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DieGarantenstellungdesBetriebsinhabers
Inaugural–Dissertation
zurErlangungdesGradeseinesDoktorsderRechtedurchdieRechts-und
StaatswissenschaftlicheFakultätderRheinischenFriedrich-Wilhelms-UniversitätBonn
vorgelegtvon
AndyJeffersonCarriónZenteno
Bonn,2017
Dekan: Prof.Dr.D.Zimmer
Erstreferent: Prof.Dr.UrsKindhäuser
Zweitreferent: P.D.Dr.KaiSchumann
TagdermündlichenPrüfung:19.06.2017
3
Gliederung
Inhaltsverzeichnis 3
Abkürzungsverzeichnis 6
§1Einführung 9
§2GarantenstellungdesBetriebsinhabers 10
I. BefehlsgewaltundOrganisationsherrschaft 10
II. VerantwortungfürbetrieblicheGefahrenquelle 14
III. Organisationszuständigkeit 16
IV. Zusammenfassung 20
§3Unterlassungsdelikte 20
I. Sanktions-undVerhaltensnormen 20
II. Verbots-undGebotsnormen 21
III. Echte-undunechteUnterlassungsdelikte 23
IV. Regelungsgehaltdes§13StGB 24
1. Erfolgsbegriff 25
2. RechtlichePflichten 26
3. VerfassungsmäßigkeitderNorm 26
4. Entsprechungsklausel 27
V. Norm-undPflichtwidrigkeit 28
1. Normwidrigkeit 29
2. Pflichtwidrigkeit 30
§4AnsätzezurBegründungvonGarantenpflichten 31
I. Gefahrschaffung 32
4
II. Vertrauen 35
III. Verhaltenserwartung 38
IV. Herrschaft 44
§5FeststellungderGarantenstellung 48
I. SystematischerStandortderGleichstellungsfrage 49
II. InhaltderGarantenstellung 53
1. GegenstandderGebotsnorm 53
2. DieGefahralsInhaltderNorm? 54
3. ErlaubtesRisiko 55
4. ex-anteFeststellungderInhaltsnorm? 55
5. Zusammenfassung 56
III. MaterielleLegitimationeinerGarantenstellung 57
1. DualistischeKonzeptionen 58
1.1. Kaufmann 58
1.2. Seelmann 60
1.3. Schünemann 61
1.4. Jakobs 61
1.5. Kindhäuser 62
2. Stellungnahme 62
§6BegründungderGarantenstellungdesBetriebsinhabers 65
I. Ausgangslage 65
1. GleichsetzungvonSach-undPersonalgefahren 67
2. GefährlicheOrganisation 70
3. GefahrschaffendesVorverhalten 73
II. Stellungnahme 77
1. Ausgangspunkt 77
2. Organisationszuständigkeit 78
3. GefährlichePerson? 79
4. GefährlicheOrganisation 80
5
5. Ingerenz 83
5.1. Personaleinstellung 84
5.2. GefahrenträchtigeBetriebsorganisation 85
Literaturverzeichnis 87
6
Abkürzungsverzeichnis
Abs. Absatz
Anm. Anmerkung
AT AllgemeinerTeil
Aufl. Auflage
ders. Derselbe
BGB BürgerlichesGesetzbuch
BGH Bundesgerichtshof
BGHSt EntscheidungendesBundesgerichtshofesinStrafsachen
Bn. Band
BT BesondereTeil
BverGE EntscheidungssammlungdesBundesverwaltungsgerichts
bzw. beziehungsweise
d.h. dasheißt
f. folgende(SeiteoderRandnummer)
ff. folgendes(SeitenoderRandnummern)
Fn. Fußnote
FS Festschrift
GA Goltdammer´sArchivfürStrafrecht
GS Gedächtnisschrift
Hrsg. Hergestellt
i.d.R. inderRegel
JA JuristischeArbeitsblätter
JZ Juristenzeitung
JR JuristischeRundschau
Jura JuristischeAusbildung
JuS JuristischeSchulung
MüK Strafgesetzbuch,MünchenerKommentar
NJW NeueJuristischeWochenschrift
7
NK NomosKommentar
NStZ NeueZeitschriftfürStrafrecht
OLG Oberlandesgericht
OWiG GesetzüberOrdnungswidrigkeiten
RGSt EntscheidungendesReichgerichtsinStrafsachen
Rn. Randnummer
S. Seite
SchwZStR SchweizerischeZeitschriftfürStrafrecht
Sog. sogenannt
StGB Strafgesetzbuch
u.a. unteranderem
u.s.w. undsoweiter
vgl. vergleiche
wistra ZeitschriftfürWirtschaft,Steuer,Strafrecht
z.B. zumBeispiel
ZStW ZeitschriftfürdieGesamteStrafrechtswissenschaft
8
GarantenstellungdesBetriebsinhabers
§1Einführung
Die strafrechtliche Verantwortung des Betriebsinhabers ist bis heute ein noch
umstrittenesProblemdesWirtschaftsstrafrechts, obwohldiesesThema schon lange
imSchrifttumundinderRechtsprechungdiskutiertwird.Hierbeigehtes imKernum
die Frage, ob sich der Geschäftsführer wegen Unterlassens nach § 13 StGB für
StraftatenseinerUntergebenenstrafbarmacht.ImAllgemeinenhandeltessichumein
Problem der Garantenstellung3, welche ebenso ein ungeklärtes Problem des
Strafrechts darstellt. Roxin bezeichnet diese Problematik sogar als „das heute noch
umstrittenste und dunkelste Kapitel in der Dogmatik des Allgemeines Teils“4. Die
UrsachedieserAussage liegtdarin,dassdie„bedenklichoffeneFormulierung“5des§
13 StGB nicht sagt, wann jemand „rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg
nichteintritt“.FolglichstehtalsonichtimGesetz,unterwelchenVoraussetzungender
TäteralsGarantzurAbwendungdesErfolgsverpflichtetist.6
Trotz dieser grundlegenden und noch nicht ausführlich beantworteten Problematik,
haben sowohl die Rechtsprechung7 als auch die überwiegende Literatur8 im Bereich
des Wirtschaftsstrafrechts die Garantenstellung des Betriebsinhabers zur3 Schon die Terminologie ist umstritten. Manche sprechen von Garantenpflicht als Oberbegriff und4 Roxin, Strafrecht AT II, § 32 Rn. 2.; Pawlik, FS-Roxin zum 80. Geburtstag, S. 931 ff.; auch Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.26,hatdieBestimmungdesGarantenals„[…]einederschwierigstenAufgabenderDogmatikdesAT[…]“beurteilt.5SoKühl,StrafrechtAT,2012,§18Rn.41.6Kindhäuser,StrafrechtAT,§36Rn.2.7RGSt24,252(254f.);33,261ff.;57,148(151);58,130(132ff.);75,296;BGHSt25,158(162f.);37,106(123f.);BGH,Urt.v.20.10.2011-4StR71/11Rn.13.8Bottke,HaftungausNichtverhütungvonStraftatenUntergebenerinWirtschaftsunternehmendelegelata, S. 25 ff.; Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzung der Garantenpflichten, S. 275 ff.; Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.36;Ransiek,Unternehmensstrafrecht,S.36;Kindhäuser,StrafrechtAT,§36Rn.63;Rogall,ZStW98(1986),613ff.;Schünemann,Unternehmenskriminalität,S.101ff.;Roxin,StrafrechtAT II,§32Rn.137;ders., JR2012,S.307;Tiedemann,WirtschaftsstrafrechtAT, 2014,§5Rn.289ff.;Schall,FS-Rudolphi,S.267ff.;Bosch,OrganisationsverschuldeninUnternehmen,S.142ff.;Walter,DiePflichten des Geschäftsherren im Strafrecht, S. 140 ff.; ablehnend: Hsü, Garantenstellung desBetriebsinhabers zur Verhinderung strafbarer Handlungen seiner Angestellten, S. 241 ff.; Schubarth,SchwZStR,1976,S.385f.
9
Verhinderung von Straftaten Untergegebener anerkannt. Während die
Rechtsprechung die Theorie der Allzuständigkeit und der Generalverantwortung der
Unternehmensleitung entwickelt hat,9 welche ihr eine flexible Reaktion auf alle
möglichen Fallgestaltung erlaubt,10 nimmt die herrschende Literatur eine auf
betriebsbezogene beschränkte Geschäftsherrenhaftung an11. Diese Ansätze bieten
allerdings keinen ausreichenden Haftungsgrund einer Garantenstellung des
Betriebsinhabersan.
Aus all diesen Gründen soll im Folgenden untersucht werden, ob sich die
Garantenstellung des Betriebsinhabers auf ein anderes und einheitliches Kriterium
stutzen lässt, das auch in der Lage ist, die kritischen Aspekte der Theorien zu
überwinden.DadurchsolleinBeitragzurFormulierungderGeschäftsherrenhaftungim
ZusammenhangmitderNormtheorieerstelltwerden.
§2GarantenstellungdesBetriebsinhabers
DadievertretenenAnsätzevonGarantenpflichtendesBetriebsinhabersvielfältigsind,
werdenwirnurdiegängigstenLegitimationsmodellekritischerörtern.DieUnterteilung
der Garantenstellung in Pflichten aus Gesetz, Vertrag,12 Ingerenz13, oder
9RGSt24,252(254f.);33,261ff.;57,148(151);58,130(132ff.);75,296;BGHSt25,158(162f.);37,106(123f.);BGHSt57,42.InBezugaufdieGarantenstellungdesCompliance-Officers,BGHSt54,44ff.Jüngst und ausdrücklichüberGeschäftsherrenhaftung, BGH,Urt. v. 20. 10. 2011- 4 StR 71/11Rn. 13:„[…] aus der Stellung als Betriebsinhaber bzw. Vorgesetzter [kann sich] je nach den Umständen deseinzelnen Falles eine Garantenpflicht zur Verhinderung von Straftaten nachgeordneter Mitarbeiterergeben.Diesebeschränkt sich indesaufdieVerhinderungbetriebsbezogener StraftatenundumfasstnichtsolcheTaten,diederMitarbeiterlediglichbeiGelegenheitseinerTätigkeitimBetriebbegeht.“10Mansdörfer,ZurTheoriedesWirtschaftsstrafrechts,S.322.11Bottke,HaftungausNichtverhütungvonStraftatenUntergebenerinWirtschaftsunternehmendelegelata, S. 25 ff.; Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzung der Garantenpflichten, S. 275 ff.; Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.36;Ransiek,Unternehmensstrafrecht,S.36;Kindhäuser,StrafrechtAT,§36Rn.63;Rogall,ZStW98(1986),S.613ff.;Schünemann,UnternehmenskriminalitätundStrafrecht,S.101ff.;Roxin,StrafrechtATII,§32Rn.137;ders.,JR2012,S.307.12 Feuerbach, Lehrbuch, § 24: „Weil aber die ursprüngliche Verbindlichkeit des Bürgers nur aufUnterlassungen geht; so setzt ein Unterlassungsverbrechen immer einen besonderen Rechtsgrund,(GesetztoderVertrag)voraus,durchwelchendieVerbindlichkeit zurBegehungbegründetwird.OhnediesenwirdmandurchUnterlassungkeinVerbrecher.“13 Die Rechtspflicht aus vorangegangenem gefährdeten Tun (Ingerenz) wurde von dem Rechtsgerichtgefügt,RGSt24,339f.;64,273(276).
10
Lebensgemeinschaft14 sowie die von Kaufmann begründete Unterscheidung in
Beschützer- und Überwachergarant15 sollen außer Acht gelassen werden. Dies
erscheintdeshalbangebracht,weilmitdersogenanntenFormellenRechtspflichtlehre
allerhöchstens eine Katalogisierung der Garantenpositionen ermöglicht wird, nicht
aber der Grund der Garantenstellung genannt ist.16 Auch die Funktionslehre hilft
deshalb nicht, weil sie nichts über den Grund, Inhalt und Umfang der jeweiligen
PflichtenaussagtundsichPflichtensowohlzumSchutzeinesRechtsgutswieauchzur
Sicherung einer Gefahrenquelle, aufgrund des Mangels an Klarheit, beliebig
austauschenlassen.17
Im Folgenden werden sich unsere Überlegungen auf drei Konzeptionen der
Garantenstellung des Betriebsinhabers konzentrieren, die versucht haben, einen
materiellen Haftungsgrund der Strafrechtlichen Verantwortung zu begründen. Dabei
handelt es sich um innerbetriebliche Weisungs- und Autoritätsverhältnisse,
Herrschaftsverhältnisse über die Gefahrenquelle und organisatorische
Zuständigkeiten.
I.BefehlsgewaltundOrganisationsherrschaft
Die Frage nach der Garantenstellung des Betriebsinhabers wird teilweise auf die
Befehlsgewalt und Organisationsherrschaft gestützt. Diese Theorie, die von
Schünemann18 entwickelt worden war, wird aus dem Herrschaftsprinzip19 als
übergeordnetematerialeRichtlinie20hergeleitet.
14SieheRGSt,66,71(73);RGSt69,321(322f.);74,309(310f.).15 Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikt, S. 283. „Die Verteidigungsaufgabe des Garantenkann inzweiRichtungengehen:EinmalkanndasGebotssubjekt ,ausPostengestelltʻseinzumSchutzeeinesganzbestimmtenRechtsgutesgegenalleAngriffe,gleichauswelcherRichtung[…].Zumanderenkann die Garantenposition in der Überwachung einer bestimmten Gefahrenquelle bestehen,gleichgültig,welchenkonkretenRechtsgüternimeinzelnenausdieserQuelleGefahrendrohen.“16Vgl.Kindhäuser,StrafrechtAT,§36Rn.50.17Vgl.Freund,ErfolgsdeliktundUnterlassen,S.43.Es istbekanntdasdargestellteBeispielvonJakobs,um die Unterteilung der Garantenstellungen in Frage zu stellen, Strafrecht AT, §29 Rn. 27: „Ist derBademeisterBeschützerderGästevordenGefahrendesWassersoderÜberwacherdieserGefahr?“.18Schünemann,UnternehmenskriminalitätundStrafrecht,S.95ff.;ders.ZStW96(1984),S.318;ders.wistra1982,S.43.19 Im ähnlicher Weise stützen sich auch auf der Herrschaftsgedanke um eine Garantenstellung desBetriebsinhabers zu begründen: Ransiek, Unternehmensstrafrecht, 1996; Bottke, Haftung aus
11
Weil die von Kaufmann dargestellte Unterscheidung zwischen Beschützer- und
Überwachergarant21aufgrundderbloßen(deskriptive)Umschreibungnichtüberzeugt,
fordert Schünemann die Unterteilung der Garantenstellung anhand der
„Erfolgsursache“undder„HilfslosigkeitdesOpfers“22.
Im Rahmen eines Unternehmens kommt eine Garantenstellung von
Unternehmensorganen grundsätzlich in zweierlei Hinsicht in Betracht: Zum einen in
Formder„OberherrschaftübergefährlicheSachenundVerrichtungen“,zumanderen
inFormder„rechtlichenBefehlsgewalt23überdieArbeitsnehmer“.24
SchünemannbegründetdieersteKategoriemitdemGewahrsamderSache.Weralso
die unmittelbare Herrschaft über die Sache – als Sachnächster- ausübt, besitzt die
„primäreGarantenstellung“.DerHintermann,derdieunmittelbareBefehlsgewaltüber
die Sache innehat,begründeteine „sekundäreGarantenstellung“.25Dadie komplexe
OrganisationdesBetriebeszueinerAbnahmeder IntensitätderBefehlsgewalt führt,
treffen den übergeordneten Hintermann die Aufsichts-, Koordination- und
Kontrollpflichten. „Wissen wird hier zur Macht, Macht zur Garantenpflicht und die
Nichtausübung dieser Herrschaft bedeutet dann auch eine Verletzung der
Garantenpflicht“.26
Die Kategorie der rechtlichen Befehlsgewalt über die Arbeitsnehmer ergibt sich aus
dem „Direktionsrecht“ des Arbeitsgebers sowie aus dessen „überlegenden
Informationsfundus“. Die Herrschaft der Unternehmensorgane konzentriert sich
teilweise auf das „größereWissen“, das im Einzelnen vielfältig differenziert sei. Eine
ähnliche Struktur liegt auch der Befehlsgewalt zugrunde, denn „wie wir nunmehr
wissen, manifestiert sich diese „Zwangsherrschaft“ nicht nur in einer direkten
Nichtverhütung von Straftaten Untergebener in Wirtschaftsunternehmen de lege lata, 1994, Bosch,OrganisationsverschuldeninUnternehmen.20Schünemann,GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.229.21Schünemann,UnternehmenskriminalitätundStrafrecht,S.88f.22Schünemann,UnternehmenskriminalitätundStrafrecht,S.89.23SoauchjüngstHoyer,in:Amelung(Hrsg.)IndividuelleVerantwortungundBeteiligungsverhältnissebeiStraftateninbürokratischenOrganisationendesStaates,derWirtschaftundderGesellschaft,S.23ff.24Schünemann,UnternehmenskriminalitätundStrafrecht,S.95.25Schünemann,UnternehmenskriminalitätundStrafrecht,S.97f.26Schünemann,UnternehmenskriminalitätundStrafrecht,S.98.
12
Ausübung des Direktionsrechts, sondern in viel wirksamer Weise in dessen
institutionalisiertenFormen“.27
Die logische Konsequenz von Schünemanns Herrschaftsgedanken zwingt ihn zur
AblehnungeinerGarantenstellungausIngerenz,dennmitdemVerlustderHerrschaft
bricht der Täter alle Garantenpflichten ab.28 Neuerdings hat sich Schünemann aber
explizit von dieser ursprüngliche Fassung distanziert und mit Hilfe des von ihm
dargestellten Kriteriums der „Herrschaft über die partielle Hilfslosigkeit des Opfers“
eine Garantenstellung aus Übernahme anerkannt. In der Lederspray-Konstellation29
besteht also eine Produktbeobachtungspflicht als Voraussetzung einer
Garantenstellungdarin,„[…],dassderProduzentgegenüberdemKundengenaudies
zu tun verspricht und der Kunde sich darauf verlässt, dass er nicht anders als der
PatientgegenüberdemHausarztoderderKraftfahrzeuggegenüberderWerkstattdie
SorgefürdieGefahrlosigkeitdesProdukts[…]indieHändedesProduzentenlegt“30.
Kritik
Mit seiner Garantenstellung aufgrund tatsächlicher Herrschaft ist Schünemann auf
heftigeKritikgestoßen.31DerTatherrschaftstheorieistesnichtgelungen,alstragender
GedankesowohlbeiBegehungs-alsauchbeiUnterlassungsdeliktezuüberzeugen.32
Was denHerrschaftsgedanken imUnternehmensbereich betrifft, kann das Kriterium
der „Oberherrschaft über gefährliche Sachen und Verrichtungen“ eine
Garantenstellung des Betriebsinhabers nicht begründen. Allein schon der Umstand,
dass bei höchst komplexen Unternehmensstrukturen eine Befehlsgewalt des27Schünemann,UnternehmenskriminalitätundStrafrecht,S.102f.28Schünemann,GA1974,S231ff.;ders.,UnternehmenskriminalitätundStrafrecht,S.99, indenFällederProdukthaftung, indenendieSchädlichkeitdervertriebenGegenständeersterkennbarsindalssieschoninVerkehrgebrachtwordensind,„[…]sokanndie imZivilrechtbejahtePflichtzumRückrufderbereistvertriebenSachenichtmiteinerstrafrechtlichenGarantenpflichtgleichgesetztwerden,weil ihrkeinefortbestehendeSachherrschaftmehrkorrespondiere.“29BGHSt37,106ff.30Schünemann,FS-BGHIV,S.640.31 Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip, S. 192 ff. Brammsen, DieEntstehungsvoraussetzungderGarantenpflichten,S.69ff.;Freund,ErfolgsdeliktundUnterlassen,S.140ff.; Jakobs, Strafrecht AT, § 29 Rn. 28 in Fn. 53.; Vogel, Norm und Pflicht bei den unechtenUnterlassungsdelikten,S.351f.;Heine,DiestrafrechtlicheVerantwortlichkeitvonUnternehmen,S.117f.32JüngstHaas,DieTheoriederTatherrschaftundihreGrundlagen,S.21ff.
13
„Hintermannes“-sowohlüberdieSachealsauchüberden„Sachnächsten“–ausgeübt
wird, führt dennoch nicht zu einer Verpflichtung seinerseits, eine mögliche Straftat
verhindern zu müssen. Außerdem fehlt eine Erklärung dafür, warum sich „Wissen“
zwingend in „Herrschaft“ verwandelt. Die moderne Dezentralisierung des
Unternehmens hat jedoch gezeigt, dass derjenige, der das „Wissen“ innehat, nicht
unbedingtdazubefähigseinmuss,dieHerrschaftüberdieSacheauszuüben.
Fragwürdig ist ebenso das Kriterium der rechtlichen Befehlsgewalt über die
Arbeitnehmer.DamitwirdinWirklichkeiteinestrafrechtlicheVerhinderungspflichtaus
derfaktischenPositiondesBetriebsinhabers imUnternehmenhergeleitet.Hierbleibt
ungeklärt,wieausdemDirektionsrechtzwingendeinestrafbewehrtePflichtentstehen
soll, eine Straftat zu verhindern. Schünemann orientiert sich zur Begründung der
Verantwortung ausschließlich an einer formal bestehenden Kompetenz und am
Weisungsrecht.33
SelbstRoxinkritisiertdieseAuffassungunterdreiGesichtspunkten:„[…]Erstensberuht
die Straftat des Untergegebenen, für die der Geschäftsherr zur Verantwortung
gezogen werden soll, gerade nicht auf einer Herrschaftsgewalt des Betriebsleiters,
sondern auf deren Versagen, d.h. auf der Wirkungslosigkeit seiner Anordnungen.
Zweitens kann eine Unterlassung von vornherein keine Herrschaft begründen; diese
setzt die tatmächtige Steuerung eines Kausalverlaufs voraus. Und drittens ist
unbestritten,dassausdemWeisungsrechtauchimRahmeneinesBetriebesnichtohne
WeiteresErfolgsanwendungspflichtenerwachsen.“34
Wasdie Ingerenzanbelangt,stütztsichSchünemannaufdie„berechtigteErwartung“
des Verbrauchers, um eine Garantenstellung des Produzenten zu begründen. Damit
verabschiedet er sich aber endgültig von dem Herrschaftsgedanke bei den
Produkthaftungsfällen, denn es besteht hierbei keine Herrschaftsbeziehung mehr
zwischendemherstellendenUnternehmenunddeminVerkehrgebrachtenObjekt.
II.VerantwortungfürbetrieblicheGefahrenquelle
33Bosch,OrganisationsverschuldeninUnternehmen,S.172.34Roxin,FS-Beulke,S.244.
14
Nachdem sich die Befehlsgewalt und die Organisationsherrschaft als unzureichende
Begründungskriterien zur Verantwortung aus Unterlassung des Betriebsinhabers
herausgestellthaben,gelangtHeineinseinerHabilitationsschriftzurAnsicht,dasseine
GarantenstellungaufgrundbesondererGefahrenquelleinBetrachtkommenkönnte.
SeinerMeinung nach, verpflichtet die Schaffung eines Betriebes denGeschäftsherrn
dazu,dasbesonderebetrieblicheGefahrenpotentialzuüberwachen,sodasssichdieses
nichtineineSchädigungrechtlichgeschützterInteressenrealisierenkann.Dafürmuss
der Inhaber den Umgang mit gefährlichen Einrichtungen und Anlagen,
Produktionsprozessen und –mitteln so konzipieren und organisieren, dass keine
Rechtsgutsverletzungen eintreten. Daraus folgen auch die kontinuierliche Kontrolle
undgegebenenfallsdieErgreifungvonSicherungsmaßnahmen.35
HeineleitetdieGarantenpflichtauseigenständigenkernstrafrechtlichenÜberlegungen
her. Damit will er den von ihm für Wesentlich gehaltenen Leitgesichtspunkt
weiterentwickeln. Es kommt hierbei also ein „funktionaler Delegationsfehler“ in
Betracht,wenndasSicherheitsniveaudurchDelegationerheblichvermindertwird.Die
Kontrolle der Delegation kann wiederum persönlich oder durch
Operationalisierungsprozesse erfolgen. Daraus könnten sich „funktionale
Kontrollfehler“ergeben.„FunktionaleOrganisationsfehler“kommennurdanninFrage,
wenn die Konzernleitung nicht der Pflicht nachkommt, bei der Organisation und
Koordination des Unternehmens spezifischen Gefährdungen (Organisatorisch-
Konzeptionell, Strategisch) entgegenzuwirken.36 Allgemein verdeutlicht: „[…] Je
wenigerlokalisierbarundjebedrohlicherdieGefahrenquelleist,jeumfangreichersich
dieTragweitevonEntscheidungendarstellt,destoeherverbleibtdieVerantwortungin
derKonzernspitze–undumgekehrt“.37
UmdenPflichtenkreisweiterzupräzisieren,konzentriertsichHeinevorallemaufden
Bereich„höherer“Verantwortung.DiestrikteBeachtungderrechtlichenVorgaben,die
gefährliche Einrichtungen und Produktionsprozessen regeln und insbesondere durch
behördliche Entscheidungen im Einzelfall konkretisiert werden, führe zu einer
weitreichenden Haftungserleichterung. Allerdings sei unzweifelhaft, dass die35Heine,DiestrafrechtlicheVerantwortlichkeitvonUnternehmen,S.120f.36Heine,DiestrafrechtlicheVerantwortlichkeitvonUnternehmen,S.124f.37Heine,DiestrafrechtlicheVerantwortlichkeitvonUnternehmen,S.125.
15
eigentlichen Urheber der Gefahren nicht aus ihrer Letztverantwortung entlassen
werdenkönnen.
Kritik
Im Grundsatz stellt die Theorie von Heine eine Neuformulierung des
Herrschaftsprinzipsdar.ZwarwirddasLeitungsorganaufgrundderHerrschaftüberdie
Gefahrenquelle dazu verpflichtet, das Unternehmen unter Kontrolle zu halten.
Infolgedessen leidet diese Lehre aber wie die Herrschaftstheorie an einem
grundsätzlichenMangel.AlleindasobjektiveDefizitderTatmachteinesLeitungsorgans
für die Organisation und Kontrolle einer dezentralisierten Abteilung des
Unternehmens38 zeigt, dass sich die „höhere“ Verantwortung nicht aus faktischen
Faktorenbegründenlässt.
Nicht überzeugend ist ebenso die Ansicht, dass bei wachsender Komplexität des
UnternehmensdieVerantwortunginderKonzernspitzeverbleibt.Ausdieserzirkulären
Überlegung folgt das unbefriedigende Ergebnis, dass sich die Unternehmensleitung
solangesiedieMaßnahmenfürdasRisikomanagementnichtergriffenhat,füralleaus
dem Unternehmen begangenen Delikten, die aus dem eigenständigen Strafrecht
stammen, verantwortlich macht. Dadurch wird aber die normative Korrespondenz
zwischen der Unterlassungshandlung und dem Erfolg übersehen und eine
strafrechtliche Haftung allein aufgrund des bloßen mangelnden Risikomanagements
einesUnternehmensbegründet.
Fraglich ist zudem, ob die Suche nach den „eigentlichen Schuldigen“ zwingend die
Unternehmensleitung erreichen muss. Heine erkennt zutreffend, dass die
Rechtsgutferne,DezentralisierungundKompetenzaufteilunginGroßbetriebenzueiner
Verflüchtigung individueller Verantwortung führt, somit strafbegrenzend wirkt.39
Zweifelhaft ist aber, dass er trotz dieser Erkenntnis „ein besonderes
38 Ähnlich Rotsch, Individuelle Haftung in Großunternehmen, S. 202: „[…] fehlt es aber imGroßunternehmerischen Kontext darüber hinaus an einer unmittelbar und kurzfristigenBeeinflussungsmöglichkeit.“39Heine,DiestrafrechtlicheVerantwortlichkeitvonUnternehmen,S.100.
16
Gefahrenmanagement zwangsläufig bei den Führungsorganen“40 ansiedeln will.41 Zu
Recht hat auch Walter42 hiergegen eingewendet, dass es vielleicht gar keinen
tragendenGrundgebe,dasUnternehmenhaften zulassen,wenndurch zunehmende
Rechtsgutsferne weit vorgreifender Tatbestände deren individueller Unrechtsbezug
schwinde.
III.Organisationszuständigkeit
AuchJakobsgehtdavonaus,dassdievonKaufmann43begründeteUnterscheidungin
Beschützer-undÜberwachergarantenwedereinenbefriedigendenHaftungsgrundder
GarantenstellungnocheinesystematischeKonsequenzfürderenEinteilungdarstellt44.
Daher legt er ein neues dualistischesModell vor, welches auf das „Synallagma von
VerhaltensfreiheitundFolgenverantwortung“45abstellt.Dementsprechendorientieren
sich Pflichten kraft Organisationszuständigkeit an der Vermeidung
rechtgutsverletzenderAußenwirkungendeseigenenOrganisationskreisesdesTäters.46
Die Pflicht aus institutioneller Zuständigkeit stammt aus einer institutionell
abgesicherten Solidarität, die für den gesellschaftlichen Bestand von elementarem
Gewicht sei.47 Hiernach wird auch die Unterscheidung zwischen Begehung und
Unterlassungrelativiert:„Begehungs-wieUnterlassungsdeliktekennenalsoeinerseits
eine Haftungsbegründung durch Organisationszuständigkeit und andererseits eine
solchedurchinstitutionelleZuständigkeit;darauserhellt,dassdieTrennungBegehung
–Unterlassung nur eine vonmehrerenmöglichen Schnitten durch den Komplex des
überhauptobjektivTatbestandmäßigenverfolgt.“48,soJakobs.
Bei der Garantenpflicht kraft Organisationszuständigkeit, die für die Verantwortung
der Unternehmensleitung eine besondere Bedeutung hat, geht es um die Sicherung
40Heine,DiestrafrechtlicheVerantwortlichkeitvonUnternehmen,S.125.41ZuerstRotsch,IndividuelleHaftunginGroßunternehmen,S.204.42Walter,DiePflichtendesGeschäftsherrenimStrafrecht,S.65.43Kaufmann,DieDogmatikderUnterlassungsdelikt,S.283.44Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.27.45Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.58.46Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.29ff.47Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.57ff.48Jakobs,StrafrechtAT,§7Rn.71(KursivimOriginal);ders.DiestrafrechtlicheZurechnungvonTunundUnterlassung,S.20.
17
einer Gefahrenquelle. Hierzu gehören die Verkehrspflichten, Pflichten aus Ingerenz
(vorangegangenesTun)undPflichtenausÜbernahme.49GrundderVerkehrspflichten
seien „[…] die Zuständigkeit des Organisators für die innere Organisation unter
AusschlussderZuständigkeitderinihrenGüternbedrohtenPersonen“50.
Die Ingerenz gehe „[…] im Bereich der Sicherungspflichten in den Verkehrspflichten
auf:DasVorverhaltenisteinGefahrauslösenderOrganisationsakt,derdenInhaberdes
gefährlichgewordenenOrganisationskreiseszurSicherungsverpflichtet“51.NachJakobs
wirdallerdingsdieIngerenznichtnurdurcheinrechtwidrigesVorverhaltenbegründet,
sondernauchdurch Sonderrisiken52.BeiderPflicht ausÜbernahme„mussder Täter
für die Konsequenzen seines Organisationsverhaltens, nämlich für den Fortfall einer
bislangbestehendenSicherung,einstehen“53.
WasdieGeschäftsherrenhaftungangeht,lehntJakobszuRechteineGarantenstellung
aufgrund derGewalt über andere Personen ab: Der „[…] Inhaber eines Betriebs hat
bezüglichdesVerhaltensseinerMitarbeiterkeinGestaltungsrecht;vielmehrkannjeder
Mitarbeiter,soerdiearbeitsrechtlichenKonsequenzeninKaufnimmt,dieTätigkeitfür
den Inhaber einstellen.“54 Stattdessen bejaht er die Pflicht des Betriebsinhabers zur
Verhinderung von Straftaten oder sonstiger gefährdender Verhalten seiner
UntergegebenerdurchKollusionunddurchgefährlicheSachendesUnternehmens.Da
„[…] die Handlungen im Rahmen des Betriebs stets auch Handlungen im
Organisationskreis des Inhabers sind […]“, haftet der Betriebsinhaberweiterhin „[…]
für die durch das Verhalten bewirkte Ausgestaltung seines eigenen
Organisationskreises“55.
Kritik
49Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.30ff.50Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.30;ders.SystemderZurechnung,S.36.51Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.31.52UnterSonderrisikenverstehtJakobs,SystemderZurechnung,S.37,ein„[…]erlaubtesVerhalten,fürdessen Konsequenzen der Sich-Verhaltende die ,kostenʻ tragen muss […], nämlich dann, wenn dasVerhalten ein höheres Risiko birgt als das unumgehbare alltägliche Verhalten und zugleich derGefährdetedieihmseinerseitsobliegendenSchutzmaßnahmengetroffenhat.“53Jakobs,SystemderZurechnung,S.38.54Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.36.55Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.36.
18
Fragwürdigist,obdasSynallagmavonVerhaltensfreiheitundFolgenverantwortungals
Stützpunkt fürdieBegründungeiner strafrechtlichenVerantwortung fungierenkann.
Dass in einer liberalen Gesellschaft derjenige, der in die Rechtssphäre anderer
eingreift, zur Verantwortung gezogenwird, besagt nicht, dass die Rechtsfolge einen
strafrechtlichenCharakterhabenmuss.Gegen seinen liberalenAnsatzpunkt verstößt
Jakobs selbst, als er aus dem oben genannten Synallagma eine „positive“ Pflicht zu
tätiger Hilfe für andere legitimiert. Denn eine solche Hilfspflicht lässt sich nichtmit
demFreiheitdesEinzelnenvereinbaren,sondernnurmitdemverdecktenmoralischen
GedankenderSolidarität.
Auch die dargestellte Unterscheidung der Haftung in Pflicht kraft
Organisationszuständigkeit einerseits und Pflicht kraft institutioneller Zuständigkeit
anderseits, ist insofern fragwürdig, als sie nicht mit der Unterscheidung zwischen
VerbotundGebotübereinstimmt.56
Nach Jakobs ergibt sich aus der Organisationszuständigkeit nicht nur das Verbot
anderezuverletzen,sondernauchdasGebot,Verletzungandererzuverhindern,mit
derFolge,dassaucheinBegehungstäterGarantseinmuss.57AlsErklärungdafürbildet
Jakobs58dasfolgendeBeispiel:„DieBlumenaufeinemtiefergelegenenGrundstückin
trockenerGegendverdorren(§303StGB),wennaufdemhöhergelegenenGründstück
die Berieselungsanlage, deren Sickerwasser das tiefere tränkt, abgeschaltet wird.“59
Daraus lässt sich aber eine Garantenstellung des Eigentümers deshalb nicht
entnehmen, weil der Inhaber des betroffenen Grundstücks keines subjektives Recht
gegenüberdemBesitzerhat,dassdasAbstellendesWasserverbietet.ZuRechtbetont
Haas, dass die Entscheidung des Eigentümers des höhergelegen, dem
darunterliegenden Grundstücks Wasser durch das Anstellen der Berieselungsanlage
zur Verfügung zu stellen, sei eine freie Entscheidung, die nicht rechtlich gefordert
56Jakobs,StrafrechtAT,§7Rn.71;ders.,DiestrafrechtlicheZurechnungvonTunundUnterlassung,S.20.57 Jakobs, StrafrechtAT,§7Rn.58: „ImErgebnismussalsonichtnurderUnterlassungstäter, sondernauchderBegehungstätereinGarantsein,wennerauseinemBegehungs-Erfolgsdelikthaftensoll;nuristderBegehungstäterindenmeistenFällen,diepraktischerörtertwerden,schonseinerBegehungwegenGarant(Organisationszuständigkeit),aberebennichtprinzipiell.“(KursivimOriginal).5859Jakobs,StrafrechtAT,§7Rn.61
19
werde60.AuchAstwendetein,dassdieserFallnurunterdenVoraussetzungdes§13
StGB postulierbart sei, denn das Verbot des Abstellens impliziert ein Gebot des
Weiterbetreibens der Berieselungsanlage. Da der Besitzer nicht Garant sei, komme
nichteineUnterlassungsdeliktinBetracht.61
DieTheorievon Jakobs sprengtdiekategorialeTrennungvonVerbotundGebot,die
nicht von einer theoretischen Konstruktion, sondern von der Konstitution der
verschiedenenNormartengefordertwird.62
HinsichtlichderGeschäftsherrenhaftunggleichtJakobsdieHandlungdesInhabersmit
denHandlungenimRahmendesBetriebesaus,sodassder Inhabersichfürdiedurch
das Verhalten bewirkte Ausgestaltung seines eigenen Organisationskreises
verantwortlich macht. Hiergegen ist zuerst einzuwenden, dass der von Jakobs
dargestellte Begriff des Organisationskreises zu weitgehend ist, weil der
Betriebsinhaber dadurch zum Garant für alle aus dem Unternehmen begangenen
Delikten wird und zur Verantwortung gezogen werden kann. Wie die
Organisationszuständigkeit des Inhabers abgegrenzt wird, ist auch eine weitere
ungeklärte Frage. Deshalb trifft die Kritik von Haas zu, „[…] dass der Umfang der
OrganisationszuständigkeiteinesNormadressatennichtbegrifflichfixiertwird,sondern
imErgebnis – trotz der anspruchsvollen systemtheoretischen Einkleidung- der puren
Intuitionüberlassen.“63
IV.Zusammenfassung
Nach der Erörterung der Theorien zur Garantenstellung des Betriebsinhabers kann
man feststellen, dass sie begrifflich unbestimmt formuliert sind. Während die
OrganisationsherrschaftnichtinderLageist,dieFällederIngerenzaufzuklären,bleibt
60Haas,KausalitätundRechtsverletzung,S.188ff.61Ast,NormtheorieundStrafrechtsdogmatik,S.147.62Brammsen,Die EntstehungsvoraussetzungderGarantenpflichten, S. 142, fügt zutreffenein: „DurchdieEinbeziehungdesBegehungstätersindieGarantenformelwird§13StGBzur,Grundnormʻerweitertund der bisher einigermaßen einheitlich verwendete Garantenbegriff wird in ,seiner Bedeutungentwertetunduntergrabenʻ“.63Haas,KausalitätundRechtsverletzung,S.51.
20
bei der Theorie der rechtlichen Befehlsgewalt erklärungsbedürftig, warum aus der
faktischen Position des Betriebsinhabers eine Verhinderungspflicht entstehen soll.
AuchwenndieGarantenhaftungsichaufdasKriteriumderGefahrenquellestützt,wie
esHeinedargestellthat,so istvorallemfragwürdig,warumdasobjektiveDefizitder
Tatmacht für dieOrganisation und Kontrolle derUnterlassungsverantwortung in der
Konzernspitze verbleiben soll, wenn sich die „höhere“ Verantwortung nicht aus
faktischenFaktorenbegründenlässt.DieAnsichtvonJakobs istebensozukritisieren,
dennderAusdruck„Organisationszuständigkeit“istsounklarformuliert,dassdadurch
derBetriebsinhaberpraktischGarantfüralleDelikteausdemUnternehmenwäre.
Um die Frage der Garantenstellung des Betriebsinhabers beantworten zu können,
muss man den Unbestimmtheitsvorwurf durch ein richtiges Verständnis der
Unterlassung beseitigen, das es ermöglicht, die Pflichten des Betriebsinhabers zu
präzisieren und abzugrenzen. Im Folgenden soll deshalb zuerst der Dogmatik der
Unterlassung nachgegangen werden, bevor wir uns näher mit der
Geschäftsherrenhaftungbeschäftigen.
§3Unterlassungsdelikte
I.Sanktions-undVerhaltensnormen
DassdieStrafgesetzesichalsVerhaltens-undSanktionsnormenformulieren lassen64,
istseitBindingallgemeinanerkannt.BeideNormartenenthaltenRegeln,dieinBezug
aufIhrenCharakterzukonstruierensind:WährenddieVerhaltensnorm65bestimmt,ob
ein Verhalten verboten, geboten, erlaubt oder freigestellt ist, bestimmen die
Sanktionsnormen, wann eine Person an eine Verhaltensnorm gebunden ist.66 Die
Unterscheidung zwischen Verhaltens- und Sanktionsnorm gewinnt an Bedeutung,
wenn sie mit dem Verhältnis zwischen primärer und sekundärer Regel konfrontiert
wird. Die primäre Regel stützt sich auf Verhaltensnormen und bestimmt, wann ein64 In ähnlicher Weise wird von einigen Autoren postuliert, dass die Normen des StrafrechtsBestimmungs-undBewertungsnormenenthalten,sieheRoxin,StrafrechtATI,§10Rn.93;Tiedemann,TatbestandsfunktioneninNebenstrafrecht,S.194f.65Binding,Normen,Bd.I,S.4ff.66Kindhäuser,GefährdungalsStraftat,S.13;Toepfel,GrundstrukturendesSachverständigenbeweisimStrafprozeßrecht,S.28;Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.27;Frisch,TatbestandsmäßigesVerhaltenundZurechnungdesErfolgs,S.511.
21
Verhalten rechtswidrig ist. Die sekundäre Regel identifiziert sich hingegen mit den
Sanktionsnormen und nennt die Bedingungen der Zuschreibung von Verantwortung
desVerhaltens.67
MitseinemrechtswidrigenVerhaltenerklärtderTäter,dasserdieNormnichtbefolgen
will. Er erklärt also, dass für ihn die Norm nicht gilt. Nach dieser Auffassung ist die
Straftat eine „[…] Desavouierung einer Norm, die Kriterium rechtlich richtigen
Verhaltenist“68.DieAufgabedesStrafrechts istaufdenNormbruchmiteinemStrafe
zureagieren,damitdieNormihreGeltungundihreAnerkennungnichtverliert.69
II.Verbots-undGebotsnormen
Wie schon dargelegt wurde, können die Verhaltensnormen in Verbots-, Gebots-,
Erlaubnis- und Freistellungsregeln eingeteilt werden. Diese Regeln, die sich mit
verschiedenen Funktionen identifizieren, lassen sich allerdings nicht auf derselben
EbenederStraftatkonstituieren.NachderGestaltungs-undderMaßtabsfunktionder
Verhaltensnormen werden die Gebots- und Verbotsnormen Verpflichtungsgründe
darstellen, Erlaubnis- und Freistellungsnormen hingegen Rechtsfertigungsgründe70.
AusderEinteilungderNormartenergibtsichdietheoretischeStruktur,dassdasGebot
eine Unterlassung untersagt, und das Verbot ein Tun. Damit wird zwar die strenge
Trennung von Verbots- und Gebotsnormen gefordert, aber noch nicht das
entscheidende Problem von ihrer normtheoreitschen Abgrenzung gelöst, die eine
bedeutendeRollefürdieBestimmungderUnterlassungsdeliktspielt.
Manmuss sich zuerst bewusst machen, dass mit Hilfe der deontischen Operatoren
sowohl Verbote in Gebote als auch umgekehrt, Gebote in Verbote, ineinander
transformiertwerdenkönnen71.Darausergibt sich jedocheine formelleBezeichnung
der Normcharaktere, womit der Grund für die Unterlassung oder das Tun einer
Handlung nicht definiertwerden kann.Vogel hat zu Recht darauf hingewiesen, dass67 Kindhäuser, in: Harald Koch (Hrsg.), Herausforderungen an das Recht: Alte Antworten auf neueFragen?,S.80;Hruschka,Strafrecht,S.424ff.68 Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 13; Vogel, Norm und Pflicht bei den unechtenUnterlassungsdelikten,S.28.69Freund,StrafrechtAT,§1Rn.10,Jakobs,StrafrechtAT,§1Rn.9ff.70Mañalich,NötigungundVerantwortung,S.28;Hruschka,Rechtstheorie22(1991),S.450.71Kaufmann,DieDogmatikderUnterlassungsdelikte,S.3ff.
22
die Pflicht, eine Handlung zu unterlassen, in einem bestimmten Kontext verlangen
kann,etwasanderes zu tun,nichtbedeutet,dassderGrunddieserPflichteinGebot
ist72. Auch die Erfüllbarkeit eines Gebotes kann unter individuellen Umständen eine
Unterlassung benötigen, ohne zu bedeuten, dass eineVerbotsnorm in Frage gestellt
wurde.
Die Feststellung der Verbots- und Gebotsnorm, die auf einer abstrakt-generellen
Ebeneerfolgt,wirdvonderBeschreibungdesTatbestandsbedingt.DieseKernaussage
lässtsichallerdingsnichtsointerpretieren,dassdieNormexplizitdasVer-oderGebot
einesVerhaltenssignalisiert.DenndieBildungderVerhaltensnormergibtsicherst in
kontradiktorischer Formulierung aus den gesetzlichen Deliktstatbeständen, die bei
dem Verbot als Gegenstand des beschreibenden Tatbestands ein positives Tun
untersagt und beim Gebot eine Unterlassung. Die abstrakt-generelle Festellung der
Verhaltensnorm wird dennoch von einer individuellen Kategorie gefolgt, in der es
konkretisiert wird, ob die Unterlassungs- oder Handlungspflicht eine personale
BindungandieNormadressatenkonstituiert73.AnhanddieserGrundstrukturlässtsich
die Kongruenz zwischen Norm und Pflicht verdeutlichen: Ist die in Frage stehende
NormeinGebot,soisteinvonderHandlungspflichtverlangtesTunvorzunehmen.Ist
dieNormeinVerbot, so istdasvonderUnterlassungspflichtverlangteBedingendes
ErfolgesdurcheinTunzuunterlassen74.
Dass die Identifikation vonVerbots- undGebotsnormen in einigen Fallkostellationen
Schwierigkeitenbereiten,weildiePflichtinderkonkretenSituationsowohldurchein
positives Tun als auch durch eine Unterlassung erfüllt werden kann, kann nicht
geleugnetwerden.Das istz.B.derFall, indemeinAutofahreraktivGasgibtoderes
unterlässt,dasfahrendeAutozubremsen,umeinenPassantzuüberfahren75.Hierbei
hängt die Bestimmung der Verhaltensnorm nicht von der letztmöglichen
Erfolgsabwengundshandlungab,diesichindiesemKontexteinfachaustauschenlässt,
sondernvondem,wasderTäterverursachthat:ihmistesverbotendieTötungeines
72Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.95.73AusdiesergrundlegendenKonzeptionergibtsicheineweiterePräzisierungderGrundunterscheidungzwischenNorm-undPflichtwidrigkeit:Normwidrigkeitisteineobjketive,PflichtwidrigkeiteinepersonaleKategorie.Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.4374Kindhäuser,GefährdungalsStraftat,S.53.75Jakobs,SystemderstrafrechtlichenZurechnung,S.25,ders.,AT,§7Rn.56;Schünemann,GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.240.
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Menschen zu verursachen, unabhängig davon, ob die Pflicht durch das
Nichtabbremsenerfülltwird.DieMissachtungdesgebotenenAbbremsensspielthier
nureineakzessorischeRolle,dieschoninderVerbotsnormimpliziertist.
III.Echte-undunechteUnterlassungsdelikte
DieTatbeständederunechtenUnterlassungsdeliktelassensicherstmitHilfevon§13
formulieren.76Dadurchwird eine strafrechtliche Sondernormgebildet, die gleichfalls
wieeinBegehungsdelikteineVerhaltensnormenthält,dieeinpositivesTunanordnet
um einen bestimmten Erfolg abzuwenden.77 Im Vergleich zu den „echten“
Unterlassungsdelikten, wo jedermann Täter sein kann, können die „unechten“
Unterlassungsdelikte nur von einem Garant begangen werden, der „rechtlich dafür
einzustehenhat,dassderErfolgnichteintritt“.
Gegen diese nach der herrschendenMeinung78 so vorzunehmende Unterscheidung,
hatKaufmannzuRechteingewendet,dasssichauchbeiechtenUnterlassungsdelikten
zahlreiche andere Tätermerkmale finden lassen, die durch eine „Garantenposition“
begründet werden. So insbesondere im Rahmen des § 323 c StGB, „[…] wennman
diese Bestimmung, so auslegt, dass der Kreis der Verpflichteten auf die beim
UnglücksfallinderNähebefindlichenbeschränktist[…]“79.DieKritikKaufmannskann
man durch das Beispiel bekräftigen, in demder Vater, der sein Kind ertrinken lässt,
sowohl für unterlassene Hilfeleistung als auch für Totschlag durch Unterlassung
bestraftwird,er ist alsoGarantwegen seinerbefindlichenNähe indemUnglücksort
undwegenderEltern-KindBeziehungmitdemRechtsgut.
Hierbei erweist sich auch die von Hruschka las „merkwürdig“ bezeichnete
UnterscheidungzwischenechtenundunechtenUnterlassungsdelikten.NachHruschka
die genannte Unterscheidung „[…] beruht vielmehr auf der nur historisch zu
76 Nach Jakobs, Strafrecht AT, § 28 Rn. 12, die § 13 Abs. 1 StGB enthält „[…] eine generelleTransformationsnorm,genauer:Ergänzungsnorm[…]“77Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.93.78StattvielernurRoxin,ATII,§31Rn.16ff.79Kaufmann,DieDogmatikderUnterlassungsdelikt,S.276f.;ders.S.208:„Normologischistdemnachdie Differenzierung die die herrschende Meinung auf Grund verschiedenen Gebotsgegenstandeszwischen echten und unechten Unterlassungstatbeständen vornehmen will, weder im Allgemeinen,nochtmitbesonderenBlickauf§330cStGBhaltbar“.
24
erklärenden falschen Vorstellung, daß gewisse Unterlassungstaten ,unechtʻ und also
,eigentlichʻ Begehungstaten seien – so soll dieUnterlassungstat des Vaters, der sein
Kindertrinkenlässt,obwohleresrettenkönnte,eine,unechteʻUnterlassungstatund
also ,eigentlichʻ eine Begehungstat sein, während die Unterlassungstat des
unbeteiligtenSpaziergängers,dereinKindertrinkenlässt,obwohleresrettenkönnte,
eine,echteʻUnterlassungstatundalso,wirklichʻeineUnterlassungstatseinsoll[…].“80
NichtnurderVater, sondernauchderDritteverstoßengegeneineGebotsnorm,die
einpositivesTunverlangt.Dassdie„unechten“UnterlassungsdelikteerstmitderHilfe
von § 13 gebildet werden, spricht nicht für eine materielle, sondern nur für eine
technischlegislatorischeUnterscheidung.
IV.Regelungsgehaltdes§13StGB
Nach § 13 ist strafbar „wer es unterlässt, einen Erfolg abzuwenden, der zum
Tatbestand eines Strafgesetzes gehört […],wenn er rechtlich dafür einzustehen hat,
dass der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des
gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht“. Die normtheoretische
Bedeutung des § 13 liegt mithin darin, dass mit seiner Hilfe, die Tatbestände des
BesonderenTeilsdesStGBals(unechte)Unterlassungstatbeständeformuliertwerden
können.DerVorschriftselbstnenntdreiVerweisungselementefürihreKonstituierung:
„[…]erstensdieVerweisungaufdentatbestandsmäßigenErfolgdesBegehungsdelikts;
zweitensdiejenigeaufdiedurchdieSanktionsnormdesBegehungsdeliktsangeordnete
Strafe; und drittens diejenige auf das ,rechtliche Einstehenmüssenʻ für das
NichteintrettendesErfolges.“81
1.Erfolgsbegriff
Ein bedeutendes Problem für die Rechtsfortbildung des Unterlassungstatbestands
stelltsichbeiderBestimmungdesErfolgsbegriffs.Hierbeimussgeklärtwerden,obmit
„Erfolg“ nicht nur die Erfolgsdelikte, sondern auch die Tätigkeitsdelikte des
80Hruschka,Strafrecht,S.427.81Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.131.
25
Besonderen Teils des StGB gemeint sind oder, allgemein gefragt, ob alle
BegehungsdelikteinUnterlassungsdeliktetransformiertwerdenkönnen.
Gehenwirdavonaus,dasseinTätigkeitsdeliktaucheinEreignisproduziert,dasaber
wegenderengenzeitlichenund/oderräumlichenVerbindungdieWirkungunmittelbar
mitderHandlungzusammenfällt,isteskonsequentfestzustellen,dassauchdasäußere
Ereignis als „Erfolg“ verstanden werden kann. Diese Schlussfolgerung ist für die
Formulierung der Unterlassung von Belang, weil § 13 semantisch gesehen nicht
verlangt, einen Erfolg abzuwenden, der von der Handlung räumlich und zeitlich
Abstand hält, sondern nur einen Erfolg als „Ereignis“, unabhängig davon, wie es
entstanden ist.DiessollmitdemfolgendenBeispielKaufmannsverdeutlichtwerden:
„FürdieBeurteilungderRettungshandlung,diederBadewärterunterlässt,istesvöllig
gleichgültig, ob das Kind vorsätzlich oder fahrlässig insWasser gestoßenworden ist
oderobesversehentlichhineingefallenist.“82
MitdendargelegtenÜberlegungenkannmanfeststellen,dassdervon§13verlangte
„Erfolg“ für die Konstituierung des Unterlassungstatbestands sowohl die Erfolgs- als
auchdieTätigkeitsdelikteerfasst83.Dasbedeutet,dassdieentsprechendenMerkmale
der jeweiligen Delikte des Besonderen Teils des StGB keine Rolle für die
Unterlassungsbildungspielen84,solangesichderErfolgalsEreignisbegreifenlässt85.
2.RechtlichePflichten
Nicht Eindeutig ist allerdings, was unter „rechtlichem Einstehenmüssen“ verstanden
werden soll.Mit diesem Element als Voraussetzung der Strafbarkeit richtet sich die
Norm an diejenigen, die aufgrund der Stellung zu dem Rechtsgut die Pflicht zur
AbwendungdesErfolgesinnehaben.
82Kaufmann,DieDogmatikderUnterlassungsdelikt,S.296.83Schönke/Schröder-Stree/Bosch,§13Rn.3;BGHSt38,324(338).Erfolg„[…]istalleswasabgewendetwerdenkann[…]“,soJakobs,StrafrechtAT,§29Rn.9.84Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.9;Schönke/Schröder-Stree/Bosch,§13Rn.3.85 Nicht umfasst werden die Tatbestände, die schon als Unterlassung formuliert sind, also die sogenannte „echteUnterlassungsdelikten“, z.B. §§123Abs.1Alt2, 138,170,171,221,225,266,339,u.s.w.
26
Da die Norm kein bestimmtes Kriterium für die Abgrenzung des Adressatenkreises
vorgibt, haben einige Autoren den Versuch unternommen, diesen anhand ethischer
oder sozialer Pflichten zu bestimmen86. Allerdings sind sich sowohl die herrschende
Meinung87alsauchdieRechtsprechung88einig,demstrengenWortlautderVorschrift
zufolgenundsoeinerechtlichePflichtzufordern.
3.VerfassungsmäßigkeitderNorm
Wie bereits oben dargestellt wurde, kann ein unechtes Unterlassungsdelikt nur mit
Hilfedes§13gebildetwerden.StrenggenommenführtdaszurKonstituierungeiner
neuenNorm,dieeinGebotzurErfolgsabwendungenthält.EsstelltsichnundieFrage,
ob sich das von demGesetzgeber eingeführte Rechtsfortbildungsverfahrenmit dem
Grundgesetz (Art. 103 Abs. 2) in Einklang bringen lässt. Bereits Schünemann89 hat
hierbei die zutreffende Ansicht vertreten, dass die Rechtsfindungsmethode der
„schöpferischen Richtlinienkonkretisierung“ mit dem Bestimmtheitsgebot des nulla-
poena-Satzes zu vereinbaren sei90. Die Ermächtigung des Strafrichters zur Normen-
undTatbestandsbildung91mussimRahmendesgesetzlichenSystemserfolgen,umihre
Verfassungsmäßigkeitzugewährleisten92.
4.Entsprechungsklausel
Die Strafbarkeit nach einem echten Unterlassungsdelikt setz unter anderem voraus,
dassdasUnterlassenderVerwirklichungdesgesetzlichenTatbestandesdurcheinTun
86Ransiek,JuS7/2010,S.587.87Jescheck/Weigend,Lehrbuch,§58IV4,FischerStGB-K,§13Rn.5;Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.27.88BGHSt7,268(271);BGHSt30,391(394).89 Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, S. 257. Vgl. auch, Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.4;Roxin,StrafrechtATII;§31Rn.33.90Vgl.Seebode,FS-Spendel,S.334;Köhler,StrafrechtAT,S.213.91Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.133.92DaherwirdinderLehreeinerestriktiveInterpretationgefordert,vgl.Roxin,StrafrechtATII;§31Rn.33;Schönke/Schröder-Stree/Bosch,§13Rn.5/6;Rönnau, JR2004,S.158.Vogel,NormundPflichtbeiden unechten Unterlassungsdelikten, S. 133: „[…] § 13 eröffnet die Möglichkeit gesetzimmanenterstrafrechtlicheRechtsfortbildungauslegitimenRechtsprinzipien[…]“.
27
entspricht93.ObwohldieNormkeinbestimmtesKriteriumfürdieGleichwertigkeitdes
UnterlassensmitdemaktivenTunenthält,herrscht inderLiteraturdieMeinungvor,
dassdieEntsprechungsklauselbeireinenErfolgsdeliktenkeinebedeutendeRollespielt,
da „[…] sich diese Entsprechung bereits aus dem spezifischenHandlungsunrecht der
pflichtwidrigen Nichtverhinderung des Erfolgseintritts […]“94 ergibt. Weitere
Übereinstimmung besteht darin, dass bei den so genannten eigenhändigen Delikten
eine täterschaftliche Beteiligung durch Unterlassen nicht in Betracht kommt, da die
entsprechende Begehungstatbestände „[…] durch persönliche Vornahme einer
bestimmtenHandlunggekennzeichnetsind[…]“95.
Umstritten ist aber die Entsprechung des Unterlassens im Rahmen derjenigen
Begehungsdelikte, bei denen besondere Handlungsmerkmale auftauchen, etwa
Betrug(§263)oderBeleidigung(§185)96.„InsolchenFällenentsprichtdasUnterlassen
demTunnur,wennesingleichwertigerWeisediebesonderenHandlungsmodalitäten
verwirklicht […]“97. Hierbei geht es ebenso wie bei allen anderen Delikten um die
Unrechtsbildung. Unklar ist dabei aber wegen ihrer Charakterisierung – Begehung
durch Abgabe einer Information – die Frage98 „[…] ob nicht bereits der
InformationswertdesSchweigensdurcheineGarantenpflichtbestimmtist“99.
93 Eigehend Nietze, Die Bedeutung der Entsprechensklausel beim Begehen durch Unterlassen (§ 13StGB), S. 42 ff.; eine Mindermeinung lehnt die Entsprechensklausul ab, Schünemann, Grund undGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.380.94Kindhäuser,StrafrechtAT,§36Rn.3.Vgl.auch,JakobsAT,§29Rn.7,NK-Wohlers/Gaede,§13Rn.19;Schünemann,GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.371 ff.MüK-Freund, §13Rn.235;Jescheck/Weigend,StrafrechtAT,S.629f.95NK-Wohlers/Gaede,§13Rn.20.96DieBesonderheitendieserStraftatbeständeliegtnichtnurinderHerbeiführungdesErfolges,sondernauchinderArtundWeisederBegehungderTat,Jescheck/Weigend,Strafrecht,S.629.Allerdingsspieltnach der Ansicht Schürmanns, Unterlassungsstrafbarkeit und Gesetzlichkeitsgrundsatz, S. 109, dieDifferenzierung zwischen „verhaltensgebundenen Delikten“ und „reinen Erfolgsdelikten“ keinebedeutende Rolle für die Entsprechungsklausel, da „[…] der mit der Differenzierung angesprocheneUnterschiedallenfalls ineinergraduellenAbstufung inderWeitederVerhaltensbeschreibungbeideneinzelnenDeliktenbestehenkann[…]“.97Schönke/Schröder-Stree/Bosch,§13Rn.4;vgl.auch,Jescheck/Weigend,Lehrbuch,§59V1;Herzberg,DieUnterlassungimStrafrechtunddasGarantenprinzip,S.81ff.;Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.80,ausder Perspektiv des Organisationskreises: „Eine dem Begehen entsprechende Informationsgabe istmöglich, wenn der Täter es unterlässt, aus seinem Organisationskreis nach außen dringendeInformationenzurückhalten“.98Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.142.99Herzberg,DieUnterlassungimStrafrechtunddasGarantenprinzip,S.70ff;Nietze,DieBedeutungderEntsprechensklauselbeimBegehendurchUnterlassen(§13StGB),S.179ff.Jakobs,StrafrechtAT,§28Rn.80.
28
Beim Betrug100 wäre die Gleichwertigkeit denkbar101, solange der Täter eine
GarantenstellunginnehatunddamitdieerforderlicheAufklärungspflichtvorliegt.Nach
der Rechtsprechung ist diesmöglich,wenn die Rechtspflicht zur Aufklärung aus den
vorangegangenenTäuschungshandlugendesTätersherzuleitenist102.Diessollanhand
eines vonHerzberg103 gebildeten Beispiels erklärt werden: „Es hat jemand an einen
BekannteneinenBriefgeschrieben,indemerihmseineSachezumKaufanbietet.Der
BriefistfertigundwirdbaldvonderSekretärinzurPostgebrachtwerden.Daentdeckt
derSchreiber,dasserdenWertdesGegenstandesversehentlichzuhochgeschildert
hat[…]“.Nichtanderes istbeiderBeleidigungdieGleichwertigkeitzubestimmen.So
etwaindemBeispielBöhms104,indemderTäterdenbeleidigendenBriefzuerstnicht
absendenwill,dannaberlässtdasVerschickendurchdieSekräterinzu.
V.Norm-undPflichtwidrigkeit
BeiderGarantendiskussionisteseindogmatischesPhänomen,sieaufdieabstrakten
oder konkreten Fähigkeiten des Täters zurückzuführen, um eine Garantenstellung
theoretisch begründen zu können. Im Rahmen der Garantenstellung des
Betriebsinhabers zur Verhinderung von Straftaten Untergegebener werden Kriterien
wie Organisationsherrschaft oder Befehlsgewalt zu diesem Zweck bedienen. Eswird
also nach der generellen105 oder individuellen106 Handlungsfähigkeit des
Unterlassungstäters gefragt, umdenNorminhalt desUnterlassens zu determinieren.
Das bedeutet aber für das hier vorgelegteModell die Verwechslung des Inhalts der
Normwidrigkeit mit dem Inhalt der Pflichtwidrigkeit. Deshalb ist es methodologisch
notwendig, als erstes die BegriffeNorm- und Pflichtwidrigkeit zu erklären und diese
100Eingehend,NK-Wohlers/Gaede,§13Rn.144ff;Kindhäuser,StrafrechtAT,§27Rn.24ff.101Nietze,DieBedeutungderEntsprechensklauselbeimBegehendurchUnterlassen(§13StGB),S.179ff,bejahteinenBetrugdurchUnterlassungohneRückgriffaufdieEntsprechensklausel.102OLGStuttgartNJW1969,1975.103Herzberg,DieUnterlassungimStrafrechtunddasGarantenprinzip,S.81f.104Böhm,DieRechtspflichtzumHandelnbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.20.105Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.10:„DerTätermußabstraktfähiggewesensein,denErfolgdurcheineHandlungabzuwenden[…]“.106 Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 56 ff.; Schünemann, Grund und Grenzen der unechtenUnterlassungsdelikte,S.217ff.;ders.,Unternehmenskriminalität,S.98ff.
29
streng voneinanderer zu trennen107, um im Anschluss daran den systematischen
StandortdesGarantengebots–und infolgedessendieGarantenstellung– feststellen
zukönnen.
1.Normwidrigkeit
DieDifferenzierungzwischendenBegriffenNorm-undPflichtwidrigkeitkannsynonym
mitderUnterscheidungzwischenInhalts-undBedeutungsebenederNormverstanden
werden108.FürdiestrukturelleKonstituierungderStraftatfolgtdaraus,dasszuerstder
Gegenstand der Verbots- oder Gebotsnorm identifiziert werden muss, bevor ihm
überhaupteineBedeutungzugeschriebenwerdenkann.
Lässt sich ein Verhalten in dem Straftatbestand des Besonderen Teils des StGB
subsumieren, liegt dann ein Normwidriges Verhalten vor.109 Dieses Verfahren der
logischenDeduktionspiegeltsichbei (unechten)Unterlassungsdeliktenwider, jedoch
mit der Besonderheit, dass das Unterlassen eines Verhaltens die Bedingungen des
Unterlassungstatbestands erfüllt werden soll110. „Daher ist zur Feststellung der
Tatbestandsmäßkeit bei den unechten Unterlassungsdelikten nichtmehr, aber nicht
weniger anzugeben als ein normkonformes positives Tun, bei den unechten
Erfolgsverletzungs-UnterlassungsdeliktenalsoeinTun,das fürdieErfolgsabwendung
kausaleRelevanzgehabthätte,undfestzustellen,dassdastatsächlicheTäterverhaltens
mit diesem Tun nicht übereinstimmt […]“111. Folgt man diesen Überlegungen, dann
wirddeutlich,dassdieNormwidrigkeit(Inhalt)einenlogischenVorranggegenüberder
Pflichtwidrigkeit(Bedeutung)hat.112
107Hruschka,Strafrecht,S.365.108Vogel,NormundPflichtbeiunechtenUnterlassungsdelikten,S.41.109 Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 95 betont: „Ob das Tatbestandmäßige Verhalten eineunwillkürlicheoder reflexhafteBewegung, eine automatischeReaktionoder ein bewusst eingesetztesMittelzurErreichungeinesbestimmtenZweckesist,spieltkeineRolle“.110Kindhäuser,GefährdungalsStraftat,S.53ff.111Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.113.112 AllerdingsmüssendieEigenschaftenfürdieVermeidbarkeitdesnormwidrigenVerhaltensinBezugaufdieVerhaltensnormdeterminiertwerden,danurdieNormfeststellenkann,wasver-odergebotenist.Vgl.Hruschka,StrukturenderZurechnung,S.18f.
30
2.Pflichtwidrigkeit
Die Feststellung eines normwidrigen Verhaltens113 hängt nicht davon ab, ob der
unterlassendenTätertatsächlichinderLagewar,denErfolgverhindernzukönnen.Das
istvielmehreineFragederPflichtwidrigkeit,wonachsichdiekörperlicheFähigkeitund
das Wissen der Normadressaten sich als entscheidende Elemente für die
Normbefolgungkonstituieren.Der leitendeGesichtspunktderPflichtwidrigkeit ist, im
Gegensatz zu der Normwidrigkeit, die sich mit der Abgrenzung der Verbots- und
Gebotsmateriebefasst,diepersonaleBindungdesAdressatenandieNorm.Dabeigeht
esumdieAnerkennungderNormenalsverbindlicheGründefürHandlungen.„Dieses
istderFall,wenndieIntentionzueinerbestimmtenHandlungumderNormbefolgung
willengebildetundrealisiertwird[…]“114.
Aus dieser Grundanschauung lässt sich die Zurechnung wie folgt verdeutlichen:
Zurechnung als Pflichtwidrigkeit bedeutet die Beurteilung einer menschlichen
Handlung115, wonach dem Rechtssubjekt ein Geschehen als sein Werk zuzurechnen
ist116.Umetwaszuzurechnen,bedarfmanaberspezifischerRegeln117,diedasdaraus
ergebeneZurechnungsurteil legitimierenund rechtlichgarantieren, sonstwürde„[…]
dieAnnahme,derVorgangseieineHandlung, ihrenSinn[…]“118verlieren.Andersals
dieVerhaltensregeln,dieaufderEbenederobjektivenKategorieangesiedeltsindund
eine prospektive Funktion bezüglich der Normunterworfenen erfüllen, stellen die
ZurechnungsregelnaufdiepersonaleKategorieabundhabenerstinderRetrospektive
113DassderBegriff„Verhalten“sichnichtmitderZurechnungidentifiziert,hatKindhäuserGefährdungalsStraftat,S.52Fn.10,betont:„MitdemBegriffdesVerhaltenswerdeninfolgendendie(noch)nichtunter Bezugnahme auf ein intentionales Objekt als Tun oder Unterlassen gedeuteten körperlichenBewegungenbezeichnet[…]“.114Kindhäuser,GefährdungalsStraftat,S.42;ders., in:HaraldKoch(Hrsg.),HerausforderungenandasRecht:AlteAntwortenaufneueFragen?,S.87:„EinePflichtverletzungliegtvor,wennderStraftätersichnicht so verhalten hat, wie er sich hätte verhaltenmüssen, wenn er die Intention gehabt hätte, dieTatbestandsverwirklilchungzuvermeiden“.115 Bloy, Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht, S. 246. Vgl auch, Hardwig, DieZurechnung.EinZentralproblemdesStrafrechts,S.164f.116NachHruschka,StrukturenderZurechnung,S.13:„[…],ZurechnungʻbezeichnetdenAkt,meinenAkt,durchden icheinenVorgangalsHandlungbegreife: IchrechneeineKörperbewegungodereinenLauteinemdabeivorausgesetztenunddamitalssolchesanerkanntenSubjektalsHandlungzu, ichschreibesieihmalsHandlungzu[…]“.117 Diese Systemregeln ergeben sich aus den Bestimmung des Allgemeinen Teils des StGB. Hierzugehörenu.a.Vorsatz,Fahrlässigkeit,Irrtum,Schuldfähigkeit,entschuldigenderNotstand.118Hruschka,StrukturenderZurechnung,S.19.
31
eine Funktion119. Dass ein Verhalten nicht ursächlich für einen Erfolg sein soll, steht
also ex ante fest, ob dieses Verhalten tatsächlich verletzungsrelevant ist, kannman
hingegennurexpostfeststellen120.
§4AnsätzezurBegründungvonGarantenpflichten
Anhand der vorstehenden Überlegungen kann man feststellen, dass die
Garantenproblematik auf unterschiedlichen Ebenen zu lösen sein kann. Wenn der
Garant einen bestimmten Erfolg nicht abgewendet hat, liegt die Frage nach der
SubsumtiondesunterlassenenVerhaltensbeiderNormwidrigkeit,währenddieFrage
nachderZurechnungdiesesVerhaltenaufderEbenederPflichtwidrigkeiteinzuordnen
ist.Damit sinddiedogmatischeEinordnungunddie theoretischeStrukturderNorm-
undPflichtwidrigkeitbeiderUnterlassungaufgezeigt.
Noch nicht behandelt wurden bislang die Begründung und der Umfang der
Garantenstellung.Dies sind theoretischeAspekte,diedeshalbeinewesentlicheRolle
für den gesamten Garantenlehre spielen, weil sie sich im Grunde mit der
Legitimationsfragebefassen:obeinGebotzurVerhinderungeinerRechtsgutverletzung
inBetrachtkommt,lässtsichnichtmehrmitderStruktur,sondernnurmitdemInhalt
der Norm beantworten121. Es handelt sich hierbei also um den Rechtsgrund der
Garantenpflicht.
119 Hruschka, in Rechtstheorie 22 (1991), S. 450, 451, Fn. 7: „Der Unterschied zwischen denVerhaltensregelnunddenZurechnungsregelnistrelativaufdiePerson,umdieesgeht.FürdenRichtersinddieRegeln,diefürdiePerson,derzugerechnetwird,Zurechnungsregelnsind,VerhaltensregelninihrerGestaltungsfunktion,dieihmsagen,obereinphysikalischesEreignisalsHandlungundobereinevonihmetwaals,rechtswidrigʻbeurteilteTatzurSchuldzurechnensollodernicht[…]“.120Kindhäuser,GefährdungalsStraftat,S.169:„WieeinVerhaltennichtseinsoll,nämlichursächlichfüreine Rechtsgutverletzung, steht ex ante fest. Es kann nun mehr oder weniger offen sein, ob einbestimmtes Verhalten ceteris paribus eine Verletzung verursacht. Das Urteil über die ErfolgsrelevanzkannaberdieNormdemAdressatennichtdadurchabnehmen,dasssieihmdieAusführungeinernichtverletzungsgeeignetenHandlungvorschreibt.DurcheinesolcheNormwürdelediglichdieUnterprämiseeinespraktischenSchlusseszurOberprämisse[…]“.121 Eindeutig Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, S. 287: „Die Problematik derGleichstellungbestimmter(unechter)UnterlassungenmitbestimmtenBegehungsdeliktenhatihrenSitznicht in einer Aufbaustufe des (begehungs-)Delikts; sie löst sich weder nach den Regeln überTatbestand,RechtswidrigkeitoderSchuld,nochnachanderendogmatischenFiguren“.
32
Die Literatur hat sich auch bemüht, materielle Theorien zur Legitimation von
Garantengebotenzuentwickeln,diesichaufeinemonistischeKonzeptionkonzentriert
haben,nämlichdieGefahrschaffung,dasVertrauen,dieVerhaltungserwartungundder
Herrschaftsbereich.
I.Gefahrschaffung
DievertretenenAnsätzederRechtspflichtensindvielfältig122.InderLiteraturlässtsich
eine Tendenz dahin beobachten, die Überwachungsgarantenstellungen dem
Gefährdungsprinzip, die Obhutsgarantenstellungen dem Vertrauensprinzip zu
unterstellen123.Arztwares,derdieThesederGefahrschaffungalsGrundelementaller
Garantenpflichten mit aller Schärfe vertreten hat.124 Danach steckte in allen
Garantenstellungen eine rudimentäre Gefahrschaffung als Begehungselement125.
„InsbesonderedieIngerenzlegtesnahe,denGedankenderGefahrschaffungalseinfür
alle Garantenstellungen wesentliches Element zu begreifen […]“126. „Diese
Gefahrschaffung kann ,unmittelbarʻ erfolgen oder ,mittelbarʻ dadurch, dass die
AufgabederGefahrenabwehrübernommen,abernichteinwandfreidurchgeführtwird
[…]“127. AufderBasisder „Quellen“vonGarantenstellungenunterscheidetArzt fünf
Gruppen: Gesetz, Vertrag, freiwillige Übernahme, enge Lebensgemeinschaft und
Gefahrschaffung128.
Kritik
122Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.28mitFn.53.123NK-Seelman,§13Rn41;Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.340.124Arzt,JA1980,S.560,650,714ff.125Arzt,JA1980,S.560.126Arzt,JA1980,S.650,714.127Arzt,JA1980,S.714.128 Arzt, JA 1980, S. 648. Ebenso Schultz, Amtswalterunterlassen, S. 145, 147, stütz sich auf dieGefahrschaffung zur Legitimation einerGarantenstellung. Demnach gilt auch für dieUnterlassung diegenerelleHaftungsregelderBegehungsdelikte:„WerzurechenbareineGefahrdurchHandelnschafft,istfürdieRealisierungdergeschaffenenGefahrverantwortlich […]“.BeiderUnterlassungseiwiederumnurderjenigenzurAbwendungderGefahrverpflichtet,wersierealisierthat.EineGefahrrealisierungistdann zuzurechnen, „[…] wenn eine Innen- und eine Außengefahr besteht. Entweder muss dieInnengefahrbeiBestehenderAußengefahrzurechenbargeschaffenwordensein,oderdieAußengefahrmussbeischonbestehenderInnengefahrzurechenbarbeherrschtwerden.“
33
SchonderRückgriffaufdenBegriff „Gefahrschaffung“,aufdensichdieKonstruktion
der gesamten Garantentheorie von Arzt stützt, ist umstritten. Nach dem hier
skizziertenModell,isteinunterlassenesVerhaltendannNormwidrig,wennderGarant
denErfolgnichtverhinderthat.ObderGarantdieskonnteodernicht, isteineFrage
derZurechnung,dieaufderEbenederPflichtwidrigkeitzuklärenist.Hierzugehörtdie
GefahrschaffungalsElementderBestimmungderindividuellenHandlungsfähigkeit129,
um dadurch strafrechtlich beurteilen zu können, ob das bestimmte Verhalten
vermiedenwerdenkonnteodernicht130.EsgehthierbeialsonichtumdieBestimmung
einerGarantenpflicht,sondernumeinestrukturelleFragederPflichtwidrigkeit,inder
ausschließlich beantwortet werden soll, ob eine personale Bindung des
NormadressatenandieNormbesteht.DasGefahrschaffungselementistdahernichtin
derLage,eineRechtspflichtzubegründen131.
GegendieseAuffassungkannebensovorgebrachtwerden,dassdieGebotsnormnicht
eine Gefahrschaffung für das geschützte Rechtsgut untersagt, sie untersagt nur ein
Verhalten,dasdieEigenschaftaufweist,einenErfolgnichtverhindertzuhaben132.Ob
eineGefahrbeiderTatbestandverwircklichungvorliegt,isteineSelbstverständlichkeit,
aufdiebereitsVogel133trefflichhingewiesenhat:„Wersichselbsthelfenkann,bedarf
nicht der Erfolgsabwendung durch einen Garanten […]“. Das Gefahrenprinzip spielt
daher keine Rolle für die Bestimmung des Rechtsgrundes, es ist jedoch für das
ZurechnungsurteilinsofernvonBelang,alsnachdemWissendesTäterseinrelevantes
RisikoinBetrachtkommt.
Grundlegende Probleme des Ansatzes von Arzt wirft auch die theoretische
Formulierungauf,dassinallenGarantenstellungeneinerudimentäreGefahrschaffung
alsBegehungselementsteckt.EsisthiernachberechtigtdieFragezustellen,wodiese
129 Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 202; Vogel, Norm und Pflicht bei den unechtenUnterlassungsdelikten,S.270Fn.147.130 Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 50: „Wird gefragt, ob ein Verhalten als Pflichtverletzungzurechenbarist,sowirdgefragt,obsicheinePerson,diehandlungsfähigist,anderesverhaltenmüsste,als sie sich verhält, wenn ihr intentionales Objekt unter die Beschreibung des entsprechendenNormsatzesfiele[…]“.131 Auch kritisch, Sangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflicht von Amtsträgern, S. 262 ff. Ausdieser Garantentheorie ergibt sich dennoch ein weiteres Problem für die Feststellung desstrafrechtlichen Norminhalts, siehe Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht. Allgemeiner Teil, § 15 Rn. 17;ebensoJescheck/Weigend,LehrbuchdesStrafrechts,S.521.132Kindhäuser,GefährdungalsStraftat,S.53ff.133Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.342.
34
rudimentäre Gefahrschaffung bei der Beschützergarantenstellung liegt, wenn
beispielweise die elementaren Versorgungspflichten der Eltern gegenüber ihren
Kindern nicht erfüllt werden134. Diese Frage bleibt aufgrund seiner zirkularen
Argumentation unbeantwortet, denn die Gefahr ist hierbei die Folge der nicht
nachgegangenen Rechtspflicht, und nicht umgekehrt. Dieselben Bedenken spiegeln
sichbeiderÜbernahmeeinerBeschützerpflichtwieder135.
NachdemModellvonArzt,könnenjedochnichtalleGarantenstellungenausschließlich
mitdemRückgriff aufdasGefahrenprinzip legitimiertwerden.Hinzukommtdeshalb
dasElementderLebensgemeinschaft,dieerstdieErwartungrechtfertigt,„[…]dassder
Garant den Erfolg Abwenden werde. Auch in diesem durch Lebensgemeinschaft
begründeten Element der Erwartung steckt die Gefahrschaffung in Form der
EnttäuschungberechtigtenVertrauens[…]“136.TrotzdesRekursesaufeinzusätzliches
ElementkanndieseAnsichtnichtüberzeugen.DieLebensgemeinschaftlässtsichnicht
mit der Gefahrschaffung in Einklang bringen137 und diese Verwechslung führt dazu,
dass das maßgebende Kriterium zur Bestimmung und Abgrenzung einer
Garantenpflichtbegründungnichtausreichendidentifiziertwerdenkann.
II.Vertrauen
In der Strafrechtsdogmatik138 hat man auch den Versuch unternommen, die
strafrechtliche Garantenstellung mit dem Rekurs auf das Vertrauensprinzip zu
begründen. Unabhängig von den verschieden Perspektiven dieser Theorie, die sich
134 Grünewald, Zivilrechtlich begründete Garantenpflichten im Strafrecht?, S. 22; Brammsen, DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.132f.135Stree,FS-H.Mayer,S.158;Sangenstedt,GarantenstellungundGarantenpflichtvonAmtsträgern,S.266: „[…] wieso denn eingentlich jener der Übernahme einer Schutzaufgabe angeblich immanenteBedrohungsfaktorrechtlichmißbilligtseinsollte.“136Arzt, JA1980,S.650.Obder vonArtzzitierteFall -BGHSt2,150,153f.-seineThesebestätigt, istgenausofraglich:„EhegattensindeinanderzurehelichenGemeinschaftverpflichtet,§1353BGB.DazugehörtinderRegeldieRechtspflicht,einanderinLebensgefahrnachKräftenzuschützenundzuhelfen,mindestens so lange, wie kein Teil das Recht zum Getrenntleben hat und beide Teile, wie hier, inHausgemeinschaftleben.“137Brammsen,DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.33.138Vogler, FS-Lange, S. 265 ff.;Nickel,DieProblematikderunechtenUnterlassungsdelikte imHinblickaufdenGrundsatz„nullumcrimensinelege“,S.24ff.;Blei,FS-H.Mayer,119ff.;E.A.Wolf,KausalitätvonTunundUnterlassen,S.37ff;Welp,VorangegangenesTunalsGrundlageeinerHandlungsäquivalenzderUnterlassung,S.175ff.
35
hinsichtlich ihrer Entwicklung bis auf die Kausaldiskussion zurückverfolgen lässt139,
herrschthiernachdieAnsichtvor,dasssiealseinobjektivesNormvertrauenbegriffen
werden soll140.WährendE.A.Wolf141 dieGrundlegendeBasis desVertrauensprinzip
durchdenBewirkungsbegriff,deralsursprünglicheAbhängigkeitdesOpfersvomTäter
gelten soll, ausgestaltet hat, hat Welp142 diese Überlegungen anhand der Ingerenz
weiterausgearbeitet.
DieBegründungderGleichstellungsfragewirdmitder finalenHerrschaftundmitder
besonderen Abhängigkeit erklärt143. Aus Sicht des Handelnden sei die Beziehung
zwischen positivem Tun und Erfolg in dem Determinationsvermögen zu suchen,
wonach die Fähigkeit desMenschen bezüglich des Erfolges geprüftwerdenmuss144.
DemgegenüberseiausOpfersichtentscheidend,dassderTrägerdestangiertenGuts,
wegen der Verbindlichkeit des ihn schützenden Verbots, die normativ fundierte
Erwartunghegendürfe,nichtstrafrechtswidrigattackiertzuwerdenunddeshalbvom
AusbleibenverletzenderAktivitätgesteigertabhängigsei.145
DadasVertrauensichnichtausderNormselbstergebe,sondernalsFolgeauseiner
AbhängigkeitsbeziehungzwischenOpferundTäter,musssiezuerstlegitimiertwerden:
„Es geht also hier um ein fundamentales, den inneren Frieden der Gesellschaft
kennzeichnendesVerhältnis des einen zumanderen.DieHandlungen sind also nicht
nurverboten,weilderStaatdiesesoder jenesals ,Gut‘anerkenntundfürsowichtig
139 Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpfichten, S. 78 ff; ebenso Sangenstedt,GarantenstellungundGarantenpflichtvonAmtsträgern,S.219ff.140 Hiermit wird explizit auf das Vertrauen als Subjektiv-psychologischer Befund verzichtet, sieheSangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflicht von Amtsträgern, S. 221: „Dass es für diePönalisierung eines Verhaltens durchaus nicht von elementarer Bedeutung ist, ob zwischen demTatbetroffenen und dem Verletzer eine psychologisch vermittelte Vertrauenslage besteht, zeigen diemeisten Begehungsdelikte, bei denen der Täter – selbstverständlich, möchte man fast sagen – denUnrechtstatbestand auch dann verwirklicht, wenn das Opfer ihm misstraut oder gar fest mit einemAngriff gerechnethatte“. EbensodieBemerkung vonSchünemann,GrundundGrenzender unechtenUnterlassungsdelikt,S.107:„AuchwenndasOpferschonlangeeinenAngriffdesTätersargwöhntodersogarweiß,daßsichdieserTäterdurchdieVerbotedesStrafgesetzbuchesnichtwirdbestimmenlassen,und auchwenn es deswegen (vergebliche) Schutzvorkehrungen trifft, bleibt die Verletzung des nichtmehrvertrauendenOpferseinDelikt!“.141E.A.Wolff,KausalitätvonTunundUnterlassen,S.38ff.142Welp,VorangegangenesTunalsGrundlageeinerHandlungsäquivalenzderUnterlassung,S.178ff.143Welp,VorangegangenesTunalsGrundlageeinerHandlungsäquivalenzderUnterlassung,S.170.144Welp,VorangegangenesTunalsGrundlageeinerHandlungsäquivalenzderUnterlassung,S.173f.145Welp, Vorangegangenes Tun alsGrundlage einerHandlungsäquivalenz derUnterlassung, S. 175 ff.AusführlicheDarstellung,Sangenstedt,GarantenstellungundGarantenpflichtvonAmtsträgern,S.243.
36
hält, dass eine Sollensverletzung nicht ohne Reaktion sein kann, sondern damit der
andereinVerhältnissenlebt,indenenseinGutgesichertist.“146
Das vonWelp aus dem Ingerenzprinzip entwickelte Vertrauenskonzept umfasst die
Konstellationen rechtswidrigen und rechtmäßigen Vorverhaltens. Bei den ersten
Fallgruppenberuht dieAbhängigkeit desOpfers einerseits auf derBehauptung, dass
die gefährlicheVortatmitdemDurchgangsstadium identisch sei147, undandererseits
auf der Auffassung, „[…] die Übertretung des Verbots versetzt das Opfer in einen
Zustand konkreter Abhängigkeit[…]. Diese ist das Werk des Täters, für das er
einzustehenhat“.148
DieAbhängigkeitbeiderrechtmäßigenVorhandlungwirddurchden„sozialenZwang
zurGefahrenhinnahme“begründet,daaufdiesenBereichderIngerenz-Gedankenicht
in seiner ursprünglichen Auffassung übertragen werden könne. Die
Abhängigkeitsbeziehung bestehe „[…] in der rechtlichen und faktischen
Unterworfenheit unter die generell gefährliche Risiko-Handlung“149. „Korrelat des
Vertrauen-Dürfens auf das Ausbleiben der rechtswidrigen Aktivität ist auf der
Opferseite somit die durch die Gestattung des riskantes Tuns geschaffene
Abhängigkeit, das Dulden-Müssen der Gefährdung“.150 Die Pflicht zum Schutz ergibt
sichausdemSinnderGefährdungserlaubnis,„[…]diedieFreigabedesriskantesTuns,
mit höchstmöglicher Gutsintegrität zu harmonisieren trachtet. Undmithin ist es der
TäterderRisiko-Handlung,aufdendasOpferinseinerAbhängigkeitverwiesenist“.151
Kritik
146E.A.Wolff,KausalitätvonTunundUnterlassen,S42.147Welp,VorangegangenesTunalsGrundlageeinerHandlungsäquivalenzderUnterlassung,S.181:„Dadie Vorhandlung nur unter dem Aspekt der späteren Abwendungsmöglichkeit des Täters als Vor-HandlungerscheintunddieAbwendungsmöglichkeitals solcheohneEinflußaufdiewirklicheLagedesOpfers bleibt, ist dessen Situation mit dem Durchgangsstadium jeder Begehung identisch und mithinnicht bloße Fragilität, sondern Abhängigkeit vom Nichteintreten eines Erfolges, der durch dierechtsverletzendeVoraktivitätdesTätersbereitwordenist.“(KursivimOriginal)148Welp,VorangegangenesTunalsGrundlageeinerHandlungsäquivalenzderUnterlassung,S.191.149Welp,VorangegangenesTunalsGrundlageeinerHandlungsäquivalenzderUnterlassung,S.221.150Welp,VorangegangenesTunalsGrundlageeinerHandlungsäquivalenzderUnterlassung,S.220.151Welp,VorangegangenesTunalsGrundlageeinerHandlungsäquivalenzderUnterlassung,S.224.
37
BetrachtetmanzunächstdievonWelpdargestellteArgumentation,wirdmanhierbei
beobachten, dass sie unlogisch durchgeführtwird. Dass der Vertragsgegner sich auf
eine zugesagte Hilfe verlassen darf, setzt voraus, dass der Unterlassende eine
Garantenpflichtinnehat,sonstkannmannichterklären,wiediesespflichtbegründende
Verhältnis entsteht152. Das Vertrauen-Dürfen ist eine Folge der schon bejahten
Garantenpflichtundnichtumgekehrt.
Auch die Betrachtung, dass sich das Vertrauen aus der Abhängigkeitsbeziehung
zwischenOpferundTäterergebeundnichtausderNormselbst,istzirkularundnicht
gesetzeskonform,dennhierbeihängtdieBegründungeinerStrafrechtsnormvondem
vorpositivkonzipiertenVertrauensgrundsatzab.153
Die Konzeption des Vertrauens bietet keine adäquate Begründung einer
Garantenstellung,wennsiesichnichtaufrechtlichenInhaltstützt.DerAusgangspunkt,
dass die Rechtswidrigkeit der Vortat keinerNorm bedürfe, denn jede strafbewehrte
Verbotsnorm enthalte zugleich die Basis einer Wertung, die schon die fahrlässige
Verletzung des geschützten Gutes als Unrecht erscheinen lasse, möge diese nun
strafrechtlich sanktioniert sein oder nicht154 , ist normologisch anfechtbar.
Schünemann155hatdaraufhingewiesen,dassauseinemfinalenVerletzungsverbotein
Sorgfaltsgebotschlechterdingsnichtabzuleitensei.156
Die Einwände richten sich auch gegen das Abhängigkeitsverhältnis. Allein schon der
Umstand, dass sich dieses Konzept bei rechtmäßigem Vorverhalten auf einen
verändertenBegriffsinhaltstützenmuss,weilderIngerenz-Gedankehierbeinichtohne
152Vgl. Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, S. 251; Brammsen, DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.87.153 Vgl. Grünewald, Zivilrechtlich begründete Garantenpflichten im Strafrecht?, S. 25. EbensoSchünemann, Grund und Grenzen der Unterlassungsdelikte, S. 123 f. : „Welp […] nicht genügendbeachte, daß dasAllgemeine vonBegehung undUnterlassungmangels einer konkreten EntscheidungdesStrafgesetzbuchesnurmateriell-vorstrafrechtlichbestimmtwerdendarf,wennGrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikteausihmzuentwicklenseinsollte“.154Welp,VorangegangenesTunalsGrundlageeinerHandlungsäquivalenzderUnterlassung,S.206.155Schünemann,GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte, S. 109.Vgl. auchKaufmann,LebendigesundTotesinBindingsNormtheorie,S.114ff.156InderselbenkritischenHinsichthatsichbereitsBinding,DieNormenundihreÜbertretung,II,S.549,geäußert. Zwar sei das Abwendung-Müssen kein „Muss“ vom Standpunkt der Kausalitätsbetrachtungaus,undhabemitdemRechtsgarnichtzutun.Diesbedeutealso,dassderTäter,derdasgetanhabe,wasdenTodeinesMenschenherbeiführenkann,welchenErfolgerabervermeidenwill,musserdashintertreiben,umnichtUrheberzuwerden;obderTäterdendrohendenErfolgabwendenmuss,seinureineKonsequenzseinesbisherigenkausalenWirkens.
38
weiteresangewendetwerdenkann,zeigtdieInkonsistenzWelpsTheorie.DerVerweis
aufdenAspekt„sozialenZwangszurGefahrenhinnahme“157vermagnichtdasProblem
der Legitimation einer Garantenstellung zu lösen, denn es fehlt ihr an dem
notwendigenBezugzurRechtswidrigkeit158.
III.Verhaltenserwartung
Einen anderen Lösungsansatz der Garantenproblematik hat Brammsen anhand der
„sozialen Erwartungen“ in seiner Untersuchung über „Die
Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten“159 vorgelegt. Dabei soll die
Begründung der Garantenpflichten auf außerrechtliche Pflichtpositionen bzw.
Pflichtsysteme zurückgreifen160, die sich im Grunde „am sozialen Alltagsleben“
orientieren.
Nach Brammsens Prüfungsschema müsse man als erstes anhand objektiv
unmittelbarer Faktoren prognostizieren können, welche konkrete Handlung den
eingetretenenErfolgvermiedenhätte.ObinderRealitäteinesozialePositionexistiere,
indersichdieErwartungderVornahmedererfolgsvermeidendenHandlungverfestigt
habe, muss sodann herausgefunden werden161. Hierbei könnten rollen- bzw
systemtheoretischeUntersuchungenvonNutzensein162.
Weil nicht jede Verhaltenserwartung Anerkennung finden könne, kämmen es „[…]
jedoch nur solche Verhaltenserwartungen in Betracht, die sich als sog. „Muß-
Erwartungen“darstellen,d.h.derAnforderungsaspektdereinzelnenErwartungmüsse
157Welp,VorgangegangenesTunalsGrundlageeinerHandlungsäquivalenzderUnterlassung,S.218ff.158 Vgl. Sangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflicht von Amtsträgern, S. 254; Schünemann,GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.119159Brammsen,DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.114ff;auch,Otto/Brammsen,JURA85,S.529ff.,646ff.160 Unter Berufung auf Luhmans system-funktionalen Normtheorie, Brammsen, DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.95ff.161Brammsen,DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.129.162ObvondemInhabereinerbestimmtensozialenRolledieVornahmeeineserfolgsvermeidendenTunserwartet wird, soll anhand der Rollentheorie beantwortet werden, Brammsen, DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.130;Otto/Brammsen,JURA85,S.536.
39
zwingenden Charakter und weiterhin eine empirisch erforschbare allgemeine
Anerkennung163,BeachtungundBefolgunggefundenhaben“164.
Sobald man die bestimmte soziale Position identifiziert hat, muss man danach
untersuchen,obdieser„Muss-Erwartung“eineentsprechende„Muss-Erwartung“des
Erwartungsadressaten gegenüberstehe, dergestalt, dass beide sich als ein
gegenseitiges Erwartungsverhältnis darstellen165. Hierfür kann die
ethnomethodologischeodersoziologischeUntersuchunggeeignetsein.Falls sienicht
vorhanden seien, muss man selbst das in den jeweiligen Situationen übliche und
typische Alltagsverhalten ermitteln166. Um dies zu bestimmen, muss man
berücksichtigen, ob die Sozietät sich allgemein an der Beachtung undBefolgung der
Erwartungserwartung orientieren; man könne auch diese Aufgabe durch „[…]
detaillierte Durchstrukturierung in anderen Sozialsystemen und die nach außen
objektiverkennbare InstitutionalisierungdieserErwartungsverhältnisse inFormeiner
„Überantwortung“besonderersozialerEinflußbereiche[…]“167erleichtern.
Abernicht jedeMissachtungeiner „Muss-Erwartung“vermagdieGrundbedingungen
des gewöhnlichen Alltagsleben zu beeinträchtigen, dafür sei anhand einer
umfassenden Interessen- und Wertabwägung zu prüfen, ob sie die Erhaltung
elementarer Rechtsgüter oder wesentlicher Strukturen des gesamtgesellschaftlichen
alltäglichen Sozialgefüges zum Inhalt habe.168 Nur die Verletzung eines solchen
VertrauensverhältnissesvermagdieGrundbedingungendesgewöhnlichenAlltagsleben
so zu beeinträchtigen, dass nach den allgemein anerkannten rechtlichen und
sozialethischen Wertvorstellungen zur Erhaltung der Funktionstüchtigkeit des
gesamtgesellschaftlichen Ordnungssystems die unterlassene Erfolgsabwendung in
163 Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten, S. 118, versucht derGeltungsbereich der Rollen durch das „ultima ratio-Prinzip“ abzugrenzen. Dadurch können nur „[…]solche Verhaltenserwartungen berücksichtigt werden, deren nichtbefolgung über einen längerenZeitraum hinweg nach möglichst einhelliger Ansicht – Ausnahmen bestätigen die Regel! – derBevölkerungunseresRechtskreisesalssozialschädlichangesehenwird“.164Brammsen,DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.130.165Brammsen,DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.122,130.166Brammsen,DieEntstehungsvorausseztungenderGarantenpflichten,S:126,130.167Brammsen,DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.126,130.168Brammsen,DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.130.
40
ihrer Sozialschädlichkeit der aktiven Herbeiführung eines rechtsgutsverletzenden
Erfolgesgleichzustellensei.169
SoerwartedieSozietätbeispielweisevonElterndieErnährung,PflegeunddenSchutz
ihrerKinder,vomArtzdieRettungseinerPatienten,vomBademeisterdieRettungder
Ertrinkenden,vomPolizistendieVerhinderungundAufklärungvonStraftaten.Siealle
erwarteten auch, dass an sie die jeweiligen sozialen der Position und Situation
entsprechenden Erwartungen hinsichtlich eines erfolgsvermeidenden Verhaltens
gerichtetwürden.
Anders strukturiert seien die Überwachergarantenstellungen170. Sie „[…] bedürfen
einerbesonderen(rechtlicheingeräumtenoderlediglichfaktischen)sozialenPosition,
die ihnen die tatsächliche Möglichkeit gewährt, auf eine in dem ihnen
,überantwortetenʻbesonderensozialenEinflussbereichbefindlicheSacheoderPerson
unmittelbar einzuwirken. […] Ohne eine solche Befugnis zur Gefahrenabwehr durch
EinflussnahmeaufdenkonkretenGeschehensablaufim,VorfeldʻderGefahristweder
derAufsichtsgarantinderLage,aufdiezubewachendePersoneinzuwirken,nochkann
der ,Sachherrschaftsgarantʻkraft ,VerkehrsicherungspflichtʻdiePotentiellgefährliche
Sacheeffektivsichern“.171
NachBrammsensollendieBegriffe„Einfluss“und„Herrschaft“inhaltlichvoneinander
unterschieden werden. Die Annahme eines „überantworteten“ besonderen sozialen
EinflussbereichesübersächlicheoderpersonaleGefahrenquellenerforderejedochdie
ExistenzeinerkonkretenHerrschaftsbeziehung inBezugaufdie jeweiligeSacheoder
Person. Nur durch Ausübung von Herrschaft könne der Überwachergarant die
Gefahrentstehungoder–realisierungeffektivverhindern.172
169Brammsen, Die EntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten, S. 130;Otto/Brammsen, JURA85,S.137ff.170 Obwohl Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten, S. 134, dieFunktionslehre von Kaufmann kritisiert, weil sie zur Frage der Entstehung der einzelnenGarantenpflichtenkeinebefriedigendeAntwortzugebenvermag,erkennterdiepraktischeBedeutungderUnterteilungzwischenObhuts–oderBeschützergarantundSicherungs-oderÜberwachergarant.171Brammsen,DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.134f.172Brammsen,DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.135,136.Obwohlnachdiesertheoretischer Präzisierung immer noch problematisch erscheint, die bestimmtenÜberwachergarantenstellungen einzuordnen, kommt bei Brammsen in Betracht der Hauseigentümer,derKfz-derTierhalter,derWaffenbesitzer,derGastgeber,u.s.w.
41
DiedirekteKonsequenz,dieBrammsenausdendargestelltenÜberlegungenzieht, ist
dieAblehnungderGarantenstellungaus Ingerenz.Siesei inderRealitätdessozialen
Alltagslebensnichtnachweisbar.DieMitgliederderRechtsgemeinschaftkönntensich
nicht mit der notwendigen Sicherheit an dem erfolgsabwendenden Verhalten des
„Gefahrbegründers“ orientieren, denn es fehle hier an dem grundlegenden, in einer
bestimmtensozialenPositionverfestigengegenseitigenErwartungsverhältnis,welches
allen Mitgliedern der Sozietät eine Reduktion von Komplexität und Kontingenz
gestattet,esfehlealsoder„überantwortete“besonderesozialeEinflussbereich173.Der
Ingerent sei weder Garant noch Träger einer Sonderpflicht und auch kein
Unterlassungstäter174.
AllerdingsversuchtBrammsendieProblematikderunterlassenenErfolgsverhinderung
nach eigenem gefährlichen Vorverhalten als Fall eines Begehungsdelikts
darzustellen175.DemnachmissachtederIngerentdiederErfolgsvermeidenspflichtder
einzelnen Begehungsdelikt zugrundeliegende, an Jedermann gerichtete
Verhaltenserwartung.BrammsenkommtsomitzurStrafbarkeitdieserFallgruppe.176
Kritik
Bereits der Grundsatz von Brammsen, wonach die Garantenpflichten auf sozialen
Verhaltenserwartungen beruhen sollen, erweist sich als nicht verfassungskonform.
Hierbei besteht Zweifel, ob diese soziologische Garantenlehre mit dem
Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 Abs. 2 GG) zu vereinbaren ist177. Dass sie auf
faktische Elemente zurückgreifen soll, um den Inhalt der Garantenpflicht zu
173BereitsWelzel,Strafrecht,S.216:„EsliegtnichtdergeringstesachlicheGrundvor,warumdiebloßeVerursachungeinerGefahreineGarantenstellungbegründensolle“.Langer,DasSonderverbrechen,S.504f.,ders.,DieSonderstraftat,S.452,istauchderMeinung,„[…]dassdieangeblicheGarantenstellungaus,vorangegangenemgefährdetenTunʻkeinSonderunrechtbegründet.DasSetzeneinerGefahrschafftalssolcheswedereinesonderunwertbegründendeBeziehungdesGefährdendenzumGefährdetennocheine relative Abwandlung der Normdringlichkeit; so daß der Unterlassende nur das betreffendeGemeinunrechtbegeht“.174Brammsen,DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.447.175Brammsen,DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.392.176Brammsen,DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.39ff.177 Sangestedt,GarantenstellungundGarantenpflichtvonAmtsträgern,S.146 ff.;Schünemann,wistra1986,S.244.,Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.316ff.
42
bestimmen, bestätigt die Kritik, dass sie sich auf unsichere Faktoren verlässt178, die
nichtunmittelbarausdemGesetztnachweisenlassen179.
Manmusszugeben,dassbeiderBegründungeinerspezifischenGarantenstellungdie
sozialePositiondesGaranteneineersteindizielleRollespielt180,siebedarfabereiner
weiteren normativen Konkretisierung, wennman siemit dem Recht verbinden will,
sonst würde sie nur bei der empirischen Realität bleiben. Brammsen ist dieses
rechtlicheGebotbewusst,underversuchtesmitHilfeder„Muss-Erwartung“,wonach
derAnforderungsaspektdereinzelnenErwartungzwingendenCharakterundweiterhin
eine empirisch erforschbare allgemeine Anerkennung, Beachtung und Befolgung
gefundenhabenmuss,zuerfüllen.AberwelchekonkretennormativenAnforderungen
danach ausreichend sind, um die soziale Erwartung auf Vornahme der
erfolgsvermeidenden Handlung strafrechtlich zu garantieren, bleibt
erklärungsbedürftig181.
AuseinerallgemeinanerkanntensozialenPositionergibtsichnichtnotwendigerweise
eine strafrechtliche Garantenpflicht, ansonsten würde man die Sollensfunktion der
Strafrechtsordnung hinter die allzu einseitig in den Vordergrund gerückte soziale
Faktizität zurücktreten lassen182. Ohne konkrete rechtliche Anforderungen ist diese
Theorie so unbestimmt, dass sie praktisch zu jedem gewünschten Ergebnis führen
kann183.
Auchdie Prüfungeiner umfassenden Interessen- undWertungsabwägung als Rekurs
für die Inhaltspräzisierung der „Muss-Erwartung“ ist nicht in der Lage die
Unbestimmtheit zu beheben. Die „Muss-Erwartung“ konstituiert nicht einen
Unterlassungstatbestand, der je nach Interessen undWertungen legitimiert werden
178ÄhnlichSangestedt,GarantenstellungundGarantenpflichtvonAmtsträgern,S.145.179Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.318.180 ÄhnlichWalter, Die Pflichten des Geschäftsherren im Strafrecht, S. 42 f. Demgegenüber Freund,ErfolgsdeliktundUnterlassen,S.137ff.181 Vgl. Grünewald, Zivilrechtlich begründete Garantenpflichten im Strafrecht?, S. 26. Sangestedt,GarantenstellungundGarantenpflicht vonAmtsträgern, S. 145 ff., hat sogarBrammsensMethodealsreineSpekulativgekennzeichnet.182Vgl.Maurach/Gössel/Zipf,StrafrechtATII,S.325;Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.28Fn.53:„SoleitetmanfreilichGarantenstellungennichther,sondernbeschreibtsieundauchdasnurunvollkomen[…]“;für Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 138, ist das faktische Element als solche unergiebig; objemand rechtlich verpflichtet zumHandel ist, „[…] gelangtman nur,wennman nicht auf das Faktumschaut,sonderneineNormentsprechendenInhaltsaufweisenkann“.183Ähnlich,Freund,ErfolgsdeliktundUnterlassen,S.139.
43
könnte184. Die vollständige Legitimation des Gebots erfolgt nur innerhalb einer
Verhaltensnorm, welche bei Brammsen nicht zur Verfügung steht; seine Darlegung
beschränkt sich ausschließlich auf sozial-faktischeGegebenheiten, die ihre rechtliche
Anerkennung nicht gewinnen kann, solange sie nicht rechtlich präzisiert sind.
Brammsen selbst weis auf diese Notwendigkeit hin185, verzichtet aber darauf, sie
herauszuarbeiten.
Dieser theoretischeMangel führtdazu,dassdie Interessen-undWertungsabwägung
ohne sicheren Rahmen und je nach Beliebigkeit durchgeführt werden. Ob z. B. der
Gastwirt Garant zur Verhinderung eigenverantwortlichen deliktischen Verhaltens
seinerGäste ist,wirddurchdiepersönliches Strafgerechtigkeitsempfindenundohne
konkrete Bewertungen bejaht, dass „[…] sich die Mitglieder der Sozietät in ihrem
sozialen Alltagsleben an der Befolgung dieser Erwartung orientieren und sie als
sicherenunddeterminiertenFaktorberücksichtigen“186.
Nichtüberzeugend istauchBrammsens Ingerenz-Konzept.DieSchlussfolgerung,dass
der Ingerent strafbar sei, nicht, weil er Garant oder Träger einer Sonderpflicht und
auch kein Unterlassungstäter sei187, sondern weil er mit seiner Vorhandlung eine
Verbotsnorm verletzt hat, verstößt gegen dasGesetzlichkeitsprinzip, da er somit die
Reichweite des Gesetzes bis auf die Neutralisierung der in Gang gebrachten
schädlichen Entwicklung ausdehnt. Diese von Brammsen genannten sekundären
„Vermeideerwartungen“ in Form von Tätigkeitsgeboten werden aber nicht von der
Vebotsnormumfasst.DieVerbotsnormwirdvonderBeschreibungdesTatbestandes
bedingt und verlangt daher, die Bedingung des Erfolges durch ein Tun zu
unterlassen188.
IV.Herrschaft
184 Das strafrechtliche Gebot eines Verhaltensmuss durch den Schutz eines Rechtsguts legitimierbarsein. „Daher kann strafrechtlich legitim nur solche Norm sein, bei denen die strafrechtlicheSanktionierungalsReaktionaufeinenzurechenbarenNormverstoßgerechtfertigtist“.Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.48,AuchindiesenSinne,Kindhäuser,GefährdungalsStraftat,S.137ff.185Brammsen,DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.130.186Brammsen,DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.282.187Brammsen,DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflicht,S.447.188Kindhäuser,GefährdungalsStraftat,S.53.
44
Die Garantenstellung wird auch mit Hilfe des Herrschaftsprinzips begründet189.
Methodisch bedient sich dieser Gedanke im Anschluss anArthur Kaufmann190 eines
„analogistischen Verfahrens“191, in dem nach dem maßgeblichen Merkmal für die
BegehungsgleichheitderUnterlassunggesuchtwird.
AufgrunddesSchweigensdesGesetzeskommealsAnknüpfungspunktnurdie„Natur
der Sache“ in Frage192 weil sie derselben sachlogischen Struktur wie die
Erfolgszurechnung beim Tun folge. Schünemann findet dadurch die
Begehungsgleichheit zwischen Tun und Unterlassung in der „Herrschaft über den
Grund des Erfolges“193. Diese maßgebliche „normative Gleichstellungsrichtlinie“194
ermöglichedanndieKonkretisierungderGarantenstellungen195.
DiedargestellteArgumentationergibtsichausderBeobachtung,dassdiemechanische
Kausalität nur die Zurechnung des Erfolges zur Handlung erklärt, nicht aber die
ZurechnungzurPerson,deshalbsuchtSchünemanndenZurechnungsgrunddesdurch
die Handlung verursachten Erfolges in der Beziehung zwischen dem personalen
Steuerungszentrum und der den Erfolg verursachenden Körperbewegung.196 Aus
dieserÜberlegung folgt:DieUnterlassungmüsse,umbeidemTypus„Erfolgsdelikte“
begehungsgleich zu sein, ein dieser Beziehung vergleichbares Verhältnis aufweisen.
Das entscheidendeWesen dieses Verhältnisses bestehe in der absoluten Herrschaft
derPersonüberihrenKörper197.„DadieKöperbewegungvermögedesKausalnexusals
unmittelbarer Grund des Erfolges erscheint, ist die unmittelbare Herrschaft über
diesenunmittelbarenGrunddesErfolgessomitdermittelbareGrunddesErfolges,der
dieZurechnungzurPersonrechtfertigt“198.
189Rudolphi, DieGleichstellungsproblematik der unechtenUnterlassungsdelikte und derGedanke derIngerenz, S. 98 ff.; Schünemann, Unternehmenskriminalität und Strafrecht, S. 95 ff.; ders., ZStW 96(1984),S.318;ders.,wistra1982,S.43.190Kaufmann,Analogieund„NaturderSache“,S.14ff.191Schünemann,GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.229ff.192Schünemann,GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.231.193Schünemann,GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.236.194Eswirdsobezeichnet,weiltrotzeiner„weitgehendEntnormativierung“desHerrschaftsmomentsdasKriterium des Erfolgsgrundes nur „ungenügend“ entnormativiert ist. Vgl. Schünemann, Grund undGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.241.195 Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, S. 241, ders.,UnternehmenskriminalitätundStrafrecht,S.88f.196Schünemann,GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.234,235.197Schünemann,GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.235198Schünemann,GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.236.
45
Eine bedeutende Rolle für Schünemanns Garantentheorie spielt der Begriff
„Herrschaft“,dernachdemnatürlichenVerständniseineWillensmachtbezeichne,die
einePersonübereinenGegenstadhabe.SchünemannbegnügtsichmitdiesemBegriff,
denn er sei ein nicht von vorherein exakt definierter, sondern ein Typus, der nur in
seinenRichtpunktenerfasseundbeiderEntwicklungamSubstratkonkretisiertwerde.
DerHerrschaftsbegrifflassesichlediglichinzweiSubtypenaufgliedern:die„existentiell
vorgegebene“ (Herrschaft des Menschen über seinen Körper), und die aus einem
„Willensakt erwachsene“ (bedarf der „Ergreifung“ durch die Person) 199. Dieser
LeitansatzwirdfürdiegesamteGarantensystematikfruchtbargemacht.
Da die kaufmannsche herrschende Unterscheidung zwischen Beschützer- und
Überwachergarant zu Recht als „bloße (deskriptive) Umschreibung der
Garantenobjekte“200bezeichnetwird, legtSchünemannstattdessenndietheoretische
Konstruktion dar, dass die „wesentliche Erfolgsursache“ und die „Hilfslosigkeit des
Opfers“ den „materiellen Gleichstellungsgrund“ wiedergebe201. Den Vorteil dieser
UnterteilungsiehtSchünemanndarin,dassmitdemHerrschaftsmomentbereitsderin
derNaturderSacheliegendeGrundfürdieGarantenstellungherausgearbeitetsei.Die
strafrechtlicheGarantenpflichtseinureineKonsequenzausdiesemvorstrafrechtlichen
Verhältnis202.
Nach Schünemanns Ansicht im Rahmen der Konkretisierung der Garantenstellung
gehören die Verkehrs- und Aufsichtspflichten zu der „wesentlichen Erfolgsursache“,
währendunterdie „Hilflosigkeit desOpfers“bestimmteObhutsverhältnisse203 fallen.
Die Herrschaft über die Erfolgsursache wird noch in die beiden Kategorien der
„Verkehrspflichten“204 infolge „der Herrschaft über gefährliche Sachen“ einerseits
199 Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, S. 243, 359, erkennt alsgemeinsamesGrundelementbeiderHerrschaftsformenden„Herrschaftswillen“,derdenvon sozialemSinngehalterfülltenHerrschaftsbereichvondem„blinden“Kausalverlaufunterscheide.200Schünemann,UnternehmenskriminalitätundStrafrecht,S.88f.201 Schünemann, Unternehmenskriminalität und Strafrecht, S. 89, konzipiert, dass dieser Unterteilungdavor gefeit sei, durch die Substitution beliebiger Garantieobjekte jeder beliebigen Ausdehnung derUnterlassungshaftung dienstbar gemacht zu werden. Allerdings (Grund und Grenzen der unechtenUnterlassungsdelikte,S.242)berührtsichdieseAufgliederungmitderheuteherkömmlichenAufteilunginBeschützer-undÜberwachergarant.202Schünemann,GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.242.203Schünemann,GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.341.204 Um die Verkehrspflichten zu begründen, erkennt Schünemann, Grund und Grenzen der unechtenUnterlassungsdelikte,S.283,dieBedeutungdessozialenGrundprinzipsdes„neminemlaede“,dennes
46
sowie der „Aufsichtspflichten“ über konstitutionell oder partiell „unmündige
Personen“anderseitsausdifferenziert.205
Bei derHerrschaftüber gefährliche Sachengeht esumdieAbsicherungdeseigenen
Herrschaftsbereichs, so dass von ihm für andere keine Gefahren mehr ausgehen
kann206. Es besteht hierbei auch eine Garantenstellung für die Straftaten dritter
Personen, sie setze allerdings voraus, dass der unmittelbar handelnde Täter in der
Aufsichts-undBefehlsgewaltdesHintermannesstehe.DerVersuch,dieseAussagemit
demPrinzipderpersonalenVerantwortlichkeitdesIndividuumsinEinklangzubringen,
muss unter der Voraussetzung erfolgen, dass der Hintermann „[…] entweder den
Kausalverlauf in seinem gegenständlichen Substrat beherrscht, oder aber die
handelndePersonderartinseinerGewalthat,dassihreHandlungenalsEmanationen
seinesHerrschaftsbereichserscheinen“207.
DieHerrschaft über die konstitutionelleHilflosigkeit kann auch nach Schünemann in
dreiverschiedeArtenunterteiltwerden:dasexistentiellvorgegebeneGewaltverhältnis
zwischenderMutterunddeminihremLeibherangewachsendenEmbryo208;derdurch
eigenen Zugriff begründeten Gewalthabe – bei dem man sich eines unmündigen
Kindes erbarme und sich seiner annehme - 209; und der durch einen fremden
VertrauensaktbegründetenGewalthabe-„Herrschaftsübernahme“-210.
Wasdie Ingerenzanbelangt, lehntSchünemanneinesolcheGarantenstellungmitder
Begründungab,dassder Täterhierbeinichtmehrdie inGanggesetztenSchädigung
beherrscht.AllerdingskommterzurStrafbarkeitderIngerentmitHilfeder„Herrschaft
überdiepartielleHilflosigkeitdesOpfers“alsLegitimationskriterium.211
„[…]verlangtindermodernenZeit,dassderEinzelneseinenHerrschaftsbereichinOrdnunghältundihnnichtzumGefahrenherdfürdieAllgemeinheitwerdenlässt“.205 Schünemann, Unternehmenskriminalität und Strafrecht, S. 89; ders., Grund und Grenzen derunechtenUnterlassungsdelikte,S.281ff.206Schünemann,GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.290.207Schünemann,GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.324.208Schünemann,GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.342f.209Schünemann,GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.343.210Schünemann,GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.344ff.211Schünemann,GA1974,S.231ff.;ders.,UnternehmenskriminalitätundStrafrecht,S.99;ders.GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.316f.
47
Kritik
Schünemanns Herrschaftstheorie der Garantenstellung ist es nicht gelungen, als
tragender Gedanke sowohl bei Begehungs- als auch bei Unterlassungsdelikten zu
überzeugen212. Schon die Doppeldeutigkeit213 und der ungenaue Inhalt214 des
Herrschaftsbegriffes erschweren seine Anwendung und führen dazu, dass er bei
bestimmtenFällendurcheinenanderenHaftungsgrundergänzt–Obhutspflichten215-
oder ersetzt – Ingerenz216 - werden muss, damit überhaupt eine Garantenstellung
legitimiertwerdenkann.
Ungeklärt bleibt andererseits die Frage, warum das Herrschaftsprinzip auch für die
Unterlassungsdeliktegeltensoll.DennausdeminhaltlosenBegriff„NaturderSache“
ergibt sich keine automatische Begehungsgleichheit zwischen Tun und Unterlassen.
Wenn man also die „aktuelle Herrschaft über den Grund des Erfolges“ auf die
Unterlassungübertragenwill,müsstezuersteinenormativeKonkretisierungerfolgen,
damitmandiebloßenFaktenmitdenNormenverbindenkann.DieseKritikwirdauch
nichtmitderBehauptungüberwunden,dassbeiAnwendungderHerrschaftsrichtlinie
„[…] ein normativer, durch Wertungsakte auszufüllender Restbestand […]“217 übrig
bleibe, denn somit kehrt die Lösung der Legitimation um und behandelt es als ein
ProblemderZurechnung.
Unzutreffend ist ebenso der Rekurs auf die Prognose einer individuellen
Vermeidemöglichkeitals LegitimationskriteriumeinerGarantenstellung.218Wie schon
oben skizziert wurde, ist die Vermeidefähigkeit ausschließlich Kriterium der
Zurechnung zum Unrecht als Pflichtwidrigkeit, spielt aber für die Bestimmung der
NormwidrigkeitkeineRolle.DademTäterzugänglichseinmuss,waserverhindernsoll,
muss sich die Legitimation einer Garantenstellung auf der tatbestandlichen Ebene
bewegen,damitdieNormfüralleGarantengleichgiltundnicht,wieSchünemannes
212 Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten, S. 69 ff.; Jüngst Haas, DieTheoriederTatherrschaftundihreGrundlagen,S.21ff;213TreffendMaiwald,JuS1981,S.480.214Brammsen,DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.75f;Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.351f.215Maiwald,JuS1981,S.480;Herzberg,DieUnterlassungimStrafrechtunddasGarantenprinzip,S.194.216„berechtigteErwartung“desVerbrauchers.217Schünemann,GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.351.218Schünemann,GrundundGrenzenderunechtenUnterlassungsdelikte,S.20ff.
48
darstellt,nurfürdiejenigen,dieinderLagesind,denErfolgzuverhindern;eskommt
alsonichtdaraufan,obdemTäterdasgeboteneTunabstrakt-generelloderkonkret-
individuellmöglichwar.
§5FeststellungderGarantenstellung
Die theoretischen Bemühungen, die Garantenstellungmitmonistischen Ansätzen zu
begründen,habendieSchwächegezeigt,dasssichnichtalleArtenvonPflichtenaufein
einziges Kriterium zurückführen lassen. Schünemann z.B. gibt bei Ingerenz sein
Hauptkriterium der Herrschaft auf, und fordert stattdessen eine „berechtigte
Erwartung“219,diesichnichtmehrmitdemursprünglichenHaftungsgrundvereinbaren
lässt. Dasselbe Problem spiegelt sich beim Ansatz von Arzt wider, wenn er die
LebensgemeinschaftmitderGefahrschaffunginFormderEnttäuschung„berechtigten
Vertrauens“220 identifiziert, ohne aufzuklären, woran das Verbindungselement der
beiden Kriterien liegt; somit wird die Garantenpflicht auf ein anderes
Begründungskriteriumverschoben.
Für die Untauglichkeit der materialen monistischen Ansätzen zur Feststellung der
Garantenpflichten sprechen andererseits ihre konturlosen Definitionen. Diese Kritik
wendet sich an erster Stelle gegen das Vertrauensprinzip, weil das
Abhängigkeitsverhältnis des rechtmäßigen Vorverhaltens sich auf einen veränderten
Begriffsinhalt – „sozialer Zwang zur Gefahrenhinnahme“221- stützen muss. Auch
BrammsenÜberlegungführtnichtweiter,damitderAnsicht,derGarantseiStrafbar,
weil er mit seiner Vortat einer Verbotsnorm verletzt habe222, die Reichweite der
Verbotsnormwillkürlichausgedehntwird.
Wird die Theorie der Gefahrschaffung näher betrachtet, so bestehen auch
grundsätzlicheBedenkengegenihrenAnspruchaufVollständigkeit.DieBehauptung,in
allen Garantenstellungen stecke eine rudimentäre Gefahrschaffung als
219Schünemann,FS-BGHIV,S.640.220Arzt,JA1980,S.650.221Welp,VorangegangenesTunalsGrundlageeinerHandlungsäquivalenzderUnterlassung,S.215.222Brammsen,DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.130.
49
Begehungselement223,gerätinSchwierigkeiten,wennsiemitderGarantenpflichtkraft
Übernahme konfrontiert wird. Gegen Welps Ansatz ist bei diesen Fallgruppen zu
beachten, dass die Gefahrschaffung sich erst aus der nicht nachgegangenen
Rechtspflicht ergibt; aus der Übernahme selbst entsteht keine Gefahr für das
Rechtsgut224undinfolgedessenkeineGarantenstellung.
AlsZwischenergebniskanndaher festgehaltenwerden,dasseinunddasselbePrinzip
nicht in der Lage ist, alle Arten von Garantenstellungen zu umfassen und sie
ausreichendzubegründen.DieseErkenntnismussberücksichtigtwerden,umdieFrage
derPflichtbindungenrechtlichfundiertbeantwortenzukönnen.
Aberessollauchdaraufgeachtetwerden,dasseinigedogmatischeKonstruktionender
Unterlassungsdeliktedazubeigetragenhaben,dieBestimmungderPflichtdeshalbzu
erschweren, weil bezüglich der Gleichstellungsfrage nicht auf den richtigen
systematischen Standort abgestellt wurde. Dies ist z. B. der Fall, wenn man eine
GarantenstellungmitdemRekursaufpersönlicheFähigkeitenbegründenwill,alsomit
Merkmalen, die der Pflichtwidrigkeit entsprechen225. Aus diesem Grund ist es
notwendig, zuerst auf die Frage nach dem systematischen Standort der
Gleichstellungsproblematik einzugehen, bevor wir uns mit der Bestimmung der
Garantenstellungauseinandersetzen.
I.SystematischerStandortderGleichstellungsfrage
UmdenTäterzurstrafrechtlichenVerantwortungdurchUnterlassenziehenzukönnen,
mussernach§13rechtlichdafüreinstehen,dassderErfolgnichteintritt.Damitistein
formellesErfordernisfürdieBestrafungdesjenigen,dereinebesondereBeziehungzu
demRechtsgutinnehat,gesetzlichverankert.
Unabhängig davon, dass diese Regelung uns zur Bestimmung der Anforderungen an
eine Garantenstellung nicht weiterhilft, postuliert sie einen wichtigen
223Arzt,JA1980,S.560.224Blei,FS-H.Mayer,S.137:„AuchdieanderGefahrherbeiführungorientierteAuffassungderIngerenzwirddiesenFällennichtgerecht,weilesdiesesKriteriuminsunverbindlichFloskelhafteverschwimmenlassen[…]“.Vgl.auch,Sangestedt,GarantenstellungundGarantenpflichtvonAmtsträgern,S.265f.225Walter,DiePflichtendesGeschäftsherrenimStrafrecht,S.103ff.
50
normtheoretischenStützpunktfürdieKonturdesUnterlassungstatbestandesundzeigt
ebenfallsdensystematischenStandortderGleichstellunsproblematik.
Nagler hat bereits den dogmatischen Versuch unternommen, die
Garantenstellungproblematik in der Tatbestandshandlung vorzulegen226. Nach dieser
Meinungunterscheidetsich„dieStrukturderKommissiondurchUnterlassung[…], in
nichts von dem normalen Begehungsverbrechen“227, mit der Folge, dass die
besonderenMerkmalendesGarantenauchdemTatbestandzuentnehmensind.
Inkonsequent ist jedoch Nagler, wenn er an anderer Stelle eine andere Meinung
bezüglich des Unterlassungstatbestandes vertritt: „Der Aufbau der unechten
Unterlassungsverbrechen weicht nur an dieser Stelle von den normalen
Begehungsverbrechen ab; die Weiterentwicklung (Verursachen des Erfolges,
Rechtswidrigkeit,Schuld) läuft fürbeideFormenderBegehunggleichmäßigab. Jeder
Gedanke an quantitative oder gar qualitativeUnterschiede hinsichtlich derweiteren
Verbrechenselemente ist von vornherein abzuweisen; jede solche Differenzierung
würdezurFehlerquellewerdenmüssen“228.
ObwohlmanNaglers Ausgangspunkt, die Garantenstellung sei in den Tatbestand zu
verlegen,fürrichtighaltenkann,werdendieBedenkengegendiesenAnsatzsichtbar,
wennerdarausdieKonsequenzzieht,dasseinundderselbeTatbestanddieMerkmale
des Begehungs- und desUnterlassungsdelikt enthält. Abgesehen davon, dassNagler
selbst diese Schlussfolgerung relativiert229, ist es fehlerhaft hierbei den besonderen
CharakterderunechtenUnterlassungsdeliktenichtzuerkennen.
Wie bereits oben gezeigt wurde, besteht das unechte Unterlassungsdelikt aus
normtheoretischer Sicht aus drei Verweisungselementen, mit denen erst eine neue
(Unterlassungs-) Norm gebildetwerden kann. Dass die Tatbestände des Besonderen
Teils des StGB als Unterlassungstatbestände formuliert werden können, bedeutet
nicht,dassdieMerkmalevonVerbots-undGebotsnormsichmiteinanderidentifizieren
lassen,denndieBildungderUnterlassungsnormbestehtauchausanderenElementen.
226 „Der richtige Standort ist die Tatbestandshandlung,wenn anders es sichwirklich umdie ErfüllungeinesBegehungstatbestandeshandelt[…]“.Nagler,GS111,S.51ff.227Nagler,GS111,S.69.228Nagler,GS111,S.54.229Nagler,GS111,S.54.
51
Kaufmann verdeutlicht diesen Einwand wie folgt: „Die Garantenstellung ist kein
ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des Begehungsdelikts (sondern ein Erfordernis
des Tatbestandes des [unechten] Unterlassungsdelikts). Dann aber erfüllt eben die
unechteUnterlassungnichtdenTatbestanddesBegehungsverbrechens,sonderneinen
anderenTatbestand,ebendendesunechtenUnterlassungsdelikts“230.
Trotz der Kritik ist Nagler insofern Recht zu geben, als die Problematik der
Garantenstellung dem Tatbestand unterfällt, und zwar ausschließlich einem
Unterlassungstatbestand,welchereinGebotzurErfolgsabwendungzumInhalthat.
Gehenwirdavonaus,dass sowohldieBegehungs- als auchdieUnterlassungsdelikte
dieselbe Struktur aufweisen, sodass bei ihnen die Norm- und Pflichtwidrigkeit
bestimmte normtheoretische Funktionen erfüllen, dann müssen wir die logische
Schlussfolgerungziehen,dassdieBestimmungderNormwidrigkeiteinesUnterlassens
diebesonderenMerkmaleeinesUnterlassungstabestandesvoraussetzt.
DenwichtigstenEinwandgegendieseSchlussfolgerunghatFreundmitderfolgenden
Aussage dargestellt: „Der Siegeszug des Tatbestandsmerkmales ,Garantenstellungʻ
beruhtimWesentlichendarauf,dassdieserBegriffnichtsweiteralseineformaleHülse
ist, mit der mehr schlecht als recht der Umfang der Unterlassungsstrafbarkeit dem
Rechtsgefühl entsprechend ausgestaltet werden kann; er ermöglicht praktisch alle
Lösungen – zwingt aber zu so gut wie keiner. Daher vermag er sich so lange zu
behaupten – als Etikett, mit dem im Grunde beliebige Gleichstellungskriterien
versehen werden können. Denn daß das – angebliche – Tatbestandmerkmal der
GarantenstellungdiewechselvolleGeschichtederDogmatikdesBegehungsdelikts so
unerschütterlich überstanden hat, obwohl es die ganze Zeit hindurch die
Begehungsgleichwertigkeitverbürgensollte,kannnüchternbetrachtetdochwohlnur
einenGrundhaben:Dieses,Tatbestandsmerkmalʻistsonichtssagend,dassespraktisch
mitbeliebigenInhaltausgefülltwerdenkann“231.
Dagegenmussmanabervorerst sagen,dassdasProblematischeanFreundsKritik in
der Nichtanerkennung der Garantenstellung als normative Voraussetzung für die
Konstitution eines Unterlassungsgebots besteht. Dass die Garantenstellung eine
230Kaufmann,DieDogmatikderUnterlassungsdelikt,S.255.(KursivimOriginal)231Freund,ErfolgsdeliktundUnterlassen,S.43.
52
formaleHülsesei,sprichtnichtdagegen,dassihreMerkmalefürdenTäterexantezu
erkennensind,unabhängigdavon,ober inderkonkretenSituationderNorm folgen
kannodernicht.
Mit dem Verorten der Gleichstellungsproblematik im Tatbestand gewinnt man eine
entscheidende Erkenntnis zur Legitimation der Garantenstellung: Was verhindert
werden soll,muss dem Täter auf der tatbestandlichen Ebene zugänglich sein; ob er
tatsächlich inderLagewardasgeboteneTunzuerfüllen, isteineganzandereFrage,
der die Pflichtwidrigkeit entspricht. Man kann zum Beispiel232 nicht von vornherein
eine Garantenstellung des körperlichen behinderten Vaters zur Rettung seines
ertrinkendenKindesdeshalbausschließen,weil erdurcheigenesHandelndenErfolg
nichtabwendenkann.
DiesesystematischeEinordnungderNormwidrigkeitdesUnterlassensermöglichtesin
den beiden genannten Fällen, dem Garant die Normwidrigkeit außerordentlich
zuzurechnen,obwohlesdemTäterphysisch-realunmöglichwar,einzuschreiten.Diese
von Hruschka233 entwickelte Konstruktion der Zurechnung wird aber in die
Pflichtwidrigkeit verlagert, wo sich die Frage nach der Subsumtion nicht mehr
beantwortenlässt.
DieseSchlussfolgerunghateinewesentlicheBedeutung fürdieGarantenstellungdes
Betriebsinhabers,denndanachisthierbeinichtrelevant,obderBetriebsinhaberfähig
war, das strafbare Verhalten seiner Angestellten zu verhindern um eine
Garantenstellungzubejahen.Mithinsollz.B.aufKriterienwieOrganisationsherrschaft
oderBefehlsgewalt234zurLegitimationeinerGarantenstellungverzichtetwerden.
II.InhaltderGarantenstellung
232Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.122.233Hruschka,StrukturenderZurechnung,S.13ff.234JüngstauchkritischRoxin,FS-Beulke,S.244:„AufdasWeisungsrechtalleinundseinedominierendePositionimBetriebkannalsoeineGarantenstellungdesGeschäftsherrennichtgestütztwerden“.
53
Unabhängig von der Diskussion, dass die Organisationsherrschaft und die
Befehlsgewalt als Elemente der Erfolgsabwendungsmöglichkeit fungieren könnten,
reichen sie jedoch für die tatbestandliche Begründung einer Garantenstellung nicht
aus. Spring hat zu Recht diese Kritik imAnhang des § 323c StGB so geäußert: „Wie
schon aus der Existenz des § 323c StGB deutlich wird, führen selbstmonopolartige
Rettungsmöglichkeiten nicht ohne Weiteres zu einer Haftung aus unechten
Unterlassungsdelikt“ 235. Um den Inhalt einer Garantenstellung zu bestimmen,muss
demnach also nicht nach der generellen236 oder individuellen237 Handlungsfähigkeit
desUnterlassungstätersgefragtwerden.
1.GegenstandderGebotsnorm
Die Feststellung des Inhalts der Garantenstellung, die mit der Problematik des
normwidrigen Verhaltens gleichzusetzen ist, hat also die Anwendung eines Erfolges
zum Gegenstand, und zwar ob das Verhalten die Eigenschaft aufweist, einen Erfolg
nichtverhindertzuhaben.238EinigeAutoren239vertretenjedochdieMeinung,dassdas
Gebot die Vermeidungmissbilligter Gefahrschaffung zumGegenstand hat. Demnach
sei das eigentliche rechtliche Gebot vielmehr inhaltlich auf die Verpflichtung zur
Abwendung ganz bestimmter Gefahren bzw. genauer: „auf die Verpflichtung zur
Vermeidung ganz bestimmter Möglichkeit schadenträchtiger Verläufe gerichtet und
kannoftaufverschiedeneWeisegleichermaßenerfülltwerden“240.
Dass ein Gebot, im Gegensatz zu dem Verbot, keine bestimmte Handlung
vorzunehmenverlangt,istevident.Philippshatbereitsdaraufhingewiesen,„[…],dass
bei einem Gebot die Möglichkeit normgemäßen Verhaltens von der jeweiligen
235Spring,DiestrafrechtlicheGeschäftsherrenhaftung,S.128.236Jakobs,AT,§29Rn10:„DerTätermußabstraktfähiggewesensein,denErfolgdurcheineHandlungabzuwenden“.237 Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 56 ff.; Schünemann, Grund und Grenzen der unechtenUnterlassungsdelikte,S.217ff;ders.,UnternehmenskriminalitätundStrafrecht,S.98ff.238Kindhäuser,GefährdungalsStraftat,S.53.239 Freund, Erfolgsdelikte und Unterlassen, S. 71 ff; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten undZurechnungdesErfolgs, S.70 ff; Jakobs,AT,§7Rn.36;Walter,DiePflichtendesGeschäftsherren imStrafrecht,S.118ff.;Stree,FS-H.Mayer,S.145ff.;Seelmann,GA1989,S.247.240Freund,ErfolgsdelikteundUnterlassen,S.77.
54
Situationabhängig ist“ 241.HierzumussnurnochentgegenderherrschendeMeinung
gesagtwerden,dassdieÜberprüfungdergeeignetenErfolgsabwendungshandlungauf
derEbenederPflichtwidrigkeitalsZurechnungerfolgensoll.
2.DieGefahralsInhaltderNorm?
Fundamentaler ist dennoch die Frage, ob sich die „Vermeidung einer missbilligten
Gefahrschaffung“als InhaltderNormmitdemhierdargestelltenModellvereinbaren
lässt oder, im normtheoretischen Sinne gefragt, ob sich dieGefahr alsMerkmal des
Unterlassungstatbestands konfigurieren lässt. Will man auf die missbilligte
Gefahrschaffungzurückgreifen,wieeinTeilderLiteratur242eskonzipiert,würdeman
dadurch die Konturen einer Garantenstellung sprengen, weil so ein
Erfolgsabwendungsgebot in ein Gefahrenabwendungsgebot umgewandelt wird.Was
dieGebotsnormuntersagtistdahernichtdieGefährdungdesgeschütztenRechtsguts,
sondernausschließlichdieNicht-VerhinderungdestatbestandmäßigesErfolges243.Die
Gebotsnorm lautet daher „rette dieses Gut“ und nicht „rette dieses Gut nur bei
missbilligterGefahrschaffung“.
3.ErlaubtesRisiko
241 Philipps, Der Handlungsspielraum, S. 66.; ähnlich Seelmann, GA 1989, S. 250: „Während VerbotenämlicheineGrenzeziehen,gebenGeboteeinZielan“.242Stree,FS-H.Mayer,S.145ff.;fürRoxin,AT,§11Rn.47:„EinvomHandeldenverursachterErfolgistdemobjektivenTatbestandnurdannzuzurechnen,wenndasVerhaltendesTäterseinenichtdurcheinerlaubtes Risiko gedeckte Gefahr für das Handlungsobjekt geschaffen und diese Gefahr sich auch imkonkretenErfolgverwirklichthat“.Ähnlich,Frisch,VorsatzundRisiko, S.120: „»Tatbestandmäßig« imSinne der Erfolgsdelikte sind damit nur solche Verhaltensweisen, die nach den Umständen desEinzelfallesmitBezugaufeinGutsobjektdergeschütztenArtdieMöglichkeiteinerHerbeiführungdesunwertigenErfolgsinsichtragen“.(KursivimOriginal)243Kindhäuser,GefährdungalsStraftat,S.53:„EinVerhalten,dasdieseBedingungennichterfüllt,kannbegrifflichnichtalsunvereinbarmitder(undnurmitder)Normbezeichnetwerden,derenKontradiktionderTatbestandist“.
55
Aus dem kategorialen Fehler der Gefahrabwendung als Merkmal des
Unterlassungstatbestandes, wonach geboten ist, die gefährdende Handlung zu
unterlassen,ergibtsichhierfüreinweiteresProblem,wennmansomitdemerlaubten
Risiko tatbestandliche Relevanz geben will. Demnach kann Garant zur Abwendung
schädigenderErfolgenur sein,wer sich imRahmendeserlaubtesRisikobewegt;mit
denWortenJakobs:„EineSituation,dieeinTäterhandelnderlaubtherbeiführendarf,
musserauchnichtabwenden“244.
Dass das erlaubte Risiko ein entscheidender Faktor für die Abgrenzung einer
GarantenstellungvorallembeiFahrlässigkeitsdelikten ist, kannmannichtverneinen.
AbergeradeindieserFunktionliegtdieSchwächedieserAuffassung.DasRisikoistzu
kurz umeineGarantenstellung zubegründen, aber erforderlichumdenUmfangder
Garantenstellungzudeterminieren.245
4.ex-anteFeststellungderInhaltsnorm?
MitdieserKritikistabervorerstdieProblematikderBestimmungderGarantenstellung
aufderEbenederNormwidrigkeitnochnichtüberwunden,dennzudiesemZweckist
es nötig zuerst auf die Frage einzugehen, ob dieNormwidrigkeit ex-ante festgestellt
werden kann. Positiv wird diese Frage von einem bedeutenden Teil der Literatur246
beantwortet.Frisch,einerderHauptvertreterdieserMeinung,stelltdiesbezüglichdie
folgendeÜberlegungauf: „Voneinem»tatbestandmäßigenVerhalten« imSinneder
ErfolgsdeliktekannnachallemBisherigennurdieRedesein,wenndieBeurteilungdes
Verhaltens auf der Basis der ex ante erkennbaren Umstände und des ex ante
verfügbaren normologischesWissens ergibt, dass demVerhalten ein – im Sinne des
244Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.19.,ders.überdieBegründungdeserlaubtenRisikos,strafrechtAT,§7Rn.35ff.;soauchSeelmann,GA1989,S.247.245Vgl.Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.189ff.Anders,Walter,DiePflichten des Geschäftsherren im Strafrecht, S. 121, Fn. 508: „Die Verhaltensnorm verlangt vomGaranten,dasRisikoderdrohendenRechtsverletzung zuverringern (sonstwirdeinmißbilligtesRisikogeschaffen),wiesiebeimTunverlangt,auchkein(unerlaubtes)RisikoeinernurmöglicheVerletzungzuschaffenoderzuerhöhen.“246Frisch, TatbestandmäßigesVerhaltenundZurechnungdesErfolges, S.33,71, ff.;ders.VorsatzundRisiko,S.128ff.;Freund,ErfolgsdeliktundUnterlassen,S.122ff.;Rudolphi,DasKorrespondenzprinzipimStrafrecht,S.46;Mikus,DieVerhaltensnormdesfahrlässigenErfolgsdelikts,S.28ff.
56
bisher gesagten – konkretes Risiko tatbestandsrelevanter Erfolgseintritte bzw. die
ErhöhungeinessolchenRisikoseignet“247.
Dieser Rekurs auf die ex ante Betrachtung erweist sich als unbestimmbar zur
FeststellungeinesnormwidrigenVerhaltens248.DennderTäteristnichtinderLageex-
antezuerkennen,wanneinVerhaltengeeignetisteinenErfolgherbeizuführen249.
Dasbesagtabernicht,dassex-antenichtfeststeht,wieeinVerhaltennichtursächlich
sein soll. „Es kann nunmehr oderweniger offen sein, ob ein bestimmtes Verhalten
ceteris paribus eine Verletzung verursacht. Das Urteil über die Erfolgsrelevanz kann
aberdieNormdemAdressatennichtdadurchabnehmen,dasssieihmdieAusführung
einernichtverletzungsgeeignetenHandlungvorschreibt“250,soKindhäuser.
5.Zusammenfassung
Ausdembishergesagtenlässtsichzusammenfassen,dassdieFeststellungdesInhalts
derGarantenstellungaufdieProblematikdesnormwidrigenVerhaltenszurückgeführt
werdenkann.NurdieAbwendungeinesErfolgeserweistsichhierbeialsGegenstand
einerGarantenstellung.
247Frisch,VorsatzundRisiko,S.128;ders.,TatbestandsmäßigesVerhaltenundZurechnungdesErfolges,S.76,121ff.248 Vgl. Burkhardt, in: Wolter/Freund (Hrsg.) Straftat, Strafzumessung und Strafprozess im gesamtenStrafrechtssystem,S.43ff.249 Mañalich, Nötigung und Verantwortung, S. 59; Vogel, Norm und Pflicht bei den unechtenUnterlassungsdelikten,S.54f.;zutreffendbeiVerbotsnormen,Kindhäuser,GefährdungalsStraftat,S.61Fn.29:„DieNormdürfenichtlauten:«esistverbotenzutöten»,sondern:»esistverboten,sichineinerWeise zu verhalten, die nachAnsicht eines (wie auch immer beschaffenen) Beobachters geeignet ist,eineTötungzuverursachen“.250Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 169. Ähnlich,Burkhardt, in:Wolter/Freund (Hrgs.) Straftat,StrafzumessungundStrafprozess imgesamtenStrafrechtssystem, S. 133: „Es trifft insbesonderenichtzu, daß die Bedürfnisse der Normbildung vernachlässigt werden, wenn man die Gefahrschaffungzunächst (imRahmendesobjektivenTatbestandes) ausder ex-post-Perspektivebeurteilt undaufderEbenedessubjektivenTatbestandesdannannimmt,alleinderdemTäterbekannteRealitätsausschnittsei maßgeblich“. Auch Mañalich, Nötigung und Verantwortung, S. 60, 61: „Die Tatsache, dass derAdressat ex ante in der Lage sein muss, die (Konkrete) Möglichkeit der Erfüllung der relevantenTatbeschreibung durch sein Verhalten zu erkennen, damit es ihm zurechenbar sei, kann jedoch nichtbesagen,dassVerbotsgegenstandkeineVerhaltensweisenseinkönnte,dieetwaalsVeränderungeinesbestimmtenZustands,nämlichalsVerursachungeinesErfolges,beschriebenist“.
57
Um den zu verhindernden Erfolg zu identifizieren, muss man zu allererst auf die
Merkmale der gebildetenUnterlassungsnormbeachten.Hierbei stellt sich die Frage,
obdiemissbilligteGefahrschaffungalsBestanteilderNormfungierenkann.Nachder
heute herrschenden Meinung soll diese Frage bejahend beantwortet werden.
AllerdingsbeginntdieSchwierigkeitdieserAuffassungschonmitderAusdehnungder
Norm, denn somit wird ein Erfolgsabwendungsgebot in ein
Gefahrenabwendungsgebotumgewandelt.
Andererseits erscheint die Antwort auf die Frage nach der Bedeutung des erlaubtes
Risikos zur Begründung eine Garantenstellung einfach: das Risiko legitimiert
ausschließlichdiePflichtwidrigkeiteinesVerhaltens.
UmeinnormwidrigesVerhaltenfeststellenzukönnen,vertritteinüberwiegenderTeil
derLiteraturdieMeinung,dasssienurmitdemRekursaufeineex-anteBetrachtung
durchgeführt werden kann. Freilich hat sich dieser theoretische Rekurs als
unbefriedigenderwiesen,denneinVerhaltenistnurgebotenoderverboten,ohnedie
ex-anteoderex-postBetrachtungzubeachten.
III.MaterielleLegitimationeinerGarantenstellung
DieFeststellungdesInhaltseinerGarantenstellungimpliziertnichtnurdieBestimmung
ihres Gegenstandes,derhiernachmitderAbwendungeinesErfolgesübereinstimmt,
sondern ineinemzweitenSchritt auch ihre rechtlichmaterielle Legitimation.Hierbei
gehtesdarum,dieAdressatenderUnterlassungsnormherauszufindenundihrenKreis
abzugrenzen. Diese Problematik, die von der überwiegenden Literatur251 als
Garantenquelle oder Entstehungsgründe der Garantengebote bezeichnet wird,
versuchtdenGrundderNormendogmatischzupräzisieren.
251Jakobs,AT,§29Rn.26,ff.;Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.125.;Walter,DiePflichtendesGeschäftsherrenimStrafrecht,S.91.;Freund,ErfolgsdeliktundUnterlassen,S.159ff.
58
In der Tat ist heute im Grundsatz unstreitig und allgemein anerkannt, dass allein
moralische oder sittliche Kriterien unzureichend sind252, um eine besondere
Rechtspflicht zum Handeln begründen zu können. Hier endet aber der dogmatische
Konsens. Höchst umstritten ist jedoch ob monistische Ansätze eine adäquate
Begründung einer Garantenstellung anbieten. Hiergegen wurde bereits eingewandt,
dass sie aufgrund ihrer konturlosen Definitionen und ihrem Anspruch auf
Vollständigkeit nicht in der Lage sind, alle Arten von Rechtspflichten erfassen zu
könnenundsieausreichendzulegitimieren253.
1.DualistischeKonzeptionen
1.1.Kaufmann
Eine der wichtigsten und noch heute herrschenden Legitimationsmodelle der
Garantenstellung254 hat Armin Kaufmann mit seiner materiellen Funktionslehre
begründet. In diesem hat er den Versuch unternommen den Norminhalt über den
Rechtsgüterschutz zu bestimmen. Demnach hängt die Garantenstellung von der
SchutzpositiongegenübereinemRechtsgutab,dieinzweiRichtungengehenkann:Die
Garantenposition kann zum Schutze eines ganz bestimmten Rechtsgutes gegen alle
Angriffe, gleich auswelcher Richtung diese kommen bestehen, oder sie kann in der
Überwachung einer bestimmten Gefahrenquelle bestehen, gleichgültig, welchen
konkretenRechtsgüternimeinzelnenimEinzelnenausdieserQuelleGefahrendroht.
255
252BereitsinderRechtsprechung,RGSt64,273,275;66,71,73;BGHSt7,268(271);BverGE96,68,98;BayObL JR 1988, 298, 299; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2001, 112, 114. Auch die Literatur, NK-Wohlers/Gaede, 13/29; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts AT, §59 IV 2; Vogel, Norm undPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.125;Kindhäuser,StrafrechtAT,§2Rn.3253 Sangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflicht von Amtsträgern, S. 262 ff.;Vogel, Norm undPflicht bei den unechten Unterlassungsdelikten, S. 353 ff.; Grünewald, Zivilrechtlich begründeteGarantenpflichtenimStrafrecht?,S.22;Stree,FS-H.Mayer,S.158;Kaufmann,LebendigesundTotesinBindingsNormtheorie,S.114ff.254Kindhäuser,StrafrechtAT,§36,Rn.52ff.;Jescheck/Weigend,LehrbuchdesStrafrechtsAT,S.620ff.;NK-Wohlers/Gaede,§13,Rn.32;SK-Rudolphie/Stein,§13,Rn.23;auchdieRechtsprechungz.B.BGHSt48,77(91f.);OLGKarlsruheNStZ-RR1990,S.112(114);OLGSaarbrücken,NStZ1992,S.387(388).255Kaufmann,DieDogmatikderUnterlassungsdelikte,S.283ff.
59
Diese Unterteilung zwischen Obhuts – oder Beschützergarant und Sicherungs- oder
Überwachergarant wurde allerdings sehr intensiv kritisiert weil dieses
Legitimationsmodell allerhöchstens eine Katalogisierung der Garantenpositionen
ermöglicht256, nicht aber denGrund derGarantenstellung benennt257. Zudemwurde
dagegenvorgebracht,er konkretisiereauchnichtdenGrund, InhaltundUmfangder
jeweiligen Garantenpflichten. Jakobs hat zu Recht auch darauf hingewiesen, dass
Kaufmanns Theorie unterMängeln an Klarheit leidet, denn die Pflichten lassen sich
sowohl zum Schutz eines Rechtsguts wie auch zur Sicherung einer Gefahrenquelle
beliebig austauschen. Dies wird mit dem folgenden Beispiel verdeutlicht: „Ist der
Bademeister Beschützer der Gäste vor denGefahren desWassers oder Überwacher
dieserGefahr?“258.
Allerdings kann man nicht geleugnet werden, dass sie nicht nur eine wichtige
Systematische Bedeutung hat, sie bietet auch ein rechtliches Kontur für die
Bestimmung einer Garantenstellung. Ob der Bademeister in Beschützer- und
Überwachergarantaustauschenlässt259,schließtnichtaus,dassderTäterdiekonkrete
Gefahr für das Opfer abwenden muss. Die sogenannten Doppelfunktionalität der
Handlung,wonachder„GarantmitdempotentiellenSchädigerunddempotentiellen
OpferineinemSystemverbundenist“260,kannhierdeshalbangewandtwerden,weil
häufigeinerPersonmehrereGarantenpflichtenobliegen261.
AuchArzthatsichKaufmannsAnsatzmitdenfolgendenÜberlegungenangeschlossen:
„BeimBademeisterstehtdieallgemeineSicherungdesBadebetriebsunddamitseine
StellunggegenüberderGemeindeimVordergrund.OberwegenseinerÜberwachung
des gefahrbringenden Badebetriebs an der gesetzlichen Verkehrssicherungspflicht
wegenEröffnungeinesgefährlichenBetriebspartizipiertundals,Bewacher‘anzusehen
ist oder ob sich seinePflichten als Beschützer einesGefahr geratenenGastes (auch)
aus dem Vertragsverhältnis Schwimmbadbenutzer/Gemeinde ableiten lassen, kann
dahingestelltbleiben.Hier–wieüberall–istdieTrennungBeschützer/Bewacherzwar
256Stratenwerth,Strafrecht,§13Rn.15;Vogt,ZStW63(1951),S.394ff.;Seebode,FS-Spendel,S.333.257Vgl.Kindhäuser,StrafrechtAT,§36Rn.50.258Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.27.259Manbesagtauch,dasssichdiebeidenArtenderGarantenstellungenimEinzelfallüberschneiden,vgl.Kühl,JuS2007,S.479.260Philipps,DerHandlungsspielraum,S.150;Arzt,JA1980,S.654.261NK-Wohlers/Gaede,§13Rn.37.
60
hilfreich, weil sie den Blick auf Gefahrenquellen und potentielle Opfer lenkt, doch
ergebensichausderAufspaltungkeinefundamentalenKonsequenzen.Deshalbistdie
EinordnungindieeineoderandereKategorieindenzahlreichenGrenzfällenunnötig.“
262
Aus der materiellen dualistischen Konzeption von Kaufmann kann man eine erste
theoretische Basis für die Bestimmung einer Garantenstellung gewinnen. Sie muss
jedochergänztundweiterentwickeltwerden,weiles–wiesicheinTeilderLiteratur
zutreffend demgegenüber kritisch263 geäußert hat - diesem Begründungsmodell an
KlarheitüberdieRechtspflichtmangelt.
1.2.Seelmann
Den Versuch Kaufmanns Modell der Garantenstellung zu überwinden haben viele
Dogmatiker mit Hinblick auf dualistische Ansätze unternommen. Seelmann264 zum
Beispiel führt sein Begründungsmodell auf zwei Fallgruppen zurück: Eine
PflichtbegründungauseigenemVorverhaltenunddiePflichtaussozialerOrdnung.Die
erste Fallgruppe gilt „nur, soweit dieses Vorverhalten zurechenbar ist. Eine lediglich
objektiv verursachte Gefahr oder eine nur objektiv verursachte Entziehung der
Abwehrbereitschaft, eine Gefahrzuständigkeit allein kraft konsensunabhängiger
RechtsnachfolgeodereinebloßeOrganisations-undInstitutionszugehörigkeitreichen
also nicht aus“ 265. Die ZweiteGruppe gilt „für diejenigen familiären und staatlichen
Pflichten, die Bedingungen der Möglichkeit eines auf Handlungsverantwortung
gründendenSystemsvonHandlungspflichtensind“266.
1.3.Schünemann
262Arzt,JA1980,S.654.263Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.27;NK-Wohlers/Gaede,§13Rn.2;Schünemann,ZStW96(1984),S.305;Schönke/Schöder-Stree/Bosch,§13Rn.9;Freund,ErfolgsdelikteundUnterlassen,S.43.264Seelmann,GA1989,S.253.265Seelmann,GA1989,S.253.266Seelmann,GA,1989,S.256.
61
Obwohl Schünemann seine Garantentheorie im allgemeinen auf das Kriterium
„HerrschaftüberdenGrunddesErfolges“267alsoberstesLeitprinzipzurückführt,ergibt
sichdarausaucheinunterteilterdualistischerAnsatz,dervonRoxin268als„Herrschaft
über die Hilfslosigkeit des Rechtsgutes“ und „Herrschaft über den Gefahrenherd“
präzisiert und weiterentwickelt wird. Demnach entsprechen dem ersten
Begründungselement, auch Schutz- oder Obhutsgarantenstellung genannt, die
familiären oder familienähnlichen Schutzbeziehungen269, die Übernahme sonstiger
Schutzfuktionen270 und die Schutzpositionen auf Grund von Organstellungen und
Amtsträgerpflichten271. Dem zweiten Begründungskriterium, auch Überwachungs-
oder Sicherungsgarantenstellung genannt, gehört die Pflicht zur Überwachung
gefährlicher Sachen im eigenen Herrschaftsbereich272, die Pflicht zur Sicherung der
AllgemeinheitvorrechtswidrigenTatenDritter273unddiePflichtzurErfolgsabwendung
aufGrundvorangegangenenTuns274an.
1.4.Jakobs
Auch JakobsgehtvoneinemdualistischenGarantenmodellaus.AusdemSynallagma
„Verhaltensfreihet und Folgenverantwortung“275 leitet er die Haftung aus
Organisationszuständigkeit276 und Haftung kraft institutioneller Zuständigkeit277 her.
Während sich die Pflichten kraft Organisationszuständigkeit an der Vermeidung
rechtgutsverletzender Außenwirkungen des eigenen Organisationskreises des Täters
orientieren278, stammen die Pflichten institutioneller Zuständigkeit aus einer
267Schünemann,Unternehmenskriminalität,S.95ff.;ders.ZStW96(1984),S.294ff.;ders.wistra1982,S.43.268Roxin,StrafrechtAT,B.II,§32Rn.17ff.269Roxin,StrafrechtAT,B.II,§32Rn.33ff.270Roxin,StrafrechtAT,B.II,§32Rn.53ff.271Roxin,StrafrechtAT,B.II,§32Rn.77ff.272Roxin,StrafrechtAT,B.II,§32Rn.108ff.273Roxin,StrafrechtAT,B.II,§32Rn.125ff.274Roxin,StrafrechtAT,B.II,§32Rn.143ff.275Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.58.276Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.29ff.277Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.57ff.278Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.29ff.
62
institutionell abgesicherten Solidarität, die für den gesellschaftlichen Bestand von
elementaremGewichtseien.279
1.5.Kindhäuser
In Übereinstimmung mit dem Ergebnis von Jakobs, wenngleich mit abweichender
Begründung, stellt Kindhäuser280 zwei kategorial verschiedene Pflichten dar:
heteronome und autonome Gründe. Heteronom sind demnach „alle kraft Gesetzes
oderInstitutionbegründetenÄußerungspflichten,diederAdressatzuerfüllenhat,ob
erdieswillodernicht […].DemgegenübersindautonomeWahrheitspflichtensolche,
dievomWillendesAdressatenabhängenunddieKehrseiteinAnspruchgenommenen
Vertrauensind,wobeiwiederumzwischenzweiFormenzuunterscheidenist:zwischen
der unmittelbaren Inanspruchnahme vonVertrauens zu eigenenGunsten gegenüber
bestimmten Dritten und der Inanspruchnahme von Modalitäten des
Geschäftsverkehrs, die um der Flüssigkeit und allseitigen Vorteilhaftigkeit willen
(spezifische)UnwahrheitsrisikendurchbesonderenVertrauensschutzkompensieren.“
2.Stellungnahme
AnderAuseinandersetzungumdieGarantenstellung lässt sichnununschwerzeigen,
dasshierbeiEinigkeitüberdiedualistischeArtenvonPflichten-besteht.Unstrittig ist
auch prinzipiell, dass u. a. die Ehe, das Eltern-Kind-Verhältnis, oder die
Verkehrspflichten eine Garantenstellung begründen, unabhängig von den jeweiligen
Auslegungsansätzen. Insgesamt lässt sich in einem grundlegenden Kernbereich die
ÜbereinstimmungvonProblemlösungenerkennen281.
Einer Theorie der Garantenstellung, die sich mit der hier dargestellte Normstruktur
identifiziert, soll in erster Linie auf die Unterscheidung zwischen Verbot und Gebot279Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.57ff.280Kindhäuser,ZStW103(1991),S.404;genanntauch letztensGarantkraftRisikoherrschaftundkraftinstitutioneller Fürsorge; ders. Strafrecht AT, § 36 Rn. 54 ff. Vgl. Vogel, Norm und Pflicht bei denunechtenUnterlassungsdelikten,S.354.281Roxin,StrafrechtATII,§32Rn.18.
63
beachten. Dies ist bei Jakobs nicht der Fall, ihm zufolge soll diese Differenzierung
anhand der Zuständigkeit relativiert werden282. Nochmehr: „Im Ergebnis muss also
nicht nur derUnterlassungstäter, sondern auchder Begehungstäter einGarant sein,
wennerauseinemBegehungs-Erfolgsdelikthaftensoll“283.
Jakobs Ansatz ist jedoch ein Verstoß gegen die vorgegebene Konfiguration der
Normen. Je nachdem wie die Normen formuliert sind, enthalten sie Verbots- oder
Gebotsnormen, die von der Konfiguration derWortbedeutung bedingt sind.Umdas
verboteneVerhalteninhaltlichidentifizierenzukönnen,benötigtmanjedochnichtden
§13.MitseinerTheseerschafftJakobseinzusätzlichesdogmatischesProblemfürdie
Garantentheorie, das sich selbst nicht aus der Norm ergibt. Mit den Worten
Brammsens:„DurchdieEinbeziehungdesBegehungstätersindieGarantenformelwird
§ 13 StGB zur Grundnorm erweitert und der bisher einigermaßen einheitlich
verwendeteGarantenbegriffwirdinseinerBedeutungentwertetunduntergraben“284.
WillmandenHaftungsgrund rechtlich fundieren,dannmussman ihn zuallererst an
denMerkmalenderNormorientieren285.
UngeachtetdieserKritikund,vorallem,seinemfunktionalistischenImplikationen,die
von der ganz herrschenden Meinung kritisiert wurde, erscheint Jakobs
Garantentheorie als geeignet, ein adäquates rechtliches Begründungspotential
anzubieten,essollallerdingsweiterkonkretisiertwerden286.
Aus dem von Jakobs entwickelten Synallagma „Verhaltensfreiheit und
Folgenverantwortung“ ergibt sich kein konkreter Rahmen zur Begründung eines
Haftungsgrundes, es ist ein Leitprinzip, das allgemein gesehen sowohl für das
StrafrechtalsauchfüranderenRechtsbereicheGeltungfindenkann.Diesistbesonders
282 Jakobs, System der strafrechtlichen Zurechnung, S. 25 ff., ders. Strafrecht AT, § 7 Rn. 56 ff: „BeiBegehung wie bei Unterlassung mag freilich bei fehlender Organisationszuständigkeit eine HaftungwegeninstitutionellerZuständigkeitbestehen[…]“.283Jakobs,StrafrechtAT,§7Rn.58.284Brammsen,DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.142.285Schünemann,DieFunktiondesSchuldprinzipsimPräventionsstrafrecht,S.186,hatdeshalbzuRechtdarauf hingewiesen: „Jakobs leugnet nämlich ausdrücklich eine Bindung desNorminterpreten an denBedeutungskern der umgangssprachlichen Verwendung der Gesetztermini […]. Hierbei übersieht erjedochdiesog.KontextabhängigkeitderWortbedeutung,d.h.dieindermodernenLinguistikgeläufigeErkenntnis,daßdieBedeutungeinesWorteswesentlichvondemSinnzusammenhangabhängt, indemessteht.“286 Haas, Kausalität und Rechtsverletzung, S. 52; Vogel, Norm und Pflicht bei den unechtenUnterlassungsdelikten,S.354ff.
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problematisch, wenn dadurch eine zivilrechtliche Pflicht ohne weiteres auf das
Strafrechtübertragenwird287.HierfürhilftauchdieEngischeAnführungnichtweiter,
„[…], dass die Rechtsordnung im kleinen und im großen von gleichförmigen
RechtsgedankenundallgemeinenPrinzipienbeherrschtist“288,dennsomitwürdedie
besondere Aufgabenbestimmung und der subsidiäre Charakter des Strafrechts
unbeachtet bleiben. Die Bildung einer strafrechtlichen Pflicht bedarf deshalb eine
weiterePräzisierung.
Dass bei der Begründung einer Garantenpflicht die Freiheit der Menschen
berücksichtigen muss, um sie rechtlich fundieren zu können, steht außer Streit289.
Schwierigkeiten bestehenbei der (strafrechtlich) qualifizierten Pflicht, die sich selbst
nichtohneweiteresausdemSynalagmaVerhaltensfreiheitundFolgenverantwortung
ergibt. Notwendig ist hierfür ein verbindlicher Stützpunkt zwischen der
Handlungsfreiheit und dem Erfolg, nämlich die Schaffung oder Übernahme einer
defizitären Organisation, aus der das unerlaubte Risiko für andere entsteht.290 Dies
bedeutet aber nicht, dass der Garant die Herrschaft über die Organisation ausüben
muss, sondern nur, dass er die Zuständigkeit für die Nicht-Realisierung des Risikos
innehat291.ObderGaranttatsächlichdieHerrschaftüberdasGeschehenbeansprucht,
wirdalsFragederZurechnungbehandelt.
Aus diesem Verpflichtungsgrund folgt jedoch keine generelle Legitimation für alle
Arten von Garantenstellungen, wie die monistischen Ansätze unzutreffend
angenommen haben. Nicht nur die Zuständigkeit einer defizitären Organisation
legitimierteineGarantenstellung. SichausderGesellschaft ergebene Institutionen292
werdenauch teilweise vondem§13umfasst, sie dürfen jedochnicht ohneweiteres
287Seelmann,GA(1989),S.251ff.288DassdieseAussagedochfürdieBestimmungderRechtswidrigkeitgilt,stehtaußerFrage.289Jakobs,SystemderstrafrechtlichenZurechnung,S.25ff.;ders.,StrafrechtAT,§29Rn.26ff.;ders.,Die strafrechtliche Zurechnung von Tun und Unterlassen, S. 19 ff.; Seelmann, GA (1989), S. 251 ff.;Walter, Die Pflichten desGeschäftsherrn im Strafrecht, S. 108 ff.; Sangenstedt, Garantenstellung undGarantenpflichtvonAmtsträgern,S.352ff.;Kindhäuser,StrafrechtAT,§36Rn.54.290Jakobs,DiestrafrechtlicheZurechnungvonTunundUnterlassen,S.19ff.;ders.,StrafrechtAT,§29Rn.57ff.;auchVogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.364.291 Explizit dagegen, Seelmann, GA 1989, S. 253: „[…] eine bloße Organisations- undInstitutionszugehörigkeitreichenalsonichtaus“.292Jakobs,DiestrafrechtlicheZurechnungvonTunundUnterlassen,S.30ff.;ders.,StrafrechtAT,§29Rn.57ff.
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vom Strafrecht übernommen werden293, sonst würde ihr rechtlicher Standpunkt
verloren gehen294. Deswegen muss hierbei ausschließlich „[…] die Erhaltung der
unverzichtbarenElementedergesellschaftlichenGestalt[…]“295garantiertwerden.
§6BegründungderGarantenstellungdesBetriebsinhabers
I.Ausgangslage
Nach der hier dargestellten Auffassung haben sich sowohl die Zuständigkeit einer
OrganisationalsauchdieZuständigkeiteinerInstitutionalsrechtlicheBedingungenzur
LegitimationeinerGarantenstellungerwiesen.Infolgendensolluntersuchtwerden,ob
sich aus diesen Verpflichtungsgründen für den Betriebsinhaber eine Pflicht zur
VerhinderungStraftatenseinerUntergegebenerableitenlässt.
Die Rechtsprechung und die überwiegende Literatur haben eine solche
Garantenstellung anerkannt - die im Einzelnen allerdings sehr umstritten und
problematisch ist.WährenddieRechtsprechungdieTheoriederAllzuständigkeitund
der Generalverantwortung der Unternehmensleitung entwickelt hat,296 die ihr eine
flexible Reaktion auf alle möglichen Fallgestaltungen erlaubt,297 nimmt die
herrschende Literatur298 eine betriebsbezogene beschränkte Geschäftsherrenhaftung
an.
293Brammsen,DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.114ff.294Eingehend,Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.315ff.295 Jakobs, Die strafrechtliche Zurechnung von Tun und Unterlassen, S. 32. Ähnlich, Kindhäuser,StrafrechtAT,§36Rn.55:„[…]istdasdauerhafteBestehenrechtlichanerkanntersozialerBeziehungen[…]“.296RGSt24,252(254f.);33,261ff.;57,148(151);58,130(132ff.),75,296;BGHSt25,158(162f.);37,106(123f.);BGHSt57,42.InBezugaufdieGarantenstellungdesCompliance-Officers,BGHSt54,44ff.Jüngst und ausdrücklichüberGeschäftsherrenhaftung, BGH,Urt. v. 20. 10. 2011- 4 StR 71/11Rn. 13:„aus der Stellung als Betriebsinhaber bzw. Vorgesetzter [kann sich] je nach den Umständen deseinzelnen Falles eine Garantenpflicht zur Verhinderung von Straftaten nachgeordneter Mitarbeiterergeben.Diesebeschränkt sich indesaufdieVerhinderungbetriebsbezogener StraftatenundumfasstnichtsolcheTaten,diederMitarbeiterlediglichbeiGelegenheitseinerTätigkeitimBetriebbegeht.“297Mansdörfer,ZurTheoriedesWirtschaftsstrafrechts,S.322.298Bottke,HaftungausNichtverhütungvonStraftatenUntergebenerinWirtschaftsunternehmendelegelata, S. 25 ff.; Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzung der Garantenpflichten, S. 275 ff.; Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.36;Ransiek,Unternehmensstrafrecht, S36;Rogall, ZStW98 (1986),S.613 ff.;Schünemann,UnternehmenskriminalitätundStrafrecht,S.101ff.;Roxin,StrafrechtATII,§32Rn.137;
66
Allerdings bieten diese Ansätze, wie bereits dargestellt, keinen ausreichenden
HaftungsgrundeinerGarantenstellungdesBetriebsinhabersan.BeidemKriteriumder
Befehlsgewalt und Organisationsherrschaft z. B. bleibt erklärungsbedürftig wie aus
demDirektionsrechtzwingendeineVerpflichtungzurVerhinderungeinerStraftatfolgt,
wenn gerade dadurch die Wirkungslosigkeit der Anordnungen bewiesen wurde299.
HiergegenbestehenauchBedenkenwegenderAblehnungeinerGarantenstellungaus
Ingerenz.300
EinanderesBeispielfüreinenichtgelungeneLegitimationderGarantenstellungistdie
vonHeine301entwickelteTheorievonVerantwortungfürbetrieblicheGefahrenquellen.
Denn die Aussage, dass bei wachsender Komplexität des Unternehmens die
Verantwortung inderKonzernspitze verbleibe, führt zueinerVerantwortung für alle
aus demUnternehmenbegangenenDelikte, ohnedie benötigteBeziehung zwischen
derunterlassendenHandlungunddemErfolg zupräzisieren.ObdieSuchenachden
„eigentlich Schuldigen“ erforderlich die Unternehmensleitung erreichenmuss, bleibt
ebensoerklärungsbedürftig.
AusalldiesenGründen,diebereitsobengezeigtwurden,sollimfolgendenuntersucht
werden,obsichdieGarantenstellungdesBetriebsinhabersaufeinanderesKriterium
stutzen lässt, das die genannte Kritik überwindet und mit dem bisher dargelegten
Grundgedanke in Einklang gebracht werden kann. Die zu findende Lösung soll sich
auchsystematischwiderspruchsfreieingliedernundkeinelogischenFehleraufweisen.
Im Lichte dieser Vorüberlegungen soll im folgenden zuerst geklärt werden, ob die
Sach-undPersonalgefahrengleichgesetztwerdenkönnen.DieseFrageistvonBelang
für die Bestimmung der Gefährlichkeit eines Angestellten und infolgedessen für die
VerhinderungseinerStraftatendurchdenVorgesetzen.AnhanddieserÜberlegungsoll
in einem zweiten Schritt untersucht werden, was unter gefährliche Organisation zu
ders.,JR2012,S.307;Tiedemann,WirtschaftsstrafrechtAT,2010,§4Rn.181ff.;Schall,FS-Rudolphi,S.267 ff.; Bosch, Organisationsverschulden in Unternehmen, S. 142 ff.; Walter, Die Pflichten desGeschäftsherren im Strafrecht, S. 140 ff.; ablehnend, SK-Rudolphi/Stein, §13 Rn. 35a; Hsü,GarantenstellungdesBetriebsinhaberszurVerhinderungstrafbarerHandlungenseinerAngestellten,S.241ff.;Schubert,SchwZStR,1976,S.385f.299Roxin,FS-Beulke,S.244.300Schünemann,GA1974,S.231ff.;ders.,UnternehmenskriminalitätundStrafrecht,S.99.301Heine,DiestrafrechtlicheVerantwortlichkeitvonUnternehmen,S.120ff.
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verstehen ist, welche Merkmale bei diesem Konzept auftauchen und ob diese
AuffassungmitdenGrundsätzenderIngerenzzuvereinbarenist.
1.GleichsetzungvonSach-undPersonalgefahren?
Sowohl in der Rechtsprechung302 als auch in der Literatur303 wird allgemein eine
Garantenstellung zur Überwachung gefährlicher Sachen anerkannt. Eine solche
Garantenstellung, die mit den aus dem Zivilrecht übernommenen
„Verkehrssicherungspflichten“ gleichzusetzen ist,304 lässt sich als Konsequenz einer
vorhergehendenGefahrschaffungableiten.305Darausergibtsichfürdiestrafrechtliche
Geschäftsherrenhaftung, dass auch ein Unternehmen als gefährliche Sache306
einzustufenist,sodassdievondemBetriebausgehendenGefahrenüberwachtwerden
müssen307. Wer also ein Unternehmen betreibt, muss dafür sorgen, dass dieses in
verkehrsgerechtem Zustand gehalten wird; zum Beispiel Durchführung von
Bauarbeiten.
Umstritten ist die Frage, ob sich diese Überlegung auf Personen übertragen lässt,
sodass sie als Gefahren behandelt werden können und infolgedessen ihre
unternehmensbezogenen Straftaten von dem zuständigen Vorgesetzten verhindert
werdenmüssen. Solltemandies bejahen,würden sie sich als geeignetermaterieller
Anknüpfungspunkt zur Fundierung einer Garantenstellung deshalb erweisen, weil
dadurch der weit umfassende Begriff der Organisationszuständigkeit anhand eines
allgemeingültigenKriteriumsbeschränktwerdenkönnte.
Gehtmandavonaus,dasseinUnternehmenein funktionierendesObjekt imHinblick
aufseineAktivitätenist,könntemanbetrachten,dassauchdieTatendernatürlichen
Personen zu diesem Objekt gehören, denn ohne sie wäre schwer vorstellbar ein
302BGHSt52,159ff.;47,224ff.303StattallernurRoxin,StrafrechtAT,§32Rn.108ff.304NK-Wohlers/Gaede,§13Rn.35;Roxin,StrafrechtAT,§32Rn.108.305NK-Wohlers/Gaede,§13Rn.35.306Tiedemann,Wirtschaftsstrafrecht,§5Rn.290.307Hierbeisindauchdie Ingerenz-FällewiederProdukthaftungzubehandeln,SoKuhlen,FS-BGHV,S.647.
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Unternehmen zu betreiben. Ein anderer Grund für die Annahme einer
GesamtbetrachtungdesUnternehmensalsGefahrenquelleistauch,dassdieSach-und
Personengefahr meistkaumvoneinanderzutrennen ist,„[…]z.B.wenntechnische
Mängel durch Wartungsfehler hervorgerufen oder potenziert werden“308. Aus den
beiden Argumenten lässt sich die Schlussfolgerung ableiten, dass die
ÜberwachungspflichtnichtnurdieunmittelbareGefahrderSache,sondernauchdes
einzelnenBetriebsangehörigenumfasst.309
Nicht überzeugend ist diese Ansicht aber, wenn sie trotz der Gleichsetzung von
Personen- und Sachgefahr die Garantenstellung des Geschäftsführers zur
VerhinderungStraftatenseinerAngestelltenaufeinezusätzlicheKonzeptionstützt,die
nicht ausschließlich mit dem Begriff der Gefahrenquelle zu tun hat. Diesen Ansatz
vertrittz.B.Schall310,indemerfürdenEntstehungsgrundaufdie„Herrschaftübereine
Gefahrenquelle zurückgreift“, nachdemer erkannt hat, dass „derBetrieb insgesamt
alseinevomGeschäftsherrnzuüberwachendeGefahrenquelleeinzuordnen“311ist.
Ungeachtet der kritischen Aspekten des Herrschaftsgedanken zur Begründung einer
Garantenstellung,mit denenwir uns bereits ausreichend auseinandergesetzt haben,
soll hierbei in Zweifel gezogen werden, dass auch die Angestellten als Gefahren
hinsichtlich einesUnternehmensbezeichnetwerden können,weil es „zumindestmit
dem normalen Sprachgebrauch schwer vereinbar wäre, einen Arbeitnehmer als
,Gefahrenquelleʻzubezeichnen,diederVorgesetztezuüberwachenhat“312.
Die Betrachtung, ein Betrieb sei ein gesamtes funktionierendes Objekt und
infolgedessen seien die Sach- und Personengefahr meist kaum voneinander zu
trennen,isteinereineBeschreibungderBetriebsorganisation,ausdernichtzwingend
308Roxin,StrafrechtATII,§32Rn.137.309Schall,FS-Rudolphi,S.275.310 Schall, FS- Rudolphi, S. 277. Ähnlich, Schünemann, ZStW 96 (1984), S. 318: „In diesen Fälle übtnämlichdas Leitungsorgan vermöge seinerBefehlsgewalt dieHerrschaft überdenGrunddes Erfolgesaus, und es ist deshalb gerechtfertigt, von einer Aufsichts-Garantenstellung infolge der BefehlsgewaltundOrganisationsherrschaftzusprechen“.311Schall,FS-Rudolphi,S.277.312Schünemann,wistra1982,S.43.AuchGimbernart,FS-Roxin,S.661,662:„[…]weildieseStraftateneinerseits mit den eigentlichen Gefahrenherden, die der Unternehmensleiter zu kontrollierenverpflichtetist(etwa:BaustellenoderHerstellungbzw.LieferungvonLebensmittel,ArzneimittelnoderKraftfahrzeugen), nichts zu tunhaben […]“.Walter,Die PflichtendesGeschäftsherrn imStrafrecht, S.141:„[…]isthiernocheinmalzubetonen,dassanderePersonenkeinSonderrisikodarstellen“.Ransiek,Unternehmensstrafrecht,S.40f.;Spring,GA2010,S.222ff.
69
eine normative Gleichsetzung folgt und zwar auch nicht, wenn Bottke von der
„Benützung gefährlicher personeller Produktionsmittel“ und von der
„Überwachungsbedürftigkeit betrieblicher Verrichtung ohne Gebrauch sächlicher
Produktionsmittel“313 spricht. Aus diesemGrund kann ein Teil der Literatur314 nicht
unter dem Aspekt der Gefahrenquelle selbst, sondern „[…] unter dem Aspekt der
Herrschaft über eineGefahrenquelle keinen sinnvollenUnterschied […]“315 zwischen
Sach-undPersonengefahrbegründen.
Dass der Betriebsangehörige an sich keine Gefahr darstellt, stellt die Theorie der
GefahrenquelleinFrage,nichtnurweilsichdadurchdasganzeUnternehmenalskeine
GefahrinengeremSinnemehrerweist,sondernauchweilinfolgedessenkeinrechtlich
fundierter Legitimierungsgrundbesteht, denVorgesetzen für dieNicht-Verhinderung
einerStraftatderautonomenPersongemäߧ13zubestrafen.HierbeihilftderRekurs
auf die Herrschaft über eine Gefahrenquelle auch nicht weiter, denn allein die
Herrschaftverpflichtetnicht.316Diesekannsichauchdadurcherklären,dassbeihöchst
komplexenUnternehmenkeineBefehlsgewaltvondem„Hintermann“sowohlüberdie
Sachealsauchüberden„Sachnächsten“unbedingterfolgt.
DerVerdienstderhierbehandeltenTheorieistesallerdingserkanntzuhaben,dassdas
Unternehmen ohne die Betriebsangehörigen nicht als funktionierendes Objekt
berücksichtigtwerden kann.DerbetrieblicheAblaufwird in irgendwelcher Formmit
einer menschlichen Unterstützung begleitet, sodass die Gleichsetzung zwischen
Sachen und Personen auf der beschriebenen Ebene als Unternehmenseinheit
angesehenwird.Esistaberbisherklargeworden,dasssichausdieserErkenntnisohne
weiteres keinen Haftungsgrund ergibt. Sie hilft uns jedoch, die Konstitution und
OrganisationsstruktureinesUnternehmenszubeachten,umsiefüreineKonstruktion
der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Betriebsinhabers fruchtbar machen zu
können.
Will man sich der Frage widmen, ob der Betriebsinhaber eine Garantenstellung zur
Verhinderung von Straftaten seinerUntergebener innehat, somussman zu allererst313Bottke,HaftungausNichtverhütungvonStraftatenUntergegebenerinWirtschaftsunternehmenderlegelata,S.26ff.314Roxin,StrafrechtATII,§32Rn.137.;Schünemann,wistra1982,S.43.315Schall,FS-Rudolphi,S.276.316Roxin,FS-Beulke,S.244.
70
dieErkenntnisberücksichtigen,dassdieAngestelltenaufgrunddesAutonomieprinzips
keine Gefahr kennzeichnen, und auch nicht bei der „Benützung gefährlicher
personellerProduktionsmittel“317.DarausfolgtjedochnichtzwingenddieKonsequenz,
dass der Betriebsinhaber in keiner diesen Fallkonstellationen zur Verantwortung zu
ziehenist.
2.GefährlicheOrganisation
DieMerkmale einer solchenOrganisation tauchen auf, umnur ein paar Beispiele zu
nennen,wennessichumdieStraftateine„Mittarbeiters(handelt),dersichbereitsin
der Vergangenheit […] nicht ordnungsgemäß verhalten“318 hat oder der
„Begehungstäter ein ,Defizitʻ an Kenntnissen und Fähigkeiten aufweist, das ihm ein
pflichtgemäßesHandelnunmöglichmacht“319.
Die Schlussfolgerung bedarf aber einer weiteren Vertiefung, um den Begriff der
gefährlichenOrganisationpräzisierenundkonkretisierenzukönnen,dennsonstwürde
die Unbestimmtheit des Kriteriums dazu beitragen, die Basis und Kontur der
Garantenstellungzusprengen.
Geht man dem Problem der Organisation eines Unternehmens nach, so taucht der
systematischeAusgangspunktauf,dassdieses (Problem)aufverschiedenEbenender
Straftatbehandeltwerdenkann.ObderVorgesetztedurchbeherrschbaresVerhalten
fähigwar,dieOrganisationordnungsgemäßzubetreiben,istz.B.eineFrage,diesich
aufderZurechnungsebenebeantwortenlässt.Dennesgehthierbeidarum,dieGrenze
desGefahrbereichesmiteinemräumlichenHerrschaftsbereichgleichzusetzen320,also
darum,wiediePflichtindemkonkretenFallerfülltwerdenkann.Damitwirdallerdings
317Bottke,HaftungausNichtverhütungvonStraftatenUntergegebenerinWirtschaftsunternehmenderlegelata,S.26.318Langkeit,FS-Otto,S.649ff.319Spring,GA2010,S.227.320Schünemann,UnternehmenskriminalitätundStrafrecht,S.99ff.
71
eine Garantenstellung nicht begründet, sondern sie nur durch ihre Anwendung
abgegrenzt.321
Die Unternehmensorganisation ungefährlich zu betreiben setzt ein theoretisches
Objektvoraus,dasalsInhaltderGebotsnormzukennzeichnenist.Demnachsollendie
Merkmale und der Begriff der gefährlichen Organisation unabhängig von den
tatsächlichen Fähigkeiten und der Sachherrschaft322 des unterlassenden Täters
konzipiertwerden.
Bosch ist einer der Autoren, der seine Garantentheorie teilweise in dieser Richtung
dargelegt hat. Ausgehend davon, dass allein die Herrschaft über die Gefahrenquelle
eine Garantenpflicht nicht ausreichend begründen kann323, hat Bosch den Versuch
unternommen, die Grundlage der Verantwortung des Betriebsinhabers auf die
Missachtung der Pflicht zur „gefahrenmindernden Gestaltung des eigenen
Organisationsbereichs“324zustützen.
Bei dieser Auffassung sei völlig unerheblich, ob die Tätigkeit an sich als gefährlich
eingestuft werde oder ob man arbeitsteiliges Vorgehen insgesamt als riskant
ansehe325.DasbedeutefürdieHaftungdesBetriebsinhabers,dassesgleichgültigsei,
ob der Arbeitsnehmer eine Straftat begehe, maßgeblich sei ausschließlich, ob sich
diese Straftat auf strukturelle Organisationsmängel zurückführen lasse326, also,
inwieweit dieVerhinderungdes konkretenErfolges inden Zuständigkeitsbereichdes
321Anders,Spring,DiestrafrechtlicheGeschäftsherrenhaftung,S.266.322Ransiek,Unternehmensstrafrecht,S.34,erkenntteilweisediesetheoretischeAnmerkungimHinblickaufeinerechtlichefundierteZuständigkeit.323 Bosch, Organisationsverschulden in Unternehmen, S. 158, 159, verzichtet auf die klassischerUnterteilung zwischen Überwacher- und Beschützergarant, denn „[…] lässt sich mittels dieserFeststellung nicht ergründen […]“, welche Garantenstellung auferlegt wird. „Zudem ist dieUnterscheidungimUnternehmensbereichwegenderbereitsangedeutetenÜberschneidungdenkbarerGarantenpositionen nur eingeschränkt praktizierbar.“ Bosch, Organisationsverschulden inUnternehmen, S. 219, basiert stattdessen seinen Ansatz auf die von ihm „[…] angenommeneGarantenstellungbetrieblicher Leitungsorgane indenunmittelbarenAussicht-undSicherungsplichten,die jedoch in höheren Positionen im Unternehmen zu eigenständigen Organisationspflichtentransformieren.“324Bosch,OrganisationsverschuldeninUnternehmen,S.225.325Bosch,OrganisationsverschuldeninUnternehmen,S.219,konkretisiertdieseIdeemitdemfolgendenBeispiel:„AuchbeiVerkehrssicherungspflichtenhinsichtlicheinesGebäudeskommtesnichtdaraufan,ob dessen Zustand Gefahren verursachen kann. Der Eigentümer hat es auch in einem (noch)ungefährlichZustandsoabzusichern,dasssichGefahrennichtentwickelnkönnen.“326Bosch,OrganisationsverschuldeninUnternehmen,S.224.
72
Vorgesetztenfalle.327SolltekeinstrukturellerMangelnachgewiesenwerden,sondern
begehe der Untergebene im Interesse des Verbandes eine Straftat, dann reiche die
,BetriebsnützlichkeitʻderHandlungnichtohneWeiteresaus,eineVerantwortungdes
Vorgesetztenzubegründen328.
BesonderesdeutlichwirdzudemdieKonkretisierungderOrganisationspflichten,„[…]
dienurdasRisikoeinesbestimmtenErfolgseintrittsverringern[…]“329könnenund„[…]
lediglich mittelbaren Einfluss auf die Erfolgsvermeidung oder –herbeiführung
haben.“330
GegendieseAuffassungkannvorgebrachtwerden,dassderRekursaufden„Mangel“
anOrganisation zwardenWeg zueiner LegitimationderGarantenstellungaufzeigen
kann,aberdaranscheitert,dassaufgrunddergroßenFlexibilitätdiesesKonzeptskeine
grundlegendeAbgrenzungderPflichtangebotenwird.
Ferner ist auch nicht ausreichend geklärt worden, warum aus einer mangelnden
OrganisationzwingendeinestrafrechtlicheVerantwortungerfolgensoll,wennnach§
130 OWiG331 eine betriebliche Aufsichtspflichtverletzung auch wegen
Organisationsmangels332 als Ordnungswidrigkeit verhängt werden kann333. Um eine
MissachtungderPflichtzubestrafen,istangesichtsdesStrafrechtseinHaftungsgrund
notwendig, der über die Sanktionierung eines ordnungswidrigen Verhaltens
hinausgeht, damit das ultima ratio-Prinzip unddas Bestimmheitsgebot gewährleistet
werdenkönnen.
3.GefahrschaffendesVorverhalten
327Bosch,OrganisationsverschuldeninUnternehmen,S.225.328Bosch,OrganisationsverschuldeninUnternehmen,S.224.329Bosch,OrganisationsverschuldeninUnternehmen,S.110.330Bosch,OrganisationsverschuldeninUnternehmen,S.109.331 § 130OWiG: „Wer als Inhaber eines Betriebes oderUnternehmens vorsätzlich oder fahrlässig dieAufsichtsmaßnahmen unterlässt, die erforderlich sind, um in dem Betrieb oder UnternehmenZuwiderhandlungen gegenPflichten zu verhindern, die den Inhaber treffenundderenVerletzungmitStrafe oder Geldbuße bedroht ist […]. Zu den erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen gehören auch dieBestellung,sorgfältigeAuswahlundÜberwachungvonAufsichtspersonen“.332Göhler/Gürtler,OWiG,§130Rn.14;KK-Rogall,§130Rn.55.333 Hsü, Garantenstellung des Betriebsinhabers zur Verhinderung strafbarer Handlungen seinerAngestellten,S.85 ff.hat sichgegeneinestrafrechtlicheVerantwortungdesBetriebsinhabersAnhangdes§130OWiGgeäußert.
73
SowohlinderLiteraturalsauchinderRechtsprechungistesunstreitig,dassbeiFällen
derProdukthaftung334eineGarantenstellungaus Ingerenzabgeleitetwerdenkann335.
AuchimBereichderGarantenstellungdesInhabersfürStraftatenseinerUntergebenen
wurdedieseTheorieteilweiseangenommen.
Welp336 isteinerderwichtigstenAutoren,derhierbeidieAnsichtvertretenhat,dass
die Eröffnung oder Fortführung eines Betriebes die Basis für eine gefährliche
Vorhandlung darstelle, weil dadurch fremde Risiko-Handlungen veranlasst würden.
BegründetwirddieThesemitdemRekursaufdas„Vertrauen-Dürfen“despotentiellen
Opfers und der hieraus folgenden gesteigerten Abhängigkeit337 zwischen Opfer und
Täter.
Diese Auffassung ist jedoch in verschiedenen Hinsichten zu kritisieren. Dass die
Begriffe„Vertrauen“und„Abhängigkeit“sichalsungeeigneteAnknüpfungspunktezur
StützungderIngerenzhaftungerwiesenhaben,wurdebereitsangedeutet.
BlicktmanaufdieBegriffsbildung„Betriebseröffnung“und„EinstellungvonPersonal“
hinsichtlich der Geschäftsherrenhaftung, so lässt sich nach dem Sinne des Wortes
feststellen, dass beide Ansatzpunkte nicht das Erfordernis einer gefährlichen
Vorhandlung erfüllen, sie fungieren vielmehr als rechtmäßiges Verhalten; folgt man
WelpsAuffassung,würdedaszudemnichtüberzeugendenErgebnisführen,dassder
Inhalt der Gebotsnorm uneingeschränkt fast alle sozial adäquaten Vorhandlungen
334Hilgendorf,StrafrechtlicheProduzentenhaftunginder„Risikogesellschaft“,S.89ff.;ders.JZ1994,S.1142ff.335 BGHSt 19, 167(168); BGHSt 38, 356(358); BGHSt 37 (114 ff.); Bosch, Organisationsvershulden inUnternehmen, S. 186 ff.; Kindhäuser, Strafrecht AT, § 36 Rn. 63; Spring, Die strafrechtlicheGeschäftsherrenhaftung,S.169ff.;Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.38ff.;ders.,FS-BGHIV,S.29ff.;NK-Wohlers/Gaede,§13Rn.43,44;MüKo-Freund§13Rn.121ff.;ders.,ErfolgsdeliktundUnterlassen,S.181.; Roxin, Strafrecht AT II, § 32 Rn. 143 ff.; Stree, FS-H. Mayer, S. 155.; Kritisch, Sangenstedt,Garantenstellung und Garantenpflichten von Amtsträgern, S. 320 ff.; Brammsen, DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflichten,S.390f.;ders.,IndividuelleVerantwortung,S.114ff.; Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, S. 313 ff.; Welp,VorangegangenesTunalsGrundlageeinerHandlungsäquivalenzderUnterlassung,S.235ff.336Welp,VorangegangenesTunalsGrundlageeinerHandlungsäquivalenzderUnterlassung,S.235ff.337Welp, Vorangegangenes Tun als Grundlage einer Handlungsäquivalenz der Unterlassung, S. 177:„Unter der Herrschaft des strafrechtlich sanktionierten Verbots rechtsverletzender Aktivität entstehtsomiteinegesteigerteAbhängigkeitvomUnterlassendesVerbotenen.“
74
umfassen würde. Die herrschende Meinung in Literatur338 und Rechtsprechung339
habendeshalbzutreffenderkannt,dassdasVorverhaltenzumindestein„gesteigertes“
oder „qualifiziertes“ Risiko Kennzeichen soll, um eine Garantenstellung aus
vorangegangenemTunentstehenlassenzukönnen.
DieThesevonWelpistallerdingsnichtdaseinzigeKriteriumdesIngerenzgedankesals
GrundlagederGeschäftsherrenhaftung.
Im Rahmen der Diskussion über die Qualität und Anforderungen des Vorverhaltens
findetman in Lehre und Rechtsprechung eine Reihe von Ansätzen, die - trotz ihrer
unterschiedlichenVersionen inmanchenPunkten–zueinemselbenGrundgedanken
führen.340 Hierbei ist die Lehre darüber einig, dass sie den reinen
KausalzusammenhangzwischendemVorverhaltenunddemnichtverhindertenErfolg
alsMindestvoraussetzungnichtgenügenlässt.341
DieRechtsprechunghatsichauchbereitsindiesemSinneimfrühen„Taschenmesser-
Fall“342geäußert,indemderBGHeinenMannausschließlichwegenderVerletzungder
Hilfspflicht nach §323 c StGB deshalb verurteilt hat, weil er einem anderem eine
Taschenmesser überlassen hatte, ohne die spätere Begehungstat voraussehen und
erkennenzukönnen.Einigkeitbestehtauchdarüber,dassdasVorverhaltennichtdas
Erfordernis einer Straftat erfüllen und die Merkmale einer schuldhaften Handlung
nichtaufweisenmuss343.
338Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.42,ders.,FS-BGHIV,S.29ff.;Kindhäuser,StrafrechtAT,§36Rn.64;Kühl,StrafrechtAT,§18Rn.102;Roxin,StrafrechtATII,§32Rn.160ff.;Stree,FS-Klug,S.395ff.339BGHSt38,356(358);BGHNStZ1998,83(84);BGHNStZ2000,583(583).340 Abgelehnt wird die Ingerenz jedoch von wenigen Autoren: Brammsen, DieEntstehungsvoraussetzungenderGarantenpflicht, S. 390 ff.;ders., in: IndividuelleVerantwortungundBeteiligungsverhältnissebeiStraftateninbürokratischenOrganisationendesStaates,derWirtschaftundder Gesellschaft, S. 114 ff; Lampe, ZStW 72 (1960), S. 93 ff.; Schünemann, FS-Rudolphi, S. 313 ff.;Sangenstedt,GarantenstellungundGarantenpflichtvonAmtsträgern,S.320ff.341Kindhäuser,StrafrechtAT,§36Rn.64ff.;Roxin,ATII,§32Rn.155ff.;Jakobs,StrafrechtAT,§38Rn.38ff.342BGHSt11,353ff.343 Jakobs, Strafrecht AT, § 29 Rn. 29; Kindhäuser, Strafrecht AT, § 36 Rn. 68; Schönke/Schröder-Stree/Bosch,§13Rn.39;Spring,DiestrafrechtlicheGeschäftsherrenhaftung,S.247f.
75
Umstritten ist jedoch in Rechtsprechung und Schrifttum eine Frage, die eine
wesentliche Rolle für die Begründung der Ingerenzhaftung spielt: Ob das
vorangegangeneTunpflichtwidrig344seinmuss345.
InderRechtsprechunglässtsichdiesbezüglichkeineklareLinie346erkennen,allerdings
hattederBGHinderletztenZeitdieGelegenheit,sichausführlichmitdiesemThema347
im Lederspray-Urteil348 zu befassen, in dem er die Grunderfordernisse der Ingerenz
bestimmthat.NachdemBGHsollbeiderIngerenzaufein„objektivpflichtwidriges“349
Verhalten abgestellt werden, das teils aus einem allgemeinen Schädigungsverbot350,
teilsausgesetzlichenBestimmungen351abgeleitetwird.Tatsächlichaberreichtfürdas
Gericht ein pflichtmäßiges Vorverhalten unter bestimmten Voraussetzung352 für die
Begründung der Ingerenzhaftung aus353, da das Inverkehrbringen des Sprays nicht
pflichtwidrig war. Zu Recht wurde deshalb die theoretische Tendenz dieser
Entscheidung kritisiert,weil u. a. „[…] der BGH in der Lederspray-Entscheidung zwar
verbal amPflichtwidrigkeiterfordernis festgehalten,es inder Sacheaberaufgegeben
hat.“354
344ImRahmenderIngerenzsollsichdieserBegriffnichtaufdietatsächlichenFähigkeiteneinerPersonzurBefolgungderNormbeziehen,alsoalsZurechnung,sondernmiteiner„objektivenRechtsverletzung“gleichgesetztwerden;Spring,DiestrafrechtlicheGeschäftsherrenhaftung,S.248.345Kindhäuser,StrafrechtAT,§36Rn.65;Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.39;ders.FS-BGHIV,S.29ff.;Schünemann,ZStW96(1984),S.308.346 In früheren Urteilen wurde von dem Gericht kein pflichtwidriges Vorverhalten für die Ingerenzverlangt, BGHSt 4, 20(22); 11, 353(355), allerdings wurde diese Interpretation in späterenEntscheidungeneingeschränkt,BGHSt19,152(154).347BereitsinderEntscheidungBGHSt25,218(221f.).348BGHSt37,106ff.349 In der Rechtsprechung wurde dieser Begriff verwendet, um damit die faktische Preisgabe desPflichtwidrigkeitserfodernisses zu verschleiern; siehe Spring, Die strafrechtlicheGeschäftsherrenhaftung,S.248Fn.799.350Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.267.351NachdemBGHSt37, 118: „VerstießderVertriebder gesundheitsgefährdenden Ledersprays gegendas§30Nr.2LMBGnormierteVerbotundbegründeteebenjeneGefahr,zuderenVermeidungdieseBestimmungnach ihrerÜberschrift („VerbotezumSchutzderGesundheit“)wieauchnachdemZweckdesGesetzesimganzenzudienenbestimmtist“.352VorhersehbarkeitdesVerletzungerfolges,BGHSt37,106(117).353Ähnlich,BGHSt34,82(84).354 Bosch, Organisationverschulden in Unternehmen, S. 201; Spring, Die strafrechtlicheGeschäftsherrenhaftung,S.96;Sowada, JURA2003,S.242;Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikten,S.266ff.AusdiesemGrundhatBrammsen, in: IndividuelleVerantwortungundBeteiligungsverhältnissebeiStraftateninbürokratischenOrganisationendesStaates,derWirtschaftundder Gesellschaft, S. 122 f., vorgeschlagen, diese Fallkonstelationmit dem Rekurs auf die betrieblicheGefahrenquellezulösen.
76
In der Literatur zeichnet sich die Beantwortung der Frage nach der Qualität des
Vorverhaltensdadurchaus,dasssienichtbezogenaufdasPflichtwidrigkeitserfordernis
formuliert ist, sondern sich vielmehr auf das allgemeine Verständnis der
Ingerenzhaftung bezieht.355 Damit hat sich die herrschenden Meinung für Kriterien
entscheiden, bei denen auf ihre Flexibilität abgestellt worden sind. Jakobs356 z. B.
verlangtfürdieVorhandlungdieSchaffungeinesVerhaltens„mithöheremRisiko“,das
überdas„unumgehbarealltäglicheVerhalten“hinausgeht.Otto/Brammsenbenutzen
ihrerseits das ähnliche Konzept der „Überschreitung des Jedermann-
Handlugsspielraumes“357.RoxinüberträgtdieLehrevonderobjektivenZurechnungauf
die Ingerenz, um sie einzuschränken, wonach die Anforderungen an die
Pflicthwidrigkeit nur erfüllt sind, „[…] wenn die Vorhandlung dem Verursacher
zurechenbarist.“358
AlldieseTheorienverzichteninderTataufdasPflichtwidrigkeitserfordernis,abermit
bestimmtenAusnahmen,dienachSowada„[…]zunehmend inZweifelstellen,obdie
‚Regel’wirklichüberzeugenderscheint,d.h.obdiePflichtwidrigkeitderVorhandlung
tatsächlichdenGeltungsgrundderGarantenstellungausIngerenzdarstelltoderobes
sich insoweit nur um den Teilbereich einer größer zugeschnittenen
Erfolgsabwendungspflichthandelt“359.
GegenSowadamussmandennocheinwenden, dassdie „Ausnahmen“die genannte
TheorienderherrschendeMeinungansichnicht inFragestellen,dennkeineTheorie
ist zwingend in der Lage, eine bestimmte Fallkonstellation umfassend erklären zu
können.SowadahatdennochRecht,wennervonderunzureichendenKonkretisierung
derVoraussetzungenwarnt,dieeineGarantenstellungausIngerenzauslösenkann360;
dieskannauchdazuführen,dassuneingeschränktPflichtstellungenlegitimiertwerden
können.
II.Stellungnahme355Spring,DiestrafrechtlicheGeschäftsherrenhaftung,S.249.356Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.42357Otto/Brammsen,JURA1985,S.648.358Roxin,StrafrechtATII,§32Rn.156.359Sowada,JURA2003,S.241.360Sowada,JURA2003,S.242.
77
1.Ausgangspunkt
Die Organisation eines Unternehmens konstituiert die Ausübung der Freiheit. Der
Betriebsinhaber schafft damit ein in der GesellschaftwirkendesObjekt,welchesmit
der Freiheit der anderen dadurch zu vereinbaren ist, dass es in einem gefahrlosen
Zustand für Außenstehende gehaltenwerden soll.361 Damit ist aber noch nicht eine
ausreichende Aussage über die Garantenstellung verbunden. Die Schaffung eines
ObjektsistdennocheineerstetheoretischeBasisfürdieLegitimationeinerPflicht,da
hiernach das Unternehmen selbst als verlängerter Arm des Betriebsinhabers
betrachtetwird.
AndersalsdereigeneKörper,derunmittelbargesteuertwird,bedarfeinUnternehmen
eineVielzahlvonMitarbeitern,dieerstermöglichen,einbestimmtesUnternehmenzu
betreiben. Hierbei steht außer Frage, dass bei dem ersten Fall der Körper zu dem
eigenenOrganisationkreisgehörtund,dassdieeinzelnePersonfürderenUnterlassung
zuständig ist. Schwer zu begründen erscheint jedoch, ob angesichts des
Verantwortungsprinzips, „[…] wonach jeder sein Verhalten grundsätzlich nur darauf
einzurichten hat, dass er selbst Rechtsgüter nicht gefährdet, nicht aber – weil dies
nämlichinderen‚Zuständigkeitʻfällt–auchdarauf,dassanderediesnichttun“362,der
OrganisationkreisdesGeschäftsherrnfürdieTatenderAngestelltenerweitertwerden
darf.
Hierbeikannmanfeststellen,dassdemVerantwortungsprinzipkeineSperrwirkungfür
die Geschäftsherrenhaftung zukommt, wenn man die verschiedenen
Verantwortungsbereicheauseinanderhältundsieaufdenjeweilsrichtigennormativen
Maßstabbringt.NuraufdieseWeise istdieTheorie inderLage,nebenderprimären
Verantwortung des Tatnächsten die Garantenstellung des Betriebsinhabers nicht
auszuschließen.
361Jakobs,DiestrafrechtlicheZurechnungvonTunundUnterlassen,S.21.362 Vgl. Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung, S. 68 ff, 74 ff.; Bosch,Organisationsverschulden in Unternehmen, S. 144 ff.; Ausführlich, Schumann, StrafrechtlichesHandlungsrechtunddasPrinzipderSelbstverantwortungderAnderen,S.107ff.
78
2.Organisationszuständigkeit
IndiesemZusammenhangmachtsichderBetriebsinhabernicht imstriktenSinne für
dieStraftatenseinerUntergegebenenverantwortlich, sondern„[…] fürdiedurchdas
VerhaltenbewirkteAusgestaltung seineseigenenOrganisationskreises“363.Dies führt
zuderVerpflichtung,vondemUnternehmenkeineSchädigungenausgehenzulassen,
unabhängigdavon,obdieGefahrenvonSachenodervonPersonenherrühren.
Dieser Ansatz erweist sich als ein Paradigmenwechsel von einer naturalistischen
Betrachtungsweise, die den Tatunmittelbarsten zumAusgangspunkt nimmt, zu einer
normativierenden Betrachtungsweise364, die auf die Organisationszuständigkeit
abstellt. Dass hierdurch der Betriebsinhaber die „Zuständigkeit“ der Organisation
übernimmt,besagtnicht,dasseralsTäter zubestraften ist,denndies isteineFrage
der Zurechnung, die sich erst durch den Rückgriff auf die allgemeine Theorie der
Beteiligungbeantwortenlässt.365
WennmanaberdenHaftungsgrundausschließlichaufdieOrganisationszuständigkeit
einesUnternehmenszurückführenwürde,könntemanhiergegenzuRechteinwenden,
dass dadurch der Betriebsinhaber in Wirklichkeit als Garant für alle aus dem
Unternehmen begangenen Delikten zur Verantwortung gezogen werden würde.366
Hierfür hat die Rechtsprechung zwei abgrenzende Kriterien entwickelt. Demnach
„beschränkt sich indes [eine solche Garantenstellung] auf die Verhinderung
betriebsbezogener Straftaten und umfasst nicht solche Taten, die der Mitarbeiter
lediglichbeiGelegenheitseinerTätigkeitimBetriebbegeht[…]“367.
Unabhängig davon, dass die betriebsfundierten Pflichten die Reichweite der
Unterlassungshaftung einigermaßen signalisieren, bedarf die Garantenbestimmung
363Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.36.364Vogel,FS-Lorenz,S.73,siehtdiesenAnsatzalsproblematischan.365Vogel,NormundPflichtbeidenunechtenUnterlassungsdelikte,S.277:„[…]beiderBeteiligungslehre[stellen] im Ergebnis keine rechtsgutbezogenenNorminhaltsfragen, sondern verantwortungsbezogenePflichtinhaltsfragen.“366Bosch,OrganisationsverschuldenInUnternehmen,S.186.Haas,KausalitätundRechtsverletzung,S.51, wendet auch ein, „dass der Umfang der Organisationszuständigkeit eines Normadressaten nichtbegrifflich fixiert wird, sondern im Ergebnis – trotz der anspruchsvollen systemtheoretischenEinkleidung-derpurenIntuitionüberlassen“.367BGHSt57,42ff.
79
zusätzliche materielle Anknüpfungspunkte, welche das Prinzip der
Handlungssverantwortungbewahren368unddiewillkürlicheAusdehnungdesUmfang
derOrganisationszuständigkeitdesNormadressatenverhindernsoll.
3.GefährlichePerson?
DieseAuffassungweistaufeinensehrproblematischenAspekthin,dernichtalleinmit
dem Rekurs auf die Gefährlichkeit eines Betriebsangehörigen überwunden werden
kann, und zwar die Autonomie einer Person. Die Überlegung, ein Unternehmen sei
deshalbzuüberwachen,weilessichalseinegefährlicheSacheerweist,lässtsichnicht
ohneWeiteresaufeinePersonalskonstitutivesElementeinesBetriebesübertragen.
EineautonomePersonmachtsichinrechtlichenSinneverantwortlichfürihreeigenen
Straftaten369,auchwennsiealsgefährlichqualifiziertwordenist.DerBetriebsinhaber
ist deshalb nicht Garant für die von dem Angestellten begangenen Handlungen,
solangekeinerechtlicheVerbindungmitdieserHandlungbesteht,diesichnichtaufdie
EinstellungdesAngestellten imUnternehmenerstreckendarf.Allesanderewärenur
einenunplausiblerVersuch,hinsichtlichdesGebotszumEinschreitenaufeinenormale
geschäftliche Betreibung eines Unternehmens abzustellen und würde dadurch dem
Vorgesetzten uneingeschränkt alle von den Angestellten begangenen Straftaten zur
Lastlegen.
Daraus ergibt sich die Folge, dass die Person und die Sache hinsichtlich der
Geschäftsherrenhaftungnichtgleichgesetztwerdendürfen,undauchnicht,wennder
Angestellte als ein gefährliches Produktionsmittel370 fungieren könnte. Denn diese
BezeichnungistmehreinereineBeschreibungdertypischenbetrieblichenAktivitäten
alseinemateriellerLegitimationsgrund.
368Seelmann,GA1989,S.256.369 Niemand ist „[…] der Hüter seines Bruders […]“,Walter, Die Pflichten des Geschäftsherren imStrafrecht,S.131.370Bottke,HaftungausNichtverhütungvonStraftatenUntergegebenerinWirtschaftsunternehmenderlegelata,S.26.
80
Nun wäre die Frage angebracht, ob abgesehen von der genannten Kritik die
GleichsetzungvonPersonundSachealskonstitutivesElementdesUnternehmensnoch
zuderhierbehandeltemGarantenproblematikbeitragenkann.
Im Gegensatz zu dem Ausgangspunkt, der Untergebene sei genau so gefährlich wie
eine betriebliche Sache, bietet diese Auffassung anderweitig eine interessante
Erkenntnis mit der Behauptung an, dass im Hinblick auf seine Aktivitäten nur der
Betriebsangehörige das Unternehmen als funktionierendes Objekt ermöglicht. Das
bedeutet, dass sich das wesentliche Element zur Begründung der Garantenstellung
nichtaufdieGefährlichkeitdesAngestelltenkonzentrierensoll,denneswurdegezeigt,
dassdiePersonansichnichtalsgefährlichangesehenwerdenkann,sondernaufdie
betrieblicheOrganisation.
Für den Vorgesetzten folgt daraus, dass er zuständig für die Organisation des
Unternehmens ist. Allein dieseBehauptung reicht aber nicht aus für deBegründung
einer Garantenstellung. Nach dieser Erörterung dürfte deutlich geworden sein, dass
alleindieOrganisationeinesUnternehmensalsKriteriumderLegitimationderPflicht
nichtweiterführt,denndiesewird„[…]nichtbegrifflichfixiert[…],sonderninErgebnis
– trotz der anspruchsvollen systemtheoretischen Einkleidung – der puren Intuition
überlassen“371.Dasistbesonderesoffensichtlich,wennsicheinvondemUnternehmen
ausgehenderErfolgohneWeiteresaufdieOrganisation zurückführen lässt, ohnedie
nötigekonzeptuelleBestimmungundAbgrenzungderOrganisationfestzulegen.
4.GefährlicheOrganisation
Der Begriff der Organisationszuständigkeit bietet dennoch ein adäquates
Begründungspotential372, wenn sie sich mit dem rechtlichen Gegenstand verbindet,
371Haas,KausalitätundRechtsverletzung,S.51.372Haas, Kausalität undRechtsverletzung, S. 53;Bosch,Organisationsverschulden inUnternehmen, S.219; auch Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 35 f. Anderer Meinung Spring, Die strafrechtlicheGeschäftsherrenhaftung,S.177,derdiesetheoretischeKonstruktionalsunnötigbezeichnet,daesohnedas Hervorrufen von Sachgefahren an einer Änderung des „Organisationskreises“ fehlt, „[…] für dieFragederGeschäftsherrenhaftungführtJakobsAnsatzdamitleidernichtzuneuenErkenntnissen“.
81
der die Bestimmung der betrieblichen Pflichten konkretisiert und zugleich zu einer
geeignetenAbgrenzungdesUmfangsderZuständigkeitführt.
EingutesBeispielhierfüristderbereitsdargestellteAnsatzvonBosch,wonachfürdie
Verantwortung des Geschäftsherrn auf die Missachtung der Pflicht zur
„gefahrenmindernden Gestaltung des eigenen Organisationsbereichs“373 abgestellt
werdensoll.Entscheidend fürdieBestimmungderHaftungseidemnach,obsichdie
Straftat des Arbeitnehmers auf strukturelle Organisationsmängel zurückführen
lasse.374
DerVerdienstBoschsistes,dieProblematikderGarantenstellungdesBetriebsinhabers
auf die Organisation des Unternehmens375 zurückzuführen. Diese Ansicht favorisiert
dieKonstruktioneinerbesonderenPflichtnichtmehrinHinblickaufdietatsächlichen
FähigkeitendesVorgesetzten,wassichnachderhierdargestelltenAuffassungwegen
der personalen Bindung des Normadressaten an die Norm als Frage der
Pflichtwidrigkeit erwiesen hat,376 sondern auf die von ihm eingeführten
Kontrollmechanismen zur rechtlichen Organisation und führt damit zu einer
FormulierungderAufsichts-undSicherungspflichten.377
Obwohl sich Boschs Theorie weitgehend auf Fälle der fahrlässigen
Erfolgsverwirklichung beschränkt378, bekräftigt sie anderseits die Basis für einen
materiellen Zusammenhang zwischen Zuständigkeit undOrganisation, dennnur eine
hinreichend klare Zuständigkeitsabgrenzung ermöglicht die eindeutige Bestimmung
derOrganisationskontrolle.
373Bosch,OrganisationsverschuldeninUnternehmen,S.225.374Bosch,OrganisationsverschuldeninUnternehmen,S.224.375InähnlicherWeisehatdieJurisprudenzimSpeditions-fall,LGNürenberg-FürthNJW2006,S.1824ff.,argumentiert. Demnach trifft den Betriebsinhaber eine Garantenpflicht zur Verhinderung vonRechtsgutverletzungen, wenn er ein rechtwidriges, gefährliches System schafft. Kritisch, Spring, DiestrafrechtlicheGeschäftsherrenhaftung,S.112.376Sangenstedt,GarantenstellungundGarantenpfichtvonAmtsträgern,S.262ff.377Bosch,OrganisationsverschuldeninUnternehmen,S.219.378Bosch,OrganisationsverschuldeninUnternehmen,S.225:„Esfehlt[…]schwerzubehaupten,inderTatmanifestieresichgeradediefehlerhafteOrganisationdesVorgesetztenimeigenenBereich.FürdieFälleeinervorsätzlichenTatbegehungdurchdenUntergebenenaufAnweisungdesVorgesetztenkönnteallerdingsdieRechtsfigurdermittelbarenTäterschafteinadäquatesLösungsmodellbereithalten“.
82
UmdiesenGedankeweiterhin für dieGeschäftsherrenhaftung fruchtbar zumachen,
sollmanihnvondemverwendetenRekursaufstrukturelleOrganisationsmangel379des
Unternehmensbefreien.Dennes istnichtausreichendbegründet,warumauseinem
von dem OWiG bereits sanktionierten Verhalten380 zwingend eine strafrechtliche
Verantwortungfolgensoll.
Der Organisationsmangel des Betriebes bietet keinen hinreichenden
LegitimationsgrundeinerstrafrechtlichenSanktion.EineGarantenstellungistnachder
hier vertretenenAnsicht nur dort gerechtfertigt,wo zusätzlichhierzu einmaterieller
Haftungsgrundbesteht.EinereineOrganisationspflichtreichtalssolchealsonichtaus;
vielmehr ist die Begründung einer Garantenposition dann gegeben, wenn der
Handelnde eine Straftat begeht, die ihre Stütze in einer gefährlichen Organisation
findet.ErkenntetwaderInhaber,dassderMitarbeiterunterbestimmtenUmständen
„[…]seineStellungimUnternehmenzurBegehungvonStraftatenmissbrauchenwürde
[…]“381, so hat er die Pflicht, die nötigenMaßnahmen einzuführen, sonst haftet der
InhaberfürdieNichtverhinderungderspäterenRealisierungderStraftat.Handeltder
unmittelbare Täter hingegen voll verantwortlich, ohne erkennbares Defizit382 und
ohne die Unterstützung der Unternehmensorganisation, kommt keine
GarantenstellungdesVorgesetzteninBetracht.
Aus der bisher entwickelten Forschung ergibt sich als Zwischenergebnis, dass der
verlangte Gegenstand für die Begründung der Haftung des Betriebsinhabers seine
gefährliche Organisation ist.383 Dies bedeutet dass, soweit sich das strafrechtliche
Verhalten der Untergebenen auf eine gefährliche Organisation des Unternehmens
zurückzuführen lässt, sich demnach der zuständige Vorgesetzte für die Nicht-
Verhinderung der aus dem Unternehmen begangenen Straftat verantwortlich
macht.384
379Bosch,OrganisationsverschuldeninUnternehmen,S.224.380„Organisationsmangel“,Göhler/Gürtler,OwiG,§130Rn.14;KK-Rogall,§130Rn55.381Spring,DiestrafrechtlicheGeschäftsherrenhaftung,S.254.382Spring,GA2010,S.227.383Heine,DiestrafrechtlicheVerantwortlichkeitvonUnternehmen,S.220,221;Otto,FS-Hirsch,S.297.Ähnlich,Arzt,JA1980,553ff.;Stree,FS-Mayer,S.145ff.384 Eine ähnliche Auffassung vertritt Jakobs, Strafrecht AT, § 29 Rn. 36: „[…] so haftet derBetriebsinhaberfürdengefährlichenZustandseinesBetriebs,solangeüberhauptnochseineGeschäfteorganisiert werden.“ Auch Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 36: „Es geht also […] um die für
83
Neben diesem Zwischenergebnis zeigt sich ebenso die Erkenntnis, dass sich das
auslösende Moment für die Annahme der Garantenstellung aus einem gefährlich
gegebenen Zustand ergeben kann, zu dem der Vorgesetzte nicht aktiv unmittelbar
beigetragenhat. InBetrachtkommenanderseitsauchdieFälle, indenenderInhaber
selbstdurcheinVorverhalteneinegefahrenträchtigeBetriebsstrukturgeschaffenhat.
Diese Fallvariante löst demnach unter bestimmten Anforderungen ebenso eine
VerantwortlichkeitdurchUnterlassenaus.
Mit der Einschränkung der gefährlichen Organisation auf die genannten
Fallkonstellationenwillmaneinen„Mindestbereichs“strafrechtlicherGarantenhaftung
schaffen, da die Organisationsmodelle und unterschiedlichen Pflichtenkreise einen
einheitlichenLeitgesichtspunktderGeschäftsherrenhaftungvonselbstverbieten.385
5.Ingerenz
Ausgehend von der gefährlichen Organisation als Gegenstand der Garantenhaftung
folgt nun die konsequente Frage, ob die hier vertretene Auffassung aufgrund ihrer
materiellenundstrukturellenKonstitutionmitdemIngerenzgedankenzuvereinbaren
ist, so dass die Problematik der Geschäftsherrenhaftung mit dem Rekurs auf das
rechtswidrigeVorverhaltenaufgeklärtundbegründetwerdenkann.
MitdenvorangegangenErörterungenzurIngerenzistbereitsdasProblemderQualität
desVorverhaltensangesprochen.DiedargestellteTendenzderLiteraturhatdemnach
gezeigt, dass die herrschende Meinung sich für die Flexibilisierung des
Pflichtwidrigkeiterfordernises entschieden hat386. Dieser Ansicht soll deshalb gefolgt
werden,weildiestrengeOrientierunganderPflichtwidrigkeitmitdensichdarauszum
TeildarausergebendenabstraktenAnforderungenzumScheiternverurteiltwar.
komplexere rechtlich normierte Organisationen oder organisierte Tätigkeiten.“ Um nichtmissverstandenzuwerden,sollhiergeklärtwerden,dassdieseSchlussfolgerungnichtimSinnevonArzt,JA1980,560,650,714ff.,dargelegtwordenist,wonachinallenGarantenstellungeneinerudimentäreGefahrschaffung als Begehungselement steckt.NachunsererAnsicht soll dieGefahrschaffung nur aufbestimmtenKonstellationenvonGarantenstellungausgedehntwerden,die sichausschließlichausderOrganisationszuständigkeitergeben.385Bosch,OrganisationsverschuldeninUnternehmen,S.217.386Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.42;Otto/Brammsen, JURA1985,S.648;Roxin,StrafrechtATII,§32Rn.156.AndersSowada,JURA2003,S.240ff.
84
Unberücksichtigt ist allerdings noch geblieben, an welchen Kriterien sich die
Bestimmung des Vorverhaltens orientieren soll, wenn sich das Entstehen einer
Ingerenzgarantenstellung nicht ausschließlich auf eine strikte rechtswidrige
Vorhandlungbeschränkt.
Überzeugend ist hierbei die von Teilen der Literatur387 und auch von der
Rechtsprechung388 entwickelte These, wonach das Vorverhalten zumindest ein
„gesteigertes“oder„qualifiziertes“Risikoaufweisensoll,umeineGarantenhaftungaus
Ingerenzbegründenzukönnen.Andersalsdas rechtswidrigeVerhaltenweisendiese
Auffassungen denVorteil auf, dass sie nicht nur denHaftungsgrund bilden, sondern
zugleich mit Hilfe der zivilrechtlichen Gefährdungshaftung und der
Pflichtversicherung389dieReichweitederVerantwortungandeuten.
Aus dem dargelegten Ingerensansatz lassen sich nun Aussagen über die
Geschäftsherrenhaftungableiten.
5.1.Personaleinstellung
Zunächstisthiernocheinmalzubetonen,dassalleindasVorverhaltender„Eröffnung
einesUnternehmens“ansichkeingesteigertesoderqualifiziertesRisikodarstelltund
deshalb nicht als Grundlage der Ingerenz gelten kann. Aus der Behandlung der
Ingerenz indieser Fallkonstellationergibt sichdie Erkenntnis, dass esnichtnötig ist,
das Vorverhalten so weit vorzuverlagern, denn hierfür können auch tatnähere
HandlungsweisenderGeschäftsherrenherangezogenwerden.390
DieProblematikderAnwendungderIngerenzaufdieallgemeine„Personaleinstellung“
istgrundsätzlichgenausozubeurteilenwiebeider„EröffnungeinesUnternehmens“.
Das schließt aber nicht aus, dass hierbei unter bestimmten Voraussetzungen eine
GarantenstellunginBetrachtkommenkann.
387Jakobs,StrafrechtAT,§29Rn.42,ders.,FS-BGHIV,S.29ff.;Kindhäuser,StrafrechtAT,§36Rn.64;Kühl,StrafrechtAT,§18Rn.102;Roxin,StrafrechtATII,§32Rn.160ff.;Stree,FS-Klug,S.395ff.388BGHSt38,356(358);BGHNStZ1998,83(84);BGHNStZ2000,583(583).389Jakobs,StrafrechtAT,§24Rn.42.390Spring,DiestrafrechtlicheGeschäftsherrenhaftung,S.240.
85
EinebesondereKonstellationentstehtanersterStelle,wennungeeigneteMitarbeiter
füreinenbestimmtenPlatzodereinebestimmteAufgabeeingestelltwerdenundzum
Einsatzkommen.DiesmussdemVorgesetztenerkennbarsein,erstdannhafteterfür
die spätere Realisierung des Erfolges. Die Anforderung des Vorverhaltens hängen
davonab,obdieGefahrrealisierungbereitsunmittelbardroht.391
DerandereAusnahmefallderPersonaleinstellungistderjenige,indemeinemittelbare
Gefahr entsteht.Hierbei kommtes für dieAnnahmeder Ingerenzdarauf an, obder
ArbeitnehmerzurBegehungeinerTatgeneigtist.HierbeisolldieEntschlossenheitder
Mitarbeiter zur Tat erkennbar sein, sonst trifft den Betriebsinhaber aufgrund des
VertrauenskeineGarantenhaftung,undzwarauchdannnicht,wennderUntergebener
dieTatmöglichkeitnutzt.392
5.2.GefahrenträchtigeBetriebsorganisation
EineGarantenstellung des Betriebsinhabers aus Ingerenz ergibt sich auch,wenn das
Unternehmen so organisiert ist, dass seine Struktur kein rechtliches Vorgehen der
Mitarbeitergewährleistenkann.SpringdefiniertdieseArtvonUnternehmenals„[…]
Aufbau oder Weiterführen einer betrieblichen Organisationstruktur, die die
Mitarbeiter des Betriebes zu rechtswidrigen Tun nötigt.“393 Dass diese Definition in
ähnlicherWeisevonanderenTheorien394invielenFällenumfasstwirdunddiesezum
selbenErgebnisführen395,bekräftigtnurdieseAnsicht.
Die Jurisprudenz hatte die Gelegenheit sich über den hier diskutierten Ansatz zu
äußern.ImSpeditions-Fall396gingesinderEntscheidungumdieVerantwortlichkeitdes
391Spring,DiestrafrechtlicheGeschäftsherrenhaftung,S.256.392Spring,Die strafrechtlicheGeschäftsherrenhaftung, S. 256.AuchKühl, StrafrechtAT, §18Rn. 104;Roxin,StrafrechtATII,§32Rn.155ff..393 Spring, Die strafrechtliche Geschäftsherrenhaftung, S. 257, versteht unter Nötigung: „wennMitarbeiterumihrenArbeitsplatzbangenmüssen,sofernsiesichnichtdurchrechtswidrigesHandelnindie Organisationsstruktur einfügen oder falls die Erfüllung eines vorgegebenes Arbeitspensum unterEinhaltung gesetzlicher Vorschriften regelmäßig nicht möglichst ist“. Nach unserer Ansicht kann dieNötigung ebenso erfolgen, wenn die Bedingungen zur Ausübung einer Tätigkeit im Unternehmen als„gefährlich“eingestuftwerden.394Fischer,StGB,§13Rn.38.395Siehe,Bottke,HaftungausNichtverhütungvonStraftatenUntergebenerinWirtschaftsunternehmendelegelata,S.25ff.396Urteilvom08.02.2006;NJW2006,S.1824ff.
86
Geschäftsführers,inderdasGerichtaufdasrechtswidrigeundgefährlicheSystemdes
Unternehmens zurückgegriffen hat, um eine Garantenpflicht zur Verhinderung von
Rechtsgutsverletzungen bei Außenstehenden als Folge des Systems zu begründen.
Abgesehen davon, dass sich in der Rechtsprechung keine klare Linie für die
Verantwortung des Betriebsinhabers erkennen lässt, bietet diese Entscheidung eine
überzeugendeLösungzuderhierbehandeltenProblematikan.
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