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Die Beiträge von Paul Julius Möbius (1853-1907) zu den Konzeptgeschichten der Migräne, Neuroophthalmologie und des Morbus Basedow Publikationspromotion zur Erlangung des akademischen Grades Dr. med. an der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig eingereicht von Constanze Engelmann, geb. Schobeß geboren am 23.05.1986 in Halle/Saale angefertigt am Archiv für Leipziger Psychiatriegeschichte, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Leipzig Betreuer Herr PD Dr. rer. medic. habil. Holger Steinberg Beschluss über die Verleihung des Doktorgrades vom 23.08.2016

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Die Beiträge von Paul Julius Möbius (1853-1907) zu den

Konzeptgeschichten der Migräne, Neuroophthalmologie und des

Morbus Basedow

Publikationspromotion

zur Erlangung des akademischen Grades

Dr. med.

an der Medizinischen Fakultät

der Universität Leipzig

eingereicht von Constanze Engelmann, geb. Schobeß

geboren am 23.05.1986 in Halle/Saale

angefertigt am Archiv für Leipziger Psychiatriegeschichte,

Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie

der Universität Leipzig

Betreuer Herr PD Dr. rer. medic. habil. Holger Steinberg

Beschluss über die Verleihung des Doktorgrades vom 23.08.2016

Meiner lieben Familie

und

Prof. Langner gewidmet

I

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis I

Bibliographische Beschreibung II

1. Einführung

1.1. Definitionen und Biografie 1

1.2. Ausgangslage und Forschungslücke 3

1.3. Motivation 5

1.4. Methodik 6

1.5. Historischer Kontext 7

1.6. Relevanz des Themas 8

1.7. Bedeutung der Arbeit 9

2. Publikationen

2.1. Das Wissen der deutschen Neurologen über die Migräne um 1890 –

Paul Julius Möbius und seine Monographie die Migräne 1894 10

2.2. Paul Julius Möbius – Ein Schrittmacher der Geschichte der

Neuroophthalmologie 18

3. Zusammenfassung 24

4. Gesamtliteraturverzeichnis 27

5. Erklärung über die eigenständige Abfassung der Arbeit 32

6. Lebenslauf 33

7. Danksagung 35

II

Bibliographische Beschreibung

Verfasser: Engelmann, Constanze, geb. Schobeß

Titel: Die Beiträge von Paul Julius Möbius (1853-1907)

zu den Konzeptgeschichten der Migräne, Neuroophthalmologie und des

Morbus Basedow

Universität Leipzig, Dissertation

35 S., 77 Lit., 3 Abb., 1 Tab.

Referat

Der erste Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit resümiert den neurologischen

Forschungsstand Ende des 19. Jahrhunderts zum Thema Migräne. Vergleichend dazu wird das

Wirken des Leipziger Neurologen, Psychiaters und Wissenschaftspublizisten Paul Julius

Möbius (1853-1907) zu diesem Krankheitsbild betrachtet.

Folglich wird in der ersten Publikation seine 1894 erschienene Monographie „Die Migräne“

mit zeitgenössischen, heute teils als medizinhistorische Standardwerke geltenden, Werken

europäischer Kollegen korreliert. Als Ergebnis wird formuliert, dass sich die Ansichten von

Möbius und seiner Kollegen in vielen Aspekten gleichen. Möbius‘ Migräne-Konzept zeichnet

sich demnach weniger durch Originäres aus, aber mit seiner, das Wissen der Zeit sammelnden

Monografie legte er eines der Standardwerke der deutschsprachigen Neurologie um 1890 zur

Migräne vor.

Der zweite Schwerpunkt trägt Arbeiten Möbius' zum heutigen Gebiet der

Neuroophthalmologie zusammen. Die Arbeit kommt angesichts des Forschungsstandes seiner

Zeit zu der Schlussfolgerung, dass Möbius zu den Entitäten Periodischer

Okulomotoriuslähmung, infantilem Kernschwund und Morbus Basedow Pionierarbeiten

geleistet hat. Dies war bisher unbekannt.

Ein Ziel dieser Arbeit ist es, laufende evaluierende Forschungen über die in verschiedene

Gebiete einzuordnenden Leistungen des Arztes und Wissenschaftlers Paul Julius Möbius zu

fundieren, dessen Leumund durch seine Schrift „Über den pathologischen Schwachsinn des

Weibes“ als beschädigt gelten muss. Für die Gebiete der Neurologie und

Neuroophthalmologie gilt es festzuhalten, dass er wesentliche fachwissenschaftliche Beiträge

geleistet hat.

1

1. Einleitung

1.1. Biografie und Definitionen

Paul Julius Möbius wurde am 24.1.1853 in Leipzig als Sohn eines Pädagogen

geboren. Zunächst hatte Paul Julius Möbius einige Semester Theologie und Philosophie

studiert, ehe er sich der Medizin zuwandte. Das Medizinstudium beendete er 1776 in Leipzig

und promovierte im selben Jahr „Ueber die Niere beim Icterus“. Bereits 1874 hatte Möbius in

Gießen zum Dr. phil. promoviert. Anschließend war er als Arzt im Sächsischen Sanitätskorps

tätig und ließ sich 1878 in Leipzig als „Spezialarzt für Nervenkranke und Elektrotherapeut“ in

einer Privatpraxis nieder. Im Mai 1879 heiratete er Constanze Drobisch. Die Ehe blieb

kinderlos und wird von Bekannten des Paares als unglücklich beschrieben. Neben seiner

privatärztlichen Tätigkeit arbeitete er von 1883 bis 1898 im ambulant-ärztlichen Dienst in der

Neurologischen Poliklinik des Leipziger Albert-Vereins, sowie von 1882 bis 1888 als

Assistent der Neurologischen Abteilung der Medizinischen Poliklinik der Universität

Leipzig.1883 habilitierte Möbius und erwarb die Privatdozentur an der Universität, welche er

10 Jahre später, sich in seiner akademischen Karriere zurückgesetzt fühlend, zurückgab.

Möbius schied damit aus dem Kreis der Universitätsmedizin aus und blieb fortan vor allem

beschränkt auf seine offenbar sehr gut gehende nervenärztliche Privatpraxis. Neben seiner

praktisch-ärztlichen Tätigkeit arbeitete Möbius wissenschaftlich und publizistisch – so als

Redakteur der einflussreichen fachübergreifenden Zeitschrift Schmidt’s Jahrbücher der in-

und ausländischen gesammten Medicin und verfasste dort zahlreiche Rezensionen vor allem

zu neurologischen Themengebieten. Sein zu Lebzeiten verbreiteter Ruf beruhte auf nahezu

300 heute nachweisbaren Publikationen, darunter etwa 30 umfänglichere Broschüren und

Bücher, die fast alle wiederholt abgedruckt oder aufgelegt wurden. Einige seiner Schriften

wurden aufgrund ihrer Tendenziösität oder Populärwissenschaftlichkeit eingehend diskutiert,

so der bis heute bekannte und umstrittene ‚Physiologische Schwachsinn des Weibes‘. Paul

Julius Möbius starb am 8.1.1907 an einem Unterkieferkarzinom (vgl. Steinberg, 2005).

Die International Headache Society (IHS) unterteilt in ihrer aktuell gültigen Klassifikation

(ICHD-III beta) Kopfschmerzen in primäre Kopfschmerzerkrankungen (dazu zählen u.a. die

Migräne, der Clusterkopfschmerz und der Kopfschmerz vom Spannungstyp), sekundäre

Kopfschmerzerkrankungen (das heißt Kopfschmerzen, die auf eine organische oder

psychische Störung zurückzuführen sind) und als 3. Gruppe kraniale Neuralgien, zentraler

und primärer Gesichtsschmerz und andere Kopfschmerzen. Darunter wird aktuell auch die

2

ophthalmoplegische Migräne bzw. darin als „recurrent painful ophthalmoplgic neuropathy“

eingeordnet (vgl. ICHD-III beta).

Der Begriff Migräne leitet sich von dem griechischen Wort hemikrania ab, welches übersetzt

„halber Schädel“ bedeutet. Die Migräne wird heutzutage als attackenweise, periodisch (4 bis

72 Stunden anhaltender), in starker Intensität, meist einseitig auftretender, mit vegetativen

Symptomen einhergehender Kopfschmerz definiert. Sie wird unterteilt in die Formen Migräne

ohne Aura (laut IHS sind für die Diagnosestellung mindestens 5 Attacken notwendig),

Migräne mit Aura und Sonderformen, worunter z.B. die retinale Migräne eingeordnet wird

(vgl. ICHD-III beta).

Der infantile Kernschwund, heute meist als Möbius-Syndrom oder -Sequenz bezeichnet, ist

ein sehr seltenes, angeborenes, meist sporadisch auftretendes Krankheitsbild, welches mit

einem Strabismus convergens, einer Fazialislähmung und weiteren Fehlbildungen

(beispielsweise Skelettfehlbildungen, geistige Retardierung und Beteiligung weiterer

Hirnnerven) einhergehen kann. Die Ätiologie ist noch nicht vollends geklärt. Es wird eine

Ischämie in den Hirnnervenkernen diskutiert. Es gibt jedoch auch eine familiäre Form des

Möbius-Syndroms. Ein verantwortlicher genetischer Defekt wurde bisher noch nicht

detektiert. Aufgrund unterschiedlicher Ergebnisse in Genuntersuchungen von betroffenen

Familien wird von einer genetischen Heterogenität ausgegangen (vgl. Gaspar in

Ophthalmologe 2010).

Der Morbus Basedow ist eine immunogene Hyperthyreose. Dabei ist die Überfunktion der

Schilddrüse durch stimulierende Autoantikörper gegenüber dem TSH-Rezeptor bedingt.

Typische Symptome einer Hyperthyreose sind die Struma, psychomotorische Unruhe, eine

Sinustachykardie, Wärmeintoleranz, sowie Gewichtsverlust. Bei an Morbus Basedow

Erkrankten findet sich zudem häufig die endokrine Orbitopathie. Ein prätibiales Myxödem ist

eher selten, dabei lagern sich Glukosaminoglykane in das subkutane Fettgewebe ein. Die

Diagnose wird heutzutage durch Anamnese, Klinik und laborchemische sowie weitere

apparative Untersuchungen gestellt. Die Therapie besteht einerseits aus einer

medikamentösen thyreostatischen Therapie, einer fast vollständigen Resektion der

Schilddrüse oder andererseits aus einer Radiojodtherapie (vgl. Herold 2010).

3

1.2. Ausgangslage und Forschungslücke

Die Ursachen der Migräne beschäftigten schon die Gelehrten der Antike. Im Laufe der

Zeit und mit dem Wandel der Vorstellungen bezüglich der Krankheitsursachen wurden viele

Auslöser diskutiert, so zum Beispiel im Rahmen der Humoralpathologie ein Ungleichgewicht

der Säfte, später wurden vaskuläre und vegetative Einflüsse für ursächlich gehalten. Trotz

Fortschritt in der Technik und somit auch besseren apparativen diagnostischen Mitteln wurde

keineswegs die Pathophysiologie der Migräne geklärt. Es besteht deshalb aktuell ein

intensiver Forschungsbedarf und die Diskussion hält an. Hypothesen vorangegangener

Wissenschaftler sind von daher nicht allein nur von medizinhistorischem Interesse.

Ende des 19. Jahrhunderts bzw. Anfang des 20. Jahrhunderts herrschte ein reger

publizistischer Austausch über die verschiedenen Aspekte des Krankheitsbildes der Migräne.

In Ermangelung von greifbaren Beweisen suchten die Ärzte ihre Hypothesen durch

Analogieschlüsse, Vergleiche oder Verweise auf Einzelfälle und allgemeine klinische

Erfahrung zu stützen. Als bedeutende Migräneforscher des 19. Jahrhunderts gelten heutzutage

Jean-Martin Charcot (1825–1893), Edward Liveing (1832–1919) und William Richard

Gowers (1845–1915). Liveings Werk „On megrim, sick-headache and other allied disorders“

und Gowers „Handbuch der Nervenkrankheiten“ gelten auch heute noch aus

medizinhistorischer Sicht als Standardwerke.

Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts wurde Möbius' Theorie zur Pathophysiologie der

Migräne in vielen deutschsprachigen Publikationen aufgegriffen und diskutiert. Da seine

Werke nicht ins Englische übersetzt wurden, ist in englischsprachigen Veröffentlichungen sein

Name hingegen kaum genannt worden. So ist im englischsprachigen Forschungsmainstream

unserer Zeit unklar, inwiefern Möbius tatsächlich evidente, international originäre Beiträge

zur Konzeptgeschichte der Migräne geleistet hat. Eine Frage, die im Übrigen praktisch für alle

seine medizinischen Arbeiten, die heute im Kern die Neurologie, Psychiatrie und

Endokrinologie betreffen, gilt. Wird im englischsprachigen Raum Bezug auf Möbius'

publizistischen Schaffen genommen, dann wird oft über „Den physiologischen Schwachsinn

des Weibes“ referiert. Auch in den aktuellen medizinhistorisch führenden Werken „Fragments

of Neurological History“ von JMS Pearce und „History of Neurology“ von S. Finger, F.

Boller und K. L. Tyler wird Möbius bezüglich seines Wirkens auf dem Gebiet der

Migräneforschung nicht erwähnt und nur vorrangig auf englisch- und französischsprachige

Literatur verwiesen (vgl. Pearce 2003 und Zanchin 2010). In „Garrison's History of

Medicine“ wird Möbius kurz genannt und dann in Zusammenhang mit

4

Schilddrüsenfunktionsstörung, infantilem Kernschwund und Hysterie (vgl. Garrison 1921). In

Kolle's „Große(n) Nervenärzte“ (1963) wird ihm ein Kapitel gewidmet und neben seinem

Verdienst im Rahmen der Pathophysiologie des Morbus Basedow auch auf seine Arbeit zur

Migräne eingegangen. Strümpell lobte in seinem Buch „Aus dem Leben eines deutschen

Klinikers“, dass Möbius „fruchtbringend und nachhaltig auf die neurologische Forschung

eingewirkt und seine Arbeit zum Morbus Basedow als seine „größte klinische Leistung“

angesehen werden kann (vgl. Strümpell 1925). In dem relativ neuen Übersichtsartikel von P.

J. Koehler und C. J. Boes über die Geschichte nichtmedikamentöser Therapien der Migräne

wird Möbius lediglich als Kritiker der Elektrotherapie genannt (vgl. Tfelt-Hansen & Koehler

2011). Francis Schiller arbeitete 1982 in seinem Werk „A Möbius Strip“ vor allem die

Beiträge des Leipziger Neurologen bezüglich psychiatrischer Themen heraus und streifte

lediglich seine Arbeiten in Bezug auf Migräne, dem infantilen Kernschwund und Morbus

Basedow (vgl. Schiller 1982).

Möbius' Arbeiten zur Konzeptgeschichte der Neuroophthalmologie waren bisher nirgends

eigens zusammengetragen, ausgewertet und in den Forschungskontext gestellt worden. Das

mag zum Großteil daran liegen, dass es sich bei diesem Fach um ein relativ junges handelt,

dessen Geschichte nahezu generell noch der Aufarbeitung harrt. In Veröffentlichungen in

Bezug zum Möbius-Syndrom bzw. infantilen Kernschwund wird er jedoch häufig mit J. J.

Chisolm (1830-1903), Albrecht von Graefe (1828-1870) und George C. Harlan (1835-1909)

als einer der Erstbeschreiber genannt (vgl. Terzis 2002) und seine Veröffentlichung 1888 in

der Münchner medizinischen Wochenschrift „Über angeborene doppelseitige Abducens-

Facialis-Lähmung“ als Meilenstein hervorgehoben.

Robert James Graves (1796-1853) gilt neben Carl Adolph von Basedow (1799-1854) als

Erstbeschreiber des Morbus Basedow. Von Basedow beschrieb als Erster die nach seiner

Wirkungsstätte Merseburg benannte Symptomentrias, bestehend aus Exophthalmus, Struma

und Palpitation (vgl. Sawin 1998). Graves und andere zeitgenössische Kollegen gingen davon

aus, dass es sich um einen durch eine Herzkrankheit bedingten Erkrankungskomplex handele.

Ab den 1860er Jahren wurde vermehrt die These einer funktionell neurologischen Ursache,

vertreten durch Charcot, etabliert. Als Paul Julius Möbius 1886 seine Hypothese einer

thyreogenen Ursache veröffentlichte, wurde dies von seinen zeitgenössischen Kollegen teils

kontrovers diskutiert (vgl. Möbius 1891, bzw. Sawin 1998). Heutzutage wird sein Beitrag als

herausragend gewürdigt (vgl. Buergi 2009). Auch die ersten Erfolge in der

Schilddrüsenchirurgie bei Basedow-Patienten im 19. Jahrhundert etablierten die

5

Schlüsselrolle der thyreogenen Hypothesen (vgl. Weetman 2003). In Zusammenhang mit dem

Morbus Basedow wird Möbius' Name vor allem mit dem nach ihm benannten Möbius-

Zeichen gebracht. Der Leipziger Neurologe beschrieb erstmals 1883 in Schmidt’s Jahrbücher

der in- und ausländischen gesammten Medicin 2 Fälle von Konvergenzschwäche beim

Exophthalmus bei an Morbus Basedow Erkrankten (vgl. Möbius 1891).

1.3. Motivation

Fortschritte in den Wissenschaften und so auch in der Medizin beruhen unweigerlich

stets auf dem vorhandenen Wissen, das in der zurückliegenden Zeit gewonnen wurde. Um das

heutige Vorgehen in Diagnostik, Therapie oder Rehabilitation inhaltlich in seiner Motivation

verstehen zu können, ist die Vergegenwärtigung des alten Wissens notwendig. Auch kann

medizinhistorische Kenntnis unmittelbar sinnvoll sein, um Irrtümer der Vergangenheit nicht

heute zu wiederholen, um verloren gegangene Fertigkeiten oder Fähigkeiten

wiederzuentdecken und an das Heute zu adaptieren. Die Zuwendung zu über Generationen

gewachsenen Hypothesen oder Konzepten kann zum Beispiel gerade bei Krankheitsbildern

Gewinn bringen, deren Mechanismen auch gegenwärtig noch nicht klar verstanden werden.

Dies ist bei der Migräne der Fall.

Möbius hat das Wissen seiner Zeit gesammelt. Somit ermöglicht eine Erarbeitung seiner

Konzeption einen guten Einblick in den Kenntnisstand seiner Zeit. Da in der Vergangenheit

kaum auf seinen Beitrag zur Ideengeschichte der Migräne eingegangen wurde, versucht diese

Arbeit in einem ersten Schritt, die Hypothesen zu sichten und zusammenzufassen und diese in

den Kontext mit kontemporären Arbeiten zu setzen. Somit wird schlussendlich auch ein Fazit

bezüglich Möbius' Stellung im Rahmen der Geschichte der Migräne gezogen werden können.

Des Weiteren wird sein Wirken bezüglich der periodischen Okulomotoriuslähmung (bzw. der

ophthalmoplegischen Migräne), des infantilen Kernschwunds (sog. Möbius-Syndrom) und

des Morbus Basedow diskutiert. Die vorgelegten Resultate können kleine Bausteine zu einer

Geschichte der Neuroophthalmologie und einzelner neuroophthalmologischer

Krankheitsbilder sein.

6

1.4. Methodik

Die vorliegende Arbeit besteht aus zwei voneinander unabhängigen Publikationen,

welche jedoch beide Paul Julius Möbius' Verdienst im Rahmen der Migräneforschung,

Neuroophthalmologie und Morbus Basedow kritisch hinterfragen und aufzeigen sollen. Beide

Arbeiten sind Literaturstudien, für die eine Anzahl an Publikationen inhaltlich korrelierend

analysiert wurden. Im ersten Beitrag „Das Wissen der deutschen Neurologen über die

Migräne um 1890 – Paul Julius Möbius und seine Monographie Die Migräne 1894“

beschäftigt sich mit dem Kenntnisstand der deutsch- und englischsprachigen europäischen

Neurologen Mitte bzw. Ende des 19. Jahrhunderts. Dazu wurden vor allem Originalarbeiten

aus dieser Zeit analysiert. Besondere Aufmerksamkeit wurde dabei den Werken von Edward

Liveing, William Gowers, Albert Eulenburg, Edward Flatau und Alexander Spitzer gewidmet,

da diese als führende Migräneforscher ihrer Zeit eruiert worden sind. Diese Arbeiten wurden

Möbius' Monographie vergleichend gegenüber gestellt.

Im zweiten Beitrag wird das Augenmerk vor allem auf Möbius' Veröffentlichungen zur

periodischen Okulomotoriuslähmung, infantilem Kernschwund und zum Morbus Basedow

gelegt. Dabei wurden vorwiegend deutschsprachige Originalarbeiten aus dem Ende des 19.

Jahrhunderts referiert und offenbar erstmals unter der Berücksichtigung ihrer

konzeptgeschichtlich-chronologischen Evidenz bewertet.

Mich an der Möbius-Bibliografie von Steinberg orientierend, flossen alle Arbeiten Möbius‘ in

meine Arbeit ein, die explizit die Krankheitsbilder Migräne bzw. Hemikranie, periodische

Okulomotoriuslähmung oder ophthalmoplegische Migräne, Morbus Basedow und infantilen

Kernschwund im Titel nannten bzw. Fallbeispiele zu deren Symptomatik brachten. Bei

heutiger zeitgenössischer und Sekundärliteratur wurden Publikationen mit Benennung der

oben genannten Begriffe, Migraine ophthalmoplegique, Möbius-Syndrom, Graves‘ disease

bzw. solche, die zu Möbius' Veröffentlichungen zu oben genannten Krankheiten Bezug

nahmen, eingeschlossen.

Insgesamt wurden ca. 235 Originalarbeiten aus dem Zeitraum von 1871 bis 2010 gesichtet.

7

1.5. Historischer Kontext

Zur besseren Einordnung sollen einige skizzenhafte Aussagen zum medizinischen

Wissensstand am Ende des 19. Jahrhunderts und im Besonderen mit Bezug auf die Migräne

vorangeschickt werden.

Im 19. Jahrhundert war der technische Fortschritt im Rahmen der Industrialisierung in allen

Bereichen des Lebens spürbar. Neben dem technischen Interesse bestand auch in der Medizin

ein verstärktes naturwissenschaftliches Interesse an der Krankheitsentstehung, Ursache und

„Vergleich zwischen klinischem Symptom und pathologisch-anatomischen Korrelat“ (Riha

2008). Somit hatte die Pathologie einen großen Stellenwert in der Diagnosefindung. Dennoch

reichten die Ausläufer der Humoralpathologie bis weit ins 19. Jahrhundert hinein. Erst mit

Etablierung der Zellularpathologie geprägt durch Rudolf Virchow (1821-1902) wurde das

Konzept der 4-Säfte-Lehre endgültig verlassen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts etablierte

sich die „moderne, physiologisch-chemisch orientierte Pharmakologie“ (Riha 2008). Auch in

der gesamten Nervenheilkunde wurde versucht, die Hypothesen durch Aufzeigen eines

pathologisch-anatomischen Substrates zu beweisen. Seine Erklärungsversuche bezüglich der

Migräne, der periodischen Okulomotoriuslähmung und anderer Erkrankungen bezog Möbius,

der ansonsten als offen für nichtsomatische und sogar metaphysische Denkmuster galt, dem

Paradigma der Zeit entsprechend gehäuft auf Obduktionsberichte. Das Thema Migräne

beschäftigt die Wissenschaftler nicht erst seit dem 19. Jahrhundert. Schon seit der Antike

bemühten sich berühmte Ärzte kontinuierlich um Patienten mit Kopfschmerz und versuchten

diese zu erklären. Bereits in der Antike wurde eine erste Einteilung der Kopfschmerzen

vorgenommen. Der Gelehrte Plinius der Ältere (23-79 v. Chr.) unterteilte den Kopfschmerz

symptomatisch und der griechische Arzt Aretaeus von Kappadokien (81-? v. Chr.) teilte den

Kopfschmerz nach Stärke und Dauer der Schmerzen in 3 Gruppen ein: Cephalalgia, Cephalea

und Eterocrania. Im Sinne der Humoralpathologie wurde von einem Ungleichgewicht der

Säfte ausgegangen. Die therapeutischen Maßnahmen, zum Beispiel Aderlässe, bestimmte

Diäten und ähnliche Behandlungen, sollten die vier Säfte Blut, Schleim, gelbe und schwarze

Galle wieder ins Gleichgewicht bringen. Diese Ansichten reichten bis weit ins 17.

Jahrhundert. Ab Ende des 17. Jahrhunderts wurde vermehrt die These der vasomotorischen

bzw. organbedingten Ursachen der Migräne diskutiert. In der zweiten Hälfte des 19.

Jahrhunderts wurden entweder durch eine Störung des Sympathikus hervorgerufene

Gefäßveränderungen, vor allem durch Emil du Bois-Reymond (1818-1896) und Friedrich

Willhelm Möllendorff, oder das Theorem des „nerve-storm“ durch Edward Liveing (1832-

8

1919) propagiert. Paul Julius Möbius vertrat wie die Briten Edward Liveing und William

Gowers (1845-1915) die Ansicht, dass die Ursache der Migräne in einer pathologischen

Veränderung im Gehirn selbst liege (vgl. Zanchin, 2010).

1.6. Relevanz des Themas

Jeder Mensch hat in seinem Leben mindestens einmal Kopfschmerzen. Sieht man sich

die Studien zur Prävalenz der Migräne an, bemerkt man, dass die 12-Monatsprävalenz bei ca.

11 % lag und Frauen mit 16 % gegenüber Männern mit ca. 5 % häufiger betroffen sind

(Neuhauser 2009). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zählt die Migräne zu den „10

Erkrankungen mit den gravierendsten Auswirkungen auf die Lebensqualität und

Funktionalität des Betroffenen“ (Bundesgesundheitsblatt 2014). Die Gesamtkosten in

Deutschland werden auf 27 Mrd. Euro jährlich für Kopfschmerzen beziffert und davon

entfallen 17 Mrd. Euro auf Migräne. Somit hat eine adäquate und effektive Behandlung neben

dem Gewinn an Lebensqualität für den Patienten und dessen Angehörige auch eine

bedeutende gesundheitsökonomische Komponente (vgl. Bundesgesundheitsblatt 2014). Aber

auch subjektiv haben Kopfschmerzen gravierende Auswirkungen auf den Alltag. So fällt es

schwer, sich zu konzentrieren, meist ist jedes laute Geräusch sehr unangenehm. Sind die

Kopfschmerzen nur kurz und episodisch, dann schränkt das den Alltag wenig ein. Bei

Patienten mit chronischen Kopfschmerzen sinkt dagegen die Lebensqualität rapide. Durch die

Schmerzhäufigkeit ist das soziale Leben eingeschränkt. Die Relevanz dieses Leidens spiegelt

sich auch darin wider, dass schon seit Anbeginn der Menschheit sich mit der Bekämpfung der

Ursachen der Kopfschmerzen auseinandergesetzt wurde. Schädelfunde aus der

Frühgeschichte zeigen bereits Spuren von Trepanationen. Ob diese wegen Kopfschmerzen

aufgrund von Migräne oder durch Frakturen oder andere Ursachen durchgeführt wurden, lässt

sich heute schwer beurteilen. Fakt ist jedoch, neue Knochenbildung an den Rändern der

Schnittstellen zeigen, dass die Patienten diesen Eingriff eine gewisse Zeit überlebt haben.

Schon damals versuchten die Menschen mit ihren beschränkten Möglichkeiten sehr

wahrscheinlich auch die Ursachen von Kopfschmerzen zu bekämpfen. In der Antike wurden

die Migränesymptome sogar in der Mythologie beschrieben. So wird die Geburt der Göttin

Athene durch starke Kopfschmerzen des Göttervaters Zeus eingeleitet und Athene entsteigt

dessen Kopf, nachdem dieser durch den Gott Hephaistos mit einer Axt gespalten wurde. Im

Lauf der Geschichte haben sich viele Wissenschaftler mit diesem Sujet beschäftigt und

zahlreiche Schriften dazu veröffentlicht (vgl. Zanchin 2010).

9

1.7. Bedeutung der Arbeit

Das vorrangige Ziel dieser Arbeit ist es, zu eruieren, ob der Leipziger Arzt und

Wissenschaftler Paul Julius Möbius in der Konzeptgeschichte der Migräne,

Neuroophthalmologie und des Morbus Basedow am Ende des 19. Jahrhunderts eine

Bedeutung besitzt und worin genau diese im positiven Fall besteht. Für die Neurologiehistorie

ist dies für sich ein Beitrag, doch auch zur Komplettierung der Werkbiografie Möbius' und

damit zur kritischen Gesamteinschätzung seines Schaffens kann die vorliegende Arbeit

wesentliche Bausteine vorlegen. Möbius' Name wird bisher medizinhistorisch vor allem mit

den Publikationen zur Hysterie und „Zum physiologischen Schwachsinn des Weibes“ in

Zusammenhang gebracht. Die hier vorliegende Arbeit kann aber zeigen, dass der Leipziger

Neurologe, Psychiater und Wissenschaftspublizist auch auf anderen Gebieten der klinisch

angewandten Neurowissenschaften seiner Zeit teilweise voraus war und seine Ansichten heute

noch in bestimmten Anteilen zutreffen.

10

2. Publikationen

2.1.

Das Wissen der deutschen Neurologen über die Migräne um 1890 -

Paul Julius Möbius und seine Monographie Die Migräne 1894

C. Schobeß¹, H. Steinberg¹

¹ Archiv für Leipziger Psychiatriegeschichte, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und

Psychotherapie, Universität Leipzig

Nervenarzt 2013; 84: 995-1001

DOI 10.1007/s00115-013-3826-4

Online publiziert: 10. Juli 2013

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

11

12

13

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15

16

17

18

2.2.

Paul Julius Möbius –

Ein Schrittmacher in der Geschichte der Neuroophthalmologie

C. Schobeß¹, H. Steinberg¹

¹ Archiv für Leipziger Psychiatriegeschichte, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und

Psychotherapie, Universität Leipzig

Klin Monbl Augenheilkd 2014; 231: 543-547

DOI 10.1055/s-0033-1360260

© Georg Thieme Verlag Stuttgart

ISSN 0023-2165

19

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3. Zusammenfassung

Dissertation zum Erlangen des akademischen Grades Dr. med.

Promotionstitel Die Beiträge von Paul Julius Möbius (1853-1907) zu den

Konzeptgeschichten der Migräne, Neuroophthalmologie und des

Morbus Basedow

eingereicht von Constanze Engelmann, geb. Schobeß

angefertigt am Archiv für Leipziger Psychiatriegeschichte,

Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der

Universität Leipzig

betreut von PD Dr. rer. medic. habil. Holger Steinberg

Oktober 2015

Die vorliegende Promotionsarbeit möchte den Forschungsstand Ende des 19. Jahrhunderts zu

den Krankheitsbildern Migräne, infantiler Kernschwund und Morbus Basedow mit den

entsprechend dahingehörigen Beiträgen des Leipziger Neurologen, Psychiaters und

Wissenschaftspublizisten Paul Julius Möbius in Zusammenhang bringen.

I. Möbius vermutete wie viele seiner zeitgenössischen Kollegen als Ursache der Migräne

eine pathologische Veränderung im Gehirn, die jedoch in verschiedenen Hirnarealen

lokalisiert wurde. Durch ausführliche Anamneseerhebungen sah Möbius eine familiäre

Häufung und schlussfolgerte daraus, dass die Migräne eine vererbbare Erkrankung sei.

II. Andere Neurologen, wie zum Beispiel Emil du Bois-Reymond oder Friedrich Wilhelm

Möllendorff, vermuteten eine kraniale vasomotorische Störung als Ursache der Migräne.

Möbius lehnte diese Theorie ab. Auch verwarf der Leipziger Neurologe die Hypothese, dass

die Migräne eine Neurose, also funktionelle Störung, sei.

III. Fast alle betrachteten Autoren bemerkten eine Präferenz des weiblichen Geschlechts

und für die Gesundheit schädliche Einflüsse als Triggerfaktoren für Migräne. Den Beginn der

Erkrankung verlegten fast alle Autoren in die Kindheit.

25

IV. Bei Migräneanfällen mit Aura wurden visuelle, parästhetische oder psychische

Prodromi beschrieben. Paul Julius Möbius sah in dem Fehlen von motorischen

Vorläufererscheinungen einen differenzialdiagnostischen Aspekt gegenüber der Epilepsie.

V. Die Therapie in der damaligen Zeit konnte in Ermangelung einer bewiesenen kausalen

Ursache nur symptomatischer Natur sein. So hielt Möbius die Prävention der auslösenden

Faktoren für wichtig. Im Anfall selbst gab er und andere häufig Bromsalze. Möbius führte die

positiven Ergebnisse bei der Elektro- und Massagetherapie als einer der Ersten auf Suggestion

zurück.

VI. In deutschsprachigen neurologischen Lehrbüchern wurde in Migränekapiteln bis in die

1920/30er Jahre auf die 1894 erschienene Monografie „Die Migräne“ von Paul Julius Möbius

verwiesen. In zeitgenössischen Rezensionen wurden vorwiegend positiv die Vollständigkeit

der Darstellung und der klare Stil Möbius' gewürdigt. Englischsprachige Kompendien und

Forschungsarbeiten erwähnen ihn kaum.

VII. Möbius' Erkenntnisse fußten auf seine klinische Erfahrung und seine enorme

Literaturkenntnis. Insofern kann seine wissenschaftliche Arbeit zum Krankheitsbild als

naturwissenschaftlich-empirisch eingeschätzt werden. Dies steht durchaus im Gegensatz zu

anderen Arbeiten, in denen er z. B. die Metaphysik als zulässige Erkenntnisquelle betrachtete.

VIII. In den Hauptaspekten wich Möbius in seinen Ansichten nicht von den

zeitgenössischen Hypothesen ab. Er würdigte das Werk von Edward Liveing als epochal.

Dieses wird auch heute noch als Standardwerk der damaligen Zeit angesehen. Möbius' eigene

Monographie kann hingegen gerade für den deutschsprachigen Raum selbst als Standardwerk

bezeichnet werden. Es sammelt den Kenntnisstand seiner Zeit auf nahezu einzigartige Weise

und es wurde auf dieses noch Jahrzehnte später zurückgegriffen.

IX. In Veröffentlichungen zur Historiographie der Neuroophthalmologie, die freilich selbst

erst noch eine junge, systematisch vorgehende Disziplin ist, werden die Thesen von Paul

Julius Möbius nicht erwähnt, dabei findet sich doch noch heute sein Name in fachspezifischen

Eponymen wieder.

X. Der Leipziger Neurologe unterschied strikt zwischen Migräne und

ophthalmoplegischer Migräne, die er als periodische Okulomotoriuslähmung bezeichnete.

Damit stellte er sich der gängigen Lehrmeinung, die durch den französischen Neurologen

Jean-Martin Charcot geprägt war, entgegen.

26

XI. Möbius vermutete in der Regelmäßigkeit der Anfallswiederkehr der periodischen

Okulomotoriuslähmung einen allmählichen Spannungsaufbau, der sich in einer sogenannten

Explosion entlade. Als Sitz der pathologischen Veränderung sah er zuerst eine Veränderung in

der Wurzelregion des 3. Hirnnervs, später änderte er, nach Veröffentlichung einiger

Sektionsbefunde, seine Meinung und favorisierte ein Fibrom des Nervs als ursächlich.

XII. Heutzutage wird die periodische Okulomotoriuslähmung, ein von Möbius geprägter

Begriff, als Unterform der Migräne angesehen. Dennoch wird durch das Eponym Möbius'sche

Krankheit sein Verdienst durch Anregen der Diskussion über diese Entität allgemein

anerkannt.

XIII. Paul Julius Möbius prägte 1888 den Krankheitsbegriff des infantilen Kernschwunds.

Bei dieser Erkrankung beobachtete er angeborene oder sich in der Kindheit entwickelnde

Augenmuskellähmungen sowie häufig auftretende Fehlbildungen, zum Beispiel der Finger.

Als pathologisches Substrat meinte er eine Atrophie der Nervenanteile in den

Hirnnervenkernen durch eine Giftwirkung auszumachen. Heutzutage ist diese äußerst seltene

Erkrankung in Gedenken daran, dass Möbius dieses Krankheitsbild mit als einer der Ersten

beschrieb, nach ihm als Möbius-Syndrom benannt.

XIV. Möbius wies 1886 als Erster auf den Zusammenhang zwischen dem Morbus Basedow

und einer Fehlfunktion der Schilddrüse hin. Die Konvergenzschwäche beim Morbus Basedow

führte er auf die Prominenz der Bulbi und nervöse Erschöpfung zurück. Initial sah Möbius

wie seine zeitgenössischen Kollegen die Ursache in einer nervösen Störung. Später zog er

Parallelen zum Kretinismus und meinte, dass die Schilddrüse auch bei Hypertrophie nicht die

anfallenden schädlichen Stoffe unschädlich machen könne und somit die Symptome

entstünden. Der Neurologe war einer der ersten Verfechter der Antithyreoidin-Theorie.

Letztendlich sind es wesentlich auch Möbius' Arbeiten zum Morbus Basedow, die dieses

Krankheitsbild aus den neurologischen Formenkreisen hinausführten. Die

Konvergenzschwäche bei Morbus Basedow wird in Gedenken an seinen Verdienst heute

Möbius-Zeichen genannt.

27

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32

5. Erklärung über die eigenständige Abfassung der Arbeit

Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne unzulässige Hilfe

oder Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe. Ich versichere,

dass Dritte von mir weder unmittelbar noch mittelbar geldwerte Leistungen für Arbeiten

erhalten haben, die im Zusammenhang mit dem Inhalt der vorgelegten Dissertation stehen,

und dass die vorgelegte Arbeit weder im Inland noch im Ausland in gleicher oder ähnlicher

Form einer anderen Prüfungsbehörde zum Zweck einer Promotion oder eines anderen

Prüfungsverfahrens vorgelegt wurde. Alles aus anderen Quellen und von anderen

Personen übernommene Material, das in der Arbeit verwendet wurde oder auf das direkt

Bezug genommen wird, wurde als solches kenntlich gemacht. Insbesondere wurden alle

Personen genannt, die direkt an der Entstehung der vorliegenden Arbeit beteiligt waren.

Zwickau, den 20. Oktober 2015 __________________________

Constanze Engelmann

33

6. Lebenslauf

Der Lebenslauf wurde aus der elektronischen Version

der Arbeit entfernt.

34

Der Lebenslauf wurde aus der elektronischen Version

der Arbeit entfernt.

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7. Danksagung

Meinen größten Dank möchte ich meinem Betreuer Herrn PD Dr. Holger Steinberg

aussprechen, der mir dieses interessante Thema zugewiesen und mich in meiner Arbeit mit

großer Initiative, Geduld und konstruktiver Kritik unterstützt hat.

Des Weiteren möchte ich den Mitarbeitern der Universitätsbibliothek Leipzig danken, die mir

in meiner Büchersuche tatkräftig geholfen haben.

Ein herzliches Dankeschön geht auch an meine Eltern, die mir als großes Vorbild dienen,

mich immer angespornt haben durchzuhalten, und an Steve, der mich immer unterstützt hat.

Ein besonderen Dank möchte ich Prof. Dr. Jürgen Langner aussprechen, ohne ihn ich mich

nicht für dieses Studium entschieden und somit diese Arbeit nie geschrieben hätte.