Die Funkaufklärung und ihre Rolle im 2. Weltkrieg · PDF fileDie Funkaufklärung und...

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  • KRIEG IM AETHER

    Vorlesungen an der Eidgenssischen Technischen Hochschule in Zrichim Wintersemester 1979/1980

    Leitung: Abteilung fr bermittlungstruppen, Divisionr A. Guisolan

    Die Funkaufklrung und ihre Rolleim 2. Weltkrieg

    Referent: Jrgen Rohwer, Prof. Dr. phil

    Diese Vorlesung wurde durch die Stiftung HAMFU digitalisiert und alsPDF Dokument fr www.hamfu.ch aufbereitet.

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    DIE FUNKAUFKLAERUNG UND IHRE ROLLEIM 2. WELTKRIEG

    Prof. Dr J. Roh w e r

    Im Herbst 1974 enthllte der britische Group Captain F.W. Winterbotham mit seinem Buch "The Ultra Secret"das bis dahin bestgehtete Geheimnis des Zweiten Weltkrieges: die Entzifferung des mit der "Enigma"-Maschine verschlsselten Funkverkehrs der deutschen Wehrmacht durch britische Kryptologen.

    Inzwischen haben sich viele Verffentlichungen von Publizisten, Akteuren und Historikern, aber auchFernsehsendungen des sensationellen Themas angenommen. Kein Wunder,dass dabei die Frage aufkam, ob nunnicht die ganze Geschichte der Jahre 1939-1945 neu geschrieben werden msse. Weithin entstand der Ein-druck, die alliierte Fhrung sei ber fast alle deutschen Absichten im voraus unterrichtet gewesen;musste dann nicht die ganze strategische Planung der Alliierten in einem neuen Licht gesehen, musstennicht die Handlungen ihrer politischen und militrischen Fhrer neu bewertet werden? War "Ultra" gar diewichtigste Ursache fr die deutsche Niederlage?

    Ich mchte im folgenden versuchen, Ihnen einen Ueberblick ber den gegenwrtigen Stand der historischenForschung zu dieser Frage zu geben. Dabei sttze ich mich einerseits auf die teils bereits 25 Jahrezurckliegenden eigenen Forschungen zu Fragen der Funkaufklrung im Zusammenhang mit dem japanischenAngriff auf Pearl Harbor und zu Problemen der Funkfhrung whrend der Schlacht im Atlantik; und ander-seits auf die Auswertung der in den letzten Jahren in London und Washington fr die Forschung freige-gebenen "Ultra"-Akten, die Befragung zahlreicher Kryptologen und Intelligence-Experten beider Seiten so-wie die Referate und Diskussionen, die Fachleute bei internationalen Tagungen in Washington, Annapolis,Bonn-Bad Godesberg, Stuttgart, Lund und wieder in Annapolis hielten. Schliesslich wurden die so auserster Hand gewonnenen Erkenntnisse mit der immer mehr anschwellenden internationalen Literatur ver-glichen.

    In vielen Verffentlichungen der letzten Jahre wurde mit den Begriffen der Fernmeldetechnik und der Funk-aufklrung wenig sorgfltig umgegangen. Daher entstanden in der Oeffentlichkeit weithin falsche Vorstel-lungen von den Mglichkeiten und Grenzen dieser Techniken und ihren Auswirkungen auf den Kriegsverlauf.Will man zu einem wirklichen Verstndnis der Rolle gelangen, welche die Funkaufklrungsdienste in denEntscheidungsprozessen spielten, muss man sich deshalb zunchst darber klar werden, welche Nachrichten-Uebermittlungs-Verfahren man in den verschiedenen Streitkrften der beteiligten Lnder verwendete undmit welchen Methoden man diese Nachrichten-Uebermittlung jeweils gegen ein unbefugtes Mitlesen zu sichernversuchte.

    Adresse des Autors:

    Jrgen Rohwer, Prof. Dr. phil.Bibliothek f. ZeitgeschichteKonrad-Adenauer-Str. 87000 Stuttaart 1

    "Krieg im Aether", Folge XIX

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    Fr die Uebermittlung von Nachrichten verwendete man im Zweiten Weltkrieg neben akustischen und optischenVerfahren vor allem die Tlgraphi oder die Telefonie, jeweils in drahtgebundener oder drahtloser Formals Fernschreiber bzw. Fernsprecher oder Funktelegraphie bzw. Sprechfunk. Da die draht- oder kabelgebun-denen Verfahren jeweils nur die betroffenen Partner miteinander verbanden, und die Leitungen Unbefugtennicht ohne weiteres zugnglich waren, boten sie eine relativ hohe Uebermittlungssicherheit. Sie warenallerdings meist an feste Anschlusspunkte an das Leitungsnetz gebunden, was jedoch z.B. im Nachrichten-verkehr zwischen ortsfesten militrischen Kommandobehrden kein Nachteil war. Aufgrund der Ausbreitungs-eigenschaften der Funkwellen war dagegen der drahtlose Fernmeldeverkehr durchweg auch dem Unbefugten,ja, dem Gegner zugnglich; er erlaubte aber auch die Verbindung zwischen beweglichen Stationen.

    In der hohen Politik, in der Diplomatie und in den Streitkrften wurde deshalb weltweit nach dem Grund-satz gehandelt, hchstrangige Geheimnisse oder Nachrichten, Weisungen oder Befehle - wenn irgendmglich- mit Kurier oder auf dem sichereren Drahtweg per Fernschreiber oder Telefon zu Ubermitteln. Funk mussteallerdings dann verwendet werden, wenn keine Kurier- oder Drahtverbindungen zur Verfgung standen. Sowurden z.B. Operationsbefehle an in ihren Stellungen verharrende Landtruppenteile, an fliegende Verbndevor dem Start oder Schiffe vor dem Auslaufen nur in Ausnahmefllen gefunkt. Funkverkehr wurde erst dannunerlsslich, wenn Truppenteile in der Bewegung, Flugzeuge in der Luft oder Schiffe in See Meldungenabgeben mussten oder Befehle erhalten sollten. Nur dieser Teil der Nachrichtenbermittlung war normaler-weise der Erfassung durch den Gegner zugnglich und konnte von dessen Funkaufklrung bearbeitet werden.Im internationalen Durchschnitt drfte etwa 1/4 bis 1/3 des gesamten Nachrichtenverkehrs auf dem Funk-wege abgewickelt worden sein.

    Dabei lag der Schwerpunkt nicht auf der oberen, strategischen Ebene, deren Befehlsstellen meist orts-fest waren, sondern viel mehr auf der mittleren, operativen oder unteren, taktischen Ebene, deren Fh-rungsstellen sich hufiger bewegen mussten. Die "Intelligence" gewann also ihre Erkenntnisse - soweitsie aus der Funkaufklrung kamen - nur in Ausnahmefllen durch die Entzifferung von Nachrichten dergegnerischen obersten Entscheidungsebene. Viel grsseres Gewicht kam allgemein der Erarbeitung einesdetaillierten Funklagebildes der gegnerischen Krfteverteilung - der "Order of Battle" - zu, das sichaus der mosaikartigen Zusammenfgung einer Vielzahl von Informationen aus der Funkentzifferung, aberauch den beiden anderen Zweigen der Funkaufklrung, der Verkehrsanalyse und der Peilauswertung, ergab.Je vollstndiger und sicherer dieses Funklagebild durch die Kompilation einer Flle von einzelnen oftbedeutungslos erscheinenden Nachrichten wurde, umso grsser konnte dann aber auch sein Einfluss auf dieeigene operative oder gar strategische Planung werden.

    Um der allgemein bekannten Gefahr des Mitlesens der bermittelten Nachrichten durch den Gegner einenRiegel vorzuschieben, war es blich, Funksprche zu verschlsseln. Die Verschlsselung eines Klartexteskann auf zweierlei Weisen geschehen:

    Entweder werden die im Klartext verwendeten Buchstaben oder Zahlen mit einem Tausch- oderSubstitutionsverfahren oder mit einem Verwrfelungs- oder Transpositionsverfahren durchandere ersetzt.

    Das kann entweder anhand vorbereiteter Tafeln mit Papier und Bleistift oder aber auch mit Hilfe vonSchlsselmaschinen geschehen.

    Eine andere Mglichkeit ist die Verwendung eines Codes, bei dem fr im Nachrichtenverkehrauftretende Stze oder Begriffe in einem Codebuch festgelegte 2-, 3-, 4-, oder 5-stelligeBuchstaben- oder Zahlengruppen benutzt werden.

    Viele Missverstndnisse rhren daher, dass man sich der beschriebenen, grundstzlichen Unterschiede inden kryptographisehen Verfahren nicht bewusst war und die Begriffe falsch verwendete.

    Die Sicherheit eines Schlssels hing ganz wesentlich davon ab, dass der gegnerische Kryptologe nicht soviele mit der gleichen Schlsseleinstellung oder -tafel verschlsselte Funksprche in die Hand bekam,dass es ihm mglich wurde, die verwendeten Schlsselalphabete oder Zahlenfolgen oder Schlsseltafelnmittels mathematisch-analytischer Methoden zu rekonstruieren. Man musste deshalb verhindern, dass sichdie gleichen Additions- oder Subtraktionsfolgen zwischen Klar- und Schlsseltext wiederholten, dasssich damit Parallelstellen ergaben, die dem Kryptologen den Einbruch ermglichten. Dazu wurden, die Lngedes einzelnen Funkspruches begrenzt, lngere Sprche geteilt und die Teile mit separaten Spruchschlsseinverschlsselt. Weiter suchte man die Menge der mit der gleichen Schlsselgrundstellung oder der gleichenSchlUsseltafel verschlsselten Sprche durch einen hufigen Wechsel dieser Schlsselunterlagen zu be-grenzen.

    Ausserdem wurde der Funkverkehr in verschiedene Verkehrs- und Schlssel kreise unterteilt, die mit je-weils unterschiedlichen Frequenzen bzw. von einander unabhngigen Einstellungen arbeiteten. Die optimaleLsung bildete, das war allgemein bekannt, der sogenannte Einwegschlssel, dessen zufallsverteiIte Buch-Stben- oder Zahlenfolgen nur einmal benutzt wurden. Damit konnten sich keine Parallelstellen ergeben,und der Schlssel war - mathematisch beweisbar - einbruchsicher. In einem grossen Apparat stellte jedochdie Produktion und Verteilung der bei einer allgemeinen Verwendung erforderlichen ungeheuer grossen Zahlvon Schlsselunterlagen ein unlsbares Problem dar, sodass dieses Verfahren auf die hchstrangigen Nach-richtenverbindungen beschrnkt bleiben musste.

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