Diakoniekonzept 2012

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Diakoniekonzept der Zürcher Landeskirche

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Diakoniekonzept 2012 der Evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich

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Diakoniekonzept der Zürcher Landeskirche

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Diakoniekonzept der Zürcher Landeskirche«Wie immer ihr wollt, dass die Leute mit euch umgehen, so geht auch mit ihnen um.»Goldene Regel – Matthäus 7,12

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Impressum

HerausgeberKirchenrat der Evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich

ProjektleitungFrieder Furler, Leiter der Abteilung Diakonie

Gestaltung und IllustrationDaniel Lienhard, Zürich

DruckZollinger AG, Adliswil

Zürich, 29. August 2012

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Zum Geleit

Die Kirchenordnung gliedert das kirchliche Tun in vier Handlungsfelder. Diese Einteilung bietet mehrere Vorteile.Erstens: Der kirchliche Auftrag wird in Kernaufgaben unterteilbar. Diese Teilaufgaben und die dazugehörendenLeitbilder und Leitwerte gewinnen an Kontur. Zweitens: Überlappungsgebiete, Nahtstellen und Abgrenzungenzwischen den Handlungsbereichen werden klarer. Daraus ergeben sich Kriterien für Arbeitsteilung und Zusam-menarbeit zwischen den Handlungsfeldern. Bedin-gung dafür ist eine die Handlungsfelder übergreifende Koor-dination. Drittens: Die Zielgruppen der Handlungsfelder mit ihren Bedürfnissen und ihrem Bedarf werden näherfassbar.

Redet die Kirche von Handlungsfeldern, so relativiert sie gleichzeitig ihr eigenes Tun. Über Feldern weitet undwölbt sich nämlich der Himmel. Dieses Bild schärft das Bewusstsein, dass Kirche mehr ist als menschlichesHandeln. Gott baut mit und lässt wachsen.

Handlungsfelder verlangen nach Konzepten. Diese sind Voraussetzung für zielführendes, wirkungsvolles undnachhaltiges Handeln.

Das Diakoniekonzept richtet sich an Behörden, Berufsgruppen und Freiwillige in Kirchgemeinden und Landes-kirche. Es verleiht dem diakonischen Handeln Orientierung und Profil. Es trägt dazu bei, dass die Kirche näherzu den Menschen kommt. Es verleiht der diakonischen Kirche, ihren Akteurinnen und Akteuren Identität.

Umsetzen werden das Diakoniekonzept Frauen und Männer in der kirchgemeindlichen Praxis. Die Landeskirchewird sie dabei mit Modellen zur Konkretisierung, mit Impulsen und beratend unterstützen.

Das Diakoniekonzept hält die Sehnsucht nach Recht und Gerechtigkeit wach. So motiviert es zum Handeln. InKurt Martis Sprache: «Dass Gott ein Tätigkeitswort werde!»

Der Kirchenrat

Zürich, 29. August 2012

In den Einleitungen zu den einzelnen Kapiteln findet sich ein Verweis auf ausführliche Hintergrundinformationen.Diese sind im Buch «Diakonie – eine praktische Perspektive» (TVZ 2012) zugänglich.

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Inhalt

A Woher die Diakonie kommt ...........................................................................................9A1 Jesu Mahlgemeinschaft im Alltag als Urmodell der Diakonie ...........................................12A2 Diakonie als soziales Handeln im Spannungsfeld von Spiritualität und Solidarität...........13A3 Vision und Mission der Diakonie .......................................................................................14A4 Jesu Gleichnisse als Komm-Geschichten ...........................................................................15

B Warum die Diakonie nötig und möglich ist .............................................................17B1 Diakonie als Erfolgsgeschichte – mit Widersprüchen ........................................................20B2 Diakonie und die Tendenzen der Zeit .................................................................................22

C Womit sich die Diakonie ein Profil gibt ....................................................................25C1 Die Zwölffeldertafel der Diakonie......................................................................................28C2 Die Zielgruppen der Diakonie ............................................................................................29C3 Die Kernthemen der Diakonie ............................................................................................31C4 Der Aktionsradius der Diakonie..........................................................................................33C5 Diakonie zwischen Kirche, Zivilgesellschaft und Staat .....................................................35C6 Schwerpunkte, Kulturen und Projekte der Diakonie ..........................................................37C7 Lokales Gemeindekonzept der Diakonie ............................................................................44

D Wie handelt wer diakonisch .......................................................................................45D1 Spezifisch-kirchliche und allgemein-fachliche Arbeitsweisen der Diakonie .....................48D2 Die Vielfalt von diakonischen Akteurinnen und Akteuren .................................................49

E Womit und woraufhin Diakonie handelt...................................................................53E1 Verteilung diakonischer Ressourcen auf die Kirchgemeinden ...........................................56

Hinweis: Die mit dunklerem Blau gekennzeichneten Kapitel A, C und E sind für Behörden von besonderer Wichtigkeit.

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Ausgangspunkt der Diakonie sind die Mahlgemeinschaften Jesu mit den unterschiedlichstenMenschen. Sie waren so profan wie provokant. Sie bilden das Urmodell von Gemeinschaft,Teilen und diakonischem Handeln. Das Abendmahl ist das gottesdienstliche Zeichen dafür.Es steht für Gemeinschaft und Hingabe, Verbundenheit und Teilhabe im alltäglichen Leben.Die Vision der Diakonie ist Gerechtigkeit auf Erden und gleiches Recht für alle Menschen. DerWeg der Diakonie ist die tätige Nächstenliebe. Sie sucht Menschen auf, kommt auf sie zu undist ihnen nahe.

A Woher die Diakonie kommt

Hintergrundinformationen«Diakonie – eine praktische Perspektive», Seiten 15 – 28

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Die Provokation

Jesus isst und trinkt mit unterschiedlichstenMenschen aus unterschiedlichsten Lebenswel-ten. Dazu gehören Arme, Mächtige, Gesunde,Kranke, Frauen, Männer, Glaubende, Ungläubi-ge, Fremde, Einheimische. Damit setzt Jesus einprovokatives Zeichen. Er demonstriert ganz «un-kultisch» im Alltag, wie offenherzig und gast-freundlich Gott ist. Die MenschenfreundlichkeitGottes bekommt in Jesu MahlgemeinschaftenGesicht, Fleisch und Blut. Solche Gemeinschaftist exemplarisch für geteiltes, solidarisches Le-ben. Jesus praktiziert diese Solidarität in Wortund Tat.

Das Vermächtnis

Beim letzten Mahl bricht Jesus wie immer dasBrot mit seinen Jüngern. Im Blick auf das dro-hende Kreuz sagt er zu ihnen: Das ist mein Leib,der für euch gegeben wird.(Lukas 22,19)Diese Worte enthalten ein Versprechen: Jesuswill sein ganzes Leben – bis in den Tod – in dieGemeinschaft hinein geben. Diese Worte sindein Vermächtnis: Wie das Brot die Jünger nährt,so wird Jesu Hingabe die Gemeinschaft stärken.

Nach dem Mahl reicht Jesus seinen Gästen denKelch. Dieser Akt symbolisiert wie das Brotbre-chen Gemeinschaft und Hingabe, Verbundenheitund Teilhabe.

Zu Tisch sitzt nicht die Schar der Perfekten. Son-dern Petrus, der Jesus verleugnen, Judas, der ihnausliefern wird. Dabei sind jene, die auf Gnadeund Vergebung angewiesen sind. Dabei sindMenschen, die nach Liebe hungern und nachRecht dürsten. Dabei sind Starke und Schwachemit ihren Schwächen und Stärken. Sie sind zu-sammen, um einander zu unterstützen, zu tragen,zu fördern. Das ist der Sinn ihrer Solidargemein-schaft.

Die Ermächtigung

Das Osterereignis reisst die nach der KreuzigungZurückgebliebenen aus ihrer Trauer. Durch JesuTod hindurch erfahren sie von neuem die Kraftdes Lebens. Jesu Versprechen bewahrheitet sich.Es wird für die Zurückbleibenden erfahrbar. Ihreerlebte Verbundenheit mit Jesus stärkt ihre Ver-bundenheit füreinander und für andere. Die So-lidarität lebt weiter.

Die Proklamation

Die heutige gottesdienstliche Feier des Abend-mahls hält Jesu Mahlgemeinschaften wach. Sieerinnert an Jesu Vermächtnis beim letzten Mahl.Sie ermutigt die Verbündeten Gottes, im AlltagZeichen der Solidarität zu setzen. Das Abend-mahl ruft die Solidarität im Alltag der Welt aus.Es ist eine Proklamation.

Jesu Mahlgemeinschaft im Alltag als Urmodell der Diakonie A1

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Definition

Diakonie ist Wesensmerkmal und Zeichen derKirche. Es gibt keine Kirche ohne Diakonie. Undes gibt keine Diakonie ohne Kirche. Diakonie istdas praktische und sichtbare Profil der Kirche.

Diakonie bewegt sich in jüdisch-christlicher Tra-dition. Sie tritt das biblische Erbe an. Sie lebt ausihren jesua-nischen und evangelischen Wurzeln.Darin besteht ihre Spiritualität.

Aus ihrer spirituellen Tiefe entfaltet die Diakonieeine solidarische Weite. Sie lebt Gemeinschaftim Füreinander und Miteinander. Diese Gemein-schaft ist nicht sich selber genug. Sie geht übersich hinaus. Diakonie engagiert sich für andere,mit anderen und durch andere.

Was ist Diakonie?

Diakonie ist soziales Handelnaus evangelischen Wurzelnin der Kraft der Solidarität. Diakonie ist Wesensmerkmal und sichtbares Zeichen der Kirche.

Spiritualität und Solidarität

Diakonische Kirche kann versucht sein, ihre so-ziale Nützlichkeit beweisen zu wollen. Sie ver-spricht sich davon mehr Akzeptanz und Gewichtin Gesellschaft und Öffentlichkeit. Sie läuft da-bei Gefahr, ihr soziales Handeln zu instrumenta-lisieren. So wird sie weder ihrem Auftrag nochden Menschen gerecht. Sie wird dazu tendieren,ihre christlichen Wurzeln zu verbergen oder zuvernachlässigen. Aber die christlichen Wurzelnbilden die spirituelle Kraft, welche solidarischesHandeln ermöglicht.

Die christlichen Wurzeln mögen gesellschaftlichanstössig oder umstritten sein. Aber diese Beson-derheit ist am sozialen Markt der pluralistischenGesellschaft eine Stärke.

Spiritualität ist die Wurzel, Solidarität ist dieFrucht. Beides gehört zusammen. Darum ergän-zen sich Theologie und Diakonie, Pfarramt undSozialdiakonat. Darum fördern sich Seelsorgeund Sozialsorge, gottesdienstliches Feiern undalltägliche Hilfeleistung.

Das Kirchengesetz verpflichtet die Kirche zumRechenschaftsbericht gegenüber dem Staat. Umstaatliche Mittel zu bekommen, hat sie ihre ge-samtgesellschaftlichen Leistungen auszuweisen.Darum spricht sie über das Gute, das sie tut.Aber zugleich begründet sie ihren Tätigkeitsaus-weis von Gott her, der Tätigkeitswort wird. Siesteht zu ihrer christlichen, auch kultischen undreformierten Identität. So halten sich Solidaritätund Spiritualität die Waage

Diakonie als soziales Handeln im Spannungsfeld von Spiritualität und Solidarität A2

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Biblische Bilder zeichnen die Vision der Diako-nie. Dazu gehören die Verheissungen der Pro-pheten. Dazu gehören die Gleichnisse Jesu vomkommenden Reich Gottes. Diese Hoffnungstra-dition erklingt auch im reformierten Gesang-buch: «Der Himmel, der kommt» ist die Fanfareund Hymne der Diakonie.

Der Himmel, der kommt

Der Himmel, der ist,ist nicht der Himmel, der kommt,wenn einst Himmel und Erde vergehen.

Der Himmel, der kommt,das ist der kommende Herr,wenn die Herren der Erde gegangen.

Der Himmel, der kommt,das ist die Welt ohne Leid,wo Gewalttat und Elend besiegt sind.

Der Himmel, der kommt,das ist die fröhliche Stadt undder Gott mit dem Antlitz des Menschen.

Der Himmel, der kommt,grüsst schon die Erde, die ist,wenn die Liebe das Leben verändert.

Kurt Marti RG 867

Diese Vision beinhaltet eine umfassende Gerech-tigkeit. Die Strukturen der Gewalt sind besiegt.Alle Menschen kommen zu ihrem Recht. Einfröhlicher Friede wird möglich.

Durch diese Vision zieht sich die Bewegung desKommens. Sie erinnert an die zweite Bitte desUnservaters: «Dein Reich komme.» Sie erinnertan Jesu Gleichnisse vom kommenden Gottes-reich. Sie weist auf das Wesen Gottes hin. GottesSein ist im Kommen. Er kommt den Menschenentgegen. Er kommt ihnen zuvor. Er ist zuvor-kommend. Er kommt zu ihnen, damit sie zu sichselber kommen, menschlicher werden.

Die Diakonie nimmt diese Bewegung auf. Siesucht Menschen auf, um ihnen nahe zu sein. Siekommt zu Menschen in Not und Leid, Vereinsa-mung und Gespaltenheit, Unfreiheit und Fremde.Diakonie ist im Kommen.

Wo Diakonie sich von Gottes Kommen bewegenlässt, erfüllt sie seine Mission. Sie geht den Wegtätiger Nächstenliebe. Der Weg der Nächstenlie-be ist immer interaktiv und partnerschaftlich.Wer auf die Nächsten zugeht, dem kommen sieentgegen.

Diakonische Kirche ist aus der Sicht der Akteu-rinnen und Akteure eine Geh-Kirche. Sie gehtaus sich heraus. Aus der Sicht der Adressatinnenund Adressaten ist sie eine Komm-Kirche. Siekommt auf Menschen zu. Zwischen ihnenkommt es zu einer Begegnung auf Augenhöhe.

Vision und Mission der Diakonie haben eineKomm-Struktur. Diakonische Kirche ist eine Ge-meinschaft der Kommenden.

Vision und Mission der Diakonie A3

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Jesus erzählt das Beispiel vomsolidarischen Menschen aus Samaria. Am Endefragt er:

Wer ist dem,der unter die Räuber fiel,der Nächste geworden? Lukas 10,36

Die Frage ist nicht: Wer ist mein Nächster odermeine Nächste? Die Frage ist: Wem bin ichNächste oder Nächster? Wem bin ich nahe inNot, Leiden, Einsamkeit? Welchen Menschenkomme ich nahe in ihrer Lebensform, Lebens-welt, Lebenslage und Biografie? Kann ich so aufsie zugehen, dass sie mich nahe kommen lassen?

Jesus malt ein Bild vom kommenden Weltenen-de. Dabei wählt er die Sichtweise der Notleiden-den. Er erzählt aus ihrem Blickwinkel und mitihrer Stimme. Er setzt sich mit ihnen gleich.

Denn ich war hungrig,und ihr habt mir zu essen gegeben.Ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben.Ich war fremd,und ihr habt mich aufgenommen.Ich war nackt,und ihr habt mich bekleidet.Ich war krank,und ihr habt euch meiner angenommen.Ich war im Gefängnis,und ihr seid zu mir gekommen. Matthäus 25,35f

Diakonisches Handeln geschieht im Aufsuchen und Entgegenkommen.Diakonie kommt nahe zu den Menschen.

Diakonische Kirchgemeinde

Gewählte, Angestellte und Freiwillige derKirchgemeinde entwickeln ihr Bewusst-sein als diakonische Kirche. Sie formu-lieren konkrete Visionen als Leitbild ihrerArbeit. Sie setzen Ziele für ihr diakoni-sches Tun innerhalb der Legislatur. Siesetzen sich auftragsbewusst ein. Sie tre-ten selbstbewusst auf.

Jesu Gleichnisse als Komm-Geschichten A4

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Zivilcouragierte Einzelpersönlichkeiten, eine weltoffene Haltung und vielfältige Arbeitsweisenprägen die Erfolgsgeschichte der Diakonie. Diese drei Phänomene verdanken sich drei Ent-wicklungen, welche Geschichte und Gegenwart prägen. Es sind die Individualisierung, dieGlobalisierung und die Säkularisierung. Diese Prozesse sind zweideutig. Sie werden unter-schiedlich beurteilt. Die drei Bezeichnungen sind Reizworte. Darum wird beispielsweise neu-traler von Differenzierung statt von Säkularisierung gesprochen.

Die Schattenseiten der drei Entwicklungen machen die Diakonie zur Notwendigkeit. Die Stär-ken dieser Prozesse ermöglichen wirksames diakonisches Handeln. Die gesellschaftlichenHerausforderungen an die Diakonie werden anhand der drei Entwicklungen skizziert. Darausergeben sich drei Kernthemen und drei Grundhaltungen der Diakonie.

B Warum die Diakonie nötig und möglich ist

Hintergrundinformationen«Diakonie – eine praktische Perspektive», Seiten 29 – 71

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Diakonie und Taterweis B1.1 Zeitraum 30 bis 500 n.C.

… damals: In weniger als 500 Jahren wird auseiner charismatischen Bewegung eine Staatskir-che. Ein Hauptgrund für diese Erfolgsgeschichteist die Diakonie. Sie ist individuelle Liebestätig-keit aller Gläubigen, Diakonie von unten. Siewird aber auch zur Diakonie in der Verantwor-tung des altkirchlichen Bischofs. Sie wird vonoben organisiert. Die sozialen Zustände im zer-fallenden weströmischen Reich sind zum Teil ka-tastrophal. Diakonie handelt in kritischer An-waltschaft gegenüber Staat und Gesellschaft fürdie Notleidenden. Damit nimmt sie ihr prophe-tisches Amt wahr.

… und heute: Ohne Kraft zur Nächstenliebewäre die Kirche mit dem Römischen Reich un-tergegangen. Sie hat durch Gottes Geist und ihreTat überlebt. Die Kirche wird auch künftig durchihre diakonische Praxis glaubwürdig bleiben.

Diakonie und Zivilgesellschaft B1.2 Zeitraum: 500 bis 1500 n.C.

… damals: Die Diakonie des Mittelalters hatdie Massennöte nicht beseitigt. Aber sie hatLichtgestalten hervorgebracht. Benedikt vonNursia begründet das erste abendländische Klos-ter Monte Cassino. Franz von Assisi lebt eineheitere Achtsamkeit gegenüber der Schöpfung.

Elisabeth von Thüringen formuliert als zivilcou-ragierte Frau ihren Sozialprotest gegenüber denMächtigen.

Aus individueller Initiative entstehen Bewegun-gen, Klöster und Orden, Stiftungen und sozialeWerke. Sie sind kritisch gegenüber den Institu-tionen Kirche und Staat. Anzahl und Vielfalt dia-konisch Engagierter wachsen. Es sind Männerund Frauen, Laien und Ordensmitglieder. Siesind meistens gemeinschaftlich eingebunden undgetragen.

… und heute: Die mittelalterliche Diakonieentfaltet ihre Kraft in einem Zwischenbereich.Er liegt zwischen Individuum und Institution,zwischen privater Initiative und öffentlicherHand. Heute sprechen wir von der Zivilgesell-schaft. Ihre Bürgerinnen und Bürger bringen Be-wegungen und Initiativen, Solidarnetze undNetzwerke hervor. Eine moderne Demokratiebraucht eine aktive Zivilgesellschaft. Ein starkerStaat und starke Bürgerinnen und Bürger brau-chen einander.

Diakonie und Bildung B1.3 Zeitraum: 1500 bis 1800 n.C.

… damals: Die Reformation befreit vom reli-giösen Leistungsprinzip. Der Mensch brauchtnicht Gutes zu tun, um vor Gott gut dazustehen.Der Mensch ist gut, weil Gott ihn liebt. Wer Gu-

tes tut, muss nicht mehr nach dem eigenen See-lenheil schielen. Der Blick wird frei auf die Notder Nächsten.

Die Reformation unterstützt den Staat beim Auf-bau eines gerechten und leistungsfähigen Sozi-alwesens. Sie bewirkt aber keinen Aufschwungder Gemeindediakonie. Die reformatorische Kir-che läuft in der Folgezeit Gefahr, Wort-Kirchezu werden.

Im 18. Jahrhundert revolutioniert die Aufklärungden Umgang mit Elend und Armut. Ein positivesMenschenbild wird propagiert. Menschenrechtewerden eingefordert. Erziehung und Vorbeugungsollen an die Stelle von Zucht treten. Die zeit-gleiche Frömmigkeitsbewegung des Pietismusvertritt dieselben Anliegen. Sie setzt sich für eineganzheitliche Pädagogik und eine professionelleErziehung ein. Der Pietismus kritisiert die Wort-Kirche und setzt auf die Praxis der Liebe. Erbringt diakonische Initiativen und Gründungenhervor. Mustergültig ist Franckes Waisenhaus inHalle. Kinder aus bildungsfernen Milieus sollenauch teilhaben an der Bildung.

Die Aufklärung kritisiert die staatliche Diszipli-nierung der Armen und die administrative Ar-mutsbewältigung. Der Pietismus kritisiert dieausbleibende Tat der Kirche.

… und heute:Aufklärung und Pietismus habenden sozialen Wert der Bildung erkannt. Bildung

Diakonie als Erfolgsgeschichte – mit Widersprüchen B1

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ist ein Weg der Diakonie. Bildung ermutigt undbefähigt Menschen, sich ihres eigenen Verstan-des zu bedienen und mündig zu werden. Bildungist Hilfe zur Selbsthilfe. Sie fördert den Aufbruchaus fremd- oder selbstverschuldeter Abhängig-keit. Bildung ist partizipative Diakonie. DieserAnsatz gewinnt an Gewicht in der heutigen Wis-sensgesellschaft. Bildung ist ihr ausschlaggeben-der «Rohstoff». Bildung bringt darüber hinauswirtschaftliche, soziale und persönliche Vorteile.Mehr Teilhabegerechtigkeit in der Bildungschafft mehr soziale und wirtschaftliche Gleich-heit. – Die Globalisierung hat die Ungleichge-wichte im Bildungswesen vergrössert. Eine zen-trale diakonische Aufgabe gilt darum der Teilha-begerechtigkeit in der Bildung. Sie ist ein wich-tiger Weg zu mehr Gerechtigkeit und Frieden imGanzen.

Diakonie und Vielfalt B1.4 Zeitraum: ab 1800 n.C.

… damals: Die Industrialisierung prägt undzeichnet das 19. Jahrhundert. Mit ihr gehen Be-völkerungswachstum und Landflucht einher. Inden städtischen Ballungszentren kommt es zurMassenarmut. Liberalismus, Sozialismus, Staatund Kirchen suchen Wege aus dem sozialenElend. Innovativ ist die «freie Diakonie». Sieentspringt dem individuellen und privaten, demvereinsmässigen und inoffiziellen Engagement.Professionelle soziale Werke mit Zukunft entste-

hen. Ein Beispiel im Kanton Zürich ist die Evan-gelische Gesellschaft. Auf sie geht das Diakonie-werk Neumünster zurück.

Die Hoffnung auf das nahende Gottesreich trägtdie Diakonie des 19. Jahrhunderts. Diese Visionmotiviert sie zur «Inneren Mission» angesichtsder drängenden sozialen Probleme. Ziel ist eineReform von Kirche, Gesellschaft und Staat. Siefängt an mit der Umkehr der Einzelnen im Glau-ben. Herausragender Vertreter dieser Bewegungist J.H. Wichern. Er geht von drei Trägern derDiakonie aus. Das sind die beiden Institutionender Kirche und des Staates sowie die «freie»Diakonie. Diese geschieht beispielsweise durchpersönliches Engagement oder in sozialen Ver-eine und Stiftungen.

… und morgen:Wicherns dreiteilige Diakonieist nach wie vor überzeugend und zukunftswei-send. Jeder der drei Träger braucht auch die an-dern beiden:

Wer allein auf die «freie» Diakonie setzt, unter-schätzt das Potenzial der Institutionen. Sie alleingewährleisten nachhaltige Strukturen des Rechtsund der Gerechtigkeit.

Wer allein auf die professionelle Amtskirchesetzt, übersieht das Diakonat aller Gläubigen.Das freiwillige Engagement ist grösser als dieAmtskirche.

Wer allein auf den Versorgungsstaat setzt, bringtihn rasch an seine Grenzen. Dieser Ansatz ent-mündigt zudem die Zivilgesellschaft, statt derenStärken freizusetzen.

Erfolgreich ist Diakonie, wenn sie vielfältig ist.Nur eine vielgestaltige Diakonie wird die He-rausforderungen des 21. Jahrhunderts bestehen.

Diakonie in Widersprüchen B1.5

Alle Formen diakonischer Wirksamkeit unterlie-gen Widersprüchen, oder sie erzeugen Wider-sprüche. Erfolgreich ist die Diakonie, wenn siesich diesen Widersprüchen konstruktiv stellt.Dazu drei Beispiele:

• Das ländliche Kloster ist im Frühmittelalterwichtiger Ort der Diakonie. Aber der aufkom-menden städtischen Massenarmut ist es nichtgewachsen. Darum entstehen die Bettelordendes Hochmittelalters. Sie stellen sich der neu-en Herausforderung. Die Mitglieder dieser Or-den leben wie die Armen und teilen mit ihnen.Aber mit ihrem Erfolg werden die Bettelordenreich. Dieser Widerspruch fordert die Kritikder Reformation heraus.

• Wer Angst vor Höllenqualen hat, tut Gutes umseines Seelenheils willen. Es geht nicht in ers-ter Linie um das Los der Armen. Diese werdenzum Mittel, das eigene Gewissen zu beruhi-

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gen. Dadurch fehlt das Motiv, die Armut zubeseitigen. Sie wird verfestigt. Die Reforma-tion kritisiert diese angstbesetzte Frömmigkeitund befreit das schlechte Gewissen. Aber diereformatorische Kirche droht, zum tatenlosenWort zu werden. Ihr stellt die Bewegung desPietismus die praktische Tat entgegen.

• Die Vision der «Inneren Mission» hat die Dia-konie im 19. Jahrhundert dynamisiert. Aberdiese Vision kann das Potenzial von Industria-lisierung, Liberalismus und Sozialismus nichtmobilisieren. Sie bleibt rückwärtsgewandt undim Ansatz individualistisch. Doch das klareBewusstsein jener Diakonie für Vision undMission bleibt aktuell. In einer pluralistischenGesellschaft sind klare Profile gefragt.

So stösst Diakonie immer wieder an Grenzen.«Gegen alle Hoffnung hoffend» stösst sie aberauch immer wieder über Grenzen hinaus. Somacht sie Geschichte.

Individualisierung B2.1

Chance und RisikoIndividualisierung ist eine Chance zur Emanzi-pation, zur Selbst- und Mitbestimmung. Ein mar-kantes Beispiel ist das reformatorische «Priester-tum aller Gläubigen». Individualisierung ebnetden Boden für private diakonische Initiativen.Beispiele sind die sozialen Bewegungen des Mit-telalters oder das heutige freiwillige Engage-ment. Individualisierung ermöglicht die Ent-wicklung individueller Persönlichkeit. Diesestärkt die Zivilgesellschaft.

Individualisierung birgt auch Risiken in sich wieBeliebigkeit, Masslosigkeit oder Desorientie-rung. Der Zwang, «frei» auswählen zu müssen,kann überfordern. Individuelle Freiheit kannauch Furcht auslösen. Gewissheit, Geborgenheitund Gemeinschaft sind nicht selbstverständlichda. Sie müssen individuell errungen werden. Da-mit werden Auswege verlockend. Zum Beispieldie Anpassung an die Konsumkultur oder dieFlucht in den Fundamentalismus.

DesolidarisierungMenschen in Notlagen neigen dazu, sich in un-gerechtfertigter Weise selber zu beschuldigen.Sie blenden Fremdverursachungen aus. Die In-dividualisierung verschärft diese Tendenz beiBetroffenen selber, in Gesellschaft und Öffent-lichkeit: Notlagen werden auf persönlicheSchuld reduziert; soziale und strukturelle Ursa-

chen geraten aus dem Blickfeld. Die Not wird«individualisiert». Der globalisierte Wettbewerbverschärft dieses Phänomen. Solidarität mit Not-leidenden wird aufgekündigt.

Individualisierung der ChancenDiakonie wählt die Option der Notleidenden undsolidarisiert sich mit ihnen. Sie entlastet dieseMenschen vor ungerechtfertigter Selbst- undFremdbeschuldigung. Diakonie begleitet, fördertund fordert Notleidende individuell. Ziel ist, siezu ihren eigenen Optionen zu ermächtigen. Da-bei setzt Diakonie ihre Beziehungsstärke und So-lidarnetze ein. Sie «individualisiert» nicht dieNot oder die Schuld. Sie individualisiert dieChancen. Sie sucht dem Individuum in seinerBiografie und Lebenslage gerecht zu werden.

Sozialisierung der VerantwortungDiakonie setzt sich ein für Strukturen und Netz-werke, welche individuelle Freiheit ermöglichen.Sie strebt die «Sozialisierung» der Verantwor-tung aller für das überindividuelle Ganze an. Siebehaftet Staat, Gesellschaft und Wirtschaft aufSolidarität, Demokratie und Menschenrechte.Diakonie kritisiert Strukturen und Formen derIndividualisierung, welche Desolidarisierung be-wirken

Diakonie und die Tendenzen der Zeit B2

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Das Kernthema der Diakonie angesichtsder Individualisierung heisst «Gesundheitund Wohlergehen». Tugenden einer Dia-konie, die sich auch selber individuali-siert, sind: persönliche Initiative, Zivil-courage, Zuwendung nach individuellemMass, Hilfe zur Selbsthilfe.

Globalisierung B2.2

Digitale Revolution sowie russische und chine-sische Wendezeit verhalfen der Globalisierungzum Durchbruch.

Licht und SchattenChancen der Globalisierung sind: Wirtschafts-wachstum und Zunahme der Mobilität – Ansätzezu Aussenpolitiken, welche mehr sind als Aus-senhandelspolitik – Akzeptanz pluralistischerVielfalt – leicht zugängliches «World WideWeb» – globale Kooperation in Forschung, Wis-senschaft und Technik.

Die Globalisierung wirft in den letzten Jahrenauch ihre Schatten. Das Mass des Menschlichenist verloren gegangen: bei der Entgrenzung imRaum und der Beschleunigung in der Zeit – beider Gewinnmaximierung für Wenige und denTransaktionen des Finanzkapitals – bei der Öko-nomisierung der Güter und der Vereinzelung derMenschen. Der Wohlstand hat zugenommen.Aber die Relationen zwischen Arm und Reich

haben sich verschlechtert. Das betrifft die Teil-habegerechtigkeit an Rohstoffen, Nahrungsmit-teln, Bildung und Einkommen. Die verschärftenUngleichgewichte lösen Migrationsbewegungenin Riesenstädte oder Industriestaaten aus.

Menschenhaus Globalisierte, schrankenlose Freiheit öffnet dieSchere zwischen Arm und Reich. Nur Gerech-tigkeit befreit über den Abgrund zwischen Armund Reich. Diakonie bewegt sich im Spannungs-feld von Freiheit und Gerechtigkeit. Sie vernetztsich mit internationalen Bewegungen. Beispielesind «Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung derSchöpfung» oder «Halbierung der Armut».

«Ökumene» ist der Horizont der Diakonie imglobalen Zeitalter. «Ökumene» heisst «bewohnteErde». «Ökumene» steht aber auch für eine Vi-sion: Die Erde soll bewohnbar und wohnlichbleiben für künftige Generationen. Sie soll einMenschenhaus werden. Die Aussenpolitik sollzu einer «Weltinnenpolitik» (C.F. von Weiz-säcker) werden.

FernstenliebeDie Globalisierung erweitert das Verständnis derNächstenliebe. In einer global vernetzten Weltkönnen die Fernsten die Nächsten werden. Esfindet eine Entgrenzung statt. Nur ein univer-sales Ethos ist diesem Zeitalter gewachsen.

Lokale und globale Notlagen haben miteinanderzu tun. «Working Poors» hier und Armut in derweiten Welt hängen zusammen. UnmenschlicheArbeitsbedingungen dort und Konsumvorteilehier haben miteinander zu tun. Diakonie mit Zu-kunft denkt weltweit, plant übergemeindlich undhandelt lokal.

Das Kernthema der Diakonie angesichtsder Globalisierung heisst «Existenz undArbeit». Die Einleitung der SchweizerBundesverfassung von 1999 enthält dieentsprechende diakonische Grundhal-tung: «Solidarität und Offenheit gegen-über der Welt.»

Differenzierungen B2.3

Aufteilung in eigenständige BereicheGesellschaften entwickeln sich im Laufe derJahrhunderte. Es bilden sich unterschiedlicheBereiche heraus: Familie, Religion, Politik undandere. Die eigenständigen Bereiche werdendurchorganisiert und effizient. Der Aufgliede-rung der Wissenschaft in ihre Disziplinen ver-danken wir den technischen Fortschritt. Die Aus-bildung der drei politischen Gewalten ermöglichtDemokratie und Partizipation. Die industrielleArbeitsteilung ist eine Bedingung für Wohlfahrtund Wohlstand. Die Herausbildung einer Zivil-gesellschaft als Gegenüber zum Staat stärkt dengesellschaftlichen Zusammenhalt. Die Entflech-

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tung von Kirche und Staat befreit beide zu einerPartnerschaft.

Verwertung oder WürdeDie klassischen Institutionen verlieren an behei-matender und orientierender Kraft. Staat, Familieoder Kirche sind nicht mehr Symbole des Ewi-gen. Sie legen nicht mehr lebenslange privateund berufliche Rollen fest. Dadurch erhaltenMenschen ihnen gegenüber mehr privaten Spiel-raum. Sie bestimmen selber über Eintritt, Aus-tritt, Grad der Zugehörigkeit und Nähe.

An Einfluss gewinnen demgegenüber durchra-tionalisierte Organisationen. Das Individuum ge-rät in Gefahr, sich von ihren Interessen verein-nahmen zu lassen. Das trifft vor allem auf dieSektoren der Produktion und des Konsums zu.In diesen Bereichen sind Menschen nicht als Per-sonen mit ihrem Selbstwert interessant. Es gehtnicht um ihre Wertschätzung. Es geht um ihreVerwertbarkeit als Arbeitskräfte und Kunden.Die wirtschaftliche Globalisierung verstärkt die-sen Trend noch. Der Mensch zählt als Mittel zumZweck. Die Person wird zur Randerscheinung.

Die Diakonie setzt sich demgegenüber für dieWürde jedes Individuums ein. Diese ist unantast-bar und unveräusserlich – gegen alle Verwer-tungsabsichten. Sie ist in jedem Menschen ge-schöpflich angelegt. Sie bildet seinen spirituellenKern.

Vereinzelung oder ZugehörigkeitDie grossen Institutionen verlieren an Kraft. Dasist für viele eine Befreiung von sozialer, morali-scher und politischer Vereinnahmung. Aber dieseBefreiung kann überfordern, vereinzeln und ver-einsamen. Erneut wächst die Sehnsucht nachHeimat und Zugehörigkeit, Solidarität und Ori-entierung. Menschen brauchen vertraute, verläss-liche und verfügbare Beziehungsgeflechte. DieseNetze unterstützen die Einzelnen in der Entwick-lung und Stärkung ihrer Persönlichkeit.

Starke Menschen sind besser gefeit gegen Ver-einnahmung, Vereinzelung und Vereinsamung.Diakonie unterstützt Menschen angesichts dieserGefahren. Sie stärkt soziale Netze und Struktu-ren der Solidarität. Wo Integration gelingt, istPartizipation möglich. Und wo Partizipationwirklich wird, fördert sie die Integration.

Das Kernthema der Diakonie angesichtsder gesellschaftlichen Differenzierungheisst «Zugehörigkeit und Teilhabe». Da-bei besteht die Grundhaltung der Diako-nie darin, selber differenziert zu werden.Sie verschreibt sich in ihrer Arbeit und ih-rem Vorgehen der Vielfalt. Vielfalt ist einErfolgsrezept aus ihrer eigenen Ge-schichte.

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Diakonisches Handeln gewinnt an Kraft, wenn es seine Aktivitäten bündelt. Ein Werkzeug dafürist die Zwölffeldertafel. Auf ihrer Grundlage stellen Kirchgemeinden, Behörden und Berufs-gruppen Weichen für das Profil ihrer Diakonie. Folgende Fragestellungen sind hilfreich:

1. Mit welchen Zielgruppen soll die Diakonie wie stark verbunden sein?2. Welche Kernthemen und welche sozialen Brennpunkte werden wie intensiv bearbeitet?3. Wo richtet sich Diakonie eher an Individuen und ihren Biografien aus, wo mehr an sozialen Themen?

4. Wie stark soll Diakonie lokal, übergemeindlich und weltweit aktiv sein? 5. Wie gross sind die Anteile der nahen, weiten, strukturellen oder politischen Diakonie?6. Wo positioniert sich Diakonie im Spannungsfeld von Kirche, Zivilgesellschaft und Staat?7. Welche Schwerpunkte und Kulturen sollen in welchem Masse zum Leuchten gebracht werden?

Die Zwölffeldertafel ist ein Werkzeug, um der Diakonie ein Gepräge zu verleihen. Zugleich lässtdie Tafel Spielraum offen. Die Felder lassen sich situationsbezogen gewichten. Ihre inhaltlichenFüllungen sind leitbildartige Vorschläge. Die Tafel eignet sich zur Planung, Evaluation und Wei-terentwicklung des diakonischen Handelns.

C Womit sich die Diakonie ein Profil gibt

Hintergrundinformationen«Diakonie – eine praktische Perspektive», Seiten 73 – 132

Page 26: Diakoniekonzept 2012

xx

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Page 28: Diakoniekonzept 2012

Die Zwölffeldertafel der Diakonie C1

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KernthemenZielgruppen

Gesundheit und Wohlergehen Existenz und Arbeit Zugehörigkeit und Teilhabe

Menschen in vielfältigen Lebensformen

Unterstützung in der Generationenverantwortung

Bildung als Hilfe zur Selbsthilfe in der Wissensgesellschaft

Kultur der Gastfreundschaft

Jugendlicheund junge Erwachsene

Identität und Integrität Kultur der Gestaltung Experimentier- undGestaltungsräume

ältere Menschenund Hochbetagte

Kultur der Wertschätzung Respekt vor der Würde des Menschen an den Grenzen des Lebens

soziale Verbundenheitund Einbindung

weltweiterAktionsradius

Ökologie Entwicklungspartnerschaft Migration

Page 29: Diakoniekonzept 2012

Die Zwölffeldertafel geht von drei Zielgruppenaus.

Menschen in vielfältigen Lebensformen C2.1 1. Zielgruppe

Die erste Zielgruppe wird von einem weiten Fa-milienbegriff her verstanden: Familie ist eine Be-ziehungsgemeinschaft; in ihr engagieren sichPersonen aus mindestens zwei Generationen ver-bindlich füreinander. Die Bezogenheit von Ge-nerationen aufeinander ist das zentrale Elementdieses Familienverständnisses.

Ein Beispiel wäre ein junges Paar mit einemKind im Säuglingsalter. Das gegenseitige Enga-gement ist eine wechselseitige Eltern-Kind-Be-ziehung. Sie ist der Raum, in welchem Erzie-hung möglich wird. Zu dieser Familie gehörenauch Grosseltern und andere Verwandte. Aber eskommen noch weitere Bezugspersonen mit müt-terlichen, väterlichen und freundschaftlichen Ga-ben hinzu. Das sind «soziale» Grosseltern, Men-schen in Nachbarschaft, Freundschaftskreis oderaus der Berufswelt.

Ein anderes Beispiel: Ein älterer, alleinstehenderMann lebt in Nachbarschaft mit seiner verwit-weten Mutter. Das Engagement der beiden be-steht in einer gegenseitigen Begleitung. Siebeugt gegen Vereinzelung und Vereinsamungvor. Zu dieser Altersgemeinschaft gehören Pa-tenkinder, Nichten, Neffen oder Freiwillige eines

Besuchskreises. Es sind Kolleginnen und Kolle-gen eines Vereins oder mit dem gleichen Hobby.

Die Familie ist nach innen ein Beziehungsge-schehen zwischen Generationen. Das ist sozusa-gen die «Kleinfamilie». Nach aussen ist die Fa-milie ein Kristallisationskern in einem grösserensozialen System. Dieses System bildet sozusagendie «Grossfamilie», welche die «Kleinfamilie»umgibt.

Familie in diesem Doppelsinn schliesst auch diemittlere Generation ein. Sie umfasst Menschenin vielfältigen Lebensformen wie Haushalte ohneKinder oder Einpersonenhaushalte.

Die Hälfte der Schweizer Bevölkerung lebt inHaushalten mit Kindern und Jugendlichen. Siebilden starke Kristallisationspunkte. Sie stehenoft in Beziehung zu unterschiedlichsten Men-schen der sie umgebenden «Grossfamilien».Über diese Kristallisationspunkte kommt dieDiakonie zu sonst oft unerreichbaren Menschen.Darum haben Familien mit Heranwachsenden ei-nen ganz besonderen Stellenwert im diakoni-schen Handeln. Sie bilden einen Schwerpunkt( C6.1).

Jung und Alt C2.22. und 3. Zielgruppe

Zweite und dritte Zielgruppe bilden die Jungenund die Alten. Sie sind mehr als Alterssegmente.Sie stehen für die Perspektiven der Zukunft undder Herkunft einer Gesellschaft. Eine vitale Kul-tur vertraut auf die Jungen, und sie respektiertdie Alten. Generationenbeziehungen bringen bei-de Perspektiven in einen Dialog. Er ist grundle-gend für gegenseitiges Lernen und fairen Tauschzwischen den Generationen. Generationenbezie-hungen sind eine zentrale Ressource menschli-chen Lebens. Am meisten gefährdet sind dieJüngsten und die Ältesten in der Generationen-folge. Darum kommt Jung und Alt in der Diako-nie ein besonderer Stellenwert zu.

Jede der drei Zielgruppen ist in sich vielfältig.Das betrifft die Lebensformen und Lebenswel-ten, die Lebenslagen und das Altersspektrum.Die drei Gruppen überlappen sich deshalb auchvielfach.

Die Zielgruppen der Diakonie C2

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Page 30: Diakoniekonzept 2012

Die Vielfalt des mittleren Alters C2.3Milieus und Lebenswelten

Der diakonische Zugang zum «Mittelalter» ge-schieht oft indirekt über Kristallisationspunkteund Generationenbeziehungen ( C2.1). Für einendirekten Zugang zu den mittleren Generationenist der Milieu-Ansatz bedeutsam. Wer auf Men-schen zugehen will, bei ihnen ankommen soll,muss ihre Milieus kennen. Nur so ist Kommuni-kation möglich. Menschen lassen andere nahe zusich kommen, wenn diese die «Sprache» ihresMilieus sprechen. Diakonisches Handeln brauchtdarum Milieusensibilität und Milieukompetenz.

Folgende Milieus prägen vor allem das mittlereAlter: die spassorientierten Unangepassten oder«Eskapisten», die Konsumorientierten der mitt-leren Unterschicht, die bürgerliche Mitte, dieStatusorientierten, die selbstbewusste gesell-schaftliche Elite und die kritischen Intellektuel-len. An diese Lebenswelten grenzen zwei ältere,«traditionelle» und zwei jüngere, «postmoderne»Milieus. (M. Krieg: Lebenswelten I und II, TVZ2012)

Die Kirche steht nicht über dem gesellschaftli-chen Pluralismus. Milieubewusste diakonischeKirche stellt sich dem Pluralismus der Lebens-welten. Sie fragt: Welche Notlagen sind für wel-che Milieus spezifisch? Wie findet Diakonie zuwelchen Milieus Zugang? Welche Milieus brau-chen welche Art von Nähe? Welche Milieus las-sen sich wie zu welchem freiwilligen Engage-ment bewegen?

Diakonische Kirchgemeinde

Gewählte, Angestellte und Freiwillige derKirchgemeinde bestimmen im Rahmenihres lokalen Gemeindekonzepts Diako-nie ihre Zielgruppen. Sie legen dabeiPrioritäten und Gewichtungen fest. Siesind sensibel für Lebenswelten und Mi-lieus ihrer Zielgruppen. Grundlage ist derdiakonische Dreischritt «sehen – urteilen– handeln».

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Page 31: Diakoniekonzept 2012

Die Zwölffeldertafel geht von drei Kernthemender Diakonie aus. Sie betreffen elementare Be-dürfnisse des Menschen.

Gesundheit und Wohlergehen C3.1

Gesundheit ist ein Ganzes aus Physischem undPsychischem, Sozialem und Kulturellem. Ge-sundheit erleichtert das Wohlergehen.

Viele Menschen sind gesundheitlich geschwächt,geschädigt, beeinträchtigt, behindert. SolchesLeben kann gelingen, wenn das Menschenmög-liche zu seinem Wohlergehen versucht wird.Diakonisches Handeln achtet auf jene Selbstbe-stimmung, welche Menschen in dieser Lagemöglich ist. Respekt und Wertschätzung prägendie diakonische Zuwendung. Das Gegenüber istim Blick als ein bejahtes Wesen. Gottes Ja ver-leiht ihm seine eigene Würde. Diese ist unabhän-gig von jeglicher physischen Verfasstheit, psy-chischen Befindlichkeit oder Vorleistung.

Der wirtschaftliche, soziale und medizinischeFortschritt bietet Chancen für Gesundheit undWohlergehen. Leistungsdruck und Konsumgierdagegen stellen Gefährdungen dar.

Das erste Kernthema steht in engem Bezug zurIndividualisierung ( B2.1). Die Individualisierungvermehrt die Optionen für Gesundheit und Wohl-ergehen. Gleichzeitig erhöht sie das Risiko so-

zialer Verwundbarkeit oder Vereinzelung. Imdiakonischen Handeln ermöglicht die Individua-lisierung Zuwendung und Unterstützung nach in-dividuellem Mass.

Im Bereich «Gesundheit und Wohlerge-hen» steht Diakonie für die Bejahung desLebens ein. Sie vertritt ihr Anliegen mitZivilcourage.

Existenz und Arbeit C3.2

«Existenz» meint die Voraussetzungen, welchemenschliches Leben sichern. Dazu gehören mate-rielle und soziale Garantien, Erwerbsarbeit, staat-liche Verbindlichkeiten und gesellschaftliche So-zialnetze. Ist die Existenz gesichert, wird es mög-lich, in einem umfassenderen Sinn zu «arbeiten».Das ganze Spektrum aktiven Lebens öffnet sich.

Diakonie unterstützt Menschen, die in ihrer Exis-tenz oder Arbeit bedroht sind. Sie sieht in ihnenKulturwesen mit ihren Potenzialen und Talenten.Die diakonische Hilfe orientiert sich an diesenRessourcen.

Das zweite Kernthema steht in engem Bezug zurGlobalisierung ( B2.2): Begrenzte globale Ressour-cen werden durch Wenige aufgezehrt; persönli-che Ressourcen liegen bei vielen brach. Esbraucht weltweite Strukturen, welche eine grös-sere Verteilungsgerechtigkeit ermöglichen.

Im Bereich «Existenz und Arbeit» stehtDiakonie für die Förderung des Lebensein. Sie vertritt ihr Anliegen in Solidaritätund Offenheit gegenüber der Welt.

Zugehörigkeit und Teilhabe C3.3

Zugehörigkeit fördert Teilhabe. Und Teilhabestärkt das Zugehörigkeitsgefühl. Beides hängtzusammen. Ein Beispiel: Die Verwurzelung ineiner humanistischen Kultur und die demokrati-sche Mitbestimmung fördern einander. Oder: DieEinbettung in soziale Netze gibt Einzelnen undGruppen einerseits Geborgenheit; andererseitsregt sie dieses Eingebundensein an, diese Netzemitzugestalten und weiterzuentwickeln. Schliess-lich: Zugehörigkeit und Teilhabe hängen eng zu-sammen bei täglichem Brot und beruflicher Bil-dung. Erst der allgemeine Zugang zu materiellenund geistigen Ressourcen ermöglicht Teilhabe-gerechtigkeit.

Das dritte Kernthema steht in engem Zusammen-hang mit der gesellschaftlichen Differenzierung( B2.3). Diese kann Vereinzelung und Vereinsa-mung, Vereinnahmung und Ausgrenzung auslö-sen. Sie kann auch gesellschaftliche Polarisie-rung und Spaltung bewirken. Diakonie hat eineinzigartiges Mittel gegen diese Gefährdungen.Es sind die feinmaschigen sozialen Netze derKirche am Ort. Und es sind die Netzwerke derKirche am Weg. Biblisches Bild ist der eine

Die Kernthemen der Diakonie C3

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Page 32: Diakoniekonzept 2012

Leib, zu welchem die vielfältigen Glieder ver-bunden sind. (1. Korinther 12,4–30)

Im Bereich «Zugehörigkeit und Teilhabe»steht Diakonie für Vielfalt in Verbunden-heit ein. Pluralisierung und Spezialisie-rung dürfen weder gesamtgesellschaftli-che Integration noch soziale Einbettungder Einzelnen gefährden. Soziale Bezie-hungen und Einbezogensein, Gemein-schaft und Partizipation sind notwendig.

Kernthemen und Aktionsradien der Diakonie

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weltweit

übergemeindlich

lokal

Gesundheit undWohlergehen

Existenzund Arbeit

Zugehörigkeitund Teilhabe

Page 33: Diakoniekonzept 2012

Lokaler Fokus C4.1

persönliche BegegnungMit zunehmender Mobilität und Individualitätder Kirchenmitglieder schwindet deren lokaleOrientierung. Digitale Kommunikation und So-cial Media unterstützen diesen Trend. Das Tem-po der Veränderungen ruft aber auch Gegenbe-wegung hervor. Das Bedürfnis nach Zugehörig-keit, Verbundenheit und Heimat wächst. Die vir-tuellen Beziehungen wecken wieder das Verlan-gen nach wirklicher und persönlicher Begeg-nung.

nahe DiakonieDie Kirchgemeinde am Ort kann in dieser Situa-tion ihre besonderen Stärken einbringen. Dassind ihre Beziehungsnetze und sozialen Netz-werke, ihre Nähe und Präsenz. Dieses Bezie-hungsgeflecht ermöglicht persönliches diakoni-sches Handeln und verstärkt seine Wirkung. Die-se nahe Diakonie ist beziehungsstark und ge-meinschaftsbezogen. Die Kirchgemeinde sollGemeinschaft der Zugehörigen und Beteiligten,ein Stück Heimat sein. Die Kirche am Ort ist derHeimvorteil der Diakonie und ihr primärerFokus.

GrundbedarfLokale Diakonie dient primär der «Grundversor-gung». Sie wendet sich eher «natürlichen» undtypischen Notlagen zu. Sie betreffen Übergängein Lebensläufen, in Lebensformen und zwischen

Generationen. Lokale Diakonie ist nahe bei denFreiwilligen. Sie baut auf ihr Engagement in derGrundversorgung.

kritische MasseZurzeit drängt die Frage nach der angemessenenGrösse lokaler Kirchgemeinden. Sie braucheneine kritische Masse für ihre vitale, wirkungs-volle und wirtschaftliche Entwicklung. Auch Le-bens- und Sozialräume sind von Bedeutung beider Festlegung neuer Kooperationseinheitenoder Gemeinde-Territorien. Sinnvoll sind Ein-heiten, welche zumindest 80 Stellenprozente So-zialdiakonie zulassen. Dieser Stellenumfang er-möglicht eine profilierbare und attraktive Berufs-praxis. Zielvorstellung sind 80 Kirchgemeindenoder Kooperationsräume.

Übergemeindlicher Fokus C4.2

weite DiakonieDiakonie lässt sich tragen von der entgrenzendenNächstenliebe. Sie weitet ihren Radius. Sie über-schreitet Grenzen von Kirchgemeinde, politi-scher Gemeinde, von Lebenswelten, Konfessio-nen und Religionen. Sie kommt zu den Men-schen an ihren Orten und auf ihren Wegen. Siesucht sie auf in ihren Lebenswelten und Lebens-lagen. Die weite Diakonie ist der «service civil»an Menschen in der globalisierten GesellschaftDer zweite Fokus liegt auf dieser übergemeind-lichen Diakonie.

ZusatzbedarfÜbergemeindliche Diakonie gilt dem besonderenBedarf. Sie dient der «Zusatzversorgung». Siewendet sich sozialen Brennpunkten zu. Sie ar-beitet häufig projektförmig.

strukturelle DiakonieÜbergemeindliche Diakonie handelt über diepersönliche Begegnung hinaus auch indirekt. Sieentwickelt oder übernimmt Strukturen und nutztsie. Solche Strukturen sind zum Beispiel Grup-pen, Treffpunkte oder Plattformen. Diese Gefäs-se laden ein, bergen, beherbergen, befreien undermöglichen, ermächtigen und beteiligen.

GradmesserDer Grad übergemeindlicher Diakonie ist einSpiegel. Er zeigt die Nähe der Kirche zu Men-schen am Weg, zu ihren besonderen Bedürfnis-sen und zu den sozialen Brennpunkten. Er zeigt,wie offen und wie weit Diakonie ist.

Weltweiter Fokus C4.3

Der dritte Fokus liegt auf der weltweiten Diako-nie. Der Ökumenische Rat der Kirchen hat 1983einen nachhaltigen Prozess eingeleitet. Er hat ihnunter die Leitwerte «Gerechtigkeit, Frieden undBewahrung der Schöpfung» gestellt. DieserName ist Programm geworden. Eine markanteStation auf diesem Weg war die EuropäischeÖkumenische Versammlung «Frieden in Gerech-

Der Aktionsradius der Diakonie C4

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Page 34: Diakoniekonzept 2012

tigkeit» 1989 in Basel. Eine Konkretisierungbrachte die «Dekade zur Überwindung von Ge-walt» (2001–2010). Die kirchlichen Initiativenverliefen parallel zu staatlichen: Die UNO lan-cierte die «Agenda 21» für eine nachhaltige Ent-wicklung. Startpunkt war die Konferenz von Riode Janeiro im Jahr 1992.

Politische DiakonieWeltweite Diakonie arbeitet vorwiegend poli-tisch. Ziele und Wege politischer Diakonie be-ziehen sich auf Strukturen und deren Verände-rung. Politische Diakonie lanciert Kampagnenund beteiligt sich an Programmen. Die kirchli-chen Werke HEKS, Brot für alle und mission 21sind primäre Partner. Weitere Kooperationen ent-stehen mit Projektpartnerinnen und Projektpart-nern rund um den Globus. Diese Diakonie ist inihrer Gesellschaftskritik wertkonservativ undstrukturinnovativ. Sie ist der Gesellschaft gegen-über wach und wachsam. Sie übt kritische Soli-darität. Das ist ihr prophetisches Wächteramtoder ihr reformatorisches «Protestamt». Das lei-tende Bild politischer Diakonie ist Kirche als«service public». Kirche kann diesen Dienstdank Tradition, Erfahrung und öffentlich-recht-licher Position wahrnehmen.

Zusammenspiel C4.4

Die weltweiten diakonischen Aktivitäten öffnenFenster und Türen der Kirchgemeinden zur Welt.Aber das Lokale und das Konkrete bleiben Herzund Seele der Diakonie. Die übergemeindlicheDiakonie hat eine Brückenfunktion. Sie verbin-det Lokales mit Weltweitem und Weltweites mitLokalem.

Diakonische Kirchgemeinde

Gewählte, Angestellte und Freiwillige derKirchgemeinde bestimmen im Rahmender Legislatur und deren Ziele ihren Ko-operationsraum. Oder sie definieren denneuen Umfang ihrer Kirchgemeinde. Sienutzen ihre sozialen Netze zur Beglei-tung in Generationenbeziehungen undentlang der Biografie. Sie legen fest, wel-che Projekte der Kirche am Weg sie wiemitgestalten. Sie denken weltweit, han-deln übergemeindlich und leben lokal.

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Page 35: Diakoniekonzept 2012

Diakonie als Pionierin C5.1

Zivilcourage findet sich mit der Not nicht ab. Mitihr macht Not erfinderisch. Die Beispiele sindzahlreich: die sogenannte «Diakonie» als Her-bergshaus am städtischen Bischofssitz im frühenChristentum – Kloster und Hospiz im Mittelalter– soziale «Anstalten» des 19. Jahrhunderts – dieBewegung der Drittweltläden – die SozialwerkeErnst Sieber – grossstädtische Jugendkirchen.Wo sich die Neuerungen bewähren, gibt die Kir-che sie weiter an Private oder den Staat. Sie sel-ber wird frei für neue Pioniertaten. Vor allemweite, strukturelle und politische Diakonie lebenaus diesem Pioniergeist. Er weht, wo Visionenvital sind und wo die Mission klar und deutlichist. Pionierleistungen bergen auch Risiken insich. Sie können zum Privatbesitz erstarren, stattsich weiter zu entwickeln.

Formen aufsuchender Seelsorge werden erprobt. Ansätze einer aufsuchenden Seelsorge in überge-meindlichen Räumen werden erprobt. Eine ihrerZielgruppen sind Menschen am Rande der urbanenGesellschaft. Sie haben keinen Wohnsitz und sinddurch Verwahrlosung und Isolation gefährdet. Massnahme 6.3 Legislaturziele 2012

Diakonie als Stellvertreterin C5.2

Diakonie tritt stellvertretend ein, wenn politischeOrdnungsmächte fehlen oder an Grenzen stos-sen. So war es am Übergang vom Weströmi-schen Reich zum Mittelalter. So ist es heute beikantonalen Strukturen der Paarberatung, Kinder-tagesstätten oder schulischen Mittagstischen. Einnationales Beispiel ist das SEK-Mandat zumRückführungsmonitoring im Jahr 2011. Diekirchliche Rolle der Stellvertretung betrifft be-sonders die weite und politische Diakonie. Stell-vertretendes Handeln birgt Risiken in sich. Eskann erstens zur Symptomtherapie statt zur Ur-sachenbehebung kommen. Die Verantwortungs-träger können zweitens der Versuchung erliegen,die Stellvertretung als Dauerlösung zu missbrau-chen. Die Kirche kann drittens mit ihren Diens-ten Nützlichkeit und Beliebtheit anstreben. IhrAuftrag aber wäre kritischer Einspruch, damitdie Verantwortungsträger ihre Kernaufgaben sel-ber erfüllen.

Ein neues Modell der Beziehungsberatung ist realisiert.Die Landeskirche baut ein allen Kirchgemeindenzugängliches Angebot zur Beziehungsberatungauf. Angesprochen sind Paare, Familien, Personenmit Beziehungskonflikten oder in Situationen derVereinsamung. Religiöse und interkulturelle Dimen-sion sind Teil des für alle offenen Beratungsange-bots. Kooperation mit andern Trägern wird ge-sucht. Allenfalls handelt die Kirche stellvertretendangesichts der Grenzen von Zivilgesellschaft undStaat.(Massnahme 5.2 Legislaturziele 2012)

Diakonie als ergänzende Kraft C5.3

Kooperationen sind sinnvoll, wo unterschiedli-che Partner je eigene Stärken einbringen. Darauswird ein Ganzes. Die Partner ergänzen sich. Dasgilt zum Beispiel zwischen Staat und Kirche. DieKirche hat traditionell das Potenzial, Freiwilligezu rekrutieren und zu motivieren. Der Staat hatals Institution die Amtsmacht, Recht und Ge-rechtigkeit durchzusetzen. Je differenzierter eineGesellschaft, umso grösser sind die Möglichkei-ten ergänzender Kooperation. Die diakonischeKirche am Weg macht gute Erfahrungen mit undin anderen Institutionen. Ihre Partner kommenaus der Zivilgesellschaft und von staatlicher Sei-te. Beispiele sind Flughafenpfarramt, Polizei-oder Armeeseelsorge und Bahnhofkirche.

Die Diakonie zwischen Kirche, Zivilgesellschaft und Staat C5

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Page 36: Diakoniekonzept 2012

Bedarf an ergänzender diakonischer Kooperationbesteht reformierterseits zwischen den Mit-gliedskirchen des Kirchenbundes. Die konfessio-nelle Ökumene hat eine gute Kooperationskulturauf lokaler und übergemeindlicher Ebene entwi-ckelt. Kooperationen werden dort fragwürdig,wo Partner kein eigenes Profil mehr einbringen.

Die Landeskirche engagiert sich für die Schweizer Diakonie.Die Landeskirche engagiert sich für eine kirchlichund gesellschaftlich präsente Schweizer Diakonie.Sie nutzt dazu Strukturen wie Diakonie- und Dia-konatskonferenz. Sie beteiligt sich an der Diako-nie-Kampagne des Schweizerischen Evangeli-schen Kirchenbundes (SEK). Ein Ziel der Kampa-gne ist die Multiplikation guter lokaler Praxis inKirchgemeinden und Zivilgesellschaft.(Massnahmen 5.3 Legislaturziele 2012)

Die Seelsorge der Landeskirche in Institutionen ist konsolidiert.Die Seelsorge der Landeskirche gilt Personen undGruppen, welche Einschränkungen unterworfensind. Sie unterstützt Menschen, in oder trotz ihrerSituation Räume der Freiheit wahrzunehmen. DieSeelsorge der Landeskirche in und mit Institutionenist konzeptionell reflektiert. Dazu gehört die Klärungder Optionen der Abgrenzung, Kooperation und In-tegration. Die multireligiöse Situation erfordert dieNeubestimmung einer Seelsorge mit reformiertemProfil. Die organisatorischen Probleme der Seelsor-ge in und mit Institutionen sind gelöst. In ökumeni-schen Projekten sind Ziele, Zuständigkeiten undArt der Zusammenarbeit geklärt(Massnahmen 6.3 Legislaturziele 2012)

Diakonie im Wettbewerb C5.4

Der Sozialstaat stösst an Grenzen. Die Zivilge-sellschaft übernimmt darum vermehrt bürgerli-che Sozialverantwortung. Das geschieht auf ei-nem offenen Markt sozialer Angebote und Nach-fragen. Die Diakonie wird sich auf diesem Marktzu behaupten haben. Das gilt vor allem für dienahe und die weite Diakonie und den Schwer-punkt des Alters.

Orientierung am Auftrag und am Markt könnenerstaunlicherweise in dieselbe Richtung gehen.Dazu gehören: ein selbstbewusster, kirchlichalso: ein sendungsbewusster Auftritt – Lesbarkeitder eigenen Identität, kirchlich also: der evange-lischen Wurzeln – Sichtbarkeit von besonderenEigenheiten, kirchlich also: von einem «spiritu-ellen Plus».

Die Marktsituation birgt Risiken in sich. Die Kir-che könnte sich «kaufen» lassen durch den Er-weis ihrer sozialen Nützlichkeit. Sie würde zumAlibi für Gesellschaft und Staat. Kirche ist gutberaten, das kritische Bekenntnis zur Solidaritätin Wort und Tat ins Zentrum zu stellen. Geradewenn sie nicht dem Marktkonformismus frönt,wird sie am Markt attraktiv.

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Page 37: Diakoniekonzept 2012

Schwerpunkt Familien und Generationen C6.1

Gemeindlich und übergemeindlich profiliert sichdie Diakonie familien- und generationenfreund-lich. Familien im Generationenverbund sind zen-trales Grundelement der Gemeinschaftsbildungund des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Siesind Keimzellen der Gastfreundschaft, der sozia-len Integration und der persönlichen Integrität.Junge Familien heissen die künftigen Generatio-nen willkommen. Aber Familien brauchen auchihrerseits gastliche Aufnahme durch Gesellschaftund Institutionen.

Kultur der Gastfreundschaft

Diakonie nimmt Mass am GastmahlJesu: Sie vertritt eine Kultur der Gast-freundschaft. Sie ist offen und achtsamAnderen und Fremden gegenüber.

Die Zwölffeldertafel verbindet diese Kul-tur besonders mit dem Kernthema «Zu-gehörigkeit und Teilhabe». Sie ordnet dieKultur der Gastfreundschaft vor allemder Zielgruppe «Menschen in vielfältigenLebensformen» zu.

Diakonische Arbeit mit Familien und Generatio-nen orientiert sich am Leitwert der Gastfreund-schaft. Ein Hauptaspekt dieser Arbeit bildet dieIntegration. Sie ist zentrales Thema der pluralis-tischen Gesellschaft. Diese zeigt eine grosseVielfalt von Lebensformen, Lebenswelten, Le-benslagen und Generationeninteressen, Kulturenund Religionen.

Einige Themen und Projekte zum Schwerpunkt«Familien und Generationen» werden beispiel-haft vorgestellt.

Entlastung junger ElternDiakonie unterstützt Mütter und Väter an Druck-stellen wie Rollenvereinbarkeitsdilemma, Erzie-hungsdruck, Armutsrisiko, Ungastlichkeit derGesellschaft gegenüber Familien.

Ein Beispiel der nahen Diakonie: Junge Senio-rinnen und Senioren bieten als freiwillig Enga-gierte Aufgabenhilfe für Kinder. Oder sie sindkurzfristig verfügbar bei unvorhersehbaren Be-treuungsengpässen.

Unterstützungsstrukturen für FamilienDiakonie engagiert sich für Unterstützungsstruk-turen zugunsten von Kindern und Eltern.

Zwei Beispiele der strukturellen und weiten Dia-konie: Grosse Kirchgemeinden, Verbände und

Landeskirche führen Kindertagesstätten in eige-ner Trägerschaft. – Eine Stadtkirche wird alsMehrgenerationenhaus zum Ort der Integrationund Gastfreundschaft.

Vernetzte Familienprojekte werden initiiert.Die Landeskirche realisiert fünf bis zehn exemplari-sche Familienprojekte. Mögliche Gefässe sindSpielgruppen, Mittagstische, Horte und Generatio-nenhäuser. Die Angebote bringen eine Kultur derGastlichkeit zum Ausdruck. Eltern werden entlastet.Kinder kommen in den Genuss von Betreuung undFörderung. Kooperationen über die Kirchgemeindehinaus und mit andern Trägern werden gesucht. (Massnahme 5.1 Legislaturziele 2012)

GenerationenbegegnungenDiakonie stärkt Solidarität und Beziehung zwi-schen den Generationen. Sie lanciert Begeg-nungsprojekte innerhalb der Viergenerationen-folge über die nahe Verwandtschaft hinaus. Siebezieht Menschen mit Migrationshintergrundein. Sie schafft Gelegenheiten für interkulturelleund interreligiöse Begegnung

Ein Beispiel der nahen Diakonie: Heranwachsendebekommen vom «Club 4» bis zur Konfirmationsoziale Grosseltern auf Zeit. Sie besuchen «Gross-mütter» und «Grossväter» in Kleingruppen etwadreimal jährlich. Die Generationenbegegnungensind eingebettet in den Kirchenlernpfad des rpg.

Schwerpunkte, Kulturen und Projekte der Diakonie C6

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Page 38: Diakoniekonzept 2012

Die Landeskirche fördert generationen-verbindende Projekte.Die Landeskirche fördert in zehn bis zwanzig Kirch-gemeinden Projekte mit verschiedenen Generatio-nen. Diese Projekte gelten der Kultur des Respektsund der Entfaltung. Begegnungsgelegenheiten zwi-schen Alt und Jung und zwischen Personen in un-terschiedlichen Lebensformen werden genutzt.(Massnahme 4.2 Legislaturziele 2012)

Brücken zwischen LebensformenDiakonie baut Brücken zwischen Lebensformenmit Kindern und Jugendlichen und der Vielfaltanderer Lebensformen. Sie trägt bei zur gegen-seitigen Öffnung beider Seiten füreinander. Sieleistet einen Beitrag zur gesellschaftlichen Inte-gration.

Ein Beispiel der nahen Diakonie: In Quartierenoder Nachbarschaften entstehen regelmässige,Generationen und Lebensformen übergreifendeprivate Mittagstische oder «Abend-Mahle».

Schwerpunkt Jugendliche und junge Erwachsene C6.2

Gemeindlich und übergemeindlich profiliert sichDiakonie im Schwerpunkt «Jugend und jungeErwachsene». Angesichts dieser Altersphase be-steht die Chance, dass diakonisches Handeln prä-ventiv und nachhaltig wirkt.

Kultur der Gestaltung

Diakonie nimmt Mass am Sakrament derWandlung. Sie vertritt eine Kultur derVerwandlung und Gestaltung. Sie ist of-fen und achtsam gegenüber Entwicklungund Entfaltung.

Die Zwölffeldertafel verbindet diese Kul-tur besonders mit dem Kernthema «Exis-tenz und Arbeit». Sie ordnet die Kulturder Gestaltung zuerst der Zielgruppe«Jugendliche und junge Erwachsene» zu.

Diakonische Arbeit mit Jugendlichen und jungenErwachsenen folgt dem Leitwert der Gestaltung.Ein Hauptaspekt von Seiten der Jugendlichenund jungen Erwachsenen bildet deren Wachs-tumspotenzial. Es geht um die ganze Vielfalt vonEntwicklung und Entfaltung: physisch, sexuell,psychisch, sozial, kulturell, politisch, ethisch undreligiös. Zielrichtungen im Leben dieser Heran-

wachsenden sind: Beziehungsfähigkeit und Ent-faltungsmöglichkeiten, Bildung und Qualifizie-rung, Fähigkeit zur Freizeitgestaltung und zurRegeneration, Fähigkeit zu Partizipation und zuVerantwortung. Im Glauben geht es um die Fä-higkeit, evangelische Freiheit solidarisch zu ge-stalten.

Einige Themen und Projekte zum Schwerpunkt«Jugendliche und junge Erwachsene» werdenbeispielhaft vorgestellt.

Bildungsdiakonie für die JugendDiakonie fördert Unterstützungsprogramme anÜbergängen für Jugendliche mit besonderemBildungsbedarf. Ziel ist mehr Teilhabegerechtig-keit in Bildungsprozessen und auf dem Stellen-markt.

Ein Beispiel der strukturellen Diakonie: Jugend-liche mit Migrationshintergrund werden durchFörderprogramme auf Berufsbildung oder Mit-telschule vorbereitet.

Landeskirche und Kirchgemeinden unterstüt-zen Projekte für Jugendliche in prekären Si-tuationen. Die Landeskirche hat besondere, einzigartigeStrukturen. Dazu gehören ihre Beziehungsnetze,Jugendkirchen, Migrationskirche, kabel, Jugendar-beit und Ausbildungsplätze. Landeskirche und

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Kirchgemeinden unterstützen durch diese «Infra-struktur» Jugendliche in prekären Situationen. Daskann materielle oder soziale Lage, Zugang zur Bil-dung oder Migrationshintergrund betreffen. (Massnahme 6.1 Legislaturziele 2012)

Soziale Aktionen mit Jugendlichen undjungen ErwachsenenLokale und landeskirchliche Diakonie begleitetJugendliche biografienahe. Sie stärkt sie in denGefährdungen durch die Konsum- und Freizeit-gesellschaft. Deren Verhaltensweisen und Sze-nen bergen Abhängigkeitsrisiken.

Diakonie gibt präventiv Impulse, Freiheit zumEigenwohl und Gemeinwohl zu gestalten. Sievermittelt in Projekten und Aktionen, dass mün-dige Freiheit sich einbindet.

Zwei Beispiele der strukturellen Diakonie: «Ak-tion 72 Stunden» als dreitägiges Engagement fürein Projekt, welches der Zivilgesellschaft nützt.Oder: ein diakonischer Einsatz im Ausland alssoziales «Lern- und Wanderjahr». Beide Projektelegen Wert auf Begegnung zwischen Kulturenund Generationen.

Experiment GemeinschaftKontakt und Arbeit mit jungen Menschen zielenauf deren Entfaltungsmöglichkeiten. Sie umfas-sen vom Leiblichen bis zum Geistlichen unzäh-lige Schichten. Diakonie schafft Gelegenheiten,die ganzheitliche Begegnung und Entfaltung er-möglichen. Solche Erfahrungen setzen ein Com-mitment voraus. Sie brauchen grössere Zeiträu-me bis zu einem Monat oder einem Jahr.

Ein Beispiel weiter und struktureller Diakonie:Ermöglichung von längeren Freizeiten mit Grup-pen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen.Diese CAMPS werden partizipativ gestaltet. Sieproben gemeinschaftliches Leben. Dabei kom-men PACE und andere Ansätze des Mentoratszum Tragen.

Ein Beispiel weiter oder politischer Diakonie:Jugendliche und junge Erwachsene nehmen aninternationalen Austausch- und Einsatzprogram-men teil.

Netzwerk junge GenerationDie diakonische Kultur der Gestaltung verbindetsich mit der Konfirmationsarbeit. Verbindlichepädagogische und freiwillige animatorische An-gebote werden vernetzt. Solidarität und Koope-ration zwischen Pfarramt, Sozialdiakonat undFreiwilligen sind eine Voraussetzung dafür.

Die Konfirmationsarbeit unterscheidet sich vomtraditionellen Konfirmandenunterricht. Jugend-liche leiten mit. Die offene Jugendarbeit ist einTeil des Ganzen. Konfirmierte gehören dazu.Übergemeindliche Netzwerke entstehen.

Ein Beispiel: Konfirmationsarbeit im Modul-und PACE-System mit Jugendlichen und jungenErwachsenen von 12 bis 25 Jahren. Katechetin-nen, Sozialdiakonat, Pfarramt und freiwilligejunge Erwachsene sind konsequent einbezogen.Kooperationen mit andern Trägern schaffen Sy-nergien.

SchwerpunktÄltere Menschen und Hochbetagte C6.3

Gemeindlich und übergemeindlich profiliert sichdie Diakonie im Bereich des Alters. Sie tritt einfür die Würde der älteren, alten und hochbetag-ten Menschen.

Diakonische Akteurinnen und Akteure nehmensich Zeit. Zeit ist die kostbarste Ressource in derAltersarbeit. Wer sich Zeit nimmt für das Gegen-über, zeigt seine Wertschätzung. Menschen Zeitzu lassen, bedeutet, sie in ihrer Würde zu respek-tieren. Zeit einzuräumen und zu gewähren, isteine besondere Stärke der Diakonie. Die nötigenRessourcen liefert das Diakonat der freiwillig en-gagierten Gemeindeglieder. Wichtig ist dabei dieprofessionelle Begleitung der Freiwilligen.

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Alters-Diakonie gestaltet die Begegnungen miteiner spirituellen Dimension. Sie drückt undstrahlt aus, was an Glauben, Hoffnung und Liebesie beseelt. Das geschieht auch implizit und in-direkt, immer aber interaktiv und dialogisch.

Das dritte Lebensalter ist in sich von grössterVielfalt. So werden die «neuen» Alten auch zuAkteurinnen und Akteuren der Diakonie. Sie in-teressieren sich für eine partizipativ gestalteteAltersbildung. Der Vielfalt alter Menschen sinddie Freiwilligen am besten gewachsen. Auch sieverkörpern eine grosse Vielfalt. PersönlicheWertschätzung und Respekt vor der individuel-len Würde alter Menschen werden so möglich.

Die Diakonie der Freiwilligenist nahe bei den Menschen.Die Landeskirche gibt Impulse zur Verknüpfungprofessioneller Diakonie mit freiwilligem Engage-ment. Diese Einbindung Freiwilliger zeigt in zehnbis zwanzig Kirchgemeinden Wirkung. Das diako-nische Angebot wird dadurch leichter zugänglich.Hilfeleistung und Unterstützung geschehen überkürzere Wege. Die Beteiligungskirche kann wach-sen. (Massnahme 4.3 Legislaturziele 2012)

Die demografische Alterung ist aus der Genera-tionenperspektive eine Bereicherung. Das Alterin seinen vier Phasen ist gesellschaftliche Res-source und Kompetenz.

Kultur der Wertschätzung

Diakonie nimmt Mass am Abendmahl.Alle sind würdig, daran teilzunehmen.Diakonie vertritt eine Kultur der Wert-schätzung. Sie ist offen und achtsam ge-genüber jeder Person und ihrer Würde.

Die Zwölffeldertafel verbindet diese Kul-tur mit dem Kernthema «Gesundheit undWohlergehen». Sie ordnet die Kultur derWertschätzung zuerst der Zielgruppe «äl-tere Menschen und Hochbetagte» zu.

Alters-Diakonie orientiert sich am Leitwert derWertschätzung. Ein Hauptaspekt bildet die Wür-de des älteren und alten Menschen.

Einige Themen und Projekte zum Schwerpunkt«Ältere Menschen und Hochbetagte» werdenbeispielhaft vorgestellt.

Aufsuchende AltersarbeitAlters-Diakonie kommt dem Bedarf ältere Men-schen nach ambulanter Betreuung und seelsorg-lichem Kontakt nach. Sie sollen möglichst dawohnen können, wo sie daheim sind. Darin zeigtsich die Wertschätzung ihrer Verwurzelung. Dieniedrigschwellige und proaktive Unterstützungs-arbeit lebt stark von einem qualifizierten freiwil-ligen Engagement.

Ein Beispiel der nahen Diakonie ist: «va bene –besser leben zuhause».

Präsente DiakonieDiakonie ist sensibel für alte Menschen in ver-steckter Armut, Abhängigkeit oder sozialer Iso-lation. Diakonie vernetzt sich mit anderen Trä-gern, um zu diesen Menschen zu finden..

Ein Beispiel der nahen Diakonie: Eine «Aus-tauschbörse Nachbarschaftshilfe» ist über dieHomepage der Kirchgemeinde zugänglich. EinBeispiel der weiten Diakonie: Eine tägliche Mit-tagsstruktur für alte Menschen wird angeboten.Eingeschlossen ist die Möglichkeit zu Gespräch,Beratung und Seelsorge.

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Page 41: Diakoniekonzept 2012

MentoratAlte Menschen verkörpern durch ihre Lebenser-fahrung eine grosse Vielfalt. Diese gilt es, mitder Vitalität der Jüngeren zu verknüpfen. DieserAustausch bereichert die beteiligten Generatio-nen mit Lebensweisheit und Lebensfreude. Ge-nerationenbeziehungen sind zentral für Weiter-gabe und Annahme von Werten und Haltungenin wechselseitigem Respekt.

Ein Beispiel der nahen und strukturellen Diako-nie: Eine Kirchgemeinde oder Kleinregion bauteinen Pool von Mentorinnen und Mentoren auf.Diese begleiten junge Menschen vor, während,nach der Ausbildung oder in Krisensituationen.

Begleitung im Abschied Diakonie sieht im fragiler werdenden Gegenüberimmer den ganzen Menschen. Sie steht zu ihmund seiner unantastbaren Würde. Sie begleitetihn respektvoll in Krankheit, Leiden, Sterben.Sie weiss um die wechselseitige Bereicherungsolcher Begleitung. Sie unterstützt die Auseinan-dersetzung mit dem Sterben angesichts vonLanglebigkeit und moderner Medizin. Alters-Diakonie sucht neue Beziehungsformen undStrukturen, die menschenwürdiges und mensch-liches Sterben ermöglichen.

Ein Beispiel der nahen und weiten Diakonie: Lo-kale oder übergemeindliche Gruppen mit Frei-willigen begleiten Menschen im Leiden undSterben. Ein Beispiel der strukturellen und poli-tischen Diakonie: Ein Lighthouse nach dem Mo-dell der Hospizbewegung wird gegründet.

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Page 42: Diakoniekonzept 2012

Drei weltweite Themen der Diakonie C6.4

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Kernthemen der DiakonieArtikel 66 KO

Gesundheit und Wohlergehen Existenz und Arbeit Zugehörigkeit und Teilhabe

weltweite Themen Artikel 66 KO

Ökonomie und Ökologie Entwicklungspartnerschaftund Armutsbekämpfung

Migration, Asylsucheund Integration

Ökumenisches Programm(Basel 1989)Artikel 4 KO

Bewahrung der Schöpfung Gerechtigkeit Frieden

Nachhaltigkeit(Agenda 21)Artikel 29 KO

ökologische Nachhaltigkeit wirtschaftliche Nachhaltigkeit soziale Nachhaltigkeit

Kirchliche WerkeArtikel 13 und 67 KO

BFA und HEKS BFA und mission 21 HEKS

Kulturen Kultur der Wertschätzung Kultur der Gestaltung Kultur der Gastfreundschaft

Page 43: Diakoniekonzept 2012

Die drei weltweiten Themen sind global und lo-kal brisant.

• Ökologie: Umweltkatastrophen in Tscherno-byl, im Golf von Mexiko oder in Fukushimazeigen schwerwiegende Auswirkungen. Obdaraus nachhaltige Konsequenzen gezogenwerden, ist offen.

• Entwicklung: Schätzungsweise jede zehntePerson in der Schweiz lebt in einem «WorkingPoor»-Haushalt. Zwei Drittel der Armutsbe-troffenen leben in Haushalten mit Kindern. Essollen in der Schweiz mehr als 200'000 Kindersein. Weltweit sind 15 % der Menschen vonchronischem oder akutem Hunger betroffen.

• Migration: Politische Beben erschüttern seit2011 Länder im nördlichen Afrika und im Na-hen Osten. Sie haben Migrationsbewegungennach Europa ausgelöst.

Drei Kulturen weltweiter Diakonie

Die drei diakonischen Kulturen geltenauch den weltweiten Themen:

Wertschätzung ist ein Leitwert beim The-ma Ökologie. Gestaltung ist ein Leitwertbeim Thema der Weltentwicklung. Gast-freundschaft ist ein Leitwert beim ThemaMigration und Integration.

Ökologie, Migration und Entwicklung

Die drei Themen weltweiter Diakonie erweiterndie Tradition von «Ökumene, Mission und Ent-wicklung» (OeME).

• Ökumene und Ökologie: : Eine umfassen-de Ökumene im Sinn einer wohnlichen Erdeerfordert ökologisches Handeln. Damit be-kommt Ökumene ganz neue Dimensionen. EinBeispiel dafür ist der ökumenische Verein«oeku Kirche und Umwelt». Er besteht seit1986.

• Mission und Migration: «Mission» wurdelange monologisch und nach aussen gerichtetverstanden. Im 19. Jahrhundert wurde sie zur«Inneren Mission» (B1.4). Heute wird Missi-on dialogisch und wechselseitig verstanden. –Migration verläuft im Vergleich zur klassi-schen Mission gerade in umgekehrter Rich-tung. Migration wirft die Frage auf, welcheMission fremde Gäste gegenüber Gastgeben-den haben?

• Entwicklung und Partnerschaft:Wie beider Mission, so ergeben sich auch bei der Ar-mut globale Veränderungen. Die Zeit einseiti-ger Entwicklungshilfe ist vorbei. Entwicklungbetrifft heute auch die vormals «erste Welt» –und auch reformierte Mittelschichten. Es gilt,die Armut hüben und drüben zu halbieren.

Herausforderung

Die weltweiten Themen fordern die Diakonie he-raus:

• Diakonie wird politischer werden. Dieweltweiten Themen sind am Ort präsent. EinBeispiel wären ökologische Standards fürKirchgemeinden in Gebäudenutzung und Ad-ministration.

• Die strukturelle Diakonie wird stärkerwerden. Sie kooperiert stärker mit den kirch-lichen Werken BFA, HEKS, mission 21 undökumenisch. Sie koordiniert Lokales, Überge-meindliches und Gesamtschweizerisches. EinBeispiel ist die ökumenisch getragene ZürcherBeratungsstelle für Asylsuchende ZBA. Sie istmit anderen Stellen und staatlich gut vernetzt.

• Diakonie wird partnerschaftlich in einervernetzten Welt werden. Diese Welt istnicht mehr aufzuteilen in Reiche hier undArme dort. Die Armut dort beeinträchtigt denReichtum hier. Der Krieg dort kann den Frie-den hier stören. Solidarität, die hier wächst,kann sich weit weg von hier auswirken. In ei-ner globalen Welt werden alle stärker aufei-nander angewiesen und voneinander abhängig.Das Paradigma «Hilfe» wird abgelöst durchjenes der Partnerschaft. Die Globalisierungbietet eine Chance für die «Kirche mit ande-ren». Beispiele sind internationale Patenschaf-

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Page 44: Diakoniekonzept 2012

ten von Personen und Kirchgemeinden oderdie heutige Arbeitsweise der kirchlichen Wer-ke.

Die Kirchgemeinden geben ihrer Diakonie Profil.Alle Kirchgemeinden überprüfen aufgrund des lan-deskirchlichen Diakoniekonzepts 2012 das Profilihrer Diakonie. Sie legen fest, welchen Schwer-punkten, Kernthemen, Anspruchs- und Zielgrup-pen sie sich zuwenden. Sie klären die Aufgaben-verteilung zwischen Pfarramt, Sozialdiakonat undweiteren Engagierten. Sie skizzieren Möglichkeitenübergemeindlicher Kooperation. (Massnahme 4.1 Legislaturziele 2012)

Diakonische Kirchgemeinde

Gewählte, Angestellte und Freiwillige er-stellen innerhalb der Legislaturperiodeein lokales Gemeindekonzept Diakonie.

Grundlagen sind die Zwölffeldertafel undlandeskirchliche Modellvorlagen nachGemeindetypen.

Zielgruppen werden bestimmt. Kernthe-men werden ausgewählt.

Das Verhältnis von lokalem, überge-meindlichem und weltweitem Fokus wirdfestgelegt.

Die Akzentsetzung bei der nahen, wei-ten, strukturellen und politischen Diako-nie wird vorgenommen.

Schwerpunkte und Projekte werden fest-gelegt.

Eine diakonische Kultur kann tragendwerden.

Das sich herauskristallisierende diakoni-sche Profil bezieht die Ressourcenfrageund die Stellenprofilen ein

Lokales Gemeindekonzept der Diakonie C.7

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Page 45: Diakoniekonzept 2012

45

Stark ist die Diakonie in der Vielfalt ihrer Arbeitsweisen. Sie differenziert und koordiniert dieFülle ihrer Orte, Zugänge, Orientierungen, Akteurinnen und Akteure. Das allgemeine Diakonatder Freiwilligen braucht seit urchristlicher Zeit Ergänzungen. Die Kirche hat sich organisiertund professionalisiert. Sie hat Dienste, Ämter und Berufsrollen hervorgebracht. Darum gibt esheute einerseits das besondere Sozialdiakonat. Das sind die professionellen Sozialdiakoninnenund Sozialdiakone. Und es gibt andererseits das Pfarramt mit seinen seelsorglichen und dia-konischen Aufgaben. Beide Schlüsselprofessionen ergänzen einander. Diakonie setzt auf ko-ordinierte und unterscheidbare diakonische Profile im Sozialdiakonat und im Pfarramt. Sie bin-det Freiwillige und Behörden, Angestellte und Gewählte ein.

D Wie handelt wer diakonisch

Hintergrundinformationen«Diakonie – eine praktische Perspektive», Seiten 133 – 176

Page 46: Diakoniekonzept 2012

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Page 47: Diakoniekonzept 2012

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Page 48: Diakoniekonzept 2012

Diakonischer DreischrittDiakonie vollzieht sich in einem wiederkehren-den Dreischritt.

• Erstens: Hinschauen, Wahrnehmen und Sehen.Diakonie ist Sehschule.

• Zweitens: Verstehen, Deuten, Erkennen, Er-klären und Kritisieren. Diakonie ist prophe-tisch.

• Drittens: ein Urteil bilden, Position beziehen, Planen, Handeln. Diakonie setzt sichtbare Zei-chen der Solidarität.

Diakonische ProzessorientierungDiakonische Zuwendung geschieht in einer Per-spektive des Wachstums oder der Entwicklung.Diese prozessorientierte Sicht bezieht sich aufPersonen und Gruppen. Sie gilt auch für Ge-meinde und Kirche als Ganzes. Die Phasen die-ses Prozesses sind: Diakonie für andere – mit an-deren – durch andere. Dabei tendiert Hilfe fürandere zur Selbsthilfe. Unterstützendes Nahe-kommen tendiert zur befreienden Ermächtigung.Betreuung tendiert zur Beteiligung und zurKooperation mit anderen. Adressatinnen undAdressaten der Diakonie können zu Akteurinnenund Akteuren der Diakonie werden. Aus der Dia-konie für andere wird schlussendlich eine Dia-konie durch andere. Diese Grundbewegung istein Motor des Gemeindeaufbaus.

Kooperation und VernetzungSozialdiakonat und Pfarramt kooperieren nachprofessionellen Standards miteinander. BeideBerufsgruppen kooperieren auf motivierendeWeise mit freiwillig Engagierten. Beide Berufs-gruppen arbeiten mit den Behörden im Rahmendes Zuordnungsmodells zusammen. Weite undpolitische Diakonie vernetzen sich mit andernTrägern und Organisationen. Lokale, überge-meindliche und weltweite Ebene der Diakoniekooperieren miteinander. Kardinaltugenden gu-ter Kooperation sind offenes Netzwerken undtransparentes Kommunizieren.

Koordination und Kommunikation Eine Vielfalt von Orten, Akteurinnen, Akteurenund methodischen Zugangsweisen kennzeichnetdie Diakonie. Wirkungsvolle Diakonie koordi-niert zwischen ihren unterschiedlichen Orten,Handelnden und Zugangsweisen. Dazu gehörteine Strategie, welche die Zielorientierung aufallen Ebenen bündelt.

In der diakonischen Praxis geschieht vieles imVerschwiegenen und Verborgenen. Will Kircheauf dem sozialen Markt bestehen, gibt sie sicht-bare Zeichen von ihrem Tun. Sie tut Gutes undspricht darüber.

Koordination und Kommunikation machen ausder Vielfalt diakonischen Handelns eine gestal-tete Fülle. Es wird sichtbar, wo Kirche das leis-tet, was Menschen von ihr erwarten. Es wirdtransparent, wie auftragsbestimmt und kon-zeptgeleitet Kirche handelt. Koordination undKommunikation tragen bei zur «korporativenIdentität» diakonischer Kirche.

Spezifisch-kirchliche und allgemein-fachliche Arbeitsweisen der Diakonie D1

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Page 49: Diakoniekonzept 2012

Freiwillig Engagierte D2.1

GeschenkDas freiwillige Engagement im diakonischenHandlungsfeld hat eine lange Geschichte. Dassoziale Handeln der Freiwilligen stiftet Sinn underfüllt sie mit Befriedigung. Es ist ganzheitlichund gemeinschaftsbezogen. Christliche Wurzelnund kirchlicher Kontext prägen dieses sozialeHandeln auf einzigartige Weise. Aber das ist keinVerdienst der Kirche; gelingendes freiwilligesEngagement ist aus der Sicht des Glaubens im-mer ein Geschenk.

VielfaltEngagierte Freiwillige heben die Vielfalt der Kir-che. Sie selber bringen neue Lebenslagen, Le-bensstil-Milieus und Lebenswelten ein. Sie ver-mehren die Altersvielfalt und die Pluralität derTätigen. Dadurch schaffen sie Nähe zu den Men-schen mit vergleichbarem Hintergrund. Die Frei-willigen erleichtern ihnen den Zugang zu Unter-stützung und Hilfe. Die Freiwilligen wirken dankihrer Diversität kirchlicher Milieu-Verengungentgegen. Sie sind in ihrer Vielfältigkeit zudemein ausgleichender Faktor. Das gilt zum Beispielbei Polarisierungen zwischen sozialen Schichtenoder Generationen.

ZeitgemässheitDie heutige Lebenszeit der Individuen gliedertsich in Privat-, Berufs- und Sozialzeit. Das er-möglicht freiwilliges Engagement im aktuellenAusmass. Dieses Engagement ist das allgemeinePriestertum der Moderne. Es lebt aus der Ge-meinschaft und schafft Gemeinschaft. Die Frei-willigen tragen zur Lebendigkeit der Gemeindebei. Sie stärken Diakonie und Zivilgesellschaft.Damit antworten sie auf Desolidarisierungsten-denzen.

Umfang In den Kirchgemeinden der Zürcher Landeskir-che engagieren sich etwa 20‘000 Freiwillige.Das sind fast 4 % der Mitglieder. Sie leisten wö-chentlich etwa 14‘000 Arbeitsstunden (Landert2012). Das entspricht 370 Vollstellen. Auf dreiStunden von Berufspersonen kommen zweiStunden von Freiwilligen. Freiwillige, Behördenund Berufliche ermöglichen und ergänzen einan-der. Hauptaufgabe kirchlicher Behörden und Be-rufspersonen ist die Rekrutierung und FörderungFreiwilliger.

Kirchenpflegen D2.2

Konzeptionelle VerantwortungDas ressortverantwortliche Kirchenpflegemit-glied hat verstärkt ressortübergreifende konzep-tionelle Verantwortung. Es gewährleistet die Er-arbeitung des lokalen Gemeindekonzepts Diako-nie.

Planung und ControllingDie Errichtung neuer Kooperationsräume undGemeindeeinheiten wird auch für das RessortDiakonie eine planerische Priorität darstellen.Das Controlling besteht vor allem in regelmäs-siger Evaluation und Weiterentwicklung diako-nischer Arbeit.

Führung und LeitungDazu gehören unter anderem: Personalverant-wortung für das Sozialdiakonat – Förderung derdiakonischen Freiwilligenarbeit – Verantwortungfür die Verkettung der Diakonie der drei kirchli-chen Werke mit der Gemeindediakonie

Kommunikation und VernetzungDazu gehören vor allem: die Gewährleistung derZusammenarbeit zwischen Sozialdiakonat,Pfarramt und Freiwilligen – Ermöglichung vonKooperation und Koordination mit politischerGemeinden und anderen Partnern.

Die Vielfalt von diakonischen Akteurinnen und Akteuren D2

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Page 50: Diakoniekonzept 2012

Sozialdiakonat und Pfarramt D2.3

zwei sich ergänzende BerufeSozialdiakoninnen und Sozialdiakone sowiePfarrerinnen und Pfarrer sind die Schlüsselpro-fessionen der Diakonie. Sie bilden zwei Pole be-ruflicher Spezialisierung. Sie ergänzen einanderpartnerschaftlich in Seelsorge und Sozialsorge.Grafik D2.4 (S. 52) beschreibt die Grundaufgabenvon Sozialdiakonat und Pfarramt entlang derHandlungsfelder. Dabei kommt Folgendes zumAusdruck:

• Bei aller Besonderheit der Berufe wird ihreimmer noch grössere Verbundenheit sichtbar.

• Entlang der Handlungsfelder lassen sich dieProfile von beiden Berufe und von konkretenStellen klarer bestimmen.

• Eine stufenweise Spezialisierung während derBerufslaufbahn kann sich entlang der Hand-lungsfelder vollziehen. Zielvorstellung für bei-de Berufe wären «spezialisierte Generalistin-nen und Generalisten».

Sozialdiakonat D2.4

Sozialdiakoninnen und Sozialdiakone sindSchlüsselpersonen der professionellen Diakoniein der Kirchgemeinde. Dazu verhelfen ihnenKontaktnetze, Ortskenntnis, Engagement in Auf-

bau und Leitung der Freiwilligenarbeit. Sie ver-körpern die Komm-Kirche. Sie sind verfügbar,verlässlich und vertraut. Die Grenzen ihrer So-zial- und Gemeinwesenarbeit zur Seelsorge sindfliessend. Ihr Berufshandeln umfasst Präventionund Ermächtigung, Intervention und soziokultu-relle Animation, Postvention und Kommunika-tion.

Bezugswissenschaften für das Sozialdiakonatsind Soziale Arbeit und Sozialwissenschaften.

Kompetenzen

• Persönliche und soziale Schlüsselkompeten-zen sind im Feld der tätigen Nächstenliebe vonausschlaggebender Bedeutung. Kirche undDiakonie leben aus, in und für Beziehungen.Professionalität verhilft dabei zum kompeten-ten Umgang mit Nähe und Distanz. Arbeit mitEinzelnen, Gruppen oder im Sozialraum erfor-dert sozialfachliche und methodische Kompe-tenzen. Das Spektrum reicht vom «Fall» zum«Feld», vom «Individuellen» zum «Systemi-schen».

• Hinzu kommen spezifische spirituelle Kom-petenzen. Dazu gehören: die berufspraktischeVerbundenheit mit dem christlichen Erbe – derEinbezug von Vision, Mission und Urmodellder Diakonie in die berufliche Haltung – dieganzheitliche Sicht von Seelsorge und Sozial-sorge.

• Das Berufsfeld der Kirche verlangt Leitungs-und Führungskompetenzen. Das betrifft vorallem die Freiwilligenarbeit. Im Weiteren sindes besondere Aufgaben wie zum Beispiel eineBereichsverantwortung.

sozialdiakonische Standards

Sozialdiakoninnen und Sozialdiakone sind dop-pelt qualifiziert. Sie verfügen erstens über dieeinschlägigen sozialfachlichen Kompetenzen.Diese werden meistens an Höheren Fachschulenoder Fachhochschulen erworben. Studienberei-che sind unter anderem Sozialpädagogik, SozialeArbeit, Gemeinwesenarbeit, Soziokulturelle Ani-mation. Sozialdiakoninnen und Sozialdiakonebesitzen zweitens kirchlich-theologische Berufs-feldkompetenzen. Diese werden in der Regelüber den Weiterbildungs-CAS «Diakonie – So-ziale Arbeit in der Kirche» erworben.

Landeskirchliches Diakoniekonzept und lokalesGemeindekonzept Diakonie bilden den Rahmensozialdiakonischer Berufsarbeit. Die sozialdia-konischen Stellenprofile entlang der vier Hand-lungsfelder formulieren die Aufgaben. Legisla-tur- und Jahresziele konkretisieren sie. Die Stel-lenprofile des Sozialdiakonats sind koordiniertmit den Stellenprofilen des Pfarramts.

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Page 51: Diakoniekonzept 2012

Pfarramt D2.5

Pfarrerinnen und Pfarrer sind Fachpersonen intheologischen und ethischen Fragen. Diese be-treffen Glauben und Handeln, Lieben und Hof-fen – im Leben und Sterben.

Pfarrerinnen und Pfarrer sind Schlüsselpersonender kirchgemeindlichen Seelsorge. Dazu verhel-fen ihnen ihr Kontaktnetz und ihre Ortskenntnis.Pfarrerinnen und Pfarrer begleiten Einzelne undGruppen über Schwellen und in Krisen. Sieschaffen Räume des Vertrauens. In diesen öffnensich Menschen. Sie erfahren Unterstützung undTrost, Herausforderung und Anstoss, Solidaritätund Kritik, Entlastung und Befreiung. Vor allemdie Gestaltung der Kasualien hat eine starke seel-sorgliche und diakonische Dimension. Die öf-fentliche Stellung gewählter Pfarrpersonen istbedeutsam für die weite und politische Diakonie.Der Übergang der Seelsorge zu Formen SozialerArbeit im Pfarramt ist fliessend.

Kompetenzen

Das Zürcher Kompetenzenmodell für Pfarrper-sonen geht von fünf praktischen Bereichen aus:glaubwürdig leben – Beziehungen gestalten –Einfluss nehmen – Lösungen entwickeln – Er-gebnisse erbringen.

Diakonische Kirchgemeinde

Fragen zum Stellenprofil von Sozialdia-konat und Pfarramt:

Wie viele Stellenprozente gelten der dia-konischen und seelsorglichen Grundver-sorgung?

Welche Prioritäten für das Stellenprofilergeben sich aus der konkretisiertenZwölffeldertafel?

Wo sind Nahtstellen zu den anderen Be-rufen?

Entsprechen das Stellenprofil sowieEignung und Haltung der Berufspersoneinander?

Entspricht das Stellenprofil den Gemein-de-Zielen?

51

Page 52: Diakoniekonzept 2012

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Sozialdiakonat und Pfarramt nach Handlungsfeldern D2.6

symbolische Gestenund rituelle Gestaltungen

von Zuwendungenim Rahmen des

allgemeinen Priestertums

Sozialsorge

Arbeit mit Kindern,Jugendlichen und

Eltern in allen Phasenund Dimensionen des

rpg

soziale Gestaltungdes Gemeindeaufbaus,

Leitung derFreiwilligenarbeit

Konventsleitung

Gottesdienst im Kirchenjahr,

im Lebenslauf,in Lebenslagen,in Lebenswelten

Seelsorge

Konfirmations- undJugendarbeit, vor allem in der drittenund vierten Phases desrpg

theologische Gestaltung des Gemeindeaufbaus,

Leitung der Seelsorge

Konventsleitung

Verkündigungund Gottesdienst

Diakonieund Seelsorge

Bildungund Spiritualität

Gemeindeaufbauund Leitung

Sozialdiakonat Pfarramt

Page 53: Diakoniekonzept 2012

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Künftig gilt es, vorhandene professionelle Ressourcen der Diakonie zu wahren und wirksamzu nutzen. Ein Schritt dazu ist die Profilierung der sozialdiakonischen Stellen aufgrund derLeitlinien dieses Konzepts und der Legislaturziele 2012 – 2016. Ein weiterer Schritt bestehtdarin, sinnvolle Gemeindeeinheiten anzustreben. Sie ermöglichen in der sozialdiakonischenArbeit grössere Stellenumfänge und sich unterscheidende Profile. Das erhöht die Attraktivitätdieses Berufs. Zudem werden die sozialdiakonischen Ressourcen gerechter auf die einzelnenKirchgemeinden verteilt.

E Womit und woraufhin Diakonie handelt

Hintergrundinformationen«Diakonie – eine praktische Perspektive», Seiten 177 – 190

Page 54: Diakoniekonzept 2012

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Page 55: Diakoniekonzept 2012
Page 56: Diakoniekonzept 2012

Status quo der Kirchgemeinden und Ressourcenanteil nach linearem Schlüssel E1.1

179 Kirchgemeinden (2012)

etwa 40 kleine Gemeinden bis zu 1'000 Personen(etwa 5 % aller Mitglieder der Landeskirche)

etwa 40 kleine Gemeinden mit 1'000 – 2'000 Personen(etwa 15 % aller Mitglieder)

etwa 40 kleine Gemeinden mit 2'000 – 3'000 Personen(etwa 20 % aller Mitglieder)

etwa 15 mittlere Gemeinden mit 3'000 – 4'000 Personen(etwa 10 % aller Mitglieder)

etwa 20 mittlere Gemeinden mit 4'000 – 5'000 Personen(etwa 20 % aller Mitglieder)

etwa 10 mittlere Gemeinden mit 5'000 – 6'000 Personen(etwa 15 % aller Mitglieder)

10 grosse Gemeinden (etwa 15 % aller Mitglieder)

8 mit 6'000 – 8'000 Personen

2 mit 10'000 – 12'000 Personen

Umfang diakonischen Handelns im Pfarramt

10 – 25 %

25 – 30 %

30 – 40 %

40 – 50 %

50 – 60 %

60 – 80 %

80 – 100 %

Umfang diakonischen Handelns im Sozialdiakonat

40 – 80 %

80 – 120 %

120 – 160 %

160 – 200 %

200 – 280 %

360 – 440 %

Verteilung diakonischer Ressourcen auf die Kirchgemeinden E1

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Berufliche Triage zwischen

Pfarramt und Sozialdiakonat

In Sozialräumenmit erhöhtem Bedarf empfiehltsich Folgendes:maximale Nutzungder möglichenStellenvoluminaim Sozialdiakonatund Anstellungeiner Pfarrpersonmit seelsorglich-diakonischemSchwerpunkt-profil.

Ansatz nach Gemeindetyp

Integration des diakonischen Anteils in die Pfarrstelle, denZusatzdienst oder dieErgänzungsstelle

Page 57: Diakoniekonzept 2012

Gemeindetypen E1.2

Grösse und soziale Situation einer Kirchgemein-de bestimmen Stellenumfang und Verantwort-lichkeiten der Diakonie. Geht man vom Statusquo der Kirchgemeinden aus, ergeben sich dreiSituationen: Kleine, mittlere und grosse Kirch-gemeinden. Diese haben ihr je eigenes Entwick-lungs- und Gestaltungspotenzial.

Kleine GemeindenDie kleinen Gemeinden bis zu höchstens 3'000Mitgliedern umfassen zurzeit 40 % aller Mitglie-der der Landeskirche.

In diesen Gemeinden erfüllt das Pfarramt auchsozialdiakonische Aufgaben. Das erfordertGrundkompetenzen in Sozialer Arbeit. DiesesPotenzial kann auch in der näheren Umgebungder Gemeinde nützlich werden.

Angestrebt wird die Grundversorgung der Kir-chenmitglieder durch die nahe Diakonie.Schwerpunkte auf Zeit bilden sich angesichtsakuter Notlagen heraus. Die Einbindung Freiwil-liger und die Vernetzung mit Nachbargemeindensind wichtig.

Mittlere GemeindenDie mittleren Gemeinden mit 3'000 bis 6'000Personen umfassen zurzeit 40 % aller Mitgliederder Landeskirche.

In einigen dieser Gemeinden kann eine der Pfarr-personen das seelsorglich-diakonische Profilausgestalten. Andere Pfarrpersonen legen einenergänzenden Schwerpunkt in einem der anderenHandlungsfelder. Eine klare Funktionsaufteilungzwischen Sozialdiakonat und Pfarramt ist dabeiwichtig. Die Differenzierung und Professionali-sierung bedarf einer guten Koordination zwi-schen beiden Berufsgruppen. Die Kooperationmit der Kommune, der Region oder anderer In-stitutionen erbringt Synergien.

Mittlere Gemeinden in Agglomerationen und ur-banen Sozialräumen brauchen seelsorglich-dia-konische Schwerpunktprofile im Pfarramt. Zu-gleich benötigen sie einen vergleichsweise grös-seren Anteil sozialdiakonischer Stellenprozenteam Gesamtstellenetat der Kirchgemeinde.

Angestrebt wird, dass Pfarramt und Sozialdiako-nat auf besondere Bedürfnisse und Lebenslageneingehen. Sie arbeiten auch präventiv und struk-turbezogen. Sie beziehen konsequent Freiwilligeein. Sie weiten den diakonischen Radius in dieKommune und darüber hinaus.

Grosse GemeindenDie grossen Gemeinden ab 6'000 Personen um-fassen zurzeit 20 % aller Mitglieder der Landes-kirche. Sie liegen in Agglomerationen und urba-nen Sozialräumen. Sie brauchen seelsorglich-diakonische Schwerpunktprofile im Pfarramt.Zugleich benötigen sie einen überdurchschnitt-lichen Anteil sozialdiakonischer Stellenprozenteam Gesamtstellenetat der Kirchgemeinde.

Soziale Brennpunkte und weltweite Themen lö-sen Aktivitäten am Ort und übergemeindlich aus.Auch die politische Diakonie klingt an. Sozial-räumliche Konzepte leiten das diakonische Han-deln. Sie werden öffentlich kommuniziert.

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Page 58: Diakoniekonzept 2012

Ein Zukunftsszenario E1.3

Landeskirchlich werden bis 2020 mehrheitlichGemeindeeinheiten mit mindestens 80 Stellen-prozenten Sozialdiakonie angestrebt. Kleine Ge-meinden würden damit weniger als 10 % derMitglieder ausmachen

• Mit diesem Minimalvolumen von 80 % Sozi-aldiakonat wird ein differenziertes Stellenpro-fil erst richtig möglich.

• Umfang und Profil der Stelle erhöhen die At-traktivität sozialdiakonischer Arbeit.

• Die diakonische Aufgabe kann mit grössererFlexibilität auf Sozialdiakonat und Pfarramtaufgeteilt werden. Sachliche Aspekte derKirchgemeinde und persönliche Aspekte derBerufspersonen können berücksichtigt wer-den.

Die Landeskirche schafft Anreize für grössereEinheiten. Ein mögliches Szenario für 2020 siehtfolgendermassen aus:

Es gibt etwa 10 Gemeinden mit über 2‘000 Per-sonen, 10 Gemeinden mit über 3‘000 Personen,20 Gemeinden mit über 4‘000 Personen, 10 Ge-meinden mit über 5‘000 Personen, 15 Gemein-den mit über 6‘000 Personen und 15 Gemeindenmit über 7‘000 Personen.

Die Sozialdiakonieanteile erfolgen nach demgleichen Schlüssel wie in der vorangehenden Ta-belle E1.1 (S. 56).

MitgliederzahlStellenprozente = ––––––––––––– – 40

25

Mit diesem linearen Schlüssel bliebe das heutigesozialdiakonische Stellenvolumen bis 2020 er-halten. Seine Verteilung wäre gerechter.

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