Didaktische Landkarten. Komplexe Inhalte...

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IKP – WISSEN IN BILDERN – ANSCHAULICH LEHREN UND LERNEN Ein Angebot des Bereichs Kunst/Gestalten an Grund- und Förderschulen der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg • Kontakt: [email protected] 1 Didaktische Landkarten. Komplexe Inhalte visualisieren Christoph Jantzen und Alexandra Ritter Didaktische Landkarten: Auf einen Blick Im Rahmen des wissenschaftlichen Studiums ist die Auseinandersetzung mit komplexen Gegenständen mittels Gesprächen und Diskussionen über Texte oder eine Ausarbeitung in schriftlicher Form ein übliches Arbeitsformat. Visuelle und bildästhetische Gestaltung von Themen bilden eine große Ausnahme, obwohl auch auf diese Weise in der Seminararbeit oder in der Reflexion durch Studierende Studieninhalte vertieft und miteinander in Beziehung gesetzt werden können. Im Rahmen deutschdidaktischer Seminare wurde die Form der didaktischen Landkarte als Zugang zu Lerninhalten über Visualisierungen entwickelt (vgl. Jantzen 2017). Die Landkarte wird hier als Darstellungsform genutzt, um einzelne Aspekte eines Themas grafisch in eine Beziehung zueinander zu setzen und Text und Bildsymbole für die systematisierende Orien- tierung der Lesenden zu nutzen. Bei dieser bildnerisch-symbolischen Umsetzung werden Zusammenhänge hergestellt, Transfers geleistet und produktionsorientierte Aktivitäten ge- fordert. Gleichzeitig wird der Auseinandersetzungsprozess des/der Autor*in dokumentiert und seine/ihre Perspektive auf den Gegenstand zum Ausdruck gebracht. Abb. 1) Didaktische Landkarte „Inklusiver Deutschunterricht“ von Gesine Kaphengst 2017

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Didaktische Landkarten. Komplexe Inhalte visualisieren

Christoph Jantzen und Alexandra Ritter

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Didaktische Landkarten: Auf einen Blick Im Rahmen des wissenschaftlichen Studiums ist die Auseinandersetzung mit komplexen Gegenständen mittels Gesprächen und Diskussionen über Texte oder eine Ausarbeitung in schriftlicher Form ein übliches Arbeitsformat. Visuelle und bildästhetische Gestaltung von Themen bilden eine große Ausnahme, obwohl auch auf diese Weise in der Seminararbeit oder in der Reflexion durch Studierende Studieninhalte vertieft und miteinander in Beziehung gesetzt werden können. Im Rahmen deutschdidaktischer Seminare wurde die Form der didaktischen Landkarte als Zugang zu Lerninhalten über Visualisierungen entwickelt (vgl. Jantzen 2017). Die Landkarte wird hier als Darstellungsform genutzt, um einzelne Aspekte eines Themas grafisch in eine Beziehung zueinander zu setzen und Text und Bildsymbole für die systematisierende Orien-tierung der Lesenden zu nutzen. Bei dieser bildnerisch-symbolischen Umsetzung werden Zusammenhänge hergestellt, Transfers geleistet und produktionsorientierte Aktivitäten ge-fordert. Gleichzeitig wird der Auseinandersetzungsprozess des/der Autor*in dokumentiert und seine/ihre Perspektive auf den Gegenstand zum Ausdruck gebracht.

Abb. 1) Didaktische Landkarte „Inklusiver Deutschunterricht“ von Gesine Kaphengst 2017

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Für die Rezipierenden dienen didaktische Landkarten – anders als Mindmaps – nicht zur schnellen Übersicht über eine Struktur, sondern sie sollen zum Entdecken und zum (Weiter-) Denken anregen. Die Unübersichtlichkeit vieler didaktischer Landkarten und die metaphori-sche „Verschlüsselung“ setzen die Bereitschaft voraus, sich auf die Landkarte einzulassen und Eigenes darin zu entdecken.

Didaktische Landkarten als Methode in der Lehrer*innenbildung Die Arbeit mit der Methode der didaktischen Landkarte zeigt eine starke Nähe zum Konzept der iconic concept map (vgl. Penzel 2016), bei der ein Problemfeld durch das Erstellen einer Landkarte bearbeitet wird. Die Karte eröffnet die Möglichkeit der Orientierung innerhalb eines komplexen Themas. Im Prozess der Erstellung wird Wissen reflektiert, strukturiert und auf eine weitere Sinnesebene übertragen. Wobei es an dieser Stelle nicht allein um den Transfer von Text in Bildinformationen geht, sondern vielmehr darum, mit grafischen Mitteln ein Prob-lem zu verstehen und auch zu lösen (vgl. ebd.).

Didaktische Landkarten knüpfen an dieses Konzept an und bieten einen sinnlich-ganzheitlichen Zugang zu einem komplexen Thema; in diesem Falle zu Konzepten, Metho-den, Modellen oder umfassenderen Themen aus der Deutschdidaktik (vgl. Abb. 1). „Die Bil-der schaffen Spielräume für die Rezeption und Wertung des Dargestellten und damit eine Ebene, die über die Anordnung in Mindmaps hinausgeht.“ (Jantzen 2017, 18)

Abb. 2) Didaktische Landkarte „Das Literarische Gespräch“ von Janina Futh 2019

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Besonders wertvoll erscheint die Produktion der Landkarten für die Seminararbeit entweder als Gruppenarbeit während einer Seminarsitzung oder als Seminarleistung. Die Übertragung von Schriftsprache in Bildsprache bietet hier die Möglichkeit des handelnden Umgangs mit einem im Text beschriebenen Gegenstand, die aktive Auseinandersetzung und gleichzeitig auch einen individuellen Zugang zum Gegenstand. Im Gegensatz zu schriftlichen Texten, die einer linearen Struktur folgen, ist die Bildform, die „Landkarte“ viel besser geeignet, Wissen, Erkenntnis und Strukturen vernetzt darzustellen.

Zur Erstellung didaktischer Landkarten kann zunächst das Thema in der individuellen Ausei-nandersetzung mit unterschiedlichen Texten oder im Rahmen einer Gruppenarbeit erschlos-sen werden. Janina Futh nutzt für ihre Landkarte unterschiedliche Modelle für literarische Gespräche und zeigt auf der linken und rechten Hälfte die unterschiedlichen Wege, die diese nehmen können. Wesentliche Inhalte werden bildsymbolisch gezeigt und auch gegenüber-gestellt. Korrespondenzen sind durch die rot umrandeten Zahlen herausgestellt, durch die stark bilddominierte Darstellung finden Transfers des Wissens in Bildern und Metaphern statt. Die Vernetzung wird auch daran deutlich, dass beide Wege zum gleichen Ziel führen können. Und natürlich werden auf didaktischen Landkarten auch Wertungen vorgenommen. Die hier offensichtlichste ist wahrscheinlich die Darstellung des rechten Weges als Fragezei-chen.

Abb. 3) Didaktische Landkarte „Bilderbücher im Deutschunterricht. 11 Aspekte literarischen Lernens“ von Jakob Hudelmayer 2018

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Ähnlich wie bei der iconic concept map werden also wesentliche Inhalte und Schlagworte zum Thema zusammengetragen, strukturiert und symbolisiert in Bilder übertragen. Gerade im Prozess der Symbolisierung sind viele Entscheidungen der Studierenden notwendig, ein adäquates Bild für den Gegenstand zu finden. So ist es zunächst ein Raum, der geschaffen wird, z.B. durch einen Weg (Abb. 2), ein Ameisenhaufen (siehe pdf.-Zusatzdatei) oder ein Haus (Abb. 3). Dies gibt der Karte ihren grundlegenden Aufbau. Die Entscheidung der Lage von Räumen oder Bildsymbolen kann Zusammenhänge zwischen Begriffen veranschauli-chen. Hier können Leitern, Treppen oder Wege genutzt werden. Trennende, sich ausschlie-ßende Begriffe können u.a. durch Mauern verdeutlicht werden (Abb.1), in Abb. 2 ist es eine steile Felswand. Wichtig ist bei der Umsetzung, dass möglichst passende Bilder bzw. Bild-symbole gefunden und diese konsequent in der Karte umgesetzt werden. Dies wird auch in der Reflexion einer didaktischen Landkarte von Jane Bohnhardt deutlich: „Entscheidend war für mich, die bildliche Kraft der Wörter hervorzubringen und in einem gestalterischen An-spruch gerecht zu werden.“

Didaktische Landkarten konkret: Eine Methode für die Seminararbeit Die Arbeit mit didaktischen Landkarten bietet sich entweder als Gruppenarbeit in einer Semi-narsitzung oder als Ausarbeitung für eine Seminarleistung an. Beide Kontexte sollen im Fol-genden kurz vorgestellt werden.

a) Didaktische Landkarte als Gruppenarbeit zur Erarbeitung von SeminarliteraturIm Rahmen der Deutschdidaktik setzen sich Studierende häufig mit Konzepten derSchreibdidaktik (z.B. das Kreative Schreiben), der Literaturdidaktik oder auch mit unter-schiedlichen Genres der Kinder- und Jugendliteratur auseinander. Solche komplexen The-men eignen sich für eine Bearbeitung als didaktische Landkarte, gerade auch wenn Bezie-hungen zu vorangegangenen Sitzungen und dem individuellen Vorwissen der Studierendenhergestellt werden sollen. Über einen oder mehrere gelesene Texte müssen sich die Studie-renden intensiv mit dem Gegenstand auseinandersetzen. Zahlreiche Entscheidungen müs-sen getroffen und vor allem mit dem Grundlagentext zurückgekoppelt werden. Dies führt zueiner intensiven Auseinandersetzung mit dem Text. Formen für die Symbolisierung der Inhal-te müssen gefunden werden und gerade an dieser Stelle sind Gruppen mit ihrem kreativenPotenzial gefordert. Im Rahmen einer Seminarsitzung kann dann eine Skizze als allerersterEntwurf einer didaktischen Landkarte entstehen. Hier ist der Weg der Auseinandersetzung inder Gruppe auch das Ziel. Der Aushandlungsprozess über Grundform und Einzelelementegeht oft von einer formalen Diskussion in die Auseinandersetzung mit den Inhalten über. DiePräsentation kann anschließend einen Einstieg in die Diskussion über das Thema undschlussendlich auch in die Weiterentwicklung der Landkarte darstellen (Abb. 4).

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Abb. 4) Didaktische Landkarte zur problemorientierten Kinder- und Jugendliteratur nach einer Diskussion zu einem Text von Carsten Gansel in der Seminargruppe, 2018

b) Landkarte als SeminarleistungIn vielen Seminaren müssen Studierende Seminarleistungen erbringen, häufig sind es Es-says, Textzusammenfassungen oder Protokolle. In einem solchen Rahmen kann Studieren-den angeboten werden, didaktische Landkarten als vertiefende Nachbereitung von Semin-arthemen zu erstellen. Der Prozess der Erstellung ist dabei ähnlich, wie Kruse (2007, 65 ff.)es für wissenschaftliches Schreiben im Studium darstellt. Nachdem das Thema als Rahmengewählt wurde, wird die Literatur dazu noch einmal genauer gesichtet und daraus werden dieIdeen für die Gestaltung abgeleitet. In der Umsetzung werden häufig „Wissenslücken“ be-wusst, denen man dann nachgehen kann oder die explizit in die Gestaltung aufgenommenwerden, z. B. in Form von Unabgeschlossenheit der Darstellung (Abb. 5). Das Inbezie-hungsetzen spezifischer Inhalte schafft dabei neues Wissen und bringt neue Erkenntnis.Damit kann das Erstellen einer didaktischen Landkarte parallel zum „wissenschaffendenSchreiben“ als „wissenschaffendes Gestalten“ verstanden werden.

Eine Studentin, Silvia Dutz, schilderte die Arbeit zu Beginn der didaktischen Landkarte so:

„Eine Gestaltung und Produktion einer didaktischen Landkarte ist rückblickend be-trachtet kein einfaches Anliegen, denn bevor der erste Kunststrich oder Buchstabe auf das Plakat gemalt wird, müssen zunächst einmal viele Fragen geklärt werden. Meine Fragen konzentrierten sich vor allem auf die Aspekte der strukturellen Anord-

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nung (Wo sollte was platziert werden? Anordnungen? Hierarchien? Beziehungen zu einander?), der hervorzuhebenden methodischen bzw. wissenschaftlichen Kernele-mente (Welche Theoretiker? Welche Methodiken sollen zur Geltung kommen?) und das inhaltliche Reduzieren der zu vermittelnden Informationen auf das Wesentliche (Was muss gesagt werden? Was kann zwecks einer möglichen Überladung an Infor-mationen anders dargestellt werden?).“

Abb. 5) Didaktische Landkarte „Innere Sprache“ von Laura Traub 2012

Und Margaux Becker (geb. Schmuck) schreibt:

„Abschließend kann ich sagen, dass sich mein Wissen über das Themenfeld des kre-ativen Schreibens durch die sehr intensive Auseinandersetzung und die anschließen-de bildliche Transformation gefestigt und erweitert hat. Ich denke, dass dieses Wis-sen für den Betrachter durch die didaktische Landkarte zum größten Teil nachvoll-ziehbar und verfügbar wird.“

Grundsätzlich sind für die Gestaltung einer didaktischen Landkarte keine besonderen künst-lerischen Fähigkeiten nötig, und nicht jede Landkarte ist künstlerisch anspruchsvoll. Trotz-dem wird der kreative Akt von fast allen Studierenden als besonderer und fruchtbarer Zu-gang zu einem Thema dargestellt. Für manche ist es ein besonderer Weg im Studium, dies wird z. B. auch in den Erwartungen von A. R. Sachse deutlich:

„Bereits vom ersten Tag des Seminars an weiß ich, ich werde eine didaktische Land-karte herstellen. Es erscheint mir als eine grundlegend sinnvolle Arbeit, von der ich mir Spaß, Genugtuung und Zufriedenheit verspreche. Ich habe endlich einmal in die-

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sem viel zu theorielastigen Studium eine Aufgabe bekommen, die mir liegt, mit der ich etwas anfangen kann, bei der ich mir sicher bin, sie sehr gut lösen zu können. Ich freue mich, endlich einmal wieder gestalten zu können, sogar zu müssen. Ich freue mich auf die stundenlange nächtliche Arbeit in kompletter Ruhe: nur ich und mein Kaffee mit geschäumter Milch unter dem freundlichen Licht meiner Schreibtischlampe und natürlich eine riesenhafte Sammlung von inspirierendem Material um mich her-um. Ich sehe, wie sich nach und nach das gesamte Zimmer füllt, so dass nur noch vorsichtige Schritte darin möglich sind. Egal. Ich möchte etwas schaffen, das nicht in einen Uni-Ordner passen wird, das nicht beliebig oft ausgedruckt werden kann und das auch nicht zur Korrektur hin und her gemailt werden kann, weil es einfach nur das eine Mal in seiner Echtheit existieren wird und haptisch erfahrbar sein wird.“

Zum Lesen didaktischer Landkarten – Rezeption Didaktische Landkarten sind weder schnell erstellt, noch schnell „gelesen“. Wie auch für vie-le ästhetische Produkte gilt für sie nicht, dass sie möglichst eindeutig lesbar, sondern viel-deutig interpretierbar sein sollen. Sie laden zum Verweilen, Entdecken, Hineindenken und Deuten ein. Als Produkt geben sie zwar einen Prozess ihrer Urheber*innen wieder, sie wer-den aber unabhängig von ihnen les- und deutbar. Daher hat es sich in Seminarkonzepten auch bewährt, wenn sie nicht von ihren Schöpfer*innen vorgestellt werden, sondern die Landkarte für sich selbst sprechen muss – sie wird damit ein Stück weit „autonom“, wie ein veröffentlichtes Gedicht oder ein öffentlich ausgestelltes Kunstwerk. Die Deutungsaufforde-rung ergeht an die Rezipierenden.

In der Seminararbeit kann das so gestaltet werden, dass in einem offenen Gespräch alle Seminarteilnehmenden etwas sagen, fragen, deuten und auch antworten dürfen – nur nicht die Ersteller*in der didaktischen Landkarte. Das führt gewöhnlich zunächst zu Irritation, hat aber zwei Effekte:

• Die Seminarteilnehmenden kommen von einer passiven Rolle, in denen ihnen erklärtwird, was gemeint ist, in eine Rolle des aktiven Rezipierens. Sie schauen genauer hin,stellen Vermutungen an, stellen Fragen in den Raum und finden in einem gemeinsamenAnnährungs- und Aushandlungsprozess Wege des Verstehens. Dabei werden oftmalszentrale Seminarinhalte reflektiert und in die Betrachtungen eingebunden, es kommenauch neue Denkwege hinzu, ohne dass das Ziel eine gemeinsame, eindeutige Lesartwäre. Die Gruppe muss auch immer wieder aushalten, dass für bestimmte Darstellungenkeine befriedigende Erklärung gefunden wird. Erfahrbar wird so die für den Umgang mitLiteratur wesentliche Kompetenz der Unabschließbarkeit des Sinnbildungsprozesses.

• Für die Ersteller*innen der didaktischen Landkarten ist diese Form eine hervorragendeRückmeldung: Sie hören, was andere in ihrem Werk lesen, was sie so verstehen, wie esintendiert war, aber auch, was anders gesehen wird. Schmerzlich kann bisweilen sein,dass einige Details gar nicht angesprochen werden.

In der jahrelangen Erfahrung mit dieser Form der Rückmeldung zeigt sich immer wieder, dass gelungene Landkarten ein intensives Gespräch auslösen, eher schlichte oder den Ge-genstand nicht stark durchdringende Landkarten hingegen wenig Anlass zum Gespräch bie-

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ten – auch das ist dann eine Form der Rückmeldung. Johanna Moschner schreibt am Ende ihrer Reflexion der Präsentation ihrer didaktischen Landkarte (Abb. 6): „Zusammenfassend war es bemerkenswert zu beobachten, wie gut sich die Betrachter in der fremden Darstel-lung des didaktischen Gegenstandes zurechtgefunden haben und wie schnell sie die indivi-duellen Darstellungen und Übersetzungen der verschiedenen Teilaspekte aufgenommen und in Verbindung gebracht haben.“

Die Rückmeldungen zur Methode sind insgesamt sehr positiv. Die Herausforderung der bild-lichen Umsetzung des Themas wird geschätzt. Von daher lohnt es sich, mit didaktischen Landkarten in Seminarkontexten zu arbeiten.

Dass didaktische Landkarten auch in anderen Lernkontexten (Schule, Erwachsenenbildung, Selbstbildung!) ein sinnvoller Zugang zu einem Thema sein können, steht für uns außer Frage. Inwieweit dabei das Vorgehen und die Zieldimension abgewandelt werden müssen, sollte aus den anderen Lernkontexten heraus entwickelt werden. Über entsprechende Rückmeldungen würden sich die Autor*innen freuen.

Abb. 6) Bildlandkarte von Johanna Moschner

Erstellung des Textes: Februar 2019

Hinweis zu den Abbildungen: Die im Text gezeigten Landkarten finden Sie unter dem Literaturverzeichnis in vergrößerter Darstellung.

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Literatur: – JANTZEN, CHRISTOPH: Bildnerisch arbeiten im Studium? Didaktische Landkarten als Lernarrangement in der

Lehrer*innenbildung. In: Grundschule aktuelle 138/2017, S. 17-20.

– KRUSE, OTTO: Keine Angst vor dem leeren Blatt. Ohne Schreibblockaden durchs Studium. Frankfurt/New York, 2007.

– PENZEL, JOACHIM: Iconic Concept Mapping: Mit Bildern Probleme lösen und erklären. Zu einer kreativen Form des Lehrens und Lernens in verschiedenen Unterrichtsfächern, 2016, in: Wissen in Bildern: URL:http://www.integrale-kunstpaedagogik.de/assets/ikp_wb_1_penzel_iconic_cocept_mapping_2016.pdf(05.02.2019)

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Didaktische Landkarte „Inklusiver Deutschunterricht“ von Gesine Kaphengst 2017

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Didaktische Landkarte „Das Literarische Gespräch“ von Janina Futh 2019

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Didaktische Landkarte zur problemorientierten Kinder- und Jugendliteratur nach einer Diskussion zu einem Text von Carsten Gansel in der Seminargruppe, 2018

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Didaktische Landkarte „Innere Sprache“ von Laura Traub 2012

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Das Zwei-Ebenen-Modell der Erzähltextanalyse von Sandra Völkel 2019

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Das Heidelberger Modell des literarischen Gesprächs von Janina Futh 2017

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Das Zürcher Textanalyseraster von Annika Hagen 2009

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Der Holocaust in Bilderbüchern von Emily Frühauf 2014

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Didaktische Landkarte Kreatives Schreiben von Margaux Becker (geb. Schmuck) 2013

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links) „Bilderbücher im Deutschunterricht. 11 Aspekte literarischen Lernens“ von Jakob Hudelmayer; rechts) Geschichten erzählen. Bildlandkarte von Johanna Moschner

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Datei: erstellt 3 / 2019