Die Autonomie Südtirols

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Zweck dieser Studie ist es, in kurzer übersichtlicher Form die Grundzüge der Südtiroler Autonomie darzustellen und diese für den interessierten Leser verständlich zu machen.

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DIE AUTONOMIE SÜDTIROLS

Dr. Oskar Peterlini Bozen, 1991

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Inhalt

ZUM GELEIT ...................................................................................................................................... 4 Der Verfasser ..................................................................................................................................... 4

WAS BEDEUTET AUTONOMIE?................................................................................................... 5 DIE GESCHICHTLICHEN WURZELN ........................................................................................... 5

DIE ZERREISSUNG TIROLS ......................................................................................................... 6 DIE ERSTEN AUTONOMIEVERSUCHE ...................................................................................... 7 MUSSOLINI ZIEHT BILANZ ............................................................................................................ 8

DIE INTERNATIONALE VERANKERUNG DER AUTONOMIE: ............................................... 8

DAS ERSTE AUTONOMIESTATUT VON 1948 ........................................................................ 10

DIE GROSSKUNDGEBUNG VON SIGMUNDSKRON ............................................................. 10 DIE UNRUHEN IN SÜDTIROL ..................................................................................................... 11

DIE UNO-RESOLUTIONEN .......................................................................................................... 11

DAS SÜDTIROLPAKET ................................................................................................................. 14 WAS ENTHÄLT DAS PAKET ........................................................................................................ 14

SUBMAßNAHMEN (PRÄZISIERUNGEN) .................................................................................. 17 DER OPERATIONSKALENDER .................................................................................................. 17

DAS NEUE AUTONOMIESTATUT VON 1972 .......................................................................... 19 I. ABSCHNITT .................................................................................................................................. 20

II. ABSCHNITT................................................................................................................................. 20 III. ABSCHNITT ............................................................................................................................... 21

IV. ABSCHNITT ............................................................................................................................... 21

V. ABSCHNITT ................................................................................................................................ 22

VI. ABSCHNITT ............................................................................................................................... 22

VII. ABSCHNITT .............................................................................................................................. 22

DIE GESETZGEBUNGSBEFUGNIS UND DAS ZENTRALISTISCHE PRINZIP .................. 22

DIE QUALITÄT DER ZUSTÄNDIGKEITEN UND IHRE GRENZEN ....................................... 23 DIE WICHTIGSTEN BEFUGNISSE DER REGION .................................................................. 25

DIE ZUSTÄNDIGKEITEN DER PROVINZEN ............................................................................ 26 DIE VERWALTUNGSBEFUGNISSE ........................................................................................... 28 DIE ORGANE DER REGION ........................................................................................................ 29

ORGANE DER PROVINZ .............................................................................................................. 29 DIE GESETZGEBUNG UND DIE RÜCKVERWEISUNG ......................................................... 30

DER ETHNISCHE PROPORZ ...................................................................................................... 31

EIN AKT DER WIEDERGUTMACHUNG .................................................................................... 33

PROPORZ LAUT VOLKSZÄHLUNG 1981: ................................................................................ 33 DIE PARITÄT UND ROTATION ................................................................................................... 34 DIE MITBETEILIGUNG AN DER STAATSVERWALTUNG ..................................................... 36

GEBRAUCH DER DEUTSCHEN SPRACHE ............................................................................. 36

MEHR SCHUTZ FÜR DIE LADINER NOTWENDIG ................................................................. 38

DIE FINANZIERUNG DER AUTONOMIE ................................................................................... 40

AUSRICHTUNGS- UND KOORDINIERUNGSBEFUGNIS (AKB) .......................................... 40

STREITBEILEGUNGSERKLÄRUNG........................................................................................... 42 DER WORTLAUT DER SCHLUSSERKLÄRUNG ..................................................................... 42

ABÄNDERUNGEN NUR IM EINVERNEHMEN ......................................................................... 44

INTERNE GARANTIEN .................................................................................................................. 44 DIE BEVÖLKERUNGSENTWICKLUNG ..................................................................................... 44

DIE LANDESVERSAMMLUNG 1969 WEIST IN DIE ZUKUNFT ............................................ 45 EPOCHALER UMBRUCH IN EUROPA ...................................................................................... 46

DIE ENTWICKLUNGEN IN ITALIEN ........................................................................................... 47 DURCHBRUCH IM VERFASSUNGSAUSSCHUß .................................................................... 48

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DIE IDEE IST STÄRKER ALS DIE MACHT ............................................................................... 49

EINE VISION: DIE EUROPA-REGION TIROL ........................................................................... 49 F U S S N O T E N .......................................................................................................................... 51

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ZUM GELEIT

Zweck dieser Studie ist es, in kurzer übersichtlicher Form die Grundzüge der

Südtiroler Autonomie darzustellen und diese für den interessierten Leser verständlich zu

machen. Die umfangreiche geschichtliche, politische und rechtliche Lage in Kürze

zusammenzufassen, verlangt natürlich auch den Mut zur Auswahl und zum Verzicht auf

Details. Das darf jedoch nicht auf Kosten einer einwandfreien und präzisen Information

gehen. Es ist deshalb das Anliegen des Verfassers, in kurzen Erläuterungen die

wesentlichen Aspekte herauszustellen und durch die Wiedergabe von Originaldokumenten

auszuleuchten.

Die Wurzeln der Autonomie Südtirols reichen ins tiefe Mittelalter zurück. Wie ein

roter Faden zieht sich der Freiheitswille und die demokratische Mitgestaltung der Tiroler

durch die vielfältige Landesgeschichte. Die heutige Autonomie Südtirols im Staat Italien

fußt natürlich auf den Ereignissen in diesem Jahrhundert, insbesondere seit der

Abtrennung Südtirols von Österreich nach dem Ersten Weltkrieg. Die geschichtlichen

Ereignisse und Grundlagen der Autonomie wurden in einer Reihe von bedeutenden

Werken untersucht und sollen deshalb hier nur angedeutet werden.

Der Verfasser

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WAS BEDEUTET AUTONOMIE?

Je nach seinem Verwendungszusammenhang nimmt der Begriff Autonomie heute

ganz unterschiedliche Bedeutungen an. Aus den griechischen Begriffen "autos" (selbst)

und "nomos" (Gesetz) abgeleitet, meint man zunächst "Selbstgesetzgebung" oder

"Selbstgesetzlichkeit". Autonomie ist somit das Recht eines Gemeinwesens, seine

Rechtsverhältnisse mit eigenen Bestimmungen selbst zu regeln. Im griechischen Denken

bezeichnete Autonomie das Ziel der Stadtstaaten ihre Selbständigkeit und insbesondere

das Recht zu wahren, ihre inneren Angelegenheiten unabhängig bestimmen zu können.

Im öffentlich-rechtlichen Sinne ist Autonomie "die Fähigkeit, eines dem Staat

eingegliederten, von ihm aber organisatorisch abgehobenen Verbandes, zur Regelung

seiner Angelegenheiten Sätze objektiven Rechts zu schaffen" (W. Schick). 1)

DIE GESCHICHTLICHEN WURZELN

Als tiefster Einschnitt in den Alpen bildete der Brennerpass schon in der

Vergangenheit einen wichtigen Verbindungsweg zwischen dem Norden und dem Süden

Europas.

Das "Land im Gebirge" hatte deshalb schon zur Zeit der alten Römer eine

strategische Bedeutung. Um die Zeit von Christi Geburt benützten die Römer den Brenner

für ihre Feldzüge nach Norden. Ebenso zogen die deutschen Könige über den Brenner

nach Süden, um vom Papst zum Kaiser gekrönt zu werden.

Vor etwa siebenhundert Jahren ist "das Land im Gebirge" zu einer politischen

Einheit zusammengewachsen. Im Jahre 1248 schlägt die offizielle Geburtsstunde des

Landes "Tirol". Dem Grafen von Tirol war es gelungen, die Gebiete der Bistümer Brixen

und Trient zusammenzuschließen. In seiner weiteren Ausgestaltung reicht die Grafschaft

Tirol und später das Land Tirol vom Karwendel- und Kaisergebirge im Norden bis zum

Gardasee im Süden.

Auf Grund der besonderen Lage waren die Tiroler immer wieder gezwungen, ihr

Land vor fremden Übergriffen zu verteidigen. Aus dieser Notwendigkeit ist ein

Freiheitswille entstanden, der sich wie ein roter Faden durch die Geschichte Tirols zieht.

Dieser Freiheitswille findet seine erste Ausgestaltung in den demokratischen

Mitbestimmungsrechten der Bürger und Bauern und in der Landesverfassung (1342 -

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Großer Freiheitsbrief), während das übrige Europa im tiefen Mittelalter steckte. Als Tirol

1363 beschließt, sich dem Habsburgerreich anzugliedern, werden diese Rechte bestätigt

und später weiter ausgebaut. Das "Landlibell" (1511) befreit die Tiroler von der Wehrpflicht

außerhalb des Landes.

Immer dann, wenn Gefahr von außen droht, aber auch wenn die Tiroler von ihren

eigenen Landesherren unterdrückt werden, lebt der historisch gewachsene Freiheitswille

auf. Das bestätigt sich unter Michael Gaismayr, als die Tiroler in den Bauernkriegen

(1525) die Abschaffung der Vorrechte für Adel und Geistlichkeit verlangen. Diese

Freiheitsliebe flammt sogar gegen das geliebte Herrscherhaus in Wien auf, als Kaiserin

Maria Theresia (1740 bis 1780) mit ihrer gesamtstaatlichen Verwaltungsreform die Zügel

strafft und die alten Landesfreiheiten verletzt. Die Freiheiten werden später wieder

hergestellt.

Und als ganz Europa vor dem übermächtigen französischen Kaiser Napoleon

erzitterte, setzen sich die Tiroler Bauern, mit Mistgabeln, Sensen und Werkzeugen

bewaffnet, gegen die französisch- bajuwarischen Truppen zur Wehr. Die leuchtenden

Feuer in der Herz-Jesu-Nacht symbolisieren den Freiheitswillen der Tiroler und erinnern

uns an die Kämpfe gegen Napoleon, in denen die Tiroler, vom tiefen Glauben beseelt,

einen Bund mit dem Herzen Jesu schlossen.

Derselbe Freiheitswille gibt den Tirolern südlich des Brenners die Kraft, nach der

Angliederung an Italien und unter dem Faschismus die eigene Sprache und Kultur zu

verteidigen und in geheimen Katakomben-Schulen die Kinder die Muttersprache zu lehren.

Derselbe Freiheitswille beseelt schließlich die Südtiroler in ihren Bemühungen um

eine Autonomie im italienischen Staatsverband.

DIE ZERREISSUNG TIROLS

Dieses jahrhundertealte, gemeinsam gewachsene Land Tirol, in dem drei

Sprachgruppen, Deutsche und Italiener (in Welschtirol) sowie Ladiner (in den

Dolomitentälern) friedlich zusammenleben, wird nach dem Ersten Weltkrieg mitten

auseinander gerissen. Mit dem Friedensvertrag von Saint Germain vom 20. September

1919 erfolgte die Trennung nicht an den "klar erkennbaren Linien der Nationalität", an der

Sprachgrenze in Salurn, wie es Präsident Wilson (1918) forderte, sondern entlang des

Alpenhauptkammes.

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Der bekannte italienische Historiker Gaetano Salvemini wendet sich energisch

gegen die These des faschistischen Senators Ettore Tolomei, Südtirol sei italienisch:

"Prima che lui (Tolomei) creasse un Alto Adige abitato da italiani, nessuno si era mai

avvisto che esistesse un Alto Adige siffatto". - "Bevor er (Tolomei) ein von Italienern

bewohntes "ALTO ADIGE" schuf, hatte niemand bemerkt, dass ein solches "ALTO

ADIGE" existierte". 2)

Interessant ist zu vermerken, dass italienische Politiker hart über diese

Grenzziehung urteilen. GIULIANO AMATO, Mitglied der italienischen Regierung in

verschiedenen Funktionen, meinte dazu wörtlich:

"Quella dell'Alto Adige è una vicenza nata e cresciuta con le gambe storte e oggi

ancora non le abbiamo raddrizzate.

E' nata male, perché il passaggio all'Italia dopo la prima guerra mondiale non fu il

completamento dei confini risorgimentali, fu un abuso, fumosamente giustificato con

ragioni strategiche". 3)

"Die Geschichte des Alto Adige¯ ist mit krummen Beinen auf die Welt gekommen

und gewachsen und bis heute haben wir sie nicht gerade gebogen. Sie ist schlecht

geboren, weil der Übergang zu Italien nach dem Ersten Weltkrieg nicht die Vollendung der

Grenzen des ®Risorgimento¯ darstellte, sondern ein Unrecht, dass verschwommen mit

strategischen Überlegungen gerechtfertigt wurde".

DIE ERSTEN AUTONOMIEVERSUCHE

Schon 1919 verspricht König Viktor Emanuel III. eine großzügige und

verständnisvolle Minderheitenpolitik:

"Die neuen, mit Italien vereinigten Gebiete schaffen neue Probleme, die zu lösen

sind", erklärte der König feierlich vor der neuen Abgeordnetenkammer am 1. Dezember

1919.

"Unsere Tradition der Freiheit wird uns den Weg zur Lösung weisen, die dem

höchsten Respekt für die Autonomien und den lokalen Traditionen entsprechen wird". 4)

Aber es kam anders. "Sie ist schlecht gewachsen (die Geschichte Südtirols), weil

nach einer anfänglichen intelligenten Phase der Toleranz, der Faschismus kam, der die

Italianità mit Gewalt aufdiktieren wollte, als Ausdruck der intoleranten Vorherrschaft der

Kultur, der Aufschriften und der Sprache der italienischen Volksgruppe. Es war ein

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tragischer Fehler (...). Unter diesen Vorzeichen hat die Republik das Problem geerbt,

einschließlich der dadurch verursachten Emotionen und Vergeltungen" - urteilt Giuliano

Amato über diese Zeit. 5)

MUSSOLINI ZIEHT BILANZ

In einem Interview an die Zeitung Petit Parisien zieht der Duce am 27. Februar

1926 selbst Bilanz über sein Programm: "Diese Gefahr sah ich in Südtirol: Alles war dort

deutsch, Beamte, Lehrer, Geistlichkeit, Post und Eisenbahn. Man sprach nur deutsch. Ich

habe da Ordnung gemacht: (...). Im ganzen Gebiet ist die italienische Sprache

obligatorisch, alle Post- und Eisenbahnbeamten sind Italiener; italienische Familien

werden überall angesiedelt". 6)

Im Jahr 1939 kamen Hitler und Mussolini überein, die Südtiroler, die deutsch

bleiben wollten, ins deutsche Reich zu übersiedeln. Rund 80 Prozent (die Zahlenangaben

schwanken zwischen 69,4 Prozent und 92,8 Prozent) der Südtiroler entschieden sich

schweren Herzens für die Auswanderung. 7)

Etwa 79.000 Südtiroler verlassen ihre Heimat. Nur ein Teil davon kehrt nach dem

Krieg wieder zurück. Die Aussiedlung der übrigen wird durch die Kriegsereignisse

abgebrochen.

DIE INTERNATIONALE VERANKERUNG DER AUTONOMIE:

DER PARISER VERTRAG

Nach dem Krieg verlangte Südtirol die Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes

und versuchte, die Wiedervereinigung mit Österreich zu erreichen, doch wurde die

entsprechende Forderung Österreichs auf Volksabstimmung in Südtirol von den Alliierten

abgelehnt. Nach langen Verhandlungen kam es auf Drängen vieler kleiner Staaten und

durch die Vermittlung des englischen Außenministers Ernest Bevin am 5. September 1946

in Paris zwischen Italien und Österreich zur Unterzeichnung des so genannten "Pariser

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Vertrages" durch Gruber und Degasperi. Am 3. Dezember 1946 beschloss die

Außenministerkonferenz in New York, das Pariser Abkommen in den Artikel 10 des

italienischen Friedensvertrages aufzunehmen, der am 10. Februar 1947 in Paris

unterzeichnet wurde.

Mit Gesetz Nr. 811, vom 8. August 1947, gab die italienische verfassungsgebende

Versammlung der Regierung der Republik die Genehmigung, den Friedensvertrag zu

ratifizieren, was mit einstimmigem Beschluss erfolgte. 8)

Der Pariser Vertrag sieht im Art. 1 die Gleichstellung der deutschsprachigen

Bewohner und besondere Schutzmaßnahmen für den ethnischen Charakter, die kulturelle

und wirtschaftliche Entwicklung der deutschsprachigen Bevölkerung vor. Im Besonderen

verankert der Art. 1 den Unterricht in der Muttersprache, die Gleichberechtigung der

deutschen Sprache in den Ämtern, die zweisprachigen (!) Ortsnamen, die Rückführung

der italienisierten Familiennamen sowie die Gleichberechtigung bei der Zulassung zu

öffentlichen Ämtern zum Zwecke eines angemesseneren Proporzes ("appropriate

proportion of employment") vor.

Der Art. 2 verankert "eine autonome Gesetzgebungs- und Vollzugsgewalt", also die

eigentliche Autonomie.

Der Art. 3 sieht Maßnahmen und Abkommen zwischen Italien und Österreich zur

Anerkennung der Staatsbürgerschaften, der Studientitel sowie Abkommen für den freien

Personen- und Güterverkehr und eines erleichterten Warenaustausches vor.

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DAS ERSTE AUTONOMIESTATUT VON 1948

Das im Verfassungsgesetz vom 26. Februar 1948 erlassene erste Autonomiestatut

für Südtirol entsprach in keiner Weise dem Wortlaut des Pariser Abkommens. Die

Autonomie war sehr beschränkt und wurde auf die gesamte Provinz Trient ausgedehnt. In

dieser Region "Trentino-Tiroler Etschland", mit Sitz in Trient, waren die Südtiroler in der

Minderheit. Im Rahmen der Regionalautonomie wurden zwar für die beiden Provinzen

Trient und Bozen zwei Unterautonomien mit eigenen Landtagen und Landesausschüssen

eingeführt, doch waren die Zuständigkeiten dieser autonomen Provinzen derart

eingeschränkt, dass von einer wirklichen Autonomie Südtirols nicht die Rede sein konnte.

Hören wir dazu den Präsidenten des italienischen Verfassungsausschusses bei der

Vorlage des zweiten Autonomiestatutes, den Abgeordneten Renato Ballardini. 9)

"Nochmals, wie bereits 1919, folgte einem guten Anfang zur Lösung des Problems

eine Umkehrung der Tendenz". Die wenigen Maßnahmen des Statutes von 1948 wurden

nur teilweise durchgeführt. "Misstrauen und Verdächtigung ließen nach und nach die

Beziehungen zwischen Zentralgewalt und Südtirolern einfrieren, bewirkten ein Träufeln

von kleinen Nichterfüllungen, von Verzögerungen in dem Erlass der

Durchführungsbestimmungen, in absurden Schlauheiten, in der spitzfindigen Abfassung

der Texte" - schreibt Renato Ballardini.

(...) "Es ist notwendig, heute mutig die begangenen Fehler anzuerkennen. Mögen

die Tatsachen sprechen. Es genügt daran zu denken, dass man bis zum Jahre 1959/60

warten mußte, bis die Durchführungsbestimmungen hinsichtlich des Gebrauchs der

deutschen Sprache im Verkehr mit der Öffentlichkeit, in den öffentlichen Ämtern, im

Strafvollzug, bei den öffentlichen Wettbewerben erlassen wurden". 10)

Die neuen Durchführungsbestimmungen zur Sprache erscheinen übrigens erst

1988.

DIE GROSSKUNDGEBUNG VON SIGMUNDSKRON

Die Spannungen nehmen zu. Am 17. November 1957 verlangen 35.000 Südtiroler

bei einer Großkundgebung auf Schloss Sigmundskron eine eigene Landesautonomie für

Südtirol.

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"Das wirksamste Mittel", so heißt es in der einstimmig gefassten Resolution, "das

der Vertrag zum Schutz der Volksgruppe vorsieht, die Autonomie, die Eigen-

Gesetzgebung und -Verwaltung für das Land Südtirol allein, ist uns versagt geblieben.

Ebenso sind wir von der Gleichberechtigung im Gebrauch der deutschen Sprache im

öffentlichen Leben unseres Landes noch weit entfernt und sind neun Zehntel der Stellen

der staatlichen Verwaltung von Landesfremden besetzt". 11)

DIE UNRUHEN IN SÜDTIROL

Die Spannung in der Bevölkerung wächst weiter an. Es kommt zu vereinzelten

Sprengstoffanschlägen und in der traditionellen Herz-Jesu-Nacht des Jahres 1961 zu

Anschlägen auf Masten der Elektroleitungen. Die Südtiroler Volkspartei, 1945 gegründet,

um als Sammelpartei die Interessen aller Südtiroler gegenüber dem Zentralstaat zu

vertreten, distanziert sich offiziell von den Gewaltakten. Erst Jahre später nimmt dazu

Landeshauptmann und SVP-Parteiobmann Silvius Magnago mit folgenden Worten

Stellung: "Man darf sich nicht wundern, wenn Südtiroler, die jahrelang zusehen mussten,

wie man bei Inanspruchnahme der demokratischen Mittel, d.h. auf dem Weg der

Verhandlungen, keinerlei Fortschritte erzielte, das Vertrauen in Instrumente der

Demokratie verloren." 12)

DIE UNO-RESOLUTIONEN

Zweimal befasst sich die Generalversammlung der Vereinten Nationen, im Oktober

1960 und im November 1961, auf Betreiben Österreichs und auf Antrag verschiedener

Staaten mit dem Südtirolproblem und der Durchführung des Pariser Vertrages. Die UNO

fordert Italien und Österreich zu Verhandlungen auf, "um eine Lösung aller Differenzen

hinsichtlich der Durchführung des Pariser Vertrages" zu finden. 13)

VII. Resolution 1497 (XV) of 31. October 1960, going back to the Seventeen powers-

Draft Resolution A/SPC/L50 of 27. October (Argentina, Bolivia, Brazil, Canada,

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Ceylon, Cyprus, Denmark, Ecuador, Ghana, India, Iraq, Ireland, Jordan, Mexico,

Norway, Paraguay and Uruguay).

The General Assembly,

Having considered item 68 of its agenda,

Considering that the status of the German-speaking element in the Province of Bolzano

(Bozen) has been regulated by an international agreement between Austria and Italy,

signed in Paris on 5 September 1946,

Considering that the said agreement establishes a system designed to guarantee the

German-speaking inhabitants of that Province “complete equality of rights with the Italian-

speaking inhabitants, within the frame work of special provisions to safe guard the ethnical

character and the cultural and economic development of the German-speaking element”,

Bearing in mind that a dispute has arisen between Austria and Italy in regard to the

implementation of the said agreement,

Desiderous of preventing the situation created by the dispute from impairing the friendly

relations between the two countries,

1. Urges the two parties concerned to resume negotiations with a view to finding a

solution for all differences relating to the implementation of the Paris agreement of 5th

September 1946,

2. Recommends that in the event of the negotiations referred to in paragraph 1 above not

leading to satisfactory results within a reasonable period of time, both parties should give

favourable consideration to the possibility of seeking a solution of their differences by any

of the means provided in the Charter of the United Nations including recourse to the

International Court of Justice or any other peaceful means of their own choice,ù

3. Likewise recommends that the countries in question should refrain from any action

which might impair their friendly relations.

IX. Resolution 1661 (XVI) of 28. November 1961, Draft Resolution A/SPC/L77/Rev. 1

& Add. 1 the nations: Argentina, Chile, Greece, Guatemala, India, Indonesia, Ireland,

Yemen, Panama, Peru, Sweden, Uruguay, United Arabian Republic and Cyprus.

The General Assembly,

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Recalling its resolution 1497 (XV) of 31st October 1960,

Noting with satisfaction the negotiations which are taking place between the two parties

concerned,

Noting further that the dispute remains as yet unresolved,

Calls for further efforts by the two parties concerned to find a solution in accordance with

paragraphs 1, 2 and 3 of the abovementioned resolution.

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DAS SÜDTIROLPAKET

Italien setzt im September 1961 eine eigene Studienkommission für die Probleme

des "Oberetsch" ein, die sogenannte 19er-Kommission. Das Ergebnis der zunächst

schleppend geführten Verhandlungen zwischen den beiden Staaten und der Arbeit der

19er-Kommission mündet schließlich in dem bekannten "Paket" von "Maßnahmen

zugunsten der Bevölkerung Südtirols". 14)

Die Südtiroler können sich nur schwerlich zur Annahme dieses Kompromisses

durchringen, weil dieser nicht alles enthält, was sie sich aufgrund des Pariser Vertrages

erwartet hatten. Mit knapper Mehrheit wird das Paket durch die vierte außerordentliche

Landesversammlung der Südtiroler Volkspartei in den frühen Morgenstunden am

23.11.1969 in Meran angenommen. 15)

Am 4. Dezember 1969 genehmigte die italienische Abgeordnetenkammer, am 5.

Dezember desselben Jahres der italienische Senat, das Paket und am 16. Dezember

1969 der Österreichische Nationalrat. Es handelte sich dabei nicht um eine

Gesetzesmaßnahme, sondern um die Erklärung des Ministerpräsidenten bzw. des

österreichischen Bundeskanzlers vor dem Parlament mit zustimmendem Beschluss. Das

Paket stellt damit vor allem eine politische Verpflichtung und Grundlage der neuen

Autonomie dar. Dabei handelt es sich auch nicht um einen Vertrag zwischen Österreich

und Italien, da Italien immer den Standpunkt vertrat, es handle sich um ausschließlich

innere Angelegenheiten Italiens. Trotzdem kann die internationale Verankerung nicht

geleugnet werden. Darauf verweisen vor allem:

- der Pariser Vertrag selbst um dessen Durchführung es geht;

- die UNO-Resolutionen, die die Staaten zum Verhandeln auffordern;

- die bilateralen Verhandlungen zwischen Italien und Österreich;

- das Verhandlungsergebnis, in das die Verhandlungen münden, das zwar getrennt

als Verpflichtung von den beiden Parlamenten genehmigt wird, aber durch den

abgesicherten Stufenplan des Operationskalenders gegenseitige Verpflichtungen

beinhaltet;

- der vereinbarte Text der österreichischen Schlusserklärung.

WAS ENTHÄLT DAS PAKET

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Das sogenannte Südtirolpaket enthält 137 Maßnahmen, 25 "Submaßnahmen"

(Präzisierung) und 31 Fußnoten (Auslegungsregeln). Die offizielle Bezeichnung des

Paketes lautet "Misure a favore delle popolazioni alto-atesine", "Maßnahmen zugunsten

der Bevölkerung Südtirols".

Das Paket ist also die politische Verpflichtung, eine Reihe von Maßnahmen

zugunsten Südtirols zu erlassen, die teils mit Verfassungsgesetz (Autonomiestatut), teils

mit Durchführungsbestimmungen, teils mit ordentlichen Gesetzen und teils mit

Verwaltungsverfügungen zu erfüllen sind. Das Paket ist also keinesfalls mit dem

Autonomiestatut gleichzusetzen, das nur einen Teil der Durchführung des Paketes, wenn

auch den wichtigsten Teil, darstellt.

Das Paket gliedert sich in folgende Teile:

I. Maßnahmen, die im Rahmen von Abänderungen des bestehenden Sonderstatutes für

Trentino-Südtirol zu treffen sind (Maßnahmen 1 bis 72):

Durch diese Abänderungen am alten Statut von 1948 sollen die Zuständigkeiten

des Landes wesentlich erweitert werden. Auch wird die grundlegende Bestimmung

eingeführt, dass zum "nationalen Interesse auch der Schutz der örtlichen sprachlichen

Minderheit zählt". Die Provinzen Bozen und Trient werden mit einer Reihe von

Zuständigkeiten auf kulturellem, wirtschaftlichem, ökologischem und sozialem Gebiet

ausgeschaltet, die vorher dem Staat selbst oder der Region vorbehalten waren.

II. Maßnahmen, die durch Einfügung neuer Bestimmungen in das bestehende

Sonderstatut für Trentino-Südtirol zu treffen sind (Maßnahmen 73 bis 97):

Hier geht es um die sekundäre Zuständigkeit an die beiden Provinzen von Bozen

und Trient über die öffentlichen Betriebe und das Lizenzwesen, um ergänzende

Zuständigkeiten auf dem Arbeitsmarkt, um die Zuerkennung eines eigenen Banner und

Wappens, um den Vorrang der ansässigen Arbeitskräfte bei der Arbeitsvermittlung, um die

Anfechtung beim Verfassungsgerichtshof, um den ethnischen Proporz und um eine Reihe

anderer Bestimmungen, die die Autonomie der beiden Länder ergänzen.

Die Maßnahmen zu I und II mussten als Änderungen und Ergänzungen am

Autonomiestatut als Verfassungsgesetze verabschiedet werden.

III. Maßnahmen, die mit Durchführungsbestimmungen zum Sonderstatut zu treffen sind

(Maßnahmen 98 bis 105):

Hier geht es um den Schutz der Sprache bei der Polizei und vor Gericht und die

Pflicht zur Zweisprachigkeit bei der Aufnahme im öffentlichen Dienst, um den Unterricht in

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deutscher Sprache am Musikkonservatorium und die Gerichtsprotokolle und um die

Ausweitung des Proporzes auf INPS, INAIL und andere zwischenzeitlich abgeschaffte

Körperschaften.

Zu diesen im Paket aufgezählten Bereichen kommen die

Durchführungsbestimmungen, die zur Umsetzung der neuen ausgeweiteten Autonomie (I

und II) notwendig sind. 16)

IV. Maßnahmen, die mit entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen zu treffen sind

(Maßnahmen 106 bis 120):

Hier geht es um die erleichterte Einfuhr von Filmen, um die Aufteilung des Materials

des Staatsarchivs, um statistische Daten, um die Neueinteilung der Senatswahlkreise, um

die Zuständigkeiten der Wirtschaftsentwicklung, um den Übergang der

Gemeindesekretäre, um Mitspracherechte beim Meldewesen, um die Anerkennung der

Dentistendiplome und die Rückführung der deutschen Tauf- und Schreibnamen und um

das Recht, Gemeindebetriebe für die Elektroenergie einzurichten, um die Entschädigung

von Schutzhütten und die Auflösung des Ente per le tre Venezie.

V. Maßnahmen, die mit Verwaltungsverfügungen zu treffen sind (Maßnahmen 121 bis

129):

Dazu gehören die getrennte Verwendung der deutschen und italienischen Sprache

auf Schildern, bei Ausstellungen, Aushängetafeln oder Mitteilungen, die Zuerkennung der

Staatsangehörigkeit an die Ex- Optanten, die Anerkennung des Südtiroler Kriegsopfer-

und Frontkämpferverbandes und des Südtiroler Alpenvereines, ein Abkommen mit der

deutschen Bundesregierung für die eventuelle Rückgewinnung und Rückerstattung von

Guthaben und Geldern der ehemaligen Optanten, die Genehmigung einer Provinz-

Kreditkasse der örtlichen Raiffeisenkassen und anderes.

VI. Maßnahmen, die Gegenstand der Prüfung seitens der Regierung sein werden

(Maßnahmen 130 bis 136):

Studium eines Systems, um zu verhindern, dass die Militärstimmen bei den

politischen Wahlen in Südtirol höher als im Durchschnitt Italiens sind, der Bereinigung der

Stellung der Rück- Optanten und deren vermögens- und familienrechtlicher Positionen

sowie Anerkennung entsprechender Studientitel, Anwendung des Grundsatzes, daß unter

dem Begriff "Schmähung der Nation" auch die Beleidigung der Traditionen, Sprache und

Kultur der sprachlichen Minderheiten fällt und die Rückgliederung des Deutschnonsberges

an das Bezirksgericht Meran.

VII. Interne Garantien (Maßnahme 137):

Page 18: Die Autonomie Südtirols

17

Diese Maßnahme ist für die Nachpaket-Ära von großer Bedeutung. Sie sieht die

Einrichtung einer ständigen Kommission beim Ministerratspräsidium für die Probleme der

Provinz Bozen vor, die laut Proporz zusammengesetzt ist. Diese sogenannte "137er-

Kommission" hat die Aufgabe, die mit dem Schutz der örtlichen sprachlichen Minderheiten

und mit der weiteren kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung der

Bevölkerung Südtirols besonders zusammenhängenden Probleme zu prüfen, mit dem Ziel,

deren friedliches Zusammenleben auf der Grundlage voller Gleichheit der Rechte und

Pflichten sicherzustellen.

SUBMAßNAHMEN (PRÄZISIERUNGEN)

Dabei geht es nicht nur um Auslegungsformeln, die im Zuge der anschließenden

Verhandlungen erzielt werden konnten, sondern auch um ergänzende Maßnahmen, wie

beispielsweise die Verpflichtung der RAI, dass das mit den deutschsprachigen und

ladinischen Programmen betraute Personal der jeweiligen Sprachgruppe angehören

muss, die Ernennung des Koordinators der deutschen Programme, ergänzende

Bestimmungen für das Verwaltungsgericht und anderes mehr.

Die Landesversammlung der SVP in Meran hat über einen Text abgestimmt

(sogenanntes Magnago-SVP-Paket), das die Sachgebiete geordnet (Wirtschaft, Schule

usw.) und die Präzisierungen des italienischen Textes in den SVP Haupttext

aufgenommen hat. Der Text ist nicht eine strenge Übersetzung, sondern es wurden neue

Formulierungen aufgenommen, andere weggelassen. Die Fußnoten zum "Magnago-SVP-

Paket" sind Auslegungsformen, die im italienischen Text nicht aufscheinen und die in

zusätzlichen Briefwechseln festgehalten sind. Auch in der Einführungsrede zur

außerordentlichen Landesversammlung in Meran, am 22.11.1969, fügte Magnago noch

einige Korrekturen hinzu.

DER OPERATIONSKALENDER

Der Operationskalender legt in 18 Punkten die einzelnen Schritte zur Umsetzung

des Paketes und zur Ausräumung des Streites vor den Vereinten Nationen bis zum

Abschluß eines Freundschaftsvertrages fest:

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1. Paraphierung des Vertrages zur Abänderung des Artikels 27 lit. a) des

Europäischen Übereinkommens zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten in den

Beziehungen zwischen Österreich und Italien.

2. Abänderung des Artikels 18 des Regolamento zum Text der Gesetze über die

öffentliche Sicherheit sowie Zuerkennung der Rechtspersönlichkeit an den Südtiroler

Kriegsopfer- und Frontkämpferverband und an den Südtiroler Alpenverein.

3. Erklärung des italienischen Ministerpräsidenten vor dem Parlament mit

zustimmendem Beschluß.

4. Erklärung des österreichischen Bundeskanzlers vor dem Nationalrat mit

zustimmendem Beschluß.

5. Einsetzung des italienischen Vorbereitenden Komitees der Maßnahmen für Südtirol.

6. Mündliche Erklärungen des österreichischen und des italienischen Delegierten vor

der Generalversammlung der Vereinten Nationen. (Zeitlich verschiebbar, je nach dem

Termin der Generalversammlung).

7. Erstes Votum über das italienische Verfassungsgesetz in Kammer und Senat.

8. Unterzeichnung des unter 1. erwähnten Vertrages.

9. Parlamentarische Verabschiedung des unter 1. erwähnten Vertrages und

gleichzeitig endgültige Verabschiedung des italienischen Verfassungsgesetzes.

10. Verabschiedung der einfachen italienischen Gesetze.

11. Erlassung der Durchführungsbestimmungen zum italienischen Verfassungsgesetz.

12. Publikation des Dekretes betreffend den Übergang der Ämter und des Personals

von der Region auf die Provinz entsprechend den neuen Kompetenzen der Provinz.

13. Abgabe der österreichischen Schlußerklärung innerhalb von 50 Tagen nach

Erlassung der letzten Durchführungsbestimmungen und Austausch der

Ratifikationsurkunden des unter 1. erwähnten Vertrages am Tage vor Ablaufen dieser

Frist. (Der Lauf dieser Frist würde bis zur Veröffentlichung des unter 12. erwähnten

Dekretes gehemmt werden, falls das Dekret nicht innerhalb von 30 Tagen ab Erlassung

der letzten Durchführungsbestimmung zum Verfassungsgesetz ergangen ist.)

14. Italienische Verbalnote, welche die österreichische Schlußerklärung zur Kenntnis

nimmt.

15. Notifizierung der Streitbeendigung an den Generalsekretär der Vereinten Nationen

seitens der österreichischen und der italienischen Regierung.

16. Notifizierung des unter 1. erwähnten Vertrages an den Kanzler des Internationlen

Gerichtshofes seitens der österreichischen und der italienischen Regierung.

Page 20: Die Autonomie Südtirols

19

17. Notifizierung des unter 1. erwähnten Vertrages an den Generalsekretär des

Europarates seitens der österreichischen und der italienischen Regierung.

18. Allfälliger Abschluß eines österreichisch-italienischen Vertrages betreffend die

freundschaftliche Zusammenarbeit. 16)

Die ersten zwölf Punkte betreffen die Durchführung des Paketes. Ab dem Punkt

dreizehn beginnt die Phase der Streitbeilegung mit einer Schlußerklärung seitens

Österreichs deren Notifizierung an die Vereinten Nationen, den Internationalen Gerichtshof

und den Europarat. Punkt achtzehn sieht den allfälligen Abschluß eines österreichisch-

italienischen Vertrages betreffend die freundschaftliche Zusammenarbeit vor.

DAS NEUE AUTONOMIESTATUT VON 1972

In Durchführung des Südtirol-Paketes erläßt das italienische Parlament das

Verfassungsgesetz Nr. 1/1971, das Änderungen und Ergänzungen zum Sonderstatut für

Trentino-Südtirol von 1948 vorsieht. Das neue Autonomiestatut ist am 20. Jänner 1972, 15

Tage nach seiner Veröffentlichung im Gesetzsanzeiger der Republik in Kraft getreten. Am

31. August 1972 wurde mit DPR Nr. 670 der Einheitstext herausgegeben, das neue

Autonomiestatut in einheitlicher Fassung. Zur Verwirklichung der Verfassungsgrundsätze

der Autonomie muß die Regierung auf Vorschlag einer paritätischen Kommission (12er-

Kommission für die Region und die beiden Provinzen, 6er-Kommission für die Provinz

Bozen) Durchführungsbestimmungen erlassen. Der Artikel 108 des Autonomiestatutes

sieht vor, daß die entsprechenden Durchführungsbestimmungen innerhalb von zwei

Jahren nach Inkrafttreten des Statutes selbst erlassen sein müssen. Bis zum 20. Jänner

1974 hätten also die Durchführungsbestimmungen erlassen sein müssen. Das

Autonomiestatut steht im Rang eines Verfassungsgesetzes und bedurfte zu seiner

Genehmigung der von der Verfassung vorgesehenen doppelten Lesung und qualifizierten

Mehrheit: Verfassungsgesetze müssen von jeder Kammer zweimal - mit einer

Zwischenzeit von mindestens drei Monaten - angenommen werden. Bei der zweiten

Lesung braucht es in beiden Kammern die absolute Mehrheit der Mitglieder.

Damit steht das Autonomiestatut in der Stufenordnung der italienischen

Rechtsquellen mit der Verfassung an der Spitze. Gleich darunter stehen die

Durchführungsbestimmungen zum Statut, gefolgt von den einfachen Staatsgesetzen und

schließlich von den Verordnungen.

Page 21: Die Autonomie Südtirols

20

Für die Abänderungen zum Autonomiestatut braucht es (gemäß Artikel 103)

dasselbe in der Verfassung vorgesehene Verfahren, das für Verfassungsgesetze

notwendig ist. Einzige Ausnahmen dazu: Der Artikel 13 des Statutes (Konzessionen für

große Wasserableitungen), der sechste Abschnitt des Statutes (Finanzen der Region und

der Provinzen), der tatsächlich auch schon mit Staatsgesetz vom 30. November 1989 Nr.

386 abgeändert wurde, sowie die Artikel 30 und 49 (über die Ablösung des Präsidenten

des Regionalrates und des Südtiroler Landtages); diese können mit einfachem

Staatsgesetz auf einvernehmlichem Antrag der Regierung und - je nach Zuständigkeit -

der Region oder der beiden Provinzen abgeändert werden.

Das Autonomiestatut umfaßt 115 Artikel, die in zwölf Abschnitte gegliedert sind:

I. ABSCHNITT

Errichtung der Region Trentino-Südtirol und der Provinzen Trient und Bozen (Artikel 1 bis

23)

Dieser Abschnitt enthält allgemeine Bestimmungen über die Autonomie, die

Gleichheit der Bürger jeder Sprachgruppe, die Zuerkennung von Banner und Wappen, die

Befugnisse der Region, die Befugnisse der Provinzen, gemeinsame Bestimmungen für

Region und Provinzen einschließlich der Regelung der Sprachen in den Schulen.

II. ABSCHNITT

Organe der Region und der Provinzen (Artikel 24 bis 54)

In diesem zweiten Abschnitt werden die Organe der Region und der beiden

Provinzen und deren Funktionieren geregelt. Der Regionalrat wird nach dem

Verhältniswahlsystem in allgemeiner, unmittelbarer und geheimer Wahl gewählt. Die Zahl

der Abgeordneten beträgt 70. Die Voraussetzung für die Ausübung des aktiven

Page 22: Die Autonomie Südtirols

21

Wahlrechtes ist eine vierjährige ununterbrochene Ansässigkeit im Gebiet der Region. Die

Amtsdauer beträgt fünf Jahre. Die Abgeordneten dürfen wegen der in Ausübung ihrer

Befugnisse geäußerten Ansichten und abgegebenen Stimmen nicht zur Verantwortung

gezogen werden.

Es folgen die Bestimmungen über die Wahl des Präsidenten und des

Vizepräsidenten sowie über das Funktionieren des Regionalrates.

Die beiden Landtage von Bozen und Trient bestehen jeweils aus den in der

betreffenden Provinz gewählten Mitgliedern des Regionalrates. Die Landtage funktionieren

nach derselben Arbeitsweise wie der Regionalrat. Analog dem Regionalrat ist ein Wechsel

des Präsidenten in der Mitte der Legislaturperiode vorgesehen. In den ersten zweieinhalb

Jahren ist der Präsident des Regionalrates ein Italiener, der Präsident des Landtages ein

deutscher Abgeordneter, in der zweiten Hälfte ist es umgekehrt dasselbe gilt für die

Vizepräsidenten.

Im zweiten Abschnitt folgen die Aufgaben von Landeshauptmann und

Landesausschuß.

III. ABSCHNITT

Genehmigung, Beurkundung und Kundmachung der Gesetze und Verordnungen der

Regionen und der Provinzen (Art. 55 bis 60)

Dieser Abschnitt regelt den Weg der Landes- und Regionalgesetze, einschließlich

der Möglichkeit der Rückverweisung seitens der römischen Regierung und die

Anfechtungen beim Verfassungsgerichtshof. Schließlich wird bestimmt, daß die Regional-

und Landesgesetze im Amtsblatt der Region in italienischem und deutschem Wortblatt

kundgemacht werden. Sie treten am fünfzehnten Tage nach ihrer Kundmachung in Kraft.

IV. ABSCHNITT

Örtliche Körperschaften (Art. 61 bis 65)

Dieser Abschnitt verankert den Proporz bei den örtlichen öffentlichen

Körperschaften und das Vertretungsrecht der Ladiner im Regionalrat, im Landtag und in

den Kollegialorganen der örtlichen öffentlichen Körperschaften der Provinz Bozen.

Page 23: Die Autonomie Südtirols

22

V. ABSCHNITT

Öffentliches Gut und Vermögen der Region und der Provinzen

(Art. 66 bis 68)

Straßen, Autobahnen, Eisenbahnen und Wasserleitungen, die ausschließlich von

regionalem Interesse sind, gehören zum öffentlichen Gut der Region. Dasselbe gilt für

Forste, Bergwerke, Gruben, Steinbrüche und Torfstiche, wie auch für öffentliche Gebäude

der Region. Die Durchführungsbestimmungen haben die Güter definiert.

Die Provinzen treten auf ihrem Gebiet entsprechend den in ihre Zuständigkeit

fallenden neuen Sachgebieten die Nachfolge des Staates und der Region an, in bezug auf

die Güter und das Vermögen. Ausgeschlossen sind auf alle Fälle die Güter des

militärischen öffentlichen Gutes, solche die sich auf Dienste gesamtstaatlichen Charakters

beziehen und solche, die zu Sachgebieten regionaler Zuständigkeit gehören und somit

dort verbleiben.

VI. ABSCHNITT

Finanzen der Region und der Provinzen (Art. 69 bis 86)

Dieser Teil wurde - wie bereits ausgeführt - mit Staatsgesetz Nr. 386/89 novelliert

und enthält die Finanzierung der Autonomie.

VII. ABSCHNITT

Beziehungen zwischen Staat Region und Land (Art. 87 und 88)

Dieser Abschnitt legt die Aufgabenbereiche des Regierungskommissars fest.

DIE GESETZGEBUNGSBEFUGNIS UND DAS ZENTRALISTISCHE PRINZIP

Page 24: Die Autonomie Südtirols

23

Die Zuständigkeiten, innerhalb derer die Region bzw. die autonomen Provinzen

Bozen und Trient Gesetze erlassen können, sind in der Hauptsache in den Artikeln 4 bis

19 des Autonomiestatutes enthalten. Es handelt sich dabei um eine taxative Aufzählung

der Sachbereiche, die in die Autonomie fallen. Dies bedeutet natürlich auch, daß alle jene

Bereiche, die nicht ausdrücklich aufgezählt sind, automatisch in die Zuständigkeit des

Staates fallen.

In den nach dem föderalistischen Prinzip aufgebauten Bundesstaaten hingegen,

geht die Generalklausel zugunsten der Länder. Der Ansatz ist genau umgekehrt: Nach

dem Subsidiaritätsprinzip gehören die Zuständigkeiten zunächst den überschaubaren

örtlichen Gemeinschaften, welche einen Teil davon zwecks gemeinsamer Gestaltung dem

Bund übertragen. In den Verfassungen der föderativen Staaten, beispielsweise

Österreichs und Deutschlands, sind die Zuständigkeiten des Staates taxativ aufgezählt.

Die Generalklausel geht zugunsten der Länder: Alles was nicht dem Staat vorbehalten ist,

gehört automatisch dem Bundesland.

Dieses föderative Prinzip bildet auch die Grundlage des neuen, italienischen

Verfassungsentwurfes, den der Verfassungsausschuß des Abgeordnetenhauses, am 12.

März 1991, auf Vorschlag des Kommissionspräsidenten Labriola als Arbeitsgrundlage

genehmigte.

Abgesehen von der hohen Qualität dieses föderalistischen Prinzipes bedeutet es

gleichzeitig, daß mögliche neue Bereiche, die sich durch die Entwicklung ergeben oder die

einfach nicht erwähnt wurden, in die Zuständigkeit der Länder fallen, während in Italien

solche neue Bereiche zur Zeit automatisch dem Staat gehören.

DIE QUALITÄT DER ZUSTÄNDIGKEITEN UND IHRE GRENZEN

Die Gesetzgebungsbefugnisse des Regionalrates bzw. der Landtage als

Gesetzgebungsorgane sind auch im Bereich der eigenen Zuständigkeiten nicht

unbeschränkt, sondern unterliegen ganz klaren Grenzen, die in den Artikeln 4 und 5 genau

angeführt sind.

Primäre oder ausschließliche Zuständigkeit

Page 25: Die Autonomie Südtirols

24

Die Regional- und Landesgesetzgebung hat sich innerhalb folgender Grenzen zu

bewegen:

1. "In Übereinstimmung mit der Verfassung" - eine Grenze, die überhaupt nicht

angeführt werden müßte, da die Verfassung und das Autonomiestatut als gleichrangig

anzusehen sind.

2. "und den Grundsätzen der Rechtsordnung des Staates" - es wäre zu untersuchen,

welche Grundsätze wohl dazugehören, die nicht schon in der Verfassung ihre Grundlage

haben, wie Gleichheit, Freiheit, Demokratie usw.

3. "unter Achtung der internationalen Verpflichtungen" - dieser Einschränkung muß

große Bedeutung beigemessen werden, da in Zukunft immer mehr Zuständigkeiten von

der EG wahrgenommen werden, die direkt in die Landeskompetenzen hineinreichen und

sich nicht mehr auf dem Bereich der Landwirtschaft beschränken.

4. "der nationalen Interessen - in welchen jenes des Schutzes der örtlichen,

sprachlichen Minderheiten inbegriffen ist" - dieser Begriff des nationalen Interesses ist in

der Rechtslehre sehr umstritten, da er wenig konkret ist und daher mit einer gewissen

Willkür angewandt werden könnte. In der Tat hat sich die Regierung bisher in letzter

Instanz niemals darauf berufen, weil ein solcher Interessensgegensatz in der Sache nicht

beim Verfassungsgerichtshof, sondern vor den Kammern ausgetragen werden müßte.

Eine Absicherung bildet auf jeden Fall auch der Vermerk, daß der Schutz der Minderheiten

ebenfalls ein nationales Interesse darstellt.

5. "sowie der grundlegenden Bestimmungen der wirtschaftlich-sozialen Reformen der

Republik" - diese stellt sicher die einschneidenste und schärfste Beschneidung der

Autonomie dar, da sie jedesmal geltend gemacht werden kann, wenn der Staat ein Gesetz

mit Reformcharakter erläßt.

Diesen fünf Grenzen der Gesetzgebung ist auf jeden Fall die territoriale Grenze

hinzuzufügen, die zwar nicht ausdrücklich aufgezählt ist, die sich aber aus den

Grundsätzen der Rechtsordnung des Staates (Punkt 2) ergibt. Natürlich bedeutet das, daß

Landesgesetze nur in Südtirol bzw. im Trentino gelten können und nicht außerhalb des

Territoriums. Mit Hinweis auf diese Grenze wurde beispielsweise ein Landesgesetz

rückverwiesen, mit dem der Bau eines Studentenheimes in Innsbruck gefördert werden

sollte.

Sekundäre oder konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis

Page 26: Die Autonomie Südtirols

25

In diesem Bereich ist die Grenze nochmals enger gesetzt: Zu den oben angeführten

Grenzen kommt eine weitere hinzu:

"Im Rahmen der in den Gesetzen des Staates festgelegten Grundsätze". Im

sekundären Bereich haben also die Region und das Land bei ihrer Gesetzgebung auch

die Grundsätze der einfachen Staatsgesetze zu beachten.

Tertiäre, ergänzende oder Ausführungsbefugnis

Diese im Artikel 6 für die Region (Sozialvorsorge und Sozialversicherung) und im

Artikel 10 für die Provinzen (Arbeitsvermittlung und -zuweisung) vorgesehene

Zuständigkeit gibt der Region bzw. dem Land die Möglichkeit in "Ergänzung der

Vorschriften der Gesetze des Staates" weitere Gesetzesbestimmungen zu erlassen; d.h.

die Staatsgesetze gelten uneingeschränkt auch im Land und in der Region, sie können

nicht abgeändert werden, wohl aber können zusätzliche Bestimmungen erlassen werden.

DIE WICHTIGSTEN BEFUGNISSE DER REGION

Die Zuständigkeiten sind in den Artikeln 4 (primär), 5 (sekundär), 6 (tertiär) und 7

(ohne genaue Präzisierung) angeführt. Die wichtigsten Zuständigkeiten sind sogenannte

Ordnungskompetenzen, die also den Rahmen für die Gesetzgebung festzulegen haben.

Im primären Bereich ist die Region unter anderem zuständig für:

- die Ordnung der regionalen Ämter und des Personals;

- die Ordnung der halbregionalen Körperschaften;

- die Abgrenzung von Gemeindegebieten;

- die Enteignung aus Gründen der Gemeinnützigkeit, insofern sie nicht Arbeiten zu

Lasten des Staates und der Provinzen betreffen;

- die Anlegung und Führung der Grundbücher;

- die Feuerwehrdienste;

- die Ordnung des Gesundheitswesens;

- die Ordnung der Handelskammern;

- die Entfaltung und Aufsicht über das Genossenschaftswesen.

Page 27: Die Autonomie Südtirols

26

Sekundär ist die Region zuständig für:

- die Ordnung der Gemeinden;

- die Ordnung der öffentlichen Fürsorge und Wohlfahrtseinrichtungen;

- die Ordnung der Körperschaften für Boden- und Agrarkredit, der Sparkassen und

der Raiffeisenkassen sowie der Kreditanstalten regionalen Charakters.

Über tertiäre Zuständigkeiten verfügt die Region im Bereich der Sozialvorsorge und

-versicherung; sie kann auch eigene autonome Institute errichten.

Weiters kann die Region - nach Befragung der betroffenen Bevölkerung - neue

Gemeinden errichten, ihre Gebiete abgrenzen und die Benennungen ändern.

Das Antragsrecht

Auf Sachgebieten, die nicht in die Zuständigkeit der Region fallen, die aber für sie

von besonderem Interesse sind, kann der Regionalrat Begehrensanträge und -

gesetzentwürfe verabschieden, die dem Parlament vorgelegt werden (Artikel 35 des

Autonomiestatutes).

Wahl des Staatspräsidenten: An der Wahl des Präsidenten der Republik nimmt der

Regionalrat mit drei Abgeordneten, die vom Regionalrat gewählt werden, teil.

DIE ZUSTÄNDIGKEITEN DER PROVINZEN

Die primären Zuständigkeiten Südtirols (und natürlich des Trentinos) sind im Artikel

8 des Autonomiestatutes taxativ aufgeführt. Sie umfassen (zusammenfassend):

- Ordnung der Landesämter und des Personals;

- Ortsnamensgebung, mit der Pflicht zur Zweisprachigkeit in Südtirol;

- Schutz und Pflege der geschichtlichen, künstlerischen und volklichen Werte;

- örtliche Sitten und Bräuche sowie kulturelle Einrichtungen, örtliche, künstlerische,

kulturelle und bildende Tätigkeiten, für die (in Südtirol) auch Hörfunk und Fernsehen

eingesetzt werden können, unter Ausschluß der Befugnis eigene Hörfunk- und

Fernsehstationen zu errichten;

Page 28: Die Autonomie Südtirols

27

- Raumordnung und Bauleitpläne;

- Landschaftsschutz;

- Gemeinnutzungsrechte;

- Ordnung der Mindestkultureinheiten und der geschlossenen Höfe;

- Handwerk;

- geförderter Wohnbau;

- Binnenhäfen;

- Messen und Märkte;

- Katastrophenvorbeugung und Hilfe;

- Bergbau, Mineral- und Thermalwässer, Gruben und Torfstiche;

- Jagd und Fischerei;

- Almwirtschaft sowie Pflanzen- und Tierschutzparke;

- Straßenwesen, Wasserleitungen und öffentliche Arbeiten im Interessensbereich der

Provinz;

- Kommunikations- und Transportwesen im Interessensbereich der Provinz

einschließlich der Seilbahnen;

- Übernahme öffentlicher Dienste;

- Fremdenverkehr und Gastgewerbe;

- Landwirtschaft, Forstwesen, Vieh- und Fischbestand;

- Enteignungen im Bereich der Landeszuständigkeit;

- Gemeinde- und Landeskommissionen der Arbeitsvermittlung;

- Wasserbauten der dritten, vierten und fünften Kategorie;

- öffentliche Fürsorge und Wohlfahrt;

- Kindergärten;

- Schulfürsorge;

- Schulbau;

- Berufsertüchtigung, -ausbildung.

Sekundäre Zuständigkeiten des Landes:

- Ortspolizei in Stadt und Land;

- Unterricht an den Grund-, Mittel- und Oberschulen;

- Handel;

- Lehrlingswesen, Arbeitsbücher, Berufsbezeichnungen;

- Kontrolle der Arbeitsvermittlung;

- öffentliche Vorführungen;

Page 29: Die Autonomie Südtirols

28

- öffentliche Betriebe;

- Förderung der Industrie;

- Nutzung der öffentlichen Gewässer, mit Ausnahme der Großableitungen zur

Erzeugung von Strom;

- Hygiene und Gesundheitswesen;

- Sport und Freizeit mit den entsprechenden Anlagen.

Tertiäre Zuständigkeiten:

Auf dem Gebiete der Arbeitsvermittlung und -zuweisung, sowie für den Vorrang der

ansässigen Bürger bei der Arbeitsvermittlung.

Die weiteren Artikel (11 bis 15) sehen weitere Zuständigkeiten im Bereich der

Eröffnung und Verlegung von Bankschaltern, der Konzession für große

Wasserableitungen, dem Kommunikations- und Transportwesen und der

Industrieförderung vor.

DIE VERWALTUNGSBEFUGNISSE

Auf den Sachgebieten und in den Grenzen, innerhalb derer die Region oder die

Provinzen Gesetzesbestimmungen erlassen können, werden die Verwaltungsbefugnisse,

die nach der früheren Ordnung dem Staate zustanden, von der Region bzw. von der

Provinz ausgeübt (Artikel 16 des Autonomiestatutes). Neben der

Gesetzgebungsautonomie besteht also eine Verwaltungsautonomie, die sich in der Regel

damit deckt. Das Land und die Region sind auch für die Verwaltung und Durchführung der

eigenen Gesetze zuständig.

Darüber hinaus kann der Staat der Region, der Provinz und anderen öffentlichen

örtlichen Körperschaften eigene Befugnisse (mit Gesetz) zur Verwaltung übertragen.

Die Region übt in der Regel die Verwaltungsbefugnisse aus, indem sie diese den

Provinzen, den Gemeinden und anderen örtlichen Körperschaften überträgt oder sich

deren Ämter bedient. Ebenso können die Provinzen einige ihrer Verwaltungsbefugnisse

den Gemeinden oder anderen örtlichen Körperschaften übertragen oder sich deren Ämter

bedienen (Artikel 18 des Statutes).

Page 30: Die Autonomie Südtirols

29

DIE ORGANE DER REGION

Das gesetzgebende Organ ist der Regionalrat, der sich aus 70 Abgeordneten

zusammensetzt. Die Aufteilung der Sitze erfolgt zwischen den Wahlkreisen Bozen und

Trient gemäß den Ergebnissen der Volkszählung und beträgt derzeit 35 zu 35. Die

Amtsdauer des Regionalrates beträgt fünf Jahre. Seine Tätigkeit wickelt sich in zwei

Zeitabschnitten gleicher Dauer ab. Während der ersten Hälfte tagt der Regionalrat in

Trient, in der zweiten Hälfte in Bozen.

Der Regionalrat wählt aus seiner Mitte den Präsidenten, den Vizepräsidenten und

die Sekretäre. Der Präsident des Regionalrates vertritt den Regionalrat nach außen, leitet

die Sitzungen und die Tätigkeit des Regionalrates (gemäß einer eigenen

Geschäftsordnung). Die Amtsdauer des Präsidenten und des Vizepräsidenten beträgt

zweieinhalb Jahre, dann erfolgt jeweils der Sprachgruppenwechsel.

Der Regionalrat wird vom Präsidenten in der ersten Woche eines jeden Halbjahres

zu einer ordentlichen Tagung einberufen, darüber hinaus natürlich zur Erledigung der

anstehenden Tagesordnungen.

Der Regionalausschuß ist das ausführende Organ und besteht aus dem

Präsidenten der Region, aus zwei Vizepräsidenten und aus Regionalassessoren. Der

Regionalausschuß wird vom Regionalrat gewählt und muß dem Sprachgruppenproporz

der Abgeordneten entsprechen.

ORGANE DER PROVINZ

Der Landtag ist das gesetzgebende Organ der Provinz. Die beiden Landtage

bestehen jeweils aus den in der betreffenden Provinz gewählten Mitgliedern des

Regionalrates. Ihre Amtsdauer beträgt fünf Jahre und sie wählen aus ihrer Mitte den

Präsidenten, den Vizepräsidenten und die Sekretäre (Artikel 48 des Statutes). Für den

Landtag gelten analog die Bestimmungen des Regionalrates der Artikel 27, 28, 29, 31, 32,

33 und 34 des Autonomiestatutes.

Page 31: Die Autonomie Südtirols

30

Der Landesausschuß ist das ausführende Organ des Landes. Die offizielle

Bezeichnung im Autonomiestatut lautet "Landesausschuß", vielfach wird aber auch

"Landesregierung" verwendet. Der Landesausschuß besteht aus dem Landeshauptmann,

zwei Landeshauptmannstellvertretern und den Landesräten. Sie werden vom Landtag aus

seiner Mitte in geheimer Abstimmung und mit absoluter Mehrheit gewählt. Die

Zusammensetzung des Landesausschusses von Südtirol muß im Verhältnis zur Stärke

der Sprachgruppen stehen, wie sie im Landtag vertreten sind. Von den

Landeshauptmannstellvertretern gehört einer der deutschen und einer der italienischen

Sprachgruppe an (Artikel 50 des Statutes).

DIE GESETZGEBUNG UND DIE RÜCKVERWEISUNG

Die Regional- und Landesgesetze werden vom Regionalrat bzw. vom Landtag

genehmigt. Sie treten aber damit noch nicht in Kraft.

Sie müssen dem Regierungs-Kommissar zugeleitet werden. Die Regierung prüft die

Gesetze auf ihre Rechtmäßigkeit und meritorisch auf einen möglichen Widerspruch mit

nationalen Interessen. Sie hat 30 Tage Zeit, dem Gesetz den Sichtvermerk zu erteilen

oder es - im negativen Falle - an den Regionalrat oder an den Landtag mit dem Einspruch

zurückzuverweisen, daß das Gesetz die entsprechenden Befugnisse überschreitet oder im

Gegensatz zu den nationalen Interessen oder zu denen einer der beiden Provinzen der

Region steht. Läßt die Regierung diesen 30-Tage-Termin untätig verstreichen, dann

werden die Gesetzesvorlagen beurkundet und treten nach der Veröffentlichung in Kraft.

Dasselbe gilt natürlich für Gesetze, die mit dem Sichtvermerk versehen wurden.

Rückverwiesene Gesetze kann der Regionalrat bzw. der Landtag entweder gemäß

den Einwänden der Regierung abändern oder er kann mit absoluter Stimmenmehrheit der

Mitglieder (im Landtag 18, im Regionalrat 36) einen Beharrungsbeschluß fassen, d.h. das

Gesetz in der gleichen Fassung nochmals beschließen. In diesem zweiten Falle kann die

Regierung das Gesetz nicht mehr rückverweisen, sondern nur mehr - innerhalb von 15

Tagen - beim Verfassungsgerichtshof (wegen Verfassungsmäßigkeit) anfechten oder vor

den Kammern den Interessensgegensatz in der Sache geltend machen. Bleibt die

Regierung untätig, so kann das Gesetz 15 Tage nach Übermittlung an den

Regierungskommissar beurkundet werden.

Page 32: Die Autonomie Südtirols

31

Wenn ein Gesetz vom Regionalrat oder vom Landtag mit der absoluten Mehrheit

seiner Mitglieder als dringlich erklärt wurde, so sind die Beurkundung und das Inkrafttreten

- sofern die Regierung zustimmt - nicht an die angegebenen Fristen gebunden.

Die Regional- und Landesgesetze werden vom Präsidenten der Region bzw. vom

Landeshauptmann beurkundet. Sie werden im Amtsblatt der Region in italienischem und

deutschem Wortlaut kundgemacht. Wenn es das Gesetz nicht anders bestimmt, treten sie

am 15. Tage nach ihrer Kundmachung in Kraft. In Zweifelsfällen erfolgt die Auslegung der

Rechtsvorschriften aufgrund des italienischen Wortlautes.

DER ETHNISCHE PROPORZ

Der ethnische Proporz bedeutet, daß den drei Sprachgruppen in Südtirol das Recht

eingeräumt wird, in gewissen Bereichen im Verhältnis zu ihrer zahlenmäßigen Stärke

berücksichtigt zu werden.

Seine zwischenstaatliche Verankerung sowie rechtliche Grundlage findet der

ethnische Proporz im Artikel 1/d des Pariser Vertrages ("equality of rights as regards the

entering upon public offices, with a view to reaching a more appropriate proportion of

employment between the two ethnical groups"), in den Maßnahmen 92, 94 (mit Fußnote

20), 95 und 96 sowie 105 des Paketes, in einer Reihe von Bestimmungen des neuen

Autonomiestatutes und in den Durchführungsbestimmungen, dem DPR 752/76 und einer

Reihe folgender Abänderungen und Ergänzungen dieses Dekretes.

Im Autonomiestatut ist der Proporz in sieben Artikeln verankert:

Artikel 15: Der Einsatz der Haushaltsmittel des Landes für Fürsorge-, soziale oder

kulturelle Zwecke erfolgt "im direkten Verhältnis zur Stärke und mit Bezug auf das Ausmaß

des Bedarfes einer jeden Sprachgruppe". Hier sind zwei Parameter angegeben Proporz

und Bedarf. Auf diesen Artikel beruht beispielsweise der Proporz im geförderten Wohnbau

und bei der Aufteilung des Kulturfondes des Landes.

Artikel 19: "Die Vertreter der Lehrkräfte im Landesschulrat werden vom

Lehrpersonal im Verhältnis zur Zahl der Lehrkräfte der einzelnen Sprachgruppen durch

Wahl bestimmt" (Artikel 19/13). - Hier ist der Bezugsrahmen das Sprachgruppenverhältnis

der Lehrkräfte.

Artikel 36: "Die Zusammensetzung des Regionalausschusses muß im Verhältnis

zur Stärke der Sprachgruppen stehen, wie sie im Regionalrat vertreten sind". - Hier ist der

Page 33: Die Autonomie Südtirols

32

Bezugsrahmen das Sprachgruppenverhältnis der Abgeordneten (genauso wie beim

Landesausschuß).

Artikel 49: Die Kommission zur Auflösung des Südtiroler Landtages muß "im

Verhältnis zur Stärke der Sprachgruppen stehen, die die Bevölkerung der Provinz bilden"

(Art. 49/3). - Hier wird eindeutig auf das Bevölkerungsverhältnis Bezug genommen.

Artikel 50: "Die Zusammensetzung des Landesausschusses von Südtirol muß im

Verhältnis zur Stärke der Sprachgruppen stehen, wie sie im Landtag vertreten sind". - Hier

ist der Bezugsrahmen das Sprachgruppenverhältnis der Abgeordneten.

Artikel 61: "In die Ordnung der örtlichen öffentlichen Körperschaften werden

Bestimmungen aufgenommen, um die verhältnismäßige Vertretung der Sprachgruppen

bei der Erstellung ihrer Organe zu gewährleisten. In den Gemeinden der Provinz Bozen

hat jede Sprachgruppe das Recht, im Gemeindeausschuß vertreten zu sein, wenn sie im

Gemeinderat mit wenigstens zwei Räten vertreten ist".

Artikel 89: "Die Stellen in den Stellenplänen nach Absatz 1 (Zivilbedienstete der

staatlichen Verwaltungen) werden, nach Verwaltung und Laufbahn gegliedert, Bürgern

jeder der drei Sprachgruppen vorbehalten, und zwar im Verhältnis zur Stärke der

Sprachgruppen, wie sie aus den bei der amtlichen Volkszählung abgegebenen

Zugehörigkeitserklärungen hervorgeht". - Das ist die zentrale Bestimmung, auf die sich der

ethnische Proporz bezieht und der festlegt, daß die Stellen im Staatsdienst im Proporz zu

vergeben sind. Gemäß Paketmaßnahmen erweitern die Durchführungsbestimmungen

diese Verpflichtung auf einige halbstaatliche Ämter (INPS und INAIL) und neuerdings auf

die Eisenbahn (DPR 32/91).

Der letzte Absatz des Artikel 89 weitet den Proporz auch auf die Richter- und

Gerichtsstellen aus: "Die Bestimmungen, wonach die in der Provinz Bozen bestehenden

Stellen vorbehalten und unter der italienischen und der deutschen Sprachgruppe im

Verhältnis zu ihrer Stärke aufzuteilen sind, werden auf die Bediensteten der

rechtssprechenden und untersuchenden Gerichtsbarkeit ausgedehnt" (...). "Die im vierten

Absatz dieses Artikels festgelegten Richtlinien für die Zuteilung der den Bürgern deutscher

Sprache vorbehaltenen Stellen werden auch auf die Gerichtsbediensteten in der Provinz

Bozen angewandt". - Interessant, daß bei den Richter- und Gerichtsstellen die Ladiner

vergessen wurden, was allerdings die Durchführungsbestimmung (DPR 752/76) nachholt.

Die Ladiner wurden übrigens im Pariser Vertrag überhaupt nicht erwähnt.

Page 34: Die Autonomie Südtirols

33

EIN AKT DER WIEDERGUTMACHUNG

Der komplizierte Mechanismus des ethnischen Proporzes, den es in ähnlicher Form

übrigens als Länderproporz bei den Verwaltungsstellen der Vereinten Nationen gibt, findet

seine geschichtliche Begründung in der Verdrängung der Südtiroler aus dem öffentlichen

Dienst in der Zeit des Faschismus'.

Vor der Annexion an Italien sind Beamte, Richter und Polizeikräfte im

deutschsprachigen Teil Tirols deutsch, mit derselben Selbstverständlichkeit, wie sie im

italienischsprachigen Teil, im Welschtirol hauptsächlich Italiener sind. Dasselbe gilt auch

für die Amtssprache: in Welschtirol italienisch, im Deutschtirol deutsch. 17)

Der Faschismus hatte sich in Südtirol zum Ziel gesetzt, die deutsche Sprache und

mit ihr die Beamtenschaft und Lehrer zu eliminieren, bzw. in die alten Provinzen zu

versetzen. Am 15. Juli 1923 verkündete Ettore Tolomei sein 32 Punkte umfassendes

Italianisierungsprogramm für Südtirol. Darin war die Ernennung italienischer

Gemeindesekretäre, die Einführung der italienischen Amtssprache, die Entlassung der

deutschen Beamten bzw. deren Versetzung nach Altitalien, die Verstärkung der

Carabinieritruppe unter Ausschluß deutscher Mannschaft, die Errichtung italienischer

Kinderasyle und Schulen, die Beseitigung deutscher Banken, die italienische

Gerichtssprache und anderes mehr vorgesehen, das somit die Südtiroler aus dem

öffentlichen Dienst verdrängte.

1928 beklagte Mussolini vor dem Parlament, "dass immer noch 376 einheimische

Beamte in der Stadt Bozen und 664 in der Provinz Bozen im Dienste sind. Nachdem all

dies nicht gewürdigt wird, werden diese Elemente demnächst vor die Alternative gestellt:

entweder Versetzung in die anderen Provinzen des Staates oder Entlassung aus dem

Dienst (...)". 18)

Im Jahre 1976 treten die neuen Proporzbestimmungen für Südtirol in Kraft. Das

demokratische Italien war bis dahin nicht imstande gewesen, das faschistische Unrecht

gegenüber Südtirol wieder gutzumachen. Die Zahl der deutschen und ladinischen

Bediensteten bei den Staatsämtern beträgt 1975 genau 824 (13,9 Prozent) von insgesamt

5.932. Von den rund 8.600 Sozialwohnungen waren bis 1959 mehr als 95 Prozent

ausschließlich Italienern zugewiesen worden. 19)

PROPORZ LAUT VOLKSZÄHLUNG 1981:

Page 35: Die Autonomie Südtirols

34

Das Ergebnis der Volkszählung von 1981 brachte folgendes Verhältnis, das für die

Berechnung des Proporzes bis zur nächsten Volkszählung gilt:

Deutsche Italiener Ladiner

66,4 % 29,4 % 4,2 %

DIE PARITÄT UND ROTATION

In einer Reihe von Bereichen ist es den Südtirolern bei den Paketverhandlungen

nicht gelungen, den Proporzgrundsatz durchzusetzen. Abgesehen davon, dass der

Proporz nicht für alle öffentlichen Stellen gilt (höherer Dienst der Zivilverwaltung des

Inneren, Sicherheitspolizei und alle militärischen Einrichtungen einschließlich der

Verwaltungsbediensteten des Verteidigungsministeriums), gibt es eine Reihe von

Bestimmungen, die eine "Parität" der deutschen und italienischen Sprachgruppe

vorsehen. Das bedeutet, dass statt dem Proporz (66:29:4) ein Verhältnis von 50 zu 50

angewandt wird. Die ersten Opfer sind die Ladiner, die bei dieser Zweiteilung gänzlich

ausgeschlossen bleiben. Die Parität ist in folgenden Verfassungsartikeln des

Autonomiestatutes vorgesehen:

Präsident und Vizepräsident des Regionalrates: Der Präsident und der

Vizepräsident des Regionalrates werden abwechselnd für jeweils 30 Monate aus den

Abgeordneten der italienischen bzw. der deutschen Sprachgruppe gewählt (Artikel 30). Im

Falle der Region geht die Parität ausnahmsweise zugunsten der deutschen Volksgruppe,

die dort nur ungefähr ein Drittel stellt.

Präsident und Vizepräsident des Südtiroler Landtages: Analog der regionalen

Regelung werden abwechselnd der Präsident und der Vizepräsident des Südtiroler

Landtages aus den Abgeordneten der deutschen bzw. der italienischen Sprachgruppe für

die Hälfte der Legislaturperiode gewählt (Artikel 49/2).

Abstimmung nach Sprachgruppen: "Wenn angenommen wird, dass ein

Gesetzesvorschlag die Gleichheit der Rechte zwischen den Bürgern verschiedener

Sprachgruppen oder die volkliche und kulturelle Eigenart verletzt, so kann die Mehrheit der

Abgeordneten einer Sprachgruppe im Regionalrat oder im Südtiroler Landtag die

Page 36: Die Autonomie Südtirols

35

Abstimmung nach Sprachgruppen verlangen" (Artikel 56/1) - in dieser Bestimmung sind

die Ladiner mit eingeschlossen.

Bilanzgarantie: "Auf Antrag der Mehrheit einer Sprachgruppe muss über die

einzelnen Kapitel des Haushaltsvoranschlages der Region und der Provinz Bozen nach

Sprachgruppen gesondert abgestimmt werden" (Artikel 84/2). Über die Haushaltsmittel,

"die nicht die Mehrheit der Stimmen jeder einzelnen Sprachgruppe erhalten", entscheidet

eine Kommission "mit paritätischer Zusammensetzung aus Vertretern der beiden stärksten

Sprachgruppen" (Artikel 84/3) - dieser Artikel kam bisher (1991) niemals zum Tragen.

Verwaltungsgericht Bozen: Die Mitglieder der autonomen Sektion des

Verwaltungsgerichtshofes Bozen "müssen in gleicher Zahl den zwei stärksten

Sprachgruppen angehören" (Artikel 91/1).

"Als Präsidenten der Sektion lösen sich für gleiche Zeiträume jeweils ein Richter

italienischer Sprache und ein Richter deutscher Sprache (...) ab" (Artikel 91/3).

Die "Sechserkommission": Während bei der sogenannten Zwölferkommission,

welche die Durchführungsbestimmungen zum Statut für die Region und die beiden

Provinzen ausarbeitet, drei Mitglieder der deutschen Sprachgruppe angehören müssen, ist

die Sechserkommission, eine Unterkommission für die Bestimmungen der Provinz Bozen,

paritätisch: "sie besteht aus sechs Mitgliedern, davon drei in Vertretung des Staates und

drei in Vertretung des Landes. Eines der Mitglieder in Vertretung des Staates muß der

deutschen Sprachgruppe, eines der Mitglieder in Vertretung des Landes muß der

italienischen Sprachgruppe angehören" (Artikel 107/2).

Kommissionen für die Zweisprachigkeitsprüfung: Auch die Kommissionen, welche

die Zweisprachigkeitsprüfung abnehmen, sind paritätisch. Die Kommissionen bestehen

aus vier ordentlichen und vier Ersatzmitgliedern, die zur Hälfte der deutschen und zur

Hälfte der italienischen Sprachgruppe angehören (Artikel 3/2 des DPR 752/76).

Prüfungskommissionen für staatliche Wettbewerbe: Die Prüfungskommissionen für

die Aufnahme in die örtlichen Stellenpläne der Staatsbediensteten bestehen aus sechs

Mitgliedern, davon drei italienischer und drei deutscher Muttersprache (Artikel 21/1 des

DPR 752/76).

Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die Parität zum Zwecke der

Gleichbehandlung der Bürger und speziell zum Schutz der italienischen Sprachgruppe

vorgesehen ist. Der Grundsatz des Proporzes (Schutz der deutschen und ladinischen

Minderheiten) wurde in besonderen Fällen zugunsten der Parität zurückgestellt.

Page 37: Die Autonomie Südtirols

36

DIE MITBETEILIGUNG AN DER STAATSVERWALTUNG

Die Rekrutierung der Bediensteten für die Staatsverwaltung in Südtirol aus der

örtlichen Bevölkerung gemäß Proporz bedeutet eine Beteiligung derselben an

Verwaltungskompetenzen, die sich der Staat vorbehalten hat. Die Bestimmungen des

Artikels 89 des Autonomiestatutes und der Durchführungsbestimmungen gehen noch weit

darüber hinaus. Sie bedeuten ein Stück Selbstverwaltung mehr, die sich in folgenden drei

wesentlichen Schwerpunkten ausdrückt:

1. Mitbestimmung des Landes: Dem Land wird eine klare Mitbestimmung in

Verwaltungsakten der staatlichen Verwaltung in Südtirol eingeräumt (über das

"Einvernehmenskomitee" Staat-Land gemäß Artikel 13, des DPR 752/76).

2. Dezentralisierte örtliche Verwaltung: Die Staatsämter in Südtirol werden

dezentralisiert und erhalten eine eigene örtliche Verwaltung mit Sitz in Bozen und mit der

Beteiligung des Personals.

3. Garantien für das Personal: Eigene Schutzbestimmungen garantieren den Dienst in

Südtirol, den Vorzug der Ansässigen und den Schutz der Sprachgruppen im allgemeinen.

20)

GEBRAUCH DER DEUTSCHEN SPRACHE

"Die deutsche Sprache ist in der Region der italienischen Sprache, die die amtliche

Staatssprache ist, gleichgestellt. In den Akten mit Gesetzeskraft und immer dann, wenn

dieses Statut eine zweisprachige Fassung vorsieht, ist der italienische Wortlaut

maßgebend" (Artikel 99 des Autonomiestatutes).

Diese Gleichstellung ist - trotz der klaren Einschränkung ("italienischer Wortlaut

maßgebend") ein Durchbruch im Verhältnis zum alten Autonomiestatut von 1948. Das

Statut von 1948 hielt am Prinzip fest, daß in der Region Trentino-Südtirol das Italienische

die Amtssprache bleibt. Eine Gleichstellung würde nämlich (so Renato Cajoli, L'Autonomia

del Trentino-Alto Adige, commento allo Statuto speciale e alle norme di attuazione,

Bologna 1952, Seite 209) dem "sprachlich und national einheitlichen Charakter des

italienischen Staates" zuwiderlaufen.

Page 38: Die Autonomie Südtirols

37

Es dauerte freilich sehr lange bis dieser neue Grundsatz der Gleichstellung, der im

Artikel 100 des Statutes weiter ausgebaut wird, auch tatsächlich in der Praxis der

Verwaltung und der Gerichte seinen Niederschlag finden konnte, bzw. finden wird. Die

neuen Durchführungsbestimmungen über den Sprachgebrauch (DPR vom 15. Juli 1988,

Nr. 574) sind am 8. Mai 1989 veröffentlicht worden und treten stufenweise in Kraft. Erst

am 8. Mai 1993 werden nach der vierjährigen Übergangszeit alle Bestimmungen und

somit auch die letzte, betreffend das Gerichtsverfahren, in Kraft sein.

Es würde den Rahmen dieser Überlegungen sprengen, die umfangreiche Materie

des Sprachgebrauches hier eingehend zu untersuchen. Dafür wäre eine eigene

Untersuchung der Materie notwendig, die übrigens schon vorliegt. Es sei in diesem

Zusammenhang auf die Broschüre der Südtiroler Volkspartei "Unsere Muttersprache

Recht - Pflicht- Auftrag", SVP, Bozen 1990, verwiesen. In der SVP-Broschüre werden vor

allem die praktischen Aspekte des Sprachgebrauches und des Sprachrechtes in

übersichtlicher einfacher Form dargestellt. Grundsatzfragen und rechtliche Überlegungen

im Sprachgebrauch finden sich in der Broschüre der autonomen Provinz Bozen Südtirol

"Südtirols Autonomie", von Lukas Bonell und Ivo Winkler, zweite korrigierte Auflage,

Jänner 1991, Bozen, Seite 170 bis 196.

GEBRAUCH DER LADINISCHEN SPRACHE

"Die ladinische Bevölkerung hat das Recht auf Förderung der eigenen

Bestrebungen und Tätigkeit auf dem Gebiete der Kultur, der Presse und der

Freizeitgestaltung sowie das Recht auf die Erhaltung der Ortsnamen und eigenen

Überlieferungen" (Artikel 102/1 des Autonomiestatutes)".

Diese weitläufige Formulierung des Autonomiestatutes erschwerte auch die

Verhandlungen zugunsten von Schutzbestimmungen für die ladinische Sprache.

Die Ladiner können das Ladinische gegenüber jenen öffentlichen Ämtern (mit

Ausnahme von Armee und Polizei) verwenden, die in den ladinischen Ortschaften ihren

Sitz haben und überdies gegenüber jenen Landesämtern, die sich ausschließlich oder

hauptsächlich mit den Interessen der Ladiner befassen, auch wenn sie ihren Sitz z.B. in

Bozen haben, so beispielsweise gegenüber dem ladinischen Schulamt. Die angeführten

Page 39: Die Autonomie Südtirols

38

Ämter antworten mündlich auf ladinisch, schriftlich auf italienisch und deutsch unter

Beifügung auch einer ladinischen Version.

Bei den übrigen Ämtern in der Provinz Bozen kann der ladinische Bürger wählen,

ob er die deutsche oder italienische Sprache vorzieht. Vor Gericht kann er jedenfalls auch

auf ladinisch aussagen, wobei ein Gerichtsdolmetscher beigezogen wird (Artikel 32, DPR

574/88). 21)

MEHR SCHUTZ FÜR DIE LADINER NOTWENDIG

In der Tat sind die Ladiner mit den erreichten Bestimmungen nicht zufrieden. Sie

erwarten sich einen stärkeren verfassungsrechtlichen Schutz durch ein in Aussicht

gestelltes Verfassungsgesetz zugunsten der Fassa-Ladiner im Trentino.

Überhaupt wäre es opportun, zugunsten der Ladiner eine Revision des

Autonomiestatutes vorzunehmen. Bereits erwähnt wurde eingangs die Ausgrenzung der

Ladiner in den Fällen der Parität und der Rotation zwischen der deutschen und

italienischen Sprachgruppe.

Auch das Territorialprinzip, das für den Proporz bei manchen öffentlichen Ämtern

Anwendung findet, benachteiligt die Ladiner. Beispielsweise können die Ladiner nicht in

Gemeindeämtern angestellt werden, die außerhalb ihrer Täler liegen, weil ihnen

proporzmäßig kaum eine Stelle zusteht. Dasselbe gilt für die Krankenhäuser bzw.

Sanitätseinheiten außerhalb der ladinischen Einzugsgebiete.

Ungünstig für die Ladiner wirkt sich auch der Proporz nach Zusammensetzung des

Regionalrates bzw. des Landtages aus, wenn nur ein Ladiner im Landtag sitzt. Dieser

Bezugspunkt auf den Landtag und Regionalrat wurde zwar für die meisten Bereiche

abgeschafft und durch den Bezug auf die Volkszählung ersetzt, gilt aber laut

Autonomiestatut weiter für die Organe, die eine direkte Ausstrahlung des Regionalrates

oder Landtages sind, wie beispielsweise den Regionalausschuß und den Landesausschuß

von Südtirol.

Um mindestens bei der Zusammensetzung der Kollegialorgane und Kommissionen

die Vertretung der Ladiner zu gewährleisten, auch wenn nach strengem Proporz keine

Stelle für sie verfügbar wäre, ist eine extensive Auslegung des Artikels 62 des

Autonomiestatutes notwendig. Dieser Artikel sieht vor, daß die Gesetze "über die

Zusammensetzung der Kollegialorgane der örtlichen öffentlichen Körperschaften in der

Page 40: Die Autonomie Südtirols

39

Provinz Bozen (...) die Vertretung der ladinischen Sprachgruppe gewährleisten" müssen.

Dieser Artikel bezieht sich nicht auf das Land selbst. Er kann aber analog angewandt

werden, etwa mit folgender Formulierung bei Landesgesetzen: "Die Zusammensetzung

der Kommission muß dem Verhältnis der Sprachgruppen entsprechen, wie es sich aus der

offiziellen amtlichen Volkszählung ergibt, wobei die Vertretung der Ladiner zu

gewährleisten ist".

Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich bei der Stellenbesetzung in den öffentlichen

Ämtern, wenn in der jeweiligen Verwaltung und Laufbahn nur eine kleine Zahl von Stellen

vorgesehen ist. Eine gewisse Erleichterung in diesem Sinne bietet der Artikel 46, Absatz 3

des Proporzdekretes (DPR 752/76 eingefügt durch Artikel 1 des DPR 760/81):

"Um der ladinischen Sprachgruppe die tatsächliche Zuweisung des ihr zustehenden

Anteiles zu gewährleisten, können die in den einzelnen Verwaltungen und Laufbahnen

sich ergebenden Bruchteile von weniger als einer Einheit zur Erreichung der ganzen

Quotienten zusammengezählt werden, die im Rahmen des oben erwähnten

Einvernehmens zu benützen sind, wobei auch die Bestimmungen des Artikels 17 dieses

Dekretes (möglichst Einsatz der Ladiner in den ladinischen Tälern) zu berücksichtigen

sind".

Gewisse Ämter, die entweder der deutschen oder der italienischen Sprachgruppe

laut Statut vorbehalten sind, beispielsweise das Amt des Regionalratspräsidenten, des

Regionalratsvizepräsidenten, des Landtagspräsidenten, des Landtagsvizepräsidenten, des

Vizepräsidenten des Regionalausschusses und des Landeshauptmannstellvertreters

kommen für die Ladiner überhaupt nicht in Frage. Auch in der Landesregierung ergibt sich

ein Sitz nur, wenn mindestens zwei Ladiner im Landtag sitzen.

Besondere Schwierigkeiten ergeben sich beispielsweise auch für die Lehrkräfte

ladinischer Muttersprache, die streng genommen nur ladinische Kinder unterrichten

dürfen.

Bei diesen verfassungsrechtlichen Vorschriften, die natürlicherweise nicht mit

Landesgesetz abgeschwächt werden können, muß eine Änderung des Statutes selbst

angestrebt werden. Eine Möglichkeit könnte darin liegen, den jeweiligen Stellenvorbehalt

der deutschen und ladinischen Sprachgruppe zusammen zu reservieren.

Praktisch stellt sich bei den Ladinern die gleiche Frage nach dem

Minderheitenschutz, die sich für die Südtiroler insgesamt im italienischen Staat ergeben

hat.

Page 41: Die Autonomie Südtirols

40

Im Landtag und im Regionalrat gewährleisten das Autonomiestatut (Artikel 62) und

das regionale Wahlgesetz (Regionalgesetz Nr. 24, vom 20.08.1952 und nachfolgende

Änderungen) die Rechtsvertretung von mindestens einem ladinischen Abgeordneten.

DIE FINANZIERUNG DER AUTONOMIE

Mit Staatsgesetz vom 30. November 1989, Nr. 386, wurde die Finanzierung der

Autonomie auf eine neue Grundlage gestellt. Die entsprechenden Artikel im VI. Abschnitt

des Autonomiestatutes (Artikel 69 bis 86) wurden abgeändert. Entsprechend der neuen

Regelung fließen dem Land künftig etwa 90 Prozent der in Südtirol erzielten Steuern und

Abgaben zu. Neben diesen Einnahmen über die Staatssteuern gibt es noch geringfügige

regionale und Landessteuern.

Die neuen Finanzbestimmungen bringen dem Land erhebliche Mehrmittel (400 bis

500 Milliarden Lire im Jahre). Auch ist die neue Regelung wesentlich autonomiegerechter.

Eine direkte Beteiligung am Steueraufkommen des Landes ist zwar noch lange keine

Finanzautonomie (die die Steuerhoheit umfassen müsste), ist aber doch ein Fortschritt im

Verhältnis zur vorherigen Regelung, die vor allem eine Beteiligung an den Staatsausgaben

vorsah. Die Beteiligung des Landes erfolgt zwar weiterhin in einem festen und einem

veränderlichen Ausmaß. Nach der neuen Regelung stellt die Abtretung nach fester Quote

etwa 85 Prozent und nach veränderlicher Quote nur 15 Prozent der staatlichen

Mittelzuweisungen aus Steuern und Gebühren an das Land dar. Durch die Erhöhung der

festen Quote ist ebenfalls mehr Unabhängigkeit und weniger Ermessensspielraum

gegeben.

AUSRICHTUNGS- UND KOORDINIERUNGSBEFUGNIS (AKB)

Das zentralistische Denken und Handeln des Staates ist in den letzten Jahren mit

der Begründung, das Nationalinteresse und auch die Einheitlichkeit eines gemeinsamen

Vorgehens des Staates erfordere es, stärker ausgebaut worden. Mit Staatsgesetz Nr. 400,

vom 23. August 1988, wurde die Tätigkeit der Regierung und des Ministerratspräsidiums

neu geregelt. Der Artikel 2, Absatz 3, Buchstabe d, sieht eine generelle Befugnis der

Regierung zur "Ausrichtung und Koordinierung" der Verwaltungstätigkeit der Regionen

Page 42: Die Autonomie Südtirols

41

und "innerhalb der Bestimmungen der Autonomiestatute auch der Regionen mit

Sonderstatut und der autonomen Provinzen Trient und Bozen" vor (Anlage).

Mit großer Mehrheit (36 dafür, 3 Gegenstimmen) beschloss der Regionalrat von

Trentino-Südtirol am 6. Oktober 1988 die Anfechtung dieser und anderer Bestimmungen

des Staatsgesetzes Nr. 400 vor dem Verfassungsgerichtshof. Dieser hielt die Richtlinien-

und Koordinierungsbefugnis allerdings nicht für verfassungswidrig; er beschränkte sich

darauf, die im Gesetz Nr. 400 ebenfalls vorgesehene Befugnis der römischen

Zentralregierung, Verwaltungsakte der Regionen und autonomen Provinzen zu

annullieren, für unzulässig zu erklären (Erkenntnis Nr. 229 und 230, vom 13. April 1989).

22)

"Das einzige wirksame Instrument, um diese Befugnis der Regierung in unserem

Land voll außer Kraft zu setzen, wäre ein Verfassungsgesetz" (SVP-Obmann Silvius

Magnago auf der SVP-Landesversammlung 1991). Die Landesversammlung der SVP des

Jahres 1988 hat in ihrer Entschließung die Abschaffung bzw. die weitestgehende

Beschränkung der Ausrichtungs- und Koordinierungsbefugnis gefordert.

Zur Zeit wird um eine Durchführungsbestimmung verhandelt, die zwar keine

Abschaffung, aber zumindest eine Eingrenzung dieser AKB für die Region Trentino-

Südtirol vorsieht. Einmal soll in den Prämissen Bezug auf den Pariser Vertrag genommen

werden und somit erstmals in Durchführungsbestimmungen eine direkte Anbindung an

diesen internationalen Vertrag erfolgen. Weiters will man zum Schutze der primären und

sekundären Befugnisse des Landes "Bremsklötze" (Magnago auf der Landesversammlung

1991) einbauen. Diese bestehen im Wesentlichen darin, daß die

Koordinierungsmaßnahmen der Regierung nicht wie in den übrigen Regionen automatisch

in Kraft treten, sondern dem Landtag sechs Monate Zeit gegeben wird, die eigenen

Gesetze entsprechend anzupassen. Erfolgt diese Anpassung durch den Landtag nicht, hat

die Regierung drei Monate Zeit, die Gesetze des Landtages beim Verfassungsgerichtshof

anzufechten.

Diese Einschränkungen bedeuten damit natürlicherweise keineswegs eine

Abschaffung der AKB und können auch die Wirksamkeit (trotz der "Bremsklötze") kaum

reduzieren, sondern nur verzögern. Was im übrigen Italien direkt per AKB wirksam wird,

wirkt in Südtirol indirekt auf den Landesgesetzgeber, der sich einfach anpassen muss. Tut

er es nicht, kann die Regierung vor den Verfassungsgerichtshof gehen. Die Hoffnung,

dass möglicherweise die vorgesehenen Termine versäumt werden könnten, muss sich

Page 43: Die Autonomie Südtirols

42

daran messen, dass der wesentlich kürzere Termin für die Rückverweisung von

Landesgesetzen (30 Tage) in 99,9 Prozent der Fälle niemals versäumt wurde.

STREITBEILEGUNGSERKLÄRUNG

Allgemein herrscht die Befürchtung, dass Österreich nach der Abgabe der

sogenannten Schlusserklärung die Schutzfunktion über Südtirol verlieren würde. Das ist

nicht der Fall, weil der Pariser Vertrag weiterhin voll gültig bleibt und nur der Streit

beigelegt wird, der sich über die Auslegung desselben ergeben hat.

Die Österreichische Bundesregierung wird die Streitbeilegungserklärung gemäß

Artikel 13 des Operationskalenders erst dann abgeben, wenn alle Paketmaßnahmen

vollständig erfüllt und jene Maßnahmen getroffen worden sind, welche die

uneingeschränkte Wirksamkeit der Autonomie sicherstellen und von der Vertretung der

Südtiroler als Bedingung für eine Zustimmung zur Abgabe der Erklärung beschlossen

worden sind.

Von Seiten der Österreichischen Bundesregierung sollte darüber hinaus auf der

möglichst offiziellen Übergabe einer authentischen Dokumentation über die

Paketdurchführung von Italien bestanden werden, um die Prüfung der Paketmaßnahmen

"offiziell" vornehmen zu können. Damit würde ein weiterer Schritt in Richtung

Internationalisierung des Paketes getan. Zudem könnte die Österreichische

Bundesregierung in Verbindung mit dem Streitabschluss in einer feierlichen Erklärung vor

dem Parlament das Fortwirken der Österreichischen Schutzfunktion für Südtirol

bekräftigen.

Der Text der sogenannten Streitbeilegungserklärung (Schlusserklärung) wurde

zwischen Moro und Waldheim am 30. November 1969 in Kopenhagen vereinbart. Der

Text steht also fest und dürfte kaum Möglichkeiten zu Verhandlungen darüber bieten, auch

wenn dies in der historischen Landesversammlung der SVP im Jahre 1969 als Hoffnung

angesprochen wurde.

DER WORTLAUT DER SCHLUSSERKLÄRUNG

Page 44: Die Autonomie Südtirols

43

Wegen der Bedeutung des Textes für die Politik nach dem Paket wird dieser

nachfolgend vollinhaltlich wiedergegeben:

"Im Hinblick darauf, dass zwischen Österreich und Italien eine Streitigkeit über die

Durchführung des Pariser Abkommens vom 5. September 1946 entstanden ist, im Hinblick

darauf, dass diese Streitigkeit Gegenstand der Resolutionen 1497 (XV) und 1661 (XVI)

der Generalversammlung der Vereinten Nationen war,

unter Bedachtnahme darauf, dass die Generalversammlung der Vereinten Nationen

Österreich und Italien in den erwähnten Resolutionen empfohlen hat, die Verhandlungen

mit dem Ziel wiederaufzunehmen, eine Lösung aller Differenzen hinsichtlich der

Durchführung des ob genannten Abkommens zu finden,

in Anbetracht der Tatsache, dass die Wiederaufnahme der Verhandlungen

stattgefunden und zur Annahme einer Methode der Beratung geführt hat, welche geeignet

war, die Beilegung der Streitigkeit ohne Präjudiz für die jeweiligen Rechtsstandpunkte der

beiden Seiten herbeizuführen;

mit Rücksicht darauf, dass die italienische Regierung in ihrer Regierungserklärung

vom ..., detailliert aufgezählte Maßnahmen angekündigt hat, die in dauerhafter Weise die

Interessen der deutschsprachigen Bevölkerung Südtirols, das friedliche Zusammenleben

und die Entwicklung der Sprachgruppen Südtirols zu gewährleisten bestimmt sind,

(alte Fassung des Absatzes 4: "mit Rücksicht darauf, dass die italienische

Regierung in ihrer Regierungserklärung vom ... mit besonderer Bedachtnahme auf die

Interessen der deutschsprachigen Bevölkerung Südtirols detailliert aufgezählte

Maßnahmen angekündigt hat, die in dauerhafter Weise das friedliche Zusammenleben

und die Entwicklung der Sprachgruppen Südtirols zu gewährleisten bestimmt sind,")

angesichts der Tatsache, dass die italienische Regierung diese in der

Regierungserklärung vom ... angekündigten Maßnahmen nunmehr verwirklicht hat, erklärt

die österreichische Bundesregierung, dass sie die zwischen Österreich und Italien

bestehende Streitigkeit, die Gegenstand der erwähnten Resolutionen der

Generalversammlung der Vereinten Nationen war und den Statuts des deutschsprachigen

Elementes der Provinz Bozen - Durchführung des Pariser Abkommens vom 5. September

1946 betrifft, als beendet erachtet". 23)

Als beigelegt gilt also der Streit über die Durchführung des Pariser Vertrages. Der

Pariser Vertrag wird nicht berührt.

Page 45: Die Autonomie Südtirols

44

ABÄNDERUNGEN NUR IM EINVERNEHMEN

Auf der SVP-Landesversammlung vom 27. April 1991 verlangte SVP-Obmann

Magnago zur Sicherstellung der Paketmaßnahmen auch eine Erklärung des Staates, "daß

nach Paketabschluß keine Durchführungsbestimmungen gegen den Willen der Vertreter

der deutschen und ladinischen Volksgruppe abgeändert werden". Diesbezüglich ist noch

abzuklären, in welcher Form diese Erklärung erfolgen soll, wobei natürlicherweise eine

Verpflichtung des Parlamentes die sicherste Basis darstellen würde, aber auch andere

Formen denkbar sind. 24)

INTERNE GARANTIEN

Die letzte Paketmaßnahme, die Maßnahme 137, sieht die Einsetzung einer

ständigen Kommission für die Probleme der Provinz Bozen beim Ministerratspräsidium

vor. Diese Kommission ist von besonderer Bedeutung, weil sie den Grundsatz anerkennt,

daß sich neue Entwicklungen ergeben werden, die neue Forderungen und Anpassungen

der Autonomie notwendig machen.

Die Kommission hat die Aufgabe, "die mit dem Schutz der örtlichen sprachlichen

Minderheiten und mit der weiteren kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung

der Bevölkerung Südtirols besonders zusammenhängende Probleme zu prüfen (...)".

Die Kommission hat beratenden Charakter. Die Einholung des Gutachtens ist aber

zwingend für allfällige Änderungen des Autonomiestatutes.

Die Kommission steht unter dem Vorsitz eines Unterstaatssekretärs beim

Ministerratspräsidium. Sie besteht aus sieben Mitgliedern, von denen vier der deutschen,

zwei der italienischen und eines der ladinischen Sprachgruppe angehören, die vom

Landtag gewählt werden, das ladinische Mitglied aufgrund eines Dreiervorschlages der

ladinischen Bürgermeister.

DIE BEVÖLKERUNGSENTWICKLUNG

Die mit dem Faschismus begonnene und auch in der Nachkriegszeit andauernde

Einwanderung von Italienern nach Südtirol endete mit dem Greifen der neuen

Page 46: Die Autonomie Südtirols

45

Autonomiebestimmungen. Im Jahre 1910 waren in Südtirol 89 Prozent der Bevölkerung

deutschsprachig, 2,9 Prozent sprachen italienisch, 3,8 Prozent ladinisch, 4,3 Prozent

gaben andere Angaben an. Der Anteil der deutschsprachigen Bevölkerung ging bis zum

Jahre 1961 auf 62,2 Prozent zurück. Das Verhältnis hat sich dann eingependelt: 1971 62,9

Prozent. Seit dem Greifen der neuen Autonomiebestimmungen hat die Zuwanderung

aufgehört. Der Zuwanderungssaldo ist sogar negativ. Das ergibt sich daraus, daß

verschiedene Familien von Staatsbediensteten, nach der Pensionierung des

Stelleninhabers in ihre alte Heimat zurückkehren. Im Jahre 1981 betrug der Anteil der

deutschsprachigen Bevölkerung 64,9 Prozent, der Ladiner 4,1 Prozent und der Italiener

28,7 Prozent (der Rest waren "andere").

Der Grund für die Zunahme der deutschsprachigen Bevölkerung liegt aber auch in

einer wesentlich höheren Geburtenrate. Die Geburtenrate ist bei der deutschen

Bevölkerung, die in der Hauptsache auf dem Land wohnt, um rund 70 Prozent höher als

bei der italienischen Bevölkerung, die in der Stadt wohnt. 25) Aus der Altersstruktur der

Bevölkerung läßt sich folgendes ableiten: 26)

Dt. It. Lad.

Gesamtproporz laut Volkszählung 1981 67 29 4

Proporz der 18- bis 19 jährigen 19 71 24 5

Proporz der 0- bis 3 jährigen

(laut Volkszählung 1981) 19 78 17 5

Die Alterspyramide zeigt also deutlich, wie sich die natürliche Entwicklung auswirkt

und zwar ohne Eingriffe, die der deutschen Bevölkerung vielfach unterstellt werden.

Würden die Kinder bis zu drei Jahren die gesamte Bevölkerung Südtirols ausmachen,

wäre der Anteil der deutschen Sprachgruppe 78 Prozent.

DIE LANDESVERSAMMLUNG 1969 WEIST IN DIE ZUKUNFT

Page 47: Die Autonomie Südtirols

46

Beim Abschluss der Arbeiten der 19er Kommission im April 1964 gaben die

Südtiroler Vertreter eine Erklärung zu Protokoll, die auch seitens der Landesversammlung

der SVP bei der Paketannahme am 22./23. November 1969 bestätigt wurde. Die

Protokollerklärung der 19er Kommission lautet:

"Die Kommission hat die Probleme Südtirols, wie sie sich gegenwärtig dartun und

bestehen, untersucht, wenn auch nicht immer alle Fragen und Gesichtspunkte einer

Einzelprüfung unterzogen werden konnten. Dies auch im Hinblick auf die ständige

Entwicklung sowohl der politischen Einrichtungen als auch im Zusammenhang mit den

wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten. Eine Entwicklung, die niemandem

verborgen bleiben kann, die aber notwendigerweise neue Fragen aufwirft und neue

Erfordernisse erheischt. Diese können jedoch heute weder vorausgesehen noch erkannt

werden. Nichts ist im menschlichen Leben und in den menschlichen Beziehungen

endgültig. Die ständige Entwicklung allen Daseins wird, auch in der Überwindung der

starren Paragraphen, neue Erfordernisse schaffen, neue Gesichtspunkte und Probleme

aufwerfen. Nur in einem Geiste der Verständigung können sie in Angriff genommen und

einer Lösung zugeführt werden".

Die SVP-Landesversammlung hat anlässlich der mit knapper Mehrheit am 23.

November 1969 erfolgten Annahme des Paketes in einer Entschließung (der Mehrheit)

diese Erklärung bekräftigt und gleichzeitig auch die Erwartung ausgedrückt, dass "nach

der Durchführung des Paketes in einem Klima des friedlichen Zusammenlebens und eines

neuen Vertrauensverhältnisses zwischen dem Staat und der Volksgruppe es möglich

werde, dass Italien auch den bisher unerfüllten Forderungen der Südtiroler Vertreter als

weiteren Akten der Durchführung des Pariser Vertrages in einem europäischen Geist

gebührend Rechnung trägt". 27)

Besser konnte in der damaligen Situation nicht klargestellt werden, dass das Paket

kein Endpunkt, sondern ein Durchgangsstadium, wenn auch ein sehr wichtiges, der

Südtirolpolitik ist.

EPOCHALER UMBRUCH IN EUROPA

Seit dem Jahre 1989 ist in Europa ein epochaler Umbruch im Gange. Die kleinen

Völker versuchen in einem atemberaubenden Vorgang die zentralistische Bevormundung

abzustreifen. Noch ein Jahr zuvor schien Europa in der Nachkriegsordnung von Jalta

Page 48: Die Autonomie Südtirols

47

eingemauert. Selbst die versiertesten Fachleute konnten den Fall der Berliner Mauer nicht

voraussehen. Die Sowjetunion hielt man für zentralistisch fest kontrolliert und für

außerordentlich stabil. Ein eigenständiges Bestreben der baltischen Staaten, asiatischer

Randrepubliken der Sowjetunion, des russischen Kernlandes, der Ukraine oder

Moldaviens schien unvorstellbar zu sein. Man sprach in diesem Zusammenhang von

"politischen Utopien". Seit dem friedlichen Revolutionsjahr 1989/90 ist dieser Begriff wohl

endgültig außer Kraft gesetzt.

Die Bestrebungen zur politischen Eigenständigkeit wären ohne neues Verständnis

der Souveränität der Völker, die sich in unfreiwillige künstliche Zentralstaatsgebilde

pressen lassen mußten, nicht denkbar. Die nationale Souveränität wird demnach ganz

selbstverständlich über die Verfassung und die Gesetze des Zentralstaates gestellt, auch

wenn den Souveränitätserklärungen (die von den Zentralen jedesmal als illegal und nicht

verfassungsmäßig bezeichnet werden) auf Anhieb keine volle Wirkung folgen kann. 28)

Auch die Demokratien des Westens sind von diesem epochemachenden Wandel

inzwischen längst erfaßt.

DIE ENTWICKLUNGEN IN ITALIEN

Ebenso gewinnen auch in Italien die Autonomiebestrebungen immer stärker an

Boden und die großen italienischen Parteien schwenken auf einen neuen föderalistischen

Kurs um. Dazu gedrängt werden sie auch von den sogenannten "Leghe", die an die

Unabhängigkeitskämpfe gegen den deutschen Kaiser Friedrich I., Barbarossa, im 12.

Jahrhundert erinnern und diese weit zurückliegende Tradition als erneuten Auftrag in eine

neue politische Ordnung umsetzen wollen.

Auch die Regionen Italiens sind im Aufbruch. Neben den eindeutigen Erklärungen

der Konferenzen der Regionen Italiens in diese Richtung greifen neuerdings immer mehr

Regionalräte mit eigenen Stellungnahmen in die laufende Verfassungsdiskussion ein und

verlangen die Umwandlung des Staates in einen Bundesstaat:

Veneto: Erklärung des Präsidenten des Regionalrates, Franco Carraro (Dezember

1990): Nur ein förderativer Staat könne künftig eine größtmögliche Funktionalität der

regionalen Verwaltung garantieren.

Page 49: Die Autonomie Südtirols

48

Friaul-Julisch-Venetien: Beschluß des Regionalrates, in dem eine Reform des

Staates in föderative Richtung nach dem Muster der Bundesrepublik Deutschland verlangt

wird (19. Dezember 1990).

Trentino-Südtirol: Begehrensantrag des Regionalrates, in dem die Umwandlung

Italiens in einen Bundesstaat und die Umkehrung des Artikels 117 der Verfassung verlangt

wird (Februar 1991).

Emilia-Romagna: Der Präsident der Region, Enrico Boselli erklärt in seinem Bericht

zum Haushaltsvoranschlag, dem Staat sollten die Zuständigkeiten über "Fahne, Schwert,

Toga und Währung" verbleiben, alles andere sollte an die Regionen übertragen werden

(26. Februar 1991).

Aosta: Beschluss des Regionalrates, mit dem man das Parlament auffordert, eine

Reform in Gang zu setzen, um die Schaffung eines Bundesstaates anzustreben (8. März

1991). 29)

DURCHBRUCH IM VERFASSUNGSAUSSCHUß

Einen entscheidenden Schritt in diese Richtung setzte der Verfassungsausschuss

des Abgeordnetenhauses, der am 12.03.1991 beschloss, als Grundlage für das Gesetz

zur Reform des Zweikammersystems nicht den vom Senat vorgeschlagenen Text zu

verwenden, sondern den neuen Entwurf, der vom Kommissionsvorsitzenden, dem

Sozialisten Silvano Labriola, vorgelegt wurde. In dem Entwurf Labriolas wird eine

Länderkammer (Senato delle Regioni) vorgesehen. Der Staat soll gemäß dem Entwurf

seine Zuständigkeiten aufzählen, der Rest ist den Regionen vorbehalten. Die

Abgeordnetenkammer soll die zentralen Angelegenheiten des Staates, der Senat der

Regionen soll die regionalen Angelegenheiten behandeln. Wörtlich sagte Labriola im

Verfassungsausschuss: "Was die Aufteilung der Kompetenzen zwischen Staat und

Regionen anbelangt, sollten dem Staat nur die ihm wesenseigenen Sachbereiche

zuerkannt werden, wie jene, die mit der Außenpolitik, der Verteidigung, der Gerichtsbarkeit

und Währung zusammenhängen. Alles, was dem Staat nicht zuerkannt wird, sollte

hingegen den Regionen zustehen"! (Sitzungsprotokoll des Verfassungsausschusses vom

19.02.1991).

Natürlich muss man die Initiative richtig bewerten. Die Kraft der "Leghe" könnte

früher oder später abflammen und von gemäßigteren regionalen Schritten der

Page 50: Die Autonomie Südtirols

49

staatstragenden Parteien aufgefangen werden. Zudem hat man in Italien erlebt, wie die

Zentralbürokratie in der Vergangenheit Tendenzen zur Regionalisierung abgeblockt hat.

Wenn jedoch heute bereits die staatstragenden Parteien den Föderalismusgedanken

aufgreifen und den Regionen mit Normalstatut weitgehend die Kompetenzen der

Regionen mit Sonderstatut überlassen wollen, wenn die Verfassungsdiskussion voll im

Gang ist, dann ergibt sich die Forderung Südtirols nach einer Vollautonomie politisch

beinahe zwingend.

Anders ausgedrückt: In einer Welt, die sich in nicht einmal eineinhalb Jahren

grundlegend verändert hat, darf Südtirol nicht länger auf der Stelle treten und politisch

untätig bleiben!

DIE IDEE IST STÄRKER ALS DIE MACHT

Die Geschichte lehrt es: In der Auseinandersetzung zwischen Macht und Idee

gewinnt langfristig die Idee als geistige Kraft. So überwand der Demokratiebegriff der

altgriechischen Stadtstaaten das totalitäre und zugleich bürokratisch moderne riesige

Perserreich. Die christliche Humanitätsidee schaffte die antike Sklaverei ab, die für die

Wirtschaft so unentbehrlich schien. Eine diskriminierende Bestimmung über das Tee-

Monopol des englischen Mutterlandes führte 1776 zur Rebellion der Neuenglandstaaten

und zur Gründung der USA. Die Reihe könnte fortgesetzt werden.

In dieser Entwicklung darf Südtirol seine Chance nicht verpassen. Trotz mancher

Verzögerungen neigt sich die Paket-Ära, die für Südtirol bedeutende Fortschritte gebracht

hat, ihrem Ende zu. Es ist die Zeit gekommen, darüber hinaus zu denken und klare

Zukunftsvorstellungen für unser Land zu entwickeln.

EINE VISION: DIE EUROPA-REGION TIROL

Eine große Chance liegt im zukünftigen Europa und im EG-Beitritt Österreichs.

Dieses Europa darf kein zentralistisches Gebilde sein, sondern der Bevölkerung auf

regionaler Ebene ein Mitgestaltungsrecht in überschaubaren Gemeinschaften einräumen.

Das alte Tirol - mit seinen großen Freiheiten und demokratischen Rechten, seiner

Vielgestaltigkeit, seiner sprachlichen und kulturellen Vielfalt könnte in neuer Form aufleben

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und eine moderne, staatenübergreifende Europa-Region werden: Ein Muster für die

Überwindung von Grenzen, ein Markstein für das Recht in der Geschichte, das trotz aller

Schwierigkeiten durchbricht.

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F U S S N O T E N

1) STAATSLEXIKON, Recht-Wirtschaft-Gesellschaft, in fünf Bänden, 7. Auflage, Verlag Herder, Freiburg, 1985. DER GROßE BROCKHAUS, Kompaktausgabe, 18. Auflage, F.A. Brockhaus, Wiesbaden 1983. 2) SALVEMINI, GAETANO: Mussolini diplomatico (1922 - 1932), Laterza, Bari 1952. 3) AMATO, GIULIANO: Diario in Pubblico, L'Espresso¯, 20 marzo 1988, pag. 33, Roma 1988. 4) "Le nuove terre unite all'Italia creano nuovi problemi da risolvere. La nostra tradizione di libertà ci indicherà la via per la soluzione che si confermerà al massimo rispetto per le autonomie e le tradizioni locali" Zitiert nach BALLARDINI, RENATO: Bericht des Präsidenten der ständigen Verfasssungskommission an die italienische Abgeordnetenkammer (anläßlich der Vorlage des neuen Autonomiestatutes), aus Atti Parlamentari, Abgeordnetenkammer Nr. 2216 - 227 A, Seite 2, Rom 1970. 5) "E' cresciuta peggio perché, dopo una fase iniziale di intelligente tolleranza, subentrò il fascismo che volle imporre l'italianità all'insegna dell'intollerante predominio della cultura delle insegne e della lingua del gruppo etnico italiano. Fu un tragico errore (...). Ed Ü in questi termini che la Repubblica ha ereditato il problema, ereditandone umori e rivalse". AMATO, im L'Espresso¯, 20. März 1988, Seite 33. 6) SALVEMINI, GAETANO: (siehe Fußnote 2), Seite 448. 7) GRUBER, ALFONS: Südtirol unter dem Faschismus, zweite überarbeitete Auflage, Verlagsanstalt Athesia, Bozen 1975, und STEUERER, LEOPOLD: Südtirol zwischen Rom und Berlin 1919/1939, Teil I II und III, Seite 416 bis 561, Dis. Wien 1975. 8) Der Friedensvertrag wurde am 24. September 1947 im Gesetzesanzeiger der Republik Nr. 295 veröffentlicht (siehe Anhang). Damit ist der Pariser Vertrag Teil der italienischen Rechtsordnung, allerdings laut Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofes nur auf dem Rang eines einfachen Gesetzes. Seine weit größere Bedeutung liegt in der Internationalisierung des Südtirolproblems und in der Schutzfunktion, die Österreich damit für Südtirol übernimmt. Österreich als Vertragspartner des Pariser Abkommens kann jederzeit auf die Erfüllung desselben klagen. Gemäß Art. 90 des Friedensvertrages sind nur der französische, der englische und der russische Wortlaut authentisch. Unterzeichnet wurde der englische Text. 9) BALLARDINI, RENATO: Bericht des Präsidenten der ständigen Verfassungskommission an die italienische Abgeordnetenkammer, anlässlich der Vorlage des neuen Autonomiestatutes, aus ATTI PARLAMENTARI (Protokolle), Abgeordnetenkammer Nr. 2216 - 277 A, Rom 1970, deutsche Übersetzung: Amt der Tiroler Landesregierung, Innsbruck. Die Bezeichnung "Alto Adige" (Hochetsch), "Tirolo Meridionale" (Südtirol) wurde wörtlich übersetzt, weil sie offenbar mit Absicht so verwendet wurden. 10) "Diffidenza e sospetto raggelarono via via i rapporti fra potere centrale e sudtirolesi, produssero uno stillicidio di piccoli inadempimenti, di ritardi nell'emanazione delle norme di attuazione, di assurde astuzie nella cavillosa redazione dei testi" (...). "E' necessario oggi riconoscere coraggiosamente gli errori compiuti. Parlino i fatti. Basti pensare che bisogna attendere il 1959/60 perché siano emanate le norme di attuazione in materia di uso della lingua tedesca nelle comunicazioni al pubblico, negli uffici, nei procedimenti giudiziari, nei pubblici concorsi". 11) DOLOMITEN: Tagblatt der Südtiroler, Verlagsanstalt Athesia, Bozen, 18. November 1957, Seite 2. 12) MAGNAGO, SILVIUS: 30 Jahre Pariser Vertrag, Seite 33, Parteileitung der SVP, Bozen 1976. 13) STRASSER, W.: Österreich und die Vereinten Nationen (Wien 1967), Seite 370 und 371. 14) Paket, Maßnahmen zugunsten der Bevölkerung Südtirols, in Sonderausgabe des "Fahrenden Skolasten" Nr. 1/2 Südtiroler Hochschülerschaft, Bozen 1970 (siehe Anhang). 15) Von den 1112 Stimmrechten waren 1104 (99,4 Prozent) vertreten. Von diesen stimmten 52,8 Prozent für und 44,6 Prozent gegen das Paket; 2,6 Prozent stimmten weiß oder ungültig. MAGNAGO, SILVIUS: 30 Jahre Pariser Vertrag, Bozen 1976, Seite 46. 16) ALCOCK, A.E.: Geschichte der Südtirolfrage (Wien 1982), Seite 237. 17) PETERLINI, OSKAR: Der ethnische Proporz in Südtirol, Athesia, Bozen 1980, Seite 14 bis 19. 18) TOLOMEI, ETTORE: Archivio per l'Alto Adige XXIII, Amministrazione dell'Archivio per l'Alto Adige, Rom u. Glen (Montan) 1928, Seite 13. 19) PETERLINI, OSKAR: Der ethnische Proporz in Südtirol, Athesia, Bozen 1980, Seite 84 bis 86 und Seite 139. 20) PETERLINI, OSKAR: Die Eisenbahn in Südtirol, Monographie, Bozen 1989. 21) AUTONOME PROVINZ BOZEN SÜDTIROL: Südtirols Autonomie, zweite korrigierte Auflage, Jänner 1991, Bozen, Seite 170 bis 196. 22) AUTONOME PROVINZ BOZEN SÜDTIROL: Südtirols Autonomie, Bozen 1991, Seite 106 und 107. 23) BRUGGER/BENEDIKTER/DALSASS: Südtirol vor der Entscheidung, Bozen 1969, S. 52 ff.; neue Fassung des Absatzes 4: Sten.Prot. des Nationalrates, 1969, S. 14524.

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24) MAGNAGO, SILVIUS: Bericht an die SVP-Landesversammlung 1991, SVP, Bozen 1991. 25) PETERLINI, OSKAR: Bozen wird abgewürgt - Zahlt Unterland die Zeche? Die Bevölkerungsentwicklung in Südtirol und im Unterland, Monographie, Bozen 1989. 26) ASTAT: Demographisches Jahrbuch für Südtirol 1990. 27) MAGNAGO, SILVIUS: 30 Jahre Pariser Vertrag, Parteileitung der SVP, Bozen 1976, Seite 44. 28) NEUE MITTE: Südtirol 2000, Modell für eine Vollautonomie, Herausgeber: Umwelt-, Kultur- und Sozialverein, Bozen 1991. 29) NEUE MITTE. siehe Fußnote 28) Studie Autonomie 05.14.93 05.27.91