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Plenarprotokoll 16/74 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 74. Sitzung Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 Inhalt: Tagesordnungspunkt 21: a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP: Einsetzung einer gemeinsamen Kommission zur Moder- nisierung der Bund/Länder-Finanz- beziehungen (Drucksache 16/3885) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Bodo Ramelow, Dr. Barbara Höll, Dr. Dagmar Enkelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN: Beteiligung der Landtage bei der zweiten Stufe der Föderalismus- reform und Information des Deutschen Bundestages (Drucksache 16/3539) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Wahl der vom Deutschen Bundestag zu entsendenden Mitglieder der gemeinsa- men Kommission zur Modernisierung der Bund/Länder-Finanzbeziehungen (Drucksache 16/3886) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Struck (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ernst Burgbacher (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Antje Tillmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Bodo Ramelow (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peer Steinbrück, Bundesminister BMF . . . . . Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Volker Kröning (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU) Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 22: a) Antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn, Undine Kurth (Quedlinburg), Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Kennzeichnungspflicht auf verarbeitete Eier ausweiten (Drucksache 16/3703) . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der LINKEN: Arbeitsplätze durch artgerechte Legehennenhaltung in Deutschland sichern – Verbot der Käfighaltung ab 2007 durchsetzen zu dem Antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn, Ulrike Höfken, Cornelia Behm, Undine Kurth (Quedlinburg) und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN: Verbot der Käfighaltung für Legehennen ab 2007 beibehalten (Drucksachen 16/1128, 16/839, 16/1463) c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz zu dem An- trag der Abgeordneten Undine Kurth (Quedlinburg), Bärbel Höhn, Ulrike 7393 A 7393 B 7393 B 7393 C 7394 D 7396 A 7398 A 7399 B 7401 B 7403 D 7405 A 7406 B 7407 B 7408 D 7410 D 7413 C 7411 A 7411 B

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Plenarprotokoll 16/74

Deutscher BundestagStenografischer Bericht

74. Sitzung

Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

I n h a l t :

Tagesordnungspunkt 21:

a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, derSPD und der FDP: Einsetzung einergemeinsamen Kommission zur Moder-nisierung der Bund/Länder-Finanz-beziehungen(Drucksache 16/3885) . . . . . . . . . . . . . . . .

b) Antrag der Abgeordneten Bodo Ramelow,Dr. Barbara Höll, Dr. Dagmar Enkelmann,weiterer Abgeordneter und der Fraktionder LINKEN: Beteiligung der Landtagebei der zweiten Stufe der Föderalismus-reform und Information des DeutschenBundestages(Drucksache 16/3539) . . . . . . . . . . . . . . . .

c) Wahl der vom Deutschen Bundestag zuentsendenden Mitglieder der gemeinsa-men Kommission zur Modernisierungder Bund/Länder-Finanzbeziehungen(Drucksache 16/3886) . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Peter Struck (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Ernst Burgbacher (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Antje Tillmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .

Bodo Ramelow (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . .

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Peer Steinbrück, Bundesminister BMF . . . . .

Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . .

Volker Kröning (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU)

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Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . .

Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 22:

a) Antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn,Undine Kurth (Quedlinburg), UlrikeHöfken, weiterer Abgeordneter und derFraktion des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN: Kennzeichnungspflicht aufverarbeitete Eier ausweiten(Drucksache 16/3703) . . . . . . . . . . . . . . .

b) Beschlussempfehlung und Bericht desAusschusses für Ernährung, Landwirt-schaft und Verbraucherschutz

– zu dem Antrag der Abgeordneten EvaBulling-Schröter, Dr. Kirsten Tackmann,Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion der LINKEN:Arbeitsplätze durch artgerechteLegehennenhaltung in Deutschlandsichern – Verbot der Käfighaltungab 2007 durchsetzen

– zu dem Antrag der AbgeordnetenBärbel Höhn, Ulrike Höfken, CorneliaBehm, Undine Kurth (Quedlinburg)und der Fraktion des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN: Verbot derKäfighaltung für Legehennen ab2007 beibehalten

(Drucksachen 16/1128, 16/839, 16/1463)

c) Beschlussempfehlung und Bericht desAusschusses für Ernährung, Landwirt-schaft und Verbraucherschutz zu dem An-trag der Abgeordneten Undine Kurth(Quedlinburg), Bärbel Höhn, Ulrike

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II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

Höfken, weiterer Abgeordneter und derFraktion des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN: Tierschutzpolitik energischfortführen und weiterentwickeln(Drucksachen 16/550, 16/1464) . . . . . . . .

d) Beschlussempfehlung und Bericht desAusschusses für Ernährung, Landwirt-schaft und Verbraucherschutz zu dem An-trag der Abgeordneten Hans-MichaelGoldmann, Dr. Karl Addicks, ChristianAhrendt, weiterer Abgeordneter und derFraktion der FDP, der Abgeordneten EvaBulling-Schröter, Dr. Gesine Lötzsch,Heidrun Bluhm, weiterer Abgeordneterund der Fraktion der LINKEN sowie derAbgeordneten Undine Kurth (Quedlin-burg), Bärbel Höhn, Rainder Steenblock,weiterer Abgeordneter und der Fraktiondes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN:Verbot der Einfuhr von Wildvögeln(Drucksachen 16/1502, 16/2849) . . . . . . .

e) Beschlussempfehlung und Bericht desAusschusses für Ernährung, Landwirt-schaft und Verbraucherschutz zu dem An-trag der Abgeordneten Undine Kurth(Quedlinburg), Bärbel Höhn, UlrikeHöfken, weiterer Abgeordneter und derFraktion des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN: Einfuhrverbot für Katzen-und Hundefelle(Drucksachen 16/841, 16/3079) . . . . . . . .

Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Julia Klöckner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .

Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . .

Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . .

Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . .

Dr. Peter Jahr (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . .

Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Christoph Pries (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . .

Dr. Hans-Heinrich Jordan (CDU/CSU) . . . . .

Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) . . . . . . . . . . . .

Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 23:

– Beschlussempfehlung und Bericht desAuswärtigen Ausschusses zu dem Antragder Bundesregierung: Fortsetzung des

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Einsatzes bewaffneter deutscher Streit-kräfte zur Unterstützung der Überwa-chungsmission AMIS der AfrikanischenUnion (AU) in der Region Darfur/Sudan auf Grundlage der Resolutionen1556 (2004) und 1564 (2004) des Sicher-heitsrates der Vereinten Nationen vom30. Juli 2004 und 18. September 2004(Drucksachen 16/3652, 16/3845) . . . . . . .

– Bericht des Haushaltsausschusses gemäߧ 96 GO(Drucksache 16/3846) . . . . . . . . . . . . . . .

Brunhilde Irber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Marina Schuster (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Eckart von Klaeden (CDU/CSU) . . . . . . .

Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Norman Paech (DIE LINKE) . . . . . . . . . .

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Norman Paech (DIE LINKE) . . . . . . .

Rainer Arnold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Eckart von Klaeden (CDU/CSU) . . . . . . . . . .

Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Eckart von Klaeden (CDU/CSU) . . . . . . . . . .

Gabriele Groneberg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . .

Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . .

Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Zusatztagesordnungspunkt 12:

Beschlussempfehlung des Ausschusses fürWahlprüfung, Immunität und Geschäftsord-nung zu einem Antrag auf Genehmigung zurDurchführung eines Strafverfahrens (Drucksache 16/3896) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 24:

a) Antrag der Abgeordneten Laurenz Meyer(Hamm), Erich G. Fritz, VeronikaBellmann, weiterer Abgeordneter und derFraktion der CDU/CSU sowie der Abge-ordneten Dr. Ditmar Staffelt, LudwigStiegler, Dr. Rainer Wend, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion der SPD: An-strengungen für einen erfolgreichenAbschluss der Doha-Welthandelsrundemit höchster Priorität fortsetzen(Drucksache 16/3810) . . . . . . . . . . . . . . .

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 III

b) Beschlussempfehlung und Bericht desAusschusses für Wirtschaft und Technolo-gie zu dem Antrag der AbgeordnetenGudrun Kopp, Hellmut Königshaus, JensAckermann, weiterer Abgeordneter undder Fraktion der FDP: Doha-Runde wie-der beleben – WTO-Generaldirektorals Schlichter einsetzen(Drucksachen 16/2658, 16/3584) . . . . . . .

Erich G. Fritz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . .

Gudrun Kopp (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Ditmar Staffelt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . .

Ulla Lötzer (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . .

Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 25:

Antrag der Abgeordneten Dr. ChristelHappach-Kasan, Cornelia Pieper, Hans-Michael Goldmann, weiterer Abgeordneterund der Fraktion der FDP: Eigentumsrechteund Forschungsfreiheit schützen – Ent-schiedenes Vorgehen gegen Zerstörungenvon Wertprüfungs- und Sortenversuchensowie von Feldern mit gentechnisch verän-derten Pflanzen(Drucksache 16/2835) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . .

Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Hellmut Königshaus (FDP) . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 26:

Unterrichtung durch die Bundesregierung:Erster Bericht der Bundesregierung überdie Umsetzung des Aktionsplans zur zivilenKrisenprävention, Konfliktlösung undFriedenskonsolidierung – Sicherheit undStabilität durch Krisenprävention gemein-sam stärken(Drucksache 16/1809) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Gernot Erler, Staatsminister AA . . . . . . . . . . .

Hellmut Königshaus (FDP) . . . . . . . . . . . . . .

Holger Haibach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .

Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Uta Zapf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . .

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Tagesordnungspunkt 27:

Beratung der Großen Anfrage der Abgeordne-ten Ursula Lötzer, Dr. Barbara Höll,Dr. Dieter Dehm, weiterer Abgeordneter undder Fraktion der LINKEN: Haltung der Bun-desregierung zur Europäischen Dienstleis-tungsrichtlinie(Drucksachen 16/136, 16/2058) . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 28:

a) Antrag der Abgeordneten Kerstin Müller(Köln), Marieluise Beck (Bremen), FritzKuhn, weiterer Abgeordneter und derFraktion des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN: Fahrplan zur Wiederbele-bung des Friedensprozesses im NahenOsten nach der Resolution 1701 (2006)des Sicherheitsrats der Vereinten Natio-nen vom 11. August 2006(Drucksache 16/3547) . . . . . . . . . . . . . . .

b) Antrag der Abgeordneten WolfgangGehrcke, Dr. Norman Paech, MonikaKnoche, weiterer Abgeordneter und derFraktion der LINKEN: Den Friedenspro-zess im Nahen Osten wieder aufnehmen(Drucksache 16/3802) . . . . . . . . . . . . . . .

in Verbindung mit

Zusatztagesordnungspunkt 11:

Antrag der Abgeordneten Dr. Werner Hoyer,Dr. Rainer Stinner, Birgit Homburger, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP:Für eine Konferenz für Sicherheit undZusammenarbeit im Nahen Osten(KSZNO)(Drucksache 16/3816) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Eckart von Klaeden (CDU/CSU) . . . . . . . . . .

Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . .

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . .

Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . .

Anlage 2

Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratungdes Antrags: Eigentumsrechte und For-schungsfreiheit schützen – EntschiedenesVorgehen gegen Zerstörungen von Wertprü-

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IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

fungs- und Sortenversuchen sowie von Fel-dern mit gentechnisch veränderten Pflanzen(Tagesordnungspunkt 25)

Dr. Max Lehmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .

Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . .

Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . .

Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 3

Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratungder Großen Anfrage: Haltung der Bundes-regierung zur Europäischen Dienstleistungs-richtlinie (Tagesordnungspunkt 27)

Kurt Bodewig (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Doris Barnett (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Martin Zeil (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Ulla Lötzer (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Peter Hintze, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 4

Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung derAnträge:

– Fahrplan zur Wiederbelebung des Frie-densprozesses im Nahen Osten nach derResolution 1701 (2006) des Sicherheits-rats der Vereinten Nationen vom 11. Au-gust 2006

– Den Friedensprozess im Nahen Osten wie-der aufnehmen

– Für eine Konferenz für Sicherheit und Zu-sammenarbeit im Nahen Osten (KSZNO)

(Tagesordnungspunkt 28 und Zusatztagesord-nungspunkt 11)

Dr. Rolf Mützenich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 5

Amtliche Mitteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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74. Sitzung

Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

Beginn: 9.00 Uhr

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Sitzung ist eröffnet.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a bis 21 c auf:

a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP

Einsetzung einer gemeinsamen Kommissionzur Modernisierung der Bund/Länder-Finanz-beziehungen

– Drucksache 16/3885 –

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten BodoRamelow, Dr. Barbara Höll, Dr. Dagmar Enkelmann,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LIN-KEN

Beteiligung der Landtage bei der zweiten Stufeder Föderalismusreform und Information desDeutschen Bundestages

– Drucksache 16/3539 –

c) Wahl der vom Deutschen Bundestag zu entsen-denden Mitglieder der gemeinsamen Kommis-sion zur Modernisierung der Bund/Länder-Finanzbeziehungen

– Drucksache 16/3886 –

Zum Antrag auf Einsetzung der Kommission liegt jeein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke und derFraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor.

Über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Beteili-gung der Landtage werden wir später namentlich abstim-men.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-ner dem Kollegen Dr. Peter Struck, dem Fraktionsvorsit-zenden der SPD, das Wort.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dr. Peter Struck (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Erlauben Sie mir zunächst eine persönliche Be-merkung zu meinem beruflichen Lebensweg: Nachdemich 1971 in Hamburg das zweite juristische Staatsexa-men gemacht habe, war ich zunächst ein Jahr an der dor-tigen Universität beschäftigt. Danach war ich in derFinanzbehörde in der Abteilung „Überregionale Finanz-planung“ tätig. Ich kehre heute also zu meinen Wurzelnzurück und stelle fest: Abgesehen davon, dass ein Frak-tionsvorsitzender kraft seines Amtes über alles Bescheidwissen und gute Arbeit machen muss, kommt bei mirnoch die zusätzliche Erfahrung aus meiner beruflichenVergangenheit hinzu.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir haben uns eine Herkulesaufgabe vorgenommen.Ich bin mir nicht ganz sicher, ob wir sie tatsächlich be-wältigen werden. Das, was wir heute zu beschließen ha-ben und was auch vom Bundesrat beschlossen wird, istwirklich ein Mammutwerk. Die Neuordnung der Bund/Länder-Finanzbeziehungen beschäftigt uns, seitdem esdie Bundesrepublik Deutschland gibt. Die Koalitions-fraktionen lösen damit ihr Versprechen ein, sich diesesThemas anzunehmen.

An die Kollegen von der FDP gerichtet sage ich: Ichbin Ihnen sehr dankbar, dass Sie unseren Antrag auf Ein-setzung der gemeinsamen Kommission mittragen. Ichhätte es begrüßt, Herr Kollege Kuhn, wenn auch dieGrünen unseren Antrag unterstützt hätten; das gilt natür-lich auch für die Linke. Denn ich bin der Meinung, dasses bei der Frage der Bund/Länder-Finanzbeziehungennicht um Parteipolitik gehen sollte.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, derHerr Kollege Oettinger, wird der Kommission für dieSeite der Länder vorsitzen, ich werde den Vorsitz für die

Redetext

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Dr. Peter Struck

Seite des Bundestages übernehmen. Für mich steht dabeieines fest: Wenn wir bei der Bewältigung dieser sehrschwierigen Aufgabe Erfolg haben wollen, dann müssenwir bis spätestens 2009 Ergebnisse erzielen. Ich binüberzeugt, dass der zeitliche Druck, den wir uns selbstmachen sollten, dazu beitragen kann, dass wir zu Ergeb-nissen kommen. Wir sollten dieses Vorhaben nicht aufdie nächste Legislaturperiode verschieben, sondern deut-lich machen, dass wir es noch in dieser Wahlperiode um-setzen wollen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich will heute nicht über Gebühr optimistisch sein,aber ich glaube, dass wir das schaffen können. Bund undLänder besetzen diese Kommission mit hochrangigenExperten. Einige Ministerpräsidenten möchten sogarselbst Mitglieder der Kommission werden, andere schi-cken ihre Finanzminister. Das Interesse an der Arbeit istgroß. Nicht zuletzt deswegen haben wir entgegen den ur-sprünglichen Absprachen nicht nur den Bundesrat, son-dern auch die Länderparlamente einbezogen. Wer ausden Länderparlamenten Mitglied dieser Kommissionwird, überlassen wir den Landtagen; wir werden unsnicht einmischen, nach welchen Kriterien die Besetzungder vier Plätze erfolgen soll. Ich will hier aber deutlichsagen: Natürlich muss die Präsenz der Kommunen indieser Kommission gesichert sein; denn es geht auch umihre Finanzsituation. Die Kommunen können sich daraufverlassen, dass wir ihre Interessen ordentlich berück-sichtigen werden.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Es müssen in Jahrzehnten gewachsene Strukturen derFinanzbeziehungen aufgebrochen werden. Für dieStrukturunterschiede zwischen den Ländern müssenwir einen effizienteren Ausgleich finden, ohne den Län-derfinanzausgleich von vornherein infrage zu stellen.Wir brauchen griffige Instrumentarien zur Bewältigungvon Haushaltskrisen. Wir brauchen Instrumente, um dieVerfassungsmäßigkeit der Haushalte zu gewährleisten.Es kann doch nicht sein, dass sich der jetzige Zustandverfestigt, dass etwa elf von 16 Länderhaushalten ver-fassungswidrig sind. Das muss beseitigt werden und wirmüssen Regelungen finden, die eine solche Situationverhindern.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und derFDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen auch klare Festlegungen, was ein Landselbst leisten muss, bevor es sich auf eine Haushaltsnot-lage beruft und den Bund um Hilfe bittet.

(Otto Fricke [FDP]: Sehr wahr!)

Im Zusammenhang mit seinem Urteil über die Klage desLandes Berlin auf weitere finanzielle Hilfe des Bundeshat das Bundesverfassungsgericht hier ausdrücklich Re-gelungsbedarf angemahnt. Wir wollen versuchen, dieserEmpfehlung des Bundesverfassungsgerichts zu folgen.Wir brauchen so etwas wie einen Stabilitätspakt der Kör-perschaften – mit festgelegten Verschuldungsgrenzen –

zur Vermeidung von Haushaltsnotlagen. Wir brauchenzur finanziellen Entlastung eine ebenenübergreifendeBündelung von Verwaltungsaufgaben. Wir brauchenschließlich eine verstärkte Zusammenarbeit der Länder,bis hin zu der Möglichkeit, dass sich Länder freiwilligzusammenschließen. Sie wissen, dass ich darüber schonin den Debatten im Zusammenhang mit der Föderalis-musreform I gesprochen habe. Föderalismusreform IIheißt Neuordnung der Finanzbeziehungen; die gehen wirjetzt an. Föderalismusreform III heißt Neugliederung derBundesländer. Daran müssen wir weiter arbeiten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Das ist alles sehr schwierig und das ist Zukunftsmusik,das weiß ich. Doch wir müssen mit der Arbeit jetzt be-ginnen. Wir wollen alle Möglichkeiten, die es dazu gibt,nutzen.

Wir müssen uns frei machen – ich denke, wir hier imBundestag können das und der Bundesrat auch – von denparteipolitischen Zwängen, denen wir alle in anderenFragen unterliegen. Es geht hier nicht um CDU oderSPD, um FDP, Grüne oder PDS, sondern es geht darum,dass die Länder und der Bund Finanzbeziehungen orga-nisieren, die unser Land zukunftsfähiger machen als bis-her. Fest steht auch, dass die neuen Länder bis zum Aus-laufen des Solidarpakts II auf die Zusagen vertrauenkönnen müssen. Wir sollten den Solidarpakt II nicht in-frage stellen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN)

Die Aufgabe, die wir uns vorgenommen haben, istalso schwierig. Wenn ich die offene Themensammlunganschaue, muss ich feststellen: Das reicht eigentlich fürzwei Legislaturperioden. Wenn mich der Bundestag wievereinbart zum Vorsitzenden dieser Kommission erhebtund entsendet, will ich meine Pflicht tun und dazu bei-tragen, dass wir zu einem guten Ergebnis kommen, auchim Blick darauf, dass wir alle die Pflicht haben, unserLand zukunftsfähiger zu machen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Ernst Burgbacher von

der FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ernst Burgbacher (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Heute ist für uns ein guter Tag. Herr Kollege Struck, ichbedanke mich im Namen der FDP ausdrücklich, dasshier Versprechen gehalten wurden. Es war immer unserWunsch und unsere Forderung, die Reform der Finanz-verfassung anzugehen. Deshalb ist es schön, dass wirheute den Startschuss abgeben.

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Ernst Burgbacher

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

Wir müssen – auch dem stimme ich zu, Herr KollegeStruck; das sage ich ausdrücklich – bis 2009 tatsächlichetwas vorlegen. Wir haben nicht zwölf Jahre Zeit, wiedas auch schon angedeutet wurde, um eine solche Re-form vorzunehmen. Das muss in dieser Legislaturperio-de geschehen. Unsere Unterstützung werden Sie dafürhaben.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Bei aller Freude über die Fortsetzung der Reform binich mir aber auch dessen bewusst, dass wir erst am An-fang eines langen und beschwerlichen Weges stehen.Aber nach Laotse beginnt ja auch der längste Weg miteinem ersten Schritt. Den tun wir heute.

Ich nenne für die Reform folgende Eckpunkte:

Die Föderalismusreform II muss dazu beitragen, dassunser Land in der Welt wettbewerbsfähiger wird. Durchsie müssen wir erreichen, dass vor allem den kommen-den Generationen wieder Gestaltungschancen eröffnetwerden. Deshalb ist es zuallererst unabdingbar, dassSchranken gegen Steuerlast und Staatsverschuldung indas Grundgesetz aufgenommen werden. Ein Nettoneu-verschuldungsverbot ist unser eigentliches Ziel. Hierzuwerden wir Vorschläge vorlegen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sich am Grundsatz der Subsidiarität und der bundes-staatlichen Solidarität orientierend – den Begriff der bun-desstaatlichen Solidarität betone ich besonders –, müssendie Steuerautonomie der Länder gestärkt und ihre Ge-staltungsmöglichkeiten erweitert werden. Leistung musssich auch im föderalen System wieder lohnen. Deshalbmuss der Finanzausgleich reformiert werden. Er kannnicht so bleiben, wie er heute ist. Auch das ist, wie ichglaube, unstrittig.

Wir brauchen insgesamt einen Neustart des Föderalis-mus in Deutschland. Am Anfang muss für Chancenge-rechtigkeit gesorgt werden. Aber dann müssen die Län-der auch eigenständig lebensfähig sein. Das müssen wiranstreben. Mit dem derzeitigen System wird das Land dieanstehenden Aufgaben nicht mehr lösen können. Voraus-setzung ist Wettbewerb im deutschen Föderalismus;auch das sollten wir – ich schaue dabei zum KollegenScholz – deutlich sagen. Dazu sollten wir uns bekennen,Herr Kollege Scholz.

(Beifall bei der FDP)

Wenn die Kommission bei der komplizierten Aus-gangslage und den unterschiedlichen Interessen zu ei-nem Erfolg kommen will, dann muss es ihr gelingen,eine – wie es neudeutsch heißt – Win-win-Situation zuschaffen. Ich bin fest davon überzeugt, dass das möglichsein wird. Wenn wir ein Modell vorlegen, nach dem dieMehrzahl der Länder verlieren würde, dann bekommenwir dafür keine Mehrheit. Das macht auch keinen Sinn.Wir müssen vielmehr ein Modell finden, bei dem alle die

Chance sehen, zu Gewinnern werden zu können. Wennwir die Reform richtig angehen, wenn wir vor allem denMut haben, nicht im Kleinklein stecken zu bleiben, son-dern auch größere Reformschritte zu machen, dann kön-nen tatsächlich – davon bin ich überzeugt – alle Länderetwas gewinnen. Das muss unser eigentliches Ziel sein.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Wir sollten zu Beginn der Föderalismusreform II ausden Fehlern der Föderalismusreform I lernen. Für michgab es drei wesentliche Fehler:

Erstens. Die Ministerpräsidenten hatten sich bereitsim Mai 2004 auf einen Minikompromiss festgelegt undsind von diesem nicht mehr abgerückt. Die Lehre für unsmuss sein, dass wir die offene Themensammlung tat-sächlich als offen betrachten. Ich fordere insbesonderedie Länder auf, nicht wieder im Vorfeld Beschlüsse zufassen und so den Erfolg zu gefährden. Wir müssen of-fen an diese Aufgabe gehen.

(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Sehr wahr!)

Denkverbote darf es dieses Mal nicht geben.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und derSPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens. Herr Kollege Struck, ich hoffe, dass wirnicht wieder in die alten Mechanismen der Entschei-dungsfindung verfallen. Es darf nach den Verhandlungenin den einzelnen Projektgruppen am Schluss nicht sosein, dass das Ergebnis im kleinen Kreise ausgemau-schelt wird. Der Prozess muss tatsächlich offen sein.

Drittens. Es darf keine Tabus geben.

Wir müssen außerdem zu einem fairen Wettbewerbs-und Gestaltungsföderalismus kommen. Das wird unserebesondere Aufgabe sein.

Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu: Wir müssen natür-lich an die Regionen mit besonderen Strukturproblemendenken. Die neuen Bundesländer – nach 16 Jahren sindsie eigentlich gar nicht mehr so neu – müssen sich daraufverlassen können, dass der Solidarpakt Ost bleibt undvon uns nicht angegriffen wird.

Meine Damen und Herren, ich habe noch ein Zitat,von dem ich glaube, dass es heute sehr schön passt. Einschwäbischer Abt mit dem Namen Öttinger hat wohl dasZitat geprägt:

Herr, gib mir die Kraft, Dinge zu verändern, die ichändern kann. Gib mir die Geduld, Dinge hinzuneh-men, die ich nicht ändern kann. Und gib mir dieWeisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Wir müssen den Mut dazu aufbringen, Dinge zu ändern.

Ich appelliere an den Ministerpräsidenten Oettinger,der den Vorsitz für die Länderseite übernehmen wird,auf die Worte seines Namensvetters zu hören und beiden Ländern einen Veränderungswillen zu wecken. Ichappelliere auch an uns alle in diesem Hause, mit der not-wendigen Offenheit an das Werk zu gehen.

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Ernst Burgbacher

Für die FDP kann ich sagen, dass wir diesen Prozesssehr konstruktiv unterstützen werden. In diesem Sinne:Gehen wir es an! Ich persönlich freue mich auf eine guteZusammenarbeit im ganzen Hause.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Antje Tillmann von

der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Antje Tillmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Besucher! Wenn wir uns nicht in einem se-riösen Parlament befinden würden, müsste ich jetzt ru-fen: Jetzt geht’s los!

Anders als bei der ersten Stufe der Föderalismus-reform, die in der Öffentlichkeit bis kurz vor deren Endekaum zur Kenntnis genommen wurde, diskutiert dieFinanzfachwelt schon seit einiger Zeit die Einsetzungder Kommission zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen.

Schon die Föderalismuskommission I hat imFinanzbereich kleine, aber sehr wichtige Weichen ge-stellt. Herr Burgbacher, ich sehe die Ergebnisse der ers-ten Kommission durchaus positiv.

(Volker Kröning [SPD]: Richtig!)

So haben wir Finanzhilfen hinterfragt und befristet,einige Gemeinschaftsaufgaben einschließlich der finan-ziellen Mittel der alleinigen Zuständigkeit der Länderanvertraut sowie EU-Haftungsfragen nach dem Verursa-cherprinzip geordnet und in die gemeinsame Verantwor-tung von Bund und Ländern gelegt. Um ein Haar hättenwir diese neuen Haftungsregeln beim Vertragsverlet-zungsverfahren wegen der Sparkasse Berlin schonausprobieren müssen. Darüber hinaus haben wir dasFinanzverwaltungsgesetz verändert, um eine bessere Zu-sammenarbeit der Länderfinanzbehörden zu erreichen.

Am deutlichsten wird die Tragweite der Regelungendurch die erste Kommission aber beim Zusatz zu Art. 84und Art. 85 Grundgesetz. Hiernach können Gemeindendurch Bundesgesetz keine Aufgaben mehr direkt über-tragen werden. In der Vergangenheit hatte die direkteAufgabenzuweisung des Bundes an die Kommunen inerheblichem Maße zu der Finanzmisere der Kommunengeführt. Den Kommunen wurden kostenträchtige Aufga-ben übertragen, ohne dass der Gesetzgeber die Finanzie-rung sicherstellte.

Nun will ich die Tatsache, dass bei einem der erstenGesetze nach dem In-Kraft-Treten dieser Grundge-setzänderungen, dem Verbraucherinformationsgesetz,diese neue Selbstbeschränkung im parlamentarischenVerfahren nicht als einschlägig empfunden wurde, nichtkommentieren. Dass dieses Gesetz zulasten der Kommu-

nen aber nicht ohne einen finanziellen Ausgleich für dieKommunen in Kraft treten wird, ist genau das, was wirmit der Föderalismusreform I wollten. Das, was wir dortden Kommunen versprochen haben, wird jetzt in derPraxis umgesetzt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Diese Beispiele verdeutlichen, dass schon beim erstenSchritt der Föderalismusreform Weichen gestellt wur-den, deren Tragweite erst nach und nach deutlich wird.Nun gilt es, diese Schritte weiterzugehen und dieFinanzbeziehungen zwischen dem Bund und den Län-dern auf eine solide Grundlage zu stellen. Dieses Bemü-hen erhält heute einen formellen Rahmen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,wenn wir dieses Bemühen nicht von Anfang an zunichtemachen wollen, dann dürfen wir Ihrem Antrag zur Auf-gabenerweiterung der Kommission unmöglich zustim-men. Wie sollen wir denn bitte die schwierigen Pro-bleme auf den Gebieten der Finanzbeziehungen, derWachstums-, Beschäftigungs- und Klimaschutzpolitiksowie der gerechten Gestaltung der Wissensgesellschaftauf einmal lösen? Ich glaube, wir haben mit den Finanz-beziehungen schon hinreichend genug zu tun. Deshalbwollen wir den Aufgabenbereich nicht noch mehr erwei-tern.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Schon mit dem, was in dem gemeinsamen Antrag vonCDU/CSU, SPD und FDP vorliegt, haben wir eine Rie-senaufgabe übernommen. Wir werden dabei von derSkepsis begleitet, ob wir diese Aufgabe überhaupt erfül-len können. Ich sage ganz offen: Nein, wir werden bis2008 voraussichtlich keine konkreten Vorschläge zuLänderfusionen vorlegen. Wir werden uns aber damitbefassen, welche Hürden für eine eventuelle Fusion zuüberwinden sind und wie man diese Hürden senkenkann. Gegebenenfalls muss überprüft werden, ob das,was das Grundgesetz für eine Fusion verlangt, zu schwerzu erreichen ist. Wir, der Bund, werden die Frage beant-worten müssen, ob wir fusionswilligen Ländern unsereHilfe anbieten, ob wir zum Beispiel Entschuldungshilfenleisten können oder wollen.

Nein, ziemlich sicher werden wir bis 2008 auch nichteinen neu ausgehandelten Länderfinanzausgleich ein-schließlich Solidarpakt II vorlegen. Wir werden aber,wenn wir die Solidarität zwischen den Ländern und demBund und innerhalb der Länder dauerhaft aufrechterhal-ten wollen, selbstverständlich klären müssen, welcheVoraussetzungen ein Land erfüllen muss, um die Solida-rität der anderen Länder in Anspruch nehmen zu können.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Viel sinnvoller, als ein weiteres Verfassungsgerichts-urteil abzuwarten, ist es, ein Frühwarnsystem einzurich-ten und sich auf Eckpunkte hinsichtlich der Frage, wannder Bündnisfall eintritt, festzulegen. Technische Voraus-setzung hierfür ist, dass auf den verschiedenen Ebenenvergleichbare Haushaltsdaten vorliegen. Erst dann kön-

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Antje Tillmann

nen wir prüfen, inwieweit sich ein Land, das Hilfe bean-sprucht, mehr Personal, mehr freiwillige Leistungenoder vielleicht höhere Standards als andere Länder leis-tet. Zurzeit ist der Vergleich nur sehr eingeschränkt mög-lich. Wir werden dabei die Frage beantworten müssen,ob das Verfahren der Kameralistik, nach dem wir heuteden Haushalt aufstellen, die Gefahren wirklich deutlichsichtbar macht oder ob wir nicht den Anträgen Ham-burgs und Hessens folgen sollten, den Bundeshaushaltund die Länderhaushalte in Form der doppelten Buch-führung aufzustellen.

(Volker Kröning [SPD]: Prüfen wir bereits!)

Wir werden – Herr Burgbacher hat schon darauf hin-gewiesen – das Thema Neuverschuldung angehen müs-sen. Notlagen von Ländern entstehen nicht von heute aufmorgen; sie bahnen sich langsam an. In vielen Fällenkönnten sie bei rechtzeitigem Gegensteuern verhindertwerden. Art. 115 Grundgesetz und die entsprechendenVorschriften der Landesverfassungen wollten verhin-dern, dass mehr Schulden aufgenommen werden, als po-sitives Vermögen vorliegt. Aber schon die wortgetreueAuslegung des Artikels wird diesem Ziel nicht gerecht.Hier wird überhaupt nicht berücksichtigt, dass sich In-vestitionen in der Praxis schneller abnutzen, als die zu-grunde liegenden Kredite getilgt werden. Die Auslegungder Ausnahmeregelung für den Fall der Störung des ge-samtwirtschaftlichen Gleichgewichts geht weit über daswirtschaftlich Vernünftige hinaus.

Sie sehen: Es geht hierbei um verhältnismäßig sprödeThemen, die sich nicht in Mark und Pfennig ausrechnenlassen. Am Ende der Beratungen zum Finanzaus-gleichsgesetz werden wir ein Ergebnis in Euro vorlegenmüssen. Im Finanzausgleichsgesetz ist zum Beispiel ver-einbart, die Bundesergänzungszuweisungen zum Aus-gleich der Belastungen aufgrund der Zusammenführungvon Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe für den Zeitraumab 2008 neu zu verhandeln. Dasselbe gilt für die Zuwei-sungen aufgrund hoher Kosten politischer Führung.2013 steht die Überprüfung der Ausgleichszahlungenwegen der Auflösung der Gemeinschaftsaufgaben aufGrundlage des Entflechtungsgesetzes an; spätestens2019 laufen die Solidarpaktmittel aus. Also nur Mut!Die Föderalismusreformen III bis X können nahtlos fol-gen.

Weniger schmerzhaft, als begrenzt vorhandene Mittelneu zu verteilen, ist es, zu überprüfen, ob im vorhande-nen System alle Mittel vernünftig und effektiv eingesetztwerden. Die Haupteinnahmequellen von Bund und Län-dern – die Gemeinschaftssteuern wie Einkommen-, Kör-perschaft- und Umsatzsteuer – werden im Rahmen derAuftragsverwaltung von den Ländern eingezogen. Mitdem Finanzverwaltungsgesetz haben wir erste Schrittehin zu einer Verbesserung der Zusammenarbeit unter-nommen. Liebe Kollegen von der Linken, der Berichtdes Bundesrechnungshofes, den Sie in Ihrem Ände-rungsantrag zitieren, ist zu einer Zeit entstanden, alsdiese neuen Regelungen noch nicht in Kraft waren. Ichdenke, wir sollten der Finanzverwaltung Zeit geben,diese Regelungen umzusetzen. Dann sollten wir über-prüfen, ob wir nachbessern müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Peter Struck [SPD])

Wir werden prüfen müssen, warum manch hohefinanzielle Aufwendungen von Bund und Ländern beiden Bürgerinnen und Bürgern nicht richtig ankommen.Wir tun gut daran, mit der Arbeitsgruppe im Familien-ministerium, die die Einführung einer Familienkasseprüft, zusammenzuarbeiten. Das ist ein Bereich, mit demauch wir uns befassen müssen. Die Frage ist: Warumkommt von dem vielen Geld, das wir in manchen Berei-chen ausgeben, so wenig bei den Bürgerinnen und Bür-gern an?

Bei all diesen größeren und kleineren Schwächen desSystems ist es müßig, zu überlegen, wie groß der Wurfsein könnte, den wir in dieser Kommission erreichen.

Wir müssen diese Probleme angehen; denn jetzt istder Zeitpunkt für Veränderungen günstig. Die Progno-sen sind gut. Die Neuverschuldung auf Bundes- undLänderebene sinkt. Das Bruttoinlandsprodukt steigt unddie Sozialversicherungssysteme profitieren von den gu-ten Aussichten. Wenn wir jetzt keine Lösung herbeifüh-ren, dann werden wir das niemals tun.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Meine beiden Vorredner haben schon an der einenoder anderen Stelle persönliche Bedenken vorgetragen.Als ich gefragt wurde, ob ich für meine Fraktion dieAufgabe in der Föderalismuskommission II übernehmenwolle, fiel mir mein Lieblingsheld Beppo Straßenfegeraus dem Roman „Momo“ ein. Beppo bekommt jedenTag ein Stück Straße zugewiesen, das er fegen muss. Esist ein langes, endlos erscheinendes Stück Straße, das ei-nem schon Sorgen bereiten könnte, wenn man nur biszum Ende dieser Straße blickt. Nicht so Beppo: Bepposchaut immer nur so weit, wie er den Fuß setzen kann:Schritt, Besenstrich, Verschnaufen, Schritt, Besenstrich,Verschnaufen – und noch ehe er sich versieht, ist dieganze Straße gefegt.

Ich glaube, so wie Beppo beim Fegen dieser Straßewerden auch wir in der Föderalismuskommission II ineinzelnen Schritten vorgehen müssen. Wir werden kon-sequent schrittchenweise vorgehen müssen, damit keinerder Beteiligten atemlos auf der Strecke zurückbleibt. Ichkann das den Kolleginnen und Kollegen in den Ländernund den Ministerpräsidenten zusagen. Dazu sind wirauch nach unserer Verfassung verpflichtet. Denn wirkönnen in unserem Grundgesetz fast alles außer denGrundrechten ändern, aber nicht die Neugliederung derLänder bzw. die Regelungen, die diese Gliederung be-treffen. Dazu gehört auch, die Finanzen so zu ordnen,dass Bund und Länder finanziell lebensfähig sind. Dasgehen wir an und ich bin sicher, dass wir Ihnen imnächsten Jahr eine Lösung vorlegen werden.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Bodo Ramelow von

der Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Bodo Ramelow (DIE LINKE): Werte Kolleginnen und Kollegen! Nachdem vom Abt

Öttinger die Rede war und Laotse zitiert worden ist,möchte ich mit Konfuzius anfangen:

Es ist besser, eine Kerze anzuzünden, als über dieDunkelheit zu klagen.

Ich denke, in der Föderalismusreform II gibt es vielDunkelheit zu beklagen. Es reicht mir nicht, KolleginTillmann, wenn wir nur auf unsere Fußspitzen schauen.Man sollte schon wissen, in welche Richtung der Stra-ßenfeger die Straße auskehrt. Wenn man das Ziel nichtvor Augen hat, dann kann man seine Hausaufgaben nichtmachen.

(Beifall bei der LINKEN)

Kollege Struck, Sie haben die Frage aufgeworfen, wa-rum wir den Einsetzungsantrag, den wir zwar für verbes-serungswürdig, aber von der Richtung her für richtighalten, nicht mitgetragen haben. Ich will Ihnen dieseFrage beantworten.

Am 31. März 2003 fand in der Hansestadt Lübeck derLübecker Konvent statt. Alle Landesparlamente warendurch ihre Fraktionsvorsitzenden vertreten und auch derBundespräsident hat teilgenommen. Ich darf auf das Pro-tokoll hinweisen. Darin ist festgehalten worden, dass derFöderalismuskonvent der Auftakt der Initiativen ist, dassauch die Landesparlamente an der Föderalismusreformmitarbeiten müssen. Man kann diese Reform nicht ohnesie und auch nicht gegen sie durchführen, KolleginTillmann.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie haben zu Recht auf die Neuordnung der Länder hin-gewiesen, die im Grundgesetz als geschützter Bereichgeregelt ist.

In dem Protokoll heißt es aber auch – ich zitiere; eslohnt sich, das nachzulesen –:

Es zeigt sich darin auch der einheitliche Wille, überden jetzt festgelegten Maßstab der „Lübecker Er-klärung“ hinaus einen weitergehenden Prozess zueröffnen, der sich in mindestens einem Folgekon-vent niederschlagen wird.

Ich sage: niederschlagen muss; denn wenn wir nicht ineinen zweiten Konvent mit den Landtagen eintreten wer-den, dann wird es zu einer Verhandlungsrunde ohne dieLandesparlamente kommen. Darauf bezieht sich unserekritische Sichtweise. Deswegen haben wir einen Ände-rungsantrag vorgelegt.

(Volker Kröning [SPD]: Lesen Sie doch den Antrag!)

– Ich habe ihn gelesen, Herr Kollege. Sie haben aber of-fenkundig die Lübecker Erklärung nicht gelesen.

Es wundert mich sehr, dass der Deutsche Bundestagjetzt eine Kommission einsetzt, die all diese Themen be-handelt, in der die Ministerpräsidenten der Bundesländervertreten sein werden, die damals noch als Fraktionsvor-sitzende die Lübecker Erklärung mit unterschrieben ha-ben. Vier Namen sind darin zu finden, die damals dieseErklärung mit unterschrieben haben und sich jetzt aufdie Bundesratsseite stellen. Ich habe die Befürchtung,dass man im Zweifelsfall eine abgeschottete Finanzver-handlungsrunde durchführt, an der die Landesparla-mente nicht beteiligt sind. Das halte ich für ein struktu-relles und inhaltliches Problem.

(Beifall bei der LINKEN)

Kollege Struck, ich gebe Ihnen ausdrücklich Recht:Es darf keine parteipolitische Kungelrunde werden. Esdarf nicht dazu führen, dass sich die Ayatollahs mancherBundesländer als Gegenregierung zur großen Koalitionpräsentieren. Ich meine zum Beispiel Ihren Herrn Koch,den ultraorthodoxen Konservativen, der seine macht-politischen Spielchen auf Landesebene spielt, wenn esgegen die große Koalition geht. Wenn ich mir den Ver-treter des Freistaates Bayern anschaue, dann habe ichden Eindruck, dass wir eine Gegenregierung in diesemLand haben und dass die einzige Opposition nicht diedrei kleinen Fraktionen im Bundestag, sondern dieCDU/CSU-Ministerpräsidenten sind.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf der Abg. Daniela Raab [CDU/CSU])

– Es scheint Sie tief zu treffen, dass diese Kakophonievon Ihren Repräsentanten zu vertreten ist. Das ist abernoch immer besser als der gestrige Ausdruck „Brüssel-dorf“.

Die Finanzbeziehungen der Länder müssen im Ver-hältnis zum Bund neu geordnet werden. Deswegen be-grüßen wir die Einsetzung der Kommission. Wir werdenin der Kommission mitarbeiten. Wir werden Ihnen aberGelegenheit geben, darüber abzustimmen, ob die Lan-desparlamente in eigener Verantwortung bestimmenkönnen, dass sie zumindest antrags- und redeberechtigtsind. Das ist ein qualitativer Unterschied. Es dürfen nichtnur vier Vertreter der Landesparlamente am Katzentischsitzen. Vielmehr sollen sie antragsberechtigt sein. – FrauTillmann, regen Sie sich doch nicht auf! Ich habe IhrenHumor doch auch ertragen. Nun ertragen Sie, dass ich,der ich einmal Fraktionsvorsitzender im ThüringerLandtag war, einfordere, das umzusetzen, was wir imLübecker Konvent fraktionsübergreifend beschlossenhaben. Sie können im Bundestag nicht sagen: Was schertmich mein Geschwätz von gestern? Diese Halbherzig-keit können wir nicht akzeptieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Es geht nicht nur um die Beziehungen der Länder un-tereinander, sondern auch um den Wettbewerbsfödera-lismus. Wir lehnen den Wettbewerbsföderalismus ab.Das unterscheidet uns in der Tat von der FDP.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir wollen nicht, dass sich die Länder, die eine prospe-rierende Entwicklung haben, mit allen ihren Möglichkei-

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Bodo Ramelow

ten besser aufstellen und dass anschließend – Stichwort„gemeinsame Bildungslandschaft in Deutschland“ – dieeinen im Armenhaus und die anderen auf der Sonnen-seite der Bundesrepublik Deutschland leben. Ich emp-fehle einen Blick auf die vorgestrige Satire in Belgien.Hier hat ein Fernsehprogramm das Verhältnis zwischenFlamen und Wallonen in Form einer bissigen Satire dar-gestellt. Das Schlimme war, dass die Menschen in Bel-gien geglaubt haben, dass Belgien auseinander fällt.Wenn die wirtschaftlich stärkeren Länder in der Bundes-republik Deutschland auf dem Rücken der wirtschaftlichschwächeren Länder Geschäfte machen, dann haben wirmit Zitronen gehandelt. Wir halten an dem Prinzip derAusgleichsverpflichtung fest. Alle Menschen inDeutschland müssen gleichwertige Arbeits- und Lebens-bedingungen haben und Chancengerechtigkeit erleben.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Gemeinschaftsaufgabe Ost ist zwar bis 2010 ge-sichert. Aber nach 2010 – nun verstehe ich langsam, wasdie Agenda 2010 von Herrn Schröder bedeutet – werdendie Mittel degressiv abgeschmolzen. Wir brauchen dahereinen Sonderweg, wenn es um die Schulden der neuenBundesländer geht. Wenn wir die zu bewirtschaftendenSchuldenberge nicht berücksichtigen, werden wir einenWettbewerbsföderalismus Ost-West haben. Dann habenwir einen bitteren Weg vor uns.

Reden Sie also bitte auch über die Einnahmeseite undnicht nur über die Verteilung! Wenn die Abgaben- undSteuerquote in Deutschland nur den OECD-Durchschnitterreichte, hätten wir 130 Milliarden Euro mehr in derKasse und wir könnten uns starke, prosperierende Bun-desländer erlauben. Dann könnten wir über einen neuen,innovativen Haushaltsansatz nachdenken, bei dem dieMittel für die Bildung als Investition und nicht als kon-sumtive Ausgaben gewertet werden. Lassen Sie uns indiesem Sinne an die Arbeit in der Föderalismusreform-kommission herangehen. Nicht dass der Bundespräsi-dent hinterher wieder alles aus dem Verkehr zieht. Dashielte ich für eine Katastrophe.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Fritz Kuhn vom Bünd-

nis 90/Die Grünen.

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da

wir grundsätzlich optimistisch sind, haben wir die Hoff-nung, dass bei der Föderalismusreform II etwas Besseresherauskommt als bei der Föderalismusreform I. Ich sagedas, weil wir bei den aktuellen Themen, die wir diskutie-ren, zum Beispiel bei der Bildungspolitik und beim Ver-braucherinformationsgesetz, sehen, welche Schwierig-keiten die Föderalismusreform I den Deutschen, derBundesrepublik Deutschland und den Ländern einge-bracht hat. Um es gleich vorweg zu sagen: Ich halte we-nig davon, in diesem Rahmen jetzt die Mittel zu vertei-

len, weil wir so die Fehler der Föderalismusreform Inoch potenzieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das wird ein wichtiger Punkt sein, über den wir redenmüssen.

Frau Kollegin Tillmann, wir haben Ihrem Antragnicht zugestimmt, weil wir finden, dass auch andereThemen – nicht nur Wachstum und Beschäftigung – zuden Zielsetzungen der Neuordnung der Finanzbeziehun-gen zwischen Bund und Ländern gehören müssen, zumBeispiel eine gerechte Finanzierung der Wissensgesell-schaft und unseres Bildungssystems.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es kann doch nicht angehen, dass wir die Finanzbezie-hungen zwischen Bund und Ländern nur in Bezug aufWachstum und Beschäftigung neu ordnen, aber in Bezugauf Bildung und Gestaltung der Wissensgesellschaftnicht. Sie haben übrigens in Ihrem Redebeitrag selberein Beispiel dafür gebracht, dass die Ziele zu eng sind,als Sie sagten, es wäre interessant zu überlegen, ob mannicht die verschiedenen Transferleistungen für Familienin eine Kasse aufnehmen sollte. Das ist natürlich ein an-deres Ziel als Wachstum und Beschäftigung.

(Zuruf von der FDP: Das steht doch drin!)

Vielleicht verstehen Sie an Ihrem eigenen Beispiel, wa-rum es richtig ist, die Ziele weiter zu fassen und IhremAntrag nicht zuzustimmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich rate der Bundesregierung, wie es jeder Industrie-betrieb macht, wenn es neue Rahmenbedingungen gibt,zunächst einmal eine Schulung zu machen, was sie ei-gentlich mit der Föderalismusreform I beschlossen hat.Es ist eine Zumutung und schafft Politikverdrossenheit,wenn man mit großem Trara – Herr Stoiber sprach vonder „Mutter aller Reformen“ – eine Reform macht, aberam Schluss selber nicht weiß, was man beschlossen hat,und einen Bundespräsidenten in die Situation zwingt, inder er sich offensichtlich in den letzten Wochen und Mo-naten befunden hat. Da hilft übrigens Bundespräsiden-tenkritik nichts. Wenn Sie Gesetze machen, die auf denersten Blick nicht gesetzeskonform sind, dann könnenSie nicht sagen, dass der Bundespräsident, wenn er ent-sprechend reagiert, schlecht ist und man ihn nicht wiederwählt. Sie als Bundesregierung müssen sich in Zukunftklarer machen, was Sie beschlossen haben und was zutun ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe die Hoffnung, Herr Struck, dass wir mit derFöderalismusreform II etwas Neues bewegen können.Ich will eines vorwegschicken: Wenn jetzt alle in denGraben gehen und auf die Rechnung schauen, ob sie ge-winnen oder verlieren, und wenn sie verlieren, Nein sa-gen, dann können wir das gleich lassen. – Ich weiß nicht,ob das mit dem Begriff Win-win-Situation zu meisternist, Herr Kollege. Es kommt darauf an, dass auch dieneuen Länder, die im Länderfinanzausgleich gegenwär-tig Nehmerländer sind, also etwas bekommen, einsehen,

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Fritz Kuhn

dass sie von einer neuen Struktur vielleicht nicht kurz-fristig – von einem Haushaltsjahr aufs nächste Haus-haltsjahr –, aber insgesamt profitieren können, weil esden Föderalismus stärkt, wenn man zum Beispiel überFinanzautonomie und andere Schritte in der Finanzver-fassung der Länder nachdenkt.

Ich appelliere an die nicht anwesenden Ministerpräsi-denten, dass es keinen Sinn hat, zu sagen: Ich rechne dasaus und wenn es eine Veränderung ins Negative gibt,dann lehnen wir es ab. – So würden Tabufelder abge-steckt und für Peter Struck wäre überschaubar, welcheThemen noch zu behandeln sind. Es bliebe nämlich nureine minimale Ebene übrig, über die man dann noch re-den könnte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es müssen also alle deutlich machen, ob sie diese Re-form wollen. Man kann nicht sagen, dass man über be-stimmte Themen nicht redet. Das gilt übrigens auch fürden Bund; darauf werde ich gleich zu sprechen kommen.

Die Frage, die wir auch zu beantworten haben, ist, obwir in einem Mechanismus zwischen Bund, Ländern undGemeinden das Schuldenproblem der BundesrepublikDeutschland wenigstens mittelfristig in den Griff be-kommen oder nicht. Wir haben auf allen drei Ebenen ge-genwärtig Zinszahlungen in Höhe von 68 MilliardenEuro zu leisten. Man braucht niemandem in diesemHause und in der Öffentlichkeit zu sagen, welchen Ge-staltungsspielraum wir hätten, wenn wir nicht so hoheZinslasten hätten. Das heißt, politische Entscheidungender Vergangenheit haben dazu geführt, dass wir heute70 Milliarden Euro weniger in Bildung, Zukunft, Um-weltschutz usw. investieren können. Dies setzt eigentlichdie Verpflichtung in Gang, für die Zukunft einen anderenWeg zu finden und nicht mehr so weiterzumachen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dann, Frau Kollegin Tillmann, müssen wir aber überdie Substanz reden. Ich finde, dass Art. 115 des Grund-gesetzes nicht mehr taugt, um die Haushalte zu stabili-sieren und die Verschuldung aufzuhalten. Ich finde auch,dass das Wachstums- und Stabilitätsgesetz aus demJahre 1967 mit dem Mechanismus – Sie haben daszitiert –, dass man immer wieder eine Störung des ge-samtwirtschaftlichen Gleichgewichts feststellt und esüberhaupt keine Verpflichtung gibt, in Jahren guter kon-junktureller Entwicklung die Schulden zu tilgen bzw.wenigstens die Nettoneuverschuldung signifikant zusenken, nicht mehr funktioniert. Wenn wir heute in derFinanz- und Haushaltspolitik feststellen, dass die Ge-setzgebung bis hin zum Art. 115 des Grundgesetzes– damit ist ja auch der Investitionsbegriff verbunden –ungenügend ist und dies Bund, Länder und Gemeindensystematisch in die Staatsverschuldung führt, dann mussdas Wachstums- und Stabilitätsgesetz aus dem Jahre1967 verändert und ein vernünftiger Mechanismus eta-bliert werden, damit wir den Weg aus dem Schuldenstaatfinden können. Das erwarte ich von der großen Koali-tion.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kröning [SPD]: Das kommt bestimmt!)

Wir vom Bündnis 90/Die Grünen glauben, dass derrichtige Weg der ist – das betrifft nur die Richtung, weilnicht alles übertragbar ist –, den die Schweizer mit derso genannten Schuldenbremse eingeschlagen haben. DieIdee ist einfach. Zuerst müssen die strukturellen Defiziteder Haushalte ausgeglichen werden. – Wieso sage ich„einfach“? Das ist ein kompliziertes Unterfangen; aberdies ist die Voraussetzung. – Dann muss ein Mechanis-mus in Gang gesetzt werden, der es erlaubt, dass inschwierigen Konjunktursituationen etwas mehr für In-vestitionen ausgegeben werden kann, während in Zeiteneiner guten Konjunkturentwicklung zwingend stärkerkonsolidiert werden muss, als es in der Vergangenheit– ich füge hinzu: auch in der Gegenwart – in Deutsch-land der Fall war bzw. ist. Das heißt, vereinfacht ausge-drückt, Schuldenbremse.

Wie wir das gesetzlich realisieren, ist für mich derzentrale Gegenstand der Kommission. Ich finde übri-gens, Herr Finanzminister Steinbrück, dass der Bund soetwas in seinem Bereich vorher selber machen sollte.Das kann er und das hätte sehr positive Auswirkungenauf die Kommissionsverhandlungen. Ich finde, dass Siemehr für die Konsolidierung machen müssen, als bisherin der konjunkturstarken Zeit geschehen ist. Wer auf-grund von neuen Steuern und Privatisierungserlösenmehr als 20 Milliarden Euro zusätzliche Einnahmen hat,aber die Nettoneuverschuldung nur um 11 MilliardenEuro reduziert, wie es in dem Haushalt, den wir be-schlossen haben, geschehen ist, der kann nicht sagen,dass er die Konsolidierung im Griff hat. Der hat ein biss-chen mit Steuermehreinnahmen jongliert, aber nichtwirklich die strukturellen Verhältnisse verändert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen natürlich auch über die Steuerverteilungreden. Entscheidend ist die Frage, ob die Länder mehrSteuerautonomie bekommen. Wir würden das befürwor-ten. Entweder müsste eine Steuer von den Gemein-schaftsteuern den Ländern ganz übertragen werden oderes müsste wenigstens dafür gesorgt werden – das ist diemildere Variante –, dass die Länder bei einer Steuerartzusätzliche Hebesätze festlegen können und somit einengewissen Gestaltungsspielraum bekommen.

Sie, Herr Ramelow, machen es sich leicht, wenn Siegegen Wettbewerbsföderalismus sind. Ich würde Ihnenraten, darüber noch einmal in Ruhe nachzudenken. Ichfinde, es kommt darauf an, was man darunter versteht.Dass die Länder in einem bestimmten Wettbewerb ste-hen müssen – in einem solidarischen Wettbewerb, beidem der Ausgleich systematisch und fair organisiertist –,

(Ernst Burgbacher [FDP]: Keine Frage!)

ist logisch; denn so, wie die Situation heute ist, kann espassieren, dass weder die starken noch die schwachenLänder weiterkommen. Deswegen muss die 12-Prozent-Regel, nach der die ersten 12 Prozent der Mehreinnah-men nicht in den Länderfinanzausgleichsmechanismuseingehen, verändert werden. Das ist zu wenig. Wir habenheute die Struktur – wer die Debatten über den Länder-finanzausgleich kennt, der weiß das –, dass es sich weder

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Fritz Kuhn

für ein starkes Land lohnt, Mehreinnahmen zu erzielen– das merken Sie beim Steuervollzug –, noch für einschwaches Land. Auch da müssten Sie einmal darübernachdenken, wie Betriebsprüfungen im Steuerbereichausfallen und ob sie intensiviert werden können.

Ich sage klar: Es muss einen Wettbewerbsföderalis-mus geben; aber er muss systematisch solidarisch seinund darf vor allem nicht nur immer wieder einmal einenAusgleich für die Schwachen schaffen, sondern muss siedauerhaft stärken. Das konnten wir bei den Zahlungenan das Saarland und an Bremen bis zum Jahr 2004 sehrdeutlich feststellen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg.Bodo Ramelow [DIE LINKE])

Wir werden, Peter Struck, konstruktiv in der Kom-mission mitarbeiten. Ich finde, dass man die Länder unddie Landtage stärker hätte beteiligen müssen. Auch dasist ein Grund, warum wir dem Antrag von SPD, CDU/CSU und FDP nicht zustimmen. Wenn man wirklicheine grundsätzliche Reform plant, ist es wichtig, dass dieLänder und die Länderparlamente stärker gehört wer-den und mitreden können, als Sie es vorgeschlagen ha-ben.

In der Summe kann ich sagen: Machen wir uns an dieArbeit! Es wird mühsam. Vergessen wir die starkenSprüche vom Durchregieren; beziehen wir Bund undLänder ein und setzen wir darauf, dass alle im Grundsatzein Interesse daran haben müssen, die Finanzverfassungin Deutschland zu verändern! Dann kann man wahr-scheinlich zu vernünftigen Vorschlägen kommen.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Bundesminister Peer

Steinbrück.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen: Guten Morgen, sehr geehrter Herr Präsident! Meine

sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe kein Origi-nalzitat von Laotse oder Konfuzius zu liefern.

(Otto Fricke [FDP]: Churchill!)

– Wenn Sie mich auffordern, Herr Fricke, einen engli-schen Premier zu zitieren, würde das Zitat abgewandeltlauten: Es gibt nur noch drei Menschen in Deutschland,die den deutschen Föderalismus und insbesondere dieFinanzbeziehungen wirklich verstehen. Der eine ist tot,der zweite ist verrückt geworden und der dritte ist ein na-mentlich unbekanntes Mitglied dieses Hohen Hauses,das alles vergessen hat.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP – Heiterkeit im ganzen Hause)

Das wirft in der Tat ein gewisses Licht auf das Haus.Deshalb ist der heutige Freitag durchaus ein bedeutenderTag bei der Umsetzung eines wichtigen Vorhabens ausder Koalitionsvereinbarung, nämlich der Modernisie-rung der bundesstaatlichen Ordnung.

Ich fürchte, das ist für die Bürgerinnen und Bürger,die uns heute zuschauen oder zuhören, eine ziemlich tro-ckene Materie. Alle reden über diesen sehr komplizier-ten, komplexen deutschen Föderalismus; aber wie erwirklich funktioniert – dabei will ich von dem Spezifi-kum des Finanzausgleiches gar nicht reden – weiß nie-mand so genau. Aber ich will allen zurufen: Es ist eineziemlich wichtige Frage, weil die innenpolitische Hand-lungsfähigkeit und insbesondere die Europatauglichkeitder Bundesrepublik Deutschland in der EU davon in ei-nem erheblichen Ausmaß abhängig sind.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Ja!)

Ich fürchte, dass der deutsche Föderalismus, wie er sichin den letzten Jahren entwickelt hat, eher handlungs-unfähiger geworden ist und dass wir in Europa nicht sostark aufgestellt sind, wie wir es eigentlich sein müssten,um das Gewicht der Bundesrepublik Deutschland ange-messen zur Geltung zu bringen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Ich bin der Meinung, dass der Effekt der ersten Stufeder Föderalismusreform nicht ganz angemessen beurteiltwird. Der Erfolg ist größer, als wir ihn selber dargestellthaben; denn diese Stufe der Föderalismusreform leistet,wie ich finde, einen bemerkenswerten Beitrag zur stär-keren Entflechtung der Verfassungsorgane Bundestagund Bundesrat und damit zur Begegnung bestehenderReibungsverluste, gerade mit Blick auf die zustim-mungspflichtigen oder einspruchsberechtigten Gesetze,die es früher gegeben hat. Dies ist mit der Föderalismus-reform I gelungen.

Ich begrüße wie alle Redner hier außerordentlich,dass der Bundestag und der Bundesrat heute eine ge-meinsame Kommission zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen einsetzen werden. Es wirdSie nicht wundern, dass ich es auch sehr begrüße, dassvier Mitglieder der Bundesregierung zum ersten Mal or-dentliches Mitglied einer solchen Kommission mitStimmrecht sind.

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Gern geschehen!)

– Sehen Sie, ich habe damals noch nicht auf der Regie-rungsbank gesessen, sondern auf der Länderbank, undwar ein ordentliches Mitglied. Aber es hat mich schongewundert, dass die Bundesregierung in der ersten Föde-ralismuskommission reinen Gaststatus hatte, obwohl siedoch auch ein Verfassungsorgan der BundesrepublikDeutschland ist.

Ich glaube allerdings, dass wir uns und denen, diediese Beratungen verfolgen, nichts vormachen sollten.Vor uns liegt eine Titanaufgabe. Das erste Halbjahr 2007,in dem wir eine Doppelpräsidentschaft innehaben, wirdnoch nicht einen solchen Sitzungsrhythmus hervorbrin-gen, der uns in die Lage versetzt, sehr schnell Ergebnisse

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Bundesminister Peer Steinbrück

vorweisen zu können. Ich finde es wichtig, dass sich nachKonstituierung der Kommission im Januar beide Seiten,die Länder wie auch der Bund, über den Themenkatalogsehr schnell verständigen und abstimmen.

Die Interessenunterschiede laufen nicht an politi-schen Linien wie A-Länder/B-Länder entlang, sondernentlang Linien wie Groß/Klein, Ost/West, Geberland/Nehmerland. Das habe ich unmittelbar erfahren, als ichMitglied einer Landesregierung war. Allen ist daher be-wusst, dass eine Reform der Bund/Länder-Finanzbezie-hungen angesichts der enormen Interessenunterschiedekein leichtes Unterfangen sein wird.

Man muss einen gewissen Spagat machen: Einerseitsstellt sich insbesondere mit Blick auf die Zweidrittel-mehrheiten der großen Koalition in Bundestag und Bun-desrat die Frage, wann, wenn nicht jetzt, das Fensterweit genug geöffnet ist, um eine grundlegende Reformdurchzuführen. Wenn dieses Fenster wieder geschlossensein sollte, wird es natürlich umso schwieriger sein, ander Stelle anzuknüpfen, an der man vorher gescheitertist, selbst unter den relativ günstigen Bedingungen einergroßen Koalition. Ich möchte an dieser Stelle ausdrück-lich unterstreichen, Herr Kuhn, dass ich die Meinungvon Herrn Struck teile, dass es keine parteipolitischeVeranstaltung ist. Sie darf es nicht sein und sie wird esangesichts der Interessendivergenzen auch nicht sein.

Andererseits wissen wir, dass man sich an diesemThema die Zähne ausbeißen kann. Ich selber habe überzwei bis drei Jahre – Volker Kröning kann sich daran er-innern – allein an der Neuorganisation des Finanzaus-gleichs mitgearbeitet. Ich weiß nicht, wer richtigerweisedarauf hingewiesen hat – ich glaube, es war FrauTillmann oder Herr Burgbacher –, wie wichtig es wäre,den Finanzausgleich ebenfalls horizontal und vertikalmit einzubeziehen. Vielleicht erinnern Sie sich daran:Das hat uns das letzte Mal drei Jahre gekostet. Aus derSicht vieler ist dabei eine Minilösung herausgekommen.Aus der Sicht vieler anderer wiederum war das, was da-bei herausgekommen ist, schon zu viel Wettbewerbs-föderalismus.

(Zustimmung des Abg. Volker Kröning [SPD])

Das ist die Schwierigkeit, in der wir uns befinden.

Mein Ansatz als Bundesfinanzminister ist deshalb zu-nächst sehr pragmatisch. Ich würde mich erst einmal aufdie Frage konzentrieren, wie wir Haushaltsrisiken undHaushaltskrisen im Bundesstaat vermeiden können. Dasoberste Reformziel in meinen Augen ist also in der Tatdie Begrenzung der Staatsverschuldung und die Ver-meidung von Haushaltskrisen. Dass das eine wichtigeRolle spielt, kann man am Bundeshaushalt der vergange-nen Jahre ablesen, in denen wir die Regelgrenze gemäßArt. 115 des Grundgesetzes nicht eingehalten haben.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Das kann man an den Hinweisen erkennen, die Sie rich-tigerweise mit Blick auf die Zahl der Länder gegeben ha-ben, die schon bei der Aufstellung ihrer Haushalte dieAusnahmeregelungen ihrer Landesverfassungen in An-spruch nehmen müssen. Das kann man auch daran se-

hen, dass wir vier Mal in Folge die Einhaltung der 3-Pro-zent-Defizitgrenze von Maastricht nicht geschafft haben.Im Jahr 2006 haben wir sie erstmals wieder erfolgreicheingehalten.

Wie problematisch die Situation ist, hat nicht zuletztdas Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Fall vonBerlin ausgewiesen. Die Verfahren in Bezug auf dasSaarland und Bremen sind immer noch anhängig. Ichglaube, dass die Vermeidung von Haushaltsnotlagenund das Nachdenken über die Frage, wie wir stärkeredisziplinierende Klammern zur Haushaltssanierung ver-ankern können, die Hauptaufgaben sind. Das hat uns üb-rigens das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil alsAufgabe im Rahmen der Beratungen der zweiten Föde-ralismuskommission mitgegeben.

(Volker Kröning [SPD]: Überdeutlich!)

Ich will den Debatten nicht vorgreifen und daher imAugenblick nicht sagen, wie die präventiven Verschul-dungsregelungen aussehen könnten. Ich habe gelegent-lich darauf hingewiesen, man könnte daran denken,analog den Stabilitäts- und Wachstumspakt und denMaastrichtvertrag anzuwenden. Man kann versuchen,die Verschuldensregeln einfachgesetzlich anders zu fas-sen. Man kann – das ist mein dritter Hinweis – die jet-zige Möglichkeit, von den Verschuldensregelungen mitHinweis auf die Abwehr eines gesamtwirtschaftlichenUngleichgewichts abzuweichen, sehr viel stärker ein-schränken, indem man Regeln verankert, unter welchenBedingungen ein solches Vorgehen überhaupt möglichist. Das gilt dann auch für die Länder.

Ich stimme Herrn Kuhn zu: Es wäre des Schweißesder Edlen wert, sich anzuschauen, was in anderen Län-dern passiert. Das Schweizer Beispiel ist hochinteres-sant; das unterstreiche ich ausdrücklich. Ich habe denEindruck, dass dieses Beispiel auf allen Seiten des Parla-mentes – auch aufseiten der FDP – die Neugier weckenkönnte, einmal nachzuschauen, ob es in anderen LändernBest Practices gibt, die man aufgreifen könnte.

Wenn wir uns mit stärkeren und präventiven Ver-schuldungsregelungen beschäftigen, landen wir automa-tisch bei der Frage – sie wurde richtigerweise schongestellt –, ob die Länder, um solchen Verschuldensrege-lungen auch folgen zu können, nicht eine größereSteuerautonomie brauchen. Diese Frage wird uns indiesem Zusammenhang beschäftigen. Ich glaube nicht,dass die großen Gemeinschaftssteuern aufzuteilen sind.Ein Ländervertreter hat mir einmal in einem Zustandgeistiger Verwirrung angeboten, die Länder sollten dieEinnahmen aus der Mehrwertsteuer bekommen – viel-leicht wollte er mich auch nur schlicht und einfach aufden Arm nehmen – und der Bund im Gegenzug die Ein-nahmen aus der Einkommensteuer. Das wäre ein ganzmerkwürdiger Deal, weil die Dynamik des Mehrwert-steueraufkommens viel höher ist als die der Einkommen-steuer.

(Volker Kröning [SPD]: So ist es!)

Es wird letztlich darum gehen, dass die Gemeinschafts-steuern erhalten bleiben. Aber wir reden möglicherweiseüber Zuschlagsrechte, und zwar nicht nur bei den Ge-

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Bundesminister Peer Steinbrück

meinschaftssteuern. Das ist in diesem Zusammenhangein wichtiges Thema.

(Ernst Burgbacher [FDP]: Absolut!)

Ein weiteres wichtiges Thema, das aus meiner Sichtin den Debatten, die im Vorfeld des heutigen Tages ge-führt worden sind, etwas unterbelichtet war, sind die Er-fahrungen, die der Bund mit Geldern macht, die er zwarnicht für die Daseinsvorsorge, aber für bestimmte Leis-tungen auf kommunaler Ebene bereitstellt, ohne dass ernach der jetzigen Finanzverfassung der BundesrepublikDeutschland in direkten Finanzbeziehungen mit derkommunalen Ebene steht. Als Bundesfinanzministersage ich Ihnen freimütig: Ich möchte nicht, dass dieKommunen je zum Bestandteil des Bundes werden.

(Volker Kröning [SPD]: Genau!)

Dann haben wir sie täglich vor der Tür stehen; das wissenwir alle. Sie sind vielmehr nach wie vor Bestandteil derLänder. Ich mache aber die Erfahrung, dass es, wenn derBund bereit ist, behilflich zu sein, auf dem Weg hin zuden Kommunen gewisse klebrige Hände geben kann –und dies massiv.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN)

Das Thema der Regionalisierungsmittel für die För-derung des Schienenpersonennahverkehrs – ich will die-ses Thema nicht sehr strapazieren – ist in diesem Zusam-menhang von Bedeutung. Es ist zu fragen: Inwieweitführen die Bundesmittel, die auf der Basis des Regiona-lisierungsgesetzes gewährt werden, dazu, dass die Län-der eigene Mittel für Verkehrsinvestitionen einsparen?

Ein viel problematischeres Thema haben wir geradeerörtert: Das sind die Kosten der Unterkunft.

(Otto Fricke [FDP]: Jawohl!)

War die Einigung im Vermittlungsausschuss zu den Kos-ten der Unterkunft eigentlich nicht damit verbunden,dass die Kommunen 1,5 Milliarden Euro für die Betreu-ung der unter dreijährigen Kinder ausgeben sollten? Wiesieht das in den Ländern aus?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetender FDP und des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN)

Ein weiteres Beispiel, um deutlich zu machen, überwie viel Geld wir reden, ist die, wie ich finde, seinerzeitrichtige Maßnahme des Bundes – ich war nicht beteiligt;deshalb Kompliment an diejenigen, die es beschlossenhaben –, für den Auf- und Ausbau von Ganztags-schulen ein 4-Milliarden-Programm aufzulegen. Waskommt da eigentlich auf welchem Wege bei denjenigenan, die wir damit erreichen wollen, nämlich bei den Kin-dern und Eltern, die von der Bereitstellung der entspre-chenden institutionellen und personellen Infrastruktur ei-nen Nutzen haben sollen? Dieses Thema wird, wie ichglaube, eine erhebliche Rolle spielen.

Letzter Punkt in diesem Zusammenhang. Ich bin auchan einer Effizienzverbesserung in der Steuerverwaltunginteressiert.

(Beifall bei der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denken Sie allein an das Thema der Steuerhinterzie-hungsbekämpfung; ich beziehe mich da jetzt einmalnur auf die Mehrwertsteuer. Sie alle kennen das Systemder Karussellgeschäfte, das auf der europäischen Ebeneaufgrund unseres Drängens, ein anderes Erhebungssys-tem einzuführen – es hat den sehr komplizierten Begriff„Reverse-Charge-Modell“ –, eine Rolle spielt. Nun istDeutschland ohnehin aufgrund seiner wirtschaftsgeogra-fischen Lage das prädestinierte Opfer krimineller Ener-gie. Wir laden dazu insbesondere deswegen ein, weil wirauch noch föderal strukturiert sind. Wir sollten aus mei-ner Sicht auch dort einen Einstieg schaffen, indem wir,zumindest auf diese für den Betrug sehr anfällige Steuer-art bezogen, zum Beispiel eine einheitliche Bundes-steuerverwaltung einführen. Das gehört aus meiner Sichtzwingend zu dieser Debatte.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)

Fazit: Wir haben uns ein sehr großes Rad vorgenom-men. Aber ich finde, dass wir dieser Herausforderungmit Unterstützung aller Kräfte im Deutschen Bundestagund, wie ich hoffe, in einem konstruktiven Verhältnis mitden Ländern entsprechen. Ich glaube, dass die Erwartun-gen nicht gering sind, selbst wenn die Materie nicht fürjeden Bürger und jede Bürgerin leicht verständlich ist.Das ist sie letztendlich auch für uns selber nicht.

(Zuruf des Abg. Klaus Uwe Benneter [SPD])

– Ja, man muss da Überzeugungskraft haben. – Aber fürdie zukünftige Handlungsfähigkeit und Europatauglich-keit des föderalen Gebildes, das viele Vorteile hat unddas wir nicht aufgeben, sondern stärken wollen, wird dieArbeit dieser zweiten Föderalismusreform eine erhebli-che Bedeutung haben. Die Vertreter der Bundesregie-rung werden ihre Möglichkeiten einbringen, damit es zueinem guten Ergebnis kommt.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Volker Wissing

von der FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Dr. Volker Wissing (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In

der Debatte heute Morgen sind schon viele Persönlich-keiten zitiert worden, nur die Bundeskanzlerin nicht.Weil wir Ihnen eine offene, konstruktive Zusammen-arbeit bei diesem Vorhaben zugesichert haben, will ichdas jetzt nachholen. Die Bundeskanzlerin hat im An-schluss an die erste Föderalismusreform gesagt: VieleBürger wussten nicht mehr, wer in unserem Land für

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Dr. Volker Wissing

was zuständig ist. – Ich will anfügen, dass das auch nachder ersten Reform nicht klar ist. Vor allen Dingen istnach der ersten Reform nicht klar, wer für was bezahlt.Genau das müssen wir jetzt klarstellen. Das wollen wirgemeinsam angehen.

Die Reform der Finanzbeziehungen – Herr MinisterSteinbrück, Sie haben das zu Recht betont – ist eine Her-kulesaufgabe. An ihr wird sich zeigen, wie reformfähigunser Land ist. Diesmal geht es nicht um die Reformbe-reitschaft der Bürgerinnen und Bürger, sondern um dieReformbereitschaft und Reformfähigkeit der politischenKlasse. Dieser Verantwortung müssen wir uns ständigbewusst sein. Wir haben den Menschen in den letztenJahren viel Reformwillen und Reformbereitschaft abver-langt. Jetzt wird sich zeigen, wie reformwillig und re-formbereit die Politik ist. Ein Scheitern der Föderalis-muskommission II würde das Vertrauen der Deutschenin die Problemlösungsfähigkeit unseres Landes weiterschwächen. Das können und wollen wir uns nicht leis-ten. Deswegen wird die FDP dieses Vorhaben konstruk-tiv und offen begleiten.

Wir wollen den Menschen zeigen, dass Politik fähigist, die Probleme unseres Landes zu lösen. Ich hoffe,dass wir mit unserem Mut und unserem Willen zur Ver-änderung auch der Bevölkerung Mut machen: Mut zuReformen, Mut zu Veränderungen und Mut zur Gestal-tung der Zukunft unseres Landes.

Die Messlatte liegt hoch, sogar sehr hoch. Wie sagtman so schön: Beim Geld hört der Spaß auf! Wir werdennur Erfolg haben, wenn wir alle bereit sind, an der einenoder anderen Stelle Abstriche zu machen und aufeinan-der zuzugehen. An dieser Stelle appelliere ich ganz be-sonders an die Union. Sie hat eine besondere Verantwor-tung. Sie stellt nämlich nicht nur die Bundeskanzlerin,sondern auch die Mehrzahl der Ministerpräsidenten.Eine Finanzreform ohne Ergebnis wäre auch ein politi-scher Offenbarungseid der Union. Die Bundeskanzlerinist als Vorsitzende der CDU besonders gefordert.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Macht ist kein Selbstzweck. Macht ist auch Verant-wortung. Man kann sie nicht nur für sich selbst bean-spruchen; sie muss vielmehr verantwortungsbewusst fürdie Allgemeinheit genutzt und im Sinne der Bürgerinnenund Bürger eingesetzt werden. Die Menschen erwartenvon den politisch Verantwortlichen viel. Sie werden ge-nau beobachten, wie sich die Ministerpräsidenten ver-halten und ob sie bereit sind, sich ihrer Verantwortung zustellen. Auch die Ministerpräsidenten sind dem Gemein-wohl des gesamten Landes verpflichtet.

Die Union hat hierbei großen Einfluss und die Men-schen sind sehr gespannt, wie sie diesen einsetzen wird.In diesem Zusammenhang ist es nicht sehr hilfreich,wenn einzelne Bundesländer unter der Hand signalisie-ren, dass sie kein großes Interesse an einer grundlegen-den Neuordnung der Finanzbeziehungen haben. Auchdas muss an dieser Stelle gesagt werden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

So sollte man nicht in eine solche Kommission hineinge-hen; das muss an dieser Stelle gesagt werden. Wir sindes unserem Land schuldig, offener an das Werk heranzu-gehen. Kleinstaatliches Denken, fehlender Mut und feh-lende Reformbereitschaft untergraben das Vertrauen derMenschen in die Politik und befördern letztlich Politik-verdrossenheit. Dessen müssen sich alle bewusst sein.

Die Diskussion über die Reform der Finanzbezie-hungen muss nach vorne gerichtet sein. Deswegen sindVorwürfe, wie sie der bayerische Ministerpräsident inder vergangenen Woche gegenüber Berlin erhoben hat,wenig hilfreich. Berlin weiß selbst, auch ohne Belehrungdurch Herrn Stoiber, dass es dringend sparen muss.

(Beifall des Abg. Swen Schulz [Spandau][SPD] und der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIELINKE])

Die Bundeskanzlerin hat es gesagt: Die Arbeit wirdnicht einfach. Es gilt, ein dickes Brett zu bohren. DieUnion kann aber dafür sorgen, dass das Bohren diesesdicken Brettes leichter geht.

Das Arbeitsprogramm liegt vor. Ob Verschuldens-grenzen, nationaler Stabilitätspakt oder Entbürokratisie-rung: Die Agenda ist ehrgeizig. Die FDP begrüßt außer-ordentlich, dass Herr Minister de Maizière – leider kanner an der heutigen Debatte nicht teilnehmen – ausdrück-lich erklärt hat, dass es bei der Themenfestsetzung keineTabus geben darf.

Herr Kollege Kuhn, die Begründung, die Sie dafürgeliefert haben, dass die Grünen den Antrag nicht unter-stützen können, war alles andere als überzeugend.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie versuchen krampfhaft, sich zu Beginn der Debatteüber die Einsetzung der Kommission von den anderenabzusetzen. Ich weiß nicht, ob das der richtige Weg ist.Wenn man Ihre Ausführungen hört, gewinnt man denEindruck, dass Sie Ihre eigenen Ziele nicht sehr coura-giert verfolgen.

Herr Minister Steinbrück, ich begrüße es außerordent-lich, dass Sie hier und heute eine Bundessteuerverwal-tung gefordert haben. Wir werden dieses Vorhaben imRahmen der Kommission unterstützen. Sie haben essachlich begründet und können sicher sein, dass die FDPin diesem Punkt an Ihrer Seite ist.

Wir sind bereit, konstruktiv an der Suche nach Lösun-gen mitzuarbeiten. Wir sind bereit, uns unserer politi-schen Verantwortung für das Land, für das Wohl derBürgerinnen und Bürger zu stellen. Die Föderalismus-reform muss ein Erfolg werden. Ein Scheitern würde dasVertrauen der Menschen in Deutschland in die demokra-tischen Institutionen schwächen. Wir sind in diesemSinne gemeinsam aufgerufen, die Kommission zu einemErfolg zu führen, nicht nur Bundestag und Bundesregie-rung, sondern auch die Ministerpräsidenten und alle, diesich an der Föderalismuskommission beteiligen. Stellenwir uns gemeinsam unserer großen Verantwortung.

(Beifall bei der FDP)

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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Bundesminister Dr. Wolfgang

Schäuble.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des In-nern:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ichmöchte die Gelegenheit dieser Debatte nutzen, um zu-nächst einmal ein wenig für das föderale Prinzip zu wer-ben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD und der FDP)

Denn angesichts der öffentlichen Debatten dieser Tage– Schutz von Nichtrauchern – habe ich die Sorge, dasswir die Prinzipien europäischer Verfassungstraditionnicht mehr richtig begreifen oder aus dem Blick verlie-ren. Die Tatsache, dass ein großes Problem einer Lösungbedarf, beantwortet noch nicht die Frage, wer legitimiertist, ein solches Problem zu lösen. Dazu muss es eine ver-fassungsrechtlich begründete Kompetenz geben und einedemokratische Legitimation.

Es ist wahr, dass die öffentliche Meinung dazu neigt– das ist ganz allgemein so –, zu sagen: Ein großes Pro-blem muss eigentlich auf einer hohen Ebene geregeltwerden. Aber konsequent zu Ende gedacht, hieße das,dass der Nichtraucherschutz letztlich durch die UNO ge-regelt wird.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Spätestens dann werden wir auf ein zweites Problemstoßen: In der globalisierten Welt mit ihren großen Ver-änderungen und schnellen strukturellen Umbrüchenwächst ungeheuer viel Verunsicherung. Eine der Voraus-setzungen für die Zukunftsfähigkeit und die Stabilitätunserer demokratischen verfassungsmäßig gebundenenfreiheitlichen Ordnung ist, dass die Bürger sich in dieserOrdnung zu Hause fühlen, dass sie Orientierung finden.Das ist eine der großen Fragen; sie ist nicht leicht zu be-antworten. Alle Umfragen belegen, dass die Zustim-mung zu den demokratischen Institutionen nicht wächst;uns beschäftigt die abnehmende Wahlbeteiligung usw.Das ist nicht nur in Deutschland so.

Ich glaube, dass es bei der Suche nach Antworten da-rauf vielleicht nicht falsch ist, sich an die Vorteile föde-raler Ordnungen zu erinnern: Nähe der Entscheidungzu den Menschen, dezentrale Entscheidungsfindung,Machtbegrenzung und Machtverteilung sowie mehrChancen für die Partizipation der Menschen. Deswegenbin ich ein überzeugter Anhänger der föderalen Ordnungunseres Grundgesetzes und halte sie nicht für einenStandortnachteil.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Das zu vertreten, ist manchmal schmerzlich – ich habegerade die Debatte dieser Woche erwähnt –, aber trotz-dem halte ich es für richtig.

In diesem Sinne ist die Debatte über Wettbewerbs-föderalismus nicht falsch: Lasst uns doch ausprobieren,wer die besseren Ergebnisse erzielt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD und der FDP)

Dann werden die, die schlechtere Ergebnisse haben, vondenen, die bessere Ergebnisse haben, lernen.

Mir hat einmal der frühere Bremer BürgermeisterHenning Scherf – ich glaube, ich darf das sinngemäß zi-tieren; es ist lange genug her – in einem Gespräch ge-sagt: Wir haben von den „Bremer Verhältnissen“ in derHochschule – das war seinerzeit ein Begriff in der bil-dungspolitischen Debatte, der nicht eben als Qualitäts-merkmal aufgefasst wurde – genug und versuchen jetzt,von anderen zu lernen. – Jetzt ist Bremen ein Wissen-schaftsstandort – immerhin war man mit im Rennen umdie Benennung von Eliteuniversitäten – und niemand re-det mehr von „Bremer Verhältnissen“. Das heißt: DerProzess des Benchmarking kann gerade für die Schwä-cheren durchaus gute Ergebnisse bringen. Deswegensollten wir ihn nicht kleinreden, sondern sagen: Es istrichtig, notwendig und nützlich.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und derFDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN)

Ich will ausdrücklich auf das Bezug nehmen, was derKollege Steinbrück gerade gesagt hat: Die Föderalis-musreform I wird in der öffentlichen Wahrnehmung un-terschätzt. Sie bedeutet eine Stärkung unserer föderalenOrdnung. Das ist aber nicht das Ende der Bemühungen;das geht schrittweise. Es ist ein mühsamer, schwierigerProzess. Aber die Föderalismusreform ist, wie gesagt,eine Stärkung der föderalen Ordnung. Wir sollten sierichtig wahrnehmen. Wir sollten sie nutzen und auf die-sem Weg vorangehen.

Ein anderer Punkt ist ebenfalls klar. Wir leben in einerZeit, in der die Haushaltsspielräume eng sind und der Wi-derstand gegen Veränderungen – nicht nur in denpolitischen Parteien, egal ob sie nun in der Oppositionoder an der Regierung sind, sondern generell in unsererBevölkerung – groß ist. Die Forderung nach Reformenwird zwar häufig erhoben, aber gegen jeden konkretenVorschlag einer Veränderung – egal von wem er kommt –gibt es zunächst einmal ziemlich viele Widerstände.Auch das ist wahr. Das hat auch etwas damit zu tun, dasswir insgesamt in 60 Jahren, in einer glücklichen Phaseder deutschen Geschichte, viel erreicht haben und Ängstegegenüber der Zukunft zunehmen. Deswegen ist der Wi-derstand gegen konkrete Veränderungen immer relativgroß. Man muss also schrittweise vorangehen. Die Hand-lungsspielräume sind begrenzt.

Deswegen kann ich es auch verstehen, dass wir beider Neuordnung der Finanzbeziehungen nur dann wirk-lich etwas erreichen werden, wenn wir Synergieeffekteerschließen. Natürlich wird jedes Land am Ende sagen:

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Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble

Wenn für uns unter dem Strich wenig herauskommt,kann ich es nicht verantworten. – Herr Steinbrück ist jaeinmal Ministerpräsident gewesen; ich darf sagen:Glücklicherweise ist er es nicht mehr.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)

Wie Sie das „glücklicherweise“ interpretieren, ist jetztIhre Sache. Aber klar ist: Niemand könnte so etwas ver-antworten. Auch die Bundesregierung kann nicht sagen:Das ist kein Problem; das zahlt dann der Bund. – Alsomüssen wir schon schauen, dass wir durch Synergieef-fekte zu einer besseren Zusammenarbeit kommen.

Da gibt es eine Menge Bereiche, an die man in diesemZusammenhang denken könnte. Wir könnten beispiels-weise nach dem Prinzip verfahren, dass ein Land für alleanderen Länder Verwaltungsmodelle entwickelt. Es gibtbeim Zusammenwirken der Verwaltungen, der Bundes-verwaltung, der Länderverwaltung, der Auftragsverwal-tung, große Potenziale. Durch eine bessere Organisationund Zusammenarbeit können wir uns Synergieeffekte er-schließen, sodass wir am Ende die Handlungsfähigkeitunseres föderal organisierten Gemeinwesens stärken undgleichzeitig die Prinzipien von Machtteilung, Gewalten-teilung, Bürgernähe und Transparenz befördern. Denkenwir beispielsweise an die Nutzung moderner Kommuni-kationstechnologien für Verwaltungsabläufe: Da kannder Bund Dienstleister für alle sein, aber man kann ge-nauso – das hat man in der Steuerverwaltung teilweisegemacht – verabreden, dass ein Land oder eine Ober-finanzdirektion vorangeht und die anderen es überneh-men. Wir müssen nicht gleichzeitig alles machen.

Ich verstehe die Rolle des Bundesinnenministeriumsin dieser Kommission ein Stück weit so, dass wir Vor-schläge machen werden, mit denen wir durch Modelleeffizienterer Zusammenarbeit in der Verwaltung Syner-giepotenziale erschließen wollen. Wenn wir uns gemein-sam darauf verständigen können, dass der Föderalismusdas richtige Organisationsprinzip für unsere freiheitlicheDemokratie ist und dass wir seine Leistungsfähigkeitstärken wollen, dann haben wir eine Chance, unser Landzu modernisieren und zugleich das Vertrauen und dieZustimmung der Bürgerinnen und Bürger unseres Lan-des zu seiner demokratischen Verfasstheit nachhaltig zustärken. Das ist das Wichtigste.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und derFDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Katrin Kunert von der

Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Katrin Kunert (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Gäste! Sehr geehrter Herr Steinbrück, dieKommunen stehen ständig vor der Tür. Oftmals ist die

Tür zu. Deshalb will ich vorab sagen: Die Linke ist ohneWenn und Aber für starke Kommunen in diesem Land.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Föderalismuskommission II soll die Finanzbezie-hungen zwischen Bund und Ländern modernisieren unddie Eigenverantwortung der Gebietskörperschaften undihre aufgabengerechte Finanzausstattung stärken. Auchdie Kommunen sind Gebietskörperschaften. Daher müs-sen die Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern undKommunen neu geordnet werden. Außerdem treten dieKommunen im System der Finanzverfassung unmittel-bar in Erscheinung. Neben dem Bund und den Ländernfließen gemäß Art. 106 des Grundgesetzes auch denKommunen Steuereinnahmen zu. Wir fordern eine un-mittelbare und umfassende Beteiligung der Kommu-nen. Die kommunalen Spitzenverbände müssen mitRede- und Antragsrecht ausgestattet werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Es muss bei dieser Reform um eine grundsätzlicheNeuordnung der Finanzen gehen und nicht um Kosme-tik. Wir wollen den Anteil der Kommunen an den Ein-nahmen aus den Gemeinschaftsteuern wirksam erhöhen.Derzeit beträgt dieser Anteil in Deutschland 13,2 Pro-zent. In Skandinavien hingegen liegt er zwischen 40 und60 Prozent. Wir sagen: Die Verteilung der Finanzenmuss vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Es mussauch Aufgabe der Kommission sein, eine nachhaltigeGemeindefinanzreform auf den Weg zu bringen. Wennes aber bei der vorgeschlagenen Besetzung der Kom-mission bleibt, wird niemand die Interessen der Kom-munen in diesen existenziellen Fragen vertreten.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Genau!)

Weder Bund noch Länder können dies tun. Die Interes-senlagen sind viel zu unterschiedlich. Den Ländern wirdes in erster Linie um ihre Finanzausstattung gehen undnicht darum, wie die Kommunen aufgestellt sind.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Genau!)

Das sind die „klebrigen Hände“, die Sie, HerrSteinbrück, vorhin erwähnt haben.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Günter Krings[CDU/CSU]: Ich dachte, Sie glauben an dieSolidarität!)

In der Vergangenheit haben Bund und Länder über dieKommunen hinweg Entscheidungen getroffen. DieFolge sind zum Beispiel Mehrbelastungen bei den Kos-ten der Unterkunft. Es ist überhaupt nicht akzeptabel,dass der Anteil, den die Kommunen an den Verwaltungs-kosten der Argen zu tragen haben, demnächst erhöhtwerden soll. Dieser Kurs zulasten der Kommunen darfnicht fortgesetzt werden. Die Bundespolitik muss sichdaran messen lassen, wie gut oder schlecht sie bis in dieunteren Ebenen wirkt und wie sie bei den Bürgerinnenund Bürgern ankommt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich frage Sie: Wel-che zwingenden Gründe gibt es, diese Kommission nichtmindestens so zu besetzen wie die erste Kommission zurModernisierung der bundesstaatlichen Ordnung? Da-

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Katrin Kunert

mals gab es für viele hier im Haus anscheinend guteGründe – ich darf zitieren –:

Schließlich haben wir die Interessen unserer Kom-munen zu achten, ohne deren aktive Mitwirkungam demokratischen Prozess unsere Demokratie vonunten her ausgetrocknet würde. Deswegen dürfenwir sie auch finanziell nicht austrocknen.

So hat sich damals der Kollege Thierse geäußert. Demkönnen wir nur zustimmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die vorgesehene Beteiligung der Landtage undkommunalen Spitzenverbände halten wir für ange-messen.

Diese Position stammt von Herrn Böhmer, dem Minis-terpräsidenten von Sachsen-Anhalt.

Jetzt aber geht es um Geld. Die Kommunen sollenzwar weiterhin möglichst viele Leistungen erbringenund möglichst viel in eigener Sache entscheiden, aberdie Ressourcen und das Geld dazu sollen ihnen entzogenwerden. Die Formulierung, die Sie in Ihrem Antrag imHinblick auf die Beteiligung der kommunalen Spitzen-verbände gefunden haben – dort heißt es, dass sie „in ge-eigneter Weise“ einbezogen werden sollen –, ist unsnicht verbindlich genug.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, fast jeder zweitevon Ihnen war oder ist in einer kommunalen Vertretungtätig. Ich bitte Sie, unserem Antrag im Interesse derKommunen zuzustimmen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Volker Kröning von

der SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Volker Kröning (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich glaube, der heutige Auftakt zur zweitenStufe der Bundesstaatsreform im Deutschen Bundestagkann sich hören und sehen lassen. Mit Interesse werdeich die Debatte nachlesen, die zu diesem Thema parallelim Bundesrat geführt wird. Peer Steinbrück hat in erfri-schender Weise die Themen und Beispiele aufgelistet,um die es bei den uns bevorstehenden Beratungen gehenwird. Ich schließe nicht aus – ich fürchte es sogar fast –,dass die nächste Zeit noch weitere Beispiele liefern wird.

Verehrter Herr Fraktionsvorsitzender Dr. Struck, ge-genwärtig gibt es zum Beispiel zwischen Bund und Län-dern und übrigens auch zwischen Staat und Wirtschafteine Auseinandersetzung über die Absicherung der FuE-Strategie. Das ist eine praktische Frage, Herr KollegeKuhn, um die es auch bei der Verwirklichung der Wis-sensgesellschaft geht. Wir werden es also ständig mitneuen Lehrbeispielen zu tun haben.

Das föderale Credo von Herrn BundesministerSchäuble, der meines Wissens noch nicht in der Landes-politik tätig war, übernehmen mein Fraktionsvorsitzen-der und ich sicherlich gerne. Ganz bescheiden gesagt,Herr Minister, erwarten wir im Bundesrat eine AchseBaden-Württemberg–Bremen.

Es scheint einen gemeinsamen Nenner einer breitenMehrheit in diesem Haus zu geben, was das erste Themaauf der Agenda sein wird, sowie dass wir keine ge-schlossene Themenliste wollen. Obenan soll es um diePrävention von Haushaltsnotlagen gehen. Ich rechneallerdings fest damit, dass sich das Bundesverfassungs-gericht mit den Anträgen des Saarlandes und Bremenserst beschäftigen wird, wenn es absehen kann, was derBundesgesetzgeber auch zur Bewältigung von Haus-haltsnotlagen bzw. -beinahenotlagen tun wird.

Es sind bereits entsprechende Modelle genannt wor-den. Ich will uns Mut machen mit dem Beispiel derSchuldenbremse, die im Jahre 2001, als wir mit demSolidarpakt II beschäftigt waren, von der Schweizer Be-völkerung mit 85-prozentiger Mehrheit gebilligt wordenist. Und sie funktioniert. Der gewachsene FöderalstaatSchweiz ist zwar klein, mit ihm kann sich die Bundesre-publik Deutschland aber am ehesten vergleichen.

(Beifall der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Was ist das Interesse der Länder und was ist das In-teresse des Bundes? Die Länder – das muss deutlich ge-sagt werden – sind Teil des bundesstaatlichen Finanzsys-tems, unabhängig von ihrer Zahl. Es ist schon zu Beginnder Föderalismusreform I bekräftigt worden, dassArt. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes – die so genannteEwigkeitsgarantie – die Gliederung der Bundesrepublikin Länder festschreibt. Aber die Länder haben ein Pro-blem – besonders in ihrem Verhältnis zum Bund, aberauch in ihrem Verhältnis zu ihren Gemeinden –: Sie ha-ben in ihren Budgets den höchsten Anteil der Fixkosten,aber zugleich die schlechtesten Finanzierungsmöglich-keiten, erst recht wenn eine Schuldenbremse geschaffenwerden wird.

Es ist so viel von der Asymmetrie im Föderalismusdie Rede. Die Asymmetrie besteht vor allen Dingen zwi-schen den Ländern, aber auch innerhalb ein und dessel-ben Landes sowie in den jeweiligen Länderhaushalten.Während die Föderalismusreform I die Ausgabenauto-nomie der Länder gestärkt hat, wovon sie in der nächstenZeit sicher Gebrauch machen werden – Berlin hat damitbegonnen –, ist ihre Einnahmenautonomie bis auf dieKreditaufnahme gleich null; doch gerade die soll ja be-grenzt werden. Also bleibt die Frage von mehr Steuerau-tonomie, die wir bereits bei der Föderalismusreform Iandiskutiert haben, unausweichlich. Die Länder habendieses Thema noch nicht in ihre Themensammlung auf-genommen; doch sie werden dieser Frage nicht auswei-chen können.

Es gibt auch klare Interessen des Bundes. Neben sei-nen Eigeninteressen hat der Bund auch gesamtstaatlicheInteressen. Denn als Einzelkörperschaft ist er leichterhandlungsfähig als die Ländergesamtheit, und im

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Volker Kröning

Außenverhältnis wird er zur Verantwortung gezogen,nicht die 16 Länder. Dazu will ich als Haushälter, dersich für das Steuergeld verantwortlich fühlt, sagen: DerBund trägt 61 Prozent der gesamtstaatlichen Schulden;aber er bekommt nur 42,1 Prozent des gesamten Steuer-aufkommens. Und der Gesamtschuldenstand – wir redennicht nur von der Neuverschuldung – von Bund undLändern, Gemeinden und Sozialkassen ist nach wie vorzu hoch, von einem Schuldenabbau ist unser Gesamt-staat noch weit entfernt! Darum muss gehandelt werden;das ist der eigentliche Grund, warum wir diese Stufe IIeinleiten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Eine Seitenbemerkung zur Neugliederung der Län-der, einem seit einiger Zeit nicht mehr nur außerhalb,sondern auch innerhalb des Hauses besonders beliebtenThema, kann ich mir nicht verkneifen: Man kann eineNeugliederung nach Art. 29 des Grundgesetzes vorneh-men. Die Schwelle ist im Sinne von mehr Verantwortungder Länder gesenkt worden; mit der Wiedervereinigungist aus einer Mussvorschrift eine Kannvorschrift ge-macht worden. Debatten über die Fusion von Ländernsind scheinbar tabuisiert. Dennoch werden manche ge-führt, zum Beispiel die über ein Land Berlin-Branden-burg. Ich finde, jedes Land sollte im Hinblick auf seineLeistungsfähigkeit – das ist das Kriterium des Art. 29Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes – auf den Prüfstand ge-stellt werden. Dazu sollte jedes Land bereit sein. JedesLand sollte sich allerdings auch fragen und in die De-batte einbringen, ob und unter welchen Voraussetzungenföderaler Fairness es sich zutraut, auf einen grünenZweig zu kommen, das heißt, den allfälligen Struktur-wandel zu bewältigen und mit den anderen Gliedern derGemeinschaft gleichzuziehen.

Herr Bundesminister Schäuble, Sie haben als Beispieldas Land Bremen genannt. Hier hat sich gezeigt, dassdies nicht ohne Hilfe möglich ist. Dieser Hilfe muss mandann aber auch gerecht werden. Das ist ein mehrfachesWechselverhältnis. Deshalb gefällt mir die Formel vonHerrn Kollegen Kuhn vom fairen Wettbewerb sehr gut.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf aus derheutigen Debatte, in der nicht alles vorweggenommenwerden konnte, zusammenfassen: Wir vonseiten desBundes werden parallel zu den Ländern einen eigenenStandpunkt entwickeln. Ich begrüße es, dass die Bundes-regierung auf die Bank des Bundestages aufgenommenwurde. Das entwertet die Kommission, die beide gesetz-gebenden Körperschaften umfasst, überhaupt nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Im Gegenteil – ich erlaube mir eine etwas skeptischeAnmerkung –: Ich hätte es schön gefunden, wenn auchdie Länderregierungen und die Ministerpräsidenten be-reit gewesen wären, die Landtage auf ihre Bank mitauf-zunehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das wäre am heutigen Tage ein sehr guter parlamentari-scher und föderaler Doppelauftakt gewesen.

Wir werden als Bund darauf aufpassen müssen, dasswir den Gemeinden nicht zu sehr entgegentreten. Wirhaben den Gemeinden in den letzten Jahren schon sehrviel Gutes getan. Die große Gemeindefinanzreform ha-ben wir hinter und nicht vor uns.

(Beifall des Abg. Joachim Stünker [SPD])

Die Länder werden sich daran gewöhnen müssen, dasssie die erste Adresse der Gemeinden sind.

Die Zeitspanne des 2001 neu geregelten und 2019auslaufenden Finanzausgleichs und die eigentümlicheNorm des Art. 143 c Abs. 3 Satz 3 des Grundgesetzes,die wir jüngst geschaffen haben – ich zitiere wörtlich:„Die Vereinbarungen aus dem Solidarpakt II bleiben un-berührt“ –, geben uns allen Planungssicherheit. DiesenSatz richte ich vor allem an die Bundesratsvertreter inder Kommission. Angesichts dieser Planungssicherheitsollten wir uns vor einer offenen Diskussion nicht ängs-tigen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU und der FDP und der Abg.Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt

gebe ich das Wort dem Kollegen Dr. Hans-PeterFriedrich von der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Ich denke, die Debatte hat deutlich gemacht, dass esrichtig war, für die Föderalismusreform II eine sehr breitgefasste und offene Themenliste vorzusehen. Ja, wir dre-hen damit ein sehr großes Rad; das haben wir uns vorge-nommen, Herr Minister Steinbrück. Wir haben keinenGrund zu Pessimismus.

Ich erinnere mich an die Einsetzung der Föderalis-muskommission I. Damals waren viele, ja sogar diemeisten skeptisch. Und tatsächlich: Kurze Zeit später– das war in der Vorweihnachtszeit vor zwei Jahren – istsie gescheitert. Aber die Ergebnisse, die in dieser Föde-ralismuskommission I erarbeitet wurden, waren Grund-lage für weitere Beratungen, erst zwischen Stoiber undMüntefering, später auch in den Koalitionsverhandlun-gen. Wichtig war, dass man einen langen Atem bewahrthat. Lieber Kollege Struck, ich wünsche Ihnen undHerrn Ministerpräsidenten Oettinger, dass auch Sie indieser Föderalismuskommission II langen Atem haben,den wir für einen Erfolg brauchen.

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Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)

Wir werden – ich denke, das hat diese Debatte deut-lich gemacht – drei Kategorien von Themen angehenmüssen:

Der erste Themenbereich umfasst Themen, die besserheute als morgen oder gar übermorgen gelöst werdenmüssen. Ich meine damit vor allem die Aufgabe, denWeg in den Schuldenstaat zu stoppen. Das muss nochin dieser Wahlperiode mit klaren Regelungen gelingen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zweitens. Es gibt Themen, bei denen wir zwischenBund und Ländern bzw. zwischen den Ländern unter-einander erst noch ein gemeinsames Verständnis entwi-ckeln müssen. Dazu zählen die Bündelung von Verwal-tungsaufgaben, Verwaltungsvereinfachung – MinisterSchäuble hat das schon angedeutet –, Erschließung vonSynergieeffekten und kritische Überprüfung von Staats-aufgaben. Das ist die zweite Kategorie, für die wir derDiskussion innerhalb dieser Kommission eine Strukturgeben müssen.

Zur dritten Kategorie zählen die Themen, die auf diepolitische Tagesordnung hier in Berlin und in Deutsch-land gehören. Wir wissen aber, dass wir die Problemenicht auf einen Schlag lösen können. Ein Stichwort isthier genannt worden, nämlich die Länderneugliede-rung.

Wir werden mit dieser Föderalismuskommission II ei-nen politischen Prozess bzw. zumindest eine weiterfüh-rende Diskussion anstoßen. Ich denke, dass wir GeorgPaul Hefty, der in der „FAZ“ heute vor Illusionen warnt,beruhigen können. Wir werden uns nicht überheben,sondern ganz realistisch an die Dinge herangehen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Das Ziel, die Finanzbeziehungen neu zu regeln, um-fasst mehr als Grundgesetzänderungen. Grundge-setzänderungen werden aber nötig sein. Eine ist heuteschon genannt worden. Mit dem Art. 115 des Grundge-setzes wurde nicht das erreicht, was man sich erhoffthatte: Die Verschuldung konnte nicht in breitem Maßegestoppt werden. An dieser Stelle brauchen wir also eineVerfassungsänderung. Dies gilt übrigens auch für andereBereiche. Zum Beispiel müssen beim Verteilen von Geldmehr Pflichten gelten.

Wir werden aber auch eine zweite Kategorie der Ge-setzgebung beachten müssen, nämlich einfachgesetz-liche Regelungen unterhalb des Grundgesetzes. Auchsie müssen Gegenstand der Diskussionen zwischen demBund und den Ländern sowie innerhalb der Länder sein.Ich denke zum Beispiel, dass mit Art. 109 des Grundge-setzes schon heute viele Möglichkeiten gegeben sind,durch Bundesgesetze mit Zustimmung des Bundesratesmehr Disziplin in der Haushaltsführung einzuführen.Wir werden also sicher darüber diskutieren müssen, auchauf der Ebene unterhalb der Verfassung Regelungen zutreffen.

Die wichtigste Aufgabe ist, den Marsch in den Schul-denstaat zu stoppen. Roman Herzog, der frühere Bun-despräsident, wird im „Tagesspiegel“ zitiert. Dort steht:

Der öffentliche Schuldenstand von insgesamt1 500 Milliarden Euro sei das Ergebnis der „organi-sierten Verantwortungslosigkeit unserer derzeiti-gen Finanzverfassung“.

Unser Auftrag für diese Kommission ist, diese organi-sierte Verantwortungslosigkeit zu beenden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD und des Abg. Ernst Burgbacher[FDP])

Kollege Ernst Burgbacher, wir werden darüber strei-ten, ob wir ein generelles oder ein relatives Verschul-dungsverbot einführen und ob wir Ausnahmen zulas-sen – wie auch immer. Das Ziel sollte uns allerdingsimmer vor Augen bleiben: Wir wollen, dass die Neuver-schuldung der Gebietskörperschaften – Bund, Länderund Gemeinden – künftig nur noch eine Ausnahme undnicht wie heute die Regel ist. Das muss uns gelingen.Wer Schulden macht, ohne beantworten zu können, wieer sie zurückzahlt, handelt verantwortungslos, unsolideund unmoralisch – auch gegenüber den künftigen Gene-rationen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Bürger eines Landes müssen wissen, dass ihnendie Regierung, die Schulden macht, letzten Endes dieKonsequenzen daraus – sie bestehen beispielsweise da-rin, einen handlungsunfähigen Staat zu hinterlassen –aufbürdet. Letzen Endes zahlen die Bürger die Rech-nung, die ihnen diejenigen, die Schulden machen, prä-sentieren.

Wir brauchen deswegen Mechanismen, um Haus-haltsrisiken vorzubeugen, sie zu erkennen und sie zu be-wältigen. Das Bundesverfassungsgericht hat uns in sei-nem Berlinurteil eine klare Anweisung – sozusageneinen Handlungsauftrag, wenn ich es einmal so sagendarf – dafür gegeben, indem es gesagt hat:

Das Bundesstaatsprinzip macht solche Bestrebun-gen

– nämlich solche Mechanismen zu entwickeln –

angesichts der gegenwärtig defizitären Rechtslageerforderlich.

Es ist unsere Aufgabe, dieses Defizit durch diese Föde-ralismuskommission zu beseitigen.

Ich bedanke mich beim Verfassungsgericht für dieSteilvorlage, die wir mit dem Berlinurteil für die Arbeitin der Kommission erhalten haben. Mit den Urteilen zurErforderlichkeitsklausel haben wir übrigens auchschon bei der letzten Kommission Flankenschutz vondem anderen Verfassungsorgan erhalten, für den wir unsherzlich bedanken sollten.

Wir brauchen noch in dieser Wahlperiode einen natio-nalen Stabilitätspakt, der nicht nur so heißt, sondern sei-nen Namen auch verdient. Wir brauchen klare Maßstäbefür die Neuverschuldung. Wir brauchen ein Frühwarn-system für Haushaltskrisen, die den Ländern drohen.Das ist auch eine Frage des demokratischen Prinzips, derdemokratischen Verantwortung: Möglichst zeitnah muss

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Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)

jede Regierung – nicht erst die übernächste Regierung –für die Schulden, die sie den Bürgern aufbürdet, zur Ver-antwortung gezogen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Georg Milbradt, der Ministerpräsident von Sachsen,hat vorgestern in einem Interview mit dem „Handels-blatt“ gesagt:

Wir können es uns nicht mehr leisten, dass auf dereinen Seite alle Länder auf ihre Finanzautonomiepochen und gleichzeitig die Solidargemeinschaftfür hochverschuldete Länder einstehen muss.

Ich stimme diesem Zitat zu. Mit anderen Worten: Wersich beim Schuldenmachen auf Haushaltsautonomieberuft, kann sich beim Zurückzahlen von Schulden nichtauf Solidarität berufen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das Bundesverfassungsgericht hat uns mit seiner Berli-nentscheidung und dem klaren Hinweis, dass jedes Landfür politische Entscheidungen und ihre Folgen selberverantwortlich ist, in dieser Frage Flankenschutz gege-ben.

Wir brauchen Sanktionsmechanismen. Ich habe jetztin der Diskussion gemerkt, dass wir durchaus unter-schiedliche Ansatzpunkte haben. Man muss entscheiden,was man will: mehr Rechte, von außen einzugreifen,oder eine stärkere Entflechtung im Hinblick auf die Soli-darität. Wir werden darüber streiten, was der richtigeWeg ist. Der Wissenschaftliche Beirat beim BMF hatVorschläge gemacht, wie man Haushaltskrisen bewälti-gen und ihnen rechtzeitig vorbeugen kann. Ich nennehier das Stichwort Stabilitätsrat. Das ist ein Thema,dem wir uns sehr zügig widmen sollten.

Man muss sich allerdings im Klaren darüber sein,dass aufgrund der Staatlichkeit der Länder Eingriffenvon außen Grenzen gesetzt sind. Ich bedanke mich herz-lich bei Bundesinnenminister Schäuble, der auf diegroße Bedeutung der föderalistischen Tradition unse-rer Verfassung hingewiesen hat. Wir haben die Staatlich-keit der Länder zu achten und müssen Rücksicht nehmenauf das, was unsere Verfassungstradition ausmacht.

Ich möchte das Thema Länderneugliederung nichtvertiefen. Nur so viel: Das ist keine heilige Kuh; dasmuss auf die Tagesordnung.

Lassen Sie mich zuletzt etwas zu den Kommunen sa-gen. Die Kommunen sind über Art. 28 des Grundgeset-zes, aber auch als Adressaten von Finanzzuweisungengeschützt. Ich kann für meine Fraktion versichern, dasswir die Kommunen, immer wenn ihre Rechte betroffensind, in die Diskussion, in die Verhandlungen einbezie-hen werden. Wir, die Bundestagsabgeordneten derKoalitionsfraktionen, können und wollen die Interessenunserer Kommunen in der Föderalismuskommissionnachhaltig vertreten.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache.

Ich bitte um Aufmerksamkeit, damit wir die folgen-den Abstimmungen ordentlich durchführen können. –Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag derFraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP mitdem Titel „Einsetzung einer gemeinsamen Kommissionzur Modernisierung der Bund/Länder-Finanzbeziehun-gen“. Hierzu liegen zwei Änderungsanträge vor, über diewir zuerst abstimmen.

Wer stimmt für den Änderungsantrag der FraktionDie Linke auf Drucksache 16/3888? – Gegenstimmen? –Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist mit den Stim-men der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion beiZustimmung der Fraktion Die Linke und der Fraktiondes Bündnisses 90/Die Grünen abgelehnt.

Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion desBündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/3887? –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Änderungs-antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen undder FDP-Fraktion bei Zustimmung der Fraktion DieLinke und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünenabgelehnt.

Jetzt kommen wir zum eigentlichen Antrag mit demTitel „Einsetzung einer gemeinsamen Kommission zurModernisierung der Bund/Länder-Finanzbeziehungen“auf Drucksache 16/3885. Wer stimmt für diesen Antrag? –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mitden Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke undEnthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünenangenommen.

Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linkeauf Drucksache 16/3539 mit dem Titel „Beteiligung derLandtage bei der zweiten Stufe der Föderalismusreformund Information des Deutschen Bundestages“. Die Frak-tion Die Linke hat namentliche Abstimmung verlangt.Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass wir nachder namentlichen Abstimmung noch die Mitglieder dersoeben eingesetzten Kommission mittels einfacher Ab-stimmung wählen werden.

Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftfüh-rer, die Plätze einzunehmen. Sind alle Plätze eingenom-men? – Dann eröffne ich die Abstimmung.

Sind noch Mitglieder des Hauses anwesend, die ihreStimme nicht abgegeben haben? – Das scheint nicht derFall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung undbitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit derAuszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmungwird Ihnen später bekannt gegeben. 1)

Ich gehe davon aus, dass wir mit der Wahl der Mit-glieder der Kommission fortfahren können. Deswegenbitte ich Sie, sich auf Ihre Plätze zu begeben, damit ichbei der kommenden Abstimmung einen Überblick habe.

(Unruhe)

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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, wieder Platzzu nehmen.

(Glocke des Präsidenten)

Wir kommen damit zur Wahl der vom DeutschenBundestag zu entsendenden Mitglieder der gemeinsa-men Kommission zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen. Hierzu liegen Wahlvorschläge derFraktionen auf Drucksache 16/3886 vor. Wer stimmt fürdiese Wahlvorschläge? – Gegenstimmen? – Enthaltun-gen? – Die Wahlvorschläge sind einstimmig angenom-men. Damit sind die vom Deutschen Bundestag zu ent-sendenden Mitglieder der gemeinsamen Kommissiongewählt.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 22 a bis 22 eauf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten BärbelHöhn, Undine Kurth (Quedlinburg), UlrikeHöfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktiondes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Kennzeichnungspflicht auf verarbeitete Eierausweiten

– Drucksache 16/3703 – Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f)Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. DietmarBartsch, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der LINKEN

Arbeitsplätze durch artgerechte Legehen-nenhaltung in Deutschland sichern – Verbotder Käfighaltung ab 2007 durchsetzen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn,Ulrike Höfken, Cornelia Behm, Undine Kurth(Quedlinburg) und der Fraktion des BÜND-NISSES 90/DIE GRÜNEN

Verbot der Käfighaltung für Legehennen ab2007 beibehalten

– Drucksachen 16/1128, 16/839, 16/1463 –

Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Peter JahrDr. Wilhelm Priesmeier Hans-Michael Goldmann Dr. Kirsten Tackmann Bärbel Höhn

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zudem Antrag der Abgeordneten Undine Kurth(Quedlinburg), Bärbel Höhn, Ulrike Höfken, wei-

terer Abgeordneter und der Fraktion des BÜND-NISSES 90/DIE GRÜNEN

Tierschutzpolitik energisch fortführen undweiterentwickeln

– Drucksachen 16/550, 16/1464 –

Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Peter Jahr Dr. Wilhelm Priesmeier Hans-Michael Goldmann Dr. Kirsten Tackmann Bärbel Höhn

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zudem Antrag der Abgeordneten Hans-MichaelGoldmann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP,der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter,Dr. Gesine Lötzsch, Heidrun Bluhm, weitererAbgeordneter und der Fraktion der LINKEN so-wie der Abgeordneten Undine Kurth (Quedlin-burg), Bärbel Höhn, Rainder Steenblock, weitererAbgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN

Verbot der Einfuhr von Wildvögeln

– Drucksachen 16/1502, 16/2849 –

Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Hans-Heinrich Jordan Dr. Wilhelm Priesmeier Hans-Michael Goldmann Dr. Kirsten Tackmann Undine Kurth (Quedlinburg)

e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zudem Antrag der Abgeordneten Undine Kurth(Quedlinburg), Bärbel Höhn, Ulrike Höfken, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion des BÜND-NISSES 90/DIE GRÜNEN

Einfuhrverbot für Katzen- und Hundefelle

– Drucksachen 16/841, 16/3079 –

Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Peter Jahr Dr. Wilhelm Priesmeier Hans-Michael Goldmann Dr. Kirsten Tackmann Undine Kurth (Quedlinburg)

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. Gibt esWiderspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das sobeschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-nerin das Wort der Kollegin Bärbel Höhn vom Bünd-nis 90/Die Grünen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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7412 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

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Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Heute ist der letzte Debattentag vor Weihnachten. Dasich das Jahr dem Ende nähert, ist es richtig, im Bereichdes Tierschutzes Bilanz zu ziehen. Was hat das Jahr2006 für den Tierschutz gebracht? Der 1. Januar 2007sollte der große Tag des Tierschutzes werden; dennRenate Künast hatte erkämpft, dass an diesem Tag einVerbot der Batteriekäfighaltung in Kraft tritt. KeinHuhn in Batteriekäfighaltung ab dem 1. Januar 2007!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es wird leider nicht so kommen; denn BundesministerSeehofer hatte nichts Besseres zu tun, als gemeinsam mitden Ländern das Verbot rückgängig zu machen. Erzwingt die Legehenne für weitere Jahre in dieschlimmste Form der Käfighaltung. 2006 ist also keingutes Jahr für den Tierschutz in Deutschland.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Die Fortführung der Batteriekäfighaltung wurde übri-gens schon 1999 vom Bundesverfassungsgericht als ver-fassungswidrig eingestuft. Deshalb ist das rückgängiggemachte Verbot ein Rückschlag. BundesministerSeehofer hält es offensichtlich noch nicht einmal für nö-tig, hier anwesend zu sein, obwohl er den Weiterbetriebunterschrieben hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Schauen Sieeinmal nach links zur Bundesratsbank! Dortsitzt Herr Seehofer!)

– Es wäre gut, wenn Herr Seehofer zuhörte.

2002, vor fast genau fünf Jahren, haben alle Fraktio-nen in diesem Haus den Tierschutz in die Verfassungaufgenommen. Ich habe mir die Protokolle der Debattenvom Jahre 2000 und 2002 noch einmal durchgelesen undfand die Rede von Herrn Röttgen interessant. Er hat sichzum Schutz der Tiere bekannt und gesagt: Der Schutzder Tiere ist ein essenzieller Bestandteil jeder humanenGesellschaft. Die Anerkennung der Würde der Tierezählt zu den zivilisatorisch-kulturellen Elementen. Fürdie CDU/CSU sei das kein Lippenbekenntnis. Sie tretevielmehr für eine konkrete, aktiv betriebene Tierschutz-politik ein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gute Worte, gute Lippenbekenntnisse! Aber ich fragemich, ob es konkreter, aktiv betriebener Tierschutz ist,wenn Legehennen so wenig Platz haben, dass sie nochnicht einmal nebeneinander schlafen oder gleichzeitigfressen können. Das ist nicht artgerecht. Deshalb mussmit der Batteriekäfighaltung in Deutschland Schlusssein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Batteriekäfighaltung ist agroindustriell. Das eigentli-che Problem ist, dass es jetzt nicht nur für Hühner gilt,sondern dass es zunehmend auch auf Schweine ange-wandt wird. In den neuen Bundesländern haben wir mitt-

lerweile Schweinefabriken mit mehr als 20 000 Tieren ineinem Betrieb. Das ist zu viel. Das hat mit Tierschutznichts zu tun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Riesige Mastanlagen mit bis zu 90 000 Tieren sind inPlanung. Die Schweine werden in Deutschland auf har-ten Betonböden mit Spalten gehalten, durch die ihre Ex-kremente fallen, und in diesem Gestank leben dieSchweine in Deutschland. Billige Schweine- und Puten-schnitzel haben ihren Preis, gerade was den Tierschutzangeht, und das müssen wir ändern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Auf EU-Ebene steht im nächsten Jahr die Hähnchen-mast an. Der Vorschlag, den die EU hierzu unterbreitethat, würde in Deutschland zu einer Verschlechterungführen. Es würden dann immerhin 38 Kilogramm proQuadratmeter zugelassen, wobei ich es abartig finde,dass man, wenn man von Tieren redet, von Kilogrammpro Quadratmeter spricht. Tiere werden in Deutschlandnur noch nach Kilogramm bemessen und nicht mehrnach Tierzahl.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, was dieVerbraucher tun können. Sie können mit dem Einkaufs-wagen entscheiden, aber sie müssen es auch können. Be-züglich der Eier gibt es mittlerweile eine Kennzeich-nungspflicht. Wir sagen eindeutig: Kein Ei mit der „3“,denn das sind Batteriekäfigeier. Die Verbraucherinnenund Verbraucher halten sich auch daran, was ihr Früh-stücksei angeht. Sie halten sich aber nicht beim Kaufvon verarbeiteten Produkten daran, denn dort gibt eskeine Kennzeichnungspflicht. Deshalb fordern wir eineKennzeichnungspflicht auch bei verarbeiteten Produk-ten. Diesen Antrag haben wir eingebracht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Bezüglich des Informationsrechts für die Verbrauche-rinnen und Verbraucher gibt es auch das Verbraucher-informationsgesetz. Dies ist die zweite Pleite des Jahres2006. Dieses Verbraucherinformationsgesetz ist inhalt-lich schlecht, lückenhaft und lässt sehr viele Ausnahmenzu. Dieses Gesetz ist aber nicht nur inhaltlich schlecht,sondern auch juristisch falsch gemacht. Das sind keinezusätzlichen Rechte für die Verbraucherinnen und Ver-braucher in diesem Land. Nehmen Sie einfach den Ge-setzentwurf der Grünen. Der ist gut und würde den Ver-braucherinnen und Verbrauchern endlich etwas bringen.Das ist Verbraucherschutz.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Herr Seehofer hat in seiner Rede vor dem DeutschenTierschutzbund eine Menge Redewendungen gebracht,die mit Tieren zu tun haben. Ich kann Ihnen auch eineRedewendung nennen. Herr Seehofer, bezüglich der

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7413

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Bärbel Höhn

Batteriekäfighaltung hat man mit Ihnen den Bock zumGärtner gemacht. Das war keine gute Lösung für dieTiere.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ansonsten zeichnen Sie sich durch eine Vogel-Strauß-Politik aus. Anstatt die Initiative Hessens zum jüngstenUrteil zum Schächten aufzugreifen, in der Tierschutzund freie Religionsausübung zusammengebracht wer-den, stecken Sie den Kopf in den Sand und nützen nichtden Tieren in diesem Land.

Ich komme zum Schluss. Wir haben auf Initiative derGrünen mit Mehrheit aller Fraktionen – dafür danke ichIhnen – das Verbot der Einfuhr von Robbenprodukten inDeutschland beschlossen. Weihnachten ist ja die Zeit derGeschenke, und zwar auch für Tiere. Uns liegen nicht

nur die Robben in Kanada und Norwegen am Herzen,sondern wir sollten auch mehr für die mehr als100 Millionen Nutztiere in Deutschland tun. Das wäreein Geschenk an die Tiere.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bevor wir in der Rednerliste fortfahren, gebe ich Ihnen

das Ergebnis der namentlichen Abstimmung zu demAntrag der Fraktion Die Linke „Beteiligung der Landtagebei der zweiten Stufe der Föderalismusreform und In-formation des Deutschen Bundestages“ auf Druck-sache 16/3539 bekannt: Abgegebene Stimmen 544, mitJa haben 47 gestimmt, mit Nein haben 451 gestimmt,Stimmenthaltungen 46. Der Antrag ist damit abgelehnt.

(D)

Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 544davon

ja: 47nein: 451enthalten: 46

Ja

DIE LINKE

Dr. Dietmar BartschDr. Lothar BiskyHeidrun BluhmEva Bulling-SchröterDr. Martina BungeRoland ClausSevim DağdelenDr. Diether DehmWerner DreibusDr. Dagmar EnkelmannKlaus ErnstWolfgang GehrckeDiana GolzeDr. Gregor GysiLutz HeilmannHans-Kurt HillCornelia HirschInge Höger-NeulingUlla JelpkeDr. Lukrezia JochimsenDr. Hakki KeskinKatja KippingMonika KnocheJan KorteKatrin KunertMichael LeutertUlla LötzerDr. Gesine LötzschUlrich MaurerDorothee MenznerKersten NaumannWolfgang Nešković

Dr. Norman PaechPetra PauBodo RamelowElke ReinkePaul Schäfer (Köln)Volker Schneider

(Saarbrücken)Dr. Herbert SchuiDr. Ilja SeifertDr. Petra SitteFrank SpiethDr. Kirsten TackmannDr. Axel TroostAlexander UlrichSabine Zimmermann

fraktionslos

Gert Winkelmeier

Nein

CDU/CSU

Ulrich AdamIlse AignerPeter AlbachPeter AltmaierDorothee BärThomas BareißNorbert BarthleDr. Wolf BauerGünter BaumannErnst-Reinhard Beck

(Reutlingen)Veronika BellmannDr. Christoph BergnerOtto BernhardtClemens BinningerCarl-Eduard von BismarckRenate BlankPeter BleserAntje BlumenthalDr. Maria BöhmerJochen Borchert

Wolfgang Börnsen (Bönstrup)

Wolfgang BosbachKlaus BrähmigMichael BrandHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeMonika BrüningGeorg BrunnhuberGitta ConnemannLeo DautzenbergHubert DeittertAlexander DobrindtThomas DörflingerMarie-Luise DöttMaria EichhornGeorg FahrenschonIlse FalkEnak FerlemannIngrid FischbachHartwig Fischer (Göttingen)Dirk Fischer (Hamburg)Axel E. Fischer (Karlsruhe-

Land)Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachHerbert FrankenhauserDr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)Erich G. FritzJochen-Konrad FrommeDr. Michael FuchsDr. Peter GauweilerDr. Jürgen GehbNorbert GeisEberhard GiengerRalf GöbelDr. Reinhard GöhnerJosef GöppelPeter GötzDr. Wolfgang GötzerReinhard GrindelHermann GröheMichael Grosse-Brömer

Markus GrübelManfred GrundMonika GrüttersHolger HaibachGerda HasselfeldtUrsula HeinenUda Carmen Freia HellerMichael HennrichJürgen HerrmannBernd HeynemannErnst HinskenPeter HintzeRobert HochbaumKlaus HofbauerJoachim HörsterAnette HübingerHubert HüppeSusanne JaffkeDr. Peter JahrDr. Hans-Heinrich JordanAndreas Jung (Konstanz)Dr. Franz Josef JungBartholomäus KalbSteffen KampeterAlois KarlBernhard KasterSiegfried Kauder (Villingen-

Schwenningen)Volker KauderEckart von KlaedenJulia KlöcknerJens KoeppenKristina Köhler (Wiesbaden)Manfred KolbeNorbert KönigshofenDr. Rolf KoschorrekHartmut KoschykMichael KretschmerGunther KrichbaumDr. Günter KringsDr. Martina KrogmannJohann-Henrich

KrummacherDr. Hermann Kues

7414 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

Dr. Karl Lamers (Heidelberg)Andreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafDr. Max LehmerPaul LehriederIngbert LiebingPatricia LipsDr. Michael LutherStephan Mayer (Altötting)Wolfgang MeckelburgDr. Michael MeisterFriedrich MerzLaurenz Meyer (Hamm)Maria MichalkHans MichelbachPhilipp MißfelderDr. Eva MöllringMarlene MortlerCarsten Müller

(Braunschweig)Stefan Müller (Erlangen)Bernward Müller (Gera)Dr. Gerd MüllerHildegard MüllerBernd Neumann (Bremen)Michaela NollDr. Georg NüßleinFranz ObermeierEduard OswaldHenning OtteRita PawelskiUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferBeatrix PhilippRonald PofallaRuprecht PolenzDaniela RaabThomas RachelHans RaidelDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergKatherina Reiche (Potsdam)Klaus RiegertFranz RomerJohannes RöringKurt J. RossmanithDr. Norbert RöttgenDr. Christian RuckAlbert Rupprecht (Weiden)Peter RzepkaAnita Schäfer (Saalstadt)Hermann-Josef ScharfDr. Wolfgang SchäubleDr. Annette SchavanDr. Andreas ScheuerKarl SchiewerlingChristian Schmidt (Fürth)Andreas Schmidt (Mülheim)Ingo Schmitt (Berlin)Dr. Andreas SchockenhoffDr. Ole SchröderBernhard Schulte-DrüggelteUwe SchummerWilhelm Josef SebastianHorst SeehoferKurt Segner

Bernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerJens SpahnErika SteinbachChristian Freiherr von StettenGero StorjohannAndreas StormMax StraubingerThomas Strobl (Heilbronn)Lena StrothmannMichael StübgenHans Peter ThulAntje TillmannDr. Hans-Peter UhlArnold VaatzVolkmar Uwe VogelAndrea Astrid VoßhoffGerhard WächterMarco WanderwitzKai WegnerMarcus WeinbergPeter Weiß (Emmendingen)Gerald Weiß (Groß-Gerau)Karl-Georg WellmannAnette Widmann-MauzKlaus-Peter WillschWilly Wimmer (Neuss)Elisabeth Winkelmeier-

BeckerMatthias WissmannWolfgang Zöller

SPD

Dr. Lale AkgünGregor AmannGerd AndresNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldErnst Bahr (Neuruppin)Doris BarnettDr. Hans-Peter BartelsKlaus BarthelSören BartolSabine BätzingDirk BeckerUwe BeckmeyerKlaus Uwe BenneterDr. Axel BergUte BergLothar Binding (Heidelberg)Volker BlumentrittKurt BodewigClemens BollenGerd BollmannDr. Gerhard BotzKlaus BrandnerWilli BraseBernhard Brinkmann

(Hildesheim)Ulla BurchardtDr. Michael BürschChristian CarstensenMarion Caspers-MerkDr. Peter DanckertDr. Herta Däubler-GmelinKarl Diller

Martin DörmannDr. Carl-Christian DresselElvira Drobinski-WeißDetlef DzembritzkiSebastian EdathySiegmund EhrmannHans EichelGernot ErlerPetra ErnstbergerKarin Evers-MeyerAnnette FaßeElke FernerGabriele FograscherRainer FornahlGabriele FrechenDagmar FreitagPeter FriedrichMartin GersterRenate GradistanacAngelika Graf (Rosenheim)Dieter GrasedieckMonika GriefahnKerstin GrieseGabriele GronebergAchim GroßmannWolfgang GrotthausWolfgang GunkelHans-Joachim HackerBettina HagedornKlaus HagemannNina HauerReinhold HemkerRolf HempelmannDr. Barbara HendricksGustav HerzogPetra HeßGabriele Hiller-OhmPetra Hinz (Essen)Gerd HöferIris Hoffmann (Wismar)Frank Hofmann (Volkach)Eike HovermannKlaas HübnerChristel HummeLothar IbrüggerJohannes Jung (Karlsruhe)Josip JuratovicJohannes KahrsUlrich KasparickDr. h. c. Susanne KastnerUlrich KelberChristian KleimingerHans-Ulrich KloseAstrid KlugWalter KolbowFritz Rudolf KörperKarin KortmannRolf KramerAnette KrammeErnst KranzNicolette KresslVolker KröningAngelika Krüger-LeißnerDr. Hans-Ulrich KrügerJürgen KucharczykHelga Kühn-MengelDr. Uwe KüsterChristine Lambrecht

Christian Lange (Backnang)Dr. Karl LauterbachWaltraud LehnHelga LopezGabriele Lösekrug-MöllerDirk ManzewskiLothar MarkCaren MarksKatja MastHilde MattheisMarkus MeckelPetra Merkel (Berlin)Dr. Matthias MierschUrsula MoggMarko MühlsteinDetlef Müller (Chemnitz)Michael Müller (Düsseldorf)Gesine MulthauptFranz MünteferingDr. Rolf MützenichAndrea NahlesThomas OppermannHolger OrtelHeinz PaulaJohannes PflugChristoph PriesDr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeMechthild RawertSteffen Reiche (Cottbus)Maik ReichelGerold ReichenbachDr. Carola ReimannChristel Riemann-

HanewinckelRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth (Heringen)Ortwin RundeMarlene Rupprecht

(Tuchenbach)Anton SchaafAxel Schäfer (Bochum)Bernd ScheelenMarianne SchiederOtto SchilySilvia Schmidt (Eisleben)Renate Schmidt (Nürnberg)Dr. Frank SchmidtHeinz Schmitt (Landau)Olaf ScholzOttmar SchreinerReinhard Schultz

(Everswinkel)Swen Schulz (Spandau)Ewald SchurerFrank SchwabeDr. Angelica Schwall-DürenDr. Martin SchwanholzRolf SchwanitzRita Schwarzelühr-SutterWolfgang SpanierDr. Margrit SpielmannJörg-Otto SpillerDr. Ditmar StaffeltLudwig StieglerRolf Stöckel

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7415

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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

Christoph SträsserDr. Peter StruckJoachim StünkerDr. Rainer TabillionJörg TaussDr. h. c. Wolfgang ThierseJörn ThießenFranz ThönnesRüdiger VeitSimone ViolkaJörg VogelsängerDr. Marlies VolkmerHedi WegenerAndreas WeigelPetra WeisGunter WeißgerberGert Weisskirchen

(Wiesloch)Lydia WestrichDr. Margrit WetzelAndrea WickleinDr. Dieter WiefelspützEngelbert WistubaWaltraud Wolff

(Wolmirstedt)Heidi WrightUta ZapfManfred ZöllmerBrigitte Zypries

FDP

Jens AckermannDr. Karl AddicksChristian AhrendtDaniel Bahr (Münster)

Uwe BarthAngelika BrunkhorstErnst BurgbacherPatrick DöringMechthild DyckmansJörg van EssenUlrike FlachOtto FrickePaul K. FriedhoffHorst Friedrich (Bayreuth)Dr. Edmund Peter GeisenDr. Wolfgang GerhardtHans-Michael GoldmannMiriam GrußJoachim Günther (Plauen)Dr. Christel Happach-KasanHeinz-Peter HausteinElke HoffBirgit HomburgerDr. Werner HoyerMichael KauchDr. Heinrich L. KolbHellmut KönigshausGudrun KoppJürgen KoppelinHeinz LanfermannSibylle LaurischkHarald LeibrechtIna LenkeMichael Link (Heilbronn)Horst MeierhoferPatrick MeinhardtJan MückeBurkhardt Müller-SönksenDirk Niebel

Hans-Joachim Otto (Frankfurt)

Detlef ParrCornelia PieperGisela PiltzJörg RohdeFrank SchäfflerDr. Konrad SchilyMarina SchusterDr. Hermann Otto SolmsDr. Max StadlerDr. Rainer StinnerCarl-Ludwig ThieleFlorian ToncarChristoph WaitzDr. Claudia WintersteinDr. Volker WissingHartfrid Wolff (Rems-Murr)Martin Zeil

Enthalten

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kerstin AndreaeMarieluise Beck (Bremen)Volker Beck (Köln)Cornelia BehmBirgitt BenderMatthias BerningerGrietje BettinAlexander BondeEkin DeligözDr. Thea DückertHans Josef Fell

Kai GehringAnja HajdukBritta HaßelmannWinfried HermannPeter HettlichUlrike HöfkenDr. Anton HofreiterBärbel HöhnThilo HoppeUte KoczySylvia Kotting-UhlFritz KuhnRenate KünastUndine Kurth (Quedlinburg)Markus KurthMonika LazarDr. Reinhard LoskeAnna LührmannJerzy MontagKerstin Müller (Köln)Winfried NachtweiOmid NouripourBrigitte PothmerClaudia Roth (Augsburg)Elisabeth ScharfenbergChristine ScheelIrmingard Schewe-GerigkDr. Gerhard SchickRainder SteenblockSilke Stokar von NeufornHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeJürgen TrittinWolfgang WielandJosef Philip Winkler

Die nächste Rednerin ist Kollegin Julia Klöckner, Was bei Ihren Anträgen immer wieder fehlt, ist der Rea-

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Julia Klöckner (CDU/CSU): Herr Präsident! Herr Minister! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Unsere Freunde von der grünen Fraktion ha-ben wieder einen putzigen Antrag gestellt. Wir habenbald Weihnachten, können Wunschzettel schreiben undauch an das Christkind glauben. Frau Höhn, wenn ichSie richtig verstanden habe, fordern Sie allen Ernstes,die Lebensmittelkennzeichnungsverordnung so zu än-dern, dass Angaben zur Haltungsform der Legehennenbei allen Lebensmitteln und auch anderen Produkten, dieEi als Zutat enthalten, verpflichtend vorgeschrieben wer-den.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der LINKEN – Renate Künast[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bravo!)

Die Frage ist: Darf es sonst noch irgendetwas sein? Siebleiben Ihren ideologischen Vorstellungen treu. Bei Ih-nen gibt es nur Schwarzweißmalerei. Hennenhaltungs-betriebe, die hochtechnisiert sind, sind schlecht und des-halb sollen die Eier dieser Betriebe stigmatisiert werden.

litätssinn und der Wunsch, praktikable Regelungen zutreffen. Eines finde ich noch viel trauriger: Sie sprechenvon Weihnachtsgeschenken. Ihre Botschaft an die Ar-beitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in dieser Bran-che arbeiten, heißt: Wir möchten Arbeitsplätze vernich-ten.

(Zurufe von der CDU/CSU: Genau! – Wider-spruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Das schafft Arbeitsplätze!)

Es ist schon schlimm, dass es trotz des härter werden-den Wettbewerbs zahlreiche Ausnahmeregelungen fürLänder, die der EU kürzlich beigetreten sind, gibt. Ichnenne Tschechien, Ungarn und Slowenien. Diese Aus-nahmeregelungen belasten die deutsche Produktion. DieAusnahmeregelungen gelten bis zum Jahr 2009. DieseLänder brauchen Tierschutzstandards, die unsere Be-triebe in Deutschland einhalten müssen, nicht einzuhal-ten. Mittlerweile kommt jedes fünfte Ei, das derzeit inTschechien produziert wird, aus Betrieben, die die Min-deststandards des Tierschutzes nicht einhalten. Sie, FrauKünast, haben als ehemalige Ministerin diesen Regelun-gen bei den Beitrittsverhandlungen zugestimmt. Für die

7416 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

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Julia Klöckner

deutschen Unternehmen haben Sie aber eine viel stren-gere Regelung gefordert.

(Peter Bleser [CDU/CSU]: Doppelzüngig!)

– Doppelzüngigkeit ist das.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Nein, Vorreiter!)

Sie fordern eine willkürliche Kennzeichnung aufVerpackungen. Die hätten Sie in Ihrer Regierungszeitumsetzen können. In Ihrer Regierungszeit hätten Sie dieMehrheit dafür sammeln können. Jetzt glauben Sie allenErnstes, dass wir dem Antrag heute zustimmen. Ihnenfehlt der Realitätssinn. Selbst die EU hat 2003 Ihr Ansin-nen, Frau Künast, abgelehnt.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Ich habe es immerhin versucht!)

Dieser Realitätssinn ist ein Grund, warum ich auf die EUstolz sein kann.

(Beifall bei der CDU/CSU – Bärbel Höhn[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aberein Ding!)

Haben wir keine anderen Probleme in diesem Land,als diese absurden Forderungen zu diskutieren? Konkretheißt das nämlich, dass Sie auf jeder Nudelpackung, beijedem Kuchen, bei allen Keksen und bei allen Produk-ten, die Eier aus Legehennenhaltung enthalten, eineKennzeichnung durchsetzen möchten.

(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Ja!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, ich stellemir jetzt eine Szene im Restaurant vor, wenn das pa-nierte Schnitzel gebracht wird. Vielleicht haben Sie auchnoch Vorschläge, wie man den Teller optisch gestaltenkönnte, damit man erkennt, welches Ei, das in der Pa-nade ist, aus Freilandhaltung, welches aus Bodenhaltungund welches aus Käfighaltung stammt.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Ich finde es gut!)

Sie haben einen Wunschzettel, auf dem Sie gerne nochdiesbezüglich etwas aufschreiben können. Das hört sichbei Ihnen alles prima an, aber wir müssen das zu Endedenken. Das heißt nämlich, dass alle Produkte gekenn-zeichnet werden müssen, nicht nur Mayonnaise, Schoko-küsse und Haarshampoo, sondern auch Katzenfutter.Ich bezweifle, dass es die Katze interessiert, wie dasHuhn das Ei gelegt hat.

(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Das Huhn interessiert es!)

Bedenken Sie einmal den Bürokratieaufwand.

Abgesehen davon, dass das nicht praktikabel ist, ma-chen Sie keine Vorschläge, wie wir mit importiertenProdukten umgehen sollen. Sie machen keine Vor-schläge, wie wir die importierten Produkte überhauptkontrollieren und letztlich rückverfolgen sollen. Fürmich ist das eine klassische Inländerdiskriminierung,

weil die Vorschrift auf EU-Ebene nicht harmonisiert ist.Sie machen es unseren Betrieben und damit den Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland unnö-tig schwer. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Bei einer weitgehenden Umstellung auf Eier aus Bo-denhaltung, ob auf Freilandeier oder auf Bioeier, wäreder mengenmäßige Bedarf der industriellen Verarbeiter– die Zahlen sollten Sie sich anschauen – aus diesen Be-reichen gar nicht zu decken. Die Deutschen konsumierenjährlich 14 Milliarden Eier. Denken Sie doch einmal ei-nen kleinen Schritt um die Ecke, wenn der Weg nicht ge-rade geht. Wenn eine Mauer kommt, rennen Sie alsGrüne immer dagegen.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Die Mauer ist doch längst weg! GutenMorgen, Frau Klöckner!)

Sie schaffen es einfach nicht, um die Kurve zu denken.

70 Prozent der 14 Milliarden Eier, die hier inDeutschland konsumiert werden, kommen aus Legehen-nenhaltung; 12 Prozent kommen aus Freilandhaltung.Wenn wir Ihre Forderung umsetzten, käme es zu immen-sen Engpässen bei der Produktion. Wir wissen alle, wodie Eier dann herkommen.

(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Ja und?)

– „Ja und?“, sagt Frau Höfken. Dann würde uns der Tier-schutz außerhalb Deutschlands überhaupt nicht interes-sieren. Wir würden dann Eier aus Ländern beziehen, dieeinen viel geringeren Tierschutzstandard als wir inDeutschland haben, und das einschließlich Verbraucher-täuschung; denn der Verbraucher weiß dann noch weni-ger über die Herkunft der Eier als hier in Deutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie als Grüne schieben gerne immer die Interessender Verbraucher vor, um Ihre eigenen ideologischenVorstellungen durchzusetzen.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner)

Bei einer Umfrage der Verbraucherzentrale gaben64 Prozent der Befragten an, mit den bisherigen Infor-mationen auf den Verpackungen eigentlich zufrieden zusein. Außerdem gaben sie an, dass sie Wert darauf legen,Informationen darüber zu erhalten, welche Inhaltsstoffeenthalten sind, die für sie möglicherweise gesundheits-gefährdend sind; das ist zum Beispiel für Allergiker sehrwichtig. Das halten auch wir für richtig.

Aber seien Sie doch so realitätsnah, einzusehen, dassder Verbraucher, wenn wir noch mehr auf eine Verpa-ckung schreiben, gar nicht mehr draufschaut und auchnicht mehr weiß, wie er damit umgehen soll. Auf einesolche Informationsflut zu verzichten, das ist richtig ver-standener Verbraucherschutz; das ist besser als reinerAktionismus.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7417

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Julia Klöckner

Warum sagen Sie nicht, was Sie wirklich wollen? Siewollen eine Haltungsform verbieten. Dazu haben Sie vorMonaten einen Antrag gestellt, der nicht durchgekom-men ist. Deshalb versuchen Sie jetzt, diesen Antrag mit-hilfe irgendwelcher anderen fadenscheinigen bürokrati-schen Regelungen doch noch durchzubringen. Für wieblöd halten Sie uns eigentlich? Wir sind ein bisschen frü-her aufgestanden, als Sie glauben und als Sie es je schaf-fen werden.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Künast?

Julia Klöckner (CDU/CSU): Ich würde gerne erst meine Rede beenden. Dann kön-

nen Sie noch einmal nachfragen.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Nein, nach der Redezeit lasse ich keine Zwischen-

frage mehr zu.

Julia Klöckner (CDU/CSU): Umso besser.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Ich halte es auch für sehr wichtig, noch einmal daraufhinzuweisen, dass Ihnen die Arbeitsplätze in Deutsch-land offensichtlich völlig egal sind. Sie verlieren keinWort darüber, wenn man Sie fragt, wie Sie damit umge-hen. Dass Tierschutzstandards in anderen Ländern vielniedriger sind,

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Sind Sie eigentlich Kirchenmitglied,Frau Klöckner? Was sagt denn die katholischeKirche dazu?)

interessiert Sie nicht. Auch wenn die Kennzeichnung imAusland nicht durchsetzbar ist, ist Ihnen das egal.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Die Schöpfung! Sie sind ja unchrist-lich! Pfui!)

Wir als CDU/CSU-Fraktion setzen darauf, dass derVerbraucher entscheiden soll und kann. Es ist richtig,dass er auch jetzt im Supermarkt entscheiden kann. Wirsind dafür, dass die wichtigsten Informationen gegebenwerden, zum Beispiel für die Allergiker über allergeneStoffe, damit sie kein falsches Produkt greifen, oder Ta-bellen mit Nährwertkennzeichnung. Das machen vieleBetriebe freiwillig und darin liegt ein Wettbewerbsvor-teil. Darauf setzen wir.

Noch eines, liebe Kolleginnen und Kollegen von derGrünenfraktion.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darf ich denn jetzt die Frage stellen?)

Bei der Grünen Gentechnik fordern Sie keine Kenn-zeichnung. Da könnten wir doch eine Kennzeichnungvornehmen! Aber weil klar ist, dass schon jetzt80 Prozent aller Produkte gentechnisch verändert sind,

fürchten Sie, dass der Verbraucher sich daran gewöhntund Sie Ihr Schreckensszenario nicht mehr verbreitenkönnen.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich frage Sie noch einmal, Frau Kollegin: Gestatten

Sie jetzt eine Zwischenfrage der Kollegin Künast?

Julia Klöckner (CDU/CSU): Es wird nicht dadurch besser, dass sie sich öfter mel-

det.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Dann fragen Sie mich doch nicht stän-dig! – Zuruf von der LINKEN: Sie werdennicht besser!)

Die derzeitige Kennzeichnungsregelung führt meinerMeinung nach in die Irre. Meine Fraktion und ich sinddafür, zukünftig alle Produkte zu kennzeichnen, die gen-technisch verändert sind oder bestimmte Stoffe enthaltenkönnen. Dann sieht der Verbraucher, dass bereits80 Prozent gentechnisch verändert sind.

(Ulrich Kelber [SPD]: Da müssen Sie in der Koali-tion aber erst noch mit uns verhandeln!)

Es ist keiner daran gestorben.

Ich denke, das ist eine ganz klare Botschaft. Wir alsCDU/CSU-Fraktion werden uns im kommenden Jahr derErnährung widmen. Wir werden in unserer Fraktion ei-nen Ernährungskongress veranstalten. Mit unserem Ko-alitionspartner werden wir einen Ernährungsantrag stel-len. Die Bundesregierung hat zugesagt, einen nationalenErnährungsplan und einen Allergieplan mit auf den Wegzu bringen. Sie sehen, bei uns ist das Thema in den rich-tigen Händen.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Frau Kollegin, jetzt müssen Sie zum Ende kommen.

Julia Klöckner (CDU/CSU): Dann wünsche ich allen trotz Ihres Wunschzettels

wunderschöne Weihnachtstage.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Das Wort hat der Kollege Michael Goldmann, FDP-

Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Hans-Michael Goldmann (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die FDP-Bundestagsfraktion und ich persön-lich begrüßen es, dass wir uns heute zu einer angemesse-nen Tageszeit – diese Debatte wird übertragen – demTierschutz in Deutschland zuwenden. Wir können heuteeine Leistungsbilanz vorlegen und darstellen, welchegute Arbeit wir im Ausschuss geleistet haben.

Weil es vielleicht den einen oder anderen gibt, dersich die Tagesordnung nicht so genau angeschaut hat,

7418 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

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Hans-Michael Goldmann

will ich einmal aufzählen, worüber wir konkret redenwollen. Wir reden über die Ausweitung der Kennzeich-nungspflicht auf verarbeitete Eier, über Käfighaltung,über das Verbot der Einfuhr von Wildvögeln und überdas Einfuhrverbot für Katzen- und Hundefelle. Ichglaube, viele Menschen in Deutschland bewegen dieseThemen; sie sind in der vorweihnachtlichen Zeit davondurchaus berührt. Deswegen finden wir es, wie gesagt,prima, dass wir darüber reden können.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir als FDP begrüßen dies auch, weil wir insoweit ineiner guten Tradition stehen. Herr Hirsch hat damals da-für gekämpft, den Tierschutz in die Verfassung aufzu-nehmen. 2002 wurde dann der Tierschutz als Staatszielins Grundgesetz aufgenommen. Das war ein Erfolg.Vielleicht hat sich die Position, die den Grünen vor-schwebte, nicht ganz durchgesetzt. Aber es ist besser,Fakten zu schaffen als nur Zeichen zu setzen oder Aktio-nismus zu betreiben. Ich denke, in dieser Kontinuitätsollten wir die Dinge fortführen.

(Beifall bei der FDP)

Wir müssen uns intensiv darüber unterhalten, wie wires mit der Kennzeichnungspflicht halten. Der Antragder Grünen geht meiner Meinung nach nicht substanziellgenug mit dem Sachverhalt um. Aber wir alle, die wir indiesen Bereichen arbeiten, wissen, dass Rückverfolgbar-keit heute ein außerordentlich wichtiges Kriterium ist

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und dass dadurch Verbraucherentscheidungen durchausbeeinflusst werden. Ein mündiger Verbraucher musswissen, unter welchen Bedingungen ein Produkt herge-stellt wurde und was darin enthalten ist. Ansonsten kanner sich nicht qualifiziert verhalten. Wir sollten also überdiese Punkte reden.

Auch ich finde es ein bisschen eigenartig, dassFrischeier gekennzeichnet werden müssen, dass aberverarbeitete Eier keinerlei Kennzeichnung haben.

(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde es auch nicht besonders glücklich, dass, wiewir alle wissen, aus Brasilien importiertes Fleisch mitdem so genannten Frischemerkmal durch das Hinzufü-gen von Salz und auch aufgetautes Fleisch als Frisch-fleisch gehandelt werden können, obwohl Frischfleischnach Auffassung der Verbraucher in der Tat frischesFleisch sein sollte. Ich denke, wir müssen zum Wohleder Ernährungswirtschaft in Deutschland und, liebe JuliaKlöckner, im Interesse der Arbeitsplätze in diesem Be-reich darüber reden.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten derLINKEN)

Denn wir werden den Wettbewerb um Arbeitsplätze nurgewinnen, wenn wir in diesem Bereich Vorreiter sind.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In diesem Punkt hat Frau Künast mit ihrem Zwischenrufschon Recht, dass man manchmal etwas vorauseilendmachen muss, um etwas zu erreichen.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erinnere mich an Diskussionen im Ausschuss da-rüber, wie wir es eigentlich mit dem Einfuhrverbot fürKatzen- und Hundefelle und mit dem Verbot der Ein-fuhr von Wildvögeln halten. Aus dem Haus kam danndie Bemerkung, dass man das nicht national regelnkönne, sondern dass es europaweit geregelt werdenmüsse. Jetzt hat es eine europaweite Regelung gegeben.Warum? Weil die Dänen vorher ein Verbot erlassen hat-ten. Die Harmonisierung musste also „durch die Hinter-tür“ eingeführt werden.

(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])

Weil die Dänen Vorreiter waren, ist es Gott sei Dank zueinem Verbot für die meiner Meinung nach völlig un-mögliche Einfuhr von Katzen- und Hundefellen gekom-men. Ich kann das nur begrüßen.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich denke, auch bei dem Verbot der Einfuhr von Wild-vögeln müssen wir genau diesen Weg gehen.

(Ulrich Kelber [SPD]: Das ist eine wichtigeErkenntnis: nicht eins zu eins, sondern Frontrunner!)

– Es geht hier nicht um „eins zu eins“. Bei einer Eins-zu-eins-Umsetzung geht es um Verordnungen, die von dereuropäischen Ebene kommen. Hier geht es aber darum,etwas auf den Weg zu bringen, was dann in allen europäi-schen Ländern hoffentlich umgesetzt wird.

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Ulrich Kelber [SPD])

– Herr Kelber, das ist überhaupt kein Widerspruch.Wenn Sie die Ausschussarbeit verfolgen, dann wissenSie, dass sich die Vertreter der Opposition in diesen Fra-gen zum Erstaunen des einen oder anderen fachlich zu-sammenfinden.

(Beifall bei der FDP)

Ich finde es richtig, dass man in der Ausschussarbeit denfachlichen Aspekt in den Vordergrund stellt.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten derLINKEN – Ulrich Kelber [SPD]: Die Erkennt-nis greift durch!)

– Dass die Erkenntnis durchgreift, gilt hoffentlich auchfür Ihre eigene Fraktion.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Weil es uns Vergnügen macht, darüber zu reden, willich in Erinnerung rufen, was wir im Ausschuss alles ge-

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macht haben. Wir haben zum Beispiel über die Robben-problematik gesprochen. Mir hat sehr imponiert, was Sievon Ihrem Besuch in Kanada erzählt haben. Wir habengehandelt. Wir haben uns beispielsweise mit dem Importvon Wildvögeln und mit dem Halten von Tieren in Zir-kussen beschäftigt. Dazu gab es eine hochinteressanteAnhörung. Wir haben uns mit dem Halten von Tieren inZoos beschäftigt. Ich glaube, dass jedem von Ihnen, derzurzeit in ländliche Gegenden kommt, in denen ein Zir-kus untergebracht ist, und sieht, wie Zirkustiere zum Teilin ihren Winterquartieren gehalten werden, das Tier-schutzherz schmerzt.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten derLINKEN)

Ich finde es nicht schlimm, dass es einen schmerzt. Manmuss dann aber zu den Leuten gehen und mit ihnen re-den. Man muss sich kommunalpolitisch und wir müssenuns bundespolitisch dafür einsetzen, dass Verbesserun-gen erzielt werden.

(Beifall bei der FDP)

Frau Höhn, ich finde es gut, wenn Sie eine Aktion inder Form machen: der Wal und ich vor dem Brandenbur-ger Tor. Das ist hübsch; das hat eine Botschaft. Aber beiden Legehennen liegen Sie nun wirklich falsch. Für dieHaltung von Legehennen haben wir in Deutschlandeine Lösung gefunden, die ich für praktikabel halte.

(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Genau!)

Wenn Legehennen Eier legen, ist das eine Leistung.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aber man muss vielleicht ein bisschen biologisch undtierärztlich gebildet sein, was ich Gott sei Dank bin, umzu wissen: Hühner legen nur Eier, wenn es ihnen ge-sundheitlich gut geht. Wenn die Eierlegeleistung in derneuen Haltungsform, in der Volierenhaltung oder derKleingruppenhaltung, hoch ist, dann können Sie bis zueinem gewissen Grad davon ausgehen, dass diese Hal-tungsform der Artgerechtigkeit bei diesen Tieren nichtunmittelbar widerspricht.

Frau Höhn, bei solchen Dingen sollten wir nicht ir-gendetwas in die Gegend blubbern und Wind in Bezugauf den Tierschutz machen, sondern konkret Problemlö-sungen angehen. Ich finde, dass die Lösung, die hierzugefunden worden ist – Sie wissen, dass das nicht immerunsere Vorstellung war –, sachgerecht ist und durchauseine Zukunftschance haben sollte.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie sollten nicht einfach Blindbegriffe verwenden.Die Zuhörer sind ja keine Experten. Die neue Haltungs-form hat nichts mit Batteriekäfighaltung zu tun.

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber sicher!)

Das hat nichts mit agroindustrieller Wirtschaftsweise zutun. Frau Höhn, das ist schlicht Quatsch.

(Widerspruch der Abg. Bärbel Höhn [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN])

– Frau Höhn, das ist schlicht Quatsch.

Ich bin ja mit meinem Vater seit 1954 durch die Ge-gend gefahren

(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

und habe landwirtschaftliche Betriebe besucht; auchmein Vater war ja Tierarzt. Da hatten die Bauern acht biszehn Kühe. Ich sage Ihnen einmal ganz ehrlich ein biss-chen flapsig: Da hätte ich weiß Gott keine Kuh sein wol-len. Die standen mit dem Kopf vor der Wand; es tropfte.Sie standen mit den Beinen hinten im Mist und hatten„saumäßige“ Haltungsbedingungen.

(Dr. Rainer Stinner [FDP]: So ist es!)

Heute haben bei uns Milchbauern in leistungsfähigenBetrieben, wo sie sich – weil sie, nebenbei gesagt, einegute Ertragssituation haben – um die Tiergesundheitund den Status des Tieres in der Haltungsform kümmernkönnen, 120 bis 150 Milchkühe. All diese Kühe sindnicht mehr angebunden. Diese Kühe können ihre Liege-fläche wählen, wie sie wollen. Diese Kühe werden zudem Zeitpunkt gefüttert, zu dem die Tiere es wollen.Diese Tiere haben heute einen Gesundheitsstatus, derdem in früheren Zeiten haushoch überlegen ist.

(Dr. Rainer Stinner [FDP]: So ist das!)

Deswegen ist es schlicht falsch, zu sagen: Eintierhal-tung ist gut und Vieltierhaltung ist schlecht. Es kommtdarauf an, wie die Vieltierhaltung ausgestaltet ist. Dassollten Sie endlich einmal zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege, die Frau Kollegin Höhn würde furcht-

bar gerne eine Zwischenfrage stellen.

Hans-Michael Goldmann (FDP): Das gönne ich ihr.

Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Goldmann, ich habe eben von der Bat-

teriekäfighaltung gesprochen. Ich habe diese Batterie-käfighaltung auf das bezogen, was über Jahrzehnte inDeutschland üblich war und was zum 1. Januar nächstenJahres auslaufen sollte. Können Sie bestätigen, dass dieMöglichkeit der schlimmen alten Batteriekäfighaltung,die wir von vielen Bildern kennen und die viele auch inder Praxis gesehen haben – ich rede nicht von dem neuenKäfig, der aus meiner Sicht aber auch schlimm genugist –, von der Bundesregierung und den Ländern umzwei weitere Jahre verlängert worden ist?

(Peter Bleser [CDU/CSU]: Das geht doch gar nicht anders!)

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Hans-Michael Goldmann (FDP): Es ist richtig, was Sie sagen: Die Möglichkeit dieser

Haltungsform ist verlängert worden. Denn es macht mei-ner Meinung nach keinen Sinn, dass man diese Hal-tungsform ins Ausland exportiert und wir dann die Ge-flügelprodukte – Fleisch und Eier – aus einem Landbekommen, wo die Haltungskriterien viel schlechtersind als bei uns.

Ich will Ihnen etwas anderes sagen, Frau Höhn: Sietun sich selbst keinen Gefallen damit, wenn Sie in die-sem Zusammenhang das Wort „Käfig“ wieder so benut-zen, wie es für frühere Zeiten zutraf. Sie wissen ganz ge-nau: Der alte Käfig ist verboten. Wir sind auf dem Weg,Haltungsformen zu entwickeln, die den Tieren gerechterwerden. Es gibt Versuche dazu. Ich glaube, dass wir daauf einem guten Weg sind.

(Widerspruch der Abg. Bärbel Höhn [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN])

– Frau Höhn, Sie tun sich damit keinen Gefallen.

Auch der Begriff „Schweinefabrik“ hat nichts mit derIdee des Tierschutzes zu tun.

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh doch!)

– Nein, Frau Höhn. – Das ist eine Diskriminierung ge-genüber heute notwendigen Haltungsformen. FrauHöhn, es ist schlicht falsch, anzunehmen, dass es demTier Nr. 36 besser geht als dem Tier Nr. 8 720 in einemBetrieb.

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich auch nicht gesagt!)

Es kommt darauf an, wie viel Platz das Tier hat, wie vielLicht es bekommt und welchen Futterzugang es hat.Wenn die Haltungsformen nicht tier- und artgerecht wä-ren, könnten wir die züchterischen Erfolge überhauptnicht erzielen, hätten keine Marktteilhabe mehr und wä-ren im Grunde genommen auf Importe aus Ländern an-gewiesen, in denen ich wirklich kein Tier sein wollte;Gott sei Dank bin ich es nicht.

Wir müssen uns auf das Ziel fokussieren, guten Tier-schutz in Deutschland zu verwirklichen. Dafür müssenwir gemeinsam streiten.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege, ich glaube, die Zwischenfrage ist jetzt

beantwortet, und ich darf die Redezeit weiterlaufen las-sen.

Hans-Michael Goldmann (FDP): Liebe Frau Präsidentin, meine Redezeit ist ja auch

schon abgelaufen.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: So ist es.

(Heiterkeit)

Hans-Michael Goldmann (FDP): Das habe ich selbst registriert. Deswegen war ich für

Ihre Frage, Frau Höhn, durchaus dankbar.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP sowie bei Ab-geordneten der CDU/CSU und der SPD)

Ich finde es gut, dass wir darüber reden. Lassen Sieuns gemeinsam weitermachen, damit wir viel für dieTiere erreichen. Wir sind auf einem guten Weg. Wirmüssen aber vernünftig sein. Es geht nicht um Aktionis-mus, sondern um das konkrete Tun, liebe Frau Höhn.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Nächste Rednerin ist die Kollegin Mechthild Rawert,

SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Mechthild Rawert (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Werte Gäste! Tierschutz ist ein hohesGut. Der Schutz der Tiere ist zwischenzeitlich auch imGrundgesetz festgeschrieben worden.

Ich möchte mich an dieser Stelle bei den vielen Mit-bürgerinnen und Mitbürgern bedanken, die sich in Tier-schutzorganisationen engagieren, in kleinen und gro-ßen Verbänden, die nicht nur auf lokaler und regionalerEbene tätig sind. Ihnen gebührt unser Dank. Dieser Danksoll hier und heute von mir – ich denke, im Namen desHauses – ausgesprochen werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

Die Bundesregierung nimmt die Aufgabe des Tier-schutzes sehr ernst und verfolgt das Ziel, ein hohesTierschutzniveau in Deutschland zu gewährleisten undden Tierschutz weiterzuentwickeln. Das betrifft den Be-reich der Rechtsprechung sowie die Berücksichtigungdes Tierschutzes bei der Abwägung mit anderen Rechts-gütern und schließt die finanzielle Unterstützung tierge-rechter Haltungsformen, die Forschungsförderung undein intensives Engagement auf europäischer und interna-tionaler Ebene ein. Die Bundesregierung setzt mit ihremEngagement in den Gremien Akzente. Sie beteiligt sichan zahlreichen nationalen und internationalen Vorhabenzur Verbesserung des Tierschutzes. Das gilt hier undheute genauso wie in der Zukunft.

Die SPD ist und bleibt die Tierschutzpartei. Sie setztsich seit Jahren kontinuierlich für die Weiterentwicklungdes Tierschutzes inner- und außerhalb Deutschlands ein.Wir gehen voran. Wir gehen vorwärts.

(Beifall bei der SPD)

Wir stellen uns der Verpflichtung des ersten Paragrafenunseres Tierschutzgesetzes:

Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen GrundSchmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.

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Mechthild Rawert

In 2002 wurde – maßgeblich von meiner Fraktion vo-rangetrieben – der Tierschutz in Art. 20 a unseresGrundgesetzes als Staatsziel verankert. Damit wurdeeine lange Diskussion über den Rang des Tierschutzesim Verfassungsgefüge endlich beendet. Dieses Staatszielmuss aufseiten der Politik bei der Gesetzgebung undaufseiten der Verwaltungsbehörden und der Gerichte beider Auslegung und Anwendung des Tierschutzrechts im-mer Berücksichtigung finden.

Ich komme zur Verbindung zwischen Tierschutz undVerbraucherschutz. Nach dem Auftreten von BSE undzahlreichen Gammelfleischskandalen ist das gesamteFeld rund um die Ernährung kritisch hinterfragt und neubewertet worden: von der Sicherheit und Qualität derLebensmittel über die Produktionsprozesse und derenAuswirkungen auf Umwelt, Natur und Tierhaltung,quasi „From the Farm to the Fork“, von der Farm zurGabel.

(Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann[FDP] – Hans-Michael Goldmann [FDP]:Danke! Man ist ja dankbar!)

Tierschutz ist für uns integraler Bestandteil einerNachhaltigkeitsstrategie, die dem vorsorgenden Ver-braucherschutz Vorrang einräumt, den schonendenUmgang mit Natur und Umwelt beachtet, auf eine nach-haltig produzierende Landwirtschaft setzt und den länd-lichen Raum mit seinen verschiedenen Funktionen alsLebens-, Wirtschafts-, Natur- und Erholungsraum in denBlick nimmt.

Verbraucherinnen und Verbraucher entscheiden durchbewusste Kaufentscheidungen an der Ladentheke– darüber wurde heute schon ein wenig dissonant disku-tiert – darüber, wie unsere Tiere in der Landwirtschaftgehalten und genutzt werden.

(Peter Bleser [CDU/CSU]: Das ist richtig!)

Jede und jeder hat somit die Möglichkeit, sich tagtäglichin kleinem und in größerem Umfang für den Tierschutzeinzusetzen.

Dies setzt jedoch voraus, dass die Verbraucherinnenund Verbraucher ausreichend über die Produkte infor-miert sind. Mit Recht fordern sie daher von uns eine de-tailliertere Informationspflicht bezüglich der Produkteund der damit verbundenen Herstellungsprozesse, damitdie Kaufentscheidung adäquat getroffen werden kann.

Die Kennzeichnung in Deutschland ist jedoch nachwie vor ein Buch mit sieben Siegeln. Die Verbraucherin-nen und Verbraucher müssen zwischen einer Vielzahlvon Bio- und Ökosiegeln unterscheiden und wissen oftnicht, welche Qualitätsstandards sich dahinter verber-gen. So sind Produkte, die nach der EU-Öko-Verordnunggekennzeichnet sind, mit einem Biosiegel und einemCode der Kontrollstelle versehen. Mittlerweile habenviele Supermärkte eigene Handelsmarken – das Wettbe-werbsrecht verbietet jetzt leider eine Aufzählung –, unterdenen sie Bioprodukte vertreiben. Einige Verbände desökologischen Landbaus haben eigene Siegel und legenstrengere Auflagen, als die EU-Öko-Verordnung vorgibt,für ihre Produzenten fest.

Abhilfe für die Verbraucherinnen und Verbraucherkönnte ein einheitliches europäisches Tierschutzsiegelschaffen. Dieses Tierschutzsiegel muss für die Verbrau-cherinnen und Verbraucher verständlich und ihnen leichtvermittelbar sein. Selbstverständlich muss es gesetzlicheStandards für die Haltung aller Tierarten festlegen. Sogibt es zum Beispiel bis heute keine Regelungen fürMastgeflügel, Rinder, Schafe, Ziegen oder Kaninchen.

(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Ist doch eine tolle Idee!)

Die grundlegenden Kriterien für ein solches Tierschutz-siegel sollten unter anderem Bewegungsfreiraum, Ein-streu, Tageslicht, Beschäftigungsmaterial, Strukturie-rung und auch Außenklima sein.

Es hat sich – das wurde in den Reden deutlich –durchaus schon Diskussionsbedarf innerhalb der Koali-tion aufgetan. Ich habe vorhin sehr intensiv die Rede vonFrau Klöckner verfolgt. Dieses Tierschutzsiegel könnteein weiteres Problem bei der Lebensmittelkennzeich-nung lösen. Zurzeit können die Verbraucherinnen undVerbraucher beim Einkauf nämlich nicht erkennen, unterwelchen Bedingungen die einzelnen Zutaten für Fertig-produkte verwendet werden und wie sie hergestellt wor-den sind. So können – bleiben wir heute beim Beispielder Eier – Konsumentinnen und Konsumenten von Hüh-nereiern zwar durch die Kennzeichnung erkennen, ob essich um ein Ei aus Freiland- oder Käfighaltung – dem-nächst Volierenhaltung – handelt. Diese Kennzeichnungfindet allerdings nicht bei Produkten statt, bei denen dieEier Zutat sind, wie zum Beispiel Mayonnaise, Nudelnoder Backwaren.

(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Katzenfutter!)

Das gilt selbstverständlich auch für alle anderen Fertig-produkte.

Im Zuge der EU-Ratspräsidentschaft, die jetzt be-ginnt, hat Deutschland die Gelegenheit, dieses Themaauf europäischer Ebene aktiv voranzubringen. Ich binmir sicher, dass die Bundesregierung diese Pflicht sieht.Ich fordere unseren Bundesminister ausdrücklich auf,sich hierfür einzusetzen

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wofür?)

und für die entsprechende Aufklärung der Verbrauche-rinnen und Verbraucher zu sorgen. Unsere Fraktion wirdhierbei selbstverständlich die größtmögliche Unterstüt-zung geben.

Den teilweisen Widerstand gegen einen besserenTierschutz vonseiten einzelner Produzenten in der Land-wirtschaft verstehe ich nicht. Gerade besserer Tierschutzals Qualitätsmerkmal kann heimischen Lebensmitteln ei-nen Marktvorteil bringen und sichtbar machen, dassdurch tierschutzgerechtes Wirtschaften Arbeitsplätzeerhalten und neue geschaffen werden. Dass das möglichist, zeigt – erneut komme ich auf die Hühnereier zurück –die große Nachfrage nach Bio- und Freilandeiern, diezurzeit nicht aus der heimischen Produktion gedecktwerden kann.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Nur bei Frischeiern!)

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Mechthild Rawert

An dieser Stelle möchte ich auf Folgendes hinweisen:Ich selber komme von einem Bauernhof. Wir hatten15 000 Hühner. Ich bin mit Eiereinsammeln und der ent-sprechenden Arbeit durchaus vertraut. In diesem Bereichist es möglich, viel zu tun. Jetzt hier davon zu reden,dass in diesem Bereich keine neuen Arbeitsplätze ge-schaffen werden können, lehne ich ab, nicht nur aus dereigenen familiären Biografie heraus, sondern auch ausden Erfahrungen meiner Bekanntschaft, meiner Freundeund Verwandten und auch sämtlicher Nachbarn undNachbarinnen.

Kommen wir zu den Bioeiern zurück. Sie kommenzurzeit aus den Niederlanden. Ich bin der Meinung, dassunsere deutschen Bauern und Unternehmen eine Chanceam deutschen und auch am europäischen Markt vertun.Ich rechne aus diesem Grunde auch mit der Unterstüt-zung des Lebensmittelhandels für meine Vorschläge underwarte, dass auch die Produzenten in Deutschland dasständig wachsende Marktpotenzial für Bioprodukte end-lich erkennen und nutzen.

(Beifall der Abg. Ulrike Höfken [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN])

Gerade jetzt sind dazu mehrere Umfragen durchge-führt worden. Sie belegen, dass hier von einer Auswei-tung und nicht von einem Rückgang gesprochen werdenkann. Mit Blick auf die Arbeitsplätze und mit Blick aufdie Produktion wären wir hier auf dem vollkommenrichtigen Weg.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aus verbraucherpolitischer Sicht ist mir noch ein an-deres Thema wichtig, nämlich die Förderung neuer undinnovativer Techniken zur tierversuchsfreien For-schung. Verbraucherinnen und Verbraucher achten sehrwohl darauf, ob Produkte mithilfe von Tierversuchen ge-testet worden sind oder nicht. Seit 2004 ist es bereits ver-boten, kosmetische Mittel einschließlich ihrer Bestand-teile in Verkehr zu bringen, wenn diese im Tierversuchüberprüft wurden, obwohl alternative Methoden zurVerfügung stehen. Ich bin sehr dankbar, dass das For-schungsministerium nach wie vor große Förderpro-gramme in Bezug auf Ersatzmethoden für den Tier-versuch, aber auch in Bezug auf die Vergabe vonForschungsmitteln zur wissenschaftlichen Erarbeitungvon Tierversuchsersatzmethoden finanziert. Wie dasfunktioniert, konnten vor kurzem die Mitglieder desLandwirtschaftsausschusses beim Bundesinstitut für Ri-sikobewertung in Augenschein nehmen. Ich bin der fes-ten Überzeugung, dass Verbraucherinnen und Verbrau-cher gern solche Produkte kaufen, bei denen sieüberzeugend nachgewiesen bekommen, dass sie nichtunter Verwendung von Tierversuchen produziert wordensind. Die SPD ist daher der Meinung, dass solche For-schungsvorhaben und Techniken zugleich wichtige Im-pulse für unseren Forschungs- und Wirtschaftsstandortgeben und dass wir somit in diesem Bereich weltweiteine Vorreiterrolle übernehmen können.

Zu dem Antrag der Grünen möchte ich am Ende mei-ner Rede nur ein kurzes Wort sagen. Er ist leider ein

wenig alt, zehn Monate. Ein Teil der darin enthaltenenForderungen, zum Beispiel hinsichtlich der Nutztierhal-tungsverordnung für Pelztiere, ist durch Verabschiedungeiner entsprechenden Vorlage im Bundesrat längst erfülltworden. Das steht schon im Gesetzblatt. Wir haben auchdafür gesorgt, dass für kommerziell gehaltene Nerze,Iltisse, Füchse, Marderhunde, Sumpfbiber und auchChinchillas künftig konkrete Haltungsbedingungen gel-ten.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Mechthild Rawert (SPD): Ich komme hiermit zum Schluss. – Ich freue mich als

Berichterstatterin für Grauwale, dass wir 2007 das Jahrder Wale und Delphine haben.

(Peter Bleser [CDU/CSU]: Was? Schon wieder Wale?)

Ich freue mich ebenfalls, dass in den nächsten Tagen ins-besondere Ochs und Esel, Schafe und Kamele mit Si-cherheit –

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Frau Kollegin, ich muss Sie darauf aufmerksam ma-

chen, dass Sie auf Kosten Ihres Nachfolgers reden.

Mechthild Rawert (SPD): – eine gute Haltung haben werden. – Ich bin fertig.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Nächste Rednerin ist die Kollegin Eva Bulling-

Schröter, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Wäre dieser Saal hier eine Legehennen-batterie, würden an Ihrer Stelle über 17 000 Hühner sit-zen. Nutzen wir den Raum bis unter die Decke – das istdie Realität in Hühnerbatterien –,

(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Ich lege aber keine Eier!)

wären das fast 1 Million Hühner; 1 Million Hühner imPlenarsaal des Deutschen Bundestages dank modernerKäfigbatterien.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das stimmtja nicht, was Sie sagen! Wo gibt es eine Lege-hennenhaltung bis an die Decke?)

Hierzulande werden 43 Millionen Hühner gehalten,davon mehr als 73 Prozent in Käfigen bei Gestank undkünstlichem Licht. Die Folge: zerstörtes Gefieder, ka-putte Gelenke,

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Eva Bulling-Schröter

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das stimmt doch nicht, was Sie sagen!)

schwere Verhaltensstörungen. Die Tiere können nichtsandbaden, weder Gefieder noch den Kopf schütteln.Das Federkleid kann nicht geputzt, Kopf und Schnabelkönnen nicht gekratzt werden.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Es stimmt nicht!)

Praktisch alle natürlichen Triebe werden unterdrückt.

(Peter Bleser [CDU/CSU]: Aber nicht alle!)

Früher hat ein Huhn 20 Eier pro Jahr gelegt – so vieldazu, wie die Situation früher war, Herr Goldmann –,heute sind es mehr als 300. Masthühner werden heute sogezüchtet, dass sie täglich – ich betone: täglich – mehrals 50 Gramm zunehmen müssen.

Normalerweise verbringt ein Huhn den Tag mit Fut-tersuche und Gefiederpflege. Beides ist bei konventio-neller Käfighaltung nicht möglich. Langweiliges Futterund bedrückende Enge führen zu Kannibalismus undKrankheit.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Kannibalis-mus im Käfig? Das kommt bei Freilandhal-tung viel häufiger vor!)

Den Tieren hilft man nicht dadurch, dass man ihnendie Schnabelspitzen amputiert oder das Licht in ihremKäfig auf ein Minimum abdimmt. Wir brauchen einetiergerechte Geflügelhaltung, sowohl für Mast- als auchfür Legehühner. Damit sind aber explizit nicht die ausge-stalteten Käfige und Kleinvolieren für die so genannteGruppenhaltung gemeint. Was so putzig klingt, bedeutet:Die Tiere können weiterhin nicht auf Sitzstangen schla-fen, nicht im Sand baden und sich nicht ungestört pfle-gen, schütteln oder aufbäumen. Hier wird schöngeredet,was die tierquälerische Käfighaltung in Wirklichkeitausmacht.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne-ten der SPD – Marlene Mortler [CDU/CSU]:Fragen Sie einmal einen Bauern!)

Zeigen Sie mir doch einmal ein Huhn, das auf der Flächeeines Bierdeckels sein Sandbad nehmen kann!

(Marlene Mortler [CDU/CSU]: Wenn Sie soweiterreden, kommen Sie selber in den Käfig! –Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ich verstehewirklich nicht, was Sie jetzt sagen!)

Da als ein wichtiger Grund für die Käfighaltung dieHygiene angeführt wird, sage ich Ihnen: Wir ignorierenHygieneprobleme nicht. Aber der Tierschutz darf nichtden Kürzeren ziehen. Deshalb brauchen wir mehr For-schung auf dem Gebiet der alternativen Landwirtschaft.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne-ten der SPD)

Das geht natürlich nicht, wenn Sie die nötigen Mittel indiesem Bereich streichen, wie Sie es beim Institut für

ökologischen Landbau getan haben, das nun womöglichvor dem Aus steht.

(Ulrich Kelber [SPD]: Keine Angst!)

Wir dürfen die Menschen nicht für dumm verkaufen.

(Marlene Mortler [CDU/CSU]: Genau das ma-chen Sie aber! – Hans-Michael Goldmann[FDP]: Genau! Das machen Sie jetzt!)

Worum es wirklich geht, ist doch leicht zu durch-schauen: Die Käfighaltung soll nicht nur beibehalten,sondern wieder eingeführt werden.

(Marlene Mortler [CDU/CSU]: Sie lügen ja!)

Längere Übergangsfristen für Käfigbatterien sollen her,ganz im Sinne der EU-Richtlinie. Die Industrielobbywird sich bei Ihnen bedanken.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das ist wirklich nicht schön, was Sie da machen!)

Aber ich sage noch einmal: Käfigbatterien, egal ob mitoder ohne Mobiliar, gehören abgeschafft.

Das hat der Bundestag vor fünf Jahren beschlossen.Wir waren daran beteiligt. Kaputtgemacht wurde dieseRegelung auf Antrag einiger Bundesländer. Ab Januar2007 sollte ein Käfigverbot gelten. Wir unterstützen das.Dazu haben wir einen eigenen Antrag eingebracht.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Völliger Schwachsinn!)

Mit Einführung der neuen Käfigsysteme ist dieser Fort-schritt allerdings hinfällig.

Ich möchte kurz auf die Vorgeschichte eingehen. DasBundesverfassungsgericht hat die Käfighaltung zu Rechtschon im Jahr 1999 als nicht tiergerecht eingestuft.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne-ten der SPD)

Deshalb wurde die Hennenhaltungsverordnung außerKraft gesetzt. Dazu haben wir damals im Rechtsaus-schuss auch eine Anhörung durchgeführt.

Mein nächster Punkt. Da es auch um Wirtschaftspoli-tik geht – manchen Parteien geht es vielleicht nicht sosehr um den Tierschutz –,

(Marlene Mortler [CDU/CSU]: Das eine schließt das andere nicht aus!)

komme ich nun auf den Import von Eiern zu sprechen.Käfigeier werden nicht nur millionenfach importiert, siewerden auch millionenfach bei uns produziert.

Nun zum Thema Arbeitsplätze. In Deutschland wer-den in 849 Betrieben fast 29 Millionen Hühner in Käfi-gen gehalten. Das sind drei Viertel des gesamten Hüh-nerbestands. Was bedeutet das für die Hühner und für dieZahl der Arbeitsplätze? Zunächst zu den Hühnern. Ichwiederhole es: Kannibalismus, Fettleber, schwere Fuß-verletzungen und Knochenschwäche.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ach Gott!Jetzt geht das wieder los! – Marlene Mortler[CDU/CSU]: Wo bleibt die Praxis?)

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Eva Bulling-Schröter

Wir meinen, das ist nicht im Sinne des verfassungsmäßi-gen Staatsziels Tierschutz.

Für den Arbeitsmarkt bedeutet dies, dass über denDaumen gepeilt ein Beschäftigter auf 40 000 Hühner ineiner Legebatterie kommt.

(Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Wie viele sinddenn im vorgelagerten Bereich? – JuliaKlöckner [CDU/CSU]: Genau! Sagen Sie aucheinmal etwas zum vor- und nachgelagertenBereich!)

Rechnen Sie selbst aus, um wie wenige Arbeitsplätze esalso bei knapp 29 Millionen Käfighühnern geht. Hinzukommt: Es gibt keine regionale oder Kreislaufwirtschaft.Das Futter wird importiert. Die Ställe werden aus demAusland geliefert, weil sie dort billiger hergestellt wer-den können. Geschlachtet wird an einem anderen Ort.Für die Vermarktung sind die großen Unternehmen zu-ständig.

(Zuruf von der SPD: Informieren Sie sich doch erst einmal!)

Bei tiergerechter Haltung sieht das schon besseraus: Bioerzeugung führt wirklich zur Schaffung von Ar-beitsplätzen. 29 Millionen glückliche Hühner bedeuten4 800 glückliche Arbeitskräfte in den Hühnerbetrieben,eine Kreislaufwirtschaft in der Nahrungsmittelproduk-tion und eine Vermarktung unter Beachtung des Tier-und Umweltschutzes.

Umfragen haben ergeben, dass 80 Prozent der Men-schen das Ende der konventionellen Käfighaltung wol-len.

(Marlene Mortler [CDU/CSU]: Ja, ja! Darum kaufen sie wahrscheinlich auch die Eier!)

Wir haben hierzu einen Antrag eingebracht, mit dem wirnoch einmal an Sie appellieren: Unterstützen Sie, wasdie Mehrheit der Bevölkerung will! Wir fordern auch einVerbot der schöngeredeten Gruppenhaltung. Ohne Ver-bot, denke ich, machen Sie sich unglaubwürdig. Wir sindfür Innovation und für die Schaffung von Arbeitsplätzen.Artgerechte Legehennenhaltung sichert und schafft Ar-beitsplätze.

(Ulrich Kelber [SPD]: Was ist artgerecht?)

Werden Eier aus Boden-, Freiland- und Biohaltungangeboten, werden sie auch gekauft. Angebot und Nach-frage, ganz einfach. Wenn die Leute Eier aus Boden-,Freiland- und Biohaltung wollen, dann müssen die Tiereauch so gehalten werden. Wir haben es geschafft, dassseit 2004 auf den Verpackungen von Schaleneiern dieHaltungsform und der Erzeugercode stehen müssen.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sie haben bestimmt nichts geschafft!)

Doch auch wer Eiprodukte kauft, hat das Recht, zuerfahren, woher die Eier kommen. Den Konsumentinnenund Konsumenten wird vorenthalten, woher die Eier inKeksen, Nudeln, Kuchen usw. kommen. Ich meine, eswird Zeit, das zu ändern. In der Schweiz ist so eine Aus-

zeichnung schon möglich. Was in der Schweiz möglichist, muss auch bei uns möglich sein.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN – Hans-MichaelGoldmann [FDP]: Beim Frauenwahlrecht wa-ren wir aber schneller als die Schweiz!)

Tierschutz mit dem Einkaufskorb ist nur möglich,wenn sich der Verbraucher, wie es immer wieder ver-sprochen und gelobt wird, informieren kann. Mehr als50 Prozent der konsumierten Eier stecken in verarbeite-ten Lebensmitteln – ein enormes Tierschutzpotenzial,eine vertane Chance, wie wir meinen. Übrigens kommeninzwischen besonders viele Eier aus alternativer Erzeu-gung aus dem Ausland. 2005 stieg der Anteil der impor-tierten Bioeier bzw. der importierten Eier aus Bodenhal-tung sehr stark. Allerdings betrifft dies nur dieSchaleneier. Aus diesem Grund unterstützen wir den An-trag der Grünen.

Weil wir gerade bei Geflügel sind: Auf der ArcheNoah sind auch Wildvögel. Wir fordern ein Verbot derEinfuhr von Wildvögeln. Die EU ist der größte Absatz-markt: 8,8 Millionen Vögel wurden während der letztenzehn Jahre in die EU importiert. Das sind weit mehr alszwei Drittel des Umfangs des weltweiten Wildvogelhan-dels. Bis vor kurzem wurden jährlich über 1,7 MillionenWildvögel in die EU importiert. Deutschland war einwichtiges Abnehmerland. So paradox es klingt: Es wardie Vogelgrippe, die hier zur Rettung beitrug. Weilkranke Papageien in England daran starben, wurde dieEinfuhr letztes Jahr verboten. Bis zum Jahresende kön-nen so fast 4 Millionen Vögel gerettet werden. Denn mitdem legalen Handel geht auch der illegale Handel zu-rück.

Unzählige Vögel fallen unter das Washingtoner Ar-tenschutzabkommen. Allein, der Handel mit geschütztenTieren ist vollkommen außer Kontrolle geraten: FürPrachtfinken, Gimpel, Stare gibt es keinerlei Handels-kontrollen. Da wird gefangen und verkauft, was Flügelhat und womit man Geld machen kann. Nur1 500 Vogelarten, die international gehandelt werden,werden erfasst und unterliegen dem Washingtoner Ar-tenschutzabkommen. Gehandelt werden nachweisbarmehr als 2 600 Vogelarten.

Um Missverständnisse zu vermeiden: Dort, wo dieNatur geplündert wird, bleibt das Geld nicht. In Deutsch-land gibt es leider keinerlei Kontrolle der bzw. Statistiküber die Wildvogelhaltung. Der Handel läuft hauptsäch-lich über Zooläden, Inserate und, fatalerweise, immermehr über Tierbörsen. Ungefähr eine DreiviertelmillionZiervögel, geschützte und ungeschützte, sind in diesemJahr gehandelt worden. Ich meine, da muss dringend et-was getan werden.

Was bewirkt der Import von Vögeln in die EU? Alleinin Mittel- und Südamerika wird ein Drittel der dort ge-fangenen Papageien illegal gefangen. Übrigens sind dieExportländer von Wildvögeln hauptsächlich Entwick-lungsländer. Korruption und fehlende Infrastruktur ma-chen eine Kontrolle von Zahl, Art und Versand der Wild-vögel unmöglich. Aber wie wollen wir von Kontrolle

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Eva Bulling-Schröter

reden, wenn sie auch bei uns oft nicht funktioniert? Hiermuss wirklich etwas getan werden.

Jetzt ist meine Redezeit fast zu Ende.

(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Es reicht auch!)

– Ich sehe, Sie sind furchtbar traurig. – Ich hätte nochdas Thema Stopfleber und einige andere Dinge. –

(Peter Bleser [CDU/CSU]: Machen wir nächs-tes Jahr weiter!)

Aber da meine Redezeit dafür nicht mehr ausreicht – wirkönnen im nächsten Jahr darüber weiterdiskutieren –,bleibt mir abschließend nur noch zu sagen: Lassen Siesich Keule und Leber in diesem Jahr schmecken, viel-leicht sogar bei einem gemütlichen Picknick in der Kie-ler Bucht. Dort werden zurzeit TNT und Munition ent-sorgt. Die Wale leiden darunter. Ich denke, auch mitdiesem Thema sollten wir uns im nächsten Jahr sehr in-tensiv beschäftigen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Das Wort hat der Kollege Dr. Peter Jahr, CDU/CSU-

Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Peter Jahr (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im

Deutschen Bundestag diskutieren wir heute am letztenSitzungstag eines politisch anstrengenden Jahres in gro-ßen Redeblöcken über verschiedene Anträge. Auch zumThema Tierschutz gibt es heute, wie man nur unschwererkennen kann, einen wirklich großen Redeblock. Ichdenke, das ist auch gut so.

Obwohl die heutigen Themen sehr breit gefächert zusein scheinen, zieht sich das Thema Tierschutz wie einroter Faden durch alle Anträge. Deshalb gestatten Siemir am Anfang, ein paar allgemein gültige Bemerkun-gen zur politischen Einordnung des Tierschutzes in un-serer entwickelten Gesellschaft zu machen. Ich hoffe– das gilt insbesondere für Sie, meine Damen und Her-ren von der Opposition –, dass ein paar meiner Schluss-folgerungen und Leitlinien auch Ihre Zustimmung fin-den werden.

Erstens. Tierschutz ist wichtig. Dieses Thema ist keinRandthema mehr, sondern ist mittendrin in der Gesell-schaft. Ich bedanke mich an dieser Stelle ausdrücklichbei den Mitgliedern des Ausschusses für Ernährung,Landwirtschaft und Verbraucherschutz und bei der Bun-desregierung für die engagierten Diskussionen zu dieserProblematik. Sie wissen: Es gibt auch positive Beispiele;ich erinnere nur an den so genannten Robbenantrag.

Zweitens. Tierschutz ist unteilbar. Tierschutz ist glo-bal. Mit regionalen und nationalen Aktivitäten muss mansich stets global behaupten. Punktueller Tierschutzbringt wenig. Tierschutz findet in der Fläche statt.

(Peter Bleser [CDU/CSU]: Richtig!)

Durch punktuelle Einschränkungen, auch wenn sie gutgemeint sind, verlagert sich das jeweilige Problem nuran andere Orte, meist dorthin, wo wir überhaupt keinenpolitischen Einfluss mehr haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

In unserer gemeinsamen Welt ist der kleinste politi-sche Handlungsmaßstab nun einmal die EuropäischeUnion. Als Beispiel möchte ich das Thema Legehen-nenhaltung nennen. Natürlich können wir in Deutsch-land die Legehennenhaltung in Ställen generell verbietenund durch eine artgerechte Freilandhaltung ersetzen.Wie die aussieht, habe ich schon als Student gelernt: Art-gerechte Freilandhaltung von Hühnern bedeutet 100 bis150 Quadratmeter pro Henne. Die Eier dieser Hennenkönnte keiner mehr kaufen, weil sie schlicht und ergrei-fend zu teuer wären. Wir hätten zwar die glücklichstenHühner der Welt, aber auch die wenigsten. Wir hätten300 000 Arbeitsplätze vernichtet und hätten – was nochviel schlimmer wäre – die nicht tierartgerechte Hühner-haltung ins Ausland verlagert. Dort würde sie sich eta-blieren.

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist einfach falsch! Das wissen Sie doch!)

In diesem Sinne finde ich auch das Verhalten des Lan-des Rheinland-Pfalz, eine Normenkontrollklage gegendie Legehennenverordnung einzureichen, sehr irritie-rend. Staatsmännisch formuliert könnte man sagen: DasVerhalten des Landes ist wenig hilfreich und nicht ziel-führend. Bei aller Sympathie für die Eigenständigkeitder Länder – ich selber war zwölf Jahre lang Mitglied ei-nes Landesparlamentes – meine ich, sagen zu können:Das Verhalten von Rheinland-Pfalz ist unsolidarisch,

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: In ande-ren Bereichen macht Bayern das!)

vor allem gegenüber uns in der Regierungskoalition. Ichsehe vor allem zur SPD: Wir haben lange diskutiert undgerungen.

Ich möchte den Landwirten an dieser Stelle zusichern:Wir stehen zu der beschlossenen Legehennenverordnungohne Wenn und Aber.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Ich fordere die Geflügelhalter auf, die gesetzlichenGrundlagen auszuschöpfen und in die Zukunft zu inves-tieren. Jeder hat das Recht, zu klagen, aber niemand hatdas Recht, Arbeitsplätze zu vernichten.

(Beifall bei der CDU/CSU – Bärbel Höhn[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist jawirklich unverschämt!)

– Frau Höhn, ich nenne gleich einen Versöhnungsaspekt.

Drittens. Tierschutz ist nicht statisch. Tierschutz istimmer auf dem Weg. Das ist ein Trost für diejenigen, de-nen der Tierschutz noch nicht ausreicht, soll aber auchdenjenigen Mut machen, die vorangehen wollen.

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Dr. Peter Jahr

In diesem Zusammenhang möchte ich auf das ThemaSchächten zu sprechen kommen.

(Peter Bleser [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Als Tierschutzbeauftragter der CDU/CSU-Bundestags-fraktion möchte ich feststellen: Ich bin mit dem Urteildes Bundesverwaltungsgerichtes hochgradig unzufrie-den. Wir werden im Ausschuss noch darüber reden müs-sen. Ich denke, was das Schächten betrifft, sind wir aufdem Weg und noch nicht am Ziel angekommen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Auch Führen will gelernt sein. Wer zu langsam geht,wird überholt. Das gilt in jedem Politikbereich, also auchfür die Tierschutzpolitik. Michail Gorbatschow hat es1989 auf den Punkt gebracht: „Wer zu spät kommt, denbestraft das Leben“. Sehr richtig.

(Undine Kurth [Quedlinburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In allen Bereichen!)

– Das ist richtig. – Es gilt aber auch: Wer zu früh kommt,den bestraft das Leben auch. Anders formuliert: Führenheißt nicht, voranzurennen. Wer zu weit vorneweg geht,wird nicht mehr gesehen. Wer nicht mehr gesehen wird,wird nicht mehr ernst genommen. Noch schlimmer: Wersich zu weit von der Truppe entfernt, merkt gar nicht,wenn die Truppe abbiegt oder stehen bleibt.

Viertens. Beim Tierschutz soll das Tier und nicht derMensch im Mittelpunkt stehen. Immer wieder laufenwir in den Debatten über den Tierschutz Gefahr, denTierschutz zu vermenschlichen. Es gilt eben nicht derSatz: Wenn es dem Menschen gut geht, geht es auch demTier gut. Beim Tierschutz muss dieses Prinzip umge-kehrt werden. Es gab einmal einen schönen Werbe-spruch, durch den das auf den Punkt gebracht wurde:„Ist das Tier gesund, freut sich der Mensch.“ Wie kom-pliziert sich der Sachverhalt darstellt, haben wir in derAnhörung zur Haltung von Wildtieren im Zirkus ge-merkt. Über die Frage, was eigentlich tierartengerechtist, wurde von den Experten sehr sach- und fachkundig,aber auch sehr kontrovers diskutiert.

Fünftens. Der Verbraucher hat in der sozialenMarktwirtschaft einen entscheidenden Einfluss auf denTierschutz, weil er für die Nachfrage sorgt.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Jawohl!)

Die meisten Dinge, die uns tierschutzpolitisch überhauptnicht gefallen, haben oft einen wirtschaftlichen Hinter-grund. Beispiele dafür sind das grausame Töten vonHunden und Katzen für die Pelzgewinnung, das Erschla-gen von Robbenbabys und die Einfuhr von Wildvögeln.Das heißt aber im Umkehrschluss: Wenn es keinen Ver-braucher für diese Produkte gäbe, entfiele auch dieNachfrage und damit auch das Tierschutzdefizit.

(Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])

Es könnte so einfach sein, wenn wir auf Goethe hörenwürden: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut.“ Wirhaben in der Schule immer hinzugefügt: wenn er es dennöfter tut.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das war aber nicht mehr Goethe!)

– Der Nachsatz war von mir. Ich gestehe, dass das nichtmehr von Goethe war.

Das sind für mich die fünf Zielkoordinaten der Tier-schutzpolitik. Das Problem dabei ist: Um auf die aktuellentierschutzpolitischen Herausforderungen angemessen rea-gieren zu können, müssen alle fünf Zielkoordinaten be-achtet werden. Es genügt also nicht, das Problem nurzwei- oder dreidimensional widerzuspiegeln, sondern esmüssen fünf Dimensionen erfasst werden. Das ist jaschon fast höhere Mathematik.

Nun habe ich diese umfangreichen Vorbemerkungennicht gemacht, um die Tierschutzpolitik in den Höhen– manche sagen auch: in den Tiefen – der kompliziertentheoretischen Mathematik zu etablieren. Meine Damenund Herren von der Opposition, ich wollte Ihnen erklä-ren, worin der Hauptmangel Ihrer Anträge besteht. Mankann Ihnen aus tierschutzpolitischer Sicht nicht unter-stellen, dass Sie bei Ihren Anträgen keinen rationalenAnfangsverdacht hatten. Der Hauptmangel besteht aberdarin, dass die Problematik durch Ihre Anträge nur imein- oder zweidimensionalen Raum widergespiegeltwird und sie damit für die Praxis völlig untauglich sind.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das habe ich nicht verstanden!)

– Ich war bei der höheren Mathematik, Herr Kollege,und ich muss mich nun langsam auf das Niveau des Tier-schutzes zurückbewegen.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wiederhole das einmal für die eigene Partei!)

Nun zu den einzelnen Anträgen. Mit der Kennzeich-nungspflicht für verarbeitete Eier hat sich meine Kol-legin Klöckner umfangreich beschäftigt.

(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Das ist mir sehrnahe gegangen! – Hans-Michael Goldmann[FDP]: Wie viele Dimensionen hat sie denn?)

Als Tierschutzbeauftragter der CDU/CSU-Bundestags-fraktion erkenne ich das Recht des Verbrauchers auf eineangemessene Kennzeichnung der Produkte an, anderer-seits muss auch ein Grundvertrauen dafür vorhandensein, dass alle Produkte, die man kauft, den gesetzlichenNormen entsprechen. Mehr Information bedeutet nichtautomatisch auch bessere Information.

(Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Erste Dimension!)

Ich will nicht, dass jeder Verbraucher für jedes Pro-dukt ein Beipackbuch bekommt, das schwerer als dasProdukt selbst und dazu noch in den 25 Sprachen der EUabgefasst ist. Sächsisch habe ich vernachlässigt. Wennman Sächsisch auch noch erfassen würde, wären das26 Sprachen. Nicht einmal auf einem Straußenei wäredafür genügend Platz.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das Strau-ßenei bekommt einen Stempel!)

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Dr. Peter Jahr

Zweitens zu den Anträgen hinsichtlich der Legehen-nenhaltung. Wenn ich bei den Dimensionen bleibe,muss ich dazu sagen: Der Antrag der Grünen ist 2,5-di-mensional und der Antrag der Linken ist eindimensional.Deshalb lehnen wir sie schlicht und ergreifend ab.

(Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wie zählt ihr denn?)

Drittens zum Antrag „Tierschutzpolitik energischfortführen und weiterentwickeln“.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Fünf Dimensionen!)

Wir sind der Auffassung, dass wir genau das tun. Wirführen die Tierschutzpolitik im Rahmen der fünf Zielko-ordinaten energisch und zielgerichtet fort. Der Antrag istüberflüssig. Die Lösung aller wichtigen Probleme istentweder in aktueller Bearbeitung oder auf dem bestenWege bzw. bereits gefunden. Ich verweise hier auf dieBeschlussempfehlung des zuständigen Ausschusses.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ich dachte,man müsste Dimensionen anstreben! – Gegen-ruf der Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Der hat eine Nullrechnung, derhat gar keine Dimensionen!)

Viertens zum Antrag auf Verbot der Einfuhr vonWildvögeln. Das Anliegen stößt bei mir auf ein gewis-ses Verständnis, aber der Vorschlag ist vor allem recht-lich unausgewogen. Auch hier muss man die globali-sierte Welt berücksichtigen. Im Jahr 1997 wurdenaufgrund eines Vertragsverletzungsverfahrens der EU-Kommission gegen Deutschland nationale Einfuhrrege-lungen für nicht europäische Wildvögel gestrichen. Esgilt aber: Tierquälereien, die beim Fang, bei der Haltungund beim Transport auftreten, müssen konsequent be-kämpft werden.

Fünftens zum Antrag auf Verbot der Einfuhr vonHunde- und Katzenfellen. Das Anliegen ist verständ-lich. Handlungseinheit ist hier die Europäische Union.Inzwischen ist es die erklärte Absicht der EU, ein Verbotdes Imports von Hunde- und Katzenfellen in die EU zubeschließen. Lassen wir die Regierung arbeiten! Sie ar-beitet gut. Ich habe volles Vertrauen, dass sie dieses Pro-blem in der nächsten Zeit löst.

Gestatten Sie mir ein Schlusswort. Zum Jahresendeblicke ich auf ein Jahr als Tierschutzbeauftragter derCDU/CSU-Bundestagsfraktion zurück. Ich habe in mei-ner tierpolitischen Jungfernrede im Februar 2006 – da-mals noch unter Beifall von rechts und links; so steht esim Protokoll – gesagt:

Die Größe einer Nation lässt sich daran messen,wie sie ihre Tiere behandelt.

Dieses Zitat wird Gandhi zugeschrieben.

In der Advents- und Vorweihnachtszeit werden häufigGeschenke verteilt. Tun wir das doch auch an dieserStelle! Ich erinnere an den interfraktionellen Antrag zuden Robben.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege, auch ich hätte gerne ein Geschenk von

Ihnen.

(Heiterkeit im ganzen Hause)

Dr. Peter Jahr (CDU/CSU): Ich komme zum Schluss. – Wenn wir tierschutzpoliti-

sche Wünsche und Ansprüche mit der unmittelbaren Re-alität verbinden, gelingt es uns, gemeinsam sehr vielKonkretes für das Tier zu erreichen.

Ich wünsche Ihnen allen eine friedliche und gesegneteAdvents- und Weihnachtszeit.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Und den Tieren auch!)

Ich danke der Präsidentin für ihre Toleranz.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Das Wort hat die Kollegin Undine Kurth, Bündnis 90/

Die Grünen.

Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Minister! Meinelieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf denRängen! Wir reden hier über Tierschutz. In unserer Ge-sellschaft gibt es ein sehr zwiespältiges Verhältnis zumTier: Auf der einen Seite ist es von innigster Liebe, aufder anderen Seite von brutaler Ausbeutung gekennzeich-net.

Ich möchte nicht noch einmal auf das Thema Lege-hennenhaltung eingehen. Eines möchte ich Ihnen, FrauKlöckner, aber doch sagen: Auch ein so genanntes Nutz-tier ist ein Mitgeschöpf.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –Julia Klöckner [CDU/CSU]: Da bin ich IhrerMeinung!)

Man wird dem Thema Tierschutz in keiner Weise ge-recht, wenn man es lächerlich macht.

(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Ich mache esnicht lächerlich! Ich frage, was praktikabelist!)

– Ich hatte den Eindruck, dass Sie es lächerlich machen.

Ich frage mich, ob Ihnen und uns allen in diesem Saalbewusst ist, dass es beim Thema Tierschutz auch umpolitische Zuverlässigkeit bzw. um Politikverdrossen-heit geht.

(Peter Bleser [CDU/CSU]: Sie kennen Tiere doch nur aus dem Fernsehen!)

Anders ausgedrückt: Wir müssen darüber reden, warumheute leider so viele der politischen Klasse nicht mehr sorecht etwas Gutes zutrauen. Spätestens seit der Auf-nahme des Staatszieles des ethischen Tierschutzes insGrundgesetz wissen wir, für wie viele Menschen der

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Undine Kurth (Quedlinburg)

Tierschutz ein ganz wichtiges, emotionales Thema ist.Im Jahr 2002, vor der Bundestagswahl, haben Sie alledas akzeptiert und haben für die Aufnahme ins Grundge-setz gestimmt.

(Peter Bleser [CDU/CSU]: Was hat es denn gebracht?)

Und was kommt nun? Wir müssen mit Fug und Rechtdavon ausgehen, dass all diejenigen, denen wir mit die-ser Entscheidung versprochen haben, etwas für den Tier-schutz zu tun, nun von uns erwarten, dass in diesem Be-reich etwas passiert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein Gesetz hat, wenn wir nicht für seine Umsetzung sor-gen, keinen Nutzen. Darüber hinaus – da werden Sie allesicherlich meiner Meinung sein – schadet es auch demRechtsverständnis unserer Gesellschaft.

Man muss sagen: Das Markanteste, was im letztenJahr beim Thema Tierschutz in den Köpfen gebliebenist, ist leider die Verlängerung der Käfighaltung durchdie Hintertür.

(Peter Bleser [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)

– Ich sage, das war das Markanteste. Ich möchte die Er-folge, zum Beispiel bei den Robbenfellen – Bärbel Höhnhat davon gesprochen –, nicht in Abrede stellen.

Ich freue mich über jeden einzelnen Fortschritt; dennjede einzelne Verbesserung für jedes einzelne Tier istwichtig. Das täuscht aber nicht darüber hinweg, dassnoch vieles dringend zu tun ist. Ihnen, Herr Minister,und der Bundesregierung fehlt offensichtlich die Hand-lungsbereitschaft. Diese Anmerkung ist nicht nur imHinblick auf Minister Seehofer, der immer als Erster an-gesprochen wird, wichtig; das ist auch eine Frage für dasJustizministerium, für das Wirtschaftsministerium undfür das Innenministerium. Offensichtlich muss man nocheinmal darauf hinweisen, dass Tierschutz eine Quer-schnittsaufgabe ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Damit komme ich zu unseren Anträgen. Das ersteBeispiel ist das Verbot der Einfuhr von Wildvögeln.Der Inhalt dieses Antrags ist schon mehrfach zur Spra-che gekommen. Dabei geht es zunächst um das großeProblem der Tierquälerei. Denn die 1,76 Millionen im-portierten Vögel bedürfen eines Fangs von 3,5 MillionenTieren, weil die Hälfte der gefangenen Vögel schon imUrsprungsland stirbt. Insofern ist das sowohl ein Tier-schutzproblem als auch ein Artenschutzproblem. Auf dieZusammenhänge mit der Vogelgrippe ist bereits hinge-wiesen worden.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Dann sind wir uns doch einig!)

– Wir sind uns einig. Das freut uns auch. Ich hätte es fastvergessen, Herr Goldmann: Ich wollte mich bei Ihnenfür Ihre sehr sachliche und argumentative Rede bedan-

ken. Das war nach der Rede Ihrer Vorgängerin wohl-tuend.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Trotzdem war die Koalition nicht in der Lage, diesenAntrag zu befürworten. Wir sollten nicht mehr über dasEngagement der Bundesrepublik beim weltweiten Bio-diversitätsschutz reden, wenn wir nicht einmal bei einerso klaren Faktenlage imstande sind, zu handeln.

Das zweite Beispiel ist das Verbot der Einfuhr vonKatzen- und Hundefellen. Es wäre zu wünschen, dasssich die SPD als Tierschutzpartei profiliert und dem An-trag zustimmt. Denn es gibt genug Belege dafür, wiebrutal die Bedingungen sind, unter denen die Tiere ge-halten und getötet werden. Es gehören sehr gute Nervendazu, sich diese Bilder anzusehen.

Wir haben nichts weniger gewollt, als dass die Bundes-republik dem Beispiel anderer Staaten folgt und ein Ver-bot der Einfuhr von Hunde- und Katzenfellen und -häutenerlässt. Wir wollten eine Kennzeichnungspflicht für ver-arbeitete Pelze, damit die Verbraucher und Verbrauche-rinnen die Chance haben, sich gegen solche Produkte zuentscheiden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Im Mai dieses Jahres sind dem ParlamentarischenStaatssekretär Dr. Müller 130 000 Unterschriften für die-ses Anliegen übergeben worden. Es war aber wiederFehlanzeige. Sie verkriechen sich hinter der Aussage,dass eine EU-weite Regelung notwendig sei. Aber nachder EU kommt dann noch die WTO und irgendwannsind wir im intergalaktischen Raum.

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Im exorbitalen!)

Wann sind wir bereit, hier in diesem Land zu handeln?Es muss doch möglich sein, dass wir definieren, was indiesem Land für uns verbindlich gelten soll bzw. welcheNormen und Regelungen wir uns hier geben wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nehmen Sie die Wählerinnen und Wähler ein einzi-ges Mal so ernst wie die Vertreter der Landwirtschaftund der Wirtschaftslobby! Das wäre sehr hilfreich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Trauen Sie den Menschen in diesem Land Urteilsvermö-gen zu! Dann würde es Ihnen vielleicht auch leichter fal-len, endlich das notwendige Verbandsklagerecht fürTierschutzverbände einzuführen.

Es bleibt sehr viel zu tun. Der Handlungsbedarf reichtvom Schächten bis zu Tierversuchen. Das wissen wir. Esist bereits angesprochen worden. Der Sachverstand derTierschutzverbände würde Ihnen sicherlich dabei helfen,das Problem zu bewältigen. Dass sie sich bereits mit derFrage befasst haben, was im Rahmen der EU-Ratspräsi-dentschaft auf europäischer Ebene zu tun ist, geht aus ei-nem Memorandum hervor, das ich Ihnen, Herr Minister,gerne stellvertretend für andere Stellungnahmen der

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Tierschutzorganisationen übergeben möchte. Denn wirhaben einen großen Handlungsbedarf.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Nächster Redner ist der Kollege Christoph Pries von

der SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Christoph Pries (SPD): Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Ich freue mich, dass ich als Umweltpoliti-ker in der heutigen tierschutzpolitischen Debatte zumThema Artenschutz – genauer gesagt: zum Wildvogel-schutz – sprechen darf. Wir debattieren heute unter ande-rem über den Antrag der drei Oppositionsfraktionen, indem ein generelles Verbot des Imports von Wildvögelnauf EU-Ebene gefordert wird.

Wir werden diesen Antrag ablehnen, obwohl ich derAuffassung bin, dass die Meinungsunterschiede beimThema Wildvogelschutz insgesamt nur sehr gering sind.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Dann stellt doch Änderungsanträge!)

Der beste Beleg für diese Behauptung ist, dass die FDPund die Linke gemeinsam einen Antrag eingebracht ha-ben. Das ist sonst eher die Ausnahme, Herr Goldmann.

Ein weiterer Beleg ist, dass die Grünen, die jetzt einEU-Verbot des Imports von Wildvögeln unterstützen,erst nach dem Regierungswechsel 2005 ihre Meinungzur Umsetzbarkeit eines solchen Vorhabens geändert ha-ben. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,in der gesamten Zeit, als das Landwirtschafts- und dasUmweltministerium unter Ihrer Führung gestanden ha-ben, ist von Ihnen keine Initiative für ein Verbot des Im-ports von Wildvögeln ausgegangen. Ich verstehe Sie.Denn trotz aller Einigkeit im Grundsatz stellt sich dieUmsetzung eines EU-weiten Importverbotes als äußerstschwierig dar.

Worin besteht Übereinstimmung? Welche Problemegibt es? Wir alle wollen nicht, dass sich gefährlicheKrankheiten wie die Vogelgrippe über Wildvögelimportenach Europa ausbreiten. Wir alle wollen nicht, dassWildvögel auf dem Transport vom Ursprungsland nachEuropa qualvoll zugrunde gehen. Wir alle wollen auchnicht, dass zahlreiche Vogelarten durch die unkontrol-lierte Entnahme von Wildfängen in ihrem Bestand ge-fährdet werden.

Das Problem ist die konkrete Umsetzung. Ich möchtedrei Aspekte ansprechen.

Erstens. Die Forderung nach einem generellen Ein-fuhrverbot ist mit der Konvention über die biologischeVielfalt nicht vereinbar. Die Grundsätze der Konventionverwehren den Ursprungsländern den Verkauf von Wild-tieren so lange nicht, wie dieser nachhaltig ist und sicham Vorsorgeprinzip orientiert.

Zweitens. Ein nationales Besitz- und Vermarktungs-verbot im Hinblick auf alle Wildvögel, wie es im vorlie-genden Antrag gefordert wird, verstößt gegen geltendesEU-Recht.

Drittens. Auf der Ebene der Europäischen Union gabund gibt es keine Mehrheit für ein generelles Verbot derEinfuhr von Wildvögeln.

Es gibt darüber hinaus einen aktuellen Anlass, warumwir den Antrag ablehnen. Die Bundesregierung hat sichauf EU-Ebene sowohl im Rat der Agrarminister als auchim Rat der Umweltminister dafür eingesetzt, dass aufwissenschaftlicher Grundlage geprüft wird, ob und wieeine Verbesserung im Bereich des Wildvogelhandels er-reicht werden kann. Im Auftrag der EU-Kommission hatdie Europäische Behörde für LebensmittelsicherheitEnde Oktober dieses Jahres entsprechende Empfehlun-gen ausgesprochen. Diese Empfehlungen sind inzwi-schen in eine Entscheidungsvorlage der EU-Kommis-sion zur Neuregelung der Bestimmungen für den Importvon Wildvögeln eingeflossen, die spätestens im Frühjahr2007 verabschiedet werden soll. Bis dahin gilt das EU-weite Importverbot. Die geplante Neuregelung wird zueiner deutlichen Einschränkung der Wildvogelimporte indie EU führen. Das ist ein wichtiger Beitrag zum Arten-schutz in den Ursprungsländern sowie zur Tiergesund-heit und zum Tierschutz.

Was sieht die Beschlussvorlage der Kommission zumWildvogelhandel vor?

Erstens. Der Handel mit Wildvögeln wird auf Zucht-tiere beschränkt. Wildfänge dürfen in Zukunft nichtmehr in die EU eingeführt werden. Gerade das Verbotdes Imports von Wildfängen ist meiner Ansicht nach einwesentlicher Fortschritt für den Artenschutz. Ich würdemich freuen, wenn dieser Ansatz auch bei anderen Tier-arten, insbesondere bei Fischen und Reptilien, weiterver-folgt würde.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])

Bedauerlich ist, dass die EU-Kommission dieses Verbotallein auf seuchenrechtliche Grundlagen gestützt hat.Als Umweltpolitiker hätte ich mir hier eine stärkere Be-tonung artenschutzrechtlicher und artenschutzpolitischerAspekte gewünscht.

Zweitens. Die nachgezüchteten Wildvögel dürfen nuraus zugelassenen Zuchtstationen in sicheren Drittländernimportiert werden. Sichere Drittländer sind diejenigenStaaten, aus denen auch Geflügel und Eier in die EU ein-geführt werden dürfen. Aktuell sind dies Australien,Neuseeland, Teile von Brasilien, Chile, die USA, Ka-nada, Israel, Kroatien und die Schweiz.

Drittens. Andere Länder können die Aufnahme in dieListe der zugelassenen Exportländer beantragen. DieseLänder müssen allerdings strenge Auflagen bezüglichder Tiergesundheit, der Bauweise der Zuchtstationen,der kontinuierlichen tierärztlichen Überwachung und derDokumentation erfüllen.

Viertens. Durch Fußringe oder die Implantierung vonMikrochips sowie eine entsprechende Dokumentation

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wird in Zukunft eine individuelle Identifizierung derZuchtvögel gewährleistet. So soll sichergestellt werden,dass zwischen Wildfängen und Nachzuchten unterschie-den werden kann.

Ich bin mir durchaus bewusst, dass sich die Natur-und Tierschutzverbände eine weiter gehende Regelunggewünscht hätten. Dennoch bin ich der Auffassung, dasseine europaweite Lösung, die mit internationalem Rechtvereinbar ist, einen ersten, aber wichtigen Fortschrittbeim Artenschutz, im Bereich des Tierschutzes und beider Bekämpfung der Vogelgrippe darstellt.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und wün-sche Ihnen ein frohes Fest. Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Christel

Happach-Kasan, FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Tiere sind Mitgeschöpfe. Sie sind keine Objekte. Wirtragen Verantwortung insbesondere für die Tiere, die inunserer Obhut sind. Aus diesem Grunde meine ich, dassTiere nicht auf den weihnachtlichen Gabentisch gehören.Wir haben für sie Verantwortung und dürfen sie nichtwie Sachen verschenken. Vielmehr müssen wir dafürsorgen, dass es ihnen gut geht.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Auch aus diesem Grunde hatte sich die FDP – lange undinzwischen erfolgreich – für die Aufnahme des Tier-schutzes in die Verfassung eingesetzt.

Der Tierschutz ist unteilbar. Um jeden Quadratzenti-meter mehr Platz für Hühner wurde hier gekämpft. Dashat die bisherige Debatte hauptsächlich bestimmt. Aberwie verhält es sich mit anderen Tieren? Zum Beispiel er-laubt die EU-Ökoverordnung die Anbindehaltung vonKühen bis 2010. Ist das eine tiergerechte Haltung vonintelligenten Tieren wie beispielsweise Rindern? Wurdenicht im Jahre 2003 die Anbindehaltung insbesonderevon Pferden verboten? Warum nicht auch bei Rindern?Warum, Frau Kollegin Bulling-Schröter, machen Sienicht auch einmal Tierschutz vor Ihrer Haustür? DasGanze ist insbesondere in Bayern ein Problem.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD)

Der bayerische Minister Miller kämpft dafür, dass dieAnbindehaltung von Kühen beibehalten wird. Wir, HerrMinister Seehofer, fordern Sie auf, dies nicht zuzulas-sen; denn dies widerspricht dem Tierschutzgedanken.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE] – Dr. WilhelmPriesmeier [SPD]: Da haben Sie Recht!)

Tierschutz ist unteilbar. Das heißt, artgerechte Tier-haltung ist sehr viel mehr, als nur über den Platzanspruchvon Tieren zu sprechen. Eine art- und rassengerechteErnährung ist Voraussetzung für das Wohlbefinden vonTieren. Wir alle wissen, beide, Dackel und Bernhardiner,sind Hunderassen. Gleichwohl wissen wir auch, die Fut-terportionen für den Dackel lassen den Bernhardiner ver-hungern. Das leuchtet unmittelbar ein. Sehr ähnlich er-geht es Tieren von Hochleistungsrassen, Hühnern oderKühen, wenn sie nach den Regelungen von Ökoverord-nungen gefüttert werden. Für die Biomast – das müssenwir anerkennen – sind deshalb nur langsam wachsendeTierrassen geeignet und nur diese dürfen dort gehaltenwerden.

(Gustav Herzog [SPD]: Es ist blanke Ideolo-gie, was Sie verbreiten!)

– Wenn Sie eine Frage stellen wollen, Herr KollegeHerzog, dann tun Sie das. – Schnell wachsende Tierras-sen müssen entsprechend ihrem Nahrungsbedarf gefüt-tert werden. Alles andere ist Tierquälerei. Ansonsten ha-ben wir Mortalitätsraten zwischen 30 und 50 Prozent,was dem Tierschutz widerspricht.

(Beifall bei der FDP)

Der Energiegehalt sowie der Gehalt an Aminosäurenim Futter von Schweinen und Geflügel müssen bedarfs-gerecht sein. Deshalb ist es nicht entscheidend, ob Me-thionin von gentechnisch veränderten Organismenstammt, sondern es ist entscheidend, dass die Methionin-versorgung ausreichend ist; denn Tierschutz hat Prioritätund nicht die Bekämpfung der Gentechnik.

(Beifall bei der FDP)

Es ist völlig überzogen, wenn unter dem Deckmanteldes Umweltschutzes für bekannte und sichere chemischeStoffe komplizierte Prüfverfahren mit aufwendigenTierversuchen gefordert werden, ohne dass ernsthafteRisiken abgeklärt werden müssen. Tiere leiden, aber einGewinn an Sicherheit wird nicht erzielt. Tierversuchesind nur dann gerechtfertigt, wenn es um die biologi-schen Leistungen eines ganzen Organismus geht.

(Beifall bei der FDP)

Impfen statt Töten ist ein Gebot des Tierschutzes. ImZuge der Bekämpfung der Vogelgrippe sind bis jetzt200 Millionen Tiere getötet worden. In Südkorea warenes in der vergangenen Woche 700 000 Tiere. Das erneuteAuftreten dieses Virus erinnert daran, dass wir nochlange mit der Vogelgrippe zu rechnen haben und dass dieEntwicklung eines Markerimpfstoffes vordringlich ist,damit wir vorbeugend impfen können.

(Beifall bei der FDP)

In Kassel-Witzenhausen wurde vor wenigen Monatendas Fachgebiet „Biologisch-dynamische Landwirt-schaft“ ins Leben gerufen. Kaum ist die vormalige FDP-Wissenschaftsministerin Ruth Wagner nicht mehr imAmt, wird dort biologisch-dynamischer Schabernack ge-trieben. „Erleuchtung durch die Gurke“ titelte der „Spie-gel“ seinen Bericht über den Fachbereich.

(Zuruf von der FDP: Das ist ja unerhört!)

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7431

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Dr. Christel Happach-Kasan

Mehr Tierschutz erreichen wir nur

(Ulrich Kelber [SPD]: Durch ideologiefreie Rede im Bundestag!)

durch seriöse Agrarforschung, aber nicht durch Vergra-ben von Kuhhörnern zum Beispiel im Acker. Deswegenfordere ich Sie auf, solchen Spuk zu beenden.

(Beifall bei der FDP – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist die letzteDebatte über den Tierschutz vor Weihnachten. Ich wün-sche Ihnen frohe Festtage.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP – Ulrich Kelber [SPD]:Die ganze Rede von Herrn Goldmann entwer-tet!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Hans-Heinrich

Jordan, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Hans-Heinrich Jordan (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Bei einemGespräch fragte mich vorhin ein Kollege etwas blauäu-gig: Warum wird diese Diskussion heute und nicht zuOstern geführt?

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wegen der Weihnachtsgans!)

Ich muss ehrlich sagen: Nach dem, was ich von FrauHöhn gehört habe, hätte ich mir diese Debatte auch lie-ber zu Ostern gewünscht; denn dann hätte Frau Höhnbereits gewusst, dass wir zum 1. Januar 2007 einige Ver-änderungen im Bereich der Batteriekäfighaltung vorge-nommen haben und dass bereits einiges auf dem Weg ist.

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Verschlechterungen!)

Frau Höhn, es verbindet uns ja aber einiges mehr als dasvon mir eben Dargestellte.

Die heute anstehenden Vorlagen sind ein Ergebnis ei-ner langwierigen politischen Diskussion, die von ideolo-gischen Vorurteilen, wissenschaftlichen Erkenntnissenund vielen anderen Einsichten und Standpunkten geprägtist. Da kommen wir vielleicht zu dem, was uns eint,nämlich das Geschöpf in der Schöpfung zu ehren. Das inArt. 20 a des Grundgesetzes festgelegte Staatsziel istunsere gemeinsame Richtschnur, Frau Höhn. Unsere Ge-sellschaft steht in der Verantwortung, die Vielfalt in un-serer Flora und Fauna zu schützen und zu erhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU – Lutz Heilmann [DIE LINKE]: Dann tun Sie das auch mal!)

Dabei geht es nicht zuletzt darum, dass der Tierschutzseine Voraussetzungen in der Gesundheit und in demWohlbefinden unserer Tiere finden muss.

Seit langem gilt das Wort: Gesundheit ist nichts, aberohne Gesundheit ist alles nichts.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Dies gilt nicht nur für den Menschen, sondern vor allemauch für die von uns gehaltenen Tiere. Deshalb ist die imFrühjahr beschlossene Rechtsnorm zur Legehennenhal-tung in Kleingruppen ein wesentlicher Fortschritt imVergleich zur Käfighaltung. Unsere deutsche Norm liegtbei weitem über dem Standard der EU-Mindestanforde-rungen.

Tierschutz im Rahmen der Nutztierhaltung ist ab Ja-nuar 2007 ein wesentlicher Maßstab für die Gewährungvon Beihilfen an landwirtschaftliche Betriebe. Sie istGegenstand von Cross-Compliance-Kontrollen. Tierge-sundheit ist die ausschlaggebende Größe für Leistungenvon Tierbeständen und fordert als Maßstab eine artge-rechte und durch Wissenschaft begründete Haltung. Diesdarf und kann kein Tummelplatz von Ideologie und Ver-klärung sein.

Mit der ab Januar 2007 gültigen Rechtsnorm zur Le-gehennenhaltung hat der Gesetzgeber Voraussetzungengeschaffen, dass durch die Sicherung der Wettbewerbs-fähigkeit mehr als 40 000 Arbeitsplätze bestandssichererwerden. Die Übergangsfrist von zwei Jahren, die dieUmrüstung bestehender Anlagen ermöglicht, bietet dieChance, dem hohen Wettbewerbsdruck durch ausländi-sche, günstiger gestellte Anbieter auf dem europäischenMarkt standzuhalten. Wir wollen nicht durch neue For-derungen Gefahren für Standorte heraufbeschwören. Eskann nicht rechtens sein, nach planwirtschaftlichenMaßstäben Betriebsformen, Betriebsgrößen oder gar Ar-beitsplatzzahlen gesetzlich zu normieren. Wir habenVielfalt nicht nur in der Natur zu fördern, sondern auchin der Volkswirtschaft und in der Gesellschaft. DerartigeVorgaben sind nicht frei von Ideologie und ziehen unver-antwortliche Bürokratie nach sich.

Aus den Erfahrungen des letzten Winters mit der Vo-gelgrippe wird deutlich, dass ein sehr unterschiedlichesGefahrenpotenzial in den verschiedenen Haltungsfor-men steckt. Unbestritten ist derzeit, dass auch deutlichnegative Aspekte bei der Freiland- und Bodenhaltungauftreten.

(Peter Bleser [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

In Form von Kannibalismus und durch höheren Infek-tionsdruck werden sie von Wissenschaft und Praxisnachgewiesen, zuletzt von der Hochschule für tierärztli-che Wissenschaften in Hannover.

Der mühsam errungene Kompromiss bei der Klein-voliere ist eine Alternative zur Tierhaltung in Großbe-ständen von bis zu 6 000 Stück in einer Gruppe bei derFreiland- und Bodenhaltung.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Kleine Gruppen von bis zu 30 oder 60 Stück in Volierensind gesundheitlich wesentlich weniger belastet. Das be-deutet geringeren Einsatz von Pharmaka und eine höhereLeistung.

7432 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

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Dr. Hans-Heinrich Jordan

Das viel gelobte System der Schweiz zeigt, dass dortnur 50 Prozent des Eigenverbrauchs hochsubventioniertproduziert werden und der Rest aus sonstiger Haltungaus dem Ausland kommt.

(Kurt Segner [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Schweden war eines der ersten Länder mit Käfighal-tungsverbot und machte nun eine Kehrtwendung von180 Grad auf die EU-Norm zu.

Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht: Die Klein-gruppe ist aus tierphysiologischer und tierpsychischerSicht weniger stressbelastet.

Aus den genannten Gründen halte ich es für Wettbe-werbsverzerrung und irreführend, Eier und Eiprodukteaufgrund der Haltungsform qualitativ zu differenzieren.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das stimmt!)

Sie mögen schmunzeln: Ei ist Ei, ohne wissenschaftlichbegründbaren herkunftsbezogenen Unterschied

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Millionen Hausfrauen wissen, dass dasfalsch ist!)

– das ist vielleicht aus Ihrer Sicht so – in der biologi-schen Zusammensetzung und ernährungsphysiologi-schen Qualität.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssten mal Kuchen backen!)

Wir stehen unzweideutig zum Verbraucherschutz. Dasbeinhaltet auch den Schutz vor Manipulation und Irre-führung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Gesunde Tiere bringen gesunde Produkte und Tiere mitWohlbefinden bringen hohe Leistung; Sie wissen das,Herr Goldmann.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in der Not-wendigkeit des Kampfes gegen Bürokratie sind wir unsalle einig. Ich kann mir praktisch nicht vorstellen, wiebis zum letzten Produkt ein Nachweis der Haltungsformmachbar sein soll.

(Undine Kurth [Quedlinburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie beim Rindfleisch! Dageht es auch!)

Dies geht nur mit einem Höchstmaß an Belastung fürden Erzeuger und für den Verbraucher. Deshalb kannman der Vorlage der Grünen zur Kennzeichnung von Ei-produkten keinesfalls zustimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Werte Kolleginnen und Kollegen, zum wiederholtenMal hat die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen ei-nen Gesetzesantrag zum Einfuhrverbot von Katzen-und Hundefellen in den Deutschen Bundestag einge-bracht. Es ist völlig unstrittig, dass in dieser Angelegen-

heit politischer Handlungsbedarf besteht. Die Europäi-sche Kommission hat vor mehr als einem halben Jahrangekündigt, bis zum Jahresende ein EU-Importverbotvon Katzen- und Hundefellen umzusetzen. Dies ist ein-deutig ein weiter gehender Schritt, weil er die Chancebietet, dass das Problem europaweit geregelt wird. DieCDU/CSU-Fraktion unterstützt diese europäische Initia-tive.

Die Kommission hat am 20. November 2006 den Im-port- und Exportverkauf sowie das Verkaufsverbot vonKatzen- und Hundefellen für die EU als Verordnung aufden Weg gebracht.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Weil Däne-mark es schon hatte! Das war der Grund!)

– Das ist doch positiv. – Dieses Vorgehen ist effizientund richtig. Schon jetzt zeigen die Unterschiede – das istdas, was uns unterscheidet, Herr Goldmann – in den ein-zelstaatlichen Verboten eine Störung des europäischenBinnenmarktes. Mit einem einheitlichen EU-Verbot derVermarktung und des Handels mit Katzen- und Hunde-fellen werden wir eine eindeutige Rechtslage und glei-che Bedingungen in der Gemeinschaft schaffen sowieunnötige Hindernisse im Binnenmarkt beseitigen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Da wir einmal dabei sind, Herr Goldmann, noch einWort an die Adresse der FDP, die den Antrag der Grünenja unterstützt. Sie pflegen das Bild, Weltmeister imBürokratieabbau zu sein. Wie oft wurde uns hier vor-geworfen, wir würden mit der Umsetzung von EU-Richtlinien die Bürokratie noch weiter aufblühen lassen.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ja!)

Ein von Ihnen gefordertes bzw. unterstütztes nationalesGesetz zum Einfuhrverbot von Katzen- und Hundefel-len, welches in naher Zukunft ein Gesetz der EU nursubstituieren würde, bedeutet ein Vielfaches mehr anBürokratie.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die CDU/CSU-Fraktion ist angesichts der breiten Über-einstimmung über alle Parteigrenzen hinweg sehr zuver-sichtlich, dass das Europäische Parlament und der Ratdem entsprechenden Verordnungsentwurf zügig zustim-men werden.

Sehr geehrte Damen und Herren, auch unter Würdi-gung der Aspekte des Tierschutzes stimmen wir völligüberein, dass die Einfuhr von Wildvögeln aus Nicht-EU-Staaten uns zum Handeln zwingt. Die Gefahren derEinschleppung –

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege, schauen Sie bitte einmal auf die Uhr!

Dr. Hans-Heinrich Jordan (CDU/CSU): – ja, ein paar Sekunden noch – von Wildtierkrankhei-

ten stellen uns vor die Aufgabe, Maßnahmen einzuleiten.Wir sind sehr gut beraten, wenn wir auch hier den EU-Vorgaben und -Richtlinien folgen und die Initiative unddas gemeinsame Vorgehen seitens der EU unterstützen.

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Dr. Hans-Heinrich Jordan

Als Letztes wünsche ich Ihnen alles Gute für Weih-nachten, ein gesundes neues Jahr und gute Zusammenar-beit im Jahr 2007.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege

Dr. Wilhelm Priesmeier, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute wirdwieder deutlich: Tierschutz verbindet mehr, als er trennt.Unserer ethischen Verantwortung sind wir uns alle be-wusst. Das Ziel, das wir erreichen wollen, haben alle indiesem Hause fest im Blick; nur der Weg dorthin ist strit-tig. Es ist aber gut, dass man sich in einem Parlamentüber den Weg streitet; denn ein Streit bewirkt in der Re-gel einen vernünftigen Kompromiss.

Unter diesem Aspekt sehe ich auch die Regelungenim Bereich der Hennenhaltung. Wir haben unendlichlange gestritten. Eigentlich hätten wir schon viel frühereinen Kompromiss erreichen können. Natürlich gibt esauch Stimmen, die von einem Rückschritt sprechen.Aber ich glaube, mit unseren Regelungen liegt Deutsch-land immer noch erheblich über dem EU-Standard. An-gesichts anderer Produktionsbedingungen – Stichwort„Verbraucherschutz“ – ist die Herstellung von Eiproduk-ten bei uns weiterhin gesichert.

Dass die Versorgung deutscher Haushalte mit Eiernvon Hennen aus Bodenhaltung oder aus Freilandhaltunggewährleistet ist, ist aufgrund der gegenwärtigen Ent-wicklung unstrittig. Angesichts der jetzigen Vorgabenkann man davon ausgehen, dass für die etwa 30 Prozentder Hennen, die jetzt noch in den alten Käfigsystemengehalten werden, das ab 1. Januar 2007 nicht mehr derFall sein wird, weil diese Systeme ab diesem Zeitpunktverboten sind. Wir werden uns relativ schnell dem Zielnähern, 50 Prozent der Hennen in Bodenhaltung zu ha-ben.

Wenn wir uns die Entwicklung in diesem Bereich an-schauen, dann erkennen wir, dass von 1990 bis 2005 derHennenbestand in Deutschland von 53 Millionen auf36 Millionen gesunken ist. Das hat natürlich Gründe.Der Selbstversorgungsgrad hat sich in allen Bereichender Produktion von fast 100 Prozent auf 70 Prozent ver-ringert.

(Zuruf der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

– Frau Höfken, Sie können gerne eine Zwischenfragestellen. Aber ich möchte Sie bitten, ansonsten nicht da-zwischenzureden.

Wenn man nicht mehr in Deutschland produziert,dann muss man sich über die veränderten Bedingungenbei der Hygiene im Klaren sein. Wenn man sich im Rah-men des Baselineverfahrens zum Salmonellenmonito-ring die Länder anschaut, in denen produziert wird, dannmuss man feststellen, dass in diesen Ländern zwischen60 bis 80 Prozent aller Bestände hochgradig mit Salmo-nellen befallen sind.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: So ist es! –Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Das Problem haben wir hier aber auch!)

– Bei uns ist das auch ein Problem. – Aus dem Grundegilt es, die Bedingungen der Tierhaltung in allen Hal-tungssystemen im Hinblick auf die Gesundheit der Tierezu harmonisieren und die entsprechende Forschung vo-ranzutreiben.

Vom Bundesrat wurde ein Maßgabeschluss formu-liert; er wird von der Koalition unterstützt. Man kannhinterher zustimmen oder ablehnen. Dieser Beschlussbesagt, dass gerade die Forschung in diesem Bereichverstärkt werden muss. Das konnten wir zur Zeit der rot-grünen Regierung nicht umsetzen.

Man kann jetzt einen Grundsatzstreit führen. Ich habedazu an gleicher Stelle schon eine Bemerkung gemacht.Das Problem der einen Haltungsform ist die einge-schränkte Bewegungsfähigkeit durch die Drahtkäfige.Das Problem der anderen Haltungsform heißt Kopropha-gie, das bedeutet, dass Hühner ihre Ausscheidungenfressen. Damit gibt es in bestimmten Haltungsformenauch ganz spezifische Risiken und Erkrankungen. Daherist je nach Haltungssystem der Einsatz bestimmter Medi-kamente notwendig. Im Bereich der Boden- und Frei-landhaltung brauchen wir daneben ein extrem gutes Her-denmanagement.

Wenn man als einziges Kriterium für Tierschutz dieMortalität heranzieht, dann muss man Folgendes be-achten: In den jetzigen Haltungssystemen und unter kon-trollierten Bedingungen liegt die Mortalität bei 2 Pro-zent, in den konventionellen Systemen zwischen 6 und8 Prozent. Bei der Boden- und Freilandhaltung kann sieim Regelfall zwischen 12 und 18 Prozent betragen.

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kann!)

– Betragen kann und es auch tut. Schauen Sie sich dieVerlustzahlen an! Sie sind abhängig von der Größe unddem Management.

Wenn wir demnächst nur noch Hühner in Freilandhal-tung in Größenordnungen von bis zu 5 000 Hennen pro-duzieren wollen, soll das in Ordnung sein. Rechnen Siesich einmal die Zahl der Betriebe aus, die wir brauchen,um unter optimalen Managementbedingungen zu produ-zieren. Das wäre wünschenswert, ist aber nicht real.

Das System der Freilandhaltung oder auch der Bo-denhaltung bedingt natürlich einen erheblichen tier-schutzrelevanten Eingriff an dem jeweiligen Huhn. Dasheißt, ich muss dem Huhn einen Tastsinn rauben. Dieserist im Oberschnabel und im Unterschnabel beheimatet.Damit kann das Huhn Partikel in der Größenordnung

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Dr. Wilhelm Priesmeier

von 0,2 Millimeter sortieren. Das kann es, wenn ich sei-nen Schnabel gekürzt habe, nicht mehr. Dieses Schna-belkürzen ist in dem System, so wie es jetzt ausgestalte-tet ist, nachweislich nicht notwendig. Das heißt, dassunter diesen Voraussetzungen eine Abwägung vorzuneh-men ist, was tierschutzgerechter ist und in welcher Hal-tung Tiere in ihrer Empfindung besonders beeinträchtigtwerden. Ob die Möglichkeit des Flatterns gegeben seinmuss oder nicht, darüber streitet sich die Wissenschaftnatürlich weiterhin.

Wer sich zum Beispiel die Umweltbelastungen ver-schiedener Produktionsformen anschaut, erkennt ganzklar, dass es erhebliche Unterschiede gibt. Das hat natür-lich mit Genehmigungsprozeduren und -verfahren undauch damit zu tun, dass man nicht einfach von der Käfig-haltung auf die Bodenhaltung umstellen kann. Wer dasversucht, hat aufgrund emissionsschutzrechtlicher Be-stimmungen unter Umständen das große Problem, in ei-nem angemessenen Zeitraum eine Genehmigung dafürzu bekommen. Das ist unbestritten so. Dies ist und warin Nordrhein-Westfalen und in Niedersachsen so. Diesgilt auch für andere Bundesländer.

Aus diesem Grunde sollte man eine sorgfältige Abwä-gung vornehmen. Ich glaube, dass das in Form des ge-genwärtigen Kompromisses auch passiert ist.

Vergleichen wir einmal die Flächenvorgaben. Beimalten System ist pro Henne quasi eine Fläche eines DIN-A4-Blattes vorgesehen. Dieses System ist ab 2007 nurnoch aufgrund einer Übergangsregelung und mit der de-finitiven Erklärung darüber zu betreiben, was ich alsHühnerhalter bis 2008 tun will. Wenn ich dies nicht tue,muss ich die Hühnerhaltung aufgeben. Das ist zwingend;daran führt kein Weg vorbei. Im Hinblick auf die nor-male Bodenhaltung, bei der circa 800 Quadratzentimeterpro Huhn und pro Quadratmeter neun Hennen festgelegtworden sind, kann sich jeder Folgendes ausrechnen: Dassind pro Huhn etwa 1 100 Quadratzentimeter. Wenn ichdann im Rahmen von Bodenhaltungssystemen Etagen-systeme habe, liege ich bei 18 Hennen pro Quadratmeterpro Huhn bei einer Fläche von 555 Quadratzentimetern.Vergleicht man das mit dem alten System, sieht man,dass die Differenz nicht mehr allzu groß ist.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege, die vorhin von Ihnen erwähnte Kolle-

gin Höfken würde jetzt gerne eine Zwischenfrage stel-len.

Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): Gerne. Ich freue mich schon.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wilhelm, der ICE geht um 13.48 Uhr!)

Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich weiß, dass alle nach Hause wollen. – Nachdem

ich mir das alles angehört habe, möchte ich trotzdemfeststellen: Ich habe ein Plädoyer dafür gehört, dassmöglichst alles so bleibt, wie es einmal unter der Käfig-haltung war. Ich will Ihnen folgende Frage stellen: Sind

Sie mit mir der Auffassung, dass erstens die bisherigePolitik in diesem Bereich dazu geführt hat, dass der ge-samte Wirtschaftsbereich inzwischen nicht mehr in denHänden der bäuerlichen Geflügelhaltung ist, sondernausschließlich in den Händen einer Industrie mit sehrwenigen Arbeitsplätzen und höchster Konzentration imgewerblichen und industriellen Bereich, dass zweitensdie Verlustzahlen, die Sie erwähnen, zwar durchausmöglich sind, in gut geführten Betrieben aber nicht auf-treten, und dass es drittens gut wäre, wenn Sie dafür sor-gen würden, dass es in diesem Bereich intensive Res-sortforschung gibt, um zum Beispiel in der Züchtung zuerreichen, dass es im Sinne von umwelt- und tiergerech-ten Formen bessere Rassen gibt?

Ich denke aber auch an die Wettbewerbsfähigkeit.Es könnte ein deutlicher Wettbewerbsvorteil für die hei-mische Wirtschaft sein, tiergerecht zu produzieren, stattim Gegenzug – das tun Sie jetzt offensichtlich – ausge-staltete Käfige, die bei allen Berechnungen, die man an-stellen kann, überhaupt nicht mit der Käfighaltung inDrittländern wettbewerbsfähig sind, zur Norm zu ma-chen. Damit verspielen Sie einerseits den Tierschutz unddie Chance, die sich daraus bietet, und schädigen ande-rerseits den Wettbewerbsstandort.

Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): Frau Kollegin, Ihrer ersten Feststellung stimme ich

zu. Nennen Sie mir ein Land, in dem in entsprechenderGrößenordnung Eier produziert werden, wo das nicht soist und wo die Politik vor Ort eine entsprechende Ent-wicklung verhindert hat. Ich kenne keines. Das gilt so-wohl für die USA als auch für unsere benachbarten Län-der Holland und Belgien. Von idealen Strukturenträumen kann man.

Unter bestimmten Bedingungen kann man sich eigeneVermarktungssysteme schaffen, in denen man eine hö-here Wertschöpfung erzielen kann. Dann kann man auchmit kleineren Systemen zurechtkommen. Betriebe undUnternehmen aus dem ökologischen Bereich könnenMärkte schaffen, die vom Verbraucher honoriert werden.Wenn das geschieht, ist das sehr lobenswert. Das mussnachhaltig unterstützt werden.

Zur zweiten Frage. Sie haben gar nicht zugehört. Ichhabe gesagt, dass der Maßgabebeschluss die Vorgabeenthält – wenn Sie ihn gelesen hätten, wüssten Sie das –,bezüglich aller Systeme vermehrte Forschung zu betrei-ben. Diese Vorgabe wird ja auch zwingend umgesetzt.Fragen Sie doch den Herrn Minister. Er hat große An-strengungen unternommen, um die Forschung, insbeson-dere im Zusammenhang mit dem so genannten Tier-schutz-TÜV, voranzutreiben. Wir werden schauen, wiedas weitergeht. Ich freue mich schon auf die Ergebnisse.

(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Das werden wir ja sehen!)

Ich hoffe, dass wir diese Ergebnisse nach Europa tragenkönnen; denn ich halte das für ein System, das sich euro-paweit gut etablieren ließe.

(Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])

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Dr. Wilhelm Priesmeier

Zum dritten Punkt. Sie liegen mit Ihrer Vermutungfalsch. Ich glaube, dass es uns gelingen wird, die Sys-teme nicht als Gegensätze zu diskutieren. Wir müssendie wissenschaftliche Erkenntnis berücksichtigen unddürfen nicht emotional, aus dem Bauch heraus, diskutie-ren. Wir müssen Systeme auf der Basis von Indikatoren– was ist tierschutzgerecht und was ist weniger tier-schutzgerecht? – entwickeln. Wir müssen dafür sorgen,dass in Zukunft nur noch tierschutzgerechte Systeme zu-gelassen werden. Das ist Konsens und entspricht derAusrichtung des Maßgabebeschlusses; denn ab 2010wird es – das ist hervorragend – einen Tierschutz-TÜVgeben, ab 2012 wird es nur noch zugelassene Haltungs-systeme geben und ab 2020 überhaupt kein Systemmehr, das nicht zugelassen ist. Das ist ein Erfolg, mitdem wir in der EU an der Spitze stehen. Das werden Sie,Frau Kollegin, doch wohl nicht bezweifeln, oder?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – UlrikeHöfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Doch!)

Ich fahre mit meiner Rede fort, auch wenn der ICEdes Kollegen Goldmann um 13.13 Uhr abfährt. Das tutmir Leid.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: 13.48 Uhr! Mensch, hör auf!)

– Sie werden den Weihnachtsmann nicht verpassen, HerrKollege Goldmann, da bin ich mir ganz sicher.

Es gäbe sicherlich noch einiges zu bemerken, zumBeispiel zu dem Normenkontrollverfahren, das vonRheinland-Pfalz angestrebt wird. Das ist ein abstraktesVerfahren. Es bezieht sich nicht auf die Verankerung desTierschutzes als Staatsziel im Grundgesetz; in ihm wer-den zunächst Verfahrensmängel gerügt und es beziehtsich inhaltlich auf § 2 des Tierschutzgesetzes, der schonGrundlage des Urteils zur Hennenhaltung war. Das ist zuprüfen. Es ist jeder Landesregierung vorbehalten, einverfassungsrechtlich garantiertes Recht in Anspruch zunehmen. Aus Respekt vor unserem Grundgesetz übe ichdaran auch keine Kritik. Über den Zeitpunkt kann manzwar streiten, das lasse ich jetzt aber einmal dahinge-stellt.

In Rheinland-Pfalz werden immerhin 613 000 Hühnergehalten; sprich: 1,7 Prozent aller Hühner in Deutsch-land. 70 Prozent davon werden in Käfigen gehalten. An-gesichts dessen ist sicherlich noch einiges zu tun.

Wichtig ist mir vor allen Dingen Folgendes. Ichmöchte Sie bitten, ein bisschen aufmerksam zu sein. Vielevon Ihnen werden im Zusammenhang mit dem Urteil desBundesverwaltungsgerichts zum Schächten von hochmotivierten Bürgerinnen und Bürgern E-Mails erhalten ha-ben. Sie werden aber auch einige E-Mails erhalten haben– sie stehen im Zusammenhang mit einer Kampagne –, dieganz klar einen antisemitischen oder antiislamischenHintergrund haben. Davon sollten wir uns hier ganz klarund deutlich distanzieren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetender FDP und des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN)

Dieses Urteil ist zunächst einmal zu akzeptieren. Aufdie Begründung und auf die Auswertung müssen wir war-ten. Aber es ist nicht zweckdienlich, dieses Urteil zu in-strumentalisieren. Wenn es notwendig ist, werden wir diegesetzlichen Möglichkeiten im Rahmen des Tierschutz-gesetzes nutzen, um den Vorgang des Schächtens in einerArt und Weise zu regeln, die den Verfassungsnormenentspricht, aber natürlich auch den Normen, die wir übli-cherweise an den Umgang mit Tieren stellen. DiesesSpannungsfeld müssen wir mit einer entsprechenden Re-gelung lösen. Ich glaube, das wird uns gelingen.

Noch einmal eine kurze Bemerkung zu dem, über dashier heute Morgen schon diskutiert wurde: Wildtiere inZirkussen. Die Anhörung dazu haben wir bereits durch-geführt. Die Schlussfolgerungen daraus müssen noch ge-zogen werden. Bei über 1 000 Verstößen zwischen 2000und 2002 fordere ich, dass die Leitlinien zumindest ineine Verordnung umgewandelt werden, dass das Zirkus-register uns entsprechend schnell zur Verfügung gestelltwird und dass Zirkusse nur noch dann Wildtiere beher-bergen dürfen, wenn sie eine dauerhafte Betreuungdurch Fachtierärzte und damit entsprechende Standardsnachweisen. Für andere Verfahren, zum Beispiel Ersatz-vornahmen und Wegnahmen, müssen wir eine Regelungmit den Ländern finden. Ich glaube, dann können wirdiesen Bereich etwas beruhigen.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ja!)

Wie alle anderen, meine lieben Kolleginnen und Kol-legen, danke auch ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.All den guten Wünschen, die von den anderen Kollegen,die heute Morgen gesprochen haben, geäußert wurden,schließe ich mich an, vor allen Dingen denen in Bezugauf Weihnachten und Neujahr. Hinsichtlich der Ge-schenke, Frau Höhn, handhabe ich es wie folgt: Ich habemeinem Hund, sozusagen als Geschenk für die Tiere,schon vor einiger Zeit einen grünen Knochen geschenktund daran kaut er noch heute.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 16/3703 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungso beschlossen.

Tagesordnungspunkt 22 b. Wir kommen zur Be-schlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung,Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf Drucksache16/1463. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be-schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-tion Die Linke auf Drucksache 16/1128 mit dem Titel„Arbeitsplätze durch artgerechte Legehennenhaltung inDeutschland sichern – Verbot der Käfighaltung ab 2007durchsetzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Be-schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen

7436 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner

der SPD, CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der Grü-nen und Gegenstimmen der Linken angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehltder Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktiondes Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/839mit dem Titel „Verbot der Käfighaltung für Legehennenab 2007 beibehalten“. Wer stimmt für diese Beschluss-empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –Die Beschlussempfehlung ist ebenfalls mit den Stimmenvon SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen vonBündnis 90/Die Grünen und bei Enthaltung der FraktionDie Linke angenommen.

Tagesordnungspunkt 22 c. Beschlussempfehlung desAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-cherschutz auf Drucksache 16/1464 zu dem Antrag derFraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache16/550 mit dem Titel „Tierschutzpolitik energisch fort-führen und weiterentwickeln“. Der Ausschuss empfiehltin seiner Beschlussempfehlung, in Kenntnis des Tier-schutzberichtes 2005 auf Drucksache 15/5405, den An-trag abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – DieBeschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD,CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen der Fraktion desBündnisses 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linkeangenommen.

Tagesordnungspunkt 22 d. Der Ausschuss für Ernäh-rung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehltin seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2849die Ablehnung des Antrags der Fraktionen der FDP, DieLinke und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Druck-sache 16/1502 mit dem Titel „Verbot der Einfuhr vonWildvögeln“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Be-schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionbei Gegenstimmen der Opposition angenommen.

Tagesordnungspunkt 22 e. In seiner Beschlussemp-fehlung auf Drucksache 16/3079 empfiehlt der Aus-schuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucher-schutz die Ablehnung des Antrags der Fraktion desBündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/841 mitdem Titel „Einfuhrverbot für Katzen- und Hundefelle“.Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Werstimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-fehlung ist ebenfalls mit den Stimmen der Koalition beiGegenstimmen der Opposition angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 23 auf:

– Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus-schuss) zu dem Antrag der Bundesregierung

Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deut-scher Streitkräfte zur Unterstützung derÜberwachungsmission AMIS der Afrikani-schen Union (AU) in der Region Darfur/Sudanauf Grundlage der Resolutionen 1556 (2004)und 1564 (2004) des Sicherheitsrates der Ver-einten Nationen vom 30. Juli 2004 und 18. Sep-tember 2004

– Drucksachen 16/3652, 16/3845 –

Berichterstattung:Abgeordnete Eckart von Klaeden Gert Weisskirchen (Wiesloch)Marina Schuster Dr. Norman Paech Kerstin Müller (Köln)

– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)gemäß § 96 der Geschäftsordnung

– Drucksache 16/3846 –

Berichterstattung:Abgeordnete Herbert Frankenhauser Lothar Mark Jürgen Koppelin Michael Leutert Alexander Bonde

Ich weise darauf hin, dass wir über die Beschlussemp-fehlung später namentlich abstimmen werden.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine dreiviertel Stunde vorgesehen. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-gin Brunhilde Irber, SPD-Fraktion.

Brunhilde Irber (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die humanitäre Katastrophe im sudanesischenDarfur ist ein afrikanisches, aber auch ein weltpoliti-sches Armutszeugnis. Am vergangenen Dienstag hatKofi Annan in einer Dringlichkeitssitzung des UN-Menschenrechtsrates in Genf noch einmal dazu aufge-rufen, der Gewalt in Darfur endlich ein Ende zu setzen.Wir alle wissen: Es ist eigentlich schon fünf nach zwölf.Letzten Mittwoch hat der Menschenrechtsrat erstmalsseit seiner Gründung eine einstimmige Sudanresolutionverabschiedet, die der algerische Botschafter als Hoff-nung für Afrika bezeichnet hat. Danach wird eine hoch-rangige UN-Delegation die Lage vor Ort unabhängiguntersuchen und auf der vierten Sitzung des Menschen-rechtsrats im März 2007 Bericht erstatten. Wir habenuns freilich mehr von den Beratungen des Rates erwar-tet. Trotzdem müssen wir festhalten: Wenigstens dieschon lange geforderte Kommission wird installiert.

Es bleibt die Frage, ob Khartoum der Überleitung vonAMIS in eine VN-Mission – so wie es der VN-Sicher-heitsrat in seiner Resolution 1706 vorsieht – doch nochzustimmen wird. Derzeit steht ja auch eine „Hybrid-truppe“ aus UN und AU zur Diskussion. Immerhin istdas ein Schritt in die richtige Richtung.

Wir müssen uns heute aber mit dem beschäftigen, wasderzeit politisch möglich und praktisch vor Ort umsetz-bar ist: Das ist die Peacekeeping-Mission „AMIS“ derAfrikanischen Union, deren Verstärkung dringend gebo-ten ist. Seit dem Beschluss des Deutschen Bundestagesvom 3. Dezember 2004 beteiligt sich die Bundeswehr ander AU-Mission. Es geht dabei um logistische Hilfe undinsbesondere um den Lufttransport der AU-Soldaten.Unsere Soldaten leisten hervorragende Arbeit. Ihnengelten unser Respekt und unsere Anerkennung.

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Brunhilde Irber

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN)

Diese jetzt zur Entscheidung anstehende Unterstüt-zung der AU-Mission dürfte wohl kaum in der Kritikstehen. Sie ist die konsequente Fortsetzung des Einsatzesunter den gleichen völkerrechtlichen Bedingungen wiebisher. Der Einsatz von bis zu 200 Soldaten wird für ei-nen Zeitraum von sechs Monaten 800 000 Euro kosten.Wenn dieser bescheidene Beitrag dazu führt, dass derAuftrag der AU-Soldaten auch im Hinblick auf humani-täre Hilfsleistungen erfüllt werden kann, dann hat er sichgelohnt. Dass wir uns insgesamt eine in Wirkung undAusrüstung verbesserte AU-Mission wünschen, steht da-bei außer Frage. Ziel ist und bleibt es, den Friedenspro-zess im Sudan zu fördern.

Das Darfur Peace Agreement und die AU-Missionsind wichtige Bestandteile dieses Prozesses. Deshalbstimmt meine Fraktion dem vorliegenden Antrag zu. DieAU-Mission braucht unsere Unterstützung.

Im Kongo war es uns möglich, trotz aller Risiken da-bei zu helfen, den Start in eine hoffnungsvollere Zukunftzu wagen. Wir hoffen, dass dies auch im Sudan gelingt.Es bedarf allerdings enormer Kraftanstrengungen allerInteressengruppen, um für die Konfliktherde in den un-terschiedlichen Regionen tragfähige Lösungen zu erzie-len.

In der letzten Woche hatte ich im Sudan die Gelegen-heit, mit Vertretern aus Darfur und Khartoum zu spre-chen. Alle meine Gesprächspartner drückten ihre Hoff-nung aus, dass sich auch jene wieder am Dialogbeteiligen, die dem Darfur Peace Agreement bislangnicht zugestimmt haben.

Deutschland genießt im Sudan einen guten Ruf. Eswäre zu überlegen, ob die Bundesregierung im Rahmender EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands eine entspre-chende Initiative startet. Wir brauchen mehr diploma-tische Initiativen, um den Friedensprozess im Sudan zufördern. Viele Zahnräder müssen ineinander greifen, da-mit sich im Sudan stabile Verhältnisse entwickeln kön-nen. Die AU-Mission ist eines davon. Deshalb sollte derAntrag der Bundesregierung von einer großen Mehrheitdieses Hauses getragen werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU und des Abg. WinfriedNachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Nächste Rednerin ist die Kollegin Marina Schuster,

FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Marina Schuster (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Gleich vorweg: Meine Fraktion wird dem vorliegendenAntrag der Bundesregierung zustimmen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich bin der Meinung, die Situation vor Ort verpflichtetdazu. Frau Irber hat gerade ausgeführt, wie die Lage vorOrt ist. Die AU-Mission soll das Waffenstillstandsab-kommen überwachen. Aber es gibt keinen Waffenstill-stand, geschweige denn eine Entwaffnung. Vielmehrkommt es auf allen Seiten zu einer Bewaffnung. DieKonfliktlage ist unüberschaubar und es gibt kein wir-kungsvolles Darfur Peace Agreement.

Dass die AU nicht sehr stark sein kann, liegt sowohlam Mandat selbst als auch an seiner mangelhaften Aus-stattung. Heute schützt die AU die Region vor demfreien Fall. Aber sie wird in zunehmendem Maße auchselbst zum Ziel von Angriffen. Dabei handelt es sichauch um Angriffe verzweifelter Menschen, die sich nichtausreichend beschützt fühlen. Ich frage: Was bedeutetdas eigentlich sowohl für die Menschen vor Ort als auchfür uns im Hinblick auf das African-Ownership-Kon-zept, das gleich bei seiner ersten großen Bewährungs-probe Gefahr läuft, diskreditiert zu werden?

Wie dringend der Handlungsbedarf nicht nur deswe-gen ist, zeigt auch ein Blick in die Region. Denn amHorn von Afrika, in Somalia, droht zwischen der Über-gangsregierung und den islamischen Gerichtshöfen einStellvertreterkrieg von einem Ausmaß, das wir über-haupt noch nicht auf dem Schirm haben.

(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Sehr wahr!)

Ich war in der letzten Woche in Addis und kann Ihnenberichten.

Im Westen des Sudans greift der Darfurkonflikt längstauf den Tschad und auf die Zentralafrikanische Republiküber. Wir reden hier über nicht weniger als über die dro-hende Destabilisierung einer ganzen bedeutenden Re-gion.

In den Gesprächen, die ich im Rahmen der AfricanUnion in Addis geführt habe, wurde deutlich: Wir brau-chen einen regionalen Ansatz, wenn wir dort dauerhaftfür Stabilität sorgen wollen. Das zweite klare Votumwar: Neben der dringenden Herstellung der Sicherheitfür die Menschen brauchen wir ein Darfur Peace Agree-ment, das von allen Parteien getragen und implementiertwird.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Aber wie bringen wir die Verhandlungspartner wiederan einen Tisch? Wie will die Bundesregierung hier imRahmen ihrer Doppelpräsidentschaft tätig werden?Staatsminister Erler hat gestern im Auswärtigen Aus-schuss einen kenntnisreichen Bericht zur Lage in Darfurabgegeben. Aber im Kern lief dieser Bericht darauf hi-naus, dass Deutschland weder direkt auf Khartoum nochauf die Rebellengruppen entscheidenden direkten Ein-fluss ausüben kann. Aber was tut die Bundesregierungdann?

Die kritische Frage, die Herr Erler nicht beantwortethat, ist: Wie nehmen wir China in die Verantwortung?Denn China hat einen beachtlichen Einfluss auf Khar-toum. Bei meinem Besuch im Außenministerium in

7438 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

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Marina Schuster

Khartoum sagte man mir: „China is our friend for deca-des.“ Das ist für uns nicht neu: China deckt 9 Prozentseiner Ölimporte aus dem Sudan. China ist der größte In-vestor und versorgt die sudanesische Regierung mit De-visen, Personal, Krediten – und wohl auch direkt mitWaffen. Ich erwarte daher, dass die Bundesregierung inder Darfurfrage auf China direkt Einfluss nimmt.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten derSPD)

Welchen Einfluss möchte Deutschland nehmen, wennes darum geht, Druck auf die Konfliktparteien auszu-üben? Herr Jung, ich möchte wissen: Unterstützt dieBundesregierung den Vorschlag, eine Flugverbotszoneeinzurichten, um zu unterbinden, dass sudanesischeAntonows die eigenen Dörfer unter Feuer nehmen? Odersollte ich besser fragen, wer in der Bundesregierung die-sen Vorschlag unterstützt.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Erleben wir in dieser Frage erneut, wie bereits in derVergangenheit, komplett verschiedene Meinungen? Im„Morgenmagazin“ vom 28. November sagte der Vertei-digungsminister, dass sich deutsche Truppen einer Ver-antwortung nicht entziehen werden.

(Dirk Niebel [FDP]: Angebotspolitiker!)

Der Außenminister wurde in der „Frankfurter Rund-schau“ am gleichen Tag wie folgt zitiert:

Die Entsendung europäischer Kampftruppen in denDarfur sehe ich jedoch nicht: Dass nur sie das errei-chen können, was afrikanische Truppen bislangnicht geschafft haben, ist eine gefährliche und, wieich finde, auch arrogante Illusion.

(Beifall bei der FDP)

Ich frage angesichts dieser Statements: Was ist IhreStrategie? Einigkeit herrscht bei Ihnen nicht. Leiderherrscht auch international keine Einigkeit. Wenn wirheute mit Nachdruck ein entschlossenes Handeln der in-ternationalen Gemeinschaft fordern, dann weil hier nochnicht alles getan wurde, gerade politisch. Wir wissen na-türlich, dass es unter den P5 im Sicherheitsrat in den ent-scheidenden Fragen auch keinen Interessenausgleichgibt. Doch die unermessliche Katastrophe in Darfur ver-pflichtet uns alle an einem Strang zu ziehen, die wir unsauf die Achtung der Menschenwürde und das friedlicheZusammenleben der Völker verständigt haben.

Erlauben Sie mir am Ende zwei grundsätzliche Be-merkungen, die die langfristige Strategie betreffen. Ichbegrüße ausgesprochen, dass die Kanzlerin Afrika aufdie Agenda unserer G-8-Präsidentschaft gesetzt hat.Doch wie passt das zur Ausstattung unserer Botschaftenin Afrika? Wie sollen unsere Botschaftsangehörigen dieArbeit vor Ort leisten bei einer Personalausstattung, dievon den chinesischen Botschaften um ein Vielfachesübertroffen wird?

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen von Klaeden?

Marina Schuster (FDP): Gerne.

Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Frau Kollegin Schuster, Sie haben gerade ausgeführt,

wie sich Mitglieder der Bundesregierung zu einem Ein-satz in Darfur geäußert haben, und versucht, daraus ei-nen Widerspruch abzuleiten. Da würde mich interessie-ren, wie die Haltung der FDP dazu ist.

Marina Schuster (FDP): Ich danke ganz herzlich für Ihre Frage, weil sie mir

eine gute Gelegenheit gibt, darauf einzugehen. Die Sa-che ist die: Wir entscheiden heute über die Verlängerungdes Mandats zur Unterstützung von AMIS. Wenn dieBundesregierung einen Darfurantrag vorlegt, werden wirüber ihn in unserer Fraktion ausgiebig und ausführlichberaten.

(Gernot Erler [SPD]: Sehen Sie! Genau so ma-chen wir es auch!)

Doch eine solche Entscheidung steht jetzt nicht an.

(Beifall bei der FDP)

Der Punkt ist einfach der: Wir wollen nicht nacheifernmit einer Militärangebotspolitik. Wenn ein Antrag fürein entsprechendes Mandat vorliegt, werden wir weiter-sehen. Im Moment geht es aber darum, das AMIS-Man-dat um ein halbes Jahr zu verlängern. Ob wir uns daswünschen oder nicht, dieser Antrag liegt heute vor.

(Beifall bei der FDP)

Ich komme zur letzten grundsätzlichen Bemerkung.Welche Pläne hat die Bundesregierung für die langfris-tige Zusammenarbeit mit der AU beim direkten Aufbauder Strukturen in Addis? Ich meine, wir können im Be-reich der Ausbildung und auch durch Know-how-Trans-fer beim Aufbau der Strukturen vor Ort wichtige Arbeitleisten. Die langfristige, über AMIS hinausgehende Per-spektive liegt mir besonders am Herzen. Denn eine stra-tegische und konzertierte Afrikapolitik, die endlich AA,BMZ, BMVg und auch das BMWi stringent umfasst,fehlt bis heute – und diese sollte die Kanzlerin nichtHerrn Jung überlassen.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung,

Dr. Franz Josef Jung.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidi-gung:

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir bitten Sieheute um die Verlängerung des Einsatzes bewaffneter

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7439

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Bundesminister Dr. Franz Josef Jung

deutscher Streitkräfte zur Unterstützung der Überwa-chungsmission AMIS der Afrikanischen Union in Dar-fur/Sudan.

Frau Kollegin Schuster, Sie haben gerade ausgeführt,dass es zum Thema Afrika keine Strategie geben würde.Ich will Sie nur daran erinnern, dass wir in diesem Jahrvonseiten der Europäischen Union unter großer Beteili-gung deutscher Streitkräfte einen, wie ich finde, sehrwichtigen Beitrag zur Stabilisierung in Afrika geleistethaben, indem wir die Durchführung demokratischerWahlen im Kongo unterstützt haben. Unsere Soldatin-nen und Soldaten werden rechtzeitig zu Weihnachtenwieder nach Hause kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowiebei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN – Marina Schuster [FDP]: Das istkein Konzept! – Dr. Werner Hoyer [FDP]:Jetzt weiß ich, was Sie unter Strategie verste-hen!)

Das Mandat vom 17. November 2004 betreffend Dar-fur/Sudan sieht Lufttransport einschließlich Bewachungund Eigensicherung sowie Unterstützungskräfte mit ei-nem Personalumfang von maximal 200 Soldaten vor.Der Bundestag hatte am 25. Mai 2006 beschlossen, denEinsatz bis zum 2. Dezember 2006 fortzusetzen. DasBundeskabinett hat, wie Sie wissen, zwischenzeitlichentschieden, dass der Einsatz fortgesetzt werden soll.Heute kommt es darauf an, dass der Deutsche Bundestagdem zustimmt, um eine entsprechende Verlängerung zubewirken.

Teilweise ist nur wenig bekannt – ich habe zumindestdiesen Eindruck –, auf welche Art Unterstützung ge-leistet wird. Militärbeobachtung und Militärberatunghabe ich gerade schon angesprochen. Im Mai dieses Jah-res haben wir die Rotation eines gambischen Kontin-gents durchgeführt und haben im Dezember zusammenmit unseren französischen Freunden den Transport einessenegalesischen und eines weiteren gambischen Kontin-gents gewährleistet. In diesem Prozess haben wir derAfrikanischen Union Unterstützung geleistet.

Aber es ist wahr: Die Lage in Darfur hat sich nichtstabilisiert, sie ist eher noch kritischer geworden. Mandenke nur an die Ausdehnung des Konflikts auf denTschad und die Zentralafrikanische Republik. Deshalbist es, wie ich glaube, richtig, dass auch vonseiten derVereinten Nationen alles daran gesetzt wird, eine Über-einstimmung zu erzielen. Zunächst war es Ziel, dass dieMission AMIS in eine rein VN-geführte Friedensmis-sion überführt wird. Dies ist am Widerstand des sudane-sischen Präsidenten gescheitert. Es wurde dann am16. November versucht, einen Kompromiss herbeizu-führen, der eine gemeinsame Mission der Vereinten Na-tionen und der Afrikanischen Union unter dem Kom-mando der Vereinten Nationen vorsah. Aber auch dies istam Veto des sudanesischen Präsidenten gescheitert.

Freunde haben, wie Sie wissen, eine Frist bis zumEnde des Jahres gesetzt. Ich denke, dass es wichtig ist,dass die gemeinsamen Bemühungen der Vereinten Na-

tionen fortgesetzt werden und dass effektive Hilfe ge-leistet werden kann. Der Prozess muss aber weiterhin einafrikanisches Gesicht behalten. Das ist wichtig bei derUmsetzung, um zu einer Stabilisierung durch eine solcheMission zu kommen.

Wie ich vor dem Deutschen Bundestag vorgetragenhabe, hatten wir in einigen Ländern der Vereinten Natio-nen teilweise nur eine Mandatsverlängerung von14 Tagen, um entsprechenden Druck auszuüben. Umkeine Lücke entstehen zu lassen, hat der Friedens- undSicherheitsrat der Afrikanischen Union am 30. No-vember entschieden, das Mandat für die Mission AMISbis zum 30. Juni 2007 zu verlängern. Ich denke, es istrichtig, dass eine solche Verlängerung erfolgt; denn sokann wenigstens in gewisser Weise vermieden werden,dass ein Machtvakuum entsteht.

Die Verlängerung dieser Mission wird meiner Mei-nung nach einer weiteren Stabilisierung dienen. Aber ichglaube, dass sie nicht ausreichen wird. Die Bemühungender Vereinten Nationen müssen auch weiterhin unter-stützt werden, um zu einem effektiveren Mandat zukommen. Es ist aber auch notwendig – ich glaube, auchdarauf muss man hinweisen; Sie haben das angedeutet –,den Willen der Konfliktparteien, ihren Beitrag zur Be-friedung Darfurs zu leisten, zu fördern, damit es zu einerVerbesserung der Situation kommt. In Darfur sind be-reits 200 000 Menschen ums Leben gekommen, es gibtMillionen von Flüchtlingen. Ich glaube, deshalb ist esnotwendig, hier eine zusätzliche Stabilisierung zu errei-chen.

Aufgrund der von mir beschriebenen Lage ist es er-forderlich, dass wir dieses Mandat jetzt verlängern. Der-zeit gibt es nämlich keine Alternative dazu, dass wir dieBemühungen der Vereinten Nationen in der von mir ge-rade angedeuteten Hinsicht unterstützen. Wir schöpfenalle Möglichkeiten aus, um den Menschen in Not zu hel-fen und dazu beizutragen, dass es zu einer friedlichenund stabileren Entwicklung in dieser Region kommt.

Ich denke, durch dieses Mandat, das wir heute verlän-gern wollen, erhält die Afrikanische Union die Unter-stützung, die sie braucht, damit hier keine Lücke ent-steht. Es bleiben aber auch weiterhin die Bemühungender Vereinten Nationen, sie dabei zu unterstützen, mehrEffektivität zu erreichen.

Deshalb glaube ich, dass es wichtig und notwendigist, dass wir das Mandat heute verlängern. Ich bitte umbreite Zustimmung für diese Verlängerung und auch umUnterstützung unserer Soldatinnen und Soldaten bei die-ser Mission. Ich hoffe und wünsche, dass von den Ver-einten Nationen eine weit darüber hinausgehende Lö-sung bewirkt werden kann. Heute geht es aber um dieZustimmung für das Mandat hinsichtlich der Überwa-chungsmission AMIS. Ich bitte noch einmal um breiteZustimmung des Deutschen Bundestages.

Besten Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

7440 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Nächster Redner ist der Kollege Dr. Norman Paech,

Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Dr. Norman Paech (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Wie vor einem Jahr könnenwir auch in diesem Jahr der Verlängerung des Einsatzesdeutscher Streitkräfte in Darfur nicht zustimmen.

(Zuruf von der SPD: Pfui!)

Wir sind uns darüber einig, dass sich die Situationnicht gebessert hat.

(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Eben!)

Wir sind uns auch darüber einig, dass die Lage der Men-schen in Darfur unerträglich ist. Wir sind uns aber nichtdarüber einig, wie dieses Elend gestoppt werden kannund was wir dazu beitragen können. Sie setzen wiedereinmal auf eine militärische Intervention.

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Blödsinn! Das ist doch nicht der 13. August!)

– Warten Sie ab, Sie werden es bald erkennen. – Sie se-hen keine Alternative zur militärischen Intervention. Wirhingegen sehen eine Alternative in zivilen und diplo-matischen Mitteln.

Dabei ist Zweierlei doch klar:

Erstens. Wir müssen uns immer wieder eingestehen,dass wir keine Lösung für diesen nun schon so langedauernden und hoch komplizierten Konflikt anbietenkönnen.

Zweitens. Die afrikanischen Truppen der AMIS sindnicht in der Lage, den Schutz der Bevölkerung militä-risch zu garantieren. Trotz dieser Situation verfallen Siewieder auf das Militär, um zumindest sagen zu können:Na, wir tun doch etwas.

Ginge es wirklich nur um den Einsatz von 200 Solda-ten zur logistischen Unterstützung auf der Basis einesrichtigen Blauhelmeinsatzes nach Kap. VI der VN-Charta, dann könnte man ja darüber reden. Sie verfolgenaber ganz offensichtlich ein viel weiter reichendes Kon-zept, das Verteidigungsminister Jung neulich ausgeplau-dert hat. Ich zweifle daran, dass es nur seiner Unfähig-keit anzulasten ist, wenn er von einem stärkeren Einsatzder Bundeswehr redet, sobald die UNO ruft. Das kannauch nicht die scharfe Kritik aus seinen eigenen Reihenwieder zurückholen.

(Vorsitz: Präsident Dr. Norbert Lammert)

Mag sein, dass er sich verplappert hat, wie jüngstauch Ehud Olmert, aber wir haben auch schon vergleich-bare Töne aus dem Kabinett gehört. Sein Vorgänger, derSPD-Fraktionsvorsitzende Struck, hat ihm vor einemMonat sogar bestätigt und hinzugefügt, dass es dann– ich zitiere ihn – ein „brisantes Mandat“ wäre, das„auch mit Kampfeinsätzen der Soldaten verbunden sein

könnte“. Ich frage Sie: Ist das nun Dummheit oder Pro-gramm? Ich glaube, es ist beides; denn das würde einenumfangreichen Krieg im großen Maßstab bedeuten.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie wissen doch ganz sicher: Die Regierung in Khar-toum wird der Resolution 1706, die die UNO vom Sü-den des Sudan nach Darfur bringen soll, niemals zustim-men und China und Russland werden einer neuenResolution hinsichtlich eines direkten Eingriffs in Darfurauch nicht zustimmen. Wozu also das Gerede?

Spätestens seit vorgestern wissen wir, dass die USAschon eigene Pläne für ein militärisches Eingreifen imSudan – das zitiere ich aus der „Financial Times“ – „in-nerhalb der nächsten zwei bis drei Monate“ ausgearbei-tet haben. Großbritannien hat den Plänen zugestimmt.Sie sehen die Errichtung von Flugverbotszonen überDarfur, eine Seeblockade des Ölhafens Port Sudan sowieLuftangriffe auf Flughäfen und andere Einrichtungenvor. Natürlich möchten die USA diese Pläne auf derGrundlage eines UN-Mandats umsetzen. Sie haben aberdeutlich gesagt: Wenn das nicht möglich ist, machen wires auch alleine, in einer neuen „Koalition der Willigen“.Das ist doch Irrsinn! Werden nun die Kriege gegen Ju-goslawien und den Irak auf den afrikanischen Kontinentübertragen? Können Sie sich dann einer solchen Koali-tion widersetzen? Frau Merkel ist doch nicht HerrSchröder.

Schon jetzt verlängern Sie den Einsatz deutscher Sol-daten auf der Basis einer Resolution nach Kap. VII derUN-Charta. So schleichen Sie sich ganz langsam in einafrikanisches Abenteuer, das den Menschen im Sudan– nach allen Erfahrungen der letzten Jahre, die wir in Af-ghanistan und im Irak gesammelt haben – bestimmtnicht helfen wird.

(Beifall bei der LINKEN – Winfried Nachtwei[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie ei-gentlich das Mandat, über das wir heute spre-chen, gelesen? Worüber reden Sie?)

Wir fordern von Ihnen nur eines: Verlassen Sie denWeg eines militärischen Einsatzes!

(Beifall bei der LINKEN)

Hören Sie auf den Rat des finnischen Botschafters beimMenschenrechtsrat in Genf. Er sagte vorgestern:

Es ist besser, mit dem Sudan zusammenzuarbeiten,um konkrete Resultate zu erzielen.

Bringen Sie die Konfliktparteien wieder an den Ver-handlungstisch, damit sie einen Friedensvertrag unter-zeichnen. Dies hat auch der Menschenrechtsrat gefor-dert. Unsere Stärke besteht in den diplomatischenFähigkeiten, in den wirtschaftlichen Möglichkeiten undim humanitären Engagement. Wir plädieren für ein sol-ches Engagement und nicht für den Rückfall in eine mi-litärische Drohung.

Danke sehr.

(Beifall bei der LINKEN)

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7441

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Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Müller,

Bündnis 90/Die Grünen.

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):

Meine Damen und Herren! Herr Präsident! In dennächsten Tagen wird Kofi Annan, der Generalsekretärder Vereinten Nationen, seine Amtszeit beenden. Er istnun wirklich mit den Krisen dieser Welt vertraut. Er hatin all seinen Reden der letzten Tage eine Krise besondershervorgehoben und eindringliche Appelle an die interna-tionale Gemeinschaft gerichtet, endlich einzugreifen: inDarfur. Annan appellierte an die Welt,

den Alptraum der Gewalt in Darfur endlich zu be-enden und nicht wieder zu warten, bis der Völker-mord einsetzt, sondern die

– auch das muss man sich vor Augen führen –

erst im letzten Jahr auf dem Millenniumsgipfel vonallen Staats- und Regierungschefs

– auch von der deutschen Regierung – eingegangene Re-sponsibility to Protect, also die Verpflichtung, die Men-schen vor Völkermord und ethnischen Säuberungen zuschützen, endlich ernst zu nehmen und endlich in die Re-alität umzusetzen. Darum geht es in Darfur.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der CDU/CSU undder SPD)

Liebe Kollegen von der PDS, Herr Dr. Paech, in derderzeitigen Situation reicht AMIS nicht aus. Es handeltsich hierbei im Kern um ein Mandat gemäß Kap. VI derUN-Charta.

(Dr. Norman Paech [DIE LINKE]: Sieben!)

Die AU-Mission ist im Kern ein Beobachtermandat,welches Sie gerade gefordert haben. Wissen Sie auch,dass die AU inzwischen Angriffen durch die Bevölke-rung vor Ort ausgesetzt ist? Wissen Sie, warum?

(Dr. Rainer Stinner [FDP]: Nein, das weiß der nicht!)

Weil die AU-Soldaten zwar auf der Grundlage des Man-dates nachher protokollieren dürfen, dass ein Massakerstattgefunden hat und dass die Menschen umgebrachtwerden, aber nicht eingreifen dürfen. Das macht dieLeute wütend. Deswegen wollte die AfrikanischeUnion selber nicht mehr dableiben. Sie konnte nur müh-sam überzeugt werden, das Mandat überhaupt um einhalbes Jahr zu verlängern.

(Beifall des Abg. Erich G. Fritz [CDU/CSU])

Da fordern Sie hier ein Kapitel-VI-Mandat. Das ist wirk-lich an Zynismus nicht mehr zu überbieten!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Kofi Annan hat in seiner Rede zum Tag der Men-schenrechte – die können Sie sich auch einmal an-schauen – auch Folgendes gesagt:

Nach Bosnien und Ruanda haben wir alle gesagt:nie wieder.

Wie kann da die Welt dem Horror in Darfur untätig zuse-hen?

Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin Müller, gestatten Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Paech?

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):

Ja, ich führe nur noch diesen Gedanken zu Ende. –60 Prozent der Menschen in Darfur können nicht mehrversorgt werden. Bei dem robusten UNO-Mandat, das inder Resolution 1706 schon längst beschlossen ist, geht eszunächst einmal darum, die Menschen mit dem Nötigs-ten zu versorgen. Erst dann kann man wieder über Poli-tik reden und dann muss man sich daran machen, denKonflikt politisch zu lösen. Diesen Zusammenhang soll-ten nach Srebrenica und Ruanda endlich alle verstandenhaben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Ab-geordneten der FDP)

Bitte schön, Herr Paech.

Dr. Norman Paech (DIE LINKE): Frau Kollegin Müller, um es kurz zu machen: Würden

Sie zur Kenntnis nehmen oder gegebenenfalls nachlesen,dass es sich bei den beiden Resolutionen 1556 und 1564,auf denen der Antrag der Bundesregierung beruht, umBeschlüsse nach Kap. VII der UN-Charta handelt? Dasist dort ausdrücklich festgehalten.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):

Ich kenne die Resolutionen sehr gut. Ich weiß auch,was die Afrikanische Union beschlossen hat und dass dieAfrikaner international nur ermächtigt sind, dort zu be-obachten, zu protokollieren, was vor sich geht, und denWaffenstillstand zu überwachen. Das ist die Ursache fürdie Wut der Bevölkerung, weil nur protokolliert, abernicht eingeschritten wird. Auf diesen Skandal hat Annanhingewiesen. Das muss die internationale Gemeinschaftändern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,bei der CDU/CSU und der SPD – Frank Spieth[DIE LINKE]: Das beantwortet unsere Fragenicht! Lesen Sie in Zukunft die Anträge!)

– Ich habe sie nicht nur gelesen, sondern mitgestaltet.

(Widerspruch bei der LINKEN)

– Das ist so.

Vor dem Hintergrund, dass alle dem Vorhaben zuge-stimmt haben, will ich auf die Debatte eingehen, die

7442 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

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Kerstin Müller (Köln)

leider in den letzten Wochen in der Koalition geführtwurde. Herr Ramsauer zum Beispiel hat gesagt, geradeweil die Lage so schrecklich sei, sollten keine deutschenSoldaten nach Darfur geschickt werden. Herr Stoiberwiederum hat festgestellt, die deutschen Interessen seienhier nicht so stark berührt. Leider steht auch immer nochdie Äußerung der Bundeskanzlerin im Raum, dass wiruns über die Unterstützung von AMIS hinaus nicht enga-gieren würden.

Unabhängig davon, ob deutsche Soldaten dorthin ent-sandt werden oder nicht, glaube ich, dass das ein völligkontraproduktives Signal an das Regime in Khartoumist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn dadurch müssen die Vertreter dieses Regimes zuder Auffassung kommen, dass sie von Europa nichts zuerwarten haben.

Damit komme ich zu meinem Hauptanliegen. Wirbrauchen keine unseligen Debatten über die Beteiligungdeutscher Soldaten, nach der noch niemand gefragt hat,und einer UNO-Truppe, die noch gar nicht in das Landhinein kann. Wir müssen jetzt vielmehr alle Kräfte aufdiplomatische Initiativen konzentrieren. Herr MinisterJung, Sie haben selber festgestellt, dass das robusteMandat notwendig ist. Ich fordere Sie auf, im Rahmender EU-Ratspräsidentschaft diplomatische Initiativen zuergreifen und auf die Schutzmächte Sudans, China undRussland, einzuwirken und in jedem Gespräch mit Chinaanzusprechen, dass wir alles versuchen, um die Zustim-mung der sudanesischen Regierung für ein robustes UN-Mandat zu bekommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Gestern wurde vorgeschlagen, eine Flugverbotszoneeinzurichten, damit die sudanesische Regierung nichtmehr die Antonows zur Unterstützung der Reitermilizeneinsetzt. Leider hat sich die Bundesregierung nicht dazugeäußert.

Nach meinen Informationen haben die Außenministerauf dem Ratstreffen gestern einen Beschluss zum weite-ren Vorgehen in Darfur gefasst. Das sind aber leider auchnoch keine Taten; es sind nur Worte. Wir brauchen aberendlich Taten im Sinne der Diplomatie. Was gestern aufdem Ratstreffen passiert ist, darf bei der EU-Ratspräsi-dentschaft nicht wieder passieren. Wir müssen durchentschlossenes Handeln der internationalen Gemein-schaft den Druck auf das Regime erhöhen.

Wenn es nicht gelingt – etwa wegen eines Vetos vonChina und Russland –, im Sicherheitsrat gezielte perso-nenbezogene Sanktionen zu beschließen, um die Zu-stimmung für die UNO-Truppe zu erwirken, dann mussmeiner Meinung nach die Europäische Union endlichvorangehen und – das hat sie schon x-mal beschlossen –gezielte personenbezogene Sanktionen gegen die Verant-wortlichen des Völkermordes verhängen, um die Zu-stimmung zu erwirken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin Müller, Ihnen wird entgangen sein,

dass Sie die Redezeit überschritten haben.

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):

Nein. Ich komme zum letzten Satz. Oder gibt es nocheine Zwischenfrage?

Präsident Dr. Norbert Lammert: Nein. Ich bin beinahe beruhigt, auch wenn Ihre Reak-

tion mir bestätigt, dass Ihnen in der Tat entgangen seinmuss, dass die Bewirtschaftung der Redezeit durch michwieder einmal viel großzügiger war als durch die Frak-tion.

(Heiterkeit)

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):

Herr Präsident, ich komme zum Ende. – Es geht zur-zeit um politische Initiativen. Ich appelliere eindringlichan Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregie-rung: Werden Sie politisch aktiv! Gerade wir Deutschemit unserer Geschichte dürfen nicht tatenlos zusehen,wenn in Darfur ein Völkermord geschieht. Ich glaube,dass wir Deutsche hier eine besondere Verantwortunghaben.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile nun das Wort dem Kollegen Rainer Arnold,

SPD-Fraktion.

Rainer Arnold (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Die Nachrichten aus dem Sudan sind sicherlich für unsalle mehr als beunruhigend. Der begonnene Friedenspro-zess droht zu scheitern. Die Risiken für die gesamte Re-gion werden gerade in den letzten Tagen an den Grenzendes Sudans deutlich sichtbar. Die Untersuchung derKommission, die dem Internationalen Strafgerichtshofzuarbeitet, zeigt, dass 200 000 Menschen ermordet und2,5 Millionen vertrieben wurden und dass Folter und se-xuelle Misshandlungen zum Alltag in dieser Regiongehören. Die Situation ist unübersichtlich. Es gibt tradi-tionelle Stammesfehden um die ökonomischen Grundla-gen. Reitermilizen operieren mit Duldung der Zentralre-gierung. In dieser unübersichtlichen Situation versuchtnun die Afrikanische Union, mit ihrem Mandat AMISein Stück weit für Stabilität zu sorgen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der PDS,Kap. VII der UN-Resolution 1706 umfasst zwei Kompo-nenten: Beobachtung und Schutz. Aber die Afrikanerstoßen bei dieser Mission an die Grenzen sowohl ihrermateriellen Möglichkeiten als auch ihrer operativen Fä-higkeiten; darauf haben Sie schon hingewiesen. In einerSituation, in der wir sehen, dass die Afrikaner es nicht

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Rainer Arnold

alleine leisten können, wollen Sie ihnen die relativkleine Unterstützung, die wir in erster Linie bei der Lo-gistik und beim Lufttransport leisten, verwehren und ih-nen so den Boden unter den Füßen wegziehen. Dies istzutiefst inhuman.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir alle wissen, dass eine Fortsetzung des Einsatzesbewaffneter deutscher Streitkräfte für weitere sechs Mo-nate nicht die beste Lösung ist. Aber das ist das Maxi-mum, das im Augenblick erreicht werden kann. Mehrwird man erst erreichen, wenn die Zentralregierung inKhartoum den Frieden wirklich will und bereit ist, denFrieden mit einer stabilen Truppe absichern zu lassen.Das steht nicht im Gegensatz zu unseren humanitärenund diplomatischen Anstrengungen, wie Sie von derPDS behaupten. Aber Sie müssen irgendwann einmalkapieren, dass man gelegentlich mit freundlichen Wortenalleine leider an die Grenzen stößt und dass dann einemilitärische Schutztruppe notwendig und zutiefst humanist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, wirwissen nicht, wie sich das Ganze in den nächsten Mona-ten entwickeln wird. Vielleicht müssen wir darüber er-neut nachdenken. Aber wir sollten vorsichtig sein undkeine schnellen Antworten geben. Mein Eindruck ist,dass in allen Fraktionen, falls ein erneutes Nachdenkenerforderlich ist, zu Recht sehr schwierige und komplexeDebatten geführt werden müssen. Die Antworten kön-nen dann gegeben werden, wenn die Debatten beendetsind. Ich denke, das ist die korrekte Reihenfolge.

Wir sollten uns daran erinnern, dass die UN-Resolu-tion 1706 drei Phasen vorsieht. Wir sind in der erstenPhase, bei der es um die logistische Unterstützung derAfrikanischen Union geht. Die zweite Phase sieht einepersonelle Erweiterung vor. Die dritte Phase sah ur-sprünglich ein VN-Mandat vor. Nun sagt die Zentralre-gierung, dass sie das nicht will. Vielleicht lässt sie sich– es ist richtig, dass China ein bisschen helfen kann, da-mit sich im Sudan etwas bewegt – auf eine Mischformein, eine so genannte Hybridlösung, eine gemeinsameMission von VN und Afrikanischer Union.

Ich habe den Eindruck, die Beweggründe für eine sol-che Lösung im Sudan sind nicht korrekt. Das Ziel istaber möglicherweise auch unseres. Vielleicht ist es klü-ger, auf dem afrikanischen Kontinent durch eine sehrgute Kooperation der Vereinten Nationen, durch eineKooperation der militärischen Fähigkeiten der westli-chen Industriestaaten mit den afrikanischen Partnern da-für zu sorgen, dass auf einer längeren Zeitschiene dieAfrikanische Union als legitime regionale Ordnungs-organisation die Fähigkeiten erhält, dass sie sie entwi-ckeln, dass sie lernen – wir sollten sie materiell darin un-terstützen, selbst die Fähigkeiten zu entwickeln –, aufihrem Kontinent für Sicherheit und Stabilität zu sorgen.Darum muss es uns gehen. Deshalb wäre ich nicht un-glücklich, wenn eines Tages auch in Deutschland eineernsthafte Debatte über diese Hybridlösung geführtwürde.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir Deutsche bewegen uns im Einklang mit den Ver-einten Nationen, mit der Afrikanischen Union, im Kon-zert mit der Europäischen Union. Es ist kein Sonderweg,sondern wir sind im Einklang mit allen europäischen Or-ganisationen. Wenn wir heute der Fortsetzung des Ein-satzes zustimmen, dann sollten wir uns immer wiederfragen, welche Legitimation wir für diesen Einsatz ha-ben. Wer sich die Europastrategie zu Afrika anschautund nicht will, dass dieses kluge Papier reine Makulaturwird, der muss die Bereitschaft und die Fähigkeit haben,hier ein Stück weit mitzuhelfen. Die Beweggründe dafürsind eindeutig. Wir haben zunächst ein eigenes Interessean Stabilität auf dem afrikanischen Kontinent, nämlichunser Sicherheitsinteresse. Neben diesem Interesse ha-ben wir aber im Sudan auch eine zutiefst humanitäreVerpflichtung. Von diesen beiden Gründen lassen wiruns bei der Entscheidung über eine Fortsetzung des Ein-satzes leiten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun der Kollege Eckart von Klaeden,

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen!

Das, was wir bisher von den beiden Oppositionsfraktio-nen der Grünen und der FDP in dieser Debatte gehört ha-ben, ist in seiner Substanz engagiert vorgetragene Ratlo-sigkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der FDP)

Die Ratlosigkeit ist eine Konsequenz aus der Situa-tion, die wir im Sudan, in Darfur vorfinden. Aber es istintellektuell unredlich, dafür die Bundesregierung ver-antwortlich zu machen und dann nicht mehr auf derPlatte zu haben als den Vorschlag, man müsste einmalDruck auf China oder Russland ausüben, um die Krisezu überwinden.

(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Das ist unerhört!)

Ich finde, hier müssen mehr Vorschläge kommen.

Wir befinden uns dort in einem Dilemma. Der Sicher-heitsrat hat zwar nach der Resolution 1706 beschlossen,die AMIS-Mission in eine VN-Mission zu überführen,aber das Dilemma ist doch, dass die Zustimmung derRegierung in Khartoum nicht vorliegt.

Jeder von uns weiß, dass diese Zustimmung zwarrechtlich nicht mehr erforderlich ist, aber doch politischerforderlich ist, um eine erfolgreiche militärische Opera-tion durchzuführen. Selbstverständlich unternehmen wirin Richtung Khartoum alles, um eine Zustimmungmöglich zu machen. Aber die Bundesregierung dafür

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Eckart von Klaeden

verantwortlich zu machen, dass es nicht dazu kommt, isthanebüchen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Zurzeit findet ein Gipfeltreffen von elf afrikanischenStaaten, der Demokratischen Republik Kongo, der Re-publik Kongo-Brazzaville, Zentralafrikanische Repu-blik, Ruanda, Burundi, Uganda, Angola, Sambia, Tansa-nia, Kenia und Sudan, in Nairobi statt. Heute soll ein„Pakt über Sicherheit, Stabilität und Entwicklung derRegion der Großen Seen“ unterzeichnet werden. Manwill, wie es so schön heißt, die „Dynamik der Konfliktein den Aufbau des regionalen Friedens“ umwandeln.Diese Konferenz kann einen elementaren Beitrag zurKonfliktverhütung und -bewältigung, zur Friedensförde-rung nach dem Grundsatz der afrikanischen Eigenver-antwortung leisten. Aber sie muss dieser Aufgabe auchnachkommen; denn Hunger und Armut, wirtschaftlicheUngleichheit und politische Ungerechtigkeit, fehlendeRechtsstaatlichkeit, die Eskalation von Konflikten durchgewaltsame Vertreibungen, Epidemien, Ressourcen-knappheit und ökologische Gefährdungen vielfältigerArt gehören ja seit langem für die afrikanische Bevölke-rung zu den vordringlichsten Problemen.

Im Sudan konnte der über 20 Jahre andauernde Bür-gerkrieg zwischen dem Norden und dem Süden, der2 Millionen Menschen das Leben gekostet und 4 Millio-nen Menschen zu Binnenvertriebenen und Flüchtlingengemacht hat, zwar durch den Friedensvertrag von Nai-robi im Januar 2005 beendet werden. Der Waffenstill-stand wird aber immer wieder gebrochen. Seit 2003 tobtein grausamer und blutiger Konflikt in der westsudanesi-schen Provinz Darfur. Das Darfur Peace Agreement vomMai dieses Jahres wird von keiner der beteiligten Rebel-lengruppen und auch nicht von den Milizen eingehalten.Nach Schätzung der Vereinten Nationen sind in Darfurüber 200 000 Menschen ums Leben gekommen und2 Millionen wurden zu Vertriebenen und Flüchtlingen.Es ist klar – das sollten wir hier auch deutlich machen –,dass für diese beiden Konfliktherde die Regierung inKhartoum mit ihrem Verhalten die Hauptverantwortungträgt.

Ich begrüße, dass der Sudan auf dem Gipfeltreffen inNairobi beteiligt ist und nach den bisherigen Meldungenden Pakt unterzeichnet hat. Es kommt aber darauf an,dass die Verpflichtungen, die damit eingegangen wer-den, schließlich auch erfüllt werden. Bislang kann Präsi-dent Bashir nicht nachgesagt werden, er halte viel vonVertragstreue: Abkommen werden nicht eingehalten,wie zum Beispiel das eben bereits angesprochene DarfurPeace Agreement. Nach Angaben der VN-Hochkommis-sarin für Menschenrechte sind in den letzten sechs Wo-chen in Darfur weitere 80 000 Menschen vertrieben undmehrere hundert Personen getötet worden. Die Regie-rung habe die Milizen nicht entwaffnet, sondern viel-mehr aufgerüstet.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch daran erin-nern, dass es die Arabische Liga war, die als erste auf dieGewalt in Darfur hingewiesen hat. Sie muss deshalb in

die Suche nach einer Lösung des Konflikts mit einge-bunden werden.

Es ist von mir schon angesprochen worden: Die Mis-sion soll in eine VN-Mission überführt werden. Nach derResolution 1706 soll das sogar bis zum Ende dieses Jah-res stattfinden, aber es fehlt an der politisch erforderli-chen Zustimmung der Regierung in Darfur. Deswegenist es leider nicht möglich, diese VN-Mission so durch-zuführen, wie wir das alle wünschen.

Ich will bei dieser Gelegenheit aber auch ein Wort zudem in dieser Debatte schon zitierten Menschenrechts-rat der Vereinten Nationen sagen, der am letzten Mitt-woch von der Regierung in Khartoum eine verstärkteZusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaftgefordert hat. Eine Verurteilung der Regierung in Khar-toum durch den Menschenrechtsrat der Vereinten Natio-nen ist aber ausgeblieben. Diese fehlende Verurteilungder Regierung in Khartoum halte ich für einen Skandal.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowiebei Abgeordneten der FDP und des BÜND-NISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die 47 Mitglieder des Menschenrechtsrates haben esnicht verstanden, ein klares Zeichen gegen die Verlet-zung von humanitärem Recht und Menschenrechten so-wie gegen Gewalt und Terror zu setzen. Die Erklärunglässt eine klare Sprache vermissen. Ich kritisiere denMenschenrechtsrat mit Blick auf diese Entscheidung ins-besondere deswegen, weil er erst seit März dieses Jahresin dieser Form besteht und in seinen bisherigen sechsSitzungen insgesamt acht Resolutionen gegen Israel ver-abschiedet hat. Wenn dem Westen von diesen Staatenimmer wieder vorgeworfen wird, dass er Doppelstan-dards anwende, dann müssen sich die Ländergruppen,die im Menschenrechtsrat für diese Entscheidung verant-wortlich sind, wirklich Doppelzüngigkeit vorwerfen las-sen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich wünsche mir – und bitte die Bundesregierung, dieEntwicklung sehr sorgfältig zu beobachten und alles inihrer Macht Stehende dafür zu unternehmen –, dass dievom VN-Menschenrechtsrat nun eingesetzte Kommis-sion schnellstmöglich zusammengesetzt wird und siedann ihre Untersuchung zur Menschenrechtslage in Dar-fur vor Ort ohne Behinderungen jeglicher Art durchfüh-ren kann. Als ein Mitglied der insgesamt 28-köpfigenGruppe der Freunde der Region der Großen Seen istDeutschland dazu verpflichtet.

All dies zeigt, dass wir unser Engagement für Friedenund Stabilität in der Region im östlichen Afrika beibe-halten müssen. Wir müssen uns vor allem dafür einset-zen, dass die humanitären Hilfsleistungen für die Notleidende Bevölkerung ermöglicht werden; die KolleginMüller hat darüber heute schon gesprochen.

Es gibt aber noch einen weiteren gravierenden Grund.Die internationale Staatengemeinschaft muss ihren Bei-trag nicht nur zur Stabilisierung der Lage in Darfur leis-ten, sondern auch zur Stabilisierung der gesamtenRegion. Das liegt auch in unserem Sicherheitsinteresse.

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Eckart von Klaeden

Aus diesem Grund ist es notwendig, unseren Beitrag zurUnterstützung der Überwachungsmission AMIS derAfrikanischen Union auch in den nächsten sechs Mona-ten fortzusetzen, so enttäuschend die Ergebnisse derMission bisher auch sein mögen und sosehr zu kritisie-ren ist, dass die Regierung in Khartoum der Übertragungder Mission auf die Vereinten Nationen bisher nicht zu-gestimmt hat.

Meine Fraktion wird deswegen dem Antrag der Bun-desregierung zustimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Jürgen

Trittin das Wort.

Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lieber Herr Kollege von Klaeden, Sie wissen, dass

ich Sie als Außenpolitiker durchaus schätze. Aber ichfinde, Sie haben sich keinen Gefallen getan, als Sie, be-vor Sie angefangen haben, Ihre Rede abzulesen, FDPund Grüne der intellektuellen Unredlichkeit in dieserFrage geziehen haben.

Worum geht es hier? Es geht nicht darum, wie HerrPaech glaubt, dass dort ein großer Kampfeinsatz, eineFriedenserzwingung stattfinden soll, sondern es geht ei-gentlich um etwas sehr Simples: Es geht darum, dass die15 000 zivilen Helferinnen und Helfer, die dort zur Ver-fügung stehen, die bedrohten Menschen wieder errei-chen können. Das ist der Kern. Das ist mit 7 000 Leutenfür ein Gebiet der Größe Frankreichs nicht zu gewähr-leisten. Deswegen hat die UN beschlossen, die Zahl derSoldaten von 7 000 auf 17 000 aufzustocken. Nun gehtes darum, dafür die Zustimmung der sudanesischen Re-gierung zu bekommen.

Die Frage, die Frau Müller und Frau Schuster hier andie Bundesregierung gestellt haben, war nicht intellek-tuell unredlich, sondern nahe liegend, und zwar deswe-gen, weil sie wissen wollten, was die Bundesregierungtut, um diesen Zustand, den Sie Zustand der Ratlosigkeitgenannt haben, zu durchbrechen und Druck auf Khar-toum auszuüben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Es ist auch nicht so, dass keine Vorschläge genanntworden wären. Wie ist die Haltung der Bundesregierungzum Vorschlag einer Flugverbotszone dort? Wie solldas umgesetzt werden? Warum hat der Rat der Außen-minister gestern, obwohl man sich im Prinzip schonlange darauf verständigt hat, nicht entschieden, individu-elle Sanktionen gegen die Machthaber in Khartoum zuergreifen? Was muss eigentlich noch passieren?

(Beifall des Abg. Dirk Niebel [FDP])

Die werfen einen Bevollmächtigten, einen ehemaligenUmweltminister der Europäischen Union, aus Khartoumraus, aber wir wollen sie weiter reisen lassen. Das gehtmir nicht in den Kopf.

Das ist es, wozu Sie Stellung nehmen sollten. Ichfinde es intellektuell redlich, von der Bundesregierungeinzufordern, dass sie hier aktiv wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Zur Erwiderung Herr Kollege von Klaeden.

Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Herr Kollege Trittin, mein Hinweis auf die fehlende

intellektuelle Redlichkeit hat sich nicht auf die Schilde-rung der Situation bezogen. Wenn ich ausreichend Rede-zeit gehabt hätte, hätte ich das, was Sie eben noch ein-mal betont haben, darstellen können. Aber das, was Sievorgeschlagen haben und was auch die KolleginSchuster hier gesagt hat, läuft de facto auf das hinaus,was ich gesagt habe, nämlich dass von der Bundesregie-rung erwartet wird, dass mehr Druck auf China oderRussland ausgeübt wird. Ich habe doch die KolleginSchuster gefragt, wie Sie sich die Durchsetzung einesFlugverbots vorstellt.

(Marina Schuster [FDP]: Nein! Das haben Sie nicht gefragt!)

Darauf ist keine Antwort gekommen. Es hieß, wenn einsolcher Antrag einmal vorliege, dann würde man da-rüber in der Fraktion beraten. Das ist doch nicht intellek-tuell redlich. Das ist der Versuch, die eigene Ratlosigkeitder Bundesregierung in die Schuhe zu schieben. Das ma-chen wir nicht mit.

(Beifall bei der CDU/CSU – Marina Schuster [FDP]: Buh!)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun bitte ich um Aufmerksamkeit für die letzte Red-

nerin in dieser Debatte, die Kollegin Gabriele Gronebergfür die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Gabriele Groneberg (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Ich muss ehrlich sagen, dassich verdammt ratlos bin. Das sage ich einmal ganz unge-schminkt. Wir müssen seit Jahren hilflos dem zusehen,was in Darfur passiert. Aber auch die vorherige Bundes-regierung konnte nicht anders mit diesem Problem um-gehen, Herr Trittin.

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: So ist es!)

Die Situation ist folgendermaßen: Die Bundesregie-rung und all die anderen, die in der Vergangenheit tätiggewesen sind und die auch jetzt handeln – Frau Müllerist intensiv daran beteiligt gewesen –, haben sich in denvergangenen Jahren intensiv um eine Lösung bemüht.Aber Deutschland allein kann nicht die Lösung bringen;auch die anderen Staaten sind gefordert. Nur in Zusam-menarbeit mit diesen ist eine Lösung möglich. Ich bindavon überzeugt, dass die Bundesregierung das ihr

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Gabriele Groneberg

Mögliche tut. Wir können nur hoffen, dass die internatio-nale Gemeinschaft sozusagen mehr in die Pötte kommt.

(Beifall bei der SPD)

Seit zwei Jahren verlängern wir das Mandat für deut-sche Soldaten, die zur Unterstützung der Überwachungs-mission der Afrikanischen Union als Militärbeobachterund im Transportbereich eingesetzt werden. Ich bin nichtnur betroffen und frustriert, sondern ich fühle mich, wieschon gesagt, mittlerweile hilflos, weil wir bei der Lö-sung dieses Konfliktes immer noch kein Stück weiter ge-kommen sind.

Im Gegenteil: Die aktuelle Situation in Darfur hatsich zur größten Katastrophe der Gegenwart ausgewei-tet. Seit Ausbruch des Konfliktes sind Hunderttausendevon Menschen – Herr von Klaeden, die Zahlen schwan-ken; man spricht teilweise von 200 000, aber es könnennach Schätzung einiger Organisationen durchaus450 000 Menschen sein – getötet und Millionen vonMenschen in die Flucht getrieben worden. Noch schlim-mer ist, dass die an diesen Raum angrenzenden Ländermittlerweile in den Konflikt hineingezogen werden. Hierentwickelt sich ein Flächenbrand.

Als Mitglied des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-sammenarbeit und Entwicklung habe ich die Regionmehrfach besucht. Ich habe mir Flüchtlingslager anse-hen können. Ich habe gesehen, unter welchen Bedingun-gen die Menschen dort leben; teilweise muss man vonVegetieren sprechen. Die Hilfsorganisationen sind be-müht gewesen, die größte Not zu lindern. Für eine kurzeZeit schien sich wenigstens die humanitäre Situationzu verbessern. Nach Angaben der Vereinten Nationenhatte sich aufgrund des massiven Hilfseinsatzes in denbeiden vergangenen Jahren die Versorgungslage deutlichverbessert. Die Sterblichkeitsrate bei den Kindern undbei den Erwachsenen war je nach Region um die Hälftebzw. um zwei Drittel zurückgegangen. Das Problem istaber, dass man effektive Hilfe nur leisten kann, wenn dieSicherheit der Menschen und derjenigen, die für dieHilfsorganisationen arbeiten, gewährleistet ist. Aber ge-rade das ist in dem letzten halben bis dreiviertel Jahrnicht mehr der Fall. Diese Menschen sind nicht mehr si-cher.

An dieser Stelle komme ich zu der Mission der AU.Herr Paech, ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich Sie andieser Stelle nicht verstehe.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Es ist unverantwortlich, dass Sie hier sagen, wir würdenuns an einer militärischen Intervention beteiligen. Wennwir das getan hätten, dann hätten wir vielleicht eine Lö-sung des Problems erreicht. Die AU ist, was diese Mis-sion angeht, vollkommen hilflos. Die Afrikaner wollenanfangen, ihre Probleme selbst zu lösen; das ist löblich.Aber sie sind zum ersten Mal im Rahmen einer solchenMission vor Ort. Meiner Ansicht nach ist die internatio-nale Gemeinschaft nicht in der Lage gewesen, sie genü-gend zu unterstützen.

Dieser Mission hat es an allem gefehlt, angefangendamit, dass 7 000 Soldaten für ein Gebiet der GrößeFrankreichs viel zu wenig sind. Da muss man natürlichfragen, ob das reicht.

Eine weitere Frage ist, wie denn die Rahmenbedin-gungen für einen solchen Einsatz aussehen. Von Beginnan waren die Grundvoraussetzungen für einen effektivenEinsatz nicht gegeben. Erst fehlten die Hubschrauber,dann fehlten die Geländefahrzeuge und die Transport-fahrzeuge. Waren sie endlich vor Ort, dann fehlte derSprit für die Fahrzeuge. Die afrikanischen Soldaten wa-ren also überhaupt nicht in der Lage, das Gebiet zu kon-trollieren und die Menschen zu schützen.

Warum ist der Kraftstoff nicht an seinem Bestim-mungsort angekommen? Weil die Transporte auf ihremWeg von der See durch den halben Sudan bis nach Dar-fur permanent überfallen wurden. Außerdem war geradein den letzten Monaten die Lebensmittelversorgung derSoldaten nicht sichergestellt. Es gab also ganz vieleSchwierigkeiten. Diese versorgungstechnischen Pro-bleme sind auch der Grund dafür, dass die AU ihre Mis-sion nicht in der Form erfüllen konnte, wie sie es gernegetan hätte.

Ich kreide der internationalen Gemeinschaft an, dasssie nicht in der Lage gewesen ist, die Unterstützung fürdie Soldaten sicherzustellen, zum Beispiel auch durchDruck auf die sudanesische Regierung. Hinzu kommt,dass der im Mai dieses Jahres für Darfur geschlosseneFriedensvertrag Makulatur ist, weil er nicht von allenkämpfenden Gruppierungen getragen wird.

In Darfur eskaliert die Gewalt. Wir werden nicht zu-schauen. Wir tun das, was wir tun können, auch wennwir damit nicht zufrieden sind. Aber zumindest das müs-sen wir tun. Insofern freue ich mich, dass wir in der fol-genden Abstimmung sicherlich eine Mehrheit dafür fin-den werden.

Danke.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen nun zur Abstimmung über die Be-schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses aufDrucksache 16/3845 zum Antrag der Bundesregierungzur Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscherStreitkräfte zur Unterstützung der Überwachungsmis-sion AMIS in der Region Darfur/Sudan. Der Ausschussempfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/3652 anzuneh-men. Dazu ist namentliche Abstimmung verlangt.

Während die Schriftführerinnen und Schriftführer, so-weit nicht bereits geschehen, jetzt die dazu vorgesehe-nen Plätze einnehmen, bitte ich Sie um eine halbe Mi-nute Aufmerksamkeit. Da wir zum Ende der heutigenTagesordnung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehrganz so zahlreich sein werden wie jetzt und die meistenvon Ihnen ganz unglücklich wären, wenn sie den Heim-

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Präsident Dr. Norbert Lammert

weg in die Wahlkreise und die Weihnachtspause ohnepräsidiale Grüße zu den bevorstehenden Feiertagen an-treten müssten,

(Heiterkeit im ganzen Hause)

nutze ich die Gelegenheit des in diesem Jahr zum letzenMal vollen Hauses, um Ihnen allen ganz persönlich einfrohes, besinnliches Weihnachtsfest, alles Gute zumneuen Jahr und dazwischen ein paar ruhige Tage unddann Kraft und Zuversicht für ein neues Jahr zu wün-schen, das vermutlich nicht weniger interessant, vermut-lich nicht weniger kontrovers und hoffentlich mindes-tens so erfolgreich wird wie das, das wir jetzt schon fasthinter uns haben.

(Beifall im ganzen Hause)

Damit eröffne ich die Abstimmung.

Ist noch ein Mitglied des Hauses im Plenarsaal anwe-send, das seine Stimme nicht hat abgeben können? – Dasscheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Ab-stimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schrift-führer, mit der Auszählung zu beginnen. Wir geben dasErgebnis der Abstimmung während der Debatte zumletzten Tagesordnungspunkt bekannt, sobald die Stimm-karten ausgezählt sind.1)

Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesord-nung um die Beratung der Beschlussempfehlung desAusschusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge-schäftsordnung zu einem Antrag auf Genehmigung zurDurchführung eines Strafverfahrens zu erweitern unddiese sofort als Zusatzpunkt 12 ohne Aussprache aufzu-rufen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe also den Zusatzpunkt 12 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge-schäftsordnung (1. Ausschuss) zu einem Antragauf

Genehmigung zur Durchführung eines Straf-verfahrens

– Drucksache 16/3896 –

Wir kommen sofort zur Abstimmung. Der Ausschussfür Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnungempfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-che 16/3896, die Genehmigung zur Durchführung einesStrafverfahrens zu erteilen. Wer stimmt für diese Be-schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich der Stimme? – Dann ist diese Beschlussemp-fehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 bauf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten LaurenzMeyer (Hamm), Erich G. Fritz, VeronikaBellmann, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten

1) Ergebnis Seite 7450 C

Dr. Ditmar Staffelt, Ludwig Stiegler, Dr. RainerWend, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder SPD

Anstrengungen für einen erfolgreichen Ab-schluss der Doha-Welthandelsrunde mithöchster Priorität fortsetzen

– Drucksache 16/3810 –

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-ordneten Gudrun Kopp, Hellmut Königshaus,Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und derFraktion der FDP

Doha-Runde wieder beleben – WTO-General-direktor als Schlichter einsetzen

– Drucksachen 16/2658, 16/3584 –

Berichterstattung:Abgeordnete Ulla Lötzer

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist fürdiese Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-nächst dem Kollegen Erich Fritz für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Erich G. Fritz (CDU/CSU): Herr Präsident, ich bin von Ihren weihnachtlichen

Worten noch so gerührt, dass es mir schwer fällt, jetzt zueinem so sachlichen Thema wie dem Stand der Doha-Welthandelsrunde zu sprechen.

Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege, wenn das zur Verkürzung Ihrer Rede-

zeit führt, wird das keine Bestürzung im Plenum auslö-sen.

Erich G. Fritz (CDU/CSU): Ich denke, es wird eher dazu führen, dass ich immer

wieder Pausen zum Nachdenken brauche, um mich aufdas Thema konzentrieren zu können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was die Doha-Welthandelsrunde angeht, gibt es in diesen Tagen guteund schlechte Zeichen. Am 1. und 2. Dezember habensich in Genf Parlamentarier fast aller Mitgliedstaaten ge-troffen und versucht, gegenüber ihren Regierungen zumAusdruck zu bringen, dass es durchgängig den Willengibt, die Verhandlungen wieder in Gang zu bringen undzu einem erfolgreichen Abschluss zu führen, und zwaraus Sicht sowohl der Industrieländer als auch der Ent-wicklungsländer, sowohl der Schwellenländer als auchder ärmsten Länder mit den kleinsten Volkswirtschaften.

Pascal Lamy hat dort keine sehr optimistische Pro-gnose gegeben, indem er gesagt hat: Ein Scheitern istnicht unmöglich. – Dennoch hat er vernünftige Appelleausgesandt. In der aktuellen Ausgabe der „Wirtschafts-woche“ hat er wiederum sehr optimistische Signale

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Erich G. Fritz

ausgesandt. Er sagte, es zeichne sich ab, dass das, was erdie ganze Zeit gefordert habe, nämlich dass alle Flexibi-lität zeigen, nun umgesetzt werde. Konkret sehen wir dasallerdings noch nicht. Lamy hat in Genf deutlich an dieEU und die USA appelliert, noch einmal etwas zu geben.Bezüglich der USA setze ich an „noch einmal“ ein Fra-gezeichen; denn bisher haben sich die USA noch nichtsehr bewegt. Er hat auch gesagt, dass Länder wie Indienetwas geben müssen, und zwar mehr als Länder wieSierra Leone, weil sie dazu in der Lage sind.

Die Entwicklungsländer haben in der Debatte ganzdeutlich vernommen, dass es für sie einen großen Scha-den bedeuten würde, wenn diese Runde in dem schma-len Zeitfenster, das es dafür gibt, nicht zu einem Ab-schluss kommen sollte, weil dann alle Zusagen für einenzoll- und quotenfreien Zugang für die ärmsten Länder,nicht nur für die Industrieländer, und schrittweise auchfür die großen Schwellenländer hinfällig wären. DerVorteil für die ärmsten Länder kann nur darin bestehen,dass sie den Marktzugang für die Produkte bekommen,die sie selbst anzubieten haben.

In dieser Runde soll alles nur gemeinsam beschlossenwerden. Dieses Prinzip darf nicht aufgegeben werden.Deshalb dürfen nicht nur Entwicklungsaspekte verhan-delt werden. Es muss auch die Frage gestellt werden:Wie kommen wir zu einem Gesamtpaket, das für alleMitgliedstaaten eine Verbesserung mit sich bringt, daszu mehr Wachstum auf der Welt führt, Entwick-lungschancen bietet und durch das weitere freie Märkteim Bereich der Industriegüter und der Dienstleistungengeschaffen werden? Wir wissen, dass mittlerweile auchsehr viele Schwellenländer gerade im Bereich derDienstleistungen Interessen haben und dort sehr gerneFortschritte sähen.

Worauf wird es in den nächsten Wochen ankommen?Zunächst einmal ist zu begrüßen, dass alle Mitgliedstaa-ten – egal welcher Art und welcher wirtschaftlichenStärke – angekündigt haben, jetzt flexibel sein zu wollenund selbst Angebote zu machen.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Es gibt also momentan nicht mehr den Zustand, dass allenur sagen: „Die USA müssen sich bewegen“ oder „Be-vor wir selbst etwas tun, muss unser Interesse berück-sichtigt werden“. Das ändert aber nichts daran, dass wirals Ausgangslage nach wie vor eine sehr unglücklicheKonstellation zwischen Europa und den USA haben: DieEuropäische Union hat durch ihre eigene Reform derAgrarpolitik und durch die Zugeständnisse in Hong-kong – einschließlich des Auslaufens der Exportsubven-tionen – bereits Vorleistungen erbracht in einer Zeit, inder die USA sich kein Jota bewegt haben. Allerdingsgibt es jetzt Signale aus den USA – das steht im Gegen-satz zu dem, was wir in Genf von Herrn Allgeier gehörthaben, Herr Kollege Dobrindt –, dass man bereit ist, sichhinsichtlich der Agrarsubventionen zu bewegen.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Das ist eine gute Nachricht!)

Wenn das so ist, dann ist das ein erstes gutes Zeichen. Esbietet die Chance, dass wir weiter über eine breite

Agenda verhandeln können und dass wir – hoffentlichbevor der Wahlkampf in Frankreich richtig beginnt unddie USA sich auf die Präsidentschaftswahlen einstellen –zu einem Abschluss kommen.

Die Europäische Union hat in diesem Prozess einewichtige Aufgabe. Da die Bundesregierung aufgrund derdeutschen EU-Ratspräsidentschaft und der deutschenPräsidentschaft der G 8 in der Lage ist, wesentliche Im-pulse zu setzen, dient diese Debatte dazu, noch einmalklar zu machen, dass der Deutsche Bundestag die Bun-desregierung ausdrücklich ermuntert, entsprechendeSchritte zu gehen und alle Möglichkeiten der Kontakt-aufnahme zu nutzen. Diese gibt es in den nächsten Wo-chen an vielen Stellen.

Es gibt Anfang des Jahres ein Treffen der Handels-minister der Europäischen Union, bei dem die Euro-päer zeigen müssen, dass sie zwei Dinge ernst nehmen.Als Erstes müssen wir zeigen, dass Doha eine Entwick-lungsrunde bleibt und dass an dem, was bereits in die-sem Rahmen zugesagt worden ist, nicht mehr gerütteltwird. Das Zweite ist, dass wir deutliche Ansprüche aufeinen weiteren Marktzugang gerade auch für dieSchwellenländer erheben müssen, damit das Rosinenpi-cken nach dem Motto „Wir suchen uns nur das raus, wasunsere eigenen Unternehmen im Wettbewerb besserstellt; aber wir wollen auf keinen Fall einen offenenMarkt für ausländische Investoren schaffen“ aufhört.

Es muss auch bei anderen Themen, bei denen die Eu-ropäer besonders glaubwürdig sind, zu Bewegungenkommen. Hierbei geht es um die differenzierten Regelnfür die Entwicklungsländer, den Umgang mit Antidum-ping, die Form des Streitschlichtungsverfahrens und dasgeistige Eigentum.

Das zweite Treffen, bei dem die Hauptspieler zusam-menkommen und man den Geist dieser Runde beflügelnkann, ist das Welthandelsforum in Davos. Bis es statt-finden wird, ist ja auch nicht mehr lange hin. Dort wirdein großer Teil der Leute, auf die es ankommt, zusam-men sein. Man kann die dann amtierende Präsidentin desEuropäischen Rats nur ermuntern, diese Gelegenheit zunutzen.

Das Zeitfenster für die Verhandlungen bleibt schmal.Ich muss das hier nicht weiter ausführen; jeder kennt dieRahmenbedingungen solcher multilateralen, auf Kon-sens angewiesenen Runden. Ein Scheitern dieser Rundewird nicht nur viele Nachteile für Schwellenländer undEntwicklungsländer mit sich bringen, sondern wird auchden Wachstumsprozess in den Industrieländern schädi-gen. Die Kosten eines Scheiterns werden wesentlich hö-her sein als die für die Anpassungsbemühungen aufzu-wendenden Kosten bzw. als alle Schwierigkeiten, diesich aus einem erfolgreichen Abschluss ergeben.

Entwicklung braucht Handel, aber auch die Absiche-rung des europäischen Sozialsystems braucht Handel.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Auch die Finanzierung von Entwicklungszusammenar-beit und von Einsätzen, von denen wir gerade einen be-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7449

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Erich G. Fritz

schlossen haben, braucht eine wirtschaftliche Grund-lage. Wir alle kennen die Prognosen – selbst wenn wirdavon Abstriche machen –, die besagen, wie sehr sichein positiver Abschluss dieser Runde auf die Wohlfahrtder Welt auswirkt. Deshalb kann das Motto nur lauten:Mit ganzer Kraft für eine erfolgreiche Runde!

Wir als Parlamentarier müssen dazu beitragen, dassdie Regierungen in dieser Frage ermuntert werden. Wirmüssen ebenfalls dazu beitragen, dass auch die Bevölke-rung erkennt, dass mit diesem Prozess immer Schwierig-keiten verbunden sind, dass immer Anpassungsleistun-gen erfolgen müssen, die manchmal schwer zuverkraften sind, dass der Weg aber richtig ist und dass erChancen für alle auf dieser Welt beinhaltet – unabhängigdavon, wo sie leben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächste Rednerin ist die Kollegin Gudrun Kopp für

die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Gudrun Kopp (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Da-

men! Ich glaube, niemand in diesem Hause kann wollenund will, dass die Doha-Welthandelsrunde, scheitert.Wir brauchen mehr Welthandel und nicht weniger –nicht etwa aus dem Grunde, dass die Industrieländerweiter profitieren können, sondern zum Wohle derschwachen und schwächsten Länder auf der ganzenWelt. Ich hoffe, dass wenigstens in Bezug auf diesenPunkt hier Einigkeit besteht.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einigeZahlen nennen, die sehr eindrucksvoll und wichtig sind.Die Weltbank beziffert die globalen Einkommenseffekteeiner vollständigen Liberalisierung der Doharunde bis2015 auf etwa 461 Milliarden US-Dollar. Allein imJahre 2005 hat die Bundesrepublik Waren und Dienst-leistungen im Wert von rund 786 Milliarden Euro expor-tiert. Jeder dritte Arbeitsplatz in Deutschland hängt vomWelthandel ab. Wir Deutsche sind ja immer noch Ex-portweltmeister. Das ist positiv; das muss uns aber, ge-schätzter Kollege Fritz,

(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Danke! – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

umso mehr dazu antreiben, die Regierung aufzufordern,hier weiter aktiv zu werden und mehr Druck zu machen,damit diese Doharunde erfolgreich abgeschlossen wer-den kann. Das muss eine Aufforderung an die Regierungund darf nicht einfach nur eine Ermunterung an sie sein.

(Beifall bei der FDP)

Wir wissen, dass es mit Übernahme der EU-Rats-präsidentschaft durch Deutschland notwendig ist, Si-gnale zu setzen, dass sich die Bundesregierung bemüht,diese Welthandelsrunde zu puschen. In diesem Zusam-

menhang sind die Signale, die kürzlich von MinisterGlos und auch von der Bundeskanzlerin Frau Merkel ge-kommen sind und die auf eine Freihandelszone zwischenEU und USA oder auf mehr bilaterale Abkommen ziel-ten, nicht hilfreich. Es gibt derzeit etwa 380 bilateraleAbkommen weltweit, von denen etwa 300 in Kraft sind.

Wenn es bei der weiteren Liberalisierung des Welt-handels kein Fortkommen gibt, müssen sich die EU undDeutschland darum bemühen, dass es zumindest zu bila-teralen Abkommen kommt; das ist erforderlich. Aber bi-laterale Abkommen können und dürfen nur zweite Wahlsein. Noch einmal: Ich finde, dass die Signale, die in derletzten Zeit von Frau Merkel und von Herrn Glos ge-kommen sind, nicht hilfreich waren.

(Beifall bei der FDP)

Es ist wichtig, dass die EU-Mitgliedstaaten damit auf-hören, in erster Linie ihre eigenen Egoismen zu pflegen.Im Rahmen der letzten WTO-Verhandlungsrunden, etwain Hongkong, haben wir erlebt, dass ein Land wie Frank-reich ein großer Bremser war, da es darauf gedrängt hat,das Auslaufen der Agrarsubventionen mit einer Jahres-zahl zu versehen. An diesem Beispiel wird deutlich, dasses immer wieder zu Verzögerungen kommt und dass esauch innerhalb der EU Länder gibt, die größeres Ge-wicht und mehr Einfluss für sich reklamieren. In diesemZusammenhang bedauere ich, dass Deutschland, einerder wichtigsten Mitgliedstaaten der EU, seine Stimmenicht öfter erhebt, beispielsweise durch die verstärktePräsenz seiner Minister oder dadurch, dass man sich ingrößerem Umfang in die Verhandlungen einbringt.

(Beifall bei der FDP)

Das Zeitfenster, das uns zur Verfügung steht, ist in derTat sehr klein. Wir haben nicht mehr viel Zeit, um dieseVerhandlungsrunde überhaupt noch zu einem Abschlusszu bringen. Weil das so ist und weil wir wissen, welcheFolgen ein Scheitern der Doha-Verhandlungsrunde hätte– niemand von uns möchte, dass sie scheitert –, legen wirIhnen heute einen Antrag vor, der einen großen Schrittnach vorne bedeutet.

Lassen Sie uns den WTO-Generalsekretär Lamy da-mit beauftragen, hier als Schlichter tätig zu werden, diederzeit zu vernehmenden positiven Signale zu bündelnund sie in die Erfolgsspur zu bringen. Dadurch könntenwir deutlich machen, dass unsere Absicht, den multilate-ralen Handel zu stärken, ernst gemeint ist und dass wirschnell zu einem effektiven Ergebnis kommen wollen.Wer den multilateralen Handel stärken möchte, den bit-ten wir um Zustimmung zu unserem Antrag, darauf hin-zuwirken, einen solchen WTO-Schlichter einzusetzen.

(Beifall bei der FDP)

Das wäre übrigens für die FDP und für das gesamte Par-lament ein sehr schönes Weihnachtsgeschenk, das allenMenschen nutzen würde.

Herzlichen Dank und Ihnen allen ein schönes Weih-nachtsfest!

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

7450 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

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Präsident Dr. Norbert Lammert: Die weiteren Redner bitte ich, Ihre möglichen Wün-

sche an andere Fraktionen, was Weihnachtsgeschenkebetrifft, möglichst innerhalb ihrer Redezeit unterzubrin-gen.

(Heiterkeit bei der FDP)

Bevor ich nun dem Kollegen Staffelt die Gelegenheitzur Fortsetzung der Debatte gebe, möchte ich gerne aufTagesordnungspunkt 23 zurückkommen und Ihnen das

von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelteErgebnis der namentlichen Abstimmung über die Be-schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zumAntrag der Bundesregierung auf Fortsetzung des Einsat-zes bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Unterstützungder Überwachungsmission AMIS in der Region Darfur/Sudan bekannt geben: Abgegebene Stimmen 519. Mit Jahaben gestimmt 466, mit Nein haben gestimmt 44, ent-halten haben sich neun Kolleginnen und Kollegen. Da-mit ist die Beschlussempfehlung angenommen.

(D)

Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 521davon

ja: 466nein: 44enthalten: 11

Ja

CDU/CSU

Ulrich AdamIlse AignerPeter AlbachPeter AltmaierDorothee BärThomas BareißNorbert BarthleGünter BaumannErnst-Reinhard Beck

(Reutlingen)Veronika BellmannDr. Christoph BergnerOtto BernhardtClemens BinningerCarl-Eduard von BismarckRenate BlankAntje BlumenthalDr. Maria BöhmerJochen BorchertWolfgang Börnsen

(Bönstrup)Klaus BrähmigMichael BrandHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeMonika BrüningGeorg BrunnhuberGitta ConnemannLeo DautzenbergHubert DeittertAlexander DobrindtThomas DörflingerMarie-Luise DöttIlse FalkEnak FerlemannIngrid FischbachHartwig Fischer (Göttingen)Dirk Fischer (Hamburg)Axel E. Fischer (Karlsruhe-

Land)Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter Flosbach

Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)

Erich G. FritzJochen-Konrad FrommeDr. Michael FuchsDr. Jürgen GehbNorbert GeisEberhard GiengerRalf GöbelDr. Reinhard GöhnerJosef GöppelPeter GötzDr. Wolfgang GötzerReinhard GrindelHermann GröheMichael Grosse-BrömerMarkus GrübelManfred GrundMonika GrüttersHolger HaibachGerda HasselfeldtUrsula HeinenUda Carmen Freia HellerMichael HennrichJürgen HerrmannBernd HeynemannErnst HinskenPeter HintzeRobert HochbaumKlaus HofbauerAnette HübingerHubert HüppeSusanne JaffkeDr. Peter JahrDr. Hans-Heinrich JordanAndreas Jung (Konstanz)Dr. Franz Josef JungBartholomäus KalbSteffen KampeterAlois KarlBernhard KasterSiegfried Kauder (Villingen-

Schwenningen)Volker KauderEckart von KlaedenJulia KlöcknerJens KoeppenKristina Köhler (Wiesbaden)Manfred KolbeNorbert KönigshofenDr. Rolf KoschorrekHartmut KoschykMichael Kretschmer

Gunther KrichbaumDr. Günter KringsDr. Martina KrogmannJohann-Henrich

KrummacherDr. Hermann KuesDr. Karl Lamers (Heidelberg)Andreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafDr. Max LehmerPaul LehriederIngbert LiebingPatricia LipsDr. Michael LutherStephan Mayer (Altötting)Wolfgang MeckelburgDr. Michael MeisterFriedrich MerzLaurenz Meyer (Hamm)Maria MichalkHans MichelbachPhilipp MißfelderDr. Eva MöllringMarlene MortlerCarsten Müller

(Braunschweig)Stefan Müller (Erlangen)Bernward Müller (Gera)Dr. Gerd MüllerHildegard MüllerMichaela NollDr. Georg NüßleinFranz ObermeierEduard OswaldHenning OtteRita PawelskiUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferBeatrix PhilippRonald PofallaRuprecht PolenzDaniela RaabThomas RachelHans RaidelDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergKatherina Reiche (Potsdam)Klaus RiegertFranz RomerJohannes RöringKurt J. Rossmanith

Dr. Norbert RöttgenDr. Christian RuckAlbert Rupprecht (Weiden)Peter RzepkaAnita Schäfer (Saalstadt)Hermann-Josef ScharfDr. Wolfgang SchäubleDr. Andreas ScheuerKarl SchiewerlingChristian Schmidt (Fürth)Andreas Schmidt (Mülheim)Ingo Schmitt (Berlin)Dr. Andreas SchockenhoffDr. Ole SchröderBernhard Schulte-DrüggelteUwe SchummerWilhelm Josef SebastianHorst SeehoferKurt SegnerBernd SiebertThomas SilberhornJens SpahnErika SteinbachChristian Freiherr von StettenGero StorjohannAndreas StormMax StraubingerThomas Strobl (Heilbronn)Lena StrothmannMichael StübgenHans Peter ThulAntje TillmannDr. Hans-Peter UhlArnold VaatzVolkmar Uwe VogelAndrea Astrid VoßhoffGerhard WächterMarco WanderwitzKai WegnerMarcus WeinbergPeter Weiß (Emmendingen)Karl-Georg WellmannAnette Widmann-MauzElisabeth Winkelmeier-

BeckerWolfgang Zöller

SPD

Dr. Lale AkgünGerd AndresNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerRainer Arnold

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7451

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Präsident Dr. Norbert Lammert

Ernst Bahr (Neuruppin)Doris BarnettDr. Hans-Peter BartelsKlaus BarthelSören BartolSabine BätzingDirk BeckerUwe BeckmeyerKlaus Uwe BenneterDr. Axel BergUte BergLothar Binding (Heidelberg)Volker BlumentrittKurt BodewigClemens BollenGerd BollmannKlaus BrandnerWilli BraseBernhard Brinkmann

(Hildesheim)Edelgard BulmahnUlla BurchardtDr. Michael BürschChristian CarstensenMarion Caspers-MerkDr. Peter DanckertDr. Herta Däubler-GmelinKarl DillerMartin DörmannDr. Carl-Christian DresselElvira Drobinski-WeißDetlef DzembritzkiSebastian EdathySiegmund EhrmannHans EichelGernot ErlerPetra ErnstbergerKarin Evers-MeyerAnnette FaßeElke FernerGabriele FograscherRainer FornahlGabriele FrechenDagmar FreitagPeter FriedrichMartin GersterRenate GradistanacAngelika Graf (Rosenheim)Dieter GrasedieckMonika GriefahnKerstin GrieseGabriele GronebergAchim GroßmannWolfgang GrotthausWolfgang GunkelHans-Joachim HackerBettina HagedornKlaus HagemannAlfred HartenbachNina HauerHubertus HeilRolf HempelmannDr. Barbara HendricksGustav HerzogPetra HeßGabriele Hiller-OhmGerd HöferIris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)Eike HovermannKlaas HübnerChristel HummeLothar IbrüggerBrunhilde IrberJohannes Jung (Karlsruhe)Josip JuratovicJohannes KahrsUlrich KasparickDr. h. c. Susanne KastnerUlrich KelberChristian KleimingerHans-Ulrich KloseAstrid KlugWalter KolbowFritz Rudolf KörperKarin KortmannRolf KramerAnette KrammeErnst KranzNicolette KresslVolker KröningAngelika Krüger-LeißnerDr. Hans-Ulrich KrügerJürgen KucharczykHelga Kühn-MengelUte KumpfDr. Uwe KüsterChristine LambrechtChristian Lange (Backnang)Dr. Karl LauterbachWaltraud LehnHelga LopezGabriele Lösekrug-MöllerDirk ManzewskiLothar MarkCaren MarksKatja MastHilde MattheisMarkus MeckelPetra Merkel (Berlin)Dr. Matthias MierschUrsula MoggMarko MühlsteinDetlef Müller (Chemnitz)Michael Müller (Düsseldorf)Gesine MulthauptDr. Rolf MützenichAndrea NahlesThomas OppermannHolger OrtelHeinz PaulaChristoph PriesDr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeMechthild RawertSteffen Reiche (Cottbus)Maik ReichelGerold ReichenbachDr. Carola ReimannChristel Riemann-

HanewinckelRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth (Heringen)Ortwin Runde

Axel Schäfer (Bochum)Bernd ScheelenMarianne SchiederOtto SchilySilvia Schmidt (Eisleben)Renate Schmidt (Nürnberg)Dr. Frank SchmidtHeinz Schmitt (Landau)Olaf ScholzOttmar SchreinerReinhard Schultz

(Everswinkel)Swen Schulz (Spandau)Ewald SchurerFrank SchwabeDr. Angelica Schwall-DürenDr. Martin SchwanholzRita Schwarzelühr-SutterWolfgang SpanierDr. Margrit SpielmannJörg-Otto SpillerDr. Ditmar StaffeltLudwig StieglerRolf StöckelChristoph SträsserDr. Peter StruckJoachim StünkerDr. Rainer TabillionDr. h. c. Wolfgang ThierseJörn ThießenFranz ThönnesRüdiger VeitSimone ViolkaJörg VogelsängerDr. Marlies VolkmerHedi WegenerAndreas WeigelPetra WeisGunter WeißgerberGert Weisskirchen

(Wiesloch)Lydia WestrichDr. Margrit WetzelAndrea WickleinDr. Dieter WiefelspützEngelbert WistubaWaltraud Wolff

(Wolmirstedt)Heidi WrightUta ZapfManfred Zöllmer

FDP

Dr. Karl AddicksChristian AhrendtDaniel Bahr (Münster)Uwe BarthAngelika BrunkhorstErnst BurgbacherMechthild DyckmansJörg van EssenOtto FrickePaul K. FriedhoffHorst Friedrich (Bayreuth)Dr. Edmund Peter GeisenDr. Wolfgang GerhardtHans-Michael GoldmannMiriam Gruß

Dr. Christel Happach-KasanHeinz-Peter HausteinElke HoffBirgit HomburgerDr. Werner HoyerMichael KauchHellmut KönigshausGudrun KoppHeinz LanfermannSibylle LaurischkIna LenkeMichael Link (Heilbronn)Horst MeierhoferPatrick MeinhardtJan MückeBurkhardt Müller-SönksenDirk NiebelHans-Joachim Otto

(Frankfurt)Detlef ParrCornelia PieperGisela PiltzJörg RohdeFrank SchäfflerDr. Konrad SchilyMarina SchusterDr. Max StadlerDr. Rainer StinnerCarl-Ludwig ThieleFlorian ToncarChristoph WaitzDr. Claudia WintersteinDr. Volker WissingHartfrid Wolff (Rems-Murr)Martin Zeil

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kerstin AndreaeMarieluise Beck (Bremen)Volker Beck (Köln)Cornelia BehmBirgitt BenderMatthias BerningerGrietje BettinEkin DeligözDr. Thea DückertHans Josef FellKai GehringAnja HajdukBritta HaßelmannWinfried HermannPeter HettlichUlrike HöfkenDr. Anton HofreiterBärbel HöhnThilo HoppeUte KoczySylvia Kotting-UhlFritz KuhnRenate KünastUndine Kurth (Quedlinburg)Markus KurthMonika LazarDr. Reinhard LoskeAnna LührmannJerzy MontagKerstin Müller (Köln)

7452 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

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Präsident Dr. Norbert Lammert

Winfried NachtweiOmid NouripourBrigitte PothmerClaudia Roth (Augsburg)Elisabeth ScharfenbergChristine ScheelIrmingard Schewe-GerigkDr. Gerhard SchickRainder SteenblockSilke Stokar von NeufornHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeJürgen TrittinWolfgang Wieland

Nein

CDU/CSU

Dr. Wolf BauerWilly Wimmer (Neuss)

SPD

Gregor AmannReinhold HemkerPetra Hinz (Essen)

DIE LINKE

Hüseyin-Kenan AydinHeidrun BluhmEva Bulling-SchröterSevim DağdelenDr. Diether DehmWerner DreibusDr. Dagmar EnkelmannKlaus ErnstWolfgang GehrckeDiana GolzeHeike HänselLutz HeilmannHans-Kurt HillCornelia HirschInge Höger-NeulingUlla Jelpke

Dr. Lukrezia JochimsenDr. Hakki KeskinKatja KippingMonika KnocheJan KorteKatrin KunertOskar LafontaineUlla LötzerUlrich MaurerDorothee MenznerWolfgang NeškovićDr. Norman PaechElke ReinkePaul Schäfer (Köln)Volker Schneider

(Saarbrücken)Dr. Herbert SchuiDr. Ilja SeifertFrank SpiethDr. Kirsten TackmannDr. Axel TroostAlexander UlrichSabine Zimmermann

fraktionslos

Gert Winkelmeier

Enthalten

FDP

Joachim Günther (Plauen)

DIE LINKE

Dr. Dietmar BartschDr. Martina BungeRoland ClausDr. Gregor GysiDr. Barbara HöllMichael LeutertDr. Gesine LötzschKersten NaumannBodo RamelowDr. Petra Sitte

(D)

Wir setzen die Debatte fort. Nächster Redner ist derKollege Dr. Ditmar Staffelt für die SPD-Fraktion.

Dr. Ditmar Staffelt (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Es ist gut, dass wir heute über die Doha-Welthandels-runde bzw. über die Fortsetzung der WTO-Verhandlun-gen sprechen. Denn ich glaube, dass dies tatsächlich einThema der G-8-Präsidentschaft Deutschlands sein mussund sein wird. Ich erwarte zwar nicht, dass alle Problemedieser Welt im nächsten halben Jahr im Rahmen der G-8-Präsidentschaft bzw. im Rahmen der EU-Ratspräsident-schaft unseres Landes gelöst werden können. Doch hierkönnte eine Reihe wichtiger Impulse gesetzt werden.

Ich sage das, weil wir eine verfahrene Situation haben:Die EU hat – auch deshalb ist dieser Antrag wichtig – imVerlauf des Jahres noch einmal ein Angebot unterbreitet.Es ist jetzt aus unserer Sicht insbesondere an den Verei-nigten Staaten von Amerika, gerade im Bereich derLandwirtschaft den Forderungen des Restes der Welt einStückchen entgegenzukommen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Ich gebe all jenen Recht, die sagen: Wir dürfen nicht im-mer darauf warten, dass sich noch einer bewegt, und an-sonsten das Scheitern hinnehmen. Ich konzediere sehrwohl, dass auch Europa noch das eine oder andere leis-ten kann. Sie haben zu Recht darauf verwiesen, dass eseuropäische Länder gibt, deren Landwirtschaft in einemMaße von Subventionen profitiert, dass wir schon sagenmüssen: Hier muss den Entwicklungsländern in stärke-rem Maße Gelegenheit gegeben werden, ihre landwirt-schaftlichen Erzeugnisse nach Europa zu exportieren.Nur, zuallererst brauchen wir Bewegung in den Verei-nigten Staaten von Amerika. Nach den Aussagen vonHandelskommissar Mandelson gibt es einige positive

Ansätze seitens des Umfeldes des US-Präsidenten. Wiesich der Kongress im Einzelnen verhalten wird, gilt alsfraglich. Hier müssen wir einen Teil unserer Bemühun-gen entfalten, die Amerikaner auf diesem Wege in Be-wegung zu bringen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Lassen Sie mich einen Punkt ansprechen, der in unse-rer Debatte immer wieder wichtig ist: Natürlich ist eseine Entwicklungsrunde. Es ist aber auch eine Runde,bei der Europa seine Interessen in der Welt vertritt. Ichhabe hier bei anderer Gelegenheit schon einmal gesagt:Auch mit den Schwellenländern stehen wir heute inheftigem Wettbewerb,

(Beifall des Abg. Hellmut Königshaus [FDP])

vor allem mit den Chinesen, den Indern und den Brasi-lianern, aber auch mit den Südafrikanern und den Mexi-kanern. Dass sich Europa hier in angemessener Weise po-sitionieren muss, damit es im Welthandel keine Nachteileerleiden muss, liegt wohl auf der Hand. Wir sind eines derHauptexport- und -handelsländer dieser Welt. Deshalbliegt es besonders in unserem Interesse – das sage ich be-wusst in Richtung des Wirtschaftsministeriums –, allesErdenkliche dafür zu tun, dass das multilaterale Welthan-delssystem erhalten bleibt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen auch weiter daran arbeiten, dass endlichwieder Vertrauen in die internationalen Institutionen ein-kehrt. Es geht hier nicht nur um die WTO, es geht auchum den IWF und die Weltbank. Wenn wir unsere Philo-sophie ein Stück weit verändern – sie darf nicht mehr ge-tragen sein von der Dominanz der Amerikaner, sondernwir müssen von einer multipolaren Welt der Zukunft

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7453

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Dr. Ditmar Staffelt

ausgehen –, dann kann Deutschland einen wichtigen,vermittelnden, aber in der Zielsetzung durchaus klarenStandpunkt entwickeln, mit dem wir die Dinge voran-bringen können. Darum bitte ich die Bundesregierungausdrücklich.

(Beifall bei der SPD)

Es geht bei dem Werben auch um etwas, das mir im-mer mehr Kopfschmerzen bereitet: die Vorbildfunktion.Man kommt auf internationale Kongresse und Tagun-gen, und die Entwicklungsländer fragen zu Recht: Wasmacht eigentlich ihr Amerikaner, aber auch ihr Euro-päer? Ihr haltet euch nur sehr bedingt an die von euchselbst gesetzten Standards. Doch von uns erwartet ihr,dass wir diese Standards erfüllen. – Hier muss ein stär-keres Maß an Durchgängigkeit, an Klarheit dessen, waswir anderen zumuten, und dessen, was wir uns selbst zu-muten müssen, hergestellt werden. Diese Glaubwürdig-keit kann auch im Rahmen unserer G-8-Präsidentschaftstärker in den Mittelpunkt gestellt werden.

Jene, die in dieser Debatte darauf verwiesen haben,das ganze WTO-System sei eigentlich nichts weiter alseine neokoloniale Erscheinung, sollten einmal über Fol-gendes nachdenken: Die Alternative zur Multilateralitätist, dass eine Vielzahl bilateraler Abkommen geschlos-sen würden. Das würde am Ende insbesondere den ärms-ten der armen Länder in der Welt schaden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir wie andere vergleichbare Länder würden vielleichtnoch damit zurechtkommen, die armen Länder aber mitSicherheit nicht. In diesen Ländern würde sich der Pro-zess der Verarmung in einer Weise fortsetzen, die nichtmehr verantwortbar wäre. Deshalb müssen wir in dieserFrage beieinander stehen.

(Walter Kolbow [SPD]: Sehr wahr!)

Ein weiterer Punkt. Wir müssen, allein schon aus ei-genem Interesse, allergrößten Wert darauf legen, dassdie Kernarbeitsnormen der ILO und Umwelt- und So-zialstandards in verstärktem Maße Eingang in die Volks-wirtschaften dieser Welt finden. Es führt kein Weg daranvorbei, auf dieses Thema hinzuweisen, selbst wenn esnicht unmittelbar in die WTO-Verhandlungen einfließenkann. Nur dann werden wir a) zur Wahrung der Men-schenwürde beitragen, b) die Realisierung des Klima-schutzes voranbringen und c) dafür Sorge tragen, dassdie Wettbewerbsfähigkeit in dieser Welt und damit un-sere Wettbewerbsposition nicht dadurch weiter untermi-niert werden, dass sich andere überhaupt nicht an Stan-dards halten und tun, was sie wollen, noch dazuungestraft. Das darf nicht sein. Wir müssen uns alle zu-sammen dafür einsetzen, dass sich Europa und Deutsch-land dieser Aufgabe stellen und eine wichtige Klammer-funktion wahrnehmen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Abschließend noch ein Aspekt, der kürzlich bei derWTO-Parlamentarierkonferenz eine gewisse Rolle ge-

spielt hat: Wir müssen uns langfristig Gedanken darübermachen, ob die Struktur der WTO wirklich als arbeitsfä-hig zu bezeichnen ist.

(Beifall des Abg. Dr. Axel Berg [SPD])

Es ist gut, wenn alle Einfluss haben und mitbestimmenkönnen. Aber eine Organisation oder Institution, diesanktionieren kann und die handeln und steuern muss,braucht letztlich ähnliche Strukturen wie beispielsweisedie Vereinten Nationen. Nur ein Delegationsverfahrenermöglicht letztlich Arbeitsfähigkeit. Diesen Aspektsollten wir Deutsche im Rahmen der G 8 zur Sprachebringen, zumal sich auch die EU dazu schon eingelassenhat.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kommezum Schluss. Wir sollten mit großem Engagement dieFortführung der Doha-Entwicklungsrunde betreiben.Falls es nicht weitergehen sollte, sollten wir alles dafürtun, um die Ergebnisse der Konferenz in Hongkong zusichern. Das wäre zugunsten der Entwicklungsländer,aber auch zugunsten unserer Position. Ich denke, das isteine Menge Arbeit. Ich hoffe sehr, dass Herr Glos undsein Wirtschaftsministerium die der Stellung Deutsch-lands zukommende Aufgabe wahrnimmt.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun die Kollegin Ulla Lötzer, Fraktion

Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Ulla Lötzer (DIE LINKE): Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Kollege

Fritz, Kollege Staffelt, bei aller Beschwörung des gutenWillens zum Abschluss: Der Geist des Antrags spiegeltdie Gründe für das Scheitern der WTO-Verhandlungenwider.

Rufen wir uns einmal den Ausgangspunkt in Erinne-rung. Die verheerenden Folgen der Uruguayrunde – alsKonsequenz von Liberalisierung und Deregulierung –waren nicht Wohlstandsentwicklung, sondern wachsendeArmut und wachsende Polarisierung. Deswegen war eserforderlich, für die Zustimmung der Entwicklungsländerzur Doharunde deren Interesse in den Mittelpunkt zu stel-len und nichts anderes. Deshalb sollte es eine Entwick-lungsrunde werden. Aber wo Entwicklung draufsteht,muss auch Entwicklung drin sein –

(Beifall bei der LINKEN)

anstatt, wie Sie, die Interessen der Konzerne in Europaund Deutschland in den Vordergrund zu stellen.

Weiterhin fordern Sie das Dreiecksgeschäft: Zuge-ständnisse an die Entwicklungsländer gibt es nur, wenndie Schwellenländer ihre Märkte für die Industrie undfür Dienstleistungen öffnen. Ausnahmen zum Schutz derErnährungssicherheit und für Souveränität sollen nur fürdie ärmeren Entwicklungsländer gelten. Auch die Men-

7454 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

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Ulla Lötzer

schen in Brasilien und Indien wehren sich zu Recht ge-gen den Ausverkauf ihrer öffentlichen Daseinsvorsorge.

(Beifall bei der LINKEN)

Kollege Fritz, Sie haben vor kurzem während derReise nach Indien doch auch wieder erfahren: Schutz-mechanismen für die Landwirtschaft sind auch in Indiendringend notwendig, weil sonst Millionen von Subsis-tenzbauern ihrer Lebensgrundlagen beraubt werden.

(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Das bestreitet auch niemand!)

Sie weisen zu Recht auf die Verletzung der Kern-arbeitsnormen in vielen Ländern – zum Beispiel inChina – hin. Wer veranlasst diese aber und wer zieht denNutzen daraus?

Am 8. Oktober 2006 hat das Magazin „Weltspiegel“in einem Bericht über einen chinesischen Hersteller vonDuschvorhängen gezeigt, wie die Aufkäufer aus Europaund den USA in China agieren. Sie erpressen die chine-sischen Hersteller: Wenn du den Auftrag willst, musst dubilliger produzieren als bisher – auch unter Verletzungder Kernarbeitsnormen. – Eingekauft wird in China für1,96 Dollar und verkauft wird in Europa für 20 bis30 Dollar. Wer die Bedeutung der ILO-Kernarbeitsnor-men stärken will, der sollte zunächst einmal die europäi-schen Konzerne verbindlich darauf verpflichten, sieauch in China einzuhalten.

(Beifall bei der LINKEN)

Wer die soziale Situation verbessern will, der muss dieKonzerne hinsichtlich der Kernarbeitsnormen auch beiden Investitionen in die Pflicht nehmen.

Mit der EU-Strategie „Ein wettbewerbsfähigesEuropa in einer globalen Welt“ forcieren Sie im Gegen-teil die Freizügigkeit bei Investitionen europäischerKonzerne in bilateralen Handelsabkommen. Damit neh-men Sie den Regierungen die Gestaltungsmacht in die-sen Dingen, anstatt sie zu stärken. Auch für Europa be-handeln Sie soziale und ökologische Auflagen in dieserStrategie als Hindernis für die Wettbewerbsfähigkeit, diees zu beseitigen gilt.

Wer erfolgreiche Verhandlungen und einen erfolgrei-chen Abschluss will, der muss im Rahmen der Ratspräsi-dentschaft und des G-8-Vorsitzes eine Neuorientierungvornehmen: die Förderung sozialer und ökologischerNachhaltigkeit in Europa und in den Verhandlungen, dieOrientierung an einem fairen Welthandel mit den Ent-wicklungs- und Schwellenländern – das heißt, Ernäh-rungssicherheit und Souveränität für alle; auch für dieSchwellenländer –, eine tatsächlich an deren Interessenorientierte Verhandlung – das heißt, keine Ausweitung indas GATS – und der Schutz vor dem Zugriff auf ihreMärkte. Kollege Fritz, der Handel braucht auch die Ab-sicherung des Sozialsystems. Das gilt also nicht nur um-gekehrt.

Schöne Feiertage und auf gute Zusammenarbeit imnächsten Jahr!

Danke.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Ditmar Staffelt[SPD]: Am Schluss eine solche Weichmacher-nummer! Wieso sollen wir mit Ihnen gut zu-sammenarbeiten?)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Thilo Hoppe, Fraktion Bündnis 90/die Grünen.

Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der

11. September 2001 brachte einen großen Schock. Un-mittelbar danach fand in Doha eine Konferenz statt. Un-ter dem Eindruck dieser schrecklichen Ereignisse gab esdas Versprechen, dass die Doharunde eine Entwick-lungsrunde werden sollte. Es wurde schon gesagt: DieAuswertung der Uruguayrunde hatte ergeben, dass esden ärmsten Ländern danach noch schlechter als zuvorging. An die Doharunde wurde ein ganz anderer An-spruch gestellt: Mit ihr sollte wirklich zur Armutsbe-kämpfung und zur Wohlfahrtssteigerung in den Entwick-lungsländern beigetragen werden.

Doch was ist daraus geworden? Wir erleben in denDiskussionen sehr viel Entwicklungsrhetorik. Ich habedas „off the record“ am Rande der WTO-Konferenz inHongkong erlebt, weil ich in demselben Hotel wie dieMitglieder der EU-Kommission untergebracht war.Abends an der Hotelbar hat ein sehr hoher Repräsentantder EU-Kommission gesagt: Meine Herren, bei den Er-öffnungsveranstaltungen müssen wir alle eine Träne aus-drücken, die Millenniumsziele zitieren und von der Ar-mutsbekämpfung sprechen. Aber seien wir ehrlich:Wenn wir nach Hause kommen, werden wir daran ge-messen, was wir für unsere Exportindustrie herausgeholthaben. – Das war jetzt kein Originalzitat – ich habe esnicht mit einem Rekorder aufgenommen –, aber sinnge-mäß vorgetragen. Offenbar legen viele dort eine ziem-lich zynische Haltung an den Tag.

Hier wurde in vielen Reden gesagt, die EuropäischeUnion habe sich bereits hervorragend bewegt; abgesehenvon den Franzosen seien es allein die Amerikaner, dieblockierten. Das sieht die große Mehrheit der Entwick-lungsländer völlig anders. Auch da gibt es eine großeKluft zwischen Selbsteinschätzung und Fremdwahrneh-mung.

In den Reden, die zum Antrag gehalten wurden,wurde viel Richtiges gesagt. Ich war angenehm über-rascht, dass die Kernarbeitsnormen der ILO unter-stützt werden. Es ist eine sehr wichtige und gute Forde-rung in diesem Antrag, diese Normen anzuwenden.Außerdem wurde gefordert, ein Standing Forum zuetablieren, damit sich die WTO stärker mit anderen mul-tilateralen Organisationen, die für die ökologischen undsozialen Dimensionen der Globalisierung verantwortlichsind – die WTO ist stark; die anderen Organisationensind sehr schwach –, verzahnt. Richtig war auch, dassgesagt wurde: Umweltschweinereien und ausbeuterischeKinderarbeit sowie die Verletzung von Kernarbeitsnor-men dürfen sich nicht als komparative Kostenvorteileauswirken. Das sind ganz wichtige Punkte, die ich aus-

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Thilo Hoppe

drücklich unterstreichen möchte. Das Votum fast allerRedner ist also zu unterstützen: Wir sind nicht an einemScheitern der WTO, sondern an ihrer Stärkung interes-siert; wir brauchen multilaterale Regeln für alle.

Wir können hier eigentlich eine breite Übereinkunftvon fast allen feststellen. Liest man aber den Antrag, er-kennt man, dass er in einigen Punkten eine ganz andereSprache spricht. Er beinhaltet Double-Bind: Einerseitsfordert er, der Doha-Entwicklungsrunde zum Erfolg zuverhelfen; gleichzeitig sagt er aber auch: Wenn das nichtklappt, müssen bilaterale und polylaterale Verhand-lungen mit Kraft geführt werden.

(Manfred Zöllmer [SPD]: Das wollen dochviele Entwicklungsländer auch, wenn das nichtklappt!)

Das ist keine Zukunftsvision; das geschieht schon, etwaim Rahmen der EPA-Verhandlungen, der Verhandlungenmit den AKP-Staaten sowie bei den Verhandlungen mitasiatischen Staaten, mit China und Indien, die PeterMandelson begleitet hat. Damit wird aber nicht das Er-gebnis von Hongkong gesichert.

Themen, die bei der WTO schon hinten herunterge-fallen waren, kommen durch die Hintertür wieder auf dieAgenda; das wird im Antrag sogar ausdrücklich gefor-dert. Hiermit meine ich die Singapurthemen: Investi-tionsschutz, Wettbewerb, öffentliches Beschaffungswe-sen. Unter Rot-Grün haben wir vor der Cancúnkonferenzeinen Antrag verabschiedet, der eindeutig vorsah, dieSingapurthemen herauszunehmen, weil sie zu kompli-ziert sind, weil sie eine Einigung erschweren. Jetzt heißtes im Antrag plötzlich zu bilateralen Abkommen, sie

… sollten allerdings mit dem Anspruch verbundenwerden, über den aktuellen Stand der WTO-Verein-barungen hinauszugehen.

Diese Themen sollen also wieder aufgenommen wer-den.

(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Das macht auch keinen Sinn, die herauszunehmen!)

Das ist eine Sabotage der WTO. Wir sehen das sehr kri-tisch. In diesem Bereich können wir Ihrem Antrag nichtzustimmen.

Wir möchten eine Entwicklungsrunde, die diesen Na-men verdient. Das Wort Entwicklungsrunde soll keinEtikettenschwindel sein. Das macht weit größere Zuge-ständnisse auch der Europäischen Union bei derAbschaffung der Agrarexportsubventionen – nichtnur der direkten Agrarexportsubventionen, sondern allerSubventionen im Agrarbereich, die sich handelsverzer-rend und nachteilig für die Entwicklungsländer auswir-ken können – erforderlich.

Zum Schluss möchte ich einige Redner bremsen. Ei-nige Rednerinnen und Redner haben zitiert, eine gren-zenlose Liberalisierung aller Märkte würde große Wohl-standsgewinne für die ganze Welt bringen. Es gibt neueStudien der Weltbank – ich habe die Zahlen leider nichtvorliegen; ich kann sie Ihnen aber zur Verfügungstellen –, die besagen, dass eine grenzenlose Liberalisie-

rung beispielsweise für die Staaten Afrikas große Risi-ken in sich berge. Man hat die bisherigen Zahlen starkrelativiert. Das, was ich sage, hat weder Attac noch dieKirchen, sondern die Weltbank selber formuliert. Esheißt dort, gerade die ärmsten, aber auch die weniger ar-men Staaten Afrikas brauchten in einigen Bereichenmehr Schutzmechanismen, mehr Außenschutz, um nichtnur den Ernährungssektor, sondern auch die sonstige In-dustrie, die sich gerade entwickelt und noch sehr verletz-lich ist, zu schützen.

Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege!

Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich werbe also für eine Entwicklungsrunde, die diesen

Namen wirklich verdient. Wir sollten der Entwicklungs-rhetorik nicht auf den Leim gehen.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den An-trag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD mit demTitel „Anstrengungen für einen erfolgreichen Abschlussder Doha-Welthandelsrunde mit höchster Prioritätfortsetzen“. Wer stimmt für den Antrag auf Druck-sache 16/3810? – Das sind die Antragsteller. – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Das erste war dieMehrheit. Dann ist der Antrag angenommen.

Zum Tagesordnungspunkt 24 b stimmen wir nun überdie Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirt-schaft und Technologie auf Drucksache 16/3584 zumAntrag der FDP-Fraktion mit dem Titel „Doha-Rundewieder beleben – WTO-Generaldirektor als Schlichtereinsetzen“ ab. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag aufDrucksache 16/2658 abzulehnen. Wer stimmt für die Be-schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit Mehrheitgegen die Stimmen der FDP angenommen.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 25 auf:

Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Christel Happach-Kasan, Cornelia Pieper,Hans-Michael Goldmann, weiterer Abgeordneterund der Fraktion der FDP

Eigentumsrechte und Forschungsfreiheitschützen – Entschiedenes Vorgehen gegen Zer-störungen von Wertprüfungs- und Sortenver-suchen sowie von Feldern mit gentechnischveränderten Pflanzen

– Drucksache 16/2835 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f)Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Gesundheit

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Präsident Dr. Norbert Lammert

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort derKollegin Dr. Christel Happach-Kasan für die FDP-Frak-tion.

(Beifall bei der FDP)

Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

23 Felder mit gentechnisch veränderten Pflanzen wur-den in diesem Jahr zerstört. Forschungsinvestitionenwurden entwertet, Wissensfortschritt verhindert und dasEngagement junger Wissenschaftlerinnen und Wissen-schaftler ins Leere geführt. Wir in der FDP empfindendiese Situation als unerträglich.

(Beifall bei der FDP)

Dabei wollen wir festhalten: Die Mehrzahl der Zer-störungen richtete sich nicht gegen den kommerziellenAnbau von Bt-Mais, eine gentechnisch veränderte Mais-sorte, die gegen das Schadinsekt Maiszünsler resistentist. Die Mehrzahl der Zerstörungen richtete sich gegenSortenversuche und Wertprüfungen, gegen Versuche zurbiologischen Sicherheit und gegen Koexistenzversuche.All diese Versuche finden auf Miniflächen statt. Damitrichteten sich diese Zerstörungen gezielt gegen denZüchtungsfortschritt von landwirtschaftlich genutztenSorten und die Steigerung der Wertschöpfung in denländlichen Räumen. Die Schäden betrugen mehrere Mil-lionen Euro. Ich meine, dass wir das nicht länger hinneh-men können.

(Beifall bei der FDP)

Eine Regierung, die eine Hightechstrategie auf denWeg gebracht hat und diese auch umsetzen will, wie ichannehme, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPDund der CDU/CSU, und die im Koalitionsvertrag verein-bart hatte, dass Anbau und Forschung gentechnischveränderter Pflanzen zum Wohle der ländlichen Räumegefördert werden sollen, ist angesichts dieses zerstöreri-schen Demonstrationstourismus gefordert, Gegenmaß-nahmen zu entwickeln.

Mittelständische Zuchtunternehmen haben wegendieser Situation bereits vor mehreren Jahren Forschungs-abteilungen ins Ausland verlagert.

Studenten, Diplomanden, Doktoranden und andereWissenschaftler können aufgrund ihrer guten Sprach-kenntnisse ebenfalls ins Ausland gehen. Es ist für siekein Problem, ein Arbeitsplatzangebot im Ausland anzu-nehmen.

Aber was wird aus unserem Mittelstand, aus der Gas-tronomie und dem Handwerk, wenn diejenigen unserLand verlassen, die relativ gut verdienen und es sichleisten können, ein Haus zu bauen, die hier Urlaub ma-chen und gerne in die Gastwirtschaft gehen?

(Gudrun Kopp [FDP]: Das ist ein großer Ver-lust!)

Das wäre ein großer Verlust für unser Land und vor al-lem für die Menschen, die darauf angewiesen sind, dassandere ihr Geld bei ihnen ausgeben.

(Beifall bei der FDP)

Deswegen ist es nicht nur eine Frage des Züchtungs-fortschritts, sondern auch des sozialen Miteinanders, obes sinnvoll ist, dass wir als ein Land, in dem relativ hoheGehälter gezahlt werden, diejenigen ins Ausland vertrei-ben, die diese hohen Einkommen beziehen. Es stellt sichauch die Frage, ob es sinnvoll ist, diejenigen, die bei unsstudiert und sich ein umfassendes Wissen erarbeitet ha-ben, ins Ausland gehen zu lassen, weil sie bei uns keineArbeit finden.

Der Wackelkurs von Minister Seehofer in der Frageder Novellierung des Gentechnikgesetzes hat den De-monstrationstourismus noch gefördert. Er hat die Hoff-nung geweckt, es gäbe Möglichkeiten, die Gentechnikzu verhindern. Dabei wissen wir alle, dass gentechnischveränderte Pflanzen inzwischen weltweit auf über90 Millionen Hektar angebaut werden.

(Ulrich Kelber [SPD]: 95 Prozent in vier Ländern!)

– In mehr als vier Ländern, und es sind große Länder.

Die Produkte kommen zu uns. Es macht keinen Sinn,sich gegen eine Züchtungsmethode zu wehren, über diezum Beispiel der Senat der Bundesforschungsanstaltensagt: Bt-Mais ist gesünder als herkömmlich gezüchteterMais. Warum soll dieser Züchtungsfortschritt bei unsverhindert werden?

(Beifall bei der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Ken-nen Sie auch das Gutachten des BfN?)

– Ich kenne auch das Gutachten, das in Bayern erarbeitetwurde. Das Bt-Mais-Monitoring wurde in vier Jahren anfünf Standorten durchgeführt. Das Gutachten ist hervor-ragend. Wenn Sie es ganz lesen, dann werden Sie fest-stellen, was uns alles entgeht.

(Ulrich Kelber [SPD]: Das Gutachten desBundesamtes für Naturschutz, nicht nur inBayern!)

– Das Bundesamt für Naturschutz hat in seinen Stel-lungnahmen in der Regel eine sehr abwegige Sicht derDinge. Es weiß noch nicht einmal, dass beispielsweiseKartoffeln nicht auskreuzen.

(Uta Zapf [SPD]: Das ist höhnisch!)

– Das ist nicht höhnisch. Ich habe mich mit dem Gutach-ten des Bundesamtes für Naturschutz und den an michgerichteten Briefen auseinander gesetzt. Ich habe siemithilfe von Wissenschaftlern gegengecheckt undmusste feststellen, dass das Bundesamt für Naturschutzin Forschungsfragen nicht auf der Höhe der Zeit ist. Ichwill Ihnen ganz ehrlich sagen: Das bedauere ich als en-gagierte Biologin.

(Beifall bei der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Was sagt das BfN zum Bt-Mais?)

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Dr. Christel Happach-Kasan

– Ich fahre in meiner Rede fort. Aber Sie dürfen mirselbstverständlich gerne eine Frage stellen, Herr Kol-lege.

Präsident Dr. Norbert Lammert: Nein. Es gab bereits vorher eine andere Wortmeldung.

Diese müssen wir, wenn überhaupt, zuerst berücksichti-gen.

Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Entschuldigung, das habe ich nicht gesehen.

Präsident Dr. Norbert Lammert: Gestatten Sie denn eine Zwischenfrage? Sehen allein

reicht nicht.

Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Sehr gerne.

Präsident Dr. Norbert Lammert: Bitte schön, Frau Kurth.

Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):

Frau Happach-Kasan, habe ich richtig verstanden,dass Sie gesagt haben, dass das Bundesamt für Natur-schutz in der Einschätzung wissenschaftlicher Sachver-halte nicht auf der Höhe der Zeit ist?

Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Ich habe mich insbesondere mit den Arbeiten des

Bundesamtes für Naturschutz zur Freisetzung von Kar-toffeln auseinander gesetzt. Ich habe einen Brief vonHerrn Vogtmann zu diesem Thema bekommen. Ich habenach Kontrolle durch andere wissenschaftliche Einrich-tungen der Bundesrepublik Deutschland feststellen müs-sen, dass bestimmte Dinge, die das Bundesamt für Na-turschutz vertritt, nicht richtig sind. Ich möchte zudemdaran erinnern, dass das UBA und das BfN gemeinsamGutachten über die Wirksamkeit von Freisetzungsversu-chen herausgegeben haben, die meine Position sehrdeutlich bestätigen. Das heißt, wenn das UBA beteiligtwird, kann auch das BfN gut arbeiten.

(Beifall bei der FDP – Ulrich Kelber [SPD]:Das BfN hat zur Maisfreisetzung „unverant-wortbar“ gesagt! Das ist eine Unterstützungfür Frau Happach-Kasan!)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Möchten Sie eine weitere Zwischenfrage aus den ei-

genen Reihen beantworten?

Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Gerne.

Präsident Dr. Norbert Lammert: Bitte schön, Herr Königshaus.

Hellmut Königshaus (FDP): Frau Kollegin, teilen Sie meine Auffassung, dass die

Bundesregierung offenbar die Zuständigkeit für die Gen-technologie im Bereich des Auswärtigen Amtes ansie-delt? Denn außer Herrn Erler ist niemand sonst von derBundesregierung bei diesem Tagesordnungspunkt ver-treten.

(Ute Kumpf [SPD]: Die wollte nicht mit mehr Leuten da sein als die FDP-Fraktion!)

Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Ich teile Ihre Auffassung, dass die Bundesregierung

offensichtlich die Verantwortung für die Grüne Gentech-nik in das Auswärtige Amt verlagert hat. Ich glaube,dass sie dort gut aufgehoben ist. Ich darf an meine Erfah-rungen in Argentinien erinnern. Dort wurde uns gesagt:Die Koexistenz ist die Sache derjenigen, die ohne Gen-technik anbauen wollen. Insofern vielen Dank für IhreUnterstützung.

(Beifall bei der FDP – Eckart von Klaeden[CDU/CSU]: Der Staatssekretär aus dem Ver-teidigungsministerium ist auch anwesend!)

Ich möchte in meiner Rede fortfahren. Bei der Novel-lierung des Gentechnikgesetzes verspielt Bundesminis-ter Seehofer viele Chancen für den Wissenschaftsstand-ort Deutschland. Willentlich hat Minister Seehofer dieNovellierung des Gentechnikgesetzes so weit hinausge-schoben, dass es in der kommenden Anbausaison nichtmehr zur Geltung kommt. Damit enttäuscht insbeson-dere die CDU/CSU, mit der ich noch vor einem Jahr völ-lig übereingestimmt habe, die Erwartungen der Wähle-rinnen und Wähler.

(Zuruf der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE])

– Das glaube ich sehr wohl, Frau Kollegin Tackmann.

(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Seehofer kann auch dazulernen!)

Es gibt in unserem Rechtsstaat keinen Freibrief fürrechtswidriges Handeln. Im Grundgesetz ist der Schutzdes Eigentums verankert. Die Zerstörung von Feldern isteine gesetzeswidrige Aktion. Den Aktivisten, die für dieZerstörung von Feldern werben, ist dies bekannt. Laut„taz“ sagte eine Aktivistin: „Wir wissen, dass es sich imPrinzip um eine Sachbeschädigung handelt, und gehenvon einer Anklage aus.“ Die FDP bedauert, dass sichtrotz der eindeutigen Rechtslage nur wenige Verbändesowie nur wenige Politikerinnen und Politiker von– rechtswidrigen – Zerstörungsaktivitäten distanzie-ren. Ministerin Künast hat in ihrer Amtszeit auf die kon-krete Anfrage des ZDF eine Distanzierung verweigert.Greenpeace begrüßt laut einer Sprecherin eine Vielzahlvon Protesten. Ich wünsche mir, dass sich meine Kolle-ginnen und Kollegen aus den anderen Fraktionen in denkommenden Debatten öffentlich von diesen Zerstörun-gen distanzieren; denn unser Rechtsstaat ist ein sehr ho-hes Gut, das wir einer tagespolitischen Auseinanderset-zung nicht opfern sollten.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

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Dr. Christel Happach-Kasan

Wer Transparenz beim Anbau gentechnisch veränder-ter Pflanzen will, muss den Zerstörungen aktiv entge-gentreten. Es ist in meinen Augen extrem doppelzüngig,die Ortsangabe für diese Felder einzufordern, aber wennsie zerstört werden, die Hände in Unschuld zu waschen.Wir sollten uns einig sein – –

Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin, einig sollten wir uns auch über die Re-

dezeit sein. Diese ist, wie Ihnen entgangen sein dürfte,schon deutlich überschritten.

Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Ich möchte die Geduld der Kolleginnen und Kollegen

nicht zu lange strapazieren und komme deshalb zumSchluss. Ich bin in Brandenburg bei einer der23 Zerstörungsaktionen dabei gewesen.

(Zurufe von der SPD: Oh! – Jürgen Trittin[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Selbst-anzeige?)

– Als Beobachter und Schützer des Landwirts! – Er-schreckend waren der extrem geringe Informationsstandvieler Aktivisten – nicht aller – und die Tatsache, dassdie Veranstalter vor Fehlinformationen nicht zurück-scheuten und dass diese Aktion durchgezogen wurde,obwohl sie in der dortigen Bevölkerung keinerlei Unter-stützung fand. Nur die „taz“ hat von dieser Aktion be-richtet. Dieses Beispiel macht deutlich, dass die gewalti-gen Proteste nicht von Ängsten motiviert sind, sondern– immer am Wochenende organisiert – eine Form derFreizeitgestaltung sind.

(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Ausgerechnet am Wochenende! MeinGott! Am Wochenende! Nee! Können dienicht in die Kirche gehen?)

Diese sollte durch das Gentechnikgesetz keine wei-tere Unterstützung finden. Auch deswegen muss dasGentechnikgesetz novelliert werden.

Diese Art der Freizeitgestaltung

(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sollen die das während der Arbeit machen?)

muss auf den Widerstand der Gesellschaft, der Politike-rinnen und Politiker und von ernsthaft im Naturschutzengagierten Verbänden treffen.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und wün-sche Ihnen schöne Weihnachten und ein gutes neuesJahr.

(Beifall bei der FDP – Jürgen Trittin [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Letzterem schließenwir uns gerne an!)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Kolleginnen und Kollegen Dr. Max Lehmer,

Elvira Drobinski-Weiß, Dr. Kirsten Tackmann undUlrike Höfken geben ihre Reden zu Protokoll.1)

1) Anlage 2

(Ute Kumpf [SPD]: Das ist ein schönes Weih-nachtsgeschenk!)

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage aufDrucksache 16/2835 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Ich stelle fest, dass das so ist. Damit ist dieÜberweisung so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf:

Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierung

Erster Bericht der Bundesregierung über dieUmsetzung des Aktionsplans zur zivilen Kri-senprävention, Konfliktlösung und Friedens-konsolidierung – Sicherheit und Stabilitätdurch Krisenprävention gemeinsam stärken

– Drucksache 16/1809 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss (f)VerteidigungsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Hierzu soll eine dreiviertelstündige Debatte stattfin-den. Ich stelle dazu Einvernehmen fest. Dann ist das sobeschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hatzunächst Staatsminister Gernot Erler.

Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am

12. Mai 2004 hat die rot-grüne Bundesregierung den Ak-tionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung undFriedenskonsolidierung“ vorgelegt. Er enthielt mehr als160 Handlungsvorschläge, baute auf einer Reorientie-rung von Sicherheitspolitik seit dem Jahr 2000 auf undreflektierte Erfahrungen mit verschiedenen Konflikten,unter anderem auf dem Balkan und später auch in Af-ghanistan.

Zwei Jahre später, am 31. Mai 2006, hat das Bundes-kabinett den ersten Bericht zur Umsetzung dieses Ak-tionsplans verabschiedet und vorgelegt. Auf 133 Seitenwird hier bilanziert, was zwischen Mai 2004 und Mai2006 erreicht werden konnte. Dieser Bericht stellt fest:Der Aktionsplan hat das deutsche Engagement bei Kri-senpräventionsmaßnahmen verstärkt und das auch inter-national sichtbar gemacht. Der Aktionsplan hat insge-samt zu erhöhter Aufmerksamkeit auf diesenPolitikbereich geführt und dazu beigetragen, dass heuteKrisenprävention zunehmend Teil von Sicherheitspolitikgeworden ist. Diese Erkenntnis hatte sich auch in demkürzlich vom Deutschen Bundestag beratenen Weiß-buch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zu-kunft der Bundeswehr 2006 niedergeschlagen. Ichmöchte daraus eine kurze Passage in Erinnerung rufen.Dort heißt es wörtlich:

Sicherheit kann weder rein national noch alleindurch Streitkräfte gewährleistet werden. Erforder-lich ist vielmehr ein umfassender Ansatz, der nur invernetzten sicherheitspolitischen Strukturen sowie

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Staatsminister Gernot Erler

im Bewusstsein eines umfassenden gesamtstaatli-chen und globalen Sicherheitsverständnisses zu ent-wickeln ist. Das Gesamtkonzept der Bundesregie-rung „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung undFriedenskonsolidierung“ ist ein Baustein hierzu.

Dieser Baustein wird immer wichtiger. Warum? Weil je-der sieht, dass ein alleiniges Setzen auf Fähigkeiten,Konflikte, wenn sie ausbrechen, durch militärische In-tervention unter Kontrolle zu bringen, große Risikenbirgt. Wir wissen aus dem Balkan und aus Afghanistan,dass das Risiko besteht, dass jede solche Intervention zueiner sehr aufwendigen Langzeitverantwortung führtund dass dabei tendenziell eine Überforderung, ein sogenanntes Overstretching, der Weltgemeinschaft ent-steht. Die Alternative ist in der Tat eine wirksamere, vor-ausschauende Friedenspolitik, eine bessere und frühzei-tige Analyse, Early Warning, und eine bessere undfrühzeitige Antwort, Early Action, auf drohende Kon-flikte, also letztlich die Verhinderung von Krisen, be-vor sie überhaupt richtig ausbrechen können.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dieser Baustein ist aber auch wichtig, weil wir die Er-fahrung machen, wie schwierig Friedenskonsolidierung,also die langfristige Stabilisierung nach einer vorläufi-gen Konfliktlösung, ist. Wir verdanken dem scheidendenUN-Generalsekretär Kofi Annan die Erkenntnis, dass50 Prozent aller schon gelösten Konflikte nach fünf Jah-ren wieder virulent werden und wieder ausbrechen. Weildas so ist, ist es kein Wunder, dass zivile, präventive undfriedenskonsolidierende Missionen immer wichtigerwerden. Es ist kein Zufall, dass von den 15 laufendenMaßnahmen im Rahmen der ESVP heute 13 ziviler undnur zwei militärischer Natur sind. In diese Richtung gehtes weiter.

Während unserer Ratspräsidentschaft in der EU wer-den wir wahrscheinlich die bisher umfangreichsteRechtsstaatsmission in der bisherigen Geschichte derESVP auf den Weg bringen, nämlich die im Kosovo.Dort werden etwa 950 Spezialisten plus 250 Polizisteneingesetzt, die auf Crowd-and-Riot-Control spezialisiertsind. Wir werden vielleicht darüber beraten müssen, wasdas Ergebnis der Fact-Finding-Mission ist, die gerade inAfghanistan war und die dort über eine PolizeimissionFakten gesammelt hat. Wir werden uns sicher darüberunterhalten, wie es im Kongo weitergehen soll, wo imAugenblick zwei zivile Missionen in Sachen Sicher-heitssektor und Polizei sind, um den schönen Erfolg imKongo, den die Weltgemeinschaft und speziell die EUerreicht haben, mit der EUFOR abzusichern. Es gibt so-gar schon erste Überlegungen über künftige ESVP-Auf-gaben in Zentralasien. Das alles zeigt die Vitalität derNachfrage nach wirksamen Missionen im Bereich zivilerKrisenprävention. Damit zeigt sich auch die Bedeutungder Umsetzung des Aktionsplans, dessen Bericht wirhier beraten.

Der Bericht der Bundesregierung zeigt allerdingsauch, dass noch viel zu tun ist. Dessen ist sich die Bun-desregierung bewusst. Ich will hier fünf Punkte stich-wortartig anführen: Erstens. Wir brauchen ein Missions-

personalgesetz, um den Rechtsstatus von Leuten, diebei ziviler Krisenprävention eingesetzt werden, zu klä-ren. Zweitens. Wir sind uns noch nicht klar, wie genaudas Ressourcenpooling, das wir auch brauchen, gestal-tet werden soll. Drittens. Wir müssen klären, wie dieBeiträge der Privatwirtschaft zur Friedensförderungsystematisch unterstützt werden können. Viertens. Wirmüssen sehen, dass die internationalen, multilateralenStrukturen gestärkt werden. Das gilt auch für unser En-gagement bei der kürzlich erst gebildeten UN-Peacebuil-ding Commission. Allein die Bildung dieser Kommis-sion zeigt, wie aktuell der deutsche Ansatz ist. Fünftens.Schließlich brauchen wir eine bessere internationale Ver-netzung der Akteure, das heißt Zusammenarbeit derEU mit den europäischen NGOs, die sich mit zivilerKrisenprävention beschäftigen. Das alles sind Erkennt-nisse aus diesem Bericht, den wir heute hier beraten.

Abschließend möchte ich feststellen: Zivile Krisen-prävention ist nicht mehr ein Randthema oder ein Themafür Sonntagsreden. Das Thema ist bei uns und zuneh-mend weltweit in die Mitte verantwortungsbewusster Si-cherheitspolitik gerückt. Dazu hat die deutsche Politikseit 2000 und besonders mit der Arbeit an dem Aktions-plan seit 2004 nicht unwesentlich beigetragen. Es be-steht eine belastbare, glaubwürdige Selbstverpflichtungder Bundesregierung, sichtbar in diesem Aktionsplan,sichtbar aber auch im Koalitionsvertrag, der ausdrück-lich auf die Umsetzung dieses Aktionsplans hinweist.Das Ganze findet im Rahmen der europäischen Sicher-heitsstrategie statt. Wir können eigentlich jeden Ver-gleich aushalten, was die Umsetzung dieser europäi-schen Sicherheitsstrategie angeht.

Die Bundesregierung will die Arbeit an dem Groß-thema zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Frie-denskonsolidierung fortsetzen. Sie bittet dabei um diekritische Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen,die sich für dieses Thema interessieren.

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der anderen auch!)

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich wünscheIhnen alles Gute und mir selber gute Besserung.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun der Kollege Hellmut Königshaus,

FDP-Fraktion.

Hellmut Königshaus (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich

glaube, lieber Herr Staatsminister, das Thema ist aus derSicht der Bundesregierung doch ein Randthema; wennich die Präsenz auf der Regierungsbank betrachte, siehtdas jedenfalls so aus.

(Beifall bei der FDP – Ute Kumpf [SPD]: Die ist proportional zu unserer Präsenz!)

Joschka Fischer hatte gestern, wie man weiß, keinenbesonders guten Auftritt. Aber heute möchte ich ihn

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Hellmut Königshaus

loben. Denn der von ihm verantwortete Aktionsplan zurzivilen Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedens-konsolidierung war eine wichtige Initiative. Sie eröffnetgroße Chancen, jedenfalls wenn sie richtig umgesetztwird.

Der Vorrang der Prävention und des Zivilen vor derrein militärischen Reaktion ist natürlich ein vernünftigerAnsatz, wenn die notwendigen Mittel bereitgestellt wer-den. Leider ist das nicht ganz selbstverständlich. Auchwir hier im Hohen Hause haben immer wieder erlebt,dass wir Militäreinsätze fast schon routinemäßig be-schließen und beschließen müssen.

Der Aktionsplan unternimmt wenigstens den Versuch,solchen Krisen vorzubeugen, mit zivilen Mitteln einzu-greifen und insbesondere durch eine kohärente Politikressortübergreifend die Kräfte zu bündeln, bevor ein Mi-litäreinsatz erforderlich wird.

(Beifall bei der FDP)

Dadurch wird zugleich versucht – auch das ist gut –,Ressortegoismen dem großen Ziel unterzuordnen. Soweit, so gut.

Leider verliert sich die Umsetzung des Aktionsplansallerdings in Kleinigkeiten und Einzelheiten. Vielleicht– das kann man sicherlich konzedieren – ist das derPreis, den man zahlen muss, wenn man bestimmte Auf-gaben zwar ressortübergreifend berät, aber in den einzel-nen Häusern entscheiden lassen muss. Hier werden wie-der Reibungsverluste sichtbar, die beispielsweise derleidigen Trennung von AA und BMZ geschuldet sind.Das will ich hier jetzt nicht vertiefen.

Aber eines muss man feststellen: In dem eigens gebil-deten Ressortkreis geben die Mitarbeiter ihr Bestes. Dasgilt auch für die Mitglieder des beim AA angesiedeltenBeirats, zu denen übrigens viele Vertreter von NROs ge-hören, aber auch viele Mitarbeiter von internationalenUnternehmen. Das ist nicht selbstverständlich. Ihnen ge-bührt der besondere Dank der FDP-Fraktion und, wie ichannehme, des ganzen Hauses.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN)

Ich nehme an, dass diesen Dank auch die Kolleginnenund Kollegen von der Union und der Linken teilen,

(Holger Haibach [CDU/CSU]: Wir haben ge-klatscht!)

obwohl sie dem Beirat bisher noch keinerlei Zeichen vonTeilnahme gezeigt haben. Das wird sich hoffentlich än-dern. Die Kollegin Hänsel, die noch in letzter Minute ih-ren Beitrag hier angemeldet hat – normalerweise nenntman das eine Spätberufene –, wird uns sicher erklären,dass auch die Linken dieses Thema ernst nehmen.

Trotz der genannten Hemmnisse und Hindernisse istes also insgesamt ein lobenswertes Vorhaben. Aber washat sich an positiven Ansätzen konkret daraus entwi-ckelt? Wir wissen es: leider nicht besonders viel. DerBericht selbst belegt dies. Es ist Kleinkram. Es fehlt ein-fach der politische Wille, den mit dem Aktionsplan ver-

folgten Zielen wirkliche Priorität zu geben. Hier mussdas punktuelle Lob, das ich eben für Rot-Grün undFischer ausgesprochen habe, in Kritik umschlagen. Wirwissen alle, dass die Krisenprävention bei JoschkaFischer in der praktischen Politik nicht an erster Stellestand. Das ist leider Gottes heute nicht wesentlich an-ders. Das Thema ist so wesentlich, dass es die Richtlini-enkompetenz auf den Plan rufen muss. Es muss Chef-bzw. Chefinnensache sein; denn sonst fehlt es – das istklar – an Geld, Aufmerksamkeit und auch Durchset-zungskraft.

(Beifall bei der FDP)

Ich will in diesem Zusammenhang das BeispielAfghanistan in Erinnerung rufen. Wir wissen alle, dassdie Entwicklung dort dramatisch ist und dass der militä-risch fast gewonnene Konflikt in das Gegenteil umzu-schlagen droht, weil es beim Aufbau nicht vorangehtund weil das Vertrauen der Menschen dort verloren geht.Das wird von der Bundesregierung und insbesonderevom BMZ allerdings nicht ernst genommen.

(Uta Zapf [SPD]: Das ist doch gar nicht wahr!)

Während in aller Welt erzählt wird, wie wichtig für unsDeutsche die zivile Aufbauhilfe sei, stattet die Bundes-regierung sie nur mit einem ganz mickrigen Aufwuchs inHöhe von 5 Millionen Euro aus. Die Ministerin lässt perPressemitteilung sinngemäß erklären, es werde schonjetzt genug für Afghanistan getan, und rechtfertigt, in derHaushaltsdebatte darauf angesprochen, das im Übrigenauch noch. Das ist peinlich.

(Uta Zapf [SPD]: Das hat sie anders gesagt!)

Wo ist denn die Ministerin oder ein Vertreter ihresMinisteriums heute, da wir dieses Thema behandeln?Die Ministerin fährt lieber um die Welt, um mit einemPulk von Journalisten und mit einem Jubelchor von Ko-alitionsabgeordneten in Indonesien eine Homestory mitschönen Fotos zu produzieren. So sollte man an dieseswichtige Thema nicht herangehen.

(Beifall bei der FDP – Jürgen Trittin [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um Aceh!Das sollten Sie nicht so herabwürdigen!)

– Sie sollten zur Kenntnis nehmen, dass die Katastrophevon Aceh schon zwei Jahre zurückliegt. Man hätte alsoauch zu einem anderen Zeitpunkt dorthin fahren können.

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Jetzt werden Sie aber kleinlich!)

Da ein Thema auf der Tagesordnung steht, das im Zen-trum unserer Aufmerksamkeit liegen sollte, hätte die Mi-nisterin heute hier und nicht dort sein müssen.

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das ist klein-lich!)

Hier zeigt sich, dass für die Ministerin die Öffentlich-keitsarbeit mit „Frau im Spiegel“ wichtiger ist als diemit dem „Spiegel“.

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Oh! Das ist ein Niveau!)

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Hellmut Königshaus

Diese Geringschätzung der Krisenprävention in derpraktischen Arbeit ist das Problem, mit dem wir uns aus-einander setzen sollten. Sie sollten genauso wie wir ein-mal danach fragen, wo eigentlich die ordnende Hand ist,die tatsächlich Prioritäten setzt.

Rund ein halbes Prozent unserer gesamten EZ-Mittelgehen zurzeit nach Afghanistan. Obwohl wir am Hindu-kusch, wie der jetzige SPD-Fraktionsvorsitzende undehemalige Verteidigungsminister – er ist sozusagen einSachverständiger in dieser Frage – sagt, –

Präsident Dr. Norbert Lammert: Ihre Redezeit ist zu Ende, Herr Kollege.

Hellmut Königshaus (FDP): – ich habe es gesehen, Herr Präsident – unsere Frei-

heit verteidigen, passiert nichts Adäquates.

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Jetzt wird es auch Zeit!)

Der Plan ist also gut. Aber seine Verankerung in denKöpfen ist leider miserabel und seine Umsetzung des-halb weitestgehend misslungen.

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das warkeine Rede, sondern eine Zumutung, eine vor-weihnachtliche Zumutung!)

Da ich außerhalb meiner Redezeit keine Weihnachts-wünsche mehr äußern darf, möchte ich wenigstens da-rum bitten, dass die Bundesregierung für das neue Jahrgute Vorsätze fasst und sich vornimmt, diesen Aktions-plan wenigstens zu lesen. Wir wünschen uns, Frau Kol-legin Zapf, dass er in konkrete Politik umgesetzt wird.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP – Uta Zapf [SPD]: Im Beirat haben Sie sich ganz anders geäußert!)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Holger Haibach für

die CDU/CSU-Fraktion.

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Jetzt steigtdas Niveau wieder! – Jürgen Trittin [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Da muss er sich nochnicht einmal anstrengen!)

Holger Haibach (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei aller vorweih-nachtlichen Friedfertigkeit, Herr Kollege Königshaus,muss ich sagen: Was Sie eben von sich gegeben haben,kann man nicht unkommentiert stehen lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Ich glaube, die Entwicklung im Kongo und die Auf-gaben, die Deutschland im Bereich der Friedenskonsoli-dierung und der Konfliktprävention in vielen anderenLändern übernommen hat – zum Beispiel werden885 Millionen Euro für Entwicklungshilfe in Afghanis-tan ausgegeben – zeugen davon, dass in der Bundesre-

gierung und in den sie tragenden Fraktionen sehr wohlder Wille existiert, an dieser Stelle etwas zu tun.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD –Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Der Rucksetzt sich Tag und Nacht dafür ein!)

Es ist daher richtig, wenn wir versuchen, vorurteils-frei an die Sache heranzugehen und zu schauen, was inden letzten beiden Jahren wirklich passiert ist.

(Walter Kolbow [SPD]: So ist das!)

Niemand bestreitet doch, dass dieser Bereich ausbau-fähig ist. Jeder von uns würde gerne mehr Mittel zurVerfügung stellen, damit mehr getan werden kann. Aberschauen Sie einmal auf den Rest von Europa und auf dieanderen Kontinente. Viele Länder dieser Welt habendas Instrument der zivilen Krisenprävention, der Kon-fliktlösung und der Friedenskonsolidierung gerade erstentdeckt. In Deutschland sind wir immerhin schon soweit, dass wir diesen Weg seit zwei Jahren gehen. Natür-lich ist dies immer noch ein zartes Pflänzchen; aber es istimmerhin eines vorhanden und wir brauchen nicht erstnoch den Samen zu streuen. Auch das sollten Sie bei al-ler notwendigen Kritik seitens der Opposition anerken-nen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich glaube, dass in dem heute vorliegenden Bericht sehrdeutlich gemacht wird, wo in Zukunft unsere Schwer-punkte liegen müssen.

Ich möchte auf das zu sprechen kommen, was derKollege Königshaus gesagt hat: Wir sind in letzter Zeitsehr häufig dafür kritisiert worden, dass wir uns zu we-nig an harten Militäreinsätzen beteiligen,

(Zuruf von der FDP: Aber nicht von uns!)

dass wir nicht an diesem internationalen Einsatz teilneh-men und nicht in jenes Land gehen. Wir leisten aber ei-nen wichtigen Beitrag. Die Konsolidierung von Frie-densprozessen und die Konfliktprävention sind vielleichtnicht sehr spektakulär; denn sie liefern nicht solche Bil-der, wie sie Kriegseinsätze liefern. Aber sie wirken zumSchluss dauerhafter und nachhaltiger und verdienen des-halb unsere volle Unterstützung.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Natürlich ist es in diesem Zusammenhang schwierig,einen ressortübergreifenden Ansatz zu wählen. Aberes ist immerhin gelungen. Ich finde, dass man an vielenStellen sehr deutlich sehen kann, wo wir Möglichkeitenund Chancen haben. Natürlich gibt es Länder, von denenwir heute sagen: Da sind wir nicht so weit, wie wir gernewären. Das ist gar keine Frage.

Mir fällt in diesem Zusammenhang auch Afghanistanein. Afghanistan ist ein Land, das unsere volle Aufmerk-samkeit verdient; über die Mittel, die dort hinfließen,habe ich schon gesprochen. Es ist ein Land, für dessenStabilisierung wir alle Kräfte – in diesem Fall von derklassischen Verteidigungs-, also Militärpolitik, über dieklassische Außenpolitik und die Menschenrechtspolitik

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Holger Haibach

bis hin zur Entwicklungspolitik – bündeln müssen. Ge-rade an dieser Stelle sollten wir die Entwicklungspolitikviel mehr als strategisches Element und strategischesMoment begreifen; denn nur sie kann dabei helfen, sozi-ale Verwerfungen zu beseitigen und nachhaltige Lösun-gen zu schaffen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Ich denke dabei gerade an den Bereich, der sicherlichmit am wichtigsten ist: die Verbreitung von Drogen.Dies ist eine große Aufgabe; das ist gar keine Frage. Sielässt sich nicht nur mit militärischen Mitteln lösen. Wirhaben zum einen ein Mentalitätsproblem und zum ande-ren vor allen Dingen das Problem zu lösen, dass wir den-jenigen, die Drogen anbauen, eine tatsächliche Alterna-tive bieten müssen, damit sie damit aufhören, Drogenanzubauen. Da sind unsere Kreativität und unsere Mittelgefragt; denn wir können an dieser Stelle nur dann etwaserreichen, wenn wir echte Alternativen haben. Zu sagen:„Baut irgendein Getreide an“, das dann vielleicht nur einZehntel oder ein Hundertstel des Gewinnes abwirft, dender Drogenanbau bringt, wird keine Lösung sein. Auchdas sollten wir für die Zukunft sehen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Ein Weiteres, wenn wir über Afghanistan reden. Wirhaben es mit einem Land zu tun, das eine Grenze zu Pa-kistan hat. Diese Grenze ist, wenn wir über die Verbrei-tung und den Transport von Drogen reden, ein großesProblem für uns; das wissen wir alle. Es gibt noch keinerichtige Lösung dafür. Aber ich glaube, auch hierin liegtdurchaus ein Ansatz für entwicklungs- und menschen-rechtspolitische Maßnahmen. Wir haben es nun einmalmit einer Grenzregion zu tun, die sich nicht mit einereuropäischen Grenzregion oder einer auf dem amerika-nischen Kontinent vergleichen lässt. Es leben dort Men-schen, die sich nicht zwingend als Afghanen oder Pakis-tanis bezeichnen würden. Es sind vielleicht Paschtunenoder Angehörige einer anderen Volksgruppe. Es gehörtfür uns dazu, zu lernen, dass die Mentalitäten anderssind. Wir müssen uns auf diese anderen Mentalitäteneinstellen und sie bei unseren Maßnahmen im Bereichder Entwicklungspolitik berücksichtigen.

So könnte man viele andere Gebiete auf dieser Weltbeleuchten. Ich möchte daher – es hat in der Debatte vor-hin eine Rolle gespielt – noch den Sudan ansprechen.Da erleben wir eine verkehrte Welt. Die Fraktion desBündnisses 90/Die Grünen hätte vielleicht vor zehn Jah-ren nicht so gesprochen, wie sie es heute tut, wenn es umdie Frage geht: Brauchen wir mehr Militär an dieserStelle in der Welt? Dazu sage ich ganz deutlich: Natür-lich hat das etwas mit militärischem Engagement zu tun.Aber es ist doch unverantwortlich, Soldaten in eine Mis-sion zu schicken, von der wir von vornherein wissen,dass sie angesichts der gegenwärtigen Situation keineAussicht auf Erfolg hat. Dementsprechend brauchen wirauch hier einen übergreifenden Ansatz und eine über-greifende Lösung. Ich glaube nicht, dass wir mit kurz-fristigen Aussagen weiterkommen, mögen sie auch rechtinteressant sein.

In einem Land, wo das bis vor einigen Monaten viel-leicht nicht ohne weiteres denkbar gewesen wäre, kön-nen wir gewisse Entwicklungen feststellen: in den USA.Der Baker-Report hat dort gerade die große Runde ge-macht. Der Bericht behandelt zum einen die Frage deszukünftigen militärischen Engagements. Daneben ent-hält er aber einen wichtigen Hinweis: Wir brauchen ei-nen breiteren Politikansatz, der alle Politikfelder sowiedie handelnden Personen und Institutionen einbezieht.Ich denke, dass Deutschland aufgrund seiner guten Ex-pertise, die es in den vergangenen Jahren und Jahrzehn-ten gewonnen hat, einen wichtigen Beitrag leisten kann.Das gilt vielleicht nicht unbedingt für den persönlichenKontakt; wir sollten uns aber einbringen, denn wir habendie entsprechende Expertise und können etwas errei-chen. Ich glaube, dass wir einen solchen Beitrag leistenkönnen und auch leisten müssen. Die vernünftige Ein-bindung von Nichtregierungsorganisationen ist in die-sem Zusammenhang ganz wichtig. Ich habe den Ein-druck, dass auch insoweit bereits ein wichtiger Schrittgetan wurde.

Es wird immer wieder gefragt: Was macht die Bun-desregierung, und was macht die Bundesregierungnicht? Deutschland verfügt – das will ich an dieser Stelleerwähnen, weil es immer wieder vergessen wird – mitdem Zentrum für Internationale Friedenseinsätzeüber ein ganz hervorragendes Instrument zur Ausbildungvon Menschen, die an Friedensmissionen beteiligt sind.Das wissen Sie genauso gut wie ich. Das sollte man indieser Debatte einmal deutlich erwähnen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Interessanterweise ist der Kollege Königshaus ja Mit-glied des Aufsichtsrats. Deswegen finde ich es ausge-sprochen spannend, dass er das an dieser Stelle leider garnicht gesagt hat.

In dem Bericht kann man nachlesen, wo sichDeutschland überall engagiert. Ich zähle es einmal auf:bei Missionen der Europäischen Union und der UN inden Ländern Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Afghanis-tan, Sudan, Äthiopien, Eritrea, Georgien, Sierra Leone,Liberia, Mazedonien, Aceh in Indonesien, Moldau/Ukraine und am Grenzübergang Raffah zwischen Ägyp-ten und dem Gazastreifen. Dazu kommen 180 OSZE-Missionen und 10 Missionen des Europarates. Ich glaubenicht, dass man davon sprechen kann, dass sich Deutsch-land zu wenig engagiert.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Natürlich ist es wichtig – Herr Staatsminister Erlerhat das schon angesprochen –, dass wir die Kräfte in Zu-kunft bündeln; das muss die Aufgabe der kommendenJahre sein. Wir wissen, dass uns nicht die finanziellenRessourcen zur Verfügung stehen werden, die wir ei-gentlich bräuchten. Deshalb ist es notwendig, dass wiruns besser verzahnen, dass wir uns hinsichtlich der Ini-tiativen mit anderen Ländern zusammenschließen. Wirmüssen dieses Thema in der Europäischen Union und

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Holger Haibach

der transatlantischen Partnerschaft in den Vordergrundrücken.

Ich habe vor zwei Tagen ein Gespräch mit Mitarbei-tern des britischen Außenministeriums geführt. Sie ver-suchen in diese Richtung etwas, was beispielhaft ist. Ichdenke, dass wir dort und auch jenseits des Atlantiks guteAnknüpfungspunkte finden.

Wir haben es, so meine ich, mit einer durchaus erfolg-reichen Angelegenheit zu tun. Ich kann die Bundesregie-rung nur ermuntern, auf diesem Weg weiterzufahren.

Ich wünsche uns allen frohe Weihnachten und ein gu-tes neues Jahr.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Winfried

Nachtwei, Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Staatsminister Erler, Herr Botschafter Däuble, bittebestellen Sie Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiternunseren ganz herzlichen Dank dafür, dass sie diesen Be-richt zusammengestellt haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –Manfred Grund [CDU/CSU]: Das ist staats-männische Opposition!)

Dieser Bericht zeigt erneut, in welcher Breite und Inten-sität in diesem Bereich schon seit längerem vonseitender Bundesregierung gearbeitet wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der CDU/CSU undder SPD)

Im Unterschied zum ursprünglichen Aktionsplankommt es in diesem ersten Überprüfungsbericht erstmalszu Schwerpunktsetzungen, was sehr wichtig ist. Defizite– den Ball werde ich gleich noch stärker aufnehmen –werden zumindest angedeutet.

Zur Erinnerung: Der Aktionsplan „Krisenprävention,Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ geht aufzwei wesentliche Erfahrungen zurück, erstens auf dieErfahrungen, die man im Rahmen des internationalenKrisenengagements gesammelt hat. Es gab ein eklatan-tes Defizit bei den Fähigkeiten zur zivilen Krisenpräven-tion und Friedenskonsolidierung. Daraus sind seit 1998erhebliche Schlussfolgerungen gezogen worden. DasZIF ist nur ein Beispiel von vielen. Ein anderes Beispielist der Zivile Friedensdienst.

Die zweite Erfahrung: Es kam darauf an, nicht nureinzelne Maßnahmen und Instrumente, sondern auchneue Fähigkeiten systematisch zu entwickeln. Dies istder Ansatz des Aktionsplans. Es kommt darauf an, dieganze Politik der Bundesregierung an dieser Quer-schnittsaufgabe auszurichten.

Das Echo vor zwei Jahren auf den Aktionsplan wardeutlich gespalten. In der Fachwelt sah man ihn sehr po-sitiv und war zustimmend, in der Öffentlichkeit lag dieReaktion praktisch bei null. Das muss man so deutlichsagen.

Es wurde schon darauf hingewiesen, dass der Ansatzder zivilen Krisenprävention und Friedenskonsolidie-rung aktueller denn je ist. Wir erinnern uns an die zuneh-mende Ernüchterung in den letzten Wochen und Mona-ten, die alle angesichts der Auslandseinsätze packt. Wirsehen immer deutlicher die Grenzen dieser Auslandsein-sätze und merken, dass es von ganz entscheidender Be-deutung ist, dass die zivile Konfliktbearbeitung undFriedenskonsolidierung mit einer ganz anderen Intensitätvorangetrieben werden.

Es reicht nicht aus, wenn wir als Parlament diesen Be-richt jetzt nur wohlwollend zur Kenntnis nehmen. Daskennen wir bereits aus dem militärischen Bereich, HerrStaatssekretär Schmidt, wenn zu Recht ein „wohlwollen-des Desinteresse“ an der Bundeswehr beklagt wird. Daswollen wir nicht. Es kommt darauf an, dass die Bundes-regierung mit diesem Bericht konstruktive Kritik undvor allem Rückenstärkung bekommt.

Hier möchte ich zunächst einmal bestimmte Punkteansprechen, bei denen ich politischen Klärungsbedarfsehe; es gibt noch andere, aber diese sind mir besonderswichtig. Erstens dominiert im Überprüfungsbericht dergroße Bereich der so genannten Konfliktnachsorge. Wirmüssen aufpassen, dass wir die Primärprävention, dieum einiges schwieriger ist, darüber nicht vernachlässi-gen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Zweitens ist das zivil-militärische Verhältnis, diezivil-militärische Zusammenarbeit zu klären. Sie wirdim Überprüfungsbericht sehr stark aus der Perspektivedes Militärischen geschildert. Hier ist es wichtig, auchdie Perspektive der anderen einzubeziehen. Da mussdeutlich nachgearbeitet werden.

Schließlich nenne ich das Nebeneinander der ver-schiedenen Grundlagendokumente der Bundesregierungin diesem Bereich: Aktionsplan und Weißbuch. Staats-minister Erler, Sie haben das angesprochen. Ich habe– im Gegensatz zu Ihrer offiziellen Einschätzung – denEindruck, dass beide Dokumente sehr unverbunden ne-beneinander stehen. Im letzten Anlauf sind sozusagennoch einzelne Andockstellen eingebaut worden, aberinsgesamt ist das noch kein Ausdruck integrierterAußen- und Sicherheitspolitik, die wir uns inzwischenauf die Fahnen geschrieben haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hellmut Königshaus [FDP]: Das ist wahr!)

Wo gibt es Verstärkungsbedarf? Erstens braucht derRessortkreis mehr Steuerungskompetenz. Das ist vonganz entscheidender Bedeutung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

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Winfried Nachtwei

Da kann, glaube ich, helfen, dass der Ressortkreis einenRessourcenpool mit „neuem“ Geld zugeordnet be-kommt, wodurch ressortübergreifende Maßnahmengefördert werden.

Zweitens brauchen wir – das kennen wir im militäri-schen Bereich seit Jahren; das ist dort eine Selbstver-ständlichkeit – zivile Planziele. Mit wie vielen Friedens-fachkräften muss die Bundesrepublik für eine effektiveKrisenbewältigung im Rahmen von Friedensmissionenbeitragen? Ich nenne das Stichwort Sicherheitssektor-reform. Wir müssen uns – auch bezüglich der Polizei –auf Zahlen einigen, die wir anstreben wollen. Wir müs-sen auch zu einer schnellen Verfügbarkeit dieser Kräftekommen. Das ist im Personalgesetz angesprochen. Damüssen wir schnell zu Potte kommen.

Von ganz entscheidender Bedeutung ist – der Rednerder FDP hat es angesprochen –, dass wir eine deutlicheAufstockung der entsprechenden Haushaltstitel brau-chen.

(Beifall des Abg. Hellmut Königshaus [FDP])

Hier bekommen wir für wenig Geld viel Extrakt.

Als Letztes komme ich zum Schlüsselprojekt. Bishergibt es eine schlimme Unsichtbarkeit dieses Politikansat-zes. Bei Google zum Beispiel gibt es zum Aktionsplan– er ist inzwischen seit zwei Jahren auf dem Markt – un-gefähr 28 700 Treffer, das Weißbuch – es ist seit zweiMonaten auf dem Markt – erzielt dort über 125 000 Tref-fer. Dies ist ein riesiger Unterschied. Daran muss gear-beitet werden.

Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege!

Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, ich komme zum Schluss.

Im Umsetzungsbericht ist von einer Kommunika-tionsstrategie die Rede. Sie muss jetzt schleunigst ange-gangen werden. Es kann nicht wie in der Vergangenheitsein, dass über Jahre das Geld fehlt, um den Aktionsplanzum Beispiel als Broschüre bekannt zu machen.

Zusammengefasst: Krisenprävention ist in jeder Hin-sicht sehr kostensparend, aber es gibt sie nicht zum Bil-ligtarif.

Ich danke Ihnen. Gute Feiertage!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der SPD und derFDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat die Kollegin Uta Zapf, SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Uta Zapf (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und

Kollegen! Es ist hier schon eine Menge zu den Inhaltenund zu den Perspektiven gesagt worden. Ich würde ganz

gern – weil ich glaube, dass das notwendig ist – etwaszur Geschichte und zur Entstehung dieser neuen Poli-tik und dieser neuen Strukturen hier im Deutschen Bun-destag beitragen. Ich gebe meinem Kollegen NachtweiRecht: Das alles ist ziemlich im Verborgenen geschehen.Umso froher bin ich, dass es in reale Politik umgesetztworden ist. Denn es ist in der Tat mit Händen zu greifen,dass es einen Paradigmenwechsel in der Sicherheits-politik gegeben hat – und zwar nicht nur national, son-dern auch auf den anderen Ebenen, bei der EU, derOSZE und den UN.

Es ist traurig, dass zum Beispiel der Kollege Paech,der jetzt leider nicht mehr anwesend ist, vorhin bei derDebatte über „AMIS“ in völliger Unkenntnis dieserneuen politischen Entwicklungen mit Blick auf die Mis-sion, die wir eben verlängert haben, wieder nur von mili-tärischer Intervention gesprochen und gesagt hat, manmüsse auf zivile und diplomatische Mittel zurückgreifenund dann wäre alles in Ordnung. Das ist ein offensicht-lich völlig blinder Fleck in der Wahrnehmung von man-chen Leuten; ob das nun bewusst geschieht oder nicht,weiß ich nicht. Es ist wirklich höchste Zeit, dass man ge-nau auf das schaut, was wir seit den Balkankriegen, seitSrebrenica, seit Ruanda und seit Darfur entwickelt ha-ben, um es nicht so weit kommen zu lassen. Dass dasnoch nicht in vollem Umfang Früchte trägt, das, denkeich, weiß jeder hier in diesem Hause. Auch dass es nichtohne militärische Mittel und Unterstützung geht, dieseErkenntnis haben wir allmählich gewonnen.

Ich will auch noch zu Ihrem Redebeitrag, HerrKönigshaus, etwas sagen. Ich bin von Ihrer Rede etwasenttäuscht. Ich erlebe Sie in dem Beirat als einen sehrauf diese Politikinhalte eingehenden Kollegen, der daransehr interessiert ist. Sie haben nun aber eine Kritik an derEntwicklungsministerin geäußert, die ich für völlig un-angemessen halte. Sie haben außerdem kritisiert, dass sieheute nicht da ist. Wo ist denn Ihre Fraktionsspitze? Wosind denn, bitte, Herr Hoyer, Herr Gerhardt, HerrWesterwelle? Aber auch wir bekleckern uns in dieserBeziehung nicht gerade mit Ruhm. Wenn Sie sich um-schauen, merken Sie: Wir sind schlicht und ergreifendunterbesetzt.

(Hellmut Königshaus [FDP]: Das ganze Haus ist nicht stark!)

Es ist auch ein schlechter Zeitpunkt für diese Debatte.

Ich wollte etwas zur Vorgeschichte dieses Politikfel-des sagen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat vor überzehn Jahren angefangen, an diesem Thema zu arbeiten.Wir haben eine Anhörung im Auswärtigen Ausschussam 25. Mai 1994 veranlasst; das ist tatsächlich schon solange her. Diese Anhörung haben wir in der Fraktionausgewertet und haben im Februar 1997 einen Antrag imDeutschen Bundestag gestellt. Er ist natürlich nicht aufResonanz gestoßen; das ist klar. 1998 haben wir diesePrinzipien in der Koalitionsvereinbarung von Rot-Grünniedergeschrieben. Von diesem Zeitpunkt an ist von derrot-grünen Regierung eine Entwicklung vorangetriebenworden, die wir Parlamentarier stark unterstützt haben.Im Juni 2000 hat Rot-Grün einen Antrag eingebracht,der viele Elemente enthalten hat, die heute von der aktu-

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Uta Zapf

ellen Politik umgesetzt werden. Darin waren enthalten:die Ausbildung für Menschen, die wir in Krisengebieteentsenden; die Forderung nach Schaffung eines Zen-trums für internationale Friedenseinsätze. Das allesist umgesetzt worden. Das ist eine gute Entwicklung.Wenn wir beklagen, dass noch nicht alles verwirklichtworden ist, möchte ich darauf hinweisen, dass vieles,was auch eine Veränderung in den Strukturen bedeutet,gewöhnungsbedürftig ist und dass es Zeit braucht, bis esangenommen wird.

In der neuen Koalitionsvereinbarung von CDU, CSUund SPD sind diese Prinzipien enthalten. Ich beklagenicht, dass das im Weißbuch noch nicht in allen Kapitelnder Fall ist. Vielmehr bin ich ganz froh, dass im erstenEntwurf des Weißbuchs überhaupt davon die Rede ist,im Rahmen der deutschen Sicherheits- und Außenpolitikverstärkt zivile Instrumente einzusetzen. Ich muss in die-sem Zusammenhang an Boutros Boutros-Ghali denken,der im Jahre 1992 die Agenda for Peace ins Leben ge-rufen hat. Wir haben mit diesem Bericht den ersten kon-kreten Schritt zur Umsetzung dieser Agenda gemacht.

Ich möchte noch einen zweiten Aspekt ansprechen.Wir befassen uns mit diesem Thema nicht nur im kleinenKreis, sondern wir haben es auch auf die europäischeEbene transportiert. Diese Vorschläge sind auf dem Eu-ropäischen Rat in Köln im Jahre 1999 unter deutscherPräsidentschaft zum ersten Mal eingebracht worden. Da-mals waren sie durchaus neu. Andere Länder, allerdingseher die Zwerge unter den europäischen Staaten, habenuns unterstützt. Aufgrund der Erkenntnis, dass neueKonflikte auch einen neuen Sicherheitsbegriff erfor-dern, haben sie diese Konzepte mitgetragen.

Dieser Sicherheitsbegriff umfasst viel mehr als nurmilitärische Sicherheit. Wichtig ist, dass es fast keinezwischenstaatlichen Kämpfe mehr gibt. Im Jahre 2002waren 32 von 33 Konflikten innerstaatliche Konflikte.Daran wird deutlich, dass wir andere Mittel brauchen.Deshalb ist es richtig, dass wir den Ressortkreis einge-setzt haben. Die Beratung all dieser Themen findet nunin einem Gremium statt. Wenn es dort hin und wiederholpert, ist das kein Wunder. Da in diesem Gremium derFinanzminister neben der Entwicklungsministerin undder Innenminister neben dem Außenminister sitzt unddarüber hinaus auch der Verteidigungsminister anwe-send ist, ist es schwierig, sich zu koordinieren. Aber wirsind auf dem Weg, für eine kohärente Politik zu sorgen.

Da wir dieses Thema auf die europäische Ebenetransportiert haben und es dort verankert ist, verfügenwir über die entsprechenden Strukturen. Ich bin froh,dass im Konzept Deutschlands für die EU-Ratspräsi-dentschaft darauf hingewiesen wird, dass wir diese Prin-zipien auch auf europäischer Ebene fördern wollen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich empfehle Ihnen,den vorliegenden Bericht und den Aktionsplan an denWeihnachtsfeiertagen zu lesen. Man kann viel darauslernen. Das sollten wir auch tun. Wir sollten zum Bei-spiel noch mehr Interesse für eine Politik entwickeln, diedazu beiträgt, die zivile Krisenprävention zu etablieren,und wir sollten uns dafür einsetzen, dass neue Strukturengefördert und alte evaluiert werden.

Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin.

Uta Zapf (SPD): Das Stichwort „lessons learned“ ist in diesem Zusam-

menhang sehr wichtig. Wir müssen, zum Beispiel in Be-zug auf unser Engagement in Afghanistan, überprüfen –

Präsident Dr. Norbert Lammert: Das können Sie jetzt aber nicht mehr im Einzelnen er-

läutern.

(Heiterkeit)

Uta Zapf (SPD): – ich bin sofort fertig –, was wir falsch und was wir

richtig gemacht haben. Das ist eine sehr wichtige Auf-gabe, die noch vor uns liegt.

Fröhliche Weihnachten, ein glückliches neues Jahrund Frieden!

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und demBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab-geordneten der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist

die Kollegin Heike Hänsel, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN – NorbertKönigshofen [CDU/CSU]: Jetzt ist Schlussmit Frieden!)

Heike Hänsel (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Königshaus, ich war davon ausgegangen, dass alleAbgeordneten, die zu diesem Tagesordnungspunkt spre-chen wollten, ihre Reden zu Protokoll geben. Als ich er-fahren habe, dass sich das geändert hat, habe ich mich,weil dieses Thema sehr wichtig ist, nachnominieren las-sen.

(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Nachnominieren? Das ist ja wie bei derFußball-WM!)

Eines muss ich Ihnen gleich zu Beginn sagen: Wederdurch die Präsenz im Beirat noch dadurch, dass man hiereine Rede hält, leistet man einen nachhaltigen Beitragzur Friedenspolitik. Das glauben Sie hoffentlich nichtim Ernst! Dafür sind größere Anstrengungen notwendig.Ich zum Beispiel war als Anhängerin der Friedensbewe-gung jahrelang auf der Straße, habe viele Krisenregionenbesucht und mich für die Nutzung von Instrumenten derzivilen Krisenprävention eingesetzt. Die Politik der Bun-desregierung war nämlich eine andere. Wenn Sie glau-ben, dass Sie mit einer Rede die Welt verändern können,dann muss ich Ihnen sagen: Das ist völlig unrealistisch.Entscheidend ist, dass wir aktiv sind und Initiativen er-greifen.

(Beifall bei der LINKEN)

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Heike Hänsel

Damit komme ich zum Knackpunkt des Konzeptesder zivilen Krisenprävention. Dieser Aktionsplan wurdevon Friedensgruppen und von entwicklungspolitischenOrganisationen erst einmal begrüßt. Aber es gab schonbei der Formulierung einige Kritik an der inhaltlichenAusrichtung. Mehrere Bereiche, die wir kritisieren, wur-den genannt. Zentraler Kritikpunkt ist der Sicherheits-begriff, der dem Aktionsplan zugrunde liegt und den Sieauch erwähnt haben, Frau Zapf. Für uns ist ganz klar:Solange wir in Deutschland von einem Sicherheitsbe-griff ausgehen, zu dem eine militärische Absicherungdes Zugangs zu Ressourcen zählt, sind wir ein Teil desProblems, nicht der Lösung.

(Beifall bei der LINKEN – Uta Zapf [SPD]:Ich empfehle Ihnen, einmal den Aktionsplanzu lesen!)

Zivile Krisenprävention macht überhaupt nur Sinn alsTeil einer aktiven Friedenspolitik, die von der Bundesre-gierung formuliert werden muss. Sie kann eine militäri-sche Politik nicht abfedern, sie kann kein Beiwerk sein.Man kann nicht Jugoslawien bombardieren und danneinfach ein paar zivile Friedenskräfte in die Region schi-cken; diese Arbeitsteilung funktioniert nicht. Deswegenfordern wir einen Wechsel in der Grundausrichtung derdeutschen und europäischen Außenpolitik.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir erleben zunehmend eine Vermischung des Zivi-len und des Militärischen. So etwas liegt auch diesemAktionsplan zugrunde: Es werden zunehmend zivil-mili-tärische Instrumente formuliert. Für mich als Mitglieddes Ausschusses für Entwicklungspolitik ist es ein Wi-derspruch in sich, zu behaupten, militärische Instru-mente könnten einen Beitrag zu ziviler Krisenpräventionleisten. Zivile Krisenprävention muss – das ist der An-spruch an uns – zivil formuliert werden. Wir müssen diezivilen Instrumente entsprechend ausstatten, ja erst ent-wickeln. Ich glaube, in vielen Bereichen fehlt schlichtdie politische Fantasie, was es alles an zivilen Instru-menten geben kann. Mit welcher Intensität, mit welchenfinanziellen Ressourcen wird unsere Armee, wie auf eu-ropäischer Ebene formuliert, in eine Interventionsar-mee umgebaut! Das steht in keinem Verhältnis zur Be-deutung ziviler Instrumente, geschweige denn zu ihrerangemessenen finanziellen Unterstützung. Wir sagen:Wir brauchen ganz andere Instrumente. Im Grunde müs-sen wir das Ministerium für Verteidigung in ein Ministe-rium für zivile Krisenprävention umbauen. Denn es gehtüberhaupt nicht mehr um Landesverteidigung – wir be-treiben eine Politik der militärischen Intervention.

(Beifall bei der LINKEN – Uta Zapf [SPD]: Keine Ahnung!)

Ein richtiger Schritt wäre es, zu sagen: weg von diesenMilitärhaushalten und weg von Rüstungsexporten! Derbeste Beitrag zu ziviler Krisenprävention sind internatio-nale Abrüstung und ein Stopp aller Rüstungsexporte.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein weiterer wichtiger Punkt: Wir müssen uns auchGedanken über unseren Ressourcenverbrauch machen.

Es ist ein integraler Bestandteil ziviler Krisenprävention,das Energiesystem umzustellen. Auch da sind die An-sätze der Bundesregierung viel zu zaghaft. Es gibt sogarStimmen, die in eine ganz andere Richtung gehen, unddas, obwohl ganz klar ist, dass die Umstellung des Welt-energiesystems ein entscheidender Beitrag zu zivilerKrisenprävention ist. Das betrifft auch die Handelspoli-tik. Wir haben gerade über die Doharunde gesprochen.Solange wir ein Handelssystem und ein Energiesystemhaben, die die Ursachen für Konflikte sind, die weltweitentstehen, und die diese Dynamik auch noch verstärken,ist die zivile Krisenprävention marginalisiert. Deswegensetzen wir uns für einen grundsätzlichen Politikwechselein.

Mein letzter Punkt – auch das kommt viel zu kurz, da-bei ist es sehr wichtig – sind die Akteure und Akteurin-nen. Es geht darum, Partizipation zu organisieren. Vielmehr Menschen müssen in die Suche nach Lösungen füreine zivile Krisenprävention einbezogen werden. Wirhaben solche Kapazitäten, wir haben umfassende Kom-petenz in unserem Land, außerhalb dieses Parlaments,nämlich bei den Friedensgruppen und auch vor Ort inden Krisenregionen. Wir besuchen die Mitarbeiter Jahrfür Jahr vor Ort, in vielen Ländern. Es gibt viel zu wenigUnterstützung für diese Friedenskräfte, die in diesenLändern unter schwierigen Bedingungen arbeiten. Dasbetrifft zum Beispiel den Nahen Osten. Wir geben sehrviel Geld aus für unsere UNIFIL-Beteiligung. Die israe-lischen Friedenskräfte, die libanesischen Friedenskräfte,die palästinensischen Friedenskräfte haben keine ver-gleichbare Unterstützung. Wir müssen die Menschen indiesen Regionen unterstützen. Das ist für mich ein ganzkonkreter Beitrag zu ziviler Krisenprävention.

Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 16/1809 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 27 auf:

Beratung der Großen Anfrage der AbgeordnetenUrsula Lötzer, Dr. Barbara Höll, Dr. DieterDehm, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder LINKEN

Haltung der Bundesregierung zur Europäi-schen Dienstleistungsrichtlinie

– Drucksachen 16/136, 16/2058 –

Der Parlamentarische Staatssekretär Peter Hintze so-wie die Kolleginnen und Kollegen Doris Barnett, KurtBodewig, Martin Zeil, Ulla Lötzer und Dr. Thea Dückertgeben ihre Reden zu Protokoll.1)

1) Anlage 3

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Präsident Dr. Norbert Lammert

Dann kommen wir zu Tagesordnungspunkt 28 sowieZusatzpunkt 11:

28 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten KerstinMüller (Köln), Marieluise Beck (Bremen), FritzKuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktiondes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Fahrplan zur Wiederbelebung des Friedens-prozesses im Nahen Osten nach der Resolution1701 (2006) des Sicherheitsrats der VereintenNationen vom 11. August 2006

– Drucksache 16/3547 – Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss (f)VerteidigungsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Beratung des Antrags der AbgeordnetenWolfgang Gehrcke, Dr. Norman Paech, MonikaKnoche, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder LINKEN

Den Friedensprozess im Nahen Osten wiederaufnehmen

– Drucksache 16/3802 – Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss (f)Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.Werner Hoyer, Dr. Rainer Stinner, BirgitHomburger, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der FDP

Für eine Konferenz für Sicherheit undZusammenarbeit im Nahen Osten (KSZNO)

– Drucksache 16/3816 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll dieseDebatte eine halbe Stunde dauern, wobei die Fraktiondes Bündnisses 90/Die Grünen fünf Minuten Redezeiterhalten soll.1)

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeJürgen Trittin.

Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen

Sie mich mit einem Zitat beginnen:

Um einen dauerhaften und stabilen Frieden im Na-hen Osten zu erlangen, reichen militärische und po-lizeiliche Maßnahmen nicht aus. Seine Konfliktelassen sich nur durch politische Verhandlungen lö-sen. Die Region benötigt dringend neue Friedens-impulse.

1) Anlage 4

Dieses Zitat stammt aus dem Antrag der Bundesregie-rung zur Beteiligung Deutschlands an den UNIFIL-Ein-heiten.

Mit unserem Antrag verfolgen wir das Ziel, dass ge-nau diese Friedensimpulse wieder verstärkt werden.Wir sollten uns dabei nicht überschätzen. Aber das, waswir als Bundesrepublik Deutschland leisten können,sollten wir auch tatsächlich leisten.

Schauen wir uns den Bericht der Baker-Hamilton-Kommission an. Die Empfehlungen dieser Kommissionberuhen auf zwei Säulen: Zum einen müsse die Sicher-heitslage im Irak stabilisiert werden; zum anderenmüsse man sich um das Verhältnis des Iraks zu seinenNachbarn bemühen, also um die regionale Stabilität.Meine Befürchtung ist zurzeit, dass man sich auf dieerste Säule beschränkt und es nur zu einem einfachenAbzug kommt – das wird dann aber nicht funktionieren –und dass die zweite Säule zu kurz kommt. Wir erwartengerade von der Bundesregierung energische Initiativen,damit tatsächlich eine regionale Stabilisierung stattfin-den kann. Das gilt beispielsweise auch und gerade fürdas Verhältnis zu Syrien. Ich will ausdrücklich sagen:Wir finden es richtig, dass Herr Steinmeier nach Syriengefahren ist.

Was passiert, wenn keine Stabilisierung stattfindet?Mir bereitet die Ankündigung Saudi-Arabiens, den iraki-schen Sunniten gegen Angriffe der irakischen Schiitenmilitärisch zu helfen, extrem große Sorge. Gleichzeitigmüssen wir aber auch die Chancen sehen, die sich inschwierigen Situationen eröffnen. So unerträglich in die-sen Tagen die Konferenz der Holocaustleugner in Tehe-ran ist, so schwierig der Umgang mit dem iranischenAtomprogramm ist, man muss sich fragen: Hat der Iranwirklich ein Interesse an einem Zerfall des Iraks? Bedeu-tet eine Destabilisierung nicht auch für ihn als Vielvöl-kerstaat eine massive Bedrohung? Ist es deswegen nichtrichtig, wie die Baker-Hamilton-Kommission vorge-schlagen hat, über die Frage der Stabilisierung der Situa-tion im Irak Verhandlungen ohne Vorbedingungen zuführen?

Das ist nach den Äußerungen von Herrn Olmert überdie israelische Atombewaffnung nicht einfacher gewor-den; das will ich an dieser Stelle feststellen. Gleichzeitigwill ich aber auch darauf hinweisen, dass Israel in die-sen Tagen durch die Ankündigung seines Ministerpräsi-denten einen großen Schritt nach vorne gemacht hat, dernämlich zugesagt hat, den Waffenstillstand durchzuhal-ten, obwohl es mehrfach Verletzungen vonseiten der Pa-lästinenser gegeben hat. Das heißt aber auch, dass wirüberlegen müssen, was wir eigentlich zur Stabilisierungder Situation der Palästinenser und beispielsweise zurHerausbildung einer Regierung der nationalen Einheitbeitragen können.

Ist es eigentlich klug, mit der Umsetzung des verein-barten Finanzmechanismus an dieser Stelle noch zu war-ten und zuzusehen, wie Herr Haniyeh mit Taschen vollerDollars aus Teheran zurückkehrt, was nur der Hamas,aber nicht hinsichtlich des Aufbaus ziviler Strukturen inPalästina helfen würde?

7468 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

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Jürgen Trittin

Ich glaube, dass die Bundesregierung im Rahmen desNahostquartetts große Anstrengungen unternehmenmuss, um dafür zu sorgen, dass sich die USA in diesemProzess wieder engagieren. Ich denke, dass Deutschlanddurch die Präsidentschaften eine gute Funktion einneh-men kann und eine gute Ausgangsbasis dafür hat, um einerneutes Engagement der USA in diesem Prozess zu er-reichen und um im Rahmen dieses Prozesses etwas ge-gen das zu tun, was uns vielleicht am aktuellsten Sorgenmacht, nämlich die weitere Destabilisierung der Situa-tion im Libanon.

Ich glaube, dass wir die gewählte Regierung des Liba-non nur dann gegen die Ansprüche, die aus dem Libanonheraus formuliert werden, stützen können, wenn es zusichtbaren Fortschritten beim Ausgleich mit Israelkommt. Dazu gehört beispielsweise die Lösung des Pro-blems der Schebafarmen ohne Präjudizierung, indemman sie zum Beispiel einer Verwaltung durch die Verein-ten Nationen unterstellt.

Eine – wenn nicht die zentrale – Herausforderung fürdie Bundesrepublik Deutschland während der EU-Rats-präsidentschaft ist es, solche Ansätze nachdrücklich undbei jeder Gelegenheit zu verfolgen. Ich wünsche mir da-für die Unterstützung des ganzen Hauses.

Ihnen allen schöne Feiertage und ein schönes neuesJahr.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Eckart von Klaeden ist der nächste Redner für die

CDU/CSU Fraktion.

Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen!

Wir sprechen heute über die drei Anträge der drei Oppo-sitionsfraktionen. Ich will gleich zu Anfang sagen, dasssich der Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grü-nen hinsichtlich der Sorgfalt und der Qualität wohltuendvon den beiden anderen unterscheidet.

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sie haben ja gar keinen!)

Gleichzeitig ist aber auch festzustellen, dass die Links-partei mit ihrem Antrag der altbekannten Tradition folgt,vor allem den Westen und Israel für die Konflikte ver-antwortlich zu machen. Bezeichnend ist auch, dass dieInfragestellung des Existenzrechts Israels durch den Iranin dem Antrag der Linkspartei keine Erwähnung findet.

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Aha!)

In allen Anträgen wird von dem israelisch-palästinen-sischen Konflikt als dem Kernkonflikt in der Regiongesprochen. Ich halte diese Bezeichnung für falsch; dennweder das iranische Verhalten in den Verhandlungenüber das Nuklearprogramm noch die Nichtanerkennungdes Libanon durch Syrien noch die Lage im Irak nochdas Bestreiten des Existenzrechts Israels durch den Iranhaben irgendetwas mit dem Konflikt zwischen Israel undden Palästinensern zu tun. Das ändert nichts an der Tat-sache, dass dieser Konflikt natürlich grundlegend ist und

dass durch Fortschritte bei der Lösung wesentliche Bei-träge zur Befriedung der gesamten Region geleistet wer-den können. Ich halte aber die Analyse für falsch, diesenKonflikt als den Kernkonflikt zu bezeichnen.

In allen drei Anträgen wird eine Reihe von Anregun-gen gemacht, die entweder schon lange Regierungshan-deln darstellen oder Schwerpunkte für die nun bevorste-hende deutsche Ratspräsidentschaft in der EuropäischenUnion sind.

Durch die Besuche sowohl des ägyptischen Präsiden-ten Mubarak als auch des israelischen Ministerpräsiden-ten Olmert in Berlin in dieser Woche wird deutlichgemacht, wie engagiert die Bundesregierung bei den Ini-tiativen zur Lösung des Nahostkonflikts ist. Auch dieAnkündigung der Bundeskanzlerin, die kommende Prä-sidentschaft der Bundesrepublik Deutschland zu einerWiederbelebung des Nahostquartetts und zur Vermitt-lung zwischen Israelis und Palästinensern zu nutzen, istein deutlicher Hinweis darauf, dass die Bundesregierungmehr als die Vorgängerregierungen in dieser Angelegen-heit engagiert ist.

Wir halten am vorrangigen Ziel einer Zweistaaten-lösung zwischen Israel und den Palästinensern fest. Wirsehen in der Rede von Ministerpräsident Olmert, die eram Grab von Ben Gurion gehalten hat, eine ganze Reihevon Hoffnungszeichen. Die palästinensische Seite hatauf diese Rede mit dem Angebot von Endstatusver-handlungen reagiert.

Es ist wichtig, deutlich zu machen, dass es – jeden-falls aus meiner Sicht – erfolgreicher sein kann, eineStrategie kleinerer vertrauensbildender Schritte zu ver-folgen, als jetzt sofort mit der großen Frage eines mögli-chen Endstatus des palästinensischen Staates zu begin-nen. Die Bundeskanzlerin hat betont, dass es zur Lösungdes Konflikts auch ungewöhnlicher Schritte bedarf. Wirsehen auf der palästinensischen Seite insbesondere inPräsident Abbas einen Bündnispartner, jemanden, der aneiner nachhaltigen Lösung des Konflikts interessiert ist.Wir müssen alles tun, um ihn zu unterstützen und seineStellung bei den Palästinensern weiter zu stärken.

Es ist etwas Neues, dass wir, die BundesrepublikDeutschland, in der Region – bei der Unterstützung undAbsicherung eines Waffenstillstandes im Rahmen derUNIFIL-II-Mission – militärisch engagiert sind. Darüberhinaus sind wir aber auch unmittelbar in den palästinen-sischen Autonomiegebieten, im Libanon engagiert. Esgeht insbesondere darum, durch wirtschaftliche Prospe-rität die Bevölkerung davon zu überzeugen, dass derWeg zu Frieden und Demokratie der richtige Weg ist unddass die Fortsetzung der Gewalt jeglichen Fortschrittverhindert. Aus diesem Grund begrüßen wir auch, dassauf dem heutigen EU-Gipfel beschlossen wurde, denMechanismus, nach dem die Europäische Union Finanz-hilfen an bedürftige Palästinenser direkt, ohne Beteili-gung der Hamas-Regierung, weiterleitet, weiterhin anzu-wenden.

Unser Ziel ist es, die libanesische Regierung bei derStärkung ihrer staatlichen Identität zu unterstützen; dennsie ist die demokratisch legitimierte Kraft in dem Land.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7469

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Eckart von Klaeden

Eine Stärkung der Souveränität des Libanon bedeuteteinen Gewinn an Sicherheit für die gesamte Region. Un-ser Engagement im Rahmen der UNIFIL-II-Missiondient ebenfalls dem Ziel, die Sicherheit in der gesamtenRegion zu stärken.

In den Anträgen ist die Rede von einer Konferenz fürSicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten bzw.im Nahen und Mittleren Osten. Die Grünen möchteneine solche Konferenz an eine Reihe von Bedingungenknüpfen, die, wie ich finde, nachvollziehbar sind. Ichdenke, bevor es an die Umsetzung der Idee einer Konfe-renz geht, müssen ein paar Voraussetzungen, ein paarPunkte geklärt sein. Wenn sie nicht geklärt würden,könnte das dazu führen, dass diese an und für sich guteIdee scheitert. Es ist eine allgemeine Lebenserfahrung,dass eine gute Forderung zur falschen Zeit bedauerli-cherweise eine falsche Forderung ist. Die Idee einer sol-chen Friedenskonferenz ist zu wertvoll, als dass mansie dadurch beschädigen dürfte, dass die Voraussetzun-gen für ihre Umsetzung nicht geklärt sind.

Dazu gehört zunächst einmal die Frage, wer an dieserKonferenz teilnehmen soll. Wollen wir den Iran zu die-ser Konferenz einladen? Nicht einmal Syrien möchtedem Iran ein Mitspracherecht einräumen. Wer soll diepalästinensische Seite vertreten: der Präsident oder dieRegierung? Wollen wir tatsächlich eine Hamas-geführteRegierung zu einer solchen Konferenz einladen, obwohlsie die selbstverständlichen Forderungen der internatio-nalen Gemeinschaft noch nicht erfüllt hat? All das sindFragen, die zu klären sind, bevor es zu einer solchenKonferenz kommen kann.

Diejenigen, die an dieser Konferenz teilnehmen, müs-sen bereit sein, müssen sich selbst verpflichtet haben, aneiner friedlichen Lösung der Konflikte mitzuwirken. Sorichtig die allgemeine Forderung nach einer Einbezie-hung Syriens und des Iran auch sein mag, verkommt siedoch zu einer Floskel, wenn man die Länder nicht diffe-renziert betrachtet, wenn man nicht individuelle Beiträgefordert, damit es zu einer vernünftigen Lösung kommenkann.

Der Iran könnte einen solchen Beitrag im Zusammen-hang mit dem Nuklearprogramm leisten. Herr KollegeTrittin, es mag sein, dass der Iran im wohlverstandenenSinne ein Interesse daran haben muss, dass der Iraknicht zerfällt. Im Augenblick scheint mir aber das über-geordnete iranische Interesse zu sein, letztlich alles zuunterstützen, was den Amerikanern schaden kann. Dabeinimmt der Iran eine Verschlechterung der Lage im Irakin Kauf.

Ein anderes Beispiel ist die Situation in Syrien. Esfehlt nicht an diplomatischen Initiativen, Syrien gegen-über eine konstruktive Rolle zu spielen. Die syrischeFührung hat eine ganz Reihe von Möglichkeiten, zu zei-gen, dass sie an einer friedlichen Lösung interessiert ist.Insbesondere bietet sich in diesem Zusammenhang dieResolution 1680 an, die Syrien verpflichtet, den Libanonendlich anzuerkennen und diplomatische Beziehungenmit Beirut aufzunehmen.

Die Chance, die der Besuch von AußenministerSteinmeier in Damaskus geboten hat, ist von der syri-schen Führung leider vergeben worden. Die Signale, dieaus Syrien kommen – dazu zählen ein „Spiegel“-Inter-view, das vor kurzem mit Assad geführt wurde, aberauch der heutige Aufruf, dass Israel und die USA mitSyrien in einen Dialog eintreten mögen –, werden un-glaubwürdig, wenn es daran fehlt, bei solchen Besuchenoder auf andere Weise zumindest kleine, aber doch sub-stanzielle Schritte in die richtige Richtung zu unterneh-men.

Nicht unerwähnt darf in diesem Zusammenhang auchdie unsägliche Konferenz der Holocaustleugner bleiben,

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

die in diesen Tagen in Teheran stattgefunden hat und dieleider alles andere als ein Zeichen dafür ist, dass man indieser Zeit mit einem positiven Signal vonseiten des Iranund insbesondere von seinem Präsidenten rechnen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

All diese Beispiele lassen mich einer Initiative zu ei-ner solchen Konferenz zum jetzigen Zeitpunkt zurück-haltend gegenüberstehen, weil ich die Sorge habe, dassdie an sich gute Idee durch unzureichende Vorbereitungund fehlende Voraussetzungen beschädigt werdenkönnte.

Auch von mir die besten Wünsche für ein gesegnetesWeihnachtsfest und ein gutes neues Jahr.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die FDP-Fraktion hat nun das Wort der Kollege

Dr. Rainer Stinner.

(Beifall bei der FDP)

Dr. Rainer Stinner (FDP): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Wir haben in den letzten Jahren schon oft Nahost-debatten in diesem Hause geführt. Aber durch die Tatsa-che, dass wir seit drei Monaten selber in der Regiondurch deutsche Soldaten vertreten sind, bekommt dieDiskussion meines Erachtens eine andere Qualität. Dennjetzt sind wir selber Teil des Konfliktes. Wir haben unsselber engagiert. Ich weiß, dass wir in diesem Hause eineheiße Diskussion über den Einsatz geführt haben, aberwir sind jetzt vor Ort. Aus der Tatsache, dass deutscheSoldaten vor Ort sind, ergibt sich, glaube ich, nicht nurdas Recht, sondern auch die Pflicht, uns noch intensiverin den politischen Prozess in dieser Region einzuschal-ten.

(Beifall bei der FDP)

Die Frau Bundeskanzlerin hat in ihrer Erklärung zumUNIFIL-Mandat wörtlich gesagt:

Die militärische Umsetzung der UN-Resolu-tion 1701 kann … nur der Anfang eines langen We-ges sein. Natürlich muss die Waffenruhe in einen

7470 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

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Dr. Rainer Stinner

neuen Anlauf für einen umfassenden politischenFriedensprozess übergeleitet werden.

Das ist völlig richtig. Der Meinung sind wir schon seitlangem. Aber in der Diskussion über einen solchen Pro-zess sind zwei Dimensionen zu beachten. Das sind ers-tens die Gestaltung dieses Prozesses und zweitens seineInhalte.

Schon hinsichtlich der Gestaltung gibt es offensicht-lich eine Reihe von unterschiedlichen Meinungen, Herrvon Klaeden. Dass sich jetzt mehrere Fraktionen für eineKonferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im NahenOsten aussprechen, zeigt, dass wir dasselbe anstrebenwie die Frau Bundeskanzlerin, nämlich einen integrier-ten und umfassenden politischen Ansatz.

Dieser Ansatz ist aber umstritten. Zumindest ein Landin der Region glaubt nach wie vor, dass es besser ist, dieeinzelnen Konfliktfelder sequenziell, das heißt nachein-ander abzuarbeiten, und hält es nicht für sinnvoll, dieKonfliktlösung umfassend zu bearbeiten. Wir halten dasaber für sinnvoll und haben deshalb noch einmal einenentsprechenden Antrag eingebracht. Wir haben schonvor vier Jahren einen Antrag zu diesem Thema vorge-legt. Bisher haben Sie unsere Forderungen abgelehnt.Ich beglückwünsche alle, die nunmehr auch die höherenWeihen der Weisheit genossen haben und jetzt derselbenMeinung sind wie wir. Deshalb rechne ich damit, dassSie unserem Antrag heute entsprechend freudig zustim-men werden.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Herr von Klaeden, bei den von Ihnen genannten Vo-raussetzungen handelt es sich doch um Details. Wir kön-nen uns doch nicht schon jetzt mit den Teilnehmern undder Tagesordnung beschäftigen. Im ersten Schritt geht esdarum, die Grundvoraussetzungen bzw. das Verständnisdafür zu schaffen, dass der integrierte Ansatz richtig ist,und einen entsprechenden Prozess einzuleiten.

Ein solcher umfassender Prozess bedeutet auch, dasses sinnvoll ist, mit all denen zu reden, mit denen man re-den muss, um etwas bewegen zu können. Deshalb sindwir in der Tat derselben Meinung wie die Mehrheit die-ses Hauses, dass der Besuch des Bundesaußenministersin Syrien sinnvoll und richtig war.

Das ist alles andere als Appeasementpolitik. Eskommt nicht darauf an, mit wem man redet, sondern da-rauf, was man dort sagt. Das, was man sagt, muss in derSache sehr klar sein. Ich bin der Überzeugung, dass derHerr Außenminister es richtig gemacht hat.

Die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit istsicherlich ein Vorbild für diese Region; denn dieser Pro-zess hat erstmals gezeigt, dass es sinnvoll ist, mit Men-schen und Staaten in einen Diskussionsprozess einzutre-ten, obwohl man vorher weiß, dass die Meinungen völligunterschiedlich sind.

Herr Trittin, Sie haben die Hoffnung geäußert, dassdie Vereinigten Staaten in den nächsten Monaten aktiverwerden. Auch ich habe diese Hoffnung, allein mir fehltder Glaube. Die augenblicklichen Signale aus Washing-ton sind nicht so eindeutig, dass wir darauf hoffen kön-

nen, dass die USA ihrer wesentliche Rolle nachkommen.Ich bedauere das sehr. Ich bin völlig Ihrer Meinung, dasses angesichts der Rolle, die die deutsche Regierung imnächsten halben Jahr spielen wird, die Aufgabe Deutsch-lands ist, darauf hinzuwirken, dass die USA wieder ver-stärkt ihrer Rolle nachkommen. Darüber sind wir unsalle sicherlich einig.

Natürlich können und wollen wir die Inhalte einessolchen umfassenden Friedensprozesses heute nicht end-gültig festschreiben. Aber ich glaube, wir alle sind einerMeinung, dass es gewisse Grundsätze und Grundbedin-gungen gibt. Dazu gehören sicherlich das Existenzrechtund die Sicherheit des Staates Israel sowie ein lebensfä-higer palästinensischer Staat als Ergebnis eines solchenProzesses. Des Weiteren müssen wir dafür sorgen, dassder Libanon möglichst weitgehend selbstbestimmt han-deln kann und nicht von fremden Mächten dominiertwird und dass die legitimen Sicherheitsinteressen allerStaaten in der Region in einem solchen umfassenden Si-cherheitsprozess Berücksichtigung finden. Dass wir unsdarüber hinaus wünschen, dass nicht nur dieser Konfliktgelöst wird, sondern dass dort auch eine Region der Sta-bilität und des Friedens entsteht, ist richtig. Aber das istnoch ein langer Weg.

Herr von Klaeden, darüber, ob es der Kernkonfliktoder ob es nur ein wesentlicher Konflikt ist, kann mansicherlich semantisch streiten. Uns allen ist aber klar,dass er nicht nur für die Region wesentlich ist.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das hataber Konsequenzen für die Betrachtungs-weise!)

– Ich bin nicht sicher, ob uns die semantische Diskussiondarüber, ob es der Konflikt oder ob es ein wesentlicherKonflikt ist, weiterbringt. Das mögen Sie anders sehen.

Die Bundesregierung hat in den nächsten sechs Mo-naten eine nahezu einzigartige Möglichkeit, zu gestalten;denn in diesem Zeitraum hat sie die EU-Ratspräsident-schaft und die G-8-Präsidentschaft inne. Ich glaube, dasswir aufgrund unserer Beteiligung an dem militärischenEngagement das Recht und die Pflicht haben, hier ver-stärkt einzuwirken. Die Bundesregierung ist aufgefor-dert, hier aktiv zu werden und Initiativen zu ergreifen.Ich hoffe, dass sie das tut. Sie hat jedenfalls unsere Un-terstützung, wenn es darum geht, eine nachhaltige Frie-denslösung in dieser Region zu finden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt und

voraussichtlich letzter Redner in diesem Jahr ist der Kol-lege Wolfgang Gehrcke für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

wollte schon immer einmal das letzte Wort in diesemHause haben.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7471

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Wolfgang Gehrcke

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Bleiben Sie friedlich!)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich muss Sie enttäuschen. Das wird Ihnen nicht ganz

gelingen.

(Heiterkeit)

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Stimmt, das letzte Wort werden Sie haben. Aber auch

das vorletzte Wort ist ganz in Ordnung.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Vorsicht, die Redezeit ist gleich vorbei!)

Die Bundeskanzlerin hatte eine neue NahostinitiativeDeutschlands während der EU-Ratspräsidentschaft an-gekündigt. Ich finde, das ist zu begrüßen. Ich war ge-spannt, was sie inhaltlich vorschlägt. Dann kam der Vor-schlag, das Nahostquartett wieder zu beleben. Das istrichtig, aber nicht ausreichend. Bis heute hat die Bundes-regierung keinen einzigen inhaltlichen Vorschlag ge-macht, aus dem hervorgeht, wie eine neue Nahostinitia-tive aussehen soll. Die Politik der Bundesregierung istkonturlos.

Nun kann man wie Herr von Klaeden die Opposi-tionsfraktionen ob ihrer Ideen kritisieren. Aber das setztvoraus, dass man selber Ideen hat. Wenn man keine hat,sollte man nicht kritisieren. Dann bleibt man im unver-bindlichen Nebel.

(Beifall bei der LINKEN – Hartmut Koschyk[CDU/CSU]: Herr von Klaeden hat immergute Ideen!)

Ich halte fest, dass in den letzten Monaten in diesemHause alle Vorschläge zum Nahostkonflikt entweder vonden Grünen, von der FDP oder von den Linken kamen.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Waren Siefür UNIFIL II? – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Was ist mit UNIFIL II?)

Die CDU/CSU und die SPD haben es nicht fertig ge-bracht, einen einzigen schriftlichen Vorschlag auf denTisch zu legen. Man kann deswegen nichts kritisieren,weil Sie einfach nichts haben und nichts vorlegen kön-nen. Damit werden Sie in der EU-Ratspräsidentschaftund in der G 8 nicht durchkommen.

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Oh, wir haben Angst!)

Ich finde es richtig, dass alle hier im Hause – es hättesehr viel früher passieren müssen – die Holocaustlügner-konferenz im Iran nachhaltig verurteilen.

(Beifall bei der LINKEN, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich hätte es für notwendig gehalten – es wäre gut ge-wesen, wenn Sie dazu etwas gesagt hätten –, dass dieFrau Bundeskanzlerin Herrn Olmert etwas zu seinem of-fiziellen Eingeständnis, dass Israel Atomwaffen hat

– gewusst haben wir es schon länger –, gesagt hätte.Atomwaffen bringen Israel kein Stück mehr Sicherheit,sondern sie gefährden die Sicherheit in dieser Region.

(Beifall bei der LINKEN)

Dieses Eingeständnis – unkommentiert von der Bun-deskanzlerin – könnte ein Signal für weitere Staaten inder Region sein – nicht nur für den Iran –, sich Atom-waffen zulegen zu wollen. Eine solche Politik wird ausmeiner Sicht mit Sicherheit scheitern.

(Beifall bei der LINKEN)

Zu der strategischen Zielsetzung, die hier beschriebenwerden müsste – da müssen Sie einmal Butter bei dieFische geben –, muss gehören: Wir sollten einen mas-senvernichtungsfreien Nahen Osten anstreben, weil dasdie einzige politisch tragfähige Konzeption ist.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN –Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Dazu hatsich doch Israel verpflichtet!)

Das steht ja auch in unseren Anträgen. Dabei ist es nichterheblich, ob Sie den Konflikt als Kernkonflikt bezeich-nen. Klar ist doch, dass ohne Lösung des Konflikts zwi-schen Israel und Palästina auch die anderen Konflikte imNahen und Mittleren Osten nicht lösbar sind. Das ist derPunkt, auf den es entscheidend ankommt.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Differen-zierung schadet nicht!)

Das bedingt – miteinander verbunden und nicht ne-beneinander – die Existenz Israels in völkerrechtlichverbindlichen und gesicherten Grenzen und ebenso dieExistenz eines eigenständigen palästinensischen Staa-tes, und zwar lebensfähig und nicht in einem Flickentep-pich. Wer das voneinander trennen will – wie es beiHerrn Olmert immer noch anklingt –, der wird weder daseine noch das andere erreichen. Der Weg dazu wird einDialog sein. Man kann sich natürlich seinen Dialogpart-ner nicht aussuchen. Man muss mit Positionen in die Ge-spräche gehen und den Partnern sagen, was geht und wasnicht geht. Das muss man dem Iran, der Hisbollah, derHamas, aber auch Israel sagen. Aber ohne Dialog wirdes keinen Weg für den Frieden im Nahen Osten geben.Das muss man deutlich aussprechen. Daran muss sichdie deutsche Politik orientieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Präsident mahnt; ich habe doch nicht das letzteWort.

Die große Weihnachtsbotschaft lautet: Frieden auf Er-den und den Menschen ein Wohlgefallen. Ich finde, aufErden ist kein Frieden, und so, wie die Welt ist, kann sieden Menschen auch nicht wohlgefallen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN – Eckart vonKlaeden [CDU/CSU]: Das ist eine Verhei-ßung! – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Dasmit dem Wohlgefallen war anders gemeint!)

7472 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

(A) (C)

(B)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 16/3547 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage aufDrucksache 16/3802 – Tagesordnungspunkt 28 b – sollzur federführenden Beratung an den Auswärtigen Aus-schuss und zur Mitberatung an den Ausschuss für wirt-schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung überwie-sen werden. Die Vorlage auf Drucksache 16/3816– Zusatzpunkt 11 – soll ausschließlich im AuswärtigenAusschuss beraten werden. Sind Sie damit einverstan-den? – Das ist offenkundig der Fall. Dann sind die Über-weisungen so beschlossen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-ordnung.

Da ich bereits allen gute Wünsche für das bevorste-hende Weihnachtsfest und das neue Jahr übermittelthabe, wünsche ich denen, die es bis zum Schluss durch-gehalten haben, exklusiv ein wunderschönes drittes Ad-ventswochenende unter Aufrechterhaltung der gutenWünsche für die Festtage, die sich daran anschließen.Wenn diejenigen, die heute bis zum Schluss da waren, zuden Ersten gehörten, die in der nächsten Sitzung desDeutschen Bundestages wieder gebraucht werden, dannwäre das eine besonders schöne Verbindung.

Jedenfalls berufe ich die nächste Sitzung des Deut-schen Bundestages für Mittwoch, den 17. Januar 2007,13 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.

(Beifall)

(Schluss: 15.55 Uhr)

(D)

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7473

(A) (C)

(B)

Anlagen zum Stenografischen Bericht

Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten

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Abgeordnete(r)entschuldigt biseinschließlich

Bierwirth, Petra SPD 15.12.2006

Binder, Karin DIE LINKE 15.12.2006

Bülow, Marco SPD 15.12.2006

Burkert, Martin SPD 15.12.2006

Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

15.12.2006

Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 15.12.2006

Fuchtel, Hans-Joachim CDU/CSU 15.12.2006

Gabriel, Sigmar SPD 15.12.2006

Gleicke, Iris SPD 15.12.2006

Gloser, Günter SPD 15.12.2006

Granold, Ute CDU/CSU 15.12.2006

Freiherr zu Guttenberg, Karl-Theodor

CDU/CSU 15.12.2006

Hartenbach, Alfred SPD 15.12.2006

Hilsberg, Stephan SPD 15.12.2006

Hinz (Herborn), Priska BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

15.12.2006

Holzenkamp, Franz-Josef

CDU/CSU 15.12.2006

Kammer, Hans-Werner CDU/CSU 15.12.2006

Klimke, Jürgen CDU/CSU 15.12.2006

Dr. Kofler, Bärbel SPD 15.12.2006

Leutheusser-Schnarrenberger, Sabine

FDP 15.12.2006

Lintner, Eduard CDU/CSU 15.12.2006*

Löning, Markus FDP 15.12.2006

Merten, Ulrike SPD 15.12.2006

Möller, Kornelia DIE LINKE 15.12.2006

Nitzsche, Henry CDU/CSU 15.12.2006

* für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-sammlung des Europarates

Anlage 2

Zu Protokoll gegebene Reden

zur Beratung des Antrags: Eigentumsrechteund Forschungsfreiheit schützen – Entschiede-nes Vorgehen gegen Zerstörungen von Wert-prüfungs- und Sortenversuchen sowie von Fel-dern mit gentechnisch veränderten Pflanzen(Tagesordnungspunkt 25)

Dr. Max Lehmer (CDU/CSU): Erstens. Die Feldzer-störungen sind auf das Schärfste zu verurteilen und in je-dem Fall strafrechtlich zu verfolgen. Hierin stimmen wir

Dr. Paziorek, Peter CDU/CSU 15.12.2006

Poß, Joachim SPD 15.12.2006

Riester, Walter SPD 15.12.2006

Rix, Sönke SPD 15.12.2006

Sager, Krista BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

15.12.2006

Dr. Scheer, Hermann SPD 15.12.2006

Teuchner, Jella SPD 15.12.2006

Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 15.12.2006

Dr. Westerwelle, Guido FDP 15.12.2006

Wieczorek-Zeul, Heidemarie

SPD 15.12.2006

Winkler, Josef Philip BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

15.12.2006

Dr. Wodarg, Wolfgang SPD 15.12.2006

Wöhrl, Dagmar CDU/CSU 15.12.2006

Wolf (Frankfurt), Margareta

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

15.12.2006

Wunderlich, Jörn DIE LINKE 15.12.2006

Zylajew, Willi CDU/CSU 15.12.2006

Abgeordnete(r)entschuldigt biseinschließlich

7474 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006

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mit der FDP überein. Eine Entscheidung über die Zu-kunft von Wissenschaftsdisziplinen kann nur auf derBasis transparenter und reproduzierbarer Versuche ge-funden werden. Zerstörung kann kein Mittel der Ausei-nandersetzung sein!

Zweitens. Im Rahmen der notwendigen Forschungenzur Grünen Gentechnik sind Freilandversuche unver-zichtbar. CDU/CSU und SPD haben bereits bei ihren Ko-alitionsverhandlungen die Bedeutung der Forschung fürdiese innovative Technologie erkannt und deshalb in denKoalitionsvertrag aufgenommen, die Forschung in derGrünen Gentechnik zu fördern. Freilandversuche sinddie Voraussetzung, um verlässliche, wissenschaftlichfundierte Erkenntnisse zu folgenden Fragestellungen zuerlangen: Erkenntnisse zur Koexistenz – Anbauabstände,Nachbarkulturen, Mantelsaat etc. –, Auswirkungen aufdas Bodenleben, Basisdaten und Fakten für die „Gutelandwirtschaftliche Praxis“ und praktikable Haftungsre-gelungen.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dassein Hauptargument der Gentechnikgegner immer war,die Gentechnik sei nicht genug erforscht und es gebe zuwenig Versuchsergebnisse, um die ökologischen Aus-wirkungen durch den Anbau von GVO-Pflanzen umfas-send beurteilen zu können. Genau dem helfen wir nunab. Wir tun also etwas zur Beruhigung der Gegner!

Drittens. Was können wir nun zum besseren Schutzder Felder tun? Hier muss als erstes über das Standortre-gister gesprochen werden. Es dient leider in der jetzigenForm auch den Zerstörern der Versuchsfelder als verläss-licher Wegweiser.

Wir müssen uns also fragen, ob die Einschränkung deröffentlichen Zugänglichkeit der Standortregister eine Lö-sung wäre. Ich stelle dies infrage, da unser Ziel bei derGentechnik sein muss, die öffentliche Akzeptanz zu ver-bessern. Wenn wir die öffentliche Zugänglichkeit abereinschränken, wirkt das, als gebe es etwas zu verbergen.Das ist aber nicht der Fall. Wir stehen zur Öffentlichkeitdes Registers. Aber: Wir müssen die Wegweiserfunktionentschärfen. Hierzu könnte man beispielsweise die ge-naue Bezeichnung des Feldes oder Flurstücks streichenund nur die Gemeinde nennen. Aber die Diskussion istnoch völlig offen.

Viertens. Stichwort Akzeptanz und Kommunikation:Die Ängste in der Bevölkerung gegenüber modernenTechnologien müssen sehr ernst genommen werden.Ängste basieren meist auf fehlenden verständlichen In-formationen. Die Bürger unseres Landes müssen endlichsachlich aufgeklärt werden und wissenschaftlich fun-dierte Fakten über die Grüne Gentechnik und die Zielset-zungen der Freilandversuche erhalten.

Viele Ängste wurden und werden immer noch durchsehr einseitige, überzogene Risikodarstellungen durchOrganisationen verursacht, die bewusst und absichtlichdie Grüne Gentechnik ablehnen, ja diese bekämpfen!Eine Abwägung zwischen Chancen und Risiken kannaber nur in angst- und ideologiefreiem Klima stattfinden.

Fünftens. Wir stimmen in vielen Punkten mit der FDPüberein, die aber im Wesentlichen schon erfüllt wurden.

Den Antrag halten wir aber in der vorgelegten Formnicht für zustimmungsfähig, und zwar aus folgendemGrund: Zuständig für die öffentliche Sicherheit und Ord-nung in Deutschland und damit für die Unversehrtheitder Versuchsfelder ist nicht der Bund, sondern die Län-der. Der Antrag ist folglich abzulehnen!

Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Ein solch überflüssi-ger Antrag wie der vorliegende ist mir selten unterge-kommen; ich fasse mich deshalb kurz: Ich weiß nicht,warum Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von derFDP, zum wiederholten Mal den Eindruck zu erzeugensuchen, Feldzerstörungen seien politisch motivierteAkte. Damit machen doch gerade Sie die Täter zu Mär-tyrern und ermöglichen denen, dass sie plumpe Sachbe-schädigung als „große Tat im Dienste eines höherenZiels“ verkaufen können. Dass Sie Zeit und Energie da-für aufwenden, zu beobachten und zu dokumentieren,wer sich hier wie und wie deutlich von solchen Zerstö-rungsakten distanziert, wundert mich auch. Ich gehenicht davon aus, dass irgendjemand in diesem Saal mitsolchen Feldzerstörungen in Zusammenhang gebrachtwerden kann. Trotzdem – zu Ihrer Beruhigung und umuns weitere Debatten dieser Art zu ersparen – sage ichdas hier noch mal ganz deutlich und im Namen meinerFraktion: Wir distanzieren uns von Feldzerstörungen.Die Zerstörung fremden Eigentums verurteilen wir, da-mit haben wir nichts zu tun, und wir machen auch nichtmit, wenn solche Debatten wie die heutige hier letztend-lich den Tätern in die Hände spielen, die ihr Tun umsostärker als politisch motiviert verkaufen werden.

Wir machen aber auch nicht mit, wenn solche Vorfälledazu benutzt werden sollen, Geheimniskrämerei zurechtfertigen. Damit meine ich Forderungen nach Ein-schränkung des öffentlichen Standortregisters mit derflurstückgenauen Angabe der Freisetzungsflächen, wiees seit Februar 2005 auf den Internetseiten des BVL füralle einsehbar ist. Es gibt keinen Zusammenhang zwi-schen Feldzerstörungen und transparentem Standortre-gister. Auf eine entsprechende Anfrage der Grünen lau-tet die Antwort der Bundesregierung: „Es konnte im Jahr2005 kein Anstieg der Anzahl der Feldzerstörungen vonFreisetzungsversuchen mit gentechnisch verändertenPflanzen festgestellt werden.“ Damit wäre eigentlich al-les gesagt.

Umso erstaunlicher ist es dann, in einer Presseinfor-mation der FDP-Fraktion vom 11. Dezember 2006 zu le-sen: „Die durch das Gentechnikgesetz gewährte Trans-parenz ist missbraucht worden. Deshalb muss dieÖffentlichkeit des Anbauregisters eingeschränkt wer-den.“ Ich will natürlich vollständig zitieren. Der voraus-gegangene Satz der Presseinformation lautet: „Die Zahlder Feldzerstörungen hat sich in diesem Jahr gegenüber2004 verfünffacht.“ Nun gibt es das öffentliche Anbau-register – wie gesagt – erst seit Februar 2005. Ich weißnicht, woher die Zahlen der FDP stammen, aber wennich der Auskunft der Bundesregierung glaube – und dastue ich –, dann stagniert die Zahl seit Einführung des öf-fentlichen Registers. Also muss dieser enorme Anstiegan Feldzerstörungen vor Einführung des transparentenStandortregisters stattgefunden haben. Das wäre dann ei-

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gentlich ein weiteres Argument für die Transparenz,denn damit wäre ja dann der Trend zum rasanten Anstiegder Feldzerstörungen gestoppt worden!

Wegen der unsicheren Herkunft der Daten will ich esaber dabei bewenden lassen; denn es gibt noch anderegute Gründe für die Transparenz. Das flurstückgenaueStandortregister hat sich bewährt. Die transparente Lö-sung ist unbürokratisch und für alle unmittelbar und mit-telbar Betroffenen am leichtesten handhabbar. Sieschafft Vertrauen bei der Bevölkerung, und das ist derWeg zu mehr Akzeptanz. Nicht unterschätzt werdendarf, welch enorme Erleichterung diese Transparenz fürBerufsstände wie zum Beispiel den Imker darstellt; na-türlich auch für die Behörden, die nicht erst prüfen müs-sen, ob jemand ein berechtigtes Interesse auf Informa-tion hat.

Nicht nur Landwirte haben ein Interesse an solchenInformationen, sondern auch Kleingärtner, Verarbei-tungsindustrie, Handel sowie Imker und vor allem auchdie Verbraucher. Eine Einschränkung des öffentlich ein-sehbaren Teils erleichtert nicht den GVO-Anbau, son-dern erhöht die bürokratischen Lasten der Anbauendenund der Verwaltung, weil alle Betroffenen ermittelt undangeschrieben werden müssen.

Die FDP fordert den konstruktiven öffentlichen Dia-log mit Gentechnikgegnern und Gentechnikbefürwor-tern. Das ist ja an sich eine unterstützenswerte Forde-rung. Ein solcher Dialog kann aber nur konstruktiv sein,wenn er nicht auf Geheimniskrämerei setzt. WenigerTransparenz im öffentlichen Register verträgt sich damitnicht und ist gleichbedeutend mit mehr Bürokratie undmit Einführung von neuen Informations-, Benachrichti-gungs- und Dokumentationspflichten für die GVO-An-bauer. Machen wir uns doch nichts vor: Feldzerstörun-gen können durch eine Schränkung der Informationennicht verhindert werden, die Standorte für Freisetzungenmüssen auch ohne öffentliches Register angekündigtwerden und können zum Beispiel von Betroffenen veröf-fentlicht werden. Sollen wir dafür die Transparenzopfern und neues Misstrauen schaffen? Ich denke, nein;damit ist niemandem gedient.

Wir lehnen den Antrag der FDP ab, denn die dort vor-geschlagenen Maßnahmen sind nicht geeignet, dieEigentumsrechte und die Forschungsfreiheit zu schüt-zen.

Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Wir sprechenheute über einen Antrag, der gar nicht nötig wäre, wenndie Regierung die Skepsis oder Ablehnung der großenMehrheit der Bürgerinnen und Bürger gegenüber derAgro-Gentechnik respektieren würde.

Diese breite Ablehnung äußert sich in vielen Protest-aktionen.

Anfang November bildeten 13 000 Luftballons inBerlin den Schriftzug: „Gen-Food: Nein Danke!“ Esgibt: Demonstrationen, Streitgespräche, Informations-veranstaltungen und E-Mail- oder Postkartenaktionen.

Kurzum: Die Menschen, die Agro-Gentechnik aussehr verschiedenen Gründen ablehnen, verschaffen sichauf sehr unterschiedlichen Wegen Gehör, einige Wenigeauch durch die Vernichtung gentechnisch veränderterMaispflanzen. Meine Fraktion Die Linke hält das fürkeine geeignete Protestform. Aber wir verstehen dieBotschaft dieser so genannten Feldbefreiungen: Sie for-dern uns zum Nachdenken auf. Zum Nachdenken da-rüber, wie bedrohlich Menschen die Agro-Gentechnikwahrnehmen!

Und das ist ja nicht unbegründet. Um nur ein paarBeispiele zu nennen: Der Reis LL601 gelangt europa-weit in Lebensmittelregale, obwohl er angeblich nur ineinem kleinen wissenschaftlichen Versuch in den USAangebaut wurde und nicht zugelassen ist; es besteht zu-mindest das Risiko, dass Felder in der Umgebung konta-miniert werden. Das entwertet das Erntegut der Nichtan-wender. Haftung gibt es nur bei Verschulden;Nichtanwender müssen die Kosten für den Nachweis derGentech-Freiheit ihrer Ernte selbst bezahlen; auf demAcker verbleibendes Erntegut entwertet Pachtflächenund gentechnisch veränderte DNA wird in Honig nach-gewiesen, Imker bekommen daher Vermarktungspro-bleme.

Kann man nicht verstehen, dass sich Menschen gegeneine solche Gefahr wehren, wenn die Politik sie nichtdurch Gesetze schützt? Eines habe ich aus meiner eige-nen Geschichte gelernt: Statt nur über die Art und Weisedes Protestes zu debattieren ist jede Regierung gut bera-ten, solche Aktionen als Warnsignal ernst zu nehmen.Der Versuch, die berechtigten Proteste zu kriminalisie-ren, löst das Problem nicht. Viel klüger wäre es, die da-hinter stehenden Ängste und Sorgen endlich ernst zunehmen. Es gibt aus Sicht der Linken, eine viel wirksa-mere Form des Protests: die Bildung von Gentechnik-freien Regionen oder Kommunen. Sie ist ein bürger-schaftliches, demokratisches Mittel des Widerstands.Daher unterstützen wir diese Lösung ausdrücklich undsehr konkret vor Ort.

Die Regierung handelt auch bei diesem Thema nichtim Interesse der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger.Anders als zum Beispiel kürzlich in Südtirol – hier suchtdie Regierung nach Möglichkeiten eines europarechts-konformen Wegs ohne Agro-Gentechnik. Bis dahin istder Anbau über ein Moratorium verboten. In derSchweiz besteht das Moratorium nach einer Volksbefra-gung.

Die Bundesregierung versucht stattdessen, das Volkmit zwei Versprechen im Koalitionsvertrag zu beruhi-gen: Erstens. Die Sicherung der Wahlfreiheit der Ver-braucherinnen und Verbraucher und, zweitens, die Si-cherung der Koexistenz zwischen Anwendern undNichtanwendern.

Die Realität sieht anders aus: Erstens. Es gibt keinewirkliche Wahlfreiheit bei Lebensmitteln: Gentechnik-frei heißt nicht wirklich frei, sondern eine zufällige Kon-taminationen bis zu 0,9 Prozent, und weder Milch nochEier sind gekennzeichnet, wenn genetisch veränderteFuttermittel verwendet werden.

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Zweitens. Koexistenz ist auf Dauer nicht zu sichernund sehr teuer – aufgrund der großen Anzahl nicht oderkaum kontrollierbarer Verschleppungsrisiken, wie zumBeispiel Wind, Insekten, verunreinigte Erntetechnik,Transportverluste, Resternte auf dem Feld, Eintragsrisi-ken in die Produktionskette etc. Das war auch die über-wiegende Meinung der Experten in unserer Ausschuss-anhörung zur Koexistenz vor wenigen Wochen.

In einer Aussage würde ich Minister Seehofer unter-stützen. Er will keinen Krieg in die Dörfer tragen, sagteer im Sommer. Aber wer das nicht will, darf auch nichtan der Lunte zündeln, sondern muss sich auf die Seiteder Mehrheit stellen.

Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie-der einmal verschwendet die FDP unsere Zeit mit einemAntrag, den wir in steter Regelmäßigkeit aufs Neue vonden Liberalen präsentiert bekommen. Das Ziel diesesAntrags ist es, die Kritik an der Gentechnik zu kriminali-sieren und – entgegen dem Willen der Mehrheit der Be-völkerung – den Verbrauchern die Agrogentechnik auf-zudrängen.

Es ist unlauter, wenn Sie in ihrem Antrag davon re-den, der Herr Minister Seehofer würde sich dadurch vonseiner Vorgängerin unterscheiden, dass er kriminelleHandlungen verurteile. An dieser Stelle haben wir schoneinmal über diese dreiste Unterstellung verhandelt. EndeJanuar 2004 haben Sie schon einmal versucht, FrauKünast etwas unterzujubeln, was sie nicht gesagt hat.Aber auch diesmal läuft ihr Versuch ins Leere. Die Un-terschiede zwischen der VerbraucherschutzministerinKünast und ihrem Nachfolger Seehofer sind himmel-weit, aber an diesem Punkt werden sie keinen Unter-schied feststellen oder herbeireden können. Feldzerstö-rungen sind gesetzeswidrige Handlungen – und alssolche lehnen wir Grüne sie kategorisch ab.

Zur inhaltlichen Kritik an diesem Antrag: Es ist of-fensichtlich, dass Sie sich im Vorfeld dieses Antragesscheinbar nicht ausreichend über die angeblich so starkangestiegene Zahl der Feldzerstörungen informiert ha-ben.

Wir haben die Bundesregierung gebeten, einmal ge-nauer aufzuschlüsseln, wie viele Feldzerstörungen es beiFreisetzungsversuchen seit dem In-Kraft-Treten desGentechnikgesetzes 1990 gab, und zu beurteilen, ob eseinen Zusammenhang zwischen der Einführung desStandortregisters im Jahr 2005 und der Anzahl der Feld-zerstörungen gibt. Die Antwort der Regierung ist ein-deutig: „Es konnte im Jahr 2005 kein Anstieg der Anzahlder Feldzerstörungen von Freisetzungsversuchen mitgentechnisch veränderten Pflanzen festgestellt werden.“Und auch auf die Frage, ob es wegen des Standortregis-ters im Jahr 2005 vermehrt zu Zerstörungen von Wert-prüfungsstandorten gekommen ist, antwortet uns die Re-gierung: „Im Jahr 2005 hat es keine Feldzerstörungenvon Wertprüfungen des Bundessortenamtes mit gentech-nisch veränderten Sorten gegeben.“

Fakt ist: In den letzten Monaten kommen immer mehrInformationen darüber zutage, dass das Bundessorten-

amt jahrelang Sortenprüfungen von gentechnisch verän-derten Pflanzen durchgeführt hat – ohne Wissen der Öf-fentlichkeit. Mit einer gewissen Häme wird nun daraufverwiesen, dass diese geheimen Sortenprüfungen ja auchschon in der rot-grünen Regierungszeit stattgefundenhätten. Das stimmt – denn bis 2005 – also bis zum In-Kraft-Treten des neuen Gentechnikgesetzes mit dem öf-fentlichen Standortregister – fehlte schlicht die Rechts-grundlage dafür, diese Standorte zu veröffentlichen. DieGeheimhaltung der Standorte durch das Bundessorten-amtes war nur möglich, weil wir bis 2005 kein öffentli-ches und transparentes Standortregister im Gentechnik-gesetz hatten.

Gerade der Fall der Wertprüfungsstandorte zeigt: jemehr Geheimhaltung, desto mehr Feldzerstörungen!Dies ergibt sich auch aus den Antworten der Regierungauf unsere Fragen. Denn erst nachdem im Sommer 2006viele Landwirte unter anderem in NRW, aber auch inHessen und anderen Bundesländern sich zu Recht da-rüber empörten, dass jahrelang ohne ihr Wissen vomBundessortenamt Wertprüfungen von gentechnisch ver-änderten Sorten durchgeführt wurden, nahmen die Feld-zerstörungen zu.

Wann und wo es zur Zerstörung von Feldern mit gen-technisch veränderten Pflanzen kommt, ist also offen-sichtlich eine Frage der öffentlichen Debatte. Die Ge-heimhaltung – und nicht die Transparenz desStandortregisters – ist meines Erachtens ein Grund fürFeldzerstörungen. Darum darf die Transparenz des Stand-ortregisters, wie unter rot-grün geschaffen, nicht einge-schränkt werden.

Dennoch bietet dieser Antrag auch die Möglichkeit,einige Dinge ins rechte Licht zu rücken. Die Antragstel-ler von den Liberalen beklagen, dass die Feldzerstörun-gen zu einem mutmaßlichen Schaden von circa 1 Mil-lionen Euro geführt haben. Dabei verursacht dieAgrogentechnik selbst derzeit nicht nur mutmaßliche,sondern reale wirtschaftliche Schäden – zum Beispieldurch die gentechnische Verunreinigung von Reis, aberauch durch die Kosten, die der Lebensmittelwirtschaftund dem Steuerzahler durch die Testkosten aufgebürdetwerden, wenn sie – und das wollen derzeit die meisten,egal ob konventionell oder ökologisch – ohne den Ein-satz von gt-Pflanzen arbeiten wollen.

Darüber hat man die FDP noch nie klagen hören!Nehmen wir nur das Beispiel Gentech-Reis, welches unsin jüngsten Zeit viel beschäftigt hat Nach Auskunft derBundesregierung beläuft sich der Schaden, der durchgentechnische Verunreinigungen von Reis entstandenist, auf rund 10 Millionen Euro. Denn es mussten etwa10 000 Tonnen Reis und eine Vielzahl von reishaltigenProdukten in einer Rückrufaktion aus dem Verkehr gezo-gen werden, weil illegal nicht zugelassene gentechnischveränderte Produkte in Umlauf gebracht wurden. Hier-bei handelt es sich um eine Straftat!

Wir brauchen keinen Bericht der Regierung über dieFolgen von Zerstörungen auf die Hightechstrategie derRegierung, wie die FDP in ihrem Antrag fordert. Waswir wirklich brauchen, ist, dass die Regierung endlich ei-nen Fortschrittsbericht zum Stand öffentlich finanzierter

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Aktivitäten im Zusammenhang von Erforschung, Zulas-sung, Anbau und Vermarktung von gentechnisch verän-derten Pflanzen vorlegt, wie ihn das Büro für Technik-folgenabschätzung in dem Bericht „Gentechnischveränderte Pflanzen der 2. und 3. Generation“, Drucksa-che 16/121, sowie auf der Fachanhörung des For-schungsausschusses am 22. Juni 2006 vorgeschlagenhat.

Der Generalsekretär der CSU, Markus Söder, hat ineinem Artikel zur Gentechnik aus dem Juni diesen Jah-res gefordert, „dass für uns die Sicherheit vor bloßenKommerz geht.“ Da kann ich ihm nur zustimmen. DieseFrage genießt aber in der Forschungspolitik, die von derRegierung betrieben wird, anscheinend keine Priorität.Biologische Sicherheitsforschung findet unsere volleZustimmung, denn, wie sich GVO auf die Biodiversitätauswirken, und wie man die Umwelt vor Verunreinigun-gen mit Risikostoffen schützen kann, sind für Bündnis 90/Die Grünen wesentliche Fragen, die eingehender Studienbedürfen. Unter biologischer Sicherheitsforschung wer-den den Bürgern aber auch Projekte verkauft, die nichtim entferntesten diesen Zielen dienen, sondern nur dar-auf abzielen, die Produktentwicklung zu fördern und dieBevölkerung zu manipulieren. Wir brauchen weniger PRfür Gentechnik, sondern mehr qualitativ anspruchsvolleForschung, welche die Risiken dieser Technologiedurchleuchtet.

Deswegen ist nach Meinung von Bündnis 90/Die Grü-nen ein Gentechnik-Moratorium nach Vorbild der Schweizauch für Deutschland angebracht Denn solange wir nichtim Bilde sind über die Langzeitfolgen der Agro-Gentech-nik kann man nicht guten Gewissens einen derart gravie-renden Eingriff in die Natur rechtfertigen. Deshalb lautenunsere Forderungen an die Bundesregierung:

– den Ausbau der ökologischen Landbauforschung,denn die angeblichen Vorteile der GVO wie Schäd-lingsresistenzen und höhere Erträge, lassen sich vielleichter über natürliche Züchtungen verfolgen,

– die Festlegung von Regeln der Gute Fachliche Praxis,die sicherstellen, das ökologischer und konventionel-ler Landbau weiterhin gentechnikfrei möglich sind,das heißt zum Beispiel bei Abstandsregelungen denBestandsschutz der gentechnikfreien LandwirtschaftVorrang gegenüber der Agrogentechnik einzuräumen,

– die Schaffung eines internationalen unabhängigenDatenbanksystems für Freisetzungsversuche weitervoran zu treiben, damit illegal in Umlauf gebrachtenGVO schnell und zuverlässig auf den Verursacher zu-rückgeführt und geeignete Gegenmaßnahmen getrof-fen werden können, und

– die ablehnende Haltung der Mehrheit der Bevölke-rung gegenüber der Gentechnik auch aufseiten derRegierung endlich zur Kenntnis zu nehmen und einGentechnik-Moratorium auf den Weg zu bringen.

Ich bin skeptisch, ob es uns weitere Anträge wie die-ser erspart bleiben werden, der so weit an den dringen-den Problemen der Landwirtschaft und der Verbrauchervorbeigeht. Bitte behelligen Sie uns nicht weiter mitsolch lächerlichen Anträgen, sondern unterstützen Sie

uns bei dem Ziel nachhaltige Landwirtschaft und ge-sunde Lebensmittel in Deutschland und der Welt zu för-dern.

Anlage 3

Zu Protokoll gegebene Reden

zur Beratung der Großen Anfrage: Haltung derBundesregierung zur Europäischen Dienstleis-tungsrichtlinie (Tagesordnungspunkt 27)

Kurt Bodewig (SPD): Es gab kaum ein anderes eu-ropapolitisches Thema in den letzten Monaten, ja in denletzten zweieinhalb Jahren, das die öffentliche Diskus-sion derart bestimmt hat wie die Dienstleistungsricht-linie. Endlich – so sage ich als Europapolitiker – hatEuropa mal in abendlichen Diskussionsrunden im Fern-sehen und in der Tagesschau eine ausführliche Rolle ge-spielt und Menschen konnten nachvollziehen, dassEuropa sie unmittelbar betrifft. Anfangs waren es die ne-gativen Schlagzeilen über das vom liberalen KommissarBolkestein beabsichtigte so genannte Herkunftslandprin-zip, erhitzte Debatten wurden geführt. Dieses Prinzip hatzu Massendemonstrationen in nahezu allen Hauptstädtender EU – allen voran in Brüssel – geführt. Erstmals gingdie öffentliche Auseinandersetzung um dieses europäi-sche Thema über die spezifischen Probleme und Interes-sen einzelner Wirtschaftssektoren oder bestimmter Be-rufsgruppen hinaus.

Nun ist aber endgültig der Weg für die Dienstleis-tungsrichtlinie frei. Das Herkunftslandprinzip wurdeaufgrund sozialdemokratischer Initiative an dieser Stelleaus der DLR entfernt. Nach dem Europäischen Parla-ment hat nun auch der Ministerrat über die Richtlinieentschieden. Damit wurde eines der wichtigsten wirt-schaftspolitischen Projekte der EU im Rahmen der Ver-wirklichung der Lissabon-Strategie abgeschlossen, dieÖffnung des Dienstleistungsmarktes für alle Staaten inder EU – ohne Restriktionen und Inländer-Diskriminie-rung.

Ich möchte an dieser Stelle unserer Berichterstatterinim Europäischen Parlament, der sozialdemokratischenAbgeordneten Evelyne Gebhardt, ganz herzlich unserenDank aussprechen. Evelyne Gebhardt hat großartige Ar-beit im Rahmen der Verhandlungen zur Erzielung einesKompromisses geleistet. Sie hat uns kontinuierlich überihre Arbeit informiert und wir waren stets im Bilde da-rüber, was SPD-Fraktion und das EP auch in unseremSinne tun, um den europäischen Binnenmarkt voran zubringen. Evelyne Gebhardt hat sich immer offen gegenden horizontalen Ansatz der Kommission und gegen dasHerkunftslandprinzip ausgesprochen und sie hat bereitszu Beginn der Verhandlungen auf massive Änderungengepocht. Sie hat sowohl zwischen den Fachausschüssendes EP als auch zwischen den politischen Fraktionen undden nationalen Gruppen intensiv zu vermitteln versuchtund nach Kompromissmöglichkeiten gerungen. MeinesErachtens zeigt der Verhandlungsprozess um die Richt-linie die Bedeutung der politischen Gestaltungsmacht

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des Europäischen Parlaments, gerade auch im intensivenDialog mit den nationalen Parlamenten.

Nach Zustimmung im Rat kann nun die Richtlinie inden nächsten Wochen in Kraft treten. Bis die geplantenErleichterungen tatsächlich greifen können, sind jedochnoch zahlreiche Umsetzungsmaßnahmen notwendig. Inspätestens drei Jahren muss die Umsetzung allerdings er-folgt sein. Wir werden die Bundesregierung regelmäßigauffordern, zum Verlauf der UmsetzungsmaßnahmenStellung zu nehmen.

Insgesamt kann ich sagen, dass wir einen guten Kom-promiss erzielt haben. Die Öffnung des Binnenmarktesfür Dienstleistungen war sowohl europarechtlich erfor-derlich als auch politisch und ökonomisch gewollt. DieRichtlinie ist unverzichtbar, um die vorhanden Hemm-nisse für den freien Dienstleistungsverkehr abzubauen.Nur so kann Wirtschaftswachstum generiert werden undkönnen neue Arbeitsplätze entstehen.

Der Hauptkonfliktpunkt, das Herkunftslandprinzip,wurde gestrichen und durch eine „Bestimmung über dieDienstleistungsfreiheit“ ersetzt. Diese besagt, dass dasZielland für eine freie Aufnahme und Ausübung derDienstleistung zu sorgen hat, unabhängig von den Be-stimmungen des Herkunftslands.

Auch wurde der Anwendungsbereich der Richtliniegegenüber dem ursprünglichen Entwurf deutlich einge-schränkt. Ausgenommen sind nun alle Dienstleistungen,für die es bereits spezielle EU-Regelungen gibt, wieFinanz- und Verkehrsdienstleistungen, Telekommunika-tion und Hafendienste. Ebenso sind ausgenommen Nota-riatsdienstleistungen und private Sicherheitsdienste.Auch die Dienstleistungen von allgemeinem Interesseund soziale Dienstleistungen fallen nicht mehr in denAnwendungsbereich. Ich freue mich über unseren Er-folg, denn wir Sozialdemokraten treten für eine Siche-rung der Daseinsvorsorge in Deutschland ein. Auch wer-den das nationale Arbeitsrecht und Steuerwesen sowiestaatliche Bildungseinrichtungen nicht berührt.

Die Aufnahme und Ausübung von Dienstleistungeninsbesondere für ausländische Anbieter wird durch dieRichtlinie enorm erleichtert. Durch die Einrichtung sogenannter Einheitlicher Ansprechpartner – „one-stop-shops“ – in den nationalen Verwaltungen verfügen dieDienstleistungserbringer über eine Kontaktstelle, überdie alle Verfahren und Formalitäten abgewickelt werdenkönnen.

Auch wir werden von der neuen Richtlinie profitie-ren. So ist auch in Deutschland der Dienstleistungssektorein besonders dynamischer Wirtschaftsbereich, der hoheWachstumspotenziale und Beschäftigungsanreize birgt.

Abschließend möchte ich nochmals betonen, dass esunser Auftrag war, die EU-Dienstleistungsrichtlinie so-zial zu gestalten. Dies ist uns gelungen. Wir beteiligenuns seit Beginn der Debatte im Jahr 2004 kritisch undkonstruktiv an der Gestaltung einer sozial ausgewogenenDienstleistungsrichtlinie. Ich sage an dieser Stelle nocheinmal: Wer nicht bereit ist, Verantwortung zu überneh-men, kann auch nicht mitgestalten!

Doris Barnett (SPD): In Europa hat die Dienstleis-tungsrichtlinie mit dem 15. November 2006 nun alleHürden genommen. Die Mitgliedstaaten, damit auch ins-besondere wir im Parlament, haben nun die Aufgabe, dieRichtlinie innerhalb der nächsten drei Jahre in nationalesRecht umzusetzen.

Für die Europäische Kommission gehört die Dienst-leistungsrichtlinie zu den wichtigsten Teilen der Lissa-bonstrategie, die ja das Ziel hat, Europa bis zum Jahr2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischstenWirtschaftsraum der Welt zu machen. Ob dieses Ziel er-reicht wird, mag jetzt dahingestellt sein. Aber wichtigist, dass wir auch Bewegung und damit Wettbewerb imDienstleistungssektor brauchen.

Nun war der Bolkestein-Entwurf wirklich nicht dazuangetan, auf Verständnis oder gar Zustimmung in vielenLändern zu stoßen. Deshalb löste er ja auch sofort Dis-kussionen, Proteste, Ablehnung aus. Dank dem Einsatzder Berichterstatterin im Europäischen Parlament,Evelyne Gebhardt, aber auch der guten Zusammenarbeitdeutscher und französischer Parlamentarier gelang es,dass die Richtlinie im parlamentarischen Prozess mas-sive Veränderungen erfuhr.

Die heute zu behandelnde Große Anfrage der Frak-tion Die Linke von vor einem Jahr geht allerdings – wieauch ihr Antrag für die Anhörung – von dem ursprüngli-chen Bolkestein-Entwurf aus, ist somit obsolet und auchzeitlich überholt. Inhaltlich hat sich so viel bewegt, wieman es zu Beginn der Diskussion gar nicht erwartenkonnte. Die Antragsteller tun ja so, als brauche man nurgut zu verhandeln und alles wird gut. Tatsache ist abernach wie vor, dass Deutschland nur eines von 25 Län-dern ist und wir in Brüssel nicht „durchregieren“ kön-nen, also Rücksicht zu nehmen haben. In vielen Staaten,besonders den neuen Mitgliedern, fielen deshalb unsereBedenken auf Unverständnis. Dass die Richtlinie dankdes Verhandlungsgeschicks und der Ausdauer und Hart-näckigkeit von Evelyne Gebhardt und ihren Mitstreiterndoch noch zu einem guten Ende geführt werden konnte,darüber können wir uns auch wirklich einmal freuen.

Jetzt allerdings gilt es, die Richtlinie europaweit innationales Recht umzusetzen. Damit eröffnet sich für diedeutsche Dienstleistungswirtschaft die Möglichkeit, dieChancen des EU-Dienstleistungsmarktes optimal zu nut-zen. Denn bisher haben etliche nationale Regelungenden europaweiten Austausch von Dienstleistungen ein-geschränkt. Ich bin überzeugt, dass Deutschland von derMarktöffnung profitieren wird, weil hier ein deutlicherNachholbedarf besteht und es hier auch Wachstums-potenziale gibt.

Es ist gelungen, die Richtlinie so auszugestalten, dasssie eine Symbiose darstellt zwischen den Interessen derArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Verbrau-cherinnen und Verbraucher auf der einen Seite und denInteressen der Wirtschaft auf der anderen Seite. DenMenschen auch bei der Dienstleistungsrichtlinie in denMittelpunkt der politischen Zielsetzung zu stellen – dasist gelungen. Dabei wurde nicht vergessen, dass auch dieWirtschaft, die Dienstleister einen Gewinn haben müs-sen.

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Eine Erkenntnis allerdings können wir Parlamentarieraus dem Verfahren um die Dienstleistungsrichtlinie al-lerdings ziehen: Die Beratungen in der Kommission, imRat und im Europaparlament wurden begleitet durchzum Teil heftige Diskussionen in den Nationalparlamen-ten, allen voran Frankreich und Deutschland. Die De-monstrationen der Gewerkschaften haben gerade derKommission und dem Rat deutlich gemacht, wie wichtigzur Akzeptanz eines europäischen Vorhabens die Fähig-keit ist, auf berechtigte Forderungen der Betroffenen mitKompromissen einzugehen. Der Platz, an dem die Kom-promisse formuliert und letztlich auch durchgesetztwurde, war dann das Europaparlament. Ich begrüße esgerade aus Demokratieüberlegungen heraus, dass es hierzu einer gewissen Machtverschiebung von der Kommis-sion und vom Rat hin zum Europaparlament gekommenist – wenn auch nicht freiwillig; das Europaparlamenthat dafür heftig und letztlich erfolgreich gestritten. DerUmstand, dass SPD und EVP hier ganz gut kooperierten,kam Gewinn bringend hinzu.

Ich glaube, dass gerade das Verfahren um die Dienst-leistungsrichtlinie beispielhaft gezeigt hat, wie Europabesser funktionieren und auch eine höhere Akzeptanz er-fahren könnte: Es ist das demokratische Zusammenspielder Nationalparlamente mit dem Europaparlament. Na-türlich werden auch die Kommission und der Rat seineBedeutung behalten. Aber die stärkere Einbindung desparlamentarischen Prozesses führt auch direkt zu einerLegitimation von Regelungen, die die Vorschläge derKommission sicherlich nicht in dem Umfange haben.

Martin Zeil (FDP): Ich sehe, ehrlich gesagt, wenigSinn darin, noch einmal über die Dienstleistungsricht-linie zu diskutieren. Die Messen in dieser Frage sind ge-lesen, seit das EU-Parlament am 15. November dieDienstleistungsrichtlinie verabschiedet hat. Jetzt bleibteigentlich nur noch, die Richtlinie in nationales Rechtumzusetzen.

Unsere Position in dieser Frage dürfte inzwischenhinlänglich bekannt sein. Wir sind der Meinung, dass dieRichtlinie im Ergebnis jahrelangen Meinungsstreites ge-genüber dem Ursprungsentwurf des früheren Wettbe-werbskommissars Bolkestein bis zur Unkenntlichkeitverwässert wurde.

Die notorischen Bedenkenträger und Wettbewerbs-verhinderer in der EU haben sich leider durchgesetzt undnicht nur das Herkunftslandprinzip weitgehend ausgehe-belt, sondern auch in vielen anderen Bereichen dafürgesorgt, dass auf dem Dienstleistungsmarkt, wenn über-haupt, nur ein schaumgebremster Wettbewerb stattfin-det.

Die ganze Diskussion war geprägt von protektionis-tischen Tendenzen, obwohl sich im Wirtschaftsleben anvielen Stellen gezeigt hat, dass dies durchweg negativeAuswirkungen hat. Warum zum Beispiel die Dienstleis-tungen im Gesundheitswesen, der Altenpflege sowie inder Kinderbetreuung von der Richtlinie ausgenommenwurden, bleibt völlig unerfindlich. Hier gibt es eindeutigAngebotsdefizite in Deutschland, die man durch Leis-

tungen aus den Mitgliedstaaten hätte kompensieren kön-nen, was dem Verbraucher zugute gekommen wäre.

Die Folgen des Protektionismus werden sich schonbald offenbaren: Die Entstehung neuer wirtschaftlicherDynamik auf dem Zukunftsmarkt Dienstleistungen wirdverhindert, die Schaffung neuer Arbeitsplätze unmöglichgemacht.

Insbesondere Deutschland, den derzeit größtenExporteur von Dienstleistungen in Europa, wird dies inbesonderem Maße treffen. Dass das Ganze unter demDeckmantel „sozial“ geschieht, den die Konservativenwie die Sozialisten wie eine Monstranz vor sich hertra-gen, ist ebenso tragisch wie schizophren. Die Linken ha-ben im Meinungsbildungsprozess wieder einmal eine be-sonders unrühmliche Rolle gespielt. Sie schürten, woimmer sie konnten, im Verein mit den GewerkschaftenÄngste in der Bevölkerung. Geradezu gebetsmühlenartigsprachen sie vom angeblich drohenden Lohn-und So-zialdumping, ein Totschlagsargument, mit dem versuchtwurde, jeden sachlichen Dialog im Keim zu ersticken.

Es ist im Gefolge dieser beispiellosen populistischenKampagne zu Großdemonstrationen in Brüssel und zueiner tief greifenden Verunsicherung aller Beteiligten ge-kommen. Sowohl der Rat als auch die Kommission wa-ren weitgehend paralysiert. Im Rat taten sich Deutsch-land und Frankreich eher bei der Organisierung einerBlockademinderheit als bei der Bildung einer Gestal-tungsmehrheit hervor. Zum eigentlichen Ort der Verstän-digung entwickelte sich schließlich das Europäische Par-lament.

Der gefundene Kompromiss ist, wie das Kompro-misse oft an sich haben, in vieler Beziehung unbefriedi-gend. In zentralen Fragen des Anwendungsbereichs unddes Herkunftslandprinzips ist er teilweise wenig konkret.

Ein Beispiel: Die Mitgliedstaaten werden verpflichtet,die freie Ausübung der Dienstleistungstätigkeit in ihremHoheitsgebiet zu gewährleisten. Sie dürfen aber natio-nale Auflagen vorgeben, um die öffentliche Sicherheitund Ordnung zu gewährleisten. Diese nationalen Regelnmüssen „verhältnismäßig und erforderlich“ sein. Ob siedas im Einzelfall sind, entscheidet die Verwaltung vorOrt, von deren Interpretation und Auslegung viel abhän-gen wird.

Die Richtlinie ist insgesamt voller Rechtsunsicherhei-ten und unklarer Begriffe, die man hätte vermeiden kön-nen, wenn man das Herkunftslandprinzip konsequent an-gewendet hätte. Dann müsste man sich nicht darüberstreiten, was denn nun Dienstleistungen von allgemei-nem Interesse oder Dienstleistungen in sozial sensiblenBereichen sind. Das sind alles Definitionsfragen, die,das ist vorhersehbar, zu unendlichen Streitereien führenwerden. Die Rechtsunsicherheiten werden zudem zu ei-nem Wust an Bürokratie führen, weil für die zahlreichenAusnahmen Regeln zu finden und umzusetzen sind, wasnatürlich auch einen Beschäftigungseffekt hat, aber nichtden, den man sich von der Dienstleistungsrichtlinie ei-gentlich erhofft hat.

Letztlich wird es wohl häufig der Rechtsprechung desEuGH überlassen bleiben, festzulegen, wie die Bestim-

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mungen im konkreten Einzelfall anzuwenden sind. Da-mit wird der Gerichtshof einmal mehr in seiner Rolle alsPolitik gestaltendes Verfassungsgericht der EU bestätigt.Ich bedaure das, weil ich es für wesentlich besser halte,wenn Politiker Politik gestalten, als wenn Richter es tun,die dafür eigentlich gar kein Mandat haben.

Auf die Richter des EuGH wird also eine Menge Ar-beit zukommen, aber auch die nationale Verwaltungwird jetzt viel zu tun bekommen. Sie muss die deutscheRechtslage analysieren und auf ihre Vereinbarkeit mitder europäischen Vorgabe überprüfen. Zudem muss siedie einheitliche nationale Ansprechstelle für Dienstleis-ter aus anderen Ländern, „one-stop-shop“ genannt,schaffen. Das wird Zeit kosten und viel Geld.

Der Umsetzungszeitraum von drei Jahren erscheintjedenfalls als sehr ambitioniert und ob er zu halten ist, istfraglich. Insbesondere ist offen, ob es Deutschland gelin-gen wird, das E-Government bei Deutschland Onlinefristgerecht auf- bzw. auszubauen und die Umsetzungder Dienstleistungsrichtlinie dort mit einzubinden. Dennes sind erhebliche Mengen an Daten zwischen den Insti-tutionen der Mitgliedstaaten auszutauschen und abzu-gleichen, ohne eine leistungsfähige elektronische Basisist das eine kaum lösbare Aufgabe.

Ulla Lötzer (DIE LINKE): Mit der Zustimmung zurEU-Dienstleistungsrichtlinie hat das Europäische Parla-ment eine umfassende Deregulierung, ein Sozial- undUmweltdumping in großem Maßstab in die Wege gelei-tet.

Eine Zeitlang sah es so aus, als würde die ursprüng-liche Bolkestein-Richtlinie grundlegend geändert wer-den – so groß war die Wut der Bürgerinnen und Bürgerüber dieses Vorhaben. Die Änderungen am ursprüngli-chen Entwurf, die mit viel Engagement und Protestenvon Gewerkschaften, Attac und anderen gesellschaftli-chen Bewegungen durchgesetzt werden konnten, sindwichtige Teilerfolge. Sie ändern aber leider nichts an dergrundsätzlichen Ausrichtung der Richtlinie gegen eineHarmonisierung von Standards auf hohem Niveau, ge-gen die Sicherung der öffentlichen Daseinsvorsorge undgegen Umwelt- und Verbraucherschutz.

Wenn die Bundesregierung in der Antwort zu unsererGroßen Anfrage schreibt, die Dienstleistungsrichtliniewürde die Bedingungen für alle verbessern, so sprichtdie Realität eine andere Sprache: Mehr Wettbewerb, De-regulierung und Privatisierung haben im Schnitt zu sin-kenden Kosten und höheren Gewinnen geführt und dasdurch Abbau von Arbeitsplätzen, Absenken von Real-löhnen und einer Ausweitung der prekären Beschäfti-gungsverhältnisse sowie zu höherer Konzentration, zurVerfestigung von privaten Monopolen und Oligopolen.Die Ergebnisse der Liberalisierung der Energiemärktespricht hier doch eine deutliche Sprache. Mit der Dienst-leistungsrichtlinie wird diese Entwicklung enorm for-ciert werden.

Die Anhörung im Wirtschaftsausschuss hat deutlichgezeigt, dass die Richtlinie auch zu Rechtsunsicherheitenund zu tiefen Eingriffen in die nationalen Rechtssysteme

führen wird. Rund 30 Anforderungen an Dienstleis-tungserbringer müssen von den Mitgliedstaaten sofortabgeschafft werden und weitere 60 dahin gehend über-prüft werden, ob sie erforderlich sind.

Zwar haben insbesondere die Kolleginnen und Kolle-gen der SPD sich in der Anhörung an der kritischen Dis-kussion beteiligt, ohne jedoch in einem einzigen Punktdaraus Konsequenzen zu ziehen.

Ein völlig unhaltbarer Zustand ist, dass nach dieserDienstleistungsrichtlinie nicht einmal mehr nach demBuchstaben in einem Land alle „vor dem Gesetz gleich“sein werden. Das grenzt an politisch gewolltes Chaosund führt zu hoher Rechtsunsicherheit. Wie kann dieBundesregierung denn einem inländischen Handwerkergegenüber rechtfertigen, dass dieser sich selbstverständ-lich in allen Punkten an die deutschen Gesetze zu haltenhat, sein Konkurrent aus einem anderen EU-Land, derhier tätig wird, aber nicht? In der Antwort auf unsereGroße Anfrage schreibt die Bundesregierung, das seidoch kein Problem, weil der andere Anbieter ja schondie Gesetze seines Herkunftslandes einhalten müsse.Dies wird jedoch niemanden beruhigen, der einen Auf-trag verliert, weil er teurer anbieten muss. Stufe zwei istdoch schon absehbar: die generelle Absenkung der An-forderungen im Inland. Und dann haben wir die Harmo-nisierung in der EU auf das jeweils niedrigste Niveau.

Ein großes Problem wird die Einschränkung einerwirksamen Wirtschaftsaufsicht und Kontrolle derDienstleistungserbringer. Die Kontrollrechte liegen zwarentgegen dem Ursprungsentwurf beim Zielland, werdenaber stark beschnitten. Es bleibt für nationale Behördenvöllig unklar, welche Vorschriften denn nun gelten:Wenn Vorschriften des Ziellandes nach der Richtlinie fürunzulässig erklärt werden, gelten dann diejenigen desHerkunftslandes oder gar keine Vorschriften mehr?Überhaupt wird es in der EU zu 25 unterschiedlichenAuslegungen kommen. Mehr Rechtssicherheit für Ver-braucherinnen und Verbraucher wird das nicht bringenund auch nicht für Unternehmen. Vom Dienstleister darfzukünftig keine Registrierung, keine Genehmigung,keine Zertifizierung und kein Beitritt zu einer Kammermehr verlangt werden.

Leider ist es nicht gelungen, dass alle Bereiche der öf-fentlichen Daseinsvorsorge aus der Richtlinie ausge-nommen werden. Dazu sind die Aussichten auf profi-table Geschäfte in Bereichen wie zum BeispielWeiterbildung, Kindergärten, Alten- oder Behinderten-pflege zu verlockend. Diese Dienste am und für denMenschen sind jedoch ein Grundrecht und dürfen nichtden Regeln eines freien Marktes überlassen werden.

Eines ist jedoch schon heute klar: Viele Aspekte re-gelt die Dienstleistungsrichtlinie nur sehr ungenau. DieFolge ist absehbar: Viele strittige Fragen werden an denEuropäischen Gerichtshof delegiert. Die politische Ge-staltung Europas wird an den Europäischen Gerichtshofabgetreten. Dass sich ein Parlament das gefallen lässt, istein Armutszeugnis für die Demokratie. Wie der Europäi-sche Gerichtshof entscheidet, wissen wir: konsequentzugunsten der neoliberalen Wirtschafts- und Wettbe-werbsdoktrin.

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Jetzt kommt es darauf an, bei der nationalen Umset-zung das Bestmögliche für die Bürgerinnen und Bürgerdaraus zu machen. Gerade vor dem Hintergrund derRichtlinie gewinnen ein gesetzlicher Mindestlohn unddie Ausweitung des Entsendegesetzes auf alle Branchennoch einmal eine ganz neue Bedeutung. Nur so könnendie Beschäftigten im Dienstleistungsbereich vor einemLeben in Armut geschützt werden. Handeln Sie endlich.

Der Durchsetzung von gewerkschaftlichen Rechten imgrenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr kommtebenso eine Schlüsselstellung zu wie der möglichst wei-ten Beibehaltung von Kontroll- und strafrechtlichenSanktionsmöglichkeiten.

Die öffentliche Daseinsvorsorge muss soweit alsmöglich vor jeder weiteren Privatisierung geschützt wer-den. Die Bundesregierung fordern wir auf, einen Rechts-folgebericht in die Wege zu leiten und dabei mit denbetroffenen Branchen und Gewerkschaften eine umfas-sende Information vorzubereiten, die der Öffentlichkeit,Betrieben und Selbstständigen zur Verfügung steht.

Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Die Dienstleistungsrichtlinie ist nach jahrelangem Tau-ziehen vom Ministerrat und dem Europäischen Parla-ment endgültig verabschiedet worden. Damit ist es nunan der Zeit, losgelöst von den teilweise aufgeregten undinstrumentalisierten Debatten der vergangenen Jahre,eine Bewertung der Richtlinie vorzunehmen.

Die Bewertung aus grüner Sicht lautet: Es hat zwarlange gewährt, ist aber trotzdem nicht gut geworden.

Natürlich ist das, was jetzt verabschiedet wurde deutlichbesser als der ursprüngliche Vorschlag von Bolkestein. Et-was Besseres als den Tod finden wir allemal, wusstenschon die Bremer Stadtmusikanten. Viel besser ist esaber nicht geworden.

In einem typisch großkoalitionären Kompromisswurde keines der beiden Ziele erreicht: weder die Öff-nung der Dienstleistungsmärkte einerseits noch derSchutz nationaler Standards andererseits. Weil man sichnicht einigen konnte, ob man nun links oder rechts amHindernis vorbei soll, ist man geradeaus an die Wand ge-fahren und hat hinterher auch noch verkündet: Wenigs-tens sind wir nicht falsch abgebogen.

Kleine und mittlere Unternehmen müssen nach wievor mit Hürden rechnen, wenn sie ihre Dienstleistungeneuropaweit anbieten wollen. Unklare Rechtsbegriffe undfaule Formelkompromisse machen die Richtlinie zu ei-ner ABM für Rechtsanwälte. Zumindest dieser Dienst-leistungsbereich wird garantiert von der Richtlinie profi-tieren.

Auch die nationalen Sozial- und Verbraucherschutz-standards sind nicht gesichert. Nötig wären Ausnahmenfür die gesamte Daseinsvorsorge, sowie für Sozial- undBildungsdienstleistungen gewesen. Das nationale Ar-beitsrecht kann durch die Richtlinie unterlaufen werden.Die Mitgliedstaaten sind nicht in der Lage, die Dienst-leistungserbringung effektiv zu kontrollieren.

Das Grundproblem besteht darin, dass Sie an demHerkunftslandprinzip – wenn auch unter neuem Na-men – festgehalten haben. Weil aber dieses Herkunfts-landprinzip gravierende Folgen für Sozial-, Umwelt-und Verbraucherschutzstandards hat, haben Sie unterdem Druck der Öffentlichkeit Auflagen unter bestimm-ten Bedingungen ermöglicht, Branchen ausgenommenusw.

Das mindert zwar die Probleme – deshalb ist dieRichtlinie jetzt auch besser als der ursprüngliche Ent-wurf –, führt aber zu neuen Abgrenzungsproblemen undRechtsunsicherheit. Wenn eine Regel so viele Ausnah-men braucht wie das Herkunftslandprinzip, dann musseine andere Regel her.

Wir Grünen haben uns für eine andere Regel einge-setzt: das Herkunftslandprinzip beim Marktzugang, dasZiellandprinzip bei der Ausübung der Dienstleistung.Das wäre eine saubere Lösung gewesen und hätte vielRechtsunsicherheit vermieden.

Die Union wollte das von Anfang an nicht und dieSPD hat ihre Berichterstatterin Gebhardt, die genau die-sen Vorschlag vertreten hat, nicht entschlossen unter-stützt. Insofern ist jede Klage beim Europäischen Ge-richtshof – und jeder, der sich mit der Sache beschäftigt,weiß, dass es viele Klagen sein werden – auch Ergebnisder falschen Politik dieser Bundesregierung.

Bei der nun anstehenden Umsetzung der Richtlinie indeutsches Recht werden wir eine Vielzahl von schwieri-gen Fragen zu lösen haben. Ich möchte hier nur einenPunkt herausgreifen, der uns Grünen besonders wichtigist: Die Dienstleistungsrichtlinie vergrößert die Notwen-digkeit von verbindlichen Mindestlöhnen. Hier muss dieBundesregierung etwas vorlegen, bevor die Dienstleis-tungsrichtlinie in Deutschland greift. Drei Jahre sind fürdie Umsetzung der Richtlinie Zeit. Doch angesichts derheillosen Zerstrittenheit der Koalition beim Thema Min-destlohn könnte selbst diese lange Frist nicht reichen.Wir Grünen haben einen Vorschlag gemacht, wie wir zubranchen- und regionalspezifischen Mindestlöhnenkommen, die auch für ausländische Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmer gelten würden.

Europa und seine Bürger hätten aus zwei Gründeneine bessere Richtlinie verdient:

Erstens wäre es der EU zu wünschen gewesen, dasssie eine Richtlinie hinbekommt, bei die Bürgerinnen undBürger das Gefühl haben: Jawohl, hier hat Europa fürmich ganz konkret etwas gebracht.

Zweitens sind im Dienstleistungssektor noch unge-nutzte Beschäftigungspotenziale, die wir dringend er-schliessen müssen, wenn wir die Arbeitslosigkeit dauer-haft senken wollen.

Leider hat diese Bundesregierung mit einen Anteildaran, dass es mit einer besseren Richtlinie nichts ge-worden ist.

Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi-nister für Wirtschaft und Technologie: Die Möglichkeit,Dienstleistungen innerhalb der Europäischen Union über

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nationale Grenzen hinweg erbringen zu können, gehörtzu den tragenden Säulen des europäischen Binnenmark-tes. Leider wird diese Freiheit noch durch viele Hürdenerheblich eingeschränkt. Dies geht zulasten vieler deut-scher Dienstleistungsunternehmen und ihrer Beschäftig-ten. Zentrales Ziel der Dienstleistungsrichtlinie ist es,bestehende Barrieren auf sozialverträgliche Weise abzu-bauen und der Dienstleistungsbranche in Europa neueImpulse zu verleihen.

Bei den jetzt erfolgreich abgeschlossenen Verhand-lungen ging es darum, eine vernünftige Balance zwi-schen der Erleichterung des Dienstleistungsverkehrs undden Schutzinteressen der Mitgliedstaaten herzustellen.

Nach fast drei Jahren intensiver Diskussion ist es ge-lungen, einen ökonomisch wie sozial ausgewogenenKompromiss herzustellen, der auch unsere deutschen In-teressen berücksichtigt.

Dies ist ein gutes Signal für Europa, für Deutschlandund für die Unternehmen in unserem Land!

Erstens. Chancen der Richtlinie nutzen. Eines möchteich gleich zu Anfang sehr deutlich betonen: Abschottungund Protektionismus sind der falsche Weg! Denn sie be-hindern innovative Unternehmen und gefährden Arbeits-plätze in Deutschland. Als exportorientiertes Land sindwir im Gegenteil essentiell darauf angewiesen, dass un-seren Unternehmen auch im Ausland die Türen offenstehen.

Deutsche Dienstleister verfügen über weltweit aner-kannte, hohe Qualitäts- und Kompetenzstandards. DieseStärken können unsere Unternehmen aber vielfach nochnicht ausspielen, weil sie – wie wir aus vielen Berichtenwissen – im EU-Ausland immer wieder auf ungerecht-fertigte Hindernisse stoßen.

Die Zahlen sprechen für sich: Dienstleistungen stehenfür rund 70 Prozent unserer Wertschöpfung und Be-schäftigung, doch sind bislang nur 14 Prozent unsererAusfuhren Dienstleistungen!

Hier schlummern erhebliche Wachstums- und Be-schäftigungschancen, auch und gerade für Deutschland.Diese Chancen zu nutzen und nicht abzuwürgen, zähltganz sicher zu den zentralen Interessen Deutschlands.

Zweitens. Ängste aufnehmen. Aber wir haben auchsehr deutlich gemacht – ich zitiere als Beispiel dieKoalitionsvereinbarung –, dass dabei die Ordnung aufdem Arbeitsmarkt gewahrt werden muss und dass wei-terhin hohe Standards für die Sicherheit und Qualität vonDienstleistungen gewährleistet sein müssen.

Wir alle hier kennen die Befürchtungen, die der ur-sprüngliche Kommissionsentwurf in dieser Hinsicht beivielen Menschen ausgelöst hat. Die Bundesregierung hatdaher mit Nachdruck eine Änderung des Entwurfs gefor-dert, die sowohl die ökonomischen Chancen einerMarktöffnung als auch die berechtigten Sorgen der Men-schen berücksichtigt.

So haben wir erfolgreich darauf gedrängt, das umstrit-tene Herkunftslandprinzip fallen zu lassen und notwen-dige Ausnahmen für sensible Bereiche zu verankern. Ich

freue mich, dass wir hierfür eine breite Unterstützungquer durch Europa gefunden haben. Dies war keines-wegs selbstverständlich. Wir hatten mit unseren Forde-rungen auch deshalb Erfolg, weil wir bei den Verhand-lungen immer auch mehrheitsfähige Kompromisse imBlick behalten haben, statt uns mit Maximalpositionenzu isolieren.

Ich weiß, dass sich auch manche unter den Kollegenhier noch mehr gewünscht hätten – in der einen wie deranderen Richtung. Doch mehr als das jetzt Erreichte warauf europäischer Ebene nicht durchsetzbar, das mussman in aller Deutlichkeit sagen.

Drittens. Eckpunkte der neuen Richtlinie. Ich erinnerean die Kernpunkte des jetzt verabschiedeten Textes: Dasumstrittene Herkunftslandprinzip wurde durch eine Re-gelung ersetzt, bei der einerseits nationale Barrierenabgebaut werden müssen, was zu deutlichen Erleichte-rungen für den Dienstleistungssektor führen wird. Ande-rerseits sind Ausnahmen der Mitgliedstaaten zum Schutzder öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung,der öffentlichen Gesundheit oder der Umwelt weiter zu-gelassen.

Einige besonders sensible Bereiche sind – auch aufunser Drängen – von der Richtlinie ausgenommen. Diesgilt zunächst für wichtige Querschnittsthemen wie dieAnerkennung beruflicher Qualifikationen, das gesamteArbeitsrecht und das Recht der sozialen Sicherheit.

Ausgenommen sind aber auch sensible Branchen wieGesundheit, soziale Dienstleistungen und Verkehr, Zeit-arbeit und das Glücksspiel.

Umgekehrt bleiben wichtige Branchen wie die techni-schen Dienstleister und die IT-Dienstleister, die For-schung und Entwicklung, Berater und Unternehmens-dienstleister sowie die Bauwirtschaft, der Handel unddie Gastronomie einbezogen. Für sie wird es spürbareVereinfachungen im In- und Ausland geben.

Es sind vor allem drei Eckpfeiler, die die Richtliniedazu vorsieht: den konsequenten Abbau bürokratischerHürden, eine verbesserte Unterstützung für Dienstleisterund Dienstleistungsempfänger, beispielsweise durch dieneuen „Einheitlichen Ansprechpartner“ sowie eine Ver-tiefung der europäischen Verwaltungszusammenarbeit.

Besonders hervorheben will ich aus diesem Katalogdie Einrichtung eines „Einheitlichen Ansprechpartners“.Hier können Dienstleister künftig europaweit alle not-wendigen Informationen erhalten und Behördengängezentral über eine Stelle erledigen. Der Einheitliche An-sprechpartner wird als „Dienstleister für Dienstleister“den Zugang zur Verwaltung entscheidend vereinfachen.

Wichtig sind aber auch die Verbesserungen bei derVerwaltungszusammenarbeit zwischen den Mitglied-staaten. Erstmals erhalten damit die deutschen Kontroll-behörden die Möglichkeit, effektiv mit den zuständigenKollegen im Ausland zusammenzuarbeiten.

Auftretende Fragen – zum Beispiel bei Verdacht aufScheinselbstständigkeit – können künftig damit ebensoschnell wie verbindlich geklärt werden.

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Viertens. Ausblick auf die Umsetzung. Wir habengroße Fortschritte gegenüber dem ursprünglichen Kom-missionsentwurf erreicht, Fortschritte, auf die wir stolzsein können. Für die Umsetzung haben wir nun dreiJahre Zeit, was nicht viel ist, wenn man die Fülle anAufgaben und die Vielzahl der Beteiligten auf allen Ebe-nen bedenkt.

Ich nenne als Beispiel die Errichtung der Einheitli-chen Ansprechpartner für die Information und die Erle-digung aller notwendigen Formalitäten. Hierzu müssenwir die komplexe föderale Struktur in der Bundesrepu-blik in ein effizientes Netzwerk einbinden, und zwar– das betone ich als Vertreter des Wirtschaftsministe-riums – vor allem unter dem Aspekt der Nutzerfreund-lichkeit für die Dienstleister.

Aber auch die von der Richtlinie geforderte Prüfungdes für Dienstleister geltenden Rechts dürfte die Abkehrvon einigen lieb – und teuer – gewordenen Regelungenbedeuten.

Fünftens. Fazit. Viel Arbeit und manche Diskussionliegen also noch vor uns. Doch das Ziel ist diese Mühenallemal wert: Lassen Sie uns die Dienstleistungsricht-linie jetzt konsequent als Anstoß für mehr Wachstumund Beschäftigung in Deutschland nutzen!

Anlage 4

Zu Protokoll gegebene Rede

zur Beratung der Anträge:

– Fahrplan zur Wiederbelebung des Friedens-prozesses im Nahen Osten nach der Resolu-tion 1701 (2006) des Sicherheitsrats der Ver-einten Nationen vom 11. August 2006

– Den Friedensprozess im Nahen Osten wiederaufnehmen

– Für eine Konferenz für Sicherheit und Zu-sammenarbeit im Nahen Osten (KSZNO)

(Tagesordnungspunkt 28 und Zusatztagesord-nungspunkt 11)

Dr. Rolf Mützenich (SPD): Eine Wiederbelebungdes stagnierenden Nahostfriedensprozesses ist in der Tatdringend geboten. Deshalb ist es nur zu begrüßen, dassdie Bundesregierung die EU-Ratspräsidentschaft auchdazu nutzen will, um das Nahostquartett wieder zu bele-ben. Entscheidend dabei ist, dass auch die USA wiedereine konstruktive Rolle im nahöstlichen Friedensprozessspielen. Der Baker-Bericht setzt hier hoffnungsvolle Ak-zente, wenn er auch meiner Meinung nach nicht über-schätzt werden sollte. Es stimmt jedoch hoffnungsvoll,dass man in Washington offenbar die Konzepte und In-strumente des „alten Europa“ wieder zu entdecken be-ginnt. Parallel zur Reaktivierung des Quartetts wäre esauch sinnvoll, wenn der Sonderbeauftragte der EU fürden Nahen Osten künftig wesentlich enger mit dem ame-rikanischen Sondergesandten zusammenarbeiten würde.Mit der Wiederbelebung des Quartetts sind auch Überle-

gungen verbunden, die auf eine Vergrößerung des Teil-nehmerkreises zielen. Zu nennen wären hier vor allemdas ständige Sicherheitsratsmitglied China und die Insti-tution der Arabischen Liga.

Der Krieg im Libanon hat diesen Sommer gezeigt,wie groß die Gefahr nach wie vor ist, dass solche Vor-kommnisse sich zu einem großen Krieg in der Regionausweiten. Deshalb ist es richtig, dass wir UNIFIL unter-stützt haben. Die internationale Friedenstruppe ist der-zeit ein Garant für die Einhaltung der Waffenruhe undVoraussetzung für die Wiederherstellung der Souveräni-tät des Libanon, der von allen ausländischen Einflüssenund Mächten soweit wie möglich frei sein muss.

Dies führt mich zu Syrien. Es war wichtig und richtig,dass der Außenminister in diesem Jahr bereits sechsmaldie Region bereist hat. Und dies gilt ausdrücklich auchfür seinen Besuch in Syrien Anfang des Monats. Es gehtdabei in erster Linie darum, Gespräche zu führen, Empa-thie zu entwickeln und Gesprächswünsche und -kanälezu sondieren.

Dabei hat der Außenminister in Damaskus klarge-stellt: Nur wenn Syrien konstruktiv und stabilisierendagiert, wird Europa Syrien helfen, den Ausweg aus derinternationalen Isolation zu finden. Die Reise nach Sy-rien war richtig und das Gespräch mit Assad schon des-wegen sinnvoll, weil praktische Fortschritte in der Re-gion auch die Mitwirkung Syriens erfordern. Assad hattein einem „Spiegel“-Interview entsprechende Andeutun-gen gemacht. Diese mussten überprüft werden. Jetzt istes an Syrien, die nächsten, belastbaren Schritte zu tun.Denn wenn den Worten Taten folgen und Syrien aktivzur Stabilisierung und Befriedung des Nahen Ostens bei-trägt, würden sich dem Land auch neue Perspektivenöffnen.

Entscheidend für eine Wiederbelebung des Friedens-prozesses bleibt jedoch eine Lösung des israelisch-paläs-tinensischen Kernkonfliktes, der wiederum nur Teil ei-nes weitergehenden regionalen Lösungsansatzes seinkann. Hier möchte ich doch meine Zweifel äußern, obdie von Abbas ins Auge gefassten vorzeitigen Wahlenzweckdienlich sind. Angesichts der finanziellen Hilfenaus dem Iran sollte die EU überlegen, ob die bisherigeStrategie nicht variiert werden könnte. Eine palästinensi-sche Regierung, die die entscheidenden drei Vorausset-zungen für einen tragfähigen Frieden akzeptiert – Ge-waltverzicht, Anerkennung des Existenzrechts Israelssowie die Anerkennung der bisherigen internationalenVerträge – ist unabdingbar. Hamas könnte sich dann alspolitische Partei in Folge verändern.

Der israelische Ministerpräsident Ehud Olmert hat am27. November eine wichtige Rede gehalten und seineBereitschaft zu umfassenden Zugeständnissen an die pa-lästinensische Seite unterstrichen. Jetzt müssen weitereSchritte folgen. Nach dem Krieg gegen die Hisbollah istdie israelische Regierung in einer schwierigen Situation.Wir tun gut daran, Olmert und Perez zu unterstützen,weil unter einer anderen Regierung wohl kaum bessereFortschritte erzielt werden könnten.

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Zum Thema der israelischen Kernwaffen nur so viel:Meines Erachtens kann es keine einfache Übertragungder nuklearen Abschreckungsdoktrin auf den Nahen Os-ten geben. Wenn aber Lehren aus der Abschreckungspo-litik des Kalten Krieges gezogen werden können, danndie, dass rationale Schritte, Gespräche, Institutionen,Verträge und vor allem Rüstungskontrolle unterhalb di-rekter nuklearer Abrüstung maßgeblich zur Überwin-dung des Gleichgewichts des Schreckens beigetragenhaben. Deutschland sollte hierbei assistieren und seineErfahrungen an der Nahtstelle des Systemkonflikts ein-bringen.

Nochmals: Eine gerechte und umfassende Lösung desisraelisch-palästinensischen Konflikts ist auch derSchlüssel zur Lösung der anderen Konflikte in der Re-gion. Der Friedensplan des Nahostquartetts aus EU,USA, Russland und UNO bleibt dabei die wichtigste Ba-sis der politischen Bemühungen. Das Ingangsetzen einesFriedensprozesses ist zudem nur durch massive multila-terale Anstrengungen zu erreichen. Vorrangig bleibt da-bei der bessere Schutz der Menschen vor der Gewalt imNahen Osten.

Die internationale Gemeinschaft sollte deshalb Israelbei den Verhandlungen mit seinen drei Nachbarn, mitdenen es noch keine Friedensverträge gibt, unterstützen.Israels Sicherheit, ein lebensfähiger palästinensischerStaat, die Wiederherstellung der Souveränität des Liba-non sind dabei die Zielvorgaben.

Ich möchte hier jedoch zugleich vor einer zu großenErwartungshaltung an die deutsche EU-Ratspräsident-schaft warnen. Deutschland kann sicherlich eine aktiveRolle spielen, Initiativen starten, mit den Akteuren spre-chen und Botschaften transportieren. Hier geht es in ers-ter Linie auch darum, Denkblockaden auf allen Seitenaufzubrechen. Deutschlands kann als wichtiger Akteurin der EU einen Beitrag leisten, um den Teufelkreis derGewalt zu durchbrechen – aber nicht allein, sondern nurim Konzert mit den beteiligten regionalen und externenAkteuren.

Eine Lösung des Nahostkonflikts, der einer der ältes-ten und kompliziertesten Konflikte der Welt ist, wird je-doch auch die deutsche EU-Ratspräsidentschaft nichtleisten können. Es führt kein Weg an der Erkenntnis vor-bei, dass tragfähige Lösungen letztendlich die Konflikt-parteien vor Ort aushandeln müssen in dem Bewusst-sein, dass sie keine Alternative zum Friedensprozesshaben.

Religiöser Fanatismus und übersteigerter Nationalis-mus sind keine tragfähigen Antworten auf die Heraus-forderungen des 21. Jahrhunderts. Mehr als je zuvor sindpolitische Antworten und der Mut zu Kompromissen ge-fragt. Das Existenzrecht des Staates Israel und die Si-cherheit seiner Bürgerinnen und Bürger stehen dabeinicht zur Disposition. Alten und neuen Antisemitismuswird die internationale Gemeinschaft nicht hinnehmen –ebenso wenig wie die unsägliche Konferenz der Holo-caustleugner in Teheran, deren Veranstalter sich damitselbst diskreditiert haben. Zugleich sind realistische po-litische Regelungen und Lösungswege vonnöten, um dienationalen Rechte der Palästinenser zu gewährleisten

und ihnen menschenwürdige Lebensbedingungen zuschaffen.

Momentan sind die Erwartungen an Deutschland undEuropa überaus hoch, vielleicht zu hoch. Aber Europawird gebraucht, umso mehr je überforderter die USAsind, Gebrauch mit zivilen, glaubwürdigen Initiativenund viel Geduld.

Die Umsetzung der durch Schimon Peres geprägtenVision von einem „Neuen Nahen Osten“ erfordert sowohlauf israelischer als auch auf arabischer Seite Verständi-gungsbereitschaft, gegenseitige Akzeptanz und den Wil-len zur Zusammenarbeit.

Anlage 5

Amtliche Mitteilung

Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse habenmitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das EuropäischeParlament zur Kenntnis genommen oder von einer Bera-tung abgesehen hat.

Auswärtiger Ausschuss

Drucksache 16/1748 Nr. 2.7

InnenausschussDrucksache 16/2555 Nr. 2.78Drucksache 16/3196 Nr. 1.34

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und VerbraucherschutzDrucksache 16/2695 Nr. 1.10Drucksache 16/3196 Nr. 1.6Drucksache 16/3196 Nr. 1.8 Drucksache 16/3196 Nr. 1.9Drucksache 16/3196 Nr. 1.10Drucksache 16/3196 Nr. 1.11Drucksache 16/3196 Nr. 1.14Drucksache 16/3196 Nr. 1.15Drucksache 16/3196 Nr. 1.35Drucksache 16/3196 Nr. 1.39Drucksache 16/3196 Nr. 1.42Drucksache 16/3196 Nr. 1.47Drucksache 16/3196 Nr. 1.51

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendDrucksache 16/820 Nr. 1.42Drucksache 16/993 Nr. 1.2Drucksache 16/1101 Nr. 1.2

Ausschuss für GesundheitDrucksache 16/3196 Nr. 1.48

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionDrucksache 16/150 Nr. 2.8Drucksache 16/820 Nr. 1.52Drucksache 16/820 Nr. 1.53Drucksache 16/820 Nr. 1.54Drucksache 16/820 Nr. 1.55

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Drucksache 16/820 Nr. 1.60Drucksache 16/820 Nr. 1.64Drucksache 16/820 Nr. 1.65Drucksache 16/901 Nr. 2.7Drucksache 16/901 Nr. 2.28Drucksache 16/1748 Nr. 2.7Drucksache 16/1748 Nr. 2.8Drucksache 16/1942 Nr. 2.6Drucksache 16/2555 Nr. 1.38

Drucksache 16/2555 Nr. 2.128Drucksache 16/2555 Nr. 2.132

Ausschuss für Kultur und Medien

Drucksache 16/419 Nr. 2.65Drucksache 16/2695 Nr. 1.14Drucksache 16/2695 Nr. 1.15

(D)

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ISSN 0722-7980