Die Einführung des abstrakten Körperbegriffs Geschichte der Mathematik des 19. Jahrhunderts...

22
Die Einführung des abstrakten Körperbegriffs Geschichte der Mathematik des 19. Jahrhunderts Frederic Posala 10.12.2007

Transcript of Die Einführung des abstrakten Körperbegriffs Geschichte der Mathematik des 19. Jahrhunderts...

Page 1: Die Einführung des abstrakten Körperbegriffs Geschichte der Mathematik des 19. Jahrhunderts Frederic Posala 10.12.2007.

Die Einführung des abstrakten Körperbegriffs

Geschichte der Mathematik des19. JahrhundertsFrederic Posala

10.12.2007

Page 2: Die Einführung des abstrakten Körperbegriffs Geschichte der Mathematik des 19. Jahrhunderts Frederic Posala 10.12.2007.

Gliederung

1. Einführung2. Algebraische Wurzeln3. Zahlentheoretische Wurzeln4. Der Körperbegriff nach Kronecker5. Der Körperbegriff nach Dedekind6. Vergleich der beiden Definitionen7. Der abstrakte Körperbegriff nach

Weber

Page 3: Die Einführung des abstrakten Körperbegriffs Geschichte der Mathematik des 19. Jahrhunderts Frederic Posala 10.12.2007.

1. Einführung Entwicklungsgeschichte des

Körperbegriffs verdeutlicht Übergang zur Strukturmathematik

Körperbegriff ist besonders geeignet, da sich die Fülle algebraischer Strukturen aus den Begriffen Gruppe, Körper und Algebra entwickelt hat

Körperbegriff besitzt historische Wurzeln in der Algebra und Zahlentheorie

Page 4: Die Einführung des abstrakten Körperbegriffs Geschichte der Mathematik des 19. Jahrhunderts Frederic Posala 10.12.2007.

2. Algebraische Wurzeln Problem: Auffinden von Lösungen

allgemeiner Gleichungen fünften und höheren Grades

Joseph Louis Lagrange (1770/71, Réflexions sur la résolution algebraique des équations)

Definition des Begriffs „ähnliche Funktion“ und folgende Beweise:

Alle zueinander ähnlichen Funktionen haben gleichen Grad über dem Grundkörper

Sind y und t ähnlich, so kann man y durch t und die Koeffizienten der Ausgangsgleichung rational ausdrücken

Auffinden der Ergebnisse durch direkte Ausrechnung

Page 5: Die Einführung des abstrakten Körperbegriffs Geschichte der Mathematik des 19. Jahrhunderts Frederic Posala 10.12.2007.

2. Algebraische Wurzeln Niels Henrik Abel (1827)

„Soient x‘, x‘‘, x‘‘‘ … un nombre fini de quantités quelconques. On dit que v est une fonction algébrique de ces quantités, s‘il est possible d‘exprimer v en x‘, x‘‘, x‘‘‘ … à l‘aide des operations suivantes: 1) par l‘addition; 2) par la multiplication, soit de quantités dépendant de x‘, x‘‘, x‘‘‘ …, soit de quantités qui n‘en dépendent pas; 3) par la division; 4) par l‘extraction de racines d‘indices premiers.“

Definition einer „algebraischen Funktion“ in Bezug auf einen Grundkörper P(x‘, x‘‘, x‘‘‘ …), P=Körper der rationalen Zahlen

Page 6: Die Einführung des abstrakten Körperbegriffs Geschichte der Mathematik des 19. Jahrhunderts Frederic Posala 10.12.2007.

2. Algebraische Wurzeln Implizite Vorbildung der Begriffe

Grundkörper, Zerfällungskörper, Normalkörper

Erkenntnis, dass die Eigenschaften einer Gleichung (irreduzibel, auflösbar, zyklisch, abelsch) vom zugrunde gelegten Grundkörper abhängen

Page 7: Die Einführung des abstrakten Körperbegriffs Geschichte der Mathematik des 19. Jahrhunderts Frederic Posala 10.12.2007.

2. Algebraische Wurzeln Évariste Galois (1846, Mémoire sur les conditions de

résolubilité des équations par radicaux)

Rückgriff auf bereits bekannte Definitionen Bereits von Lagrange geahnter

Zusammenhang zwischen Gruppe und Körper wird definiert.

Bestimmung eines Körpers durch Gleichungskoeffizienten und eventuell adjungierte Größen

Page 8: Die Einführung des abstrakten Körperbegriffs Geschichte der Mathematik des 19. Jahrhunderts Frederic Posala 10.12.2007.

2. Algebraische Wurzeln Fazit:

Durch implizite Benutzung körpertheoretischer Schlußweisen wurden Probleme der algebraischen Gleichungstheorie systematisiert und fassbar

Transformation auf die zugehörige Gruppe ermöglichte hinreichend allgemeine Lösungen der Probleme

Algebraische Probleme werden in das Problem der Untersuchung einer endlichen Gruppe transformiert

Beginn der strukturellen Algebra

Page 9: Die Einführung des abstrakten Körperbegriffs Geschichte der Mathematik des 19. Jahrhunderts Frederic Posala 10.12.2007.

3. Zahlentheoretische Wurzeln Leonhard Euler Untersuchung der Frage, welche Teiler

Zahlen der Form x2+cy2 mit c>0 und ganzrationalen teilerfremden x,y haben können

Erweiterung des Begriffs der Teilbarkeit auf die ganzen Zahlen des Körpers P(i).

Page 10: Die Einführung des abstrakten Körperbegriffs Geschichte der Mathematik des 19. Jahrhunderts Frederic Posala 10.12.2007.

3. Zahlentheoretische Wurzeln Carl Friedrich Gauss (1805, Theoria residuorum

biquadraticorum) Gauss definiert fundamentale Begriffe

(Einheit, assoziierte Zahlen, Norm, konjugierte Zahlen, ganze und rationale Zahlen) für den Körper P(i) (rationale komplexe Zahlen)

Beginn einer systematischen Untersuchung der arithmetischen Eigenschaften beliebiger algebraischer Zahlkörper

Page 11: Die Einführung des abstrakten Körperbegriffs Geschichte der Mathematik des 19. Jahrhunderts Frederic Posala 10.12.2007.

3. Zahlentheoretische Wurzeln Ernst Eduard Kummer Festlegung eines Integritätsbereichs

algebraischer Zahlen „Es sei λ eine Primzahl und eine imaginäre

Wurzel der Gleichung λ=1, so ist die allgemeinste Form der complexen Zahlen, welche wir hier untersuchen: φ()=a1+a22+…+aλ-1λ-1; in welchem Ausdruck die Coëffizienten a1, a2, etc. ganze Zahlen sind.”

Page 12: Die Einführung des abstrakten Körperbegriffs Geschichte der Mathematik des 19. Jahrhunderts Frederic Posala 10.12.2007.

4. Der Körperbegriff nach Leopold Kronecker Kronecker verbindet algebraische (nach

Abel) und arithmetische Untersuchungen (nach Kummer)

Erkenntnis der zentralen Rolle des Körperbegriffs für Algebra und Zahlentheorie in den 1850er Jahren

Page 13: Die Einführung des abstrakten Körperbegriffs Geschichte der Mathematik des 19. Jahrhunderts Frederic Posala 10.12.2007.

4. Der Körperbegriff nach Leopold Kronecker Über die algebraisch auflösbaren

Gleichungen (1853): „Die allgemeinste algebraische Function irgend

welcher Größen A, B, C, … zu finden, welche einer Gleichung von einem gegebenen Grade genügt, deren Coëfficienten rationale Functionen jener Größen sind.”

Benutzung des Erweiterungskörpers P(A, B, C, …)

Zusammenfassung aller durcheinander rational ausdrückbaren algebraischen Größen zu einer „Gattung“

Page 14: Die Einführung des abstrakten Körperbegriffs Geschichte der Mathematik des 19. Jahrhunderts Frederic Posala 10.12.2007.

4. Der Körperbegriff nach Leopold Kronecker Kummer-Festschrift (1881) Explizite Fassung des Körperbegriffs im

Sinne von Zahl- bzw. Funktionenkörper als „Rationalitätsbereich“:

„Der Rationalitätsbereich (R‘, R‘‘, R‘‘‘, …) enthält, wie schon die Bezeichnung deutlich erkennen lässt, alle diejenigen Größen, welche rationale Funktionen der Größen R‘, R‘‘, R‘‘‘, … mit ganzzahligen Coeffizienten sind.“

Explizite Ablehnung des Begriffs „Körper“

Page 15: Die Einführung des abstrakten Körperbegriffs Geschichte der Mathematik des 19. Jahrhunderts Frederic Posala 10.12.2007.

4. Der Körperbegriff nach Leopold Kronecker Bezeichnung von P und endlichen

transzendenten Erweiterungen von P als „natürliche Rationalitätsbereiche“

Bezeichnung der einfachen algebraischen Erweiterung natürlicher Rationalitätsbereiche als „Gattungsbereich“

Bezeichnung der Menge aller primitiven Elemente eines Gattungsbereichs als „Gattung“ algebraischer Größen und vollständige Fixierung des Körperbegriffs

Page 16: Die Einführung des abstrakten Körperbegriffs Geschichte der Mathematik des 19. Jahrhunderts Frederic Posala 10.12.2007.

5. Der Körperbegriff nach Richard Dedekind X. Supplement (1871)

„Indem wir versuchen, den Leser in diese neuen Ideen einzuführen, stellen wir uns auf einen etwas höheren Standpunkt und beginnen damit, einen Begriff einzuführen, welcher wohl geeignet scheint, als Grundlage für die höhere Algebra und die mit ihr zusammenhängenden Teile der Zahlentheorie zu dienen.“

„Unter einem Körper wollen wir jedes System von unendlich vielen reellen, oder komplexen Zahlen verstehen, welches in sich so abgeschlossen und vollständig ist, daß die Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division von je zwei dieser Zahlen immer wieder eine Zahl desselben Systems hervorbringt.“

Page 17: Die Einführung des abstrakten Körperbegriffs Geschichte der Mathematik des 19. Jahrhunderts Frederic Posala 10.12.2007.

5. Der Körperbegriff nach Richard Dedekind Zunächst nur Betrachtung von Zahlkörpern Der kleinste Körper sind die rationalen

Zahlen Der größte Körper sind „alle Zahlen“ Bezeichnung der endlichen algebraischen

Erweiterungen des rationalen Zahlkörpers als „endliche Körper“

Körper die nach Kronecker keine Rationalitätsbereiche sind, sondern ins „Größenreich aller algebraischen Zahlen“ gehören, sind definiert

Page 18: Die Einführung des abstrakten Körperbegriffs Geschichte der Mathematik des 19. Jahrhunderts Frederic Posala 10.12.2007.

6. Vergleich der beiden Definitionen Dedekind und Kronecker haben den

Körperbegriff unabhängig voneinander herausgearbeitet

Die Ansichten von beiden zum Aufbau der Mathematik waren entgegengesetzt

Dedekind wählt einen intensionalen Ansatz, Kronecker einen extensionalen

Page 19: Die Einführung des abstrakten Körperbegriffs Geschichte der Mathematik des 19. Jahrhunderts Frederic Posala 10.12.2007.

6. Vergleich der beiden Definitionen Kronecker strebte nach

Arithmetisierung der Mathematik Daraus resultierte die Ablehnung

transfiniter Methoden Er wollte alle Körperelemente in endlich

vielen Schritten aus gewissen Ausgangsgrößen herstellen

Page 20: Die Einführung des abstrakten Körperbegriffs Geschichte der Mathematik des 19. Jahrhunderts Frederic Posala 10.12.2007.

6. Vergleich der beiden Definitionen Bartel Leendert van der Waerden:

„Wenn wir die beiden großen Zahlentheoretiker Dedekind und Kronecker miteinander vergleichen, so fällt auf, daß Dedekind viel mehr begrifflich denkt, im Sinne der heutigen abstrakten Algebra, daß Kronecker dagegen viel mehr Wert auf explizite Rechenvorschriften legt“

Bis 1890 herrschten Kroneckers Begriffsbildungen und Methoden vor, wurden dann aber von Dedekinds Begriffsbildungen verdrängt, bzw. integriert

Page 21: Die Einführung des abstrakten Körperbegriffs Geschichte der Mathematik des 19. Jahrhunderts Frederic Posala 10.12.2007.

7. Der abstrakte Körperbegriff nach Heinrich Weber Die allgemeinen Grundlagen der

Galois‘schen Gleichungstheorie: „Eine Gruppe wird zum Körper, wenn in ihr zwei Arten

der Composition möglich sind, von denen die erste Addition, die zweite Multiplikation genannt wird. Diese allgemeine Bestimmung müssen wir aber noch etwas einschränken.“

Forderung nach Kommutativität und Ausschluss der Null in der multiplikativen Gruppe

Verbindung der beiden Gruppen durch das Distributivgesetz

Page 22: Die Einführung des abstrakten Körperbegriffs Geschichte der Mathematik des 19. Jahrhunderts Frederic Posala 10.12.2007.

7. Der abstrakte Körperbegriff nach Heinrich Weber Die Erweiterung dieses Begriffs durch

Ernst Steinitz („Algebraische Theorie der Körper“) führt zum heute gültigen Körperbegriff