Die BRIC-Staaten: Ein ökonomischer Vergleich · schnittlich 11,1% zu verzeichnen. Es folgte...

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ifo Schnelldienst 23/2010 – 63. Jahrgang 42 Die Einteilung verschiedener Länder in Gruppen auf Basis ihrer wirtschaftlichen Entwicklung, Status oder auch politischer Zugehörigkeit hat in den Medien und der öffentlichen Wahrnehmung eine lange Tra- dition. Bekannte Schlagworte sind u.a. Dritte Welt, Industrienationen, Schwellen- länder, G-7, G-20, EU-Länder, Tigerstaa- ten oder OECD. In den letzten Jahren ist ein neuer Begriff hinzugekommen, der der sogenannten BRIC-Staaten. Bei den BRIC-Staaten handelt es sich um vier auf- strebende Schwellenländer: Brasilien, Russland, Indien und China. Geprägt wur- de der Begriff von Ökonomen der US- Bank Goldman Sachs, die seit 2001 in ei- ner Reihe von Berichten einen langfristi- gen wirtschaftlichen Aufschwung dieser Staaten vorhersagen. Ihre Bedeutung wird daran deutlich, dass prognostiziert wird, dass die BRIC-Staaten bis zum Jahr 2039 zusammen die größten sechs Industrie- nationen (G-6), gemessen am absoluten Bruttoinlandsprodukt (BIP), überholt ha- ben werden (vgl. Wilson und Purushotha- man 2003). In diesem Artikel soll die wirtschaftliche Entwicklung in den BRIC-Staaten der letz- ten Jahre näher beleuchtet werden. Ne- ben der wirtschaftlichen Entwicklung die- ser Länder in den vergangenen Jahren werden insbesondere auch die fiskalpo- litischen Maßnahmen der jeweiligen Re- gierungen im Rahmen der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise vorgestellt. Der Artikel kann als Ergänzung zu den Ge- meinschaftsdiagnosen und ifo Konjunk- turprognosen gesehen werden, in denen die Entwicklung der einzelnen BRIC-Staa- ten regelmäßig kurz dargestellt wird. Er nimmt zudem Bezug auf die Reihe »Aus- gewählte Länder und ihre weltwirtschaft- liche Verflechtung« (vgl. Zeiner 2008a; 2008b; 2009a; 2009b). Um größtmögli- che Konsistenz und Vergleichbarkeit zu gewährleisten, greift jede einzelne Abbil- dung auf Datenmaterial aus derselben in- ternationalen Statistik zurück. Dennoch sollte angemerkt werden, dass die Daten- lage in China und Indien nicht immer ei- ne befriedigende Vergleichbarkeit ermög- licht. Um die wirtschaftliche Entwicklung in den vier Schwellenländern mit der Ent- wicklung in fortgeschrittenen Volkswirt- schaften vergleichen zu können, werden zudem Daten der USA und Deutschlands in die Abbildungen aufgenommen. Wirtschaftliche Entwicklung in den BRIC-Staaten Bruttoinlandsprodukt Die BRIC-Staaten haben in den vergan- genen Jahren ihren Anteil am weltweiten BIP kontinuierlich gesteigert. Während ihr Anteil am in Kaufkraftparitäten gemesse- nen weltweiten BIP im Jahr 2001 bei rund 16,9% lag, stieg er bis 2009 auf rund 25%. Insbesondere China hat seinen An- teil von 7,5% im Jahr 2001 auf 12,5% im Jahr 2009 stark erhöht. Indien konnte im selben Zeitraum von 3,7 auf 5,1% zule- gen. Brasilien und Russland, deren Antei- le im Jahr 2009 bei 2,9 bzw. 3,0% lagen, zeigten dagegen seit 2001 keine nennens- werten Veränderungen. Gleichzeitig sinkt der Anteil der USA am Weltbruttoinlands- produkt seit etwa 1999 permanent. Ähn- liches gilt auch für Deutschland: Während der Anteil 1992 noch knapp 6% betrug, sank er bis zum Jahr 2009 auf 4%. Karol Paludkiewicz, Georg Paula und Klaus Wohlrabe Die BRIC-Staaten: Ein ökonomischer Vergleich Die vier Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien und China, zusammengefasst unter dem Be- griff »BRIC-Staaten«, sind in den letzten Jahren immer öfter Thema in Medien und Politik. Der An- stieg der öffentlichen Aufmerksamkeit ist dabei zweifelsohne der steigenden wirtschaftlichen Be- deutung dieser Länder zuzuschreiben, die aufgrund der kräftigen Zuwachsraten der gesamtwirt- schaftlichen Produktion zu wichtigen Akteuren im weltwirtschaftlichen Gefüge geworden sind. Der vorliegende Artikel beschreibt ihre ökonomische Entwicklung in den letzten Jahren und vergleicht sie mit den fortgeschrittenen Volkswirtschaften USA und Deutschland. Darüber hinaus gibt er ins- besondere auch einen Überblick über die Fiskalpolitik der BRIC-Staaten während der letzten Wirt- schafts- und Finanzkrise.

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Die Einteilung verschiedener Länder inGruppen auf Basis ihrer wirtschaftlichenEntwicklung, Status oder auch politischerZugehörigkeit hat in den Medien und deröffentlichen Wahrnehmung eine lange Tra-dition. Bekannte Schlagworte sind u.a.Dritte Welt, Industrienationen, Schwellen-länder, G-7, G-20, EU-Länder, Tigerstaa-ten oder OECD. In den letzten Jahren istein neuer Begriff hinzugekommen, der dersogenannten BRIC-Staaten. Bei denBRIC-Staaten handelt es sich um vier auf-strebende Schwellenländer: Brasilien,Russland, Indien und China. Geprägt wur-de der Begriff von Ökonomen der US-Bank Goldman Sachs, die seit 2001 in ei-ner Reihe von Berichten einen langfristi-gen wirtschaftlichen Aufschwung dieserStaaten vorhersagen. Ihre Bedeutung wirddaran deutlich, dass prognostiziert wird,dass die BRIC-Staaten bis zum Jahr 2039zusammen die größten sechs Industrie-nationen (G-6), gemessen am absolutenBruttoinlandsprodukt (BIP), überholt ha-ben werden (vgl. Wilson und Purushotha-man 2003).

In diesem Artikel soll die wirtschaftlicheEntwicklung in den BRIC-Staaten der letz-ten Jahre näher beleuchtet werden. Ne-ben der wirtschaftlichen Entwicklung die-ser Länder in den vergangenen Jahrenwerden insbesondere auch die fiskalpo-litischen Maßnahmen der jeweiligen Re-gierungen im Rahmen der weltweitenWirtschafts- und Finanzkrise vorgestellt.Der Artikel kann als Ergänzung zu den Ge-meinschaftsdiagnosen und ifo Konjunk-turprognosen gesehen werden, in denendie Entwicklung der einzelnen BRIC-Staa-ten regelmäßig kurz dargestellt wird. Ernimmt zudem Bezug auf die Reihe »Aus-

gewählte Länder und ihre weltwirtschaft-liche Verflechtung« (vgl. Zeiner 2008a;2008b; 2009a; 2009b). Um größtmögli-che Konsistenz und Vergleichbarkeit zugewährleisten, greift jede einzelne Abbil-dung auf Datenmaterial aus derselben in-ternationalen Statistik zurück. Dennochsollte angemerkt werden, dass die Daten-lage in China und Indien nicht immer ei-ne befriedigende Vergleichbarkeit ermög-licht. Um die wirtschaftliche Entwicklungin den vier Schwellenländern mit der Ent-wicklung in fortgeschrittenen Volkswirt-schaften vergleichen zu können, werdenzudem Daten der USA und Deutschlandsin die Abbildungen aufgenommen.

Wirtschaftliche Entwicklung inden BRIC-Staaten

Bruttoinlandsprodukt

Die BRIC-Staaten haben in den vergan-genen Jahren ihren Anteil am weltweitenBIP kontinuierlich gesteigert. Während ihrAnteil am in Kaufkraftparitäten gemesse-nen weltweiten BIP im Jahr 2001 bei rund16,9% lag, stieg er bis 2009 auf rund25%. Insbesondere China hat seinen An-teil von 7,5% im Jahr 2001 auf 12,5% imJahr 2009 stark erhöht. Indien konnte imselben Zeitraum von 3,7 auf 5,1% zule-gen. Brasilien und Russland, deren Antei-le im Jahr 2009 bei 2,9 bzw. 3,0% lagen,zeigten dagegen seit 2001 keine nennens-werten Veränderungen. Gleichzeitig sinktder Anteil der USA am Weltbruttoinlands-produkt seit etwa 1999 permanent. Ähn-liches gilt auch für Deutschland: Währendder Anteil 1992 noch knapp 6% betrug,sank er bis zum Jahr 2009 auf 4%.

Karol Paludkiewicz, Georg Paula und Klaus Wohlrabe

Die BRIC-Staaten: Ein ökonomischer Vergleich

Die vier Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien und China, zusammengefasst unter dem Be-

griff »BRIC-Staaten«, sind in den letzten Jahren immer öfter Thema in Medien und Politik. Der An-

stieg der öffentlichen Aufmerksamkeit ist dabei zweifelsohne der steigenden wirtschaftlichen Be-

deutung dieser Länder zuzuschreiben, die aufgrund der kräftigen Zuwachsraten der gesamtwirt-

schaftlichen Produktion zu wichtigen Akteuren im weltwirtschaftlichen Gefüge geworden sind. Der

vorliegende Artikel beschreibt ihre ökonomische Entwicklung in den letzten Jahren und vergleicht

sie mit den fortgeschrittenen Volkswirtschaften USA und Deutschland. Darüber hinaus gibt er ins-

besondere auch einen Überblick über die Fiskalpolitik der BRIC-Staaten während der letzten Wirt-

schafts- und Finanzkrise.

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Eine Erklärung für die Veränderungen in denweltweiten Anteilen aus Abbildung 1 ist inden Wachstumsraten der jeweiligen Länderzu sehen. Aus Abbildung 2 wird der großeUnterschied der Wachstumsraten zwischenden BRIC-Staaten und den Industrienatio-nen Deutschland und USA über den Zeit-raum der letzten fünf Jahre besonders deut-lich. So hatte China vor der Krise zwischen2005 und 2008 einen durchschnittlichen An-stieg der Wirtschaftsleistung um durch-schnittlich 11,1% zu verzeichnen. Es folgteIndien, das im selben Zeitraum auf einedurchschnittliche Rate von 8,9% kam. Diegesamtwirtschaftliche Produktion Russlandsund Brasiliens erhöhte sich jeweils mit durch-schnittlichen Raten von 6,9 und 4,4%. In denbeiden Industrienationen Deutschland undUSA dagegen stieg das BIP jeweils nur umdurchschnittlich 1,6 und 1,7%.

Im Krisenjahr 2009 fiel die Entwicklung derWirtschaftsleistung in den vier Schwellenlän-dern sehr unterschiedlich aus. Während dieweltweite Wirtschaftskrise die gesamtwirt-schaftliche Expansion in China und Indien imVergleich zu den Vorjahren nur unwesent-lich bremste (Zuwachsraten 2009: 8,9% bzw.7,7%), hatten Brasilien und Russland stär-ker mit der Krise zu kämpfen. So stagniertedas Bruttoinlandsprodukt in Brasilien im Jahr2009, nachdem es im Vorjahr noch umknapp 5% angestiegen war. Russland hattesogar einen Einbruch der wirtschaftlichen Ak-tivität um 7,9% zu verkraften.

Die positive Entwicklung der BRIC-Staatenkann auch an den starken Zuwächsen desBIP pro Kopf verdeutlicht werden. Die Ent-wicklung für die verschiedenen Länder ist inAbbildung 3 abzulesen. So hat sich das Pro-Kopf-BIP in Indien – dem Staat mit dem nied-rigsten Pro-Kopf-BIP der vier Länder – imJahr 2001 von 1 526 US-Dollar bis zum Jahr2009 auf 2 940 US-Dollar beinahe verdop-pelt. In China, als Land mit dem zweitnied-rigsten BIP pro Kopf, erhöhte es sich im ge-nannten Zeitraum sogar um den Faktor 2,5(2001: rund 2 600 US-Dollar, 2009: rund6 600 US-Dollar). Brasiliens Pro-Kopf-Wirt-schaftsleistung stieg von 7 254 US-Dollar imJahr 2001 auf 10 515 US-Dollar im Jahr2009. Russland hatte im gleichen Zeitraumeinen Anstieg von 8 251 US-Dollar auf14 920 US-Dollar zu verzeichnen.

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1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008

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Anteile am weltweiten Bruttoinlandsprodukt

Quelle: IMF; WEO.

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2005 2006 2007 2008 2009 2010Brasilien Indien RusslandChina Deutschland USA

Jährliche Veränderungsraten des Bruttoinlandsprodukts

Quelle: IMF; WEO.

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Bruttoinlandsprodukt pro Kopf

Quelle: IMF; WEO.

Kaufkraftparitäten in US-Dollars

Abb. 1

Abb. 2

Abb. 3

Kaufkraftparitäten in US-Dollar

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Handel

Auch der weltweite Handelsanteil (Exporteund Importe) der BRIC-Staaten hat in denvergangenen Jahren stark zugenommen, wieaus Abbildung 4 zu entnehmen ist. Im Jahr2009 belief er sich auf 13,8% (1999: 5,8%).Davon entfielen rund zwei Drittel auf China,welches seinen Handelsanteil von 3,2% imJahr 1999 auf 8,9% im Jahr 2009 stark stei-gern konnte und damit erstmals vor Deutsch-land lag. Zwar fällt der Anstieg von Brasi-lien, Russland und Indien moderater aus,doch auch diese Länder konnten in den letz-ten Jahren zusammengenommen ihren An-teil um 2,4% ausbauen (1999: 2,6%, 2009:5%). Die Bedeutung der BRIC-Staaten fürden Welthandel nimmt somit kontinuierlichzu, wohingegen die Handelsanteile der USAseit 2000 deutlich sinken. Die deutschen Welthandelsan-teile haben sich seit 2001 kaum verändert und lagen im Jahr2009 bei 8,3%.

Ein weiterer wichtiger außenwirtschaftlicher Aspekt ist dieEntwicklung der Handelsbilanzen, die die Differenz zwischenExporten und Importen darstellen. In Abbildung 5 ist ihreEntwicklung auf Monatsbasis abzulesen. Während Indienaufgrund seiner hohen Inlandsnachfrage und seiner wirt-schaftlichen Ausrichtung seiner Unternehmen auf den Bin-nenmarkt eine negative Handelsbilanz aufweist, ist diesefür China, Brasilien und Russland positiv. Die Gründe fürdie positiven Bilanzen unterscheiden sich dabei von Landzu Land stark. Auf der einen Seite steht China, dessen Wirt-schaft sich in den letzten 20 Jahren – gestützt durch dieextrem niedrigen Lohnkosten und einen künstlich niedrig ge-haltenen Wechselkurs – zum Hauptproduzenten von billigenKonsumgütern entwickelt hat und diese in den Rest der Welt

exportiert. Auf der anderen Seite stehen Brasilien und Russ-land, deren positiven Handelsbilanzsalden vornehmlich aufihren hohen Agrarprodukt- bzw. Rohstoffreichtum zurück-zuführen sind. So bestanden die Güterexporte Chinas imJahr 2008 überwiegend aus Industrieprodukten (Anteil von93,1%). In Brasilien waren dies überwiegend Agrarproduk-te und Rohstoffe (rund 53% der Gesamtgüterexporte (vgl.WTO 2010), mit den Hauptausfuhrprodukten Soja, Eisen-erz und Fleisch. In Russland machten dagegen fossile Brenn-stoffe – allen voran Öl und Erdgas – allein 73,1% der tota-len Güterexporte aus.

Während in den vergangenen fünf Jahren die BRIC-Staatenihre jeweiligen Handelsbilanzüberschüsse oder -defizite kon-tinuierlich ausgebaut hatten, war gegen Ende des Jahres2008 im Zuge der weltweiten Wirtschaftskrise und dem da-mit einhergehenden Einbruch des Welthandels ein starkerRückgang der Salden in absoluten Größen zu beobachten.

Die Entwicklung wurde als Schritt zu einemAbbau der internationalen Ungleichgewich-te gedeutet, da insbesondere auch die USAals Land mit dem größten Handelsbilanzde-fizit einen starken Abbau ihres Defizits zu ver-zeichnen hatten. Seit Mitte 2009 hat sich die-se Tendenz jedoch wieder umgekehrt, unddie positiven wie negativen Handelsbilanz-überschüsse weiten sich erneut aus.

Interessante Implikationen bietet auch dieEntwicklung der Zusammensetzung der Im-porte in den BRIC-Staaten. So hat der Im-port von Produkten mit geringer Wertschöp-fung – wie insbesondere landwirtschaftli-che Erzeugnisse – zwischen 1995 und 2007in allen vier Ländern abgenommen. Gleich-zeitig stieg der Anteil von Gütern mit höhe-

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1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009Brasilien Indien RusslandChina Deutschland USA

Entwicklung der Welthandelsanteile von Waren und Dienstleistungen

Quelle: IMF; IFS 2010.

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2006 2007 2008 2009 2010Brasilien Indien RusslandChina Deutschland USA

Handelsbilanzen (nur Güter)

Quelle: OECD; MEI 2010.

bis Juli

Mrd. US-Dollar

Abb. 4

Abb. 5

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rer Wertschöpfung wie Autos und Telekom-munikationsgeräten stark an. Der größteWandel fand dabei in Russland statt: Der Im-portanteil von Autos stieg von 5% im Jahr1990 auf 15% im Jahr 2007 an. Der Anteilvon landwirtschaftlichen Erzeugnissen fielim gleichen Zeitraum von 12 auf 6%. Auchin China stieg der Importanteil von Telekom-munikationsgeräten seit dem Jahr 1990stark an. Der Importanteil von Autos stiegdagegen nur geringfügig. Mit 2,5% blieb derImportanteil von Automobilen in China so-mit verglichen mit Brasilien (6,8%) und Russ-land (15%) bis jetzt noch gering (vgl. Gold-man Sachs 2009).

Der Wandel der Zusammensetzung der Im-porte in den BRIC-Staaten ist auf das verän-derte Konsumentenverhalten aufgrund ge-stiegener Einkommen und der damit einhergehenden Ent-stehung einer neuen Mittelklasse zurückzuführen. So stiegdie Anzahl der Personen in den BRIC-Staaten mit einemmittleren Einkommen von 6 000 US-Dollar bis 30 000 US-Dollar in den letzten zehn Jahren stark an (vgl. GoldmanSachs 2010). Dieser Trend wird sich laut Goldman Sachs inden kommenden Jahren insbesondere in China und Indien,den beiden Volkswirtschaften mit der weltweit größten Ein-wohnerzahl, fortsetzen und somit eine enorme Auswirkungauf die weltweite Nachfrage haben.

Arbeitslosigkeit

Die Arbeitslosenraten der einzelnen Länder stellen sich sehrheterogen dar. Während die Arbeitslosenquote in China lautoffizieller Stellen traditionell im niedrigen einstelligen Be-reich liegt und eine niedrige Fluktuation aufweist, liegt sie inBrasilien und Russland auf höherem Niveau und ist stärke-ren Schwankungen unterworfen. Der Wert für China ist al-lerdings mit Vorsicht zu genießen, da die offiziellen Arbeits-losigkeitsstatistiken nur Personen erfassen, die als Stadtbe-wohner registriert sind. Von den geschätzten 120 MillionenGastarbeitern, die aus ländlichen Gegenden in die Groß-städte gezogen sind, gibt es dagegen keine offiziellen Be-lege. Zu der Arbeitslosenrate in Indien wiederum gibt eskeine verlässlichen Quellen (vgl. The Economist IntelligenceUnit 2009a).

Auch bei der Entwicklung der Arbeitslosenquoten im Jahr2009 wird deutlich, dass die Länder unterschiedlich starkvon der Wirtschaftskrise betroffen waren. Zwar ist bei allenbetrachteten Ländern ein Anstieg der Arbeitslosenrate zubeobachten. In China, wo die Zuwachsraten der wirtschaft-lichen Aktivität während der Krise nur geringfügig geringerausfielen als in den vorangegangenen Jahren, stieg sie imJahresverlauf jedoch nur marginal an. Gleiches gilt für Bra-

silien, das den Einbruch der ausländischen Nachfrage nachseinen Agrarprodukten und Rohstoffen durch eine starke In-landsnachfrage kompensieren konnte. Russland dagegen,das durch die Wirtschaftskrise und den damit einherge-henden Einbruch der Nachfrage nach seinen fossilen Brenn-stoffen besonders hart getroffen wurde, musste einen deut-lichen Anstieg der Arbeitslosenrate von 6,2% im Jahr 2008auf 8,4% im Jahr 2009 hinnehmen.

Fiskalpolitik während der Weltwirtschaftskrise

Im Rahmen der Wirtschafts- und Finanzkrise rückte der As-pekt Fiskal- und Geldpolitik vermehrt in die Öffentlichkeit.Insbesondere die Frage, inwieweit die Politik in den einzel-nen Staaten auf die Krise reagieren soll und reagiert hat, war Gegenstand der Diskussion. Fast alle großen Indus-trienationen der Welt legten Konjunkturprogramme mit zumTeil beträchtlichem Umfang auf. Aber auch viele Schwel-lenländer unternahmen fiskalpolitische Anstrengungen zurStimulierung der heimischen Wirtschaft. Aufgrund der ge-stiegenen Bedeutung der BRIC-Staaten im weltweiten Wirt-schaftssystem rückten dabei insbesondere auch diese Staa-ten in den Fokus, wobei hier vor allem China mit seinemgewaltigen Konjunkturprogramm viel Aufmerksamkeit aufsich zog. Inwiefern die zu beobachtende Erholung der Wirt-schaft mit den Konjunkturpaketen der einzelnen Länder zu-sammenhängt, lässt sich zu diesem Zeitpunkt noch nichtbeurteilen. Im Folgenden soll aber dennoch ein Überblickder einzelnen Maßnahmen zur Stimulierung der Wirtschaftgegeben werden.

China

Die chinesische Regierung reagierte schnell auf den sich imvierten Quartal 2008 abzeichnenden wirtschaftlichen Ab-

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1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009

Brasilien Russland China Deutschland USA

Jährliche Arbeitslosenraten

Quelle: IMF; IFS.

in % der Erwerbspersonen

Abb. 6

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schwung und verabschiedete am 9. Novem-ber 2008 ein umfangreiches, auf zwei Jahreausgelegtes Konjunkturpaket in Höhe von4 000 Mrd. RMB (rund 445 Mrd. Euro, bzw.586 Mrd. US-Dollar), was rund 14% des BIPdes Jahres 2008 entsprach. Ein vergleich-bar großes Paket für die US-Wirtschaft hät-te 2,8 Billionen US-Dollar betragen (tatsäch-lich: 787 Mrd. US-Dollar).

Hauptbestandteil des Pakets waren – nebender Schaffung von Anreizen zum Kauf vonKonsumgütern – Investitionen in die öffent-liche Infrastruktur, die mit der Hälfte des Ge-samtvolumens angesetzt waren. Im Zentrumstanden dabei der Ausbau des Schienen-und Energienetzes, der Bau günstiger Woh-nungen, die Verbesserung der ländlichen In-frastruktur sowie der Wiederaufbau des vomErdbeben zerstörten Sichuan. Da die chine-sische Infrastruktur mit Ausnahme der Küstenregion in wei-ten Teilen des Landes noch sehr unterentwickelt ist, zieltedie Strategie auf einen tatsächlich vorhandenen Bedarf.

Ein weiterer Bestandteil der expansiven chinesischen Wirt-schaftspolitik waren Anreize zur Vergabe und Aufnahme vonKrediten, in dessen Folge das Kreditvolumen im Sommer2009 um mehr als 30% gegenüber dem Vorjahreszeitraumwuchs (vgl. Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose 2009).Des Weiteren wurden zu Beginn des Jahres 2009 sogenann-te industriespezifische Restrukturierungs- und Revitalisie-rungsprogramme mit dem Ziel verabschiedet, einzelne Pro-duktionsbranchen – wie unter anderem die Eisen- und Stahl-industrie und die Automobil- und Textilindustrie – in der Kri-se zu unterstützen und wettbewerbsfähiger zu machen (vgl.Germany Trade & Invest 2010).

Die schnelle Umsetzung des Programms ab Ende 2008 führ-te vermutlich unter anderem dazu, dass schon Mitte desJahres 2009 eine Erholung der Wirtschaft zu beobachtenwar. So zeigte der ifo Wirtschaftsklimaindex bereits im zwei-ten Quartal 2009 für China eine deutliche Verbesserung derWirtschaftslage an – wesentlich früher als für die großen In-dustrienationen und die meisten anderen Schwellenländerder Welt (vgl. Abb. 7). Dementsprechend konnte die Wirt-schaftsleistung Chinas nach einer Zuwachsrate von 6,2%(Vorjahresvergleich) im ersten Quartal 2009 bereits im zwei-ten Quartal 2009 wieder eine Rate von 7,9% aufweisen. Imdritten Quartal stieg das BIP um 9,1%, im vierten Quartalum 10,7% (vgl. The Economist Intelligence Unit 2010).

Trotz des offensichtlichen positiven Effekts gab es allerdingsauch Kritik an dem Konjunkturprogramm der chinesischenRegierung. Darunter fiel vor allem das Fehlen von geeigne-ten Maßnahmen zum Aufbau eines sozialen Sicherungssys-

tems. Zwar wurden Mittel für soziale Projekte in China imText zum Konjunkturprogramm angesprochen, der Fokuslag aber auch hier eher auf Infrastrukturmaßnahmen, wiedem Aufbau von lokalen Krankenhäusern und der Reno-vierung von Schulen. Viele Experten sahen in den fiskalpo-litischen Mitteln eine Möglichkeit, Chinas Wachstumsstrate-gie neu auszurichten – von einem export- und investitions-getriebenem hin zu einem konsumorientierten Wachstums-konzept. Die Abhängigkeit der chinesischen Wirtschaft vonihrem Exportsektor und der Investitionstätigkeit lässt sicham besten an den Anteilen der einzelnen Komponenten amgesamtwirtschaftlichen Output des Landes verdeutlichen.So lag in den vergangenen Jahren der Anteil der Bruttoan-lageinvestitionen an der Gesamtnachfrage mit etwa 40%im internationalen Vergleich extrem hoch und sogar deut-lich über dem Anteil der privaten Konsumausgaben (etwa35%) (vgl. Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose 2009).Zum Vergleich: In den USA lag der Anteil der Investitionenam BIP im Jahr 2009 bei 16%, der Konsumanteil lag bei70%.

Indien

Auch Indien reagierte am 7. Dezember 2008 zunächst miteinem 4 Mrd. US-Dollar schweren Konjunkturpaket. Das Vo-lumen des Pakets fiel mit 0,7% des BIP verglichen mit demKonjunkturpaket Chinas relativ bescheiden aus. Grund fürden geringen Umfang des Programms waren insbesonde-re haushaltspolitische Zwänge. So ließ das beträchtlicheindische Budgetdefizit von rund 6% des Bruttoinlandpro-dukts sowie die für ein Schwellenland sehr hohe gesamt-staatliche Schuldenquote von etwa 80% der indischen Re-gierung wenig Raum für weitere Ausgaben. Die fiskalischenMaßnahmen zielten sowohl auf den Ausbau der Infrastruk-tur als auch die Ankurbelung der Binnennachfrage. Zentra-

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ifo Wirtschaftsklimaindex China

Quelle: Ifo World Economic Survey (WES) IV/2010.

WES BIP-Jahreswachstumsrate in %

Abb. 7

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le Bestandteile waren unter anderem öffentliche Investitio-nen in die ländliche Infrastruktur sowie Kreditvergünstigun-gen. Zudem wurde die Mehrwertsteuer um 4% gesenkt, wasmit Einnahmenverlusten des Fiskus von 1,8 Mrd. US-Dollareinherging. Des Weiteren gab es Direkthilfen im Wert vonrund 315 Mill. US-Dollar für die Bekleidungsindustrie.

Am 2. Januar 2009 beschloss die indische Regierung ein zwei-tes Konjunkturpaket, vornehmlich um die Kreditvergabetätig-keit anzuregen. So gab es weitere Kreditvergünstigungen fürindische Unternehmen, Steuervergünstigungen für Exporteureund eine verstärkte Kreditbereitstellung durch die staatlicheInfrastructure Finance Company. Zudem erlaubte die Regie-rung den indischen Bundesstaaten, Kredite im Unfang von0,5% ihres Bruttoinlandsprodukts aufzunehmen (rund 6,8 Mrd.US-Dollar), um unabhängig von der Zentralregierung eigenefiskalpolitische Programme aufzusetzen. Die genaue Höhedes Pakets wurde nicht bekannt gegeben.

Wie am ifo Wirtschaftsklimaindex zu er-kennen ist, setzte die kräftige wirtschaftli-che Erholung in Indien erst im dritten Quar-tal 2009 ein – etwas später als in China(vgl. Abb. 8). Auch das Expansionstempodes Bruttoinlandsprodukts erhöhte sicherst wieder im dritten Quartal 2009 deut-lich, wo es mit einer Rate von 8,6% im Ver-gleich zum Vorjahr zulegte (nach 5,8% imersten und 6,0% im zweiten Quartal). Diesehr positive Entwicklung der Wirtschaftsowie das hohe staatliche Budgetdefizitführten zu Beginn des Jahres 2010 dazu,dass die indische Regierung eine Abkehrvon ihrer expansiven Finanzpolitik be-schloss und nicht alle Mittel aus den Kon-junkturpaketen ausschöpfte.

Brasilien

Nachdem das reale Bruttoinlandsproduktin Brasilien im vierten Quartal 2008 um 3,5%gegenüber dem Vorquartal gesunken war,verabschiedete die Regierung im Dezem-ber 2008 ein Konjunkturpaket in Höhe vonrund 13 Mrd. US-Dollar. Anders als Indienkonnte Brasilien mit einem Defizit des öf-fentlichen Sektors von vergleichsweiseniedrigen 2% im Jahr 2008 solide Staatsfi-nanzen aufweisen und hatte somit größe-ren Spielraum für fiskalpolitische Stabilisie-rungsmaßnahmen. Die konjunkturellen Pro-gramme zielten insbesondere auf die Sti-mulierung der Investitionen und des priva-ten Konsums, die in Folge der Krise starkeingebrochen waren. So bestand der wich-tigste Teil des Konjunkturpakets aus Steu-ersenkungen: Die Umsatzsteuer auf Mit-

telklassewagen wurde bis April 2009 um 50%, die auf Klein-fahrzeuge sogar um 100% gesenkt, um die für BrasiliensWirtschaft sehr wichtige Automobilindustrie zu stärken.Nachdem die Autoverkäufe im November 2008 um 27%gegenüber dem Vormonat abnahmen, führte diese Maß-nahme bereits im Dezember zu einer leichten Erholung.Zusätzlich wurde die Einkommensteuer für Geringverdie-ner gekürzt. Weitere wichtige Bestandteile des fiskalpo-litischen Maßnahmenpaketes waren zudem die Erhöhungder Mindestlöhne um 12% sowie die Erhöhung der Ge-hälter im öffentlichen Dienst.

Nachdem die konjunkturellen Maßnahmen keine unmittel-bare Wirkung zu entfalten schienen und sich die Industrie-produktion in den ersten beiden Monaten des Jahres 2009weiterhin schwach entwickelte, verabschiedete die Regie-

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Quelle: Ifo World Economic Survey (WES) IV/2010.

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ifo Wirtschaftsklimaindex Brasilien

Quelle: Ifo World Economic Survey (WES) IV/2010.

WES BIP-Jahreswachstumsrate in %

Abb. 9

Page 7: Die BRIC-Staaten: Ein ökonomischer Vergleich · schnittlich 11,1% zu verzeichnen. Es folgte Indien, das im selben Zeitraum auf eine durchschnittliche Rate von 8,9% kam. Die gesamtwirtschaftliche

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rung weitere stimulierende Maßnahmen. Am25. März 2009 wurde ein Wohnungsbaupro-gramm verabschiedet, welches Subventio-nen in Höhe von 13,3 Mrd. US-Dollar für denBau von einer Million Häusern vorsah. Ziel-gruppe waren wieder die Geringverdiener:Haushalte mit einem geringeren Einkommenals der dreimalige Mindestlohn mussten zehnJahre lang nur 10% ihres Einkommens fürden Bau eines Hauses zahlen. Der restlicheBetrag wurde vom Staat getragen. Haushal-ten mit einem Einkommen, das den sechs-maligen Mindestlohn nicht übertraf, wurdeimmerhin noch ein 20%-iger Zuschuss ga-rantiert (vgl. The Economist Intelligence Unit2009b).

Dank der erfolgreichen expansiven fiskalpo-litischen Maßnahmen der Regierung – es ge-lang, insbesondere Geringverdiener zu Konsumenten zumachen und so den Binnenkonsum anzukurbeln – und derim Jahresverlauf 2009 wieder anziehenden Nachfrage nachRohstoffen, verbesserte sich die wirtschaftliche Lage derbrasilianischen Wirtschaft bereits ab dem zweiten Quartal2009 wieder deutlich, wie am ifo Wirtschaftsklimaindexgut zu erkennen ist (vgl. Abb. 9).

Russland

Russland reagierte ähnlich wie China bereits im November2008 mit Maßnahmen zur Stimulierung der Wirtschaft. Dierussische Regierung hatte dabei reichlich Handlungsspiel-raum. Zum einen wies Russland mit einem Haushaltsüber-schuss von 4,1% im Jahr 2008 sehr solide Staatsfinanzenauf. Zum anderen konnte sie zusätzlich auf Mittel aus ei-nem Stabilisierungsfonds zurückgreifen, derin den vergangenen Jahren eigens für solcheine Situation eingerichtet und durch die ho-hen Erlöse Russlands aus seinen Rohstoff-verkäufen gespeist wurde (sein Volumen be-lief sich im Jahr 2008 auf 16,2% in Relationzu dem Bruttoinlandsprodukt, vgl. Projekt-gruppe Gemeinschaftsdiagnose 2009) DieMaßnahmen des Konjunkturprogramms ziel-ten dann – ähnlich wie in Brasilien – vornehm-lich auf die Ankurbelung des Binnenkonsumsab. So bestand ein zentraler Bestandteil desProgramms in einer Senkung der Körper-schaftsteuer um 4 Prozentpunkte auf einenSatz von 20%. Um kleine Unternehmen zuunterstützen, wurde zudem die Einkommen-steuer von 15% auf 5% gesenkt. Des Wei-teren wurden ausgewählten Branchen bes-sere Finanzierungsbedingungen versprochen(vgl. The Economist Intelligence Unit 2008).

Am 6. April 2009 verabschiedete die Regierung ein weiteresKonjunkturpaket von insgesamt rund 90 Mrd. US-Dollar. Ne-ben Verteidigungsausgaben und weiterer Unterstützung füreinzelne Industriebranchen waren auch RentenerhöhungenTeil der expansiven Fiskalpolitik (vgl. IWF 2009).

Ähnlich wie für die anderen BRIC-Staaten datiert der ifo Wirt-schaftsklimaindex den Wendepunkt in der wirtschaftlichenEntwicklung für Russland auf das zweite Quartal 2009 (vgl.Abb. 10). Anders als zum Beispiel in China und Indien blie-ben die Zuwachraten im Vorjahresvergleich jedoch nochbis Anfang dieses Jahres im negativen Bereich, da die Er-holung in Russland etwas schleppender verlief und der vor-angegangene Absturz im Zuge der weltweiten Wirtschafts-krise wesentlich ausgeprägter war als in den anderen Län-dern (vgl. Abb. 10).

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ifo Wirtschaftsklimaindex Russland

Quelle: Ifo World Economic Survey (WES) IV/2010.

WES BIP-Jahreswachstumsrate in %

Abb. 10

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Erholung/beginnender Aufschwung Fortgeschrittener Aufschwung/Boom

Abkühlung/Abschwung

IV/2010

Konjunkturelles Tief/Rezession

aktuelleWirtschaftslage

Erwartung für dienächsten 6 Monate

schlecht gut

Verbesserung

ifo Wirtschaftsklima China im Vergleich

- aktuelle Wirtschaftslage: noch negativ, aber Verbesserung - Erwartungen: positiv

Quelle: Ifo World Economic Survey (WES) IV/2010.

- aktuelle Wirtschaftslage: schlecht - Erwartungen: negativ

- aktuelle Wirtschaftslage: gut - Erwartungen: positiv

- aktuelle Wirtschaftslage: gut, jedoch zunehmende Verschlechterung - Erwartungen: negativ

USA

IV/2010

Deutschland

China

IV/2010

I/2008

I/2008

I/2008

Verschlechterung

Abb. 11

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Ausblick

In den vorangegangenen Abschnitten wur-de die ökonomische Entwicklung der BRIC-Staaten über die letzten Jahre dargestellt.Neben einem historischen Vergleich zwi-schen den aufstrebenden Wirtschaftsnatio-nen mit Deutschland und den USA wurdenauch die einzelnen Maßnahmen im Rahmender Wirtschafts- und Finanzkrise erörtert.Es zeigt sich, dass die Bedeutung der BRIC-Staaten zugenommen hat. Dies wird vor al-lem an den weit überdurchschnittlichen Zu-wachsraten der Wirtschaftsleistung sowieden damit einhergehenden immer größerwerdenden Anteilen am Welthandel deut-lich. Inwieweit diese Entwicklung in der Zu-kunft anhält, soll hier offen gelassen wer-den. Abschließend kann allerdings zumin-dest der Status quo der wirtschaftlichen La-ge in den einzelnen Ländern sehr gut anden ifo Konjunkturuhren – basierend auf denDaten des Ifo World Economic Survey (vgl.Nerb und Plenk 2010) – abgelesen werden.Das Prinzip einer Konjunkturuhr ist unter an-derem in Abberger und Nierhaus (2010)ausführlich erklärt. Abbildungen 11 bis 14zeigen die aktuellen Konjunkturuhren(2008:I bis 2010:IV) für die unterschiedli-chen BRIC-Staaten jeweils im Vergleich zuDeutschland und den USA. Demgemäß be-finden sich Indien, Brasilien und Russlandnoch in Boomphasen, während die Ent-wicklung in China im Moment auf eine leich-te Abkühlung hindeutet.

Literatur

Abberger K. und W. Nierhaus (2010), »Die ifo Konjunk-turuhr: Zirkulare Korrelation mit dem Bruttoinlandspro-dukt,« ifo Schnelldienst 63(5), 32–43.Germany Trade & Invest (2010), Konjunkturprogrammeweltweit: China, http://www.gtai.de/DE/Content/Stan-dardbeitrag/Spezialthemen/konjunkturprogramme-welt-weit.html.Goldman Sachs Global Economics Research (2009),BRICs Monthly 07/09, http://www2.goldmansachs.com/ideas/brics/drivers-of-global-consumption-doc.pdf.Goldman Sachs Global Economics Research (2010),BRICs Monthly 03/10, http://www2.goldmansachs.com/ideas/brics/brics-decade-doc.pdf.IWF (2009), IMF Survey Magazine: Countries and Regi-ons, »Russia needs to Bolster Banks, Target Fiscal Sti-mulus«, http://www.imf.org/external/pubs/ft/survey/so/2009/car080709a.htm.Nerb, G. und J. Plenk (2010), »ifo Weltwirtschaftsklima-indikator leicht gesunken«, ifo Schnelldienst 63(23). Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2009), »Zöger-liche Belebung – steigende Staatsschulden – Gemein-schaftsdiagnose Herbst 2009«, ifo Schnelldienst 62(20),3–64.

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Erholung/beginnender Aufschwung Fortgeschrittener Aufschwung/Boom

Abkühlung/Abschwung

IV/2010

Konjunkturelles Tief/Rezession

Wirtschaftslage

Erwartung für dienächsten 6 Monate

schlecht gut

Verbesserung

Verschlechterung

ifo Wirtschaftsklima Indien im Vergleich

- aktuelle Wirtschaftslage: noch negativ, aber Verbesserung - Erwartungen: positiv

Quelle: Ifo World Economic Survey (WES) IV/2010.

- aktuelle Wirtschaftslage: schlecht - Erwartungen: negativ

- aktuelle Wirtschaftslage: gut - Erwartungen: positiv

- aktuelle Wirtschaftslage: gut, jedoch zunehmende Verschlechterung - Erwartungen: negativ

USA

IV/2010

Deutschland

Indien

IV/2010

I/2008

I/2008

I/2008

aktuelle

aktuelle

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Erholung/beginnender Aufschwung Fortgeschrittener Aufschwung/Boom

Abkühlung/Abschwung

IV/2010

Konjunkturelles Tief/Rezession

aktuelleWirtschaftslage

Erwartung für dienächsten 6 Monate

schlecht gut

Verbesserung

ifo Wirtschaftsklima Brasilien im Vergleich

- aktuelle Wirtschaftslage: noch negativ, aber Verbesserung - Erwartungen: positiv

Quelle: Ifo World Economic Survey (WES) IV/2010.

- aktuelle Wirtschaftslage: schlecht - Erwartungen: negativ

- aktuelle Wirtschaftslage: gut - Erwartungen: positiv

- aktuelle Wirtschaftslage: gut, jedoch zunehmende Verschlechterung - Erwartungen: negativ

USA

IV/2010

Deutschland

Brasilien

IV/2010

I/2008

I/2008

I/2008

Verschlechterung

1

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1 9

Erholung/beginnender Aufschwung Fortgeschrittener Aufschwung/Boom

Abkühlung/Abschwung

IV/2010

Konjunkturelles Tief/Rezession

aktuelleWirtschaftslage

Erwartung für dienächsten 6 Monate

schlecht gut

Verbesserung

Verschlechterung

ifo Wirtschaftsklima Russland im Vergleich

- aktuelle Wirtschaftslage: noch negativ, aber Verbesserung - Erwartungen: positiv

Quelle: Ifo World Economic Survey (WES) IV/2010.

- aktuelle Wirtschaftslage: schlecht - Erwartungen: negativ

- aktuelle Wirtschaftslage: gut - Erwartungen: positiv

- aktuelle Wirtschaftslage: gut, jedoch zunehmende Verschlechterung - Erwartungen: negativ

USA

IV/2010

Deutschland

Russland

IV/2010

I/2008

I/2008

I/2008

Abb. 12

Abb. 13

Abb. 14

Page 9: Die BRIC-Staaten: Ein ökonomischer Vergleich · schnittlich 11,1% zu verzeichnen. Es folgte Indien, das im selben Zeitraum auf eine durchschnittliche Rate von 8,9% kam. Die gesamtwirtschaftliche

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