Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin...

93
Die Garantenstellung des Betriebsinhabers Inaugural – Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Rechte durch die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn vorgelegt von Andy Jefferson Carrión Zenteno Bonn, 2017

Transcript of Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin...

Page 1: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

DieGarantenstellungdesBetriebsinhabers

Inaugural–Dissertation

zurErlangungdesGradeseinesDoktorsderRechtedurchdieRechts-und

StaatswissenschaftlicheFakultätderRheinischenFriedrich-Wilhelms-UniversitätBonn

vorgelegtvon

AndyJeffersonCarriónZenteno

Bonn,2017

Page 2: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

Dekan: Prof.Dr.D.Zimmer

Erstreferent: Prof.Dr.UrsKindhäuser

Zweitreferent: P.D.Dr.KaiSchumann

TagdermündlichenPrüfung:19.06.2017

Page 3: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

3

Gliederung

Inhaltsverzeichnis 3

Abkürzungsverzeichnis 6

§1Einführung 9

§2GarantenstellungdesBetriebsinhabers 10

I. BefehlsgewaltundOrganisationsherrschaft 10

II. VerantwortungfürbetrieblicheGefahrenquelle 14

III. Organisationszuständigkeit 16

IV. Zusammenfassung 20

§3Unterlassungsdelikte 20

I. Sanktions-undVerhaltensnormen 20

II. Verbots-undGebotsnormen 21

III. Echte-undunechteUnterlassungsdelikte 23

IV. Regelungsgehaltdes§13StGB 24

1. Erfolgsbegriff 25

2. RechtlichePflichten 26

3. VerfassungsmäßigkeitderNorm 26

4. Entsprechungsklausel 27

V. Norm-undPflichtwidrigkeit 28

1. Normwidrigkeit 29

2. Pflichtwidrigkeit 30

§4AnsätzezurBegründungvonGarantenpflichten 31

I. Gefahrschaffung 32

Page 4: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

4

II. Vertrauen 35

III. Verhaltenserwartung 38

IV. Herrschaft 44

§5FeststellungderGarantenstellung 48

I. SystematischerStandortderGleichstellungsfrage 49

II. InhaltderGarantenstellung 53

1. GegenstandderGebotsnorm 53

2. DieGefahralsInhaltderNorm? 54

3. ErlaubtesRisiko 55

4. ex-anteFeststellungderInhaltsnorm? 55

5. Zusammenfassung 56

III. MaterielleLegitimationeinerGarantenstellung 57

1. DualistischeKonzeptionen 58

1.1. Kaufmann 58

1.2. Seelmann 60

1.3. Schünemann 61

1.4. Jakobs 61

1.5. Kindhäuser 62

2. Stellungnahme 62

§6BegründungderGarantenstellungdesBetriebsinhabers 65

I. Ausgangslage 65

1. GleichsetzungvonSach-undPersonalgefahren 67

2. GefährlicheOrganisation 70

3. GefahrschaffendesVorverhalten 73

II. Stellungnahme 77

1. Ausgangspunkt 77

2. Organisationszuständigkeit 78

3. GefährlichePerson? 79

4. GefährlicheOrganisation 80

Page 5: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

5

5. Ingerenz 83

5.1. Personaleinstellung 84

5.2. GefahrenträchtigeBetriebsorganisation 85

Literaturverzeichnis 87

Page 6: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

6

Abkürzungsverzeichnis

Abs. Absatz

Anm. Anmerkung

AT AllgemeinerTeil

Aufl. Auflage

ders. Derselbe

BGB BürgerlichesGesetzbuch

BGH Bundesgerichtshof

BGHSt EntscheidungendesBundesgerichtshofesinStrafsachen

Bn. Band

BT BesondereTeil

BverGE EntscheidungssammlungdesBundesverwaltungsgerichts

bzw. beziehungsweise

d.h. dasheißt

f. folgende(SeiteoderRandnummer)

ff. folgendes(SeitenoderRandnummern)

Fn. Fußnote

FS Festschrift

GA Goltdammer´sArchivfürStrafrecht

GS Gedächtnisschrift

Hrsg. Hergestellt

i.d.R. inderRegel

JA JuristischeArbeitsblätter

JZ Juristenzeitung

JR JuristischeRundschau

Jura JuristischeAusbildung

JuS JuristischeSchulung

MüK Strafgesetzbuch,MünchenerKommentar

NJW NeueJuristischeWochenschrift

Page 7: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

7

NK NomosKommentar

NStZ NeueZeitschriftfürStrafrecht

OLG Oberlandesgericht

OWiG GesetzüberOrdnungswidrigkeiten

RGSt EntscheidungendesReichgerichtsinStrafsachen

Rn. Randnummer

S. Seite

SchwZStR SchweizerischeZeitschriftfürStrafrecht

Sog. sogenannt

StGB Strafgesetzbuch

u.a. unteranderem

u.s.w. undsoweiter

vgl. vergleiche

wistra ZeitschriftfürWirtschaft,Steuer,Strafrecht

z.B. zumBeispiel

ZStW ZeitschriftfürdieGesamteStrafrechtswissenschaft

Page 8: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

8

GarantenstellungdesBetriebsinhabers

§1Einführung

Die strafrechtliche Verantwortung des Betriebsinhabers ist bis heute ein noch

umstrittenesProblemdesWirtschaftsstrafrechts, obwohldiesesThema schon lange

imSchrifttumundinderRechtsprechungdiskutiertwird.Hierbeigehtes imKernum

die Frage, ob sich der Geschäftsführer wegen Unterlassens nach § 13 StGB für

StraftatenseinerUntergebenenstrafbarmacht.ImAllgemeinenhandeltessichumein

Problem der Garantenstellung3, welche ebenso ein ungeklärtes Problem des

Strafrechts darstellt. Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch

umstrittenste und dunkelste Kapitel in der Dogmatik des Allgemeines Teils“4. Die

UrsachedieserAussage liegtdarin,dassdie„bedenklichoffeneFormulierung“5des§

13 StGB nicht sagt, wann jemand „rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg

nichteintritt“.FolglichstehtalsonichtimGesetz,unterwelchenVoraussetzungender

TäteralsGarantzurAbwendungdesErfolgsverpflichtetist.6

Trotz dieser grundlegenden und noch nicht ausführlich beantworteten Problematik,

haben sowohl die Rechtsprechung7 als auch die überwiegende Literatur8 im Bereich

des Wirtschaftsstrafrechts die Garantenstellung des Betriebsinhabers zur3 Schon die Terminologie ist umstritten. Manche sprechen von Garantenpflicht als Oberbegriff und4 Roxin, Strafrecht AT II, § 32 Rn. 2.; Pawlik, FS-Roxin zum 80. Geburtstag, S. 931 ff.; auch Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.26,hatdieBestimmungdesGarantenals„[…]einederschwierigstenAufgabenderDogmatikdesAT[…]“beurteilt.5SoKühl,StrafrechtAT,2012,§18Rn.41.6Kindhäuser,StrafrechtAT,§36Rn.2.7RGSt24,252(254f.);33,261ff.;57,148(151);58,130(132ff.);75,296;BGHSt25,158(162f.);37,106(123f.);BGH,Urt.v.20.10.2011-4StR71/11Rn.13.8Bottke,HaftungausNichtverhütungvonStraftatenUntergebenerinWirtschaftsunternehmendelegelata, S. 25 ff.; Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzung der Garantenpflichten, S. 275 ff.; Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.36;Ransiek,Unternehmensstrafrecht,S.36;Kindhäuser,StrafrechtAT,§36Rn.63;Rogall,ZStW98(1986),613ff.;Schünemann,Unternehmenskriminalität,S.101ff.;Roxin,StrafrechtAT II,§32Rn.137;ders., JR2012,S.307;Tiedemann,WirtschaftsstrafrechtAT, 2014,§5Rn.289ff.;Schall,FS-Rudolphi,S.267ff.;Bosch,OrganisationsverschuldeninUnternehmen,S.142ff.;Walter,DiePflichten des Geschäftsherren im Strafrecht, S. 140 ff.; ablehnend: Hsü, Garantenstellung desBetriebsinhabers zur Verhinderung strafbarer Handlungen seiner Angestellten, S. 241 ff.; Schubarth,SchwZStR,1976,S.385f.

Page 9: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

9

Verhinderung von Straftaten Untergegebener anerkannt. Während die

Rechtsprechung die Theorie der Allzuständigkeit und der Generalverantwortung der

Unternehmensleitung entwickelt hat,9 welche ihr eine flexible Reaktion auf alle

möglichen Fallgestaltung erlaubt,10 nimmt die herrschende Literatur eine auf

betriebsbezogene beschränkte Geschäftsherrenhaftung an11. Diese Ansätze bieten

allerdings keinen ausreichenden Haftungsgrund einer Garantenstellung des

Betriebsinhabersan.

Aus all diesen Gründen soll im Folgenden untersucht werden, ob sich die

Garantenstellung des Betriebsinhabers auf ein anderes und einheitliches Kriterium

stutzen lässt, das auch in der Lage ist, die kritischen Aspekte der Theorien zu

überwinden.DadurchsolleinBeitragzurFormulierungderGeschäftsherrenhaftungim

ZusammenhangmitderNormtheorieerstelltwerden.

§2GarantenstellungdesBetriebsinhabers

DadievertretenenAnsätzevonGarantenpflichtendesBetriebsinhabersvielfältigsind,

werdenwirnurdiegängigstenLegitimationsmodellekritischerörtern.DieUnterteilung

der Garantenstellung in Pflichten aus Gesetz, Vertrag,12 Ingerenz13, oder

9RGSt24,252(254f.);33,261ff.;57,148(151);58,130(132ff.);75,296;BGHSt25,158(162f.);37,106(123f.);BGHSt57,42.InBezugaufdieGarantenstellungdesCompliance-Officers,BGHSt54,44ff.Jüngst und ausdrücklichüberGeschäftsherrenhaftung, BGH,Urt. v. 20. 10. 2011- 4 StR 71/11Rn. 13:„[…] aus der Stellung als Betriebsinhaber bzw. Vorgesetzter [kann sich] je nach den Umständen deseinzelnen Falles eine Garantenpflicht zur Verhinderung von Straftaten nachgeordneter Mitarbeiterergeben.Diesebeschränkt sich indesaufdieVerhinderungbetriebsbezogener StraftatenundumfasstnichtsolcheTaten,diederMitarbeiterlediglichbeiGelegenheitseinerTätigkeitimBetriebbegeht.“10Mansdörfer,ZurTheoriedesWirtschaftsstrafrechts,S.322.11Bottke,HaftungausNichtverhütungvonStraftatenUntergebenerinWirtschaftsunternehmendelegelata, S. 25 ff.; Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzung der Garantenpflichten, S. 275 ff.; Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.36;Ransiek,Unternehmensstrafrecht,S.36;Kindhäuser,StrafrechtAT,§36Rn.63;Rogall,ZStW98(1986),S.613ff.;Schünemann,UnternehmenskriminalitätundStrafrecht,S.101ff.;Roxin,StrafrechtATII,§32Rn.137;ders.,JR2012,S.307.12 Feuerbach, Lehrbuch, § 24: „Weil aber die ursprüngliche Verbindlichkeit des Bürgers nur aufUnterlassungen geht; so setzt ein Unterlassungsverbrechen immer einen besonderen Rechtsgrund,(GesetztoderVertrag)voraus,durchwelchendieVerbindlichkeit zurBegehungbegründetwird.OhnediesenwirdmandurchUnterlassungkeinVerbrecher.“13 Die Rechtspflicht aus vorangegangenem gefährdeten Tun (Ingerenz) wurde von dem Rechtsgerichtgefügt,RGSt24,339f.;64,273(276).

Page 10: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

10

Lebensgemeinschaft14 sowie die von Kaufmann begründete Unterscheidung in

Beschützer- und Überwachergarant15 sollen außer Acht gelassen werden. Dies

erscheintdeshalbangebracht,weilmitdersogenanntenFormellenRechtspflichtlehre

allerhöchstens eine Katalogisierung der Garantenpositionen ermöglicht wird, nicht

aber der Grund der Garantenstellung genannt ist.16 Auch die Funktionslehre hilft

deshalb nicht, weil sie nichts über den Grund, Inhalt und Umfang der jeweiligen

PflichtenaussagtundsichPflichtensowohlzumSchutzeinesRechtsgutswieauchzur

Sicherung einer Gefahrenquelle, aufgrund des Mangels an Klarheit, beliebig

austauschenlassen.17

Im Folgenden werden sich unsere Überlegungen auf drei Konzeptionen der

Garantenstellung des Betriebsinhabers konzentrieren, die versucht haben, einen

materiellen Haftungsgrund der Strafrechtlichen Verantwortung zu begründen. Dabei

handelt es sich um innerbetriebliche Weisungs- und Autoritätsverhältnisse,

Herrschaftsverhältnisse über die Gefahrenquelle und organisatorische

Zuständigkeiten.

I.BefehlsgewaltundOrganisationsherrschaft

Die Frage nach der Garantenstellung des Betriebsinhabers wird teilweise auf die

Befehlsgewalt und Organisationsherrschaft gestützt. Diese Theorie, die von

Schünemann18 entwickelt worden war, wird aus dem Herrschaftsprinzip19 als

übergeordnetematerialeRichtlinie20hergeleitet.

14SieheRGSt,66,71(73);RGSt69,321(322f.);74,309(310f.).15 Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikt, S. 283. „Die Verteidigungsaufgabe des Garantenkann inzweiRichtungengehen:EinmalkanndasGebotssubjekt ,ausPostengestelltʻseinzumSchutzeeinesganzbestimmtenRechtsgutesgegenalleAngriffe,gleichauswelcherRichtung[…].Zumanderenkann die Garantenposition in der Überwachung einer bestimmten Gefahrenquelle bestehen,gleichgültig,welchenkonkretenRechtsgüternimeinzelnenausdieserQuelleGefahrendrohen.“16Vgl.Kindhäuser,StrafrechtAT,§36Rn.50.17Vgl.Freund,ErfolgsdeliktundUnterlassen,S.43.Es istbekanntdasdargestellteBeispielvonJakobs,um die Unterteilung der Garantenstellungen in Frage zu stellen, Strafrecht AT, §29 Rn. 27: „Ist derBademeisterBeschützerderGästevordenGefahrendesWassersoderÜberwacherdieserGefahr?“.18Schünemann,UnternehmenskriminalitätundStrafrecht,S.95ff.;ders.ZStW96(1984),S.318;ders.wistra1982,S.43.19 Im ähnlicher Weise stützen sich auch auf der Herrschaftsgedanke um eine Garantenstellung desBetriebsinhabers zu begründen: Ransiek, Unternehmensstrafrecht, 1996; Bottke, Haftung aus

Page 11: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

11

Weil die von Kaufmann dargestellte Unterscheidung zwischen Beschützer- und

Überwachergarant21aufgrundderbloßen(deskriptive)Umschreibungnichtüberzeugt,

fordert Schünemann die Unterteilung der Garantenstellung anhand der

„Erfolgsursache“undder„HilfslosigkeitdesOpfers“22.

Im Rahmen eines Unternehmens kommt eine Garantenstellung von

Unternehmensorganen grundsätzlich in zweierlei Hinsicht in Betracht: Zum einen in

Formder„OberherrschaftübergefährlicheSachenundVerrichtungen“,zumanderen

inFormder„rechtlichenBefehlsgewalt23überdieArbeitsnehmer“.24

SchünemannbegründetdieersteKategoriemitdemGewahrsamderSache.Weralso

die unmittelbare Herrschaft über die Sache – als Sachnächster- ausübt, besitzt die

„primäreGarantenstellung“.DerHintermann,derdieunmittelbareBefehlsgewaltüber

die Sache innehat,begründeteine „sekundäreGarantenstellung“.25Dadie komplexe

OrganisationdesBetriebeszueinerAbnahmeder IntensitätderBefehlsgewalt führt,

treffen den übergeordneten Hintermann die Aufsichts-, Koordination- und

Kontrollpflichten. „Wissen wird hier zur Macht, Macht zur Garantenpflicht und die

Nichtausübung dieser Herrschaft bedeutet dann auch eine Verletzung der

Garantenpflicht“.26

Die Kategorie der rechtlichen Befehlsgewalt über die Arbeitsnehmer ergibt sich aus

dem „Direktionsrecht“ des Arbeitsgebers sowie aus dessen „überlegenden

Informationsfundus“. Die Herrschaft der Unternehmensorgane konzentriert sich

teilweise auf das „größereWissen“, das im Einzelnen vielfältig differenziert sei. Eine

ähnliche Struktur liegt auch der Befehlsgewalt zugrunde, denn „wie wir nunmehr

wissen, manifestiert sich diese „Zwangsherrschaft“ nicht nur in einer direkten

Nichtverhütung von Straftaten Untergebener in Wirtschaftsunternehmen de lege lata, 1994, Bosch,OrganisationsverschuldeninUnternehmen.20Schünemann,GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.229.21Schünemann,UnternehmenskriminalitätundStrafrecht,S.88f.22Schünemann,UnternehmenskriminalitätundStrafrecht,S.89.23SoauchjüngstHoyer,in:Amelung(Hrsg.)IndividuelleVerantwortungundBeteiligungsverhältnissebeiStraftateninbürokratischenOrganisationendesStaates,derWirtschaftundderGesellschaft,S.23ff.24Schünemann,UnternehmenskriminalitätundStrafrecht,S.95.25Schünemann,UnternehmenskriminalitätundStrafrecht,S.97f.26Schünemann,UnternehmenskriminalitätundStrafrecht,S.98.

Page 12: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

12

Ausübung des Direktionsrechts, sondern in viel wirksamer Weise in dessen

institutionalisiertenFormen“.27

Die logische Konsequenz von Schünemanns Herrschaftsgedanken zwingt ihn zur

AblehnungeinerGarantenstellungausIngerenz,dennmitdemVerlustderHerrschaft

bricht der Täter alle Garantenpflichten ab.28 Neuerdings hat sich Schünemann aber

explizit von dieser ursprüngliche Fassung distanziert und mit Hilfe des von ihm

dargestellten Kriteriums der „Herrschaft über die partielle Hilfslosigkeit des Opfers“

eine Garantenstellung aus Übernahme anerkannt. In der Lederspray-Konstellation29

besteht also eine Produktbeobachtungspflicht als Voraussetzung einer

Garantenstellungdarin,„[…],dassderProduzentgegenüberdemKundengenaudies

zu tun verspricht und der Kunde sich darauf verlässt, dass er nicht anders als der

PatientgegenüberdemHausarztoderderKraftfahrzeuggegenüberderWerkstattdie

SorgefürdieGefahrlosigkeitdesProdukts[…]indieHändedesProduzentenlegt“30.

Kritik

Mit seiner Garantenstellung aufgrund tatsächlicher Herrschaft ist Schünemann auf

heftigeKritikgestoßen.31DerTatherrschaftstheorieistesnichtgelungen,alstragender

GedankesowohlbeiBegehungs-alsauchbeiUnterlassungsdeliktezuüberzeugen.32

Was denHerrschaftsgedanken imUnternehmensbereich betrifft, kann das Kriterium

der „Oberherrschaft über gefährliche Sachen und Verrichtungen“ eine

Garantenstellung des Betriebsinhabers nicht begründen. Allein schon der Umstand,

dass bei höchst komplexen Unternehmensstrukturen eine Befehlsgewalt des27Schünemann,UnternehmenskriminalitätundStrafrecht,S.102f.28Schünemann,GA1974,S231ff.;ders.,UnternehmenskriminalitätundStrafrecht,S.99, indenFällederProdukthaftung, indenendieSchädlichkeitdervertriebenGegenständeersterkennbarsindalssieschoninVerkehrgebrachtwordensind,„[…]sokanndie imZivilrechtbejahtePflichtzumRückrufderbereistvertriebenSachenichtmiteinerstrafrechtlichenGarantenpflichtgleichgesetztwerden,weil ihrkeinefortbestehendeSachherrschaftmehrkorrespondiere.“29BGHSt37,106ff.30Schünemann,FS-BGHIV,S.640.31 Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip, S. 192 ff. Brammsen, DieEntstehungsvoraussetzungderGarantenpflichten,S.69ff.;Freund,ErfolgsdeliktundUnterlassen,S.140ff.; Jakobs, Strafrecht AT, § 29 Rn. 28 in Fn. 53.; Vogel, Norm und Pflicht bei den unechtenUnterlassungsdelikten,S.351f.;Heine,DiestrafrechtlicheVerantwortlichkeitvonUnternehmen,S.117f.32JüngstHaas,DieTheoriederTatherrschaftundihreGrundlagen,S.21ff.

Page 13: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

13

„Hintermannes“-sowohlüberdieSachealsauchüberden„Sachnächsten“–ausgeübt

wird, führt dennoch nicht zu einer Verpflichtung seinerseits, eine mögliche Straftat

verhindern zu müssen. Außerdem fehlt eine Erklärung dafür, warum sich „Wissen“

zwingend in „Herrschaft“ verwandelt. Die moderne Dezentralisierung des

Unternehmens hat jedoch gezeigt, dass derjenige, der das „Wissen“ innehat, nicht

unbedingtdazubefähigseinmuss,dieHerrschaftüberdieSacheauszuüben.

Fragwürdig ist ebenso das Kriterium der rechtlichen Befehlsgewalt über die

Arbeitnehmer.DamitwirdinWirklichkeiteinestrafrechtlicheVerhinderungspflichtaus

derfaktischenPositiondesBetriebsinhabers imUnternehmenhergeleitet.Hierbleibt

ungeklärt,wieausdemDirektionsrechtzwingendeinestrafbewehrtePflichtentstehen

soll, eine Straftat zu verhindern. Schünemann orientiert sich zur Begründung der

Verantwortung ausschließlich an einer formal bestehenden Kompetenz und am

Weisungsrecht.33

SelbstRoxinkritisiertdieseAuffassungunterdreiGesichtspunkten:„[…]Erstensberuht

die Straftat des Untergegebenen, für die der Geschäftsherr zur Verantwortung

gezogen werden soll, gerade nicht auf einer Herrschaftsgewalt des Betriebsleiters,

sondern auf deren Versagen, d.h. auf der Wirkungslosigkeit seiner Anordnungen.

Zweitens kann eine Unterlassung von vornherein keine Herrschaft begründen; diese

setzt die tatmächtige Steuerung eines Kausalverlaufs voraus. Und drittens ist

unbestritten,dassausdemWeisungsrechtauchimRahmeneinesBetriebesnichtohne

WeiteresErfolgsanwendungspflichtenerwachsen.“34

Wasdie Ingerenzanbelangt,stütztsichSchünemannaufdie„berechtigteErwartung“

des Verbrauchers, um eine Garantenstellung des Produzenten zu begründen. Damit

verabschiedet er sich aber endgültig von dem Herrschaftsgedanke bei den

Produkthaftungsfällen, denn es besteht hierbei keine Herrschaftsbeziehung mehr

zwischendemherstellendenUnternehmenunddeminVerkehrgebrachtenObjekt.

II.VerantwortungfürbetrieblicheGefahrenquelle

33Bosch,OrganisationsverschuldeninUnternehmen,S.172.34Roxin,FS-Beulke,S.244.

Page 14: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

14

Nachdem sich die Befehlsgewalt und die Organisationsherrschaft als unzureichende

Begründungskriterien zur Verantwortung aus Unterlassung des Betriebsinhabers

herausgestellthaben,gelangtHeineinseinerHabilitationsschriftzurAnsicht,dasseine

GarantenstellungaufgrundbesondererGefahrenquelleinBetrachtkommenkönnte.

SeinerMeinung nach, verpflichtet die Schaffung eines Betriebes denGeschäftsherrn

dazu,dasbesonderebetrieblicheGefahrenpotentialzuüberwachen,sodasssichdieses

nichtineineSchädigungrechtlichgeschützterInteressenrealisierenkann.Dafürmuss

der Inhaber den Umgang mit gefährlichen Einrichtungen und Anlagen,

Produktionsprozessen und –mitteln so konzipieren und organisieren, dass keine

Rechtsgutsverletzungen eintreten. Daraus folgen auch die kontinuierliche Kontrolle

undgegebenenfallsdieErgreifungvonSicherungsmaßnahmen.35

HeineleitetdieGarantenpflichtauseigenständigenkernstrafrechtlichenÜberlegungen

her. Damit will er den von ihm für Wesentlich gehaltenen Leitgesichtspunkt

weiterentwickeln. Es kommt hierbei also ein „funktionaler Delegationsfehler“ in

Betracht,wenndasSicherheitsniveaudurchDelegationerheblichvermindertwird.Die

Kontrolle der Delegation kann wiederum persönlich oder durch

Operationalisierungsprozesse erfolgen. Daraus könnten sich „funktionale

Kontrollfehler“ergeben.„FunktionaleOrganisationsfehler“kommennurdanninFrage,

wenn die Konzernleitung nicht der Pflicht nachkommt, bei der Organisation und

Koordination des Unternehmens spezifischen Gefährdungen (Organisatorisch-

Konzeptionell, Strategisch) entgegenzuwirken.36 Allgemein verdeutlicht: „[…] Je

wenigerlokalisierbarundjebedrohlicherdieGefahrenquelleist,jeumfangreichersich

dieTragweitevonEntscheidungendarstellt,destoeherverbleibtdieVerantwortungin

derKonzernspitze–undumgekehrt“.37

UmdenPflichtenkreisweiterzupräzisieren,konzentriertsichHeinevorallemaufden

Bereich„höherer“Verantwortung.DiestrikteBeachtungderrechtlichenVorgaben,die

gefährliche Einrichtungen und Produktionsprozessen regeln und insbesondere durch

behördliche Entscheidungen im Einzelfall konkretisiert werden, führe zu einer

weitreichenden Haftungserleichterung. Allerdings sei unzweifelhaft, dass die35Heine,DiestrafrechtlicheVerantwortlichkeitvonUnternehmen,S.120f.36Heine,DiestrafrechtlicheVerantwortlichkeitvonUnternehmen,S.124f.37Heine,DiestrafrechtlicheVerantwortlichkeitvonUnternehmen,S.125.

Page 15: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

15

eigentlichen Urheber der Gefahren nicht aus ihrer Letztverantwortung entlassen

werdenkönnen.

Kritik

Im Grundsatz stellt die Theorie von Heine eine Neuformulierung des

Herrschaftsprinzipsdar.ZwarwirddasLeitungsorganaufgrundderHerrschaftüberdie

Gefahrenquelle dazu verpflichtet, das Unternehmen unter Kontrolle zu halten.

Infolgedessen leidet diese Lehre aber wie die Herrschaftstheorie an einem

grundsätzlichenMangel.AlleindasobjektiveDefizitderTatmachteinesLeitungsorgans

für die Organisation und Kontrolle einer dezentralisierten Abteilung des

Unternehmens38 zeigt, dass sich die „höhere“ Verantwortung nicht aus faktischen

Faktorenbegründenlässt.

Nicht überzeugend ist ebenso die Ansicht, dass bei wachsender Komplexität des

UnternehmensdieVerantwortunginderKonzernspitzeverbleibt.Ausdieserzirkulären

Überlegung folgt das unbefriedigende Ergebnis, dass sich die Unternehmensleitung

solangesiedieMaßnahmenfürdasRisikomanagementnichtergriffenhat,füralleaus

dem Unternehmen begangenen Delikten, die aus dem eigenständigen Strafrecht

stammen, verantwortlich macht. Dadurch wird aber die normative Korrespondenz

zwischen der Unterlassungshandlung und dem Erfolg übersehen und eine

strafrechtliche Haftung allein aufgrund des bloßen mangelnden Risikomanagements

einesUnternehmensbegründet.

Fraglich ist zudem, ob die Suche nach den „eigentlichen Schuldigen“ zwingend die

Unternehmensleitung erreichen muss. Heine erkennt zutreffend, dass die

Rechtsgutferne,DezentralisierungundKompetenzaufteilunginGroßbetriebenzueiner

Verflüchtigung individueller Verantwortung führt, somit strafbegrenzend wirkt.39

Zweifelhaft ist aber, dass er trotz dieser Erkenntnis „ein besonderes

38 Ähnlich Rotsch, Individuelle Haftung in Großunternehmen, S. 202: „[…] fehlt es aber imGroßunternehmerischen Kontext darüber hinaus an einer unmittelbar und kurzfristigenBeeinflussungsmöglichkeit.“39Heine,DiestrafrechtlicheVerantwortlichkeitvonUnternehmen,S.100.

Page 16: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

16

Gefahrenmanagement zwangsläufig bei den Führungsorganen“40 ansiedeln will.41 Zu

Recht hat auch Walter42 hiergegen eingewendet, dass es vielleicht gar keinen

tragendenGrundgebe,dasUnternehmenhaften zulassen,wenndurch zunehmende

Rechtsgutsferne weit vorgreifender Tatbestände deren individueller Unrechtsbezug

schwinde.

III.Organisationszuständigkeit

AuchJakobsgehtdavonaus,dassdievonKaufmann43begründeteUnterscheidungin

Beschützer-undÜberwachergarantenwedereinenbefriedigendenHaftungsgrundder

GarantenstellungnocheinesystematischeKonsequenzfürderenEinteilungdarstellt44.

Daher legt er ein neues dualistischesModell vor, welches auf das „Synallagma von

VerhaltensfreiheitundFolgenverantwortung“45abstellt.Dementsprechendorientieren

sich Pflichten kraft Organisationszuständigkeit an der Vermeidung

rechtgutsverletzenderAußenwirkungendeseigenenOrganisationskreisesdesTäters.46

Die Pflicht aus institutioneller Zuständigkeit stammt aus einer institutionell

abgesicherten Solidarität, die für den gesellschaftlichen Bestand von elementarem

Gewicht sei.47 Hiernach wird auch die Unterscheidung zwischen Begehung und

Unterlassungrelativiert:„Begehungs-wieUnterlassungsdeliktekennenalsoeinerseits

eine Haftungsbegründung durch Organisationszuständigkeit und andererseits eine

solchedurchinstitutionelleZuständigkeit;darauserhellt,dassdieTrennungBegehung

–Unterlassung nur eine vonmehrerenmöglichen Schnitten durch den Komplex des

überhauptobjektivTatbestandmäßigenverfolgt.“48,soJakobs.

Bei der Garantenpflicht kraft Organisationszuständigkeit, die für die Verantwortung

der Unternehmensleitung eine besondere Bedeutung hat, geht es um die Sicherung

40Heine,DiestrafrechtlicheVerantwortlichkeitvonUnternehmen,S.125.41ZuerstRotsch,IndividuelleHaftunginGroßunternehmen,S.204.42Walter,DiePflichtendesGeschäftsherrenimStrafrecht,S.65.43Kaufmann,DieDogmatikderUnterlassungsdelikt,S.283.44Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.27.45Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.58.46Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.29ff.47Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.57ff.48Jakobs,StrafrechtAT,§7Rn.71(KursivimOriginal);ders.DiestrafrechtlicheZurechnungvonTunundUnterlassung,S.20.

Page 17: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

17

einer Gefahrenquelle. Hierzu gehören die Verkehrspflichten, Pflichten aus Ingerenz

(vorangegangenesTun)undPflichtenausÜbernahme.49GrundderVerkehrspflichten

seien „[…] die Zuständigkeit des Organisators für die innere Organisation unter

AusschlussderZuständigkeitderinihrenGüternbedrohtenPersonen“50.

Die Ingerenz gehe „[…] im Bereich der Sicherungspflichten in den Verkehrspflichten

auf:DasVorverhaltenisteinGefahrauslösenderOrganisationsakt,derdenInhaberdes

gefährlichgewordenenOrganisationskreiseszurSicherungsverpflichtet“51.NachJakobs

wirdallerdingsdieIngerenznichtnurdurcheinrechtwidrigesVorverhaltenbegründet,

sondernauchdurch Sonderrisiken52.BeiderPflicht ausÜbernahme„mussder Täter

für die Konsequenzen seines Organisationsverhaltens, nämlich für den Fortfall einer

bislangbestehendenSicherung,einstehen“53.

WasdieGeschäftsherrenhaftungangeht,lehntJakobszuRechteineGarantenstellung

aufgrund derGewalt über andere Personen ab: Der „[…] Inhaber eines Betriebs hat

bezüglichdesVerhaltensseinerMitarbeiterkeinGestaltungsrecht;vielmehrkannjeder

Mitarbeiter,soerdiearbeitsrechtlichenKonsequenzeninKaufnimmt,dieTätigkeitfür

den Inhaber einstellen.“54 Stattdessen bejaht er die Pflicht des Betriebsinhabers zur

Verhinderung von Straftaten oder sonstiger gefährdender Verhalten seiner

UntergegebenerdurchKollusionunddurchgefährlicheSachendesUnternehmens.Da

„[…] die Handlungen im Rahmen des Betriebs stets auch Handlungen im

Organisationskreis des Inhabers sind […]“, haftet der Betriebsinhaberweiterhin „[…]

für die durch das Verhalten bewirkte Ausgestaltung seines eigenen

Organisationskreises“55.

Kritik

49Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.30ff.50Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.30;ders.SystemderZurechnung,S.36.51Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.31.52UnterSonderrisikenverstehtJakobs,SystemderZurechnung,S.37,ein„[…]erlaubtesVerhalten,fürdessen Konsequenzen der Sich-Verhaltende die ,kostenʻ tragen muss […], nämlich dann, wenn dasVerhalten ein höheres Risiko birgt als das unumgehbare alltägliche Verhalten und zugleich derGefährdetedieihmseinerseitsobliegendenSchutzmaßnahmengetroffenhat.“53Jakobs,SystemderZurechnung,S.38.54Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.36.55Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.36.

Page 18: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

18

Fragwürdigist,obdasSynallagmavonVerhaltensfreiheitundFolgenverantwortungals

Stützpunkt fürdieBegründungeiner strafrechtlichenVerantwortung fungierenkann.

Dass in einer liberalen Gesellschaft derjenige, der in die Rechtssphäre anderer

eingreift, zur Verantwortung gezogenwird, besagt nicht, dass die Rechtsfolge einen

strafrechtlichenCharakterhabenmuss.Gegen seinen liberalenAnsatzpunkt verstößt

Jakobs selbst, als er aus dem oben genannten Synallagma eine „positive“ Pflicht zu

tätiger Hilfe für andere legitimiert. Denn eine solche Hilfspflicht lässt sich nichtmit

demFreiheitdesEinzelnenvereinbaren,sondernnurmitdemverdecktenmoralischen

GedankenderSolidarität.

Auch die dargestellte Unterscheidung der Haftung in Pflicht kraft

Organisationszuständigkeit einerseits und Pflicht kraft institutioneller Zuständigkeit

anderseits, ist insofern fragwürdig, als sie nicht mit der Unterscheidung zwischen

VerbotundGebotübereinstimmt.56

Nach Jakobs ergibt sich aus der Organisationszuständigkeit nicht nur das Verbot

anderezuverletzen,sondernauchdasGebot,Verletzungandererzuverhindern,mit

derFolge,dassaucheinBegehungstäterGarantseinmuss.57AlsErklärungdafürbildet

Jakobs58dasfolgendeBeispiel:„DieBlumenaufeinemtiefergelegenenGrundstückin

trockenerGegendverdorren(§303StGB),wennaufdemhöhergelegenenGründstück

die Berieselungsanlage, deren Sickerwasser das tiefere tränkt, abgeschaltet wird.“59

Daraus lässt sich aber eine Garantenstellung des Eigentümers deshalb nicht

entnehmen, weil der Inhaber des betroffenen Grundstücks keines subjektives Recht

gegenüberdemBesitzerhat,dassdasAbstellendesWasserverbietet.ZuRechtbetont

Haas, dass die Entscheidung des Eigentümers des höhergelegen, dem

darunterliegenden Grundstücks Wasser durch das Anstellen der Berieselungsanlage

zur Verfügung zu stellen, sei eine freie Entscheidung, die nicht rechtlich gefordert

56Jakobs,StrafrechtAT,§7Rn.71;ders.,DiestrafrechtlicheZurechnungvonTunundUnterlassung,S.20.57 Jakobs, StrafrechtAT,§7Rn.58: „ImErgebnismussalsonichtnurderUnterlassungstäter, sondernauchderBegehungstätereinGarantsein,wennerauseinemBegehungs-Erfolgsdelikthaftensoll;nuristderBegehungstäterindenmeistenFällen,diepraktischerörtertwerden,schonseinerBegehungwegenGarant(Organisationszuständigkeit),aberebennichtprinzipiell.“(KursivimOriginal).5859Jakobs,StrafrechtAT,§7Rn.61

Page 19: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

19

werde60.AuchAstwendetein,dassdieserFallnurunterdenVoraussetzungdes§13

StGB postulierbart sei, denn das Verbot des Abstellens impliziert ein Gebot des

Weiterbetreibens der Berieselungsanlage. Da der Besitzer nicht Garant sei, komme

nichteineUnterlassungsdeliktinBetracht.61

DieTheorievon Jakobs sprengtdiekategorialeTrennungvonVerbotundGebot,die

nicht von einer theoretischen Konstruktion, sondern von der Konstitution der

verschiedenenNormartengefordertwird.62

HinsichtlichderGeschäftsherrenhaftunggleichtJakobsdieHandlungdesInhabersmit

denHandlungenimRahmendesBetriebesaus,sodassder Inhabersichfürdiedurch

das Verhalten bewirkte Ausgestaltung seines eigenen Organisationskreises

verantwortlich macht. Hiergegen ist zuerst einzuwenden, dass der von Jakobs

dargestellte Begriff des Organisationskreises zu weitgehend ist, weil der

Betriebsinhaber dadurch zum Garant für alle aus dem Unternehmen begangenen

Delikten wird und zur Verantwortung gezogen werden kann. Wie die

Organisationszuständigkeit des Inhabers abgegrenzt wird, ist auch eine weitere

ungeklärte Frage. Deshalb trifft die Kritik von Haas zu, „[…] dass der Umfang der

OrganisationszuständigkeiteinesNormadressatennichtbegrifflichfixiertwird,sondern

imErgebnis – trotz der anspruchsvollen systemtheoretischen Einkleidung- der puren

Intuitionüberlassen.“63

IV.Zusammenfassung

Nach der Erörterung der Theorien zur Garantenstellung des Betriebsinhabers kann

man feststellen, dass sie begrifflich unbestimmt formuliert sind. Während die

OrganisationsherrschaftnichtinderLageist,dieFällederIngerenzaufzuklären,bleibt

60Haas,KausalitätundRechtsverletzung,S.188ff.61Ast,NormtheorieundStrafrechtsdogmatik,S.147.62Brammsen,Die EntstehungsvoraussetzungderGarantenpflichten, S. 142, fügt zutreffenein: „DurchdieEinbeziehungdesBegehungstätersindieGarantenformelwird§13StGBzur,Grundnormʻerweitertund der bisher einigermaßen einheitlich verwendete Garantenbegriff wird in ,seiner Bedeutungentwertetunduntergrabenʻ“.63Haas,KausalitätundRechtsverletzung,S.51.

Page 20: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

20

bei der Theorie der rechtlichen Befehlsgewalt erklärungsbedürftig, warum aus der

faktischen Position des Betriebsinhabers eine Verhinderungspflicht entstehen soll.

AuchwenndieGarantenhaftungsichaufdasKriteriumderGefahrenquellestützt,wie

esHeinedargestellthat,so istvorallemfragwürdig,warumdasobjektiveDefizitder

Tatmacht für dieOrganisation und Kontrolle derUnterlassungsverantwortung in der

Konzernspitze verbleiben soll, wenn sich die „höhere“ Verantwortung nicht aus

faktischenFaktorenbegründenlässt.DieAnsichtvonJakobs istebensozukritisieren,

dennderAusdruck„Organisationszuständigkeit“istsounklarformuliert,dassdadurch

derBetriebsinhaberpraktischGarantfüralleDelikteausdemUnternehmenwäre.

Um die Frage der Garantenstellung des Betriebsinhabers beantworten zu können,

muss man den Unbestimmtheitsvorwurf durch ein richtiges Verständnis der

Unterlassung beseitigen, das es ermöglicht, die Pflichten des Betriebsinhabers zu

präzisieren und abzugrenzen. Im Folgenden soll deshalb zuerst der Dogmatik der

Unterlassung nachgegangen werden, bevor wir uns näher mit der

Geschäftsherrenhaftungbeschäftigen.

§3Unterlassungsdelikte

I.Sanktions-undVerhaltensnormen

DassdieStrafgesetzesichalsVerhaltens-undSanktionsnormenformulieren lassen64,

istseitBindingallgemeinanerkannt.BeideNormartenenthaltenRegeln,dieinBezug

aufIhrenCharakterzukonstruierensind:WährenddieVerhaltensnorm65bestimmt,ob

ein Verhalten verboten, geboten, erlaubt oder freigestellt ist, bestimmen die

Sanktionsnormen, wann eine Person an eine Verhaltensnorm gebunden ist.66 Die

Unterscheidung zwischen Verhaltens- und Sanktionsnorm gewinnt an Bedeutung,

wenn sie mit dem Verhältnis zwischen primärer und sekundärer Regel konfrontiert

wird. Die primäre Regel stützt sich auf Verhaltensnormen und bestimmt, wann ein64 In ähnlicher Weise wird von einigen Autoren postuliert, dass die Normen des StrafrechtsBestimmungs-undBewertungsnormenenthalten,sieheRoxin,StrafrechtATI,§10Rn.93;Tiedemann,TatbestandsfunktioneninNebenstrafrecht,S.194f.65Binding,Normen,Bd.I,S.4ff.66Kindhäuser,GefährdungalsStraftat,S.13;Toepfel,GrundstrukturendesSachverständigenbeweisimStrafprozeßrecht,S.28;Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.27;Frisch,TatbestandsmäßigesVerhaltenundZurechnungdesErfolgs,S.511.

Page 21: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

21

Verhalten rechtswidrig ist. Die sekundäre Regel identifiziert sich hingegen mit den

Sanktionsnormen und nennt die Bedingungen der Zuschreibung von Verantwortung

desVerhaltens.67

MitseinemrechtswidrigenVerhaltenerklärtderTäter,dasserdieNormnichtbefolgen

will. Er erklärt also, dass für ihn die Norm nicht gilt. Nach dieser Auffassung ist die

Straftat eine „[…] Desavouierung einer Norm, die Kriterium rechtlich richtigen

Verhaltenist“68.DieAufgabedesStrafrechts istaufdenNormbruchmiteinemStrafe

zureagieren,damitdieNormihreGeltungundihreAnerkennungnichtverliert.69

II.Verbots-undGebotsnormen

Wie schon dargelegt wurde, können die Verhaltensnormen in Verbots-, Gebots-,

Erlaubnis- und Freistellungsregeln eingeteilt werden. Diese Regeln, die sich mit

verschiedenen Funktionen identifizieren, lassen sich allerdings nicht auf derselben

EbenederStraftatkonstituieren.NachderGestaltungs-undderMaßtabsfunktionder

Verhaltensnormen werden die Gebots- und Verbotsnormen Verpflichtungsgründe

darstellen, Erlaubnis- und Freistellungsnormen hingegen Rechtsfertigungsgründe70.

AusderEinteilungderNormartenergibtsichdietheoretischeStruktur,dassdasGebot

eine Unterlassung untersagt, und das Verbot ein Tun. Damit wird zwar die strenge

Trennung von Verbots- und Gebotsnormen gefordert, aber noch nicht das

entscheidende Problem von ihrer normtheoreitschen Abgrenzung gelöst, die eine

bedeutendeRollefürdieBestimmungderUnterlassungsdeliktspielt.

Manmuss sich zuerst bewusst machen, dass mit Hilfe der deontischen Operatoren

sowohl Verbote in Gebote als auch umgekehrt, Gebote in Verbote, ineinander

transformiertwerdenkönnen71.Darausergibt sich jedocheine formelleBezeichnung

der Normcharaktere, womit der Grund für die Unterlassung oder das Tun einer

Handlung nicht definiertwerden kann.Vogel hat zu Recht darauf hingewiesen, dass67 Kindhäuser, in: Harald Koch (Hrsg.), Herausforderungen an das Recht: Alte Antworten auf neueFragen?,S.80;Hruschka,Strafrecht,S.424ff.68 Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 13; Vogel, Norm und Pflicht bei den unechtenUnterlassungsdelikten,S.28.69Freund,StrafrechtAT,§1Rn.10,Jakobs,StrafrechtAT,§1Rn.9ff.70Mañalich,NötigungundVerantwortung,S.28;Hruschka,Rechtstheorie22(1991),S.450.71Kaufmann,DieDogmatikderUnterlassungsdelikte,S.3ff.

Page 22: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

22

die Pflicht, eine Handlung zu unterlassen, in einem bestimmten Kontext verlangen

kann,etwasanderes zu tun,nichtbedeutet,dassderGrunddieserPflichteinGebot

ist72. Auch die Erfüllbarkeit eines Gebotes kann unter individuellen Umständen eine

Unterlassung benötigen, ohne zu bedeuten, dass eineVerbotsnorm in Frage gestellt

wurde.

Die Feststellung der Verbots- und Gebotsnorm, die auf einer abstrakt-generellen

Ebeneerfolgt,wirdvonderBeschreibungdesTatbestandsbedingt.DieseKernaussage

lässtsichallerdingsnichtsointerpretieren,dassdieNormexplizitdasVer-oderGebot

einesVerhaltenssignalisiert.DenndieBildungderVerhaltensnormergibtsicherst in

kontradiktorischer Formulierung aus den gesetzlichen Deliktstatbeständen, die bei

dem Verbot als Gegenstand des beschreibenden Tatbestands ein positives Tun

untersagt und beim Gebot eine Unterlassung. Die abstrakt-generelle Festellung der

Verhaltensnorm wird dennoch von einer individuellen Kategorie gefolgt, in der es

konkretisiert wird, ob die Unterlassungs- oder Handlungspflicht eine personale

BindungandieNormadressatenkonstituiert73.AnhanddieserGrundstrukturlässtsich

die Kongruenz zwischen Norm und Pflicht verdeutlichen: Ist die in Frage stehende

NormeinGebot,soisteinvonderHandlungspflichtverlangtesTunvorzunehmen.Ist

dieNormeinVerbot, so istdasvonderUnterlassungspflichtverlangteBedingendes

ErfolgesdurcheinTunzuunterlassen74.

Dass die Identifikation vonVerbots- undGebotsnormen in einigen Fallkostellationen

Schwierigkeitenbereiten,weildiePflichtinderkonkretenSituationsowohldurchein

positives Tun als auch durch eine Unterlassung erfüllt werden kann, kann nicht

geleugnetwerden.Das istz.B.derFall, indemeinAutofahreraktivGasgibtoderes

unterlässt,dasfahrendeAutozubremsen,umeinenPassantzuüberfahren75.Hierbei

hängt die Bestimmung der Verhaltensnorm nicht von der letztmöglichen

Erfolgsabwengundshandlungab,diesichindiesemKontexteinfachaustauschenlässt,

sondernvondem,wasderTäterverursachthat:ihmistesverbotendieTötungeines

72Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.95.73AusdiesergrundlegendenKonzeptionergibtsicheineweiterePräzisierungderGrundunterscheidungzwischenNorm-undPflichtwidrigkeit:Normwidrigkeitisteineobjketive,PflichtwidrigkeiteinepersonaleKategorie.Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.4374Kindhäuser,GefährdungalsStraftat,S.53.75Jakobs,SystemderstrafrechtlichenZurechnung,S.25,ders.,AT,§7Rn.56;Schünemann,GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.240.

Page 23: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

23

Menschen zu verursachen, unabhängig davon, ob die Pflicht durch das

Nichtabbremsenerfülltwird.DieMissachtungdesgebotenenAbbremsensspielthier

nureineakzessorischeRolle,dieschoninderVerbotsnormimpliziertist.

III.Echte-undunechteUnterlassungsdelikte

DieTatbeständederunechtenUnterlassungsdeliktelassensicherstmitHilfevon§13

formulieren.76Dadurchwird eine strafrechtliche Sondernormgebildet, die gleichfalls

wieeinBegehungsdelikteineVerhaltensnormenthält,dieeinpositivesTunanordnet

um einen bestimmten Erfolg abzuwenden.77 Im Vergleich zu den „echten“

Unterlassungsdelikten, wo jedermann Täter sein kann, können die „unechten“

Unterlassungsdelikte nur von einem Garant begangen werden, der „rechtlich dafür

einzustehenhat,dassderErfolgnichteintritt“.

Gegen diese nach der herrschendenMeinung78 so vorzunehmende Unterscheidung,

hatKaufmannzuRechteingewendet,dasssichauchbeiechtenUnterlassungsdelikten

zahlreiche andere Tätermerkmale finden lassen, die durch eine „Garantenposition“

begründet werden. So insbesondere im Rahmen des § 323 c StGB, „[…] wennman

diese Bestimmung, so auslegt, dass der Kreis der Verpflichteten auf die beim

UnglücksfallinderNähebefindlichenbeschränktist[…]“79.DieKritikKaufmannskann

man durch das Beispiel bekräftigen, in demder Vater, der sein Kind ertrinken lässt,

sowohl für unterlassene Hilfeleistung als auch für Totschlag durch Unterlassung

bestraftwird,er ist alsoGarantwegen seinerbefindlichenNähe indemUnglücksort

undwegenderEltern-KindBeziehungmitdemRechtsgut.

Hierbei erweist sich auch die von Hruschka las „merkwürdig“ bezeichnete

UnterscheidungzwischenechtenundunechtenUnterlassungsdelikten.NachHruschka

die genannte Unterscheidung „[…] beruht vielmehr auf der nur historisch zu

76 Nach Jakobs, Strafrecht AT, § 28 Rn. 12, die § 13 Abs. 1 StGB enthält „[…] eine generelleTransformationsnorm,genauer:Ergänzungsnorm[…]“77Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.93.78StattvielernurRoxin,ATII,§31Rn.16ff.79Kaufmann,DieDogmatikderUnterlassungsdelikt,S.276f.;ders.S.208:„Normologischistdemnachdie Differenzierung die die herrschende Meinung auf Grund verschiedenen Gebotsgegenstandeszwischen echten und unechten Unterlassungstatbeständen vornehmen will, weder im Allgemeinen,nochtmitbesonderenBlickauf§330cStGBhaltbar“.

Page 24: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

24

erklärenden falschen Vorstellung, daß gewisse Unterlassungstaten ,unechtʻ und also

,eigentlichʻ Begehungstaten seien – so soll dieUnterlassungstat des Vaters, der sein

Kindertrinkenlässt,obwohleresrettenkönnte,eine,unechteʻUnterlassungstatund

also ,eigentlichʻ eine Begehungstat sein, während die Unterlassungstat des

unbeteiligtenSpaziergängers,dereinKindertrinkenlässt,obwohleresrettenkönnte,

eine,echteʻUnterlassungstatundalso,wirklichʻeineUnterlassungstatseinsoll[…].“80

NichtnurderVater, sondernauchderDritteverstoßengegeneineGebotsnorm,die

einpositivesTunverlangt.Dassdie„unechten“UnterlassungsdelikteerstmitderHilfe

von § 13 gebildet werden, spricht nicht für eine materielle, sondern nur für eine

technischlegislatorischeUnterscheidung.

IV.Regelungsgehaltdes§13StGB

Nach § 13 ist strafbar „wer es unterlässt, einen Erfolg abzuwenden, der zum

Tatbestand eines Strafgesetzes gehört […],wenn er rechtlich dafür einzustehen hat,

dass der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des

gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht“. Die normtheoretische

Bedeutung des § 13 liegt mithin darin, dass mit seiner Hilfe, die Tatbestände des

BesonderenTeilsdesStGBals(unechte)Unterlassungstatbeständeformuliertwerden

können.DerVorschriftselbstnenntdreiVerweisungselementefürihreKonstituierung:

„[…]erstensdieVerweisungaufdentatbestandsmäßigenErfolgdesBegehungsdelikts;

zweitensdiejenigeaufdiedurchdieSanktionsnormdesBegehungsdeliktsangeordnete

Strafe; und drittens diejenige auf das ,rechtliche Einstehenmüssenʻ für das

NichteintrettendesErfolges.“81

1.Erfolgsbegriff

Ein bedeutendes Problem für die Rechtsfortbildung des Unterlassungstatbestands

stelltsichbeiderBestimmungdesErfolgsbegriffs.Hierbeimussgeklärtwerden,obmit

„Erfolg“ nicht nur die Erfolgsdelikte, sondern auch die Tätigkeitsdelikte des

80Hruschka,Strafrecht,S.427.81Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.131.

Page 25: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

25

Besonderen Teils des StGB gemeint sind oder, allgemein gefragt, ob alle

BegehungsdelikteinUnterlassungsdeliktetransformiertwerdenkönnen.

Gehenwirdavonaus,dasseinTätigkeitsdeliktaucheinEreignisproduziert,dasaber

wegenderengenzeitlichenund/oderräumlichenVerbindungdieWirkungunmittelbar

mitderHandlungzusammenfällt,isteskonsequentfestzustellen,dassauchdasäußere

Ereignis als „Erfolg“ verstanden werden kann. Diese Schlussfolgerung ist für die

Formulierung der Unterlassung von Belang, weil § 13 semantisch gesehen nicht

verlangt, einen Erfolg abzuwenden, der von der Handlung räumlich und zeitlich

Abstand hält, sondern nur einen Erfolg als „Ereignis“, unabhängig davon, wie es

entstanden ist.DiessollmitdemfolgendenBeispielKaufmannsverdeutlichtwerden:

„FürdieBeurteilungderRettungshandlung,diederBadewärterunterlässt,istesvöllig

gleichgültig, ob das Kind vorsätzlich oder fahrlässig insWasser gestoßenworden ist

oderobesversehentlichhineingefallenist.“82

MitdendargelegtenÜberlegungenkannmanfeststellen,dassdervon§13verlangte

„Erfolg“ für die Konstituierung des Unterlassungstatbestands sowohl die Erfolgs- als

auchdieTätigkeitsdelikteerfasst83.Dasbedeutet,dassdieentsprechendenMerkmale

der jeweiligen Delikte des Besonderen Teils des StGB keine Rolle für die

Unterlassungsbildungspielen84,solangesichderErfolgalsEreignisbegreifenlässt85.

2.RechtlichePflichten

Nicht Eindeutig ist allerdings, was unter „rechtlichem Einstehenmüssen“ verstanden

werden soll.Mit diesem Element als Voraussetzung der Strafbarkeit richtet sich die

Norm an diejenigen, die aufgrund der Stellung zu dem Rechtsgut die Pflicht zur

AbwendungdesErfolgesinnehaben.

82Kaufmann,DieDogmatikderUnterlassungsdelikt,S.296.83Schönke/Schröder-Stree/Bosch,§13Rn.3;BGHSt38,324(338).Erfolg„[…]istalleswasabgewendetwerdenkann[…]“,soJakobs,StrafrechtAT,§29Rn.9.84Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.9;Schönke/Schröder-Stree/Bosch,§13Rn.3.85 Nicht umfasst werden die Tatbestände, die schon als Unterlassung formuliert sind, also die sogenannte „echteUnterlassungsdelikten“, z.B. §§123Abs.1Alt2, 138,170,171,221,225,266,339,u.s.w.

Page 26: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

26

Da die Norm kein bestimmtes Kriterium für die Abgrenzung des Adressatenkreises

vorgibt, haben einige Autoren den Versuch unternommen, diesen anhand ethischer

oder sozialer Pflichten zu bestimmen86. Allerdings sind sich sowohl die herrschende

Meinung87alsauchdieRechtsprechung88einig,demstrengenWortlautderVorschrift

zufolgenundsoeinerechtlichePflichtzufordern.

3.VerfassungsmäßigkeitderNorm

Wie bereits oben dargestellt wurde, kann ein unechtes Unterlassungsdelikt nur mit

Hilfedes§13gebildetwerden.StrenggenommenführtdaszurKonstituierungeiner

neuenNorm,dieeinGebotzurErfolgsabwendungenthält.EsstelltsichnundieFrage,

ob sich das von demGesetzgeber eingeführte Rechtsfortbildungsverfahrenmit dem

Grundgesetz (Art. 103 Abs. 2) in Einklang bringen lässt. Bereits Schünemann89 hat

hierbei die zutreffende Ansicht vertreten, dass die Rechtsfindungsmethode der

„schöpferischen Richtlinienkonkretisierung“ mit dem Bestimmtheitsgebot des nulla-

poena-Satzes zu vereinbaren sei90. Die Ermächtigung des Strafrichters zur Normen-

undTatbestandsbildung91mussimRahmendesgesetzlichenSystemserfolgen,umihre

Verfassungsmäßigkeitzugewährleisten92.

4.Entsprechungsklausel

Die Strafbarkeit nach einem echten Unterlassungsdelikt setz unter anderem voraus,

dassdasUnterlassenderVerwirklichungdesgesetzlichenTatbestandesdurcheinTun

86Ransiek,JuS7/2010,S.587.87Jescheck/Weigend,Lehrbuch,§58IV4,FischerStGB-K,§13Rn.5;Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.27.88BGHSt7,268(271);BGHSt30,391(394).89 Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, S. 257. Vgl. auch, Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.4;Roxin,StrafrechtATII;§31Rn.33.90Vgl.Seebode,FS-Spendel,S.334;Köhler,StrafrechtAT,S.213.91Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.133.92DaherwirdinderLehreeinerestriktiveInterpretationgefordert,vgl.Roxin,StrafrechtATII;§31Rn.33;Schönke/Schröder-Stree/Bosch,§13Rn.5/6;Rönnau, JR2004,S.158.Vogel,NormundPflichtbeiden unechten Unterlassungsdelikten, S. 133: „[…] § 13 eröffnet die Möglichkeit gesetzimmanenterstrafrechtlicheRechtsfortbildungauslegitimenRechtsprinzipien[…]“.

Page 27: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

27

entspricht93.ObwohldieNormkeinbestimmtesKriteriumfürdieGleichwertigkeitdes

UnterlassensmitdemaktivenTunenthält,herrscht inderLiteraturdieMeinungvor,

dassdieEntsprechungsklauselbeireinenErfolgsdeliktenkeinebedeutendeRollespielt,

da „[…] sich diese Entsprechung bereits aus dem spezifischenHandlungsunrecht der

pflichtwidrigen Nichtverhinderung des Erfolgseintritts […]“94 ergibt. Weitere

Übereinstimmung besteht darin, dass bei den so genannten eigenhändigen Delikten

eine täterschaftliche Beteiligung durch Unterlassen nicht in Betracht kommt, da die

entsprechende Begehungstatbestände „[…] durch persönliche Vornahme einer

bestimmtenHandlunggekennzeichnetsind[…]“95.

Umstritten ist aber die Entsprechung des Unterlassens im Rahmen derjenigen

Begehungsdelikte, bei denen besondere Handlungsmerkmale auftauchen, etwa

Betrug(§263)oderBeleidigung(§185)96.„InsolchenFällenentsprichtdasUnterlassen

demTunnur,wennesingleichwertigerWeisediebesonderenHandlungsmodalitäten

verwirklicht […]“97. Hierbei geht es ebenso wie bei allen anderen Delikten um die

Unrechtsbildung. Unklar ist dabei aber wegen ihrer Charakterisierung – Begehung

durch Abgabe einer Information – die Frage98 „[…] ob nicht bereits der

InformationswertdesSchweigensdurcheineGarantenpflichtbestimmtist“99.

93 Eigehend Nietze, Die Bedeutung der Entsprechensklausel beim Begehen durch Unterlassen (§ 13StGB), S. 42 ff.; eine Mindermeinung lehnt die Entsprechensklausul ab, Schünemann, Grund undGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.380.94Kindhäuser,StrafrechtAT,§36Rn.3.Vgl.auch,JakobsAT,§29Rn.7,NK-Wohlers/Gaede,§13Rn.19;Schünemann,GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.371 ff.MüK-Freund, §13Rn.235;Jescheck/Weigend,StrafrechtAT,S.629f.95NK-Wohlers/Gaede,§13Rn.20.96DieBesonderheitendieserStraftatbeständeliegtnichtnurinderHerbeiführungdesErfolges,sondernauchinderArtundWeisederBegehungderTat,Jescheck/Weigend,Strafrecht,S.629.Allerdingsspieltnach der Ansicht Schürmanns, Unterlassungsstrafbarkeit und Gesetzlichkeitsgrundsatz, S. 109, dieDifferenzierung zwischen „verhaltensgebundenen Delikten“ und „reinen Erfolgsdelikten“ keinebedeutende Rolle für die Entsprechungsklausel, da „[…] der mit der Differenzierung angesprocheneUnterschiedallenfalls ineinergraduellenAbstufung inderWeitederVerhaltensbeschreibungbeideneinzelnenDeliktenbestehenkann[…]“.97Schönke/Schröder-Stree/Bosch,§13Rn.4;vgl.auch,Jescheck/Weigend,Lehrbuch,§59V1;Herzberg,DieUnterlassungimStrafrechtunddasGarantenprinzip,S.81ff.;Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.80,ausder Perspektiv des Organisationskreises: „Eine dem Begehen entsprechende Informationsgabe istmöglich, wenn der Täter es unterlässt, aus seinem Organisationskreis nach außen dringendeInformationenzurückhalten“.98Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.142.99Herzberg,DieUnterlassungimStrafrechtunddasGarantenprinzip,S.70ff;Nietze,DieBedeutungderEntsprechensklauselbeimBegehendurchUnterlassen(§13StGB),S.179ff.Jakobs,StrafrechtAT,§28Rn.80.

Page 28: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

28

Beim Betrug100 wäre die Gleichwertigkeit denkbar101, solange der Täter eine

GarantenstellunginnehatunddamitdieerforderlicheAufklärungspflichtvorliegt.Nach

der Rechtsprechung ist diesmöglich,wenn die Rechtspflicht zur Aufklärung aus den

vorangegangenenTäuschungshandlugendesTätersherzuleitenist102.Diessollanhand

eines vonHerzberg103 gebildeten Beispiels erklärt werden: „Es hat jemand an einen

BekannteneinenBriefgeschrieben,indemerihmseineSachezumKaufanbietet.Der

BriefistfertigundwirdbaldvonderSekretärinzurPostgebrachtwerden.Daentdeckt

derSchreiber,dasserdenWertdesGegenstandesversehentlichzuhochgeschildert

hat[…]“.Nichtanderes istbeiderBeleidigungdieGleichwertigkeitzubestimmen.So

etwaindemBeispielBöhms104,indemderTäterdenbeleidigendenBriefzuerstnicht

absendenwill,dannaberlässtdasVerschickendurchdieSekräterinzu.

V.Norm-undPflichtwidrigkeit

BeiderGarantendiskussionisteseindogmatischesPhänomen,sieaufdieabstrakten

oder konkreten Fähigkeiten des Täters zurückzuführen, um eine Garantenstellung

theoretisch begründen zu können. Im Rahmen der Garantenstellung des

Betriebsinhabers zur Verhinderung von Straftaten Untergegebener werden Kriterien

wie Organisationsherrschaft oder Befehlsgewalt zu diesem Zweck bedienen. Eswird

also nach der generellen105 oder individuellen106 Handlungsfähigkeit des

Unterlassungstäters gefragt, umdenNorminhalt desUnterlassens zu determinieren.

Das bedeutet aber für das hier vorgelegteModell die Verwechslung des Inhalts der

Normwidrigkeit mit dem Inhalt der Pflichtwidrigkeit. Deshalb ist es methodologisch

notwendig, als erstes die BegriffeNorm- und Pflichtwidrigkeit zu erklären und diese

100Eingehend,NK-Wohlers/Gaede,§13Rn.144ff;Kindhäuser,StrafrechtAT,§27Rn.24ff.101Nietze,DieBedeutungderEntsprechensklauselbeimBegehendurchUnterlassen(§13StGB),S.179ff,bejahteinenBetrugdurchUnterlassungohneRückgriffaufdieEntsprechensklausel.102OLGStuttgartNJW1969,1975.103Herzberg,DieUnterlassungimStrafrechtunddasGarantenprinzip,S.81f.104Böhm,DieRechtspflichtzumHandelnbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.20.105Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.10:„DerTätermußabstraktfähiggewesensein,denErfolgdurcheineHandlungabzuwenden[…]“.106 Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 56 ff.; Schünemann, Grund und Grenzen der unechtenUnterlassungsdelikte,S.217ff.;ders.,Unternehmenskriminalität,S.98ff.

Page 29: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

29

streng voneinanderer zu trennen107, um im Anschluss daran den systematischen

StandortdesGarantengebots–und infolgedessendieGarantenstellung– feststellen

zukönnen.

1.Normwidrigkeit

DieDifferenzierungzwischendenBegriffenNorm-undPflichtwidrigkeitkannsynonym

mitderUnterscheidungzwischenInhalts-undBedeutungsebenederNormverstanden

werden108.FürdiestrukturelleKonstituierungderStraftatfolgtdaraus,dasszuerstder

Gegenstand der Verbots- oder Gebotsnorm identifiziert werden muss, bevor ihm

überhaupteineBedeutungzugeschriebenwerdenkann.

Lässt sich ein Verhalten in dem Straftatbestand des Besonderen Teils des StGB

subsumieren, liegt dann ein Normwidriges Verhalten vor.109 Dieses Verfahren der

logischenDeduktionspiegeltsichbei (unechten)Unterlassungsdeliktenwider, jedoch

mit der Besonderheit, dass das Unterlassen eines Verhaltens die Bedingungen des

Unterlassungstatbestands erfüllt werden soll110. „Daher ist zur Feststellung der

Tatbestandsmäßkeit bei den unechten Unterlassungsdelikten nichtmehr, aber nicht

weniger anzugeben als ein normkonformes positives Tun, bei den unechten

Erfolgsverletzungs-UnterlassungsdeliktenalsoeinTun,das fürdieErfolgsabwendung

kausaleRelevanzgehabthätte,undfestzustellen,dassdastatsächlicheTäterverhaltens

mit diesem Tun nicht übereinstimmt […]“111. Folgt man diesen Überlegungen, dann

wirddeutlich,dassdieNormwidrigkeit(Inhalt)einenlogischenVorranggegenüberder

Pflichtwidrigkeit(Bedeutung)hat.112

107Hruschka,Strafrecht,S.365.108Vogel,NormundPflichtbeiunechtenUnterlassungsdelikten,S.41.109 Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 95 betont: „Ob das Tatbestandmäßige Verhalten eineunwillkürlicheoder reflexhafteBewegung, eine automatischeReaktionoder ein bewusst eingesetztesMittelzurErreichungeinesbestimmtenZweckesist,spieltkeineRolle“.110Kindhäuser,GefährdungalsStraftat,S.53ff.111Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.113.112 AllerdingsmüssendieEigenschaftenfürdieVermeidbarkeitdesnormwidrigenVerhaltensinBezugaufdieVerhaltensnormdeterminiertwerden,danurdieNormfeststellenkann,wasver-odergebotenist.Vgl.Hruschka,StrukturenderZurechnung,S.18f.

Page 30: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

30

2.Pflichtwidrigkeit

Die Feststellung eines normwidrigen Verhaltens113 hängt nicht davon ab, ob der

unterlassendenTätertatsächlichinderLagewar,denErfolgverhindernzukönnen.Das

istvielmehreineFragederPflichtwidrigkeit,wonachsichdiekörperlicheFähigkeitund

das Wissen der Normadressaten sich als entscheidende Elemente für die

Normbefolgungkonstituieren.Der leitendeGesichtspunktderPflichtwidrigkeit ist, im

Gegensatz zu der Normwidrigkeit, die sich mit der Abgrenzung der Verbots- und

Gebotsmateriebefasst,diepersonaleBindungdesAdressatenandieNorm.Dabeigeht

esumdieAnerkennungderNormenalsverbindlicheGründefürHandlungen.„Dieses

istderFall,wenndieIntentionzueinerbestimmtenHandlungumderNormbefolgung

willengebildetundrealisiertwird[…]“114.

Aus dieser Grundanschauung lässt sich die Zurechnung wie folgt verdeutlichen:

Zurechnung als Pflichtwidrigkeit bedeutet die Beurteilung einer menschlichen

Handlung115, wonach dem Rechtssubjekt ein Geschehen als sein Werk zuzurechnen

ist116.Umetwaszuzurechnen,bedarfmanaberspezifischerRegeln117,diedasdaraus

ergebeneZurechnungsurteil legitimierenund rechtlichgarantieren, sonstwürde„[…]

dieAnnahme,derVorgangseieineHandlung, ihrenSinn[…]“118verlieren.Andersals

dieVerhaltensregeln,dieaufderEbenederobjektivenKategorieangesiedeltsindund

eine prospektive Funktion bezüglich der Normunterworfenen erfüllen, stellen die

ZurechnungsregelnaufdiepersonaleKategorieabundhabenerstinderRetrospektive

113DassderBegriff„Verhalten“sichnichtmitderZurechnungidentifiziert,hatKindhäuserGefährdungalsStraftat,S.52Fn.10,betont:„MitdemBegriffdesVerhaltenswerdeninfolgendendie(noch)nichtunter Bezugnahme auf ein intentionales Objekt als Tun oder Unterlassen gedeuteten körperlichenBewegungenbezeichnet[…]“.114Kindhäuser,GefährdungalsStraftat,S.42;ders., in:HaraldKoch(Hrsg.),HerausforderungenandasRecht:AlteAntwortenaufneueFragen?,S.87:„EinePflichtverletzungliegtvor,wennderStraftätersichnicht so verhalten hat, wie er sich hätte verhaltenmüssen, wenn er die Intention gehabt hätte, dieTatbestandsverwirklilchungzuvermeiden“.115 Bloy, Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht, S. 246. Vgl auch, Hardwig, DieZurechnung.EinZentralproblemdesStrafrechts,S.164f.116NachHruschka,StrukturenderZurechnung,S.13:„[…],ZurechnungʻbezeichnetdenAkt,meinenAkt,durchden icheinenVorgangalsHandlungbegreife: IchrechneeineKörperbewegungodereinenLauteinemdabeivorausgesetztenunddamitalssolchesanerkanntenSubjektalsHandlungzu, ichschreibesieihmalsHandlungzu[…]“.117 Diese Systemregeln ergeben sich aus den Bestimmung des Allgemeinen Teils des StGB. Hierzugehörenu.a.Vorsatz,Fahrlässigkeit,Irrtum,Schuldfähigkeit,entschuldigenderNotstand.118Hruschka,StrukturenderZurechnung,S.19.

Page 31: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

31

eine Funktion119. Dass ein Verhalten nicht ursächlich für einen Erfolg sein soll, steht

also ex ante fest, ob dieses Verhalten tatsächlich verletzungsrelevant ist, kannman

hingegennurexpostfeststellen120.

§4AnsätzezurBegründungvonGarantenpflichten

Anhand der vorstehenden Überlegungen kann man feststellen, dass die

Garantenproblematik auf unterschiedlichen Ebenen zu lösen sein kann. Wenn der

Garant einen bestimmten Erfolg nicht abgewendet hat, liegt die Frage nach der

SubsumtiondesunterlassenenVerhaltensbeiderNormwidrigkeit,währenddieFrage

nachderZurechnungdiesesVerhaltenaufderEbenederPflichtwidrigkeiteinzuordnen

ist.Damit sinddiedogmatischeEinordnungunddie theoretischeStrukturderNorm-

undPflichtwidrigkeitbeiderUnterlassungaufgezeigt.

Noch nicht behandelt wurden bislang die Begründung und der Umfang der

Garantenstellung.Dies sind theoretischeAspekte,diedeshalbeinewesentlicheRolle

für den gesamten Garantenlehre spielen, weil sie sich im Grunde mit der

Legitimationsfragebefassen:obeinGebotzurVerhinderungeinerRechtsgutverletzung

inBetrachtkommt,lässtsichnichtmehrmitderStruktur,sondernnurmitdemInhalt

der Norm beantworten121. Es handelt sich hierbei also um den Rechtsgrund der

Garantenpflicht.

119 Hruschka, in Rechtstheorie 22 (1991), S. 450, 451, Fn. 7: „Der Unterschied zwischen denVerhaltensregelnunddenZurechnungsregelnistrelativaufdiePerson,umdieesgeht.FürdenRichtersinddieRegeln,diefürdiePerson,derzugerechnetwird,Zurechnungsregelnsind,VerhaltensregelninihrerGestaltungsfunktion,dieihmsagen,obereinphysikalischesEreignisalsHandlungundobereinevonihmetwaals,rechtswidrigʻbeurteilteTatzurSchuldzurechnensollodernicht[…]“.120Kindhäuser,GefährdungalsStraftat,S.169:„WieeinVerhaltennichtseinsoll,nämlichursächlichfüreine Rechtsgutverletzung, steht ex ante fest. Es kann nun mehr oder weniger offen sein, ob einbestimmtes Verhalten ceteris paribus eine Verletzung verursacht. Das Urteil über die ErfolgsrelevanzkannaberdieNormdemAdressatennichtdadurchabnehmen,dasssieihmdieAusführungeinernichtverletzungsgeeignetenHandlungvorschreibt.DurcheinesolcheNormwürdelediglichdieUnterprämiseeinespraktischenSchlusseszurOberprämisse[…]“.121 Eindeutig Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, S. 287: „Die Problematik derGleichstellungbestimmter(unechter)UnterlassungenmitbestimmtenBegehungsdeliktenhatihrenSitznicht in einer Aufbaustufe des (begehungs-)Delikts; sie löst sich weder nach den Regeln überTatbestand,RechtswidrigkeitoderSchuld,nochnachanderendogmatischenFiguren“.

Page 32: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

32

Die Literatur hat sich auch bemüht, materielle Theorien zur Legitimation von

Garantengebotenzuentwickeln,diesichaufeinemonistischeKonzeptionkonzentriert

haben,nämlichdieGefahrschaffung,dasVertrauen,dieVerhaltungserwartungundder

Herrschaftsbereich.

I.Gefahrschaffung

DievertretenenAnsätzederRechtspflichtensindvielfältig122.InderLiteraturlässtsich

eine Tendenz dahin beobachten, die Überwachungsgarantenstellungen dem

Gefährdungsprinzip, die Obhutsgarantenstellungen dem Vertrauensprinzip zu

unterstellen123.Arztwares,derdieThesederGefahrschaffungalsGrundelementaller

Garantenpflichten mit aller Schärfe vertreten hat.124 Danach steckte in allen

Garantenstellungen eine rudimentäre Gefahrschaffung als Begehungselement125.

„InsbesonderedieIngerenzlegtesnahe,denGedankenderGefahrschaffungalseinfür

alle Garantenstellungen wesentliches Element zu begreifen […]“126. „Diese

Gefahrschaffung kann ,unmittelbarʻ erfolgen oder ,mittelbarʻ dadurch, dass die

AufgabederGefahrenabwehrübernommen,abernichteinwandfreidurchgeführtwird

[…]“127. AufderBasisder „Quellen“vonGarantenstellungenunterscheidetArzt fünf

Gruppen: Gesetz, Vertrag, freiwillige Übernahme, enge Lebensgemeinschaft und

Gefahrschaffung128.

Kritik

122Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.28mitFn.53.123NK-Seelman,§13Rn41;Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.340.124Arzt,JA1980,S.560,650,714ff.125Arzt,JA1980,S.560.126Arzt,JA1980,S.650,714.127Arzt,JA1980,S.714.128 Arzt, JA 1980, S. 648. Ebenso Schultz, Amtswalterunterlassen, S. 145, 147, stütz sich auf dieGefahrschaffung zur Legitimation einerGarantenstellung. Demnach gilt auch für dieUnterlassung diegenerelleHaftungsregelderBegehungsdelikte:„WerzurechenbareineGefahrdurchHandelnschafft,istfürdieRealisierungdergeschaffenenGefahrverantwortlich […]“.BeiderUnterlassungseiwiederumnurderjenigenzurAbwendungderGefahrverpflichtet,wersierealisierthat.EineGefahrrealisierungistdann zuzurechnen, „[…] wenn eine Innen- und eine Außengefahr besteht. Entweder muss dieInnengefahrbeiBestehenderAußengefahrzurechenbargeschaffenwordensein,oderdieAußengefahrmussbeischonbestehenderInnengefahrzurechenbarbeherrschtwerden.“

Page 33: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

33

SchonderRückgriffaufdenBegriff „Gefahrschaffung“,aufdensichdieKonstruktion

der gesamten Garantentheorie von Arzt stützt, ist umstritten. Nach dem hier

skizziertenModell,isteinunterlassenesVerhaltendannNormwidrig,wennderGarant

denErfolgnichtverhinderthat.ObderGarantdieskonnteodernicht, isteineFrage

derZurechnung,dieaufderEbenederPflichtwidrigkeitzuklärenist.Hierzugehörtdie

GefahrschaffungalsElementderBestimmungderindividuellenHandlungsfähigkeit129,

um dadurch strafrechtlich beurteilen zu können, ob das bestimmte Verhalten

vermiedenwerdenkonnteodernicht130.EsgehthierbeialsonichtumdieBestimmung

einerGarantenpflicht,sondernumeinestrukturelleFragederPflichtwidrigkeit,inder

ausschließlich beantwortet werden soll, ob eine personale Bindung des

NormadressatenandieNormbesteht.DasGefahrschaffungselementistdahernichtin

derLage,eineRechtspflichtzubegründen131.

GegendieseAuffassungkannebensovorgebrachtwerden,dassdieGebotsnormnicht

eine Gefahrschaffung für das geschützte Rechtsgut untersagt, sie untersagt nur ein

Verhalten,dasdieEigenschaftaufweist,einenErfolgnichtverhindertzuhaben132.Ob

eineGefahrbeiderTatbestandverwircklichungvorliegt,isteineSelbstverständlichkeit,

aufdiebereitsVogel133trefflichhingewiesenhat:„Wersichselbsthelfenkann,bedarf

nicht der Erfolgsabwendung durch einen Garanten […]“. Das Gefahrenprinzip spielt

daher keine Rolle für die Bestimmung des Rechtsgrundes, es ist jedoch für das

ZurechnungsurteilinsofernvonBelang,alsnachdemWissendesTäterseinrelevantes

RisikoinBetrachtkommt.

Grundlegende Probleme des Ansatzes von Arzt wirft auch die theoretische

Formulierungauf,dassinallenGarantenstellungeneinerudimentäreGefahrschaffung

alsBegehungselementsteckt.EsisthiernachberechtigtdieFragezustellen,wodiese

129 Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 202; Vogel, Norm und Pflicht bei den unechtenUnterlassungsdelikten,S.270Fn.147.130 Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 50: „Wird gefragt, ob ein Verhalten als Pflichtverletzungzurechenbarist,sowirdgefragt,obsicheinePerson,diehandlungsfähigist,anderesverhaltenmüsste,als sie sich verhält, wenn ihr intentionales Objekt unter die Beschreibung des entsprechendenNormsatzesfiele[…]“.131 Auch kritisch, Sangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflicht von Amtsträgern, S. 262 ff. Ausdieser Garantentheorie ergibt sich dennoch ein weiteres Problem für die Feststellung desstrafrechtlichen Norminhalts, siehe Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht. Allgemeiner Teil, § 15 Rn. 17;ebensoJescheck/Weigend,LehrbuchdesStrafrechts,S.521.132Kindhäuser,GefährdungalsStraftat,S.53ff.133Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.342.

Page 34: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

34

rudimentäre Gefahrschaffung bei der Beschützergarantenstellung liegt, wenn

beispielweise die elementaren Versorgungspflichten der Eltern gegenüber ihren

Kindern nicht erfüllt werden134. Diese Frage bleibt aufgrund seiner zirkularen

Argumentation unbeantwortet, denn die Gefahr ist hierbei die Folge der nicht

nachgegangenen Rechtspflicht, und nicht umgekehrt. Dieselben Bedenken spiegeln

sichbeiderÜbernahmeeinerBeschützerpflichtwieder135.

NachdemModellvonArzt,könnenjedochnichtalleGarantenstellungenausschließlich

mitdemRückgriff aufdasGefahrenprinzip legitimiertwerden.Hinzukommtdeshalb

dasElementderLebensgemeinschaft,dieerstdieErwartungrechtfertigt,„[…]dassder

Garant den Erfolg Abwenden werde. Auch in diesem durch Lebensgemeinschaft

begründeten Element der Erwartung steckt die Gefahrschaffung in Form der

EnttäuschungberechtigtenVertrauens[…]“136.TrotzdesRekursesaufeinzusätzliches

ElementkanndieseAnsichtnichtüberzeugen.DieLebensgemeinschaftlässtsichnicht

mit der Gefahrschaffung in Einklang bringen137 und diese Verwechslung führt dazu,

dass das maßgebende Kriterium zur Bestimmung und Abgrenzung einer

Garantenpflichtbegründungnichtausreichendidentifiziertwerdenkann.

II.Vertrauen

In der Strafrechtsdogmatik138 hat man auch den Versuch unternommen, die

strafrechtliche Garantenstellung mit dem Rekurs auf das Vertrauensprinzip zu

begründen. Unabhängig von den verschieden Perspektiven dieser Theorie, die sich

134 Grünewald, Zivilrechtlich begründete Garantenpflichten im Strafrecht?, S. 22; Brammsen, DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.132f.135Stree,FS-H.Mayer,S.158;Sangenstedt,GarantenstellungundGarantenpflichtvonAmtsträgern,S.266: „[…] wieso denn eingentlich jener der Übernahme einer Schutzaufgabe angeblich immanenteBedrohungsfaktorrechtlichmißbilligtseinsollte.“136Arzt, JA1980,S.650.Obder vonArtzzitierteFall -BGHSt2,150,153f.-seineThesebestätigt, istgenausofraglich:„EhegattensindeinanderzurehelichenGemeinschaftverpflichtet,§1353BGB.DazugehörtinderRegeldieRechtspflicht,einanderinLebensgefahrnachKräftenzuschützenundzuhelfen,mindestens so lange, wie kein Teil das Recht zum Getrenntleben hat und beide Teile, wie hier, inHausgemeinschaftleben.“137Brammsen,DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.33.138Vogler, FS-Lange, S. 265 ff.;Nickel,DieProblematikderunechtenUnterlassungsdelikte imHinblickaufdenGrundsatz„nullumcrimensinelege“,S.24ff.;Blei,FS-H.Mayer,119ff.;E.A.Wolf,KausalitätvonTunundUnterlassen,S.37ff;Welp,VorangegangenesTunalsGrundlageeinerHandlungsäquivalenzderUnterlassung,S.175ff.

Page 35: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

35

hinsichtlich ihrer Entwicklung bis auf die Kausaldiskussion zurückverfolgen lässt139,

herrschthiernachdieAnsichtvor,dasssiealseinobjektivesNormvertrauenbegriffen

werden soll140.WährendE.A.Wolf141 dieGrundlegendeBasis desVertrauensprinzip

durchdenBewirkungsbegriff,deralsursprünglicheAbhängigkeitdesOpfersvomTäter

gelten soll, ausgestaltet hat, hat Welp142 diese Überlegungen anhand der Ingerenz

weiterausgearbeitet.

DieBegründungderGleichstellungsfragewirdmitder finalenHerrschaftundmitder

besonderen Abhängigkeit erklärt143. Aus Sicht des Handelnden sei die Beziehung

zwischen positivem Tun und Erfolg in dem Determinationsvermögen zu suchen,

wonach die Fähigkeit desMenschen bezüglich des Erfolges geprüftwerdenmuss144.

DemgegenüberseiausOpfersichtentscheidend,dassderTrägerdestangiertenGuts,

wegen der Verbindlichkeit des ihn schützenden Verbots, die normativ fundierte

Erwartunghegendürfe,nichtstrafrechtswidrigattackiertzuwerdenunddeshalbvom

AusbleibenverletzenderAktivitätgesteigertabhängigsei.145

DadasVertrauensichnichtausderNormselbstergebe,sondernalsFolgeauseiner

AbhängigkeitsbeziehungzwischenOpferundTäter,musssiezuerstlegitimiertwerden:

„Es geht also hier um ein fundamentales, den inneren Frieden der Gesellschaft

kennzeichnendesVerhältnis des einen zumanderen.DieHandlungen sind also nicht

nurverboten,weilderStaatdiesesoder jenesals ,Gut‘anerkenntundfürsowichtig

139 Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpfichten, S. 78 ff; ebenso Sangenstedt,GarantenstellungundGarantenpflichtvonAmtsträgern,S.219ff.140 Hiermit wird explizit auf das Vertrauen als Subjektiv-psychologischer Befund verzichtet, sieheSangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflicht von Amtsträgern, S. 221: „Dass es für diePönalisierung eines Verhaltens durchaus nicht von elementarer Bedeutung ist, ob zwischen demTatbetroffenen und dem Verletzer eine psychologisch vermittelte Vertrauenslage besteht, zeigen diemeisten Begehungsdelikte, bei denen der Täter – selbstverständlich, möchte man fast sagen – denUnrechtstatbestand auch dann verwirklicht, wenn das Opfer ihm misstraut oder gar fest mit einemAngriff gerechnethatte“. EbensodieBemerkung vonSchünemann,GrundundGrenzender unechtenUnterlassungsdelikt,S.107:„AuchwenndasOpferschonlangeeinenAngriffdesTätersargwöhntodersogarweiß,daßsichdieserTäterdurchdieVerbotedesStrafgesetzbuchesnichtwirdbestimmenlassen,und auchwenn es deswegen (vergebliche) Schutzvorkehrungen trifft, bleibt die Verletzung des nichtmehrvertrauendenOpferseinDelikt!“.141E.A.Wolff,KausalitätvonTunundUnterlassen,S.38ff.142Welp,VorangegangenesTunalsGrundlageeinerHandlungsäquivalenzderUnterlassung,S.178ff.143Welp,VorangegangenesTunalsGrundlageeinerHandlungsäquivalenzderUnterlassung,S.170.144Welp,VorangegangenesTunalsGrundlageeinerHandlungsäquivalenzderUnterlassung,S.173f.145Welp, Vorangegangenes Tun alsGrundlage einerHandlungsäquivalenz derUnterlassung, S. 175 ff.AusführlicheDarstellung,Sangenstedt,GarantenstellungundGarantenpflichtvonAmtsträgern,S.243.

Page 36: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

36

hält, dass eine Sollensverletzung nicht ohne Reaktion sein kann, sondern damit der

andereinVerhältnissenlebt,indenenseinGutgesichertist.“146

Das vonWelp aus dem Ingerenzprinzip entwickelte Vertrauenskonzept umfasst die

Konstellationen rechtswidrigen und rechtmäßigen Vorverhaltens. Bei den ersten

Fallgruppenberuht dieAbhängigkeit desOpfers einerseits auf derBehauptung, dass

die gefährlicheVortatmitdemDurchgangsstadium identisch sei147, undandererseits

auf der Auffassung, „[…] die Übertretung des Verbots versetzt das Opfer in einen

Zustand konkreter Abhängigkeit[…]. Diese ist das Werk des Täters, für das er

einzustehenhat“.148

DieAbhängigkeitbeiderrechtmäßigenVorhandlungwirddurchden„sozialenZwang

zurGefahrenhinnahme“begründet,daaufdiesenBereichderIngerenz-Gedankenicht

in seiner ursprünglichen Auffassung übertragen werden könne. Die

Abhängigkeitsbeziehung bestehe „[…] in der rechtlichen und faktischen

Unterworfenheit unter die generell gefährliche Risiko-Handlung“149. „Korrelat des

Vertrauen-Dürfens auf das Ausbleiben der rechtswidrigen Aktivität ist auf der

Opferseite somit die durch die Gestattung des riskantes Tuns geschaffene

Abhängigkeit, das Dulden-Müssen der Gefährdung“.150 Die Pflicht zum Schutz ergibt

sichausdemSinnderGefährdungserlaubnis,„[…]diedieFreigabedesriskantesTuns,

mit höchstmöglicher Gutsintegrität zu harmonisieren trachtet. Undmithin ist es der

TäterderRisiko-Handlung,aufdendasOpferinseinerAbhängigkeitverwiesenist“.151

Kritik

146E.A.Wolff,KausalitätvonTunundUnterlassen,S42.147Welp,VorangegangenesTunalsGrundlageeinerHandlungsäquivalenzderUnterlassung,S.181:„Dadie Vorhandlung nur unter dem Aspekt der späteren Abwendungsmöglichkeit des Täters als Vor-HandlungerscheintunddieAbwendungsmöglichkeitals solcheohneEinflußaufdiewirklicheLagedesOpfers bleibt, ist dessen Situation mit dem Durchgangsstadium jeder Begehung identisch und mithinnicht bloße Fragilität, sondern Abhängigkeit vom Nichteintreten eines Erfolges, der durch dierechtsverletzendeVoraktivitätdesTätersbereitwordenist.“(KursivimOriginal)148Welp,VorangegangenesTunalsGrundlageeinerHandlungsäquivalenzderUnterlassung,S.191.149Welp,VorangegangenesTunalsGrundlageeinerHandlungsäquivalenzderUnterlassung,S.221.150Welp,VorangegangenesTunalsGrundlageeinerHandlungsäquivalenzderUnterlassung,S.220.151Welp,VorangegangenesTunalsGrundlageeinerHandlungsäquivalenzderUnterlassung,S.224.

Page 37: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

37

BetrachtetmanzunächstdievonWelpdargestellteArgumentation,wirdmanhierbei

beobachten, dass sie unlogisch durchgeführtwird. Dass der Vertragsgegner sich auf

eine zugesagte Hilfe verlassen darf, setzt voraus, dass der Unterlassende eine

Garantenpflichtinnehat,sonstkannmannichterklären,wiediesespflichtbegründende

Verhältnis entsteht152. Das Vertrauen-Dürfen ist eine Folge der schon bejahten

Garantenpflichtundnichtumgekehrt.

Auch die Betrachtung, dass sich das Vertrauen aus der Abhängigkeitsbeziehung

zwischenOpferundTäterergebeundnichtausderNormselbst,istzirkularundnicht

gesetzeskonform,dennhierbeihängtdieBegründungeinerStrafrechtsnormvondem

vorpositivkonzipiertenVertrauensgrundsatzab.153

Die Konzeption des Vertrauens bietet keine adäquate Begründung einer

Garantenstellung,wennsiesichnichtaufrechtlichenInhaltstützt.DerAusgangspunkt,

dass die Rechtswidrigkeit der Vortat keinerNorm bedürfe, denn jede strafbewehrte

Verbotsnorm enthalte zugleich die Basis einer Wertung, die schon die fahrlässige

Verletzung des geschützten Gutes als Unrecht erscheinen lasse, möge diese nun

strafrechtlich sanktioniert sein oder nicht154 , ist normologisch anfechtbar.

Schünemann155hatdaraufhingewiesen,dassauseinemfinalenVerletzungsverbotein

Sorgfaltsgebotschlechterdingsnichtabzuleitensei.156

Die Einwände richten sich auch gegen das Abhängigkeitsverhältnis. Allein schon der

Umstand, dass sich dieses Konzept bei rechtmäßigem Vorverhalten auf einen

verändertenBegriffsinhaltstützenmuss,weilderIngerenz-Gedankehierbeinichtohne

152Vgl. Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, S. 251; Brammsen, DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.87.153 Vgl. Grünewald, Zivilrechtlich begründete Garantenpflichten im Strafrecht?, S. 25. EbensoSchünemann, Grund und Grenzen der Unterlassungsdelikte, S. 123 f. : „Welp […] nicht genügendbeachte, daß dasAllgemeine vonBegehung undUnterlassungmangels einer konkreten EntscheidungdesStrafgesetzbuchesnurmateriell-vorstrafrechtlichbestimmtwerdendarf,wennGrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikteausihmzuentwicklenseinsollte“.154Welp,VorangegangenesTunalsGrundlageeinerHandlungsäquivalenzderUnterlassung,S.206.155Schünemann,GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte, S. 109.Vgl. auchKaufmann,LebendigesundTotesinBindingsNormtheorie,S.114ff.156InderselbenkritischenHinsichthatsichbereitsBinding,DieNormenundihreÜbertretung,II,S.549,geäußert. Zwar sei das Abwendung-Müssen kein „Muss“ vom Standpunkt der Kausalitätsbetrachtungaus,undhabemitdemRechtsgarnichtzutun.Diesbedeutealso,dassderTäter,derdasgetanhabe,wasdenTodeinesMenschenherbeiführenkann,welchenErfolgerabervermeidenwill,musserdashintertreiben,umnichtUrheberzuwerden;obderTäterdendrohendenErfolgabwendenmuss,seinureineKonsequenzseinesbisherigenkausalenWirkens.

Page 38: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

38

weiteresangewendetwerdenkann,zeigtdieInkonsistenzWelpsTheorie.DerVerweis

aufdenAspekt„sozialenZwangszurGefahrenhinnahme“157vermagnichtdasProblem

der Legitimation einer Garantenstellung zu lösen, denn es fehlt ihr an dem

notwendigenBezugzurRechtswidrigkeit158.

III.Verhaltenserwartung

Einen anderen Lösungsansatz der Garantenproblematik hat Brammsen anhand der

„sozialen Erwartungen“ in seiner Untersuchung über „Die

Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten“159 vorgelegt. Dabei soll die

Begründung der Garantenpflichten auf außerrechtliche Pflichtpositionen bzw.

Pflichtsysteme zurückgreifen160, die sich im Grunde „am sozialen Alltagsleben“

orientieren.

Nach Brammsens Prüfungsschema müsse man als erstes anhand objektiv

unmittelbarer Faktoren prognostizieren können, welche konkrete Handlung den

eingetretenenErfolgvermiedenhätte.ObinderRealitäteinesozialePositionexistiere,

indersichdieErwartungderVornahmedererfolgsvermeidendenHandlungverfestigt

habe, muss sodann herausgefunden werden161. Hierbei könnten rollen- bzw

systemtheoretischeUntersuchungenvonNutzensein162.

Weil nicht jede Verhaltenserwartung Anerkennung finden könne, kämmen es „[…]

jedoch nur solche Verhaltenserwartungen in Betracht, die sich als sog. „Muß-

Erwartungen“darstellen,d.h.derAnforderungsaspektdereinzelnenErwartungmüsse

157Welp,VorgangegangenesTunalsGrundlageeinerHandlungsäquivalenzderUnterlassung,S.218ff.158 Vgl. Sangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflicht von Amtsträgern, S. 254; Schünemann,GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.119159Brammsen,DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.114ff;auch,Otto/Brammsen,JURA85,S.529ff.,646ff.160 Unter Berufung auf Luhmans system-funktionalen Normtheorie, Brammsen, DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.95ff.161Brammsen,DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.129.162ObvondemInhabereinerbestimmtensozialenRolledieVornahmeeineserfolgsvermeidendenTunserwartet wird, soll anhand der Rollentheorie beantwortet werden, Brammsen, DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.130;Otto/Brammsen,JURA85,S.536.

Page 39: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

39

zwingenden Charakter und weiterhin eine empirisch erforschbare allgemeine

Anerkennung163,BeachtungundBefolgunggefundenhaben“164.

Sobald man die bestimmte soziale Position identifiziert hat, muss man danach

untersuchen,obdieser„Muss-Erwartung“eineentsprechende„Muss-Erwartung“des

Erwartungsadressaten gegenüberstehe, dergestalt, dass beide sich als ein

gegenseitiges Erwartungsverhältnis darstellen165. Hierfür kann die

ethnomethodologischeodersoziologischeUntersuchunggeeignetsein.Falls sienicht

vorhanden seien, muss man selbst das in den jeweiligen Situationen übliche und

typische Alltagsverhalten ermitteln166. Um dies zu bestimmen, muss man

berücksichtigen, ob die Sozietät sich allgemein an der Beachtung undBefolgung der

Erwartungserwartung orientieren; man könne auch diese Aufgabe durch „[…]

detaillierte Durchstrukturierung in anderen Sozialsystemen und die nach außen

objektiverkennbare InstitutionalisierungdieserErwartungsverhältnisse inFormeiner

„Überantwortung“besonderersozialerEinflußbereiche[…]“167erleichtern.

Abernicht jedeMissachtungeiner „Muss-Erwartung“vermagdieGrundbedingungen

des gewöhnlichen Alltagsleben zu beeinträchtigen, dafür sei anhand einer

umfassenden Interessen- und Wertabwägung zu prüfen, ob sie die Erhaltung

elementarer Rechtsgüter oder wesentlicher Strukturen des gesamtgesellschaftlichen

alltäglichen Sozialgefüges zum Inhalt habe.168 Nur die Verletzung eines solchen

VertrauensverhältnissesvermagdieGrundbedingungendesgewöhnlichenAlltagsleben

so zu beeinträchtigen, dass nach den allgemein anerkannten rechtlichen und

sozialethischen Wertvorstellungen zur Erhaltung der Funktionstüchtigkeit des

gesamtgesellschaftlichen Ordnungssystems die unterlassene Erfolgsabwendung in

163 Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten, S. 118, versucht derGeltungsbereich der Rollen durch das „ultima ratio-Prinzip“ abzugrenzen. Dadurch können nur „[…]solche Verhaltenserwartungen berücksichtigt werden, deren nichtbefolgung über einen längerenZeitraum hinweg nach möglichst einhelliger Ansicht – Ausnahmen bestätigen die Regel! – derBevölkerungunseresRechtskreisesalssozialschädlichangesehenwird“.164Brammsen,DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.130.165Brammsen,DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.122,130.166Brammsen,DieEntstehungsvorausseztungenderGarantenpflichten,S:126,130.167Brammsen,DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.126,130.168Brammsen,DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.130.

Page 40: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

40

ihrer Sozialschädlichkeit der aktiven Herbeiführung eines rechtsgutsverletzenden

Erfolgesgleichzustellensei.169

SoerwartedieSozietätbeispielweisevonElterndieErnährung,PflegeunddenSchutz

ihrerKinder,vomArtzdieRettungseinerPatienten,vomBademeisterdieRettungder

Ertrinkenden,vomPolizistendieVerhinderungundAufklärungvonStraftaten.Siealle

erwarteten auch, dass an sie die jeweiligen sozialen der Position und Situation

entsprechenden Erwartungen hinsichtlich eines erfolgsvermeidenden Verhaltens

gerichtetwürden.

Anders strukturiert seien die Überwachergarantenstellungen170. Sie „[…] bedürfen

einerbesonderen(rechtlicheingeräumtenoderlediglichfaktischen)sozialenPosition,

die ihnen die tatsächliche Möglichkeit gewährt, auf eine in dem ihnen

,überantwortetenʻbesonderensozialenEinflussbereichbefindlicheSacheoderPerson

unmittelbar einzuwirken. […] Ohne eine solche Befugnis zur Gefahrenabwehr durch

EinflussnahmeaufdenkonkretenGeschehensablaufim,VorfeldʻderGefahristweder

derAufsichtsgarantinderLage,aufdiezubewachendePersoneinzuwirken,nochkann

der ,Sachherrschaftsgarantʻkraft ,VerkehrsicherungspflichtʻdiePotentiellgefährliche

Sacheeffektivsichern“.171

NachBrammsensollendieBegriffe„Einfluss“und„Herrschaft“inhaltlichvoneinander

unterschieden werden. Die Annahme eines „überantworteten“ besonderen sozialen

EinflussbereichesübersächlicheoderpersonaleGefahrenquellenerforderejedochdie

ExistenzeinerkonkretenHerrschaftsbeziehung inBezugaufdie jeweiligeSacheoder

Person. Nur durch Ausübung von Herrschaft könne der Überwachergarant die

Gefahrentstehungoder–realisierungeffektivverhindern.172

169Brammsen, Die EntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten, S. 130;Otto/Brammsen, JURA85,S.137ff.170 Obwohl Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten, S. 134, dieFunktionslehre von Kaufmann kritisiert, weil sie zur Frage der Entstehung der einzelnenGarantenpflichtenkeinebefriedigendeAntwortzugebenvermag,erkennterdiepraktischeBedeutungderUnterteilungzwischenObhuts–oderBeschützergarantundSicherungs-oderÜberwachergarant.171Brammsen,DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.134f.172Brammsen,DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.135,136.Obwohlnachdiesertheoretischer Präzisierung immer noch problematisch erscheint, die bestimmtenÜberwachergarantenstellungen einzuordnen, kommt bei Brammsen in Betracht der Hauseigentümer,derKfz-derTierhalter,derWaffenbesitzer,derGastgeber,u.s.w.

Page 41: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

41

DiedirekteKonsequenz,dieBrammsenausdendargestelltenÜberlegungenzieht, ist

dieAblehnungderGarantenstellungaus Ingerenz.Siesei inderRealitätdessozialen

Alltagslebensnichtnachweisbar.DieMitgliederderRechtsgemeinschaftkönntensich

nicht mit der notwendigen Sicherheit an dem erfolgsabwendenden Verhalten des

„Gefahrbegründers“ orientieren, denn es fehle hier an dem grundlegenden, in einer

bestimmtensozialenPositionverfestigengegenseitigenErwartungsverhältnis,welches

allen Mitgliedern der Sozietät eine Reduktion von Komplexität und Kontingenz

gestattet,esfehlealsoder„überantwortete“besonderesozialeEinflussbereich173.Der

Ingerent sei weder Garant noch Träger einer Sonderpflicht und auch kein

Unterlassungstäter174.

AllerdingsversuchtBrammsendieProblematikderunterlassenenErfolgsverhinderung

nach eigenem gefährlichen Vorverhalten als Fall eines Begehungsdelikts

darzustellen175.DemnachmissachtederIngerentdiederErfolgsvermeidenspflichtder

einzelnen Begehungsdelikt zugrundeliegende, an Jedermann gerichtete

Verhaltenserwartung.BrammsenkommtsomitzurStrafbarkeitdieserFallgruppe.176

Kritik

Bereits der Grundsatz von Brammsen, wonach die Garantenpflichten auf sozialen

Verhaltenserwartungen beruhen sollen, erweist sich als nicht verfassungskonform.

Hierbei besteht Zweifel, ob diese soziologische Garantenlehre mit dem

Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 Abs. 2 GG) zu vereinbaren ist177. Dass sie auf

faktische Elemente zurückgreifen soll, um den Inhalt der Garantenpflicht zu

173BereitsWelzel,Strafrecht,S.216:„EsliegtnichtdergeringstesachlicheGrundvor,warumdiebloßeVerursachungeinerGefahreineGarantenstellungbegründensolle“.Langer,DasSonderverbrechen,S.504f.,ders.,DieSonderstraftat,S.452,istauchderMeinung,„[…]dassdieangeblicheGarantenstellungaus,vorangegangenemgefährdetenTunʻkeinSonderunrechtbegründet.DasSetzeneinerGefahrschafftalssolcheswedereinesonderunwertbegründendeBeziehungdesGefährdendenzumGefährdetennocheine relative Abwandlung der Normdringlichkeit; so daß der Unterlassende nur das betreffendeGemeinunrechtbegeht“.174Brammsen,DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.447.175Brammsen,DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.392.176Brammsen,DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.39ff.177 Sangestedt,GarantenstellungundGarantenpflichtvonAmtsträgern,S.146 ff.;Schünemann,wistra1986,S.244.,Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.316ff.

Page 42: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

42

bestimmen, bestätigt die Kritik, dass sie sich auf unsichere Faktoren verlässt178, die

nichtunmittelbarausdemGesetztnachweisenlassen179.

Manmusszugeben,dassbeiderBegründungeinerspezifischenGarantenstellungdie

sozialePositiondesGaranteneineersteindizielleRollespielt180,siebedarfabereiner

weiteren normativen Konkretisierung, wennman siemit dem Recht verbinden will,

sonst würde sie nur bei der empirischen Realität bleiben. Brammsen ist dieses

rechtlicheGebotbewusst,underversuchtesmitHilfeder„Muss-Erwartung“,wonach

derAnforderungsaspektdereinzelnenErwartungzwingendenCharakterundweiterhin

eine empirisch erforschbare allgemeine Anerkennung, Beachtung und Befolgung

gefundenhabenmuss,zuerfüllen.AberwelchekonkretennormativenAnforderungen

danach ausreichend sind, um die soziale Erwartung auf Vornahme der

erfolgsvermeidenden Handlung strafrechtlich zu garantieren, bleibt

erklärungsbedürftig181.

AuseinerallgemeinanerkanntensozialenPositionergibtsichnichtnotwendigerweise

eine strafrechtliche Garantenpflicht, ansonsten würde man die Sollensfunktion der

Strafrechtsordnung hinter die allzu einseitig in den Vordergrund gerückte soziale

Faktizität zurücktreten lassen182. Ohne konkrete rechtliche Anforderungen ist diese

Theorie so unbestimmt, dass sie praktisch zu jedem gewünschten Ergebnis führen

kann183.

Auchdie Prüfungeiner umfassenden Interessen- undWertungsabwägung als Rekurs

für die Inhaltspräzisierung der „Muss-Erwartung“ ist nicht in der Lage die

Unbestimmtheit zu beheben. Die „Muss-Erwartung“ konstituiert nicht einen

Unterlassungstatbestand, der je nach Interessen undWertungen legitimiert werden

178ÄhnlichSangestedt,GarantenstellungundGarantenpflichtvonAmtsträgern,S.145.179Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.318.180 ÄhnlichWalter, Die Pflichten des Geschäftsherren im Strafrecht, S. 42 f. Demgegenüber Freund,ErfolgsdeliktundUnterlassen,S.137ff.181 Vgl. Grünewald, Zivilrechtlich begründete Garantenpflichten im Strafrecht?, S. 26. Sangestedt,GarantenstellungundGarantenpflicht vonAmtsträgern, S. 145 ff., hat sogarBrammsensMethodealsreineSpekulativgekennzeichnet.182Vgl.Maurach/Gössel/Zipf,StrafrechtATII,S.325;Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.28Fn.53:„SoleitetmanfreilichGarantenstellungennichther,sondernbeschreibtsieundauchdasnurunvollkomen[…]“;für Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 138, ist das faktische Element als solche unergiebig; objemand rechtlich verpflichtet zumHandel ist, „[…] gelangtman nur,wennman nicht auf das Faktumschaut,sonderneineNormentsprechendenInhaltsaufweisenkann“.183Ähnlich,Freund,ErfolgsdeliktundUnterlassen,S.139.

Page 43: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

43

könnte184. Die vollständige Legitimation des Gebots erfolgt nur innerhalb einer

Verhaltensnorm, welche bei Brammsen nicht zur Verfügung steht; seine Darlegung

beschränkt sich ausschließlich auf sozial-faktischeGegebenheiten, die ihre rechtliche

Anerkennung nicht gewinnen kann, solange sie nicht rechtlich präzisiert sind.

Brammsen selbst weis auf diese Notwendigkeit hin185, verzichtet aber darauf, sie

herauszuarbeiten.

Dieser theoretischeMangel führtdazu,dassdie Interessen-undWertungsabwägung

ohne sicheren Rahmen und je nach Beliebigkeit durchgeführt werden. Ob z. B. der

Gastwirt Garant zur Verhinderung eigenverantwortlichen deliktischen Verhaltens

seinerGäste ist,wirddurchdiepersönliches Strafgerechtigkeitsempfindenundohne

konkrete Bewertungen bejaht, dass „[…] sich die Mitglieder der Sozietät in ihrem

sozialen Alltagsleben an der Befolgung dieser Erwartung orientieren und sie als

sicherenunddeterminiertenFaktorberücksichtigen“186.

Nichtüberzeugend istauchBrammsens Ingerenz-Konzept.DieSchlussfolgerung,dass

der Ingerent strafbar sei, nicht, weil er Garant oder Träger einer Sonderpflicht und

auch kein Unterlassungstäter sei187, sondern weil er mit seiner Vorhandlung eine

Verbotsnorm verletzt hat, verstößt gegen dasGesetzlichkeitsprinzip, da er somit die

Reichweite des Gesetzes bis auf die Neutralisierung der in Gang gebrachten

schädlichen Entwicklung ausdehnt. Diese von Brammsen genannten sekundären

„Vermeideerwartungen“ in Form von Tätigkeitsgeboten werden aber nicht von der

Vebotsnormumfasst.DieVerbotsnormwirdvonderBeschreibungdesTatbestandes

bedingt und verlangt daher, die Bedingung des Erfolges durch ein Tun zu

unterlassen188.

IV.Herrschaft

184 Das strafrechtliche Gebot eines Verhaltensmuss durch den Schutz eines Rechtsguts legitimierbarsein. „Daher kann strafrechtlich legitim nur solche Norm sein, bei denen die strafrechtlicheSanktionierungalsReaktionaufeinenzurechenbarenNormverstoßgerechtfertigtist“.Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.48,AuchindiesenSinne,Kindhäuser,GefährdungalsStraftat,S.137ff.185Brammsen,DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.130.186Brammsen,DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.282.187Brammsen,DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflicht,S.447.188Kindhäuser,GefährdungalsStraftat,S.53.

Page 44: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

44

Die Garantenstellung wird auch mit Hilfe des Herrschaftsprinzips begründet189.

Methodisch bedient sich dieser Gedanke im Anschluss anArthur Kaufmann190 eines

„analogistischen Verfahrens“191, in dem nach dem maßgeblichen Merkmal für die

BegehungsgleichheitderUnterlassunggesuchtwird.

AufgrunddesSchweigensdesGesetzeskommealsAnknüpfungspunktnurdie„Natur

der Sache“ in Frage192 weil sie derselben sachlogischen Struktur wie die

Erfolgszurechnung beim Tun folge. Schünemann findet dadurch die

Begehungsgleichheit zwischen Tun und Unterlassung in der „Herrschaft über den

Grund des Erfolges“193. Diese maßgebliche „normative Gleichstellungsrichtlinie“194

ermöglichedanndieKonkretisierungderGarantenstellungen195.

DiedargestellteArgumentationergibtsichausderBeobachtung,dassdiemechanische

Kausalität nur die Zurechnung des Erfolges zur Handlung erklärt, nicht aber die

ZurechnungzurPerson,deshalbsuchtSchünemanndenZurechnungsgrunddesdurch

die Handlung verursachten Erfolges in der Beziehung zwischen dem personalen

Steuerungszentrum und der den Erfolg verursachenden Körperbewegung.196 Aus

dieserÜberlegung folgt:DieUnterlassungmüsse,umbeidemTypus„Erfolgsdelikte“

begehungsgleich zu sein, ein dieser Beziehung vergleichbares Verhältnis aufweisen.

Das entscheidendeWesen dieses Verhältnisses bestehe in der absoluten Herrschaft

derPersonüberihrenKörper197.„DadieKöperbewegungvermögedesKausalnexusals

unmittelbarer Grund des Erfolges erscheint, ist die unmittelbare Herrschaft über

diesenunmittelbarenGrunddesErfolgessomitdermittelbareGrunddesErfolges,der

dieZurechnungzurPersonrechtfertigt“198.

189Rudolphi, DieGleichstellungsproblematik der unechtenUnterlassungsdelikte und derGedanke derIngerenz, S. 98 ff.; Schünemann, Unternehmenskriminalität und Strafrecht, S. 95 ff.; ders., ZStW 96(1984),S.318;ders.,wistra1982,S.43.190Kaufmann,Analogieund„NaturderSache“,S.14ff.191Schünemann,GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.229ff.192Schünemann,GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.231.193Schünemann,GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.236.194Eswirdsobezeichnet,weiltrotzeiner„weitgehendEntnormativierung“desHerrschaftsmomentsdasKriterium des Erfolgsgrundes nur „ungenügend“ entnormativiert ist. Vgl. Schünemann, Grund undGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.241.195 Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, S. 241, ders.,UnternehmenskriminalitätundStrafrecht,S.88f.196Schünemann,GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.234,235.197Schünemann,GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.235198Schünemann,GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.236.

Page 45: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

45

Eine bedeutende Rolle für Schünemanns Garantentheorie spielt der Begriff

„Herrschaft“,dernachdemnatürlichenVerständniseineWillensmachtbezeichne,die

einePersonübereinenGegenstadhabe.SchünemannbegnügtsichmitdiesemBegriff,

denn er sei ein nicht von vorherein exakt definierter, sondern ein Typus, der nur in

seinenRichtpunktenerfasseundbeiderEntwicklungamSubstratkonkretisiertwerde.

DerHerrschaftsbegrifflassesichlediglichinzweiSubtypenaufgliedern:die„existentiell

vorgegebene“ (Herrschaft des Menschen über seinen Körper), und die aus einem

„Willensakt erwachsene“ (bedarf der „Ergreifung“ durch die Person) 199. Dieser

LeitansatzwirdfürdiegesamteGarantensystematikfruchtbargemacht.

Da die kaufmannsche herrschende Unterscheidung zwischen Beschützer- und

Überwachergarant zu Recht als „bloße (deskriptive) Umschreibung der

Garantenobjekte“200bezeichnetwird, legtSchünemannstattdessenndietheoretische

Konstruktion dar, dass die „wesentliche Erfolgsursache“ und die „Hilfslosigkeit des

Opfers“ den „materiellen Gleichstellungsgrund“ wiedergebe201. Den Vorteil dieser

UnterteilungsiehtSchünemanndarin,dassmitdemHerrschaftsmomentbereitsderin

derNaturderSacheliegendeGrundfürdieGarantenstellungherausgearbeitetsei.Die

strafrechtlicheGarantenpflichtseinureineKonsequenzausdiesemvorstrafrechtlichen

Verhältnis202.

Nach Schünemanns Ansicht im Rahmen der Konkretisierung der Garantenstellung

gehören die Verkehrs- und Aufsichtspflichten zu der „wesentlichen Erfolgsursache“,

währendunterdie „Hilflosigkeit desOpfers“bestimmteObhutsverhältnisse203 fallen.

Die Herrschaft über die Erfolgsursache wird noch in die beiden Kategorien der

„Verkehrspflichten“204 infolge „der Herrschaft über gefährliche Sachen“ einerseits

199 Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, S. 243, 359, erkennt alsgemeinsamesGrundelementbeiderHerrschaftsformenden„Herrschaftswillen“,derdenvon sozialemSinngehalterfülltenHerrschaftsbereichvondem„blinden“Kausalverlaufunterscheide.200Schünemann,UnternehmenskriminalitätundStrafrecht,S.88f.201 Schünemann, Unternehmenskriminalität und Strafrecht, S. 89, konzipiert, dass dieser Unterteilungdavor gefeit sei, durch die Substitution beliebiger Garantieobjekte jeder beliebigen Ausdehnung derUnterlassungshaftung dienstbar gemacht zu werden. Allerdings (Grund und Grenzen der unechtenUnterlassungsdelikte,S.242)berührtsichdieseAufgliederungmitderheuteherkömmlichenAufteilunginBeschützer-undÜberwachergarant.202Schünemann,GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.242.203Schünemann,GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.341.204 Um die Verkehrspflichten zu begründen, erkennt Schünemann, Grund und Grenzen der unechtenUnterlassungsdelikte,S.283,dieBedeutungdessozialenGrundprinzipsdes„neminemlaede“,dennes

Page 46: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

46

sowie der „Aufsichtspflichten“ über konstitutionell oder partiell „unmündige

Personen“anderseitsausdifferenziert.205

Bei derHerrschaftüber gefährliche Sachengeht esumdieAbsicherungdeseigenen

Herrschaftsbereichs, so dass von ihm für andere keine Gefahren mehr ausgehen

kann206. Es besteht hierbei auch eine Garantenstellung für die Straftaten dritter

Personen, sie setze allerdings voraus, dass der unmittelbar handelnde Täter in der

Aufsichts-undBefehlsgewaltdesHintermannesstehe.DerVersuch,dieseAussagemit

demPrinzipderpersonalenVerantwortlichkeitdesIndividuumsinEinklangzubringen,

muss unter der Voraussetzung erfolgen, dass der Hintermann „[…] entweder den

Kausalverlauf in seinem gegenständlichen Substrat beherrscht, oder aber die

handelndePersonderartinseinerGewalthat,dassihreHandlungenalsEmanationen

seinesHerrschaftsbereichserscheinen“207.

DieHerrschaft über die konstitutionelleHilflosigkeit kann auch nach Schünemann in

dreiverschiedeArtenunterteiltwerden:dasexistentiellvorgegebeneGewaltverhältnis

zwischenderMutterunddeminihremLeibherangewachsendenEmbryo208;derdurch

eigenen Zugriff begründeten Gewalthabe – bei dem man sich eines unmündigen

Kindes erbarme und sich seiner annehme - 209; und der durch einen fremden

VertrauensaktbegründetenGewalthabe-„Herrschaftsübernahme“-210.

Wasdie Ingerenzanbelangt, lehntSchünemanneinesolcheGarantenstellungmitder

Begründungab,dassder Täterhierbeinichtmehrdie inGanggesetztenSchädigung

beherrscht.AllerdingskommterzurStrafbarkeitderIngerentmitHilfeder„Herrschaft

überdiepartielleHilflosigkeitdesOpfers“alsLegitimationskriterium.211

„[…]verlangtindermodernenZeit,dassderEinzelneseinenHerrschaftsbereichinOrdnunghältundihnnichtzumGefahrenherdfürdieAllgemeinheitwerdenlässt“.205 Schünemann, Unternehmenskriminalität und Strafrecht, S. 89; ders., Grund und Grenzen derunechtenUnterlassungsdelikte,S.281ff.206Schünemann,GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.290.207Schünemann,GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.324.208Schünemann,GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.342f.209Schünemann,GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.343.210Schünemann,GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.344ff.211Schünemann,GA1974,S.231ff.;ders.,UnternehmenskriminalitätundStrafrecht,S.99;ders.GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.316f.

Page 47: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

47

Kritik

Schünemanns Herrschaftstheorie der Garantenstellung ist es nicht gelungen, als

tragender Gedanke sowohl bei Begehungs- als auch bei Unterlassungsdelikten zu

überzeugen212. Schon die Doppeldeutigkeit213 und der ungenaue Inhalt214 des

Herrschaftsbegriffes erschweren seine Anwendung und führen dazu, dass er bei

bestimmtenFällendurcheinenanderenHaftungsgrundergänzt–Obhutspflichten215-

oder ersetzt – Ingerenz216 - werden muss, damit überhaupt eine Garantenstellung

legitimiertwerdenkann.

Ungeklärt bleibt andererseits die Frage, warum das Herrschaftsprinzip auch für die

Unterlassungsdeliktegeltensoll.DennausdeminhaltlosenBegriff„NaturderSache“

ergibt sich keine automatische Begehungsgleichheit zwischen Tun und Unterlassen.

Wenn man also die „aktuelle Herrschaft über den Grund des Erfolges“ auf die

Unterlassungübertragenwill,müsstezuersteinenormativeKonkretisierungerfolgen,

damitmandiebloßenFaktenmitdenNormenverbindenkann.DieseKritikwirdauch

nichtmitderBehauptungüberwunden,dassbeiAnwendungderHerrschaftsrichtlinie

„[…] ein normativer, durch Wertungsakte auszufüllender Restbestand […]“217 übrig

bleibe, denn somit kehrt die Lösung der Legitimation um und behandelt es als ein

ProblemderZurechnung.

Unzutreffend ist ebenso der Rekurs auf die Prognose einer individuellen

Vermeidemöglichkeitals LegitimationskriteriumeinerGarantenstellung.218Wie schon

oben skizziert wurde, ist die Vermeidefähigkeit ausschließlich Kriterium der

Zurechnung zum Unrecht als Pflichtwidrigkeit, spielt aber für die Bestimmung der

NormwidrigkeitkeineRolle.DademTäterzugänglichseinmuss,waserverhindernsoll,

muss sich die Legitimation einer Garantenstellung auf der tatbestandlichen Ebene

bewegen,damitdieNormfüralleGarantengleichgiltundnicht,wieSchünemannes

212 Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten, S. 69 ff.; Jüngst Haas, DieTheoriederTatherrschaftundihreGrundlagen,S.21ff;213TreffendMaiwald,JuS1981,S.480.214Brammsen,DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.75f;Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.351f.215Maiwald,JuS1981,S.480;Herzberg,DieUnterlassungimStrafrechtunddasGarantenprinzip,S.194.216„berechtigteErwartung“desVerbrauchers.217Schünemann,GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.351.218Schünemann,GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.20ff.

Page 48: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

48

darstellt,nurfürdiejenigen,dieinderLagesind,denErfolgzuverhindern;eskommt

alsonichtdaraufan,obdemTäterdasgeboteneTunabstrakt-generelloderkonkret-

individuellmöglichwar.

§5FeststellungderGarantenstellung

Die theoretischen Bemühungen, die Garantenstellungmitmonistischen Ansätzen zu

begründen,habendieSchwächegezeigt,dasssichnichtalleArtenvonPflichtenaufein

einziges Kriterium zurückführen lassen. Schünemann z.B. gibt bei Ingerenz sein

Hauptkriterium der Herrschaft auf, und fordert stattdessen eine „berechtigte

Erwartung“219,diesichnichtmehrmitdemursprünglichenHaftungsgrundvereinbaren

lässt. Dasselbe Problem spiegelt sich beim Ansatz von Arzt wider, wenn er die

LebensgemeinschaftmitderGefahrschaffunginFormderEnttäuschung„berechtigten

Vertrauens“220 identifiziert, ohne aufzuklären, woran das Verbindungselement der

beiden Kriterien liegt; somit wird die Garantenpflicht auf ein anderes

Begründungskriteriumverschoben.

Für die Untauglichkeit der materialen monistischen Ansätzen zur Feststellung der

Garantenpflichten sprechen andererseits ihre konturlosen Definitionen. Diese Kritik

wendet sich an erster Stelle gegen das Vertrauensprinzip, weil das

Abhängigkeitsverhältnis des rechtmäßigen Vorverhaltens sich auf einen veränderten

Begriffsinhalt – „sozialer Zwang zur Gefahrenhinnahme“221- stützen muss. Auch

BrammsenÜberlegungführtnichtweiter,damitderAnsicht,derGarantseiStrafbar,

weil er mit seiner Vortat einer Verbotsnorm verletzt habe222, die Reichweite der

Verbotsnormwillkürlichausgedehntwird.

Wird die Theorie der Gefahrschaffung näher betrachtet, so bestehen auch

grundsätzlicheBedenkengegenihrenAnspruchaufVollständigkeit.DieBehauptung,in

allen Garantenstellungen stecke eine rudimentäre Gefahrschaffung als

219Schünemann,FS-BGHIV,S.640.220Arzt,JA1980,S.650.221Welp,VorangegangenesTunalsGrundlageeinerHandlungsäquivalenzderUnterlassung,S.215.222Brammsen,DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.130.

Page 49: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

49

Begehungselement223,gerätinSchwierigkeiten,wennsiemitderGarantenpflichtkraft

Übernahme konfrontiert wird. Gegen Welps Ansatz ist bei diesen Fallgruppen zu

beachten, dass die Gefahrschaffung sich erst aus der nicht nachgegangenen

Rechtspflicht ergibt; aus der Übernahme selbst entsteht keine Gefahr für das

Rechtsgut224undinfolgedessenkeineGarantenstellung.

AlsZwischenergebniskanndaher festgehaltenwerden,dasseinunddasselbePrinzip

nicht in der Lage ist, alle Arten von Garantenstellungen zu umfassen und sie

ausreichendzubegründen.DieseErkenntnismussberücksichtigtwerden,umdieFrage

derPflichtbindungenrechtlichfundiertbeantwortenzukönnen.

Aberessollauchdaraufgeachtetwerden,dasseinigedogmatischeKonstruktionender

Unterlassungsdeliktedazubeigetragenhaben,dieBestimmungderPflichtdeshalbzu

erschweren, weil bezüglich der Gleichstellungsfrage nicht auf den richtigen

systematischen Standort abgestellt wurde. Dies ist z. B. der Fall, wenn man eine

GarantenstellungmitdemRekursaufpersönlicheFähigkeitenbegründenwill,alsomit

Merkmalen, die der Pflichtwidrigkeit entsprechen225. Aus diesem Grund ist es

notwendig, zuerst auf die Frage nach dem systematischen Standort der

Gleichstellungsproblematik einzugehen, bevor wir uns mit der Bestimmung der

Garantenstellungauseinandersetzen.

I.SystematischerStandortderGleichstellungsfrage

UmdenTäterzurstrafrechtlichenVerantwortungdurchUnterlassenziehenzukönnen,

mussernach§13rechtlichdafüreinstehen,dassderErfolgnichteintritt.Damitistein

formellesErfordernisfürdieBestrafungdesjenigen,dereinebesondereBeziehungzu

demRechtsgutinnehat,gesetzlichverankert.

Unabhängig davon, dass diese Regelung uns zur Bestimmung der Anforderungen an

eine Garantenstellung nicht weiterhilft, postuliert sie einen wichtigen

223Arzt,JA1980,S.560.224Blei,FS-H.Mayer,S.137:„AuchdieanderGefahrherbeiführungorientierteAuffassungderIngerenzwirddiesenFällennichtgerecht,weilesdiesesKriteriuminsunverbindlichFloskelhafteverschwimmenlassen[…]“.Vgl.auch,Sangestedt,GarantenstellungundGarantenpflichtvonAmtsträgern,S.265f.225Walter,DiePflichtendesGeschäftsherrenimStrafrecht,S.103ff.

Page 50: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

50

normtheoretischenStützpunktfürdieKonturdesUnterlassungstatbestandesundzeigt

ebenfallsdensystematischenStandortderGleichstellunsproblematik.

Nagler hat bereits den dogmatischen Versuch unternommen, die

Garantenstellungproblematik in der Tatbestandshandlung vorzulegen226. Nach dieser

Meinungunterscheidetsich„dieStrukturderKommissiondurchUnterlassung[…], in

nichts von dem normalen Begehungsverbrechen“227, mit der Folge, dass die

besonderenMerkmalendesGarantenauchdemTatbestandzuentnehmensind.

Inkonsequent ist jedoch Nagler, wenn er an anderer Stelle eine andere Meinung

bezüglich des Unterlassungstatbestandes vertritt: „Der Aufbau der unechten

Unterlassungsverbrechen weicht nur an dieser Stelle von den normalen

Begehungsverbrechen ab; die Weiterentwicklung (Verursachen des Erfolges,

Rechtswidrigkeit,Schuld) läuft fürbeideFormenderBegehunggleichmäßigab. Jeder

Gedanke an quantitative oder gar qualitativeUnterschiede hinsichtlich derweiteren

Verbrechenselemente ist von vornherein abzuweisen; jede solche Differenzierung

würdezurFehlerquellewerdenmüssen“228.

ObwohlmanNaglers Ausgangspunkt, die Garantenstellung sei in den Tatbestand zu

verlegen,fürrichtighaltenkann,werdendieBedenkengegendiesenAnsatzsichtbar,

wennerdarausdieKonsequenzzieht,dasseinundderselbeTatbestanddieMerkmale

des Begehungs- und desUnterlassungsdelikt enthält. Abgesehen davon, dassNagler

selbst diese Schlussfolgerung relativiert229, ist es fehlerhaft hierbei den besonderen

CharakterderunechtenUnterlassungsdeliktenichtzuerkennen.

Wie bereits oben gezeigt wurde, besteht das unechte Unterlassungsdelikt aus

normtheoretischer Sicht aus drei Verweisungselementen, mit denen erst eine neue

(Unterlassungs-) Norm gebildetwerden kann. Dass die Tatbestände des Besonderen

Teils des StGB als Unterlassungstatbestände formuliert werden können, bedeutet

nicht,dassdieMerkmalevonVerbots-undGebotsnormsichmiteinanderidentifizieren

lassen,denndieBildungderUnterlassungsnormbestehtauchausanderenElementen.

226 „Der richtige Standort ist die Tatbestandshandlung,wenn anders es sichwirklich umdie ErfüllungeinesBegehungstatbestandeshandelt[…]“.Nagler,GS111,S.51ff.227Nagler,GS111,S.69.228Nagler,GS111,S.54.229Nagler,GS111,S.54.

Page 51: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

51

Kaufmann verdeutlicht diesen Einwand wie folgt: „Die Garantenstellung ist kein

ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des Begehungsdelikts (sondern ein Erfordernis

des Tatbestandes des [unechten] Unterlassungsdelikts). Dann aber erfüllt eben die

unechteUnterlassungnichtdenTatbestanddesBegehungsverbrechens,sonderneinen

anderenTatbestand,ebendendesunechtenUnterlassungsdelikts“230.

Trotz der Kritik ist Nagler insofern Recht zu geben, als die Problematik der

Garantenstellung dem Tatbestand unterfällt, und zwar ausschließlich einem

Unterlassungstatbestand,welchereinGebotzurErfolgsabwendungzumInhalthat.

Gehenwirdavonaus,dass sowohldieBegehungs- als auchdieUnterlassungsdelikte

dieselbe Struktur aufweisen, sodass bei ihnen die Norm- und Pflichtwidrigkeit

bestimmte normtheoretische Funktionen erfüllen, dann müssen wir die logische

Schlussfolgerungziehen,dassdieBestimmungderNormwidrigkeiteinesUnterlassens

diebesonderenMerkmaleeinesUnterlassungstabestandesvoraussetzt.

DenwichtigstenEinwandgegendieseSchlussfolgerunghatFreundmitderfolgenden

Aussage dargestellt: „Der Siegeszug des Tatbestandsmerkmales ,Garantenstellungʻ

beruhtimWesentlichendarauf,dassdieserBegriffnichtsweiteralseineformaleHülse

ist, mit der mehr schlecht als recht der Umfang der Unterlassungsstrafbarkeit dem

Rechtsgefühl entsprechend ausgestaltet werden kann; er ermöglicht praktisch alle

Lösungen – zwingt aber zu so gut wie keiner. Daher vermag er sich so lange zu

behaupten – als Etikett, mit dem im Grunde beliebige Gleichstellungskriterien

versehen werden können. Denn daß das – angebliche – Tatbestandmerkmal der

GarantenstellungdiewechselvolleGeschichtederDogmatikdesBegehungsdelikts so

unerschütterlich überstanden hat, obwohl es die ganze Zeit hindurch die

Begehungsgleichwertigkeitverbürgensollte,kannnüchternbetrachtetdochwohlnur

einenGrundhaben:Dieses,Tatbestandsmerkmalʻistsonichtssagend,dassespraktisch

mitbeliebigenInhaltausgefülltwerdenkann“231.

Dagegenmussmanabervorerst sagen,dassdasProblematischeanFreundsKritik in

der Nichtanerkennung der Garantenstellung als normative Voraussetzung für die

Konstitution eines Unterlassungsgebots besteht. Dass die Garantenstellung eine

230Kaufmann,DieDogmatikderUnterlassungsdelikt,S.255.(KursivimOriginal)231Freund,ErfolgsdeliktundUnterlassen,S.43.

Page 52: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

52

formaleHülsesei,sprichtnichtdagegen,dassihreMerkmalefürdenTäterexantezu

erkennensind,unabhängigdavon,ober inderkonkretenSituationderNorm folgen

kannodernicht.

Mit dem Verorten der Gleichstellungsproblematik im Tatbestand gewinnt man eine

entscheidende Erkenntnis zur Legitimation der Garantenstellung: Was verhindert

werden soll,muss dem Täter auf der tatbestandlichen Ebene zugänglich sein; ob er

tatsächlich inderLagewardasgeboteneTunzuerfüllen, isteineganzandereFrage,

der die Pflichtwidrigkeit entspricht. Man kann zum Beispiel232 nicht von vornherein

eine Garantenstellung des körperlichen behinderten Vaters zur Rettung seines

ertrinkendenKindesdeshalbausschließen,weil erdurcheigenesHandelndenErfolg

nichtabwendenkann.

DiesesystematischeEinordnungderNormwidrigkeitdesUnterlassensermöglichtesin

den beiden genannten Fällen, dem Garant die Normwidrigkeit außerordentlich

zuzurechnen,obwohlesdemTäterphysisch-realunmöglichwar,einzuschreiten.Diese

von Hruschka233 entwickelte Konstruktion der Zurechnung wird aber in die

Pflichtwidrigkeit verlagert, wo sich die Frage nach der Subsumtion nicht mehr

beantwortenlässt.

DieseSchlussfolgerunghateinewesentlicheBedeutung fürdieGarantenstellungdes

Betriebsinhabers,denndanachisthierbeinichtrelevant,obderBetriebsinhaberfähig

war, das strafbare Verhalten seiner Angestellten zu verhindern um eine

Garantenstellungzubejahen.Mithinsollz.B.aufKriterienwieOrganisationsherrschaft

oderBefehlsgewalt234zurLegitimationeinerGarantenstellungverzichtetwerden.

II.InhaltderGarantenstellung

232Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.122.233Hruschka,StrukturenderZurechnung,S.13ff.234JüngstauchkritischRoxin,FS-Beulke,S.244:„AufdasWeisungsrechtalleinundseinedominierendePositionimBetriebkannalsoeineGarantenstellungdesGeschäftsherrennichtgestütztwerden“.

Page 53: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

53

Unabhängig von der Diskussion, dass die Organisationsherrschaft und die

Befehlsgewalt als Elemente der Erfolgsabwendungsmöglichkeit fungieren könnten,

reichen sie jedoch für die tatbestandliche Begründung einer Garantenstellung nicht

aus. Spring hat zu Recht diese Kritik imAnhang des § 323c StGB so geäußert: „Wie

schon aus der Existenz des § 323c StGB deutlich wird, führen selbstmonopolartige

Rettungsmöglichkeiten nicht ohne Weiteres zu einer Haftung aus unechten

Unterlassungsdelikt“ 235. Um den Inhalt einer Garantenstellung zu bestimmen,muss

demnach also nicht nach der generellen236 oder individuellen237 Handlungsfähigkeit

desUnterlassungstätersgefragtwerden.

1.GegenstandderGebotsnorm

Die Feststellung des Inhalts der Garantenstellung, die mit der Problematik des

normwidrigen Verhaltens gleichzusetzen ist, hat also die Anwendung eines Erfolges

zum Gegenstand, und zwar ob das Verhalten die Eigenschaft aufweist, einen Erfolg

nichtverhindertzuhaben.238EinigeAutoren239vertretenjedochdieMeinung,dassdas

Gebot die Vermeidungmissbilligter Gefahrschaffung zumGegenstand hat. Demnach

sei das eigentliche rechtliche Gebot vielmehr inhaltlich auf die Verpflichtung zur

Abwendung ganz bestimmter Gefahren bzw. genauer: „auf die Verpflichtung zur

Vermeidung ganz bestimmter Möglichkeit schadenträchtiger Verläufe gerichtet und

kannoftaufverschiedeneWeisegleichermaßenerfülltwerden“240.

Dass ein Gebot, im Gegensatz zu dem Verbot, keine bestimmte Handlung

vorzunehmenverlangt,istevident.Philippshatbereitsdaraufhingewiesen,„[…],dass

bei einem Gebot die Möglichkeit normgemäßen Verhaltens von der jeweiligen

235Spring,DiestrafrechtlicheGeschäftsherrenhaftung,S.128.236Jakobs,AT,§29Rn10:„DerTätermußabstraktfähiggewesensein,denErfolgdurcheineHandlungabzuwenden“.237 Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 56 ff.; Schünemann, Grund und Grenzen der unechtenUnterlassungsdelikte,S.217ff;ders.,UnternehmenskriminalitätundStrafrecht,S.98ff.238Kindhäuser,GefährdungalsStraftat,S.53.239 Freund, Erfolgsdelikte und Unterlassen, S. 71 ff; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten undZurechnungdesErfolgs, S.70 ff; Jakobs,AT,§7Rn.36;Walter,DiePflichtendesGeschäftsherren imStrafrecht,S.118ff.;Stree,FS-H.Mayer,S.145ff.;Seelmann,GA1989,S.247.240Freund,ErfolgsdelikteundUnterlassen,S.77.

Page 54: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

54

Situationabhängig ist“ 241.HierzumussnurnochentgegenderherrschendeMeinung

gesagtwerden,dassdieÜberprüfungdergeeignetenErfolgsabwendungshandlungauf

derEbenederPflichtwidrigkeitalsZurechnungerfolgensoll.

2.DieGefahralsInhaltderNorm?

Fundamentaler ist dennoch die Frage, ob sich die „Vermeidung einer missbilligten

Gefahrschaffung“als InhaltderNormmitdemhierdargestelltenModellvereinbaren

lässt oder, im normtheoretischen Sinne gefragt, ob sich dieGefahr alsMerkmal des

Unterlassungstatbestands konfigurieren lässt. Will man auf die missbilligte

Gefahrschaffungzurückgreifen,wieeinTeilderLiteratur242eskonzipiert,würdeman

dadurch die Konturen einer Garantenstellung sprengen, weil so ein

Erfolgsabwendungsgebot in ein Gefahrenabwendungsgebot umgewandelt wird.Was

dieGebotsnormuntersagtistdahernichtdieGefährdungdesgeschütztenRechtsguts,

sondernausschließlichdieNicht-VerhinderungdestatbestandmäßigesErfolges243.Die

Gebotsnorm lautet daher „rette dieses Gut“ und nicht „rette dieses Gut nur bei

missbilligterGefahrschaffung“.

3.ErlaubtesRisiko

241 Philipps, Der Handlungsspielraum, S. 66.; ähnlich Seelmann, GA 1989, S. 250: „Während VerbotenämlicheineGrenzeziehen,gebenGeboteeinZielan“.242Stree,FS-H.Mayer,S.145ff.;fürRoxin,AT,§11Rn.47:„EinvomHandeldenverursachterErfolgistdemobjektivenTatbestandnurdannzuzurechnen,wenndasVerhaltendesTäterseinenichtdurcheinerlaubtes Risiko gedeckte Gefahr für das Handlungsobjekt geschaffen und diese Gefahr sich auch imkonkretenErfolgverwirklichthat“.Ähnlich,Frisch,VorsatzundRisiko, S.120: „»Tatbestandmäßig« imSinne der Erfolgsdelikte sind damit nur solche Verhaltensweisen, die nach den Umständen desEinzelfallesmitBezugaufeinGutsobjektdergeschütztenArtdieMöglichkeiteinerHerbeiführungdesunwertigenErfolgsinsichtragen“.(KursivimOriginal)243Kindhäuser,GefährdungalsStraftat,S.53:„EinVerhalten,dasdieseBedingungennichterfüllt,kannbegrifflichnichtalsunvereinbarmitder(undnurmitder)Normbezeichnetwerden,derenKontradiktionderTatbestandist“.

Page 55: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

55

Aus dem kategorialen Fehler der Gefahrabwendung als Merkmal des

Unterlassungstatbestandes, wonach geboten ist, die gefährdende Handlung zu

unterlassen,ergibtsichhierfüreinweiteresProblem,wennmansomitdemerlaubten

Risiko tatbestandliche Relevanz geben will. Demnach kann Garant zur Abwendung

schädigenderErfolgenur sein,wer sich imRahmendeserlaubtesRisikobewegt;mit

denWortenJakobs:„EineSituation,dieeinTäterhandelnderlaubtherbeiführendarf,

musserauchnichtabwenden“244.

Dass das erlaubte Risiko ein entscheidender Faktor für die Abgrenzung einer

GarantenstellungvorallembeiFahrlässigkeitsdelikten ist, kannmannichtverneinen.

AbergeradeindieserFunktionliegtdieSchwächedieserAuffassung.DasRisikoistzu

kurz umeineGarantenstellung zubegründen, aber erforderlichumdenUmfangder

Garantenstellungzudeterminieren.245

4.ex-anteFeststellungderInhaltsnorm?

MitdieserKritikistabervorerstdieProblematikderBestimmungderGarantenstellung

aufderEbenederNormwidrigkeitnochnichtüberwunden,dennzudiesemZweckist

es nötig zuerst auf die Frage einzugehen, ob dieNormwidrigkeit ex-ante festgestellt

werden kann. Positiv wird diese Frage von einem bedeutenden Teil der Literatur246

beantwortet.Frisch,einerderHauptvertreterdieserMeinung,stelltdiesbezüglichdie

folgendeÜberlegungauf: „Voneinem»tatbestandmäßigenVerhalten« imSinneder

ErfolgsdeliktekannnachallemBisherigennurdieRedesein,wenndieBeurteilungdes

Verhaltens auf der Basis der ex ante erkennbaren Umstände und des ex ante

verfügbaren normologischesWissens ergibt, dass demVerhalten ein – im Sinne des

244Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.19.,ders.überdieBegründungdeserlaubtenRisikos,strafrechtAT,§7Rn.35ff.;soauchSeelmann,GA1989,S.247.245Vgl.Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.189ff.Anders,Walter,DiePflichten des Geschäftsherren im Strafrecht, S. 121, Fn. 508: „Die Verhaltensnorm verlangt vomGaranten,dasRisikoderdrohendenRechtsverletzung zuverringern (sonstwirdeinmißbilligtesRisikogeschaffen),wiesiebeimTunverlangt,auchkein(unerlaubtes)RisikoeinernurmöglicheVerletzungzuschaffenoderzuerhöhen.“246Frisch, TatbestandmäßigesVerhaltenundZurechnungdesErfolges, S.33,71, ff.;ders.VorsatzundRisiko,S.128ff.;Freund,ErfolgsdeliktundUnterlassen,S.122ff.;Rudolphi,DasKorrespondenzprinzipimStrafrecht,S.46;Mikus,DieVerhaltensnormdesfahrlässigenErfolgsdelikts,S.28ff.

Page 56: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

56

bisher gesagten – konkretes Risiko tatbestandsrelevanter Erfolgseintritte bzw. die

ErhöhungeinessolchenRisikoseignet“247.

Dieser Rekurs auf die ex ante Betrachtung erweist sich als unbestimmbar zur

FeststellungeinesnormwidrigenVerhaltens248.DennderTäteristnichtinderLageex-

antezuerkennen,wanneinVerhaltengeeignetisteinenErfolgherbeizuführen249.

Dasbesagtabernicht,dassex-antenichtfeststeht,wieeinVerhaltennichtursächlich

sein soll. „Es kann nunmehr oderweniger offen sein, ob ein bestimmtes Verhalten

ceteris paribus eine Verletzung verursacht. Das Urteil über die Erfolgsrelevanz kann

aberdieNormdemAdressatennichtdadurchabnehmen,dasssieihmdieAusführung

einernichtverletzungsgeeignetenHandlungvorschreibt“250,soKindhäuser.

5.Zusammenfassung

Ausdembishergesagtenlässtsichzusammenfassen,dassdieFeststellungdesInhalts

derGarantenstellungaufdieProblematikdesnormwidrigenVerhaltenszurückgeführt

werdenkann.NurdieAbwendungeinesErfolgeserweistsichhierbeialsGegenstand

einerGarantenstellung.

247Frisch,VorsatzundRisiko,S.128;ders.,TatbestandsmäßigesVerhaltenundZurechnungdesErfolges,S.76,121ff.248 Vgl. Burkhardt, in: Wolter/Freund (Hrsg.) Straftat, Strafzumessung und Strafprozess im gesamtenStrafrechtssystem,S.43ff.249 Mañalich, Nötigung und Verantwortung, S. 59; Vogel, Norm und Pflicht bei den unechtenUnterlassungsdelikten,S.54f.;zutreffendbeiVerbotsnormen,Kindhäuser,GefährdungalsStraftat,S.61Fn.29:„DieNormdürfenichtlauten:«esistverbotenzutöten»,sondern:»esistverboten,sichineinerWeise zu verhalten, die nachAnsicht eines (wie auch immer beschaffenen) Beobachters geeignet ist,eineTötungzuverursachen“.250Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 169. Ähnlich,Burkhardt, in:Wolter/Freund (Hrgs.) Straftat,StrafzumessungundStrafprozess imgesamtenStrafrechtssystem, S. 133: „Es trifft insbesonderenichtzu, daß die Bedürfnisse der Normbildung vernachlässigt werden, wenn man die Gefahrschaffungzunächst (imRahmendesobjektivenTatbestandes) ausder ex-post-Perspektivebeurteilt undaufderEbenedessubjektivenTatbestandesdannannimmt,alleinderdemTäterbekannteRealitätsausschnittsei maßgeblich“. Auch Mañalich, Nötigung und Verantwortung, S. 60, 61: „Die Tatsache, dass derAdressat ex ante in der Lage sein muss, die (Konkrete) Möglichkeit der Erfüllung der relevantenTatbeschreibung durch sein Verhalten zu erkennen, damit es ihm zurechenbar sei, kann jedoch nichtbesagen,dassVerbotsgegenstandkeineVerhaltensweisenseinkönnte,dieetwaalsVeränderungeinesbestimmtenZustands,nämlichalsVerursachungeinesErfolges,beschriebenist“.

Page 57: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

57

Um den zu verhindernden Erfolg zu identifizieren, muss man zu allererst auf die

Merkmale der gebildetenUnterlassungsnormbeachten.Hierbei stellt sich die Frage,

obdiemissbilligteGefahrschaffungalsBestanteilderNormfungierenkann.Nachder

heute herrschenden Meinung soll diese Frage bejahend beantwortet werden.

AllerdingsbeginntdieSchwierigkeitdieserAuffassungschonmitderAusdehnungder

Norm, denn somit wird ein Erfolgsabwendungsgebot in ein

Gefahrenabwendungsgebotumgewandelt.

Andererseits erscheint die Antwort auf die Frage nach der Bedeutung des erlaubtes

Risikos zur Begründung eine Garantenstellung einfach: das Risiko legitimiert

ausschließlichdiePflichtwidrigkeiteinesVerhaltens.

UmeinnormwidrigesVerhaltenfeststellenzukönnen,vertritteinüberwiegenderTeil

derLiteraturdieMeinung,dasssienurmitdemRekursaufeineex-anteBetrachtung

durchgeführt werden kann. Freilich hat sich dieser theoretische Rekurs als

unbefriedigenderwiesen,denneinVerhaltenistnurgebotenoderverboten,ohnedie

ex-anteoderex-postBetrachtungzubeachten.

III.MaterielleLegitimationeinerGarantenstellung

DieFeststellungdesInhaltseinerGarantenstellungimpliziertnichtnurdieBestimmung

ihres Gegenstandes,derhiernachmitderAbwendungeinesErfolgesübereinstimmt,

sondern ineinemzweitenSchritt auch ihre rechtlichmaterielle Legitimation.Hierbei

gehtesdarum,dieAdressatenderUnterlassungsnormherauszufindenundihrenKreis

abzugrenzen. Diese Problematik, die von der überwiegenden Literatur251 als

Garantenquelle oder Entstehungsgründe der Garantengebote bezeichnet wird,

versuchtdenGrundderNormendogmatischzupräzisieren.

251Jakobs,AT,§29Rn.26,ff.;Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.125.;Walter,DiePflichtendesGeschäftsherrenimStrafrecht,S.91.;Freund,ErfolgsdeliktundUnterlassen,S.159ff.

Page 58: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

58

In der Tat ist heute im Grundsatz unstreitig und allgemein anerkannt, dass allein

moralische oder sittliche Kriterien unzureichend sind252, um eine besondere

Rechtspflicht zum Handeln begründen zu können. Hier endet aber der dogmatische

Konsens. Höchst umstritten ist jedoch ob monistische Ansätze eine adäquate

Begründung einer Garantenstellung anbieten. Hiergegen wurde bereits eingewandt,

dass sie aufgrund ihrer konturlosen Definitionen und ihrem Anspruch auf

Vollständigkeit nicht in der Lage sind, alle Arten von Rechtspflichten erfassen zu

könnenundsieausreichendzulegitimieren253.

1.DualistischeKonzeptionen

1.1.Kaufmann

Eine der wichtigsten und noch heute herrschenden Legitimationsmodelle der

Garantenstellung254 hat Armin Kaufmann mit seiner materiellen Funktionslehre

begründet. In diesem hat er den Versuch unternommen den Norminhalt über den

Rechtsgüterschutz zu bestimmen. Demnach hängt die Garantenstellung von der

SchutzpositiongegenübereinemRechtsgutab,dieinzweiRichtungengehenkann:Die

Garantenposition kann zum Schutze eines ganz bestimmten Rechtsgutes gegen alle

Angriffe, gleich auswelcher Richtung diese kommen bestehen, oder sie kann in der

Überwachung einer bestimmten Gefahrenquelle bestehen, gleichgültig, welchen

konkretenRechtsgüternimeinzelnenimEinzelnenausdieserQuelleGefahrendroht.

255

252BereitsinderRechtsprechung,RGSt64,273,275;66,71,73;BGHSt7,268(271);BverGE96,68,98;BayObL JR 1988, 298, 299; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2001, 112, 114. Auch die Literatur, NK-Wohlers/Gaede, 13/29; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts AT, §59 IV 2; Vogel, Norm undPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.125;Kindhäuser,StrafrechtAT,§2Rn.3253 Sangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflicht von Amtsträgern, S. 262 ff.;Vogel, Norm undPflicht bei den unechten Unterlassungsdelikten, S. 353 ff.; Grünewald, Zivilrechtlich begründeteGarantenpflichtenimStrafrecht?,S.22;Stree,FS-H.Mayer,S.158;Kaufmann,LebendigesundTotesinBindingsNormtheorie,S.114ff.254Kindhäuser,StrafrechtAT,§36,Rn.52ff.;Jescheck/Weigend,LehrbuchdesStrafrechtsAT,S.620ff.;NK-Wohlers/Gaede,§13,Rn.32;SK-Rudolphie/Stein,§13,Rn.23;auchdieRechtsprechungz.B.BGHSt48,77(91f.);OLGKarlsruheNStZ-RR1990,S.112(114);OLGSaarbrücken,NStZ1992,S.387(388).255Kaufmann,DieDogmatikderUnterlassungsdelikte,S.283ff.

Page 59: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

59

Diese Unterteilung zwischen Obhuts – oder Beschützergarant und Sicherungs- oder

Überwachergarant wurde allerdings sehr intensiv kritisiert weil dieses

Legitimationsmodell allerhöchstens eine Katalogisierung der Garantenpositionen

ermöglicht256, nicht aber denGrund derGarantenstellung benennt257. Zudemwurde

dagegenvorgebracht,er konkretisiereauchnichtdenGrund, InhaltundUmfangder

jeweiligen Garantenpflichten. Jakobs hat zu Recht auch darauf hingewiesen, dass

Kaufmanns Theorie unterMängeln an Klarheit leidet, denn die Pflichten lassen sich

sowohl zum Schutz eines Rechtsguts wie auch zur Sicherung einer Gefahrenquelle

beliebig austauschen. Dies wird mit dem folgenden Beispiel verdeutlicht: „Ist der

Bademeister Beschützer der Gäste vor denGefahren desWassers oder Überwacher

dieserGefahr?“258.

Allerdings kann man nicht geleugnet werden, dass sie nicht nur eine wichtige

Systematische Bedeutung hat, sie bietet auch ein rechtliches Kontur für die

Bestimmung einer Garantenstellung. Ob der Bademeister in Beschützer- und

Überwachergarantaustauschenlässt259,schließtnichtaus,dassderTäterdiekonkrete

Gefahr für das Opfer abwenden muss. Die sogenannten Doppelfunktionalität der

Handlung,wonachder„GarantmitdempotentiellenSchädigerunddempotentiellen

OpferineinemSystemverbundenist“260,kannhierdeshalbangewandtwerden,weil

häufigeinerPersonmehrereGarantenpflichtenobliegen261.

AuchArzthatsichKaufmannsAnsatzmitdenfolgendenÜberlegungenangeschlossen:

„BeimBademeisterstehtdieallgemeineSicherungdesBadebetriebsunddamitseine

StellunggegenüberderGemeindeimVordergrund.OberwegenseinerÜberwachung

des gefahrbringenden Badebetriebs an der gesetzlichen Verkehrssicherungspflicht

wegenEröffnungeinesgefährlichenBetriebspartizipiertundals,Bewacher‘anzusehen

ist oder ob sich seinePflichten als Beschützer einesGefahr geratenenGastes (auch)

aus dem Vertragsverhältnis Schwimmbadbenutzer/Gemeinde ableiten lassen, kann

dahingestelltbleiben.Hier–wieüberall–istdieTrennungBeschützer/Bewacherzwar

256Stratenwerth,Strafrecht,§13Rn.15;Vogt,ZStW63(1951),S.394ff.;Seebode,FS-Spendel,S.333.257Vgl.Kindhäuser,StrafrechtAT,§36Rn.50.258Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.27.259Manbesagtauch,dasssichdiebeidenArtenderGarantenstellungenimEinzelfallüberschneiden,vgl.Kühl,JuS2007,S.479.260Philipps,DerHandlungsspielraum,S.150;Arzt,JA1980,S.654.261NK-Wohlers/Gaede,§13Rn.37.

Page 60: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

60

hilfreich, weil sie den Blick auf Gefahrenquellen und potentielle Opfer lenkt, doch

ergebensichausderAufspaltungkeinefundamentalenKonsequenzen.Deshalbistdie

EinordnungindieeineoderandereKategorieindenzahlreichenGrenzfällenunnötig.“

262

Aus der materiellen dualistischen Konzeption von Kaufmann kann man eine erste

theoretische Basis für die Bestimmung einer Garantenstellung gewinnen. Sie muss

jedochergänztundweiterentwickeltwerden,weiles–wiesicheinTeilderLiteratur

zutreffend demgegenüber kritisch263 geäußert hat - diesem Begründungsmodell an

KlarheitüberdieRechtspflichtmangelt.

1.2.Seelmann

Den Versuch Kaufmanns Modell der Garantenstellung zu überwinden haben viele

Dogmatiker mit Hinblick auf dualistische Ansätze unternommen. Seelmann264 zum

Beispiel führt sein Begründungsmodell auf zwei Fallgruppen zurück: Eine

PflichtbegründungauseigenemVorverhaltenunddiePflichtaussozialerOrdnung.Die

erste Fallgruppe gilt „nur, soweit dieses Vorverhalten zurechenbar ist. Eine lediglich

objektiv verursachte Gefahr oder eine nur objektiv verursachte Entziehung der

Abwehrbereitschaft, eine Gefahrzuständigkeit allein kraft konsensunabhängiger

RechtsnachfolgeodereinebloßeOrganisations-undInstitutionszugehörigkeitreichen

also nicht aus“ 265. Die ZweiteGruppe gilt „für diejenigen familiären und staatlichen

Pflichten, die Bedingungen der Möglichkeit eines auf Handlungsverantwortung

gründendenSystemsvonHandlungspflichtensind“266.

1.3.Schünemann

262Arzt,JA1980,S.654.263Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.27;NK-Wohlers/Gaede,§13Rn.2;Schünemann,ZStW96(1984),S.305;Schönke/Schöder-Stree/Bosch,§13Rn.9;Freund,ErfolgsdelikteundUnterlassen,S.43.264Seelmann,GA1989,S.253.265Seelmann,GA1989,S.253.266Seelmann,GA,1989,S.256.

Page 61: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

61

Obwohl Schünemann seine Garantentheorie im allgemeinen auf das Kriterium

„HerrschaftüberdenGrunddesErfolges“267alsoberstesLeitprinzipzurückführt,ergibt

sichdarausaucheinunterteilterdualistischerAnsatz,dervonRoxin268als„Herrschaft

über die Hilfslosigkeit des Rechtsgutes“ und „Herrschaft über den Gefahrenherd“

präzisiert und weiterentwickelt wird. Demnach entsprechen dem ersten

Begründungselement, auch Schutz- oder Obhutsgarantenstellung genannt, die

familiären oder familienähnlichen Schutzbeziehungen269, die Übernahme sonstiger

Schutzfuktionen270 und die Schutzpositionen auf Grund von Organstellungen und

Amtsträgerpflichten271. Dem zweiten Begründungskriterium, auch Überwachungs-

oder Sicherungsgarantenstellung genannt, gehört die Pflicht zur Überwachung

gefährlicher Sachen im eigenen Herrschaftsbereich272, die Pflicht zur Sicherung der

AllgemeinheitvorrechtswidrigenTatenDritter273unddiePflichtzurErfolgsabwendung

aufGrundvorangegangenenTuns274an.

1.4.Jakobs

Auch JakobsgehtvoneinemdualistischenGarantenmodellaus.AusdemSynallagma

„Verhaltensfreihet und Folgenverantwortung“275 leitet er die Haftung aus

Organisationszuständigkeit276 und Haftung kraft institutioneller Zuständigkeit277 her.

Während sich die Pflichten kraft Organisationszuständigkeit an der Vermeidung

rechtgutsverletzender Außenwirkungen des eigenen Organisationskreises des Täters

orientieren278, stammen die Pflichten institutioneller Zuständigkeit aus einer

267Schünemann,Unternehmenskriminalität,S.95ff.;ders.ZStW96(1984),S.294ff.;ders.wistra1982,S.43.268Roxin,StrafrechtAT,B.II,§32Rn.17ff.269Roxin,StrafrechtAT,B.II,§32Rn.33ff.270Roxin,StrafrechtAT,B.II,§32Rn.53ff.271Roxin,StrafrechtAT,B.II,§32Rn.77ff.272Roxin,StrafrechtAT,B.II,§32Rn.108ff.273Roxin,StrafrechtAT,B.II,§32Rn.125ff.274Roxin,StrafrechtAT,B.II,§32Rn.143ff.275Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.58.276Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.29ff.277Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.57ff.278Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.29ff.

Page 62: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

62

institutionell abgesicherten Solidarität, die für den gesellschaftlichen Bestand von

elementaremGewichtseien.279

1.5.Kindhäuser

In Übereinstimmung mit dem Ergebnis von Jakobs, wenngleich mit abweichender

Begründung, stellt Kindhäuser280 zwei kategorial verschiedene Pflichten dar:

heteronome und autonome Gründe. Heteronom sind demnach „alle kraft Gesetzes

oderInstitutionbegründetenÄußerungspflichten,diederAdressatzuerfüllenhat,ob

erdieswillodernicht […].DemgegenübersindautonomeWahrheitspflichtensolche,

dievomWillendesAdressatenabhängenunddieKehrseiteinAnspruchgenommenen

Vertrauensind,wobeiwiederumzwischenzweiFormenzuunterscheidenist:zwischen

der unmittelbaren Inanspruchnahme vonVertrauens zu eigenenGunsten gegenüber

bestimmten Dritten und der Inanspruchnahme von Modalitäten des

Geschäftsverkehrs, die um der Flüssigkeit und allseitigen Vorteilhaftigkeit willen

(spezifische)UnwahrheitsrisikendurchbesonderenVertrauensschutzkompensieren.“

2.Stellungnahme

AnderAuseinandersetzungumdieGarantenstellung lässt sichnununschwerzeigen,

dasshierbeiEinigkeitüberdiedualistischeArtenvonPflichten-besteht.Unstrittig ist

auch prinzipiell, dass u. a. die Ehe, das Eltern-Kind-Verhältnis, oder die

Verkehrspflichten eine Garantenstellung begründen, unabhängig von den jeweiligen

Auslegungsansätzen. Insgesamt lässt sich in einem grundlegenden Kernbereich die

ÜbereinstimmungvonProblemlösungenerkennen281.

Einer Theorie der Garantenstellung, die sich mit der hier dargestellte Normstruktur

identifiziert, soll in erster Linie auf die Unterscheidung zwischen Verbot und Gebot279Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.57ff.280Kindhäuser,ZStW103(1991),S.404;genanntauch letztensGarantkraftRisikoherrschaftundkraftinstitutioneller Fürsorge; ders. Strafrecht AT, § 36 Rn. 54 ff. Vgl. Vogel, Norm und Pflicht bei denunechtenUnterlassungsdelikten,S.354.281Roxin,StrafrechtATII,§32Rn.18.

Page 63: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

63

beachten. Dies ist bei Jakobs nicht der Fall, ihm zufolge soll diese Differenzierung

anhand der Zuständigkeit relativiert werden282. Nochmehr: „Im Ergebnis muss also

nicht nur derUnterlassungstäter, sondern auchder Begehungstäter einGarant sein,

wennerauseinemBegehungs-Erfolgsdelikthaftensoll“283.

Jakobs Ansatz ist jedoch ein Verstoß gegen die vorgegebene Konfiguration der

Normen. Je nachdem wie die Normen formuliert sind, enthalten sie Verbots- oder

Gebotsnormen, die von der Konfiguration derWortbedeutung bedingt sind.Umdas

verboteneVerhalteninhaltlichidentifizierenzukönnen,benötigtmanjedochnichtden

§13.MitseinerTheseerschafftJakobseinzusätzlichesdogmatischesProblemfürdie

Garantentheorie, das sich selbst nicht aus der Norm ergibt. Mit den Worten

Brammsens:„DurchdieEinbeziehungdesBegehungstätersindieGarantenformelwird

§ 13 StGB zur Grundnorm erweitert und der bisher einigermaßen einheitlich

verwendeteGarantenbegriffwirdinseinerBedeutungentwertetunduntergraben“284.

WillmandenHaftungsgrund rechtlich fundieren,dannmussman ihn zuallererst an

denMerkmalenderNormorientieren285.

UngeachtetdieserKritikund,vorallem,seinemfunktionalistischenImplikationen,die

von der ganz herrschenden Meinung kritisiert wurde, erscheint Jakobs

Garantentheorie als geeignet, ein adäquates rechtliches Begründungspotential

anzubieten,essollallerdingsweiterkonkretisiertwerden286.

Aus dem von Jakobs entwickelten Synallagma „Verhaltensfreiheit und

Folgenverantwortung“ ergibt sich kein konkreter Rahmen zur Begründung eines

Haftungsgrundes, es ist ein Leitprinzip, das allgemein gesehen sowohl für das

StrafrechtalsauchfüranderenRechtsbereicheGeltungfindenkann.Diesistbesonders

282 Jakobs, System der strafrechtlichen Zurechnung, S. 25 ff., ders. Strafrecht AT, § 7 Rn. 56 ff: „BeiBegehung wie bei Unterlassung mag freilich bei fehlender Organisationszuständigkeit eine HaftungwegeninstitutionellerZuständigkeitbestehen[…]“.283Jakobs,StrafrechtAT,§7Rn.58.284Brammsen,DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.142.285Schünemann,DieFunktiondesSchuldprinzipsimPräventionsstrafrecht,S.186,hatdeshalbzuRechtdarauf hingewiesen: „Jakobs leugnet nämlich ausdrücklich eine Bindung desNorminterpreten an denBedeutungskern der umgangssprachlichen Verwendung der Gesetztermini […]. Hierbei übersieht erjedochdiesog.KontextabhängigkeitderWortbedeutung,d.h.dieindermodernenLinguistikgeläufigeErkenntnis,daßdieBedeutungeinesWorteswesentlichvondemSinnzusammenhangabhängt, indemessteht.“286 Haas, Kausalität und Rechtsverletzung, S. 52; Vogel, Norm und Pflicht bei den unechtenUnterlassungsdelikten,S.354ff.

Page 64: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

64

problematisch, wenn dadurch eine zivilrechtliche Pflicht ohne weiteres auf das

Strafrechtübertragenwird287.HierfürhilftauchdieEngischeAnführungnichtweiter,

„[…], dass die Rechtsordnung im kleinen und im großen von gleichförmigen

RechtsgedankenundallgemeinenPrinzipienbeherrschtist“288,dennsomitwürdedie

besondere Aufgabenbestimmung und der subsidiäre Charakter des Strafrechts

unbeachtet bleiben. Die Bildung einer strafrechtlichen Pflicht bedarf deshalb eine

weiterePräzisierung.

Dass bei der Begründung einer Garantenpflicht die Freiheit der Menschen

berücksichtigen muss, um sie rechtlich fundieren zu können, steht außer Streit289.

Schwierigkeiten bestehenbei der (strafrechtlich) qualifizierten Pflicht, die sich selbst

nichtohneweiteresausdemSynalagmaVerhaltensfreiheitundFolgenverantwortung

ergibt. Notwendig ist hierfür ein verbindlicher Stützpunkt zwischen der

Handlungsfreiheit und dem Erfolg, nämlich die Schaffung oder Übernahme einer

defizitären Organisation, aus der das unerlaubte Risiko für andere entsteht.290 Dies

bedeutet aber nicht, dass der Garant die Herrschaft über die Organisation ausüben

muss, sondern nur, dass er die Zuständigkeit für die Nicht-Realisierung des Risikos

innehat291.ObderGaranttatsächlichdieHerrschaftüberdasGeschehenbeansprucht,

wirdalsFragederZurechnungbehandelt.

Aus diesem Verpflichtungsgrund folgt jedoch keine generelle Legitimation für alle

Arten von Garantenstellungen, wie die monistischen Ansätze unzutreffend

angenommen haben. Nicht nur die Zuständigkeit einer defizitären Organisation

legitimierteineGarantenstellung. SichausderGesellschaft ergebene Institutionen292

werdenauch teilweise vondem§13umfasst, sie dürfen jedochnicht ohneweiteres

287Seelmann,GA(1989),S.251ff.288DassdieseAussagedochfürdieBestimmungderRechtswidrigkeitgilt,stehtaußerFrage.289Jakobs,SystemderstrafrechtlichenZurechnung,S.25ff.;ders.,StrafrechtAT,§29Rn.26ff.;ders.,Die strafrechtliche Zurechnung von Tun und Unterlassen, S. 19 ff.; Seelmann, GA (1989), S. 251 ff.;Walter, Die Pflichten desGeschäftsherrn im Strafrecht, S. 108 ff.; Sangenstedt, Garantenstellung undGarantenpflichtvonAmtsträgern,S.352ff.;Kindhäuser,StrafrechtAT,§36Rn.54.290Jakobs,DiestrafrechtlicheZurechnungvonTunundUnterlassen,S.19ff.;ders.,StrafrechtAT,§29Rn.57ff.;auchVogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.364.291 Explizit dagegen, Seelmann, GA 1989, S. 253: „[…] eine bloße Organisations- undInstitutionszugehörigkeitreichenalsonichtaus“.292Jakobs,DiestrafrechtlicheZurechnungvonTunundUnterlassen,S.30ff.;ders.,StrafrechtAT,§29Rn.57ff.

Page 65: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

65

vom Strafrecht übernommen werden293, sonst würde ihr rechtlicher Standpunkt

verloren gehen294. Deswegen muss hierbei ausschließlich „[…] die Erhaltung der

unverzichtbarenElementedergesellschaftlichenGestalt[…]“295garantiertwerden.

§6BegründungderGarantenstellungdesBetriebsinhabers

I.Ausgangslage

Nach der hier dargestellten Auffassung haben sich sowohl die Zuständigkeit einer

OrganisationalsauchdieZuständigkeiteinerInstitutionalsrechtlicheBedingungenzur

LegitimationeinerGarantenstellungerwiesen.Infolgendensolluntersuchtwerden,ob

sich aus diesen Verpflichtungsgründen für den Betriebsinhaber eine Pflicht zur

VerhinderungStraftatenseinerUntergegebenerableitenlässt.

Die Rechtsprechung und die überwiegende Literatur haben eine solche

Garantenstellung anerkannt - die im Einzelnen allerdings sehr umstritten und

problematisch ist.WährenddieRechtsprechungdieTheoriederAllzuständigkeitund

der Generalverantwortung der Unternehmensleitung entwickelt hat,296 die ihr eine

flexible Reaktion auf alle möglichen Fallgestaltungen erlaubt,297 nimmt die

herrschende Literatur298 eine betriebsbezogene beschränkte Geschäftsherrenhaftung

an.

293Brammsen,DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.114ff.294Eingehend,Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.315ff.295 Jakobs, Die strafrechtliche Zurechnung von Tun und Unterlassen, S. 32. Ähnlich, Kindhäuser,StrafrechtAT,§36Rn.55:„[…]istdasdauerhafteBestehenrechtlichanerkanntersozialerBeziehungen[…]“.296RGSt24,252(254f.);33,261ff.;57,148(151);58,130(132ff.),75,296;BGHSt25,158(162f.);37,106(123f.);BGHSt57,42.InBezugaufdieGarantenstellungdesCompliance-Officers,BGHSt54,44ff.Jüngst und ausdrücklichüberGeschäftsherrenhaftung, BGH,Urt. v. 20. 10. 2011- 4 StR 71/11Rn. 13:„aus der Stellung als Betriebsinhaber bzw. Vorgesetzter [kann sich] je nach den Umständen deseinzelnen Falles eine Garantenpflicht zur Verhinderung von Straftaten nachgeordneter Mitarbeiterergeben.Diesebeschränkt sich indesaufdieVerhinderungbetriebsbezogener StraftatenundumfasstnichtsolcheTaten,diederMitarbeiterlediglichbeiGelegenheitseinerTätigkeitimBetriebbegeht.“297Mansdörfer,ZurTheoriedesWirtschaftsstrafrechts,S.322.298Bottke,HaftungausNichtverhütungvonStraftatenUntergebenerinWirtschaftsunternehmendelegelata, S. 25 ff.; Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzung der Garantenpflichten, S. 275 ff.; Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.36;Ransiek,Unternehmensstrafrecht, S36;Rogall, ZStW98 (1986),S.613 ff.;Schünemann,UnternehmenskriminalitätundStrafrecht,S.101ff.;Roxin,StrafrechtATII,§32Rn.137;

Page 66: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

66

Allerdings bieten diese Ansätze, wie bereits dargestellt, keinen ausreichenden

HaftungsgrundeinerGarantenstellungdesBetriebsinhabersan.BeidemKriteriumder

Befehlsgewalt und Organisationsherrschaft z. B. bleibt erklärungsbedürftig wie aus

demDirektionsrechtzwingendeineVerpflichtungzurVerhinderungeinerStraftatfolgt,

wenn gerade dadurch die Wirkungslosigkeit der Anordnungen bewiesen wurde299.

HiergegenbestehenauchBedenkenwegenderAblehnungeinerGarantenstellungaus

Ingerenz.300

EinanderesBeispielfüreinenichtgelungeneLegitimationderGarantenstellungistdie

vonHeine301entwickelteTheorievonVerantwortungfürbetrieblicheGefahrenquellen.

Denn die Aussage, dass bei wachsender Komplexität des Unternehmens die

Verantwortung inderKonzernspitze verbleibe, führt zueinerVerantwortung für alle

aus demUnternehmenbegangenenDelikte, ohnedie benötigteBeziehung zwischen

derunterlassendenHandlungunddemErfolg zupräzisieren.ObdieSuchenachden

„eigentlich Schuldigen“ erforderlich die Unternehmensleitung erreichenmuss, bleibt

ebensoerklärungsbedürftig.

AusalldiesenGründen,diebereitsobengezeigtwurden,sollimfolgendenuntersucht

werden,obsichdieGarantenstellungdesBetriebsinhabersaufeinanderesKriterium

stutzen lässt, das die genannte Kritik überwindet und mit dem bisher dargelegten

Grundgedanke in Einklang gebracht werden kann. Die zu findende Lösung soll sich

auchsystematischwiderspruchsfreieingliedernundkeinelogischenFehleraufweisen.

Im Lichte dieser Vorüberlegungen soll im folgenden zuerst geklärt werden, ob die

Sach-undPersonalgefahrengleichgesetztwerdenkönnen.DieseFrageistvonBelang

für die Bestimmung der Gefährlichkeit eines Angestellten und infolgedessen für die

VerhinderungseinerStraftatendurchdenVorgesetzen.AnhanddieserÜberlegungsoll

in einem zweiten Schritt untersucht werden, was unter gefährliche Organisation zu

ders.,JR2012,S.307;Tiedemann,WirtschaftsstrafrechtAT,2010,§4Rn.181ff.;Schall,FS-Rudolphi,S.267 ff.; Bosch, Organisationsverschulden in Unternehmen, S. 142 ff.; Walter, Die Pflichten desGeschäftsherren im Strafrecht, S. 140 ff.; ablehnend, SK-Rudolphi/Stein, §13 Rn. 35a; Hsü,GarantenstellungdesBetriebsinhaberszurVerhinderungstrafbarerHandlungenseinerAngestellten,S.241ff.;Schubert,SchwZStR,1976,S.385f.299Roxin,FS-Beulke,S.244.300Schünemann,GA1974,S.231ff.;ders.,UnternehmenskriminalitätundStrafrecht,S.99.301Heine,DiestrafrechtlicheVerantwortlichkeitvonUnternehmen,S.120ff.

Page 67: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

67

verstehen ist, welche Merkmale bei diesem Konzept auftauchen und ob diese

AuffassungmitdenGrundsätzenderIngerenzzuvereinbarenist.

1.GleichsetzungvonSach-undPersonalgefahren?

Sowohl in der Rechtsprechung302 als auch in der Literatur303 wird allgemein eine

Garantenstellung zur Überwachung gefährlicher Sachen anerkannt. Eine solche

Garantenstellung, die mit den aus dem Zivilrecht übernommenen

„Verkehrssicherungspflichten“ gleichzusetzen ist,304 lässt sich als Konsequenz einer

vorhergehendenGefahrschaffungableiten.305Darausergibtsichfürdiestrafrechtliche

Geschäftsherrenhaftung, dass auch ein Unternehmen als gefährliche Sache306

einzustufenist,sodassdievondemBetriebausgehendenGefahrenüberwachtwerden

müssen307. Wer also ein Unternehmen betreibt, muss dafür sorgen, dass dieses in

verkehrsgerechtem Zustand gehalten wird; zum Beispiel Durchführung von

Bauarbeiten.

Umstritten ist die Frage, ob sich diese Überlegung auf Personen übertragen lässt,

sodass sie als Gefahren behandelt werden können und infolgedessen ihre

unternehmensbezogenen Straftaten von dem zuständigen Vorgesetzten verhindert

werdenmüssen. Solltemandies bejahen,würden sie sich als geeignetermaterieller

Anknüpfungspunkt zur Fundierung einer Garantenstellung deshalb erweisen, weil

dadurch der weit umfassende Begriff der Organisationszuständigkeit anhand eines

allgemeingültigenKriteriumsbeschränktwerdenkönnte.

Gehtmandavonaus,dasseinUnternehmenein funktionierendesObjekt imHinblick

aufseineAktivitätenist,könntemanbetrachten,dassauchdieTatendernatürlichen

Personen zu diesem Objekt gehören, denn ohne sie wäre schwer vorstellbar ein

302BGHSt52,159ff.;47,224ff.303StattallernurRoxin,StrafrechtAT,§32Rn.108ff.304NK-Wohlers/Gaede,§13Rn.35;Roxin,StrafrechtAT,§32Rn.108.305NK-Wohlers/Gaede,§13Rn.35.306Tiedemann,Wirtschaftsstrafrecht,§5Rn.290.307Hierbeisindauchdie Ingerenz-FällewiederProdukthaftungzubehandeln,SoKuhlen,FS-BGHV,S.647.

Page 68: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

68

Unternehmen zu betreiben. Ein anderer Grund für die Annahme einer

GesamtbetrachtungdesUnternehmensalsGefahrenquelleistauch,dassdieSach-und

Personengefahr meistkaumvoneinanderzutrennen ist,„[…]z.B.wenntechnische

Mängel durch Wartungsfehler hervorgerufen oder potenziert werden“308. Aus den

beiden Argumenten lässt sich die Schlussfolgerung ableiten, dass die

ÜberwachungspflichtnichtnurdieunmittelbareGefahrderSache,sondernauchdes

einzelnenBetriebsangehörigenumfasst.309

Nicht überzeugend ist diese Ansicht aber, wenn sie trotz der Gleichsetzung von

Personen- und Sachgefahr die Garantenstellung des Geschäftsführers zur

VerhinderungStraftatenseinerAngestelltenaufeinezusätzlicheKonzeptionstützt,die

nicht ausschließlich mit dem Begriff der Gefahrenquelle zu tun hat. Diesen Ansatz

vertrittz.B.Schall310,indemerfürdenEntstehungsgrundaufdie„Herrschaftübereine

Gefahrenquelle zurückgreift“, nachdemer erkannt hat, dass „derBetrieb insgesamt

alseinevomGeschäftsherrnzuüberwachendeGefahrenquelleeinzuordnen“311ist.

Ungeachtet der kritischen Aspekten des Herrschaftsgedanken zur Begründung einer

Garantenstellung,mit denenwir uns bereits ausreichend auseinandergesetzt haben,

soll hierbei in Zweifel gezogen werden, dass auch die Angestellten als Gefahren

hinsichtlich einesUnternehmensbezeichnetwerden können,weil es „zumindestmit

dem normalen Sprachgebrauch schwer vereinbar wäre, einen Arbeitnehmer als

,Gefahrenquelleʻzubezeichnen,diederVorgesetztezuüberwachenhat“312.

Die Betrachtung, ein Betrieb sei ein gesamtes funktionierendes Objekt und

infolgedessen seien die Sach- und Personengefahr meist kaum voneinander zu

trennen,isteinereineBeschreibungderBetriebsorganisation,ausdernichtzwingend

308Roxin,StrafrechtATII,§32Rn.137.309Schall,FS-Rudolphi,S.275.310 Schall, FS- Rudolphi, S. 277. Ähnlich, Schünemann, ZStW 96 (1984), S. 318: „In diesen Fälle übtnämlichdas Leitungsorgan vermöge seinerBefehlsgewalt dieHerrschaft überdenGrunddes Erfolgesaus, und es ist deshalb gerechtfertigt, von einer Aufsichts-Garantenstellung infolge der BefehlsgewaltundOrganisationsherrschaftzusprechen“.311Schall,FS-Rudolphi,S.277.312Schünemann,wistra1982,S.43.AuchGimbernart,FS-Roxin,S.661,662:„[…]weildieseStraftateneinerseits mit den eigentlichen Gefahrenherden, die der Unternehmensleiter zu kontrollierenverpflichtetist(etwa:BaustellenoderHerstellungbzw.LieferungvonLebensmittel,ArzneimittelnoderKraftfahrzeugen), nichts zu tunhaben […]“.Walter,Die PflichtendesGeschäftsherrn imStrafrecht, S.141:„[…]isthiernocheinmalzubetonen,dassanderePersonenkeinSonderrisikodarstellen“.Ransiek,Unternehmensstrafrecht,S.40f.;Spring,GA2010,S.222ff.

Page 69: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

69

eine normative Gleichsetzung folgt und zwar auch nicht, wenn Bottke von der

„Benützung gefährlicher personeller Produktionsmittel“ und von der

„Überwachungsbedürftigkeit betrieblicher Verrichtung ohne Gebrauch sächlicher

Produktionsmittel“313 spricht. Aus diesemGrund kann ein Teil der Literatur314 nicht

unter dem Aspekt der Gefahrenquelle selbst, sondern „[…] unter dem Aspekt der

Herrschaft über eineGefahrenquelle keinen sinnvollenUnterschied […]“315 zwischen

Sach-undPersonengefahrbegründen.

Dass der Betriebsangehörige an sich keine Gefahr darstellt, stellt die Theorie der

GefahrenquelleinFrage,nichtnurweilsichdadurchdasganzeUnternehmenalskeine

GefahrinengeremSinnemehrerweist,sondernauchweilinfolgedessenkeinrechtlich

fundierter Legitimierungsgrundbesteht, denVorgesetzen für dieNicht-Verhinderung

einerStraftatderautonomenPersongemäߧ13zubestrafen.HierbeihilftderRekurs

auf die Herrschaft über eine Gefahrenquelle auch nicht weiter, denn allein die

Herrschaftverpflichtetnicht.316Diesekannsichauchdadurcherklären,dassbeihöchst

komplexenUnternehmenkeineBefehlsgewaltvondem„Hintermann“sowohlüberdie

Sachealsauchüberden„Sachnächsten“unbedingterfolgt.

DerVerdienstderhierbehandeltenTheorieistesallerdingserkanntzuhaben,dassdas

Unternehmen ohne die Betriebsangehörigen nicht als funktionierendes Objekt

berücksichtigtwerden kann.DerbetrieblicheAblaufwird in irgendwelcher Formmit

einer menschlichen Unterstützung begleitet, sodass die Gleichsetzung zwischen

Sachen und Personen auf der beschriebenen Ebene als Unternehmenseinheit

angesehenwird.Esistaberbisherklargeworden,dasssichausdieserErkenntnisohne

weiteres keinen Haftungsgrund ergibt. Sie hilft uns jedoch, die Konstitution und

OrganisationsstruktureinesUnternehmenszubeachten,umsiefüreineKonstruktion

der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Betriebsinhabers fruchtbar machen zu

können.

Will man sich der Frage widmen, ob der Betriebsinhaber eine Garantenstellung zur

Verhinderung von Straftaten seinerUntergebener innehat, somussman zu allererst313Bottke,HaftungausNichtverhütungvonStraftatenUntergegebenerinWirtschaftsunternehmenderlegelata,S.26ff.314Roxin,StrafrechtATII,§32Rn.137.;Schünemann,wistra1982,S.43.315Schall,FS-Rudolphi,S.276.316Roxin,FS-Beulke,S.244.

Page 70: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

70

dieErkenntnisberücksichtigen,dassdieAngestelltenaufgrunddesAutonomieprinzips

keine Gefahr kennzeichnen, und auch nicht bei der „Benützung gefährlicher

personellerProduktionsmittel“317.DarausfolgtjedochnichtzwingenddieKonsequenz,

dass der Betriebsinhaber in keiner diesen Fallkonstellationen zur Verantwortung zu

ziehenist.

2.GefährlicheOrganisation

DieMerkmale einer solchenOrganisation tauchen auf, umnur ein paar Beispiele zu

nennen,wennessichumdieStraftateine„Mittarbeiters(handelt),dersichbereitsin

der Vergangenheit […] nicht ordnungsgemäß verhalten“318 hat oder der

„Begehungstäter ein ,Defizitʻ an Kenntnissen und Fähigkeiten aufweist, das ihm ein

pflichtgemäßesHandelnunmöglichmacht“319.

Die Schlussfolgerung bedarf aber einer weiteren Vertiefung, um den Begriff der

gefährlichenOrganisationpräzisierenundkonkretisierenzukönnen,dennsonstwürde

die Unbestimmtheit des Kriteriums dazu beitragen, die Basis und Kontur der

Garantenstellungzusprengen.

Geht man dem Problem der Organisation eines Unternehmens nach, so taucht der

systematischeAusgangspunktauf,dassdieses (Problem)aufverschiedenEbenender

Straftatbehandeltwerdenkann.ObderVorgesetztedurchbeherrschbaresVerhalten

fähigwar,dieOrganisationordnungsgemäßzubetreiben,istz.B.eineFrage,diesich

aufderZurechnungsebenebeantwortenlässt.Dennesgehthierbeidarum,dieGrenze

desGefahrbereichesmiteinemräumlichenHerrschaftsbereichgleichzusetzen320,also

darum,wiediePflichtindemkonkretenFallerfülltwerdenkann.Damitwirdallerdings

317Bottke,HaftungausNichtverhütungvonStraftatenUntergegebenerinWirtschaftsunternehmenderlegelata,S.26.318Langkeit,FS-Otto,S.649ff.319Spring,GA2010,S.227.320Schünemann,UnternehmenskriminalitätundStrafrecht,S.99ff.

Page 71: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

71

eine Garantenstellung nicht begründet, sondern sie nur durch ihre Anwendung

abgegrenzt.321

Die Unternehmensorganisation ungefährlich zu betreiben setzt ein theoretisches

Objektvoraus,dasalsInhaltderGebotsnormzukennzeichnenist.Demnachsollendie

Merkmale und der Begriff der gefährlichen Organisation unabhängig von den

tatsächlichen Fähigkeiten und der Sachherrschaft322 des unterlassenden Täters

konzipiertwerden.

Bosch ist einer der Autoren, der seine Garantentheorie teilweise in dieser Richtung

dargelegt hat. Ausgehend davon, dass allein die Herrschaft über die Gefahrenquelle

eine Garantenpflicht nicht ausreichend begründen kann323, hat Bosch den Versuch

unternommen, die Grundlage der Verantwortung des Betriebsinhabers auf die

Missachtung der Pflicht zur „gefahrenmindernden Gestaltung des eigenen

Organisationsbereichs“324zustützen.

Bei dieser Auffassung sei völlig unerheblich, ob die Tätigkeit an sich als gefährlich

eingestuft werde oder ob man arbeitsteiliges Vorgehen insgesamt als riskant

ansehe325.DasbedeutefürdieHaftungdesBetriebsinhabers,dassesgleichgültigsei,

ob der Arbeitsnehmer eine Straftat begehe, maßgeblich sei ausschließlich, ob sich

diese Straftat auf strukturelle Organisationsmängel zurückführen lasse326, also,

inwieweit dieVerhinderungdes konkretenErfolges inden Zuständigkeitsbereichdes

321Anders,Spring,DiestrafrechtlicheGeschäftsherrenhaftung,S.266.322Ransiek,Unternehmensstrafrecht,S.34,erkenntteilweisediesetheoretischeAnmerkungimHinblickaufeinerechtlichefundierteZuständigkeit.323 Bosch, Organisationsverschulden in Unternehmen, S. 158, 159, verzichtet auf die klassischerUnterteilung zwischen Überwacher- und Beschützergarant, denn „[…] lässt sich mittels dieserFeststellung nicht ergründen […]“, welche Garantenstellung auferlegt wird. „Zudem ist dieUnterscheidungimUnternehmensbereichwegenderbereitsangedeutetenÜberschneidungdenkbarerGarantenpositionen nur eingeschränkt praktizierbar.“ Bosch, Organisationsverschulden inUnternehmen, S. 219, basiert stattdessen seinen Ansatz auf die von ihm „[…] angenommeneGarantenstellungbetrieblicher Leitungsorgane indenunmittelbarenAussicht-undSicherungsplichten,die jedoch in höheren Positionen im Unternehmen zu eigenständigen Organisationspflichtentransformieren.“324Bosch,OrganisationsverschuldeninUnternehmen,S.225.325Bosch,OrganisationsverschuldeninUnternehmen,S.219,konkretisiertdieseIdeemitdemfolgendenBeispiel:„AuchbeiVerkehrssicherungspflichtenhinsichtlicheinesGebäudeskommtesnichtdaraufan,ob dessen Zustand Gefahren verursachen kann. Der Eigentümer hat es auch in einem (noch)ungefährlichZustandsoabzusichern,dasssichGefahrennichtentwickelnkönnen.“326Bosch,OrganisationsverschuldeninUnternehmen,S.224.

Page 72: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

72

Vorgesetztenfalle.327SolltekeinstrukturellerMangelnachgewiesenwerden,sondern

begehe der Untergebene im Interesse des Verbandes eine Straftat, dann reiche die

,BetriebsnützlichkeitʻderHandlungnichtohneWeiteresaus,eineVerantwortungdes

Vorgesetztenzubegründen328.

BesonderesdeutlichwirdzudemdieKonkretisierungderOrganisationspflichten,„[…]

dienurdasRisikoeinesbestimmtenErfolgseintrittsverringern[…]“329könnenund„[…]

lediglich mittelbaren Einfluss auf die Erfolgsvermeidung oder –herbeiführung

haben.“330

GegendieseAuffassungkannvorgebrachtwerden,dassderRekursaufden„Mangel“

anOrganisation zwardenWeg zueiner LegitimationderGarantenstellungaufzeigen

kann,aberdaranscheitert,dassaufgrunddergroßenFlexibilitätdiesesKonzeptskeine

grundlegendeAbgrenzungderPflichtangebotenwird.

Ferner ist auch nicht ausreichend geklärt worden, warum aus einer mangelnden

OrganisationzwingendeinestrafrechtlicheVerantwortungerfolgensoll,wennnach§

130 OWiG331 eine betriebliche Aufsichtspflichtverletzung auch wegen

Organisationsmangels332 als Ordnungswidrigkeit verhängt werden kann333. Um eine

MissachtungderPflichtzubestrafen,istangesichtsdesStrafrechtseinHaftungsgrund

notwendig, der über die Sanktionierung eines ordnungswidrigen Verhaltens

hinausgeht, damit das ultima ratio-Prinzip unddas Bestimmheitsgebot gewährleistet

werdenkönnen.

3.GefahrschaffendesVorverhalten

327Bosch,OrganisationsverschuldeninUnternehmen,S.225.328Bosch,OrganisationsverschuldeninUnternehmen,S.224.329Bosch,OrganisationsverschuldeninUnternehmen,S.110.330Bosch,OrganisationsverschuldeninUnternehmen,S.109.331 § 130OWiG: „Wer als Inhaber eines Betriebes oderUnternehmens vorsätzlich oder fahrlässig dieAufsichtsmaßnahmen unterlässt, die erforderlich sind, um in dem Betrieb oder UnternehmenZuwiderhandlungen gegenPflichten zu verhindern, die den Inhaber treffenundderenVerletzungmitStrafe oder Geldbuße bedroht ist […]. Zu den erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen gehören auch dieBestellung,sorgfältigeAuswahlundÜberwachungvonAufsichtspersonen“.332Göhler/Gürtler,OWiG,§130Rn.14;KK-Rogall,§130Rn.55.333 Hsü, Garantenstellung des Betriebsinhabers zur Verhinderung strafbarer Handlungen seinerAngestellten,S.85 ff.hat sichgegeneinestrafrechtlicheVerantwortungdesBetriebsinhabersAnhangdes§130OWiGgeäußert.

Page 73: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

73

SowohlinderLiteraturalsauchinderRechtsprechungistesunstreitig,dassbeiFällen

derProdukthaftung334eineGarantenstellungaus Ingerenzabgeleitetwerdenkann335.

AuchimBereichderGarantenstellungdesInhabersfürStraftatenseinerUntergebenen

wurdedieseTheorieteilweiseangenommen.

Welp336 isteinerderwichtigstenAutoren,derhierbeidieAnsichtvertretenhat,dass

die Eröffnung oder Fortführung eines Betriebes die Basis für eine gefährliche

Vorhandlung darstelle, weil dadurch fremde Risiko-Handlungen veranlasst würden.

BegründetwirddieThesemitdemRekursaufdas„Vertrauen-Dürfen“despotentiellen

Opfers und der hieraus folgenden gesteigerten Abhängigkeit337 zwischen Opfer und

Täter.

Diese Auffassung ist jedoch in verschiedenen Hinsichten zu kritisieren. Dass die

Begriffe„Vertrauen“und„Abhängigkeit“sichalsungeeigneteAnknüpfungspunktezur

StützungderIngerenzhaftungerwiesenhaben,wurdebereitsangedeutet.

BlicktmanaufdieBegriffsbildung„Betriebseröffnung“und„EinstellungvonPersonal“

hinsichtlich der Geschäftsherrenhaftung, so lässt sich nach dem Sinne des Wortes

feststellen, dass beide Ansatzpunkte nicht das Erfordernis einer gefährlichen

Vorhandlung erfüllen, sie fungieren vielmehr als rechtmäßiges Verhalten; folgt man

WelpsAuffassung,würdedaszudemnichtüberzeugendenErgebnisführen,dassder

Inhalt der Gebotsnorm uneingeschränkt fast alle sozial adäquaten Vorhandlungen

334Hilgendorf,StrafrechtlicheProduzentenhaftunginder„Risikogesellschaft“,S.89ff.;ders.JZ1994,S.1142ff.335 BGHSt 19, 167(168); BGHSt 38, 356(358); BGHSt 37 (114 ff.); Bosch, Organisationsvershulden inUnternehmen, S. 186 ff.; Kindhäuser, Strafrecht AT, § 36 Rn. 63; Spring, Die strafrechtlicheGeschäftsherrenhaftung,S.169ff.;Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.38ff.;ders.,FS-BGHIV,S.29ff.;NK-Wohlers/Gaede,§13Rn.43,44;MüKo-Freund§13Rn.121ff.;ders.,ErfolgsdeliktundUnterlassen,S.181.; Roxin, Strafrecht AT II, § 32 Rn. 143 ff.; Stree, FS-H. Mayer, S. 155.; Kritisch, Sangenstedt,Garantenstellung und Garantenpflichten von Amtsträgern, S. 320 ff.; Brammsen, DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.390f.;ders.,IndividuelleVerantwortung,S.114ff.; Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, S. 313 ff.; Welp,VorangegangenesTunalsGrundlageeinerHandlungsäquivalenzderUnterlassung,S.235ff.336Welp,VorangegangenesTunalsGrundlageeinerHandlungsäquivalenzderUnterlassung,S.235ff.337Welp, Vorangegangenes Tun als Grundlage einer Handlungsäquivalenz der Unterlassung, S. 177:„Unter der Herrschaft des strafrechtlich sanktionierten Verbots rechtsverletzender Aktivität entstehtsomiteinegesteigerteAbhängigkeitvomUnterlassendesVerbotenen.“

Page 74: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

74

umfassen würde. Die herrschende Meinung in Literatur338 und Rechtsprechung339

habendeshalbzutreffenderkannt,dassdasVorverhaltenzumindestein„gesteigertes“

oder „qualifiziertes“ Risiko Kennzeichen soll, um eine Garantenstellung aus

vorangegangenemTunentstehenlassenzukönnen.

DieThesevonWelpistallerdingsnichtdaseinzigeKriteriumdesIngerenzgedankesals

GrundlagederGeschäftsherrenhaftung.

Im Rahmen der Diskussion über die Qualität und Anforderungen des Vorverhaltens

findetman in Lehre und Rechtsprechung eine Reihe von Ansätzen, die - trotz ihrer

unterschiedlichenVersionen inmanchenPunkten–zueinemselbenGrundgedanken

führen.340 Hierbei ist die Lehre darüber einig, dass sie den reinen

KausalzusammenhangzwischendemVorverhaltenunddemnichtverhindertenErfolg

alsMindestvoraussetzungnichtgenügenlässt.341

DieRechtsprechunghatsichauchbereitsindiesemSinneimfrühen„Taschenmesser-

Fall“342geäußert,indemderBGHeinenMannausschließlichwegenderVerletzungder

Hilfspflicht nach §323 c StGB deshalb verurteilt hat, weil er einem anderem eine

Taschenmesser überlassen hatte, ohne die spätere Begehungstat voraussehen und

erkennenzukönnen.Einigkeitbestehtauchdarüber,dassdasVorverhaltennichtdas

Erfordernis einer Straftat erfüllen und die Merkmale einer schuldhaften Handlung

nichtaufweisenmuss343.

338Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.42,ders.,FS-BGHIV,S.29ff.;Kindhäuser,StrafrechtAT,§36Rn.64;Kühl,StrafrechtAT,§18Rn.102;Roxin,StrafrechtATII,§32Rn.160ff.;Stree,FS-Klug,S.395ff.339BGHSt38,356(358);BGHNStZ1998,83(84);BGHNStZ2000,583(583).340 Abgelehnt wird die Ingerenz jedoch von wenigen Autoren: Brammsen, DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflicht, S. 390 ff.;ders., in: IndividuelleVerantwortungundBeteiligungsverhältnissebeiStraftateninbürokratischenOrganisationendesStaates,derWirtschaftundder Gesellschaft, S. 114 ff; Lampe, ZStW 72 (1960), S. 93 ff.; Schünemann, FS-Rudolphi, S. 313 ff.;Sangenstedt,GarantenstellungundGarantenpflichtvonAmtsträgern,S.320ff.341Kindhäuser,StrafrechtAT,§36Rn.64ff.;Roxin,ATII,§32Rn.155ff.;Jakobs,StrafrechtAT,§38Rn.38ff.342BGHSt11,353ff.343 Jakobs, Strafrecht AT, § 29 Rn. 29; Kindhäuser, Strafrecht AT, § 36 Rn. 68; Schönke/Schröder-Stree/Bosch,§13Rn.39;Spring,DiestrafrechtlicheGeschäftsherrenhaftung,S.247f.

Page 75: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

75

Umstritten ist jedoch in Rechtsprechung und Schrifttum eine Frage, die eine

wesentliche Rolle für die Begründung der Ingerenzhaftung spielt: Ob das

vorangegangeneTunpflichtwidrig344seinmuss345.

InderRechtsprechunglässtsichdiesbezüglichkeineklareLinie346erkennen,allerdings

hattederBGHinderletztenZeitdieGelegenheit,sichausführlichmitdiesemThema347

im Lederspray-Urteil348 zu befassen, in dem er die Grunderfordernisse der Ingerenz

bestimmthat.NachdemBGHsollbeiderIngerenzaufein„objektivpflichtwidriges“349

Verhalten abgestellt werden, das teils aus einem allgemeinen Schädigungsverbot350,

teilsausgesetzlichenBestimmungen351abgeleitetwird.Tatsächlichaberreichtfürdas

Gericht ein pflichtmäßiges Vorverhalten unter bestimmten Voraussetzung352 für die

Begründung der Ingerenzhaftung aus353, da das Inverkehrbringen des Sprays nicht

pflichtwidrig war. Zu Recht wurde deshalb die theoretische Tendenz dieser

Entscheidung kritisiert,weil u. a. „[…] der BGH in der Lederspray-Entscheidung zwar

verbal amPflichtwidrigkeiterfordernis festgehalten,es inder Sacheaberaufgegeben

hat.“354

344ImRahmenderIngerenzsollsichdieserBegriffnichtaufdietatsächlichenFähigkeiteneinerPersonzurBefolgungderNormbeziehen,alsoalsZurechnung,sondernmiteiner„objektivenRechtsverletzung“gleichgesetztwerden;Spring,DiestrafrechtlicheGeschäftsherrenhaftung,S.248.345Kindhäuser,StrafrechtAT,§36Rn.65;Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.39;ders.FS-BGHIV,S.29ff.;Schünemann,ZStW96(1984),S.308.346 In früheren Urteilen wurde von dem Gericht kein pflichtwidriges Vorverhalten für die Ingerenzverlangt, BGHSt 4, 20(22); 11, 353(355), allerdings wurde diese Interpretation in späterenEntscheidungeneingeschränkt,BGHSt19,152(154).347BereitsinderEntscheidungBGHSt25,218(221f.).348BGHSt37,106ff.349 In der Rechtsprechung wurde dieser Begriff verwendet, um damit die faktische Preisgabe desPflichtwidrigkeitserfodernisses zu verschleiern; siehe Spring, Die strafrechtlicheGeschäftsherrenhaftung,S.248Fn.799.350Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.267.351NachdemBGHSt37, 118: „VerstießderVertriebder gesundheitsgefährdenden Ledersprays gegendas§30Nr.2LMBGnormierteVerbotundbegründeteebenjeneGefahr,zuderenVermeidungdieseBestimmungnach ihrerÜberschrift („VerbotezumSchutzderGesundheit“)wieauchnachdemZweckdesGesetzesimganzenzudienenbestimmtist“.352VorhersehbarkeitdesVerletzungerfolges,BGHSt37,106(117).353Ähnlich,BGHSt34,82(84).354 Bosch, Organisationverschulden in Unternehmen, S. 201; Spring, Die strafrechtlicheGeschäftsherrenhaftung,S.96;Sowada, JURA2003,S.242;Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.266ff.AusdiesemGrundhatBrammsen, in: IndividuelleVerantwortungundBeteiligungsverhältnissebeiStraftateninbürokratischenOrganisationendesStaates,derWirtschaftundder Gesellschaft, S. 122 f., vorgeschlagen, diese Fallkonstelationmit dem Rekurs auf die betrieblicheGefahrenquellezulösen.

Page 76: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

76

In der Literatur zeichnet sich die Beantwortung der Frage nach der Qualität des

Vorverhaltensdadurchaus,dasssienichtbezogenaufdasPflichtwidrigkeitserfordernis

formuliert ist, sondern sich vielmehr auf das allgemeine Verständnis der

Ingerenzhaftung bezieht.355 Damit hat sich die herrschenden Meinung für Kriterien

entscheiden, bei denen auf ihre Flexibilität abgestellt worden sind. Jakobs356 z. B.

verlangtfürdieVorhandlungdieSchaffungeinesVerhaltens„mithöheremRisiko“,das

überdas„unumgehbarealltäglicheVerhalten“hinausgeht.Otto/Brammsenbenutzen

ihrerseits das ähnliche Konzept der „Überschreitung des Jedermann-

Handlugsspielraumes“357.RoxinüberträgtdieLehrevonderobjektivenZurechnungauf

die Ingerenz, um sie einzuschränken, wonach die Anforderungen an die

Pflicthwidrigkeit nur erfüllt sind, „[…] wenn die Vorhandlung dem Verursacher

zurechenbarist.“358

AlldieseTheorienverzichteninderTataufdasPflichtwidrigkeitserfordernis,abermit

bestimmtenAusnahmen,dienachSowada„[…]zunehmend inZweifelstellen,obdie

‚Regel’wirklichüberzeugenderscheint,d.h.obdiePflichtwidrigkeitderVorhandlung

tatsächlichdenGeltungsgrundderGarantenstellungausIngerenzdarstelltoderobes

sich insoweit nur um den Teilbereich einer größer zugeschnittenen

Erfolgsabwendungspflichthandelt“359.

GegenSowadamussmandennocheinwenden, dassdie „Ausnahmen“die genannte

TheorienderherrschendeMeinungansichnicht inFragestellen,dennkeineTheorie

ist zwingend in der Lage, eine bestimmte Fallkonstellation umfassend erklären zu

können.SowadahatdennochRecht,wennervonderunzureichendenKonkretisierung

derVoraussetzungenwarnt,dieeineGarantenstellungausIngerenzauslösenkann360;

dieskannauchdazuführen,dassuneingeschränktPflichtstellungenlegitimiertwerden

können.

II.Stellungnahme355Spring,DiestrafrechtlicheGeschäftsherrenhaftung,S.249.356Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.42357Otto/Brammsen,JURA1985,S.648.358Roxin,StrafrechtATII,§32Rn.156.359Sowada,JURA2003,S.241.360Sowada,JURA2003,S.242.

Page 77: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

77

1.Ausgangspunkt

Die Organisation eines Unternehmens konstituiert die Ausübung der Freiheit. Der

Betriebsinhaber schafft damit ein in der GesellschaftwirkendesObjekt,welchesmit

der Freiheit der anderen dadurch zu vereinbaren ist, dass es in einem gefahrlosen

Zustand für Außenstehende gehaltenwerden soll.361 Damit ist aber noch nicht eine

ausreichende Aussage über die Garantenstellung verbunden. Die Schaffung eines

ObjektsistdennocheineerstetheoretischeBasisfürdieLegitimationeinerPflicht,da

hiernach das Unternehmen selbst als verlängerter Arm des Betriebsinhabers

betrachtetwird.

AndersalsdereigeneKörper,derunmittelbargesteuertwird,bedarfeinUnternehmen

eineVielzahlvonMitarbeitern,dieerstermöglichen,einbestimmtesUnternehmenzu

betreiben. Hierbei steht außer Frage, dass bei dem ersten Fall der Körper zu dem

eigenenOrganisationkreisgehörtund,dassdieeinzelnePersonfürderenUnterlassung

zuständig ist. Schwer zu begründen erscheint jedoch, ob angesichts des

Verantwortungsprinzips, „[…] wonach jeder sein Verhalten grundsätzlich nur darauf

einzurichten hat, dass er selbst Rechtsgüter nicht gefährdet, nicht aber – weil dies

nämlichinderen‚Zuständigkeitʻfällt–auchdarauf,dassanderediesnichttun“362,der

OrganisationkreisdesGeschäftsherrnfürdieTatenderAngestelltenerweitertwerden

darf.

Hierbeikannmanfeststellen,dassdemVerantwortungsprinzipkeineSperrwirkungfür

die Geschäftsherrenhaftung zukommt, wenn man die verschiedenen

Verantwortungsbereicheauseinanderhältundsieaufdenjeweilsrichtigennormativen

Maßstabbringt.NuraufdieseWeise istdieTheorie inderLage,nebenderprimären

Verantwortung des Tatnächsten die Garantenstellung des Betriebsinhabers nicht

auszuschließen.

361Jakobs,DiestrafrechtlicheZurechnungvonTunundUnterlassen,S.21.362 Vgl. Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung, S. 68 ff, 74 ff.; Bosch,Organisationsverschulden in Unternehmen, S. 144 ff.; Ausführlich, Schumann, StrafrechtlichesHandlungsrechtunddasPrinzipderSelbstverantwortungderAnderen,S.107ff.

Page 78: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

78

2.Organisationszuständigkeit

IndiesemZusammenhangmachtsichderBetriebsinhabernicht imstriktenSinne für

dieStraftatenseinerUntergegebenenverantwortlich, sondern„[…] fürdiedurchdas

VerhaltenbewirkteAusgestaltung seineseigenenOrganisationskreises“363.Dies führt

zuderVerpflichtung,vondemUnternehmenkeineSchädigungenausgehenzulassen,

unabhängigdavon,obdieGefahrenvonSachenodervonPersonenherrühren.

Dieser Ansatz erweist sich als ein Paradigmenwechsel von einer naturalistischen

Betrachtungsweise, die den Tatunmittelbarsten zumAusgangspunkt nimmt, zu einer

normativierenden Betrachtungsweise364, die auf die Organisationszuständigkeit

abstellt. Dass hierdurch der Betriebsinhaber die „Zuständigkeit“ der Organisation

übernimmt,besagtnicht,dasseralsTäter zubestraften ist,denndies isteineFrage

der Zurechnung, die sich erst durch den Rückgriff auf die allgemeine Theorie der

Beteiligungbeantwortenlässt.365

WennmanaberdenHaftungsgrundausschließlichaufdieOrganisationszuständigkeit

einesUnternehmenszurückführenwürde,könntemanhiergegenzuRechteinwenden,

dass dadurch der Betriebsinhaber in Wirklichkeit als Garant für alle aus dem

Unternehmen begangenen Delikten zur Verantwortung gezogen werden würde.366

Hierfür hat die Rechtsprechung zwei abgrenzende Kriterien entwickelt. Demnach

„beschränkt sich indes [eine solche Garantenstellung] auf die Verhinderung

betriebsbezogener Straftaten und umfasst nicht solche Taten, die der Mitarbeiter

lediglichbeiGelegenheitseinerTätigkeitimBetriebbegeht[…]“367.

Unabhängig davon, dass die betriebsfundierten Pflichten die Reichweite der

Unterlassungshaftung einigermaßen signalisieren, bedarf die Garantenbestimmung

363Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.36.364Vogel,FS-Lorenz,S.73,siehtdiesenAnsatzalsproblematischan.365Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikte,S.277:„[…]beiderBeteiligungslehre[stellen] im Ergebnis keine rechtsgutbezogenenNorminhaltsfragen, sondern verantwortungsbezogenePflichtinhaltsfragen.“366Bosch,OrganisationsverschuldenInUnternehmen,S.186.Haas,KausalitätundRechtsverletzung,S.51, wendet auch ein, „dass der Umfang der Organisationszuständigkeit eines Normadressaten nichtbegrifflich fixiert wird, sondern im Ergebnis – trotz der anspruchsvollen systemtheoretischenEinkleidung-derpurenIntuitionüberlassen“.367BGHSt57,42ff.

Page 79: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

79

zusätzliche materielle Anknüpfungspunkte, welche das Prinzip der

Handlungssverantwortungbewahren368unddiewillkürlicheAusdehnungdesUmfang

derOrganisationszuständigkeitdesNormadressatenverhindernsoll.

3.GefährlichePerson?

DieseAuffassungweistaufeinensehrproblematischenAspekthin,dernichtalleinmit

dem Rekurs auf die Gefährlichkeit eines Betriebsangehörigen überwunden werden

kann, und zwar die Autonomie einer Person. Die Überlegung, ein Unternehmen sei

deshalbzuüberwachen,weilessichalseinegefährlicheSacheerweist,lässtsichnicht

ohneWeiteresaufeinePersonalskonstitutivesElementeinesBetriebesübertragen.

EineautonomePersonmachtsichinrechtlichenSinneverantwortlichfürihreeigenen

Straftaten369,auchwennsiealsgefährlichqualifiziertwordenist.DerBetriebsinhaber

ist deshalb nicht Garant für die von dem Angestellten begangenen Handlungen,

solangekeinerechtlicheVerbindungmitdieserHandlungbesteht,diesichnichtaufdie

EinstellungdesAngestellten imUnternehmenerstreckendarf.Allesanderewärenur

einenunplausiblerVersuch,hinsichtlichdesGebotszumEinschreitenaufeinenormale

geschäftliche Betreibung eines Unternehmens abzustellen und würde dadurch dem

Vorgesetzten uneingeschränkt alle von den Angestellten begangenen Straftaten zur

Lastlegen.

Daraus ergibt sich die Folge, dass die Person und die Sache hinsichtlich der

Geschäftsherrenhaftungnichtgleichgesetztwerdendürfen,undauchnicht,wennder

Angestellte als ein gefährliches Produktionsmittel370 fungieren könnte. Denn diese

BezeichnungistmehreinereineBeschreibungdertypischenbetrieblichenAktivitäten

alseinemateriellerLegitimationsgrund.

368Seelmann,GA1989,S.256.369 Niemand ist „[…] der Hüter seines Bruders […]“,Walter, Die Pflichten des Geschäftsherren imStrafrecht,S.131.370Bottke,HaftungausNichtverhütungvonStraftatenUntergegebenerinWirtschaftsunternehmenderlegelata,S.26.

Page 80: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

80

Nun wäre die Frage angebracht, ob abgesehen von der genannten Kritik die

GleichsetzungvonPersonundSachealskonstitutivesElementdesUnternehmensnoch

zuderhierbehandeltemGarantenproblematikbeitragenkann.

Im Gegensatz zu dem Ausgangspunkt, der Untergebene sei genau so gefährlich wie

eine betriebliche Sache, bietet diese Auffassung anderweitig eine interessante

Erkenntnis mit der Behauptung an, dass im Hinblick auf seine Aktivitäten nur der

Betriebsangehörige das Unternehmen als funktionierendes Objekt ermöglicht. Das

bedeutet, dass sich das wesentliche Element zur Begründung der Garantenstellung

nichtaufdieGefährlichkeitdesAngestelltenkonzentrierensoll,denneswurdegezeigt,

dassdiePersonansichnichtalsgefährlichangesehenwerdenkann,sondernaufdie

betrieblicheOrganisation.

Für den Vorgesetzten folgt daraus, dass er zuständig für die Organisation des

Unternehmens ist. Allein dieseBehauptung reicht aber nicht aus für deBegründung

einer Garantenstellung. Nach dieser Erörterung dürfte deutlich geworden sein, dass

alleindieOrganisationeinesUnternehmensalsKriteriumderLegitimationderPflicht

nichtweiterführt,denndiesewird„[…]nichtbegrifflichfixiert[…],sonderninErgebnis

– trotz der anspruchsvollen systemtheoretischen Einkleidung – der puren Intuition

überlassen“371.Dasistbesonderesoffensichtlich,wennsicheinvondemUnternehmen

ausgehenderErfolgohneWeiteresaufdieOrganisation zurückführen lässt, ohnedie

nötigekonzeptuelleBestimmungundAbgrenzungderOrganisationfestzulegen.

4.GefährlicheOrganisation

Der Begriff der Organisationszuständigkeit bietet dennoch ein adäquates

Begründungspotential372, wenn sie sich mit dem rechtlichen Gegenstand verbindet,

371Haas,KausalitätundRechtsverletzung,S.51.372Haas, Kausalität undRechtsverletzung, S. 53;Bosch,Organisationsverschulden inUnternehmen, S.219; auch Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 35 f. Anderer Meinung Spring, Die strafrechtlicheGeschäftsherrenhaftung,S.177,derdiesetheoretischeKonstruktionalsunnötigbezeichnet,daesohnedas Hervorrufen von Sachgefahren an einer Änderung des „Organisationskreises“ fehlt, „[…] für dieFragederGeschäftsherrenhaftungführtJakobsAnsatzdamitleidernichtzuneuenErkenntnissen“.

Page 81: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

81

der die Bestimmung der betrieblichen Pflichten konkretisiert und zugleich zu einer

geeignetenAbgrenzungdesUmfangsderZuständigkeitführt.

EingutesBeispielhierfüristderbereitsdargestellteAnsatzvonBosch,wonachfürdie

Verantwortung des Geschäftsherrn auf die Missachtung der Pflicht zur

„gefahrenmindernden Gestaltung des eigenen Organisationsbereichs“373 abgestellt

werdensoll.Entscheidend fürdieBestimmungderHaftungseidemnach,obsichdie

Straftat des Arbeitnehmers auf strukturelle Organisationsmängel zurückführen

lasse.374

DerVerdienstBoschsistes,dieProblematikderGarantenstellungdesBetriebsinhabers

auf die Organisation des Unternehmens375 zurückzuführen. Diese Ansicht favorisiert

dieKonstruktioneinerbesonderenPflichtnichtmehrinHinblickaufdietatsächlichen

FähigkeitendesVorgesetzten,wassichnachderhierdargestelltenAuffassungwegen

der personalen Bindung des Normadressaten an die Norm als Frage der

Pflichtwidrigkeit erwiesen hat,376 sondern auf die von ihm eingeführten

Kontrollmechanismen zur rechtlichen Organisation und führt damit zu einer

FormulierungderAufsichts-undSicherungspflichten.377

Obwohl sich Boschs Theorie weitgehend auf Fälle der fahrlässigen

Erfolgsverwirklichung beschränkt378, bekräftigt sie anderseits die Basis für einen

materiellen Zusammenhang zwischen Zuständigkeit undOrganisation, dennnur eine

hinreichend klare Zuständigkeitsabgrenzung ermöglicht die eindeutige Bestimmung

derOrganisationskontrolle.

373Bosch,OrganisationsverschuldeninUnternehmen,S.225.374Bosch,OrganisationsverschuldeninUnternehmen,S.224.375InähnlicherWeisehatdieJurisprudenzimSpeditions-fall,LGNürenberg-FürthNJW2006,S.1824ff.,argumentiert. Demnach trifft den Betriebsinhaber eine Garantenpflicht zur Verhinderung vonRechtsgutverletzungen, wenn er ein rechtwidriges, gefährliches System schafft. Kritisch, Spring, DiestrafrechtlicheGeschäftsherrenhaftung,S.112.376Sangenstedt,GarantenstellungundGarantenpfichtvonAmtsträgern,S.262ff.377Bosch,OrganisationsverschuldeninUnternehmen,S.219.378Bosch,OrganisationsverschuldeninUnternehmen,S.225:„Esfehlt[…]schwerzubehaupten,inderTatmanifestieresichgeradediefehlerhafteOrganisationdesVorgesetztenimeigenenBereich.FürdieFälleeinervorsätzlichenTatbegehungdurchdenUntergebenenaufAnweisungdesVorgesetztenkönnteallerdingsdieRechtsfigurdermittelbarenTäterschafteinadäquatesLösungsmodellbereithalten“.

Page 82: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

82

UmdiesenGedankeweiterhin für dieGeschäftsherrenhaftung fruchtbar zumachen,

sollmanihnvondemverwendetenRekursaufstrukturelleOrganisationsmangel379des

Unternehmensbefreien.Dennes istnichtausreichendbegründet,warumauseinem

von dem OWiG bereits sanktionierten Verhalten380 zwingend eine strafrechtliche

Verantwortungfolgensoll.

Der Organisationsmangel des Betriebes bietet keinen hinreichenden

LegitimationsgrundeinerstrafrechtlichenSanktion.EineGarantenstellungistnachder

hier vertretenenAnsicht nur dort gerechtfertigt,wo zusätzlichhierzu einmaterieller

Haftungsgrundbesteht.EinereineOrganisationspflichtreichtalssolchealsonichtaus;

vielmehr ist die Begründung einer Garantenposition dann gegeben, wenn der

Handelnde eine Straftat begeht, die ihre Stütze in einer gefährlichen Organisation

findet.ErkenntetwaderInhaber,dassderMitarbeiterunterbestimmtenUmständen

„[…]seineStellungimUnternehmenzurBegehungvonStraftatenmissbrauchenwürde

[…]“381, so hat er die Pflicht, die nötigenMaßnahmen einzuführen, sonst haftet der

InhaberfürdieNichtverhinderungderspäterenRealisierungderStraftat.Handeltder

unmittelbare Täter hingegen voll verantwortlich, ohne erkennbares Defizit382 und

ohne die Unterstützung der Unternehmensorganisation, kommt keine

GarantenstellungdesVorgesetzteninBetracht.

Aus der bisher entwickelten Forschung ergibt sich als Zwischenergebnis, dass der

verlangte Gegenstand für die Begründung der Haftung des Betriebsinhabers seine

gefährliche Organisation ist.383 Dies bedeutet dass, soweit sich das strafrechtliche

Verhalten der Untergebenen auf eine gefährliche Organisation des Unternehmens

zurückzuführen lässt, sich demnach der zuständige Vorgesetzte für die Nicht-

Verhinderung der aus dem Unternehmen begangenen Straftat verantwortlich

macht.384

379Bosch,OrganisationsverschuldeninUnternehmen,S.224.380„Organisationsmangel“,Göhler/Gürtler,OwiG,§130Rn.14;KK-Rogall,§130Rn55.381Spring,DiestrafrechtlicheGeschäftsherrenhaftung,S.254.382Spring,GA2010,S.227.383Heine,DiestrafrechtlicheVerantwortlichkeitvonUnternehmen,S.220,221;Otto,FS-Hirsch,S.297.Ähnlich,Arzt,JA1980,553ff.;Stree,FS-Mayer,S.145ff.384 Eine ähnliche Auffassung vertritt Jakobs, Strafrecht AT, § 29 Rn. 36: „[…] so haftet derBetriebsinhaberfürdengefährlichenZustandseinesBetriebs,solangeüberhauptnochseineGeschäfteorganisiert werden.“ Auch Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 36: „Es geht also […] um die für

Page 83: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

83

Neben diesem Zwischenergebnis zeigt sich ebenso die Erkenntnis, dass sich das

auslösende Moment für die Annahme der Garantenstellung aus einem gefährlich

gegebenen Zustand ergeben kann, zu dem der Vorgesetzte nicht aktiv unmittelbar

beigetragenhat. InBetrachtkommenanderseitsauchdieFälle, indenenderInhaber

selbstdurcheinVorverhalteneinegefahrenträchtigeBetriebsstrukturgeschaffenhat.

Diese Fallvariante löst demnach unter bestimmten Anforderungen ebenso eine

VerantwortlichkeitdurchUnterlassenaus.

Mit der Einschränkung der gefährlichen Organisation auf die genannten

Fallkonstellationenwillmaneinen„Mindestbereichs“strafrechtlicherGarantenhaftung

schaffen, da die Organisationsmodelle und unterschiedlichen Pflichtenkreise einen

einheitlichenLeitgesichtspunktderGeschäftsherrenhaftungvonselbstverbieten.385

5.Ingerenz

Ausgehend von der gefährlichen Organisation als Gegenstand der Garantenhaftung

folgt nun die konsequente Frage, ob die hier vertretene Auffassung aufgrund ihrer

materiellenundstrukturellenKonstitutionmitdemIngerenzgedankenzuvereinbaren

ist, so dass die Problematik der Geschäftsherrenhaftung mit dem Rekurs auf das

rechtswidrigeVorverhaltenaufgeklärtundbegründetwerdenkann.

MitdenvorangegangenErörterungenzurIngerenzistbereitsdasProblemderQualität

desVorverhaltensangesprochen.DiedargestellteTendenzderLiteraturhatdemnach

gezeigt, dass die herrschende Meinung sich für die Flexibilisierung des

Pflichtwidrigkeiterfordernises entschieden hat386. Dieser Ansicht soll deshalb gefolgt

werden,weildiestrengeOrientierunganderPflichtwidrigkeitmitdensichdarauszum

TeildarausergebendenabstraktenAnforderungenzumScheiternverurteiltwar.

komplexere rechtlich normierte Organisationen oder organisierte Tätigkeiten.“ Um nichtmissverstandenzuwerden,sollhiergeklärtwerden,dassdieseSchlussfolgerungnichtimSinnevonArzt,JA1980,560,650,714ff.,dargelegtwordenist,wonachinallenGarantenstellungeneinerudimentäreGefahrschaffung als Begehungselement steckt.NachunsererAnsicht soll dieGefahrschaffung nur aufbestimmtenKonstellationenvonGarantenstellungausgedehntwerden,die sichausschließlichausderOrganisationszuständigkeitergeben.385Bosch,OrganisationsverschuldeninUnternehmen,S.217.386Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.42;Otto/Brammsen, JURA1985,S.648;Roxin,StrafrechtATII,§32Rn.156.AndersSowada,JURA2003,S.240ff.

Page 84: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

84

Unberücksichtigt ist allerdings noch geblieben, an welchen Kriterien sich die

Bestimmung des Vorverhaltens orientieren soll, wenn sich das Entstehen einer

Ingerenzgarantenstellung nicht ausschließlich auf eine strikte rechtswidrige

Vorhandlungbeschränkt.

Überzeugend ist hierbei die von Teilen der Literatur387 und auch von der

Rechtsprechung388 entwickelte These, wonach das Vorverhalten zumindest ein

„gesteigertes“oder„qualifiziertes“Risikoaufweisensoll,umeineGarantenhaftungaus

Ingerenzbegründenzukönnen.Andersalsdas rechtswidrigeVerhaltenweisendiese

Auffassungen denVorteil auf, dass sie nicht nur denHaftungsgrund bilden, sondern

zugleich mit Hilfe der zivilrechtlichen Gefährdungshaftung und der

Pflichtversicherung389dieReichweitederVerantwortungandeuten.

Aus dem dargelegten Ingerensansatz lassen sich nun Aussagen über die

Geschäftsherrenhaftungableiten.

5.1.Personaleinstellung

Zunächstisthiernocheinmalzubetonen,dassalleindasVorverhaltender„Eröffnung

einesUnternehmens“ansichkeingesteigertesoderqualifiziertesRisikodarstelltund

deshalb nicht als Grundlage der Ingerenz gelten kann. Aus der Behandlung der

Ingerenz indieser Fallkonstellationergibt sichdie Erkenntnis, dass esnichtnötig ist,

das Vorverhalten so weit vorzuverlagern, denn hierfür können auch tatnähere

HandlungsweisenderGeschäftsherrenherangezogenwerden.390

DieProblematikderAnwendungderIngerenzaufdieallgemeine„Personaleinstellung“

istgrundsätzlichgenausozubeurteilenwiebeider„EröffnungeinesUnternehmens“.

Das schließt aber nicht aus, dass hierbei unter bestimmten Voraussetzungen eine

GarantenstellunginBetrachtkommenkann.

387Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.42,ders.,FS-BGHIV,S.29ff.;Kindhäuser,StrafrechtAT,§36Rn.64;Kühl,StrafrechtAT,§18Rn.102;Roxin,StrafrechtATII,§32Rn.160ff.;Stree,FS-Klug,S.395ff.388BGHSt38,356(358);BGHNStZ1998,83(84);BGHNStZ2000,583(583).389Jakobs,StrafrechtAT,§24Rn.42.390Spring,DiestrafrechtlicheGeschäftsherrenhaftung,S.240.

Page 85: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

85

EinebesondereKonstellationentstehtanersterStelle,wennungeeigneteMitarbeiter

füreinenbestimmtenPlatzodereinebestimmteAufgabeeingestelltwerdenundzum

Einsatzkommen.DiesmussdemVorgesetztenerkennbarsein,erstdannhafteterfür

die spätere Realisierung des Erfolges. Die Anforderung des Vorverhaltens hängen

davonab,obdieGefahrrealisierungbereitsunmittelbardroht.391

DerandereAusnahmefallderPersonaleinstellungistderjenige,indemeinemittelbare

Gefahr entsteht.Hierbei kommtes für dieAnnahmeder Ingerenzdarauf an, obder

ArbeitnehmerzurBegehungeinerTatgeneigtist.HierbeisolldieEntschlossenheitder

Mitarbeiter zur Tat erkennbar sein, sonst trifft den Betriebsinhaber aufgrund des

VertrauenskeineGarantenhaftung,undzwarauchdannnicht,wennderUntergebener

dieTatmöglichkeitnutzt.392

5.2.GefahrenträchtigeBetriebsorganisation

EineGarantenstellung des Betriebsinhabers aus Ingerenz ergibt sich auch,wenn das

Unternehmen so organisiert ist, dass seine Struktur kein rechtliches Vorgehen der

Mitarbeitergewährleistenkann.SpringdefiniertdieseArtvonUnternehmenals„[…]

Aufbau oder Weiterführen einer betrieblichen Organisationstruktur, die die

Mitarbeiter des Betriebes zu rechtswidrigen Tun nötigt.“393 Dass diese Definition in

ähnlicherWeisevonanderenTheorien394invielenFällenumfasstwirdunddiesezum

selbenErgebnisführen395,bekräftigtnurdieseAnsicht.

Die Jurisprudenz hatte die Gelegenheit sich über den hier diskutierten Ansatz zu

äußern.ImSpeditions-Fall396gingesinderEntscheidungumdieVerantwortlichkeitdes

391Spring,DiestrafrechtlicheGeschäftsherrenhaftung,S.256.392Spring,Die strafrechtlicheGeschäftsherrenhaftung, S. 256.AuchKühl, StrafrechtAT, §18Rn. 104;Roxin,StrafrechtATII,§32Rn.155ff..393 Spring, Die strafrechtliche Geschäftsherrenhaftung, S. 257, versteht unter Nötigung: „wennMitarbeiterumihrenArbeitsplatzbangenmüssen,sofernsiesichnichtdurchrechtswidrigesHandelnindie Organisationsstruktur einfügen oder falls die Erfüllung eines vorgegebenes Arbeitspensum unterEinhaltung gesetzlicher Vorschriften regelmäßig nicht möglichst ist“. Nach unserer Ansicht kann dieNötigung ebenso erfolgen, wenn die Bedingungen zur Ausübung einer Tätigkeit im Unternehmen als„gefährlich“eingestuftwerden.394Fischer,StGB,§13Rn.38.395Siehe,Bottke,HaftungausNichtverhütungvonStraftatenUntergebenerinWirtschaftsunternehmendelegelata,S.25ff.396Urteilvom08.02.2006;NJW2006,S.1824ff.

Page 86: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

86

Geschäftsführers,inderdasGerichtaufdasrechtswidrigeundgefährlicheSystemdes

Unternehmens zurückgegriffen hat, um eine Garantenpflicht zur Verhinderung von

Rechtsgutsverletzungen bei Außenstehenden als Folge des Systems zu begründen.

Abgesehen davon, dass sich in der Rechtsprechung keine klare Linie für die

Verantwortung des Betriebsinhabers erkennen lässt, bietet diese Entscheidung eine

überzeugendeLösungzuderhierbehandeltenProblematikan.

Literaturverzeichnis

Arzt, Gunther: Zur Garantenstellung beim unechten Unterlassungsdelikt, JA 1980, S.

553ff.

Page 87: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

87

Binding, Karl: Die Normen und ihre Übertretung, - Eine Untersuchung über die

rechtsmäßige Handlung und die Arten des Delikts, Bd. 1: Normen und Strafgesetze,

Neudruckder4Aufl.,Leipzig1992,Aalen1965.

Blei, Hermann: Garantenpflichtbegründung beim unechten Unterlassen, in: Geerds,

Friedrich/Naucke,Wolfgang (Hrgs.), Beiträge zur gesamten Strafrechtswissenschaft –

FestschriftfürHellmuthMayerzum70.Geburtstagam1.Mai1965,Berlin1966,S.119

ff.

Bloy,René:BeteiligungsformalsZurechnungstypusimStrafrecht,Berlin1985.

Bosch,Nikolaus,OrganisationsverschuldeninUnternehmen,Augsburg2002.

Böse,Martin:DieGarantenstellungdesBetriebsbeauftragten,NStZ2003,S.636ff.

Bottke, Wilfried: Haftung aus Nichtverhütung von Straftaten Untergebener in

Wirtschaftsunternehmendelegelata,Berlin1994.

Burkhardt, Björn: Tatbestandmäßiges Verhalten und ex-ante-Betrachtung – Zugleich

einBeitragwiderdie„VerwirrungzwischendemSubjektivenunddemObjektiven“- ,

in: Wolter/Freund (Hrgs.) Straftat, Strafzumessung und Strafprozess im gesamten

Strafrechtssystem,S.43ff;

Brammsen,Joerg:DieEntstehungsvoraussetzungderGarantenpflichten,Berlin1986.

Feuerbach, Paul Johann Anselm: Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen

PeinlichenRechts,2.Aufl.,Gießen1803.

Fischer,Thomas:StrafgesetzbuchmitNebengesetzen,64.Aufl.,München2017.

Freund,George:ErfolgsdeliktundUnterlassen,Köln/Berlin/Bonn/München1992.

- Strafrecht Allgemeiner Teil, Personale Straftatlehre, Berlin/Heidelberg/New York

1992.

Frisch, Wolfgang: tatbestandmäßiges Verhalten und Zurechnung des Erfolgs,

Heidelberg1988.

-VorsatzundRisiko,Köln/Berin/Bonn/München1983.

Page 88: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

88

Grünewald,Anette:ZivilrechtlichbegründeteGarantenpflichten imStrafrecht?,Berlin

2001.

Haas,Volker:DieTheoriederTatherrschaftundihreGrundlagen–ZurNotwendigkeit

einerRevisionderBeteiligungslehre,Berlin2008.

- Kausalität und Rechtsverletzung: ein Beitrag zu den Grundlagen strafrechtlicher

ErfolgshaftungamBeispieldesAbbruchsrettenderKausalverläufe,Berlin2002.

Heine, Günter: Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen – Von

individuellen Fehlverhalten zu kollektiven Fehlentwicklung, insbesondere bei

Großrisiken,Baden-Baden1995.

Herzberg, Rolf Dietrich: Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip,

Berlin/NewYork1972.

Hoyer, Andreas: Die strafrechtliche Verantwortlichkeit innerhalb von

Weisungsverhältnissen: Sonderegeln für Amts- und Wehrdelikte und ihre

Übertragbarkeit auf privatrechtliche Organisationen, in: Amelung (Hrsg.) Individuelle

Verantwortung und Beteiligungsverhältnisse bei Straftaten in bürokratischen

OrganisationendesStaates,derWirtschaftundderGesellschaft,S.23ff.

Hsü, Yü-hsiu: Garantenstellung des Betriebsinhabers zur Verhinderung strafbarer

HandlungenseinerAngestellten,Pfaffenweiler1986.

Hruschka,Joachim:Strafrechtnachlogisch-analytischerMethode,2.Aufl.,Berlin1988.

Jakobs,Günter:Strafrecht,AllgemeinerTeil,2.Auflage,Berlin/NewYork1991.

-DiestrafrechtlicheZurechnungvonTunundUnterlassen,München1996.

-SystemderstrafrechtlichenZurechnung,Opladen2012.

Jescheck,Hans-Heinrich/Weigend,Thomas:LehrbuchdesStrafrechts,AllgemeinerTeil,

5Auflage,Berlin1996.

Kaufmann,Armin:DieDogmatikderUnterlassungsdelikt,Göttingen1959.

Page 89: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

89

Kaufmann,Arthur:Analogieund„NaturdeSache“.ZugleicheinBeitragzurLehrevom

Typus,Heidelberg1965.

Kindhäuser,Urs:StrafrechtAllgemeinerTeil,7Aufl.,Baden-Baden2015.

-GefährdungalsStraftat,FrankfurtamMain,1989.

-ZurLogikdesVerbrechenaufbaus, in:Koch(Hrgs.)HerausforderungenandasRecht:

AlteAntworteaufneuenFragen?,Berlin1997,S.77ff.

-TäuschungundWahrheitsanspruchbeimBetrug,ZStW1991,S.398ff.

Köhler,Michael:StrafrechtAllgemeinerTeil,Berlin/Heidelberg/NewYork1997.

Kühl,Kristian:StrafrechtAllgemeinerTeil,4Aufl.München2002.

Langer,Richard:DieSonderstraftat.EinegesamtsystematischerGrundlegungderLehre

vomVerbrechen,2Aufl.Berlin2007.

Maiwald,Manfred:GrundproblemederUnterlassungsdelikte,JuS1981,S.473ff.

Mañalich, Juan Pablo: Nötigung und Verantwortung- Rechtstheoretische

Untersuchungen zum präspriktiven und askriptiven Nötigungsbegriff im Strafrecht,

Baden-Baden2008.

Mansdörfer, Marco: Zur Theorie des Wirtschaftsstrafrechts. Zugleich eine

Untersuchung zu funktionalen Steuerungs- und Verantwortlichkeitsstrukturen bei

ökonomischenHandeln,Heidelberg2011.

Maurach, Reinhart: Deutsches Strafrecht, Allgemeiner Teil, Ein Lehrbuch, 4. Auflage,

Karlsruhe1971.

Maurach, Reinhart/Gössel, Karl Heinz/Zipf, Heinz: Strafrecht, Allgemeiner Teil,

Teilband2.ErscheinungsformendesVerbrechensundRechtsfolgenderTat,7Auflage,

Heidelberg1989.

Mikus, Rudolf Alexander: Die Verhaltensnorm des fahrlässigen Erfolgsdelikts, Berlin

2002.

Page 90: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

90

Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Hrgs. VonWolfgang Joecks und Klaus

Miebach,3.Aufl.,München2017.

Nagler,Johanners:DieProblematikderBegehungdurchUnterlassung,GS111(1938),

S.15f.

Nietze,Paul:DieBedeutungderEntsprechenklauselbeimBegehendurchUnterlassen

(§13StGB),Berlin1989.

NommosKommentar zumStrafgesetzbuch, 4Aufl. hrgs. vonUrs Kindhäuser,Ulfried

NeumannundHans-UlrichPaeffgen,Baden-Baden2013.

Pawlik, Michael: „Das dunkelste Kapitel in der Dogmatik des Allgemeinen Teils:

BemerkungenzurLehrevondenGarantenpflichten“,in:ManfredHeinrichu.a.(Hrsg.),

StrafrechtalsScientiaUniversalis(FestschriftfürClausRoxin),Berlin/NewYork2011,S.

931ff.

Ransiek,Andreas:DasunechteUnterlassungsdelikt,JUS2010,S.585ff.

- Unternehmensstrafrecht – Strafrecht, Verfassungsrecht, Regelungsalternativen;

Heilderberg,1996.

-Unternehmensstrafrecht,Heilderberg,1996.

Rengier,Rudolf:StrafrechtAllgemeinerTeil,8Aufl.München2016

Renzikowski, Joachim: Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung, Tübingen

1997.

Rogall, Klaus: Dogmatische und Kriminalpolitische Probleme der

Aufsichtpflichtverletzung in Betrieben undUnternehmen (§ 130OWiG), in: ZStW 98

(1986),S.611ff.

Rotsch,Thomas:IndividuelleHaftunginGroßunternehmen–PlädoyerfürdenRückzug

desUmweltstrafrechts,Baden-Baden1998.

Roxin,Claus:StrafrechtAllgemeinerTeil–BandII-BesonderesErscheinungsformender

Straftat,München2003

Page 91: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

91

-StrafrechtAllgemeinerTeil–BandI–Grundlagen,DerAufbauderVerbrechenslehre,

4.Auflage,München2006.

-AnmerkungzumUrteildesBGHvom20.10.2011–4StR71/11(Garantenpflichteines

Betriebsinhabersbzw.VorgesetztenzurVerhinderungvonStraftatennachgeordneter

Mitarbeiter–Mobbing),in:JR2012,S.305ff.

Rudolphie, Hans-Joachim: Die Gelichstellungsproblematik der unechten

UnterlassungsdelikteundderGedankederIngerenz,Göttingen1966.

Sangenstedt, Christoph: Garantenstellung und Garantenpflichten von Amtsträgern,

ZugleicheineUntersuchungzudenGrundlagenderstrafrechtlichenGarantenstellung,

FrankfurtamMain/Bern/NewYork/Paris1988.

Schall, Hero: Grund und Grenzen der strafrechtlichen Geschäftsherrenhaftung, in:

Rogall, Klaus/Puppe, Ingeborg/ Stein, Ulrich/Wolter, Jürgen (Hrsg.): Festschrift für

Hans-JoachimRudolphiezum70Geburtstag,Neuwied2004,S.267ff.

Schönke, Adolf/Schröder, Horst: Strafgesetzbuch; 16 Aufl. München 1972; 29 Aufl.

bearbeitetvonThedorLeckner,AlbinEser,PeterCramer,WalterStree,GunterHeine,

WalterPerronundDetlevSternberg-Liebe,München2014.

Schubarth,Martin:ZurstrafrechtlichenHaftungdesGeschäftsherren,SchwZStR1976,

S.370ff.

Schulz,Michael:Amtswalterunterlassen,Berlin,1984.

Schünemann, Bernd: Unternehmenskriminalität und Strafrecht, Köln, Berlin, Bonn,

München,1979.

- Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte – Zugleich ein Beitrag zur

strafrechtlichenMethodenlehre,Göttingen,1971.

-ZurKritikderIngerenz-Garantenstellung,GA1974,S.231ff.

-StrafdogmatischeundkriminalpolitischeGrundfragenderUnternehmenskriminalität,

wistra,1982,S.41ff.

Page 92: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

92

- Die Unterlassungsdelikte und die strafrechtliche Verantwortlichkeit für

Unterlassungen,ZStW,1984,Band96,S.287ff.

-Unternehmenskriminalität, in Roxin, Claus/Widmaier, Gunter (Hrsg.): 50 Jahre

Bundesgerichtshof – Festgabe aus der Wissenschaft, Band IV. Strafrecht,

Strafprozessrecht,München2000,S.37ff.

Seelmann, Kurt: Opferinteressen und Handlungsverantwortung in der

Garantenpflichtdogmatik,in:GA1989,S.241ff.

Stratenwerth, Günter/Kuhlen, Lothar: Strafrecht – Allgemeiner Teil, Die Straftat, 6

Auflage,München2011.

Stree, Walter: Garantenstellung kraft Übernahme, in: Geerds, Friedrich/Naucke,

Wolfgang (Hrsg.), Beiträge zur gesamten Strafrechtswissenschaft – Festschrift für

HelmuthMayerzum70.Geburtstagam1.Mai1965,Berlin1966,S.145ff.

Sowada,Christoph:DieGarantenstellungausvorangegangenemTun(Ingerenz),JURA

2003,S.236ff.

Tiedemann,Wirtschaftsstrafrecht-EinführungundAllgemeinerTeil,4Aufl.,München

2014.

-TatbestandfunktioneninNebenstrafrecht,Tübingen1969.

Toepel, Friedrich: Grundstrukturen des Sachverständigenbeweis im Strafprozeßrecht,

Tübingen2002.

Vogel, Joachim: Norm und Pflicht bei den unechten Unterlassungsdelikten, Berlin

1993.

Vogler, Theo: Zur Bedeutung des § 28 StGB für die Teilnahme am unechten

Unterlassungsdelikt, in: Festschrift für Richard Lange zum 70. Geburtstag, hrgs. Von

GünterWarda,1976,S.265ff.

Walter,Stefan:DiePflichtdesGeschäftsherrenimStrafrecht,FrankfurtamMain2000.

Welp, Jürgen: Vorangegangenes Tun als Grundlage einer Handlungsäquivalenz der

Unterlassung,Berlin1968.

Page 93: Die Garantenstellung des Betriebsinhabers - ULB Bonnhss.ulb.uni-bonn.de/2017/4785/4785.pdf · Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch umstrittenste und dunkelste

93

Wolf,ErnstAmadeus:KausalitätvonTunundUnterlassen,Heidelberg1965.