert Hüppe (CDU/CSU): Die CDU/CSU-Bun-destagsfraktion will für mehr Menschen mit Behinderun-gen Teilhabechancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarktermöglichen. Die Bundesregierung geht mit dem vorlie-genden Gesetzentwurf zur Unterstützten Beschäftigungeinen weiteren Schritt in diese richtige Richtung.

Der Gesetzentwurf sieht die Unterstützte Beschäfti-gung als eine neue Leistung zur Teilhabe am Arbeitsle-ben als Alternative zu einer Werkstatt für behinderteMenschen vor. Ziel der Unterstützten Beschäftigung istein regulärer, sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplatzauf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Die neue Maßnahmeist insbesondere für behinderte Menschen gedacht, dievor der Aufnahme in eine Werkstatt für behinderte Men-schen stehen. Hierzu zählen vor allem junge Menschenmit Behinderung, denen eine berufsvorbereitende Maß-nahme oder eine Berufsausbildung wegen Art oderSchwere ihrer Behinderung nicht möglich ist. Danebenrichtet sich die Unterstützte Beschäftigung an Men-schen, bei denen sich im Laufe ihres Erwerbslebens eineBehinderung eingestellt hat, beispielsweise aufgrund ei-nes Unfalls oder einer psychischen Erkrankung.

Die neue Leistung Unterstützte Beschäftigung glie-dert sich in zwei Phasen. Die erste Phase ist die „indivi-duelle betriebliche Qualifizierung“. Sie dauert in derRegel zwei Jahre und soll mit einem regulären Arbeits-verhältnis enden. In der zweiten Phase wird „Berufsbe-gleitung“ so lange geleistet, wie weitere Unterstützungnötig ist, um den Arbeitsplatz zu sichern.

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sieht im Gesetz-entwurf einen weiteren Baustein für verbesserte Teilha-bechancen von Menschen mit Behinderungen in der Ge-sellschaft. Für uns ist entscheidend, dass es sich bei derUnterstützten Beschäftigung um eine Maßnahme handelt,in der die Menschen mit Behinderungen neu erworbenesWissen sofort praktisch im Betrieb anwenden können.Träger der neuen Maßnahme suchen einen geeignetenBetrieb aus und vermitteln dem Menschen mit Behinde-rungen die nötigen Kenntnisse. Wir wissen, dass diesesPrinzip „Erst platzieren, dann qualifizieren“ in der Praxisfunktioniert. Erfolge von Leistungsanbietern, die bereitsjetzt im Bereich Unterstützter Beschäftigung tätig sind,bestätigen dies.

Gegenüber dem Gesetzentwurf haben die Koalitions-fraktionen in der gestrigen Ausschusssitzung einen Ände-rungsantrag beschlossen. Aus Sicht der CDU/CSU-Bun-destagsfraktion ist zum einen die Klarstellung wichtig,dass ausgelagerte Werkstattplätze im Berufsbildungsbe-reich und dauerhaft ausgelagerte Werkstattplätze im Ar-beitsbereich zum Leistungsangebot der Werkstätten fürbehinderte Menschen gehören. Zum weiteren ist es gut,dass die Integrationsämter in Zukunft einen höheren An-teil am Aufkommen aus der Ausgleichsabgabe erhalten.

Unser Ziel bleibt es, Menschen mit und ohne Behin-derung im Arbeitsleben zusammenzubringen, auch überdie Möglichkeiten der Unterstützten Beschäftigung hi-naus. Ausgelagerte Werkstattplätze, ob im Berufsbil-dungsbereich oder auf Dauer angelegt im Arbeitsbe-reich, geben diesen Menschen mit BehinderungenTeilhabechancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt au-ßerhalb des Werkstattgebäudes. Wir wollen erreichen,dass sich Menschen mit und ohne Behinderungen auchin der Arbeitswelt begegnen. Die Klarstellung verdeut-licht, dass ausgelagerte Werkstattplätze zum Leistungs-angebot der Werkstätten gehören, auch wenn sie aufDauer eingerichtet sind. Wir wollen Werkstätten für be-hinderte Menschen mit der Klarstellung unterstützen,zukünftig noch mehr auf ausgelagerte Werkstattplätzeals Teilhabeangebot zu setzen. Natürlich bleibt das Ziel,dass ausgelagerte Werkstattplätze letztendlich zu sozial-versicherungspflichtigen Arbeitsplätzen werden. Wirwollen aber nicht, dass die Betroffenen zurückgeholtwerden, wenn dies nicht gelingt. Ebenso soll es mehrausgelagerte Werkstattplätze für Menschen mit Behinde-rungen geben, bei denen aller Wahrscheinlichkeit nachein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnisnicht in Betracht kommen wird. Auch diese Menschenhaben ein Recht auf gemeinsame Lebenswelten im Be-reich der Arbeit.

Deutlich sage ich aber an dieser Stelle auch, dass dieKlarstellung alleine nicht ausreichen wird, wesentlichmehr Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am all-gemeinen Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Es muss zu-künftig für Menschen mit Behinderungen möglich sein,Unterstützungsleistungen auch ohne Anbindung an eineWerkstatt für behinderte Menschen zu wählen.

Der zweite Punkt, die erhöhten Mittel der Integra-tionsämter aus dem Aufkommen der Ausgleichsabgabe,ist ebenfalls bedeutsam. Die Integrationsämter bekom-men durch die Unterstützte Beschäftigung eine neueAufgabe, die Berufsbegleitung. Uns ist nicht nur wichtig,dass die Integrationsämter diese neue Aufgabe gut be-wältigen. Sie sollen auch ausreichende finanzielle Mittelfür ihre aktuellen Aufgaben, beispielsweise für die För-derung von Integrationsprojekten, sogenannte Minder-leistungsausgleiche – auch wenn ich diesen Begriff nichtmag –, und für Arbeitsassistenzen haben. Die Mittel, dieden Integrationsämtern zusätzlich zur Verfügung gestelltwerden, sollen deshalb nicht für Werkstätten- oderWohnheimförderung verwendet werden. Obwohl dieserNachrang der Werkstätten- oder Wohnheimförderung inder Schwerbehindertenausgleichsabgabe-Verordnung ein-deutig geregelt ist, habe ich manchmal den Eindruck,dass man gerne auf die Mittel aus der Ausgleichsabgabezurückgreift, wenn es um den Bau von Werkstätten- oderWohnheimen geht.

Auch die weiteren Änderungen im Gesetzentwurf derBundesregierung will ich hier nicht unter den Tisch fal-len lassen, weil sie vielen Menschen mit Behinderungenbessere Teilhabechancen ermöglichen. Zu diesen Ände-rungen gehört, dass die individuelle betriebliche Qualifi-zierung für Menschen mit Behinderungen zukünftig vonzwei auf drei Jahre verlängert werden kann, wenn diesnach Art oder Schwere der Behinderung erforderlich ist.

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Zeiten der Unterstützten Beschäftigung werden nur nochzur Hälfte auf die Dauer des Berufsbildungsbereichs an-gerechnet und nicht voll, wie noch im Gesetzentwurfvorgesehen. Menschen mit Behinderungen können sobesser auf einen Werkstattplatz im Arbeitsbereich, zumBeispiel auch auf ausgelagerten Werkstattplätzen, vorbe-reitet werden.

Rehabilitationsträger können nach unserem Ände-rungsantrag in den Gemeinsamen Empfehlungen zurUnterstützten Beschäftigung nicht nur Empfehlungen zuQualitätsanforderungen der Maßnahmeträger, sondernauch zu Leistungsinhalten abgeben. Schließlich sind In-tegrationsfachdienste als mögliche Leistungsanbieter imGesetz ausdrücklich genannt, was eine ausreichendeLeistungsanbietervielfalt gewährt.

Zusammenfassend ist zu sagen: Die CDU/CSU-Bun-destagsfraktion sieht die Unterstützte Beschäftigung mitden von uns beschlossenen Änderungen als weitere guteMöglichkeit, mehr Teilhabechancen am allgemeinen Ar-beitsmarkt zu eröffnen. Der Erfolg der neuen Maßnahmewird maßgeblich zum einen davon abhängen, wie inten-siv die Unterstützung der Menschen mit Behinderungenausfällt. Zum anderen wird es darauf ankommen, dassUnternehmen am allgemeinen Arbeitsmarkt die neueMaßnahme annehmen. Deshalb hoffen wir bei der Um-setzung natürlich auch auf die Unterstützung durch Ar-beitgeber.

Der von uns heute zu beschließende Gesetzentwurf istnicht der Schlusspunkt unserer Bemühungen. Auch fürdiejenigen Menschen mit Behinderungen, für die dieneue Maßnahme nicht in Betracht kommt, müssen mehrTeilhabechancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt alsAlternative zu einer Tätigkeit in Werkstätten für behin-derte Menschen ermöglicht werden. Hieran werden wirweiter arbeiten.

Gabriele Lösekrug-Möller (SPD): Heute ist ein gu-ter Tag für – hoffentlich viele – junge Menschen mit Be-hinderungen. Mit der Verabschiedung des Gesetzes zurUnterstützten Beschäftigung öffnet sich eine neue Per-spektive, ein neuer Weg für Teilhabe am Arbeitsleben.

Heute erfüllen wir nicht nur eine Selbstverpflichtungaus dem Koalitionsvertrag. Es ist uns von der SPD eineHerzensangelegenheit, Menschen mit Behinderungenein „Mittendrin“ und damit mehr Wahlmöglichkeiten,auch im Arbeitsleben, zu eröffnen. Denn Arbeit ist mehrals Broterwerb. Deswegen kommt dem Bereich der Teil-habe am Arbeitsleben eine besondere Bedeutung zu.

Wie ein Mosaik füllen wir Stück für Stück den Rah-men für ein selbstbestimmtes Leben für Menschen mitBehinderung. Das persönliche Budget ist Teil des großenRahmens, die Unterstützte Beschäftigung kommt heutedazu. Unterstützte Beschäftigung hat das Ziel, jungenMenschen mit Behinderung in Unternehmen einen Ar-beitsplatz zu ermöglichen, den sie ohne dieses Gesetznicht bekommen. Es strebt also nach dem Maximum anNormalität und Teilhabe für Menschen mit Behinderun-gen.

Von selbst kommt diese Inklusion nicht. Das ist dieErkenntnis über Jahrzehnte hinweg. Deshalb danke ichausdrücklich dem Ministerium für Arbeit und Sozialesfür den Entwurf und die fachliche Begleitung der parla-mentarischen Beratung. Ebenso danke ich meinen Kolle-ginnen und Kollegen im Ausschuss für die sachorien-tierte Debatte und denen, die dem Gesetz zustimmen, fürihre Unterstützung.

Eingliederung in eine sozialversicherungspflichtigeBeschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist dasZiel. Welche flankierenden Maßnahmen sind erforder-lich? Welche Mosaiksteine sind notwendig? In welcherGröße und in welcher Farbe? Zunächst gilt es festzustel-len, dass nur mehr „Werkstatt-Steine“ den Potenzialenvieler Menschen mit Behinderungen nicht gerecht wür-den. Werkstätten für Menschen mit Behinderungen sindein wesentlicher Teil des Mosaiks. Mit unserem Gesetzfügen wir hier sogar noch einen neuen Teil hinzu, indemwir rechtliche Klarheit für ausgelagerte Arbeitsplätzeschaffen.

Mit der Unterstützten Beschäftigung kommen neueSteine in einer neuen Farbe zum Mosaik hinzu. Unter-stützte Beschäftigung zielt auf den Arbeitsmarkt außer-halb von Werkstätten. Unterstützte Beschäftigung setztbei den Stärken der Menschen mit Behinderungen anund „assistiert“ dort, wo Unterstützungsbedarf ist. Ge-nau deshalb folgt das Vorgehen der Regel: Erst platzie-ren, dann qualifizieren – und dann, wenn nötig, beglei-ten.

Ich habe im Vorfeld dieser Gesetzgebung mit zahlrei-chen Menschen mit Behinderungen gesprochen. Siewollen mittendrin sein und hätten sich diese Chanceschon früher gewünscht. Ich bin froh, dass auch die An-hörung ergeben hat, dass die Verbände der UnterstütztenBeschäftigung umfassend zustimmen.

Ich habe noch einmal Yvonne vor Augen, die jungeFrau, die trotz ihrer Behinderung eine leistungsfähige,motivierte Arbeitnehmerin sein will – und mit unseremGesetz auch werden kann. Ihre Sichtweise habe ich Ih-nen zur ersten Lesung vorgestellt. Was heißt das fürYvonne? Mehr als einen Platz im Leben, nein, auch ei-nen Platz im Arbeitsleben – mittendrin eben. Sie will„voll dabei sein und die Ärmel hochkrempeln“. Sie wirdauch ein Gewinn sein für das Unternehmen. Denn plat-ziert am Arbeitsplatz können nun für sie die optimaleQualifizierung erfolgen und die notwendige beruflicheBegleitung genau an ihrem Arbeitsplatz.

Mit den Änderungsanträgen haben wir für nötige Klar-stellungen gesorgt. Ich will drei herausgreifen. Zur Finan-zierung kommen den Ländern weitere 10 Prozent derAusgleichsabgabe zu. Wir haben die klare Erwartung,dass diese Mittel genau für Unterstützte Beschäftigungverwendet werden. Wir stärken die Integrationsfach-dienste: Bei Wechsel von Unterstützter Beschäftigung ineine Werkstatt für Menschen mit Behinderungen hälftigeAnrechnung der individuellen Qualifizierung auf den Be-rufsbildungsbereich. Somit besteht Klarheit, dass dieNutzer und Nutzerinnen der Unterstützten Beschäftigungdie Sicherheit haben, auch in oder wieder zurück in die„Werkstatt“ gehen zu können, wenn sie sich zu viel zuge-

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traut haben. Die Auffangsituation „Werkstattarbeit“bleibt.

Eingliederung in eine sozialversicherungspflichtigeBeschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist dasZiel dieses Gesetzentwurfs. Unterstützte Beschäftigungist der Weg, der neue Teil unseres Mosaiks. Wir schät-zen, dass es bis zu fünf Jahre dauern wird, bis dieser vonmöglichst vielen genutzt wird. Um den Weg gut auszu-bauen, muss nun begonnen werden, gemeinsame Emp-fehlungen zu den Qualitätsanforderungen zu erarbeiten.

Ich bin zuversichtlich, dass sich eine Trägerlandschaftentwickeln wird, die dafür sorgt, dass sich der Rahmenunserer Politik für und mit Menschen mit Behinderun-gen weiter füllt – mit mehr Farben und mehr Möglich-keiten, sich zu entscheiden. Und das führt zum Mitten-drin-Sein – auch für Yvonne.

Dr. Erwin Lotter (FDP): Die FDP-Bundestagsfrak-tion begrüßt, dass Menschen mit Behinderung mit demvorliegenden Gesetzentwurf die Chance und entspre-chende Hilfen an die Hand gegeben werden sollen, umauf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in einem sozialversi-cherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis Fuß zu fas-sen. Wie auch für Menschen ohne eine Behinderung istder Arbeitsplatz ein entscheidender Beitrag für einselbstbestimmtes Leben und gesellschaftliche Anerken-nung.

So gut auch die Intention des Gesetzentwurfes ist, ergibt dennoch Anlass zu einigen kritischen Anmerkun-gen, die auch in der Anhörung des Ausschusses für Ar-beit und Soziales zum vorliegenden Gesetzentwurf the-matisiert wurden:

Der Adressatenkreis der neuen Fördermaßnahme istunklar definiert. Für die Betroffenen ist es aber natürlichvon entscheidender Bedeutung, ob sie, und auch nachAbsolvierung welchen Zugangsverfahrens, in den Ge-nuss der neuen Fördermaßnahme kommen können. DieAussagen der Anhörung, insbesondere seitens der Prak-tiker, lassen ohnehin erwarten, dass die Maßnahme letzt-lich nur für einen relativ geringen Personenkreis Anwen-dung finden kann. Die Praktiker sprachen hier von etwa5 Prozent der Werkstattberechtigten, die möglicherweiseinfrage kommen.

Hinsichtlich der Zielrichtung des Gesetzentwurfes istdie Argumentation der Befürworter ohnehin wider-sprüchlich: Die Zielsetzung des Gesetzentwurfes derBundesregierung ist die dauerhafte Sicherung des Ar-beitsverhältnisses ohne weitere Unterstützung, was ja alssehr optimistisch bezeichnet werden muss. Ohne Einglie-derungszuschüsse und einen Minderleistungsausgleich,so stellten es die Praktiker in der Anhörung eindringlichdar, wird das Beschäftigungsverhältnis langfristig nichthaltbar sein. Das wurde auch durch Abgeordnete der Re-gierungskoalition im Ausschuss vertreten, mit dem Hin-weis, dass derartige Unterstützungsleistungen auch wei-terhin möglich seien. Die dauerhafte Sicherung desArbeitsverhältnisses ohne weitere Unterstützung ist so-mit ein Ziel – und das wissen auch die Kollegen der Re-

gierungsfraktionen –, das nur von einem relativ geringenPersonenkreis erreicht werden kann.

Zudem wurde in der Anhörung hervorgehoben, dassmit dem Gesetzentwurf ein, so wörtlich, „neues Mosaik-steinchen voneinander abgegrenzter Leistungen“ ge-schaffen wird. Das Wunsch- und Wahlrecht der Men-schen mit Behinderung droht dabei nicht ausreichendbeachtet zu werden. Der Wechsel zwischen verschiede-nen Ausbildungswegen, etwa der Werkstatt und derMaßnahme „unterstützte Beschäftigung“, scheint pro-blematisch. Ob Personen, die bereits im Arbeitsbereicheiner Werkstatt tätig sind, auch von der neuen Förder-maßnahme profitieren könnten, bleibt nach wie vor un-geklärt.

In der Anhörung wurde darüber hinaus betont, dassdie volle Anrechnung der Dauer der unterstützten Be-schäftigung auf eine sich möglicherweise ergebendeNotwendigkeit, doch in die Werkstatt zu wechseln, unddie im Berufsbildungsbereich zu erbringende Ausbil-dungsdauer problematisch ist. Die Fachleute betonten,dass eben die Ausbildungsinhalte nicht unbedingt de-ckungsgleich seien. Die im Ausschuss beschlossenenÄnderungsanträge bieten hinsichtlich der zeitlichen An-rechnung zwar eine Verbesserung. Eine individuelle, aufdie jeweilige Ausbildungssituation bezogene Regelungwäre hier sicherlich sinnvoller und eher im Sinne der Be-troffenen gewesen.

Es bleibt festzuhalten, dass die unterstützte Beschäfti-gung eine weitere Maßnahme im bestehenden Sachleis-tungsprinzip darstellt. Die FDP-Bundestagsfraktion hättesich eine weitergehende, das Wunsch- und Wahlrecht derBetroffenen stärkende Lösung vorstellen können, wieetwa die Werkstattleistungen grundsätzlich budgetfähigzu machen. Dieses wäre sicherlich eine Maßnahme, dieauf diesen ersten Schritt – so bezeichnen Vertreter derRegierungsfraktionen ja gerne den Gesetzentwurf – zeit-nah folgen müsste.

Dennoch – so wurde es in der Anhörung deutlich –scheint der vorliegende Entwurf zumindest einem klei-nen Teil der Menschen mit Behinderung Chancen zu er-öffnen, dem wir uns auch nicht entgegenstellen möchten.Die FDP-Bundestagsfraktion wird sich dementspre-chend zu dem vorliegenden Gesetzentwurf enthalten.

Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Die Linke unterstütztdas Ziel, behinderten Menschen mit besonderem Unter-stützungsbedarf eine angemessene, geeignete und sozial-versicherungspflichtige Beschäftigung zu ermöglichenund zu erhalten. Wir haben die Hoffnung, dass einigeMenschen mit Behinderungen mit diesem InstrumentArbeit auf dem sogenannten ersten Arbeitsmarkt finden.Ergänzend möchte ich anmerken, dass wir hier Arbeitmeinen, von der man auch leben kann. Menschen mitBehinderungen sollen ihren gesamten Lohn für ihren Le-bensunterhalt wie alle anderen auch behalten könnenund nicht bis auf den gering bemessenen Selbstbehaltnach SGB XII für die behinderungsbedingten Mehrbe-darfe wieder abführen müssen.

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Der Ansatz – erst platzieren, dann qualifizieren – istgrundsätzlich sinnvoll. Menschen mit Behinderungenbrauchen mehr Chancen, Arbeit auf dem sogenanntenersten Arbeitsmarkt zu erlangen. Es ist nicht hinnehm-bar, dass Menschen mit Behinderungen lebenslänglich inAussonderungseinrichtungen geparkt werden: von derSonderschule zur Sonderberufsschule und dann zur Be-schäftigung in einer Werkstatt für Menschen mit Behin-derungen.

Die Linke teilt aber nicht die Euphorie der Koalition.An der Situation, dass die Arbeitslosenquote bei Men-schen mit Behinderungen doppelt so hoch ist wie beiNichtbehinderten, wird sich mit dem Instrument der Un-terstützten Beschäftigung kaum etwas ändern. Hier sindmehr und wirksamere Aktivitäten des Bundes, der Län-der und Kommunen, aber auch der Wirtschaft erforder-lich.

Gefragt sind aber auch die Gewerkschaften, die Be-triebsräte, die nicht behinderten Kolleginnen und Kolle-gen. Mein Appell an Sie und an euch: Sorgt dafür, dassMenschen mit Behinderungen ausreichend Platz auf demersten Arbeitsmarkt finden. Seid kollegial und solida-risch! Schaut nicht weg, wenn Kolleginnen und Kolle-gen wegen ihrer Behinderung ausgegrenzt oder gemobbtwerden! Ohne euch bleiben alle Gesetze und Förderpro-gramme wirkungslos. Hier seid ihr gefragt.

Viele der Fragen und Probleme aus den zu Protokollgegebenen Reden in der ersten Lesung im Bundestag am16. Oktober und aus der sechzigminütigen Anhörung am5. November sind bis heute nicht gelöst. Ich begrüße,wenn der Bund Menschen mit Behinderungen, die nichtim Sinne des Gesetzes als schwerbehindert gelten, beider Beschaffung von Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkthelfen will. Gerade diese Menschen fallen allzu oftdurch jedes Raster. Die maximal zweijährige arbeits-platzbegleitende Ausbildung ist gut. Aber was dann?Wie wird danach die notwendige dauerhafte Förderungbzw. Assistenz zum Erhalt des Arbeitsplatzes gesichert?Hier steht die Antwort der Bundesregierung aus.

Erst gestern fand im Bundestag die erste Lesung desGesetzentwurfes der Bundesregierung zur Ratifizierungder UN-Konvention über die Rechte der Menschen mitBehinderungen statt. Besonders der Artikel 27 – Arbeitund Beschäftigung – der Konvention ist Grundlage undMaßstab für dieses Gesetz, aber auch Artikel 31 – Statis-tik und Datensammlung – spielt bei diesem Gesetz einewichtige Rolle. Deswegen bleibt nicht akzeptabel die– von mir schon in der ersten Lesung kritisierte – Ab-schaffung der Informationspflicht der Bundesagentur fürArbeit über die Beschäftigungsquote schwerbehinderterMenschen bei öffentlichen Arbeitgebern. Ist das die Art,wie die Bundesregierung die UN-Konvention über dieRechte von Menschen mit Behinderungen umsetzenwill? Wem nützt die Abschaffung der Informations-pflicht? Wenn der Überblick fehlt, werden auch die An-strengungen im öffentlichen Dienst, Menschen mit Be-hinderungen zu beschäftigen, geringer. Auch eineffizienter Einsatz von Mitteln für die Förderung von

Arbeit für Menschen mit Behinderungen ist dann nichtmehr möglich.

Ein weiteres offenes Problem ist die Entwicklung derAusgleichsabgabe. Laut Antwort der Bundesregierungvom 31. Oktober 2008 auf meine Anfrage ist das Auf-kommen der Ausgleichsabgabe rückläufig. Damit san-ken zwangsläufig auch die Ausgaben der Integrations-ämter und des Ausgleichsfonds – von circa 690 Mil-lionen Euro im Jahr 2002 auf knapp 500 Millionen Euroim Jahr 2007. Es ist ein Trugschluss, zu meinen, dass diezusätzlichen aus dem Instrument der Unterstützten Be-schäftigung resultierenden Aktivitäten auch noch aus derAusgleichsabgabe finanziert werden können.

Es gibt also aus Sicht der Linken neben dem Für vielWider zu diesem Gesetz. Insofern ist die Zustimmungverbunden mit der Erwartung und Forderung an die Bun-desregierung, mehr zu tun, um Menschen mit Behinde-rungen im Geist der UN-Behindertenrechtskonvention inArbeit zu bringen und in den nächsten Wochen und Mo-naten die benannten Mängel des Gesetzes auszuräumen.

Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Umes vorweg zu nehmen: An unserer grundsätzlichen Zu-stimmung für eine Unterstützte Beschäftigung gibt eskeinen Zweifel. Auch der nun zu beschließende Gesetz-entwurf ist für einige Menschen mit Behinderungen hilf-reich, weil er die Teilhabe am Arbeitsleben bedarfsge-recht und personenzentriert verbessern kann.

Leider lässt der Entwurf allerdings zu viele Fragen of-fen, sodass nach unserer Einschätzung die neue Maß-nahme mit zu vielen Risiken für die Betroffenen verbun-den ist.

Zwar – und das ist anzuerkennen – haben die Aus-schussverhandlungen zu einigen Verbesserungen ge-führt. So gibt es eine Änderung der Anrechnungsforma-litäten der Unterstützten Beschäftigung auf die Zeiten imBerufsbildungsbereich der Werkstatt für behinderteMenschen. Auch die Änderungen der Ausgleichsabga-benverordnung ist – auch wenn nicht hinreichend – sodoch zumindest anzuerkennen.

Nichtsdestotrotz werden Bündnis 90/Die Grünen ge-gen den vorliegenden Gesetzentwurf stimmen. Wir sinduns darüber im Klaren, dass der Gesetzentwurf bewusstnicht der große Wurf sein soll, sondern nur einen „Mosa-ikstein“ im Gesamttableau der beruflichen Teilhabe be-hinderter Menschen darstellen soll. Auf das Gesamtta-bleau warten wir weiterhin, wahrscheinlich vergeblich.

Aber eines möchte ich ganz klar sagen: Auch ein„Mosaikstein“ kann bei fahrlässiger Ausgestaltung sei-ner Bedingungen die ursprünglichen Absichten, einMehr an Alternativen der beruflichen Teilhabe herzustel-len, in ihr Gegenteil umkehren. Das Gegenteil hieße indiesem Fall die Einschränkung der Wunsch- und Wahl-rechte sowie die drohende Perspektivlosigkeit auf demArbeitsmarkt. Denn weder die offenen Fragen der Rück-kehrmöglichkeiten, noch die Überwachung der Quali-tätsstandards bei Ausschreibungen noch die nachhaltigeFinanzierung wurden abschließend geklärt.

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Hierzu im Einzelnen:

Rückkehrmöglichkeiten. Schon im Vorfeld haben wirkritisiert, dass die neue Maßnahme der Unterstützten Be-schäftigung keine Rückkehrmöglichkeit in die Werkstattfür behinderte Menschen beinhaltet. Damit bestehenweiterhin zwei wesentliche Probleme: Erstens werdenkeine behinderten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – diesogenannten Werkstattbeschäftigten – einer Werkstattdie neue Leistung in Anspruch nehmen, wenn keineRückkehrmöglichkeit besteht. Zweitens ist weiterhin un-geklärt, was mit Menschen passiert, die trotz Berufsbe-gleitung keine dauerhaften Chancen auf dem allgemei-nen Arbeitsmarkt haben.

Ausschreibungen. Generell muss bezweifelt werden,ob Ausschreibungen das richtige Mittel sind, um die ho-hen Qualitätsstandards bei der Maßnahme durchzuset-zen. Die Anhörung hat gezeigt, dass enorme Zweifeldarüber bestehen. Qualitätsstandards können einfach ausdem Internet abgeschrieben werden. Dies berichteten zu-mindest die Sachverständigen des Deutschen Gewerk-schaftsbundes und der Aktion Psychisch Kranke e. V.sowie die Bundesarbeitsgemeinschaft für UnterstützteBeschäftigung.

Auch der Paritätische Wohlfahrtsverband betont inseiner Informationen an den Ausschuss Arbeit und So-ziales, dass die Erfahrungen in der Frühförderung ge-zeigt hätten, „dass die Verständigung zu Rahmenemp-fehlungen ein sehr langwieriger Prozess sein kann undim Ergebnis die Empfehlungen von den jeweiligen Re-habilitationsträgern nur bedingt umgesetzt werden“. In-sofern sei es bedauerlich, dass die Bundesregierung sichim Rahmen des geplanten Gesetzes nur bedingt für eineKonkretisierung zur Qualität der Leistung entschiedenhat.

Um die Wahlmöglichkeiten nicht weiter einzuschrän-ken, kommen Bündnis 90/Die Grünen zu dem Ergebnis,dass vergaberechtliche Ausschreibungen hier abzuleh-nen sind. Diese schränken die Anzahl der Anbieter einund somit letztendlich auch das Wunsch- und Wahlrechtbehinderter Menschen. Zudem besteht die Gefahr, dassder billigste Anbieter ausgewählt wird. Die Qualitätbliebe auf der Strecke.

Finanzierung. Für die Berufsbegleitung sollen die In-tegrationsämter, die sich hauptsächlich aus Mitteln derAusgleichsabgabe finanzieren, verantwortlich sein. Dieallermeisten Integrationsämter haben schon jetzt erhebli-che finanzielle Schwierigkeiten, ihren gesetzlichen Auf-gaben nachzukommen. Die Unterstützte Beschäftigungbedeutet für sie eine zusätzliche Belastung.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämterund Hauptfürsorgestellen erklärt in ihrer Stellungnahme,dass Modellrechnungen von einzelnen Integrationsäm-tern zeigen, dass die Finanzierung der Berufsbegleitung– zum Beispiel Kosten der Betreuung der schwerbehin-derten Menschen am Arbeitsplatz und Lohnkostenzu-schüsse an Arbeitgeber – bundesweit rasch zweistelligeMillionenbeträge erreichen wird.

Bisher leiten die Integrationsämter 30 Prozent derAusgleichsabgabe an den Ausgleichsfonds weiter. NachÄnderungen am Gesetzentwurf werden es zukünftig nur

noch 20 Prozent sein. Die Bundesagentur für Arbeit er-hält bislang 26 Prozent aus den Mitteln des Ausgleichs-fonds. Nach den Änderungen am Entwurf werden es nurnoch 16 Prozent sein. Die Bundesländer forderten in ih-rer Stellungnahme, über den Bundesrat nur 10 Prozentzu zahlen und nur 14 Prozent an die Bundesagentur zuüberweisen.

Insgesamt scheint das ein Kompromiss zu sein, denman wohl begrüßen kann. Ob die Finanzierung damit je-doch dauerhaft gewährleistet und ob nicht am Ende ananderen Instrumenten wie dem Lohnkostenzuschussoder den Integrationsprojekten gespart wird, darf weiter-hin bezweifelt werden.

Bündnis 90/Die Grünen stehen für einen umfassende-ren Ansatz zur beruflichen Teilhabe behinderter Men-schen. Im Sinne einer Stärkung des Wunsch- und Wahl-rechtes müssen nach unserer Auffassung alle Menschenmit Behinderungen – unabhängig von der Art oderSchwere ihrer Behinderung – in die Lage versetzt wer-den, selbst entscheiden zu können, in welcher Form sieam Arbeitsleben teilhaben möchten. Entscheidend ist,dass sie individuell gefördert und bei Bedarf nach demPrinzip des Nachteilsausgleichs dauerhaft unterstütztwerden.

Die Finanzierung so wichtiger Instrumente wie desLohnkostenzuschusses, der Arbeitsplatzausstattung oderder Integrationsfirmen muss nachhaltig gesichert wer-den. Darum müssen sich mittelfristig neue Finanzie-rungsformen zur Ermöglichung dauerhafter Minderleis-tungsausgleiche entwickeln.

Nach unserer Auffassung sollten Kostenträger sowohldes Minderleistungsausgleichs als auch der Formen derUnterstützten Beschäftigung sowohl die Träger für Leis-tungen in Werkstätten für behinderte Menschen als auchdie Integrationsämter sein. Auch die Bundesagentur fürArbeit, die nach dem Übergang des behinderten Men-schen vom Berufsbildungsbereich in den Arbeitsbereichbislang ihre „Trägerschaft verliert“, sollte Finanzverant-wortung übernehmen. Nur so fällt für die Bundesagenturfür Arbeit der negative Anreiz beim Übergang von demBerufsbildungs- in den Arbeitsbereich weg. Durch einenfest vereinbarten Finanzschlüssel und eine klare Struk-turverantwortung eines Trägers kann diese Zwischenlö-sung so gestaltet werden, dass sie dem oder der Betroffe-nen nicht zum Negativen gereicht. Optimal und alsmittelfristige Perspektive ist jedoch eine Zusammenfüh-rung leistungsrechtlicher Vorschriften der Teilhabe amArbeitsleben in einem Gesetz vonnöten.

Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär beim Bundes-ministerium für Arbeit und Soziales: Nach den Beratun-gen in den Ausschüssen liegt heute der Gesetzentwurfzur Einführung Unterstützter Beschäftigung zur Abstim-mung vor. Die Verabschiedung und Umsetzung diesesGesetzes ist neben der Ratifikation der VN-Konventionüber die Rechte von Menschen mit Behinderungen zur-zeit das wichtigste Vorhaben, an dem wir im Bereich derBehindertenpolitik arbeiten. Denn, Arbeit zu haben, daskann man kaum oft genug betonen, ist eben mehr als nurLebensunterhalt sichern. Arbeit zu haben, das heißt auch

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Selbstbestätigung, stolz auf das Geleistete sein zu kön-nen, anderen zu erzählen, was man macht, dazu zu gehö-ren. Wer Arbeit hat, kann sein Leben selbst in die Handnehmen und gestalten. Das gilt grundsätzlich für uns alleund doch für Menschen mit Behinderungen in ganz be-sonderer Weise. Aus diesem Grund führen wir mit derUnterstützten Beschäftigung einen neuen Fördertatbe-stand ein.

Er soll behinderten Menschen mit einem besonderenUnterstützungsbedarf bei der Eingliederung in eine so-zialversicherungspflichtige Beschäftigung helfen. Es gehtum Personen, die von einer Ausbildung oder auch einerberufsvorbereitenden Maßnahme aus behinderungsbe-dingten Gründen überfordert, gleichwohl in einer Werk-statt für behinderte Menschen unterfordert wären. Fürdiesen Personenkreis wird es künftig die UnterstützteBeschäftigung geben.

Bereits heute können regionale Anbieter langjährigeund gute Erfahrungen mit Unterstützter Beschäftigungvorweisen. Sie zeigen, dass auch behinderte Beschäftigtemit einem hohen Unterstützungsbedarf dauerhaft in Be-trieben des allgemeinen Arbeitsmarkts tätig sein können,wenn sie von allen Beteiligten die dafür erforderlicheUnterstützung bekommen. Diese Erfolge sind für unsAnsporn und Motivation genug, die Unterstützte Be-schäftigung mit Beginn des kommenden Jahres bundes-weit anzubieten. Wir haben damit auch die Chance, in-nerhalb Europas Schrittmacher zu werden; denn auch dieEuropäische Kommission beabsichtigt, Ideen zu sam-meln, wie Unterstützte Beschäftigung in Europa geför-dert werden kann.

Wir wollen damit auch erreichen, dass mehr behin-derte Menschen als bislang ihren Lebensunterhalt außer-halb von Werkstätten auf dem allgemeinen Arbeitsmarktverdienen können – gemeinsam mit nicht behindertenMenschen. Die Vorarbeiten sind in enger Zusammenar-beit mit den Verbänden behinderter Menschen erfolgt.Ich bin deshalb davon überzeugt, dass wir ein praxis-taugliches Instrument entwickelt haben, das Menschenmit Behinderung und Arbeitgeber konkret an ihrenBedürfnissen abholt. Wir wollen und wir werden einenrealistischen und Erfolg versprechenden Weg in den all-gemeinen Arbeitsmarkt und in sozialversicherungs-pflichtige Beschäftigung weisen.

Auch die Zusammenarbeit mit den Ländern war engund konstruktiv, nicht zuletzt die Einigung bei der Neu-verteilung der Ausgleichsabgabe zeigt das. Künftig wer-den die Integrationsämter der Länder 80 statt wie bisher70 Prozent des Aufkommens an der Ausgleichsabgabeerhalten. Der Anteil der Bundesagentur für Arbeit sinktdaher von bisher 26 auf künftig 16 Prozent. Das ist sinn-voll, weil die Bundesagentur für Arbeit seit Einführungdes Zweiten Buches Sozialgesetzbuch nicht mehr füralle arbeitslosen schwerbehinderten Menschen zuständigist. Den Integrationsämtern der Länder hingegen werdendurch die Berufsbegleitung im Rahmen der Unterstütz-ten Beschäftigung Mehrkosten entstehen. Die Neuvertei-lung stellt also sicher, dass die Unterstützte Beschäfti-gung von Anfang an auch finanziell auf einem festenFundament steht.

Zum Entwurf eines Gesetzes zur Einführung Unter-stützter Beschäftigung hat am vergangenen Mittwochdie Anhörung stattgefunden. Diese hat bestätigt, dass wirmit dem Gesetzentwurf ein gutes, praxistaugliches Kon-zept vorgelegt haben. Das zeigten insbesondere die Äu-ßerungen der Sachverständigen, die bereits heute nachdem Konzept der Unterstützten Beschäftigung arbeiten.

Anlage 18

Zu Protokoll gegebene Reden

zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Ge-setzes zur Änderung des Autobahnmautgesetzesfür schwere Nutzfahrzeuge (Tagesordnungs-punkt 35)

Wilhelm Josef Sebastian (CDU/CSU): Endlichwird nun umgesetzt, was dem Transportgewerbe schon2003 bei der Beschlussfassung über die Einführung derMaut versprochen wurde. Es ist höchste Zeit für dieseGesetzesänderung. Die deutschen Spediteure kämpfenmomentan besonders hart ums Überleben. Mit der Zu-stimmung zu diesem Gesetz gewähren wir ihnen dasvolle Harmonisierungsvolumen von 600 Millionen Euro,das wir ihnen 2003 versprochen haben.

Warum erst jetzt? Das Verkehrsministerium hätte denganzen Vorgang beschleunigen müssen. Es hätte intensi-ver daran arbeiten müssen. Jedoch ganz mutwillig ge-schah diese Verzögerung nicht. Die Verzögerung ist auchder Tatsache geschuldet, dass die Harmonisierung in ei-ner Form geschehen musste, die die EU-Kommission to-lerieren konnte.

Der erste Versuch bestand darin, dass die Mautgebüh-ren den deutschen Spediteuren teilweise erstattet werdensollten. Die EU-Kommission lehnte jedoch diese teil-weise Erstattung der Mautgebühren als Diskriminierungab. Alternativ entwickelte die Bundesregierung zusam-men mit den Verbänden ein sogenanntes Mautbonussys-tem mit einem Volumen von 350 Millionen Euro. Auchdieses lehnte die EU-Kommission ab, genauso wie sieSteuersparmodelle und günstige Abschreibungsmodelleablehnte.

Wir von der CDU/CSU-Fraktion haben immer und zujeder Zeit auf der vollen Harmonisierung bestanden. Weilaber eine volle Harmonisierung aus den verschiedenstenGründen scheiterte, haben wir seinerzeit dem ursprüng-lich versprochenen Mautsatz von 15 Cent nicht zuge-stimmt und auf einem reduzierten Satz von 12,4 Cent be-standen. Dieser verminderte Mautsatz war immer unserFaustpfand. Und für uns war immer klar, nur bei einervollen Harmonisierung in Höhe von 600 Millionen Eurowerden wir erst einer Mauterhöhung zustimmen. Beidieser Absenkung des Mautsatzes von 15 auf 12,4 Centkonnte man aus europarechtlichen Gründen die ausländi-schen Transportunternehmer leider nicht ausnehmen, so-dass diese auch von der Absenkung profitierten. Dasmussten wir in Kauf nehmen. Erst 2007 konnte schließ-lich die Kfz-Steuer gesenkt und ein Innovationspro-gramm aufgelegt werden. Beide Maßnahmen bedeuteten

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für das Gewerbe eine Unterstützung von 250 MillionenEuro pro Jahr.

Es fehlten noch 350 Millionen Euro. Heute wollenwir diesem Gesetz zustimmen und damit die versproche-nen 600 Millionen Euro pro Jahr für das Gewerbe voll-machen. Endlich ist ein Weg gefunden, den die EU-Kommission nicht mehr beanstanden kann.

Die Bundesregierung wird das „Harmonisierungspa-ket“ mit Kleinbeihilfen, sogenannten De-minimis-Beihil-fen, und einem Förderprogramm für Aus- und Weiterbil-dung ergänzen. Die Verbände hatten deutlich gemacht,dass die Unternehmen nicht nur für Investitionen Unter-stützung benötigen, sondern vor allem auch bei den lau-fenden Ausgaben. Wir haben dann also vier Säulen, aufdenen die Harmonisierung ruht: die Kfz-Absenkung, dasInnovationsprogramm bis Ende September 2009, dieKleinbeihilfen und das Förderprogramm für Aus- undWeiterbildung.

Für die Kleinbeihilfen ist keine Anzeige und keineGenehmigung der Europäischen Kommission erforder-lich. Europarechtlich bedeutet es also kein Risiko. Ge-fördert werden die Bereiche Qualifizierung, Beschäfti-gung, Sicherheit und Umwelt. Wenn also ein Fahrer eineFortbildung zum Gabelstaplerfahrer macht oder wenn ermit der neuesten Sicherheitstechnik umzugehen lernt,wird dies zu 100 Prozent bezuschusst werden, genausowie der Einbau der erwähnten Sicherheitstechnik bezu-schusst wird. Aber dies ist nur bis zu einer Höchstgrenzevon 33 000 Euro pro Unternehmen und Jahr möglich.Mehr lässt die EU nicht zu. Für große Unternehmen miteinem großen Fuhrpark ist diese Höchstgrenze von33 000 Euro pro Unternehmen und Jahr natürlich nichtausreichend. Deshalb wurde nach einem Ausgleich ge-sucht, und man hat ihn in der zusätzlichen Förderungvon Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen gefunden. DieFörderung von Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen istdamit die vierte Harmonisierungssäule neben abgesenk-ter Kfz-Steuer, dem Innovationsprogramm und denKleinbeihilfen.

Für diese Art der Förderung ist eine Anzeige bei derEuropäischen Kommission erforderlich, aber keine Ge-nehmigung. Im Gegensatz zu den Kleinbeihilfen sindnach der Verordnung für Ausbildungsbeihilfe nur be-stimmte Kosten förderfähig, und diese auch nur mit ei-nem bestimmten Prozentsatz.

Vorstellbar ist, dass neben diesem Fördergeld fürAus- und Weiterbildung im De-minimis-Katalog ein zu-sätzliches Förderungsprogramm für Aus- und Weiterbil-dung aufgelegt wird. Die Unternehmen könnten dannwählen, welche Art der Förderung sie wählen. KleinereUnternehmen würden voraussichtlich die Aus- und Wei-terbildungskosten über De-minimis fördern lassen. Un-ternehmen, die die Förderhöchstbeträge bei De-minimiserreicht haben, könnten für Aus- und Weiterbildungskos-ten zusätzlich Zuschüsse über ein gesondertes Fortbil-dungsbeihilfeprogramm erhalten.

Da die Unternehmen individuell entscheiden können,ob und in welchem Maße sie von den drei Maßnahmen– Innovationsprogramm, Kleinbeihilfen, Förderprogramm

für Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen – Gebrauchmachen, sind die konkreten Harmonisierungsvoluminapro Jahr nicht exakt vorhersehbar. Das wird berücksich-tigt, indem die Beträge zwischen den einzelnen Maßnah-men flexibel gestaltet werden. Das Gesetz sagt also, dass450 Millionen Euro von den Mauteinnahmen für dieseMaßnahmen verwendet werden dürfen, aber nicht, wieviel für die einzelne Maßnahme. Diese Flexibilität machtSinn.

Aber lassen wir uns nicht täuschen: Mit dem heutigenGesetz bestimmen wir nur, dass die Mauteinnahmen fürdie eben beschriebenen Harmonisierungsmaßnahmenverwendet werden dürfen. Das Gesetz sagt also, wir dür-fen das Geld für Kleinbeihilfen sowie Aus- und Weiter-bildung verwenden. Das Gesetz sagt aber nicht, wie diesgenau geschehen soll. Was also unbedingt ausgearbeitetwerden muss, ist ein verbindlicher Katalog, aus dem her-vorgeht, wie diese Mauteinnahmen konkret verwendetwerden sollen.

Auch hatte der ursprüngliche Gesetzentwurf nichtfestgelegt, welche Institution die Harmonisierungsmaß-nahmen durchführen soll. Dies ändern wir mit unseremÄnderungsantrag. Das Bundesamt für Güterverkehr,welches auch schon das Innovationsprogramm sehr er-folgreich koordiniert, ist hierfür der ideale Partner. Mitdem Änderungsantrag geben wir dem Bundesamt fürGüterverkehr die gesetzliche Ermächtigung hierfür andie Hand.

Nun klingt das alles sehr gut und so, als ob sich dasTransportgewerbe nun auf die volle Harmonisierungfreuen könnte. Das ist auch so; aber das ist nur die eineSeite der Medaille. Denn diese Ausgaben müssen auchfinanziert werden. Womit ich zur Erhöhung der Lkw-Maut komme.

Dies ist nicht das Thema der heutigen Entscheidung,aber es hängt unmittelbar damit zusammen. Ich willauch nicht noch einmal die Diskussion eröffnen. Aberwir dürfen nicht übersehen, welcher Belastung dasTransportgewerbe mit der Erhöhung der Maut ausgesetztwird. Wir als Bundestag waren formell bei der Erhöhungder Maut nicht unmittelbar beteiligt, da die Maut imRahmen einer Regierungsverordnung erhöht wird.Nichtsdestotrotz haben wir in unserer Fraktion die Maut-erhöhung stets kritisch gesehen und dies natürlich auchgeäußert, und zwar in einer Reihe von Gesprächen, dieauf informeller Arbeitsebene stattgefunden haben. Zu-mindest konnten wir auf diese Art und Weise noch wei-ter führende Erhöhungen, wie zum Beispiel die Staffe-lung der Mauthöhe nach Strecke, verhindern.

Und wir haben erreicht – darüber bin ich sehr froh –,dass die Mehreinnahmen durch die Erhöhung voll undganz in die Verkehrsinfrastruktur fließen. Ich persönlichbin der Ansicht, dass der bisherige Schlüssel bzw. dieFestlegung, dass die Einnahmen aus der Maut nur über-wiegend – 51 Prozent sind dann überwiegend – in dieStraßeninfrastruktur fließt, geändert werden sollte. DieseFestlegung ist bei der Einführung der Maut im Vermitt-lungsverfahren mit den Ländern von diesen durchgesetztworden. Denn ich bin überzeugt, dass die Maut und be-sonders die Erhöhung der Maut leichter akzeptiert wür-

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den, wenn wir den Unternehmern sagen könnten: Ja, ihrmüsst mehr bezahlen, und ja, es ist belastend. Aber,schaut her, das Geld fließt voll und ganz in die Straße zu-rück. Es wird nicht für die Wasserstraße oder die Schieneverwendet, sondern es wird für mehr Parkplätze verwen-det und für intelligente Verkehrsleitsysteme, die Stauvermeiden helfen. Und vor allem wird es für den Ausbauund den Erhalt der Straße verwendet. – Wir müssen da-rauf hinarbeiten, dass das Geld ausschließlich denen zu-gute kommt, die auch zahlen müssen.

Heute geht es aber nicht um diese Frage, sondern aus-schließlich um die bisher bestehende Lücke von350 Millionen Euro bei den Harmonisierungsmaßnah-men. Wir, die CDU/CSU-Fraktion, haben uns immer da-für eingesetzt und nie diesen Weg aufgegeben. Es hatlange gedauert, aber heute sind nun die 600 MillionenEuro, wie versprochen, erreicht. Nur unter dieser Bedin-gung waren wir, wenn auch schweren Herzens wegender schwierigen Situation des Transportgewerbes, bereit,eine Mauterhöhung zu akzeptieren.

Wir, die CDU/CSU-Fraktion, bitten um Zustimmungzu unserem Änderungsantrag und stimmen natürlichdem Zweiten Gesetz zur Änderung des Autobahnmaut-gesetzes für schwere Nutzfahrzeuge in der dann geän-derten Form zu.

Uwe Beckmeyer (SPD): Selten hat der Bundestagdie Gelegenheit, bei einem Gesetzesvorhaben Hand an-zulegen, mit dem gleich so viele vorrangige Ziele dieserKoalition in so vorbildlicher Weise umgesetzt werden.Und angesichts der breiten Zustimmung gestern im Ver-kehrsausschuss des Hauses kann ich wohl auch behaup-ten, dass dies der Bundestag offensichtlich in seiner gro-ßen Mehrheit auch so sieht.

Lassen Sie mich kurz darlegen, warum wir für uns inAnspruch nehmen können, mit diesem Zweiten Gesetzzur Änderung des Autobahnmautgesetzes die berühmten„Sieben auf einen Streich“ erreicht zu haben. Als Ver-kehrspolitiker muss ich natürlich die herausragende Be-deutung der hier vorliegenden Weiterentwicklung derLkw-Maut für das A und O von Verkehr – nämlich derVerkehrsinfrastruktur – hervorheben. Für 2009 steht unsdamit fast 1 Milliarde Euro aus der Lkw-Maut zusätzlichfür notwendige Investitionen zur Verfügung. Für denFinanzplanungszeitraum bis 2012 werden es immer nochdurchschnittlich circa 700 Millionen pro Jahr sein. Wiedringend dieses Geld benötigt wird, kann sicher jederWahlkreisabgeordnete leicht nachvollziehen.

Als sozialdemokratischer Verkehrspolitiker liegt mirdie damit verbundene Schaffung und Sicherung von Ar-beitsplätzen besonders am Herzen; denn der Logistik-sektor bildet mit heute 2,6 Millionen unmittelbar in die-sem Bereich Beschäftigten einen der größten und sicham dynamischsten entwickelnden Arbeitsmärkte Deutsch-lands.

Als wirtschaftspolitisch orientierter Verkehrspolitikerweiß ich, welche Bedeutung die Transportwege für denexportorientierten Wirtschaftsstandort Deutschland ha-ben. Nur mit einer gut ausgebauten Verkehrsinfrastruk-

tur kann Deutschland den Titel des Exportweltmeistersauch weiterhin erfolgreich verteidigen.

Daran nahtlos anschließend darf ich als maritimerVerkehrspolitiker auf den dringenden Ausbaubedarf derHafenhinterlandanbindungen hinweisen, die nicht zu ei-nem Flaschenhals des Im- und Exporthandels werdendürfen.

Als umweltbewusster Verkehrspolitiker begrüße ichdie weitere Spreizung der Mautsätze je nach den unter-schiedlichen Schadstoffklassen der Fahrzeuge. Mit derzukünftig 100-prozentigen Spreizung – statt bisher 50-pro-zentig – werden schadstoffarme Lkw dann noch stärkerbegünstigt und schadstoffintensivere stärker belastet. Wiewirkungsvoll dieses Instrumentarium ist, hat schon dieReaktion des Transportgewerbes bis heute bewiesen. Dasvon uns aufgelegte Innovationsprogramm zur Anschaf-fung von Euro-5-Fahrzeugen war in Windeseile ausge-bucht, sodass wir die ursprünglichen 100 Millionen Euroum weitere 78 Millionen aufstocken mussten. Der Ein-satz emissionsarmer Fahrzeuge wird sich durch die stär-kere Spreizung zukünftig noch dynamischer entwickeln.Nur so kann es uns gelingen, beim Güterverkehr – trotzerheblicher Wachstumsquoten jedes Jahr – auch den not-wendigen Klimaschutzbeitrag zu leisten.

Als ein den Wettbewerb befürwortender Verkehrspo-litiker freut es mich besonders, dass es uns gelungen ist,der Festlegung des Koalitionsvertrages entsprechend,Wettbewerbsnachteile des deutschen Transportgewerbesgegenüber seinen internationalen Konkurrenten mit demzugesagten Volumen von 600 Millionen Euro pro Jahrauszugleichen. Welche Schwierigkeiten dabei in Brüsselzu überwinden waren, ist allen Beteiligten schmerzhaftin Erinnerung.

Als ordnungspolitischer Verkehrspolitiker halte ichdie sachgerechte Anlastung der Wegekosten und die da-mit verbundene angemessen nutzerfinanzierte Verkehrs-infrastruktur für wünschenswert. Deshalb war es not-wendig, das Wegekostengutachten aus dem Jahr 2002jetzt aktuell fortzuschreiben. Nur mit dieser Anpassungder Maut und der Mautsätze ist es möglich, dem schwe-ren Lkw auch zukünftig die von ihm verursachten tat-sächlichen Wegekosten anzulasten.

Dem dramaturgisch weit über das Ziel hinausschießen-den „Aufschrei“ des betroffenen Gewerbes darf ich ent-gegenhalten, dass für einen Euro-5-Lkw eine Kostenstei-gerung von 14 Cent oder 7 Prozent nächstes Jahr ansteht.Diese 7 Prozent müssen in Relation zu einen Kostenan-teil von 6,8 Prozent der kilometerbezogenen Straßenbe-nutzungsgebühren bei der Kostenstruktur im Güterkraft-verkehr insgesamt gesetzt werden. Also eine sehrmoderate Anhebung von unter 0,5 Prozent und nicht diekolportierten 40 Prozent!

Außerdem wurde bei aller Kritik am neuen Wegekos-tengutachten 2007, das beim hier vorliegenden Gesetz-entwurf Berücksichtigung fand, einfach ignoriert, dassdarin diverse Besserstellungen für den schweren Lkw– gegenüber den bisherigen Annahmen – eingearbeitetwurden. So kommt die Veränderung des Verhältnissesvon höheren Zinsen zu niedrigeren Abschreibungen dem

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Lkw genauso zugute wie die Erkenntnis, dass der Ein-fluss schwerer Achsübergänge einen geringeren Ver-schleiß von Deck- und Binderschichten der Autobahnenhat. Auch die Ausdifferenzierung in mittlere und schwereLkw mit der entsprechenden Kostenanlastung beim mitt-leren Lkw und die nach oben korrigierte Schätzung derFahrleistung von Pkw senken die spezifischen Mautkos-ten der Lkw. Diese Liste ließe sich noch fortsetzen undgehört der Redlichkeit halber mit erwähnt.

Abschließend möchte ich noch eine kurze Bemerkungzum Verhandlungsverlauf zwischen Bund und den Län-dern machen. Es entbehrt nicht einer gewissen Schizo-phrenie, wenn einzelne Länder einen hohen Ausgabestaubei den Verkehrsinvestitionen beklagen, eine Mittelauf-stockung durch den Bund vehement fordern und gleich-zeitig dem Bund aber die entsprechenden Einnahmenverweigern wollen. In unserem gemeinsamen Interessean einer zukunftsfähigen Verkehrsinfrastruktur wurdediese Widersprüchlichkeit letztendlich doch überwun-den.

Jan Mücke (FDP): Das deutsche Transportgewerbekann im europäischen Wettbewerb nur schwer bestehen.Dies liegt mitnichten an seiner mangelnden Leistungsfä-higkeit. Vielmehr ist es im Vergleich zu Unternehmenaus dem europäischen Ausland deutlich stärker von derhiesigen hohen Steuer- und Abgabenlast betroffen. Diesesetzt sich aus der absurden Mineralölsteuer ebenso zu-sammen wie aus den enormen Sozialabgaben für die Be-schäftigten. Die Einführung einer Lkw-Maut auf Bun-desautobahnen würde diese Situation noch zusätzlichverschärfen. Um dies abzuwenden, hat die damaligeBundesregierung im Jahre 2003 dem Gewerbe zugesagt,einen Ausgleich in Form eines jährlichen Harmonisie-rungsvolumens in Höhe von 600 Millionen Euro zuschaffen. Ende 2008 – ganze fünf Jahre später – vermagdie Bundesregierung endlich ein Programm vorzulegen,das den Ausgleich in voller Höhe bringen soll. Bezahlensoll es das Gewerbe jedoch ganz überwiegend selbst.Der debattierte Gesetzentwurf sieht vor, dass die in die-sem Rahmen geplanten Beihilfeprogramme ausschließ-lich aus Mauteinnahmen gespeist werden. Mit anderenWorten: Die Spediteure finanzieren die Harmonisierungselbst: eine Entlastung nach Machart der Großen Koali-tion.

Mit der Einführung der Lkw-Maut sollten zusätzlicheMittel akquiriert werden, um mehr der vielerorts drin-gend notwendigen Verkehrsinfrastrukturmaßnahmenrealisieren zu können. Mit Zunahme der Mauteinnahmenhat die Koalition jedoch kontinuierlich die allgemeinenHaushaltmittel gekürzt. Dies führte dazu, dass unterSchwarz-Rot – trotz Maut – weniger in Bundesfernstra-ßen investiert wurde als zuvor unter Rot-Grün. Von zu-sätzlichem Geld für zusätzliche Projekte kann daher seitlangem keine Rede mehr sein. Der Bund stiehlt sich seitJahren zunehmend aus seiner Verantwortung.

Hinzukommen soll eine weitere Kürzung der für In-vestitionen zur Verfügung stehenden Mittel, wenn derBund sich nun auch zur Finanzierung der Beihilfepro-gramme aus dem Mauttopf bedient. Minister Tiefensee

straft sich mit diesem Schritt ein weiteres Mal selbst Lü-gen, wenn er behauptet, die Mauteinnahmen würden zu100 Prozent Infrastrukturprojekten zugutekommen.

Nach dem Änderungsantrag wird das Bundesamt fürGüterverkehr mit der Bearbeitung der Beihilfeanträgebetraut. Es ist erfreulich, dass die Koalition damit einenersten Schritt macht, das Bewilligungsverfahren näherauszugestalten. Aber es ist eben nur der erste Schritt.Ansonsten besteht momentan noch allerorts Unklarheit.Über den Inhalt der zu erarbeitenden Förderrichtlinienist ebenso noch nichts Greifbares bekannt wie über denStarttermin. Der 1. Januar 2009 ist angesichts der Viel-zahl noch offener Fragen jedenfalls äußerst unwahr-scheinlich.

Ebenso unverantwortlich wie durchsichtig ist die Ent-scheidung der Koalition, die für die Bewältigung dieserfür das Bundesamt für Güterverkehr zusätzlichen Auf-gabe notwendigen Stellen erst in den Haushalt 2010 ein-zustellen. Diese werden ebenfalls aus den Mauteinnah-men bezahlt. Das heißt aber zugleich, dass auch dieseMittel für Investitionen fehlen. Der Minister könnte sichnoch seltener mit dem Spaten in der Hand vor die Kame-ras stellen und müsste stattdessen erklären, warum trotzimmenser Mauterhöhung und existenzgefährdendenMehrbelastungen kein spürbarer Anstieg der Investitio-nen zu verzeichnen ist, ein Umstand, den es im Wahljahr2009 unbedingt zu verhindern gilt.

Stattdessen sollen nach Aussage des Bundesministe-riums im Jahr 2009 die Anträge von 79 befristet Be-schäftigten bearbeitet werden. Deren Finanzierung er-folgt im Haushalt an versteckter Stelle und wird keineAuswirkungen auf die Höhe der zur Verfügung stehen-den Investitionsmittel haben. Jedoch bringt sie zweifa-che Einarbeitungszeiten und eine deutliche Reduzierungder Effektivität der Verwaltung mit sich. Zudem er-scheint angesichts der 100 000 erwarteten Anträge jähr-lich die Zahl der Bearbeiter äußerst gering. Auf jedeneinzelnen entfallen 1 266 Anträge. Es steht konkret zubefürchten, dass sich die Anträge beim Bundesamt sta-peln werden – ein Vorgang, der der Bundesregierungnicht unbekannt ist. Auch beim Luftfahrt-Bundesamtwar und ist eine deutlich zu dünne Personaldecke Ursa-che für anhaltend lange Bearbeitungszeiten von Flug-gastbeschwerden. Noch 2008 wurden Beschwerden ausden Jahren 2005 und 2006 bearbeitet. Die Koalitionmacht gerade den gleichen Fehler noch einmal und wirddas gleiche Resultat erzielen. Leidtragende wären dieTransportunternehmer.

Für die FDP sind gleiche Wettbewerbsbedingungenauf dem europäischen Binnenmarkt entscheidend. Ausdiesem Grund begrüßt sie die Harmonisierungsmaßnah-men zugunsten des deutschen Gewerbes. Dass es dieseMaßnahmen letztlich dann doch selbst bezahlen soll,konterkariert diese Absicht. Wir werden daher den vor-liegenden Gesetzentwurf ablehnen.

Lutz Heilmann (DIE LINKE): Die Lkw-Maut für ei-nen 40-Tonner kostet zwischen 60 und 82 Cent pro Kilo-meter. Sie gilt auf dem gesamten Straßennetz. Und siegilt für alle Lkw ab 3,5 Tonnen. Dass ist weder eine öko-

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logische Wunschvorstellung noch eine Horrorvision.Das ist schlicht Realität. Natürlich nicht in Deutschland,sondern in der Schweiz. In Deutschland kostet die Lkw-Maut für große Lkw derzeit zwischen 11 und 15,5 Centpro Kilometer. Nach langem Hickhack haben sich Bundund Länder nun zum Glück darauf geeinigt, dass dieMaut nächstes Jahr erhöht werden kann. Sie kostet dannfür große Lkw zwischen 15,5 und 28,7 Euro.

Das Niveau der deutschen Lkw-Maut liegt dann nichtmehr nur bei einem Sechstel, sondern bei einem Viertelder Schweizer Lkw-Maut. Trotzdem wurde und wird sogetan, als ob Deutschland deswegen kurz vor dem wirt-schaftlichen Kollaps steht. Die Schweiz ist aber nunwahrlich kein wirtschaftliches Krisenland. Ich glaube,das werden auch diejenigen nicht behaupten, die gegendie Mauterhöhung sind.

Natürlich freut sich die verladende Wirtschaft nicht,wenn die Transportkosten steigen. Auf die Endpreisewirkt sich aber selbst die Schweizer Maut nur minimalaus. Um ganze 0,5 Prozent ist das Preisniveau dort ge-stiegen. Das ist verkraftbar, meine ich.

Bei all dem geht es ja nicht darum, ohne Sinn undVerstand die Spediteure zu schikanieren. Es geht dochdarum, dass die Wegekosten angelastet werden. Das,was der Bau der Straßen gekostet hat, und das, was Lkwzu deren Abnutzung beitragen, sollen Lkw auch bezah-len. Dass der Widerstand gegen die Mauterhöhung unddamit gegen dieses Prinzip ausgerechnet aus der Wirt-schaft und ihrem Sprachrohr, der FDP, kommt, verwun-dert doch sehr. Das klingt mir doch sehr nach Autobahn-sozialismus. Dabei war die Tatsache, dass ausländischeLkw früher umsonst die Autobahnen befahren durftenund nicht in Deutschland tankten, ein Grund dafür, dassdie Einführung der Lkw-Maut eine breite gesellschaftli-che Zustimmung erfahren hat. Nun müssen sich auchausländische Lkw an den Wegekosten im „TransitlandNr. 1“ beteiligen. Mit der Mauterhöhung steigt der Bei-trag ausländischer Lkw zur Finanzierung deutscher Ver-kehrsinvestitionen.

Zusammen mit der Mautkompensation – und nur umdie geht es bei diesem Gesetz ja – wird aus der Lkw-Maut ein Wettbewerbsvorteil für deutsche Spediteureoder vielmehr ein Abbau bestehender Wettbewerbsnach-teile. Deswegen stimmen wir diesem Gesetz zu. DieserAbbau bestehender Wettbewerbsnachteile lässt sich ge-nau beziffern. Er beträgt ab nächstem Jahr 600 MillionenEuro im Jahr, bislang sind es nur 250 Millionen Euro.

Dieser Zusammenhang ist natürlich allen bekannt, diesich mit der Lkw-Maut befassen. Umso erstaunlicherfinde ich es, dass dies in der öffentlichen Diskussion umdie Mauterhöhung so gut wie keine Rolle gespielt hat.Und umso ärgerlicher finde ich es, dass die 350 Millio-nen Euro mehr von der Spediteurslobby nicht gewürdigtwerden. Die Forderung, diese nicht aus der Lkw-Maut,sondern aus dem Haushalt zu finanzieren, halte ich fürunverschämt. Das kommt einer Aufkündigung desMautkompromisses gleich. Denn nur weil die Bundesre-gierung unsägliche fünf Jahre für eine EU-konforme Re-gelung zur Kompensation der nationalen Spediteure ge-braucht hat, nur deswegen lag doch die durchschnittliche

Mauthöhe um 1,5 Cent unter den 15 Cent, die das alteWegekostengutachten errechnet hatte.

Die nun beschlossene Mauterhöhung geht zu mehr alsder Hälfte auf den Mautkompromiss zurück. Dieser Teilder Mauterhöhung bedeutet deswegen nicht nur keinenNachteil, sondern sogar einen Vorteil für die nationalenSpediteure, wie ich eben ausgeführt habe.

Nur die weiteren 1,3 Cent gehen auf das neue Wege-kostengutachten zurück. Und da hat die Bundesregie-rung schon 0,7 Cent herausgerechnet, damit der Mautan-stieg nicht ganz so abrupt ausfällt. Der Anstieg derMauthöhe ist allerdings immer noch recht drastisch. Ichbegrüße zwar, dass die Maut für EURO-III-Lkw nun inzwei Stufen erhöht wird. Besser wäre allerdings gewe-sen, die Maut für alle Emissionsklassen in zwei oder dreiStufen anzuheben. Das wäre umweltpolitisch vertretbargewesen, hätte die abrupte Preissteigerung aber etwasabgemildert. Das wollte der Bund anscheinend nicht,weil er die Einnahmen bereits verplant hat.

Apropos Einnahmen: Mit den Rechenkünsten der Re-gierung ist es nicht weit her. Der Bund-Länder-Kompro-miss zur Mauthöhe soll angeblich nicht zu niedrigerenEinnahmen führen. Nun ja. Für etwa 50 Prozent der Lkw– die EURO-III-Lkw – wird die Maut um 2 Cent ge-senkt. Für die anderen 50 Prozent soll die Maut 0,1 Centmehr betragen. Dass die Einnahmen da gleich bleibensollen, können Sie nicht einmal einem Grundschüler ein-reden.

2009 und 2010 hätte man auf einen Teil der Einnah-men verzichten können. Dafür hätte man ab 2012 dieMaut und damit die Einnahmen weiter erhöhen können,als es nun vorgesehen ist. Das hätte auch einen relativkonstanten Einnahmefluss zur Folge. Nun kommt es zurmerkwürdigen Entwicklung, dass die Maut 2009 und2011 die höchsten Einnahmen bringen wird, diese ab2012 kontinuierlich sinken werden. Dabei sagt das We-gekostengutachten klar, dass die Maut 2012 von 17 auf18 Cent steigen müsste. Jetzt werden es 2009 eher 18 bis19 Cent, die erst in einigen Jahren auf die von der Regie-rung genannten 16,3 Cent absinken werden, wenn es ei-gentlich 18 sein müssten. Das macht keinen Sinn.

Umweltpolitisch wäre ein etwas langsamerer Anstiegder Maut zu verkraften gewesen. Die Anreize zur Um-rüstung älterer Lkw wären ausreichend gewesen. Aber50 Prozent der Lkw-Flotte kann man nicht mal eben inzwei Monaten alle mit einem Partikelfilter ausstatten,zumal es auch noch nicht für alle Fahrzeugmodelle sol-che Filter gibt; zum Glück aber für die meisten. Ich be-grüße, dass der Einbau eines Partikelfilters aus dem De-minimus-Programm gefördert werden soll. Dafür schafftdieses Gesetz die rechtliche Grundlage. Ein Grund mehr,diesem zuzustimmen.

Winfried Herrmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Ich begrüße, dass der Bundesrat am Freitag die Mauthö-heverordnung beschlossen und damit den Weg frei ge-macht hat für eine stärkere Mautspreizung und eine Er-höhung der Einnahmen, die der Verkehrsinfrastrukturzugutekommen werden. Es freut mich besonders, dass in

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letzter Minute auch Roland Koch für die Mauterhöhunggestimmt hat, denn die Haltung vieler Bundesländerhabe ich als unehrlich empfunden. Da wird immer wie-der eine Erhöhung der Verkehrsinvestitionen eingefor-dert und gleichzeitig gegen die Mauterhöhung gewettert.Das ging logisch nicht zusammen, und Roland Koch hatdas am Ende auch noch gemerkt.

Das vorliegende Gesetz schafft die Möglichkeit, deut-sche Lkw-Spediteure im Vergleich zur ausländischenKonkurrenz um 600 Millionen Euro zu entlasten. Damitwird der Mautkompromiss von 2003 eingelöst. Die För-derung von Umweltschutz und Sicherheit, die darübermöglich wird, ist sinnvoll und sehr zu begrüßen. So istes zum Beispiel mit den De-minimis-Beihilfen auchmöglich, die Nachrüstung mit Rußpartikelfiltern geför-dert zu bekommen. Leider hat der Bundesrat den Anreizfür die Nachrüstung von Euro-III-Lkw gerade gesenkt.Aber – das sage ich auch an die Adresse der Spediteure –die nächste Mauterhöhung kommt bestimmt. Es wäredaher falsch, auf die Nachrüstung zu verzichten, mit derLkw in die Euro-IV-Mautstufe aufsteigen. Dies trägtzum Werterhalt der Lkw bei und zum Umweltschutz.

Es ist bekannt, dass uns die Mauterhöhung nicht weitgenug geht. Wir sind für eine Ausweitung der Maut ineinem ersten Schritt auf alle fernverkehrsrelevantenBundesstraßen und auf Lkw ab 3,5 Tonnen, wie es in Öster-reich und in vielen anderen Ländern längst Standard ist.

Im Rahmen der Verhandlungen über die neue Euro-vignettenrichtlinie sollte sich die Bundesregierung füreine vollständige Anrechnung der externen Kosten ein-setzen. Es kann nicht sein, dass Klimaschäden und Un-fallfolgekosten nicht in die Berechnung der externenKosten aufgenommen werden. Außerdem müssen dieKlimakosten deutlich höher bewertet werden, als es dasMethodenhandbuch vorgibt. Statt einer Vielzahl kompli-zierter Auf- und Abschläge sind wir für eine pauschaleAnlastung der externen Kosten mit 60 Prozent auf dieInfrastrukturkosten. Wir sind auch dafür, dass statt einerFestlegung von Maximalbegrenzungen für die Lkw-Maut in der Richtlinie ein Mindestmautsatz definiertwird, der in allen Mitgliedstaaten verpflichtend einge-führt wird. Denn es kann nicht sein, dass der Schienen-güterverkehr verpflichtend Trassenpreise entrichtenmuss, während Lkw gerade in den neuen Mitgliedstaatenauf vielen Autobahnen, die mit Mitteln der EU kofinan-ziert worden sind, mautfrei fahren.

Achim Großmann, Parl. Staatssekretär beim Bun-desministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:Am vergangenen Freitag hat der Bundesrat der Verord-nung zur Änderung autobahnmautrechtlicher Vorschrif-ten und der Fahrzeug-Zulassungsverordnung zuge-stimmt und damit die Weichen dafür gestellt, dass wirdie Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur verstetigenund deutlich erhöhen können.

Die Lkw-Maut leistet einen wesentlichen Beitrag zurVerbesserung der Verkehrsinfrastruktur und zum Sub-stanzerhalt der Bundesautobahnen. Wir stellen für dieZukunft sicher, dass die von den Lkw verursachten In-frastrukturkosten von diesen auch getragen werden und

entsprechende Infrastrukturinvestitionen zum Bau undErhalt der Autobahnen vorgenommen werden können.Allein die schweren Lkw verursachen rund 45 Prozentder gesamten Wegekosten der Bundesautobahnen.

Unsere Ziele bei der Anpassung der Mauthöheverord-nung und der Änderung des Autobahnmautgesetzes sindklar: Wir wollen eine Verstetigung und deutliche Verstär-kung der erforderlichen Investitionen in die Verkehrsin-frastruktur erreichen. Gerade in der gegenwärtigen kon-junkturellen Ausgangslage werden solche ergänzendenImpulse dringend benötigt zur Stützung der Konjunkturund zur Sicherung vieler Arbeitsplätze in Deutschland.Wir sollten zudem nicht aus dem Blick verlieren, dasswir mit den Änderungen auch dazu beitragen, die in derBundesregierung vereinbarten Klimaziele zu erreichen.

Mehr Maut bedeutet vor allem mehr Investitionen;Durch die Neufestsetzung der Maut werden im Jahr2009 rund 1 Milliarde Euro mehr an Mauteinnahmen er-zielt, die zusätzlich für Investitionen in die Verkehrsin-frastruktur, insbesondere für die Straße, zur Verfügungstehen. Über den Finanzplanungszeitraum von 2009 bis2012 werden es durchschnittlich 740 Millionen Euro proJahr an Mehreinnahmen für die Verkehrsinvestitionensein.

Angesichts des prognostizierten Verkehrswachstumssind diese Mittel unverzichtbar. Wir müssen mit einerZunahme des Lkw-Verkehrs auf unseren Fernstraßen bis2025 um über 80 Prozent rechnen.

Um Mobilität angesichts dieses enormen Verkehrs-wachstums langfristig zu sichern, brauchen wir einenweiteren Ausbau unserer Verkehrsinfrastruktur. Sonststehen die deutsche Wirtschaft und die Bürgerinnen undBürger, die auf das Auto angewiesen sind, im Stau.

Die genannten durchschnittlich rund 740 MillionenEuro Mehreinnahmen pro Jahr ergeben für die nächstenvier Jahre rund 3 Milliarden Euro an zusätzlichen Mittelnfür Infrastrukturmaßnahmen. Gerade in der gegenwärti-gen konjunkturellen Ausgangslage sind derartige ergän-zende Impulse ein wichtiger Beitrag zur Stützung derKonjunktur und zur Sicherung vieler Arbeitsplätze. Werauf rund 3 Milliarden Euro für zusätzliche Infrastruktur-maßnahmen verzichtet, der gefährdet damit letztlich vieleArbeitsplätze.

Mit der stärkeren Spreizung der Mautsätze sowie derBegünstigung von mit Partikelfiltern nachgerüsteten Lkwbei der Maut, werden wir einen wichtigen Beitrag zurErreichung der nationalen Klima- und Umweltziele leis-ten, und wir werden einen deutlichen Investitionsanreizfür den Einsatz emissionsarmer Lkw geben.

Heute steht die Änderung des Autobahnmautgesetzesauf der Tagesordnung, das in direktem Zusammenhangzur Änderung der Mauthöheverordnung zu sehen ist. Esregelt unter anderem die Verwendung von Mauteinnah-men für Maßnahmen zur Förderung deutscher Unterneh-men im Straßengüterverkehr.

Von Beginn an war klar, dass die Erhöhung der Mautuntrennbar mit der Umsetzung weiterer Harmonisie-rungsmaßnahmen verbunden sein wird. Der bislang ab-

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gesenkte Mautsatz wird zur vollen Finanzierung der imJahr 2003 gegebenen Harmonisierungszusage von jähr-lich 600 Millionen Euro eingesetzt werden. Er wird da-mit zu einer Entlastung des deutschen Straßengüterver-kehrs durch konkrete Fördermaßnahmen führen.

Neben den bereits bestehenden Entlastungsmaßnah-men wie der Kfz-Steuer-Absenkung und dem Förderpro-gramm für emissionsarme Lkw – Innovationsprogramm –sollen außerdem ein Klein-Beihilfe-Programm – soge-nannte De-minimis-Förderung – sowie ein Förderpro-gramm für Aus- und Weiterbildung aufgelegt werden.Unter diese De-minimis-Förderung fällt ein Programmmit Maßnahmen zur Qualifizierung, Beschäftigung, Si-cherheit und Umweltschutz. Daneben wollen wir dieAus- und Weiterbildung in einem gesonderten Pro-gramm fördern.

Das gesamte Maßnahmenpaket liegt im Interesse derZukunftsvorsorge für den Standort Deutschland. Wirsorgen damit für mehr Investitionen in die Infrastruktur,für einen verbesserten Klimaschutz und eine Stützungder Konjunktur. Dafür bitte ich um Ihre Zustimmung.

Anlage 19

Zu Protokoll gegebene Reden

zur Beratung der Entwürfe eines Ersten Geset-zes zur Änderung des Bundeselterngeld- undElternzeitgesetzes (Tagesordnungspunkt 38)

Ingrid Fischbach (CDU/CSU): Ohne Wenn undAber: das Elterngeld ist ein Erfolgsmodell. Das sagtnicht nur der Bericht über die Auswirkungen des Bun-deselterngeld- und Elternzeitgesetzes, den das Parlamentnun vorliegen hat, nein, die Eltern sagen es selber. Undwer ist besser geeignet, das zu beurteilen, als die Betrof-fenen?

Das Elterngeld hat annähernd 100 Prozent der Fami-lien in Deutschland erreicht, deren Kinder im erstenQuartal 2007 geboren wurden. Damit stärken wir dieVereinbarkeit von Familie und Beruf. Durch die Inan-spruchnahme der Partnermonate ermöglichen wir insbe-sondere Vätern, mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbrin-gen. Haben vor Einführung des Elterngeldes lediglich3,5 Prozent der Väter Elternzeit in Anspruch genommen,liegt der Anteil der Väter, deren Elterngeldanträge fürKinder bewilligt wurden, die von Anfang Januar 2007bis Ende März 2007 geboren wurden, bei knapp 16 Pro-zent.

Die aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung „Wegein die Vaterschaft“ macht zudem deutlich:

Erstens. Junge Männer wollen Familie. Sie wollenKinder. Mehr als neun von zehn der befragten kinderlo-sen Männer sagen Ja zu Kindern. Allerdings – und dasspricht für das verantwortungsbewusste Denken jungerMänner – 95,5 Prozent der befragten Männer sehen esals ihre Aufgabe an, der Familie ein Heim bieten zu kön-nen. Dabei ist die wichtigste Voraussetzung für die Va-terschaft, eine Familie ernähren zu können. Deshalb war

für nahezu für ein Drittel – 57,2 Prozent – der potenziel-len Väter klar, ein Kind solle erst dann kommen, wennes die finanzielle Seite zulässt.

Zweitens. Die Bertelsmann-Studie hat aber auch ge-zeigt, dass neben einer finanziellen Grundlage für vieleVäter auch wichtig ist, später Zeit für das Kind zu habenund sich an der Betreuung zu beteiligen.

Durch das Engagement der Väter bei der Betreuungder Kinder profitieren sowohl Kind als auch Vater; dennnur so kann eine echte Bindung entstehen. Aber auchMütter profitieren davon, weil die Väter endlich ihrenBeitrag dazu leisten, den Müttern den Rücken freizuhal-ten, in das Berufsleben zurückkehren zu können. Die Er-gebnisse der Evaluation zum Elterngeld zeigen es ganzdeutlich: Fast jede zweite Mutter gab bei den Befragun-gen an, nach weniger als anderthalb Jahren wieder er-werbstätig zu sein. Auch sind viele Mütter – 39 Prozent –mit ihrer beruflichen Planung zufrieden.

Um die positiven Effekte des Elterngeldes jedochnoch weiter zu stärken, nimmt der aktuelle Gesetzent-wurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundes-elterngeld- und Elternzeitgesetzes vor der Debatte desEvaluationsberichtes Änderungen vor, deren Notwen-digkeit bereits jetzt deutlich wurde. Neben der Einfüh-rung einer Mindestbezugsdauer von zwei Monaten undder Einführung einer sogenannten Elternzeit für Großel-tern bei minderjährigen Eltern beinhaltet der Gesetzent-wurf auch die Möglichkeit für Eltern, den ursprünglichgestellten Elterngeldantrag – auch ohne Begründung –einmalig zu ändern. Außerdem wird für Wehr- und Zivil-dienstleistende eine Erweiterung des maßgeblichen Be-messungszeitraums vorgesehen.

Die Änderungen, auf die ich im Folgenden näher ein-gehen möchte, können nach der Zustimmung des Bun-desrates zum 1. Januar 2009 in Kraft treten.

Besonders am Herzen lag uns die noch ausstehendeRegelung für Großeltern, die ihre Enkelkinder betreuenund erziehen. Die Neuregelung sieht vor, dass Groß-eltern in diesen besonderen Fällen auch Elternzeit bean-spruchen können. Für den Anspruch auf Freistellung vonder Arbeit müssen bei diesen Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmern auch die grundsätzlich für den Eltern-zeitanspruch geltenden Voraussetzungen – zum BeispielLeben in einem Haushalt – vorliegen. Sinn und Zweckder Regelung ist die mögliche Unterstützung von Elternbei der Betreuung und Erziehung ihres Kindes durch dieGroßeltern, wenn ein Elternteil minderjährig ist oder alsjunger Volljähriger die Schule besucht bzw. eine Ausbil-dung absolviert und noch höchstens zwei Jahre bis zumregulären Abschluss braucht.

Da Eltern nach dem Grundgesetz bis zur Volljährig-keit ihres Kindes das Recht und die Pflicht haben, sichum das Wohl ihres Kindes zu sorgen und ihr Kind zu un-terstützen, knüpft die Vorschrift in der ersten Variante andie Minderjährigkeit der Eltern bzw. eines Elternteils desneugeborenen Kindes an. Minderjährige Eltern sind inder Regel noch schulpflichtig bzw. befinden sich in derAusbildung. Die Regelung soll es ihnen ermöglichen,die aktuell angestrebte schulische oder berufliche Aus-

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bildung abzuschließen. Die Großeltern können den jun-gen Eltern und ihrem Enkelkind helfen, die zunächst oftschwierige Situation im Anschluss an eine „Teenager-Schwangerschaft“ zu bewältigen. Auswirkungen dieserin der Lebenswirklichkeit üblichen familiären Unterstüt-zung können so abgemildert werden.

Obwohl junge volljährige Eltern selbst nicht mehr un-ter elterlicher Sorge stehen, sind ihre Lebensumständeoft mit denen minderjähriger Eltern vergleichbar. Dahersoll in der zweiten Variante jungen Volljährigen dieMöglichkeit eröffnet werden, ihre vor Vollendung des18. Lebensjahres begonnene schulische oder beruflicheAusbildung ohne erhebliche Verzögerung fortzusetzenund abzuschließen. Hiermit kann eine wesentliche Vo-raussetzung für den Einstieg in das Berufsleben geschaf-fen werden, damit die Eltern ihre wirtschaftliche Exis-tenz in den Folgejahren sichern können. Um dieInteressen der jungen Eltern bzw. der Großeltern und dieder Arbeitgeber angemessen zu berücksichtigen, wirdder für die Elternzeit der Großeltern nutzbare Zeitraumauf die letzten beiden Ausbildungsjahre des anspruchs-vermittelnden Elternteils bezogen. Andernfalls würdeauch der besonderen Konstellation bei „Teenager-Schwangerschaften“ sachlich nicht mehr hinreichendRechnung getragen. Allen Beteiligten wird in dieser Si-tuation so eine reale Chance geboten, im Hinblick aufdie Absicherung der Lebenssituation der jungen Familiezusammenzuwirken.

Im Interesse eines zügigen Ausbildungsabschlusseswird aber durch die Erweiterung des Kreises der An-spruchsberechtigten alternativ den Auszubildenden dieMöglichkeit eröffnet, den Großeltern einen Anspruchauf Elternzeit zu vermitteln, wenn keiner der Elternteileselbst Elternzeit in Anspruch nimmt. In diesem Fall kön-nen die Großeltern die Rolle des minderjährigen Eltern-teils oder wegen seiner fortgesetzten Ausbildung einge-schränkten Elternteils übernehmen. Insgesamt gesehenbleibt es aber bei dem mit dem Bundeselterngeld- undElternzeitgesetz intendierten Grundsatz, dass Eltern sichder Betreuung ihrer Kinder vorrangig selbst widmen sol-len. Dem entspricht auch, dass die Eltern, nicht aber dieGroßeltern, Elterngeld in Anspruch nehmen können.Auszubildende, die ihre Ausbildung fortsetzen, geltennach § 1 Abs. 6 BEEG als nicht voll erwerbstätig undkönnen bei Vorliegen der weiteren Anspruchsvorausset-zungen Elterngeld beanspruchen.

Der Anspruch der Großeltern auf Elternzeit setzt wiebei allen anderen Elternzeitberechtigten nach § 15Abs. 1 BEEG voraus, dass die oder der Anspruchsbe-rechtigte mit dem Kind in einem Haushalt lebt und dasKind selbst betreut und erzieht. Es wird nicht vorausge-setzt, dass der anspruchsvermittelnde Elternteil ebenfallsmit im Haushalt der Großeltern lebt. Die Großelternteilehaben bei Vorliegen aller entsprechend erforderlichenVoraussetzungen die Möglichkeit, sich die Betreuung ih-res Enkelkindes zu teilen und gleichzeitig ihrer Beschäf-tigung in Teilzeit nachzugehen und so die Bindung andas Unternehmen aufrechtzuerhalten.

Weil die Nutzung der Partnermonate an den Wegfalldes vor der Geburt des Kindes erzielten Erwerbseinkom-

mens gebunden ist, eröffnet die bisherige Regelung in§ 4 BEEG unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten jenachdem, ob vor der Geburt beide Eltern oder nur einElternteil Erwerbseinkommen erzielt haben. Waren beideElternteile vor der Geburt erwerbstätig, erfüllt schon dieMutter die Voraussetzung der Partnermonate und der Va-ter könnte auch einen einzelnen Elterngeldmonat in An-spruch nehmen.

Der vorliegende Gesetzentwurf sieht hier eine Ände-rung insofern vor, als dass wir nun eine einheitliche Min-destbezugsdauer von zwei Monaten für alle Eltern vorse-hen, die Elterngeld in Anspruch nehmen möchten. Mitdieser Änderung wird eine intensivere Bindung auch deszweiten Elternteils zum Kind unterstützt. Vätern wirdgegenüber Dritten die Entscheidung erleichtert, sichmehr Zeit für ihr Kind zu nehmen. Die Flexibilität desElterngelds bleibt bestehen, da die Elterngeldmonateauch weiterhin nicht am Stück genommen werden müs-sen, sondern frei auf den Zeitraum der ersten 14 Lebens-monate des Kindes verteilt werden können.

Gesetzlich geregelt war bisher, dass der Antragstellereinmal – in besonderen Härtefällen – den Antrag auf El-terngeld ändern kann. Die Praxis hat jedoch zeigt, dasses weitere Fälle gibt, in denen eine Änderung des Eltern-geldantrags für die Familie wichtig sein kann, zum Bei-spiel der plötzliche Erhalt eines Arbeitsplatzes. Zukünf-tig soll deshalb der Antrag auf Elterngeld auch ohneAngabe von Gründen einmal geändert werden können.Der Verzicht auf eine Begründung erhöht die Flexibilitätfür die Eltern und entlastet die Verwaltung von einer Be-gründungsprüfung. Die Möglichkeit einer einmaligenweiteren Änderung im besonderen Härtefall, wie zumBeispiel bei Tod eines Elternteils oder einer plötzlichauftretenden schweren Krankheit, bleibt unberührt. DieÄnderung ist wie die erste Antragstellung für drei Mo-nate rückwirkend möglich.

Eine weitere Änderung, die wir mit dem vorliegendenGesetzentwurf vornehmen werden, betrifft die Arbeitge-berbescheinigung. Durch die Änderung wird die Rege-lung zur Arbeitgeberbescheinigung den entsprechendenRegelungen im Unterhaltsvorschussgesetz und im Bun-deskindergeldgesetz angepasst. Die Änderung sieht vor,dass der Arbeitgeber – soweit erforderlich – der zustän-digen Behörde eine Bescheinigung über Arbeitslohn,Steuern und Sozialabgaben auszustellen hat und nicht,wie bisher, diese dem Arbeitnehmer ausstellen muss.

Eine letzte Änderung, auf die ich gerne eingehenmöchte, betrifft die Wehr- und Zivildienstleistenden. DerWehrdienst nach dem Wehrpflichtgesetz und dem Vier-ten Abschnitt des Soldatengesetzes sowie der Zivildienstnach dem Zivildienstgesetz haben ihre besondere rechtli-che Grundlage im Wehrverfassungsrecht. Sie sind mitbesonderen Einschränkungen auch hinsichtlich der Be-rufsausübungsfreiheit verbunden. Wehr- und Zivildienst-zeiten sollen und dürfen natürlich daher nicht zu einemNachteil bei der Berechnung des einkommensabhängi-gen Elterngelds führen. Da sich die Höhe des Eltern-gelds, soweit es 300 Euro überschreitet, nach der Höhedes im Bemessungszeitraum vor der Geburt des Kindeserzielten steuerpflichtigen Erwerbseinkommens berech-

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net, kann das nach der Geburt des Kindes zustehende El-terngeld durch im Bemessungszeitraum liegenden Wehr-und Zivildienstzeiten ohne entsprechendes Erwerbsein-kommen verringert werden. Diesen Nachteil wollen wirnun ausgleichen, indem die betroffenen Monate – wie inden Fällen schwangerschaftsbedingter Erkrankung – ausdem Bemessungszeitraum herausgenommen und durchweiter in der Vergangenheit liegende Monate ersetztwerden.

Das Elterngeld ist und bleibt ein Erfolg. Das zeigendie Umfragen der Evaluation, und das zeigt die anstei-gende Geburtenrate. Im vergangenen Jahr sind laut Sta-tistischem Bundesamt 12 000 Kinder mehr geboren wor-den als im Vorjahr 2006. Dies zeigt, dass die von derBundesregierung getroffenen familienpolitischen Maß-nahmen einen wichtigen Beitrag zur Vereinbarkeit vonFamilie und Beruf leisten und somit Maßnahmen sind,die den Wünschen und Bedürfnissen vieler Familien ent-sprechen.

Dieter Steinecke (SPD): Das Bessere, so lautet einaltes Sprichwort, ist der Feind des Guten. Und so beratenwir heute über Änderungen an einem ausgesprochen gu-ten und gelungenen Gesetz.

Das Elterngeld- und Elternzeitgesetz, in Kraft getre-ten am 1. Januar 2007, stellt einen wahrhaftigen Meilen-stein in der bundesdeutschen Familienpolitik dar. Wirhaben gerade in dieser Woche intensiv über die bisheri-gen Erfahrungen beraten. Und in der Grundlage warensich die Vertreterinnen und Vertreter der meisten Frak-tionen einig: Es ist ein gutes Gesetz, das seine Zielset-zungen weitgehend erreicht. Das Elterngeld- und Eltern-zeitgesetz wirkt.

Diese Wirkungen sind durchaus vielfältig. Ich habenicht die Zeit, alle Auswirkungen detailliert darzustellenund zu bewerten. Daher beschränke ich mich auf zwei inmeinen Augen grundlegende Aspekte.

Das Elterngeld ist ein wesentlicher Beitrag zur Be-kämpfung von Kinder- und Elternarmut in unseremLande. Junge Eltern müssen nicht mehr erhebliche Ein-kommenseinbußen durch die Geburt ihres Kindes oderihrer Kinder befürchten. Paare, in denen beide Partnererwerbstätig sind, bekommen das wegfallende Einkom-men zu 67 Prozent ersetzt. Für die Bezieherinnen undBezieher geringer Einkommen gilt sogar ein noch höhe-rer Satz. Paare mit nur einem Verdiener bekommen eineZusatzleistung, ebenso Bezieher von Grundsicherungs-leistungen. Das Elterngeld wird nämlich nicht auf Leis-tungen nach SGB II angerechnet. Dies ist sozial ausge-wogen, ist sozial gerecht.

Doch die Wirkung des Gesetzes ist nicht nur reinwirtschaftlicher Natur. Es hat vielmehr tiefgreifendeAuswirkungen auf das Leben innerhalb der jungen Fa-milien in unserem Land. Ich spiele hier vor allem auf dieRolle der Väter an. Im letzten Quartal 2006 gab es dasElterngeld noch nicht, wohl aber das Erziehungsgeld.Selbiges wurde damals zu 3,5 Prozent von Männern inAnspruch genommen. Bereits im ersten Quartal des El-terngeldes betrug der Väteranteil bezogen auf die bewil-

ligten Anträge 7 Prozent. Dieser Anteil wuchs in derFolge deutlich und wird weiter ansteigen. Bezieht manzusätzlich die Geburtenzahlen in die Betrachtung ein, sokommt man zu einer erstaunlichen Zahl: 15 Prozent allerim Jahre 2007 geborenen Kinder haben einen Vater, derElternzeit genommen hat.

Vielfach ist zu hören, dass diese Zahl noch zu niedrigsei. Ich kann und will da keine Zielgröße vorschlagen.Aber ich stelle fest, dass diese Zahl einen grundlegendengesellschaftlichen Wandel widerspiegelt. Viele jungeMänner nehmen die Gelegenheit dankbar an, intensiverund aktiver als ihre Väter am Familienleben, an derPflege und Erziehung ihrer Kinder teilzuhaben. Das isteine positive gesellschaftliche Entwicklung. Drauf kön-nen wir als Urheberinnen und Urheber des Gesetzesstolz sein, besonders wir Sozialdemokraten.

Ich betone hier meine Fraktionszugehörigkeit aus be-sonderem Grund. Denn dass eine moderne Familienpoli-tik auch die Männer aktiver in ihre Familien einbindensollte, war uns Sozialdemokraten schon lange klar, alsuns und übrigens auch der zuständigen Bundesministerinaus reaktionären Kreisen der Union noch diffamierendeKampfbegriffe wie „Windelpraktikum“ oder „Wickelvo-lontariat“ entgegenschallten. Diese Erkenntnis ist fürmich als Vater nicht neu: Ich hätte mich seinerzeit sehrüber die Möglichkeit gefreut, mich intensiver um meinedamals neugeborene, mittlerweile erwachsene Tochterkümmern zu können. Ich bin halt fünfundzwanzig Jahrezu früh zur Welt gekommen.

Das Umdenken hinsichtlich der gesellschaftlichenRolle junger Väter ist inzwischen auch in der Wirtschaftangekommen. Eine repräsentative Umfrage unter Perso-nalverantwortlichen hat ergeben, dass es mehr als60 Prozent begrüßen, wenn auch Väter Elternzeit neh-men. Auch hier zähle ich mich dazu, diesmal in meinerEigenschaft als Arbeitgeber: Gerade vor wenigen Mona-ten hat einer meiner männlichen Mitarbeiter Elternzeitgenommen, und ich durfte mitbekommen, wie gut ihmund seiner jungen Familie diese Zeit getan hat.

Ich fasse kurz zusammen: Wir Sozialdemokraten ha-ben im Wahlkampf 2005 ein Elterngeld versprochen.Wir haben dieses Versprechen zum Jahresbeginn 2007eingelöst und das Erziehungsgeld durch ein Elterngeldnach skandinavischem Vorbild abgelöst. Der Erfolg gibtuns Recht: Leistungen nach dem Elterngeld- und Eltern-zeitgesetz werden von fast 100 Prozent der Familien an-genommen. Nahezu 75 Prozent der Gesamtbevölkerunghalten die Regelung für gut.

Ich sagte es bereits eingangs: Nichts ist so gut, dass esnicht noch besser gemacht werden könnte. In diesem Be-wusstsein sind die Folgen des Elterngeld- und Elternzeit-gesetzes seit seinem Inkrafttreten sorgfältig beobachtetworden. Sie werden auch in Zukunft einem wissen-schaftlichen Monitoring unterliegen. Das gibt Bundesre-gierung und Parlament die Möglichkeit, Gesetzesfolgenfrühzeitig zu erkennen und gegebenenfalls rasch zu han-deln. Genau das tun wir gerade.

Wir reagieren auf vier Erkenntnisse. Erstens. Vielfachwerden in unserem Lande sehr junge Menschen Eltern,

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die sich noch in der Schul- oder Berufsausbildung befin-den. Um diese zu beenden, nehmen sie die Hilfe ihrer El-tern in Anspruch, also der Großeltern des Kindes. DieseGroßeltern, obwohl quasi „Doppeleltern“, konnten bis-her keine Elternzeit beanspruchen.

Zweitens. Vereinzelt musste Elterngeld für wenigerals zwei Monate bewilligt werden.

Drittens. Wehr- und Zivildienstleistende hatten mitun-ter nicht zu rechtfertigende Nachteile bei der Berech-nung des Elterngeldes.

Viertens. Nach der derzeitigen Gesetzeslage kann eineinmal gestellter und bewilligter Antrag nur in Härtefäl-len geändert werden. Dadurch konnten junge Mütter undVäter nicht immer flexibel genug auf sich ändernde Er-werbssituationen reagieren.

In all diesen Punkten schaffen wir mit dem vorliegen-den Entwurf Abhilfe und machen ein gutes, gelungenesund wirkungsvolles Gesetz noch besser.

Es ist, je nach Sichtweise und Situation, ein altes so-zialdemokratisches Problem wie eine alte sozialdemo-kratische Tugend: Selbstzufriedenheit ist unsere Sachenicht. Wir begnügen uns nicht mit dem Erreichten, wirlegen nie die Hände in den Schoß. So muss ich dennauch abschließend feststellen, dass das Bessere seinenFeind findet im noch viel Besseren. So wird auch in Zu-kunft noch über die eine oder andere Frage im Zusam-menhang mit dem Elterngeld- und Elternzeitgesetz zureden sein. Beispielweise ist es für die SPD weder ge-recht noch der Sache dienlich, dass Paare, die gleichzei-tig in Elternteilzeit sind, ihre Anspruchsmonate gleich-sam doppelt verbrauchen. Das muss geändert werden.Eine weitere offene Frage sehe ich hinsichtlich der Ein-kommens- und damit Anspruchsermittlung bei Selbst-ständigen.

Doch der bisherige Gang der Gesetzgebung wie derFolgenbeobachtung und -bewertung gibt mir die tiefeZuversicht, dass es uns auch in Zukunft gelingen wird,das Elterngeld- und Elternzeitgesetz immer wieder dengesellschaftlichen Entwicklungen und den daraus resul-tierenden Anforderungen anzupassen. Eines zeigt sichganz deutlich: Die Belange von Kindern und Eltern inDeutschland sind bei uns in guten Händen. Das gilt auchin Zukunft.

Ina Lenke (FDP): Um es gleich vorweg zu sagen:Diese Änderung des Bundeselterngeldgesetzes ist nichtauf der Grundlage einer notwendigen Evaluation desjetzt fast zwei Jahre bestehenden Elterngeldgesetzeskonzipiert worden. Das Familienministerium hat dieEvaluation seit Monaten angekündigt. Sie hat diese Zu-sagen nicht eingehalten. Herausgekommen ist lediglichein Bericht mit Daten und Fakten. Das kritisiere ich fürdie FDP heftigst.

Nun soll mit dem vorliegenden Gesetzentwurf eineMindestbezugszeit des Elterngeldes von zwei Monateneingeführt werden, die Antragstellung auf Elterngeld fle-xibilisiert, eine „Großelternzeit“ eingeführt, und Wehr-

und Zivildienstzeiten sollen künftig die Höhe des Eltern-geldes nicht verringern.

In der Anhörung des Ausschusses für Familie, Senio-ren, Frauen und Jugend am 16. September 2008 wurdedeutlich, dass sich das Konzept der Partnermonate vondem eines Mindestelterngeldbezugs unterscheidet. Beieiner Mindestelterngeldbezugszeit verfällt der Gesamtan-spruch von 14 Monaten, wenn diese Mindestzeit nicht inAnspruch genommen wird. Flexible Gestaltungsmög-lichkeiten der Eltern etwa durch die Zusammenlegungmit Urlaubszeiten oder einer Überstundenabgeltung sindalso nicht mehr möglich. Ich befürchte, dass die Min-destbezugszeit bei beruflich stark engagierten Väterndazu führt, dass keine Elternzeit beantragt wird. DieseVorschrift ist nicht erforderlich, da jetzt mehr als89 Prozent aller Männer Elterngeld für zwei oder mehrMonate in Anspruch nehmen.

Der Deutsche Juristinnenbund hat eindringlich davorgewarnt, ohne ein umfassendes Konzept von Verlänge-rungstatbeständen bereits jetzt singuläre Tatbestände wiedie Wehrpflicht- und Zivildienstzeiten in das BEEG auf-zunehmen, ohne auch die Einbeziehung anderer mögli-cher Privilegierungstatbestände wie etwa Zeiten einesFreiwilligen Sozialen Jahres zu prüfen. Also wieder mitheißer Nadel gestrickt.

Bei der Großelternregelung wird erwerbstätigenGroßeltern das Fernbleiben vom Arbeitgeber ohne Be-zahlung offeriert, das kaum jemand so in Anspruch neh-men wird.

In der Anhörung wurde deutlich, dass ein über diesenGesetzentwurf hinausgehender Reformbedarf beim El-terngeld besteht. Aus Sicht der Selbstständigen steht diebestehende Teilzeitregelung oftmals einem Elterngeld-bezug entgegen. Wenn Vater und Mutter nach der Geburtdes Kindes beide halbtags arbeiten und Teilzeiteltern-geld beziehen, wird der zeitliche Anspruch halbiert undschrumpft auf nur 7 Monate.

Im Bundeselterngeldgesetz haben Sie selbst in § 25festgeschrieben – ich zitiere –: „Die Bundesregierunglegt dem Deutschen Bundestag bis zum 1. Oktober 2008einen Bericht über die Auswirkungen dieses Gesetzessowie über die gegebenenfalls notwendige Weiterent-wicklung dieser Vorschriften vor.“ Ich fordere Sie auf:Legen Sie endlich einen Bericht vor, der kein Märchen-buch ist, sondern neben den Stärken des Elterngeldesauch die notwendige Weiterentwicklung aufzeigt!

Wir lehnen dieses unzureichende Änderungsgesetzab.

Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Ich nenne die we-sentlichen Punkte des Gesetzentwurfs der Koalition:Einheitliche Mindestbezugszeit von zwei Monaten, Fle-xibilisierung des Antrags auf Elterngeld und Unterstüt-zung von Großeltern bei sogenannten Teenieeltern. Amvergangenen Mittwoch wurde im Ausschuss der Evalua-tionsbericht zum Elterngeld von Frau von der Leyen vor-gestellt. Im Ergebnis frage ich mich schon: Warum hatman mit einer Änderung des Gesetzes nicht bis dahin ge-wartet und die Ergebnisse der Evaluation in den Entwurf

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einfließen lassen? Oder ist es, wie von der FDP im Aus-schuss dargelegt, keine wirkliche Evaluation, sonderneine Schönrechnung der Regierung unter Ausblendungwesentlicher Probleme?

Warum wird die Mindestbezugsdauer des Elterngel-des auf zwei Monate angehoben, obwohl dies nach An-sicht von Experten eher kontraproduktiv ist hinsichtlichder Inanspruchnahme von Elternzeit durch Väter? Diesbestätigt sich letztlich durch den Evaluierungsbericht derRegierung. Lediglich 2 Prozent der elterngeldberechtig-ten Väter nehmen die vollen zwölf Monate Elternzeit.Die meisten nehmen nur einen Monat. Soll diese Zahljetzt reduziert werden, da diese Möglichkeit verwehrtwird?

Zur Großelternzeit: Löblich, dass die Regierung end-lich einmal ein Problem erkannt hat und auch gleich ver-sucht, eine Lösung zu finden. Schade, dass die vorge-schlagene Lösung der Regierungskoalition nicht zumgewünschten Ergebnis führt, sondern in der Praxis kaumNiederschlag findet.

Es geht um die Förderung von Teeniemüttern, umMütter im Alter von bis zu 18 Jahren oder noch in Aus-bildung befindliche volljährige Mütter. In dieser Alters-gruppe dürften die Großeltern, also die Eltern der Müt-ter, in aller Regel noch im Erwerbsleben stehen. DieMöglichkeit, in dieser Situation Elternzeit zu nehmen,um sich um das Enkelkind zu kümmern, dürfte von da-her kaum in Anspruch genommen werden, da nach demWillen der Regierungskoalition ein Elterngeld nicht ge-zahlt werden soll. Wer ersetzt den Verdienstausfall, wiees beim Elterngeld grundsätzlich vorgesehen ist? Odersollen – der Not gehorchend – wieder vermehrt Groß-mütter aus dem Berufsleben ausscheiden, da sie in derRegel weniger verdienen als die entsprechenden Groß-väter? Das nenne ich konsequente Gleichstellungspolitikder Regierung.

Die Kosten, welche durch entsprechende Zahlung ei-nes Elterngeldes an die Großeltern entstehen würden,halten sich im überschaubaren Rahmen, da von dieserLösung nur wenige Familien betroffen sind und mit derMöglichkeit des Bezugs auch keine Lebensentwürfe ge-fördert werden, wie es von der Union unterstellt wird.Frei nach dem Motto: Geh’, mein Kind, werd’ schwan-ger, ich möchte Großelterngeld beziehen. Da ist dieKoalition, allen voran ihre Ministerin, mal wieder völligrealitätsfremd. Da, wo Änderungsbedarf besteht – einerErhöhung des Mindestelterngeldes bei gleichzeitigemTeilelterngeldbezug –, wird nichts gemacht.

Hier bietet der Antrag der Linken die Lösung. Wie inunserem Antrag aufgezeigt, sollen Eltern, welche gleich-zeitig Elternzeit nehmen und die Erwerbstätigkeit redu-zieren, auch nur „reduzierte“ Elternzeit verbrauchen,also die Möglichkeit haben, ihr Kind bzw. ihre Kinderüber den vollen Zeitraum der Elternmonate zu betreuen.Dies kommt auch dem erklärten Willen, die partner-schaftliche Erziehung zu fördern, entgegen. Der Ansatzder Regierungskoalition ist insoweit kontraproduktiv –aber immerhin konsequent kontraproduktiv.

Das Elterngeld bleibt auch nach dem vorliegendenGesetzentwurf eine sozialpolitische Mogelpackung, diefür die Mehrheit der Eltern nicht hält, was sie verspricht.Das Elterngeld benachteiligt Eltern mit niedrigem odergar keinem Einkommen. Im Wissen darum, dass jedessiebte Kind in Deutschland auf einem Einkommensni-veau lebt, das es von einer angemessenen sozialen undgesellschaftlichen Teilhabe ausschließt, verschärfen Siedie Kinderarmut weiter. Und ich kann nur wiederholen:Die Auswirkungen auf Alleinerziehende sind statistischgar nicht zu ermitteln, weil das Gesetz diesbezüglicheErhebungen nicht vorsieht. Solche Problemlagen werdenausgeblendet.

Mit der Einführung des Elterngeldes ist prinzipielleine positive Entwicklung in der Familienpolitik einge-leitet worden. Das findet unsere Unterstützung. Aberdiese Gesetzesänderung bietet keine Lösung der beste-henden Probleme. Die Lösung wird durch unseren An-trag aufgezeigt, weshalb ich daher dringend um Zustim-mung ersuche.

Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): DieEinführung eines neuen Instrumentes wie das Elterngeldführt fast zwangsläufig dazu, dass schon schnell in De-tailfragen Korrektur- oder Verbesserungsbedarf ansteht.So verhält es sich beim vorliegenden Gesetzentwurf.Das Anliegen, hier erste Änderungen vorzunehmen, istnachvollziehbar. Nicht nachvollziehbar allerdings ist dasVerhalten der Bundesregierung: Erst hieß es, wir machenkeine Änderungen, solange wir über die Wirkung desGesetzes nichts wissen; dann kam dieses Änderungsge-setz, über das wir heute sprechen, ohne dass der Berichtüber die Wirkung des Elterngeldes vorlag. Dann endlichwar der Bericht erarbeitet, doch das Ministerium verzö-gert die Herausgabe um mehrere Wochen. Und bevor wiruns mit diesem Bericht parlamentarisch befassen konn-ten, sollen wir zu nachtschlafender Zeit Änderungen amElterngeld beschließen, die sachlich zum Teil nicht ge-rechtfertigt und wissenschaftlich nicht fundiert sind. Dasfinde ich eine Zumutung.

Wenn die Wirkungsuntersuchung sowieso keine Aus-wirkungen auf Ihre Vorschläge hat, dann hätten Sie jaauch gleich eine große Reform machen können und diewirklich wichtigen Themen wie den doppelten An-spruchsverbrauch bei gleichzeitiger Teilzeit oder die Be-rechnung des Elterngeldes neu regeln können.

Gut gedacht ist nicht gleich gut gemacht – so sehe ichihre Änderungsvorschläge, und deshalb werden wir sieauch ablehnen.

Grundsätzlich ist die Intention zu begrüßen, den Be-messungszeitraum bei Wehr- und Zivildienst zu verän-dern. Es gibt allerdings auch andere, vergleichbare Tat-bestände. Ich möchte nur das Freiwillige Soziale Jahr,das Freiwillige Ökologische Jahr oder § 17 c Zivildienst-gesetz ansprechen, die als gleichwertige Ersatzdienstzei-ten gelten und die aus meiner Sicht Berücksichtigungfinden müssten. Schauen wir ins wahre Leben: EinMann und eine Frau arbeiten im Krankenhaus. Er machtZivildienst, sie ein Freiwilliges Soziales Jahr. Mit wel-cher Begründung machen Sie hier Unterschiede? Vor

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Gericht hält diese Regelung nicht stand. Das haben ih-nen die Experten in der Anhörung ganz klar bescheinigt.

Zur Großelternzeit: Auch hier sehe ich die gute Idee.Doch was nutzt eine Großelternzeit ohne finanzielle Ab-sicherung? Hier profitieren vor allem Menschen, die die-ser Absicherung nicht bedürfen oder die sowieso keineArbeit haben. Für alle anderen greift die Regelung nicht.Es erschließt sich mir auch nicht, warum die Regelungausschließlich für Großeltern und nicht für andere nahe-stehenden Personen gelten sollte.

Ich bin mit meinen Kritikpunkten noch nicht amEnde, möchte jedoch gern noch etwas zum Entschlie-ßungsantrag der Linken sagen. Wir befinden uns in vie-len Bereichen bei der Beurteilung des Elterngeldes undden hier notwendigen Reformen im Konsens. Was ich al-lerdings nicht teile, ist die Idee, die sozialpolitischeFunktion des Elterngeldes auszuweiten. Das Elterngeldentspricht einer Lohnersatzleistung. Wenn wir wollen,dass das Elterngeld höher ausfällt, dann müssen wir da-ran mit Mindestlohn, Progressivmodell und geschlech-tergerechter Entlohnung etwas ändern.

Nicht vergessen wollen wir auch, dass die Bundesre-gierung mit dem Elterngeld den zweiten Schritt vor demersten gemacht hat: Die Kinderbetreuung in Deutschlandist immer noch Mangelware. Und da kann sich die Mi-nisterin hinstellen und sagen, das sei geklärt, der Ausbaulaufe. Das ist mitnichten so einfach. Die Finanzierung istimmer noch nicht geklärt, denn die 8 Milliarden Eurovon Ländern und Kommunen stehen eben noch nicht zurVerfügung. Und wer ein wenig Ahnung von der Finanz-situation der Kommunen hat, der weiß auch, wie schwie-rig die Lage ist. Hier hätten wir von Bundesseite mehrauf die Kommunen zugehen müssen und zudem die Län-der deutlich verpflichten müssen, ihren Anteil zu leisten.Das ist nicht geschehen. So ein handwerklicher Fehlerdarf einer Regierung nicht passieren.

Anlage 20

Zu Protokoll gegebene Reden

zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zurÄnderung des Zugewinnausgleichs- und Vor-mundschaftsrechts (Tagesordnungspunkt 43)

Ute Granold (CDU/CSU): Wir befassen uns heuteerneut mit dem Familienrecht, und zwar dieses Mal ins-besondere mit dem ehelichen Güterrecht. In Deutschlandwird derzeit jede dritte Ehe geschieden. Vor diesem Hin-tergrund ist die Bedeutung der Ausgleichsansprüche ausder Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft der betroffe-nen Eheleute von großer Relevanz. Dies ist neben demUnterhalt, den wir gerade umfassend neu geregelt haben,und dem Versorgungsausgleich, der sich derzeit im Ge-setzgebungsverfahren befindet, nun noch der güterrecht-liche Ausgleich. Dieser ist heute, 50 Jahre nach seinemInkrafttreten, besonders aktuell. Bei der Zugewinnge-meinschaft handelt es sich um den gesetzlichen Güter-stand, in dem die überwiegende Mehrzahl der Ehepart-ner lebt. Bei der Scheidung müssen die Ehegatten

zunächst ihr gemeinsames Vermögen auseinandersetzen.Jeder Ehepartner erhält zudem die Hälfte des Vermö-genszuwachses, der während der Ehezeit erzielt wurde.Dieser Grundentscheidung des Gesetzgebers liegt dieAnnahme zugrunde, dass beide Ehegatten während derEhe ihre Fähigkeiten und Möglichkeiten gemeinsam ein-setzen und damit das während der Ehe erwirtschafteteVermögen grundsätzlich gemeinsam erarbeiten.

Das deutsche Güterrecht hat sich weitestgehend be-währt. Wir wollen daher mit dem vorliegenden Entwurflediglich punktuelle Änderungen vornehmen. Die zen-trale Neuregelung des Entwurfs sieht vor, dass künftigauch Schulden, die bereits zum Zeitpunkt der Eheschlie-ßung vorhanden waren und während der Ehe getilgt wur-den, beim Zugewinnausgleich berücksichtigt werden.Nach geltendem Recht bleiben diese Schulden bei derErmittlung des Zugewinns unberücksichtigt. Ob dieEhepartner während der Ehe voreheliche Verbindlichkei-ten eines Partners getilgt haben, ist demnach für die Be-rechnung des Zugewinns ohne Belang. So muss der Ehe-gatte, der während der Ehe anfänglich vorhandeneSchulden tilgt, diesen Vermögenszuwachs derzeit nichtausgleichen.

Besonders negativ wirkt sich diese Regelung auf jeneEhegatten aus, die die Verbindlichkeiten des Partners til-gen und zugleich eigenes Vermögen erwerben. In diesenFällen entsteht eine doppelte Ungerechtigkeit: Hierbleibt nicht nur die Schuldentilgung und der damit ver-bundene Vermögenszuwachs beim anderen Ehepartnerunberücksichtigt. Der Ehepartner, der die Schulden desanderen getilgt hat, muss darüber hinaus auch seinen ei-genen Vermögenszuwachs zur Hälfte dem anderen Ehe-partner ausgleichen. Diese Ergebnisse sind sachlichnicht gerechtfertigt und werden von den Menschen zuRecht als äußerst ungerecht empfunden. Der Gesetzent-wurf sieht deshalb vor, dass auch ein sogenanntes negati-ves Anfangsvermögen zu berücksichtigen ist. Im Ergeb-nis stellen wir damit sicher, dass beim Ausgleich alleineder Betrag maßgeblich ist, um den das Vermögen desEhepartners während der Ehe wirtschaftlich gewachsenist.

Des Weiteren wollen wir die Ehepartner künftig bes-ser vor Vermögensmanipulationen schützen. Für die Be-rechnung des Zugewinnausgleichs kommt es auf dieRechtshängigkeit der Scheidung an. Stichtag für dasEndvermögen ist demnach also die Zustellung desScheidungsantrages. Die endgültige Höhe der Aus-gleichsforderung wird aber durch den Wert begrenzt, dendas Vermögen zum Zeitpunkt der Rechtskraft der Schei-dung hat. Es besteht somit die Gefahr, dass in der Zeitzwischen Rechtshängigkeit und Rechtskraft der Schei-dung Vermögen zulasten des ausgleichsberechtigtenEhegatten beiseitegeschafft wird. Damit läuft die Stich-tagsregelung regelmäßig ins Leere.

Wir wollen deshalb den ausgleichsberechtigten Ehe-gatten künftig besser vor solchen Manipulationen schüt-zen. Der Gesetzentwurf sieht hierfür vor, dass der Zeit-punkt der Rechtshängigkeit nicht nur für die Berechnungdes in diesem Fall rein theoretischen Zugewinnaus-

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gleichs, sondern auch für die endgültige Höhe der Aus-gleichsforderung maßgeblich ist.

Eine weitere Regelung betrifft die Zeit vor Zustellungdes Scheidungsantrages. Der Schutz des ausgleichsbe-rechtigten Ehegatten ist in dieser Phase nach geltendemRecht völlig unzureichend. Insbesondere gibt es für ihnkeinerlei Möglichkeit, sich in dieser Phase gegen Ver-mögensverschiebungen zur Wehr zu setzen. Künftig er-hält er daher die Möglichkeit, seine Ansprüche im Wegeeines vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzverfahrenszu sichern. Mit dieser Neuregelung verhindern wir, dassder andere Ehepartner wie bisher sein Vermögen ganzoder teilweise beiseiteschafft.

Wir wollen zudem wie im Unterhaltsrecht eine Pflichtzur Vorlage von Belegen einführen. Damit greifen wireine allgemeine Forderung aus der Praxis auf. Darüberhinaus sieht der Entwurf vor, eine Auskunftspflicht überdas Anfangsvermögen einzuführen und die Auskunfts-pflicht auch auf die Fälle einer vorzeitigen Aufhebungder Zugewinngemeinschaft oder eines vorzeitigen Aus-gleichs des Zugewinns zu erstrecken. Jeder Ehegatte er-hält so die Möglichkeit, sicher abzuschätzen, ob ihm einAnspruch auf Zugewinn zusteht oder nicht.

Der Entwurf enthält noch eine Reihe von weiterenÄnderungen, die nicht mit dem Güterrecht zusammen-hängen. Der Entwurf bietet jedoch eine gute Gelegen-heit, um diese Neuregelungen jetzt zu realisieren: DieRegelungen zur Auseinandersetzung der ehelichen Woh-nung und des Hausrates, bisher in der sogenanntenHausratsverordnung geregelt, sollen nunmehr ausrechtssystematischen Gründen in das Bürgerliche Ge-setzbuch integriert und als Anspruchsgrundlagen ausge-staltet werden. Die Kernvorschriften der Hausratsver-ordnung werden dabei im Wesentlichen übernommen,sodass die Auseinandersetzung auch weiterhin in einemeigenen Verfahren erfolgt, das sich nicht an den von derParteiherrschaft bestimmten Grundsätzen der Zivilpro-zessordnung orientiert und das schnell, zweckmäßig undeinfach durchgeführt werden kann.

Schließlich sollen mit dem Gesetz die vormund-schaftsrechtlichen Genehmigungspflichten an den mo-dernen Zahlungsverkehr angepasst werden. Ein Vormundoder Betreuer, der für sein Mündel oder seinen Betreuteneinen Geldbetrag vom Girokonto abheben oder überwei-sen will, braucht dafür nach geltendem Recht die Geneh-migung des Vormundschaftsgerichts, wenn auf demKonto mehr als 3 000 Euro Guthaben sind. Dies gilt un-abhängig vom jeweiligen Betrag. Ferner gibt es eineReihe von Banken, die dem Betreuer die Teilnahme amautomatisierten Zahlungsverkehr verweigern. Mit diesenBeschränkungen ist für den Betreuer ein nicht unerhebli-cher bürokratischer Aufwand verbunden. Wir wollendeshalb, dass Betreuer und Vormund künftig über das Gi-rokonto, das sie treuhänderisch verwalten, ohne gericht-liche Genehmigung verfügen können. Da Eltern, Ehegat-ten, Lebenspartner und Abkömmlinge schon heute vonder Genehmigungspflicht befreit sind, werden hierdurchin erster Linie die Betreuer entlastet.

Für den Betreuten wird es angesichts der Aufsichtdurch das Vormundschaftsgericht auch künftig hinrei-

chend Schutz vor Missbrauch geben. Der Betreuer musswie bisher Einnahmen und Ausgaben des Betreuten ge-nau abrechnen und die Kontobelege einreichen. Im Übri-gen werden bedeutsame Rechtsgeschäfte auch inZukunft unter dem Vorbehalt stehen, dass das Vormund-schaftsgericht sie genehmigt hat. Insgesamt handelt essich also um einen sehr ausgewogenen Entwurf, der le-diglich moderate Änderungen im Bereich des Familien-rechts vorsieht. Insofern bin ich zuversichtlich, dass wirin diesem Haus eine breite Zustimmung finden werden.

Es hat bereits im Vorfeld eine Vielzahl von Stellung-nahmen der Verbände und Betroffenen gegeben, die denEntwurf überwiegend positiv bewerten. Die Kritik be-zieht sich hier in erster Linie auf Detailfragen. Die Anre-gungen enthalten eine Reihe von Vorschlägen, die wirim weiteren Verfahren genau prüfen müssen und diedurchaus noch zu der einen oder anderen Ergänzung desEntwurfs führen können. Beispielhaft möchte ich in die-sem Zusammenhang den Vorschlag nennen, wonach sichder Auskunftsanspruch auch auf Bestandsveränderungenin der Zeit seit der Trennung erstrecken sollte. Eine wei-tere Anregung, die es zu prüfen gilt, betrifft die güter-rechtliche Behandlung von Wertsteigerungen bei Vermö-gensgegenständen aus dem Anfangsvermögen – etwaImmobilien –, die nicht auf der Lebensleistung der Ehe-leute beruhen.

Die Reform soll zum 1. September 2009 in Kraft tre-ten, zeitgleich mit dem neuen Familienverfahrensgesetzund der Strukturreform des Versorgungsausgleichs. Ichhoffe auf konstruktive Beratungen.

Christine Lambrecht (SPD): Wir beraten heute inerster Lesung den von der Bundesregierung vorgelegtenGesetzentwurf zur Reform des Zugewinnausgleichs unddes Vormundschaftsrechts.

Was den Zugewinnausgleich betrifft, beschäftigen wiruns mit einem Rechtsinstitut, das heute, fast 50 Jahrenach seinem Inkrafttreten, so aktuell und bedeutsam istwie nie, da heute etwa jede dritte Ehe geschieden wird.Zugleich lebt die Mehrzahl der Ehepaare im gesetzlichenGüterstand, das heißt, bei einer Scheidung müssen sichdie Eheleute auch über den Zugewinnausgleich auseinan-dersetzen.

Das Recht des Zugewinnausgleichs bestimmt, dassdie Eheleute je zur Hälfte an den Vermögenszuwächsenaus ihrer Ehe, also dem Zugewinn, beteiligt werden. Erist Folge der während der Ehedauer bestehenden Zuge-winngemeinschaft, dem gesetzlichen Güterstand. Dieshat sich bewährt und soll vom Grundsatz her auch sobleiben. Das neue Recht hält daran fest, denn ein Güter-stand muss einfach, klar und praktisch leicht handhabbarsein. Denn klar ist: Auch in Zukunft muss ein fairer undpraxistauglicher Ausgleich möglich sein.

Der Reformentwurf soll aber künftig zu mehr Gerech-tigkeit bei der Verteilung des Zugewinns nach der Tren-nung führen. Damit steigen wir in die Beratung ein, wieder wirtschaftliche Erfolg aus der Ehezeit tatsächlich zurHälfte auf die Ehepartner verteilt wird. Wie immer wer-den wir uns hierbei wieder mit den Wünschen und Be-

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dürfnissen der Menschen zu beschäftigen haben. Derrechtliche Rahmen für Ehe, Lebenspartnerschaften undFamilie muss zeitgemäß sein und den Bedürfnissen derMenschen entsprechen. An dieser Richtschnur werdenwir uns bei den Beratungen wie immer orientieren.

Der Reformentwurf sieht zum einen vor, dass künftigbei der Berechnung des Zugewinnausgleichs zu berück-sichtigen ist, ob ein Ehepartner bereits mit Schulden indie Ehe gegangen ist. Die Tilgung dieser Schulden sollmit dem Reformentwurf berücksichtigt werden. Bislangwerden Schulden, die ein Ehegatte bei der Eheschlie-ßung hat, bei der Ermittlung des Zugewinns überhauptnicht berücksichtigt. Der Ehegatte, der im Laufe der Ehemit seinem dazu erworbenen Vermögen nur seine an-fänglich vorhandenen Schulden zurückzahlt, musste die-sen Vermögenszuwachs bisher nicht ausgleichen. VieleMenschen finden das ungerecht. Dies gilt umso mehr,wenn der Ehegatte für die Verbindlichkeiten des anderenEhegatten aufkommt und zusätzlich eigenes Vermögenerwirbt. Nicht allein, dass die Begleichung der Schuldenund der damit verbundene Vermögenszuwachs beimPartner gar nicht mit einberechnet wird, der Ehegattemuss auch noch das eigene Vermögen bei Beendigungdes Güterstandes teilen.

Dies zeigt sich deutlich an einem Beispiel: Ein Ehepaarlässt sich nach 20-jähriger Ehe scheiden, der EhemannFritz hatte bei Eheschließung gerade ein Unternehmengegründet und 30 000 Euro Schulden gemacht. Wenn erdadurch im Verlauf der Ehe einen Vermögenszuwachsvon 50 000 Euro erzielte, betrug sein Endvermögen20 000 Euro. In dem Fall, dass seine Ehefrau Lisa beiEheschließung keine Schulden hatte und während derEhe ein Vermögen von 50 000 Euro erzielte, da sie wäh-rend der Ehezeit berufstätig war, müsste Lisa ihremMann Fritz einen Ausgleich in Höhe von 15 000 Eurozahlen. Dabei hat sich Lisa eventuell neben dem Berufnoch um die Kinder gekümmert; nur so war ihr Mann inder Lage, sich seinem Geschäft zu widmen, und im-stande, seine Schulden zu bezahlen und Gewinn zu ma-chen. Das soll mit dem Reformentwurf geändert werden.Künftig würden dann die Schulden als Negativbetrag zuBeginn der Ehe berücksichtigt. Beide Ehegatten hättendann jeweils einen Zugewinn von 50 000 Euro erzielt.Deshalb müsste Ehefrau Lisa künftig keinen Zugewinn-ausgleich an ihren Mann Fritz zahlen.

Des Weiteren soll mit dem Reformentwurf in Zukunftbesser verhindert werden, dass ein Ehepartner zulastendes anderen Ehegatten Vermögenswerte beiseiteschafft.Für die Berechnung des Zugewinns kommt es nach nochgeltendem Recht auf den Zeitpunkt der förmlichen Zustel-lung des Scheidungsantrags an. Die endgültige Höhe derAusgleichsforderung wird aber durch den Wert begrenzt,den das Vermögen zu einem regelmäßig deutlich späterenZeitpunkt hat, nämlich dem der rechtskräftigen Scheidungdurch das Gericht. In der Zwischenzeit besteht die Gefahr,dass der ausgleichspflichtige Ehegatte sein Vermögenzulasten des ausgleichsberechtigten Ehegatten beiseite-schafft.

Es liegt beispielsweise eine Vermögensmanipulationvor, wenn der gut verdienende Ehemann die Scheidung

einreicht und einen hohen Zugewinn hat, während seineFrau kein eigenes Vermögen hat und der Mann für eineUrlaubsreise mit seiner neuen Freundin einen großenBetrag ausgibt. Zudem könnte er behaupten, weiteresGeld an der Börse verloren zu haben. Wenn das Schei-dungsurteil rechtskräftig wird, könnte dem Ehemannmöglicherweise kein Vermögen nachzuweisen sein. DieEhefrau hat dann keinen Anspruch mehr. Vor solchenManipulationen soll der Ehegatte, der einen Ausgleichbekommt, künftig geschützt werden. Der Reformentwurfsieht daher vor, dass schon zum Zeitpunkt, wenn derScheidungsantrag dem Partner zugestellt wird, der Zuge-winn berechnet wird und die konkrete Höhe der Aus-gleichsforderung dann schon feststeht, nicht erst dann,wenn das Scheidungsurteil viel später rechtskräftig ist.Dann bleiben Ansprüche wie der von der Ehefrau imBeispielfall bestehen.

Mit dem Reformentwurf soll zudem der einstweiligeRechtsschutz verbessert werden. Der Schutz des Ehegat-ten, der einen Ausgleich bekommt, ist vor der Zustellungdes Scheidungsantrags an den Partner nur gering ausge-prägt. Dies zeigt folgendes Beispiel. Ein Ehegatte, dersich scheiden lassen will, ist Alleineigentümer einer ver-mieteten Eigentumswohnung, die als Kapitalanlage einennicht unerheblich Teil seines Vermögens darstellt. Nachder Ankündigung „Du bekommst von mir nichts“ wird dieWohnung unmittelbar nach der Trennung zum Verkauf in-seriert, obwohl dies wirtschaftlich nicht sinnvoll ist. Derandere befürchtet nun, dass der Verkauf nur dazu dienensoll, den Erlös beiseitezuschaffen, um keinen Zugewinn-ausgleich zahlen zu müssen. Nach geltender Rechtslagekann der Ehegatte nichts dagegen unternehmen. Künftigkönnte er aber seine Ansprüche in einem vorläufigenRechtsschutzverfahren vor Gericht sichern. Damit sollverhindert werden, dass der andere Ehepartner sein Ver-mögen ganz oder in Teilen beiseiteschafft.

Wir werden über diese Änderungen im Güterrecht zudiskutieren haben, und ich freue mich in diesem Sinneauf die anstehenden Beratungen. In dem Reformgesetzsind auch Änderungen des Betreuungsrechts enthalten.Auch hier müssen wir die Rechtswirklichkeit den Be-dürfnissen der Menschen anpassen. Ein Vormund oderBetreuer, der für sein Mündel oder seinen Betreuten einennur kleinen Geldbetrag vom Girokonto abheben oderüberweisen will, braucht derzeit die Genehmigung desVormundschaftsgerichts, sobald das Guthaben auf demKonto 3 000 Euro überschreitet. Dies erfordert einen enor-men bürokratischen Aufwand. Wegen dieser Regelungwird Berufsbetreuern sogar die Teilnahme am automati-sierten Zahlungsverkehr an Geldautomaten oder Online-banking usw. von einigen Kreditinstituten verwehrt. DieBanken geben an, im automatisierten Kontoverkehr nichtausreichend kontrollieren zu können, ob das Kontogut-haben die Grenze von 3 000 Euro jeweils einhält. Dassoll durch den Gesetzentwurf geändert werden, indemder begrenzte Betrag wegfällt.

Beispielsweise könnte einer 70-jährigen, an einemHirntumor erkrankten Dame, die aus ihrer Altersversor-gung monatlich 2 000 Euro erhält, ein Berufsbetreuerbestellt werden. Da sie für ärztliche Behandlungen nicht

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selten Vorschüsse ihrer Krankenkasse erhält, liegt ihrKontoguthaben häufig über 3 000 Euro.

Bei diesem Guthabenstand benötigt ihr Betreuer fürjede alltägliche Überweisung/Auszahlung von ihremKonto eine vormundschaftliche Genehmigung. Zur Ver-meidung dieses unnötigen Verwaltungsaufwands soll erkünftig ohne gerichtliche Genehmigung verfügen kön-nen. In erster Linie werden dadurch die Betreuer entlas-tet, die nicht in einem engen familiären Verhältnis zumBetreuten stehen. Eltern, Ehegatten, Lebenspartner undAbkömmlinge sind schon heute von der Genehmigungs-pflicht befreit. Vor einem Missbrauch ist der Betreuteauch weiterhin durch die Aufsicht des Vormundschafts-gerichts gut geschützt. Der Betreuer muss über Einnah-men und Ausgaben des Betreuten genau abrechnen unddie Kontobelege einreichen. Geld, das nicht für die lau-fenden Ausgaben benötigt wird, muss der Betreuer fürden Betreuten verzinslich anlegen.

Die Vorsorgevollmacht hat sich bewährt. Viele Men-schen haben bereits die Möglichkeit in Anspruch genom-men, beim Zentralen Vorsorgeregister der Bundesnotar-kammer Vorsorgevollmachten registrieren zu lassen. PerVorsorgevollmacht können Menschen bestimmen, werfür sie wirtschaftliche und medizinische Entscheidungentrifft, wenn sie dazu nicht mehr in der Lage sind. DieRegistrierung im Vorsorgeregister hilft, den Bevoll-mächtigten im Bedarfsfall zuverlässig aufzufinden. Vor-sorgevollmachten beinhalten häufig auch eine Betreu-ungsverfügung, das heißt die Festlegung, wer Betreuerwerden soll, falls wegen unvorhergesehener Umständetrotz der Vorsorgevollmacht ein Betreuer bestellt werdenmuss. Die Vorteile der Registrierung sollen jetzt auch fürreine Betreuungsverfügungen gelten, die nicht mit einerVorsorgevollmacht verbunden sind. Auch diese könnenin Zukunft gegen Gebühr ins Zentrale Vorsorgeregistereingetragen werden.

Wir werden auf diese Änderungen im Betreuungs-recht nochmals ausführlich eingehen. Auch auf die an-stehenden Beratungen bin ich hier sehr gespannt.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):368 922 Eheschließungen waren im Jahr 2007 bundes-weit zu verzeichnen. In den meisten Fällen lag der Eheder sogenannte gesetzliche Güterstand der Zugewinnge-meinschaft zugrunde. Im Gegensatz zu einer weit ver-breiteten Annahme in der Bevölkerung bedeutet diesnicht, dass alle während der Ehe erworbenen Gegen-stände gemeinschaftliches Vermögen beider Ehegattenwerden. Grundsätzlich bleibt jeder der Eheleute Allein-eigentümer seines vor und während der Ehe erworbenenVermögens. Ein Ausgleich der Vermögen, der soge-nannte Zugewinnausgleich, findet erst mit dem Ende derEhe statt. Allein im Jahr 2007 kam es bundesweit zu187 072 Ehescheidungen, und dabei wurde in der großenMehrzahl der Fälle ein Zugewinnausgleich vorgenom-men. Anhand allein dieser Zahlen lässt sich die Bedeu-tung des Zugewinnausgleichs, vor allem auch für ge-schiedene Frauen, erahnen. Dieser Zugewinnausgleich,der zu einem Ausgleich des während der Ehe erworbe-nen Vermögens führt, hat sich in der Praxis der letzten

50 Jahre bewährt, sodass an diesem Verfahren grund-sätzlich festgehalten werden sollte.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf kommt es nunauch nicht zu einer radikalen Reform des Güterrechts,vielmehr sollen die bekannten Probleme des geltendenRechts behoben werden. Eine solche Reform des Güter-rechts ist schon seit langem überfällig. Bereits 2003 rich-tete die FDP-Bundestagsfraktion an die damaligeBundesregierung die Frage (Kleine Anfrage, Bundes-tagsdrucksache 15/1435), ob nicht auch vonseiten derRegierung ein Bedarf zur Novellierung des ehelichenGüterrechts gesehen werde. Die Antwort fiel sehrschlicht aus: Man prüfe, ob ein Überarbeitungsbedarfbestehe. – Nun bedurfte es fünf Jahre der Prüfung, bisendlich ein entsprechender Gesetzentwurf vorliegt.

Die größte Änderung dürfte die Berücksichtigung ei-nes negativen Anfangsvermögens bei der Ermittlung desZugewinns sein. Nach der geltenden Rechtslage könnenVerbindlichkeiten niemals zu einem negativen Anfangs-vermögen führen. Dies hat zur Folge, dass die für dieSchuldentilgung verwandte Summe nicht in die Aus-gleichsberechnungen mit einbezogen wird und so zu ei-ner Verkürzung des Zugewinns führt. Dies bedeutet, dassder Ehegatte mit Schulden vor der Ehe massiv begüns-tigt wird; das Prinzip der gleichmäßigen Vermögensteil-habe ist nicht mehr gewahrt. Die im Gesetzentwurf ent-haltene Regelung führt dazu, dass diese anfänglichenSchulden berücksichtigt werden und es damit letztend-lich zu einem gerechteren Ergebnis kommt.

Problematischer erscheint jedoch bereits die Frage,was Gegenstand des Zugewinnausgleiches sein sollte.Der Gesetzentwurf greift diese in der juristischen Fach-welt vieldiskutierte Frage überhaupt nicht auf. Grundge-danke des Zugewinnausgleiches ist es aber doch vor al-lem, dass nur solche Vermögensmehrungen in denZugewinn einfließen, die auf einer gemeinsamen Leis-tung der Partner beruhen. Aus diesem Grunde werdenErbschaften oder Schenkungen schon nach geltenderRechtslage nicht in den Zugewinn einbezogen. Fraglicherscheint deshalb, warum nicht auch eheneutraler Vermö-genserwerb wie zum Beispiel der Lottogewinn oder aberauch das erhaltene Schmerzensgeld nicht vom Zugewinnausgeschlossen sein sollten. Auch der 67. Deutsche Juris-tentag hat sich dafür ausgesprochen, eheneutralen Erwerbvon der Teilung auszunehmen. Im Rahmen einer Anhö-rung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestagesmuss auf diese Problematik eingegangen werden.

Ebenfalls einer kritischen Prüfung bedarf die Frage,warum Wertsteigerungen von bereits bei Beginn des Gü-terstandes vorhandenen Vermögensgegenständen dasEndvermögen mehren und damit letztendlich den Zuge-winn vergrößern sollen. Zu denken ist hier insbesonderean Fälle, in denen zum Beispiel Grundbesitz in Formvon landwirtschaftlichen Flächen mit in die Ehe einge-bracht wird. Werden diese landwirtschaftlichen Flächenwährend der Ehe in Bauland umgewandelt, findet eineVermögensmehrung statt, die nach geltendem Recht inden Zugewinnausgleich einzubeziehen ist. An einer dieBeteiligung rechtfertigenden gemeinsamen Wertschöp-fung fehlt es bei einer derartigen Wertsteigerung jedoch.

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Neben der Frage des Gegenstandes, der der Teilungunterliegen soll, ist auch der Teilungszeitraum von ent-scheidender Bedeutung. Für den Beginn des Teilungs-zeitraums ist nach geltendem Recht auf den Zeitpunktder Eheschließung abzustellen. Forderungen aus demBereich der Rechtswissenschaft, auf den Beginn der tat-sächlichen Lebensgemeinschaft abzustellen, sind äußerstkritisch zu betrachten, da durch die bloße Eingehung ei-ner unverbindlichen Lebensgemeinschaft solch weitrei-chende Folgen wie der Beginn der Zugewinngemein-schaft nicht ausgelöst werden sollten. Bezüglich desEndzeitpunktes wird nach geltender Rechtslage für denBerechnungszeitpunkt des Zugewinnausgleichs bei derScheidung auf den Zeitpunkt der Zustellung des Schei-dungsantrages abgestellt. Die Höhe der Ausgleichsfor-derung ist jedoch durch den Wert des Vermögens be-grenzt, das bei Beendigung des Güterstandes, alsowesentlich später, noch vorhanden ist. In dem dazwi-schenliegenden Zeitraum sind Manipulationen zulastendes ausgleichberechtigten Gläubigers nicht selten. Be-züglich des Endzeitpunkts sieht der Gesetzentwurf des-halb sowohl für die Berechnung des Zugewinns als auchfür die Höhe der Ausgleichsforderung nun den Zeitpunktder Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags vor. Diesstellt eine Besserung der geltenden Rechtslage dar. Oftkommt es jedoch auch zu Vermögensverschiebungenschon vor der Zustellung des Scheidungsantrages. Umeinen möglichst effektiven Schutz vor Vermögensmani-pulationen zu gewährleisten, sollte auch überlegt wer-den, ob bei der Berechnung grundsätzlich auf den Zeit-punkt der tatsächlichen Trennung abzustellen ist. Ineiner Anhörung des Rechtsausschusses des DeutschenBundestages sollte auch darauf eingegangen werden.Insbesondere sind Einzelheiten zur Feststellung desTrennungszeitpunktes zu klären.

Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Der Zugewinnaus-gleich hat sich in der Praxis als Mittel des gerechtenAusgleichs des in der Ehe erwirtschafteten Vermögensbewährt. Jedoch sind im Laufe der Zeit – immerhin gut50 Jahre – Schwächen oder besser gesagt Schwachstel-len des Güterrechts offensichtlich geworden, welche esermöglichten, missbräuchlich wirtschaftliche Vorteilezulasten des schwächeren Ehepartners zu erlangen. Ins-besondere die Möglichkeit der nachträglichen Vermö-gensmanipulation, eine fehlende Belegpflicht und diefehlende Berücksichtigung des negativen Anfangsver-mögens von Ehepartnern sind in der Praxis bemängeltworden.

Bislang war es nicht möglich, die Schulden einesEhegatten, welche dieser mit in die Ehe brachte, zu be-rücksichtigen, da Anfangsvermögen nicht negativ seinkonnte. Das heißt, bei der Berechnung des Zugewinnsblieben die möglicherweise im Laufe der Ehe getilgtenSchulden des einen Ehepartners unberücksichtigt. ImKlartext heißt das, dass es Fälle gab, in denen die Fraunicht nur die Schulden des Mannes gezahlt hat, sondernihm nach der Scheidung auch noch ausgleichsverpflich-tet war, ihm also auch noch Geld „nachzahlen“ musste.Dieser Missstand soll mit der vorgelegten Gesetzes-reform beseitigt werden. Und das ist auch gut so, denn

Schulden stellen tatsächliche Vermögenswerte dar, diebei der Berechnung des Zugewinns einfließen sollten.

Das Auseinanderfallen der Stichtage von Trennungund Scheidung bei der Berechnung des erwirtschaftetenVermögens soll künftig dergestalt entfallen, dass maß-geblicher Zeitpunkt für die Vermögensberechnung dieZustellung des Scheidungsantrags an den Antragsgegnersein soll (Rechtshängigkeit der Scheidung). Damit kannverhindert werden, dass bis zum rechtskräftigen Schei-dungsurteil das Vermögen durch einen Ehegatten unred-lich noch derart manipuliert wird, dass an Vermögennichts mehr vorhanden ist und infolgedessen auch keineAusgleichspflicht besteht. Die Vorverlagerung des Stich-tags auf den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit der Schei-dung scheint gut zu sein. Ob eine weitere Vorverlage-rung, zum Beispiel auf den Zeitpunkt des Beginns desTrennungsjahres, sinnvoll ist, um möglichen Vermö-gensverschiebungen während dieser Zeit vorzubeugen,muss in den Beratungen geklärt werden.

Die geplanten Änderungen hinsichtlich der genehmi-gungsfreien Geschäfte in § 1813 BGB passen sichschließlich dem modernen Zahlungsverkehr an, wobeieine Gefährdung des Vermögens des Mündels nicht er-höht werden dürfte.

Die geplante Neuregelung in Nr. 3 verzichtet zwar beiVerfügungen über das Guthaben eines Girokontos aufdie Festsetzung einer Betragsgrenze im Sinne des § 1813Abs. 1 Nr. 2 BGB (3 000 Euro) mit der Folge, dass einezusätzliche Kontrolle bei Überschreitung der Betrags-grenze durch den Genehmigenden wegfällt. Aber dasBetreutenvermögen wird auf der einen Seite bereitsdurch bestehende vormundschaftsrechtliche Vorschriftengrundsätzlich hinreichend geschützt – zum Beispiel§ 1802 BGB Vermögensverzeichnis, § 1806 BGB Anle-gen von Mündelgeld, § 1812 BGB Genehmigung desGegenvormunds oder Gerichts usw. –, und auf der ande-ren Seite bestehen bereits jetzt Befreiungen von be-stimmten Pflichten bei der Vermögensverwaltung, insbe-sondere auch von der Genehmigungspflicht gemäߧ 1813 BGB und der Rechnungslegungspflicht, zumBeispiel für nahe Familienangehörige als Betreuerinnenund Betreuer.

Von daher ist der Entwurf grundsätzlich positiv einzu-schätzen. Wir werden sehen, was am Ende nach den Re-geln des Struckschen Gesetzes davon noch bleibt.

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Jede dritte Ehe in Deutschland wird heutegeschieden. Dass dies nicht immer reibungslos verläuft,erklärt sich von selbst. Darum muss es im Falle einerTrennung zukünftig fairer und transparenter zugehen.

Bisher konnten gut verdienende Ehemänner seelenru-hig gemeinsam in der Ehe erarbeitete Vermögenswertebeiseiteschaffen, bis die Scheidung rechtskräftig wurde,oder falsche Auskunft über das Vermögen geben, umden Rest für ein Leben mit der neuen Partnerin durchzu-bringen. Zukünftig ist Schluss mit dem Schummeln beider Scheidung.

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Das Justizministerium hat sich mit dieser Reform, diebereits unter Rot-Grün geplant war, leider viel Zeit ge-lassen. Es wird Zeit, dass sie nun zum Abschluss ge-bracht wird. Die Reform kommt den – leider immernoch – meist finanziell schwächer gestellten Frauen zu-gute. Gemeinsam erworbenes Vermögen muss auch bei-den Partnern zu gleichen Teilen zukommen. Soviel Ge-rechtigkeit sollte eigentlich selbstverständlich sein.

Der neue Entwurf geht in die richtige Richtung. Wirunterstützen die Erstreckung der Auskunftspflicht auf dasAnfangsvermögen und die Verpflichtung, auf VerlangenBelege für das Anfangs- und Endvermögen vorzulegen.Das erleichtert die Feststellung und Durchsetzung des Zu-gewinnausgleichsanspruchs. Schließlich zählt nicht nurdas Plus auf dem Konto, sondern auch das Minus.

Doch auch hier sind noch Verbesserungen möglich.Die gleichen Rechte, wie sie am Ende der Ehe bestehen,sollten auch während der Ehe eingeräumt werden. Dasist zwar zum Teil, aber nicht in vollem Umfang gegeben.Wir haben darüber schon in vergangenen Legislatur-perioden mehrfach diskutiert. Dem Bundesrat ist zugute-zuhalten, dass er die Debatte mit seiner Stellungnahmezu dem Gesetzentwurf nochmals anstößt. Ihm ist aberauch nichts Besseres eingefallen, als seinen alten Vor-schlag noch einmal aufzuwärmen. Der Bundesrat machthier aber nur halbe Sachen. Außerdem stellt er nicht klar,dass der Auskunftsanspruch ein höchstpersönlichesRecht ist, das nicht von Gläubigern gepfändet werdenkann. Auch wenn es schwierig ist, es würde sich lohnen,weiter nach einer Lösung zu suchen.

Es ist zu begrüßen, dass der Gesetzentwurf die Schul-den aus der Zeit vor der Ehe berücksichtigt und damitderen – oft gemeinsam erwirtschaftete – Tilgung grund-sätzlich einem Ausgleich bei Scheidung zugänglichmacht. Zum Beispiel startet ein Partner nach der Ausbil-dung in die Selbstständigkeit, verschuldet sich undbringt diese Schulden mit in die Ehe. Nicht selten wirdes die Ehefrau sein, die ihrem Mann den Rücken frei-hält, durch Mitarbeit im Betrieb oder durch eigene finan-zielle Leistungen oder Verzicht dazu beiträgt, die Schul-den abzubauen. Das Vermögen des Mannes, das amEnde der Ehe vorhanden ist, wird also gerechter aufge-teilt.

Aber, Frau Bundesministerin, hier muss ich doch et-was Wasser in den Wein gießen. Denn der Gesetzent-wurf relativiert dieses Ergebnis erheblich. Er sieht vor,dass der ausgleichspflichtige Partner zumindest dieHälfte seines Vermögens behalten darf. Diese Kap-pungsgrenze bewirkt neue Ungerechtigkeiten. Die bes-sere Partizipation und ihre Höhe hängen davon ab, obund wie viel Vermögenszuwachs der mitarbeitende Part-ner selbst erreichen konnte. Bleiben wir in dem Beispiel:Gelang es dem Ehemann, von 100 000 Euro Schulden aufein Vermögen von 100 000 Euro zu kommen, währenddie Ehefrau rollenverteilungsbedingt von null auf nur10 000 Euro kam, wird der ihr bei gleicher Teilhabe zuste-hende Ausgleichsanspruch von 95 000 auf 50 000 Eurogekürzt. Auch wenn wir nicht das Alleinernährermodellpropagieren, muss in solchen Fällen für mehr Gerechtig-keit gesorgt werden.

Im Extremfall stehen beide bei der Scheidung vermö-gensmäßig bei null. Dann gibt es überhaupt keine Teil-habe des mitarbeitenden Ehepartners, obwohl mögli-cherweise erhebliche Schulden des anderen gemeinsamabgebaut wurden. Nun mag man darüber diskutieren,dass ein schuldenfreier Start in ein neues Leben möglichsein soll, obwohl auch hier der Teilhabegedanke durch-brochen würde. Wir haben auch bei der Unterhalts-reform die Gründung einer Zweitfamilie erleichtert.Aber ich finde, wir müssen bei der Reform des Zuge-winnausgleichs nicht noch einen Startbonus auf Kostendes anderen Partners geben. Ich plädiere also dafür, dasswir in den Ausschussberatungen darüber reden, die Kap-pungsgrenze zumindest auf das gesamte vorhandeneVermögen zurückzuführen. So sieht es auch schon dasgeltende Recht vor. Bislang wird es aber nur in wenigenKonstellationen relevant, weil die anfangs bestehendenSchulden noch nicht berücksichtigt werden.

Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei derBundesministerin der Justiz: Auch wenn die Schei-dungsrate in den letzten Jahren erfreulicherweise gesun-ken ist, lassen sich Scheidungen weder in schlechtennoch in guten wirtschaftlichen Zeiten vermeiden. Es istdaher die Aufgabe des Gesetzgebers, die Folgen derTrennung für die Beteiligten durch ein möglichst gerech-tes Recht zu regeln. Ich bin deshalb froh, dass der Bun-destag heute die Beratungen über die Reform des Zuge-winnausgleichs aufnimmt.

Der Gesetzentwurf soll für mehr Gerechtigkeit vor al-lem nach einer Scheidung sorgen. Die meisten Ehepaareleben im gesetzlichen Güterstand. In diesem Güterstandwird der sogenannte Zugewinn bei Ende der Ehe ausge-glichen. Das bedeutet: Bei der Scheidung kann der Ehe-gatte, dessen Vermögen während der Ehe einen geringe-ren Zuwachs hatte als das Vermögen des anderenEhegatten, von diesem Ausgleich in Geld verlangen. DerReformentwurf will Schwachstellen in der Praxis besei-tigen und damit noch besser gewährleisten, dass es beidem Ausgleich wirklich gerecht zugeht. Vor allem un-redliche Vermögensverschiebungen zulasten des Ehegat-ten, der einen Ausgleichsanspruch hat, sollen in Zukunftbesser verhindert werden. Der Gesetzentwurf sieht hier-für folgende Neuerungen vor:

Künftig soll für die Berechnung der konkreten Höheder Ausgleichsforderung bereits der Zeitpunkt der Zu-stellung des Scheidungsantrags maßgeblich sein. Bisherwar dafür erst der spätere Zeitpunkt der Rechtskraft derScheidung maßgeblich. In der Zwischenzeit bestand inder Praxis die Gefahr, dass der ausgleichspflichtige Ehe-gatte Vermögen beiseiteschafft.

Weiter soll künftig auch berücksichtigt werden, wennein Ehepartner bei der Eheschließung mehr Schulden alsVermögen hat. Nach der Neuregelung wird auch das so-genannte negative Anfangsvermögen berücksichtigt undbei der Berechnung des späteren Ausgleichsanspruchs indie Bilanz der Ehe eingestellt. Heute übernimmt derEhepartner, der sein Vermögen im Lauf der Ehe um denBetrag mehrt, der den Schulden des anderen entspricht,im Zugewinnausgleich praktisch die Hälfte dieser Schul-

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den. Die Neuregelung schließt damit eine Gerechtig-keitslücke im ehelichen Güterrecht. Dennoch bleibt diesehr einfache und klare Struktur des Zugewinnaus-gleichs erhalten.

Schließlich wird es für beide Ehegatten einfacher, dieZugewinngemeinschaft ohne Auflösung der Ehe zu be-enden. Vermögensmanipulationen zulasten des aus-gleichsberechtigten Ehegatten sollen darüber hinausdurch Verbesserungen des vorläufigen Rechtsschutzesverhindert werden. Der ausgleichsberechtigte Ehegattesoll künftig seinen Anspruch auf vorzeitigen Zugewinn-ausgleich unmittelbar geltend machen und damit seinenGeldanspruch im vorläufigen Rechtsschutz durch Arrestdirekt sichern können. Damit kann der Ehepartner, demSchaden droht, mithilfe des Gerichts verhindern, dassder andere sein Vermögen ganz oder in Teilen beiseite-schafft.

Der Entwurf führt ergänzend die Pflicht ein, Belegeüber das Vermögen vorzulegen. Gleichzeitig wird dieAuskunftspflicht auf das Anfangsvermögen und auf dieFälle des vorzeitigen Ausgleichs des Zugewinns und dervorzeitigen Aufhebung der Zugewinngemeinschaft er-streckt.

Außerdem wird die Hausratsverordnung von 1944aufgehoben. Deren notwendige materiell-rechtliche Re-gelungen werden in das Bürgerliche Gesetzbuch inte-griert. Dabei werden die Kernstrukturen der Hausrats-verordnung in ein Recht umgestaltet, das modernenAnforderungen genügt.

Die vorgeschlagenen Regelungen haben bisher imWesentlichen Zustimmung gefunden. Bei den vorliegen-den Änderungsvorschlägen und Prüfbitten des Bundes-rates zum Regierungsentwurf geht es um Detailänderun-gen, die den Grundansatz der Reform nicht infragestellen.

Der Gesetzentwurf sieht eine weitere wichtige Neue-rung vor, die allerdings nicht den Zugewinnausgleichbetrifft, sondern die Verfügung eines Vormunds oder Be-treuers über das Guthaben auf einem Giro- oder Konto-korrentkonto. Das geltende Recht führt zu erheblichenProblemen bei der Teilnahme von Vormündern und Be-treuern am automatisierten Giroverkehr. Das BürgerlicheGesetzbuch von 1900 sieht Genehmigungspflichten vor,wenn das Guthaben auf dem Konto heute mehr als3 000 Euro beträgt. Mit dem Entwurf werden die vor-mundschaftsgerichtlichen Genehmigungspflichten anden modernen Zahlungsverkehr angepasst. Die Schutz-vorschriften des Vormundschaftsrechts sind auch ohnediese besondere Genehmigungspflicht ausreichend, umdas Vermögen von Mündeln und Betreuten vor unge-rechtfertigen Abflüssen zu bewahren.

Ich bin zuversichtlich, dass auch die Beratungen imBundestag zügig verlaufen werden. Dann können dieRegelungen für einen gerechten und effektiven Zuge-winnausgleich schon gleichzeitig mit der Reform des Fa-milienverfahrensrechts zum 1. September 2009 in Krafttreten.

Anlage 21

Zu Protokoll gegebene Reden

zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zurNeufassung des Raumordnungsgesetzes und zurÄnderung anderer Vorschriften (GeROG) (Ta-gesordnungspunkt 44)

Enak Ferlemann (CDU/CSU): Die Raumordnung inDeutschland zukunftsfähig zu machen, ist das Ziel, daswir mit der Neufassung des Raumordnungsgesetzes ver-folgen. Wir brauchen die Neufassung als eine moderneGrundlage für eine effiziente, zukunftsfähige und koor-dinierende Raumentwicklung in Deutschland.

Um es vorweg zu nehmen, ich bin überzeugt, dass wirdieses Ziel mit den Ergebnissen aus den parlamentari-schen Beratungen, die in zwei Änderungsanträge gegos-sen sind, auch erreicht haben.

Gesetzestechnisch haben wir Neuland betreten. Dennaufgrund der verfassungsrechtlichen Lage nach der Fö-deralismusreform I haben wir es mit einem neu geschaf-fenen Kompetenztyp zu tun. Neu ist die Kompetenz desBundes, die Raumordnung in den Ländern umfassend zuregeln. Wenn es um neue Kompetenzverteilung zwi-schen dem Bund und den Ländern geht, können, wie wiralle wissen, Verhandlungen schwierig werden und zuKontroversen führen. Deshalb war es wichtig, eine neueSystematik zu finden, die einerseits bundesrechtlicheVollregelungen schafft, wo dies aus fachlichen Gründenangezeigt ist, die sich andererseits aber gesetzgeberischzugunsten des Landesrechts da zurückhält, wo landes-spezifische Besonderheiten ihren Raum brauchen. DieseSystematik zu finden, ist gelungen.

Den Beteiligten aufseiten des Bundes und den Vertre-tern der Länder gilt deshalb mein Dank für die gute Zu-sammenarbeit bei der Aufstellung des Entwurfs und denKonsens, gemeinsam an einer zukunftsfähigen Raum-ordnungsgesetzgebung mitzuwirken.

Bedanken möchte ich mich im Besonderen bei Dr.Arno Bunzel vom Deutschen Institut für Urbanistik. Erhat den Koalitionsfraktionen mit dem Planspiel „Neu-ordnung des Rechts der Raumordnung“ wertvolle Ergeb-nisse geliefert. Das Planspiel diente der prospektivenPrüfung des Gesetzentwurfs zum ROG. Wie schon beimBaugesetzbuch hat sich die Durchführung eines Plan-spiels als sehr zweckdienlich erwiesen. Die Einschätzun-gen und Empfehlungen, die wir bekommen haben, beru-hen in hohem Maße auf den Erfahrungen der beteiligtenPraktiker. Sie stellen wertvolle Anregungen und Hin-weise dafür dar, wo der Gesetzentwurf der Bundesregie-rung gut ist oder noch verbesserbar und für die Praxistauglicher gemacht werden sollte. Deshalb gilt meinDank zugleich auch allen Mitwirkenden der am Plan-spiel beteiligten Planungsträgern und Raumordnungsbe-hörden aus den verschiedenen Regionen.

Erfreulich war insbesondere die grundsätzlich zustim-mende Bewertung des Regierungsentwurfs zur Neufas-sung des Raumordnungsgesetzes. Übereinstimmend vonden am Planspiel Beteiligten begrüßt wurde die einheitli-

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che Regelung der Raumordnung in einem Bundesgesetz,wie auch das Konzept, die Neuregelung des Rechts derRaumordnung im Wesentlichen an der alten rahmen-rechtlichen Rechtsstruktur auszurichten. Auch die Ziel-setzung, den Ländern trotz Wahrnehmung der konkurrie-renden Gesetzgebung Spielräume für ergänzendeRegelungen im Landesrecht zu belassen, hat Zustim-mung gefunden. Anregungen zur Änderung oder Ergän-zung des Gesetzentwurfs betrafen überwiegend nur Teil-aspekte der jeweiligen Regelungen und wurden auchnicht in jedem Falle übereinstimmend geäußert. Dieübereinstimmend oder zumindest mehrheitlich getrage-nen Anregungen hat die Bundesregierung zu einem Teilmit der Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundes-rates aufgegriffen.

Die Koalitionsfraktionen haben sich in der parlamen-tarischen Beratung mit den Ergebnissen der von denMitwirkenden am Planspiel gemachten Erfahrungenebenso wie mit den von den beteiligten Verbänden abge-gebenen Stellungnahmen auseinandergesetzt. Im Ergeb-nis hat dies dazu geführt, dass auch noch Änderungen,mit denen wir zu weiteren Verbesserungen des Gesetzesbeitragen werden, über den Antrag der Koalitionsfrak-tionen aufgenommen worden sind.

Ich denke, dass wir auch einen guten Weg gefundenhaben, verbliebene Gegensätzlichkeiten zwischen demBund und den Ländern im Hinblick auf die zukünftigeKoordinationsfunktion des Bundes auszugleichen. DieseGegensätzlichkeiten richteten sich unter anderem auf dieübergeordnete Koordinierungsfunktion des Bundes zumBeispiel für die zukünftig einer gesamtdeutschen Sichtunterliegenden Konzepte für Flug- und Seehäfen, die da-mit im Zusammenhang stehende Bundesverkehrswege-planung und Rohstofflagerstätten.

Meine Fraktion hat Verständnis für die Sorgen, undwir haben ihnen mit dem Änderungsantrag der Koali-tionsfraktionen zu Artikel 1 Rechnung getragen. Daswar auch im Sinne der FDP, die sich diesem Änderungs-antrag angeschlossen hat. Im Paragraf 17 wird ein Abs. 6angefügt, in dem geregelt ist, dass bei Aufstellung vonPlänen nach den Abs. 2 und 3 dem Bundesverkehrsmi-nisterium eine Verpflichtung zur Unterrichtung des Aus-schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung aufge-geben ist. Damit wird dem Fachausschuss eineMitwirkungsmöglichkeit über die entsprechende Raum-ordnung, die als Rechtsverordnung ergeht, eingeräumt.Die Pläne nach Abs. 2 und 3 betreffen die übergeordne-ten Konzeptionen wie zum Beispiel für Flug- und Seehä-fen. Die parlamentarische Mitwirkung ist damit sicher-gestellt. Das ist vor allen Dingen auch im Sinne derLänder, der Verbände und Unternehmen.

Ich ziehe mein Fazit: Ich bin froh, dass wir heute dieNeufassung des Raumordnungsgesetzes beschließenkönnen. Wir stehen vor großen Herausforderungen, fürdie wir Lösungen erarbeiten müssen. DemografischerWandel, Bevölkerungsrückgang, Klimawandel, Ressour-censchonung, Förderung von Entwicklungspotential,Unterstützung für zukunftsweisende Wirtschaft, Siche-rung der Daseinsvorsorge. Das sind Stichworte, die fürbedeutende Aspekte stehen, die raumordnerisch zu ei-

nem Ganzen zusammengebracht und einer gemeinsamenLösung zugeführt werden müssen, um im nationalen, eu-ropäischen und globalen Kontext zukunftsfähig zu sein.

Das Raumordnungsgesetz bietet so, wie wir es jetztfassen, die Gewähr, unsere Zukunft den Veränderungenanzupassen. Damit ist das Gesetz, wie ich finde, hervor-ragend gelungen. Die Koalitionsfraktionen werden des-halb das Gesetz zur Neufassung des Raumordnungsge-setzes und zur Änderung anderer Vorschriften in der sichaus den Änderungsanträgen ergebenden Fassung mitgroßer Überzeugung beschließen. Ich lade die Opposi-tionsfraktionen herzlich ein, gemeinsam mit uns demGesetzentwurf in der veränderten Fassung zuzustimmen.

Petra Weis (SPD): Zum wiederholten Male müssenwir uns zu später, in diesem Fall sogar zu nächtlicherStunde mit einem Thema aus dem Bereich Bau undStadtentwicklung beschäftigen, das wie viele andere grö-ßere Aufmerksamkeit in Form einer prominenteren De-battenzeit durchaus verdient hätte. Die Raumordnung istvielleicht nicht auf den ersten, aber spätestens auf denzweiten Blick von ganz erheblicher Bedeutung für diezukünftige Entwicklung unseres Landes.

Seit der ersten Lesung des Gesetzentwurfes der Bun-desregierung am 24. September haben wir einen ausge-sprochen intensiven, dialogorientierten und stets zielfüh-renden Beratungsprozess hinter uns, der – wenn ich mirdiese Bemerkung erlauben darf – auch anderen Gesetz-gebungsvorhaben durchaus gut anstehen würde. Es istgelungen, sowohl Änderungsvorschläge des Bundesratesals auch solche, die aus den Ergebnissen des Planspielsresultieren, in den Entwurf, der heute zur Abstimmungsteht, mit einzubeziehen. Es spricht also viel dafür, dassdie Bestimmungen des Gesetzes von denen, die es um-setzen müssen, in der Praxis reibungslos angewandt wer-den können. Dafür möchte ich mich bei allen am ProzessBeteiligten auch im Namen meiner Fraktion ganz herz-lich bedanken – die Beteiligten des Deutschen Institutsfür Urbanistik als Ausrichter des Planspiels ausdrücklicheingeschlossen.

Wir beschreiten in der Raumordnung gesetzgeberi-sches Neuland. Der Handlungsbedarf ergibt sich aus denErgebnissen der Förderalismusreform. Wir wenden hierden neuen Typ einer konkurrierenden Gesetzgebung an,der den Ländern ausdrücklich abweichende Regelungenerlaubt. Um eine größtmögliche Einheit der Raumord-nung in der Bundesrepublik auch zukünftig zu gewähr-leisten, kommt es nun darauf an, eine vernünftige Ba-lance zwischen bundeseinheitlichen Standards und denlandesspezifischen Besonderheiten herzustellen.

Der Koalition ist es mit diesem Gesetzentwurf für einneues Raumordnungsrecht gelungen, den Anforderungenan eine zukunftsgerichtete Raumordnung in Deutschlandgerecht zu werden. Diese positive Bewertung bezieheich nicht nur auf den gerade beschriebenen vorbildlichenProzess im Zuge der Erarbeitung und Beratung des Ge-setzentwurfes, sondern selbstverständlich auch auf dieinhaltlichen Weichenstellungen.

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Das Gesetz orientiert sich an der Zielsetzung einereinheitlichen Gesetzgebung, die von allen Beteiligten alsgrundsätzlich richtig anerkannt worden ist. Es versprichtdarüber hinaus eine nachhaltige Planung und Koordinie-rung vor allem mit Bezug auf die neu entstandenenHerausforderungen an die Raumordnung in einer globa-lisierten Welt. Dem Klimawandel und dem Bevölke-rungsrückgang kommt dabei auch in diesem Zusammen-hang eine ganz besondere Bedeutung zu.

So ist es nur folgerichtig, dass die „Grundsätze derRaumordnung“ und die aktuellen Leitbilder und Hand-lungsstrategien für die Raumentwicklung in der Bundes-republik angepasst werden.

Es ist ebenso folgerichtig, dass neben dem Klima-schutz und der Sicherung der Daseinsvorsorge vor demHintergrund einer rückläufigen Bevölkerungsentwick-lung vor allem die Entwicklung der Innenstädte und da-mit einhergehend die Reduzierung der Flächeninan-spruchnahme hervorgehoben werden.

Die interkommunale Zusammenarbeit – insbeson-dere zwischen Städten und dem sie umgebenden ländli-chen Raum – und die grenzüberschreitende Zusammen-arbeit sind ebenso zu nennen wie die vollständigeUmsetzung der EU-Richtlinie zur strategischen Umwelt-prüfung. Damit wird wie schon beim Baugesetzbuch dieRechtsanwendung erleichtert.

Ich habe schon im Rahmen der ersten Lesung daraufhingewiesen und will es an dieser Stelle gern wiederho-len: Die Raumordnung hat die Aufgabe, für einen nach-haltigen Ausgleich der vielfältigen ökonomischen, öko-logischen und sozialen Ansprüche an den Raum zusorgen. Sie ist damit die Basis einer nachhaltigen Infra-strukturpolitik und damit gleichzeitig unverzichtbare Vo-raussetzung für eine moderne Wirtschafts- und Gesell-schaftspolitik.

Sie ermöglicht darüber hinaus die Entwicklung länder-übergreifender Standortkonzepte von nationaler und in-ternationaler Bedeutung vor dem Hintergrund der öko-nomischen Entwicklung und der nachhaltigen Mobilitätgleichermaßen. Sie fördert die koordinierte Zusammen-arbeit zwischen Bund und Ländern mit dem Ziel, denWirtschaftsstandort Deutschland zu stärken und die am-bitionierten Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Sie ist da-mit eine gesellschaftliche und politische Gemeinschafts-aufgabe, und sie gelingt auch nur als solche.

Es wird in Zukunft nötig sein, die Entwicklungen inregelmäßigen Abständen zu evaluieren. Die Ergebnissewerden Aufschluss über den Grad der Zielerreichung ge-ben und Grundlage für weitere Handlungsschritte sein.

Mit diesem Gesetz führen wir die lange Tradition derRaumordnung in der Bundesrepublik verantwortungsbe-wusst weiter. Die Bedeutung der Raumordnung wird an-gesichts der beschriebenen Herausforderungen weiterzunehmen. Ziel der Raumordnungspolitik ist und bleibtes, den einzelnen Räumen und Regionen optimale Ent-wicklungschancen zu ermöglichen. Ich bin überzeugt,dass das neue Gesetz der Zielerreichung in besondererWeise dienlich sein kann.

Patrick Döring (FDP): Zu Beginn möchte ich michan dieser Stelle herzlich bei den Kolleginnen und Kolle-gen aus den übrigen Fraktionen bedanken. Wir haben, sodenke ich, bei der Beratung dieses Gesetzes sehr kolle-gial zusammen gearbeitet und so im Ausschuss noch ei-nige wertvolle Änderungen der Regierungsvorlage er-reicht. In dem einen oder anderen Punkt hätte man sichvielleicht noch mehr vorstellen können – doch insgesamthaben auch die Koalitionäre sich hier sehr offen gezeigt.

Die in meinen Augen mit Abstand bedeutsamste Er-gänzung ist sicherlich die Parlamentsbeteiligung bei derAufstellung von Raumordnungsplänen des Bundes. Ur-sprünglich war bisher von der Regierung nur vorgesehengewesen, den zuständigen Ausschuss nach Fertigstel-lung dieser Rechtsverordnung zu informieren. Wir hät-ten in diesem Hause also im Zweifelsfall erst viel zu spätvon Entwicklungen erfahren. Wohin das führen kann, er-leben wir ja just beim Raumordnungsplan für die Aus-schließliche Wirtschaftszone: Die Auswirkungen desPlanes sind zum Teil immens – vor allem für die Off-shore-Windenergie! Durch den Raumordnungsplan wer-den die Wachstumsmöglichkeiten dieses umwelt- undklimafreundlichen Energieträgers empfindlich einge-schränkt und damit nicht zuletzt sogar die deutschenKlima- und Nachhaltigkeitsziele gefährdet. Und unserHaus wird an einem solchen bedeutsamen Verfahren bis-her nicht beteiligt!

Nachdem in Zukunft der Bund auch Raumordnungs-pläne mit Festlegungen zu länderübergreifenden Stand-ortkonzepten für See-, Binnen- und Flughäfen alsRechtsverordnung erlassen kann, bin ich froh, dass wirin diesem Verfahren eine frühzeitige Parlamentsbeteili-gung erreicht haben. Es wäre doch geradezu abenteuer-lich, wenn jeder Kreis- oder Landtag in die Diskussionüber ihn betreffende Raumordnungspläne einbezogenwürde, aber ausgerechnet der Deutsche Bundestag beiden Raumordnungsplänen des Bundes außen vor bliebe.Ich freue mich, dass die Koalitionsfraktionen diese An-regung aufgenommen und wir in einem gemeinsamenAntrag den Gesetzentwurf entsprechend ergänzt haben.

Auch an anderer Stelle konnten wir den Gesetzent-wurf noch durch eine kleine, aber wichtige Änderungentscheidend verbessern: Die wirtschaftsnahe Infrastruk-tur ist in der nun vorliegenden Fassung wieder als Be-lang in den Grundsätzen der Raumordnung erfasst. Ichhatte hierzu ja bereits in der ersten Lesung zu diesemGesetzentwurf meine Bedenken vorgetragen. Durch dieStreichung dieses Aspektes auf der einen und die deutli-che Aufwertung der Belange des Umwelt- und Klima-schutzes auf der anderen Seite, war der Gesetzentwurf inmeinen Augen nicht ausgewogen. Die Argumentationdes Ministeriums, dass die Erwähnung der wirtschafts-nahen Infrastruktur überflüssig sei, weil die Belange derWirtschaft im bisherigen Gesetz ausführlicher berück-sichtigt waren und daher von den zuständigen Behördenverinnerlicht worden seien, hat offenbar auch bei denRegierungsfraktionen nicht verfangen. Es wäre ja auchin der Tat ein reichlich merkwürdiger Vorgang, wennBehörden sich bei ihren Entscheidungen auf Gesetze be-rufen würden, die ihre Gültigkeit verloren haben. Spätes-tens vor den Gerichten wäre eine solche Argumentation

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20218 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

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wohl in sich zusammengebrochen. Ungültige Gesetzesind ungültig – es mutet schon etwas merkwürdig an,wenn man das an dieser Stelle nochmals feststellenmuss. Gültig geworden wäre hingegen ein Gesetz, dassdie Umweltbelange deutlich höher bewertete als dieSchaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen. Der nunvorliegende Vorschlag ist in dieser Hinsicht – und auchzum Beispiel im Hinblick auf die Rohstoffförderung inDeutschland – bei weitem ausgewogener.

Darüber hinaus hat die Koalition noch einige Verän-derungsvorschläge aus dem Expertenplanspiel übernom-men. Dieses Verfahren möchte ich an dieser Stelle aus-drücklich loben; auch wenn dieses Lob natürlich einwenig zwiespältig ist, denn an sich sollte es selbstver-ständlich sein, dass externe Experten offen und unvor-eingenommen in einen Gesetzgebungsprozess eingebun-den werden. Dieses iterative Verfahren dürfte von miraus gerne Schule machen. Denn wie man auch im vorlie-genden Fall sieht, trägt dies zu einer merklichen qualita-tiven Verbesserung der Gesetzgebung bei: Die Expertenhaben eine ganze Reihe an Vorschlägen gemacht, die indem vorliegenden Gesetzesvorschlag jetzt auch umge-setzt wurden und die Anwendbarkeit des Raumord-nungsgesetzes merklich verbessern werden.

Von daher gibt meine Fraktion dem hier zur Beratungvorliegenden Gesetzentwurf in dieser Fassung gerne ihreZustimmung. Es ist ein gutes und ein schlankes Gesetz,das den Anforderungen der Zukunft deutlich besser ge-recht zu werden verspricht. Dabei denke ich nicht nur andie politischen Herausforderungen – etwa an den demo-grafischen Wandel, dessen Bedeutung in vielfacherWeise seinen Niederschlag in dieser Vorlage gefundenhat. Auch den Bedingungen unseres neu justierten föde-ralen Systems wird Rechnung getragen. Wir werden al-lerdings sehen müssen, wie das neue Raumordnungsge-setz sich dann auch in der Praxis bewehrt, schließlich istes das erste Mal nach Abschluss der ersten Stufe der Fö-deralismusreform, dass wir in die konkurrierende Ge-setzgebung mit den Ländern eintreten. Ich bin gespannt,wie sich unser Gesetz behaupten wird!

Das neue Raumordnungsrecht hier und heute mit ei-ner breiten Mehrheit zu verabschieden, kann daher aller-dings auch nur der erste Schritt sein. Wir werden auch inZukunft ein wachsames Auge darauf haben müssen, wiedas Gesetz sich in der Praxis und im Zusammenspiel mitden Ländern bewehrt. Ich habe deshalb bereits in denAusschussberatungen angeregt, dass zur Mitte der nächs-ten Legislaturperiode eine Evaluierung des Gesetzes undseiner Bestimmungen vorgenommen werden sollte, einPetitum, das ich an dieser Stelle gerne noch einmal wie-derholen möchte. Denn kein Gesetz ist so gut, dass esnicht noch besser gemacht werden könnte – und das giltnatürlich ganz besonders im vorliegenden Fall. Denn dietatsächlichen Konsequenzen und Wechselwirkungenvieler der Bestimmungen dieses Gesetzes werden sicherst in der Praxis erkennen lassen. Für den Anfang aberhaben wir hier ein paar gute erste Schritte in die richtigeRichtung gemacht.

Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Es gibt in der Politikimmer wieder Momente, in denen manche denken, mitder Verabschiedung oder Neufassung eines Gesetzeshätte sich das Thema für längere Zeit oder gar für einekleine Ewigkeit erledigt. Das hier zur Debatte stehendeRaumordnungsgesetz, die Neufassung des seit 1997 gel-tenden Raumordnungsgesetzes, scheint zumindest ausSicht der Koalitionsfraktionen ein solcher Fall zu sein.Wie man hört, rechnet man auf der Regierungsbank nachder Verabschiedung dieser Neuregelung wohl mit einerlangen Phase der Ruhe – gewissermaßen Ruhe im Raum,Ruhe in der Raumordnung. Dies scheint mir jedoch einegewagte Prognose zu sein.

Diese abweichende Einschätzung der Bundestags-fraktion Die Linke hat vor allem mit dem Grund zu tun,der eine Neufassung dieses Raumordnungsgesetzesüberhaupt notwendig macht, und dieser Grund ist dieFöderalismusreform, in welcher der Bund nicht zuletztbeim Thema Raumordnung erhebliche Kompetenzen andie Länder abgegeben hat. Wir haben es seitdem mit ei-ner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz zu tun,die den Ländern ein verfassungsrechtlich verbürgtesRecht auf Abweichung zugesteht. Die Neuregelungmuss und soll daher versuchen, einen Weg zwischendem Regelanspruch des Bundes und den gesetzgeberi-schen Möglichkeiten der Länder zu finden. Genau dieserWeg aber dürfte nicht einfach zu finden sein, da in wich-tigen Bereichen der Raumordnung klare Regelungen zuden jeweiligen Kompetenzen fehlen. Wer hat denn nunbei gesamtstaatlichen und länderübergreifenden Zielendas Sagen, der Bund mit seinem übergreifenden An-spruch oder die Länder mit ihrem verfassungsrechtlichverbürgten Abweichungsrecht?

Um es nur an zwei, drei Beispielen deutlich zu ma-chen: Wer setzt sich beispielsweise beim Thema Um-welt- und Naturschutz, beim Thema Rohstoffnutzungoder auch beim Thema CO2-Einlagerung durch? DasFehlen einer klaren Regelung dürfte das Erreichen ge-samtstaatlicher, länderübergreifender Raumordnungs-ziele erheblich erschweren, wenn nicht gänzlich unmög-lich machen – da die Raumordnungspläne des Bundeskeine Bindungswirkung für die Länder haben. Eine di-rekte Mitwirkung des Bundestages beim Aufstellen vonRaumordnungsplänen des Bundes ist überhaupt nichtvorgesehen. Ein solches Recht würde sich wohl keineKommune und kein Bundesland nehmen lassen. Da istim Raumordnungsgesetz erst noch einiges in Ordnungzu bringen, ehe es die Zustimmung der Bundestagsfrak-tion Die Linke finden kann.

Aus Sicht der Linken wirft die vorliegende Neufas-sung wesentlich mehr Fragen auf, als sie Antworten lie-fert. Aus unserer Sicht geht es im Interesse des gesamtenLandes und einer bundesweiten Raumordnung vor allemum drei wesentliche Fragen:

Erste Frage: Wer entscheidet wann wo und wie künf-tig über den Umgang mit unseren natürlichen Ressour-cen? Das ist eine Frage, die wir nicht erst dann beant-worten sollten, wenn die „Quellen“ versiegen, wie eineder Übersetzungen dieses ursprünglich aus dem Franzö-sischen kommenden Wortes lautet.

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Zweite Frage. Gerade das Thema Raumplanung kannals ein sehr feinfühliger Seismograf für den Grad demo-kratischer Mitwirkung an weit über lokale und regionaleGrenzen hinaus und weit in die Zukunft reichende Ent-scheidungen dienen. Vor diesem Hintergrund ist zu fra-gen, welche realen Möglichkeiten zum Beispiel Vereineund Verbände, aber auch engagierte und nicht zuletzt be-troffene Bürgerinnen und Bürger haben, sich viel früherund rechtzeitiger als bisher an den Überlegungen vonPolitik und Verwaltung zu beteiligen. Wie kann künftigverhindert werden, dass Vereine und Verbände, enga-gierte Bürgerinnen und Bürger immer erst dann einbezo-gen werden, wenn schon alle Messen gelesen sind?

Dritte Frage. Politik und erst recht Raumordnungspo-litik finden nicht irgendwie und irgendwo im luftleerenRaum statt, sondern in diesem Falle mitten in Europa.Daher ist natürlich auch nach der Europatauglichkeitdieser Neufassung des Raumordnungsgesetzes zu fra-gen. Besteht sie den Europa-Check, oder muss das Ge-setz schon bald nach seinem Inkrafttreten wieder nach-gebessert und erst europafest gemacht werden? Auch einsolches Reparaturunternehmen würde die – wie bereitseingangs erwähnt – von den Koalitionsfraktionen offen-bar angestrebte Ruhe in der Raumordnung empfindlichstören. Und nicht zuletzt möchte ich an dieser Stelle alseinen weiteren Kritikpunkt den mangelhaften Abgleichdes Gesetzentwurfes mit dem Umweltgesetzbuch an-sprechen, das derzeit ebenfalls überarbeitet wird. Einesachliche und begriffliche Anpassung scheint dringendgeboten.

Immerhin finden sich in der Neufassung auch einigePassagen, die aus unserer Sicht als bemerkenswert bisdurchaus positiv zu bewerten sind. Dazu gehört die neueFormulierung von der Konzentration der Siedlungstätig-keit auf „vorhandene Siedlungen“ – ein neuer Begriff imGesetzestext. Allerdings lässt der Gesetzentwurf leideroffen, wie das ohnehin nicht besonders anspruchsvolleZiel der Bundesregierung erreicht werden soll, bis zumJahre 2020 die Flächeninanspruchnahme auf 30 Hektartäglich zu reduzieren. Auch in diesem Falle hätten wiruns eine klarere und abrechenbarere Regelung im Gesetzgewünscht. Und im Übrigen erscheint es „öko-logisch“,den Flächenverbrauch nicht nur zu reduzieren, sondernin einen Flächengewinn umzuwandeln.

Insgesamt gesehen kann die Bundestagsfraktion DieLinke diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Wir wer-den uns auch nicht enthalten, sondern die Neufassungdes Raumordnungsgesetzes ablehnen. Außerdem gebeich den Koalitionsfraktionen Brief und Siegel, dass wiruns hier in diesem Hause schon bald erneut mit dieserThematik beschäftigen müssen. Dafür werden, so glaubeich, die Länder schon sorgen. Ich denke, wir sprechenuns spätestens Mitte der nächsten Legislaturperiode wie-der. Ich frage mich nur, ob ein solcher Umgang mit demso wichtigen Thema Raumordnung in Ordnung ist.

Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): DieRaumplanung wird als Möglichkeit, wichtige Fachpla-nungen aufeinander abzustimmen und eine zukunfts-fähige Entwicklung zu sichern, zumeist unterschätzt.

Das scheint auch für die Bundesregierung zu gelten. Vorkurzem habe ich noch im Parlament gesagt, dass manden Stellenwert der Raumplanung bei der Bundesregie-rung daran ablesen kann, dass sie die Novellierung desRaumordnungsgesetzes erst kurz vor dem Ende der Legis-laturperiode angeschoben hat.

Heute muss ich noch einen obendrauf setzen; sie hättedie Terminplanung für das Inkrafttreten des Gesetzesnoch vor der Bundestagswahl um ein Haar verschwitzt.Daher musste das Gesetz in dieser Woche so hastig imAusschuss behandelt und im Plenum mitten in der Nachtgelesen werden. Ich finde es übrigens beschämend, dassder Bundestag dieses Gesetz zu dieser Tageszeit aufsetzt.

Heute Abend muss ich resümieren, im Ausschuss wieauch in einer fraktionsübergreifenden Beratung habensich keine Neuigkeiten ergeben, und ich sehe das Gesetzweiterhin mit gemischten Gefühlen.

Es greift wichtige Forderungen unserer Zeit auf. Esreagiert auf die aktuellen Diskussionen zu Klima- undRessourcenschutz, demografischer Entwicklung undFlächenschutz. Ich begrüße ausdrücklich, dass Raum-ordnungspläne des Bundes erstellt werden können. Ge-rade hier besteht Handlungsbedarf, denn viele Fach-planungen müssen über Landesgrenzen hinaus erfolgen.Dabei denke ich als Bau- und Verkehrspolitiker in ersterLinie an die Infrastruktur, aber natürlich gilt das auch fürNaturschutzfragen, Rohstoffsicherung und anderes.Noch immer scheitert eine sinnvolle vorausschauendeRaumplanung an den Egoismen der Länder. Aus diesemGrund vermisse ich eine Bindungswirkung für die Län-der an die Raumordnungspläne des Bundes.

Ich muss daher der Bundesregierung ins Stammbuchschreiben: Auch das künftige Raumordnungsrecht bleibthinter seinen Möglichkeiten zurück. Schuld daran ist nichtnur die Lustlosigkeit der Bundesregierung, sondern auchdie Möglichkeit der abweichenden Gesetzgebung durchdie Länder. Dadurch sind leider die Möglichkeiten desBundes als Gesetzgeber de facto eingeschränkt. Gute An-sätze des Gesetzes werden verwässert. Vor allem ist dasGesetz zu inkonkret. Dabei denke ich zum Beispiel anPlanungsgrundsätze, wie die Bündelung von linienhafterInfrastruktur. Ich denke dabei an konkrete Planungsziele,beispielsweise zum Flächenschutz. Als Verkehrspolitikerdenke ich an klare verkehrspolitische Zielsetzungen, bei-spielsweise zu Verkehrsverlagerungen. Aus meiner Sichtspräche auch nichts dagegen, Potenziale zur Energieein-sparung, also Maßnahmen der Kraft-Wärme-Kopplungzum Beispiel, zu benennen. Last not least – Raumord-nungspläne sind nicht zuletzt Umweltplanungen. Da solltees nahe liegen, Biotopverbundsysteme wie das Natura-2000-Netz, Naturparke, Regionalparke, Areale mit Kli-mafunktionen und Ähnliches in diesen Planwerken obli-gatorisch zu berücksichtigen.

Auch die Transparenz und Beteiligungsmöglichkeitenfür die Öffentlichkeit und Umweltverbände sind nichtoptimal. Das beginnt bei der Frage, warum abweichen-des Recht gegenüber dem Umweltrecht zur Regelungder Strategischen Umweltprüfung für Raumordnungs-pläne geschaffen wurde. Naturschutz- und Umweltver-

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bände sollten zwingend bei der Aufstellung dieser Plänebeteiligt werden. Sinnvoll wäre die Festlegung, dassRaumordnungspläne im Internet abrufbar sein müssen.Auch bei Aussagen zu Raumordnungsverfahren wün-sche ich mir mehr Transparenz. Sie sollten grundsätzlichmit Öffentlichkeitsbeteiligung und mit Beteiligung derNatur- und Umweltschutzverbände analog der soge-nannten Trägerbeteiligung erfolgen.

Der Änderungsantrag zur Information des Bundestagesüber Planaufstellungen ist wertlos. Das Spektakulärstean dieser Initiative ist wohl der Schulterschluss vonSchwarz, Rot und Blau-Gelb. Der Antrag ist unnötig, daeine Information des Ausschusses über einen Raumord-nungsplan des Bundes eine Selbstverständlichkeit seinsollte. Wichtiger wäre die Gestaltungsmöglichkeit durchdas Parlament. Aber von einer Einvernehmensregelungist im Änderungsantrag nichts zu finden.

Ich kann der Bundesregierung bescheinigen, dass sieden Handlungsbedarf im Wesentlichen erkennt und teil-weise in das neue Raumordnungsgesetz einfließen lässt.Allerdings sieht sie sich offenbar durch die Länder ge-bremst und bleibt auf halbem Weg stehen. Aus diesemGrund werden meine Fraktion und ich den Gesetzent-wurf weder ablehnen noch befürworten, sondern wirwerden uns enthalten.

Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär beim Bundes-minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Dasneue Raumordnungsgesetz entsteht vor dem Hintergrundder derzeitigen strukturverändernden Herausforderun-gen. Es soll insbesondere auf den demografischen Wan-del und den Klimawandel antworten. Zugleich ist dasneue Gesetz eine Folge der Föderalismusreform I imJahre 2006. Im Zuge der Föderalismusreform wurde dieRaumordnung in den neu geschaffenen Kompetenztypeiner konkurrierenden Gesetzgebung mit Abweichungs-möglichkeit der Länder überführt.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zum Raumord-nungsrecht macht der Bund erstmals von dieser neuenGesetzgebungskompetenz Gebrauch. Er betritt somit ge-setzgeberisches Neuland. Um trotz des Abweichungs-rechts der Länder die Rechtseinheit möglichst zu erhal-ten, zielt der Gesetzentwurf auf eine Balance zwischender Wahrung weitgehender bundeseinheitlicher Stan-dards einerseits und der gesetzgeberischen Zurückhal-tung des Bundes hinsichtlich landesspezifischer Beson-derheiten andererseits. Ein wichtiges Anliegen desGesetzentwurfs ist, auf diese Weise den Ländern mög-lichst wenig Anlass zu geben, abweichendes Recht zusetzen.

Lassen Sie mich noch einmal die inhaltlichen Schwer-punkte und Zielsetzungen der Gesetzesnovellierung kurzanreißen. Erstens. Die nach übereinstimmender Ansichtvon Bund und Ländern bewährten Regelungen des gel-tenden Raumordnungsgesetzes werden übernommen.Dies gilt insbesondere für das klassische Instrument derRaumordnung, den Raumordnungsplan. Damit bestehtauch weiterhin die rechtliche Grundlage für eine effi-ziente raumordnerische Steuerung von aktuell und zu-künftig sensiblen raumwirksamen Projekten wie zum

Beispiel Factory Outlet Centern oder Windenergieanla-gen einschließlich des Repowerings.

Zweitens. Das neue Gesetz zielt auf Rechtsvereinfa-chung und Deregulierung ab.

Drittens. Die gesetzlichen Grundsätze der Raumord-nung werden aktualisiert; insbesondere werden alsGrundsatz erstmals geregelt die Berücksichtigung derErfordernisse des Klimaschutzes, die Berücksichtigungdes demografischen Wandels, die Stärkung der inter-kommunalen Zusammenarbeit, die Erhaltung und Ent-wicklung der Innenstädte und die Reduzierung der Flä-cheninanspruchnahme.

Viertens. Die Regelungen über die Planerhaltung wer-den präzisiert. Dies ist ein Beitrag zur Rechtssicherheitvon Raumordnungsplänen.

Fünftens. Die informelle Planung und das raumordne-rische Zusammenwirken werden gestärkt. Diese praxis-nahen, auf konsensuale Lösungen abzielenden Steue-rungsinstrumente setzen auf „Koordination durchKooperation“. Private und Behörden sollen auf gleicherAugenhöhe zusammenwirken und gemeinsam vertragli-che Vereinbarungen, regionale Entwicklungskonzeptesowie regionale oder interkommunale Kooperations-strukturen erarbeiten und umsetzen.

Sechstens. Die Regelungen über den Planungs- undKoordinierungsauftrag des Bundes werden ergänzt. Da-mit kann den neuen Herausforderungen an die Raumord-nung begegnet werden, die sich aus länderübergreifen-den und europäischen Entwicklungen ergeben.

Der Gesetzentwurf wurde in enger Abstimmung mitden für die Raumordnung zuständigen Länderministe-rien und den kommunalen Spitzenverbänden entwickelt.Zudem wurde der Gesetzentwurf im Rahmen eines dasGesetzgebungsverfahren begleitenden Planspiels vonsieben Landes- und Regionalplanungen aus allen TeilenDeutschlands auf seine Praxistauglichkeit, insbesondereauf die Verzahnung mit dem bestehenden Raumord-nungsrecht der Länder, überprüft. Über das Planspiel be-stand auch noch während des GesetzgebungsverfahrensKontakt zu den Ländern. Die Ergebnisse des Planspielsbestätigen grundsätzlich das neue Raumordnungsgesetz;sie wurden inzwischen dem Bundestagsausschuss fürVerkehr, Bau und Stadtentwicklung vorgestellt. Zu denErgebnissen des Planspiels gehören mehrere Verbesse-rungsvorschläge. Eine Reihe davon sind schon im Re-gierungsentwurf umgesetzt worden. Weitere Vorschlägegreift das Votum des federführenden Ausschusses auf.

Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme vom19. September 2008 keine grundsätzlichen Bedenkengegen den Gesetzentwurf erhoben. Die Stellungnahmebetrifft vor allem Ergänzungen und Klarstellungen zuden Grundsätzen der Raumordnung sowie die Raumord-nung des Bundes. Die Bundesregierung begrüßt dieweitgehende Übereinstimmung mit dem Bundesrat. Siehat sich einigen Vorschlägen des Bundesrates ange-schlossen. Diese Vorschläge hat gleichermaßen der fe-derführende Bundesstagsausschuss für Verkehr, Bau undStadtentwicklung beschlossen; sie liegen Ihnen nunmehrzur Abstimmung vor.

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20221

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Im Übrigen hält die Bundesregierung an dem von ihrvorgeschlagenen behutsamen Ausbau der Bundesraum-ordnung fest, namentlich an der Möglichkeit des Bun-des, Raumordnungspläne nach § 17 Abs. 2 des neuenRaumordnungsgesetzes aufzustellen. Diese Raumord-nungspläne – das sei nochmals betont – greifen nicht inLänderkompetenzen ein, sondern ermöglichen eine früh-zeitige Abstimmung von Bundes- und Landesplanungen;sie unterstützen eine fachübergreifende, integrierte Ver-kehrsplanung und dienen damit letztlich dem Wirt-schaftsstandort Deutschland.

Ich bin sicher, dass wir mit dem neuen Raumord-nungsgesetz eine von Bund und Ländern gemeinsam ge-tragene moderne Grundlage für eine effiziente und zu-kunftsfähige, koordinierende Raumentwicklung inDeutschland schaffen. Damit können wichtige Aspekteund Ziele in Einklang gebracht werden. Das gilt insbe-sondere für die Unterstützung von zukunftsweisenderWirtschaft und von Entwicklungspotenzialen, die Siche-rung der Daseinsvorsorge sowie den Ressourcenschutz.

Anlage 22

Zu Protokoll gegebene Reden

zur Beratung:

– Entwurf eines Gesetzes zur Änderung desStaatsangehörigkeitsgesetzes

– Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung desStaatsangehörigkeitsgesetzes (StAG)

– Entwurf eines Gesetzes zur Änderung desStaatsangehörigkeitsrechtes

– Beschlussempfehlung und Bericht:

– Antrag: Einbürgerungen erleichtern –Ausgrenzungen ausschließen

– Antrag: Für die Abschaffung der Op-tionspflicht im Staatsangehörigkeitsgesetz

– Antrag: Klare Grenzen für die Rück-nahme und den Verlust der deutschenStaatsangehörigkeit ziehen

(Tagesordnungspunkt 45 a und b)

Günter Baumann (CDU/CSU): Wir beraten in derzweiten und dritten Lesung abschließend die Gesetzent-würfe der Bundesregierung, des Bundesrates, der Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen und die drei Anträge derLinksfraktion zur Änderung des Staatsangehörigkeitsge-setzes.

Der vorliegende Entwurf der Koalition setzt im We-sentlichen die höchstrichterliche Rechtsprechung um.Dabei ist zu bemerken, dass das Bundesverfassungsge-richt die Verfassungsmäßigkeit von Rücknahmeentschei-den grundsätzlich bejaht, auch wenn dem Betroffenendie Staatenlosigkeit droht. Für den Gesetzgeber hattesich jedoch Regelungsbedarf bei bestimmten Fallkon-stellationen herauskristallisiert. Entscheidend werdenmit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Ände-

rung des Staatsangehörigkeitsgesetzes vier Problem-komplexe geregelt: erstens eine klare Definition, unterwelchen Gesichtspunkten eine deutsche Staatsbürger-schaft aberkannt werden kann; zweitens die Befristungder Rücknahmeentscheidung; drittens die Frage der Wir-kung auf schutzbedürftige Belange unbeteiligter Dritterinfolge der Rücknahme einer Einbürgerung und viertensdie Auswirkung auf die Staatsbürgerschaft von Kindernbei erfolgreicher Anfechtung der Vaterschaft.

Die Rücknahme der deutschen Staatsbürgerschaftdroht nur, wenn einer oder mehrere der folgenden Tatbe-stände vorliegen: arglistige Täuschung, Drohung oderBestechung, ferner auf Entscheidungen, die durch be-wusst unrichtige oder unvollständige, für den Antrag je-doch wesentliche Angaben erwirkt wurden. Dies ist fürmich eine folgerichtige Entscheidung. Denn wer denStaat und damit unsere Rechtsordnung wissentlichtäuscht, verdient nicht noch als Belohnung die deutscheStaatsbürgerschaft. Somit ist für mich auch die vorge-schlagene Regelung der Linkspartei entschieden abzu-lehnen, in der sie fordert, dass auch derjenige die deut-sche Staatsbürgerschaft behalten soll, der sich diesedurch Täuschung erschlichen hat. Dies verdeutlicht wie-der einmal die konträre Haltung der Linkspartei zu unse-ren freiheitlich demokratischen Grundsätzen.

Auch bei der Befristung von Rücknahmeentscheidensind wir, denke ich, zu einer guten Lösung gekommen.Dieser Gesetzentwurf beschränkt die Möglichkeit derRücknahme einer deutschen Staatsbürgerschaft auf eineZeitspanne von fünf Jahren nach der Einbürgerung. So-gar Bündnis 90/Die Grünen haben an dieser getroffenenRegelung nichts auszusetzen. Ich nutze hier die Gele-genheit, gleich auf den Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen etwas näher einzugehen. Wieder einmal er-liegt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Annahme,dass Migranten, die dauerhaft in Deutschland leben, au-tomatisch integriert wären. Deshalb fordern sie auch, diePrüfung der Sprachkenntnisse, die eine Voraussetzungfür die Einbürgerung darstellt, für über 54-Jährige, dieseit mindestens 15 Jahren in Deutschland leben, und fürunter 14-Jährige, die hier zur Schule gehen, abzuschaf-fen. Ich fürchte, ich muss mich auch hier wiederholen:Ein 15-jähriger Aufenthalt in Deutschland ist nicht auto-matisch mit genügend deutschen Sprachkenntnissengleichzusetzen. Schon allein der Integrationsgipfel hatgezeigt, dass eben ein großer Teil der Kinder und Ju-gendlichen mit Migrationshintergrund nicht über ausrei-chende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen unddamit weniger Chancen auf gute Bildung und Lehrstel-len haben. Werte Kolleginnen und Kollegen der FraktionBündnis 90/Die Grünen, es sollte bei all Ihren Forderun-gen auch bedacht werden, dass die Einbürgerung denAbschluss einer erfolgreichen Integration darstellt undnicht vorab wahllos verteilt wird.

Ein zentraler Punkt, bei dem Handlungsbedarf be-steht, ist die Frage, wie sich eine Rücknahme einerStaatsbürgerschaft auf Dritte auswirkt, die nicht selbstgetäuscht haben, aber im Zusammenhang mit der er-schlichenen Staatsbürgerschaft ebenfalls die deutscheStaatsbürgerschaft erworben haben. Ich denke, hier wur-den tragfähige Regelungen in das Gesetz eingebracht.

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20222 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

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Für miteingebürgerte Dritte, deren Einbürgerung alsEhepartner oder Kind akzessorisch zur Einbürgerung derantragstellenden Person ist, ist bei der Rücknahme derEinbürgerung eine eigene Ermessensentscheidung vor-gesehen. Es ist dabei zu prüfen, ob die miteingebürgertePerson an der arglistigen Täuschung, Drohung oder Be-stechung oder an den wissentlich unrichtigen oder un-vollständigen Angaben beteiligt war. Darüber hinaus istzu prüfen, ob diese Person sich inzwischen einen eige-nen Einbürgerungsanspruch erworben hat oder ob sichdie Person gut integriert hat. Somit werden die schutz-würdigen Belange Dritter mit der Herstellung gesetzmä-ßiger Zustände abgewogen.

Eine weitere Fallkonstellation stellen Kinder dar, diedurch eine erfolgreiche Anfechtung der Vaterschaft einesdeutschen Staatsbürgers ihre deutsche Staatsangehörig-keit verlieren können. In Anlehnung an ein Verfassungs-gerichtsurteil werden diese Fälle so geregelt, dass einVerlust der deutschen Staatsbürgerschaft nicht eintretensoll, wenn das Kind nicht älter als fünf Jahre ist. Denn eswird davon ausgegangen, dass ein Kind unter fünf Le-bensjahren noch kein Bewusstsein von seiner Staatsan-gehörigkeit hat und somit auch nicht Art. 16 Abs. 1 Satz1 GG berührt wird.

Über die Regelung dieser Problemkomplexe hinaushalte ich die Einführung einer Strafvorschrift, wie sie derBundesrat gefordert hat, für sachgerecht. Hierbei kannder Betroffene mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünfJahren oder mit einer Geldstrafe belegt werden, wenn erunrichtige oder unvollständige Angaben zu wesentlichenVoraussetzungen der Einbürgerung macht oder benutzt,um für sich oder andere eine Einbürgerung zu erschlei-chen. Diese Regelung, Täuschungsverhalten strafrecht-lich zu ahnden, knüpft an bereits bestehende Regelungendes Bundesvertriebenengesetzes und des Asylverfahrensan. Denn laut Bundesrat sind Fälschungen von Identi-tätspapieren für die Erlangung der deutschen Staatsbür-gerschaft keine Einzelfälle. Um diesen Täuschungenvorzubeugen, unterstütze ich voll und ganz eine straf-rechtliche Verfolgung. Denn auch hierbei ist dem Aspektder inneren Sicherheit Deutschlands und der Gefahr desinternationalen Terrorismus Rechnung zu tragen. Denngerade die Einbürgerung könnte auch von Extremistenals Mittel zur Vorbereitung und Ausübung von Terror-anschlägen genutzt werden. Infolgedessen kann das Ple-num des Deutschen Bundestages nur zu einem Votumkommen: den Gesetzentwurf der Bundesregierung in ge-änderter Fassung anzunehmen und die weiteren Gesetzes-entwürfe und Anträge abzulehnen.

Rüdiger Veit (SPD): Der Gesetzentwurf der Bundes-regierung, den wir heute beraten, stellt eine Reaktion aufdie aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-richts und des Bundesverwaltungsgerichts dar. In insge-samt drei Urteilen haben sie folgende Fragen behandelt:Welches ist die zeitliche Grenze, bis zu der eine Einbür-gerung zurückgenommen werden kann, wenn der Einge-bürgerte die deutsche Staatsangehörigkeit durch arglis-tige Täuschung erhalten hat? Welche Auswirkungen hatdas auf seine durch Geburt eingebürgerten Kinder oderauf seine erleichtert eingebürgerten Angehörigen? Und

zuletzt: Wie wirkt sich eine erfolgreiche Vaterschaftsan-fechtung aus, wenn ein Kind die deutsche Staatsangehö-rigkeit nur aufgrund der Abstammung vom vermeintlichdeutschen Vater erworben hat?

Es war an uns, diese Fragen durch klare Regelungenim Gesetz zu beantworten. Das haben wir getan. Dasswir die verfassungsrechtlichen Grenzen geachtet haben,die uns die Rechtsprechung vorgegeben hat, ist eineSelbstverständlichkeit. Dass wir dabei aber auch politi-sche Gestaltungsräume genutzt haben, ist ebenso selbst-verständlich. Diesbezüglich möchte ich auf eines hin-weisen: Wenn ein Ausländer oder eine Ausländerinaufgrund von Täuschung eingebürgert wird, so hat eroder sie sich die Rücknahme der Einbürgerung selbst zu-zuschreiben. Wenn aber ein Kind auf dieser Grundlageerleichtert eingebürgert worden ist, so geht die Einbürge-rung auf das schuldhafte Handeln des Vaters oder derMutter zurück. Das Kind hat nicht getäuscht. Umsowichtiger ist es, dass die Interessen des Kindes im Vor-dergrund stehen, wenn es darum geht, das Ermessen da-rüber auszuüben, ob seine erleichterte Einbürgerungebenfalls zurückgenommen wird. Deshalb haben wir dieBeachtung des Kindeswohls im vorliegenden Gesetzent-wurf ausdrücklich in die Ermessensausübung aufgenom-men.

So weit zu den Details unseres Gesetzentwurfes. DieRegelung der genannten Fragen war aus Gründen derrechtsstaatlichen Klarheit geboten. Ich halte es aberebenso für geboten, nicht nur über Detailaspekte, son-dern auch über Grundsatzfragen des Staatsangehörig-keitsrechtes zu debattieren. Eine solche Debatte habenwir zwar aus dem vorliegenden Gesetzgebungsverfahrenbewusst ausgeklammert – zu unterschiedlich sind diediesbezüglichen Auffassungen innerhalb der GroßenKoalition –, das soll mich aber nicht daran hindern,heute ein weiteres Mal den Blick darauf zu lenken, waswir Sozialdemokraten langfristig anstreben: die doppelteStaatsangehörigkeit für in Deutschland geborene Kinder.

Dieses Ziel ist bislang bekanntlich noch nicht ver-wirklicht worden. Vielmehr haben wir mit der Reformdes Staatsangehörigkeitsrechts 2000 nur einen Kompro-miss erreicht. Nach der sogenannten Optionslösung er-werben Kinder, die in Deutschland geboren werden undderen Eltern ein langfristiges Aufenthaltsrecht haben,zwei Staatsbürgerschaften. Wenn sie volljährig sind,müssen sie sich zwischen der deutschen Staatsangehö-rigkeit und der ihrer Eltern entscheiden. Haben sie sichbis zum 23. Lebensjahr nicht entschieden, so verlierensie die deutsche Staatsangehörigkeit.

Dieser Regelung liegt der Gedanke zugrunde, dassdoppelte Staatsbürgerschaft vermieden werden soll.Doch warum eigentlich? Ich darf Sie daran erinnern,dass bereits jetzt mehr als die Hälfte derer, die eingebür-gert werden, ihre alte Staatsbürgerschaft aufgrund dergesetzlichen Regelungen beibehalten können. Diesevielfache Hinnahme von Doppelstaatigkeit hat bislangnicht zu integrationspolitischen Problemen geführt. EinProblem entsteht vielmehr dadurch, dass wir Doppel-staatigkeit gerade bei den hier geborenen Menschen jen-seits des 18. Lebensjahrs nicht hinnehmen.

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20223

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Sie sind in Deutschland groß geworden, und ihre Le-benswirklichkeit liegt hier. Das ändert aber nichts daran,dass sich viele von ihnen ihrer Familie und deren Tradi-tionen ebenso verbunden wie verpflichtet fühlen. Ent-scheiden sie sich gegen die deutsche Staatsangehörig-keit, erhalten sie eine Niederlassungserlaubnis. Zwarkönnen sie damit in Deutschland bleiben, gleichwohlfinden sie sich hier als Ausländer im eigenen Land wie-der – und dies nach 18 Jahren als gleichberechtigte Mit-bürger. Entscheiden sie sich gegen die Staatsangehörig-keit ihrer Eltern, kann das als Abkehr von der Familieund deren Traditionen verstanden werden. Das bringt siein persönliche Konflikte. Warum ersparen wir ihnen dasnicht? Nähmen wir ihre doppelte Staatsangehörigkeithin, würden wir nicht nur ihre individuellen Loyalitäts-konflikte beseitigen. Wir würden ihnen auch, unter Bei-behaltung eigener Traditionen, die Möglichkeit geben;sich als Deutsche aktiv an Wahlen zu beteiligen und zuWahlen anzutreten. Das wäre ein ebenso einfacher wiekonsequenter Beitrag zur Integration von Menschen ausEinwandererfamilien.

Bevor ich schließe, möchte ich noch knapp auf dieverbleibenden Anträge eingehen. Der Antrag des Bun-desrates enthält mehrere Verschärfungen, die wir nichtmittragen können. Der Antrag von Bündnis 90/Die Grü-nen weist mit der Streichung des Optionsmodells in dierichtige Richtung. Leider stammt er jedoch von 2006und bezieht sich damit auf eine veraltete Fassung desStaatsangehörigkeitsgesetzes, das 2007 geändert wordenist. Deshalb kann ihm bereits aus formalen Gründennicht zugestimmt werden. Ich komme schließlich zu denAnträgen der Fraktion Die Linke: Drucksache 16/9654fordert die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurfvorzulegen, mit dem die Rücknahme und der Verlust derdeutschen Staatsangehörigkeit geregelt werden. DieseAufforderung betrachte ich durch unseren Gesetzent-wurf als erledigt. Der Antrag auf Drucksache 16/1770schließlich fordert die erleichterte Einbürgerung. Aucher ist formal veraltet. Deshalb fehlt in dem Antrag einHinweis darauf, dass wir 2007 eine Erleichterung mitdem Richtlinienumsetzungsgesetz geschaffen haben.Wir konnten die Verkürzung der Einbürgerungsfrist vonacht bzw. sieben Jahre auf sechs Jahre für Migranten er-wirken, die besondere Integrationsleistungen, also vorallem Deutschkenntnisse, vorweisen können.

Deshalb plädiere ich dafür, die Anträge des Bundesra-tes und der Opposition abzulehnen. Unseren Antrag hin-gegen bitte ich anzunehmen – im Wissen darum, dassdies nicht die letzte Reform des Staatsangehörigkeits-rechts gewesen sein kann.

Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Die Rücknahmeder deutschen Staatsangehörigkeit, wenn sie durch arg-listige Täuschung, Drohung oder Bestechung erworbenwurde, bedarf nach jüngstem Entscheid des Bundesver-fassungsgerichtes eines eigenen Gesetzes. Die Verwal-tungsvorschriften, die seit Gründung der Bundesrepublikdazu angewandt wurden, reichen demnach nicht mehraus. Eine eigengesetzliche Regelung dient der Rechtssi-cherheit. So weit begrüßt die FDP ausdrücklich die Ge-setzesinitiative der Bundesregierung. Das sensible und

wichtige Thema Staatsangehörigkeit muss verlässlichund durchschaubar ausgestaltet sein.

Das Staatsbewusstsein von nicht schulpflichtigenKindern scheint mir nicht geeignet, darauf wesentlicheRechtsfolgen zu gründen. Die Begründung, sie hättenein eigenes Bewusstsein ihrer Staatsangehörigkeit entwi-ckelt, ist meines Erachtens fragwürdig. Es ist dennochsinnvoll, Kindern ab fünf Jahren einen eigenen Staatsan-gehörigkeitsrechtsschutz zu gewähren. Für diese Rege-lung spricht, dass die betroffenen Kinder nicht unter denRechtsvergehen ihrer Eltern leiden sollten.

Die Frist von fünf Jahren, die die Bundesregierungden Behörden zum Nachweis der unrechtmäßig erwor-benen Staatsangehörigkeit setzen will und die das Ver-fassungsgericht vorgeben zu müssen glaubt, scheint mirreichlich kurz zu sein. So kann vermutlich kaum wirk-sam verhindert werden, dass eine verlockende Zielliniein Aussicht gestellt wird, die Betrügern oder BestechernErfolg garantiert. Doch die Vorgaben des obersten Ge-richts sind umzusetzen.

Dass, wie die Bundesregierung vorschlägt, die Rege-lung auch rückwirkend geltend soll, erscheint nach denstattgehabten Beratungen als weniger schlüssig. Da dasBundesverfassungsgericht für zurückliegende Fälle durch-aus zur Bestätigung von Rücknahmeentscheidungen ge-kommen ist, scheint es mir rechtsstaatlich sauberer, dieWirkung des Gesetzes sich nur ex nunc entfalten zu las-sen.

Eine eigenständige Strafbarkeit für die Erschleichungder Einbürgerung ist sinnvoll – aber die Strafbewehrungdes Sachverhaltes ist bereits ausreichend gegeben. Zu-dem lässt der Regierungsentwurf die notwendige Präzi-sion vermissen. Der Verweis auf das Bundesvertriebe-nengesetz ist in diesem Zusammenhang sachlich nichtnachvollziehbar.

Grüne und Linke ergehen sich in ihren Anträgen inVorschlägen, wie die deutsche Staatsangehörigkeit leich-ter erworben werden können soll. Das soll sozusagenbilliger gemacht werden, mit anderen Worten: Die deut-sche Staatsangehörigkeit soll entwertet werden. Beson-ders die Linke ist ja stets bemüht, den Erwerb der deut-schen Staatsangehörigkeit möglichst zu verramschen.

Linke und Grüne fordern einträchtig die Abschaffungdes Optionsmodells. Die FDP hat dieses Modell seiner-zeit vorgeschlagen. Aber nicht nur deshalb lehnen wirdiese Vorstöße ab. Vielmehr hat es überhaupt keinenSinn, ein Gesetz zu ändern, für dessen Wirkung es nochkeinerlei verwertbare Daten gibt.

Wir sollten erst einmal die Wirkung des bestehendenRechts hinreichend lange beobachten, statt ideologischan der Gesetzgebung herumzuschrauben. Es ist einfachsinnvoll, erst einmal Erfahrungsberichte abzuwarten,wie sich diese Regelung auswirkt.

Für in Deutschland aufgewachsene junge Menschenist es nach Auffassung der Linken nicht zumutbar, sichbei Volljährigkeit für die deutsche Staatsangehörigkeitzu entscheiden. Sie halten auch die Mehrstaatigkeit fürhinnehmbar. Ausgerechnet in Form der Staatsangehörig-

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20224 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008

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keit sollen emotionale Bindungen ans Herkunftsland ei-nes Migranten beibehalten werden können und deshalbdie deutsche Staatsangehörigkeit zusätzlich möglichsein. Diese Stärkung von emotionalen Herkunftsbindungendurch doppelte Staatsangehörigkeit ist kontraproduktiv.Es ist bezeichnend, dass die Linke die emotionalen Bin-dungen an das Zielland konsequent vernachlässigt.

Tatsächlich ist das Umgekehrte notwendig: Migrantenmüssen sich der Realität stellen. Integration in die deut-sche Gesellschaft kann nur gelingen, wenn man sich zugleichen Rechten und Pflichten wie die anderen Staats-bürger in die deutsche Gesellschaft integriert, dazu stehtund auch emotional daran bindet.

Doppelstaatsangehörigkeit verhindert die Klärung dereigenen Loyalität und damit Identität, die für eine erfolg-reiche Integration Voraussetzung ist. Deshalb sind dieProbleme der doppelten Staatsangehörigkeit, außer inSonderfällen, zum Beispiel bei Kindern aus binationalenEhen, nicht so einfach vom Tisch zu wischen. Sie behin-dert die Integration, wenn Migranten mit Doppelstaats-angehörigkeit dem Irrtum verfallen, man könne gleich-zeitig politisch und kulturell zwei Nationen angehören.Migrantenschicksale zeigen oft, dass dies eben nichtmöglich ist: Wer weder ganz hier sein, noch ganz dortbleiben will, ist nirgendwo als gleichberechtigter Mit-bürger akzeptiert – ganz unabhängig vom formalrechtli-chen Status.

Die Staatsangehörigkeit sollte für Migranten genausoeindeutig entschieden sein wie für geborene Mitbürger.Es ist schon zu fragen, warum Migranten diesbezüglichgegenüber den geborenen Deutschen privilegiert werdensollen. Dass Grüne und Linke diese Frage nicht stellen,heißt nicht, dass die Menschen in diesem Land sie nichtstellen. Grüne und vor allem Linke ignorieren vorsätzlich,dass erfolgreiche Zuwanderungsländer wie die USA sehrwohl von ihren Neubürgern ein klares und ausschließli-ches Bekenntnis zu ihrem neuen Staat fordern. Die USAverlangen beispielsweise in ihrem Einbürgerungseid einenunmissverständlichen und nachdrücklichen Loyalitäts-schwur der Neubürger und zugleich eine explizite Ab-sage an bisherige staatsbürgerschaftliche Loyalitäten.Nur so kann nach US-Auffassung sowohl dem Neubür-ger als auch den Alteingesessenen das Gefühl vermitteltwerden, jetzt zur neuen Staatsgesellschaft wirklich dazu-zugehören.

Eine Einbürgerungsregelung, die von weiten Teilender Bevölkerung nicht akzeptiert wird, stärkt keinesfallsdie Akzeptanz von Migranten. Das allerdings wäre kon-traproduktiv und hilft auf dem Weg zu wirklicher Inte-gration von Migranten in unsere Gesellschaft nicht wei-ter.

Die Vorschläge der Linken würden den bisherigenGrundfehler deutscher Zuwanderungs- und Integrations-politik verschärfen. Dieser Fehler ist, so zu tun, als gäbees keine Anforderungen und keine Werte in der deut-schen Gesellschaft, die zu bewältigen, zu beherzigenoder abzuverlangen sind. Die Linken haben die Diskus-sion der letzten fünf Jahre zum Thema „Toleranz durchWegschauen“ verschlafen und wollen blind den Weg for-cieren, der überhaupt erst in Deutschland, Frankreich,

den Niederlanden und anderswo die Integrationspro-bleme verursacht hat. Die FDP lehnt solche Anträge ab.

Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Wer sich auf Dauerin einem Staat niederlässt – zumal wenn sich dieser alsDemokratie versteht –, hat Anspruch auf politische undsoziale Rechte. Dieser Anspruch kann im Prinzip aufzwei Arten erfüllt werden: über einen unkompliziertenZugang zur Staatsbürgerschaft oder über das Wahlrechtauch für im Land lebende Menschen ohne deutschenPass.

Das, was wir von der Bundesregierung erleben, ist ge-nau das Gegenteil. Weder schafft sie die Möglichkeit ei-nes entsprechenden Wahlrechts – nicht mal auf kommu-naler Ebene – noch versucht sie, Einbürgerungentatsächlich zu ermöglichen. Sie erschwert und verhindertstattdessen Einbürgerungen.

Die geltende Rechtslage und Einbürgerungspraxisstellen zu hohe Hürden auf. Zu kritisieren sind unter an-derem die hohen Einbürgerungsgebühren, zu langwie-rige Verfahren, da grundsätzlich die vorherige Aufgabeder bisherigen Staatsangehörigkeit verlangt wird, undder Ausschluss von Personen, die Sozialleistungen inAnspruch nehmen.

Für Die Linke ist es demokratiepolitisch bedenklich,wenn die Einbürgerung von der sozialen Integration vonMigrantinnen und Migranten abhängig gemacht wird. Esist für uns ein demokratiepolitisches Problem, wennMenschen der Zugang zur Staatbürgerschaft ihres Wohn-landes erschwert wird bzw. weitgehend verschlossenbleibt.

Genau dies ist in der Bundesrepublik aber der Fall,wie die rückläufigen Einbürgerungszahlen zeigen. Sowurde im Jahr 2000 mit 186 688 Einbürgerungen zwarein Höchststand erreicht, doch lässt sich dieser im We-sentlichen mit Sonderfaktoren der damaligen Gesetzes-änderung erklären. Seitdem sank die Zahl der jährlichenEinbürgerungen kontinuierlich auf bis zu 127 153 imJahr 2004 und nur noch 113 030 im Jahr 2007 ab. DerRückgang von 2000 bis 2007 beträgt zwischen 32 und40 Prozent.

Im europäischen Vergleich schneidet die Bundesrepu-blik Deutschland ohnehin schlecht ab. Auch die sehrniedrige Einbürgerungsquote ist ein absolutes Desaster.Von den Menschen ohne deutschen Pass haben sich ge-rade mal 1,56 Prozent im Jahr 2007 einbürgern lassen.

Doch daran will die Bundesregierung nichts ändern.Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schafft es die Bun-desregierung gerade mal, auf Urteile des Bundesverfas-sungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zureagieren. Darin wurde die Bundesregierung aufgefor-dert, eine klare spezialgesetzliche Regelung zur Rück-nahme der Staatsangehörigkeit zu erlassen. Doch dieBundesregierung belässt es nicht einfach dabei, dieRücknahme bzw. den Entzug der Staatsangehörigkeit zuregeln. Nein, wie so oft im Ausländerrecht wird eineDoppelbestrafung eingeführt. Damit diese Regelungnicht auch nur ansatzweise einen positiven Beige-schmack erhält, wird noch zusätzlich eine Strafvorschrift

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 187. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2008 20225

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eingeführt. Für unrichtige oder unvollständige Angabenzur Erschleichung der Staatsangehörigkeit soll eine Frei-heitsstrafe von bis zu fünf Jahren verhängt werden kön-nen. So sieht das Rechtsstaatsverständnis der Bundesre-gierung und insbesondere der CDU/CSU aus.

Das ist nicht nur völlig unverhältnismäßig, sondernsichert den Drang der Bundesregierung nach sozialer Se-lektion zusätzlich ab. Denn unrichtige Angaben werdenvermutlich am ehesten noch zu den Fragen der Lebens-unterhaltssicherung gemacht. Da spielt es dann keineRolle, ob lediglich ein Anspruch auf Sozialleistungenbestand, der aber nicht angegeben wurde, da dieser nichtwahrgenommen wird. Wir lehnen nicht nur die Strafvor-schrift ab. Die Linke lehnt auch das Erfordernis der Le-bensunterhaltssicherung ab. Die Staatszugehörigkeit undpolitische Gleichberechtigung dürfen nicht vom Ein-kommen abhängig sein.

Genauso wenig dürfen in einem Land geborene Kin-der ungleich behandelt werden. Für uns ist das eineFrage der Gerechtigkeit. Für alle Kinder müssen diegleichen Grundvoraussetzungen für ihre Entwicklunggeschaffen werden. Dies kann nur über die automatischeEinbürgerung bei Geburt im Inland geschehen. Diese beiVolljährigkeit der Kinder dann wieder infrage zu stellenund sie zwischen der deutschen Staatsangehörigkeit oderder ihrer Eltern entscheiden zu lassen, ist absurd. DieserEntscheidungszwang wird der Lebenssituation der mitmehreren Staatsangehörigkeiten aufgewachsenen jungenErwachsenen nicht gerecht.

Herr Wolff von der FDP hat der Linken in seiner Redezur ersten Lesung unseres Antrags zur Optionspflicht– siehe Plenarprotokoll 16/183 auf Seite 19573 – vorge-worfen, wir wollten durch die Abschaffung der Options-pflicht den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit sobillig wie möglich machen und wir würden damit ideolo-gisch an der Gesetzgebung herumschrauben. Doch ha-ben wir nichts anderes gefordert als der Sachverständigeder FDP in der Anhörung zum Staatsangehörigkeits-recht. Prof. Dr. Dr. Rainer Hofmann hat sich – wie übri-gens auch alle anderen Sachverständigen – eindeutiggegen die Optionspflicht ausgesprochen. Dies ist nach-zulesen in seiner Stellungnahme Ausschussdrucksache16(4)311 C. In dieser plädiert er dann auch entsprechendfür eine ersatzlose Abschaffung.

Viel Schaumschlägerei veranstaltet ja auch die SPDimmer wieder gerne; so auch bezogen auf die Forderungnach der Hinnahme der doppelten Staatsangehörigkeit.Herr Wiefelspütz hat Initiativen der SPD zur Ermögli-chung der doppelten Staatsangehörigkeit im DeutschenBundestag bereits am 26. Mai 1993 angekündigt; nach-zulesen im Plenarprotokoll 12/160 auf Seite 13575. Da-mals noch, um die Zustimmung der SPD zum sogenann-ten Asylkompromiss zu rechtfertigen. Sein KollegeRudolf Körper tat selbiges in der Debatte vom 14. Juni2007 zur Rechtfertigung der Zustimmung der SPD zumRichtlinienumsetzungsgesetz – Plenarprotokoll 16/103,Seite 10591. Herr Bürsch von der SPD-Fraktion hatseine Rede in der Plenarsitzung vom 16. Oktober 2008mit dem Satz beendet: „Daher wird die SPD über dashier zu beschließende Gesetz hinaus weiter für die Ab-

schaffung des Optionsmodells und die generelle Mög-lichkeit einer doppelten Staatsbürgerschaft eintreten.“ Esbleibt bei der SPD dabei: Seit 15 Jahren – davon übri-gens zehn Jahre an der Regierung – nur Gerede. Ver-schärfungen der Gesetzeslage werden unterstützt undmit der CDU/CSU durch das Parlament getrieben, undwenn es mal um Verbesserungen für Migrantinnen undMigranten geht, kommt nur heiße Luft.

Mit unserem Antrag „Einbürgerung erleichtern – Aus-grenzungen ausschließen“ soll die Einbürgerung bundes-weit erleichtert und hierdurch das Signal an die inDeutschland lebende Bevölkerung vermittelt werden,dass Menschen mit Migrationshintergrund als gleichbe-rechtigter Teil dieser Gesellschaft angesehen werden.Einbürgerungen sollen nach fünfjährigem tatsächlichenLebensmittelpunkt in der Bundesrepublik möglich sein.Dazu sind nach unserer Auffassung mündliche Sprach-kenntnisse ausreichend. Wir wollen die Staatsangehörig-keit per Geburt – ius soli – und die grundsätzlicheErmöglichung der Mehrfachstaatsangehörigkeit. Außer-dem müssen Einbürgerungen unabhängig vom Einkom-men sein. Das bedeutet auch, dass die Einbürgerungsge-bühren radikal gesenkt werden müssen.

Leider will eine Mehrheit in diesem Parlament keineerleichterte Einbürgerung und vereinfachte Einbürge-rungsverfahren.

Nun, das sagt einiges über dass Demokratieverständ-nis der Parlamentsmehrheit aus.

Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN): Die Einbürgerungszahlen in Deutschland liegennach drei schwarz-roten Jahren im Keller. Im Jahr 2007sind sie nochmals um 9,5 Prozent zurückgegangen undliegen nunmehr auf dem Niveau von vor 1991. Und dieGroße Koalition? Ihnen fällt außer warmen Worten undeiner reichlich schlichten Werbekampagne anscheinendgar nichts ein, wie Sie diesen negativen Trend umkehrenkönnten. Im Gegenteil: Sie haben das Thema Einbürge-rung komplett aus dem Nationalen Integrationsplan aus-geklammert; Sie haben die Einbürgerungsmöglichkeitenfür junge Migrantinnen und Migranten verschärft; Siehaben einen absurd unintelligenten Einbürgerungstesteingeführt, der – im deutlichen Unterschied zu der Will-kommenskultur der USA – Ausdruck kleinkariertenMisstrauens und des Willens zur Abschreckung gegen-über einbürgerungswilligen Personen ist; schließlich hal-ten Sie – entgegen des Rats von sieben der acht Sachver-ständigen in der diesbezüglichen Innenausschussanhö-rung – an dem unsäglichen Optionszwang fest.

Wir Grünen stellen heute unseren Gesetzentwurf zurLiberalisierung des deutschen Staatsangehörigkeits-rechts zur Abstimmung. Wir schlagen darin unter ande-rem vor, die Fristen für eine Anspruchseinbürgerung vonacht auf sechs Jahre zu verkürzen; die Einbürgerung vonMigrantinnen und Migranten der ersten Zuwandererge-neration zum Beispiel beim Nachweis von Deutsch-kenntnissen zu erleichtern; Mehrstaatigkeit nicht nur beiUnionsbürgern und Schweizern, sondern auch bei Ange-hörigen besonders eng assoziierter Staaten wie der Tür-kei hinzunehmen; schließlich das sogenannte Options-

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modell auf dem Müllhaufen der Rechtsgeschichte zuentsorgen, wo es dringend hingehört.

Diese Vorschläge entsprechen dem Grünen Integra-tionskonzept aus dem Jahr 2006, das den programmati-schen Titel „Perspektive Staatsbürgerschaft“ trägt. Un-sere Gesellschaft sollte es sich zur ureigensten Aufgabemachen, alles zu tun, damit unsere künftigen Staatsbür-gerinnen und Staatsbürger so bald wie möglich die Vo-raussetzungen für eine Einbürgerung erfüllen.

Wir werden uns bei dem Gesetzentwurf der Bundes-regierung der Stimme enthalten. Im Grunde werden hierdie Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Rück-nahme einer Einbürgerung bei arglistiger Täuschungweitgehend umgesetzt. Wir Grünen hatten in unseremoben genannten Gesetzentwurf vorgeschlagen, dass einesolche Rücknahme nur innerhalb eines Zeitraums vonfünf Jahren nach der Einbürgerung bzw. nicht rückwir-kend, sondern nur mit Wirkung für die Zukunft vorge-nommen werden dürfte.

Wir kritisieren, dass die Bundesregierung vom Votumdes Bundesrates nur einen restriktiven Punkt, nämlichdie Einführung einer neuen Strafvorschrift, übernommenhat und nicht dessen – ja ohnehin äußerst seltenen – Vor-schläge zur Liberalisierung staatsangehörigkeitsrechtli-cher Vorschriften aufgegriffen hat. Wir Grünen haltenzum Beispiel – im Einklang mit dem Europäischen Über-einkommen über die Staatsangehörigkeit vom 6. Novem-ber 1997, auf das das Bundesverfassungsgerichtsurteil2 BvR 96/04 in RZ 25 ja auch Bezug nimmt – eine Al-tersgrenze für die Kinder der bzw. desjenigen, der bzw.dem der deutsche Pass wieder entzogen werden soll, von18 Jahren für rechtlich möglich und angemessen. Abermit Vorschlägen zur Liberalisierung und Humanisierungdes Staatsangehörigkeitsrechts ist diese Koalition allenSonntagsreden zum Trotz offenkundig überfordert.

Aber Schlafmützigkeit ist augenscheinlich kein Privi-leg der Regierungskoalition. Die FDP hat zum Beispielgestern im Innenausschuss vorgeschlagen, im Hinblickauf das sogenannte Optionsmodell erst einmal eine lang-wierige Evaluierung durchzuführen, ganz nach demMotto: Wer nicht mehr weiter weiß, der gründet einenArbeitskreis. Ein solcher Vorschlag ist aus meiner Sichtreine Zeitverschwendung und geht einseitig zulastenderjenigen Heranwachsenden, die schon heute gezwun-gen sind, sich zwischen der Staatsangehörigkeit ihrer El-tern und derjenigen des Landes zu entscheiden, in demsie leben und aufgewachsen sind.

Anlage 23

Zu Protokoll gegebene Reden

zur Beratung des Entwurfs eines Düngegesetzes(Tagesordnungspunkt 46)

Johannes Röring (CDU/CSU): Mit dem heute zuverabschiedenden Düngegesetz soll das Düngemittel-gesetz von 1977 ersetzt werden. Dies derzeit geltendeDüngemittelgesetz hat die Aufgabe, die grundsätzlichenAnforderungen an die Zusammensetzung, die Kenn-

zeichnung und die Anwendung von Düngemitteln zu re-geln, um die Versorgung mit Lebens- und Futtermitteln,pflanzlichen Rohstoffen sowie den Schutz der Anwendervon Düngemitteln und der Gesundheit von Verbrauchernsowie von Tieren und des Naturhaushalts sicherzustellen.Doch zeigt die aktuelle Praxis, dass es den Anforderun-gen, die an ein modernes Gesetz gestellt werden müssen,nicht mehr entspricht und aktuellen Entwicklungen nichtgerecht wird. Denn es hat sich gezeigt, dass neben denbisherigen Regelungen zu Düngemitteln verstärkt auchAspekte der Anwendung in der Praxis in das Gesetz auf-genommen werden sollten. Aus diesem Grund ist einHauptaspekt des Gesetzes, dass es die Flexibilisierungder Zulassung von Düngemitteln, um teilweise langeWartezeiten und damit einhergehende Rechtsunsicherheitbei der Aufbringung neuer Düngemittel zu vermeiden,ermöglicht.

Des Weiteren war und ist das Gesetz die Grundlagefür verschiedene Verordnungen, beispielhaft zu nennensind hier die Düngeverordnung und die Düngemittelver-ordnung, die ja auch erst vor kurzem novelliert wurde.

Diese gesetzgeberischen Aktivitäten zeigen, welcheNotwendigkeit aktuell besteht, sich verstärkt mit der Be-deutung des Düngens von Nutzpflanzen im Rahmen derPflanzenproduktion der Land- und Forstwirtschaft inDeutschland, aber auch im globalen Maßstab zu be-schäftigen.

Wir wissen alle, dass eine gezielte und auf den Nähr-stoffbedarf ausgerichtete Pflanzenernährung und Dün-gung unverzichtbarer Bestandteil einer nachhaltigen undzukunftsorientierten Landwirtschaft ist. Die ziel- undzweckgerichtete Düngung der Nutzpflanzen ist dabeieine der entscheidenden Komponenten, denn nur mitihrem Einsatz kann der steigende Bedarf an qualitativhochwertigen Nahrungsmitteln auch in Zukunft gedecktwerden und können die Erträge der Kulturpflanzen aufhohem Niveau stabilisiert werden.

Wir sind uns auch bewusst, dass eine langfristig tragfä-hige Landwirtschaft neben der ökonomischen Entwick-lung, der Forderung nach ausreichender Versorgung mitNahrungsmitteln sowie ihren sozialen Aspekten auch dieBelange des Umweltschutzes berücksichtigen muss. Wirbrauchen daher Rahmenbedingungen, die eine hoheNährstoffeffizienz ermöglichen. Die Nährstoffe könnendadurch besonders gezielt eingesetzt werden. Denn aufdiese Weise können wir die gezielte Nährstoffversor-gung von Pflanzen mit den Forderungen des Umwelt-schutzes bestmöglich kombinieren.

Im Rahmen dieser Debatte muss aber auch die Effizienzeine besondere Rolle spielen, denn das Thema der Nähr-stoffversorgung von Pflanzen hat nicht nur eine natio-nale, sondern eine mehr als globale Dimension.

Im Jahr 2030 werden rund 8 Milliarden Menschen aufder Erde leben, also bis zu 40 Prozent mehr als heute.Durch eine Verschiebung der Essgewohnheiten in vielenTeilen der Welt, durch verringerte Niederschlagsmengenin Verbindung mit einem weltweiten Temperaturanstiegist des Weiteren von verstärkter Wasserknappheit auszu-gehen, die unmittelbar zum Verknappen von Flächen

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und zu absinkender Produktivität führt. Demzufolgewird die Versorgungsproblematik noch größer, da wirauch erkennen müssen, dass das weltweit verfügbareAckerland wenig bis gar nicht ausgedehnt werden kann.Wir leben also in einer Welt, in der sich das Bevölke-rungswachstum in besorgniserregender Weise erhöht,wir folglich auf den vorhandenen Flächen mehr an-bauen, mehr Erträge erreichen müssen, um immer mehrMenschen satt machen zu können.

Dazu ist es notwendig, eine hoch ertragreiche Land-wirtschaft zu fördern, die besonders auch in Deutschlandund Europa, mit den vielen sehr fruchtbaren Böden, ei-nen hohen Grad an Eigenversorgung sicherstellt, aberauch als Möglichkeit dient, den Weltmarkt zu beliefern,und die Anschauungsobjekt für zukunftsfähige Land-wirtschaft auch in anderen Teilen der Welt ist.

Abschließend möchte ich noch einmal konkret auf daszu beschließende Düngegesetz Bezug nehmen und zusam-menfassen, dass die Ablösung des Düngemittelgesetzesdurch das Düngegesetz die Grundlage für regionalspezifi-sche Vorgaben für die Düngung, die Flexibilisierung derDüngemittelzulassung, verbesserte Kontrollmöglichkeitenund eine klarere Kennzeichnung von Düngemitteln schafft.Dadurch schaffen wir Rahmenbedingungen, die eine ge-zielte und auf den Nährstoffbedarf ausgerichtete Pflanzen-ernährung und Düngung in Deutschland sicherstellen.

Gustav Herzog (SPD): Wir beraten heute in ab-schließender Lesung ein neues Gesetz. Das Düngegesetzwird das aus dem Jahr 1977 stammende und heute inverschiedenen Punkten nicht mehr zeitgemäße Dünge-mittelgesetz ablösen. Mit einem neuen Gesetz machenwir bereits durch den Namen deutlich, dass wir nebenden Regelungen für die Zusammensetzung von Dünge-mitteln, deren Kennzeichnung und Inverkehrbringeneinen stärkeren Akzent auch auf die Anwendung undAusbringung setzen. So schaffen wir ein straffes, umfas-sendes und zugleich modernes, an die Bedürfnisse desMarktes und des Bodenschutzes angepasstes Gesetz.

Wer sich das Gesetz anschaut, wird unschwer erken-nen, dass ein Großteil der Absätze mit dem Satz beginnt:„Das Bundesministerium wird ermächtigt …“ Das ist ei-nerseits notwendig; denn es stellt sicher, dass wir schnel-ler auf Veränderungen reagieren können als zuvor. Es istjedoch andererseits auch ein erheblicher Vertrauensvor-schuss, den wir der Bundesregierung mit diesem Gesetzgeben. Ich bin davon überzeugt, dass sie dem gerechtwird und auch zukünftig die Interessen des Ressourcen-schutzes wie auch die der Anbieter und Anwender vonDüngemitteln vertritt.

Boden, Wasser und Luft gehören zu unseren wichtigs-ten Ressourcen. Sie sind Grundlage für die Zukunft un-serer Ernährungssicherheit, und ihre Unversehrtheitmuss auch für alle zukünftigen Generationen gewähr-leistet werden. Daher bedarf es unser aller Aufmerksam-keit, die Fruchtbarkeit unserer Böden langfristig zu si-chern und, wenn möglich, zu verbessern. Dabei ist derBoden nicht als bloßes Nährmedium zu betrachten, son-dern als hochkomplexes System und als Lebensraum fürunzählige Lebensformen, die nur in ihrer Gesamtheit

eine gesunde und funktionierende Einheit darstellen.Eine Vernachlässigung führt schnell zu kaum reversiblenSchäden durch Wasser- oder Winderosion, Verdichtun-gen oder Verschlämmungen mangels organischer Sub-stanz oder Umsetzung durch Klein- oder Kleinstlebewe-sen. Die Funktionsfähigkeit des Bodens lässt sich nichtauf die Bereitstellung von Nährstoffen reduzieren; sieumfasst sämtliche Bereiche der Bodenfruchtbarkeit. Da-her begrüße ich klare und auch strenge Vorgaben für dieAnwendung und auch verbesserte Kontrollmöglichkei-ten für die Behörden der Länder.

Organische Substanz und der Humusgehalt eines Bo-dens sind sein Aushängeschild. Sie geben Auskunftnicht nur über Standort und Klima, Bewuchs und Nähr-stoffaustauschvermögen, sondern auch über seine Be-wirtschaftung und Lebendigkeit. Wir brauchen leben-dige Böden, um auch langfristig die Fruchtbarkeit zusichern. Nicht zuletzt stellen unsere Böden wichtigeSenken für Kohlenstoff dar. Ein Hektar Ackerkrume miteinem Humusgehalt von 2 Prozent beinhaltet allein inden oberen 10 Zentimetern etwa 17 Tonnen Kohlenstoff.Umgerechnet wären dies über 60 Tonnen Kohlendioxidpro Hektar. Grünland hat einen durchschnittlichen Hu-musgehalt von 6,5 Prozent. Rechnen Sie sich das hochauf 17 Millionen Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche,und Sie werden den Stellenwert des Humusgehaltes inunseren Böden auch in unseren Bemühungen zur Treib-hausgasreduktion unschwer erkennen! Die Wertigkeitunserer Böden ist eine wichtige Stellschraube, die unse-rer Aufmerksamkeit bedarf.

Dr. Edmund Peter Geisen (FDP): Die Versorgungder Nutzpflanzen mit Pflanzennährstoffen ist eine we-sentliche Grundlage für eine nachhaltige Pflanzenpro-duktion. Nur mit einer ausgewogenen Nährstoffzufuhrkönnen das Ertragspotenzial der Pflanzen genutzt unddie Bodenfruchtbarkeit erhalten werden, und das wie-derum ist die Voraussetzung für die Versorgung derMenschen mit preiswerten und qualitativ hochwertigenLebensmitteln. Gleichzeitig können unsachgemäße An-wendung und ungeeignete Zusammensetzungen vonDüngemitteln mögliche Gefahren für Gesundheit undUmwelt bergen. Hier gilt es, bestimmte Anforderungenan Herstellung, Inverkehrbringen und Anwendung zustellen.

Von daher ist es richtig, ein neues, modernisiertes Ge-setz zu verabschieden, das die Grundlagen der Anwen-dung, des Inverkehrbringens, des Verbringens und derKennzeichnung von Düngemitteln regelt. Es ist damitvon zentraler Bedeutung für die deutsche Landwirtschaftund die Düngemittelindustrie.

Hingegen ist es aus Sicht der FDP nicht richtig, durchdiverse Doppelregelungen zusätzliche Bürokratie für diemittelständische Landwirtschaft zu schaffen. Überregu-lierungen sind nicht zielführend, nicht praxis- und nichtumweltgerecht. Ein Düngegesetz darf niemals Detailsregeln wollen. Hier wird es scheitern.

Jede Fläche am jeweiligen Standort – mit der spezifi-schen Bodenart, dem Bodentyp, der Nährstoffversorgung,der Bodenbearbeitung, der Fruchtfolge, den Witterungs-

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und Anbauverhältnissen und Betriebsausrichtungen –hat spezielle Ansprüche an die Düngung. Deshalb ist einzu eng gefasstes Gesetz ein schlechtes Gesetz.

Stattdessen kommt dem Grundsatz der guten fachli-chen Praxis eine entscheidende Rolle in der Landwirt-schaft zu. Die gute fachliche Praxis wird der Produktion– dem Pflanzenbau, dem Boden, dem Wasser, dem Kli-maschutz, der Umwelt – immer gerechter als die Einhal-tung starrer theoretischer Vorschriften. Zudem ist sie im-mer von Nachhaltigkeit geprägt.

Von daher lehnt die FDP-Bundestagsfraktion den vor-liegenden Entwurf ab. Die Landwirte brauchen wenigerund nicht mehr Bürokratie.

Lassen Sie mich meine Kritik an zwei Beispielen ver-deutlichen:

§ 4 des vorliegenden Gesetzentwurfs als Ermächti-gung zum Erlass einer Verordnung zum Verbringen vonDüngemitteln ist überflüssig, da seine Inhalte auch in § 5– Inverkehrbringen – mit geregelt werden können. Da-mit hätte man eine schlankere Regelung, die wenigerpraxisfern wäre und statt zu Bürokratieaufbau auch zuBürokratieabbau führte. Beispielhaft möchte ich dasVerbringen von Gülle vom väterlichen Milchviehbetriebzum Ackerbaubetrieb des Sohnes anführen. Reichen hierdie Kriterien für das Inverkehrbringen nicht aus?

Ebenso bürokratisch ist die vorgesehene Schaffungeines schlagspezifischen Düngekatasters. Die Aufzeich-nungspflichten sind auch jetzt schon umfassend geregelt.

Abschließend noch ein Wort zum Entschließungsan-trag von Bündnis 90/Die Grünen zu dem Düngegesetz-entwurf. Dieser wird den Anforderungen an die Praxisnicht gerecht, denn er macht die Düngegesetzgebung aneinem einzigen Bodenbestandteil – dem Humus – fest.Das wird allerdings den vielfältigen natürlichen Boden-verhältnissen nicht gerecht. Ein Sandboden zum Beispielwird niemals ein Humusboden, ein Ackerboden ist beimHumusgehalt niemals vergleichbar mit einem Dauer-grünlandboden. Es gibt unzählige Varianten von Böden– vergleichbar mit Individuen. Deshalb mein Fazit: Die-ser Vielzahl natürlicher Verhältnisse gerecht zu werden,geht am sinnvollsten über die gute fachliche Praxis.

Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Die Neufas-sung des Düngegesetzes ist überfällig, auch die Linkestimmt dem Gesetzentwurf der Bundesregierung undden Änderungsvorschlägen des Bundesrates zu, die sichim Änderungsantrag der Koalition wiederfinden.

Die Düngung gehört neben Sortenwahl und Pflan-zenschutz zu den wichtigsten landwirtschaftlichen Pro-duktionsmitteln im Ackerbau. Sie bringt für Erträge,Ertragssicherheit und Qualität im Anbau von Kultur-pflanzen die größten Effekte. Allerdings ist bei ihrerVerwendung durchaus Augenmaß geboten.

Der Zugang zu landwirtschaftlichen Produktionsmit-teln hat eine herausragende Bedeutung beim Kampf umdie Durchsetzung des Rechts auf Nahrung. Die Grund-lage bildet zunächst der Zugang zum Bodeneigentum.

Deshalb unterstützt Die Linke ausdrücklich die Forderungdes Weltagrarrates nach Landreformen. Aber Boden-eigentum allein sichert keine Existenz. In vielen Regio-nen der Erde sind es ausgerechnet die Bäuerinnen undBauern, die chronisch Hunger leiden. Fehlende Infra-struktur, fehlende finanzielle Mittel, zum Beispiel fürnotwendigen Dünger und Pflanzenschutzmittel, man-gelnde Ausbildung oder Kriege, die die Landwirtschaftzerstören, tragen zu mangelnder Versorgung bei.

Um 80 Millionen Menschen wächst die Bevölkerungpro Jahr, dazu kommt steigendes Einkommen für vieleMenschen in den Schwellenländern. Beide Faktoren füh-ren zu steigender Nachfrage nach Nahrungsmitteln unddamit zu weltweit steigender Nahrungsmittelproduktion.Die größten produktionstechnisch zu erschließenden Re-serven zur Steigerung der Weltnahrungsmittelproduktionliegen dabei nicht in den deutschen und (west-)europäi-schen Agrarregionen, sondern in vielen osteuropäischen,asiatischen, südamerikanischen und afrikanischen Re-gionen. Die Mobilisierung dieser Reserven durch einegerechte Verteilung des Zugangs zu den nötigen Res-sourcen ist also der Schlüssel zur Erfüllung des Millen-niumsziels der Halbierung der Hungernden bis 2015.

Der Bedarf nach weltweit wachsender Nahrungsmittel-produktion führt also auch zu steigendem Düngebedarfgerade in vielen nichteuropäischen Ländern. Angesichtsder aber zum Teil begrenzten Reserven der dafür not-wendigen Rohstoffe, zum Beispiel Phosphat, bedeutetdas, den in Deutschland und Europa eingesetzten Düngereffizient und umweltschonend wie rohstoffsparend ein-zusetzen. Mal davon abgesehen, dass auch aus ökologi-schen Gründen im eigenen Land ein sinnvoller Umgangmit Düngung selbstverständlich sein sollte, schon alleinaus Kostengründen im betriebswirtschaftlichen Sinn.

Im Düngegesetz wird das zum einen durch die stär-kere Berücksichtigung von Wirtschaftsdüngern erreichtund zum Zweiten durch die einfacheren Verfahren, neueDüngemittel und Düngeverfahren in die landwirtschaft-liche Praxis zu bringen. In den vergangenen Jahrzehntenwaren die Industrieländer Vorreiter in der Entwicklunglandwirtschaftlicher Verfahrenstechnik, und diese Rolleist gerade in Bezug auf die Effizienz und Umweltver-träglichkeit der Düngung von existenzieller Bedeutung.Aktuelle technische Entwicklungen, wie sie im Präzisions-ackerbau schon angelegt sind, zeigen die Möglichkeitenumwelt- und ressourcenschonender Fortschritte.

Deutschland und Europa haben nach Ansicht der Lin-ken nach wie vor die Verantwortung, aber auch diePotenziale zur Entwicklung innovativer und nachhaltigerVerfahren. Die Ressourcen dazu sind vorhanden, siemüssen verantwortlich genutzt werden. In Bezug auf dieEntwicklung der Agrarwissenschaften gibt es dabei An-lass zu Sorge. Der Stellenabbau in der Ressortforschungund in den universitären und außeruniversitären Einrich-tungen geht weiter, die finanzielle und materielle Aus-stattung der Agrarwissenschaften wird im Vergleich zurjüngeren Vergangenheit dürftiger. Wenn Wissenschaftnur noch in Exzellenz-Dimensionen gedacht wird, hatangewandte Forschung keine Chance auf Anerkennung.

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Trotzdem oder gerade deshalb gilt es, jetzt nicht nochmehr Grundlagen für eine leistungsfähige Agrarwissen-schaft in Deutschland zu zerstören, sondern die Krise derAgrarwissenschaften, die der Wissenschaftsrat attestierthat, zu beenden. Die Bedeutung unserer Rolle als reicheIndustrie- und Dienstleistungsnation muss ernst genom-men werden, um Ressourcen für die Agrarforschung imDienst weltweit notwendiger Fortschritte aufbringen zukönnen.

Im Entschließungsantrag der Grünen findet sich ins-besondere eine Kritik an einer zu geringen Berücksichti-gung des Humus im Düngegesetz. Humus ist natürlichein wichtiger Faktor der Bodenfruchtbarkeit. Für denHumuserhalt im Acker zu sorgen, ist per se ein Interessedes Pflanzenbauers. Dabei kann man allerdings auchüber das Ziel hinausschießen: Allein die Höhe des Ge-halts an organischer Substanz im Boden sagt noch nichtsüber die Humusqualität und Nachhaltigkeit des Acker-baus aus. Gerade in den sehr viehintensiven Regionenim Nordwesten und Westen Deutschlands ist in den ver-gangenen Jahrzehnten der Humusgehalt gestiegen, wasim Prinzip ja positiv ist. Bei dieser Debatte bleibt aller-dings unberücksichtigt, dass dieser Effekt nur aufgrunddes gewaltigen Futterimports aus aller Welt und des da-mit sehr hohen Düngeniveaus organischer Wirtschafts-dünger wie Gülle oder Hühnertrockenkot möglich war.Aus Sicht des Humusgehaltes in den Böden mag das po-sitiv sein, nachhaltig ist es nicht.

Noch immer liegt in der Gesamtbilanz Deutschlands eindurchschnittlicher Stickstoffüberschuss von über 70 kg Npro ha und Jahr vor. Das ist ein Wert, der nicht aus der„mineralischen“ Düngung des reinen Ackerbaubetriebsstammt, sondern mit der hohen Nährstoffsättigung anviehreichen Standorten zusammenhängt. Die Forderung derGrünen, „Maßnahmen zum Erhalt oder zur Verbesserungdes Humusgehalts“ in das Düngegesetz aufzunehmen,schießt daher über das Ziel hinaus und lässt die vielen undwichtigen anderen Kennwerte der Bodenfruchtbarkeit un-berücksichtigt. Die Linke wird daher dem Entschlie-ßungsantrag der Grünen nicht zustimmen.

Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): InSachsen enthalten laut Sächsischer Landesanstalt fürLandwirtschaft etwa 40 Prozent der Ackerböden zu we-nig Phosphor und Humus. Selbst wenn die Lage in ande-ren Bundesländern besser sein sollte, so zeigt diese Zahldoch eins: Es kann keine Rede davon sein, dass dieLandwirtschaft bereits heute flächendeckend für eineausreichende Humusreproduktion auf DeutschlandsÄckern sorgt. Da hilft auch das ganze Gerede nichts,dass die Landwirte schon aus Eigeninteresse für eineausreichende Humuszufuhr zum Boden sorgen würden.Die Praxis sieht anders aus – und eigentlich weiß es auchjeder.

Es kann auch nicht die Rede davon sein, dass die Auf-rechterhaltung und Herstellung eines standort- und nut-zungstypischen Humusgehaltes bereits hinreichend in derguten fachlichen Praxis und in Cross-Compliance geregeltsei, wie es Vertreter des Bauernverbandes und der Union

immer wieder betonen. Laut Cross-Compliance ist eineHumusbilanzierung nicht erforderlich, wenn ein Anbau-verhältnis von drei Kulturen mit mindestens 15 Prozentder Bedeckung der Ackerfläche eingehalten wird. Dasbekommen Sie mit drei humuszehrenden Kulturen wieMais, Raps und Kartoffeln locker hin, obwohl sie denHumusgehalt dabei ruinieren können. Selbst wenn Sienur noch Mais anbauen, dann sind die Maßnahmen, diegemäß Cross-Compliance nach Anwendung der Humus-bilanzierung zu ergreifen sind, eher schwach. Auch dieVorschrift des Bodenschutzgesetzes in § 17, „den stand-orttypischen Humusgehalt des Bodens insbesonderedurch eine ausreichende Zufuhr an organischer Substanzzu erhalten“, spielt in der Praxis wohl kaum eine Rolle,da das Bodenschutzrecht zur Art der Umsetzung nir-gendwo eine nähere Aussage macht. Von Kontrollierbar-keit und von Kontrolle kann so keine Rede sein.

Eine größere Bedeutung für die landwirtschaftlichePraxis als das Bodenschutzgesetz hat sicherlich das Dün-gerecht. Deswegen war es Bündnis 90/Die Grünen einzentrales Anliegen, bisher humusfreie Düngemittel mitorganischer Substanz anzureichern. Es ist ein Versäum-nis des Düngerechts, dass bisher weder der Humusgehaltder Böden noch Maßnahmen zur Aufrechterhaltung oderWiederherstellung eines standort- und nutzungstypi-schen Humusgehaltes dort eine Rolle spielen. Dabei istes Zweck des Gesetzes, die Bodenfruchtbarkeit zu erhal-ten und zu verbessern. Die Humusversorgung der Bödenhat anerkanntermaßen einen erheblichen Einfluss auf dieBodenfruchtbarkeit. Wie kann man im Düngemittelrechtdie Düngung dann auf die Mineralstoffzufuhr reduzieren?Und warum regelt das Düngerecht die Mineralstoffzufuhrbis ins kleinste Detail, während die ebenso wichtige Hu-musreproduktion völlig den Landwirten überlassenbleibt?

Aus diesem Grund sind wir Grüne froh, dass sich dieGroße Koalition immerhin dazu durchringen konnte, denErhalt und die nachhaltige Verbesserung des standort-und nutzungstypischen Humusgehaltes in den Gesetzes-text aufzunehmen. Auch ist es ein Fortschritt, dass es zu-künftig zulässig sein soll, Düngemittel in Verkehr zubringen, die den standort- und nutzungstypischen Hu-musgehalt erhalten oder nachhaltig verbessern. Damitwird Schluss damit sein, dass organische Substanz nurzugeführt werden darf, wenn sie gleichzeitig auch einenBeitrag zur Mineralstoffversorgung leistet.

Aber dies kann nur der erste Schritt sein. Es ist nötig,die Berücksichtigung des Humusgehaltes auch in denweiteren Vorgaben des Düngerechts durchzubuchstabie-ren. Dies betrifft etwa die Kennzeichnungsvorgaben unddie Überwachung. Wichtiger noch sind aber Verord-nungsermächtigungen bzw. die Einarbeitung in die Dün-geverordnung und die Düngemittelverordnung; denn vorallem diese sind in der Praxis relevant. Hier muss dieBundesregierung noch nacharbeiten.

Um geeignete Maßnahmen zur Sicherung einer opti-malen Humusversorgung der Böden festlegen zu kön-nen, wäre aus unserer Sicht die Humusbilanzierung ge-mäß VDLUFA-Standpunkt vorzugeben. Dies würde

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jedem Landwirt vor Augen führen, ob er tatsächlich ge-nug für die Humusreproduktion tut. Der Gewinn würdeden Aufwand für einen großen Teil der Betriebe sicherüberwiegen, auch wenn es im übrigen Bundesgebietnicht annähernd so viele humusunterversorgte Böden ge-ben sollte wie in Sachsen.

Der vorliegende Gesetzesentwurf reicht auch auswasserpolitischer Sicht nicht aus. Die Gewässerbelas-tung mit Nitraten stammt zu einem großen Teil aus derLandwirtschaft. Sie ist eine der Hauptursachen dafür,dass die Bundesrepublik die Ziele zum Erhalt der Biodi-versität sowie die Qualitätsanforderungen der Wasser-Rahmenrichtlinie und auch des Meeresschutzes voraus-sichtlich nicht erreichen wird. Die Verminderung derStickstoffüberschüsse in der Landwirtschaft muss des-halb vom Düngerecht stärker forciert werden. Dass dieVerminderung der Stickstoffüberschüsse eine Gratwan-

Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- uVertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Amsterdamer Str. 1

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derung ist, wenn man weiter hohe Erträge ermöglichenwill, ist uns Bündnisgrünen bewusst. Aber gerade diesmacht die Größe der Herausforderung an das Dünge-recht deutlich. Denn es ist durchaus möglich, die Effi-zienz der Stickstoffdüngung zu erhöhen, ohne die Er-träge erheblich zu vermindern.

Nachdem ich nun gesagt habe, was uns am vorliegen-den Gesetzentwurf noch fehlt, möchte ich doch nocheinmal festhalten, dass das neue Düngegesetz im Ver-gleich zum bisherigen Düngemittelgesetz an vielen Stel-len durchaus in die richtige Richtung geht und Fort-schritte bringt. Begrüßenswert ist unter anderem, dass erfür die Ausbringung von Wirtschaftsdüngern strengereRegeln schafft. Dennoch hätten wir, was die Humusre-produktion und die Stickstoffüberschüsse betrifft, nochdeutlichere Fortschritte erwartet. Deswegen werden wiruns in der Abstimmung zum Gesetzentwurf enthalten.

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