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256 2. Die Funktionen der Lokalkasus Lokalverben konstruiert sind, und denen, die mit nichtlokalen Verben konstruiert sind, vorzufinden. Dies lässt sich aber nicht zeigen. Die Kasusverwendung scheint in diesen Syntagmen von der Form/Be- schaffenheit des Raumes/Referenzobjektes abhängig zu sein. Α lenäs lenac 'von Felshöhle zu Felshöhle' und Α paryänäs paryänac 'von Zelle zu Zelle', können leichter verstanden werden. Ein Gehen von dem einen zu dem anderen setzt ein Ausgehen und ein Ein- gehen voraus. Dieses gilt auch z.T. für Α opläs oplä 'von Lotus zu Lotus'. Warum heisst es aber einerseits A ype ypeyä 'von Land zu Land' und anderseits A ririyac 'von Stadt zu Stadt'? Kommt der Unterschied daher, dass 'Stadt' von einer Stadtmauer umgeben ist, was bei 'Land' nicht der Fall ist? 2.4. Zusammenfassung: die Verwendung der Lokalkasus Obliquus, Allativ, Lokativ und Perlativ bei Räumen- /Referenzobjekten 2.4.0. Allgemeine Bemerkungen Die Kasus, die im Tocharischen zum Ausdruck der Lokalisierung, der Richtung und der Zielerreichung dienen, sind der Obliquus der Rich- tung, der Allativ, der Perlativ und der Lokativ. Die Verwendung dieser Lokalkasus stimmt im grossen und ganzen zwischen Tocharisch Α und Tocharisch Β überein. In Einzelheiten gibt es aber Ausdrücke, bei denen man beobachten kann, dass der Kasus- gebrauch, auch unter übereinstimmenden Umständen, zwischen Tocharisch Α und Tocharisch Β unterschiedlich ist. Zu erwähnen sind z.B. Α sulammäsk- 'sich auf einem Berg befinden' (Lokativ) und Β salesa käly- 'auf einem Berg stehen' (Perlativ), 507 Α äsänä säm- (Perlativ) und Β asämnesäm- (Lokativ) 'auf einem Thron sitzen'. 508 507 2.3.1.19. 50 " 2.3.3.1. Brought to you by | University of Illinois Chicago (University of Illinois Chicago) Authenticated | 172.16.1.226 Download Date | 5/9/12 11:01 AM

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256 2. Die Funktionen der Lokalkasus

Lokalverben konstruiert sind, und denen, die mit nichtlokalen Verben konstruiert sind, vorzufinden. Dies lässt sich aber nicht zeigen. Die Kasusverwendung scheint in diesen Syntagmen von der Form/Be-schaffenheit des Raumes/Referenzobjektes abhängig zu sein.

Α lenäs lenac 'von Felshöhle zu Felshöhle' und Α paryänäs paryänac 'von Zelle zu Zelle', können leichter verstanden werden. Ein Gehen von dem einen zu dem anderen setzt ein Ausgehen und ein Ein-gehen voraus. Dieses gilt auch z.T. für Α opläs oplä 'von Lotus zu Lotus'.

Warum heisst es aber einerseits A ype ypeyä 'von Land zu Land' und anderseits A ririyac 'von Stadt zu Stadt'? Kommt der Unterschied daher, dass 'Stadt' von einer Stadtmauer umgeben ist, was bei 'Land' nicht der Fall ist?

2.4. Zusammenfassung: die Verwendung der Lokalkasus Obliquus, Allativ, Lokativ und Perlativ bei Räumen-/Referenzobjekten

2.4.0. Allgemeine Bemerkungen

Die Kasus, die im Tocharischen zum Ausdruck der Lokalisierung, der Richtung und der Zielerreichung dienen, sind der Obliquus der Rich-tung, der Allativ, der Perlativ und der Lokativ.

Die Verwendung dieser Lokalkasus stimmt im grossen und ganzen zwischen Tocharisch Α und Tocharisch Β überein. In Einzelheiten gibt es aber Ausdrücke, bei denen man beobachten kann, dass der Kasus-gebrauch, auch unter übereinstimmenden Umständen, zwischen Tocharisch Α und Tocharisch Β unterschiedlich ist. Zu erwähnen sind z.B. Α sulammäsk- 'sich auf einem Berg befinden' (Lokativ) und Β salesa käly- 'auf einem Berg stehen' (Perlativ),507 Α äsänä säm-(Perlativ) und Β asämnesäm- (Lokativ) 'auf einem Thron sitzen'.508

507 2.3.1.19. 50" 2.3.3.1.

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2.4. Zusammenfassung 257

Es geht aus dem Material deutlich hervor, dass Lokalisierung und Zielerreichung im Tocharischen gleich ausgedrückt werden. Die ge-wöhnlichste Kasusform zur Markierung der Lokalisierung und der Zielerreichung ist der Lokativ.

In vielen anderen Sprachen, wie z.B. im Deutschen, ist die Wahl des Lokalkasus strikt von dem Lokalverb abhängig. Dieses ist nur zum Teil im Tocharischen gültig. Die Semantik des Lokalausdruckes kann im Tocharischen wichtiger sein als die des Lokalverbes, wie z.B. A riyam i- in A 81 a5: ////(surmasi)k ni wlalune pärknäm mä täk täs riyam: 'als du, von Candalas zum Töten geführt, in die Stadt gingst, sprachst du zu allererst das Wort'.509 Aus dem Kontext geht hervor, dass eine Erreichung der Stadt zum Ausdruck kommt, obwohl man hier das Bewegungsverb A i- 'gehen' hat, das in den meisten Fällen entweder mit Allativ oder mit Obliquus der Richtung kombiniert wird.

Das gegensätzliche Verhältnis zwischen Bewegung zu und Zieler-reichung/Lokalisierung ist auffällig. Dies wird grundsätzlich mit dem Allativ/Obliquus der Richtung bzw. mit dem Lokativ ausgedrückt.

Der Perlativ fällt aus dem Rahmen dieses Schemas heraus. Seine funktionale Realisierung ist ganz vielseitig. Wie der Lokativ kommt er sowohl mit Bewegungs- als auch mit Zustandsverben vor, seine Funktion ist aber von der des Lokativs völlig verschieden. Es ist eine übergreifende Funktion des Perlativs, ungeachtet ob Bewegung oder Lokalisierung gemeint ist, Nicht-Abgrenzung im Raum auszudrücken. Diese Funktion wird in verschiedenen lokalen Situationen mit unter-schiedlichen Lokalverben und unterschiedlichen Räumen/Referenzob-jekten auf mehrfache Art verwirklicht. Als zusätzliche Funktionen, die bei dem Perlativ in Lokalrelationen zum Ausdruck kommen können, seien z.B. erwähnt: Inkohärenz, Ausdehnung, nicht-permanente Posi-tion und nichtdirektionale Bewegung.

Wenn man sich vorstellt, dass eine Abgrenzung bei einer Bewe-gung durch die Angabe eines Ursprungs oder eines Zieles zum Ausdruck kommt und dass eine Abgrenzung bei einer Lokalisierung durch eine Begrenzung des umgebenden Raumes signalisiert wird, steht der Perlativ grundsätzlich im Gegensatz zu allen anderen Lokal-

5 0 '2.3.2.8.2.

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258 2. Die Funktionen der Lokalkasus

kasus, Lokativ, Allativ und Obliquus der Richtung, die auf die eine oder andere Weise Abgrenzung im Raum ausdrücken.

Gegenstand der hier vorgelegten Untersuchung sind hauptsächlich vier verschiedene Lokalrelationen studiert worden: Bewegung ohne spezifische Zielangabe (PERLATIV), Bewegung zu (DIREKTIONAL), Zielerreichung (TERMINATIV) und Lokalisierung (LOKATIV). Dazu kommt auch Bewegung innerhalb der Grenzen eines Raumes (INTRA-TERMINATIV).

Bei dem Ausdruck Bewegung zu (DIREKTIONAL), bei der das Re-ferenzobjekt, das bei dem Lokalisierungsobjekt zu erreichen ist, in der Ferne liegt, hat die Form/Beschaffenheit des Referenzobjekts weniger Bedeutung. Dies bedeutet, dass eine Bewegung zu einem Feld, einer Strasse oder einem Haus, von dem Lokalisierungsobjekt weit weg gelegen, gleich ausgedrückt werden. Wie oben angedeutet, bezeichnen der Allativ und der Obliquus der Richtung im Tocharischen Bewegung zu (DIREKTIONAL). Der Unterschied, wann im Einzelfall Allativ oder Obliquus der Richtung verwendet wird, ist nicht, soweit es aus dem Material hervorgeht, von der Form/Beschaffenheit des Raumes/Re-ferenzobjektes abhängig, wie der Unterschied Perlativ/Lokativ. Für die Funktionen des Allativs bzw. des Obliquus der Richtung siehe weiter unten.

Bei dem Ausdruck einer Zielerreichung (TERMINATIV), einer Loka-lisierung (LOKATIV) oder einer Bewegung entlang/über (PERLATIV) ist dagegen die Form/Beschaffenheit des Raumes/Referenzobjekts von grösserem Gewicht, weil hier zwischen dem Lokalisierungsobjekt und dem Referenzobjekt in viel höherem Grad eine physische Nähe besteht. Dies bedeutet, dass die Form/Beschaffenheit des Raumes bei diesen Lokalrelationen auf die Wahl des Lokalkasus einwirken.

Es ist hier im grossen und ganzen so, dass, wenn das Raum/Re-ferenzobjekt eine äussere Abgrenzung (um oder herum) hat und ein Eindringen oder eine Lokalisierung in möglich ist (s. Abbildung 3), der Lokativ verwendet wird. Als Beispiel erwähne ich hier 'Haus' oder 'Kloster'. Wenn der Raum/das Referenzobjekt keine deutliche äussere Abgrenzung hat, wie 'Feld', 'Strasse' oder 'Reittier', 'Baum', wird der Perlativ verwendet.

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2.4. Zusammenfassung 259

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Abbildung 3. Modell eines Referenzobjekts mit äusserer Abgrenzung

In Einzelheiten gibt es aber Abweichungen von diesen allgemeinen Tendenzen. Ich erwähne hier z.B. die verschiedenen Wörter für 'Ort', 'Stelle', bei denen eine Lokalisierung oder Zielerreichung mit dem Lokativ, nicht einem erwarteten Perlativ, ausgedrückt wird. Es ist aber anzumerken, dass der Kasusgebrauch hier durchgehend konsequent ist: in keinem Fall findet man bei diesen Wörtern den Perlativ.

Das Wort für 'Berg' A sulB sale5'0 ist hier anzuführen. In Tocha-risch Α wird eine Lokalisierung auf dem Berg mit dem Lokativ ausge-drückt. Die Perlativ-Beispiele sind hier schwierig zu verstehen, mit grosser Wahrscheinlichkeit bezeichnen sie eine Bewegung entlang oder über - hin-, sie sind nur im Plural zu belegen.

In Tocharisch Β dagegen bezeichnet der Perlativ Lokalisierung auf einem Berg. Das Beispiel Β 404 a5 lyauto tsrorye salenne 'Öffnung oder Spalte in den Bergen' demonstriert den Unterschied zwischen dem Perlativ und dem Lokativ in Tocharisch B, der ganz von dem des Tocharisch Α abweicht.

2.4.0.1. Die Bewegungsverben AB kam- 'kommen' und AB i- 'gehen'

Die Bewegungsverben, die am häufigsten im Material vorkommen, sind AB i- und AB käm-, Sie werden hier nur in Ausnahmefällen mit Präverbien konstruiert.

Diese Verben sind nicht nur im Tocharischen problematisch. Ein grundlegender Unterschied zwischen 'gehen' und 'kommen' liegt in

5102.3.1.19.

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260 2. Die Funktionen der Lokalkasus

der Richtung der Bewegung im Verhältnis zum Sprecher oder der Per-son, von der im Moment die Rede ist.

Bei 'gehen' ist die Bewegungsrichtung vom Beobachter weg zu be-trachten, bei 'kommen' hingegen zum Beobachter hin. Wenn ein Ziel für die Bewegung angegeben ist, so bedeutet dies, dass das Erreichen dieses Zieles, das bei dem Verb 'kommen' im Umkreis oder in der Nähe des Beobachters ist, implizit angezeigt ist. Bei 'gehen' befindet sich das Ziel vom Beobachter entfernt, und die Richtung ist mehr als das Erreichen des Zieles in die Handlung des Verbes eingebettet.511

Es gibt im Material bei diesen beiden Verben eine deutliche Tendenz im Kasusgebrauch. AB i- kommt am häufigsten mit dem Allativ vor, um Richtung ohne Erreichung des Zieles auszudrücken. AB i- ist auch das gewöhnlichste Verb mit dem Obliquus der Richtung.

Das Verb käm- ist aber anders: bei Ortsangaben kommt es am häu-figsten mit dem Lokativ vor, hier offenbar um die Zielerreichung her-vorzuheben. AB käm- kommt aber auch mit dem Allativ vor. In diesen Fällen bezeichnet das Referenzobjekt oft ein Lebewesen oder ein Ab-straktum. Mit Ortsangaben kann der Allativ vorkommen, wenn es sich um eine Bewegung von einem Platz zu einem anderen handelt, z.B. A 288 b2f. daksinäpathäs madhyadesac smäs 'er geht [wörtl. kommt] von Daksinäpatha nach Madhyades'a',512 oder eine Bewegung zu ei-nem Referenzobjekt, das keine natürliche äussere Abgrenzung hat, wie 'Baum'513 oder 'Thron'514.

2.4.1. Übersicht über die Lokalkasus

2.4.1.1. Der Obliquus der Richtung

Wie bei Thomas (1983b) für den Obliquus der Richtung angenommen worden ist, muss auch hier wieder zugegeben werden, dass die Ver-wendung dieser Konstruktion aus einer synchronen Perspektive z.T.

511 Vgl. Fillmore (1997:77f.). 5122.3.7.4. 5132.3.3.7.3. 5142.3.3.1.4.

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2.4. Zusammenfassung 261

als erstarrt erscheint. Das heisst, dass der Obliquus der Richtung nur mit gewissen Verben und gewissen Referenzobjekten vorkommt. Am häufigsten wird der Obliquus der Richtung mit dem Bewegungsverb AB i- 'gehen' verwendet. Unter den Referenzobjekten, die mit dem Obliquus der Richtung vorkommen, sei erwähnt: A ype 'Land', A käräsΒ karäs 'Wald', Β wartto 'Wald'. Weiter hat man den Obliquus in Αytäri-Β ytärii- 'einen Weg gehen'.

Dies repräsentiert sicherlich eine archaische Funktion des Obliquus, die zugleich mit der formalen Aufrechterhaltung des indogermanischen Akkusativs im Gemeintocharischen bewahrt wurde.

2.4.1.2. Der Allativ

Der im Gemeintocharischen (neu)gebildete Allativ war zu der Zeit unserer Texte der aktiv verwendete Kasus zum Ausdruck der Bewe-gung zu (ohne Erreichung des Zieles). Diese Verwendung des Kasus tritt aus dem Gesamtmaterial deutlich und ziemlich unkompliziert her-vor.

Das gewöhnlichste Verb mit dem Allativ ist (wie auch mit dem Obliquus der Richtung) AB i- 'gehen'. Nur ausnahmsweise finden wir den Allativ mit anderen Fortbewegungsverben, wie z.B. AB kam- bei Α ή 'Stadt'515 bzw. Β kusai 'Dorf516.

Der Allativ mit 'hängen' und 'binden', der in 2.2.2. behandelt worden ist, ist zu beachten. Weiter erwähne ich hier den Allativ mit besonderen Verben, die an sich keine Fortbewegung bezeichnen, wie 'einladen' und 'zeigen'.

2.4.1.3. Der Lokativ

Die Verwendungen des Lokativs und Perlativs sind nicht so unkomp-liziert wie die des Allativs und des Obliquus der Richtung.

!i52.3.2.8.3. 5162.3.2.9.4.

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262 2. Die Funktionen der Lokalkasus

Der Lokativ wird erstens zur Bezeichnung der Lokalisierung ver-wendet, teils mit Zustandsverben, teils mit nichtlokalen Verben. In dieser Funktion findet man die meisten Belege mit dem Lokativ. Mit besonderen Räumen/Referenzobjekten wird der Lokativ auch zum Ausdruck einer Bewegung innerhalb der Grenzen eines Raumes ver-wendet, wie z.B. 'in der Stadt/in dem Wald/im Palast etc. [herum]-gehen'.

Zweitens bezeichnet der Lokativ TERMINATIV, d.h. Bewegung und Erreichung des Zieles, hier öfters mit bestimmten Verbalwurzeln: AB kärp- 'herabsteigen', A yow- Β yäp-,yop- 'eintreten', Α tsälp- 'ein-treten' und AB kam- 'kommen'. Nur selten findet man den Lokativ mit dem Fortbewegungsverb AB i- 'gehen'. In solchem Fall wird am häufigsten eine Bewegung innerhalb der Grenzen eines Raumes beabsichtigt (INTRATERMINATIV).

2.4.1.4. Der Perlativ

Der Unterschied zwischen Perlativ und Lokativ ist recht vielschichtig. Der Unterschied ad - in ist auch als kohärent - inkohärent interpretier-bar (über, neben etc.). Dies zeigt sich in Minimalpaaren in dem Kor-pus, wie:

Perlativ 1. ad vs. in Auf der Erde [jemand/etwas] auf dem Scheitel [jemand/etwas] auf dem Wasser [Floss] bei der Stadt [Stadtwächter] beim Kloster [Torwächter] neben dem Fluss [jemand] über dem Luftraum [Strahl] am Berg (TB) 2. Kohärent - inkohärent Über dem Land [jemand] über den Bergen (TA)

Lokativ

in der Erde [Gewächs] im Scheitel [Auswuchs] im Wasser [jemand/Schiff] in der Stadt [jemand/etwas] im Kloster [jemand/etwas] im Fluss [jemand] im Luftraum [jemand/etwas] im Berg (TB).

im Land [jemand/etwas] am Berg (TA)

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2.4. Zusammenfassung 263

Diese Beispiele beziehen sich meistens auf verschiedene Lokalisie-rungen im Verhältnis zum Referenzobjekt.

Die Grundfunktion des Perlativs ist aber der Ausdruck der Betrof-fenheit des Referenzobjekts durch eine Bewegung. Wenn eine Bewe-gung bezeichnet wird, ist sie selten auf ein Ziel gerichtet, sondern meistens entlang, über oder durch. In Einzelfällen kann auch der Un-terschied Perlativ - Lokativ bei besonderen Referenzobjekten den Un-terschied Bewegung - Lokalisierung markieren, wie in:

Perlativ Lokativ Den Weg entlang gehen Auf dem Weg stehen Durch die Pforte gehen In der Pforte stehen

Welcher Kasus eines Referenzobjekts zur Bezeichnung der Lokalisie-rung oder Zielerreichung verwendet wird, bezieht sich im allgemeinen auf die natürliche Abgrenzung im Raum. Bei Referenzobjekten, die keine deutliche Abgrenzung haben (Erde, Ufer, Scheitel, Reittier), wird der Perlativ verwendet.

Man kann demnach annehmen, dass die Abgrenzung des Raumes einen grundlegenden Unterschied zwischen dem Perlativ und dem Lo-kativ ausmacht. In den konkreten lokalen Konstruktionen kommt die-ser Unterschied meistens durch Lokalisierung ad bzw. in zum Aus-druck. Die ad- oder Inkohärenz-Funktion des Perlativs kann bei besonderen Referenzobjekten und verschiedenen Lokalverben ganz verschieden realisiert werden, wie z.B. in 'regnen über die Stadt' [Blumen] bzw. 'stehen neben der Stadt' [Stadtwächter]. Der tocha-rische Perlativ entspricht hier im Deutschen zwei ganz verschiedenarti-gen Präpositionalphrasen, über mit dem Akkusativ und neben mit dem Dativ.

Es gibt in dem Material Beispiele, die zeigen, dass, wenn die Ka-susform einer Lokalisierung (bei einem bestimmten Referenzobjekt) Perlativ ist, der Perlativ verwendet wird, wenn das Lokalisierungsob-jekt im Verhältnis zum Referenzobjekt verstellbar ist. Kommt aber zwischen Lokalisierungsobjekt und Referenzobjekt eine permanente Position zum Ausdruck, wird dagegen Lokativ verwendet. Man er-wähne z.B.:

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264 2. Die Funktionen der Lokalkasus

Perlativ Α tkanä 'auf der Erde' Β atyamts akentasa517

'an den Spitzen der Gräser' ,517

Lokativ A tkanam 'auf der Erde' [Häuser]

Α äkamyoktsäs518

'an der Spitze behaarte' [Ohren] ,518

[Tautropfen]

2.4.2. Kasusgebrauch bei Abstrakta

Dies für die konkreten lokalen Situationen aufgestellten Tendenzen sind von grosser Regelmässigkeit gekennzeichnet. Das bedeutet, dass man hier im Kasusgebrauch ganz wenige Abweichungen vom Muster findet. Bei den Abstrakta, wie 'Not, Gefahr', 'Verzweiflung', 'Ge-burt', 'Zuflucht' etc., ist aber der Kasusgebrauch in viel höherem Grad unlogisch. Ein Sein in einem abstrakten Zustand wird immer mit dem Lokativ ausgedrückt. Eine Bewegung in einen abstrakten Zustand hinein wird aber sowohl mit Allativ als auch mit Lokativ bezeichnet. Es muss aber hier zugegeben werden, dass die allgemeinen Tenden-zen, die bei den konkreten Räumen/Referenzobjekten gültig sind, hier nicht wirksam sind. Man findet AB i- 'gehen' sowohl mit Lokativ als auch mit Allativ und AB kam- 'kommen' sowohl mit Allativ als auch mit Lokativ.

Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch das Wort Α kälyme Β kälymiye 'Himmels[Welt-]gegend, -richtung', das im Vergleich zu den konkreten Räumen/Referenzobjekten unlogisch ist. Man hat öfters den Lokativ in Lokalangaben, wo Richtung beabsichtigt wird, z.B. mit dem Bewegungsverb AB i- 'gehen'.519

5172.3.3.10.2. 5182.3.3.10.3.

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2.4. Zusammenfassung 265

2.4.3. Kasusgebrauch bei Lebewesen

Die Lebewesen, hier meistens Personen oder Personennamen, weichen auch im Kasusgebrauch von den Räumen/Referenzobjekten ab. Es gibt bei diesen Wörtern drei Haupttypen von Konstruktionen:

1. Eine Bewegung zu einem Lebewesen wird mit einem Bewe-gungsverb, gewöhnlicherweise AB i- oder AB käm- und Allativ bezeichnet, wie z.B. A metraknac käm- 'zum Maitreya kommen'520.

2. Eine Bewegung zu einem Lebewesen wird mit einem Bewe-gungsverb und einer Adpositionalphrase bezeichnet, wie z.B. A kässinäkärmemkäm- 'in die Nähe des Lehrers kommen'521.

3. Eine Lokalisierung neben einem Lebewesen wird mit einer Adpositionalphrase ausgedrückt, wie z.B. A cami anaprä käly-'vor ihm stehen'522.

5202.3.5.4.1. 5214.2.3. 5224.5.2.1.

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