Die Funktionen der lokalen Kasus im Tocharischen Volume 23 () || 2.2. Wahl des Lokalkasus im...

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66 2. Die Funktionen der Lokalkasus 2.2. Wahl des Lokalkasus im Verhältnis zum Verb 2.2.0. Die tocharischen Lokalverben im Material In der folgenden Untersuchung werden verschiedene Verben mit den Lokalkasus zum Ausdruck der Lokalisierung (LOKATIV), der Bewe- gung (PERLATIV), der Richtung (DIREKTIONAL) und der Zielerreich- ung (TERMINATIV) verwendet. Wie in 2.0.4. hervorgehoben wurde, kann der Lokalausdruck auf der Verb- bzw. der Kasusebene, oder auf beiden, realisiert werden. Die Lokalverben, d.h. die Verben, die in direkter Verbindung mit der Lokalbestimmung stehen, können semantisch mehr oder weniger mit den Begriffen Lokalisierung, Richtung oder Zielerreichung ver- bunden werden. Zustandsverben, wie z.B. 'sitzen' oder 'stehen' las- sen sich grundsätzlich mit einem LOKATIV verbinden. Bewegungs- verben wie 'kommen' oder 'gehen' können aber sowohl mit ABLATIV, PERLATIV, DIREKTIONAL als auch mit TERMINATIV in Verbindung gesetzt werden. 2.2.0.1. Zustandsverben Die Zustandsverben drücken keine Ortsveränderung aus, und lassen sich grundsätzlich mit einem LOKATIV verbinden. 189 A so- Β sau- 'leben' Anas-Bnes- 'sein' AB mäsk- 'sich befinden, sein' AB käly- 'stehen, sich befinden' AB säm- 'sitzen' Β waläk- 'sich aufhalten' 189 Vgl. aber die Diskussion in 2.0.5. "Gegensatz zwischen Prädikat und Lokalbestimmung". Das Zustandsverb AB säm- ist hier zu bemerken: in Ver- bindungen wie A wast säm- Β ost säm- 'Haushalter sein' oder Β ompalskofine säm- 'in Meditation sitzen' werden sie mit einem Obliquus kombiniert, um Lo- kalisierung auszudrücken. Brought to you by | University of Illinois Chicago (University of Illinois Chicago) Authenticated | 172.16.1.226 Download Date | 5/9/12 10:59 AM

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66 2. Die Funktionen der Lokalkasus

2.2. Wahl des Lokalkasus im Verhältnis zum Verb

2.2.0. Die tocharischen Lokalverben im Material

In der folgenden Untersuchung werden verschiedene Verben mit den Lokalkasus zum Ausdruck der Lokalisierung (LOKATIV), der Bewe-gung (PERLATIV), der Richtung (DIREKTIONAL) und der Zielerreich-ung (TERMINATIV) verwendet. Wie in 2 . 0 . 4 . hervorgehoben wurde, kann der Lokalausdruck auf der Verb- bzw. der Kasusebene, oder auf beiden, realisiert werden.

Die Lokalverben, d.h. die Verben, die in direkter Verbindung mit der Lokalbestimmung stehen, können semantisch mehr oder weniger mit den Begriffen Lokalisierung, Richtung oder Zielerreichung ver-bunden werden. Zustandsverben, wie z.B. 'sitzen' oder 'stehen' las-sen sich grundsätzlich mit einem LOKATIV verbinden. Bewegungs-verben wie 'kommen' oder 'gehen' können aber sowohl mit ABLATIV, PERLATIV, DIREKTIONAL als auch mit TERMINATIV in Verbindung gesetzt werden.

2.2.0.1. Zustandsverben

Die Zustandsverben drücken keine Ortsveränderung aus, und lassen sich grundsätzlich mit einem LOKATIV verbinden.189

A so- Β sau- 'leben' Anas-Bnes- 'sein' AB mäsk- 'sich befinden, sein' AB käly- 'stehen, sich befinden' AB säm- 'sitzen' Β waläk- 'sich aufhalten'

189 Vgl. aber die Diskussion in 2.0.5. "Gegensatz zwischen Prädikat und Lokalbestimmung". Das Zustandsverb AB säm- ist hier zu bemerken: in Ver-bindungen wie A wast säm- Β ost säm- 'Haushalter sein' oder Β ompalskofine säm- 'in Meditation sitzen' werden sie mit einem Obliquus kombiniert, um Lo-kalisierung auszudrücken.

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2.2. Wahl des Kasus im Verhältnis zum Verb 67

A klis- Β klänts- ' schlafen' Β wäs- 'weilen, ruhen' AB länk- 'hängen' Α spärtw- Β spärtt- 'sich befinden, sich verhalten''

2.2.0.2. Bewegungsverben

Die Bewegungsverben können verschiedene Arten von Bewegungen bezeichnen. Man kann drei Haupttypen unterscheiden:

1. Einwertige Bewegungsverben ('gehen', 'laufen') 2. Bewegungsverben, die sowohl einwertig als zweiwertig sein

können ('rollen', 'bewegen') 3. Transportverben, die immer zweiwertig sind ('transportieren',

'setzen').

a. Indirektionale/direktionale Verben Indirektionale/direktionale Verben drücken eine Ortsveränderung des Lokalisierungsobjektes aus, die in eine mehr oder wenige bestimmte Richtung geschieht.

AB i- 'gehen' AB mit- 'gehen'"" AB käm- 'kommen' Β sik-,saik- 'treten, den Fuss setzen"" AB rutk- '(sich) fortbewegen' A ok- 'zunehmen, wachsen' Α klä(w)- Β kläy- 'fallen' Β kätk- 'passieren, (entlang-) gehen"93

190Das Verb kommt auch als Bewegungsverb vor. Vgl. 2.2.0.2. 191 KT 11:221 übersetzt dieses Verb mit 'sich aufmachen' (anfangsterminativ). Die

von Winter (1980a:423) angegebene Übersetzung 'gehen' ist hier im allgemeinen gültig.

192S. 3.1.13.2. 193 Die Grundbedeutung von kätk- ist 'überschreiten', das mit einem Objekts-

obliquus konstruiert wird. Mit Β ytärye (2.3.1.6.2.) wird aber Β kätk- mit einem

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68 2. Die Funktionen der Lokalkasus

, > 194 Α kr op- 'sich versammeln' Α spärtw- Β spärtt- 'sich drehen, sich wenden'1'5

AB kätk- 'überschreiten' wird meistens mit (Objekts-)Obliquus konstruiert.

b. Telische Verben In den telischen Verben wird die Erreichung des Zieles in der Verbal-handlung angezeigt.

AB kärp- 'herabsteigen' Β ränk- 'aufsteigen (auf)' A yow- Β yäp-,yop- 'eintreten' Α tsälp- 'hineingehen'196

AB kam- 'kommen'1"

2.2.0.3. Transportverben

Die Transportverben (vgl. 2.0.1.) werden mit einem Objekt und einer Lokalergänzung kombiniert. Das bedeutet, dass drei Mitspieler einbe-griffen sind: das Agens, das Lokalisierungsobjekt und das Referenz-objekt.

Perlativ kombiniert, und die Bedeutung muss hier eher 'schreiten, passieren' sein.

194 A krop- ist meistens transitiv mit der Bedeutung 'anhäufen, sammeln'. In A 278 a6 (2.3.2.7.3.) tritt krop- ohne Formveränderung in der Bedeutung 'sich versammeln' mit einer Lokalergänzung im Allativ hervor.

195 Das Verb kommt auch als Zustandsverb in der Bedeutung 'sich befinden' vor. 196 Die Grundbedeutung ist 'hinübergehen; erlöst werden', s. KT 11:160, Winter

(1980a:439) und Ji - Winter - Pinault (1998:279). Das Verb kommt aber hier oft mit Referenzobjekten wie 'Haus', 'Kloster', 'Stadt' etc. vor. Beispiel: YQ 1.24 b3 ///(sa)nkr(ä)mam tsälporäs tränkäs 'having gone inside the (Nyagrodhä-räma) monastery, (queen GautamT) says:'. Die Bedeutung ist in diesem Fall eher 'hineingehen, eintreten'.

197 AB käm- wird oft mit dem Lokativ kombiniert, um Zielerreichung zu kennzeich-nen, vgl. 2.4.0.1.

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2.2. Wahl des Kasus im Verhältnis zum Verb 69

2.2.0.3.1. Verben, die keine Ortsveränderung des Agens ausdrücken Diese Verben drücken keine Ortsveränderung des Agens zum Refe-renzobjekt aus und beziehen sich meistens auf Bewegungen, die mit Körperteilen ausgeführt werden. Das Lokalisierungsobjekt bewegt sich oft in eine bestimmte Richtung.

a. Direktionale/indirektionale Verben Β lu- ' senden' B säl- K. 'werfen' Β kät- 'streuen'198

A pärs- 'besprengen' B lit- Κ. 'fallen lassen' Β tsu- Κ. 'fügen, hinzufügen' Β lup- 'werfen' Α wärt- 'werfen'

b. Telische Verben (zweiwertige Positionsverben) AB säm- K. 'setzen' Β käly- K. 'stellen, einrichten' Α wät- 'stellen, setzen' AB tä- 'setzen, legen' A prutk- 'einschliessen' - 5 199

2.2.0.3.2. Verben, die Ortsveränderung des Agens ausdrücken kön-nen

Andere Verben drücken keine Ortsveränderung des Lokalisierungs-objekts im Verhältnis zum Agens aus, das Agens ist aber im Verhältnis zum Raum/Referenzobjekt beweglich:

AB pär- 'tragen' AB äk- 'führen' Β käl- 'führen, bringen' Β äs- 'holen, bringen'200

"'S. 2.3.2.13.2. '"Die Bedeutung von Α prutk- Gv. ist bei KT 11:121 'erfüllt sein' (einwertig). Die

Bedeutung in A 340 a7 (2.3.2.8.2.) ist eher 'einschliessen' (zweiwertig). 200 S. Krause (1952:222).

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70 2. Die Funktionen der Lokalkasus

2.2.0.4. Bewegung oder Zielerreichung?

Die Probleme des Unterschieds zwischen Richtung und Zielerreichung sind in 2.0.3. behandelt worden. Es muss hier wieder hervorgehoben werden, dass oft die Grenzen in der Semantik des Verbes nicht deut-lich gezogen werden können.

Die infiniten Formen der Bewegungsverben, wie die zu AB i- 'ge-hen', Abs. Α kälkoräsB ykuwermem 'gegangen [seiend]' und Partizi-pium Präteriti Α kälko Β yku 'gegangen' und besonders die zu AB käm- 'kommen', muss man als terminativ klassifizieren, weil diese Formen, wenn sie mit einer Lokalergänzung kombiniert werden, eine Zielerreichung schon in der Verbalhandlung implizieren.

Bei mehreren Verben, die in ihrer Grundform eine telische Be-deutung haben, wie 'setzen', 'legen', 'binden', 'stellen' etc., drücken die infiniten Formen 'gebunden', 'gesetzt', 'gelegt' im Prinzip eine Lokalisierung aus.

In den meisten Beispielen hier besteht der Lokalausdruck aus einem Verb und einer Kasusform. Der Kontext ist dann ab und zu wichtig, um richtig zu beurteilen, ob Richtung oder Zielerreichung zum Aus-druck kommt.

2.2.0.5. Besondere Kasuskonstruktionen bei Verben

Einige Lokalverben haben eine besondere Kasusform neben sich. In solchen Fällen kann man annehmen, dass die Wahl des Lokalkasus in besonderem Grad von dem Lokalverb abhängig ist. Die Verben, die beim Studium des Materials besonders hervorgetreten sind, sind 'wer-fen', das öfters einen Perlativ bei sich hat, und 'binden', 'hängen', 'sich stützen' und 'sich fügen', die sich mit einem Allativ verbinden. Diese Verben werden demnach hier unter 2.2. für sich untersucht.

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2.2. Wahl des Kasus im Verhältnis zum Verb 71

2.2.1. Konstruktionen mit 'werfen'

Für das Verb 'werfen' gibt es im Tocharischen verschiedene Wurzeln: Α wärt- 'werfen' AB säl- 'springen, hüpfen', K. 'hinwerfen, stürzen' Β lup- 'werfen; beschmieren' Ae-B ai- 'geben' ist auch einmal mit der Nebenbedeutung 'werfen' belegt.20'

Zwei hauptsächliche Konstruktionen sind mit den Verben für 'werfen' zu belegen, eine mit Lokativ und eine mit Perlativ. Ich habe bisher kein Beispiel mit Allativ gefunden, was bemerkenswert ist, da in dem Verb 'werfen' an sich eine Richtungsangabe involviert ist.

2.2.1.1. Konstruktionen mit Perlativ

a. Mit Β säl- K. 'werfen' Β Qumtura g6202 dipankarsa suk uppälnta salästa 'gegen DTpankara wirfst du sieben Lotus' Β 365 a2f. (MQ) t[e](pa)nkarsa[p]üdnäktesasüktu[ppäl](ntasälla) ' .. .warf sieben Lotus gegen den Buddha DTpankara.'203

Β 560 a2f. täu erkenmasasa/äreken[e]k sär aiparne 'Sie warfen sie auf die Leichenstätte [und] deckten ein Tuch über sie.' Β 559 a If. orotsana erkenmasa e[nte ] yaka srukosäm saläskemane sekamne täkam 'Wo man auf grossen Leichenstätten (noch) bestän-dig Leichen hinwerfen sollte,...'

201A 10 b4, 2 .2 . l . l .d . 202 Pinault (1993/4:179). 203 Übersetzung und Kommentar beider Beispiele: Pinault (1993/4:183). Vgl. Ziel-

kasus mit Lebewesen (2.3.5.).

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b. Mit Β lup- 'werfen' Β 31 bl=32 a4cemksayämtärappamätwroccelupstär nraisa 'Wenn diesen einer verächtlich macht, wird er in die grosse Hölle gewor-fen.'

c. Mit Α wärt- 'werfen' A 300 a4 II narepälikän nareyam sälpmäm tkanä wärssälyo säryäm wortarä(m) 'Die Höllenwächter, in der Hölle glühend, lassen (uns) mit Energie die Saat auf die Erde werfen.'

d. Mit A e-A 10 b4 vibhisa(nes) akmlä wawuräs tränkäs '...warf ihn dem Vi-bhlsana ins Gesicht und spricht:'204

2.2.1.2. Konstruktionen mit Lokativ

a. Mit Β säl-B PK.AS.8B a6 (=M2 Filliozat) e<n>t<w>e soye tsikale känte okt näsait yamasäle taka pwarne (sa)läsäle205 'Alsdann [ist daraus] eine Puppe zu formen, 108 [Mal] zu besprechen, sodann ins Feuer zu werfen.' Β Η. 149.40 a5pelenesalärene '[Sie] warfen ihn ins Gefängnis.'' Β Η. 149.add. 12 a5 yaltse tinäränta ytärine salläre 'Sie warfen tau-send Dinare auf den Weg.'

2.2.1.3. Zusammenfassung 'werfen'

Es ist schwierig, nur auf Grund der oben angeführten Beispiele die Grenzen zwischen den Verwendungsweisen zu verstehen. 'Ins Feuer werfen' und 'ins Gefängnis werfen' können innerhalb der gewöhn-lichen Gebrauchsweisen des Lokativs erklärt werden. Das Ziel wird erreicht. (S. auch 'Feuer' 2.3.1.26. und 'Gefängnis' 2.3.2.11.)

204Lane (1947:46): 'Having thrown it in Vibhlsana's face, says:'. 205 Verbesserung der Lesung durch KT 11:71 gegenüber Filliozat (1948:91).

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2.2. Wahl des Kasus im Verhältnis zum Verb 73

Bei Β ytär 'Weg' wird mit dem Lokativ eine Lokalisierung auf dem Weg ausgedrückt. Man vergleiche dieses Beispiel mit den Passagen mit Β lit- Κ. 'fallen lassen' und Lokativ {kenne 2.3.1.1.2., erkaune 2.3.1.13.3.).

Die Konstruktionen aber, in denen man annehmen könnte, dass die Kasuswahl von 'werfen' und nicht von dem Referenzobjekt abhängig ist, sind Β Qumtura g6 und Β 365 a2-3 (Ziel- oder Richtungskasus mit belebten Entitäten = sonst Allativ) und Β 31 bl ('Hölle' = sonst immer Lokativ [2.3.1.29.]). Bei 'Leichenstätte' gibt es parallele Beispiele im Perlativ (s. 2.3.1.13.).

2.2.2. Konstruktionen mit 'binden' und 'hängen'

Der Kasusgebrauch mit den Verben AB kärk- 'binden' und AB länk-'hängen' (einwertig) K. 'sich hängen an' ist im Tocharischen speziell: in Konstruktionen wie 'jemand/etwas an etwas binden' und 'jemand-/etwas hängt an etwas', wird das Referenzobjekt in den Allativ gesetzt.

2.2.2.1. AB kärk- 'binden'

[1] Α kärk- 'binden' (einwertig) a. Mit Allativ

A 97 b3 HHtalkeyam vaidiken prämnän pyäksac kakärkunt • '...während des Opfers die vedischen Brahmanen den an den Op-

ferpfosten (Allativ) gebundenen [Mann ?] A 341 a2 temilapäss äsänac yalakäsyo sas :pret ka(kärku sex)//// 'An deren Sitz (Allativ) (war) vom Kopf[ende] her mit Stricken ein Pre-ta gebunden' A 395 b3 tämnek pän känt onkälmäs ... mandlac kätse wäworäs asläntwac sarkräm · 'Ebenso führten sie noch fünfhundert Elefan-ten, ...an den Zauberkreis heran und banden sie an die Pfosten (Allativ).'

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74 2. Die Funktionen der Lokalkasus

b. Mit Perlati ν A 71 b6pokernskäräkäkärkuräs '...banden sie ... die Arme ... auf den Rücken'206

[2] Β kärk- 'binden' In sämtlichen Beispielen mit Β kärk-201 ist kein Referenzobjekt vorhan-den. Eine Ausnahme ist folgendes Beispiel:

Β 142 b3 [täjmmäsle srukallesa mäka kekkärkü 'Der Geborene ist völlig an den Tod (Perlativ) gebunden.'

2.2.2.2. ßsänm- 'binden, fesseln' (zweiwertig) Β 18 b7f. canca mänavi sem säu ynemane intsau kätsas sessanmusa sama=nepre poysintse : 'Cancä MänavT kam; sie, die im Gehen [wörtl. gehend] einen Holzklotz an den Bauch gebunden [hatte], stand vor dem Alleswissenden.'208

In dem folgenden Beispiel hat man den Perlativ mit der Präposi-tion/Adverb Β sär 'über':

Β W 14 b2(sanä)[pä]ly[a] säikätsasawalanalle sanmässälle 'Eine Decke muss über den Leib gebunden werden'

2.2.2.3. Aßlänk- 'hängen' (einwertig) A 8 a3f.knu[k](amspa)rpyospinac länkmäm '...mit dem Strick um den Hals, an einem Nagel hängend' A 8 a6spinac länmäm sasrukunt ι '...an einem Nagel hängend als [Selbst]getöteten,...' A 8 b3 sasrukunt spinac länmäm '...an einem Nagel hängend [als] [Selbst] getöteten,...'

206skara könnte als erstarrt (Adv.) 'zurück', 'rückwärts' betrachtet werden. S. Köl-ver (1965:39).

207 Vgl. Krause (1952:230). 208 Päli: udare därumandalikam bandhitvä. Sieg - Siegling (1949b:29).

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2.2. Wahl des Kasus im Verhältnis zum Verb 75

A 9 a If. : sruksät äncäm säm pekant länkäfs] spinac '...tötete der Maler sich selbst, er hängt an dem Nagel...' Β H.149.add.ll8 al okoswnolmi länks[e]nträ 'Die Wesen warten begehrend auf die Frucht [wörtl. hängen an der Frucht]...,2m

2.2.2.4. Zusammenfassung/Diskussion 'binden' und 'hängen'

Die Verben 'binden, fesseln' und 'hängen' sind grundsätzlich ver-schieden. 'Binden, fesseln' ist ein telisches Transportverb und 'hän-gen' ein einwertiges Zustandsverb.

Der tocharische Allativ bezeichnet immer Richtung, und kann nicht zum Ausdruck der Lokalisierung verwendet werden, wie der Lokativ und der Perlativ. Es ist bemerkenswert, dass in diesen Konstruktionen ein ausgeprägter Richtungskasus verwendet wird. Für die Transport-verben 'binden' (indirektional) und 'hängen' (zweiwertig, telisch) könnte man sich vorstellen, dass eine Richtungsangabe durch die Lo-kalbestimmung angegeben werden könnte, aber schwerlich für das einwertige Zustandsverb 'hängen'. Weiter muss der aspektuelle Unter-schied zwischen 'hängen' (einwertig) oder 'binden' (zweiwertig, im-perfektiv) und 'gehängt' oder 'gebunden' (perfektiv) beachtet werden. 'Gehängt' und 'gebunden' müssen als einen Zustand bezeichnend betrachtet werden. Wie oben in 2.2.2.1. angebracht, wird aber der Unterschied zwischen 'binden' und 'gebunden' in dem Kasus-gebrauch im Tocharischen nicht gekennzeichnet. In beiden Fällen benutzt das Tocharische einen Allativ.

Mit AB länk- 'hängen' zeigt das B-Beispiel H.149.add.ll8 al eine Parallele zu den vier Α-Beispielen aus dem Punyavantajätaka, A 8-9. Die semantische Ähnlichkeit der infiniten Formen 'gehängt' und 'gebunden' kann nicht übersehen werden, der Allativ ist aber schwie-rig zu erklären. Es ist möglich, dass eine durch das Bewegungsverb '(auf)hängen' (zweiwertig) entstandene Konstruktion mit Allativ auf die infiniten Formen 'hängend' und 'gehängt' zu 'hängen' (einwertig) übertragen wurde. 'Binden' könnte sich auch an diese Entwicklung

209Br. 1:233: 'The beings hang on to success'.

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76 2. Die Funktionen der Lokalkasus

angeschlossen haben. Andererseits ist es auch möglich, dass 'hängen' (einwertig) mit einem Richtungskasus (ablativisch oder direktivisch) versehen werden könnte, weil ein Hängen einen Ausgangspunkt vor-aussetzt.

Das Problem ist in Zusammenhang mit Konstruktionen mit dem Verb heth. hamank-/hamenk-bb* 'anbinden, verbinden' diskutiert

w c 7

worden.210 In den folgenden Beispielen wird dieses Verb mit ANA konstruiert. ANA gibt, gegenüber INA, Richtung an:211

KB ο XVII, 15 Rs! 1Γ-12' A[(MAR-us an-na-nu-)uz-zi(-an-za)] A-NA UDU Ü SILA ha-mi-in-Mn<-za> 'Ein ... Kalb (ist) an ein-em Schaf (Dativ)212 und an einem Lamm (Dativ) angebunden'213

In folgendem Beispiel wird Dativ verwendet: KUB XXX, 10 Vs. 20 huiswatar-ma-pa anda hingani haminkan hingan-a-ma-pa anda huiswanni-ya haminkan 'Das Leben [ist] aber zum Tod (Dativ) gebunden und der Tod [ist] zum Leben (Dativ) gebunden'.214

Nach Starke (1977:116) sind "die Dative (seil. A-NA UDU U SILÄ) nur scheinbar merkmallos, da hamank-/hamenk-bbl kein direktivisches Verb ist". Josephson (1981:101) meint, dass die Grenzen zwischen den Kategorien Bewegungs- bzw. Zustandsverben in einigen Fällen lockerer sein können.215 Einige Zustandsverben können mit einer loka-len Ergänzung, die Direktionalität ausdrückt, versehen werden. 'Hängen' ist in dieser Hinsicht speziell: (: 101) " 'To hang' hat per se keine Direktionalität. Es ist darum klar, dass von Kasusgebrauch und Lokaladverb aus keine Rückschlüsse auf den Charakter des Verbs ge-zogen werden können".

210 Starke (1977:115-116), Josephson (1981:101, Rez.). 211S. Starke (1977:118). 212 Nach Starke (1977:116) lok. Dativ. Nach Josephson (1981:101) term. Lok. 213Starke (1977:115). 214 Josephson (1981:101), Puhvel (1991:66), auch weitere Beispiele. 215 Nach Bartsch (1976:124). Vgl. die Diskussion in 2.0.5.

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2.2. Wahl des Kasus im Verhältnis zum Verb 77

2.2.3. 'Sich stützen' und 'sich fügen' mit Allativ

Zwei weitere Verben desselben Typus sind mit der Lokalbestimmung im Allativ belegt, Β sain- 'sich stützen' und Β tsu- 'sich fügen'.

2.2.3.1. 5sai-n- 'sich stützen'

Β 41 al kektsen palskos sasainu anässälne satä(sl)fi(e :) 'Der auf Körper und Geist das Einatmen und Ausatmen gestützt Habende...'

2.2.3.2. ßtsu- 'sich fügen', Med. 'haften'

Β 16 al l/l/nesmye näki krentäm sämnas' mä tu walke tswetär nta :IIII '...üble Nachrede und Tadel, [aber] an guten Menschen haftet das eben nicht lange.' Β PK.AS.7J (=K 10 Levi) a3 mä cpTtaurä mä tweye kektsenäsc ma wa(t) tswetär 'Nicht [ist] ihm Staub, nicht Schmutz, noch auch haftet er an [seinem] Körper.'

Vgl. aber: Β H.149.14 blf.tallänco ...tswoskasläklehleki(ne) '...die Armen ... sind mit den Leiden an ihr Bett (Lokativ) gebunden'

Auf Grund dieser drei Beispielen (mit Β tsu-) könnte man sich vor-stellen, dass Allativ mit Lebewesen und Lokativ mit Nichtlebewesen verwendet wurde. Das Beispiel Β H.149.14 bl (Lokativ) muss aber im Zusammenhang mit den übrigen Konstruktionen mit Β leki 'Bett' (2.3.3.3.) betrachtet werden. Mehr Beispiele wären vorzutragen.

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