Die Entstehung und Entwicklung der Altenpflegeausbildung · 2013-07-18 · Aufgrund der...

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Mechthilde Heumer / Cornelia Kühn Die Entstehung und Entwicklung der Altenpflegeausbildung Diplomica Verlag Historische Rekonstruktion des Zeitraums 1950 bis 1994 in Nordrhein-Westfalen

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Mechthilde Heumer / Cornelia Kühn

Die Entstehung und Entwicklungder Altenpflegeausbildung

Diplomica Verlag

Historische Rekonstruktion des Zeitraums

1950 bis 1994 in Nordrhein-Westfalen

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Mechthilde Heumer / Cornelia Kühn Die Entstehung und Entwicklung der Altenpflegeausbildung Historische Rekonstruktion des Zeitraums 1950 bis 1994 in Nordrhein-Westfalen ISBN: 978-3-8366-4362-7 Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2010 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtes.

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung............................................................................................................... 7

1 Die Phase der Entstehung und Entwicklung einer spezifischen Qualifikation Pflegender in der Altenhilfe im Zeitraum von 1950 bis 1965............................................................................................. 11 1.1 Das ‚Altenproblem’ und die Situation der Altenpflege in Deutschland ... 12

1.1.1 Die Betrachtung der Situation des alten Menschen in Deutschland aus anthropologischer und sozialer Sicht................................................. 12

1.1.2 Die gesellschaftspolitische Situation in Deutschland ........................ 19

1.1.3 Die Möglichkeiten der Altenfürsorge ................................................ 23

1.2 Die Entwicklung eines spezifischen Berufsbildes und einer entsprechenden Qualifizierung in der Altenpflege ................................... 30

1.3 Die Entwicklung der ersten Lehrgänge für Altenpflegerinnen an der Schulungsstätte des Diözesan-Caritasverbandes Köln durch die Caritas-Schwesternschaft....................................................................................... 37

1.3.1 Die Caritas-Schwesternschaft ............................................................ 39

1.3.2 Die Entwicklung und Gestaltung des ersten Lehrganges für Altenpflegerinnen .............................................................................. 41

1.3.2.1 Intentionen, die mit der Entstehung des ersten Lehrganges für Altenpflegerinnen verbunden waren ............................................. 42

1.3.2.2 Die Gestaltung des ersten Lehrganges für Altenpflegerinnen....... 47

1.3.3 Die weitere Entwicklung der Lehrgänge für Altenpflegerinnen ....... 53

1.4 Charakteristische Merkmale im bisherigen Entwicklungsprozess der Altenpflegeausbildung als eine sozialpflegerische Ausbildung................ 56

2 Die Altenpflegeausbildung im Zeitraum von 1965 bis 1969 auf der Grundlage des Krankenpflegegesetzes vom 20.09.1965 .............................. 63 2.1 Die mit dem Krankenpflegegesetz verbundenen politischen Intentionen. 64 2.2 Die Bedeutung der gesetzlichen Regelungen zur Ausbildung in der

Krankenpflegehilfe für eine sozialpflegerische Ausbildung..................... 66 2.3 Auf die Entwicklung der Altenpflegeausbildung einwirkende Faktoren.. 68 2.4 Die Ausbildung zur Altenpflegerin an der Schulungsstätte des Diözesan-

Caritasverbandes Köln auf der Grundlage der Regelungen zur Ausbildung in der Krankenpflegehilfe ......................................................................... 73

2.5 Charakteristische Merkmale im Entwicklungsprozess der Altenpflegeausbildung als eine sozialpflegerische Ausbildung................ 83

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3 Die Altenpflegeausbildung im Zeitraum von 1969 bis 1988 auf der Grundlage des Runderlasses des Ministers für Arbeit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 15.06.1969 .............................................. 87 3.1 Die mit dem Runderlass verbundenen politischen Intentionen................. 88 3.2 Die Bedeutung des Runderlasses als Basis für eine sozialpflegerische

Ausbildung ................................................................................................ 89 3.3 Auf die Entwicklung der Altenpflegeausbildung einwirkende Faktoren .. 92 3.4 Die Ausbildung zur Altenpflegerin am Fachseminar des Diözesan-

Caritasverbandes Köln auf der Grundlage des Runderlasses .................. 111 3.5 Charakteristische Merkmale im Entwicklungsprozess der

Altenpflegeausbildung als eine sozialpflegerische Ausbildung .............. 130

4 Die Altenpflegeausbildung im Zeitraum von 1988 bis 1994 auf der Grundlage des Runderlasses des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 10.05.1988....................... 137 4.1 Die mit dem Runderlass verbundenen politischen Intentionen............... 137 4.2 Die Bedeutung des Runderlasses als Basis für eine sozialpflegerische

Ausbildung .............................................................................................. 139 4.3 Auf die Entwicklung der Altenpflegeausbildung einwirkende Faktoren 143 4.4 Die Ausbildung zur Altenpflegerin am Fachseminar des Diözesan-

Caritasverbandes Köln auf der Grundlage des Runderlasses .................. 154 4.5 Charakteristische Merkmale im Entwicklungsprozess der

Altenpflegeausbildung als eine sozialpflegerische Ausbildung .............. 172

5 Das Altenpflegegesetz vom 19.06.1994 als normative Grundlage der Altenpflegeausbildung in Nordrhein-Westfalen ......................................... 177 5.1 Die mit dem Altenpflegegesetz verbundenen politischen Intentionen.... 178 5.2 Die Bedeutung des Altenpflegegesetzes als Basis für eine

sozialpflegerische Ausbildung................................................................. 179

6 Kontinuitäten und Diskontinuitäten des Entwicklungsprozesses der Altenpflegeausbildung als eine sozialpflegerische Ausbildung im Zeitraum von 1950 bis 1994 ........................................................................................... 187 6.1 Kontinuitäten und Diskontinuitäten im Entwicklungsprozess der

Altenpflegeausbildung............................................................................. 187 6.2 Kontinuitäten und Diskontinuitäten, die den Entwicklungsprozess der

Altenpflegeausbildung prägten................................................................ 188

7 Schlussfolgerungen und Ausblick ................................................................ 195

Literaturverzeichnis .......................................................................................... 199

Quellenverzeichnis............................................................................................. 205

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Einleitung

Die Forschungslage zur Geschichte der Pflege ist im deutschsprachigen Raum

bisher nur wenig ausgebaut. Typisch für die traditionelle Sichtweise zur Ge-

schichte der Krankenpflege ist, dass aktuelle Leitbilder des Krankenpflegeberufes,

wie z.B. Selbstlosigkeit, Dienen und Aufopferung, in den Darstellungen historisch

legitimiert werden. Oft erfolgt auch eine Anlehnung an die Medizingeschichte.

Die geschichtliche Betrachtung zur Entwicklung des Altenpflegeberufes ist u.a.

aufgrund der erst jungen Berufsgeschichte noch seltener. Mit dem vorliegenden

Buch wird bewusst ein Beitrag zur Verbesserung der Forschungslage in der

historischen Pflege- bzw. Pflegebildungsforschung geleistet. Es zeichnet den

Entwicklungsprozess der Altenpflegeausbildung in Nordrhein-Westfalen nach,

der für die bundesweite Entstehung und Entwicklung der Altenpflegeausbildung

einen Vorreitercharakter hatte1.

Neben dem historischen Erkenntnisinteresse ist die Historie der Altenpflegeaus-

bildung von besonderer Bedeutung, weil sie in Beziehung zu aktuellen offenen

Fragen der gegenwärtigen Situation der Altenpflegeausbildung gesetzt werden

kann. So werden insbesondere in der Fachöffentlichkeit immer wieder Fragen

nach dem Spezifischen der Altenpflege bzw. der Altenpflegeausbildung und damit

nach ihrer Berechtigung gestellt.

Die historische Rekonstruktion verfolgt zwei Ziele: Zum einen soll der Entwick-

lungsprozesses der Altenpflegeausbildung vor dem Hintergrund gesamtgesell-

schaftlicher, politischer und beruflicher Ereignisse für den Zeitraum von 1950 bis

1994 dargestellt werden. Zum anderen soll gleichzeitig der heutige Entwicklungs-

stand der Altenpflegeausbildung durch ihre historischen Bedingungen erklärt

werden.

Die Forschungsfrage der vorliegenden Untersuchung lautet:

„Welche Kontinuitäten und Diskontinuitäten prägten den Entwicklungs-

prozess der Altenpflegeausbildung als eine sozial-pflegerische Ausbildung

im Zeitraum von 1950 bis 1994 in Nordrhein-Westfalen?“

1 Nordrhein-Westfalen ist das Bundesland, indem die ersten Qualifizierungen für die berufliche

Ausübung altenpflegerischer Tätigkeiten vorgenommen wurden. Insofern wird Nordrhein-Westfalen auch als die „Wiege“ der bundesdeutschen Altenpflegeausbildung verstanden.

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Im Rahmen der historischen Pflegeforschung folgte die Untersuchung dem

qualitativen Paradigma, dessen zentrales Fundament die Hermeneutik ist. Zur

Rekonstruktion der Vergangenheit wurde auf historisches Quellenmaterial aus

öffentlichen Archiven und Bibliotheken, wie z.B. dem Stadtarchiv in Köln

zurückgegriffen sowie auf Archivmaterial des Diözesan-Caritasverbands Köln,

das im Altenpflegefachseminar in Neuss2 aufbewahrt wird.

Mit dem historisch-kritischen Ansatz von Joachim Rohlfes, den „Stufen der

Quellenarbeit“, wurde das Quellenmaterial systematisch analysiert und gedeutet.

Bei der Deutung der Quellen fand besondere Beachtung, dass Quellen erst dann

ihre volle Aussagekraft entfalten, wenn sie nicht als isolierte Einzelstücke,

sondern im Verbund aller für das Thema wichtigen Zeugnisse interpretiert

werden. Als eine zusätzliche historische Forschungsmethode fand die „Oral

History“ Anwendung. So wurde durch Befragung einer Zeitzeugin zusätzliches

Quellenmaterial geschaffen und bereits vorgenommenen Deutungen konnten

überprüft und abgesichert werden.

Mit dem ersten Kapitel des Buches werden die Hintergründe und Zusammenhän-

ge herausgestellt, die als ursächlich für die Entwicklung der Altenpflegeausbil-

dung in den 50er Jahren anzusehen sind. Es beschreibt und analysiert den Zeit-

raum von 1950 bis 1965 vor dem Hintergrund der Forschungsfrage. Hierzu wird

die Situation der alten Menschen im Deutschland der 50er-Jahre im Kontext

gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen einschließlich der sozialpolitischen

Herauforderungen aufgezeigt. Die Kapitel 2 bis 5 setzen die historische Rekon-

struktion zu den Zeiträumen 1965-1969, 1969-1988 und 1988-1994 fort. Die

Zeiträume sind bestimmt durch das Inkrafttreten ausbildungsrechtlicher Rahmen-

bedingungen, die von den Autorinnen als „Indikatoren für Phasen des Umbruchs“

verstanden werden. Die Ausführungen der Kapitel 2 – 5 greifen die grundlegen-

den Ausführungen des Kapitels 3 auf und stellen Gleichbleibendes und Verände-

rungen zur beruflichen Entwicklung in Abhängigkeit zu den verschiedenen

gesellschaftlichen Faktoren heraus. Jede der vier beschriebenen Zeiträume wird

mit einer Zusammenfassung der charakteristischen Merkmale abgeschlossen, die

2 Mit dem Altenpflegefachseminar in Neuss handelt es sich um eine Bildungsstätte des Diözesan-

Caritasverbandes Köln. Der heutige Standort in Neuss ist begründet durch einige Umzüge, die das Altenpflegefachseminar im Laufe seiner Geschichte vollziehen musste.

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den dargestellten Entwicklungsprozess prägten. Da in Kapitel 5 die Betrachtung

eines zum Zeitpunkt der Untersuchung noch nicht abgeschlossnen historischen

Zeitraumes erfolgt, beschränkt sich die Betrachtung dieses Zeitraumes auf die

Analyse der normativen Vorgaben des nordrhein-westfälischen Altenpflegegeset-

zes von 1994, auf die mit ihm verbunden Intentionen und auf seine Bedeutung als

Basis für eine sozialpflegerische Ausbildung. Auf der Grundlage der ermittelten

Merkmale der einzelnen Zeitphasen werden abschließend Entwicklungslinien in

Form von Kontinuitäten und Diskontinuitäten abgeleitet. Mit den Schlussbetrach-

tungen wird insbesondere noch einmal der Gegenwartsbezug der aus der Untersu-

chung hervorgehenden Erkenntnisse dargestellt.

Anmerkungen zum Sprachgebrauch im Buch

Da es sich um eine historische Rekonstruktion handelt, die auf der Arbeit mit

Quellenmaterial basiert, liegt dem Buch teilweise ein heute nicht mehr so gängi-

ger Sprachgebrauch zugrunde. Außerdem enthalten die Quellenzitate des Buches

die maskuline Pluralform. Indem diese für das gesamte Buch aufgegriffen wird,

soll dem Buch eine einheitliche Pluralform zugrunde liegen, um dadurch die

Lesbarkeit und die Verständlichkeit des Buches zu erleichtern. So stehen die im

Folgenden verwendeten Bezeichnungen für Personen oder Berufe immer gleich-

wertig für beide Geschlechter, auch wenn sie aus oben genannten Gründen nur in

der maskulinen Pluralform verwendet werden.

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1 Die Phase der Entstehung und Entwicklung einer spezifischen Qualifikation Pflegender in der Altenhilfe im Zeitraum von 1950 bis 1965

Aufgrund der gesellschaftlichen und politischen Veränderungen im Deutschland

der Nachkriegszeit ist der Zeitraum von 1950 bis 1965 für die Entstehung und

Entwicklung des Berufes der Altenpflege von entscheidender Bedeutung. Kom-

plexe soziale, gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Einflussfaktoren

bestimmten die Situation des alten Menschen. Sie stellen damit auch den Aus-

gangspunkt für die Entstehung und Entwicklung des Berufes und der Altenpflege-

ausbildung dar. Da die Situation des alten Menschen im Rahmen der gesellschaft-

lichen Bedingungen demnach eine Auslöserfunktion hatte, soll sie im Rahmen des

Entstehungsprozesses der spezifischen Qualifikation umfassend dargestellt

werden. So kann bei der Beschreibung des weiteren Entwicklungsprozesses

hierauf zurückgegriffen und wesentliche Veränderungen können aufgezeigt

werden.

Die sich anschließende Darstellung und Erläuterung der konkreten Prozesse der

Entstehung und Entwicklung einer spezifischen Altenpflegeausbildung an der

Schulungsstätte des Diözesan-Caritasverbandes Köln durch die Caritas-

Schwesternschaft ermöglicht eine Betrachtung der Mikrostrukturen. Dies ist von

Bedeutung, da insbesondere in der ersten Phase der Entstehung und Entwicklung

in Nordrhein-Westfalen prägende Impulse vom Diözesan-Caritasverband in Köln

ausgingen. Da in dieser Phase zunächst Strukturen geschaffen werden mussten

und noch nicht auf richtungweisende normative Grundlagen zurückgegriffen

werden konnte, wird dieser Prozess mit seinen auslösenden und determinierenden

Faktoren, Wirkungen und Wechselwirkungen im Einzelnen dargestellt. Auf dieser

Basis können die wichtigen charakteristischen Merkmale herausgestellt werden,

die innerhalb dieser Zeitphase die Entstehung und Entwicklung der Altenpflege-

ausbildung als sozialpflegerische Ausbildung prägten. Insgesamt soll dieser

Abschnitt eine fundierte Basis für die folgenden Überlegungen darstellen.

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1.1 Das ‚Altenproblem’ und die Situation der Altenpflege in Deutschland

Die Entwicklungen, Veränderungen und Ereignisse stehen immer in einem

Spannungsfeld der gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten und können

demzufolge nie unabhängig davon betrachtet und analysiert werden. Daher kann

die Altenpflege in der Entwicklungsphase zum Beruf auch nur als integraler

Bestandteil des Systems der Gesellschaft in seiner Funktionsweise erfasst werden.

Daraus ergibt sich im Folgenden eine anthropologische, soziologische und

politologische Vergangenheitsanalyse, um auf dieser Grundlage eine Analyse der

beruflichen Entwicklung der Altenpflege vorzunehmen.

Der ‚Knotenpunkt’ im Rahmen der Entstehung und Entwicklung des Altenpflege-

berufes wurde entscheidend von der Situation des alten Menschen in dieser Zeit

geprägt. Eine gesellschaftliche und sozialpolitische Reaktion auf das bestehende

‚Altenproblem’ war zur damaligen Zeit dringend gefordert. Dies bezog sich u.a.

auf eine Umstrukturierung des Versorgungswesens in der Altenhilfe und auf die

gesteigerte Nachfrage beruflich und freiwillig erbrachter Altenpflege.

1.1.1 Die Betrachtung der Situation des alten Menschen in Deutschland aus anthropologischer und sozialer Sicht

Um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert wandte die Gesellschaft

alle Aufmerksamkeit dem Kind zu. Wenn zur damaligen Zeit das Jahrhundert des

Kindes begrüßte wurde, so stand zur Mitte des 20. Jahrhunderts plötzlich das

Altersproblem als großes und dringendes Problem vor den Menschen (vgl. A.

Vischer, NDV, Dezember 1952, 391). Bei der Verwendung des Begriffes des

alten Menschen und der Diskussion darüber bezog man sich auf die eher willkür-

liche Grenze des 65. Lebensjahres. Somit rechtfertigte allein das Lebensalter den

Gebrauch des Sprachsymbols ‚alter Mensch‘. Das Erreichen des 65. Lebensjahres

wurde demnach als Zäsur für den Kreis älterer Menschen betrachtet. Diese starre

Abgrenzung darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um eine

sehr heterogene Gruppe der alten Menschen handelte, die sehr unterschiedliche

Hilfen benötigten. Um die Entwicklung der Altenpflege als eine spezifische Form

der Hilfe nachvollziehen zu können, soll im Folgenden herausgestellt werden,

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warum das Alter in der damaligen Gesellschaft zu einem Problem wurde. Dies

bedingt eine mehrdimensionale Betrachtung der Situationsdeterminanten, wie z.B.

der Strukturwandel des Alters und des Alterns und die Veränderung gesellschaft-

licher Bedingungen.

Die demographischen Veränderungen als Ausdruck eines Strukturwandels des

Alters

Durch die Umschichtung im Bevölkerungsaufbau konnte eine große Anzahl

(absolut und relativ) alter Einwohner nachgewiesen werden. Die Ursachen des

veränderten Aufbaus lagen einerseits in der Abnahme der Geburtenziffer, in der

erfolgreichen Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit und der Infektionskrankhei-

ten, in der Verbesserung der öffentlichen Hygiene und im verbesserten Lebens-

standard. Nach dem Statistischen Bundesamt Wiesbaden ergab sich 1955 in der

Bundesrepublik Deutschland folgende Altersstruktur:

Altersgruppe Anzahl % (der Bevölke-rung)

Bevölkerung (insgesamt)

53.517.683 100 %

65 – 70 J. 2.115.976 4,0 % 70 – 75 J. 1.593.056 3,0 % 75 – 80 J. 1.058.283 2,0 % 80 – 85 J. 491.065 0,9%

> 85 J. 177.525 0,3%

Abb. 1 Demographische Struktur, Statistisches Bundesamt Wiesbaden, 2001

Der Anstieg der Altersquote in den westlichen Ländern (über 65-jährige in v. H.

der Bevölkerung) von rund 5% um 1900 auf 8-10% um 1950 wurde als drohende

Überalterung und Vergreisung der Gesellschaft negativ gewertet. Im Rahmen der

allgemeinen Diskussion wurde auch die Frage der Unterscheidung des biologi-

schen und des kalendarischen Alters aufgeworfen, wodurch die vorhandene starre

Altersgrenze in Zweifel gezogen wurde. Der Alterszuwachs in dieser Zeit muss

als immanenter Teil der Entwicklung der industriellen Gesellschaft gesehen

werden. Die industrielle Entwicklung sicherte den Menschen erstmalig in der

Geschichte das Leben bis ins hohe Alter. Daher kann rückblickend eher von 13

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einem Zuwachs der dritten Generationsgruppe als von einer Überalterung gespro-

chen werden (vgl. S. Groth, NDV, Januar 1954, 26-33). Dies erforderte eine neue

gesellschaftliche Einordnung und eine Reaktion auf die damit verbundenen

Problemstellungen. Das Ansteigen der Altersquote kann daher nicht isoliert als

ein statistisch festgestellter Fakt betrachtet werden. Eine differenzierte Analyse

der Bedeutung des höheren Lebensalters für den alten Menschen selbst und für

das bestehende soziale Gefüge ist erforderlich.

Die Veränderungen innerhalb des Generationsgefüges

Charakteristisch für die fünfziger Jahre und für den Prozess des Wiederaufbaus in

Deutschland war u.a., dass die Geschlechterrollen wieder definiert werden

mussten. Geprägt wurde dieser Prozess durch die Remaskulinisierung der deut-

schen Nachkriegsgesellschaft, die ihren Höhepunkt 1956 hatte, als die Jugend-

krawalle Deutschland erschütterten (vgl. U.G. Poiger, in: K. Naumann, 2001, 227-

231). Dies kann auch in enger Verbindung mit der Auflehnung der jungen ‚James-

Dean-Generation’ gegen die ältere Generation gesehen werden. Deutlich wird

diese Auflehnung in einem Artikel der Welt am Sonntag vom 11.10.1953 mit der

Überschrift „Backfische im Angriff“. Darin wurde bemängelt, dass „ ... hinter der

Weisheit der Alten meist nichts steckt als Rheumatismus und ein abgenutztes

Nervensystem.“ (zit. in: A. Dephul, NDV Januar 1954, 39). Deutlich wird in

diesem Zusammenhang ein Verlust des Ansehens des alten Menschen in der

Gesellschaft. Im Zeitalter der Industrialisierung war die ältere Generation nicht

mehr automatisch in den Mehrgenerationshaushalt einbezogen, da eine Tendenz

zum Eltern-Kind-Haushalt gegeben war. Die Gründe dafür waren z.B. eine

räumliche Enge, aber auch der bestehende Generationskonflikt. Diese Auflösung

sichtbarer gegenseitiger Verpflichtungen führte zu einem Funktionsverlust alter

Menschen in der Familie und andererseits zu einem Nachlassen der Hilfsbereit-

schaft bei dauernder Pflegebedürftigkeit (vgl. H. v. Balluseck, 1984, 56-57). Mit

den Veränderungen der familialen Hilfsnetze gingen auch wichtige Pflegeressour-

cen verloren.

Besonders problematisch war die Situation für die alleinstehenden alten Men-

schen. Dies kann als weiteres Merkmal für die Veränderung des Daseins in Alter

und Familie als Folge der industriellen Entwicklung gesehen werden. Die Ent-

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wicklung der Quoten Alleinstehender erfolgte in gleicher Richtung wie die

Altersquoten. In diesem Zusammenhang sprach man von einer familiären und

gesellschaftlichen Verwaisung der alten Menschen. W. Elsner, Direktor der

Wohlfahrtsanstalten in Hamburg, schrieb dazu:

„Soll die Familie gesunde Keimzelle der Gesellschaft sein, muß sie in sich selber wieder gesund werden. Sie muß daher die Alten vor ihrer Vereinsamung schützen und den Alten eine neue Beziehung zur Fami-lie schaffen.“ (W. Elsner, NDV, Januar 1954, 33)

Hiermit wird deutlich, dass man wieder dem Ideal der Großfamilie folgen wollte.

Es wurde davon ausgegangen, dass der alte Mensch früher im Schoße seiner

Familie geborgener gewesen sei. Durch eine entsprechende Rekonstruktion könne

man den Problemen des Altwerdens in der industriellen Gesellschaft begegnen.

Somit haftete man eher an Idealvorstellungen, als dass man sich durch exakte

Kenntnisse der Sozialgeschichte leiten ließ. Nur selten wurde die Perspektive des

alten Menschen aufgegriffen, der eine möglichst große Selbständigkeit aufrecht-

erhalten wollte.

Die soziale Stellung alter Menschen in der Gesellschaft

In der vorindustriellen Gesellschaft war die soziale Stellung eines Menschen u.a.

abhängig von der Herkunft, dem Besitz und dem Stand. In der industriellen

Gesellschaft ging es zunächst mehr um die Frage, was man kann und was man

leistet. Eine soziale Frage der damaligen Zeit war die negative gesellschaftliche

Einstellung gegenüber der sozialen Gruppe der alten Menschen, die der Gesell-

schaft zur Last fielen.

Pastor A. Depuhl, Hannover, verwies 1955 in einem Artikel zu „Gedankenlosig-

keiten über das Alter“ in diesem Zusammenhang auf die Aussage von Guardini,

dass es zu den fragwürdigsten Erscheinungen der damaligen Zeit gehöre, dass sie

wertvolles Leben einfachhin mit Jugend gleichsetze. Seiner Ansicht nach führte

die Überbewertung der Jugend dazu, dass die Menschen nicht zu ihrem Alter und

seinen besonderen Aufgaben stehen konnten (vgl. A. Depuhl, NDV, Au-

gust/September 1955, 263). Diese besonderen Aufgaben im Alter waren aber zur

damaligen Zeit für die Betroffenen noch nicht erkennbar. Die Industriegesell-

schaft brachte eine strikte Trennung von Arbeitsleben und Altersleben mit sich,

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welche die Festsetzung von starren Altersgrenzen (65 Jahre) beinhaltete. Die

alternden Menschen wurden aber nur unzureichend auf das Alter vorbereitet. Es

wurden noch keine Wege gewiesen, wie der kommende Lebensabschnitt aktiv

gestaltet werden konnte. Dies kann als ein Problem des Alterns in der damaligen

Gesellschaft gesehen werden. Wenn dieser Zustand bemängelt wurde, wies man

in diesem Zusammenhang auf die Gefahr des plötzlichen ‚Pensionstodes‘ bzw.

des ‚Altersschocks‘ hin. Das beobachtete Phänomen wurde als Folge des plötzli-

chen Ausscheidens aus dem Erwerbsleben beschrieben, der mit einem Sinn- und

Kräfteverlust für die Menschen verbunden war. Die Ausübung des Berufes war

mit einer Aufgabe für den Menschen verbunden – er wurde gebraucht. Dies war

auch die Grundlage der gesellschaftlichen Anerkennung. Mit dem Ausscheiden

aus dem Beruf reihte sich der Rentner in die Reihe der wirtschaftlich Erfolglosen

und gesellschaftlich wenig geachteten Menschen ein. Psychologische, gesell-

schaftliche und wirtschaftliche Folgen waren somit häufig für den alten Menschen

mit der Pensionierung verbunden.

Die soziale Absicherung alter Menschen

Das Prinzip der Bismarckschen Arbeiterrenten-Versicherung, die 1891 ins Leben

gerufen wurde, beinhaltete, dass die Rente nur eine Zubuße zur Existenz des alten

Arbeiters sein sollte. Das Dasein des alten Menschen sollte im Wesentlichen

durch die Familie seiner Kinder bestritten werden. Diese Belastung aus dem

Familienunterhaltsrecht war vielfach die Ursache für Konflikte zwischen den

Generationen. Gerichtliche Unterhaltsklagen wurden häufig durch die Fürsorge

veranlasst und führten zu erheblichen Belastungen. Die junge Generation der

Nachkriegszeit hatte aber ihre spezifischen Sorgen und musste sich auf den

Aufbau einer eigenen Existenz konzentrieren. Grundsätzlich wurde ein Zerfall des

Familienwirtschaftsverbandes durch die zunehmende Industrialisierung und eine

nicht ausreichende wirtschaftliche Absicherung des alten Menschen deutlich.

1954 lebten 75% der über 65-jährigen Männer und 60% der über 65-jährigen

Frauen von Renten, Pensionen und anderen Unterstützungen. Sämtliche Renten

waren aber zu gering, um einen sorglosen Lebensabend zu gewährleisten (vgl. W.

Elsner, NDV, Januar 1954, 34). Besonders betroffen war die Gruppe der allein-

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stehenden Frauen, da ihre Renten geringer waren als die der Männer. Dies galt

auch für die Gruppe der Ehepaare, bei denen der Mann Alleinverdiener war.

Bezogen auf das Einkommen stellte der Volkswirt S. Groth folgende Interdepen-

denzen fest: Je geringer das Einkommen des alten Menschen war, um so häufiger

war er auf sich allein gestellt, um so höher war im Anteil der Wohnaufwand und

um so geringer das für die Ernährung verbleibende (vgl. S. Groth, NDV, Januar

1954, 32). Es gab viele alte Menschen, die in einem analogen Missverhältnis

zwischen Bedarf und Bedarfsdeckungspotential lebten. Hierzu gehörten in dieser

Zeit z.B. Vertriebene, Evakuierte, Ausgebombte, getrennte Familien, Menschen

deren Ersparnisse durch die Währungsreform dezimiert wurden und Menschen die

nicht mehr durch ihre Kinder versorgt werden konnten, da diese gefallen waren.

In wirtschaftliche Bedrängnis kamen auch Menschen, die vorher als Selbständige

z.B. in der Landwirtschaft ihr Auskommen hatten. Damit wird deutlich, wie

vielfältig der Kreis der Betroffenen war.

Zusammengefasst ging es demnach für die nicht mehr erwerbstätigen alten

Menschen im Rahmen der sozialen Frage vorrangig um den materiellen Bereich

der Daseinsfürsorge. Daher sollte die Rentenreform von 1957 den alten Menschen

ein Leben aus eigenem Einkommen ermöglichen.

Die Wohnraumverhältnisse und deren Konsequenzen für alte Menschen

Die Kriegseinwirkungen führten insbesondere in den besonders betroffenen

Großstädten zu einem massiven Wohnraummangel, der in den fünfziger Jahren

immer noch anhielt. Aufgrund der Wohnungsnot war es nicht selten, dass alte

Menschen Teile ihrer Wohnung an Untermieter abgaben oder selbst gezwungen

waren, in völlig unzureichenden Untermietverhältnissen zu leben. Häufig blieben

für die wirtschaftlich schlechter gestellten alten Menschen nur die Mansarden-

wohnungen in den oberen Geschossen. Durch die Mieten wurden insbesondere

die sozial schwachen alten Menschen belastet. Darüber hinaus führte der beste-

hende Wohnraummangel auch zu einer starken Belegung der Altersheime. In

einigen Städten wurde die Vergabe eines Heimplatzes davon abhängig gemacht,

dass der bisher genutzte Wohnraum der Wohnungsbehörde zur Verfügung gestellt

wurde (vgl. NDV, November 1953, 334). Aufgrund der starken Wohnungsnot lag

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in den fünfziger Jahren ein besonderer politischer Akzent auf der Deckung des

Wohnungsbedarfs.

Die Pflegebedürftigkeit alter Menschen

Dadurch bedingt, dass die absolute Zahl der über Fünfundsechzigjährigen stark

angewachsen war, vermehrte sich auch die Anzahl der pflegebedürftigen alten

Menschen. Die Krankenhäuser waren in der damaligen Zeit zu einem hohen

Anteil mit alten Menschen belegt. Die Zahl der über sechzigjährigen stationär

Verpflegten betrug im Zeitraum 1913 – 1918 noch 7%, im Zeitraum 1938 – 1943

waren es schon über 20% und um 1952 schwankte die Anzahl sogar um 30% (vgl.

A.L. Vischer, NDV, Dezember 1952, 392). Nach den statistischen Angaben der

Deutschen Krankenhausgesellschaft waren 1959 ca. 10-12% der Betten der

öffentlichen Krankenanstalten mit stark pflegebedürftigen Patienten belegt.

Aufgrund dieser Situation wurden Überlegungen angestellt, um einer Überfüllung

der Krankenhäuser entgegenzuwirken. Es wurde transparent, dass es kaum

möglich sein würde, alle alten Menschen, die aus den unterschiedlichsten Grün-

den kein selbständiges Leben mehr führen konnten, in Krankenhäusern und

Heimen unterzubringen. So schreibt Dr. A. L. Vischer aus Basel in einem Artikel

des Nachrichtendienstes im Dezember 1952:

„Schon der Mangel an Pflegepersonal wird der unbeschränkten Hospi-talisierung alter Menschen eine Grenze setzen. Diese ist auch nicht in allen Fällen das Ideal für die Unterbringung alter Menschen; sie be-deutet für viele Alte eine schwere seelische Belastung und verlangt ei-ne Anpassungsfähigkeit an ein fremdes ungewohntes Milieu, die sehr oft nicht aufgebracht werden kann. Schließlich darf auch die Gefahr nicht übersehen werden, daß die oberen Altersgruppen für die Ge-meinschaft eine unerträgliche Last werden.“ (A.L. Vischer, NDV, De-zember 1952, 393)

Deutlich wird auch, dass die Gesellschaft die Folgen des höheren Lebensalters der

Menschen mittragen musste. In diesem Zusammenhang machte man sich Gedan-

ken dazu, welche Krankheiten im Alter zur dauerhaften Pflegebedürftigkeit

führten und wie durch medizinische Intervention präventiv oder therapeutisch

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darauf eingewirkt werden könnte. Hierzu stellte Dr. Vischer aus Basel grundle-

gend fest:

„Im Alter wird das Physiologische von Krankheiten überwuchert. Dementsprechend wird von den Pathologen immer wieder festgestellt, daß wir einen reinen Alterstod, das heißt einen natürlichen, physiolo-gischen Tod sozusagen nie beobachten.“ (A.L. Vischer, NDV, De-zember 1952, 393)

Es wird deutlich, dass durch den Trend der Lebensverlängerung auch das Risiko

der Pflegebedürftigkeit im Alter erhöht wurde und damit implizit eine Verände-

rung des Bedarfs an Hilfs- und Pflegepotentialen verbunden war. Ebenso wurde es

als wichtig erachtet eine Reihe ärztlicher und sozialmedizinischer Aufgaben aus

der ‚Pathologie des Alters’ abzuleiten. Die sozialpolitischen Interventionen waren

aber zu diesem Zeitpunkt noch uneinheitlich, da sie völlig getrennt vom Gesund-

heitswesen waren.

1.1.2 Die gesellschaftspolitische Situation in Deutschland

Die gesellschaftliche Situation, die erforderlichen sozialpolitischen Maßnahmen

und nicht zuletzt auch die Entwicklung zu einem neuen Beruf der Altenpflege in

den fünfziger Jahren waren eingebettet in die gesamtpolitischen Bedingungen

Deutschlands. Im Rahmen der historischen Betrachtung ist daher eine grobe

Skizzierung der politischen Rahmenbedingungen erforderlich. Der Fokus soll

hierbei auf die Bereiche gesetzt werden, bei denen ein Einfluss auf die Entwick-

lung des Berufes der Altenpflege gesehen wird.

Die Nachkriegsgesellschaft hatte sich nach der Währungsreform und Staatsgrün-

dung stabilisiert. Es ging bei der Grundlegung des freiheitlichen Sozialstaates

zunächst um die Schaffung von Strukturen, die eine schnelle Rekonstruktion des

Wirtschafts- und Sozialgefüges erwarten ließen. 1949 basierte das erste Kabinett

Adenauers auf einer Koalition von CDU/CSU, FDP und DP, die auf das Wahl-

programm der sozialen Marktwirtschaft aufgebaut hatten. Als Bundeswirt-

schaftsminister stellte Ludwig Erhard die grundlegenden Weichen für die deut-

sche Wirtschaftspolitik. Um Mängel in der deutschen Wirtschaft zu beseitigen,

sollten möglichst „ ... viele Hände und Köpfe in der gütererzeugenden Sphäre ... “

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beschäftigt werden (Regierungserklärung Konrad Adenauer 20.09.1949, On-line

Publikation, 2002). Der nach dem Krieg bestehende Frauenüberschuss stellte nach

Adenauer ein Problem dar, welches besonders beachtet werden sollte. Da mit

dieser Tatsache eine zwangsläufige Ehelosigkeit von Frauen verbunden war, stand

indirekt das Problem der Existenzsicherung im Vordergrund. Daher sollten

insbesondere für Frauen neue Berufe und Ausbildungsmöglichkeiten erschlossen

werden.

Ein soziales Thema der Nachkriegsgesellschaft, welches sich auf die soziale

Situation des alten Menschen auswirkte, war die schon dargestellte private,

zwischenmenschliche und familiäre Enge, die auch eine soziale Enge mit sich

brachte (vgl. V. Neumann, in: K. Naumann, 2001, 364-384). Eine möglichst

schnelle Deckung des Wohnungsbedarfs wurde demnach von der Regierung

angestrebt. Ein weiteres Problem bestand durch die hohe Anzahl von Vertriebe-

nen und Flüchtlingen, sowie Kriegsinvaliden und Witwen. Bei dieser Gruppe

waren wiederum die Menschen im hohen Lebensalter besonders betroffen. Dies

galt auch für die Gruppe der Flüchtlinge und Vertriebenen, die oft auf den Status

von Almosenempfängern herabgesunken waren. Im Rahmen sozialpolitischer

Maßnahmen mussten diese sozialen Problembereiche berücksichtigt werden.

Grundsätzlich wurde für das politische Handeln der soziale Aspekt als leitend

angesehen. So gibt Konrad Adenauer in seiner 1949 abgegebenen Regierungser-

klärung an: „Das Streben nach Linderung der Not, nach sozialer Gerechtigkeit,

wird der oberste Leitstern bei unserer gesamten Arbeit sein.“ (zit. in: Bundesmi-

nisterium für Arbeit und Sozialordnung, 2001, 479).

Das wirtschaftliche Wachstum festigte sich seit 1951 und die Arbeitslosenzahlen

sanken seit dieser Zeit beständig. Mitte der fünfziger Jahre entstand eine konsum-

orientierte Gesellschaft. Die wirtschaftlichen Erfolge in der Nachkriegszeit

wurden zu einer wichtigen Grundlage der westdeutschen nationalen Identität.

Mitte der 50er-Jahre wurde jedoch klar, dass der Aufschwung seinen Preis hatte.

Den auf die Gleichberechtigung von Frauen bezogenen Vorschlag „Gleicher Lohn

für gleiche Arbeit“ im Grundgesetz zu verankern, wurde abgelehnt. Die Gerichte

bestätigten bis 1955 getrennte Lohngruppen für Frauen und Männer, und in den

Jahren danach folgte das schlecht getarnte Modell der „leichten“ und der „schwe-

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ren“ Lohngruppen. Altersgrenzen schlossen Frauen schon in jungen Jahren aus

beinahe jeder Art von Berufsausbildung und vielen Berufen aus. Während des

Wirtschaftswunders blieben Arbeitslosigkeit und Armut unter Frauen mittleren

Alters unverändert hoch (vgl. E. Heinemann, in: K. Naumann, 2001, 162–164).

In der Regierungserklärung von 1953 ging Adenauer noch differenzierter auf die

unterschiedlichen sozialen Probleme ein. Ein besonderes Anliegen der Bundesre-

gierung sollte es u.a. sein, die wirtschaftliche Lage der Rentner zu verbessern. Im

Rahmen der ‚großen Rentenreform von 1957’ kam es zu einer zeitgemäßen

Neubelebung der Sozialversicherung. Die Rente sollte nicht mehr als Zuschuss zu

anderen Unterhaltsquellen dienen, sondern den Lebensunterhalt sicherstellen. Hier

fand eine Konzentration auf die Arbeitnehmer statt. Die Fürsorge wurde, so wie es

bisher galt, als objektive Pflicht des Staates gesehen und ergänzt durch ein

subjektives Recht auf existenznotwendige Fürsorge.

Ein weiteres Ergebnis der Sozialpolitik bestand in der Einführung einer allgemei-

nen Krankenversicherung (1955). Dadurch war die Möglichkeit für die Expansion

des Gesundheitswesens gegeben.

Der dritte Deutsche Bundestag wurde 1957 gewählt. Ein Wahlspruch der CDU

lautete: „Wohlstand für alle“ (vgl. Bundesministerium für Arbeit und Sozialord-

nung, 2001, 514). Nachdem die Wahlen von der CDU/CSU gewonnen wurden,

ging es inhaltlich darum, die Sozialreformen weiter fortzusetzen. Zudem sollten

Folgerungen aus der veränderten gesellschaftlichen Struktur, wie z.B. der Alters-

struktur des Volkes, gezogen werden.

Die bestehende Fürsorge wurde 1961 durch das verabschiedete Bundes-

sozialhilfegesetz zu einer modernen Sozialhilfe (vgl. a.a.O.). Die Aufgabe des

Gesetzes ist im §1 (2) dargestellt worden: „Aufgabe der Sozialhilfe ist es, dem

Empfänger der Hilfe die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde

des Menschen entspricht.“ (zit. in: O. Blume, 1968, 21, Archivmaterial). Bezogen

auf den alten Menschen rückte die wirtschaftliche und soziale Betreuung in den

Mittelpunkt. Der Gesetzgeber stellte heraus, dass Alter als Tatbestand zu beson-

ders gelagerten Bedürfnissen führen kann. In dem Unterabschnitt 13 „Altenhilfe“

21

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(§75) wurde festgehalten, dass den alten Menschen Altenhilfe gewährt werden

sollte, um Schwierigkeiten, die durch das Alter entstehen, zu überwinden und eine

Vereinsamung im Alter zu verhindern. Die im § 75 vorgesehenen Hilfen stellten

überwiegend persönliche Hilfen dar, die unabhängig von der Einkommensgrenze

des Bürgers zur Verfügung gestellt werden sollten. Im Gesetz wurde von alten

Menschen gesprochen, ohne eine nach Jahren festgelegte Altersgrenze zu ziehen

(vgl. O. Blume, 1968, 10-23, Archivmaterial).

Des Weiteren wurde mit dem Bundessozialhilfegesetz festgehalten, dass nicht nur

präventive sondern im Zusammenhang mit Alterserkrankungen auch rehabilitative

Maßnahmen zu ergreifen waren. Der Begriff der Rehabilitation war somit nicht

mehr ausschließlich an das Arbeitsleben orientiert. So ging es im § 37 um die zu

gewährende Krankenhilfe, die nicht nur auf die Genesung, sondern auch auf

Besserung und Linderung bezogen wurde. Die §§ 39 und 40 eröffneten Möglich-

keiten für therapeutische Maßnahmen bei vorübergehenden Behinderungen und

für die Versorgung mit orthopädischen und anderen Hilfsmitteln. Der § 68 bezog

sich auf die Hilfe zur Pflege im Krankheitsfall. Personen, die infolge Krankheit

oder Behinderung hilflos waren, sollte Hilfe durch Pflege bzw. durch entspre-

chende Hilfsmittel zur Verfügung gestellt werden.

Insgesamt zielten die verschiedenen Paragraphen des Bundessozialgesetzes von

1961 auf die Unterstützung und die Sicherstellung der Bedürfnisse Hilfebedürfti-

ger, wozu ausdrücklich der alte Mensch gezählt wurde (vgl. NDV Oktober 1961,

335 ff.).

Die skizzierte sozialpolitische Gestaltung wurde nach 1963 von Ludwig Erhard

als Nachfolger Adenauers weiter fortgesetzt (vgl. Bundesministerium für Arbeit

und Sozialordnung, 2001, 514).

Die Arbeitslosenquote war von 11% im Jahre 1950 auf 3,7% im Jahre 1957 und

auf 1,3% Anfang der 60er-Jahre gesunken. Die Löhne stiegen an und das Sozial-

produkt, welches in der Gründungsphase kontinuierlich gestiegen war, konnte auf

hohem Niveau gehalten werden (vgl. Bundesministerium für Arbeit und Sozial-

ordnung, 2001, 508). Auf die Arbeitsmarktlage wirkte sich Anfang der 60er-Jahre

die geringe Zahl der Schulabgänger als Folge der geburtenschwachen Kriegs- und

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Nachkriegsjahrgänge aus. Viele Berufsausbildungsplätze, auch für Frauen,

blieben unbesetzt (vgl. NDV, Februar 1961, 41-42).

1.1.3 Die Möglichkeiten der Altenfürsorge

Die alten Menschen stellten in den fünfziger Jahren aufgrund der zuvor ausgeführ-

ten Bedingungen das Bild eines sozialschwachen Bevölkerungsteils dar. Daher

war das Reagieren auf diese Schwächen seitens der Sozialpolitik, wie z.B. im

Rahmen des Bundessozialhilfegesetzes, gefordert. Dies bezog sich insbesondere

auf die Stellung der alten Menschen im gesellschaftlichen System und auf die

Merkmale materieller Not. Im Rahmen der Sozialpolitik ging es bezogen auf die

alten Menschen um:

� eine Altenhilfe, die staatlich gefördert und initiiert werden sollte, � um Vorgaben für die Errichtung, Finanzierung und das Betreiben von

Alteneinrichtungen, wie z.B. Pflegeheimen, und � um die Schaffung von Ausbildungsregelungen und Personalmindest-

verordnungen für die Einrichtungen der Altenhilfe und des Gesund-heitswesens.

Die Aufgaben der Fürsorge wurden wahrgenommen von Verbänden der freien

Wohlfahrtspflege in Zusammenarbeit mit der öffentlichen Wohlfahrtspflege,

wobei die freie Wohlfahrtspflege ihre Gleichberechtigung neben der behördlichen

Fürsorge betonte. Seit 1961 war durch das Bundessozialhilfegesetz eine enge

Zusammenarbeit zwischen den örtlichen Trägern und den Verbänden der Freien

Wohlfahrtspflege vorgeschrieben.

In den angelsächsischen Ländern wurde das sogenannte Altersproblem schon seit

den vierziger Jahren sozialpolitisch und medizinisch diskutiert. In den meisten

Ländern, insbesondere in England und den USA, schlossen sich Ärzte und

Studiengruppen und Gesellschaften zusammen, um den Problemen der Geronto-

logie und Geriatrie nachzugehen. Die amerikanische gerontologische Gesellschaft,

die 1939 gegründet wurde, wählte folgenden Leitspruch: „To add life to years,

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