Die Arzneimittelzulassung als Strafbarkeitshindernis
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Mit der zulassung eines Arzneimittels und der darin enthaltenen Qualifizierung des Arzneimittels als unbedenklich übernimmt die Bundesoberbehörde Mitverantwortung für dessen ungefährlichkeit. Kommt es später zu unvertretbaren Nebenwirkungen, stellt sich die frage nach der strafbegrenzenden Wirkung der zulassung. Die zulassung konkretisiert das im einzelfall gesetzlich erlaubte Risiko und schafft einen Vertrauenstatbestand hinsichtlich der straflosigkeit der Inverkehrgabe des betreffenden Arzneimittels. Inwieweit das Vertrauen in die zulassung berechtigt ist, bestimmt sich letztlich anhand einer sachgerechten Abgrenzung der Verantwortungsbereiche von zulassungsbehörde und pharmazeutischem unternehmer nach Maßgabe des Vertrauensgrundsatzes.
§ 5 AMG verbietet das Inverkehrbringen bedenklicher Arzneimittel, bei denen die Risiken außer Verhältnis zum Nutzen stehen 1. Allerdings ist nicht immer leicht zu ermitteln, welche Risiken tolerabel erscheinen. Diesem umstand tragen die §§ 21 ff. AMG Rechnung. Danach darf ein Medikament nur in Verkehr gebracht werden, wenn es zuvor von der Bundesoberbehörde – etwa dem BfArM – als unbedenklich eingestuft und zugelassen worden ist.
treten nach einnahme eines zugelassenen Arzneimittels unvertretbare Nebenwirkungen auf, stellt sich aus strafrechtlicher sicht die frage, inwieweit der zulassung des Präparates im Hinblick auf eine etwaige strafbarkeit gemäß §§ 95 ff. AMG und §§ 211 ff., 223 ff., 314 stGB 2 strafbegrenzende Wirkung zukommt. Dieser frage soll im folgenden nachgegangen werden, wobei zunächst auf die Reichweite der legalisierungswirkung der Arzneimittelzulassung (I.) sowie ihre Verortung im Deliktsaufbau einzugehen ist (II.). erst im Anschluss daran sollen die Auswirkungen der Arzneimittelzulassung herausgearbeitet werden (III.).
I. Legalisierungswirkung der Arzneimittelzulassung
Maßstab der legalisierungswirkung einer jeden behördlichen Genehmigung ist der Regelungsgehalt der zulassung, wie er aus dem gestellten Antrag, den der Genehmigungserteilung zugrunde liegenden Normen sowie dem umfang
Richter Dr. iur. Michael Mayer, M.B.l.t. (Mannheim), Graurheindorfer straße 143, 53117 Bonn, Deutschland
der behördlichen sachprüfung resultiert 3. Während ein teil des schrifttums negative Auswirkungen des beantragten Vorhabens auf Individualrechtsgüter als legalisiert erachtet, sofern die mit dem Vorhaben verbundenen Gefahren für die betreffenden Individualrechtsgüter im Rahmen der Genehmigungsentscheidung berücksichtigt wurden 4, verneint die Gegenauffassung die legalisierung jeglicher Individualrechtsgutsverletzungen mit dem Argument, den Behörden fehle die Kompetenz zur Gestattung von eingriffen in Rechtsgüter Dritter 5. Der staat könne „nicht durch Verwaltungsakt einem Bürger erlauben, einen anderen Bürger zu schädigen“ 6.
Richtigerweise ist zu differenzieren. zwar liegt die Gestattung von Individualrechtsgutsverletzungen außerhalb des Kompetenzbereichs staatlicher Behörden, weshalb die Genehmigung kein eingriffsrecht verleihen kann. Jedoch ist es den Behörden unbenommen, die Gefährdung von Individualrechtsgütern in Ansehung des mit dem Genehmigungsgegenstand verbundenen Nutzens für das Allgemeinwohl i. s. eines „erlaubten Risikos“ 7 aus der Verbotsmaterie herauszunehmen 8. Dies gilt insbesondere für den Bereich des Arzneimittelrechts, wo es gemäß § 25 Abs. 2
lung und nicht auf die einzelbefunde bzw. tatsachen ankomme 53.
VI. Außerstrafrechtliche Konsequenzen
Über die strafrechtlichen Konsequenzen hinaus drohen bei einer tatbestandsverwirklichung nicht nur berufsgerichtliche Ahndung und vertragsarztrechtliche Disziplinarmaßnahmen, sondern ggf. auch zivilrechtliche folgen, etwa ersatzansprüche eines Arbeitgebers oder einer Krankenkasse oder Versicherung im falle einer Ausstellung einer falschen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.
VII. Fazit
Aus ärztlicher sicht nachvollziehbar ist das unbehagen gegenüber einem sonderstraftatbestand, der im Gegensatz zu anderen Berufsträgern die bloße „schriftliche lüge“ pönalisiert 54. Hierin liegt aber zugleich auch die allgemeine Wertschätzung, die dem Gesundheitszeugnis durch ärzte und andere approbierte Mediziner entgegen gebracht wird.
DOI: 10.1007/s00350-008-2262-0
Die Arzneimittelzulassung als Strafbarkeitshindernis*Michael Mayer
Mayer, Die Arzneimittelzulassung als strafbarkeitshindernis
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MedR (2008) 26: 595−598 595
*) Die untersuchung stellt einen Auszug aus der unter dem titel „strafrechtliche Produktverantwortung bei Arzneimittelschäden – ein Beitrag zur Abgrenzung der Verantwortungsbereiche im Arzneiwesen aus strafrechtlicher sicht“ erschienenen Dissertation des Verfassers dar.
1) zu den einzelnen tatbestandsmerkmalen der Norm s. Mayer, strafrechtliche Produktverantwortung bei Arzneimittelschäden, 2008, s. 104 ff., 188 ff.
2) eine ausführliche Darstellung der einschlägigen straftatbestände findet sich bei Mayer (fn. 1), s. 100 ff.
3) Fluck, VerwArch 79 (1988), 414; Kuhlen, WiVerw 1992, 242.4) Hirsch, in: lK/stGB, 12. Aufl. 2006, Vor § 32, Rdnr. 165 m. w. N.;
Schlehofer, in: MüKo/stGB, 2003, Vor §§ 32 ff., Rdnr. 154; Paeffgen, in: NK/stGB, 2. Aufl. 2005, Vor §§ 32 bis 35, Rdnr. 202; Roxin, strafrecht Allgemeiner teil, Bd. 1, 4. Aufl. 2006, § 17, Rdnr. 53. ebenso stA landau, Nstz 1984, 553, 554.
5) Hübenett, Rechtswidrige behördliche Genehmigung als Rechtfertigungsgrund – ein gelöstes strafrechtliches Problem?, 1986, s. 34.
6) Heine, NJW 1990, s. 2431; Horn (2004), in: sK/stGB, Vor § 324, Rdnr. 12.
7) zum „erlaubten Risiko“ ausführlich Mayer (fn. 1), s. 168 ff.8) Vgl. Sach, Genehmigung als schutzschild?, 1994, s. 76 f.; Scheele,
zur Bindung des strafrichters an fehlerhafte behördliche Genehmigungen im umweltstrafrecht, 1993, s. 157.
53) BGHst 10, 157, 161.54) Jung (fn. 2), s. 76.
s. 1 Nr. 5 AMG gerade Aufgabe der zuständigen Behörden ist, den Nutzen eines Medikaments für das Allgemeinwohl gegen die Gefahren für die Volksgesundheit, verstanden als Bündel der individuellen Gesundheit aller das Arzneimittel (potentiell) Anwendenden, abzuwägen 9.
II. Verortung der Arzneimittelzulassung im Deliktsaufbau
zentrales Problem im zusammenhang mit der strafrechtlichen Würdigung behördlicher Genehmigungen stellt ihre Verortung im Deliktsaufbau dar.
eine erste Weichenstellung erfolgt durch die struktur der sanktionsnorm. Ist der straftatbestand formalverwaltungsakzessorisch abgefasst, indem er ein Handeln ohne oder in Widerspruch zu einer Genehmigung sanktioniert, stellt die Genehmigung ein negatives tatbestandsmerkmal dar, dessen Vorhandensein bereits die tatbestandsmäßigkeit ausschließt 10. Dies trifft auf § 96 Nr. 5 AMG zu, der das Inverkehrbringen von Arzneimitteln ohne vorherige zulassung unter strafe stellt.
schwieriger gestaltet sich die lozierung der Genehmigung im Deliktsaufbau der §§ 211 ff., 223 ff. und 314 stGB, deren strafandrohung von einer etwaigen Genehmigung unabhängig ist. Wegen dieser abschließenden umschreibung des unrechtstatbestandes wird die Genehmigung mitunter als Rechtfertigungsgrund angesehen 11. Diese formalstrafrechtliche, auf die tatbestandsstruktur abstellende Perspektive stößt indes in der literatur zu Recht überwiegend auf Ablehnung 12.
Richtigerweise stellt die Genehmigung eine Konkretisierung des tatbestandsausschließenden gesetzlich „erlaubten“ Risikos dar. Bewertet der Verwaltungsgesetzgeber das in frage stehende Verhalten im zeitpunkt der Genehmigungserteilung als zulässig, so kann es nicht zugleich strafbares unrecht darstellen. Allerdings besitzen verwaltungsrechtliche sondernormen zunächst nur indizielle Bedeutung, da sie als abstrakte Regelungen etwaige Besonderheiten des einzelfalls unter umständen nicht erfassen 13. An dieser stelle kommt die Genehmigung zum tragen, welche die Prüfung der abstrakten gesetzlichen Vorgaben für den konkreten einzelfall beinhaltet 14. Die Genehmigungserteilung konkretisiert und individualisiert damit die komplexe Gesetzeslage für den einzelfall 15 und überführt so die abstrakte, rein indizielle gesetzliche Regelung in eine strafrechtlich verbindliche Bewertung des konkreten sachverhalts 16. Ob und ggf. in welchem umfang auf die Genehmigung als definitive umgrenzung des „erlaubten Risikos“ vertraut werden darf, richtet sich in Anbetracht des umstandes, dass der staat mit der Genehmigungserteilung maßgeblich Verantwortung für die genehmigte tätigkeit übernimmt 17, letztlich danach, wie im einzelfall die Verantwortungsbereiche von Genehmigungsempfänger und Behörde abzugrenzen sind 18. Dem soll im folgenden für den speziellen fall der Arzneimittelzulassung näher nachgegangen werden.
III. Strafbefreiende Wirkung der Arzneimittelzulassung
Die frage der strafbefreienden Wirkung der Arzneimittelzulassung wird in zwei Konstellationen relevant. zum einen kann die Bedenklichkeit des Arzneimittels nach dem stand der wissenschaftlichen erkenntnis bereits im zeitpunkt der zulassungserteilung grundsätzlich erkennbar sein („ursprüngliche“ Bedenklichkeit). zum anderen kann sich die Bedenklichkeit auch erst im laufe der zeit ergeben, so etwa, wenn nach zulassungserteilung bislang unbekannte und nach bisherigem erkenntnisstand auch nicht auszumachende schwerwiegende Nebenwirkungen auftreten („nachträgliche“ Bedenklichkeit).
1. Rechtswidrige Zulassung im Fall ursprünglicher Bedenklichkeit
Vor dem Hintergrund, dass im fall der rechtswidrigen zulassung eines von Anfang an bedenklichen Präparats das Inverkehrbringen des Arzneimittels einerseits dem materiellen Verwaltungsrecht widerspricht, das Verwaltungsrecht aber andererseits gemäß § 43 VwVfG auch rechtswidrige Verwaltungsakte als wirksam erachtet, geht die herrschende Meinung davon aus, dass strafrechtlich nur zwei Alternativen bestehen: entweder seien für das strafrecht die Aussagen des materiellen Verwaltungsrechts, wonach das betreffende Verhalten verboten ist, maßgeblich, oder aber das strafrecht habe die formelle tatbestandswirkung der rechtswidrigen Genehmigung zu respektieren und genehmigungskonformes Verhalten von strafe auszunehmen.
so betrachten die Vertreter eines verwaltungsrechtsakzessorischen lösungsmodells behördliche Genehmigungen nur dann als strafrechtlich relevante Verhaltensrichtlinien, wenn sie im einklang mit den das Genehmigungsverfahren regelnden verwaltungsrechtlichen Normen erteilt wurden 19.
Hingegen stellt die verwaltungsaktsakzessorische Gegenauffassung auf die formelle Wirksamkeit und Bestandskraft rechtswidriger Verwaltungsakte ab und sieht die mit der Genehmigungserteilung ausgesprochene erlaubnis des betreffenden Verhaltens als strafrechtlich verbindlich an 20. Während die Vertreter einer strengen Verwaltungsaktsakzessorietät eine wirksam erteilte Genehmigung stets als unverbrüchliche Verhaltensrichtlinie ansehen 21, will die herrschende Gegenmeinung eine Bestrafung genehmigungskonformen Verhaltens dann zulassen, wenn das Ausnutzen der Genehmigung rechtsmissbräuchlich erscheint 22.
Mayer, Die Arzneimittelzulassung als strafbarkeitshindernis
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9) Vgl. Lenckner, in: Schönke/Schröder, strafgesetzbuch, 27. Aufl. 2006, Vorbem §§ 32 ff., Rdnr. 63d.
10) Hüwels, fehlerhafter Gesetzesvollzug und strafrechtliche zurechnung, 1986, s. 36; Tiedemann/Kindhäuser, Nstz 1988, 342.
11) BGH, Nstz 1993, 594, 595; Marx, Die behördliche Genehmigung im strafrecht, 1993, s. 142, 172.
12) zu den in der literatur alternativ vertretenen Auffassungen detailliert Mayer (fn. 1), s. 328 ff.
13) so allgemein Kuhlen, fragen einer strafrechtlichen Produkthaftung, 1989, s. 117; Wessels/Beulke, strafrecht, Allgemeiner teil, 37. Aufl. 2007, Rdnr. 672. speziell in Bezug auf die Genehmigungsproblematik: Winkelbauer, zur Verwaltungsakzessorietät des umweltstrafrechts, 1985, s. 47 f. s. auch Mayer (fn. 1), s. 274 ff.
14) Vgl. Frisch, Verwaltungsakzessorietät und tatbestandsverständnis im umweltstrafrecht, 1993, s. 39; Große Vorholt, Behördliche stellungnahmen in der strafrechtlichen Produkthaftung, 1997, s. 191.
15) Hüwels (fn. 10), s. 37; Schröder, Die personelle Reichweite öffentlichrechtlicher Genehmigungen und ihre folgen für das umweltstrafrecht, 2000, s. 165 f.
16) so wohl auch Große Vorholt (fn. 14), s. 46; Hermes, in: Becker= Schwarze et al., Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht, 1991, s. 204. zur Vereinbarkeit dieser Ansicht mit § 25 Abs. 10 AMG s. Mayer (fn. 1), s. 334.
17) BVerfGe 53, 30, 58. ebenso Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, s. 402; Große Vorholt (fn. 14), s. 128.
18) Große Vorholt (fn. 14), s. 46; Hermes (fn. 16), s. 188.19) Geulen, zRP 1988, 325; Schall, NJW 1990, 1267; Schirrmacher, JR
1995, 386; Schwarz, GA 1993, 321.20) OlG frankfurt a. M., NJW 1987, 2753, 2756; Lackner/Kühl,
strafgesetzbuch, 26. Aufl. 2007, § 324, Rdnr. 10 m. w. N.21) Kuhlen, zstW 105 (1993), 706 f.; Steindorf (1997), in: lK/stGB,
11. Aufl., Vor § 324, Rdnr. 31.22) lG Hanau, NJW 1988, 571, 576; Breuer, DÖV 1987, 180 f.; Sach
(fn. 8), s. 256. Allerdings soll dies wegen Art. 103 Abs. 2 GG nicht für straftatbestände gelten, die wie § 96 Nr. 5 AMG explizit auf das fehlen einer behördlichen erlaubnis abstellen. Vgl. Hegh-manns, Grundzüge einer Dogmatik der straftatbestände zum schutz von Verwaltungsrecht oder Verwaltungshandeln, 2000, s. 212; Lenckner (fn. 9), Vorbem §§ 32 ff., Rdnr. 63a m. w. N. In diesem sinne auch BGH, stV 2005, 330, 331 f.
Überzeugen kann keiner dieser Ansätze 23. Ob und inwieweit eine rechtswidrige behördliche Genehmigung strafbegrenzende Wirkung entfaltet, beantwortet sich letztlich losgelöst von verwaltungsrechtlichen Vorgaben anhand genuin strafrechtlicher Kriterien 24. In diesem sinne wird die fehlerhafte Genehmigung von einem teil des schrifttums als objektive Bedingung der strafbarkeit angesehen, die bis zu ihrer Aufhebung das straftatbestandliche unrecht ausschließt 25. Andere richten namentlich im fall der täuschung oder Bedrohung des Amtsträgers den Blick auf das zur Genehmigungserteilung führende Vorverhalten, welches anders als das genehmigungskonforme Verhalten tauglicher Anknüpfungspunkt für eine strafbarkeit sei 26. eine dritte Ansicht 27 schließlich stellt darauf ab, dass sich die erteilte Genehmigung allein auf das Vorhaben in der Gestalt bezieht, wie es aus den eingereichten Dokumenten hervorgeht, und folgert daraus im umkehrschluss, dass im fall verschwiegener oder fehlerhaft mitgeteilter Informationen die legalisierungswirkung der Genehmigung entsprechend eingeschränkt sei 28.
Richtiger Ansatzpunkt für die Beantwortung der frage nach der strafrechtlichen Relevanz rechtswidriger Genehmigungen ist jedoch der bereits angesprochene umstand, dass die zwischenschaltung einer staatlichen Kontrollbehörde einen Vertrauenstatbestand setzt, der i. s. einer Verantwortungsübernahme sorgfaltspflichten der Behörde in Bezug auf die genehmigte tätigkeit begründet 29 und im selben Maße die sorgfaltspflicht des Genehmigungsempfängers reduziert. solange dieser keinen Anlass hat, an der Pflichtmäßigkeit des Behördenhandelns zu zweifeln, darf er die Rechtmäßigkeit der Genehmigung unterstellen und genügt seiner sorgfaltspflicht dadurch, dass er sein Verhalten genehmigungskonform ausgestaltet 30. entscheidend ist damit nicht, ob die zulassungserteilung objektiv verwaltungsrechtswidrig ist und wie sich diese Rechtswidrigkeit strafrechtlich auswirkt. Maßgeblich ist vielmehr allein, inwieweit der Genehmigungsempfänger auf die Recht und Pflichtmäßigkeit der Genehmigungserteilung vertrauen darf. Der schlüssel zur lösung der Problematik liegt damit in einer angemessenen Abgrenzung der Verantwortungsbereiche von Genehmigungsempfänger und Behörde nach Maßgabe des Vertrauensgrundsatzes 31.
Nach dem Vertrauensgrundsatz darf derjenige, der sich selbst pflichtgemäß verhält, darauf vertrauen, dass auch die anderen die ihnen zukommende Verantwortung für eigene und fremde Rechtsgüter durch sorgfaltsgemäßes Handeln wahrnehmen, sofern nicht konkrete Anhaltspunkte dagegen sprechen. Dabei schließt die eigene Pflichtwidrigkeit ein berechtigtes Vertrauen in ordnungsgemäßes Verhalten anderer nur dann aus, wenn sie sich in der konkreten Gefahrensituation auswirkt, indem sie das fehlverhalten anderer geradezu provoziert 32. Anhaltspunkte für ein pflichtwidriges Verhalten eines anderen wiederum liegen insbesondere dann vor, wenn dieser wegen ersichtlich unzulänglicher Kenntnis der sach und Gefahrenlage unfähig ist, die situation zutreffend zu erfassen und angemessen zu reagieren 33. Überträgt man diese Grundsätze auf den fall der rechtswidrigen Arzneimittelzulassung, so folgt daraus, dass ein schutzwürdiges Vertrauens in die zulassung nur bestehen kann, wenn die zulassungsbehörde überhaupt in der lage ist, das Medikament qualifiziert zu beurteilen 34. erforderlich hierfür ist die Kenntnis sämtlicher eigenschaften des zu bewertenden Arzneimittels 35. Diesbezüglich ist die Behörde auf die Mitwirkung des pharmazeutischen unternehmers angewiesen, dem zunächst als einzigem alle Charakteristika des neuen Präparats bekannt sind 36. Dementsprechend hat der Gesetzgeber das zulassungsverfahren als unterlagenprüfung ausgestaltet und den pharmazeutischen unternehmer gemäß §§ 22 ff. AMG verpflichtet, in den einzureichenden zulassungsunterlagen alle zulassungsrelevanten Arzneimitteleigenschaften anzugeben.
Aus dieser Aufgabenteilung folgt im lichte des Vertrauensgrundsatzes, dass die schutzwürdigkeit des Vertrauens in die Arzneimittelzulassung mit der Verantwortung für die Inputfaktoren korrespondiert 37. so kann sich der pharmazeutische unternehmer auf die zulassung nicht berufen, wenn er die spezifika des betreffenden Präparates – sei es aus Nachlässigkeit oder wegen mangelhafter Konzeption der klinischen Prüfung – in den zulassungsunterlagen falsch oder unvollständig wiedergibt oder gar versucht, das BfArM durch bewusste fehlinformationen zu täuschen. In letzterem fall ist dem Vertrauen in die zulassung schon deshalb die Grundlage entzogen, weil der pharmazeutische unternehmer positiv weiß, dass die zulassungsbehörde aufgrund der fehlinformation über ein defizitäres Risikobewusstsein verfügt 38. Darüber hinaus stellt das einreichen fehlerhafter zulassungsunterlagen eine Pflichtverletzung dar, welche sich in der rechtswidrigen zulassungsentscheidung auswirkt. Im ersten fall fehlt es zwar an einem überlegenen sachwissen des pharmazeutischen unternehmers, jedoch greift auch hier der Ausschlussgrund der Pflichtverletzung ein, hätte der pharmazeutische unternehmer die fehlerhaftigkeit des mitgeteilten Datenmaterials doch erkennen und vermeiden können.
Informiert der pharmazeutische unternehmer die zulassungsbehörde hingegen umfassend über die eigenschaften des Medikaments, so kann er grundsätzlich von einem pflichtgemäßen Handeln der Behörde ausgehen und auf die erteilte zulassung vertrauen 39. erweist sich die zulassungserteilung dennoch als rechtswidrig, etwa weil die Bundesoberbehörde die Arzneimitteldaten falsch verarbeitet oder Nutzen und Risiken unzutreffend bewertet, darf er sich auf die in der zulassung zum Ausdruck kommende (straf)rechtliche erlaubnis der Inverkehrgabe verlassen 40. Denn die fehlerhaftigkeit der zulassung fällt insoweit in den Verantwortungsbereich der Behörde und damit des staates, der sich das fehlverhalten seiner Behörde zurechnen lassen und das Inverkehrbringen des bedenklichen Medikaments von strafe ausnehmen muss 41.
2. Überholte Arzneimittelzulassung infolge „nachträglicher“ Bedenklichkeit
Im Ausgangspunkt anders gestaltet sich die situation, wenn die Arzneimittelzulassung wegen anfänglicher unbedenklichkeit des Medikaments zwar rechtmäßig erlassen wurde,
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23) s. hierzu ausführlich Mayer (fn. 1), s. 553 ff.24) Vgl. Holthausen, Nstz 1988, 257; Schünemann, wistra 1986, 239.
s. auch BVerfGe 75, 329, 346.25) Horn (fn. 6), Vor § 324, Rdnr. 19; Günther (2005), in: sK/stGB,
Vor § 32, Rdnr. 67.26) Vgl. Hirsch (fn. 4), Vor § 32, Rdnr. 165; Schlehofer (fn. 4), Vor
§§ 32 ff., Rdnr. 153.27) Breuer, NVwz 1987, 756; Heine, NJW 1990, 2431.28) zu diesen Ansätzen ausführlich Mayer (fn. 1), s. 557 ff.29) Vgl. Lenckner (fn. 9), Vorbem §§ 13 ff., Rdnr. 101c.30) ähnlich Frisch (fn. 14), s. 72 f.; Schwarz, GA 1993, 326.31) In diesem sinne auch Holthausen, Nstz 1988, 257; Ostendorf, Jz
1981, 174.32) statt vieler Roxin (fn. 4), § 24, Rdnrn. 21, 24; Wessels/Beulke
(fn. 13), Rdnrn. 671 f. m. w. N.33) Vgl. Lenckner (fn. 9), Vorbem §§ 13 ff., Rdnr. 101c m. w. N.34) Vgl. Große Vorholt (fn. 14), s. 42, 119.35) Große Vorholt (fn. 14), s. 43 f.; Schröder (fn. 15), s. 165.36) Vgl. Di Fabio (fn. 17), s. 186.37) Marx (fn. 11), s. 84, 100.38) Große Vorholt (fn. 14), s. 194. 39) Kloepfer, NuR 1987, 14; Winkelbauer (fn. 13), s. 73.40) Vgl. Winkelbauer, Nstz 1988, 206.41) zur frage einer etwaigen strafbarkeit der zuständigen Behör
denmitarbeiter s. Mayer (fn. 1), s. 591 ff.
aufgrund zwischenzeitlicher, zur Bedenklichkeit des Präparates führender umstände aber überholt ist. Während ein teil des schrifttums die „Altgenehmigung“ als obsolet erachtet 42, betonen andere stimmen den Orientierungssicherheit bezweckenden Charakter der Genehmigung und das daraus resultierende schutzwürdige Vertrauen in die Beständigkeit der Behördenentscheidung, angesichts dessen die genehmigte tätigkeit bis zur förmlichen Aufhebung der Genehmigung als (strafrechtlich) erlaubtes Verhalten anzusehen sei 43.
zur Begründung der Wirkungslosigkeit von „Altgenehmigungen“ wird auch hier teilweise darauf abgestellt, dass die Berufung auf eine offensichtlich überholte Genehmigung rechtsmissbräuchlich und daher strafrechtlich unbeachtlich sei 44. Andere folgern die Irrelevanz überholter behördlicher Genehmigungen aus den allgemeinen Grundsätzen polizeilicher Gefahrenabwehr 45, wonach der staat bei akuten Gefahren für die öffentliche sicherheit berechtigt sei, gegen eine formell genehmigte unternehmung einzuschreiten 46. Wieder andere entwickeln die unbeachtlichkeit von „Altgenehmigungen“ aus dem Bescheidungsgegenstand und umfang 47 und betonen, dass das Recht der Risikoverwaltung ein „Recht auf zeit“ sei, staatliche Risikoentscheidungen im Produktrecht sich geradezu durch ihre temporäre Vorläufigkeit auszeichneten 48. Allerdings sagt die erkennbare Vorläufigkeit der Arzneimittelzulassung als solche nichts darüber aus, inwieweit die zwischenzeitlich aufgetretenen Nebenwirkungen das Medikament nunmehr als bedenklich erscheinen lassen. Die völlige Wirkungslosigkeit der erteilten zulassung hätte die Konsequenz, dass es dem pharmazeutischen unternehmer obläge, zu entscheiden, ob die bekannt gewordenen Nebenwirkungen unvertretbar sind und das Präparat somit aus dem Verkehr zu ziehen ist. Nach der eindeutigen Intention des Gesetzgebers soll dem pharmazeutischen unternehmer eine derartige entscheidungskompetenz aber gerade nicht zukommen. Die Beurteilung der (un)Bedenklichkeit liegt vielmehr im Verantwortungsbereich der eigens dafür eingerichteten zulassungsbehörde. Der pharmazeutische unternehmer darf darauf vertrauen, dass die Behörde die zulassung revidieren oder Gefahrenabwehrmaßnahmen anordnen wird, wenn ihr dies erforderlich erscheint. umgekehrt darf er das untätigbleiben der Bundesoberbehörde als Beleg fortbestehender unbedenklichkeit des Arzneimittels ansehen und dieses weiter in Verkehr bringen.
einschränkungen dieses Vertrauens ergeben sich wiederum aus dem Vertrauensgrundsatz 49. schutzwürdig ist das Vertrauen in die zulassung demnach nur dann, wenn die Bundesoberbehörde ständig über das jeweils aktuelle Risikowissen verfügt und damit jederzeit zu einer pflichtgemäßen Korrektur der ursprünglichen Gestattung fähig ist. Dies setzt eine kontinuierliche unterrichtung der Behörde über neue Nebenwirkungen durch den pharmazeutischen unternehmer voraus, wie sie in den §§ 29 Abs. 1, 31 Abs. 2, 63b AMG vorgesehen ist.
Kommt der pharmazeutische unternehmer seinen Mitteilungspflichten nicht ordnungsgemäß nach, scheidet eine
Berufung auf die „Altgenehmigung“ aus. Denn das untätigbleiben stellt eine sich im pflichtwidrigen untätigbleiben der zulassungsbehörde auswirkende Pflichtverletzung dar. erfüllt der pharmazeutische unternehmer hingegen seine Informationspflicht, darf er die „Altzulassung“ unvermindert als verbindliche Konkretisierung des „erlaubten Risikos“ erachten und das Präparat weiter in Verkehr bringen 50. Die Grenze des berechtigten Vertrauens ist nur dann erreicht, wenn die aufgetretenen Nebenwirkungen so eklatant sind, dass sich die Bedenklichkeit des Arzneimittels geradezu aufdrängt und damit konkrete Anhaltspunkte für die Pflichtwidrigkeit der behördlichen untätigkeit gegeben sind – wovon angesichts der Komplexität der Bedenklichkeitsprüfung und der diesbezüglichen einschätzungsprärogative der Behörde nur im Ausnahmefall auszugehen ist.
IV. Fazit
Die vorliegende untersuchung hat gezeigt, dass die zulassung eines Arzneimittels durch die Bundesoberbehörde einen Vertrauenstatbestand hinsichtlich des erlaubtseins seines Inverkehrbringens schafft. In welchem umfang dieses Vertrauen strafrechtlich Beachtung finden muss, ist durch eine sachgerechte Abgrenzung der Verantwortungsbereiche der Behörde und des pharmazeutischen unternehmers nach Maßgabe des Vertrauensgrundsatzes zu ermitteln. entscheidend ist, dass die zulassungsbehörde über eine zumindest gleichwertige Risikokenntnis verfügt, die es ihr ermöglicht, die Bedenklichkeit des Medikaments zu erkennen und entsprechend darauf zu reagieren. Da die Behörde auf die Übermittlung von Risikodaten durch den pharmazeutischen unternehmer angewiesen ist, hängt die strafbegrenzende Wirkung der Arzneimittelzulassung schlussendlich davon ab, ob die Behörde ordnungsgemäß mit entsprechenden Informationen versorgt wird. Nur wenn dies der fall, kommt der Arzneimittelzulassung über § 96 Nr. 5 AMG hinaus strafbefreiende Wirkung zu.
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598 MedR (2008) 26: 595−598
42) Rehmann, Arzneimittelgesetz (AMG), 2. Aufl. 2003, § 5, Rdnr. 1; Thiele, BGesundhBl 1997, 12.
43) Vgl. Kuhlen (fn. 13), s. 133 f., 143; Rogall, Die strafbarkeit von Amtsträgern im umweltbereich, 1991, s. 186.
44) stA Mannheim, NJW 1976, 585, 586; Horn, NJW 1986, 156; Lenckner (fn. 9), Vorbem §§ 32 ff., Rdnr. 63d. Bzgl. der gegen den Rechtsmissbrauchsgedanken sprechenden Gründe s. bereits oben.
45) Heine, NJW 1990, 2431.46) Cramer/Heine, in: Schönke/Schröder (fn. 9), Vorbem. §§ 324 ff.,
Rdnr. 17b. zu den Bedenken gegen diesen Ansatz s. Mayer (fn. 1), s. 570.
47) Kloepfer, NuR 1987, 13; Rogall, GA 1995, 310 f.48) Di Fabio (fn. 17), s. 307.49) so explizit Hermes (fn. 16), s. 203 f.50) Im ergebnis ebenso Marx (fn. 11), s. 97. Hinsichtlich einer etwa
igen strafbarkeit der zuständigen Behördenmitarbeiter im fall des untätigbleibens s. Mayer (fn. 1), s. 598 ff.