Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

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Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der Mittelschul- und Gymnasiallehrbücher (1849-1914) Geschichte und Vaterlandskunde als Instrumente zur Schaffung eines gesamt- österreichischen Staats- und Geschichtsbewusstseins Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades eines Magisters der Philosophie an der Karl-Franzens-Universität Graz vorgelegt von Johannes Kurz am Institut für Geschichte Begutachter: Ao.Univ.-Prof. Mag. Dr.phil. Prof. Alois Kernbauer Graz 2017 1

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Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs

im Spiegel der Mittelschul- und Gymnasiallehrbücher

(1849-1914)

Geschichte und Vaterlandskunde als Instrumente zur Schaffung eines gesamt-

österreichischen Staats- und Geschichtsbewusstseins

Diplomarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades

eines Magisters der Philosophie

an der Karl-Franzens-Universität Graz

vorgelegt von

Johannes Kurz

am Institut für Geschichte

Begutachter: Ao.Univ.-Prof. Mag. Dr.phil. Prof. Alois Kernbauer

Graz 2017

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Eidesstattliche Erklärung

Ich versichere, dass ich die Diplomarbeit selbstständig verfasst, andere als die angegebenen Quellen

und Hilfsmittel nicht benutzt und mich auch sonst keiner unerlaubten Hilfe bedient habe.

Graz 2017

Johannes Kurz

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Danksagung

Für die Hilfe bei der Themensuche und die intensive Betreuung bin ich Herrn Professor Kernbauer

zu tiefem Dank verpflichtet, der mich mit vielen Ratschlägen und unter hohem Zeitaufwand in die

richtige Richtung gewiesen hat. Vor allem aber möchte ich mich ganz herzlich bei meiner Familie

bedanken, bei meinen Eltern Klaus und Josefa sowie bei meiner Tante Hilde für die

uneingeschränkte Unterstützung, durch die sie mir das Studium ermöglicht haben. Sie sind mir in

jeder Situation zur Seite gestanden, haben mich gefördert und mir stets eine freie Wahl meines

Lebensweges zugestanden. Das geweckte Interesse an der Geschichte und Geisteswissenschaft ist

zu einem großen Teil ihr Verschulden. Ein ganz besonderes Dankeschön geht an meinen Bruder

Franz, ohne dessen fachkundigen Rat ich die Arbeit nicht bewältigt hätte. Auf diese Weise hat er

verhindert, dass ich mir eine akademische Laufbahn vollends verbaue.

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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung.......................................................................................................................................6

1.1 Forschungsstand....................................................................................................................9

1.2 Fragestellung........................................................................................................................10

1.3 Methode................................................................................................................................12

1.4 Aufbau...................................................................................................................................14

2 Die historische Manifestation des österreichischen Gesamtstaats..........................................15

3 Die Voraussetzungen für die Gesamtstaatsgeschichte.............................................................22

3.1 Der zeitgenössische Diskurs................................................................................................24

3.2 Die geschichtswissenschaftlichen Vorarbeiten..................................................................27

3.2.1 Joseph Chmel................................................................................................................28

3.2.2 Max Büdinger...............................................................................................................29

3.2.3 Franz Martin Mayer....................................................................................................30

4 Franz Krones...............................................................................................................................31

4.1 Das „Handbuch der Geschichte Oesterreichs“.................................................................35

4.1.1 Aufbau ..........................................................................................................................38

4.1.2 Die Dynastie im Staatsgedanken.................................................................................41

4.1.3 Das Verhältnis zu Deutschland...................................................................................43

4.1.4 Das Verhältnis zu Ungarn............................................................................................46

5 Die Bildungsreformen des Unterrichtsministers Leo Thun....................................................51

6 Das Mittelschulwesen der Habsburgermonarchie...................................................................60

7 Die Lehrbücher seit 1849............................................................................................................62

7.1 Wilhelm Pütz‘ „Lehrbuch der oesterreichischen Vaterlandskunde“ (1851).................68

7.2 Jakob Spitzers „Oesterreichische Vaterlandsgeschichte“ (1853)....................................72

7.3 Die „Oesterreichische Vaterlandskunde“ von Emanuel Hannak (1869)........................77

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7.4 Das „Lehrbuch der Geschichte“ von Emanuel Hannak (1871-1873).............................82

7.5 „Gindelys Lehrbuch der allgemeinen Geschichte“ von Gindely-Tupetz (1910)............88

7.6 Das „Lehrbuch der Vaterlandskunde“ von Franz Joseph von Silva-Tarouca (1914). .97

8 Schlussfolgerungen....................................................................................................................106

9 Literaturverzeichnis..................................................................................................................111

9.1 Primärliteratur...................................................................................................................111

9.2 Sekundärliteratur..............................................................................................................115

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1 Einleitung

Die österreichische Historiographie des 19. Jahrhunderts, die sich mit der Entstehung und

Beschaffenheit des österreichischen Staatswesens in einer Gesamtdarstellung auseinandersetzte, war

gekennzeichnet durch ihr vergleichsweise verspätetes Auftreten in ihrer wissenschaftlichen

Bearbeitung. Diese Verspätung lag einerseits im enormen Nachholbedarf in Quellenforschung und

andererseits in der Schwierigkeit, ein integratives und zukunftsweisendes Signal auszusenden,

begründet, was durch die brisanten innen- und außenpolitischen Ereignisse dieser Zeit noch

erschwert wurde.1 Die Problematik für den österreichischen und später österreichisch-ungarischen

Staat bestand darin, mittels einer historischen Gesamtdarstellung einen Sinn und eine Aufgabe

dieses Staatswesens zu deuten und das Zugehörigkeitsbewusstsein der Bürgerinnen und Bürger zur

Habsburgermonarchie zu stärken.2 Spätestens seit dem Revolutionsjahr 1848 war die dynastische

Klammer der Habsburger als alleiniges Erklärungsmuster für das Zusammenwachsen und

Zusammenbleiben der Völkerschaften im österreichischen Gesamtstaatsverband zu wenig

geworden.3 Neben der Dynastie war auch die Beamtenschaft seit 1848 in ihrer integrativen

Funktion unzulänglich geworden und sah sich trotz ihrer multiethnischen Zusammensetzung

zunehmend dem Vorwurf der Germanisierung ausgesetzt.4 Zudem war es im Zuge der Revolution

1848/1849 in der Habsburgermonarchie und speziell in Ungarn zu beunruhigenden Entwicklungen

gekommen. In Folge der nationalen Emanzipation wurde nicht nur nach mehr Autonomie innerhalb

der Habsburgermonarchie gestrebt, sondern mit der proklamierten Absetzung der Habsburger als

ungarischer Königsdynastie die Existenz des österreichischen Gesamtstaats an sich zur Diskussion

gestellt.5 Es war daher im Interesse der österreichischen Politik, neben entsprechenden

Zentralisierungsmaßnahmen auch auf wissenschaftlicher Ebene Maßnahmen zu setzen, um den

Habsburgerstaat ideologisch zu untermauern. Die Geschichtswissenschaft hatte im 19. und 20.

Jahrhundert großes Gewicht beim Transportieren und Konstruieren von Nationalismen und

nationalen Argumentationen, wenngleich ihr in diesem Bezug keine genuin schöpferische sondern

vielmehr eine unterstützende Rolle zukam.6 Um diesen Nationalismen des 19. Jahrhunderts

1 Vgl. Alphons Lhotsky, Österreichische Historiographie. Wien 1962: S. 197ff.2 Vgl. ebenda: S. 199.3 Vgl. Alois Kernbauer, „Forschung nach Wahrheit“. Der Auftrag an Wissenschaft, Universität und historische

Forschung vor 150 Jahren. In: Elisabeth Trinkl (Hg.), 150 Jahre Archäologie und Geschichte an der Karl-Franzens-Universität Graz. Gedanken zur steirischen Geschichte und deren Erforschung. Veröffentlichungen des Instituts für Archäologie der Karl-Franzens-Universität Graz. Bd. 14. Wien 2016. S. 153-162: S. 159.

4 Vgl. Judson, Habsburg: S. 288ff.5 Vgl. Georg Christoph Berger Waldenegg, Vaterländisches Gemeingefühl und nationale Charaktere. Die kaiserliche

Regierung im Neoabsolutismus und die Erfindung einer österreichischen Nationalgeschichte. In: Hans Peter Hye/Brigitte Mazohl/Jan Paul Niederkorn (Hgg.), Nationalgeschichte als Artefakt. Zum Paradigma „Nationalstaat“ in den Historiographien Deutschlands, Italiens und Österreichs. Wien 2009. S. 135-178: S. 135.

6 Vgl. Helmut Rumpler, Die Deformierung der Nationalidee zur Nationalstaatsgeschichte. Geschichtsschreibung und Nationalismus im 19. Jahrhundert. In: Hans Peter Hye/Brigitte Mazohl/Jan Paul Niederkorn (Hgg.),

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argumentativ gegenzusteuern, reagierten die österreichischen Regierungskreise mit defensiven

Gegenkonzepten der Geschichtswissenschaft, die dem multiethnischen Staatswesen des

Österreichischen Kaisertums Rechnung tragen sollten. Joseph Alexander Freiherr von Helfert, der

sich als Unterstaatssekretär im Unterrichtministerium Leo Thun-Hohensteins maßgeblich für dieses

Vorhaben einsetzte,7 definierte die Anforderungen eines solchen Unterfangens folgendermaßen:

„Österreichische Nationalgeschichte ist uns die Geschichte des österreichischen

Gesammstaates und Gesammtvolkes, als dessen organisch ineinander verschlungene Glieder

all die nach Abstammung, Bildung und Gesittung verschiedenen Stämme erscheinen, die auf

dem weiten Gebiete des Reiches, hier unvermischt in größeren Massen, dort vielfach unter

einander vermengt, sich bewegen.“8

Für Helfert wie für viele Intellektuelle und Politiker war es ein zentrales Anliegen, die

Habsburgermonarchie als organisch und natürlich gewachsenes, einheitliches Staatsgebilde

verstanden zu wissen, das eben kein künstlich und zufällig zusammengefügtes Konglomerat

darstelle. Die Verfechter dieser Auffassung des Habsburgerreiches sprachen daher von der

sogenannten „Gesamtstaatsidee“, die im Wesentlichen die Entwicklung der habsburgischen Länder

zu einem eigenen und einheitlichen Staatsgebilde mit historisch gewachsenen Institutionen zum

Inhalt hatte. In die gleiche Kerbe schlug die Forderung nach einer Gesamtdarstellung des

österreichischen Volkes (im Singular) vor dem Hintergrund eines Staatsgebildes, unter dessen

Schirmherrschaft den unterschiedlichen Ländergruppen eine gleichmäßige und gleichwertige

Darstellung zukommen solle. Nach Helferts Auffassung eines Großösterreich, von einem Staat mit

einem Volk, sollte der Habsburgermonarchie der Anstrich eines modernen Nationalstaats gegeben

werden.9 Neben dem populärwissenschaftlichen „geglückten Kompromiss“,10 der sich in der 17-

bändige Reihe „Oesterreichische Geschichte für das Volk“11, von Helfert selbst mit herausgegeben,

bis dahin fand, erfüllte erst Franz Krones‘ „Handbuch der Geschichte Oesterreichs“12 in fünf

Bänden die Anforderungen in wissenschaftlicher und qualitativer Hinsicht. Für seine Leistung

wurde Franz Krones 1879 von staatlicher Seite mit dem Orden der Eisernen Krone III. Klasse und

Nationalgeschichte als Artefakt. Zum Paradigma „Nationalstaat“ in den Historiographien Deutschlands, Italiens und Österreichs. Wien 2009. S. 23-42: 40f.

7 Vgl. Guido Alexis, Helfert, Joseph Alexander Frh. von. In: ÖBL. Bd. 2. Lfg. 8. 1958. S. 256f.: S. 256.8 Josef Alexander Frh. von Helfert, Über Nationalgeschichte und den gegenwärtigen Stand ihrer Pflege in Oesterreich.

Prag 1853: S. 2.9 Vgl. Helfert, Nationalgeschichte: S. 50.10 Vgl. Alois Kernbauer, Konzeption der Österreich-Geschichtsschreibung 1848-1938. In: Herwig Ebner/Paul W.

Roth/Ingeborg Wiesflecker-Friedhuber (Hgg.), Forschungen zur Geschichte des Alpen-Adria-Raumes. Festgabe für em.o.Univ.-Prof. Dr. Othmar Pickl zum 70. Geburtstag. Graz 1997. S. 255-273: S. 262.

11 Vgl. Oesterreichische Geschichte für das Volk. 17 Bde. Wien 1864-1882.12 Vgl. Franz Krones, Handbuch der Geschichte Oesterreichs von der ältesten bis zur neuesten Zeit, mit besonderer

Rücksicht auf Länder-, Völkerkunde und Culturgeschichte. 5 Bde. Berlin 1876-1879.

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der damit einhergehenden Erhebung in den Adelsstand gewürdigt.13 Seine große Errungenschaft im

„Handbuch“ war es dabei, als Erster die in zeitlicher, geographischer und ethnischer Hinsicht

überaus weitläufige Geschichte Österreichs und seines Staatswesens in einer wissenschaftlich

fundierten Gesamtdarstellung von der Urzeit bis zu seiner eigenen Zeit herauf zu erfassen und die

zahlreichen Ländergruppen in einer gleichwertigen Darstellung nebeneinander unter dem totum

eines funktionierenden Organismus des österreichischen Gesamtstaats zu vereinen. Neben der

Geschichtswissenschaft soll aber in erster Linie das zweite große Betätigungsfeld der Regierung im

Zentrum dieser Arbeit stehen: die Schule. Das tiefgreifende Thun-Hohenstein'sche Reformwerk

verdeutlicht das kostenintensive Bemühen der neoabsolutistischen Ära der 1850er Jahre um den

Aufbau eines effizienten Schul- und Universitätssystems als Grundlage für den wissenschaftlichen,

technologischen und wirtschaftlichen Aufstieg. Gerade die Schul- und Lehrbücher des

Österreichischen Kaiserstaats, die für ihre Mängel und Unzulänglichkeiten bekannt waren und

insbesondere im deutschen Raum für Spott und Hohn gesorgt hatten,14 erfuhren in dieser Zeit eine

besondere Aufmerksamkeit. Nicht untypisch für das 19. Jahrhundert war dabei die Tatsache, dass

Schul- und Lehrbücher für die Mittel- und Volksschulen von renommierten Historikern verfasst

wurden, die neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit auch die pädagogischen und didaktischen

Aufgaben der Geschichtswissenschaft wahrnahmen,15 was wiederum das anspruchsvolle Niveau

dieser Bücher unterstreicht. Das Bemühen der österreichischen Regierung um eine

wissenschaftliche Gesamtdarstellung geht in dieser Hinsicht also Hand in Hand mit den

pädagogisch motivierten Maßnahmen im Schulbereich, beides zum Zweck, die künftigen

Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern der Habsburgermonarchie in einem gesamt-österreichischen

Zugehörigkeits- und Gemeinschaftsgefühl zu erziehen. Hierfür wurde die Behandlung der

österreichischen Geschichte und die Genese des österreichischen Staatswesens immer stärker im

Unterricht berücksichtigt, da in diesem Gebiet Potential erkannt worden war.

13 Vgl. Hermann Wiesflecker, Franz Krones (1835-1902). In: Carinthia I 152. Klagenfurt 1962. S. 112-128: S. 115.14 Vgl. Alphons Lhotsky, Geschichte des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 1854-1954. Festgabe zur

Hundert-Jahr-Feier des Instituts. (= MIÖstGF 17 [Ergbd.]). Graz/Köln/Wien 1954: S. 19.15 Vgl. Helmut Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Erziehung und Unterricht auf dem

Boden Österreichs. Bd. 4. Von 1848 bis zum Ende der Monarchie. Wien 1986: S. 59.

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1.1 Forschungsstand

Zu Formen und Wandlungen des Österreichbegriffs- und -bewusstseins haben Erich Zöllner16 und

Ernst Bruckmüller17 zahlreiche Beiträge geleistet. Dem gegenseitigen Verhältnis zwischen

Gesamtstaat und Ländern auf Verwaltungsebene hat sich Gerald Stourzh in einer eigenen Studie

angenommen, in der er auf die Veränderungen im Zeitraum von 1848-1918 eingeht.18 In jüngeren

Publikationen wird der Gesamtstaat und die Gesamtstaatsidee im Sammelband Martin Schennachs

mit neuen Ansätzen behandelt, vor allem die Beiträge des Herausgebers19 sowie von Karin

Schneider20, die die historische Entwicklung des österreichischen Gesamtstaats seit der

Pragmatischen Sanktion bearbeitet, sind dabei zu nennen. Den Fokus auf die stetigen

Zentralisierungsmaßnahmen und den Aufbau einheitlicher Institutionen behandelt in seiner neuesten

Monographie Pieter Judson, der ein differenziertes Bild der Habsburgermonarchie basierend auf

neuesten Forschungserkenntnissen zeichnet, vor allem in Bezug auf die Nationalitätenkonflikte und

die Modernisierungsprozesse.21 Für die Österreichische Historiographie des 19. Jahrhunderts sind

nach wie vor die beiden Werke über die „Historiographie“ und die „Geschichte des Instituts“

Alphons Lhotskys maßgeblich. Auf die Geschichtswissenschaft als politisches Instrument in der

Habsburgermonarchie weist besonders eindrücklich Fritz Fellner in seinem Aufsatz „Geschichte als

Wissenschaft“22 hin. Zur Universitätsreform unter Unterrichtsminister Leo Thun liefert das

Standardwerk Hans Lentzes nach wie vor brauchbare Erkenntnisse.23 Besonders aktuell ist zu

diesem Thema der Sammelband Christof Aichners und Brigitte Mazohls, in dem viele bislang

unbehandelte Aspekte bearbeitet und neue Erkenntnisse zutage gefördert werden.24 Für die

Geschichte des österreichischen Bildungsbereichs im weitesten Sinn sei auf Helmut Engelbrechts

sechsbändiges Handbuch verwiesen. Auf das Gebiet der Lehrerausbildung in den Mittelschultypen

16 Vgl. Erich Zöllner, Der Österreichbegriff. Formen und Wandlungen in der Geschichte. Wien 1988.17 Vgl. Ernst Bruckmüller, Österreichbegriff und Österreich-Bewusstsein in der Franzisko-Josephinischen Epoche. In:

Richard Plaschka/ Gerald Stourzh/ Jan Paul Niederkorn (Hgg.), Was heißt Österreich. Inhalt und Umfang des Österreichbegriffs vom 10. Jahrhundert bis heute. Wien 1996. S. 255-288.

18 Vgl. Gerald Stourzh, Länderautonomie und Gesamtstaat in Österreich 1848-1918 (1993). In: Christian Brünner/Wolfgang Mantl/Manfried Welan (Hgg.), Gerald Stourzh. Der Umfang der österreichischen Geschichte. Ausgewählte Studien 1990-2010. Wien/Köln/Weimar 2011. S. 37-67.

19 Vgl. Martin Schennach, Die „österreichische Gesamtstaatsidee“. Das Verhältnis zwischen „Gesamtstaat“ und Ländern als Gegenstand rechtshistorischer Forschung. In: Martin Schennach (Hg.), Beiträge zur Tagung an der Universität Innsbruck am 28. und 29. November 2013. Sammelband. Wien 2015. S. 1-29.

20 Vgl. Karin Schneider, Zwischen „Monarchischer Union von Ständestaaten“ und Gesamtstaat. Die Habsburgermonarchie im 18. und 19. Jahrhundert. In: Martin Schennach (Hg.), Beiträge zur Tagung an der Universität Innsbruck am 28. und 29. November 2013. Sammelband. Wien 2015. S. 31-49.

21 Vgl. Pieter Judson, Habsburg. Geschichte eines Imperiums 1740-1918. München 2017.22 Vgl. Fritz Fellner, Geschichte als Wissenschaft. Der Beitrag Österreichs zu Theorie, Methodik und Themen der

Geschichte der Neuzeit. In: Karl Acham (Hg.), Geschichte der österreichischen Humanwissenschaften. Bd. 4. Geschichte und fremde Kulturen. Wien 2002. S. 161-213.

23 Vgl. Hans Lentze, Die Universitätsreform des Ministers Graf Leo Thun-Hohenstein. Wien 196224 Vgl. Christof Aichner/Brigitte Mazohl (Hgg.), Die Thun-Hohenstein'schen Universitätsreformen 1849-1860.

Konzeption – Umsetzung – Nachwirkungen. Wien/Köln/Weimar 2017.

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hat sich Franz-Anton Wallisch in seiner Dissertation spezialisiert.25 Fundierte Analysen und

detaillierte Statistiken zum Bildungssystem der „österreichischen“ Reichshälfte bietet Gary B.

Cohen mit seiner Monographie „Education and Middle-Class Society“26, in dem er auch die

sozialen Komponenten berücksichtigt. Weitaus weniger Zuwendung erfuhren die Lehrbücher der

Habsburgermonarchie. Ernst Bruckmüller hat tschechisch- und slowenischsprachige Lesebücher der

Volksschulen erforscht und in seinen Ergebnissen auf eine nur geringe Berücksichtigung eines

österreichischen Bewusstseins in ihnen hingewiesen.27 Ähnliches leistete Helmwart Hierdeis im

Bereich der historischen Lesebücher des 19. Jahrhunderts, die er hinsichtlich ihrer politischen

Beeinflussung analysierte.28 Einen allgemeinen Überblick über die Entwicklung der

österreichischen Schulbücher sämtlicher Fächer und Schultypen bietet Viktor Fadrus, der aufgrund

des betrachteten Zeitraums von 200 Jahren eine nur sehr knappe Darstellung liefert.29 Für den

Mittelschulbereich im Speziellen fehlt bis heute eine entsprechende historische

Schulbuchforschung, die sich mit der politischen Einflussnahme auseinandersetzt. Ebenso wenig

wurden die historischen Lehrbücher der Habsburgermonarchie bisher vor dem Hintergrund der

Gesamtstaatsidee erforscht.

1.2 Fragestellung

Die Analyse der Schulbücher soll daher zeigen, inwieweit gesamtstaatliche Konzepte transportiert

wurden, die die Förderung eines gesamt-österreichischen Geschichtsbewusstsein und eines

(supra-)nationalen Zugehörigkeitsgefühls zur Habsburgermonarchie zum Zweck hatten. Ich werde

nach bestimmten Kriterien ausgewählte Lehrbücher auf die Merkmale, Motive und Charakteristika

der Gesamtstaatsidee, die in den geschichtswissenschaftlichen Werken vorherrschend waren,

untersuchen, um auf diese Weise zu prüfen, in welchem Ausmaß Elemente der

Gesamtstaatsgeschichte gezielt verwendet wurden, um staatsdienlichen Ideologien Rechnung zu

tragen. Dadurch soll aufgezeigt werden, welche inhaltlichen Instrumente in den Geschichts-

25 Vgl. Franz-Anton Wallisch, Das höhere Lehramt von 1849-1914. Staatliche Zielvorstellungen in der Ausbildung von Lehrern für Gymnasien, Realschulen und Mädchenlyzeen. Diss. Graz 1981

26 Vgl. Gary Cohen, Education and Middle-Class Society in Imperial Austria 1848-1918. West Lafayette 1996.27 Vgl. Ernst Bruckmüller, Zur Entstehung der kulturellen Differenz. Fragmentarische Überlegungen zum Verhältnis

von Nationalbewusstsein und Grundschulbildung im alten Österreich. In:Siegfried Beer/Edith Marko-Stöckl/Marlies Raffler/Felix Schneider (Hgg.), Focus Austria. Vom Vielvölkerreich zum EU-Staat. Festschrift für Alfred Ableitinger zum 65. Geburtstag. Graz 2003. S. S. 164-179.

28 Vgl. Helmwart Hierdeis, Zur Widerspiegelung der Politik in österreichischen Schulbüchern des 19. Jahrhunderts. In: Elmar Lechner/Helmut Rumpler/Herbert Zdarzil, Zur Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Probleme und Perspektiven der Forschung (= Veröffentlichungen der Kommission für Philosophie und Pädagogik Bd. 25). Wien 1992. 471-489.

29 Vgl. Viktor Fadrus, Österreichs Schulbücher im Wandel zweier Jahrhunderte. In: Egon Loebenstein (Hg.), 100 Jahre Unterrichtsministerium 1848-1948. Festschrift des Bundesministeriums für Unterricht in Wien. Wien 1948. S. 194-222.

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Lehrbüchern benutzt wurden, um den Schülerinnen und Schülern das Bild eines historisch

gewachsenen, organisch funktionierenden Einheitsstaates der Habsburgermonarchie zu suggerieren.

Durch die Auswahl von historischen Mittelschul- und Gymnasialbüchern aus einer langen

Zeitspanne von 1849-1914 soll ein möglichst runder und in sich abgeschlossener Überblick über die

Gesamtstaatsidee im Schulbereich der Habsburgermonarchie geboten werden, um auch etwaige

Trends und Veränderungen in den unterschiedlichen Zeitabschnitten anzeigen zu können. Im

Zentrum meiner Betrachtungen werde ich der Frage nachgehen, welche Veränderungen in der

Argumentation der Lehrbücher feststellbar sind, in welcher Weise auf innen- und außenpolitische

Zäsuren reagiert wurde und welchen Einfluss dies auf das Gesamtstaats-Denken hatte. Als Zäsuren

dienen hierfür die Krisen von 1859/60 und 1866/67, die nicht nur Wendepunkte in der Geschichte

der Habsburgermonarchie darstellten, sondern insbesondere auch Auswirkungen auf die

Gesamtstaatsidee zur Folge hatten. Vor allem der Beginn des Österreich-Ungarischen Dualismus

und die De-facto-Zweistaatlichkeit muss in dieser Hinsicht berücksichtigt werden. Es soll dadurch

ermittelt werden, ob diese Zäsuren mit den Darstellungen in den Lehrbüchern korrelieren und

dementsprechend auch als Zäsuren behandelt wurden oder nicht. Besonderes Augenmerk lege ich

dabei auf die Verwendung des Österreichbegriffs, welche Bedeutung er im jeweiligen Kontext hat,

welchem Bedeutungswandel er unterworfen ist, ob und wie konsequent die offiziellen Termini

eingehalten wurden. Auch abseits staatlicher Termini soll auf die Verwendung von

gesamtstaatlichen Topoi und Schlüsselbegriffen, der Auswahl und Bewertung bestimmter

historischer Ereignisse, sowie auf das Verhältnis zwischen Gesamtstaat und den einzelnen Ländern

geachtet werden. Auf folgende Topoi der Gesamtstaatsgeschichte, wie sie in der Historiographie

benutzt wurden, werde ich die ausgewählten Lehrbücher untersuchen:

Die gleichwertige Berücksichtigung der drei Länderkomplexe, die Relevanz der Verbindungen vor

1526, der Gedanke der Notwendigkeit als Ursache für die Vereinigung und ein gemeinsames

Staatsgefühl, das über die Dynastie hinausgeht. Diesbezüglich werde ich prüfen, ob sich aus häufig

auftretenden Ereignissen, die in den Lehrbüchern als bedeutend eingestuft wurden, ein allgemeiner

Kanon für den Gesamtstaat ableiten lässt. Einen Kanon von historischen Ereignissen hatte

beispielsweise Ernst Bruckmüller im Bereich der historischen Lesebücher für Volksschulen

festgestellt.30 Diesen Fragestellungen liegt die Annahme zugrunde, dass der Gesamtstaat in den

Lehrbüchern nicht direkt mit den innen- und außenpolitischen Zäsuren korrelieren muss, sondern

darüber hinaus weiterhin thematisiert werden kann. Es liegt die Vermutung nahe, dass, trotz der

geschaffenen politischen Tatsachen, Konzepte des Gesamtstaats und möglicherweise sogar

inoffizielle Staats-Bezeichnungen ungebrochen in Verwendung waren. Dass nämlich die Idee des

30 Vgl. Bruckmüller, Entstehung der kulturellen Differenz: S. 178.

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Gesamtstaats nicht mit der Abkehr vom Neoabsolutismus und nicht einmal mit dem Ausgleich mit

Ungarn ein Ende gefunden hat, verdeutlicht nicht zuletzt Franz Krones‘ „Handbuch der Geschichte

Oesterreichs“. Eine Beschäftigung mit Lehr- und Schulbüchern späterer Jahrzehnte erscheint aus

diesen Gründen lohnenswert.

1.3 Methode

Als Voraussetzung für die Schulbuchanalyse werde ich die wichtigsten historischen und

geschichtswissenschaftlichen Gegebenheiten des Gesamtstaats zusammenfassen, um die Bedeutung

und Definition des „Gesamtstaats“ verständlich zu machen. Eine Diskursanalyse der bedeutendsten

Vertreter der Gesamtstaatsgeschichte soll die wichtigsten Topoi in diesem Bereich kenntlich

machen, auf deren Grundlage ich die Lehrbücher anschließend untersuchen werde. Als

Hauptquellen dienen mir hierfür die „Nationalgeschichte“ Helferts und das „Handbuch“ Krones‘,

daneben stütze ich meine Betrachtungen allerdings unter anderem auch auf Werke Joseph Chmels,

Alfons Hubers oder Hermann Bidermanns.

Für die Bearbeitung der Schulbücher spielt weniger die korrekte Darstellung historischer

Zusammenhänge und Ereignisse eine Rolle, sondern ihre Brauchbarkeit hinsichtlich der

Gesamtstaatsidee, was nicht zwingend mit der sonstigen Qualität des jeweiligen Schulbuches in

Verbindung muss. Aufgrund des breiten Spektrums der Fragestellungen und des Topoi-Katalogs

wurde eine qualitative Methodik angewandt, um wenige Beispiele an Lehrbüchern möglichst

umfassend und genau analysieren zu können. Der Zeitrahmen meiner Betrachtungen erstreckt sich

von Publikationen während des österreichischen Neoabsolutismus, der konstitutionellen Phase vor

und nach dem Ungarischen Ausgleich, bis hin zum Jahr 1914 in die Spätphase der

Habsburgermonarchie. In Betracht kamen dabei lediglich Lehrbücher für die Mittelschulen und

Gymnasien, da diese im Gegensatz zur Volksschule weit weniger erforscht sind. Außerdem besteht

bei den Mittelschulbüchern eine größere Nähe zur Universität, was wiederum für den Aspekt der

Wechselwirkung von Sekundarschule und Universität in dieser Arbeit sinnvoll ist. Bei der Auswahl

der Lehrbücher habe ich auf eine ausgewogene Mischung aus Vaterlandskunde und allgemeiner

Geschichte geachtet. Die historische Komponente bei ersteren ist für meine Analyse von vornherein

interessant, da der Gegenstand in Abgrenzung zur Heimatkunde als „Staatskunde“ der gesamten

Habsburgermonarchie verstanden wurde. Bei der zweiten Kategorie spielt die Gewichtung von

Ereignissen der österreichischen Geschichte eine besondere Rolle, da deren Erwähnung eine

weltgeschichtliche Bedeutung suggeriert. Primär wurden die auflagenstarken Lehrbücher berühmter

Verfasser wie Anton Gindely oder Emanuel Hannak ausgewählt. Dies halte ich aufgrund der

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Breitenwirkung auf Generationen von Schülerinnen und Schülern für sehr ratsam, da es umso

entscheidender ist, ob gesamtstaatliche Elemente auch in den gängigen Geschichtsbüchern

vermittelt wurden oder nicht. Daneben werden aber auch weniger auflagenstarke Lehrbücher

berücksichtigt, die die frühe Phase des Zeitraums widerspiegeln und meist von später erschienen

Werken verdrängt wurden. Ähnliches gilt für Neupublikationen der Spätphase der

Habsburgermonarchie, die wenig Auflagen und einen kleinen Bekanntheitsgrad aufweisen, aber

nichtsdestoweniger die Entwicklungen in gerade diesem Zeitraum abbilden sollen. Folgende

Schulbücher habe ich daher für diese Arbeit zur Analyse ausgewählt:

Die Frühphase der Thun'schen Bildungsreform und die Situation der Lehrbücher beleuchtet das

„Lehrbuch der oesterreichischen Vaterlandskunde“31 des Kölner Professors und Lehrers Wilhelm

Pütz, das in einer Zeit des akuten Mangels an qualitativ hochwertigen Schulbüchern in Österreich

publiziert wurde. Damit gehört es zu jenen Werken, die dazu beigetragen haben, den Umbruch und

die Verbesserungen im österreichischen Bildungssystem einzuleiten. Besonders interessant macht

dieses Lehrbuch der Umstand, dass das österreichische Unterrichtsministerium auf den Import von

„ausländischem“ Wissen eines „ausländischen“ Professors zurückgreifen musste, um in dieser

Übergangsphase eine adäquate Publikation der heimischen Vaterlandsgeschichte vorlegen zu

können. Die „Oesterreichische Vaterlandsgeschichte“32 des Volksschullehrers Jakob Spitzer, die mit

ihrer Ersterscheinung 1853 ebenfalls in die Anlaufphase der Thun-Hohenstein'schen Reformen fiel,

wurde weder für eine bestimmte Schulstufe noch einen bestimmten Schultyp gezielt konzipiert.

Obwohl Spitzers „Vaterlandsgeschichte“ weder die schulischen Vorgaben und Erwartungen erfüllte,

noch gesamtstaatliche Konzepte transportierte, habe ich sie dennoch bearbeitet, da sie gerade in

Verbindung mit der Kritik Albert Jägers, des ersten Inhabers des Lehrstuhls für Österreichische

Geschichte, die Problematik der historischen Lehrbücher dieser Zeit sehr gut widerspiegelt. Durch

diese Kombination nämlich wird die Diskrepanz zwischen eingeforderten Konzepten und

Entwicklungsgeschichten, die der Genese des österreichischen Staatswesens einen Sinn geben

sollen, und Publikationen wie der Spitzers, die den modernen Forderungen in keiner Weise gerecht

werden konnten, ersichtlich. Dass das Werk Spitzers mehrere Auflagen erlebte, ist zudem

Anzeichen dafür, dass auch dieses Lehrbuch Anklang bei der Leserschaft gefunden hatte. Eines der

auflagenstärksten Lehrbücher ist die „Oesterreichische Vaterlandskunde“33 Emanuel Hannaks, das

auf diese Weise über einen langen Zeitraum weite Verbreitung fand. Auch Hannaks zweites großes

31 Wilhelm Pütz, Lehrbuch der oesterreichischen Vaterlandskunde zur genaueren Kenntnis der wesentlichen historischen, geographischen und statistischen Verhaeltnisse des oesterreichischen Staates. Coblenz 1851.

32 Jakob Spitzer, Oesterreichische Vaterlandsgeschichte für Schule und Haus. Wien 31871.33 Emanuel Hannak, Oesterreichische Vaterlandskunde für die mittleren und höheren Classen der Mittelschulen. Wien

31873.

13

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Werk im Bereich der Schule, das „Lehrbuch der Geschichte“34 in drei Bänden, werde ich aufgrund

der Berühmtheit des Autors und seiner ebenfalls sehr hohen Auflagenzahl meinen Betrachtungen

unterziehen. Quasi für sich steht das „Lehrbuch der allgemeinen Geschichte“ des auch in

Fachkreisen höchst angesehenen Historikers Anton Gindely, das seit seiner Publikation 1861 in

zahlreichen Auflagen erschienen ist und dadurch bereits einen großen Teil der von mir untersuchten

Epoche abdeckt. Unter dem Titel „Gindelys Lehrbuch der allgemeinen Geschichte“, das nach dem

Tod Gindelys in überarbeiteter Form von dessen Schüler Theodor Tupetz herausgegeben wurde, war

es bis zum Ende der Monarchie in allen dort gebrauchten Unterrichtssprachen in Verwendung.

Diese als „Gindely-Tupetz“35 bekannte Neuauflage liegt meinen Analysen zugrunde, da es sich

dabei um die zeitlich gesehen jüngste Auflage handelt und somit noch brisante innen- und

außenpolitische Veränderungen abdeckt. Die Berühmtheit und Relevanz der Lehrbücher Gindelys

und Hannaks wird auch in den Schulbuch-Analysen von Viktor Fadrus deutlich, der diese beiden

namhaften Autoren als einzige Beispiele im Bereich der Geschichtslehrbücher für Mittelschulen in

diesem Zeitraum von 1848-1918 anführt.36 Die Spätphase der Habsburgermonarchie wird durch das

„Lehrbuch der Vaterlandskunde“37 von Franz Joseph Silva-Tarouca abgedeckt, das beweist, dass

gesamtstaatliche Konzepte und Denkweisen auch 1914 noch weiterentwickelt und in modifizierter

Form weiterhin transportiert wurden.

1.4 Aufbau

Zu Beginn meiner Arbeit werde ich kurz auf die historischen Gegebenheiten eines österreichischen

Gesamtstaats eingehen und die wichtigsten Entwicklungen und Beurteilungen anhand der neuesten

Forschungsliteratur zusammenfassen. Im Anschluss daran werde ich auf den Diskurs der

zeitgenössischen Fachwelt über den Gesamtstaat Bezug nehmen und einige der wichtigsten

Vorarbeiten in diesem Bereich behandeln. Danach folgt ein kurzer biographischer Abriss zu Person

und Werk Franz Krones‘, dem wichtigsten Vertreter der österreichischen Gesamtstaatsgeschichte,

um zur Analyse des „Handbuchs der Geschichte Oesterreichs“ überzuleiten. Bevor ich zur

Schulbuchanalyse übergehe, soll ein kurzer Überblick über die Thun-Hohenstein'schen

Bildungsreformen und vor allem die Entwicklung der Mittelschule gegeben werden. Anschließend

daran werde ich die zeitgenössische Debatte über die Lehrbücher zusammenfassen und dabei vor

34 Ders., Lehrbuch der Geschichte. 3 Bde. Wien 1871-1873.35 Anton Gindely/Theodor Tupetz, Gindelys Lehrbuch der allgemeinen Geschichte für die oberen Klassen der

Gymnasien und Realgymnasien. 3 Bde. Bearbeitet von Theodor Tupetz. Wien 131910.36 Vgl. Fadrus, Österreichs Schulbücher : S. 20137 Franz Joseph Graf von Silva-Tarouca, Lehrbuch der Vaterlandskunde für die oberste Klasse der Mittelschulen in

Österreich. Wien/Leipzig 1914.

14

Page 15: Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

allem die Geschichte und Vaterlandskunde berücksichtigen. Im Zentrum meiner Arbeit soll die

Analyse historischer Mittelschulbücher stehen, die ich in chronologischer Reihenfolge beginnend

mit Pütz‘ „Vaterlandskunde“ und Spitzers „Vaterlandsgeschichte“, gefolgt von der

„Vaterlandskunde“ und dem „Lehrbuch der Geschichte“ Hannaks, behandeln werde. Abgeschlossen

wird diese Liste mit „Gindelys Lehrbuch der allgemeinen Geschichte“ und Silva-Taroucas

„Lehrbuch der Vaterlandskunde“.

2 Die historische Manifestation des österreichischen Gesamtstaats

Ein Gesamtstaat bezeichnet ein aus mehreren Landesteilen zusammengesetztes Staatswesen, das in

seiner Verwaltung und seinen politischen Institutionen und Kompetenzen durch das unterschiedlich

austarierte Wechselverhältnis zwischen landesständischen Partikulargewalten und einer

Zentralgewalt bestimmt ist. Dass das Kaisertum Österreich seit seiner Gründung 1804 ein solcher

aus verschiedenen Teilen zusammengesetzter Staatsverband war, zeigt nicht zuletzt seine

Bezeichnung im kaiserlichen Patent von 1804 als „vereinigter österreichischen Staatenkörper“.38

Für die Habsburgermonarchie war es buchstäblich das zentrale Problem, die unterschiedlichen

Territorien mit unterschiedlichen historischen Landes- und Rechtsverfassungen, allen voran die drei

großen Hauptländerkomplexe der österreichischen Erblande sowie die Länder der böhmischen und

ungarischen Krone, zu einer staatlichen und rechtlichen Einheit zu verbinden, um auf diese Weise

einen effizienten Gesamtstaat moderner Prägung zu schaffen.39 Aufgrund der zahlreichen Kritiker

des habsburgischen Vielvölkerreiches im 19. Jahrhundert hielt sich auch in der modernen Forschung

lange Zeit das Negativbild der Donaumonarchie als wirtschaftlich, gesellschaftlich und ideologisch

rückständigem Anachronismus, der es nicht geschafft hatte, die einzelnen Länderkomplexe in einen

modernen Nationalstaat zu transformieren. In der jüngeren Forschung wurde dieses etwas

eindimensionale Bild der Habsburgermonarchie größtenteils revidiert und die Situation

differenzierter betrachtet. Insbesondere Pieter Judson verweist dabei auf die größeren

Gemeinsamkeiten als Unterschiede zwischen der Habsburgermonarchie und Europa.40 In seinem

jüngsten Werk rückt Judson konzeptionell die Zentralisierungsmaßnahmen des Habsburgerstaates

und den Prozess der Staatswerdung seit Maria Theresia und Joseph II. bis zum Ersten Weltkrieg

sowie die gesellschaftlichen, administrativen und institutionellen Aspekte und deren

38 Vgl. Stourzh, Länderautonomie: S. 37.39 Vgl. Werner Ogris, Rechtseinheit und Staatsidee in der Donaumonarchie. In: Thomas Olechowski (Hg.), Werner

Ogris. Elemente europäischer Rechtskultur. Rechtshistorische Aufsätze aus den Jahren 1961-2003. Wien/Köln/Weimar 2003. S. 47-58: S. 48.

40 Vgl. Judson, Habsburg: S. 17.

15

Page 16: Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

Integrationskraft für die Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in den Fokus seiner Betrachtungen.41

Das häufig gemeinsam mit dem Nationalitätenkonflikt ins Zentrum gestellte Charakteristikum der

Habsburgermonarchie als einem multiethnischen Staatsgebilde war nämlich alles andere als ein

Unikum in Europa. Zwar wird das 19. Jahrhundert nicht zu Unrecht als Zeitalter des Nationalismus

bezeichnet, doch war es aufgrund der ungebrochenen Dominanz multiethnischer Imperien kein

Zeitalter der Nationalstaaten, die erst im 20. Jahrhundert die Mehrheit ausmachten.42 Neben dem in

vielerlei Hinsicht überaus heterogenen Königreich Italien, von dessen Bevölkerung in den 1860er

Jahren weniger als zehn Prozent dem toskanischen Italienisch ohne Mühe folgen konnten, war das

allen voran Frankreich, das, von seinen kolonialen Besitzungen in Übersee gar nicht zu sprechen,

alles andere als eine sprachlich und ethnisch homogene Bevölkerung besaß.43 1863 soll mindestens

ein Viertel der Bevölkerung Frankreichs kein Französisch gesprochen haben, ein noch größerer Teil

nur sehr geringe Kenntnisse des Französischen besessen haben.44 Gerade Frankreich, das aufgrund

seines vermeintlich tiefgreifend verwirklichten Absolutismus und seiner frühen nationalen und

liberalen Bewegungen seit der Französischen Revolution sowie der starken Verbreitung und

Integrationskraft der Französischen Sprache als Paradebeispiel eines modernen Nationalstaats

angesehen wurde, unterschied sich gerade in seiner heterogenen Bevölkerungszusammensetzung

nur sehr wenig von der Habsburgermonarchie. Wenn man trotz der Tatsache, dass die

Habsburgermonarchie de facto keine Kolonien besaß und sich darüber streiten lässt, ob sie

überhaupt als Imperium zu klassifizieren sei oder nicht, die Kolonien und Überseegebiete dennoch

mit in Betracht zieht, so erscheint der Habsburgerstaat sogar in vielerlei Hinsicht gleichförmiger als

die westeuropäischen Mächte, das Zarenreich und das Osmanische Reich, wie Jürgen Osterhammel

überzeugend argumentiert.45 Denn die Habsburgermonarchie, die einige Charakteristika eines

Imperiums aufweist, war in der religiösen, kulturellen und ethnischen Zusammensetzung ihrer

Staatsbürger weitaus homogener als die Genannten.46 Gerade in den Kategorien Religion, Sprache

und Ethnie wurde die Habsburgermonarchie in der Forschung lange Zeit als Sonderfall eingestuft,

in Abgrenzung zu den vermeintlich homogeneren Großmächten Europas.47 Auch wenn die

Habsburgermonarchie aufgrund ihres spezifischen Staatswerdungsprozesses und der Vielzahl an

nebeneinander in der Verwaltung gebräuchlichen Sprachen zweifellos einen Sonderfall des 19.

Jahrhunderts darstellte, so haben nicht zuletzt globalgeschichtliche Vergleiche und

41 Vgl. Ebenda: S. 27-30.42 Vgl. Jürgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. München 2011: S. 584.43 Vgl. Ebenda: S. 1116.44 Vgl. Judson, Habsburg: S. 309.45 Vgl. Osterhammel, Verwandlung der Welt: S. 625.46 Vgl. Ebenda: S. 625f.47 Vgl. Paul Kennedy, The Rise and Fall of the Great Powers. Economic Change and Military Conflict from 1500 to

2000. New York 1987: S. 164ff.

16

Page 17: Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

Gegenüberstellungen der jüngeren Forschung, wie sie Jürgen Osterhammel in konsistenter Weise

betreibt, diese Aspekte in ein differenzierteres Licht gerückt. Die Konflikte, die sich aus den

nationalen und liberalen Strömungen des 19. Jahrhunderts für die Habsburgermonarchie ergaben,

waren trotz ihrer politischen Relevanz für die Bürgerinnen und Bürger im gesellschaftlichen Leben

nur von untergeordneter Bedeutung.48 Nicht selten identifizierten sich die Bürgerinnen und Bürger

der Habsburgermonarchie speziell noch in den 1860ern stärker mit dem eigenen Kronland und den

daran angelehnten Nationalbewegungen als mit ethnisch-sprachlichen Nationalbewegungen, die

über dieses Kronland hinausgingen.49 Selbst innerhalb der einzelnen Kronländer war das politische

Klima alles andere als von rein nationalen Interessen und Konflikten geprägt, wie die

Verständigungen und temporären Koalitionen von Parteien und politischen Akteuren oder auch das

Wahlverhalten der Bürger unterschiedlicher Sprachgruppen zur Durchsetzung gemeinsamer

Interessen bezeugen. So beispielsweise bei den Parlamentswahlen für den Reichsrat in Wien 1911

in Galizien, als sich Zionisten und ruthenische Bauern bei ihrer Stimmabgabe zusammenschlossen

und eine Allianz eingingen, um einen gemeinsamen Kandidaten ins Parlament zu wählen.50 Oder

auch die Abneigung und offene Gewalt der polnischen Bauernschaft gegen den Revolutionsversuch

des polnischen Adels (der selbstdeklarierten „Polnischen Nation“), der 1846 die Unabhängigkeit

vom Habsburgerreich durchzusetzen begehrte.51 Erst nach dem Ausgleich mit Ungarn und vor allem

im 20. Jahrhundert trat in der „cisleithanischen“ Hälfte immer mehr die Identifikation mit dem

Kronland hinter das ethnisch-nationale Bewusstsein zurück, wodurch sich Interessensgruppen

vermehrt nach nationalen Gesichtspunkten zusammensetzten und dementsprechend agierten.52 Der

ungarische Historiker Istvan Deak verortet die Gründe für die innenpolitischen Konflikte des 19.

Jahrhunderts weniger in nationalen als vielmehr in sozialen Belangen:

„I would argue that there were no dominant nationalities in the Austro-Hungarian

monarchy. There were only dominant classes, estates, institutions, interest groups and

professions. True, German and Magyar nationals formed the majority of these dominant

strata of society, but the benefits they derived from their priviledged position were not

shared by the lower classes of their own nationality.“53

Im Zuge des Inkrafttretens des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches von 1812 und der

Beseitigung der letzten feudalen Strukturen mit der Bauernbefreiung 1848/49 waren alle

48 Vgl. Robin Okey, The Habsburg Monarchy 1765-1918. From Enlightment to Eclipse. Basingstoke u.a. 2001: S. 297.49 Vgl. Judson, Habsburg: S. 331f.50 Vgl. Ebenda: S. 15f.51 Vgl. Ebenda: S. 205f.52 Vgl. Gerald Stourzh, Die dualistische Reichsstruktur, Österreichbegriff und Österreichbewusstsein 1867-1918

(1991). In: Christian Brünner/Wolfgang Mantl/Manfried Welan (Hgg.), Gerald Stourzh. Der Umfang der österreichischen Geschichte. Ausgewählte Studien 1990-2010. Wien/Köln/Weimar 2011. S. 105-124: S. 121.

53 Istvan Deak, Comments. In: Austrian History Yearbook Bd 3. Nr. 1. 1967. S. 303-308: S. 303.

17

Page 18: Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

Bürgerinnen und Bürger rechtlich gleichgestellt, was allerdings wenig an der sozialen

Ungerechtigkeit und der fehlenden Partizipationsmöglichkeit für die breite Gesellschaft an

politischen Prozessen änderte. Robert Musil meinte in seinem „Mann ohne Eigenschaften“ dazu in

treffender Weise: „Vor dem Gesetz waren alle Bürger gleich, aber nicht alle waren eben Bürger.“54

Auch wenn sich Vertreter der privilegierten Klassen an nationalen Bewegungen beteiligten und

mehrheitlich der deutschen oder ungarischen Sprachgruppe angehörten, so spielte doch auch das

Interesse, den Einfluss der eigenen sozialen Stellung zu zementieren, eine erhebliche Rolle. Der

Nationalismus innerhalb der Habsburgermonarchie war vielmehr politischer als ethnischer Natur.55

Der Ausgleich mit Ungarn bestand dabei ebenso primär in einem Arrangement mit den ungarischen

Eliten, denen die politische und gesellschaftliche Führung und innenpolitische Gestaltungsfreiheit

im mehrheitlich nicht-magyarisch bewohnten „Transleithanien“ überantwortet worden war, um im

Gegenzug die Unterstützung dieser ungarischen Eliten in der gemeinsamen Außenpolitik und der

Armee sicherzustellen.56 Erst nach dem Ausgleich wurde der Nationalismus vor allem in der

ungarischen Reichshälfte stärker ethnisch aufgeladen, was sich beispielsweise in den rigorosen

Sprachgesetzen oder der Vermeidung von Wahlrechtsreformen äußerte, um die überproportional

hohe Vertretung magyarischer Parlamentsabgeordneter zu konservieren.57 Allerdings muss auch in

dieser Hinsicht wieder der soziale Aspekt mitbedacht werden, da in den 1860ern die überwiegende

Mehrheit und 1914 noch die relative Mehrheit dieser Delegierten Angehörige des besitzenden Adels

waren, die Hälfte aller ungarischen Staatsminister von 1867 bis 1918 von Adeligen gestellt wurde

und es in diesem gesamten Zeitraum mit Sandor Wekerle nur einen einzigen nicht-adeligen

Ministerpräsidenten gab.58 Diese Überrepräsentation des ungarischen Adels stellte für europäische

Verhältnisse einen Sonderfall dar und stand damit auch im Unterschied zur „österreichischen“

Reichshälfte.59 Es handelte sich beim Nationalismus also immer zumindest auch ein Stück weit um

das Zementieren des Einflusses der gesellschaftlichen Oberschicht. Aufgrund der rechtlichen

Gleichstellung seiner Bürger und dem allumfassenden Geltungsbereich der Gesetze avancierte das

Habsburgerreich allerdings in einigen Bereichen zum „'modernsten' und 'zivilsten' unter den

Imperien“60. Ebensowenig wie auf das gesellschaftliche Leben, hatten die Nationalitätenkonflikte

Einfluss auf die Großmachtstellung der Donaumonarchie, die sie bis zum Ende des Ersten

Weltkriegs in ihrer für die europäische Staatenwelt bedeutenden Position erfolgreich behaupten,

54 Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften. Hamburg 22015: S. 33.55 Vgl. Judson, Habsburg: S. 24.56 Vgl. Dominic Lieven, Empire. The Russian Empire and its rivals from the sixteenth century to the present. London

2003: S. 160f.57 Vgl. Ebenda: S. 342f.58 Vgl. Okey, Habsburg Monarchy: S. 315.59 Vgl. Judson, Habsburg: S. 343.60 Osterhammel, Verwandlung der Welt: S. 626.

18

Page 19: Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

wenn auch als zweitschwächste Großmacht nicht weiter ausbauen konnte.61 In diesem

Zusammenhang sei einmal mehr Robert Musil zitiert, der konstatiert: „man gab Unsummen für das

Heer aus, aber doch gerade so viel, daß man sicher die zweitschwächste der Großmächte blieb.“62

Das Habsburgerreich des 19. Jahrhunderts war in seiner wirtschaftlichen, technologischen,

demographischen und gesellschaftlichen Entwicklung sowie in seinem Status als europäische

Großmacht also alles andere als ein morsches Gebilde, das kurz vor dem Zusammenbruch stand.

Schließlich war nicht ein vermeintlicher Niedergang Österreich-Ungarns die Ursache des Ersten

Weltkriegs, sondern umgekehrt, der Zusammenbruch die Folge des Ersten Weltkriegs.63 Diese

Tatsachen täuschen allerdings nicht darüber hinweg, dass das Habsburgerreich auch im 19.

Jahrhundert trotz seiner Zentralisierungs- und Vereinheitlichungstendenzen ein sehr heterogenes,

uneinheitliches Staatsgebilde darstellte, mit auf historischen Landesrechten fußenden

Verwaltungspraktiken in den unterschiedlichen Kronländern. Trotz der Zurückdrängung der

ständischen Partikulargewalten durch absolutistische und zentralistische

Vereinheitlichungsmaßnahmen blieben die Konturen der ständischen Landes-Kompetenzen auch im

19. Jahrhundert großteils unverändert.64 Gerald Stourzh weist in seinen Studien zum Verhältnis der

Länder und des österreichischen Gesamtstaates darauf hin, dass auch nach dem Februarpatent, das

er als „weniger 'zentralistisch', als es jahrzehntelange Lehrbuchclichés vermuten lassen“,65

bezeichnet, die Landesordnungen dem gesamtstaatlichen Reichsrat keineswegs untergeordnet,

sondern lediglich gleichgeordnet waren.66 Ein Eingriff in die Landesordnung war schließlich nur

durch eine Zweidrittelmehrheit des jeweiligen Landtags selbst möglich, also nicht durch den

zentralen Reichsrat.67 Außerdem war die Donaumonarchie im Hinblick auf die Nationsbildung ihrer

Titularnation „das altertümlichste aller Reiche und daher nicht zufällig unter den ersten, die von der

Landkarte verschwanden“68. Umgekehrt führte das „Erwachen“ des Nationalbewusstseins vor allem

der Polen, Tschechen und insbesondere der Ungarn zu vermehrten Spannungen und Druck auf die

Regierung. Ungarn spielte hierbei eine Sonderrolle, da es zwischen 1815 und 1848 eine gänzlich

andere Entwicklung durchmachte als der Rest des Habsburgerstaates und das einzige Territorium

war, das eine breit aufgestellte Opposition vorweisen konnte.69 In die Wege geleitet wurde diese

Sonderentwicklung Ungarns mit dem Verzicht Maria Theresias, ihre durchgreifenden Reformen

61 Vgl. ebenda: S. 677.62 Musil, Mann ohne Eigenschaften: S. 33.63 Vgl. Osterhammel, Verwandlung der Welt: S. 677.64 Vgl. Robert Kann, Geschichte des Habsburgerreiches 1526-1918. Wien/Köln 1990: S. 166.65 Stourzh, Länderautonomie und Gesamtstaat: 50.66 Vgl. Ebenda: S. 51.67 Vgl. Ebenda.68 Vgl. Osterhammel, Verwandlung der Welt: S. 626.69 Vgl. Judson, Habsburg: S. 198.

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Page 20: Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

auch auf Ungarn in vollem Maße anzuwenden.70 Mit den kurzlebigen Aprilgesetzen und schließlich

mit dem sogenannten Ausgleich mit Ungarn 1867 war die innenpolitische Autonomie und die De-

facto-Existenz zweier Staaten der Schlusspunkt dieser Zentrifugal-Bewegung und das Ende des

Gesamtstaats, der zudem die slawische Bevölkerung sowie die nicht-magyarischen Minderheiten

„Transleithaniens“ teilweise entfremdete und aufgrund der offiziellen Bezeichnungen der

Habsburgermonarchie die Identifikation mit dem Staat nicht gerade förderte.

Auffassungsunterschiede zwischen „westlicher“ und „östlicher“ Reichshälfte bezüglich der

Zugehörigkeit Ungarns zum „österreichischen“ Gesamtstaat führten zu sperrigen und

ausweichenden Termini wie „die im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder“ als offizielle

Bezeichnung „Cisleithaniens“, in der Hoffnung den Terminus „Österreich“ als Bezeichnung für den

Gesamtstaat der Habsburgermonarchie doch noch retten zu können.71 Das Festhalten an

„Österreich“, synonymisch für den Gesamtstaat, mündete in Wortneuschöpfungen wie den

„Westösterreichischen Ländern“ als Pendant zur „ungarischen Reichshälfte“.72 Obwohl sich der

Terminus „Westösterreich“ aufgrund seiner Mängel nie hatte durchsetzen können, war er 1867

sogar in der Presse mehrfach verwendet worden.73 Dieser Zweiteilung, die hauptsächlich

innenpolitischer Natur und mit weitreichender Autonomie verbunden war, muss andererseits

entgegengehalten werden, dass mit dem Militär eines der wesentlichsten Kriterien eines

eigenständigen Staates im Gewaltmonopol des Gesamtstaates verblieb, wie Ernst Bruckmüller

bemerkt.74 Gerade für einen Staat von imperialem Charakter wie der Donaumonarchie war die

(gemeinsame) Armee ein bedeutendes supranationales Identifikationsmerkmal. Dessen ungeachtet

übten auch die Institutionen, gesellschaftspolitische Ereignisse wie Wahlen und die Dynastie eine

nicht zu unterschätzende Integrationskraft auf die Staatsbürgerinnen und Staatsbürger und die

einzelnen Nationalitäten aus.75 Karin Schneider verweist in ihrer Untersuchung zum

österreichischen Gesamtstaat darauf, dass die Zentralisierung zur Schaffung eines Gesamtstaats

gerade in der als österreichischer Neoabsolutismus bekanntgewordenen Epoche von 1849 bis 1867

forciert wurde und nach ihrer Einschätzung wenn, dann in diesem Zeitraum von einem

österreichischen Gesamtstaat gesprochen und dieser auch solcher bezeichnet werden könne.76

Dieser kurzlebige Gesamtstaat fand in den militärischen Niederlagen 1859 und 1866, die Franz

Joseph zu konstitutionellen und föderalistischen Kompromissen und schließlich dem Ausgleich mit

70 Vgl. Ebenda: S. 69.71 Vgl. Zöllner, Österreichbegriff: S. 64ff.72 Vgl. Stourzh, Dualistische Reichsstruktur: S. 109.73 Vgl. Ebenda.74 Vgl. Bruckmüller, Österreichbegriff : S. 259.75 Vgl. Judson, Habsburg: S. 21f.76 Vgl. Schneider, Monarchische Union: S. 49.

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Page 21: Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

Ungarn zwangen, und der daraus resultierenden instabilen Finanzsituation sein Ende.77 Berger

Waldenegg weist in diesem Zusammenhang auf die wenig erforschten Gründe für das Ende dieser

Ära hin und wirft die Frage auf, ob die Abkehr vom Neoabsolutismus primär auf endogene oder

exogene Ursachen zurückzuführen sei.78 Der einheitliche Gesamtstaat war also insofern etwas

durchaus Reales oder real Durchführbares, als die Habsburger seit der Regierung Maria Theresias

und Josephs II. bis hin zu Franz Joseph ihre Länder mit zahlreichen Reformen zu zentralisieren und

zu vereinheitlichen versuchten, um auf diese Weise einen modernen österreichischen Staat zu

schaffen. Auch wenn die Maßnahmen des österreichischen Neoabsolutismus, einen zentralen

Gesamtstaat durchzusetzen, letztendlich nicht von Erfolg gekrönt waren und auch die Verbreitung

eines großösterreichischen Nationalgefühls scheiterte,79 existierte dennoch die Idee zur Schaffung

von selbigem. Es ist der Prozess und die Genese des österreichischen Staats, die sich in Richtung

eines Gesamtstaats vollzog, auch wenn diese Entwicklung ohne einen erfolgreichen Endpunkt war

und mit dem Ausgleich 1867 sogar in eine gegenteilige Richtung umschlug, die dem Gesamtstaat

abträglich war. So sah beispielsweise auch Hermann Ignaz Bidermann, der in seinem Werk der

langen Tradition und der Entwicklung des Gesamtstaats sein Augenmerk widmete, diesen auch zu

seiner Zeit noch nicht völlig verwirklicht, wenn auch auf gutem Wege dahin.80 Diese historische

Manifestation bot allenfalls genügend Imaginationskraft, um als visionäre Idee die Geister von

Intellektuellen, Politikern und Historikern zu beschäftigen. Allen voran Franz Krones, der der

wichtigste Vertreter der Gesamtstaatsidee in der geschichtswissenschaftlichen Bearbeitung und der

erste Historiker war, der eine Gesamtdarstellung der österreichischen Geschichte in „einem Guss“

und unter der Berücksichtigung aller Territorien und Gebiete in einem ausgewogenen

Mischverhältnis zwischen Länder- und Gesamtstaatsgeschichte geschaffen hat.

77 Vgl. Judson, Habsburg: S. 320.78 Vgl. Berger Waldenegg, Vaterländisches Gemeingefühl: S. 161.79 Vgl. Hans Peter Hye/Brigitte Mazohl/Jan Paul Niederkron/Arnold Suppan, Einleitung. In: Hans Peter Hye/Brigitte

Mazohl/Jan Paul Niederkorn (Hgg.), Nationalgeschichte als Artefakt. Zum Paradigma „Nationalstaat“ in den Historiographien Deutschlands, Italiens und Österreichs. Wien 2009. S. 3-19: S. 16.

80 Vgl. Hermann Ignaz Bidermann, Geschichte der österreichischen Gesammt-Staats-Idee. Bd. 1. Innsbruck 1867: S. I.

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Page 22: Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

3 Die Voraussetzungen für die Gesamtstaatsgeschichte

Dieser Eindruck der zeitgenössischen und auch heutigen Fachwelt, dass Franz Krones aufgrund

seines biographischen Profils, seiner Sprachkenntnisse und Forschungsschwerpunkte prädestiniert

für die Aufgabe einer Gesamtgeschichte des österreichischen Staats war, mag durch das Fehlen

einer solchen bis dato verstärkt worden sein. Selbstverständlich beruht das „Handbuch“ auf

zahlreichen Vorarbeiten, denen zwar der durchschlagende Erfolg verwehrt blieb, die jedoch das

Fundament für das Werk von Franz Krones bildeten. Die Bedeutung und Wirksamkeit historischer

Darstellungen in staatspolitischen Diensten, um patriotische Stimmungen auszulösen, wurde bereits

während der Koalitionskriege unter Metternich als Instrument erkannt.81 Auch vor der

Verwissenschaftlichung der Geschichtsdisziplin und der Einführung der Österreichischen

Geschichte als Gegenstand an den österreichischen Universitäten Mitte des 19. Jahrhunderts hatte

es an historischen Erzählungen nicht gemangelt, deren Autoren fehlte allerdings meist das

methodenorientierte und systematische Handwerk der Geschichtswissenschaft. Freilich bildeten

diese Geschichtswerke trotz ihrer Mängel ebenfalls ein wichtiges Fundament für die Tradition der

geschichtlichen Darstellungsweise und beeinflussten auch die künftigen Werke der zweiten Hälfte

des 19. Jahrhunderts in ihren Textelementen und Textstrategien, die oft übernommen wurden.82 Dem

Tempo der revolutionären Neuerungen und der Verwissenschaftlichung, welche die

Geschichtswissenschaft im Laufe des 19. Jahrhunderts durchlief, konnten die historischen

Darstellungen der Österreichischen Geschichte nicht folgen, welche den neuen methodischen und

wissenschaftlichen Ansprüchen der Zeit nicht mehr gerecht wurden. Der Bildungsminister Leo

Thun-Hohenstein, der diese Verwissenschaftlichung mit seinen tiefgreifenden Bildungsreformen in

den 1850ern förderte und das Wesen der Schule und Universität nachhaltig prägte, hatte die

Bedeutung und Aufgabe der Geschichtswissenschaft für die Entwicklung und Förderung des

Staatsgedankens erkannt. Die Versäumnisse in diesem Bereich versuchte er angefangen bei der

Bestellung von Albert Jäger nach Wien 1851 aufzuholen.83 Die Absicht des

Unterrichtsministeriums, die Geschichtswissenschaft zum Entstehen, der Verbreitung und

Intensivierung eines gesamtösterreichischen Geschichts- und Nationalbewusstseins zu nutzen,

bringt der Historiker Fritz Fellner treffend auf den Punkt:

81 Vgl. Lhotsky, Historiographie: S.197f.82 Vgl. Brigitte Mazohl/Thomas Wallnig, (Kaiser)haus – Staat – Vaterland? Zur „österreichischen“ Historiographie vor

der „Nationalgeschichte“. In: Hans Peter Hye/Brigitte Mazohl/Jan Paul Niederkorn (Hgg.), Nationalgeschichte als Artefakt. Zum Paradigma „Nationalstaat“ in den Historiographien Deutschlands, Italiens und Österreichs. Wien 2009. S. 45-71: S. 46f.

83 Vgl. Lhotsky, Historiographie: 164f.

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Page 23: Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

„Helferts Programm des systematischen, auf wissenschaftlicher Forschung und

Ausarbeitung einer großen Staatsgeschichte ausgerichteten gesamtösterreichischen

Geschichtsbewußtseins ist im Grunde genommen der Versuch einer ideologischen

Untermauerung der in dem Jahrzehnt des Neoabsolutismus versuchten Neuordnung der

Habsburgermonarchie auf der Basis einer alle Länder des Reiches umfassenden modernen

Verwaltungsbürokratie. Der Geschichtswissenschaft war die Aufgabe, ja Verpflichtung

zugedacht, nicht nur durch organisierte Forschung Instrument für die Schaffung eines

gesamtösterreichischen National- und Staatsbewusstseins zu sein, sondern in Lehre und

Publikation dieses Bewußtsein in allen Schichten der Bevölkerung abzusichern und

festzuschreiben“84

Zur Erreichung dieses Ziels musste die Regierung mit der Schaffung von entsprechenden

Institutionen, die einen streng methodischen und modern wissenschaftlichen Betrieb in der

Auseinandersetzung mit der Quellenforschung ermöglichen sollten, reagieren. Es waren liberale

Reformen nötig, um konservative Ziele umzusetzen. Wichtige Meilensteine waren in diesem

Hinblick die Gründung der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften 1847 und besonders die

Einrichtung des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 1854.85 Auch nach der

zeitgenössischen Meinung des Historikers Franz Martin Mayer stellte die Einrichtung dieser beiden

Institutionen einen wichtigen Meilenstein für die österreichische Geschichtswissenschaft dar, was

einen erheblichen wissenschaftlichen Aufschwung nach sich zog.86 Gerade die Akademie wird in

dieser Hinsicht als bedeutendste wissenschaftliche Institution für Forschungs- und

Editionstätigkeiten sowie der Vernetzung unterschiedlicher Wissenschaftler und Gelehrtenkreise vor

dem Thun-Hohenstein'schen Reformwerk angesehen, in einer Zeit, als die Universitäten der

Habsburgermonarchie keinen auch nur vergleichbaren Output erzielen konnten.87 Wie Ernst es dem

Thun'schen Unterrichtministerium mit diesem Vorhaben war, verdeutlicht die Anstellung des

protestantischen Dr. Theodor Sickel, der sich im Jahr 1848 auf Seiten der Revolutionären engagiert

hatte, zum Dozenten und später a.o. Professor für die Geschichte des Kaiserstaates, was für die

Personalpolitik von Graf Thun unüblich war.88 Meist urteilte Thun nach konfessionellen und

politischen Gesichtspunkten und entschied sich tendenziell eher für katholisch-konservative

84 Fellner, Geschichte als Wissenschaft: S. 169f.85 Vgl. Lhotsky, Historiographie: S. 152 u. 165.86 Vgl. Franz Martin Mayer, Geschichte Österreichs mit besonderer Rücksicht auf das Culturleben. Bd. 2.

Wien/Leipzig 21901: S. 748f.87 Vgl. Walter Höflechner, Forschungsorganisation und Methoden der Geschichtswissenschaft. In: Karl Acham (Hg.),

Geschichte der österreichischen Humanwissenschaften. Bd. 4. Geschichte und fremde Kulturen. Wien 2002. S. 217-238: S. 220.

88 Vgl. Lhotsky, Historiographie: S. 166.

23

Page 24: Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

Anwärter auf wichtige Universitäts-Posten.89

3.1 Der zeitgenössische Diskurs

Als Unterstaatssekretär im Ministerium Graf Thuns machte Joseph Alexander Freiherr von Helfert

in zahlreichen Vorträgen und Schriften auf die Missstände im Bildungsbereich aufmerksam und

förderte und forderte Institutionen zur Schaffung einer Grundlage für das Entstehen einer

Gesamtdarstellung der österreichischen Geschichte im staatlichen Interesse der supranationalen

Einheitsauffassung.90 Mit der Gründung des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung

wurde der Grundstein zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Gesamtstaatsgeschichte

gelegt, die sich nicht lediglich aus der Summe der Ländergeschichten zusammensetzen, sondern

sich als Gegenpol zu den zentrifugalen und national konnotierten Geschichtsauffassungen

positionieren sollte.91 In seiner Schrift „Über Nationalgeschichte und den gegenwärtigen Stand ihrer

Pflege in Oesterreich“ definierte Helfert den Begriff Nationalgeschichte hinsichtlich seiner

inhaltlichen Bedeutung, seinen Anforderungen und Schwierigkeiten, auf die es zu achten gelte. Es

war dies daher ein Appell und ein Leitfaden für Historiker zugleich, wie diese Nationalgeschichte

nach staatlichen Vorgaben inhaltlich und formal auszusehen habe. Als Kernpunkt bei der Pflege der

Nationalgeschichtsschreibung legte Helfert die Betonung auf ein „Groß-Österreich[, das] eine

providentielle Nothwendigkeit ist, nicht allein im System des staatlichen Gleichgewichts von

Europa, […] sondern eben so sehr im Interesse, zum Heile und Gedeihen jedes einzelnen der

verschiedenen Bestandtheile, aus denen es im Laufe der Zeiten zu einem mächtigen

Gesammtorganismus zusammenwuchs“92. Er sprach darin nicht nur Österreichs Großmachtstatus

und die Einheit des organisch gewachsenen Gesamtstaats an, sondern er verlangte nach einer

Sinnstiftung der Existenz Österreichs. Der österreichische Historiker Joseph Chmel schlug

dahingehend in die gleiche Kerbe, der Österreich in seiner multiethnischen Zusammensetzung als

„glänzendes Beispiel, dass Humanität höher stehe als Nationalität“93, sah. Ähnlich wie bei der

fiktiven, sogenannten „Parallelaktion“94 in Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“, wurde

Österreich als eine Art Idee mit moralischen und zivilisatorischen Aufgaben verstanden, womit der

89 Vgl. Alois Kernbauer, Multiethnizität und Deutschsprachigkeit. Zur Charakterisitk der „Scientific Community“ im Habsburgerreich. In: Siegfried Beer/Edith Marko-Stöckl/Marlies Raffler/Felix Schneider (Hgg.), Focus Austria. Vom Vielvölkerreich zum EU-Staat. Festschrift für Alfred Ableitinger zum 65. Geburtstag. Graz 2003. S. 130-141: S.134.

90 Vgl. Lhotsky, Historiographie: S. 198.91 Vgl. Schennach, Gesamtstaatsidee: S. 12.92 Helfert, Nationalgeschichte: S. 54.93 Joseph Chmel, Die Aufgabe einer Geschichte des Österreichischen Kaiserstaates. Ein Vortrag, gehalten an der

feierlichen Sitzung der Kaiserl. Akademie der Wissenschaften am 30. Mai 1857. Wien 1857: S. 4.94 Vgl. Musil, Mann ohne Eigenschaften: S. 78f. u. 87.

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Page 25: Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

Existenz der Habsburgermonarchie eine tiefere Bedeutung und Berechtigung seines Bestehens

einzuhauchen versucht wurde. Chmel zählte zu den Aufgaben Österreichs, das für ihn der „von der

göttlichen Vorsehung berufene Staat des Rechts, der Cultur“95 war, „die Wahrung des Rechts, die

Erhaltung des Friedens, de[n] Wetteifer im Streben nach Gütern, die edlerer Natur sind“96.

Vor allem nach dem Ausscheiden Österreichs aus dem deutschen Raum und in Folge des

Ungarischen Ausgleichs von 1867 musste sich die Habsburgermonarchie neu orientieren, neu

identifizieren und ihrer Existenz eine neue Idee geben. Die Orientierung Richtung Balkan und den

Osten wurde innerhalb der Habsburgermonarchie vielfach als kulturelle, zivilisatorische Aufgabe

im Interesse Europas interpretiert, beispielsweise diese Gebiete auf europäisches Niveau zu heben.97

Bezeichnenderweise vermisst Alphons Lhotsky, einer der prägendsten österreichischen Historiker

der Nachkriegszeit,98 eben diese Fähigkeit der österreichischen Geschichtsschreibung des 19.

Jahrhunderts, den Ist-Zustand des Habsburgerreichs zu beschreiben und seine Aufgaben, seinen

Sinn und seine Zukunft deuten zu können.99 Interessant ist an dieser Stelle, dass er dies Franz

Krones und seinem „Handbuch“ ebenso abspricht und dabei kritisiert, dass selbiger „gar nichts

anderes beweisen wollte als Tatsachen, für nichts warb, nichts verteidigte und darum zwar als

Muster gewissenhafter und leidenschaftsloser Datensammler (…) denkwürdig bleiben wird, deren

Funktion im Bereiche der staatlichen Selbsterkenntnis jedoch minimal genannt werden darf“100.

Eine Defensiv-Strategie wurde vor allem in der Umdeutung des Vielvölkerstaats von einer

Schwäche hin zu einer Stärke verwendet. Helfert erachtete die multiethnische Beschaffenheit des

Österreichischen Kaiserstaats wie Joseph Chmel als ein stärkendes Element, insofern, als der

Zusammenschluss dieser geographisch, kulturell und historisch eng verwandten Völkerschaften

zugunsten eines größeren Staatsgebildes einem rationalen Gedanken des Nutzens für alle

entsprungen sei, wie in dem obigen Ausspruch mitschwingt. Auch viele weitere zeitgenössische

Wissenschaftler, Autoren und Intellektuelle wie Ernst von Schwarz, Karl von Czörnig oder der

Orientalist Joseph von Hammer-Purgstall erachteten den Multilingualismus Österreichs und in

Abgrenzung zu anderen vielsprachigen Staaten, wie dem Russische Zarenreich oder dem British

Empire, auch die Gleichbehandlung der Sprachgruppen und Bürger als Spezifikum und Stärke der

Habsburgermonarchie.101 In seinen Werken betonte Helfert diese Besonderheit der Donaumonarchie

95 Chmel, Aufgabe: S. 4.96 Ebenda.97 Vgl. Hugo Hantsch, 1866 und die Folgen. In: Peter Berger (Hg.), Der österreichisch-ungarische Ausgleich von 1867.

Vorgeschichte und Wirkungen. Wien/München 1967. S. 51-63: S. 58.98 Vgl. Alois Kernbauer, Zur Historiographiegeschichte der Humanwissenschaften. In: Karl Acham (Hg.), Geschichte

der österreichischen Humanwissenschaften. Bd.4. Geschichte und fremde Kulturen. Wien 2002 S. 263-305: S. 289.99 Vgl. Lhotsky, Historiographie: S. 199. 100 Ebenda: S. 200f.101 Vgl. Judson, Habsburg: S. 307-312.

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Page 26: Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

immer wieder mit Nachdruck. „Nicht Oesterreichs Schwäche, nein, seine Stärke liegt in dessen

verschiedenen Nationalitäten, dafern es dieselben nach Gebühr zu würdigen und zu behandeln

versteht.“102 Helfert wollte die Vielfalt der Nationalitäten und Sprachgruppen als Vorteil verstanden

wissen und unterstrich einmal mehr die Wichtigkeit, die Bevölkerung der Habsburgermonarchie in

ihrer vielschichtigen Gesamtheit sichtbar zu machen und das Verständnis und die Kenntnis der

einzelnen Nationalitäten bei allen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern zu steigern. Erst durch

dieses Sichtbarmachen und „Würdigen“ aller Nationalitäten könne die Habsburgermonarchie diese

Vielfältigkeit als Stärke voll ausspielen. Dies geschieht nach dem Motte „Einheit in der Vielfalt“103 ,

dem auch Helfert in seinem supranationalen Österreichbewusstsein verhaftet war. Um das

Unverständnis dem habsburgischen Vielvölkerreich gegenüber, das Helfert seinen ausländischen

Zeitgenossen immer wieder vorwarf,104 auszuräumen, suchte er seine Argumentation mit einem

antiken Vergleich zu untermauern. Ganz an den Anfang seiner Abhandlung der

„Nationalgeschichte“ stellte Helfert bezeichnenderweise eine Analogie zum Imperium Romanum,

welches trotz seiner ethnischen Buntheit auf das römische Bürgerrecht als starkem

Identifikationsmerkmal vertrauen habe können und so zu seinem bekanntlichen zivilisatorischen,

militärischen und kulturellen Weltruhm gelangt sei.105 Mit diesem Vergleich, der möglicherweise

auch auf die Kontinuität der antiken Kaiserwürde und der römisch-deutschen Kaisertitulatur der

Habsburger aus der Vergangenheit, einer Art österreichischen translatio imperii, anspielte, suchte

Helfert die Überbetonung der Nation nach sprachlichen Kriterien mit einem historischen Beispiel zu

entkräften. Zur Nationalgeschichte überleitend unterstrich er in diesem Sinne das Hintanstellen der

Geschichte eines der Völker zugunsten einer gleichwertigen Gesamtdarstellung aller ethnischen

Gruppen der Habsburgermonarchie.106 In einem Vortrag, der der Veröffentlichung der

„Österreichischen Geschichte für das Volk“ voranging, untermauerte Helfert diese Position, die für

ihn allerdings nicht das Unsichtbarmachen und Ignorieren der unterschiedlichen Ethnien bedeutete:

„Denn dieses Gemeingefühl, dieses großösterreichische Bewußtsein soll nicht dadurch

geschaffen werden, daß man das Bewußtsein und das Selbstgefühl der einzelnen Länder und

Völker verkennt oder unterdrückt, sondern nur dadurch, daß man es erhebt und in einem

gemeinsamen Brennpunkt sammelt. In der österreichischen Gesammtgeschichte soll der

Dalmate wie der Bukowiner, der Tiroler wie der Siebenbürger seine Heimat finden, aber

102 Joseph Alexander Frh. von Helfert, Fünfzig Jahre nach dem Wiener Congresse von 1814-1815. Mit besonderem Hinblick auf die neuesten österreichischen Zustände. Wien 1865: S. 63.

103 Vgl. Stachel, Die Harmonisierung nationale-politischer Gegensätze und die Anfänge der Ethnographie in Österreich. In: Karl Acham (Hg.), Geschichte der österreichischen Humanwissenschaften. Bd. 4. Geschichte und fremde Kulturen. Wien 2002. S. 323-367: S. 323.

104 Vgl. Helfert, Wiener Congress: S. 62.105 Vgl. Ders., Nationalgeschichte: S. 1.106 Vgl. Ebenda: S. 1f.

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Page 27: Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

nicht erst von dem Augenblicke an, wo dieselbe mit dem 'Stammlande' dauernd vereinigt

worden ist, sondern von den ersten Anfängen der Geschichte an, die in stufenweiser

Entwicklung eben zu jener Vereinigung geführt hat“107

Dass Ziel der Entwicklungen sollte die Vereinigung mit Österreich sein, nicht aber der Beginn der

Geschichte Österreichs. Für Helfert war es von Bedeutung, dass der Übergang der einzelnen Länder

in den Herrschaftsbereich der Habsburger nicht wie eine Fremdherrschaft wirkte. Im Mittelpunkt

stand demnach der Prozess der Staatswerdung Österreichs, das erst mit dem Zuwachs seines

jüngsten Kronlands komplettiert würde. Trotz der präzisen und durchdachten Vorstellungen Helferts

standen diesem Vorhaben noch zahlreiche Hindernisse im Weg, die auch bei der Publikation der

„Österreichischen Geschichte für das Volk“ keineswegs gelöst waren. Aus seinen Erfahrungen

heraus, die er in den Jahren seines Engagements in diesem Bereich gesammelt hatte, verortete

Helfert das Hauptproblem für eine Gesamtgeschichte in der unzureichenden und verspäteten

Sammlung und Bearbeitung des Quellenmaterials, dessen Auswertung aufgrund der sprachlichen

Verschiedenheit und des immensen Umfangs zusätzlich erschwert war.108

„Wir können keine umfassende Nationalgeschichte verlangen, weil die vielseitigen

Materialien dazu noch nicht in übersichtlicherweise vor uns bereit liegen, wie in den

großartigen Sammelwerken, die in Russland theils schon vollendet sind, theils der

Vollendung entgegen sehen.“109

3.2 Die geschichtswissenschaftlichen Vorarbeiten

Selbst Franz Krones, der als erster Historiker und Schöpfer einer wissenschaftlichen

Gesamtstaatsgeschichte gefeiert wurde, gestand im „Handbuch“ den Nachholbedarf in der

Bearbeitung der Quellen und damit einhergehend die Unzulänglichkeiten seines eigenen Werks ein.

Für das große Ziel, ein „allen Anforderungen entsprechendes Gesammtwerk über die Geschichte

Oesterreichs aus einem Gusse“, müsse erst noch „der Kreis provinzieller Vorarbeiten und

quellenmäßiger Monographien geschlossen, der Quellenvorrath in kritisch gesichteten

Textabdrücken gesammelt, die Urkundenmasse registrirt und bearbeitet“110 werden. Krones sah sein

„Handbuch“ also nicht als Endpunkt einer Entwicklung, als erfolgreichen Durchbruch eines bislang

immensen aber fruchtlosen Arbeitens zahlloser Historiker, vielmehr betonte er den nach wie vor

bestehenden Berg an unbearbeiteten Quellen. Diesen Aufholbedarf in der methodischen

107 Joseph Alexander Frh. von Helfert, Oesterreichische Geschichte für das Volk. Vortrag gehalten in der sechzehnten General-Versammlung des Vereins zur Verbreitung von Druckschriften für Volksbildung. Wien 1863: S. 15.

108 Vgl. Ebenda: S. 50ff.109 Ebenda: S. 63.110 Krones, Handbuch. Bd. 1: S. 61.

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Page 28: Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

Quellenanalyse haben auch zahlreiche Historiker wie Joseph Chmel oder Max Büdinger erkannt,

die allerdings wegen des schieren Umfangs der Quellenarbeit resignierten. Dennoch leisteten sie

nebst anderen Historikern entscheidende Vorarbeit für Krones‘ Werk. Die Mehrheit der Historiker

in den 1850ern sah den Aufruf Helferts zur Abfassung einer wissenschaftlichen

Gesamtstaatsgeschichte als unvereinbar an, da entscheidende Pionierarbeiten und Quellenstudien

hierfür schlichtweg fehlten.111

3.2.1 Joseph Chmel

Allen voran war es Joseph Chmel, einer der bedeutendsten, aber zu Lebzeiten wenig geschätzten

österreichischen Historiker in dieser Zeit des wissenschaftlichen Umbruchs, der zu einem intensiven

Quellenstudium aufrief.112 Trotz intensiver Bemühungen und seinem hohen eigenen Engagement in

seiner Quellenforschung und Editionstätigkeit, mit dem großen Ziel, selbst eine Gesamtdarstellung

der österreichischen Geschichte zu schaffen, gestand er sich die Unmöglichkeit dieses Unterfangens

aufgrund des nicht zu bewältigenden Umfangs ein.113 Bis zuletzt gab er dieses Vorhaben, das er

selbst zu Lebzeiten nicht mehr zu realisieren imstande war, jedoch nicht auf, sondern setzte sich in

Vorträgen und Publikationen weiterhin für ein Zustandekommen einer Gesamtstaatsgeschichte in

naher Zukunft ein. Ähnlich wie Helfert steuerte er für dieses Vorhaben, abgesehen von seinen

erwähnten Editionen, eine Anleitung bei, wie eine solche Geschichte Österreichs inhaltlich und

formal auszusehen habe, auf welche Methoden, Schwerpunktsetzungen und Epochen dabei zu

achten sei. Obwohl kulturgeschichtliche Aspekte in der Geschichtswissenschaft des 19.

Jahrhunderts auf breite Ablehnung stießen, betrachtete Chmel die Kulturgeschichte als Österreichs

„wahre Geschichte“, der ein bedeutender Platz in der Gesamtstaatsgeschichte eingeräumt werden

müsse, um Österreich als einem „Culturstaat“ gerecht werden zu können.114 Damit griff Chmel dem

zweibändigen Werk Franz Martin Meyers voraus, der mit seiner „Geschichte Österreichs mit

besonderer Rücksicht auf das Culturleben“115 eine eben solche Schwerpunktsetzung verfolgte, wie

der Titel bereits verrät. Auch Franz Krones, der in seinem „Handbuch“ mit dem Untertitel „Mit

besonderer Rücksicht auf Länder-, Völkerkunde und Culturgeschichte“ in kulturgeschichtlicher

Hinsicht eine der Forderungen Chmels erfüllte, ist neben Mayer zu nennen. Wenngleich Joseph

Chmel das „Handbuch“ nicht mehr erlebt hat, ließ er sich von seiner optimistischen

Grundstimmung bezüglich des baldigen Glückens einer Gesamtstaatsgeschichte trotz des enormen

111 Vgl. Kernbauer, Multiethnizität: S. 132.112 Vgl. Ders., Konzeption: S. 259.113 Vgl. Ebenda: S. 259f.114 Vgl. Chmel, Aufgabe: S. 5.115 Mayer, Geschichte Österreichs. 2 Bde. Wien 1874.

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Arbeits- und Zeitaufwands auch in seinem letzten Lebensjahr nicht mehr abbringen. Er hielt

nämlich „eine Geschichte des österreichischen Kaiserstaates als Ganzes nicht blos möglich, sie ist

auch die herrlichste Aufgabe“116.

3.2.2 Max Büdinger

Ebenso ehrgeizig wie Chmel und sogar noch akribischer in seinem Arbeiten nahm sich der deutsch-

österreichische Historiker Max Büdinger dieser Aufgabe an. Büdinger, der vor seiner Professur in

Wien ab 1872 im deutschen Marburg und in Zürich doziert hatte, legte 1858 seine vielbeachtete

„Österreichische Geschichte bis zum Ausgang des dreizehnten Jahrhunderts“117 vor, das

ursprünglich als mehrbändiges und umfangreicheres Werk konzipiert war. Dieses Werk rief in seiner

streng wissenschaftlichen Methodik in der Fachwelt ein lautes Echo hervor und wurde von späteren

Historikern wie Oswald Redlich überaus positiv aufgenommen.118 Aufgrund dieser Charakteristika

musste Büdingers Werk auch auf politischer Ebene auf ein reges Interesse gestoßen sein. Der hohe

finanzielle Aufwand, den das Unterrichtsministerium in die Förderung einer Gesamtstaatsgeschichte

investiert hatte,119 schien sich durch Arbeiten wie die Büdingers langsam zu lohnen. Allerdings

scheiterte Max Büdingers ehrgeiziges Unterfangen an seiner Präzision und Genauigkeit im Detail,

da sein großangelegtes Werk in seiner Darstellung lediglich bis ins Mittelalter reichte und bereits

Mitte des 11. Jahrhunderts mit der Regentschaft Kaiser Heinrichs III. und des babenbergischen

Markgrafen von Österreich Adalbert abbrach,120 wodurch Büdinger nicht einmal das Versprechen

des Werkstitels, auch das gesamte 13. Jahrhundert abzudecken, einhalten konnte. In staatspolitischer

Hinsicht hatte das Werk den Vorstellungen des Ministeriums entsprochen, da Büdinger Wert auf

eine parallele Darstellung aller Völker der (späteren) Österreichischen Monarchie legte und die

Gemeinsamkeiten der drei großen Kernländer im Mittelalter bereits vor ihrem politischen

Zusammenschluss betonte.121 Denn diese Konzeption fand sich exakt in den Forderungen Helferts

wieder,122 natürlich nur soweit das Werk Max Büdingers zeitlich fortgeführt wurde. Bei Büdinger

wurde die Verbundenheit und Verwandtschaft dieser später „österreichischen“ Völkerschaften

gerade durch die zeitliche Konzeption vor der einenden Klammer der habsburgischen Dynastie

untermauert. Damit kann Büdingers Werk, welches laut Untertitel mit dem Auftreten des

Habsburger Rudolf I. und seiner Erlangung der Königswürde sowie der vormals babenbergischen

116 Chmel, Aufgabe: S. 5.117 Max Büdinger, Österreichische Geschichte bis zum Ausgang des dreizehnten Jahrhunderts. Bd. 1. Leipzig 1858.118 Vgl. Kernbauer, Konzeption: S. 263.119 Vgl. Ebenda.120 Vgl. Büdinger, Österreichische Geschichte: S. 477-485.121 Vgl. Kernbauer, Konzeption: S. 263.122 Vgl. Helfert, Nationalgeschichte: S. 55f.

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Page 30: Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

Länder sein Ende gefunden hätte, trotz seines mittelalterlichen Inhalts als Geschichte des

Gesamtstaates und aller seiner Völker gesehen werden. Entgegen seiner Ankündigung in der

Vorrede des ersten Bandes, einen zweiten Band in absehbarer Zeit hinterherschicken zu wollen,123

vollendete Büdinger dieses Vorhaben nie und es blieb bei diesem einen Band. Auch wenn Max

Büdinger seine „Österreichische Geschichte“ nur bis zum 13. Jahrhundert reichen lassen wollte und

somit keine zusammenhängende Gesamtdarstellung des Staates in zeitlicher Hinsicht zu bieten

gedachte, lieferte das Werk wichtige Ansätze für die Darstellungsweise der Länder der späteren

Donaumonarchie im Mittelalter und die gleichmäßige Beschreibung der „österreichischen“ Völker

sowie der Betonung auf deren enge kulturelle Verbindungen vor ihrer politischen Vereinigung.

3.2.3 Franz Martin Mayer

Kurz vor der Publikation von Krones‘ „Handbuch“ war das bereits erwähnte zweibändige

Geschichtswerk Franz Martin Mayers mit dem Fokus auf die Kulturgeschichte Österreichs

erschienen. Diese Schwerpunktsetzung stieß bei der zeitgenössischen Fachwelt auf breite

Ablehnung, welche die Fokussierung auf die politische Geschichte zur Leitlinie der Historiographie

erkoren hatte.124 Gemessen daran war es daher nicht verwunderlich, dass Mayers Werk auf wenig

Verständnis und Akzeptanz in der österreichischen Fachwelt stieß, welche die später publizierte

fünfbändige „Geschichte Österreichs“125 des Tiroler Historikers Alfons Huber mit ihrer rein

politischen Behandlung bevorzugte. Dennoch bleibt es erstaunlich, wie wenig Beachtung Mayers

„Geschichte“ im Gegensatz zu Krones‘ oder Hubers Werk fand, da ja ersterer ebenso eine

Berücksichtigung des Kulturlebens beherzigte. Während Krones viel gelobt und sogar nobilitiert

wurde, da die Regierung die Helfert'sche Vorgabe als erfüllt betrachtete, wurde Franz Martin Mayer

keinerlei Beachtung geschenkt.126 Dabei war Mayer eben wegen seines kulturgeschichtlichen

Schwerpunktes revolutionär, worunter er die Berücksichtigung von „staatsrechtlichen

Einrichtungen, von der Entwicklung der Stände, von der Wirtschaft des Volkes, also von der

Landwirtschaft, dem Bergbau, den Gewerben, der Handelsthätigkeit, von Sitten und Gewohnheiten,

von den Leistungen auf den Gebieten der Wissenschaft und der Kunst“127 verstand. Durch die

Vielfalt und Ausgewogenheit dieser verschiedenen Bereiche wurde Mayers Werk in einer

wohltemperierten Weise abgerundet, was die Bezeichnung „Gesamtgeschichte“ im wahrsten Sinne

123 Vgl. Büdinger, Österreichische Geschichte: S. Vf.124 Vgl. Kernbauer, Konzeption: S. 267.125 Alfons Huber, Geschichte Österreichs. 5 Bde. Gotha 1885-1896.126 Vgl. Kernbauer, Konzeption: S. 267.127 Mayer, Geschichte Österreichs. Bd. 1. 21900. S. V.

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des Wortes rechtfertigte.128 Mag der Aufbau von Mayers Werk rund um das Jahr 1526, also ähnlich

wie bei Franz Krones‘ „Handbuch“, zum Zeitpunkt der Publikation keine neue Erfindung mehr

gewesen sein,129 diese Gesamtheit der unterschiedlichen Bereiche der österreichischen Geschichte

war es allemal. So attestierte Johannes Loserth dem Werk Mayers zwar einen gewaltigen Fortschritt

im Vergleich zu den vorangegangenen Werken zur österreichischen Geschichte, doch bemängelt er:

„[...] der lehrhafte Zweck tritt überall deutlich zu Tage, die Fassung ist eine knappe und nur das

Bedeutendste findet Beachtung“130 Hierin wurde auf Mayers Tätigkeit als Lehrer und Lehrbuchautor

verwiesen. Nur im Kontext dieser genannten Vorarbeiten akribisch arbeitender Historiker und durch

die staatlichen Förderungen und Ermunterungen hin zu einer Gesamtdarstellung der

österreichischen Geschichte von der Regierungsseite ausgehend kann die Bedeutung des

„Handbuchs“ Franz Krones‘ verstanden werden.

4 Franz Krones

Franz Xaver Krones von Marchland wurde im Jahr 1835 in Ungarisch-Ostrau in Mähren geboren

und absolvierte seine Gymnasialzeit in der mährischen Hauptstadt Brünn, bevor er sich für seine

weitere Ausbildung und akademische Laufbahn zuerst nach Wien und ins ungarische Kaschau, dann

nach Graz wandte.131 Nachdem Krones ursprünglich eine Stelle als Supplent an der Rechtsakademie

in Kaschau angetreten hatte, stieg er dort rasch zum außerordentlichen Professor für Österreichische

Geschichte auf.132 Constantin von Wurzbach vermerkte in seinem Lexikon-Eintrag zu Franz Krones,

dass selbiger seine Professur für Österreichische Geschichte in Kaschau aufgegeben habe, da seine

Situation als deutschsprachiger Professor in Ungarn nach dem föderalistischen Oktoberdiplom 1860

unhaltbar geworden sei und er sich daher um eine entsprechende Stellung in den deutschsprachigen

Ländern der Habsburgermonarchie bemühte habe.133 Im Zuge des Oktoberdiploms war es in Ungarn

zu schweren anti-österreichischen Ausschreitungen und Boykottbewegungen gekommen, da diese

Kompromisslösung sowohl von Zentralisten als auch von Föderalen abgelehnt worden war.134

Bereits in seinen Jahren in Kaschau hatte Krones‘ Vorhaben einer geschichtlichen

Gesamtdarstellung des österreichischen Staates Gestalt angenommen.135 Außerdem ist seine Zeit in

128 Vgl. Kernbauer, Konzeption: S. 267.129 Vgl. Ebenda.130 Loserth, Krones: S. 5.131 Vgl. Constantin von Wurzbach, Krones, Franz. In: Lexikon des Kaiserthums Oesterreich. Bd. 13. Wien 1865. S.

257f.: S. 257.132 Vgl. Helga Tomberger, Franz Krones Ritter von Marchland (1835-1902). Diss. Graz 1954: S. 16.133 Vgl. Wurzbach, Krones: S. 257.134 Vgl. Helmut Rumpler, Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der

Habsburgermonarchie (= Österreichische Geschichte 1804-1914). Wien 1997: S. 376.135 Vgl. Wiesflecker, Krones: S. 114.

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Kaschau als a.o. Professor und seine wissenschaftliche Tätigkeit in Ungarn in ihrer Bedeutung nicht

zu unterschätzen, da er sich in diesem Lebensabschnitt in die ungarische Sprache und Geschichte

vertiefte, was ihn somit hinsichtlich seines weiteren Schaffens entscheidend prägte.136 Da auch das

zentralistisch orientierte Februarpatent, welches das Oktoberdiplom bereits im folgenden Jahr als

Verfassungsgrundlage weitestgehend abgelöst hatte, zu keiner Besserung geführt hatte,137 entschied

sich Krones für einen Wechsel nach Graz, wo er ab 1862 innerhalb weniger Jahre einen steilen

Aufstieg an der Grazer Universität hinlegte.138 Dieser rasante Aufstieg nahm seinen Anfang 1864

mit Krones‘ Antreten einer außerordentlichen Professur für Österreichische Geschichte, die in Graz

eben erst eingerichtet worden war, womit er der erste Inhaber dieses Lehrstuhls in Graz war.139 Im

darauffolgenden Jahr wurde er ordentlicher Professor für Österreichische Geschichte, die er bis zu

seinem Tod 1902 in Graz lehrte, zudem war er in seiner Laufbahn mehrmals Dekan und im

Studienjahr 1876/77 bekleidete er sogar das Rektorenamt an der Grazer Universität.140 Seine

fortschrittliche Haltung lässt sich unter anderen auch an seiner Tätigkeit als Kurator des Mädchen-

Lyzeums in Graz ablesen.141 Krones‘ Nobilitierung 1879 in Reaktion auf die Publikation seines

„Handbuchs der Geschichte Oesterreichs“, brachte den Titel „Ritter von Marchland“ mit sich, mit

dessen Wahl Krones auf seine mährische Herkunft verwies.142 Diese Erhebung in den Adelsstand

verdeutlichte das staatliche Wohlwollen, das Krones nach dem Erscheinen des „Handbuchs“

entgegengebracht wurde und zeigt, wie sehr Krones den nervus rerum der habsburgischen

Staatsideologie mit seinem Werk getroffen hatte.143 Darin vereinte er die Darstellung aller

habsburgischen Länder in einer chronologischen Gesamtgeschichte und legte den Fokus auf die

Vereinigung der drei Hauptländerkomplexe Österreich, Böhmen und Ungarn, somit das Werden des

„großösterreichischen“ Staates. Diese Schwerpunktsetzung im „Handbuch“ unterstrich er auch in

zahlreichen weiteren Publikationen. Die Fokussierung auf die Vereinigung dieser drei großen

Länderkomplexe rund um das Jahr 1526 sowie auf die Regentschaft Friedrichs III. tritt dabei klar

zutage. So steuerte Krones der „Österreichische Geschichte für das Volk“ als sechsten Band „Die

österreichischen, böhmischen und ungarischen Länder im Jahrhundert vor ihrer dauernden

Vereinigung 1437-1526“ bei,144 womit er sein Spezialgebiet abdeckte. Die zahlreichen

136 Vgl. Tomberger, Krones: S. 17.137 Vgl. Lothar Höbelt, Franz Joseph I. Der Kaiser und sein Reich. Eine politische Geschichte. Wien/Köln/Weimar

2009: S. 50ff.138 Vgl. Wiesflecker, Krones: S. 114f.139 Vgl. Tomberger, Krones: S. 18.140 Vgl. Erich Zöllner, Krones, von Marchland Franz. In: ÖBL. Bd. 4. Lfg. 19. 1968. S. 294: S. 294.141 Vgl. Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens: S. 282f.142 Vgl. Wiesflecker, Krones: S. 115.143 Vgl. Alois Kernbauer, Grazer Geschichtsforscher von europäischem Rang. In: Karl Acham (Hg.), Kunst und

Geisteswissenschaften aus Graz. Werk und Wirken überregional bedeutsamer Künstler und Gelehrter: vom 15. Jahrhundert bis zur Jahrhundertwende. Wien/Köln/Weimar 2009. 559-576: S. 568.

144 Franz Krones, Die österreichischen, böhmischen und ungarischen Länder im Jahrhundert vor ihrer dauernden

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Publikationen zu Friedrichs III., oftmals im Kontext der Baumkircher-Fehde,145 scheinen die Worte

Helga Tombergers zu bestätigen, die von Krones‘ „Liebe zum Wesen und Wirken des Habsburgers

dieser bewegten Zeit, zu Friedrich III.“146, spricht. Zudem soll Krones die ernsthafte Absicht gehegt

haben, diesem Herrscher eine eigene Biographie zu widmen, wie sich aus seinen Aufzeichnungen

und Vorarbeiten aus dem Nachlass rekonstruieren lässt, wie aber auch durch Zeitgenossen wie

Johannes Loserth hervorging.147148 Es sollte allerdings bei einem Vorhaben bleiben, die Biographie

ging über die Anfangs-Arbeiten nicht hinaus. Als zweiten großen Schwerpunkt lassen sich seine

Arbeiten zur Revolution und Restauration zusammenfassen,149 deren starke Gewichtung bereits im

„Handbuch“ zu erkennen ist. Daneben widmete sich Franz Krones auch der Regional- und

Ländergeschichte. Dabei achtete er auf eine ausgewogene Mischung aus verschiedenen

Ländergruppen, um auf diese Weise die unterschiedlichen Provinzen der Monarchie möglichst

gleichwertig zu bearbeiten und als Teil eines großen Ganzen zu skizzieren. Allen voran fand die

(herzogtümlich-)österreichische und vor allem steirische Geschichte Eingang in das Werk

Krones‘.150 Häufig fungierten in seinen Arbeiten Herrscherpersönlichkeiten als Bindeglieder, welche

zumindest einen Teil der habsburgischen Länder zeitweise in einer Personalunion vereinen konnten,

wie etwa Ottokar II. von Böhmen.151 Dadurch sollte eine ethnisch-national geprägte

Geschichtsschreibung unter Bevorzugung einzelner Volksgruppen der Habsburgermonarchie

vermieden und auf kulturelle und politische Gemeinsamkeiten der Länder bereits vor den

Habsburgern verwiesen werden. Aufgrund seiner Sprachkenntnisse des Tschechischen, Ungarischen

und Polnischen war Krones ebenfalls zur Auswertung von Quellen und Geschichtswerken in diesen

Vereinigung 1437-1526. In: Österreichische Geschichte für das Volk. Bd. 6. Wien 1864.145 Vgl. Ders., Alexander Baumkircher, Zur Geschichte der Steiermark vor und in den Tagen der Baumkircher-Fehde

1457-1471. In: Mitteilungen des Historischen Vereins für Steiermark 17. Graz 1869. S. 73-129. Ders., Zur Quellenkunde und Literatur der Geschichte Baumkirchers und der Baumkircherfehde. In: MIÖstGF 6 [Ergbd.]. 1901. S. 449-457.

146 Tomberger, Krones: S. 27.147 Vgl. ebenda.148 Vgl. Johannes Loserth, Franz von Krones. Ein Nachruf, gehalten bei Beginn der Vorlesungen am 23. Oktober 1902.

In: Zeitschrift des deutschen Vereins für die Geschichte Mährens und Schlesiens 7. Brünn 1903. S. 1-16: S. 15.149 Vgl. Franz Krones, Zur Geschichte Österreichs im Zeitalter der französischen Kriege und der Restauration 1792-

1816. Gotha 1886.Vgl. Ders., Tirol 1812-1816 und Erzherzog Johann von Österreich, zumeist aus seinem Nachlasse. Innsbruck 1890.Vgl. Ders., Aus dem Tagebuch Erzherzog Johanns von Österreich 1810-1815. Zur Geschichte der Befreiungskriege und des Wiener Kongresses. Innsbruck 1891.

150 Vgl. Ders., Verfassung und Verwaltung der Mark und des Herzogthums Steier von ihren Anfängen bis zur Herrschaft der Habsburger. Graz 1897.Ders., Die landesfürstlichen und landschaftlichen Patente der Herrscherzeit Maximilians I. und Ferdinands. I. (1493-1564), Mit besonderer Rücksicht auf die Steiermark, in: Beiträge zur Kunde steiermärkischer Geschichtsquellen 18. 1882. S. 117-146 u. 19. 1883. S. 3-73.Ders., Umrisse des Geschichtslebens der deutsch-österreichischen Ländergruppe in seinen staatlichen Grundlagen vom 10. bis 16. Jahrhunderte. Innsbruck 1863.

151 Vgl. Ders., Die Herrschaft König Ottokars II. von Böhmen in der Steiermark (1252-1276), In: Mitteilungen des Historischen Vereins für Steiermark 22. Graz 1874. S. 41-146.

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Page 34: Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

Sprachen befähigt,152 was ihm die Tür für weitreichende Betätigungsfelder eröffnete. Die Werke zur

ungarischen Ländergeschichte bezogen sich hauptsächlich auf die Regierungszeiten von Maria

Theresia und Joseph II. sowie auf Franz Rakoczi II.153 Krones‘ Forschungsarbeiten zum ungarischen

Aufständischen und Habsburg-Gegner Franz II. Rakoczi galten als Pionierarbeiten in der

„deutschen“ Geschichtswissenschaft, um dessen wahrheitsgetreue Darstellung sich Franz Krones

bemüht hatte.154 Im Allgemeinen waren Krones‘ Leistungen auf diesem Gebiet überaus angesehen,

wodurch er wichtige Aspekte der ungarischen Geschichtsschreibung für einen deutschsprachigen

Kreis erschloss.155 Dem Böhmischen Länderkomplex wurde abseits zahlreicher kleinerer

Abhandlungen zu Krones‘ Heimat Mähren eine Monographie über das böhmische Staatsrecht

gewidmet.156 Franz Krones schien insgesamt die Erforschung der Lokalgeschichte seiner jeweiligen

Universitätsstadt als gewisse Pflicht oder auch Vorliebe aufgrund der Zugänglichkeit der Quellen

empfunden zu haben, wie sein umfangreiches Werk über die Geschichte der Karl-Franzens-

Universität in Graz oder auch seine kleinere Arbeit zur Stadtgeschichte von Kaschau illustrieren.157

Als zweites großes Hauptwerk nach dem „Handbuch“ wird häufig der „Grundriss der

österreichischen Geschichte“ angesehen. Er selbst nannte im Vorwort die „Universitätshörer und

Lehramtscandidaten“158 als Hauptadressaten dieses Werkes, das in seiner übersichtlichen

Darstellungsweise und seinen reichhaltigen Quellen- und Literaturverweisen als ein Hilfsbuch für

Interessierte zum Zwecke der Vertiefung und Weiterbildung verstanden sein wollte. Wie in seinem

„Handbuch“ teilte Krones die österreichische Geschichte in zwei Hauptepochen, die mit 1526 und

der Vereinigung Österreichs mit Böhmen und Ungarn ihre Zäsur fanden.159 Diese grobe Einteilung

in zwei Hauptepochen war ein tragendes Fundament in den Werken Krones‘, das seine

Geschichtsauffassung von Österreich als einem Gesamtstaat unterstrich. Insgesamt markieren über

150 Werke Krones‘ enorme Produktivität.160 Die zahlreichen kleineren und größeren Arbeiten zur

152 Vgl. Wiesflecker, Krones: S. 114.153 Vgl. Franz Krones, Ungarn unter Maria Theresia und Joseph II. 1740-1790. Geschichtliche Studien im Bereiche des

inneren Staatslebens. Graz 1871.Ders., zur Geschichte Ungarns im Zeitalter Franz Rakoczi's II. In: Archiv für Österreichische Geschichte 42. 1870. S. 251-362. u. 43. 1870. S. 1-102.

154 Vgl. Wiesflecker, Krones: S. 117.155 Vgl. Alfons Huber (Rez.): Franz Krones, Der Thronkampf der Premysliden und Anjou in Ungarn. /Ders., Der Kampf

des Anjou'schen Königthums mit der Oligarchie. Graz 1863. /Ders., Aktenmäßige Beiträge zur Geschichte des Tattenbach'schen Prozesses vom Jahre 1670. In: Literarisches Centralblatt für Deutschland. Leipzig 1864. Sp. 654: Sp. 654.

156 Vgl. Franz Krones, Das böhmische Staatsrecht und die Geschichte. Graz 1893.157 Vgl. Ders., Geschichte der Karl-Franzens-Universität in Graz: Festgabe zur Feier ihres dreihundertjährigen

Bestandes. Graz 1886.Vgl. Ders., Zur ältesten Geschichte der oberungarischen Freistadt Kaschau, Archiv für österreichische Geschichte 31. 1864. S. 1-56.

158 Ders., Grundriß der österreichischen Geschichte mit besonderer Rücksicht auf Quellen- und Literaturkunde. Wien 1882: S. IV.

159 Vgl. ebenda: S. 13.160 Vgl. Wiesflecker, Krones: S. 116.

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erbländisch-österreichischen, böhmischen und ungarischen Geschichte sowie der Band für die

Helfert'sche Reihe können zudem als Vorarbeiten für die große Gesamtstaatsgeschichte angesehen

werden,161 in welche sie vereint einflossen und analog zum beschriebenen Gesamtstaat im Werk ein

großes Ganzes bildeten. Nach der Auffassung von Helga Tomberger sind es vor allem die vielen

kleinen Schriften und Krones‘ akribisches Suchen und Behandeln von immer neuen

Forschungsgebieten, die „einen Baustein zu einem späteren, umfassenderen Werk“162 lieferten. Für

dieses Vorhaben war Franz Krones durch seine Sprachkenntnisse, seine Schwerpunktsetzung auf die

Ländergeschichte Österreichs, Böhmens und Ungarns und deren Vereinigung prädestiniert.

Wiesflecker nennt Krones einen „der letzten umfassenden Kenner der wissenschaftlichen

Literaturen der großen österreichischen Staatsvölker“163 und schlussfolgert daraus, dass er dadurch

„der berufene Meister einer Gesamtstaatsgeschichte“164 sei.

4.1 Das „Handbuch der Geschichte Oesterreichs“

Das fünfbändige Hauptwerk „Handbuch der Geschichte Oesterreichs“ markierte einen deutlichen

Einschnitt in der österreichischen Historiographie. Der späte Zeitpunkt des Erscheinens in den

1870ern spielte dabei eine wesentliche Rolle hinsichtlich der innenpolitischen Umwälzungen

innerhalb der Habsburgermonarchie. Im Jahr 1867 nämlich war es es zum Ausgleich mit Ungarn

gekommen, der der politischen Verfassung des Staates ein völlig neues Gesicht gab. Vorallem aber

hatten diese politischen Neuerungen und der Beginn des Österreichisch-Ungarischen Dualismus

einen erheblichen Einfluss auf die österreichische Historiographie und insbesondere die Vertreter

der Gesamtstaatsidee. Historiker und Intellektuelle wie Joseph Freiherr von Helfert oder Franz

Krones, die im Zeichen einer großösterreichischen Grundgesinnung Geschichtswissenschaft

betrieben und darunter eine gewisse Aufgabe als Ideengeber verstanden, sahen sich plötzlich mit

zwei Staaten konfrontiert, die im Kontrast zu der von ihnen proklamierten Einheit und

Gemeinsamkeit eines einzigen Staates standen. Helfert identifizierte in seiner erwähnten Arbeit

„Nationalgeschichte“, die noch vor dem Ungarischen Ausgleich publiziert wurde, bereits dezidiert

die De-Facto-Existenz zweier Staaten innerhalb der Monarchie, zumindest bis 1849,165 womit er

wahrscheinlich auf die Aprilgesetze und die Pillersdorf'sche Verfassung anspielte, die lediglich für

die Habsburgischen Länder ohne Ungarn und Lombardo-Venetien Geltung hatte.166 Erst im Zuge

161 Vgl. ebenda: S. 117.162 Vgl. Tomberger, Krones: S. 26.163 Wiesflecker, Krones: S. 114.164 ebenda.165 Vgl. Ders., Nationalgeschichte: S. 64.166 Vgl. Bruckmüller, Österreichbegriff: S. 257.

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der jüngsten politischen Ereignisse nach der Revolution sah Helfert die Verwirklichung eines

Gesamtstaates gegeben und sich zu einer optimistischen Grundhaltung dahingehend veranlasst,167

was in der Politik der frühen Regierungsjahre Kaiser Franz Josephs und dem Erlass des

Silvesterpatents begründet liegen mag. Mit dem Ausgleich 1867 gab es dieses erhoffte totum

endgültig nicht mehr, statt eines „Groß-Österreich“ entstanden zwei Staaten, die nur noch durch

Außenpolitik, Heer, Finanzen und ein gemeinsames Staatsoberhaupt in Personalunion miteinander

verbunden waren.168 Die Tragweite für die Staatseinheit brachte der österreichische Historiker

Heinrich Friedjung, der mit seiner 1877 erschienen Schrift „Ausgleich mit Ungarn“ für viel

Aufsehen gesorgt hatte, für viele Zeitgenossen polemisch auf den Punkt:

„Oesterreichische Bürger? Allein da besteht wieder die Schwierigkeit, daß unsere officielle

Terminologie zwar ein Oesterreich-Ungarn, ferner ein Ungarn aber kein Oesterreich kennt.

Denn in unserer Gesetzgebung heißen die Gebiete […] 'die im Reichsrathe vertretenen

Königreiche und Länder'. Damit wollte man die Fiction festhalten, als ob Oesterreich

eigentlich die beiden Staaten dies- und jenseits der Leitha bedeute.“169

Diese sogenannte „Fiction“ hatte tatsächlich 1915 ihr Ende, als die westliche Reichshälfte mitten im

Ersten Weltkrieg auch offiziell „Österreich“ getauft wurde,170 womit endgültig der Schlussstrich

unter die Gesamtstaatsidee gezogen wurde. Auf die Probleme der für die Staatsbürger wenig

identitätsstiftenden Termini wie „k.u.k.“, „k.k.“ oder „k.u.“ spielte auch Robert Musil mit seiner

Namenskreation Kakaniens an.171 Alphons Lhotsky attestiert der großösterreichischen

Historiographie spätestens mit der Zäsur des Ausgleichs 1867 einen eklatanten Interessensschwund

und eine Abkehr der österreichischen Historiker von der Bearbeitung der Neuesten Geschichte, um

einer Deutung der zeitgenössischen politischen Momente möglichst zu entgehen.172 Dem halten

sowohl Hermann Wiesflecker als auch Alois Kernbauer entgegen, dass diese häufig genannte

Abkehr für Franz Krones, der sich sehr wohl mit der österreichischen Gegenwart

auseinandergesetzt habe, nicht gelte.173 174 Auch Lhotsky selbst räumt in diesem Zusammenhang ein,

dass trotz des nicht zu widerlegenden Trends im 19. Jahrhundert die Werke Franz Krones‘ auch

nach dem Ausgleich noch ihre Berechtigung fanden.175 Nichtsdestoweniger resignierten zahlreiche

Verfechter der Gesamtstaatsidee, allen voran der Innsbrucker Staatsrechtslehrer Hermann Ignaz

167 Vgl. Helfert, Nationalgeschichte: S. 50 u. 64.168 Vgl. Rumpler, Chance für Mitteleuropa: S. 412.169 Heinrich Friedjung, Ausgleich mit Ungarn. Politische Studie über das Verhältnis Oesterreichs zu Ungarn und

Deutschland. Leipzig 21877: S. 15.170 Vgl. Rumpler, Chance für Mitteleuropa: S. 412.171 Musil, Mann ohne Eigenschaften: S. 33.172 Vgl. Lhotsky, Historiographie: S. 202f. 173 Vgl. Wiesflecker, Krones: S. 121.174 Vgl. Kernbauer, Konzeption: S. 264.175 Vgl. Lhotsky, Historiographie: S. 202.

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Bidermann, dessen erster Band seiner auf drei Bände konzipierten „Geschichte der österreichischen

Gesammt-Staats-Idee“ noch im „Schicksalsjahr“ 1867 erschienen war. Nach einem durchaus

optimistischen Grundton im ersten Band zeichnete sich in seinem verspätet erschienenen zweiten

Band eine deutlich pessimistischere Grundhaltung und Arbeitsmotivation aufgrund der veränderten

politischen Verhältnisse ab, zur Veröffentlichung des dritten Bands kam es schließlich nicht mehr.176

Die Sinnlosigkeit seines Unterfangens erklärte er mit dem geschwundenen Interesse an einem

Gegenstand, der mit dem Ungarischen Ausgleich obsolet geworden war, da „die österr.

Gesammtstaatsidee ferner als je steht“177. Ebenso wie verschiedene staatspolitische Strömungen den

Begriff „Österreich“ für den Gesamtstaat retten wollten, beabsichtigte Franz Krones diese Idee

nicht aufzugeben, sondern als historisch gewachsene Tatsache zu manifestieren. Auch wenn das

„Handbuch“ nach 1867 publiziert worden war, bedeutete es keine Realitätsverweigerung vor den

veränderten Tatsachen des Dualismus, die Krones antrieben, sondern die Überzeugung, dass

kulturelle, geographische, nationale und auch zweckorientierte Kriterien zu einer dauerhaften

Verbindung der „österreichischen“ Völker unter ein größeres „Dach“ geführt hätten. Für Franz

Krones war die österreichische Gesamtstaatsidee keine „Fiction“, wie sich auch Friedjung

ausdrückte, und war es für ihn auch nach 1867 nicht geworden. „Man hat oft die Gesammtstaatsidee

Oesterreich als bloße Fiction bezeichnet und dieses Reich ein unorganisches Gefüge, einen bloßen

Mechanismus genannt, - aber mit Unrecht.“178 Dieses in seinen Augen ungerechtfertigte Urteil, das

In- wie Ausland über die Habsburgermonarchie gefällt habe, suchte er mit seinem „Handbuch“

auszuräumen und historisch zu beweisen, dass Österreich ein moderner Nationalstaat mit einer

vielsprachigen österreichischen Nation, kein durch Heirat zufällig konstruierter Anachronismus, ein

funktionierender Organismus, kein bloßer Mechanismus sei. Es war damit eine wissenschaftliche,

großösterreichische Antwort auf die Argumente von Historikern wie beispielsweise Anton Springer,

der die Habsburgermonarchie bestehend „aus einem Konglomerate äußerlich abgestorbener

politischer Körper, welche nur noch ein mechanisches Leben in dem europäischen

Gleichgewichtssysteme entfalteten“179, erachtete. Springer sprach darüber hinaus Österreich die

Charakteristika eines Staates völlig ab und sah in der habsburgischen Politik lediglich das Agieren

einer Macht mit Beamtenschaft und Heer, nicht das eines Staates seinen Bürgerinnen und Bürger

gegenüber.180 Diesem ideologischen Gegenwind, der die Position der „großösterreichischen“

Geschichtsschreibung und der Gesamtstaatsidee seit dem Ausgleich 1867 noch mehr unter Druck

gesetzt hatte, versuchte Franz Krones zu trotzen. Krones nämlich hatte in dem Kontrast zu den 176 Vgl. Schneider, Monarchische Union: S. 32.177 Bidermann, Gesammt-Staats-Idee. Bd. 2: S. IV.178 Krones, Handbuch. Bd. 1. 1876: S. 80.179 Anton Springer, Oestreich nach der Revolution. Leipzig 1850: S. 9.180 Vgl. Ebenda.

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zeitgenössischen Umwälzungen und zum daraus resultierenden Trend der österreichischen

Geschichtsschreibung, anders als der resignierende Bidermann, erst seine Aufgabe wahrgenommen,

diese Widersprüche in der Relation der Länder zum österreichischen Gesamtstaat zu entwirren und

miteinander in Einklang zu bringen, wie Helga Tomberger überzeugend argumentiert.181 Er war „ein

politischer Historiker mit klaren politischen Vorstellungen“182, denn in seinem Gesamtwerk und

speziell in seinem „Handbuch“ sah Krones daher nicht nur eine rein wissenschaftliche Aufgabe,

sondern verfolgte damit auch staatspolitische Absichten.183 Aufschluss über die Wechselwirkung von

politischen Überzeugungen und historischer Forschungsarbeit in dieser Zeit gab Johannes Loserth.

„Man kann aber nicht gut Professor der österreichischen Geschichte sein, ohne seinen

politischen Überzeugungen, die ja den Niederschlag seiner durch langjähriges Studium

gewonnenen wissenschaftlichen Überzeugungen bilden, Ausdruck zu geben.“184

Diese beiden Säulen kombiniert, die wissenschaftliche und die staatspolitische, machen Franz

Krones mit seinem „Handbuch“ zu einem „der Mitschöpfer wissenschaftlichen österreichischen

Staatsidee“185.

4.1.1 Aufbau

Den Dreh- und Angelpunkt des Werkes bildet das Jahr 1526, in dem der spätere Kaiser Ferdinand I.

die drei Hauptländerkomplexe Österreich, Böhmen und Ungarn miteinander vereinigte und auf

diese Weise das Aussehen und Wesen des österreichischen Staates entscheidend formte. Wie auch

aus dem „Grundriß“ hervorgeht, sah Franz Krones in dem Jahr 1526 eine tiefere Bedeutung für den

österreichischen Gesamtstaat, das die österreichische Geschichte in zwei Hauptepochen teile:186 Die

gesamte Geschichte der drei Hauptländergruppen mit ihren sich gegenseitig ablösenden Dynastien

und kurzzeitigen Personalunionen in einer parallelgestalteten Darstellung bis 1526 und die

dauerhafte Vereinigung unter habsburgischem Szepter, dem eigentlichen Beginn des Gesamtstaats.

Dabei versuchte Krones den Balanceakt zu meistern, die Gesamtstaatsgeschichte mit der

Ländergeschichte in Einklang zu bringen, mit der Schwierigkeit, die Einzelbestandteile nicht zu

vernachlässigen und gleichzeitig das große Ganze zu betonen.187 Die zwei Groß-Epochen sind exakt

auf die vier Bände umgesetzt und teilen das Handbuch in zwei gleichgroße Werkshälften: Während

die ersten beiden Bände die Zeit bis 1526 abdecken, setzen die Bände drei und vier ebenda bei der

181 Vgl. Tomberger, Krones: S. 23f.182 Kernbauer, Konzeption: S. 264.183 Vgl. Wiesflecker, Krones: S.118184 Loserth, Krones: S. 11.185 Vgl. Wiesflecker, Krones: S. 118.186 Vgl. Ebenda: S. 121.187 Vgl. Wiesflecker, Krones: S. 121.

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Page 39: Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

Übernahme der Stephans- und Wenzelskrone durch Ferdinand ein und führen die weiteren

Entwicklungen bis in den Beginn der 1870er Jahre fort. Damit folgte Franz Krones weitestgehend

den Postulaten Joseph Chmels, der dem Jahr 1526 ebenfalls eine große Bedeutung beimaß. Trotz

dieser Zuteilung von je zwei Bänden zu jeder der beiden Epochen ist das „Handbuch“ in seinem

Aufbau nicht besonders ausgewogen gestaltet. Der Fokus wurde auf das Mittelalter gelegt, die

sogenannte „Frühzeit“ wurde auf Kosten der Neuzeit und „Neuesten“ Zeit ausgedehnt.188 So waren

beispielsweise die Kapitel zu Friedrich III. in ihrer Ausführlichkeit äußerst kohärent und detailreich

gestaltet und das XII. Buch mit dem Inhalt „Inneres Staatsleben vom Schlusse des 10. Jahrhunderts

bis 1526. Grundzüge der Verfassungs-, Rechts- und Culturgeschichte“ nimmt gar ein Viertel des

gesamten dritten Bandes ein.189 Diesen Mangel hatte Franz Krones selbst erkannt und noch 1879,

also noch im selben Jahr, als Band vier und fünf seines Handbuches erschienen waren, in einer

eigenen „Geschichte der Neuzeit Oesterreichs vom achtzehnten Jahrhundert bis auf die

Gegenwart“190 auszugleichen versucht.191 Die Überbetonung des Mittelalters in Krones‘

„Handbuch“ sieht Wiesflecker auf der einen Seite der zeitgenössischen Grundlagenforschung

geschuldet, auf der anderen Seite nennt er ein vornehmliches Interesse an der Bearbeitung des

Mittelalters, das dem Zeitgeist des 19. Jahrhundert entsprach, als Grund.192 Zudem war es ein

Anliegen Franz Krones‘, gerade die Zeit vor 1526 für die Genese Österreichs zu betonen, um auf

die vielen Verbindungen zwischen Österreich und den Ländern der ungarischen und böhmischen

Krone aufmerksam zu machen. Hierfür konnte Krones vermehrt sein Spezialgebiet rund um die

Epoche Kaiser Friedrichs III. einfließen lassen, das in seiner Qualität mit Sicherheit zu den

Glanzstücken des „Handbuches“ gehört. Ein weiteres, nicht unwesentliches Argument zur

Erklärung, tätigte Krones selbst in seiner Einleitung, in der er seine Absicht „wissenschaftliche

Ergebnisse und Ueberzeugungen [zu] vertreten, die nichts mit dem politischen und confessionellen

Parteihader der Gegenwart gemein haben“193, kundtat. Noch präziser definierte Krones seine Rolle

als Historiker in seinem Vierten Band:

„Der Historiker soll allerdings nicht Zukunftspolitiker sein und es vermeiden, dem

Staatsmanne ins Handwerk zu pfuschen; seines Amtes ist, mit ruhigem, unbefangenen

Blicke den wechselvollen Erscheinungen der Vergangenheit nachzuspüren und deren tiefer

liegende Gesetze zu ergründen.“194

188 Vgl. Ebenda: S. 119.189 Vgl. Krones, Handbuch. Bd. 3: S. 1-165.190 Ders., Geschichte der Neuzeit Oesterreichs vom achtzehnten Jahrhundert bis auf die Gegenwart. Berlin 1879.191 Vgl. Wiesflecker, Krones: S. 121.192 Vgl. ebenda: S. 119.193 Krones, Handbuch. Bd. 1: S. VI.194 Ebenda. Bd. 4: S. 658.

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Damit deutete er bereits an, dass gerade die innen- und außenpolitischen Entwicklungen der

franzisko-josephinischen Epoche keiner durchgehenderen Betrachtung unterzogen werden könnten,

um einem möglichen Vorwurf der Regierungskritik zu entgehen. Zugleich bestätigt diese

Auffassung die Kritik Lhotskys gewissermaßen, wonach Krones sich ohne eine sinnstiftende Idee

von der Zukunft abgekehrt habe und lediglich die Vergangenheit beschreibe.195 Auch Alfons Huber,

dessen eigenes Werk der „Geschichte Österreichs“ von den Zeitgenossen gefeiert wurde,

bemängelte an dem „Handbuch“, dass „der neuesten Zeit von 1792 bis 1870 auf ungefähr 100

Seiten nur eine knappe Uebersicht gegeben wird“196. Weiters kritisierte er den überdimensionierten

Einschub des „Historischen Bodens“ im ersten Band und prognostizierte, „daß wegen der großen

Ausdehnung der einleitenden Partien (418 S.!) die neuere Geschichte Oesterreichs, auf welche doch

das Hauptgewicht zu legen wäre, zu kurz kommen wird, da sich schon jetzt die Mißstände fühlbar

machen“197. Auch wenn Hubers Kritik in dieser Beziehung durchaus zutraf, so war sie dennoch auch

erstaunlich. Denn Huber, der zwar aufgrund seiner rein politisch-ereignisgeschichtlich

ausgerichteten Thematik die Neuere Geschichte kohärenter und stringenter behandelte, führte seine

„Geschichte Österreichs“ lediglich bis zum Jahr 1648. Damit ließ er den angesprochenen Zeitraum

von 1792-1870 im Gegensatz zu Krones völlig außen vor, was allerdings auch damit

zusammenhing, dass Huber einerseits durch seine intensive Auseinandersetzung mit Quellen

gebunden war,198 und dass er andererseits in seiner stärker deutschnational geprägten

Geschichtsauffassung mit dem Jahr 1648 eine entscheidende Zäsur betont wissen wollte. Doch auch

Huber achtete in seinem Werk auf eine ausgewogene Paralleldarstellung Österreichs, Böhmens und

Ungarns und betonte die Gemeinsamkeiten und Verbindungen.199 Am Ende des Werkes von Franz

Krones hingegen standen die innenpolitischen Entwicklungen mit dem Ungarischen Ausgleich, dem

er noch einen kurzen Ausblick in die frühen 1870er folgen ließ.

195 Vgl. Lhotsky, Historiographie: S. 200f.196 Alfons Huber (Rez.): Franz Krones, Handbuch der Geschichte Oesterreichs. 4 Bde. Berlin 1879. In: Literarisches

Centralblatt. Leipzig 1879. Sp. 540f.: Sp. 540.197 Ders. (Rez.): Franz Krones, Handbuch der Geschichte Oesterreichs. Bd. 1. Berlin 1876. In: Literarisches

Centralblatt. Leipzig 1876. Sp. 1686-1689: Sp. 1687.198 Vgl. Leo Santifaller/Eva Obermayer-Marnach (Hgg.), Huber, Alfons. In: ÖBL. Bd. 2. Lfg. 10. 1959. S. 442f.: S.

443. 199 Vgl. Erich Zöllner, Bemerkungen zu den Gesamtdarstellungen der Geschichte Österreichs. Leistungen - Aufgaben –

Probleme. In: Gerhard Pferschy (Hg.), Siedlung, Macht und Wirtschaft. Festschrift Fritz Posch zum 70. Geburtstag. Graz 1981. S. 295-311: S. 298f.

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Page 41: Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

4.1.2 Die Dynastie im Staatsgedanken

Krones bezeichnete Ferdinands Thronbesteigung der Länder der böhmischen und ungarischen

Krone 1526 als „Geburtsjahr des Oesterreichischen Gesammt- oder Großstaates“200, da ab diesem

Zeitpunkt die Länder unter einem habsburgischen Herrscher geeint wurden. Allerdings stellte dieses

Jahr im Denken Krones‘ weniger eine Zäsur im trennenden Sinne dar, da doch die Kontinuität trotz

dieses Einschnitts hervorgehoben werden sollte. Im trennenden Sinn gebraucht wurde dieses Jahr in

der „Geschichte von Böhmen“201 Frantisek Palackys, der sein Werk nicht zufällig mit 1526 und der

Machtübernahme der Habsburger in den böhmischen Ländern enden ließ. Im Gegensatz zur

tschechisch-national gefärbten „Geschichte Böhmens“ Palackys und dem später erschienenen,

deutschnational angehauchten Hauptwerk Hubers, ist 1526 im Handbuch der Endpunkt einer

Entwicklung und gleichzeitig der Beginn des Staatswesens, das alle Einzelbestandteile und

Ländergruppen, aus denen es zusammengesetzt ist, erst bedeutend gemacht hat. Allerdings verstand

Krones seine Darstellung der Geschichte Österreichs nicht als Geschichte der Habsburgerdynastie,

vielmehr zeugte es von seiner Originalität, dass er die vorherrschende dynastisch-betonte

österreichische Geschichtsschreibung überwand.202 Durch das Loslösen von dynastischen

Herrschaftslegitimationen rückte der Fokus auf andere Faktoren, die für den Zusammenschluss der

Habsburgischen Länder ausschlaggebend gewesen seien. Die engen Berührungspunkte Österreichs,

Böhmens und Ungarns datierte Franz Krones bereits auf eine Zeit vor 976, noch bevor der erste

Babenberger an die Spitze der marchia orientalis gestellt worden war.203 In gleichem Maße blickte

er über den Tellerrand hinaus und erkannte Tendenzen zur Einigung auch von Böhmen und Ungarn

ausgehend an, deren Herrscher Ottokar II. Premysl und nach ihm Matthias Corvinus Teile der drei

Hauptländerkomplexe zeitweise vereinen konnten. Nicht die Dynastie der Habsburger, sondern die

allgemeinen, inneren und äußeren Tendenzen, die für das Zusammenwachsen verantwortlich

gewesen seien, standen im Mittelpunkt. Besonders deutlich tritt dies nach der ungarischen

Niederlage bei Mohacs zutage. Krones rückte die dynastischen Aspekte und die Bedeutung

erbrechtlicher Faktoren wie der Wiener Doppelhochzeit zwischen Habsburgern und Jagiellonen in

den Hintergrund. Dynastische Abmachungen hätten nicht die Voraussetzung für die Vereinigung

gebildet, sondern umgekehrt, wären die ähnlichen Interessenslagen, kulturellen Gemeinsamkeiten

sowie geopolitische Faktoren die Ursache für das Arrangement der Herrschergeschlechter dieses

Raumes gewesen. Die Notwendigkeit und der Nutzen, den die Habsburger und Jagiellonen auch in

200 Krones, Handbuch. Bd. 1: S. 80.201 Frantisek Palacky, Geschichte von Böhmen. Größtentheils nach Urkunden und Handschriften. 5 Bde. Prag 1836-

1867.202 Vgl. Erich Zöllner, Krones: S. 294.203 Vgl. Krones, Handbuch. Bd. 1: S. 81.

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Anbetracht des äußeren Feindes erkannt und mit der Wechselheirat entsprechend Vorkehrungen

getroffen hatten, waren für Krones nach der Niederlage bei Mohacs und dem Tod Ludwigs II. die

Motivation für die Vereinigung:

„Wer aber den inneren Zustand Ungarns, den Schiffbruch dieses Staatswesens und die

tiefgehende Parteiung Böhmens ins Auge faßt, begreift leicht, daß beide Reiche im Sinne

begründeter Verträge und dynastischer Verwandtschaften den Anschluss an eine

festbegründete Macht brauchten, mit welcher sie seit Jahrhunderten in Wechselbeziehung

und 1437 bis 1457 bereits in Personalunion getreten waren. So entwickelt sich seit 1526/27

der dreigliedrige Großstaat: Deutsch-Habsburg, Böhmen, Ungarn, Oesterreich im

universellen Sinne.“204

Sogar Anton Springer, der sich in seinen Ansichten diametral zu Krones und der Gesamtstaatsidee

positionierte und den dynastischen Gedanken des habsburgischen Monarchien als einzig

nennenswerte Klammer für das Zusammenbleiben der Völker betrachtete, billigte diesem Topos der

Notwendigkeit für das Zusammenwachsen eine gewisse Gültigkeit zu, wenngleich dieser Umstand

nichts an Springers Auffassung eines künstlichen Mechanismus änderte.205 Die Verträge zwischen

Jagiellonen und Habsburgern waren dagegen bei Krones vielmehr die vorbereitenden Maßnahmen,

um die drei Länderkomplexe, die ohnehin der Zeit vom deutsch-römischen König Albrecht II. und

nominell unter dessen Sohn Ladislaus Postumus von 1437 bis 1457 vereint waren, wieder zu einem

Ganzen zu verbinden. Der Aufstieg des Erzherzogtums Österreich besonders seit Friedrich III. und

Maximilian I. einerseits und die inneren Zwistigkeiten in Böhmen und Ungarn andererseits legten

den Grundstein für das Zusammengehen laut Krones. Für Franz Krones wurde Österreich in diesen

Jahren zu der konsolidierten und stabilsten Macht der Länderkomplexe, was die Bedingung dafür

gewesen sei, dass Böhmen und Ungarn sich an Österreich als die „festbegründete Macht“

anschlossen. Den Aufstieg zur Großmacht und den Erfolg dieses gewachsenen Staatsgebildes sah

Krones in einem Prozess des Zusammenwachsens begründet, wodurch aus einer bloßen

Personalunion endgültig ein staatlicher Organismus seit Maximilian I. geformt worden sei:

„So kommt es, daß der dynastische Verband aller dieser österreichischen Länder durch einen

Interessensverband, ein Organismus wird, in welchem der Herrscherwille und das ihm

gegenüberstehende Bestreben der Ständeverwaltung, ihre Wünsche und Beschwerden

gemeinsam und desto kräftiger geltend zu machen, die einigenden und bewegenden Kräfte

abgeben.“206

204 Vgl. Ebenda. Bd. 2: S. 657.205 Vgl. Springer, Oestreich: S. 10f.206 Krones, Handbuch. Bd. 2: S. 586.

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Nicht das spöttische „Tu felix Austria nube“ von Matthias Corvinus oder ein scheinbar zufällig in

den habsburgischen Schoß gefallenes Weltreich wollte Franz Krones hervorheben, sondern ein

freiwilliges und rationales Zusammenwachsen von kulturell und ethnisch eng verwandten Völkern,

die erfolgreich aus den einzelnen Ländern von lediglich regionaler Bedeutung eine Großmacht

geformt hätten. Vor allem im Verbleiben der Länder im Gesamtstaat, trotz der Bewältigung der

Krisen, schrieb Franz Krones diesem Modell den besonderen Erfolg zu, dessen Nutzen er auch in

seiner eigenen Zeit keineswegs erloschen sah. Doch erkannte Franz Krones sehr wohl die

Schwierigkeiten, welche der Nationalismus für einen multiethnischen Staat wie Österreich mit sich

brachte, und gestand in diesem Zusammenhang auch ein, dass es primär die Dynastie war, die sich

einheitsstiftend über alle Kronländer und Nationalitäten der Monarchie legte. Als Ursachen für den

Ausbruch der Revolution 1848/1849 nannte er folgende drei Gründe:

„Sie [die Revolution] haftet in drei Grundursachen: in der gemeineuropäischen Reaction des

Liberalismus gegen die Zwangsformen des absolutistischen Staates, in der Nationalitätsidee,

verhängnisvoll für einen Staat, der wie Oesterreich seine Einheit nicht in der nationalen,

sondern in der Dynastie besitzt und besitzen muß […], und endlich in dem autonomistischen

Streben der Provinzialstände Oesterreichs und Ungarns.“207

Auch wenn Krones, wie an den vorangegangenen Passagen ersichtlich wird, einen Staatsgedanken

propagierte, der über die Dynastie der Habsburger hinausging, so kam auch er dabei nicht völlig

ohne diese Dynastie aus. Im Gegenteil, die Dynastie nahm eine so bedeutende Stellung in seinem

Denken ein, dass er nur sie dem Nationalismus argumentativ entgegensetzen konnte.

4.1.3 Das Verhältnis zu Deutschland

Es war dies eines der Hauptprobleme Franz Krones‘, zeitgenössischen Strömungen wie dem

Nationalismus ein überzeugendes Gegengewicht gegenüberzustellen. Insbesondere die

deutschnationalen Strömungen innerhalb Österreichs, deren radikalere Kreise sich für einen

Anschluss der deutschsprachigen Gebiete an Deutschland aussprachen und vor allem seit der

Gründung des Deutschen Kaiserreiches regen Zulauf verzeichneten, stellten Krones in seinem Werk

vor eine Herausforderung. Denn Krones, der in vielen seiner Werke gerade auf die

deutschsprachigen Bürger einen genaueren Blick warf und ihnen auch im „Handbuch“ einen

besonderen Platz einräumte, hegte ein gewisses „Gefühl der Verbundenheit mit der

gesamtdeutschen Kultur“, das ihm „eine lebendige historisch-politische Tatsache“208 blieb, wie es

Hermann Wiesflecker ausdrückt. Im „Handbuch“ betonte Krones den deutschen Ursprung und die 207 Ebenda. Bd. 4: S. 633.208 Wiesflecker, Krones: S. 127.

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Bedeutung des deutschen Elements für die Entwicklung des Österreichischen Kaisertums und

sprach dezidiert vom „Lebensnerv“ des Reichs, dem „in und aus Deutsch-Oesterreich historisch

entwickelten Staatsgedanken“209. Dennoch attestiert Wiesflecker Franz Krones ein noch stärkeres

großösterreichisches Bewusstsein, das dieses Zugehörigkeitsgefühl zur deutschen Nationalität

überflügelt habe.210 Im Einklang mit dieser Verpflichtung dem Habsburgerstaat gegenüber bedachte

Krones die Frage, ob Österreich ein deutscher Staat sei, mit einer klaren Antwort:

„Ist Österreich ein Deutscher Staat? Das verneint ihrerseits mit Fug und Recht die gewaltige

Masse der Nichtdeutschen in demselben, dagegen spricht die Thatsache des verschieden

politisch und literarisch immer schärfer ausgeprägten Volksthums; an der einseitigen

Bejahung dieser Frage scheiterte die Friedensarbeit der Lehrjahre 1848-1849.“211

Krones betrachtete den österreichischen Staat im Gesamten, wonach er die Frage nach der

Zugehörigkeit Österreichs zu Deutschland nüchtern verneinen konnte, indem er schlichtweg die

Mehrzahl der nicht-deutschsprachigen Bevölkerung der Habsburgermonarchie als Argument ins

Feld führte. Nach Krones‘ Auffassung entwickelte sich Österreich in seinem Sonderweg aus dem

Deutschen Reich heraus und bildete dadurch eine eigne Nation aus. Den aufkeimenden

Forderungen nach einer sogenannten „Großdeutschen Lösung“ mit der Vereinigung aller

deutschsprachigen Gebiete des ehemaligen Heiligen Römischen Reiches inklusive Österreichs,

welche Teile der deutschnationalen Strömungen im 19. Jahrhundert vermehrt aufgeworfen hatten,

hielt Franz Krones die Loyalität der deutschsprachigen Gebiete Österreichs entgegen. Diese

Loyalität empfand er nicht primär der kaiserlichen Herrscherdynastie gegenüber, sondern mehr dem

österreichischen Staatswesen und der Zugehörigkeit zu demselben, welche das Durchsetzen der

Großdeutschen Lösung von vornherein unmöglich machen würde. Zum Verhältnis zu Deutschland

nach der Gründung des Deutschen Kaiserreiches vermerkte Krones:

„Noch ist nicht Preußen in Deutschland, Deutschland nicht in Preußen aufgegangen, noch

besteht die von der Natur und Geschichte abgesteckte Grenze ebenso wie der Gegensatz

nord- und süd-deutschen Volksgeistes und den Zerfall Oesterreich (…) erzwingen zu wollen,

um Deutschland abzurunden, wäre ein gewagtes Spiel, das auf Deutsch-Oesterreichs

Sympathien unmöglich rechnen könnte. Denn mit unendlicher und berechtigter Zähigkeit

hängen die Völker an einem Jahrhunderte alten Staatswesen und an der Stellung, welche sie

in ihm einnehmen (…) .“212

Unter dem Eingeständnis einer gewissen Gefahr für Österreich in ideologischer wie militärischer

209 Krones, Handbuch. Bd. 4: S. 658.210 Vgl. Wiesflecker, Krones: S. 127.211 Krones, Handbuch. Bd. 4: S. 657f.212 Ebenda. Bd. 1: S. 129.

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Hinsicht und dem Reiz, den die Idee einer Vereinigung mit dem neugegründeten Deutschen Reich

auf deutschnationale Kreise im Deutschen Kaiserreich wie in Österreich ausgeübte, sah Krones die

integrativen und identitätsstiftenden Kräfte der Habsburgermonarchie als stark genug an. Lediglich

der „alpenländische“ Teil des österreichischen Gesamtstaats sei nach dieser Auffassung ein genuin

deutscher Staat gewesen, der allerdings in einem größeren, neuen Staatsgebilde aufgegangen sei.

Nach 1866 und vor allem 1871 gewann auch die groß-deutsche Bewegung in Österreich rund um

Heinrich Friedjung, Viktor Adler und Georg von Schönerer, bei letzterem mit dem erklärten Ziel der

Vereinigung der deutschsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie mit Deutschland, an

Bedeutung.213 Für Krones hatte die großösterreichische Staatsauffassung oberste Priorität, da für ihn

derartige großdeutsche Gedankenspiele mit der Existenz des österreichischen Staats unvereinbar

waren. Daher spielten in seinem „Handbuch“ die Jahreszahlen 1648, 1806 oder auch 1866 weniger

gewichtige Rollen, als dies beispielsweise bei Friedjung oder bei Huber der Fall war. Die

Habsburger als supranationale Herrscherdynastie, die neutral über allen ihren Völkern

gleichermaßen standen, etikettierte Krones zwar hie und da als genuin deutsches

Herrschergeschlecht, wie beispielsweise Kaiser Franz II./I. als „durch und durch

Deutschösterreicher“214, jedoch beurteilte er ihre Politik nicht als primäre Vertretung der deutschen

Interessen. Den Habsburgern vorgeworfene Germanisierungs-Tendenzen entkräftete er mit

Argumenten, wonach diese stets im Zeichen vereinheitlichender und pragmatischer Absichten wie

im Fall Joseph II. gehandelt hätten.215 Krones sah die Politik seit Joseph II. im Zeichen der

„Neutralisierung der nationalen Bestrebungen, aber nicht die Germanisierung von Grund aus“216. An

dieser Stelle bezog sich Krones‘ Argumentation auf die Einführung von Deutsch als

Verwaltungssprache in Ungarn in der Regierungszeit Josephs II., was in vielen Geschichtswerken

des 19. Jahrhunderts als Germanisierungs-Absicht gedeutet wurde. Diese Deutung ist allerdings

aufgrund der Tatsache unhaltbar, da das Deutsche lediglich das vorherrschende Lateinische, das in

Ungarn bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts als offizielle Amtssprache in Verwendung gewesen

war, für Verwaltungszwecke hätte ablösen sollen.217 Es handelte sich darum weder um

deutschnationale Absichten oder Germanisierungstendenzen, sondern es ging dem in vielerlei

Hinsicht sehr pragmatisch veranlagten Joseph II. um mehr Effizienz in der Verwaltung, wie Pieter

Judson betont.218 Es war daher nicht Josephs II. erklärte Absicht, die Bevölkerung zu

213 Vgl. Alan Sked, The Decline and Fall of the Habsburg Empire 1815-1918. London/New York 1990: S. 226.214 Krones, Handbuch. Bd. 4: S. 618.215 Vgl. Ebenda: S. 635.216 Ebenda.217 Vgl. Karl Vocelka, Glanz und Untergang der Höfischen Welt. Repräsentation, Reform und Reaktion im

Habsburgischen Vielvölkerstaat (= Österreichische Geschichte 1699-1815). Wien 2001: S. 386.218 Vgl. Judson, Habsburg: S. 111.

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homogenisieren und die „kleineren“ Landessprachen Ungarns (denen das Ungarische angehörte)

auszulöschen, da er im Gegenteil das Lehren dieser Sprachen im Unterricht sogar befürwortete.219

Es ging lediglich um eine einheitliche Verwaltungs- und Handelssprache, wofür sich das Deutsche

aufgrund seiner Verbreitung vor allem in den ungarischen Städten sowie aufgrund seines Status als

anerkannte „Kultursprache“ am besten eignete.220 Zu dieser Zeit hatten in den Ländern der

ungarischen und der böhmischen Krone weder ethnische noch sprachliche Aspekte bei der

Bedeutung des Nations-Begriff eine Rolle gespielt,221 wie dies seit Mitte des 19. Jahrhunderts

zunehmend der Fall war. Die Ablehnung der führenden ungarischen Adelskreise gegenüber der

Josephinischen Sprachenreform war daher gegen weitere österreichische

Zentralisierungsmaßnahmen gerichtet, welche den Einfluss des besitzenden Adels zurückgedrängt

hätten. Neben der Haltung Österreichs zu Deutschland war nämlich auch das Verhältnis zu Ungarn

ein Thema intensiver Auseinandersetzung zwischen Historikern, Juristen und Politikern, das für

reichlich Gesprächsstoff sorgte.

4.1.4 Das Verhältnis zu Ungarn

Krones‘ Geschichtsauffassung im Interesse der Gesamtstaatsidee kollidierte mit sämtlichen

Strömungen, die der Einheit und Integrität des Staates zuwiderliefen. Neben dem

Deutschnationalismus stand Krones daher auch dem Magyarismus und dem Ungarischen Ausgleich

skeptisch gegenüber.222 Die erfolglosen Versuche der Politik der 1850er, einen einheitlichen

Gesamtstaat durchzusetzen, beurteilte er als kritisch für die weiteren Entwicklungen, die

letztendlich zum Österreichisch-Ungarischen Dualismus geführt hätten.

„Aber der Augenblick, der es noch ermöglicht hätte, ganz Oesterreich in Einer constitutionellen

Reichsvertretung zu einigen, kam nicht wieder, denn was später geboten wurde, erschien als eine

durch die Umstände erzwungene, ungenügende Gabe.“223

Die Zeit der 1850er schätzte Franz Krones freilich nicht nur aufgrund der zentralisierenden und

reformerischen Tendenzen des Neoabsolutismus in diesem Maße, wie seine gewogene Haltung zu

den liberalen und konstitutionellen Entwicklungen seit Goluchowski und Schmerling beweisen,224

doch lag seine Betonung auf der Einheit, die durch ein kraftvolles Vorgehen der Regierung hätte

durchgesetzt werden können. Er sah in dieser Ära und der Anspielung auf die Bach'schen

219 Vgl. Derek Beales, Joseph II. Vol. II. Against the World 1780-1790. Cambridge 2009: S. 368.220 Vgl. Ebenda: S. 369221 Vgl. Lieven, Empire: S. 171.222 Vgl. Wiesflecker, Krones: S. 127.223 Krones, Handbuch. Bd. 4: S. 650.224 Vgl. Ebenda: S. 651.

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Verwaltungsreformen nicht geglückte Vereinheitlichungsversuche, die den österreichischen Staat

und seine Völker, vertreten in einem zentralen Gremium, möglicherweise vor der De-Facto-Teilung

hätten retten können. Die Reformen des Innenministers Alexander von Bach zielten darauf ab, den

österreichischen Zentralstaat zu stärken, was in erster Linie in Ungarn auf breite Ablehnung

gestoßen war.225 Trotz der Rücknahme der Pillersdorf'schen Verfassung und der Aprilgesetze sowie

der Außerkraftsetzung der Okroyierten Märzverfassung blieben mit der Einführung des

Silvesterpatents durch Kaiser Franz Joseph wesentliche Programmpunkte und Errungenschaften der

Revolutionäre im wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und rechtlichen Bereich bestehen.226 Diese

Tatsache täuscht jedoch nicht über die absolutistische Herrschaftsauffassung der frühen

Regierungsjahre Franz Josephs und seiner anfänglichen Zurückweisung einer parlamentarischen

Partizipation an den politischen Prozessen hinweg, ebenso wenig wie über die radikalsten

Zentralisierungsmaßnahmen seit Joseph II.227 Allerdings waren die Bach'schen

Verwaltungsreformen nicht aus rein politisch-ideologischen Gründen zur reinen Stärkung des

Zentralismus erdacht, auch wenn diese Aspekte zweifellos Gewicht hatten. Sie sollten daneben auch

zum Fortschritt und der Modernisierung der rückständigen ungarischen Verwaltung und des

Wirtschaftsraumes ihren Beitrag leisten, allerdings hatten sie als Provisorium lediglich zehn Jahre

Bestand.228 Bach selbst bezifferte die Zeit, die für das Fruchten seiner Reformen nötig gewesen

wäre, auf fünfundzwanzig Jahre, mit deren Ablauf ein gestärkter Zentralstaat entstanden und damit

den ungarischen Autonomie- bzw. Unabhängigkeitsbestrebungen Einhalt geboten worden wäre.229

Die Schaffung eines Gesamtstaats und das Vorantreiben der Zentralisierungsmaßnahmen scheiterte

allerdings aufgrund der allzu ehrgeizigen außenpolitischen Ambitionen der Habsburgermonarchie

angesichts der zerrütteten Finanzlage und den militärischen Niederlagen.230 Die späteren

Verfassungen und Reformen des Oktoberdiploms und des Februarpatents erachtete Krones als den

Umständen entsprechende Kompromisslösungen, die weder weitreichend noch durchschlagend

genug gewesen seien, um die Idee des Gesamtstaats zu verteidigen. Die von Krones postulierte

„Eine Reichsvertretung“ war durch die Diskrepanz zwischen Reichsrat und „engerem“ Reichsrat

am ungarischen, kroatischen und rumänischen Boykott gescheitert.231 Helmut Rumpler urteilt

hierzu, dass „aus dem Projekt Schmerlings […] etwas Großes [hätte] werden können, wenn Kaiser

Franz Joseph nicht schon ganz andere Ziele verfolgt hätte und wenn sich die österreichischen

225 Vgl. Rumpler, Chance für Mitteleuropa: S. 329f.226 Vgl. Judson, Habsburg: S. 282.227 Vgl. Ebenda.228 Vgl. Rumpler, Chance für Mitteleuropa: S. 330.229 Vgl. Robert John Evans, Austria, Hungary and the Habsburgs. Essays on Central Europe 1683-1867. Oxford 2010:

S. 282.230 Vgl. Judson, Habsburg: S. 320231 Vgl. Rumpler, Chance für Mitteleuropa: S. 377.

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Page 48: Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

Nationalitäten nicht einem gesamtösterreichischen Parlament verweigert hätten“232. Krones sah im

Oktoberdiplom und Februarpatent zwar nicht die Ursache für den Österreichisch-Ungarischen

Dualismus, aber gescheiterte Versuche, dieser Entwicklung etwas entgegenzusetzen. Den Ausgleich

mit Ungarn, als Endpunkt dieser Entwicklung, bewertete er dementsprechend als ein Extrem:

„'Oesterreich-Ungarn' ist der Titel des neuen, vom vormärzlichen wesentlich verschiedenen

Dualismus, wir müssen in ihm ebenso wie in der Neugestaltung Deutschlands eine

vollzogene Thatsache anerkennen, richtiger noch für uns darin ein Auskunftsmittel von

bedingtem Werthe gewahren.“233

Auch wenn Krones dem neuen, um „Ungarn“ ergänzten Namen seiner Heimat in diesen Zeilen

offenbar nur wenig Anerkennung entgegenbringen konnte und ihn lediglich einen „Titel“ nannte, so

ist es umso interessanter, dass er den noch wenige Jahre zurückliegenden Ausgleich mit Ungarn

angesichts der sich stetig ablösenden Verfassungsreformen als vollendete Tatsache anerkannte.

Loserth gab darüber in seinem Nachruf zu Franz Krones Auskunft, dass sich letzterer „mit dem

[Österreichisch-Ungarischen] Dualismus vollständig abgefunden“234 habe. Dieses Arrangement mit

dem Dualismus findet sich auch in der Mehrzahl der Mittelschullehrbücher wieder, wie aus den

Analysen dieser Arbeit hervorging. Kritik an politischen Entwicklungen, die seinen Überzeugungen

zuwiderliefen, übte Krones lediglich zwischen den Zeilen. Im Weiteren nannte er den

Österreichisch-Ungarischen Dualismus unmissverständlich „die äußerste Grenze der

Zugeständnisse, welcher die Gesammtstaatsidee sich nähern darf; hinter ihr läge das Chaos“235.

Aufgrund der vielen unterschiedlichen politischen, ethnisch-nationalen und auch zum Teil

konfessionellen Interessen sah sich die österreichische Regierung zu zahlreichen

Kompromisslösungen gezwungen, die sich in den wechselhaften und oft konträren Reformen und

Verfassungen niedergeschlagen haben. Durch die Korrelation der innen- und außenpolitischen

Krisen, welche Österreich geschwächt hatten, sei es zu diesen Zugeständnissen an Ungarn

gekommen, die Krones als zu weitgehend und grenzwertig einstufte. Die Zugeständnisse lagen

seiner Meinung nach zwar immer noch innerhalb des Rahmens, doch tritt sein Missfallen über den

Ausgleich und die Betonung auf ein Extrem deutlich zutage. Denn in der weiteren Entwicklung,

deren Eintreten Krones zwar im Konjunktiv formulierte, aber dennoch in die Zukunft blicken ließ,

identifizierte er das Auseinanderdriften nicht nur der beiden Reichshälften, sondern des gesamten

Reiches.

232 Ebenda: S. 379.233 Vgl. Krones, Handbuch. Bd. 4: S. 658.234 Loserth, Krones: S. S. 11.235 Krones, Handbuch. Bd. 4: S. 658..

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Page 49: Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

„Denn mit der inneren Zersetzung der Nähr- und Wehrkräfte des Reiches und des

Staatsbewußtseins träfe die äußere Gefahr einer unbegrenzten Entgliederung Oesterreichs

durch die panslawistische Politik Rußlands und die italienische Einheitsidee zusammen.“236

Durch den Ausgleich befürchtete Krones, dass die innenpolitische Schwäche der

Habsburgermonarchie von äußeren Feinden ausgenützt werden würde, die das dadurch

entstandenen Machtvakuum zu füllen begehrten. Die zahlreichen, sich ablösenden und teilweise

widersprechenden Verfassungen bis zur Wende im Ungarischen Ausgleich, der auch von

zahlreichen Zeitgenossen als plötzlich, unnötig und den Einheitsstaat gefährdend empfunden wurde,

verdeutlichten das Bemühen der Politik um eine Lösung dieses innenpolitischen Problems. Gerade

für die deutschsprachige Bevölkerung der Habsburgermonarchie war die Periode von 1866-1871

mit mehreren Erschütterungen des Selbstbewusstseins verbunden.237 Angefangen bei der Schlacht

bei Königgrätz und der Exklusion aus dem Deutschen Bund, dem Ungarischen Ausgleich und der

von vielen Zeitgenossen empfundenen „Halbierung Österreichs“ sowie der Gründung des

Deutschen Kaiserreichs. Heinrich Friedjung haderte mit dem Ausgleich und sah die

gesamtstaatlichen Interessen Österreichs betrogen und nachhaltig beschädigt, die Entfremdung und

Eigenstaatlichkeit Ungarns bereits vollzogen:238 „Jenseits der Leitha liegt für uns das Ausland.“239 In

der Tat waren die Auffassungsunterschiede zwischen Österreich und Ungarn so groß, dass es bereits

als Erfolg für erstere verbucht wurde, wenn Ungarn, das seinen Standpunkt von zwei Staaten mit

einem Oberhaupt zu zementieren beabsichtigte, „Cisleithanien“ offiziell nicht als Ausland

bezeichnete.240 Trotz der Auffassungsunterschiede und dem vehementen Beharren Ungarns auf den

Standpunkt von zwei (verbündeten) Staaten mit teilweise gemeinsamen Organen und Ministerien,

hatten allerdings weitere Unabhängigkeitsbewegungen in Ungarn nur einen sehr begrenzten

Spielraum, da Politiker wie Andrassy und Tisza erkannt hatten, dass die Wahrung des

Großmachtstatus und die Durchsetzung der Interessen, insbesondere auf dem Balkan gegenüber

Russland, an die Union mit Österreich gebunden waren.241 Der österreichisch-ungarische Handels-

und nachmalige Finanzminister während des Ersten Weltkriegs, Alexander Spitzmüller-

Harmersbach kritisierte retrospektiv den Dualismus als „nicht nur den österreichischen, sondern

ganz besonders denen des Gesamtstaates abträglich“242. Auch der Titel dieses in der

236 Ebenda.237 Vgl. Lieven, Empire: S. 179f.238 Vgl. Friedjung, Ausgleich: S. 16f.239 Ebenda: S. 18.240 Vgl. Ernst C. Helbling, Das österreichische Gesetz vom Jahr 1867 über die gemeinsamen Angelegenheiten der

Monarchie. In: Peter Berger (Hg.), Der österreichisch-ungarische Ausgleich von 1867. Vorgeschichte und Wirkungen. Wien/München 1967. S. 64-89: S. 75.

241 Vgl. Rumpler, Chance für Mitteleuropa: S. 518ff.242 Alexander Spitzmüller-Harmersbach, Der letzte österreichisch-ungarische Ausgleich und der Zusammenbruch der

Monarchie. Sachliches und Persönliches. Berlin 1929: S. 5.

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Page 50: Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

Zwischenkriegszeit entstandenen Werkes suggerierte einen direkten Zusammenhang zwischen dem

Ausgleich mit Ungarn und dem Zusammenbruch des Habsburgerreiches. Namhafter Gegner des

Ungarischen Ausgleichs war ebenso Helfert. Nicht nur stieß er sich an der Terminologie

„Österreich-Ungarn“ und forderte, diese wieder durch die Bezeichnung „Österreich“ zur

Hervorhebung des Gesamtstaats zu ersetzen, sondern er befürchtete auch die Wiederholung der

Situation von 1849 und monarchiegefährdende Unabhängigkeitsbewegung Ungarns.243 Nicht zuletzt

lehnte auch der vormalige Minister für Cultus und Unterricht Leo Graf von Thun-Hohenstein den

Ausgleich aus gesamtstaatlichen Erwägungen ab, wie aus seinem Boykott des Reichsrats sowie aus

Inhalt und Titel seiner herausgegeben Rede „Die Staatsrechtliche Zweispaltung Oesterreichs“244

hervorgeht, zudem vermied er Zeit seines Lebens die offizielle und vom Kaiser verwendete

Bezeichnung „Österreich-Ungarn“.245 Trotz dieser ausgewählten Beispiele der zahlreichen

zeitgenössischen und retrospektiven Gegenstimmen gegen den Ausgleich, die in dem föderalistisch

gesinnten und auf einen Ausgleich mit allen Völkern der Monarchie ausgerichteten Regierungschef

Martin Belcredi ihren einflussreichsten Wortführer fanden,246 setzte sich Beust letztendlich durch.

Um die Habsburgermonarchie zu konsolidieren und den deutschsprachigen Einfluss zumindest in

der westlichen Reichshälfte dauerhaft zu stärken, schloss Beust den Kompromiss mit Ungarn,

wodurch die Deutschen und Ungarn in ihren aufgeteilten Sphären die tonangebenden Volksgruppen

werden sollten.247 Hierzu sei allerdings noch einmal auf die Worte Istvan Deaks verwiesen, wonach

keine dominanten Nationen als vielmehr dominante Klassen im Habsburgerreich existierten.248 Alles

in allem spielte die Zustimmung der deutschsprachigen Österreicher die entscheidende Rolle, um

den Ausgleich in „Cisleithanien“ durchzusetzen.249 Lothar Höbelt bezeichnet die „Deutschböhmen“

gar als „Zünglein an der Waage“ um die Dezemberverfassung zu manifestieren.250 Vor dem

Preußisch-Französischen Krieg und der Gründung des Deutschen Kaiserreichs hatte Beust in der

Hoffnung, den österreichischen Einfluss über den süddeutschen Staatenbund aufrecht erhalten zu

können, die Verhandlungen mit Ungarn zu einem schnellen Abschluss führen wollen und auf diese

Weise Zugeständnisse gegeben, die nachmals große Bedeutung für die ungarische Auslegung des

Ausgleichs und das ungarische Staatsbewusstsein haben sollten.251 Die dargebotene Eile, mit der die

243 Vgl. Franz Pisecky, Josef Alexander Frh. v. Helfert als Politiker und Historiker. Diss. Wien 1949: S. 119.244 Leopold Graf von Thun-Hohenstein, Die Staatsrechtliche Zweispaltung Oesterreichs. Rede, gehalten im Herrenhaus

den 5. Juni 1867. Wien 1867.245 Vgl. Salomon Frankfurter, Thun-Hohenstein, Leo Graf von. In: Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. 38. 1894. S.

178-212: S. 206f.246 Vgl. Karl Otmar Freiherr von Aretin, Belcredi, Richard Graf von. In: Neue Deutsche Biographie. Bd. 2. 1955. S. 26-

28: S. 27.247 Vgl. Rumpler, Chance für Mitteleuropa: S. 410. 248 Vgl. Deak, Comments: S. 303.249 Vgl. Rumpler, Chance für Mitteleuropa: S. 410.250 Vgl. Höbelt, Franz Joseph I.: S. 64.251 Vgl. Hantsch, 1866: S. 56.

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Page 51: Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

Regierung zu einem schnellen Abschluss in Form des Ausgleichs mit Ungarn kommen wollte, sieht

auch Gerald Stourzh in der Notwendigkeit einer schnellen inneren Konsolidierung begründet, „um

in der Anfang 1867 von Beust vertretenen „Revanchepolitik“ gegen Preußen gestärkt agieren zu

können“252. Hugo Hantsch bezeichnet den in dieser Eile zustande gekommenen Ausgleich als „halbe

Lösung“:

„Er halbierte die nach außen hin einheitliche Monarchie in zwei Staaten unter eigenen

Regierungen, aber unter einem einzigen Staatsoberhaupt, das nun mehr denn je der

wichtigste Faktor der Einheit und der staatlichen Außenpolitik, also der Großmachtstellung

der Monarchie, blieb.“253

Franz Krones unternahm nicht den Versuch, dem neuen Staatsgebilde Österreich-Ungarns eine

zukunftsweisende Idee einzuflößen, wie es auch Lhotsky bemängelt, oder aber konträr zu ersterem

eine Alternativ-Lösung zum Dualismus zu geben. Stattdessen fand sich Krones trotz seiner

durchschimmernden Skepsis und einer gewissen ablehnenden Haltung mit dem Geschehenen

schlichtweg ab. Dies lag vor allen Dingen aber auch daran, dass Krones, anders als beispielsweise

der deutschnational gesinnte Friedjung, der aus politischen Gründen aus dem Lehrdienst entlassen

worden war,254 gar nicht beabsichtigte, zeithistorische Politik zu kritisieren. Er vertrat im

„Handbuch“ trotz seiner gesamtstaatlichen Ausrichtung österreichische und nun eben

österreichisch-ungarische Staatsauffassungen, die als solche übernommen wurden, wenn auch nicht

völlig kritiklos. Ebendiese Haltung spielte auch bei der Mehrheit der betrachteten

Mittelschullehrbücher eine tragende Rolle.

5 Die Bildungsreformen des Unterrichtsministers Leo Thun

In die neoabsolutistische Zeit des Österreichischen Kaiserstaats, die für die Entwicklung des

Gesamtstaats auf mehreren Ebenen eine bedeutende Rolle spielte, fiel auch die Ära des Ministers

für Cultus und Unterricht Leo Graf Thun von Hohenstein. Dieses Jahrzehnt, das in vielerlei

Hinsicht zur Modernisierung des Staates beigetragen hat, ist neben den angesprochenen

Verwaltungsreformen Innenminister Alexander von Bachs vor allem durch die nachhaltigen und

tiefgreifenden Reformen Thuns im gesamten Bildungssektor geprägt. Diese standen nicht im

Widerspruch zu den liberalen Forderungen und Errungenschaften der Revolution von 1848/1849,

sondern teilweise im Einklang damit, da Thun zahlreichen Ideen der Revolution Rechnung trug und

sie erfolgreich gerade wegen seines eigenen konservativen Rufs vor der Rücknahme durch

252 Stourzh, Dualistische Reichsstruktur: S. 106.253 Hantsch, 1866: S. 64.254 Vgl. Robert Kann, Friedjung, Heinrich. In: Neue Deutsche Biographie. Bd. 5. 1961. S. 451f.: S. 451.

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reaktionäre Kräfte bewahrte.255 Thuns Bildungsreformen im österreichischen Neoabsolutismus der

1850er hatten wesentlichen Anteil am Aufstieg der Wissenschaften und der Modernisierung des

Habsburgerreichs.256 Mit der Einführung des provisorischen Organisationsentwurfs 1849, der von

den liberalen Geistern Franz Serafin Exner und Hermann Bonitz unter Thuns Amtsvorgänger

Sommaruga erarbeitet worden war, begann die Reorganisation des österreichischen Schulwesens.257

Auch der maßgebliche Einfluss von Helferts Vorgänger im Amt des Unterstaatssekretärs, Ernst

Freiherr von Feuchtersleben, muss in diesem Zusammenhang erwähnt werden, er zog sich

allerdings ein Jahr vor seinem Tod 1849 enttäuscht wieder aus der Politik zurück.258 Die Bedeutung

Leo Thuns kommt demnach eher der Durchsetzung als der Ausarbeitung des

Unterrichtsprovisoriums zu.259 Der österreichische Historiker Walter Höflechner beschreibt „das mit

Thuns Namen bezeichnete Reformwerk als ein Unternehmen, durch das im Wesentlichen von

kompetenten, reformbegierigen und lange darauf vorbereiteten Wissenschaftlern und Intellektuellen

des österreichischen Vormärz stammende Inhalte durch einen böhmischen Aristokraten als

Exponent einer zentralen Regierung abgesichert wurden“260.

Dennoch verweist Höflechner auch auf die Rolle, die Thun persönlich bei der Durchsetzung der

Reformen zugekommen sei: Denn der Unterrichtsminister hielt auch nach dem Rückzug

Feuchterslebens 1848 und dem Tod Exners 1853 weiterhin an den Reformen fest und war nach wie

vor von deren Richtigkeit überzeugt.261 So war es nicht zuletzt dem aktiven Engagement Leo Thuns

zu verdanken, dass der sogenannte „Modifikationsentwurf“ von 1857, der restaurative Tendenzen

aufwies, abgelehnt und fallengelassen wurde.262

Zur Rolle und Bedeutung des Unterrichtsministers Leo Thun gab und gibt es bereits seit seiner

zeitgenössischen Beurteilung einander konträr gegenüberstehende Meinungen. Gemäß der

Unterteilung Feichtingers und Fillafers lassen sich die Hauptpositionen im Wesentlichen in die

apologetische Perspektive, die meist in der Tradition der wohlwollenden Monographie Salomon

Frankfurters begründet liegt, und die kritische Perspektive, die in der Regel den Ausführungen

Eduard Herbsts, Gustav Strakosch-Graßmanns, Paul Molischs sowie in jüngerer Zeit auch Hans

255 Vgl. Christof Aichner/Brigitte Mazohl/Tanja Kraler, Aspekte der Thun-Hohensteinschen Bildungsreform – ein „Werksbericht“. In: Harm-Hinrich Brandt (Hg.), Der österreichische Neoabsolutismus als Verfassungs- und Verwaltungsproblem. Diskussionen über einen strittigen Epochenbegriff. Wien 2014. S. 195-220: S. 196f.

256 Vgl. Ebenda: S. 197.257 Vgl. Lentze, Universitätsreform: S. 34.258 Vgl. Leo Santifaller/Eva Obermayer-Marnach (Hgg.), Feuchtersleben, Ernst Frh. von. In: ÖBL. Bd. 1. Lfg. 4. 1956.

S. 306f.: S. 306.259 Vgl. Tanja Kraler, Thun und Hohenstein, Leo (Leopold) Gf. von. In: ÖBL. Bd. 14. Lfg. 65. 2004. S. 326f: S. 327.260 Walter Höflechner, Die Thun'schen Reformen im Kontext der Wissenschaftsentwicklung in Österreich. In: Christof

Aichner/Brigitte Mazohl (Hgg.), Die Thun-Hohenstein'schen Universitätsreformen 1849-1860. Konzeption – Umsetzung – Nachwirkungen. Wien/Köln/Weimar 2017. S. 28-52: S. 39.

261 Vgl. Ebenda.262 Vgl. Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Bd. 4: S. 150f.

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Lentzes folgt, kategorisieren.263 Während erstere die Lehr- und Lernfreiheit und Autonomie der

Universitäten, das Durchsetzen und Erhalten der nachhaltigen Reformen und eine

wissenschaftsorientierte Berufungspolitik Thuns lobend hervorheben, stellen letztere die

Beteiligung und den Verdienst Thuns an den Reformen in Abrede und kritisieren seine

Berufungspolitik.264 Welche Bedeutung nun auch immer der Rolle von Thun persönlich

beigemessen werden mag, bei der Durchsetzung des Reformwerks, das unter seinem Namen

subsumiert wird, kam dem Unterrichtsminister gerade sein konservativer Ruf zugute:

„In einer Zeit der erstarkenden Reaktion, in der alles, was mit Unterrichtsreform und Lehr-

und Lernfreiheit zusammenhing, mit dem Odium des Revolutionären behaftet war, konnte

wohl nur ein Mann von Thuns weltanschaulicher Haltung und politischer Durchschlagskraft

die Reform retten.“265

Trotz dieser auch nach Ansicht der reaktionären Kreise „unzweifelhaft“ konservativen Haltung des

Unterrichtministers, war es angesichts seiner Übernahme revolutionärer und liberaler Entwürfe von

Männern wie Franz Serafin Exner und dem protestantischen und in Österreich überaus umstrittenen

Hermann Bonitz sowie aufgrund seiner skeptischen Haltung zum Absolutismus alles andere als

sicher, ob Leo Thun über die Anfangszeit seiner Regierungsjahre hinauskommen würde.266 Erst

1851 konnte Thuns Stellung als Minister für Cultus und Unterricht trotz ungebrochenen

Widerstands und zahlreicher Gegnerschaft als gesichert gelten.267 Der politische Gegenwind, der

ihm aus allen Richtungen des ideologischen und politischen Spektrums und hauptsächlich aus

konservativ-klerikalen, föderalisitschen und nationalistischen Kreisen entgegenschlug, legte sich

erst 1854 vollends, als Thun die Schulreform endgültig durchsetzen konnte.268 Bereits zuvor hatte

das Provisorium, das 1849 unter Zeitdruck durchgebracht worden war, schließlich aufgrund seiner

Qualität im Jahr 1850 endgültig Gesetzeskraft erhalten.269

Die Lehr- und Lernfreiheit bildete gemeinsam mit der Symbiose von Forschung und Lehre eine der

Grundlagen für den Aufstieg der österreichischen Universitäten, die somit in ihrer Ausrichtung den

preußischen und deutschen Universitäten gefolgt waren und ab der zweiten Hälfte des 19.

Jahrhunderts in vielen Wissenschaftsdisziplinen führend waren, wovon die Universitäten auch in

263 Vgl. Johannes Feichtinger/Franz Leander Fillafer, Leo Thun und die Nachwelt. Der Wissenschaftsreformer in der österreichischen Geschichts- und Kulturpolitik des 19. und 20. Jahrhunderts. In: Christof Aichner/Brigitte Mazohl (Hgg.), Die Thun-Hohenstein'schen Universitätsreformen 1849-1860. Konzeption – Umsetzung – Nachwirkungen. Wien/Köln/Weimar 2017. S. 347-378: S. 348f.

264 Vgl. Ebenda.265 Werner Ogris, Die Unterrichtsreform des Ministers Leo Graf Thun-Hohenstein. In: Thomas Olechowski (Hg.),

Werner Ogris. Elemente europäischer Rechtskultur. Rechtshistorische Aufsätze aus den Jahren 1961-2003. Wien/Köln/Weimar 2003. S. 333-344: S. 337.

266 Vgl. Lentze, Unterrichtsreform: S. 104.267 Vgl. Ebenda.268 Vgl. Rumpler, Chance für Mitteleuropa: S. 335.269 Vgl. Lentze, Unterrichtsreform: S. 40.

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der Zwischenkriegszeit noch profitierten. Die Bildungsreformen in Preußen, die zum Vorbild und

globalen Exportschlager des 19. und 20. Jahrhunderts avancierten, waren im Fahrwasser der

krisengebeutelten Zeit der Napoleonischen Kriege und dem Zusammenbruch des preußischen Staats

entstanden. In der Folge des entstandenen Machtvakuums, das der geschwächte preußische Staat

nicht mehr füllen konnte, nutzten die Berliner Reformer um Schleiermacher, Hardenberg, Hegel

und Wilhelm von Humboldt, um nur einige wenige Namen aufzulisten, die Gunst der Stunde und

den dadurch entstandenen Handlungsspielraum, um das Bildungssystem Preußens ohne staatliche

Einschränkungen von Grund auf zu renovieren.270 An dieses Modell angelehnt ging auch die

Universitätsreform Thuns in der Habsburgermonarchie vonstatten, deren Ziel es war, den

entstandenen Vorsprung des Rivalen Preußen in wissenschaftlicher, technologischer und

wirtschaftlicher Hinsicht aufzuholen. Im Unterschied zu Preußen waren in der

Habsburgermonarchie die liberalen Konzepte und Ideen zur Reorganisation des Bildungswesens,

die bereits im Vormärz und im Zuge der Revolution 1848 entstanden waren, ironischerweise gerade

aufgrund des starken Durchgreifens einer staatlichen Zentralregierung im Neoabsolutismus

verwirklicht worden.271 Trotzdem war die Thun-Hohenstein'sche Bildungsreform wegen der

liberalen Entwürfe eines Exner und eines Bonitz, die vor diesem zentralisierenden Staatsapparat

entstanden sind, nicht unbedingt eine reine „Revolution von oben“.272 Denn es steckten freilich auch

autoritäre und konservative Züge im politischen Agieren Thuns. Obwohl den österreichischen

Universitäten und Hochschulen bei der Besetzung ihrer Lehrstühle ein grundsätzliches

Mitsprachrecht zugestanden wurde, handelten Thun und das Ministerium, was die Personalpolitik

anbelangte, bisweilen autoritär und eigensinnig, ohne auf die Meinung der jeweiligen Fakultät zu

achten.273 Allerdings war Thuns Berufungs- und Personalpolitik keineswegs von willkürlichen oder

rein gesinnungsmäßigen Leitlinien gekennzeichnet, da er sich unter großem Aufwand, begünstigt

durch seine eigene wissenschaftliche Expertise, selbst von den wissenschaftlichen Fähigkeiten des

jeweiligen Kandidaten überzeugen konnte und außerdem nie eine Berufung ohne entsprechende

wissenschaftliche Leistungen durchführte.274 Vor derartigen Hintergründen nehmen auch Aichner,

Mazohl und Kraler Thuns Personalpolitik in gewissen Punkten in Schutz und relativieren den

Vorwurf eines „diktatorischen Vorgehens“ dahingehend etwas.275

Das zweite große Charakteristikum der Thun'schen Bildungsreformen war durch die

Gleichberechtigung der Unterrichtssprachen in Schule und Universität gekennzeichnet. In neueren

270 Vgl. Osterhammel, Verwandlung der Welt: S. 1133.271 Vgl. Höflechner, Die Thun'schen Reformen: S. 39.272 Vgl. Ebenda.273 Vgl. Lentze, Unterrichtsreform: S. 115.274 Vgl. Ebenda: S. 114f. u. 145.275 Vgl. Aichner/Mazohl/Kraler, Aspekte: S. 212.

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Forschungen haben Aichner, Mazohl und Kraler bereits auf die ambivalente Haltung Thuns sowohl

zur Lehr- und Lernfreiheit als auch zur Gleichberechtigung der Unterrichtssprachen hingewiesen.276

Die Ambivalenz von Leo Thun als Politiker und Staatsmann und seiner unterschiedlichen

Beurteilung und Kategorisierung, die ihm von Zeitgenossen wie von modernen Wissenschaftlern im

Laufe der Zeit auf vielfältige Weise angedacht wurde, wird von Franz Leander Fillafer prägnant auf

den Punkt gebracht:

„Es gibt viele Thuns: den austroslawistischen Landespatrioten und den germanisierenden

Zentralisten, den freisinnigen Staatsmann und den reaktionären Bürokraten; den

aufgeklärten Katholiken, der die Universitäten und Handelsschulen vor dem Zugriff der

Kirche bewahrt habe, und den ultramontanen, papsthörigen Architekten des Konkordats.“277

Denn Thun war vor allem in vormärzlicher Zeit dem Austroslawismus zugeneigt, den er in seiner

Ablehnung des Panslawismus und Magyarismus in seiner Jugend zur Schau gestellt hatte, sich

später jedoch davon distanzierte.278 Trotz seiner grundsätzlichen Empfänglichkeit für den

Austroslawismus nahm er davon wieder Abstand, weil er die „desintegrative Kraft“ dieser

Strömung für die Monarchie fürchtete.279 Dennoch wurde ihm unter diesen Vorzeichen im Zuge

seiner politischen Maßnahmen sowohl der Ruf eines „Germanisators“ zuteil, als auch gleichzeitig

der Vorwurf des „Cechisirens und Entgermanisirens“ gemacht.280 Auch moderne Historiker

interpretieren Thuns Maßnahmen als rücksichtslose Germanisierungskampagnen, wie Hans Lentze,

der in seinem nach wie vor wichtigen Standardwerk zu Thuns Universitätsreformen dessen

Vorgehen gegen polnische Professoren in Krakau und Lemberg als Germanisierungsmaßnahme

klassifiziert.281 Dabei muss relativierend hinzugefügt werden, dass Thun sich in seinem Handeln

primär an pragmatischen Leitmotiven orientierte, vergleichbar dem Denken Josephs II., der sich bei

seiner Sprachenreform ähnlichen Vorwürfen ausgesetzt sah.282 Zudem entspricht dieses Motiv der

Effizienz, Einheitlichkeit und Zweckmäßigkeit ganz den allgemeinen politischen Trends der

Reformen im österreichischen Neoabsolutismus. Analog zu der Zentralisierung in der Verwaltung

durch Bach agierte Thun in seiner Bildungspolitik und trug auf diese Weise ein Stück weit den Geist

des Neoabsolutismus mit.283 Der Vorzug des Deutschen resultierte aus seinem Rang als sogenannte

„Kultursprache“ sowie als anerkannte Sprache der Wissenschaft, zudem war das Deutsche innerhalb

276 Vgl. Ebenda: S. 197.277 Franz Leander Fillafer, Leo Thun und die Aufklärung. Wissenschaftsideal, Berufungspolitik und Deutungskämpfe.

In: Christof Aichner/Brigitte Mazohl (Hgg.), Die Thun-Hohenstein'schen Universitätsreformen 1849-1860. Konzeption – Umsetzung – Nachwirkungen. Wien/Köln/Weimar 2017. S. 55-75: S. 55f.

278 Vgl. Kraler, Thun: S. 327.279 Vgl. Aichner/Mazohl/Kraler, Aspekte: S. 201.280 Vgl. Ebenda: S. 206.281 Vgl. Lentze, Unterrichtsreform: S. 172.282 Vgl. Aichner/Mazohl/Kraler, Aspekte: S. 199.283 Vgl. Rumpler, Chance für Mitteleuropa: S. 335.

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der Habsburgermonarchie speziell als Unterrichtssprache weitverbreitet. Hinzu kam in dieser

Angelegenheit allerdings auch noch die Tatsache, dass Leo Thun zur erfolgreichen Umsetzung

seiner Universitätsreform massiv auf die Berufung vieler Professoren und Wissenschaftler aus dem

Deutschen Bund angewiesen war, ohne die das Funktionieren des Universitätsbetriebs undenkbar

gewesen wäre.284 Diese Berufungen brachten mit den modernen Grundlagen und Methoden, die sich

aus dem Fundament der Humboldt'schen Universitätsreformen in Preußen schon zu Beginn des 19.

Jahrhunderts entwickelt hatten, Qualität, aber auch gleichzeitig verstärkt das Deutsche als

Wissenschaftssprache nach Österreich. Nur auf diese Weise konnte das Reformprogramm

befriedigend umgesetzt und das österreichische Bildungssystem in dermaßen kurzer Zeit völlig

revolutioniert werden. Denn in der Tat machte das österreichische Bildungswesen durch diese

Dynamik enorme Fortschritte, wenngleich viele Reformen aufgrund des Mangels an Personal, das

den Anforderungen entsprach, und der permanenten Geldnot, die besonders während des

Krimkriegs und des Italienischen Einigungskrieges von 1859 akut geworden war, gebremst

wurden.285 Die Habsburgermonarchie hatte sich innerhalb weniger Jahrzehnte von einem relativ

„rückständigen“ Land in wissenschaftlicher Hinsicht zu einem Staat mit international überaus

anerkannten und nicht zu unterschätzenden wissenschaftlichen Leistungen gemausert und war

zudem seit den späten 1870er Jahren auf Augenhöhe mit Deutschland.286 Hermann Bonitz, einer der

Architekten der österreichischen Bildungsreform von 1849 und Kenner des preußischen

Bildungswesen, soll das preußische Bildungswesen, das er nach seiner Rückkehr nach Preußen

1866 im Zuge der österreichischen Niederlage bei Königgrätz vorgefunden hatte, dem

österreichischen sogar als nicht mehr ebenbürtig empfunden haben, da letzteres derartig schnell

aufgeholt hatte.287 Dies mag angesichts der ungebrochenen Dominanz Deutschlands und Preußens

vor allem im universitären Sektor etwas übertrieben anmuten, zeugt aber mit Sicherheit von den

erheblichen Fortschritten, welche die Habsburgermonarchie in diesem Bereich gemacht hatte. Ein

Indiz dafür ist auch, dass sich Bonitz nach seiner Rückkehr nach Preußen bei seinen Reformen des

preußischen höheren Schulwesens 1882 an den österreichischen Gymnasien orientierte,288 freilich

auch, weil gerade Bonitz bei deren konzeptioneller Reorganisation ja federführend gewesen war.

284 Vgl. Lentze, Universitätsreform: S. 41.285 Vgl. Alois Kernbauer, Prinzipien, Pragmatismus und Innovation: Die Umsetzung der Thun'schen Reform an der

Universität Graz. In: Christof Aichner/Brigitte Mazohl (Hgg.), Die Thun-Hohenstein'schen Universitätsreformen 1849-1860. Konzeption – Umsetzung – Nachwirkungen. Wien/Köln/Weimar 2017. S. 121-152: S. 150.

286 Walter Höflechner, Österreich: eine verspätete Wissenschaftsnation? In: Karl Acham (Hg.), Geschichte der österreichischen Humanwissenschaften. Bd. 1. Historischer Kontext, wissenschaftssoziologische Befunde und methodologische Voraussetzungen. Wien 1999. S. 93-114: S. 113.

287 Vgl. Peter Stachel, Das österreichische Bildungssystem zwischen 1749 und 1918. In: Karl Acham (Hg.), Geschichte der österreichischen Humanwissenschaften. Bd. 1. Historischer Kontext, wissenschaftssoziologische Befunde und methodologische Voraussetzungen. Wien 1999. S. 115-146: S. 143.

288 Vgl. Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Bd. 4: S. 148.

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Deutsches Bildungsgut und vor allem deutsche Universitäten waren im 19. Jahrhundert global

betrachtet Vorbild für Hochschuleinrichtungen. In Japan wie in China und Indien beispielsweise

führte das Eingeständnis des technologischen und wissenschaftlichen Vorsprungs der europäischen

Staaten, basierend auf effizienten Universitäten und (Hoch-)Schuleinrichtungen, im 19. Jahrhundert

dazu, dass radikale Reformen auf Kosten des traditionellen Bildungswesens und ein massiver

Import europäischen (und vor allem deutschen) know-hows vorgenommen wurden, um den

Fortschritt voranzutreiben und so überhaupt konkurrenzfähig bleiben zu können.289

In der Habsburgermonarchie verhielten sich die Motive für diese liberalen Bildungsreformen und

den Import ausländischen Wissens durch eine konservative, neoabsolutistisch ausgerichtete

Staatsführung gar nicht so unähnlich zu Ostasien, wenngleich auf einem anderen Level. Nämlich

insofern, als auch hier der Konkurrenzgedanke, mit Preußen in jeder Hinsicht schritthalten zu

müssen, eine erhebliche Rolle spielte, um den österreichischen Einfluss und die österreichischen

Interessen im Deutschen Bund erfolgreich vertreten und verteidigen zu können. Mit einem im

Vergleich zu Preußen rückständigen System im Bildungs-, aber auch Verwaltungs- und

Wirtschaftsbereich war diesem Anspruch nicht beizukommen. In der jüngsten Forschung hat

Mitchell Ash, die vorherrschende wissenschaftliche Meinung relativierend, darauf hingewiesen,

dass von einem bloßen Import des deutschen Universitätssystems oder gar einem „humboldt'schen

Modell“ nach Österreich in dieser Form nicht gesprochen werden könne und führt dies auf die

Heterogenität der deutschen Modelle und die lediglich partielle Übernahme deutscher Strukturen in

Österreich zurück.290 In abgeschwächter Form vertritt auch Walter Höflechner diese Position, der

aber in den deutschen Universitäten dennoch einen klaren Vorbildcharakter für die

Habsburgermonarchie erkennt:

„Hinsichtlich der Inhalte und der Organisation gab es keine Übertragung des preußischen

Modells auf Österreich, aber eine weitgehende Angleichung an die Verhältnisse an den

preussischen Universitäten, also an das Humboldtsche Modell.“291

Ebenso bedeutete im schulischen Bereich die Reorganisation der Gymnasien nicht eine bloße

Übernahme des preußischen Modells, da auch hier eigenständige Strukturen und Kontinuitäten zu

erkennen sind.292 Nichtsdestoweniger ist eine grundsätzliche Orientierung an den Universitäten und

289 Vgl. Osterhammel, Verwandlung der Welt: S 1138f. u. 1154.290 Vgl. Mitchell G. Ash, Wurde ein „deutsches Universitätsmodell“ nach Österreich importiert? Offene

Forschungsfragen und Thesen. In: Christof Aichner/Brigitte Mazohl (Hgg.), Die Thun-Hohenstein'schen Universitätsreformen 1849-1860. Konzeption – Umsetzung – Nachwirkungen. Wien/Köln/Weimar 2017. S. 76-98.

291 Walter Höflechner, Die Auswirkungen politischer und kultureller Veränderungen auf Fortschrittsorientierung und Wissenschaftsorganisation. In: Karl Acham (Hg.), Geschichte der österreichischen Humanwissenschaften. Bd. 1. Historischer Kontext, wissenschaftssoziologische Befunde und methodologische Voraussetzungen. Wien 1999. S. 149-214: S. 158.

292 Vgl. Helmut Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Bd. 4: S. 148f.

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Schulen des deutschen Raumes, bedingt durch deren Erfolg, und die Berufung zahlreicher deutscher

Gelehrter an die Schulen, Hochschulen und Universitäten der Habsburgermonarchie nicht zu

übersehen. Allerdings stieß diese Berufungspolitik zahlreicher deutscher Professoren und

Wissenschaftler an die österreichischen Universitäten und Hochschulen auch auf massiven

Widerstand innerhalb der Regierung. Insbesondere die Disziplin der Österreichischen Geschichte

blieb weitgehend inländischem Personal vorbehalten und auch in verschiedenen Disziplinen der

Rechtswissenschaft musste Leo Thun auf das nationale Selbstbewusstsein seiner Landsleute

Rücksicht nehmen.293 Alles in allem aber war Thuns Hochschulpolitik sowie der Aufschwung der

Wissenschaft in Österreich ohne die Bestellung deutscher Professoren undenkbar.

All dieser Einfluss von deutschen Wissenschaftlern und geistigen Gütern würde wohl kaum als

Anzeichen einer Germanisierungspolitik gedeutet werden, sondern war lediglich der Not der

Habsburgermonarchie und der Qualität, Modernität und Effizienz der deutschen Wissenschaftler

und Lehrer in diesem Bereichen geschuldet. Dieser Aspekt der Berufungspolitik unterstreicht

vielmehr Leo Thuns Pragmatismus in Verbindung mit seiner Verpflichtung gegenüber dem

österreichischen Staatsgedanken des Neoabsolutismus. Leo Thun und sein Unterstaatssekretär

Joseph von Helfert beabsichtigten die reorganisierten Bildungseinrichtungen auch für staatliche

Zwecke zur Förderung eines gesamtstaatlichen Bewusstseins der Staatsbürgerinnen und

Staatsbürger zu benutzen, um auf diese Weise die integrativen Kräfte der multiethnischen

Habsburgermonarchie zu stärken und etwaigen nationalen Unabhängigkeitsbewegungen

vorzubeugen und entgegenzuwirken. Denn die Revolution von 1848/1849 hatte auch gezeigt, wie

stark nationale Bewegungen, vor allem in Ungarn, sein konnten und wie sehr dieser Nations-Begriff

einem Wandel unterworfen war. Vor diesem Hintergrund lassen sich auch die Ansichten Helferts

verstehen, der den Nations-Begriff, der immer stärker sprachlich und ethnisch konnotiert war, auf

die Bewohnerinnen und Bewohner der Habsburgermonarchie in ihrer Gesamtheit anwenden und in

seiner multiethnischer Auffassung umdeuten wollte. Die Geschichtswissenschaft war hierfür das

Mittel, um den Nationalbewegungen entgegenzuwirken und ein gesamtösterreichisches

Nationalbewusstsein zu bilden.294 Thun und die von ihm berufenen Professoren mussten gerade in

der Geschichtswissenschaft erst neue Strukturen schaffen und verrichteten auf diesem Feld

Pionierarbeiten.295 Neben Helferts und Thuns zweifellosen Absicht der Förderung eines gesamt-

österreichischen Staats-Patriotismus, spielte auch eine Erziehung nach moralisch-konservativen und

katholischen Werten eine wichtige Rolle in Thuns Politik, wie Hans Lentze bekräftigt, dessen

293 Vgl. Lentze, Universitätsreform: S. 132 u.143f.294 Vgl. Fellner, Geschichte als Wissenschaft: S. 169f.295 Vgl. Aichner/Mazohl/Kraler, Apsekte: S. 212.

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Wortwahl der „Umerziehung“ allerdings zu stark zu sein scheint.296 Tatsächlich wurden hinsichtlich

der patriotischen Erziehung die potentiellen Möglichkeiten zur Verbreitung eines gesamt-

österreichischen Geschichtsbewusstseins und Zugehörigkeitsgefühls aber nur sehr wenig

ausgeschöpft. Georg Christoph Berger Waldenegg bilanziert in seiner Abhandlung, dass die

Versuche der österreichischen Regierung und regierungsnaher Kreise in der Periode des

Neoabsolutismus, ein großösterreichisches Nationalbewusstsein zu fördern und auf die breitere

Bevölkerung auszudehnen, gescheitert seien und sich durch den dadurch hervorgerufenen

Widerstand der Nationalitäten als eher kontraproduktiv erwiesen hätten.297 „Es gab 1859 nicht mehr,

sondern eher weniger Großösterreicher als noch 1854.“298 Die Geschichtswissenschaft, die erst sehr

spät als Mittel hierfür erkannt und dahingehend entsprechend unterstützt wurde, konnte sich in ihrer

Objektivität frei entfalten. Alphons Lhotsky bemerkt hierzu:

„Es war ein Fehler des alten Österreich, daß der Staat seit dem Ausbruche des Liberalismus

dieses anderwärts mit Selbstverständlichkeit geübte Recht aus den Augen verlor; er hat

damit wohl das seltene Phänomen einer in keiner Weise beeinflussten, also wirklich freien

Geschichtsforschung herbeigeführt, was ihm nur zur Ehre gereichen kann, aber er hat auch

mit schwer begreiflicher Indolenz die Propagation mancher Auffassungen, die gegen seine

Ideologie gerichtet waren, toleriert, ohne auch für diese eintreten zu lassen.“299

Auch wenn Lhotskys Argumentation hinsichtlich der verspäteten Erkenntnis der österreichischen

Regierung über die Instrumentalisierung der Geschichtswissenschaft für staatliche Ziele ihre

Richtigkeit besitzt, so wurden in dieser Disziplin freilich dennoch konkrete Interessen verfolgt. Die

Historiker dieser Zeit, wie Franz Krones, Alfons Huber und etliche andere, legten ohne Zweifel

Wert auf streng wissenschaftlich orientierte Methoden, und dennoch galt es unter ihnen als

staatsdienliche Pflicht, die Habsburgermonarchie mit ihren Werken und Arbeiten ideologisch zu

untermauern und ihren Staatsgedanken mitzutragen.300 Wie beschrieben, förderte Thun die

Unabhängigkeit und die freie geistige Entfaltung der Universität unter Zurückdrängung von

politischen und klerikalen Einflussmaßnahmen. Doch verfolgten Thun und das Ministerium mit

diesen liberalen Reformen konservative, staatserhaltende und staatsfördernde Zwecke. Die

Widersprüchlichkeit dieser Entwicklungen und Zielsetzungen im Unterrichtsministerium illustriert

einmal mehr die ambivalente Rezeption der Rolle Thuns als Reorganisator des österreichischen

Bildungswesens. Denn wahlweise wird Thun entweder zum „Retter, der die Universitäten der

habsburgischen Länder endlich für die geistigen Fortschritte des größeren Deutschland öffnete“, 296 Vgl. Lentze, Unterrichtsreformen: S. 95.297 Vgl. Berger Waldenegg, Vaterländisches Gemeingefühl: S. 176.298 Ebenda.299 Lhotsky, Historiographie: S. 165.300 Vgl. Fellner, Geschichte als Wissenschaft: S. 170.

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stilisiert oder in das „Bild des Verpreußers, der die gesamtösterreichische Identität zerstört hat“301,

gepresst.

6 Das Mittelschulwesen der Habsburgermonarchie

Das Mittelschulwesen war, aufbauend auf dem „Organisationsentwurf für österreichische

Gymnasien und Realschulen“, der von Franz Exner und Hermann Bonitz ausgearbeitet und 1849

vom Kaiser genehmigt worden war, gründlich reformiert worden.302 Die Mittelschule der

Habsburgermonarchie war ein Überbegriff, unter dem alle Schultypen der mittleren und höheren

Schulen, wie Gymnasium, Realgymnasium, Realschule und Mädchenlyzeum, subsumiert wurden.303

Eine eigene, österreichische Handschrift trugen die Gymnasien der Habsburgermonarchie, die

keineswegs einer „Verpreußung“ unterzogen wurden, wie dies Thun vorgeworfen worden war.304 Im

Unterschied zu ihren preußischen Pendants, die einen Fokus auf die Philologie legten, wiesen die

Lehrpläne der österreichischen Gymnasien eine stärker mathematisch-naturwissenschaftliche

Ausrichtung auf.305 Diese „Realien“ hatten auf Initiative Franz Exners Eingang in das Curriculum

des Gymnasiums gefunden und sorgten neben den sprachlich-historischen Fächern Religion,

Geographie, Geschichte, den Klassischen Sprachen und der Muttersprache für Ausgewogenheit.306

Das Ziel der Gymnasien war es also eine möglichst breit gefächerte Allgemeinbildung zu

vermitteln, um die Schülerinnen und Schüler auf die verschiedensten Disziplinen der Universität

vorzubereiten. In den Realschulen war hingegen kein Platz für Latein und Griechisch, vielmehr

sollten lebende Fremdsprachen und ein Schwerpunkt auf Mathematik und die Naturwissenschaften

eine einschlägige Fachausbildung bieten, die hauptsächlich auf eine weiterführende Ausbildung in

den Technischen Studien ausgerichtet war.307 Die Schülerinnen und Schüler waren im

österreichischen Schulsystem einer erheblichen Belastung ausgesetzt, um 1900 lag der

durchschnittliche Arbeitsaufwand eines Schülers einer Prager Sekundarschule in und außerhalb des

Unterrichts summa summarum bei elf Stunden täglich.308 Vor allem im Gymnasium war die

Stundenzahl seit der Reform 1855 beträchtlich gestiegen. Engelbrecht sieht die Ursache für die

steigende Belastung im Widerstand gegen Kürzungen von etablierten Fächern, wodurch der

301 Fillafer, Leo Thun: S. 56.302 Vgl. Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Bd. 4: S. 147.303 Vgl. Wallisch, Höheres Lehramt: S. 3.304 Vgl. Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Bd. 4: S. 148f.305 Vgl. Ferdinand Tremel, Wirtschaft und Bildung im österreichischen Frühliberalismus. In: Gerda Mraz (Hg.),

Österreichische Bildungs- und Schulgeschichte von der Aufklärung bis zum Liberalismus (= Jahrbuch für Österreichische Kulturgeschichte Bd. 4). Eisenstadt 1974. S. 29-45: S. 40.

306 Vgl. Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Bd. 4: S. 148.307 Vgl. Ebenda: S. 153.308 Vgl. Cohen, Education: S. 216.

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Lehrplan im Zuge der Reformen der Stundentafeln immer weiter aufgebläht worden sei und sich die

Stundenzahl so immer weiter erhöht habe.309 In den Realschulen waren die Schülerinnen und

Schüler einer nicht minder hohen Belastung ausgesetzt, was heftige Diskussionen über den Nutzen

der Ausrichtung dieses Schultyps zur Folge hatte, da auch Handel, Industrie und Gewerbe die

Unzulänglichkeiten dieser Ausbildung kritisierten.310 Der Input stand demnach in keinerlei

Verhältnis zum Output.

Auch wenn seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts andere Vertreter des Mittelschulwesens wie

die Realschule immer mehr an Bedeutung gewannen, blieb das Gymnasium weiterhin die

tonangebende Einrichtung unter den Sekundarschulen, die sich allesamt am Curriculum der

Gymnasien orientierten.311 Trotz Forderungen, alle Sekundarschultypen einheitlich und

gleichberechtigt zu gestalten, erhielt die Realschule bis zum Ersten Weltkrieg keine achte

Schulstufe und war damit dem Gymnasium weiterhin unebenbürtig.312 Seit Leo Thun war das

österreichische Gymnasium nämlich ein auf acht Schulstufen angelegter Schultyp, an dessen Ende

die „Maturitätsprüfung“ als Voraussetzung für ein Studium an der Universität stand.313 Lediglich bei

der Unterstufe war schon früh auf Einheitlichkeit und Vergleichbarkeit von Untergymnasium,

Bürgerschule und Realgymnasium geachtet worden.314 Das Realgymnasium, das lediglich ein

Unterstufentyp war, bildete dahingehend eine Sonderform als Bindeglied zwischen Gymnasium und

Realschule. Seine Einrichtung geschah aus dem Gedanken heraus, eine gemeinsame Unterstufe

einzurichten, die sowohl auf das Obergymnasium als auch auf die Oberrealschule vorbereiten

sollte.315 Da sich allerdings Gymnasial- wie Realschullehrer gegen diesen Schultyp aussprachen,

gingen die Zahlen der Realgymnasien zurück und wandelten sich meist in Untergymnasien oder

Unterrealschulen um.316 Auch die Zusammensetzung der Schülerinnen und Schüler hinsichtlich

ihrer sozialen Herkunft verdient Beachtung. Der größte Teil der Schülerinnen und Schüler der

Gymnasien und Realschulen Böhmens und der „Alpenländer“ kam aus der unteren Mittelschicht,

die auch ein Drittel bis die Hälfte der Studierenden an den Universitäten ausmachte.317

Constantin Wurzbach bezeichnete die „Organisirung des gewerblichen Unterrichts und die damit

verbundene Errichtung von Gewerbe-Realschulen und Gymnasien“ als die Reform, die „von allen

309 Vgl. Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Bd. 4: S. 150310 Vgl. Ebenda: S. S. 154.311 Vgl. Ebenda: S. 157.312 Vgl.: Cohen, Education: S. 255.313 Vgl. Wallschisch, Höheres Lehramt: S. 43f.314 Vgl. Ernst Springer, Das Mittelschulwesen. In: Egon Loebenstein (Hg.), 100 Jahre Unterrichtsministerium 1848-

1948. Festschrift des Bundesministeriums für Unterricht in Wien. Wien 1948. S. 114-138: S. 115.315 Vgl. Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Bd. 4: S. 156.316 Vgl. Ebenda.317 Vgl. Cohen, Education: S. 171.

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diesen Staatsacten am tiefsten ins geistige und Culturleben der Monarchie eingriff“318. Im Weiteren

fügte er als Begründung hinzu:

„Denn von diesen Anstalten, welche vorher gar nicht bestanden, zählt Oesterreich

gegenwärtig weit über anderthalbhundert, und dieselben ins Leben gerufen und zum großen

Theile mit Gebäuden und reichen Lehrmitteln versehen zu haben, bleibt Leo Thuns

unantastbares und bisher nirgend gewürdigtes Verdienst.“319

Den Effekt, dass sie tief in das „geistige Culturleben“ einflossen, wie Wurzbach konstatierte,

gedachte Thun nun auch für die staatspolitischen Zwecke zu nutzen. Den etwas speziellen und

eigentümlichen Zusammenhang von Schulkindern und Patriotismus in Österreich machte auch

Robert Musil zum Thema, das für österreichische Schulkinder im Unterschied zu ihren

Altersgenossinnen und Altersgenossen anderer Staaten zu einem von vorn herein differenzierten

Umgang zwinge.320 Anders als im Universitätsbereich wurde auf den Einsatz ausländischer

Lehrkräfte in den Gymnasien nach Möglichkeit verzichtet und stattdessen vermehrt auf Supplenten

und minder qualifizierte Hilfslehrer, die nicht einmal die vorgeschriebene Lehramtsprüfung

abgelegt haben mussten, zurückgegriffen.321 Dadurch entstand ein hoher Mangel an qualifiziertem

Lehrpersonal in allen Mittelschultypen, der das Niveau trotz der intendierten Qualitätssicherung

durch eine verpflichtende Lehramtsprüfung deutlich senkte und den Lehrenden oft den Ruf der

„Unfähigkeit“ einbrachte.322 Die Situation besserte sich erst, als Seminare zur gezielten Ausbildung

von Gymnasiallehrern eingerichtet und zahlreiche Stipendien zu deren Besuch vergeben wurden.323

7 Die Lehrbücher seit 1849

Der Mangel galt ebenso personell wie auch für die geistigen Güter und Materialien, insbesondere

Schulbücher, die in der Anfangszeit der Thun'schen Unterrichtsreformen aus dem deutschen Raum

importiert oder eigens angefordert werden mussten, da die entsprechenden österreichischen

Schulbücher erhebliche Schwächen aufwiesen. Aufgrund des miserablen Rufes der Schulbücher der

Habsburgermonarchie bis Mitte des 19. Jahrhunderts, war dieser Bereich eine weitere Baustelle, an

die Leo Thun seine Korrekturfeder setzte. Neben der methodischen und pädagogischen

Antiquiertheit dieser Schulbücher spielten im Geschichtsbereich auch die ideologischen

Gesichtspunkte eine große Rolle, da diese dem österreichischen Staatsgedanken und Patriotismus zu

318 Constantin von Wurzbach, Thun-Hohenstein, Leopold Leo Graf. In: Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich. Bd. 45. 1882. S. 54-62: S. 58.

319 Ebenda: S. 59.320 Vgl. Musil, Mann ohne Eigenschaften: S. 18.321 Vgl. Wallisch, Höheres Lehramt: S. 74f.322 Vgl. Ebenda: S. 75f.323 Vgl. Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Bd. 4: S. 150.

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wenig Gewicht zukommen ließen und die historischen Ereignisse oft vom Standpunkt der deutschen

Reichsgeschichte und nicht von Österreich und den habsburgischen Ländern aus behandelten und

benannten.324 Als die Flut an Neupublikationen von österreichischen Schulbüchern einsetzte, um

diese Mängel zu beheben, war es vor allem in der Anlaufzeit vermehrt zur paradoxen Situation

gekommen, dass gerade deutsche Historiker außerhalb Österreichs Schulbücher zur österreichischen

Geschichte und Vaterlandskunde publizierten, da diese in der Habsburgermonarchie in

zufriedenstellender Qualität nicht vorhanden waren und auch die Fachkräfte schlichtweg fehlten. So

ist beispielsweise der Kölner Historiker und Schulbuchautor Wilhelm Pütz zu nennen, auf dessen

„Lehrbuch der österreichischen Vaterlandskunde“ ich noch genauer eingehen werde. Das

Ministerium griff also massiv auf ausländische Lehrbücher zurück, versuchte aber auch gleichzeitig

Grundlagen und Strukturen zur Optimierung der heimischen Lehr- und Schulbücher zu schaffen,

um den Missständen aktiv gegenzusteuern.325 Letzteres wurde auf der einen Seite durch die

Erhöhung des Konkurrenzdrucks mittels der Aufhebung der Monopolstellung des

Schülerbuchverlags und die freie Auswahlmöglichkeit für die Lehrenden zu erreichen versucht, auf

der anderen Seite sogar durch gefördertes Plagiieren von deutschen Lehrbüchern forciert.326 Der

Import deutscher Unterrichtsmaterialien machte auch deshalb Sinn, da Deutsch in den Mittelschulen

der Habsburgermonarchie die dominierende Unterrichtssprache war und umgekehrt das Fehlen

entsprechender nicht-deutschsprachiger Unterrichtmittel oftmals als Argument diente, diese

Dominanz aufrechtzuerhalten.327 Noch 1905 war in ungefähr der Hälfte aller Gymnasien der

Habsburgermonarchie Deutsch die verwendete Unterrichtssprache, in den Realschulen lag der

Anteil sogar noch höher.328 Mit deutschsprachigen Lehrmitteln konnte demzufolge über die Hälfte

der Mittelschülerinnen und -schüler erreicht werden.

Gerade vom ideologischen Standpunkt aus betrachtet sahen allerdings viele Beobachter den Wandel

und den Umbruch im Bereich der Schulbücher in der Anfangszeit der Thun'schen Reformen

kritisch. Vor allem die massive Abhängigkeit von deutschen Lehrbüchern, die zum Thema

Österreichische Vaterlandskunde und Österreichische Geschichte erschienen sind und teils

erhebliche Verbesserungen zu den vormärzlichen Schulbüchern aufwiesen, war dabei ein Problem.

Denn es sollte in den Schulbüchern die erklärte Absicht erfüllt werden, den Schülerinnen und

Schülern die Genese, das Wesen und die Besonderheiten der österreichischen Geschichte und seines

324 Vgl. Berger Waldenegg, Vaterländisches Gemeingefühl: S. 152.325 Vgl. Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Bd. 4: S. 149.326 Vgl. Ebenda.327 Vgl. Peter Urbanitsch, Die Deutschen in Österreich. Statistisch-deskriptiver Überblick. In: Adam Wandruszka/Peter

Urbanitsch (Hgg.), Die Habsburgermonarchie 1848-1918. Bd. 3/1. Die Völker des Reiches. S. 33-153: S. 89.328 Vgl. Ebenda: S. 90.

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Staatswesens begreiflich zu machen. Trotz des Eingeständnisses des wissenschaftlichen Vorsprungs

in Preußen und dem Deutschen Bund und der aus diesen Gründen nachvollziehbaren Benützung

von Lehrbüchern deutscher Autoren, stand daher vielfach die Unzufriedenheit und Skepsis im

Raum, ob deutsche Geschichtsbücher für österreichische Lehrgegenstände diese Anforderungen

überhaupt vollständig erfüllen könnten. In einer Rezension zum 1869 erschienen Mittelschul-

Lehrbuch „Oesterreichische Vaterlandskunde“ von Emanuel Hannak, die in der „Zeitschrift für die

österreichischen Gymnasien“ erschienen war, wurde über die bisherige Entwicklung in diesem

Gebiet wie folgt resümiert:

„Als nämlich in Folge der Umgestaltung des Unterrichtwesens die vordem bestandenen

Lehrbücher sofort beseitigt und neue in Deutschland bewährte eingeführt wurden, da konnte

man nicht erwarten, dass diese auf dem historisch-geographischen Gebiete allen jenen

Forderungen entsprechen würden, die eine Pflege der vaterländischen Geographie und

Geschichte in Oesterreich beansprucht und eine nachdrückliche Hervorhebung dieser

Forderung schien in dem Organisationentwurfe geboten.“329

Neben gewissen Mängeln, die dem Organisationsentwurf Exners und Bonitz bezüglich der

Definition und der Relevanz von Vaterlandskunde im Unterricht von Ptaschnik attestiert wurde,

kam eben diese Skepsis gegenüber deutschen, außer-österreichischen Lehrbüchern zum Ausdruck,

gerade was der historische Aspekt anbelangte. Es wurde diesen Lehrbüchern zwar kein qualitativer

Mangel an sich vorgeworfen, da sie ja dennoch einen wichtigen Beitrag leisteten, doch blitzte in

den Kritiken immer etwas von dem Vorwurf der Unfähigkeit und Unmöglichkeit, das

österreichische Spezifikum als „Außenstehender“ erfassen zu können, durch.

Auch wohlwollende Rezensenten und Beobachter sahen in ihnen oftmals nur eine

Übergangslösung, die lediglich das Fundament für eigene, genuin österreichische Materialien und

Bücher bilden sollte. Salomon Frankfurter, der Biograph Thuns und seines Wirkens als Minister, der

diesem auch die beiden geistigen Väter des Organisationsentwurfs von 1849 Hermann Bonitz und

Franz Serafin Exner gleichwertig zur Seite stellte und allen dreien ihre Würdigung zuteilwerden

ließ, fasste die Situation im Bereich der Schulbücher folgendermaßen zusammen:

„Ein Übelstand, der trotz aller früher darauf verwendeten Mühe nicht hatte behoben werden

können, weil er im Wesen des früheren Studiensystems begründet war, waren die

Lehrbücher, die 'ein Spott von ganz Deutschland geworden waren'; auch hierin wurde

Wandel geschaffen. Nachdem zunächst durch Einführung bewährter, in Deutschland durch

langjährige Übung erprobter Lehrmittel dem unmittelbaren Bedürfnisse abgeholfen war,

329 J. Ptaschnik (Rez.): Emanuel Hannak, Oesterreichische Vaterlandskunde für die mittleren und höheren Classen der Mittelschulen. Wien 1869. In: Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien. Wien 1869. S. 870-873: S. 871.

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Page 65: Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

wurden Einleitungen getroffen, die die Lehrerschaft zur Abfassung neuer Lehrbücher, die

ganz den heimischen Bedürfnissen entsprächen, anregten, und bald entstand eine Literatur,

die nicht nur im Vergleich zur früheren eine treffliche genannt werden muss, sondern durch

eine Anzahl Bücher von bleibendem Werte für alle Zeiten ein ehrendes Zeichen des

rühmlichen Strebens der Lehrerschaft und der Anregungen gibt, die sie erfuhren.“330

Auf diese Situation versuchte das Unterrichtsministerium durch den Import von deutschen

Bildungsgütern und die Bestellung deutscher Professoren und Lehrkräfte zu reagieren. Allerdings

sollte diese Reformbedürftigkeit des österreichischen Bildungswesens und die erfolgreichen

Maßnahmen Leo Thuns nicht darüber hinwegtäuschen, dass die vorangegangene Periode von 1790

bis 1848 keinesfalls einen Stillstand in diesem Bereich bedeutete, wie Helmut Engelbrecht

argumentiert. Zwar haben speziell die Gymnasien im Zuge der theresianischen und josephinischen

Reformen Schaden davongetragen und waren nicht selten aufgrund des Personalmangels,

hervorgerufen durch das Verbot des Jesuitenordens, die staatliche Einflussnahme und die

kostensparende Politik zur Schließung der Einrichtung gezwungen.331 Doch waren kurzlebige

Reformen wie jenes nach Franz Innozenz Lang benannte Experiment und eine erstarkende und

zunehmend selbstbewusste Lehrerschaft Anzeichen der bevorstehenden Umwälzungen, die 1849

eintreten sollten.332 Ebendiese Emanzipation in Kombination mit der Rücknahme einiger liberalerer

Reformen war es, die den aufgestauten Wunsch nach Reform und Liberalisierung sich entladen ließ

und zahlreiche Entwürfe und Konzepte zur Reorganisation von Universität und Gymnasium in den

Köpfen und auf dem Papier am Vorabend der Revolution wachsen ließ. „Die Ablehnung des

vormärzlichen Bildungssystems war der Kitt, der nach 1848 sehr verschiedene politisch-

intellektuelle Gruppen verband.“333 Leo Thun-Hohenstein hatte die Reformen dennoch gegen

erheblichen Widerstand durchgesetzt und erhielt für sein Werk, wie bei Wurzbach angedeutet, in

Anbetracht seiner Leistungen nur wenig Würdigung. Trotzdem rief seine Politik in der Folgezeit ein

breites Echo und reges Interesse hervor, das bis heute andauert, wie die zahlreichen Publikationen

zu den Thun'schen Bildungsreformen zeigen. Interessant für die Rezeption noch im 19. Jahrhundert

sind die Ausführungen Samuel Frankfurters. Dessen Beurteilungen und Analysen, die zwar

streckenweise die Sympathie für die Person und Politik Thuns (aber auch für Bonitz und Exner)

allzu deutlich hervortreten ließen, haben deshalb einen so hohen Stellenwert, da seinem Werk laut

330 Salomon Frankfurter, Graf Leo Thun-Hohenstein, Franz Exner und Hermann Bonitz. Beiträge zur österreichischen Unterrichtsreform. Wien 1893:S. 35f.

331 Vgl. Helmut Engelbrecht, Das österreichische Gymnasium zwischen 1790 und 1848. In: Gerda Mraz (Hg.), Österreichische Bildungs- und Schulgeschichte von der Aufklärung bis zum Liberalismus (= Jahrbuch für Österreichische Kulturgeschichte Bd. 4). Eisenstadt 1974. S. 99-117: S. 99ff.

332 Vgl. Ebenda: S. 106 u. 112.333 Fillafer, Leo Thun: S. 74.

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Page 66: Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

eigenen Angaben die Materialien und Aufzeichnungen des Unterstaatssekretärs aus Leo Thuns

Ministerium, Joseph Frh. von Helfert, zugrunde lagen, der sie Frankfurter zu Forschungszwecken

überlassen hatte.334 Das Anheben der Besoldungen, die Schaffung diverser Institutionen zur Pflege

und Förderung des Wissenschaftsbetriebs und zahlreiche Anregungen an die Professoren und

Lehrer, sich am wissenschaftlichen Output sowie an der Produktion hochwertiger Lehr- und

Schulbücher zu beteiligen, waren nach dem Urteil Frankfurters im Kern die wichtigsten und

nachhaltigsten Punkte von Thuns Reform. Als Vorbedingung der Publikation zahlreicher Lehr- und

Schulbücher war eine intensive Diskussion über den gesamten Bildungsbereich vorangegangen und

hatte wichtige Impulse für die folgenden Entwicklungen gegeben. Für Salomon Frankfurter spielte

die vom Unterrichtsministerium ins Leben gerufene „Zeitschrift für die österreichischen

Gymnasien“ eine tragende Rolle in diesem Disput:

„Großen Antheil daran [an der literarischen Publikation] hatte die vom Ministerium

geschaffene 'Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien', die nach allen Richtungen hin

aufklärend, belehrend und anregend wirkte.“335

In ihren jährlich erschienen Ausgaben besprach die „Zeitschrift für die österreichischen

Gymnasien“ die wichtigsten Publikationen an Schul- und Lehrbüchern, aber auch an

Forschungsliteratur, und beurteilte sie auf ihre Eignung und Qualität hin, was durch die Beteiligung

vieler namhafter Wissenschaftler aller Disziplinen als Rezensenten in besonders fundierter Weise

möglich war. In gleichem Maß wurden darin auch die neuesten Erlässe und Bestimmungen des

Ministeriums abgedruckt und besprochen. Die dritte Säule der Zeitschrift waren Beiträge und

Diskussionen zu didaktischen und pädagogischen Themen, denen die jeweils modernsten

Ansatzpunkte zugrunde lagen. Eine weitere Entwicklung, die die Qualität der Lehrbücher

sicherstellen sollte, war die Approbation der Lehrbücher für ihre Eignung im Unterricht. Zwar nahm

die österreichische Unterrichtsverwaltung formal keinen direkten Einfluss auf die inhaltliche

Gestaltung der Lehrbücher, doch förderte sie gezielt Publikationen, die den Vorstellungen und

Konzepten der Regierung entsprachen, und gebrauchte mit der Approbation ein nützliches

Instrument, um Lehrbücher, die diesen Vorstellungen zuwiderliefen, aus dem Verkehr zu ziehen.336

Dieses Instrument diente einerseits freilich ebenso der Qualitätssicherung der Lehrbücher,

andererseits der gezielten Einflussnahme. Von den Publikationen, die im staatlichen

Schulbuchverlag erschienen und daher von der Approbation ausgenommen waren, abgesehen,

mussten seit 1869 im Volksschulbereich und seit 1873 in den Mittelschulen alle Lehrtexte dem

Landesschulrat zur Freigabe vorgelegt werden, seit 1900 waren sie direkt an das Ministerium zu

334 Vgl. Frankfurter, Leo Thun: S. VI.335 Ebenda: S. 36.336 Vgl. Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Bd. 4: S. 58.

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Page 67: Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

adressieren.337 Um den Überblick über die wachsende Zahl der Neuerscheinungen zu behalten,

wurde jede erfolgte Approbation im „Verordnungsblatt für den Dienstbereich des k.k. Ministeriums

für Cultus und Unterricht“338 aufgelistet.339 Zusätzlich wurde seit 1878 jedes Jahr ein Verzeichnis

herausgegeben, das alle approbierten Lehrbücher umfasste.340

Bereits in der Anlaufphase dieser Neuerungen stimmte auch Helfert einen durchaus optimistischen

Tenor an. In seinem Opusculum „Über Nationalgeschichte und den gegenwärtigen Stand ihrer

Pflege“ stellte er 1853 folgende Trends fest:

„Die Organe der Verwaltung reichen kaum zur Prüfung dessen aus, was von allen Seiten

dargeboten, was auf allen Feldern des neugeordneten Unterrichts geleistet wird. Ist auch bei

der gewissenhaften Sorgfalt, mit welcher bei Anempfehlung und Zulassung von neuen

Schulbüchern vorgegangen wird, desjenigen was zurückgewiesen werden muß, noch bei

weitem mehr als dessen, was angenommen werden kann;“341

Die Fülle an Neupublikationen von Schulbüchern und pädagogischer Fachliteratur, die durch die

Regierungsmaßnahmen begünstigt und gefördert wurden, waren für Helfert allein schon ein

Zeichen in die richtige Richtung, auch wenn die gewünschte Qualität noch nicht erreicht war. Es

spiegelte sich hierin Helferts Zufriedenheit über den bisherigen Verlauf und ein optimistischer Blick

in die Zukunft wider. Doch klingt in dieser Passage auch die nötige Steigerung an Qualität mit. Die

Schnelligkeit des Umschwungs im Bildungsbereich und die Qualität, die erzielt werden könne,

wenn die Reformen voll greifen und der regen Publikationstätigkeit noch mehr Zeit gelassen würde,

waren die Gründe, die Helfert so positiv stimmten:

„Ist man auch, um nicht durch zu große Strenge in der ersten Zeit vor erneuten Versuchen

zurückzuschrecken, in vielen Fällen gezwungen, sich das gute gefallen zu lassen, weil das

bessere noch nicht erwartet werden kann: so erscheint doch alles zusammen als ein

erfreuliches Zeichen des raschen Aufschwunges, welchen unsere pädagogische und

Schullitteratur genommen hat, der lebendigen Regsamkeit, welche sie entfaltet – eines

Aufschwunges und einer Regsamkeit, die auswärts vielfach mit unverhohlenem Staunen

beobachtet, aber leider im Lande noch mehrseitig mit kaum verhehlter Unkenntnis oder

Misgunst übersehen wird.“342

Gleichzeitig wies Helfert allerdings auf die inneren Widerstände und die Ablehnung gegenüber den

Thun-Hohenstein'schen Reformen hin, deren Fortbestand zu diesem Zeitpunkt alles andere als

337 Vgl. Ebenda.338 Verordnungsblatt für den Dienstbereich des k.k. Ministeriums für Cultus und Unterricht. Wien 1869-1918.339 Vgl. Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Bd. 4: S. 58.340 Vgl. Ebenda.341 Helfert, Nationalgeschichte: S. 36.342 Ebenda.

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Page 68: Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

gesichert war. Gerade für die Geschichtswissenschaft und die Beschäftigung mit der

österreichischen Geschichte und sogenannten Vaterlandskunde bedeuteten diese Reformen einen

Aufschwung. Helfert definierte die Vaterlandskunde unter Abgrenzung zur „Heimatkunde“, die sich

seiner Meinung nach lediglich auf die Grenzen des jeweiligen Kronlandes beschränkte, als die

„Kenntnis des Gesammtvaterlandes von Groß-Österreich.“343 Unter diesem Gegenstand subsumiert

waren sowohl Kenntnisse in der Geschichte und Geographie als auch im weiteren Sinne über

Bodenbeschaffenheit, Industrie, Bildung, Kultur und Ethnographie des Österreichischen

Kaiserstaats. Folglich war die Vaterlandsgeschichte ein geeigneter Gegenstand, in dem sich ein

gesamt-österreichisches Geschichtsbewusstsein und Zugehörigkeitsbewusstsein transportieren ließ.

Von dieser Perspektive sah es auch der Gymnasialprofessor Josef Schwerdfeger, der in einer

Besprechung der „Vaterlandskunde“ von Silva-Tarouca 1914 in der „Zeitschrift der österreichischen

Gymnasien“ diesen Unterrichtsgegenstand und seinen Zweck für die Zukunft folgendermaßen

beschrieb:

„Besser als irgendwoanders kann bei uns die Vaterlandskunde ein Haupthebel sein für die

Erweckung und Förderung edelster Vaterlandsliebe, zumal in der empfänglichen Seele der

Jugend und wer die Jugend für seine Ideen erwärmt und begeistert, der hat bekanntlich die

Zukunft in Händen.“344

7.1 Wilhelm Pütz‘ „Lehrbuch der oesterreichischen Vaterlandskunde“ (1851)

In vielerlei Hinsicht beachtenswert ist dabei das „Lehrbuch der oesterreichischen Vaterlandskunde“

des Kölner Professors und Lehrers Wilhelm Pütz. Mit dem Publikationsjahr 1851 fiel es in die

Frühphase der Thun-Hohenstein'schen Reformen und damit in die Zeit eines akuten Mangels an

Lehrbüchern. Fiel die Übernahme ausländischer Lehrbücher bei naturwissenschaftlichen oder

sprachlichen Fächern noch vergleichsweise leicht, so wurde es bei einem ideologisch und politisch

behafteten und von staatlichen Absichten durchzogenen Gegenstand wie der Vaterlandskunde

problematisch. Ähnlich wie die Lehrstühle der Österreichischen Geschichte und einiger

rechtswissenschaftlicher Disziplinen auf der Universität, die fest in österreichischer Hand blieben,

war auch der Schulgegenstand Geschichte mit den dazugehörenden Unterrichtsmaterialien höchst

emotional beladen. Dass auch in diesem Bereich vermehrt auf deutsche Publikationen, wie der

Wilhelm Pütz‘, zurückgegriffen wurde, zeigt die Notlage des österreichischen

Bildungsministeriums. Wilhelm Pütz war hierfür insofern der geeignete Kandidat, als er mit

343 Ebenda.344 Josef Schwerdfeger (Rez.): Franz Joseph Graf von Silva-Tarouca, Lehrbuch der Vaterlandskunde. Wien/Leipzig

1913. In: Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien. Wien 1914. Sonderdruck. S. 1-6: S. 1.

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zahlreichen historischen und geographischen Lehrbuchpublikationen aufwarten konnte, die

abgesehen von Preußen und dem Deutschen Bund aufgrund ihrer Übersetzung in zahlreiche

Sprachen seit 1843 auch in vielen Teilen Europas Verwendung fanden, wo sie mit Wohlwollen

aufgenommen worden waren.345

Die Einführung der Österreichischen Geschichte und Vaterlandskunde in die Ober- und

Untergymnasien durch den Organisationsentwurf hatte durch die Kurzfristigkeit und den Mangel an

Lehrbüchern viele Lehrer des Schuljahrs 1851 „in Verlegenheit“ gebracht, wie es in der „Zeitschrift

für die österreichischen Gymnasien“ hieß.346 Aus derselben Renzension geht außerdem hervor, dass

vor allem ein eklatanter Mangel an Lehrbüchern der Vaterlandsgeschichte für die Untergymnasien

herrschte, wobei auch jene für die Obergymnasien einen enormen Rückstand aufgewiesen hätten,

den aufzuholen die Publikation von Pütz sich vorgenommen habe.347 Im Vorwort zu seinem

Lehrbuch nahm Pütz Bezug auf den in Österreich herrschenden Mangel und sah sich nicht zuletzt

aufgrund seiner mehrmaligen Reisen sowie der scheinbaren Ähnlichkeit zu Deutschland dazu

befähigt.348 Allerdings scheinen diese Punkte die erwähnte Skepsis in Österreich zu bestätigen, die

Nicht-Österreichern das Verstehen der Habsburgermonarchie absprachen, zumal Pütz lediglich vom

Besuch der „deutschen und italienischen Kronländer“, nicht aller Kronländer, und der oberflächlich

erscheinenden Einschätzung von „bei uns gewohnten Zustände[n]“349 sprach. Doch andererseits

entsprach sein Ansatz, „dass es hier weniger auf eine ins Detail gehende Kenntniss einzelner

Kronländer als auf eine klare, das grosse Ganze umfassende Uebersicht ankomme“350 wiederum den

Vorstellungen des Unterrichtministeriums und der Gesamtstaatsdoktrin des österreichischen

Neoabsolutismus.

Der Aufbau seines Lehrbuchs ist ein zweigeteilter. In der ersten Hälfte wird der österreichischen

Geschichte von der Römerherrschaft bis zum Österreichischen Kaiserstaat und der politischen

Ordnung seit dem Wiener Kongress Raum gegeben. Statistische und geographische Aspekte der

Habsburgermonarchie füllen hingegen die zweite Hälfte, die sich wiederum in feinere Unterkapiteln

gliedert, in denen unter anderem auf die Bevölkerung, die Verfassung und die Verwaltung

eingegangen wird. Die geschichtliche Hälfte hat ihren Schwerpunkt klar auf dem Mittelalter und

handelt skizzenhaft und komprimiert die wichtigsten Stationen in der österreichischen Geschichte

chronologisch ab. Als Orientierungspunkte dienten die habsburgischen Kaiser, denen

345 Vgl. Binder, Pütz, Dr. Wilhelm P. In: Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. 26. 1888. S. 780-782: S. 781.346 Vgl. A. Kral (Rez.): Wilhelm Pütz, Lehrbuch der österreichischen Vaterlandskunde. Coblenz 1851. In: Zeitschrift für

die österreichischen Gymnasien. Wien 1851. S. 655-660: S. 655.347 Vgl. Ebenda.348 Vgl. Pütz, Vaterlandskunde: S. IIIf.349 Ebenda: S. IV.350 Ebenda.

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unterschiedliche viel Platz gewidmet wurde. An ihnen wurden die ereignisgeschichtlichen Punkte

ihrer Regierungszeiten nacheinander behandelt.

Inhaltlich achtete Wilhelm Pütz auf lückenlose Vollständigkeit, die sich aus der linearen

Abhandlung der babenbergischen und habsburgischen Regenten ergab, was aber auf Kosten einer

pointierteren Gewichtung besonders wichtiger Ereignisse geschah. In der Buchbesprechung in der

„Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien“ wurde umgekehrt kritisiert, dass Pütz „der

Zusammenstellung dieser historischen Skizze so enge Gränzen“ gesetzt und dass er „nur die

Hauptmomente der österreich. Geschichte“351 behandelt habe. Dem muss allerdings erwidert

werden, dass Pütz in diesem knappen Raum eben doch eine überaus zusammenhängende und

teilweise ins Detail reichende Geschichtsdarstellung bot, nur dass dadurch gerade die wesentlichen

Stationen und Ereignisse keine Akzentuierung erfuhren. Wesentlich gerechtfertigter war daher Krals

Urteil in derselben Rezension, „dass dadurch wohl die allgemeine Geschichte recapitulirt wird,

gewisse Momente aber, welche der österreichischen Staatengeschichte eigenthümlich sind,

entweder gar nicht zur Sprache kommen, oder nur oberflächlich berührt werden“352. Beispielsweise

traf diese Kritik auf eines der wesentlichsten Ereignisse für die Genese der Habsburgermonarchie

zu, die Schlacht von Mohacs und die „Vereinigung“ Österreichs mit den Ländern der böhmischen

sowie die der ungarischen Krone durch Ferdinand (I.) 1526. Ganz anders, als beispielsweise in der

wissenschaftlichen Ausführung bei Franz Krones, der diesem Datum in seiner gesamtstaatlichen

Orientierung viel Bedeutung beimaß, arbeitete Wilhelm Pütz mit weit weniger Fingerspitzengefühl.

Er kommentierte das Erbe Ferdinands lapidar mit:

„Seinen zweiten Enkel Ferdinand verlobte er [Maximilian] mit der Tochter des Königs

Wladislaw von Böhmen und Ungarn und da dessen Sohn, was freilich damals noch

Niemand ahnen konnte, ohne Erben starb, so fielen diese beiden Reiche in der Folge (1526)

und für immer an Oesterreich.“353

Mit diesem Satz und dem angefügten „Bella gerant alii, tu, felix Austria, nube!“354, welches

ursprünglich mit einer spöttischen Bedeutung konnotiert und vom ungarischen König Matthias

Corvinus geäußert wurde, bezog Pütz keine gesamtstaatliche Position. Vielmehr leistete er dem

Vorwurf eines willkürlich zusammen geheirateten Staatenkonglomerats unterschiedlicher

Völkerschaften Vorschub, da Pütz den zufälligen Charakter der Ereignisse hervorhob. Es soll in

diesem Zusammenhang nicht die korrekte Darstellung und der tatsächlich zufällige Charakter dieses

Ereignisses, das der Todesfall des kinderlosen Jagiellonen Ludwig II. ja auch war, an Pütz‘

351 Kral (Rez.): Pütz, Vaterlandskunde: S. 656.352 Ebenda.353 Pütz, Vaterlandskunde: S. 27.354 Ebenda.

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Lehrbuch angezweifelt oder kritisiert werden, sondern vielmehr im Kontext der Gesamtstaatsidee

analysiert werden. Wilhelm Pütz unterließ es die engen Verbindungen, die zum Erbe Ferdinands

geführt hatten, in den Mittelpunkt zu stellen oder auch nur zu erwähnen. In einer ganz ähnlichen

Weise verhielt es sich mit der Pragmatischen Sanktion. Dieses wichtige Dokument fand aus

naheliegenden Gründen auch in Wilhelm Pütz‘ Lehrbuch Erwähnung. Doch wurde neben der

Unteilbarkeit dieser Länder in erster Linie von einer „aus so weit von einander getrennten und aus

so verschiedenartigen Bestandtheilen zusammengesetzte[n] Ländermasse“355 gesprochen, die

wiederum dieses Bild eines zusammengefügten, nicht zusammengewachsenen Territoriums erneut

heraufbeschwor.

Im gesamten Lehrbuch befand sich erstaunlich wenig vom österreichischen Staatsgedanken und der

Genese des österreichischen Staats, wohingegen mit ermüdenden Details zum Dreißigjährigen

Krieg und den zahlreichen Konflikten mit dem Osmanischen Reich nicht gespart wurde. So wurde

weiters der Spanische Erbfolgekrieg auf eigentümliche Weise zu einem Konflikt, in dem sich „die

germanischen Völker den romanischen gegenüber“356 standen, stilisiert, was angesichts des

multiethnischen Charakters der Habsburgermonarchie und besonders angesichts seiner großen

romanischen Bevölkerung vor allem in Siebenbürgen, Tirol und Lombardo-Venetien einerseits, und

der großen deutschsprachigen Bevölkerung anderseits, als nicht gerade staatsdienlich bezeichnet

werden kann.

Im Gegensatz dazu fanden sich allerdings auch einige Passagen, die dem „österreichischen Geist“

und dem gesamtstaatlichen Konzept schon eher entsprachen. So kann unter anderem Pütz‘ Bilanz

nach dem Dreißigjährigen Krieg für die Habsburgischen Länder, die er in „die nördlichen Provinzen

des Staates (Böhmen, Mähren, Schlesien)“ und „die südlich von der Donau gelegenen“357

unterteilte, als Betonung eines einzigen Staatswesen beurteilt werden. Dieses Staatswesen

bezeichnete er auch zum ersten Mal im Zusammenhang mit der Regentschaft Franz II./I. als

„österreichische[n] Staat“358. Ebenso trugen die abschließenden Analysen dem Staatsgedanken

deutlicher Rechnung und ließen die Habsburgermonarchie keineswegs als Anachronismus, sondern

als festes Mitglied der europäischen Großmächte erscheinen. Die Ordnung seit dem Wiener

Kongress, die im wesentlichen auch die gegenwärtige Zeit beim Erscheinen des Lehrbuchs 1851

widerspiegelte, wurde hierbei von Pütz zur Glanzzeit Österreichs erklärt:

„So war die österreichische Monarchie nicht nur abgerundeter als jemals und daher leichter

zu vertheidigen, sondern hatte auch wiederum eine einflussreiche Stellung unter den

355 Ebenda: S. 53.356 Ebenda: S. 46.357 Ebenda: S. 40f.358 Ebenda: S. 61.

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Grossmächten Europas gewonnen; […] unter den Staaten des deutschen Bundes […] nahm

Oesterreich den ersten Rang ein und führte den Vorsitz in permanenten Bundestage in

Frankfurt.“359

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die historischen Passagen von Pütz Vaterlandskunde

eine geschlossene und stringente Geschichte Österreichs wiedergeben, darin allerdings zahlreiche

bedeutende Ereignisse ohne Hervorhebung oder Höhepunkt hinter der geradlinigen Wand der

fortlaufenden Erzählung verschwinden, die als Orientierungspunkte hätten genutzt werden können.

Teilweise flackerte in seinen Darstellungen ein Funken des österreichischen Einheitsstaates auf, was

jedoch nicht auf breiter Linie und in konsequenter Weise fortgeführt wurde. Kral urteilte in der

„Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien“, dass Pütz‘ „Vaterlandskunde“ „den Rahmen und

das Fachwerk dazu [zur Vaterlandskunde] geliefert, aber den Raum in der Hauptsache unausgefüllt

gelassen“360 habe, dass es aber auf der anderen Seite „als rein statistisches Werk fast noch immer

ohne Concurrenz“361 sei.

7.2 Jakob Spitzers „Oesterreichische Vaterlandsgeschichte“ (1853)

Ungefähr in die gleiche Zeit wie die Vaterlandskunde von Wilhelm Pütz fiel Jakob Spitzers

„Oesterreichische Vaterlandskunde“. Jakob Spitzer war ein Realschul- und später Volksschullehrer,

in welcher Tätigkeit er an der Domschule zu St. Stephan über siebzehn Jahre hinweg

unterrichtete.362 Im Zuge der Revolution von 1848 wurde Spitzer zum Obmann des „Vereins der

Wiener Volksschullehrer“, der sich eben erst gegründet hatte, und kam auf diese Weise in Kontakt

mit der Politik und dem Unterrichtsministerium.363 Seinen wachsenden Einfluss in der Schulpolitik

verdankte er hierbei dem Unterstaatssekretär Ernst Freiherr von Feuchtersleben, dessen Vertrauen

Spitzer genoss und auf dessen Initiative er mit einer von ihm selbst ausgewählten Delegation von

Lehrern die Musterschulen im Ausland untersuchen sollte, um diese Erkenntnisse für die

österreichischen Volksschulen nutzbar zu machen.364 Feuchtersleben hatte dieses Amt, zu dem er

während der Revolution 1848 berufen worden war, jedoch nur für kurze Zeit inne.365 Mit dem

Rückzug Feuchterlebens aus der Politik ging Spitzers abflauender Einfluss Hand in Hand, sodass es

zur Ausführung dieses Plans nicht mehr kam und Spitzer schließlich von seinem Amt suspendiert

359 Ebenda: S. 65f.360 Kral (Rez.): Pütz, Vaterlandskunde: S. 657.361 Ebenda: S. 660.362 Vgl. Constantin von Wurzbach, Spitzer, Jacob. In: Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich. Bd. 36.

1878. S. 188-191: S. 188.363 Vgl. Ebenda.364 Vgl. Ebenda: S. 189.365 Vgl. Ders. Feuchtersleben, Ernst Freiherr von. In: Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich. Bd. 4.

1858. S. 210-214: S. 211.

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wurde.366 Constantin von Wurzbach würdigte in erster Linie Spitzers Publikationstätigkeit, deren

Fülle und Vielfalt er chronologisch auflistete und sie vor vermeintlich „parteiischen“ Kritikern in

Schutz nahm.367 Die Fach- und Lehrbücher reichen von historischen und geographischen

Gegenständen bis hin zu Themen der Germanistik und Literatur. Mit seinen zahlreichen und

vielseitigen Publikationen leistete Spitzer somit seinen Beitrag und half auf diese Weise dem

Lehrbuchmangel gegenzusteuern. Im Fall seiner „Oesterreichischen Vaterlandsgeschichte“

allerdings wurde dieser Beitrag mit wenig Begeisterung aufgenommen, wie bereits Wurzbach die

vielen negativen Kritiken zu Spitzers Lehrbüchern andeutete. Unter diese Kritiker reihte sich auch

der Tiroler Historiker Albert Jäger ein, der sich aufgrund seiner vielbeachteten Werke ein immenses

Renommee erworben hatte und als einer der einflussreichsten und berühmtesten österreichischen

Historiker seiner Zeit galt. Jäger fuhr mit den bisherigen Publikationen zum Thema Geschichte hart

ins Gericht:

„Kaum finden wir irgendwo das klare Bewusstsein von dem, was in der österreichischen

Geschichte als Wesen und Zweck erfasst und der Jugend beigebracht werden soll. Man

begegnet häufig Werken, denen die Ansicht zugrunde liegen zu scheint, in unserer

Vaterländischen Geschichte gebe es keine Entwicklungsgesetze, nichts was sich in ihr

vollendet hat; sie werde daher von keinem leitenden Gedanken beherrscht, sondern sie

bestehe aus einem Conglomerate verschiedener aus der Geschichte der einzelnen Kronländer

excerpierter Thatsachen, bei deren Aufzählung es gar nicht darauf ankomme, einen

Zusammenhang, viel weniger eine Zusammengehörigkeit nachzuweisen.“368

Im Grunde kritisierte Albert Jäger nicht nur die Missstände der Schul- und Lehrbücher der

Habsburgermonarchie, seine Kritik deckte sich im Wesentlichen mit der Problematik der

österreichischen Historiographie, eine zusammenhängende Gesamtstaatsgeschichte zu entwickeln.

Jäger forderte eine Sinnstiftung und eine einende Klammer um das Staatswesen, das sich im Laufe

der Geschichte gebildet hatte. Nicht zu Unrecht reihte er darunter auch die „Oesterreichische

Vaterlandsgeschichte“ Jakob Spitzers ein, der er einen „Anspruch auf eine Ausnahme von dieser

Gattung neuerer Arbeiten“369 bereits einleitend absprach. Denn Spitzers Werk kam trotz der

alleinigen Behandlung der „Ereignisgeschichte“ und des vergleichsweise großen Umfangs meist

nicht über eine Aneinanderreihung von Herrschern und Feldzügen voller Anekdoten hinaus und

verzichtete darauf, Entwicklungen und Zusammenhänge zu deuten und einen Sinn einzuhauchen.

Die „Oesterreichische Vaterlandsgeschichte für Schule und Haus“ Jakob Spitzers erschien erstmals 366 Vgl. Ders., Spitzer: S. 189.367 Vgl. Ebenda: S. 189ff.368 Albert Jäger (Rez.): Jakob Spitzer, Oesterreichische Vaterlandsgeschichte. Wien 1853. In: Zeitschrift für die

österreichischen Gymnasien. Wien 1854. S. 50-62: S. 50.369 Ebenda: S. 51.

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1853, erlebte aber trotz der Verrisse wie dem Albert Jägers immer wieder neue Auflage, so 1858 in

zweiter und 1871 in dritter Auflage. Auf letztere, die in redigierter und um die Ereignisse bis zum

Jahr 1866 ergänzter Form erschienen ist, stützen sich meine Analysen. Auch wenn historische

Lehrbücher wie die Emanuel Hannaks oder Anton Gindelys weit höhere Auflagen erzielten und

weitaus einflussreicher und verbreiteter waren, so zeugte es doch von einer gewissen Beliebtheit der

Vaterlandsgeschichte Spitzers, dass sie immerhin mehrmals neu aufgelegt wurde. Wie der Untertitel

verrät, war Spitzers Werk nicht gezielt für den Schulgebrauch oder eine Schulstufe konzipiert, aber

dennoch sollte daneben der Einsatz dieses Buches in der Schule möglich und nützlich sein. Spitzer

selbst betrachtete seine „Vaterlandsgeschichte“ neben dem Hausgebrauch als „eben kein

überflüssiges Lehrmittel für die österreichischen Schulen“370, wie er im Vorwort anlässlich der

dritten Auflage kundtat.

Der Aufbau der Vaterlandsgeschichte orientiert sich lückenlos an der dynastischen Genealogie der

Herrscher. Von der großzügig ausgeführten Urzeit bis zum Beginn der Babenberger als Markgrafen

von Österreich abgesehen, entsprechen die Kapitel dem jeweiligen babenbergischen oder

habsburgischen Herrscher oder diverser Linien von ihnen. Noch starrer und monotoner als dies bei

Wilhelm Pütz geschehen ist, arbeitete Spitzer die Babenberger und Habsburger der Reihe nach ab,

ohne wichtige Ereignisse oder Entwicklungen zu betonen oder hervorzuheben. An die Babenberger-

Epoche reiht sich mit der Bruchstelle des Interregnums die Herrschaft der Habsburger an, die nach

mehreren Spaltungen ihrer Linien wieder zusammenfinden und ins Haus Habsburg-Lothringen

münden. Die Geschichte der dritten Auflage führt inhaltlich bis zum Krieg mit Preußen und Italien

1866 und endet mit den Friedensschlüssen. Dass Spitzer sein erweitertes Lehrbuch ausgerechnet mit

1866 enden ließ, war überaus aussagekräftig und steht paradigmatisch für seine gesamte

„Vaterlandsgeschichte“. Denn mit dem verlorenen Krieg von 1866, dem Ausscheiden aus dem

Deutschen Bund und dem Verlust Venetiens war die politische Ereignisgeschichte abgeschlossen.

Über die Ereignisgeschichte nämlich ging Spitzers Werk nicht hinaus. Wichtige Aspekte, wie der

Ausgleich mit Ungarn nur ein Jahr später, fanden in der „Vaterlandsgeschichte“ keinerlei

Beachtung, auch dann nicht, wenn sogar der Name dieses „Vaterlandes“ sich in Österreich-Ungarn

geändert hatte. Die gesamte Regierungszeit Franz Josephs wurde auf die Kriege reduziert.

Inhaltlich gibt es aus diesen Gründen nur wenig Brauchbares zu nennen, das im Kontext der

Gesamtstaatsidee von Belang wäre, denn Spitzer hegte keine tiefgreifende Intention, er

transportierte keine Idee. Selbst erklärtes Ziel dieser „Oesterreichischen Vaterlandsgeschichte“ war

es lediglich „der vaterländischen Jugend ein belehrendes Buch an die Hand zu geben, welches sie

zur Nachahmung der ruhmwürdigen Handlungen ihrer Vorfahren aneifern und in deren Herzen

370 Spitzer, Vaterlandsgeschichte: S. II.

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Page 75: Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

Liebe zu Fürst und Vaterland erwecken soll“371. Dieses Vorhaben versuchte Spitzer

dementsprechend mit einer sehr personen- und herrscherbezogenen Geschichtsdarstellung

umzusetzen. In dieser inhaltlichen und stilistischen Ausgestaltung war Spitzers

„Vaterlandsgeschichte“ mehr wie ein Lesebuch mit stark roman- und anekdotenhaften Erzählungen

und Episoden. So gesehen hatte Spitzer hingegen seine eigene Vorstellung und Intention nicht

verfehlt, wie an dieser Stelle eingeräumt werden soll, wenngleich dies Albert Jäger anders sah.372

Die gesamtstaatlichen Bezüge sind hingegen faktisch nicht aufzufinden. Die einzige tatsächliche

Passage, an der Spitzer ein Ereignis in seiner Bedeutung für die Habsburgermonarchie hervorhob

und für die weitere Entwicklung als wichtig einstufte, war der Erwerb Tirols für das Haus Habsburg

durch Rudolf IV. den Stifter. „Hochwichtig ist die Vereinigung Tirols mit den früheren Besitzungen,

die nach dem Ableben des Grafen Meinhard von Tirol erfolgte, der ein Sohn der Margaretha

Maultasch war.“373 Tirol kam deswegen eine so große Bedeutung zu, da mit dessen Vereinigung die

Habsburger ihre Stammlande mit ihren Ländereien in Österreich, der Steiermark, Kärnten und

Krain zu verbinden suchten, um so ein territorial zusammenhängendes Gebiet zu schaffen, was mit

dem Landankauf im heutigen Vorarlberg und Baden-Württemberg seine Fortsetzung fand. Diese

Rolle Tirols wollte auch Albert Jäger hervorgehoben wissen. Obwohl er diese Bedeutung Tirols in

Spitzers Werk sehr wohl gegeben sah, kritisierte er die fehlende Begründung, die er selbst

nachreichte:

„Nur die Erwerbung Tirols erscheint dem Hrn Vf. S. 54 [1. Auflage] 'hochwichtig'. Er

unterliess aber anzudeuten, warum diese Erwerbung von hoher Wichtigkeit war. Vielleicht

standen ihm die Gründe nicht so nahe zur Hand, um nachzuweisen, dass Tirol das

unentbehrliche Schlussglied, die nothwendige Brücke von den habsburgischen Besitzungen

im Osten zu den Besitzungen dieses Hauses im Westen war.“374

Weniger wichtig erschien Spitzer jedenfalls die andere Gebiets-Orientierung der Habsburger,

nämlich die Vereinigung der eigenen Länder mit denen der böhmischen und ungarischen Krone. Die

zeitweise Personalunion durch den deutsch-römischen König Albrecht II. kommentierte Spitzer

lapidar.

„Nach Beendigung des Krieges lebte der Kaiser [Sigismund] nur mehr drei Jahre, worauf

Albrecht zu Stuhlweißenburg zum Könige von Ungarn (1. Jänn. 1438) und zu Prag zum

Könige von Böhmen (29. Juni 1438) gekrönt wurde, nachdem er schon früher von den

Wahlfürsten des deutschen Reiches zum Kaiser (sic!) ernannt worden war.“375

371 Ebenda: S. If.372 Vgl. Jäger (Rez.): Spitzer, Vaterlandsgeschichte: S. 62.373 Spitzer, Vaterlandsgeschichte: S. 51.374 Jäger (Rez.): Spitzer, Vaterlandsgeschichte: S. 53.375 Spitzer, Vaterlandsgeschichte: S. 64.

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Beispielhaft ist auch hier wieder Spitzers Bemühen um Details und auf den Tag genau genannte

Zahlen, deren Vermittlung er den Vorzug gegenüber der eigentlichen Bedeutung und Reichweite

von Albrechts und vor allem später Ferdinands Erbe einräumte. Auch wenn diesem Ereignis rund

um Albrecht II. erstaunlicherweise bei allen von mir betrachteten Lehrbüchern meist nur eine

beiläufige Erwähnung zukam, so wich Spitzer vor allem ab, was das Jahr 1526 und das Erbe

Ferdinands anbelangt. Die Jagiellonische Doppelhochzeit 1515 erhielt von Spitzer noch das

Prädikat „von größtem Nutzen […], wodurch später beide Reiche an das Haus Habsburg kamen“376.

Hingegen wurde der Tod des Jagiellonen Ludwig II. 1526 in der Schlacht von Mohacs und das

damit verbundene Erbe, das Ferdinand zumindest nominell über Böhmen und das besetzte Ungarn

antreten konnte, in wenigen Sätzen als Nebensache abgetan. Ferdinands Krönung zum ungarischen

König 1527 in Stuhlweißenburg verschwand gar in einem Halbsatz zwischen der Schlacht von

Tokay und der Flucht Zapolyas.377 Die Krönung zum böhmischen König fand überhaupt mit keinem

Wort Erwähnung, zu wichtig schien der Verlauf der Ersten Wiener Türkenbelagerung gewesen zu

sein. Die Pragmatische Sanktion wurde nicht mehr unter Karl VI. erwähnt, sondern, ganz ähnlich

wie dies auch Franz Joseph Silva-Tarouca tat,378 in Verbindung mit dem umkämpften Erbe Maria

Theresias, das Karl VI. durch sein allzu großes Vertrauen auf die Pragmatische Sanktion

mitverschuldet habe, ohne dabei auf den Prinzen Eugen gehört zu haben, der zum Ausbau des

Heeres als Hauptargument der Erbansprüche geraten hatte.379

Jäger erklärte die „Vaterlandsgeschichte“ einerseits aufgrund der fehlenden Zusammenhänge und

der fehlenden Beschreibung der Genese des österreichischen Staatswesens sowie andererseits

aufgrund der zahlreichen historischen Fehler und wissenschaftlichen Mängel, die Jäger seitenweise

zu zerlegen und richtigzustellen bemüht war, für ungeeignet.380 Im Großen und Ganzen ist diese

Kritik nicht unbegründet, zumal sie auch in Richtung einer gesamtstaatlichen Auffassung abzielte,

die bei Jakob Spitzer nicht gegeben war. Sowohl als Lehrbuch in einer Mittelschule als für die

Gesamtstaatsidee war das Werk ungeeignet. Spitzers „Vaterlandsgeschichte“ ist aber dennoch vor

allem vor dem Hintergrund von Albert Jägers Kritik interessant, da diese Verbindung die

Diskrepanz von geforderten und umgesetzten Herangehensweisen an die Geschichte und

Vaterlandskunde der Habsburgermonarchie beleuchtet. Es spiegelt Jägers Kritik an Spitzers Werk

diese Zeit des Mangels an Schulbüchern und die Zeit der ersten Welle an Neupublikationen, die

diesen Mangel an Qualität noch nicht befriedigend beheben konnten, sehr gut wider. Es ist dieser

Vorwurf Jägers, dass Spitzer sein Werk „mit läppischen Anekdoten und historischen Sagen“ 376 Ebenda: S. 74.377 Vgl. Ebenda: S. 81.378 Silva-Tarouca, Vaterlandskunde: S. 172f.379 Vgl. Spitzer, Vaterlandsgeschichte: 119.380 Vgl. Jäger (Rez.): Spitzer, Vaterlandsgeschichte: S. 53-56 u. 62.

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ausschmückt habe und dass er nicht „von einem leitenden Gedanken geführt und durchdrungen“381

wäre, was beispielhaft für diese Phase der österreichischen Vaterlandskunde und Geschichte stand.

7.3 Die „Oesterreichische Vaterlandskunde“ von Emanuel Hannak (1869)

Ein weiteres Beispiel im Bereich der Vaterlandskunde lieferte der Lehrer und Pädagoge Emanuel

Hannak aus Österreichisch-Schlesien 1869. Hannak, der nach seinen Studien der Geschichte und

Altphilologie nacheinander an mehreren Gymnasien in Wien als Lehrer tätig war, hatte zeitweise

den Posten als Bezirksschulinspektor inne und erwarb sich überdies in seiner späteren Funktion als

Direktor des Wiener Pädagogiums einen überaus guten Ruf.382 Das Pädagogium in Wien war seit

seiner Gründung 1868 die wichtigste Einrichtung der Habsburgermonarchie zur qualitativen

Fortbildung von Volksschullehrern.383 Im Zuge von Hannaks Reorganisation des Pädagogiums, die

eine Verkürzung der Ausbildung auf zwei Jahre und eine Reduzierung der Wochenstunden

beinhaltete,384 gelangte diese Einrichtung zu hohem Ansehen in In- und Ausland.385 Zusätzlich wird

seine progressive und fortschrittliche Haltung auch durch seine Rolle als Leiter des ersten

Mädchengymnasiums in Wien unterstrichen.386 Emanuel Hannak brachte daher sowohl im

fachwissenschaftlichen Gebiet mit seinen Studien einerseits, als auch in seiner pädagogischen

Erfahrung und Tätigkeit in der Lehrerausbildung andererseits die nötigen Kompetenzen für die

Aufgaben und Anforderungen eines Lehrbuchs im Bereich der Vaterlandskunde mit. Dieser

ausgewogenen Qualifikationen entsprechend veröffentlichte Emanuel Hannak zahlreiche

Lehrbücher für den Geschichtsunterricht für Gymnasien und Mittelschulen, die teils in hohen

Auflagen über einen großen Zeitraum erschienen sind. Unter anderem publizierte Hannak ein viel

verwendetes Lehrbuch zur allgemeinen Geschichte, das er in drei Teilen zu den drei Groß-Epochen

Altertum, Mittelalter und Neuzeit mit starker Berücksichtigung der österreichischen Geschichte,

wie es den Vorgaben des Unterrichtsministerium entsprochen hatte, abhandelte. Vor allem die starke

Berücksichtigung der Kulturgeschichte, die in jedem Zeitabschnitt in einem eigenen Kapitel

behandelt wird, ist in dieser Reihe hervorzuheben. Vor allem der abschließende Band der Neuzeit

wurde aufgrund der Zuwendung zur Vermittlung „pragmatischer Zusammenhänge“ und der

unkonventionellen Stoff-Anordnung gelobt.387 Der Historiker Franz Kratochwil urteilte über diesen

381 Ebenda: S. 52.382 Vgl. Leo Santifaller/Eva Obermayer-Marnach (Hgg.) Hannak, Emanuel. In: ÖBL. Bd. 2. Lfg. 7. 1958. S. 180: S.

180. 383 Vgl. Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Bd. 4: S. 66.384 Vgl. Ebenda: S. 43.385 Vgl. Santifaller/Obermayer-Marnach (Hgg.) Hannak: S. 180.386 Vgl. Ebenda.387 Vgl. Franz Kratochwil (Rez.): Emanuel Hannak, Lehrbuch der Geschichte der Neuzeit. Wien 1873. In: Zeitschrift

für die österreichischen Gymnasien. Wien 1874. S. 267-274: 268f.

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Page 78: Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

Band, dass es „ein gutes, brauchbares, den im Auslande erschienen Geschichtswerken ebenbürtiges

Lehrbuch“ sei, das den „pädagogischen Zielen des Organ.-Entw. sowie den gegenwärtigen

Anforderungen der Wissenschaft“388 entspräche. Kritiken wie diese verdeutlichen das Renommee

Hannaks, das er sich mit seinen Lehrbüchern erworben hatte. Bevor ich auf die Reihe seiner

allgemeinen Geschichte eingehe, soll Hannaks früher erschienene „Oesterreichische

Vaterlandskunde“ einer genaueren Analyse unterzogen werden. Wie sein „Lehrbuch der

Geschichte“ wurde auch seine „Vaterlandskunde“ für die Mittelschulen und vor allem die

Gymnasien konzipiert. Die „Vaterlandskunde“ wurde im Jahr 1869 erstmals publiziert, bei der mir

vorliegenden Ausgabe, auf die sich meine Betrachtungen stützen, handelt sich um die dritte Auflage

von 1873. Allerdings wurden nach Hannaks Angaben gerade die historischen Kapitel, auf welche

ich vor allem eingehen werde, keiner Überarbeitung oder Veränderung unterzogen,389 wenn auch

dies in den Kritiken oftmals gefordert worden war. Die vielen Auflagen verdeutlichen den regen

Gebrauch und die Nachfrage dieses Lehrbuchs.

Formal gesehen ist die „Vaterlandskunde“ Emanuel Hannaks äußerst unausgewogen ausgefallen. So

entfallen ungefähr zwei Drittel des gesamten Lehrbuchs auf die geographischen, topographischen

und statistischen Themengebiete der Habsburgermonarchie, während hingegen die Geschichte mit

dem restlichen Drittel ihr Auskommen finden muss. Aufgrund dieser Konzeption, die konträr zum

Aufbau der „Vaterlandskunde“ Silva-Taroucas stand, wurde der historische Teil auf einen sehr

kleinen Raum eingeengt, was auf Kosten der Details und vor allem der ausführlichen

Zusammenhänge geschah. Trotz dieser Gegebenheit wurde die „Vaterlandskunde“ Hannaks in der

Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien als ein „Versuch, der jedenfalls einen wesentlichen

Beitrag zur Klärung der Ideen auf diesem Gebiet liefert“390, begrüßt. Auch in dieser Rezension

wurden wiederum die Unzulänglichkeiten der bisherigen Vaterlandskunde-Bücher in der Schule und

die Problematik in der praktischen Umsetzung der Vorgaben des Organisations-Entwurfs

thematisiert.391 Diese Vorgaben beherzigend stellte Hannak die historische Abteilung an den Beginn

seines Werkes und verfuhr in seiner Anordnung wie folgt: Die Geschichte Österreichs ist in vier

Kapitel gegliedert, die in ihrer zeitlichen Abgrenzung gängigen Methoden folgten. Beginnend mit

der „Ältesten Geschichte“ und der Abhandlung des Stoffes seit der Bronzezeit über die Römer und

die Völkerwanderung bis hin zum Frankenreich, wird im zweiten Abschnitt die Zeit der

Babenberger zum Thema gemacht. Darauf folgen die Epochen der Übernahme Österreichs durch

die Habsburger 1282 bis zur Schlacht von Mohacs sowie ihren Folgen und schließlich die Zeit seit

388 Ebenda: S. 274.389 Vgl. Hannak, Vaterlandskunde: S. I.390 Ptaschnik (Rez.): Hannak, Vaterlandskunde: S. 872.391 Vgl. Ebenda: S. 870ff.

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Page 79: Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

der Vereinigung Österreichs, Böhmens und Ungarns bis zur Gegenwart. Der letzte Zeitraum von

1526 bis zur Gegenwart ist allerdings lediglich in einer schematischen Überblickform über die

nachmaligen Gebietsveränderungen der Habsburgermonarchie bis zum status quo gestaltet. Dies

rechtfertigte Hannak in folgender Ankündigung, die er an die Vereinigung der Länder 1526 anfügte

und den historischen Teil damit quasi abschloss: „Mit dieser Vereinigung (7998 Q.-M.) ist im

wesentlichen die Gestalt und der Umfang des jetzigen Oesterreich gegeben.“392

Obwohl sich auch laut der anschließenden Auflistung gerade in dieser Epoche große Veränderungen

territorialer Natur ereigneten, verzichtete Hannak darauf die Ereignisgeschichte und die

Zusammenhänge, wie es in den vorigen drei Kapiteln praktiziert wurde, fortzuführen und auch

diese letzte, entscheidende Epoche entsprechend abzudecken. Dadurch wurde weder die Genese des

modernen österreichischen Staatswesens noch der Ist-Zustand der Habsburgermonarchie

berücksichtigt. De facto besteht der historische Teil daher aus drei Abteilungen, von den

Metallzeiten bis zum Jahr 1526. Aufgrund der spärlichen Ausführungen und der fehlenden

Zusammenhänge lassen sich erschwert inhaltliche Aussagen über Gesamtstaats-Bezüge ermitteln,

doch zeigt dafür gerade der Aufbau des Werkes deutliche Anzeichen in diese Richtung gehend.

Anders als bei der wesentlich später erschienen „Vaterlandskunde“ Silva-Taroucas widmete sich

Emanuel Hannak nämlich in allen Epochen auch den Ereignissen und Entwicklungen, die für die

böhmischen und ungarischen Länder relevant waren und flocht sie nacheinander abfolgend in die

Geschichte des Herzogtums Österreich ein. Auf diese Weise wurde bereits in der Ältesten

Geschichte den Entwicklungen in der Karolingischen marchia orientalis die Situation der Magyaren

bis zur Schlachte am Lechfeld sowie die „slawischen“ Reichsgründungen und darunter vor allem

das Großmährische Reich zur Seite gestellt. Dieser Logik folgte Hannak ebenso im zweiten

Abschnitt mit der parallelen Behandlung der Premysliden in Böhmen und den Babenbergern in

Österreich sowie der Geschichte Ungarns und Polens in diesem Zeitraum. Besonders im Umgang

mit Ottokar II. Premysl, worum sich auch Franz Krones bemühte, war Hannak bestrebt, ein

objektives und gerechteres Bild des Premislyden zu zeichnen, so wie er ihn als umsichtig planenden

und weitsichtigen Herrscher mit durchaus positiven Eigenschaften charakterisierte.393 Auch im

letzten Zeitraum wurden diese Muster fortgesetzt und in gleichgestellter Rangordnung die Rolle des

Hauses Anjou in Ungarn und Polen, der Aufstieg der Luxemburger in Böhmen und die Teilung und

Wiedervereinigung der Habsburgischen Länder dargestellt. In dieser gleichwertigen Behandlung der

drei wichtigsten Ländergruppen der Habsburgermonarchie nebeneinander und der Betonung der

engen politischen und kulturellen Interaktion und teilweise auch Kooperation folgte Hannak ganz

392 Hannak, Vaterlandskunde: S. 53.393 Vgl. Ebenda: S. 29.

79

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den Forderungen Helferts.394

Auch inhaltlich lassen sich einige Merkmale und Bezugnahmen, die auf eine gesamtstaatliche

Betonung hinauslaufen, herauslesen. Interessant in diesem Zusammenhang ist die Rolle Rudolfs

IV., dem Hannak aufgrund seiner Erbschaftsabkommen mit Kaiser Karl IV. sowie mit Ungarn die

eigentliche Errungenschaft der Ländervereinigung zuschrieb. „Hiedurch war die Vereinigung der

österreichischen, böhmischen und ungarischen Länder bereits angebahnt.“395 Auch an anderer Stelle

wurde Rudolf IV. zum vorausschauenden Planer stilisiert, der die Vereinigung dieser Länder in die

Wege geleitet habe, nämlich bei der Erbschaft Ferdinands. I. selbst:

„Dennoch war rechtmässig auch Ungarn mit den Habsburgischen Ländern vereinigt, und so

der Plan, der schon zu Zeiten des Herzogs Rudolf IV. durch die Erbverträge Böhmens,

Oesterreichs und Ungarns vorgezeichnet war, verwirklicht.“396

Auch bei der Vereinigung der Länder an sich wurde also Rudolf zum großen Vorbereiter erhoben

und auf die Verträge und die gemeinsamen Interessen dieser Länder lange vor 1526 hingewiesen.

Die Einigung wurde als etwas langfristig geplantes und auch von böhmischer und ungarischer Seite

ebenfalls versuchtes und goutiertes Unterfangen präsentiert. In der österreichischen Historiographie

des 19. Jahrhunderts wurde dabei nicht selten gerade auf die Bedeutung Rudolfs IV. verwiesen, wie

auch der berühmte Historiker Alfons Huber in seinem Spezialgebiet unterstrich:

„Der Gedanke, auf diesem Wege die deutschösterreichischen, die ungarischen und

böhmischen Länder zu vereinigen, ist ohne Zweifel vom Herzoge R. ausgegangen, der so

mit einem gewissen Rechte als der Begründer des gegenwärtigen österreichischen

Kaiserstaates angesehen werden kann. Denn wie in Brünn die Habsburger und Luxemburger

für den Fall des Aussterbens eines der beiden Herrscherhäuser sich gegenseitig die

Nachfolge in ihren Ländern zusicherten, so hatte R. schon früher, wahrscheinlich bei

Gelegenheit des Bündnisses, das er im December 1361 mit dem ungarischen Könige

einging, einen ähnlichen Vertrag mit dem in Ungarn regierenden Geschlechte der Anjous

abgeschlossen.“397

Ebendiese Funktion kam auch in Hannaks Darstellungen der Person Rudolfs IV. zu, der trotz seiner

kurzen Regierungszeit wichtige Schritte für die künftigen Entwicklungen und das Innere und

Äußere der Habsburgermonarchie setzte. Dagegen wurde die Episode der tatsächlichen, wenngleich

kurzfristigen Einigung der Länder unter König Albrecht II. und nominell auch weiterhin unter

seinem Sohn Ladislaus Postumus von 1437-1457 nur als Randnotiz erwähnt.398 Umgekehrt wurde 394 Vgl. Helfert, Nationalgeschichte: S. 55f.395 Hannak, Vaterlandskunde: S. 35.396 Ebenda: S. 53.397 Alfons Huber, Rudolf IV. In: Allgemeine Deutsche Biographie. Bd 29. 1889. S. 544-547: 546f.398 Vgl. Hannak, Vaterlandskunde: S. 43.

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neben Rudolf vor allem Kaiser Maximilian als federführende Figur beurteilt, der mit der

sogenannten Jagiellonischen Doppelhochzeit von Wien das Arrangement und die daraus

resultierende Erbfolge einfädelte.399

Das erstaunliche daran ist die wechselhafte und nicht konsequent durchgeführte Wortwahl Emanuel

Hannaks im Zusammenhang mit dem Erbe Ferdinands I.. Während Hannak im Kontext der Rolle

Rudolfs IV. und dem Antritt des Erbes durch Ferdinand stets von der „Vereinigung“400 der Länder

sprach, gebrauchte er im Zuge der Jagiellonischen Doppelhochzeit das Wort der „Erwerbung“401

Böhmens und Ungarns für Österreich. Die „Erwerbung“, die Silva-Tarouca in seinem Lehrbuch

zum beschreibenden Wort von Ferdinands Erbe gewählt hat, steht auf semantischer Ebene der

„Vereinigung“ diametral gegenüber. Die Erwerbung für Österreich vermittelte vielmehr das Bild

von Gebietsgewinnen zugunsten des Herzogtums, das sich Ungarn und Böhmen einzuverleiben

verstand. Insgesamt betonte Hannak durch Aufbau, Anordnung und Inhalt gewisse gesamtstaatliche

Elemente, doch zeigt nicht nur dieses Beispiel, dass dieses Lehrbuch nicht ganz in diesem Sinn

durchkomponiert wurde. Es überwiegen zwar die klare Berücksichtigung und Perspektivierung auf

alle drei Länderkomplexe, die Betonung auf gemeinsame Beziehungen vor 1526 und die

Vereinigung der Länder, wie auch die vorherrschende Wortwahl „Vereinigung“ andeutet, doch sind

diese Aspekte allein durch den knapp bemessenen Raum des historischen Teils spärlich gesät.

Dennoch erhielt Hannaks „Vaterlandskunde“ gute Kritiken und war in vielen Auflagen über

mehrere Jahrzehnte auch aufgrund seines detailreichen statistischen und geographischen Teils weit

verbreitet. Als es 1914 schon ein wenig in die Jahre gekommen war und modernere Publikationen

dem Zeitgeist und den Veränderungen eher gerecht zu werden wussten, erinnerte sich der

Gymnasiallehrer Josef Schwerdfeger mit wenig Wehmut an dieses Lehrbuch, das seine eigene

Generation in der Schule geprägt hatte:

„Wie wurde aber nun dem gebildeten „Laien“ zu Mute, wenn er so manche unserer

bisherigen Vaterlandskunden aufschlug! Wir älteren Jahrgänge gedenken z. B. unseres

einstigen 'Hannak' und wahrscheinlich nicht mit den erhebensten Gefühlen.“402

Indirekt aber wurde Hannaks Lehrbuch mit diesen Worten auch eine gewisse Würdigung zuteil, wie

in dem selbstverständlichen „unser Hannak“ auf die weite Verbreitung und den regen Gebrauch in

den Schulen hingedeutet wurde. Auch zu Schwerdfegers Zeiten war es nämlich nach wie vor in

Verwendung. Ähnlich wie „Gindelys Lehrbuch der Geschichte“ wurde auch Hannaks

„Vaterlandskunde“ über den Tod des Verfassers 1899 hinaus als Fundament für zahlreiche

399 Vgl. Ebenda: S. 49.400 Ebenda: S. 35 u. 53.401 Ebenda: S. 49.402 Schwerdfeger (Rez.): Silva-Tarouca, Vaterlandskunde: S. 1.

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Bearbeitungen und Neuauflagen genutzt. 1910 wurde es in bearbeiteter Version als „Hannaks

Österreichische Vaterlandskunde“403 in 16. Auflage von Karl Schober und Friedrich Machacek

herausgegeben.

7.4 Das „Lehrbuch der Geschichte“ von Emanuel Hannak (1871-1873)

Den Namen, den sich Hannak bei seiner Vaterlandskunde gemacht hatte, kam auch seinem

„Lehrbuch der Geschichte“ zugute. Wie bei Gindelys Reihe soll auch Hannaks erster Band in den

Betrachtungen außen vorgelassen werden, da erst ab dem Mittelalter-Band und besonders dominant

in der Neuzeit der österreichische Raum und die österreichische Geschichte auf den Plan tritt. Jeder

ereignisgeschichtliche Zeitabschnitt wird von einem kulurgeschichtlichen Kapitel abgeschlossen.

Jeder dieser beiden Bände ist in je vier Zeitabschnitte unterteilt. Das Mittelalter gliedert sich in die

Perioden vom Untergang des Weströmischen Reiches bis zu Karl Martell, von der Thronbesteigung

der Karolinger bis zum römisch-deutschen König Heinrich IV. aus dem Haus der Salier, vom Ersten

bis zum Siebten Kreuzzug, und abschließend von der Königswahl Rudolfs von Habsburg bis zu

Kaiser Maximilian und dem Übergang zur Neuzeit. Im dritten Band schickte Hannak voraus, dass

er „vielfach von den gangbaren Büchern abzugehen“ gezwungen war und zwar „schon in der

Eintheilung der Hauptepochen (Reformation, despotischer und aufgeklärter Absolutismus und

Revolution).“404 Franz Kratochwil lobte Anordnung und Gewichtung des Stoffes, der „im

allgemeinen nicht ethnographisch, sondern nach den in der Entwicklung der Neuzeit wirkenden

Momenten behandelt“405 werde. Emanuel Hannaks unkonventionelle Gewichtung zielte auf eine

vermehrte Berücksichtigung der Entwicklungen und Zusammenhänge ab, denen er gegenüber einer

bloßen Aneinanderreihung historischer Ereignisse den Vorzug gab. Die Schülerinnen und Schüler

wollte er bei der Beschäftigung mit der neuzeitlichen Geschichte primär darauf aufmerksam

machen, „den Causalnexus der Gegebenheiten aufzusuchen und die Geschichte nicht als bloßes

Conglomerat interessanter Begebenheiten, sondern als einen nach bestimmten Gesetzen sich

entwickelnden Organismus zu betrachten.“406 Zudem wurde der österreichischen Geschichte

verhältnismäßig viel Platz eingeräumt, wie aus dem Urteil Kratochwils hervorgeht.407 Da die

„Vaterlandskunde“ Hannaks wenig gesamtstaatliche Aspekte zutage geliefert hat, ist durch die

starke Berücksichtigung der österreichischen Geschichte in Verbindung mit dem methodischen

403 Emanuel Hannak/Karl Schober/Friedrich Machacek, Hannaks Österreichische Vaterlandskunde für die oberen Klassen der Mittelschulen. Wien 161910.

404 Hannak, Lehrbuch der Geschichte. Bd. 3: S. III. 405 Kratochwil (Rez.): Hannak, Lehrbuch der Geschichte: S. 269.406 Hannak, Lehrbuch der Geschichte. Bd. 3: S. III.407 Vgl. Kratochwil (rez.): Hannak, Lehrbuch der Geschichte: S. 270.

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Zugang der Entwicklungsgeschichte bei diesem Lehrbuch Emanuel Hannaks deutlich mehr

Potential vorhanden. Interessant sind dabei die Erläuterungen des Verfassers, die er in seinem

Vorwort zum dritten Band vorausschickte:

„Hauptsächlich wurde die österreichische Geschichte berücksichtigt. Darum wurden

Ferdinand I., Maximilian II., Leopold I., Karl VI. und vor Allen Maria Theresia und Joseph

II. ausführlicher behandelt, als dies sonst zu geschehen pflegt. Niemand wird mir wol in

diesem Punkte einen Vorwurf machen. Daß neben der österreichischen die mit dieser innig

verbundenen deutschen Geschichte in den Vordergrund trat, ist selbstverständlich; doch

wurden auch die übrigen Länder da berücksichtigt, wo ihre Geschichte entweder in die

österreichische und deutsche eingreift, oder doch zum Verständnis der leitenden

Gesichtspunkte bestimmter Epochen und der Entwicklung der europäischen Politik

erforderlich ist.“408

Die Ankündigung der hauptsächlichen Orientierung an der österreichischen (und deutschen)

Geschichte spiegelt sich auch im Inhaltsverzeichnis wider und nimmt in der Tat einen großen Raum

ein, wobei die Geschichte nicht so stark an die Herrscher und deren Biographien gekoppelt ist, wie

dies zunächst erscheinen mag. Auch die enge Verbindung der österreichischen und deutschen

Geschichte ist nicht weiter verwunderlich, zudem die österreichische trotz ihrer Verwandtschaft von

der deutschen geschieden kategorisiert und die Habsburgermonarchie als eigenständiges, nicht

primär deutsches Staatswesen in separaten Kapiteln präsentiert wird. Es stellt sich allerdings die

Frage, wie Emanuel Hannak dieses „Österreich“ definierte, da er im Vorwort auf weitere

Präzisierungen verzichtete. Aus dem Inhalt und den Zeitabschnitten geht jedoch hervor, dass

Hannak damit die gesamte Habsburgermonarchie bezeichnete, ohne jedoch die Gewichtung der

einzelnen Länderkomplexe und Kronländer abzustecken oder auch nur namentlich zu erwähnen.

Noch erstaunlicher ist dies, da das Lehrbuch bereits nach dem Ausgleich 1867 erschienen war, der

Terminus „Österreich-Ungarn“ jedoch im gesamten Lehrbuch nicht einmal Erwähnung fand. Damit

stand Hannaks „Lehrbuch“ in einem krassen Gegensatz zu „Gindelys Lehrbuch“, in dem die

offiziellen Termini in jeder Situation und in jedem Kontext akkurat eingehalten wurden. Auch zur

„Vaterlandsgeschichte“ Hannaks unterscheidet sich das „Lehrbuch der Geschichte“ inhaltlich in

vielen Dingen, wenn man von den allgemeinen Unterschieden zwischen einer allgemeinen

Geschichte und einer Vaterlandskunde absieht.

Die Figur Rudolfs IV., der in Hannaks „Vaterlandskunde“ noch zum Wegbereiter der

Ländervereinigung stilisiert wurde, fand in diesem Lehrbuch nur in Verbindung mit der Erbeinigung

408 Vgl. Hannak, Lehrbuch der Geschichte. Bd. 3: S. IV.

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mit Karl IV., deren Konsequenzen nicht näher beschrieben wurden, kurz Erwähnung.409 Allgemein

ging Hannak nicht näher auf das Verhältnis Österreichs zu Böhmen und Ungarn ein, er orientierte

sich im Mittelalter-Band vielmehr an den römisch-deutschen Kaiserdynastien und betrachtete von

diesem Standpunkt aus die Länder, wie beispielsweise Böhmen anhand der Luxemburger-Dynastie.

Umgekehrt deutete Hannak die Bedeutung Albrechts II. hinsichtlich des österreichischen

Gesamtstaates wiederum breiter aus, der im vorigen Werk nur als Randnotiz vermerkt worden war.

„Albrecht aber wußte sich mit den Waffen allgemeine Anerkennung zu verschaffen und vereinigte

die Königreiche Böhmen und Ungarn mit dem Herzogtume Oesterreich.“410

Auch hier wurde der Topos des Notgedankens als Ursache für die Ländervereinigung benutzt, um

den gegenseitigen Schutz und die Machtfülle, die daraus resultiere, anzuzeigen. Nachdem Böhmen

und Ungarn für die Habsburger wieder verloren gegangen waren, wurde Kaiser Maximilian zum

planenden Kopf erklärt, der die beiden Königreiche dauerhaft für seine Dynastie sichern sollte:

„Auch die Vereinigung Böhmens und Ungarns mit Oesterreich ward durch ihn angebahnt.“411

Auffallend ist, dass Hannak bis dato stets von der „Vereinigung“ der Länder sprach, wohingegen er

beispielsweise bei der Verheiratung seines Sohnes Philipp durchaus dynastischer dachte als im

Zusammenhang mit Böhmen und Ungarn:

„Seinen Sohn Philipp den Schönen vermählte er mit Johanna der Erbprinzessin von Spanien und

erwarb hiedurch für seine Familie den Besitz dieses damals mächtigsten Reiches in Europa.“412

Dies lässt eine erhöhte Sensibilität im Umgang mit Böhmen und Ungarn erkennen, die im

Zusammenhang mit Spanien nicht mehr notwendig war. Die eigentliche Vereinigung wurde im

darauffolgenden dritten Band expressis verbis nicht mehr erwähnt, sondern lediglich die

Königswahl Ferdinands in Ungarn und Böhmen.413 Auch wenn das Jahr 1526 selbst nicht den

Stellenwert einnahm, wie es das etwa bei Gindely-Tupetz als Grundstein der Großmacht Österreich

getan hatte, wurde die Vereinigung dennoch an den beiden zuvor geschilderten Passagen

angekündigt. Zudem betonte Hannak das spezifisch „Österreichische“ am Habsburgerstaat durch

dessen sukzessive „Herausentwicklung“ aus Deutschland, besonders seit dem Westfälischen

Frieden.

„Für Deutschland ist die Regierung Leopolds von geringer Bedeutung. Der im Westfälischen

Frieden angebahnte Zerfall des Reiches nahm seinen Fortgang. […] Umso wichtiger ist die

Herrschaft Leopolds für Oesterreichs Geschichte.“414

409 Vgl. Ebenda. Bd. 2: S. 85.410 Ebenda: S. 92.411 Ebenda: S. 97.412 Ebenda.413 Vgl. Ebenda. Bd. 3: S. 11.414 Ebenda: S. 73.

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Emanuel Hannak, dessen negatives Urteil über den Westfälischen Frieden die vorherrschende

Forschungsmeinung des 19. Jahrhunderts widerspiegelte, sah im Friedensschluss von Münster und

Osnabrück den Ursprung des Niedergangs und der Handlungsunfähigkeit des Heiligen Römischen

Reichs, was jedoch in der neueren Forschung größtenteils revidiert wurde.415 Doch war die

zunehmend separat behandelte Geschichte Deutschlands und Österreichs ein bedeutendes Merkmal

Hannaks, das die Habsburgermonarchie zu einem deklariert eigenen, nicht-deutschen Staatswesen

erklärte. Diese Eigenstaatlichkeit der Habsburgermonarchie wurde durch die Pragmatische

Sanktion, die 1713 erlassen wurde und 1740 mit dem Aussterben der männlichen Habsburger

schlagend geworden war, als erster gesamtstaatlicher Klammer um alle habsburgischen Länder,

über die Person des Monarchen hinausgehend, vorangetrieben. Bei keinem anderen der hier

behandelten Geschichts-Lehrbücher, die „Vaterlandskunde“ Silva-Taroucas ausgenommen, nahm

die Pragmatische Sanktion einen so hohen Stellenwert wie im „Lehrbuch“ Emanuel Hannaks ein.

Im Gegensatz zu Jakob Spitzer fand die Pragmatische Sanktion nicht erst beim Regierungsantritt

Maria Theresias Erwähnung und wurde auch in seiner Dimension und Bedeutung tiefer

ausgeleuchtet:

„Denn das Hauptbestreben dieses Kaisers [Karl VI.] war darauf gerichtet die habsburgische

Monarchie vor dem Zerfalle, der derselben bei dem Mangel an männlichen Erben drohte, zu

sichern. Zu diesem Zwecke gab er schon 1713 die pragmatische Sanction, nach welcher die

österreichischen Erbländer ungetheilt in dem Mannesstamme sich vererben und, im Falle es

an männlichen Nachkommen fehlen würde, zuerst auf seine Töchter […] übergehen

sollten.“416

Neben der Bedeutung der Pragmatischen Sanktion hinsichtlich der weiblichen Erbfolge für die

habsburgischen Länder ging Hannak auch explizit auf die Dimension als wichtigem Staatsgesetz

ein, das die Zugehörigkeit der heterogenen habsburgischen Länder zueinander definierte. Von

diesem Fundament ausgehend führt der rote Faden des Lehrbuches durch die weitere

Entwicklungsgeschichte, in der die staatsrechtlich miteinander verbundenen Länder schrittweise zu

einem zentralisierten Staatswesen zusammenwuchsen. Die Reformen unter Maria Theresia wurden

als Modernisierungsmaßnahmen präsentiert, deren Umsetzung in Folge der außenpolitischen Krise

nötig geworden waren:

„Der Erbfolgekrieg hatte die Notwendigkeit einer Centralisation deutlich gemacht. Maria

Theresia vollzog diese durch die Errichtung des Directoriums in publicis et cameralibus, an

415 Vgl. Gabriele Haug-Moritz, 1648 – Der Westfälische Frieden und seine Folgen für das Heilige Römische Reich und die Habsburgermonarchie. In: Martin Scheutz/Arno Strohmeyer (Hgg.), Von Lier nach Brüssel. Schlüsseljahre österreichischer Geschichte (1496-1995). Innsbruck/Wien u.a. S. 99-110: 106f.

416 Hannak, Lehrbuch der Geschichte. Bd. 3: S. 86.

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dessen Spitze der talentvolle Graf Haugwitz stand. Von dieser Centralstelle wurden die

österreichischen Kronländer mit Ausschluss Ungarns und seiner partes adnexae

verwaltet.“417

Ungarn wurde zwar gemeinsam mit Kroatien und Siebenbürgen, seinen „angehängten Gebieten“,

unter die österreichischen Kronländer gerechnet, doch signalisierte Hannak mit dem Aussparen

Ungarns bereits dessen Sonderentwicklung. Aus Hannaks Lehrbuch lässt sich eine Sympathie für

eine zentralisierte und konstitutionelle Verfassung herauslesen. Nach den Reformphasen unter

Maria Theresia, Joseph II. und Leopold II. sah Hannak in der Regierungszeit Franz‘ II./I. eine

versäumte Gelegenheit, nachhaltige Zentralstrukturen zu schaffen.

„Die Umgestaltung der französischen Verfassung bewog auch den deutschen Kaiser Franz

II. den Titel eines österreichischen Kaisers anzunehmen, ohne die günstige Gelegenheit einer

Centralisation des Reiches zu benützen.“418

Den Begriff „Reich“ gebrauchte Hannak in diesem Kontext bereits zur Bezeichnung der

habsburgischen Länder, die mit der Gründung des Kaisertums Österreich 1804 einen gemeinsamen

Namen erhielten. Warum Hannak ausgerechnet in dieser Situation mehr Handlungsspielraum für

eine Zentralisierung der Habsburgermonarchie vermutete, ließ er unkommentiert. Aufgrund der

engen Wechselwirkung zwischen der Kaiserwürde Napoleons und der Gründung des Kaisertums

Österreich, die bei Hannak betont wurde, kann aber geschlossen werden, dass Hannak in Österreich

ein ähnliches Potential an Zentralisierung vorhanden sah wie in Frankreich. Parallel zum

Verfassungswechsel in Frankreich und der damit einhergegangenen Zentralisierung suggerierte

Hannak die Möglichkeit einer ähnlichen Entwicklung Österreichs, die mit der Begründung eines

eigenen Kaisertitels bereits ihren Anfang genommen habe. Selbst wenn diese Interpretation zutrifft,

bleiben Hannaks Einschätzungen nichtsdestoweniger dubios, da Kaiser Franz II./I. gerade wegen

der Entwicklungen in Frankreich und der permanenten militärischen Auseinandersetzungen mit

Napoleon wenig Handlungsspielraum für innenpolitische Gestaltungsmöglichkeiten offenstanden.419

Zuspruch zu liberalen und konstitutionellen Entwicklungen formulierte Hannak beispielsweise

bereits im Vorwort, in dem er sich ebenso positiv über die gegenwärtige Verfassung der

Habsburgermonarchie äußerte:

„Und da wir uns in Oesterreich gegenwärtig einer constitutionellen Regierung erfreuen, die

dem verfassungsmäßigen Fortschritte huldigt, so ist es selbstverständlich, daß in der

Geschichte der neuesten Zeit eine Parteinahme für den Constitutionalismus und den

417 Ebenda: S. 101f.418 Ebenda: S. 144.419 Vgl. Judson, Habsburg: S. 123.

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Page 87: Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

Fortschritt zu Tage tritt.“420

Dies geschah aus einer Loyalität gegenüber der Regierung heraus, der Konstitutionalismus wurde

mit Modernisierung und Fortschritt gleichgesetzt, so auch die gegenwärtige Verfassung, was den

Ausgleich mit Ungarn impliziert. Bereits aus dem Vorwort lässt sich schlussfolgern, dass Emanuel

Hannak den Österreichisch-Ungarischen Dualismus nicht als Zäsur bewertete, sondern als

Kontinuität in der verfassungsrechtlichen Weiterentwicklung Österreichs. Die außenpolitische

Niederlage bei Königgrätz wandelte Hannak zu einem innenpolitischen Sieg um: „Die Niederlage

Oesterreichs rief im Inneren den Sieg der liberalen Partei hervor.“421 In der innenpolitischen

Kräftigung der Habsburgermonarchie versuchte Hannak dem verlorenen Krieg einen Sinn zu geben.

Die schnelle innere Konsolidierung war auch das Kalkül Beusts beim Ungarischen Ausgleich

gewesen, um die Habsburgermonarchie auch außenpolitisch wieder konkurrenzfähig zu machen.422

Bei Hannak erscheint der Ausgleich 1867 wie eine logische Konsequenz der Verfassungsreformen,

die aufeinander aufbauen und schließlich in die Dezembergesetze münden:

„Unter dem Ministerium Beust wurde die sistirte Constitution wieder eingeführt und durch

Vereinbarung mit den ungarischen Staatsmännern eine neue Verfassung zustande gebracht,

welche durch die December-Gesetze (21. Dez. 1867) in Kraft trat.“423

Hannak gebrauchte im gesamten Lehrbuch weder die Bezeichnung „Österreich-Ungarn“ noch

„Ausgleich“ oder ähnliche Begriffe, die auf den Beginn der Doppelmonarchie und die

innenpolitische Autonomie Ungarns Schlüsse zugelassen hätten. Angedeutet wurden diese lediglich

durch die Erwähnung ungarischer Politiker, die bei der Verfassung beteiligt waren, oder durch den

Gebrauch eines Synonyms. Als solches diente Hannak der Terminus „Constitutionalismus“, dessen

er sich zur Benennung des zeitgenössischen, dualistischen Systems bediente.

„[...] Oesterreich hält treu an dem constitutionellen Principe fest, weist die Versuche der

privilegirten Stände (Ministerium Hohenwart) zum Sturze desselben zurück und sucht durch

rege Thätigkeit auf dem Gebiete des Handels und der Industrie (Weltausstellung), durch die

Sorge für eine allgemeine Volksbildung die Wunden zu heilen, die frühere Jahre äußeren

Unglücks und innere Mißwirtschaft ihm geschlagen hatten.“424

Ganz im Gegensatz zu Gindely-Tupetz vermied Emanuel Hannak die Begriffe „Österreich-Ungarn“

oder „Ausgleich“ und versuchte sie nach Möglichkeit zu umgehen. Die Bezeichnung „Österreich“

verwendete Hannak über das ganze Lehrbuch hinweg mit der Bedeutung des Gesamtstaats und

änderte dies auch nach dem Ausgleich nicht, um die Kontinuität dieses Staatswesens zu betonen. In 420 Hannak, Lehrbuch der Geschichte. Bd. 3: S. VI.421 Ebenda: S. 170.422 Vgl. Stourzh, Dualistische Reichsstruktur: S. 106.423 Hannak, Lehrbuch der Geschichte. Bd. 3: S. 170.424 Ebenda: S. 173.

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Page 88: Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

seiner zentralistischen und gesamtstaatlichen Auffassung von Österreich übte er auch an Politkern

wie dem Ministerpräsidenten Karl Sigmund Hohenwart Kritik, der für Zugeständnisse an die

Tschechen und eine föderale Ausrichtung eingetreten war.425 Der Constitutionalismus als Synonym

für die Verfassung(-en), die seit dem Ausgleich in Kraft war(en), verdeutlicht, dass Hannak die

politische Tatsache der Doppelmonarchie nicht ignorierte oder ablehnte, sondern sich im Gegenteil

damit abfand. Denn Hannaks Loyalität zur Österreichisch-Ungarischen Monarchie war

ungebrochen. Er bewertete den Ausgleich oder die damit einhergehenden Veränderungen nämlich

keineswegs negativ, sondern würdigte den Aufstieg der Wirtschaft und des Bildungsbereichs sowie

die gefestigte innere und äußere Konstitution der Habsburgermonarchie seit diesem Ereignis.

Politische Bewegungen, die am Dualismus zu rütteln versuchten, lehnte Hannak trotz seiner

gesamt-österreichischen Haltung ab, da er hierdurch weitere föderale Zugeständnisse befürchtete.

7.5 „Gindelys Lehrbuch der allgemeinen Geschichte“ von Gindely-Tupetz (1910)

Das Geschichtsbuch, das wahrscheinlich die höchste Reichweite aufwies und in seinen zahlreichen

Auflagen und Übersetzungen in alle im Unterricht verwendeten Sprachen der Habsburgermonarchie

Generationen von Schülerinnen und Schülern begleitete, war das dreibändige „Lehrbuch der

allgemeinen Geschichte“ Anton Gindelys. Seit seiner Erstpublikation 1861 erlebte es allein bis zum

Jahr 1910 dreizehn Auflagen, also zu einer Zeit, als Anton Gindley seit fast zwei Jahrzehnten

verstorben war. Aufgrund der schülerfreundlichen Gestaltung, zahlreicher Abbildungen und

Orientierungshilfen war es zu einem der bekanntesten und gebräuchlichsten Lehrbücher für

Geschichte geworden und durch die vielen Überarbeitungen und Ergänzungen war es stets

zeitgemäß und modern gehalten worden. Über dieses Lehrbuch war Gindelys Name daher in der

gesamten Habsburgermonarchie bei Schülerinnen und Schülern wie bei Lehrerinnen und Lehrern

bekannt und berühmt geworden.426 Es gerieten auch deshalb so viele Schülerinnen und Schüler

früher oder später mit Gindelys Geschichtsbüchern in Kontakt, da der Verfasser sie für alle

Schultypen und Altersgruppen von Volksschule bis zum Gymnasium anbot und eigens auf die

jeweiligen Anforderungen anpasste. Auch nach seinem Tod 1892 wurde die Berühmtheit dieses

Namens, der stellvertretend für ein geschätztes und qualitätsvolles Lehrbuch stand, für mehrere

überarbeitete Neuauflagen genutzt und als „Gindelys Lehrbuch der allgemeine Geschichte“

zunächst von Franz Martin Mayer und später von Theodor Tupetz, einem Schüler Anton Gindelys,

herausgegeben. Nach Angaben Adjut Trogers trug die Gindely-Mayer-Fassung klar „das Gepräge

425 Vgl. Robert Kann, Hohenwart, Karl Graf von. In: Neue Deutsche Biographie. Bd. 9. 1972. S. 495f.: S. 496.426 Vgl. Leo Santifaller/Eva Obermayer-Marnach (Hgg.), Gindely, Anton. In: ÖBL. Bd. 1. Lfg 5. 1957. S. 441f.: S.

441f.

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Page 89: Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

der Gindely'schen Schulbücher mit ihren Vorzügen und Schwächen“427, und ergänzte metaphorisch:

„[...] denn ein altes, immerhin noch bewohnbares Haus baut man nicht vom Grund aus um.“428

Dies verdeutlicht die weiterhin bestehende Handschrift Gindelys, dessen ursprüngliches Lehrbuch

auch weiterhin noch das Fundament für die überarbeiteten Fassungen bildete. Denn noch zu

Lebzeiten hatte Anton Gindely sein Lehrbuch selbst mehrmals überarbeitet, ergänzt und neu

veröffentlicht. Diese Struktur wurde im Wesentlichen auch in den überarbeiteten Fassungen

Gindely-Mayer und Gindely-Tupetz beibehalten. In der Folge werde ich mich in meinen

Betrachtungen an der überarbeiteten Fassung durch Theodor Tupetz von 1910 orientieren. Zunächst

aber zu Person und Werk Anton Gindelys, der sich nicht nur aufgrund seines Lehrbuchs einen

Namen gemacht hatte, sondern zudem auch einer der bedeutendsten österreichischen Historiker, vor

allem im Bereich der Böhmischen Geschichte, war. Anton Gindely war ein Geschichtsprofessor und

Lehrer aus Böhmen, der die Lehramtsprüfung für Geschichte, Geographie, Deutsch, Philosophie,

Mathematik und Physik abgelegt hatte, was seine Vielseitigkeit unterstreicht, die auch in sein

Lehrbuch einfloss.429 Seine Arbeit an einer Realschule in Prag konnte er jedoch durch seine

Tätigkeiten an den Universitäten in Olmütz und Prag nur kurz ausüben, bevor er 1867 die Stelle als

ordentlicher Professor in Prag antrat und durch die Vermittlung Frantisek Palackys zum

Landesarchivar von Böhmen bestellt wurde.430 Die hohe Wertschätzung, die Palacky ihm

offensichtlich entgegenbrachte, beweist die große fachliche Kompetenz und das große Renommee

Anton Gindelys. Auch von staatlicher Seite wurde seine fachwissenschaftliche Kompetenz

geschätzt und entsprechend unterstützt. So etwa bei Gindelys einträglicher Reise durch die Archive

Deutschlands, Polens und Böhmens, deren Ergebnisse in dem zweibändigen Werk „Böhmen und

Mähren im Zeitalter der Reformation“431 verschriftlicht wurden.432 Daneben erlangte aber in erster

Linie Gindelys „Geschichte des dreißigjährigen Krieges“433 Berühmtheit und beeinflusste die

Forschungssicht auf Wallenstein und andere Akteure für Jahrzehnte.434 Wie diese beiden

bedeutendsten Werke aus seinem Schaffen bereits andeuten, setzte Anton Gindely seine

Schwerpunkte in räumlicher Hinsicht auf Böhmen und in zeitlicher Hinsicht auf das 16. und 17.

Jahrhundert. Auf seine Kenntnisse in diesem Gebiet griff daher auch der böhmische

427 Adjut Troger (Rez.): Gindely-Mayer, Gindelys Lehrbuch der allgemeinen Geschichte für die oberen Classen der Gymnasien. Bearbeitet von F. M. Mayer. Wien/Prag 101900. In: Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien. Wien 1901. S. 244-247: S. 244.

428 Ebenda.429 Vgl. Berthold Bretholz, Gindely, Anton. In: Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. 49. 1904. S. 364-367: S. 365.430 Vgl. Santifaller/ Obermayer-Marnach (Hgg.), Gindely: S. 442.431 Anton Gindely, Böhmen und Mähren im Zeitalter der Reformation. Geschichte der böhmischen Brüder. 2 Bände.

Prag 1857-1858.432 Vgl. Bretholz, Gindely: S. 365.433 Anton Gindely, Geschichte des dreißigjährigen Krieges in drey Abtheilungen. Leipzig 1882.434 Vgl. Santifaller/Obermayer-Marnach (Hgg.), Gindely: S. 442.

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Page 90: Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

Landesausschuss zurück und betraute Gindely mit der Beantwortung der vieldiskutierten Frage

nach der staatsrechtlichen Einheit Böhmens, Mährens und Schlesiens, die dieser jedoch nach

Rücksprache mit Palacky negativ beantwortete.435 Wohl das beste und eindrücklichste Beispiel für

das Vertrauen, das von wissenschaftlichen wie politischen Kreisen und sogar von der kaiserlichen

Familie in Gindelys historische und pädagogische Kompetenz gesetzt wurde, ist seine Tätigkeit als

Geschichtslehrer des Kronprinzen Rudolf im Jahr 1876/77.436

Diese pädagogisch-fachdidaktische Kompetenz hatte Gindely vor allem mit seinem „Lehrbuch der

allgemeinen Geschichte“, das in der gängigen Aufteilung auf drei Bände zu Altertum, Mittelalter

und Neuzeit gestaltet war, unter Beweis gestellt. Vorausgeschickt werden muss an dieser Stelle, dass

„Gindelys Lehrbuch“, anders als die behandelten Pendants der Vaterlandskunde, weniger Konzepte

der Gesamtstaatsidee gezielt transportierte und die Zugehörigkeit der Nationalitäten und Länder

zueinander historisch-ideologisch zu untermauern suchte, als dass es vielmehr in einer überaus

objektiven und distanzierten Haltung diese Entwicklungen und Tendenzen hin zum österreichischen

Gesamtstaat schlichtweg beschrieb. Indem den Schülerinnen und Schülern die Epochen und

politischen Entwicklungen angezeigt wurden, in denen politische Kräfte und Akteure

gesamtstaatliche Strukturen aufzubauen und voranzutreiben bestrebt waren, bot Gindely-Tupetz de

facto einen ideologiefreien Teilbereich der Gesamtstaatsgeschichte in Abschnitten seines

Lehrbuchs. Grundsätzlich vertrat Gindely-Tupetz aber staatstreue Positionen.

Mit seiner ursprünglichen Fassung setzte Anton Gindely auch dahingehend Maßstäbe, als er neben

den Ereignissen von weltgeschichtlicher Bedeutung viel Platz für die österreichische Geschichte

ließ, die er in einer vielschichtigen und in sich abgeschlossenen Form präsentierte. Die vermehrte

Berücksichtigung der österreichischen Geschichte war zwar im Geschichtsunterricht in den

Obergymnasien ohnehin vorgesehen,437 doch schien Gindely diese auch im Vergleich

überproportional stark gewichtet zu haben. Dieses Charakteristikum Gindelys thematisierte nämlich

der Historiker Franz Kratochwil in einer Rezension zum Geschichtslehrbuch Emanuel Hannaks für

die „Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien“ und sah darin zum Teil Gindelys Erfolg

begründet: „Gindely's Bücher verdanken die so rasch erworbene Sympathie zum großen Theile dem

Umstande, dass darin auf Oesterreich geziemende Rücksicht genommen ist.“438

Während der erste Band von den frühen Hochkulturen in Ägypten bis zum Beginn der

Völkerwanderung reicht und als Schwerpunkt der griechischen und römischen Antike zum Inhalt

hat, sticht diese Berücksichtigung der österreichischen Geschichte in Band zwei und mehr noch in 435 Vgl. Constantin von Wurzbach, Gindely, Anton. In: Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich. Bd. 14.

1865. S. 458-461: 459f.436 Vgl. Santifaller/Obermayer-Marnach (Hgg.), Gindely: S. 442.437 Vgl. Helfert, Nationalgeschichte: S. 33.438 Kratochwil (Rez.): Hannak, Lehrbuch der Geschichte: S. 270.

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Page 91: Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

Band drei deutlich heraus. Der Mittelalter-Band nahm den Faden bei der Völkerwanderung wieder

auf und führte diesen bis zur Entdeckung Amerikas fort, wobei die einzelnen Unterkapitel nach

räumlichen Kriterien unterteilt wurden, von denen der deutsche Raum und Österreich, Böhmen und

Ungarn am stärksten Berücksichtigung fanden, daneben aber auch Frankreich, Italien und England

breite Aufmerksamkeit erhielten und in komprimierter Form auch Spanien und „der Norden und der

Osten Europas“, worunter Skandinavien, Polen und Russland subsumiert waren. Im neuzeitlichen

Band, der hinsichtlich der Gesamtstaatsgeschichte die bedeutendsten Passagen aufweist, wurde in

einer ähnlichen Mischung aus zeitlichen und räumlichen Unterteilungen verfahren. Eingehend

widmete sich Anton Gindely auch seinem Spezialgebiet des Zeitalters der Reformation und

Gegenreformation sowie dem Dreißigjährigen Krieg. Je weiter die Geschichte vom Zeitalter der

Entdeckungen beginnend bis zur Jahrhundertwende voranschreitet, desto mehr rückt die

Habsburgermonarchie in den Mittelpunkt des Geschehens. Alle drei Bände sind mit ihren

zahlreichen Abbildungen, Grafiken und Stammtafeln benutzerfreundlich und übersichtlich gestaltet

worden. Inhaltlich beschränkte sich Gindely-Tupetz nicht auf eine bloße Ereignisgeschichte, wie

dies bei Spitzer der Fall war, sondern schenkte auch der Innenpolitik und der Kulturgeschichte,

speziell der Architektur, Literatur und Wissenschaft der jeweiligen Epoche viel Beachtung. Im

dritten Band bot Gindely-Tupetz zudem einen Überblick über die wichtigsten Erfindungen und

wissenschaftlichen Errungenschaften der jüngsten Zeit aus Bereichen wie Philologie, Geschichte,

Astronomie und den Naturwissenschaften.439 Diese Charakteristika machten „Gindelys Lehrbuch

der Geschichte“ zu einem gehaltvollen, kohärenten und überaus abgeschlossenen Werk, in dem viel

Wert auf die Erläuterung von Zusammenhängen und Entwicklungen gelegt wurde.

Aufbau, Konzeption und Inhalte der allgemeinen Geschichte wurden im Unterschied zur

Vaterlandskunde aufgrund ihrer weltgeschichtlichen Relevanz ausgewählt. Das bedeutet, dass die

Ereignisse der österreichischen Geschichte, die ausgewählt wurden, vor diesem Hintergrund noch

an Bedeutung gewinnen, da ihre Wichtigkeit nicht nur für die Habsburgermonarchie, sondern auch

global gesehen suggeriert wurde. Unter diesen Vorzeichen ist die Vereinigung Böhmens und

Ungarns mit Österreich unter Albrecht II. zu verstehen:

„Als Schwiegersohn Siegmunds erhob er nach dessen Tode Anspruch auf Ungarn und

Böhmen. In Ungarn wurde er ohne Widerstand gekrönt, schwerer wurde es ihm, seine Wahl

in Böhmen durchzusetzen. Aber es gelang ihm endlich doch (1438) und so war Albrecht der

erste Habsburger, der die Herrschaft über Österreich, Ungarn und Böhmen in einer Person

vereinigte.“440

439 Gindely/Tupetz, Lehrbuch. Bd 3: S. 218-222.440 Ebenda. Bd. 2: S. 129.

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Page 92: Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

In seiner nüchternen und objektiven Weise beschrieb der Verfasser die kurzzeitige Vereinigung wie

sie war, eine Personalunion von Ländern, die aus dynastischen Gründen ein Oberhaupt erhielten. Er

hob zwar die Bedeutung der Ära unter den Habsburgern, die mit Albrecht angekündigt wurde,

hervor, doch wies er klar auf auf die Person des Herrschers als Bindeglied hin. Immerhin sah er

darin eine „Vereinigung“. In einer ähnlichen Weise umriss Gindely-Tupetz die ungarische

Geschichte des 15. Jahrhunderts feststellend und beschreibend, indem er die Faszination der

ungarischen Bevölkerung für Matthias Corvinus mit dessen Leistungen im wissenschaftlichen und

militärischen Bereich nachvollziehbar zu machen suchte. „Ungarn bewahrt daher dem König

Matthias ein dankbares Andenken und feiert sein Zeitalter als das goldene der ungarischen

Nation.“441

Es wurde hierbei kein apologetischer Versuch im Sinn der Habsburger unternommen, der Verehrung

des großen Habsburg-Gegners ein Gegenmodell Ungarns im erfolgreichen Verbund mit den

habsburgischen Ländern und dem daraus resultierenden Großmachtstatus entgegenzustellen. Das

Motiv der Vereinigung Ungarns mit den Habsburgischen Ländern aus einer krisenhaften

Notsituation und der daraus resultierenden Machtfülle, setzte beispielsweise Franz Krones gekonnt

in Szene.442 Umgekehrt bezeichnete Gindely selbst Corvinus‘ Epoche auch nicht als das „goldene

Zeitalter“ Ungarns, sondern rückte lediglich die ungarische Faszination für dieses Jahrhundert in

einen historischen Kontext. Den Großmachtgedanken griff der Verfasser hingegen im folgenden

Band auf und verortete den Beginn der Großmachtstellung Österreichs in seiner Vereinigung mit

Böhmen und Ungarn, wie sich aus der Kapitelüberschrift „Begründung der österreichischen

Großmacht unter Ferdinand I.“443 schließen lässt. In diesem Zusammenhang wurde auf bereits zuvor

bestehende Ansprüche der Habsburger infolge mehrerer dynastischer Verbindungen verwiesen, die,

durch die Hochzeit von Wien untermauert, auf Ferdinand übergegangen seien.444 Zwar ist dies sehr

dynastisch gedacht, doch war dies ein gängiger Topos der Gesamtstaatsidee, die wechselseitigen

Beziehungen und Verträge der drei Länderkomplexe vor 1526 zu versinnbildlichen. Ein weiteres

dieser Motive ließ er beim Österreichischen Erbfolgekrieg anklingen, nämlich das der Einigkeit und

des Zusammenhalts, sowie der Loyalität der Völker und Nationalitäten gegenüber dem

Herrscherhaus im Angesicht von Krisen.

„Aus ihrer bedrängten Lage rettete die junge Herrscherin das Vertrauen auf ihr gutes Recht

und die Treue ihrer Völker. Durch politische Zugeständnisse und die Anmut ihrer

persönlichen Erscheinung erweckte sie auf einem Reichstag in Preßburg die Begeisterung

441 Ebenda: S. 132.442 Vgl. Krones, Handbuch. Bd. 2: S. 657443 Gindely/Tupetz, Lehrbuch. Bd. 3: S. 30.444 Vgl. Ebenda: S. 31.

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der Ungarn, die ein allgemeines Aufgebot beschlossen; auch die übrigen Länder gewährten

bereitwillig Truppen und Geld“445

Das Zugehörigkeitsgefühl zu einem gemeinsamen Staat und einer gemeinsamen Dynastie mit

gemeinsamen Interessen und gemeinsamen Gefahren wurde hier hervorgehoben. Doch machte

Gindely auch klar, dass diese Bereitschaft nicht aus reiner Liebe zur Dynastie und zum

gemeinsamen Staatswesen geschehen war, denn er verheimlichte hierin keineswegs die politischen

Zugeständnisse und Kompromisse, die gemacht werden mussten. Die Unterstützung durch die

Ungarn hatte Maria Theresia dazu veranlasst, ihr umfassendes Reformprogramm in diesem Maße

nicht auf die ungarischen Länder auszudehnen, was schließlich eine wichtige Grundlage für die

Sonderentwicklung Ungarns war.446 Die für die Gesamtstaatsidee interessantesten Passagen finden

sich in den Kapiteln ab dem Revolutionsjahr 1848 und der franzisko-josephinischen Epoche, da

Gindely-Tupetz einen Einblick in die Zentralisierungstendenzen und den Versuch, einen modernen

Gesamtstaat zu konstituieren, lieferte. In dieser Epoche wurde auch die Gymnasialreform Leo

Thun-Hohensteins und ihre Nachhaltigkeit zum Thema.447 In einem eigenen Kapitel zum

österreichischen Neoabsolutismus 1849-1859 verortete Gindely den Zentralismus in erster Linie bei

der deutschsprachigen Bevölkerung, bei denen der Wunsch nach einem modernen Einheitsstaat im

Unterschied zur slawischen, italienischen und magyarischen Bevölkerung der

Habsburgermonarchie besonders stark verankert gewesen sei.

„Die Deutschen [der Habsburgermonarchie] strebten die Herstellung moderner

Verfassungsverhältnisse im zentralistischen Sinne an und wollten zugleich in die innigste

Verbindung mit dem einigen Deutschland treten; die Ungarn wünschten die bloße

Personalunion mit Österreich, die Slawen die Umgestaltung der Monarchie zu einem

Bundesstaat, die Italiener endlich trachteten darnach, sich vom österreichischen

Staatsverbande ganz abzulösen.“448

Dezidiert vom habsburgischen Gesamtstaat sprach Gindely-Tupetz im Zusammenhang mit der

Revolution 1848/49 in Ungarn und der damit einhergehenden Unabhängigkeitsbewegung:

„Seit Leopold I. hatten die österreichischen Herrscher Ungarn in engere Beziehungen zum

Gesamtstaate zu bringen, Josef II. sogar die vollständige Einverleibung durchzusetzen

gesucht, aber vergeblich.“449

Mit Leopold I. markierte Gindely-Tupetz den Beginn der Gesamtstaatstendenzen und

Vereinheitlichungsbestrebungen, die unter dessen Nachfolgern fortgeführt wurden. Außerdem 445 Ebenda: S. 110.446 Vgl. Judson, Habsburg: S. 69.447 Vgl. Gindely/Tupetz, Lehrbuch. Bd 3: S. 209.448 Ebenda: S. 184.449 Ebenda: S. 187.

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sprach er auch das Scheitern aller radikal durchgeführten Versuche, diesen Gesamtstaat zu schaffen,

an, da diese immer wieder am Widerstand der ungarischen Adeligen gescheitert seien. Auch die

ungarische Gegenbewegung wurde in gleicher Sachlichkeit skizziert, die diesen

Zentralisierungstendenzen Wiens entgegentrat und forderte, dass „die Länder der ungarischen

Krone […] nur durch das Band der Personalunion mit Österreich verbunden sein“450 sollte.

Der Verfasser umschrieb aus einer distanzierten und nüchternen Position die Maßnahmen und

Gegenmaßnahmen zur Etablierung eines Gesamtstaats mit den unterschiedlichen

Interessensgruppen und informierte schlichtweg über die Entwicklungen. Dabei nahm Gindely-

Tupetz einen deutlich objektiveren Standpunkt ein, als dies beispielsweise bei Bidermann und

seiner „Geschichte der österreichischen Gesammt-Staats-Idee“ der Fall war, dessen Resignation in

der Einleitung zum zweiten Band bereits Erwähnung gefunden hat.451 Von besonderer Bedeutung ist

auch Gindely-Tupetz‘ Beurteilung des Neoabsolutismus, den er mit Modernisierungs- und

Zentralisierungstendenzen in Verbindung brachte:

„Auch diese [die Aprilverfassung Ungarns von 1849] wurde jedoch schon im Jahre 1851

außer Wirksamkeit gesetzt, die gesamte Gewalt in der Hand des Monarchen vereint und die

Herstellung verfassungsmäßiger Zustände auf spätere Zeiten vertragt. Die Maßregeln der

Regierung zielten hauptsächlich darauf hin, aus Österreich einen einheitlichen Staat zu

schaffen. Auf dem Gebiete der Verwaltung, der Rechtspflege, des Unterrichts, in der

Herstellung von Straßen und Eisenbahnen entfaltete die Regierung eine hervorragende und

ersprießliche Tätigkeit.“452

Gindely-Tupetz betonte zwar nicht direkt die positiven Effekte der Zentralisierungsabsichten der

neoabsolutistischen Regierung, doch wird seine gewogene Haltung indirekt dadurch ersichtlich,

dass er die Effizienz, die Modernisierung und den Fortschritt dieser Ära würdigte. An die Stelle der

Distanz, die der Verfasser ansonsten einzuhalten bemüht war, trat ein klar positives Urteil über die

Periode von 1849-1860, bei der es sich um eine der bedeutendsten Phasen für den österreichischen

Gesamtstaat handelte. Allerdings wurde auch über diese Periode eine differenziertes Urteil gefällt,

das keineswegs nur positiv war, sondern auch von Kritik gekennzeichnet war:

„Der italienisch-französische Krieg (1859) hatte manche Schäden der inneren Verwaltung

Österreichs aufgedeckt, die es wünschenswert erscheinen ließen, durch Einführung einer

Verfassung den Vertretern des Volkes Einfluß auf Gesetzgebung und Regierung zu

gewähren.“453

450 Ebenda.451 Vgl. Bidermann, Gesammt-Staats-Idee. Bd. 2: S. IV.452 Gindely/Tupetz, Lehrbuch. Bd. 3: S. 188.453 Vgl. Ebenda: S. 195.

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Anders als Franz Krones betrachtete Gindely-Tupetz das Ende des Neoabsolutismus jedoch nicht

als endgültig verpasste Chance, den Einheitsstaat durchzusetzen.454 Vielmehr sah er in den

kommenden Verfassungen eine stetige Weiterentwicklung und suggerierte mit dem

Konstitutionalismus weitere politische Modernisierungen. Die weiteren Etappen des Gesamtstaats

mit ihrem Endpunkt 1867 wurden in einem eigenen kurzen Unterkapitel der „Ordnung der

österreichischen Verhältnisse“ von 1860 bis 1867 zusammengefasst. In diesem Kapitel griff

Gindely-Tupetz zunächst die Thematik der verschiedenen Interessensgruppen, entlang der

Nationalitäten gebildet, wieder auf und begründete mit deren Unvereinbarkeit das Scheitern von

Oktoberdiplom und Februarpatent.455 Der verlorene Krieg mit Preußen und Italien wirkte in

„Gindelys Lehrbuch“ wie ein willkommener Anlass, auch innenpolitisch Frieden zu schließen.

Dabei wurde vor allem Franz Joseph die aktive Rolle zugesprochen, der die Blockade aufgehoben

und die Verfassungskrise gelöst habe:

„Nach dem Kriege mit Preußen und Italien beschloß der Kaiser, den Verfassungswirren

durch Zugeständnisse an Ungarn ein Ende zu machen. Die inneren Angelegenheiten des

Staates, namentlich die Gesetzgebung wurden nach dem Rate des ungarischen Staatsmannes

Franz v. Deak in dualistischer Weise geregelt. Für Österreich gilt daher seit 1867 die durch

die Dezemberverfassung dieses Jahres ergänzte Februarverfassung, für Ungarn die durch die

Gesetze des Jahres 1848 umgeänderte alte Landesverfassung.“456

Bei der Wiedergabe und Zusammenfassung der innenpolitischen Verhältnisse und

Verfassungsfragen agierte der Verfasser einmal mehr beschreibend statt urteilend. Auf die

innenpolitische De-facto-Unabhängigkeit Ungarns und die Existenz zweier unterschiedlicher

Verfassungen innerhalb der Habsburgermonarchie verwies Gindely ebenso wie auf die nach wie vor

„gemeinsamen“ Ebenen und Ressorts:

„Dagegen blieb die Einheitlichkeit des Staates in der äußeren Vertretung, in der Armee, in den

Reichsfinanzen und vorläufig auch in den Handelsbeziehungen unangetastet.“457

Mit dem Verweis auf die Handelsbeziehungen ist das Handels- und Zollbündnis gemeint, das

zwischen beiden Reichshälften alle zehn Jahre neu verhandelt werden musste.458 Gindely-Tupetz

deutete hierin an, dass in diesem Bereich noch weitere Entwicklungen möglich seien und es zu

weiteren Aufteilungen gemeinsamer Ressorts kommen könnte. Das Gemeinschaftliche und

Gesamtstaatliche betonte Gindely-Tupetz jedoch nicht nur in dieser Aufzählung der gemeinsamen

Angelegenheiten, sondern auch in der folgenden Wahl der Termini:454 Vgl. Krones, Handbuch. Bd. 4: S. 650.455 Vgl. Gindely-Tupetz, Lehrbuch. Bd. 3: S. 195f.456 Ebenda: S. 196.457 Ebenda.458 Vgl. Stourzh, Dualistische Reichsstruktur: S. 117.

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„Die gemeinschaftlichen Angelegenheiten der beiden Reichshälften (der im Reichsrate

vertretenen und der ungarischen Länder) wurden von da an in den jährlich berufenen

Delegationen beraten. Die neue Gestaltung der Verfassungsverhältnisse kam in dem

veränderten Namen der Monarchie, die fortan die 'österreichisch-ungarische' genannt wird,

zum Ausdrucke.“459

Es wird hier ersichtlich, wie exakt die offiziellen Bezeichnungen der Habsburgermonarchie und

seiner Bestandteile eingehalten wurden. Bezüglich der Verwendung des Begriffs der zwei

„Reichshälften“ verweist Gerald Stourzh darauf, dass dieser Terminus lediglich Eingang in die

Gesetzgebung des „cisleithanischen“ Teils gefunden hat, nicht aber in den ungarischen, da hier

unter Berufung auf die Eigenständigkeit des Königreichs jegliche Verwendung des

gesamtstaatlichen Begriffs „Reich“ zurückgewiesen worden war.460 Gindely-Tupetz folgte demnach

gemäß der „cisleithanischen“ Gesetzgebung dem offiziellen Begriff, der schließlich die Vorstellung

zweier Hälften ein und desselben Reichs suggerierte.

Allerdings griff auch er auf inoffizielle Bezeichnungen zurück und gebrauchte „Österreich“ als

Synonym für die nicht-ungarischen Länder, wie dies häufig der Einfachheit halber auch vor 1915

praktiziert wurde. Lediglich einmal verwendete der Verfasser mit den „im Reichsrat vertretenen

Königreichen und Ländern“ den sperrigen Terminus und machte so auf die offizielle Bezeichnung

aufmerksam. Umgekehrt vermied es Gindely-Tupetz aber, Österreich ab diesem Zeitpunkt des

Ausgleichs als Synonym für den habsburgischen Gesamtstaat zu gebrauchen, den er

dementsprechend „österreichisch-ungarische Monarchie“ nannte. Durch diese konsequente

Vorgehensweise in „Gindelys Lehrbuch“ wurden zwar weniger gesamtstaatliche Konzepte direkt

transportiert, doch wurden diese in der Entwicklungsgeschichte des habsburgischen Staatswesens

thematisiert und beschrieben. Der sensible und exakte Gebrauch der Bezeichnungen entsprach den

offiziellen staatlichen Vorgaben, denen in einer sachlichen und distanzierten Weise Folge geleistet

wurde. Gerade hierdurch förderte „Gindelys Lehrbuch“ allerdings staatstragende Elemente und

Auffassungen, wie sie die Regierung der Habsburgermonarchie nach innen und außen vertrat.

Ebenso wertfrei wurden die Etappen des österreichischen Staatswesens und die Versuche, daraus

einen Gesamtstaat zu formen, beschrieben. Es wurde dadurch die Entwicklungsgeschichte des

österreichischen Gesamtstaats von der distanzierten Warte eines Historikers aus betrachtet und

beschrieben, um die Genese der Habsburgermonarchie auf sachliche Art und Weise abzubilden.

Dennoch lässt sich Gindely-Tupetz‘ Sympathie für den Neoabsolutismus und den Gesamtstaat

zwischen den Zeilen herauslesen..

459 Gindely/Tupetz, Lehrbuch. Bd. 3: S. 196.460 Vgl. Stourzh, Dualistische Reichsstruktur: S. 110f.

96

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7.6 Das „Lehrbuch der Vaterlandskunde“ von Franz Joseph von Silva-Tarouca (1914)

Als letztes Schulbuch werde ich die Vaterlandskunde des mährischen Adeligen und

Großgrundbesitzers Franz Joseph Graf von Silva-Tarouca in meine Betrachtungen mit einschließen,

das mit seinem Erscheinungsjahr 1914 in die Spätphase der Habsburgermonarchie und in den

Vorabend des Ersten Weltkriegs einzuordnen ist. Da sie auf einer langen Tradition von

Schulbüchern dieses Gegenstandes aufbaute, war die „Vaterlandskunde“ Silva-Taroucas zwar

modern und in qualitativer und kompositorischer Hinsicht mitunter eines der ausgewogensten,

stringentesten und vielseitigsten. Doch hat das Erscheinungsdatum wenige Jahre vor dem Zerfall

der Habsburgermonarchie zur Folge, dass es naheliegenderweise nur für kurze Zeit in Gebrauch war

und nur wenig rezipiert wurde, da ein Schulbuch für die Vaterlandskunde Österreich-Ungarns nach

1918 obsolet geworden war. Dies trug mitunter dazu bei, dass sowohl Verfasser wie auch Schulbuch

in Vergessenheit gerieten. Dieser Verfasser, Franz Joseph von Silva-Tarouca, war der Bruder des

Dendrologen und einflussreichen Politikers Ernst Graf von Silva-Tarouca, der im letzten Kabinett

Kaiser Karls I. den Ministerposten für Agrarbau innehatte und sogar für das Amt des

Ministerpräsidenten im Gespräch war.461 Wie sein Bruder nahm auch Franz Joseph Silva-Tarouca

politische Ämter war, auch wenn er darin nie zu ähnlich hohen Posten gelangt war. Josef

Schwerdfeger, der als Rezensent die Vaterlandskunde Silva-Taroucas überaus wohlwollend

aufnahm und geradezu euphorisch bejubelte, erachtete den Verfasser in pädagogischen Belangen

bereits aufgrund seiner Vaterschaft „von sechs Söhnen, die er alle in dieser Disziplin

unterrichtete“462, als ausreichend qualifiziert für diese Aufgabe. In historisch-fachwissenschaftlicher

Hinsicht genügte Schwerdfeger bereits, dass Silva-Tarouca „als Mitglied des europäischen Uradels

ein lebhaftes historisches Interesse zu eigen“463 sei und „als aktiver Politiker und Gesetzgeber,

nämlich als erblicher Pair, gewiß hinlängliche Legitimation“464 besitze. Auch wenn Schwerdfeger

keinerlei akademische Qualifikationen auflistete und zudem eingestand, dass Silva-Tarouca „kein

Fachmann“465 sei, sollte dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass die „Vaterlandskunde“ Silva-

Taroucas dennoch inhaltlich den Nerv getroffen und nach dem Urteil des Rezensenten auch im

Vergleich zu etablierten Lehrbüchern wesentlich besser abgeschnitten habe. Das vorliegende

Lehrbuch der Vaterlandskunde wurde für die oberste Klasse der Mittelschule konzipiert. Im Aufbau

wird eine Schwerpunktsetzung zugunsten der Geschichte ersichtlich, die in etwa zwei Drittel des

Gesamtumfangs ausmacht, das letzte Drittel beschäftigt sich mit der Geographie Österreich-

461 Vgl. Elisabeth Lebensaft/Christoph Mentschl, Silva-Tarouca (Sylva-Tarouca), Ernst (Arnost) Emanuel Gf. von. s.v. Franz Josef Gf. v. S.-T. In: ÖBL. Bd. 12. Lfg. 57. 2004. S. 270f.: S. 270f.

462 Schwerdfeger (Rez.): Silva-Tarouca, Vaterlandskunde: S. 3.463 Ebenda: S. 4.464 Ebenda: S. 3f.465 Ebenda: S. 2f.

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Page 98: Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

Ungarns und seiner Kronländer. Der historische Teil, der als „Geschichte und Bürgerkunde“ betitelt

wurde, beinhaltet neben der Ereignisgeschichte auch kulturelle Aspekte der jeweiligen Epochen und

Informationen zu Handel, Gewerbe, Industrie, Militär und einigen weiteren Bereichen, die

bedarfsweise eingeschoben wurden. Am Schluss stehen übersichtliche Genealogien und

Stammtafeln und Eckdaten zur Verfassungsgeschichte, in welcher sich der Autor auch der

Erklärung von Begriffen wie „Liberalismus“ oder „Nationalismus“ annahm. Die Epochen der

österreichischen Geschichte sind zeitlich in vier Kapitel gegliedert: Als erstes wird den

Babenbergern ein volles Kapitel gewidmet, daran anschließend wird das Auftreten der Habsburger,

dezidiert als Nachfolger der Babenberger in Österreich, nicht im Heiligen Römischen Reich,

behandelt, wie aus der Zusatzangabe der Jahre 1282-1526 deutlich wird. Die letzten beiden

Epochen umfassen mit 1526 das Zusammenwachsen Österreichs, Böhmens und Ungarns in

Personalunion bis 1740, und zum Schluss die habsburgisch-lothringische Linie bis zur Gegenwart.

Angesichts des kleinen Territoriums der Babenberger, verglichen mit den Ländern Österreich-

Ungarns, wird auf eine Perspektivierung aus Sicht der Markgrafschaft bzw. des Herzogtums

Österreich vor dem Hintergrund der verbuchten Gebietsgewinne hingedeutet, nicht auf ein

Zusammenwachsen der Länderkomplexe.

In der Gesamtstaatsgeschichte war es zwar nicht unüblich, dass die Babenberger, die Österreich

über Jahrhunderte prägten, Berücksichtigung fanden, doch geschah dies meist parallel zu den

Ländergeschichten Böhmens und Ungarns. Hiervon ist bei der Konzeption Silva-Taroucas nichts zu

spüren. Einleitend gab er hingegen folgendermaßen Auskunft über die Absicht seines Aufbaus:

„Wenn 'Österreich' genannt wird, erhellt nicht ohneweiters, was der Name bedeute. Aus dem

Zusammenhange muß es sich erst ergeben, ob der Großstaat gemeint sei, den wir heute mit

stolz unser Vaterland nennen, oder die sonnigen Fluren, am Fuße des Wienerwaldes, die

einst Kern gewesen, an welchen sich allmählich die 'Königreiche und Länder'

herangegliedert haben. Die Geschichte von Österreich ist ein stetiges Wachsen.“466

Dieser Abschnitt lässt Schlüsse auf die Geschichtsauffassung Silva-Taroucas zu, oder

beziehungsweise, welche Geschichtsauffassung dieser an die Schülerinnen und Schüler

weitervermitteln wollte. Österreich, das Territorium um Wien, sollte Ursprung und

Orientierungspunkt der Habsburgermonarchie sein, den restlichen Landen kam hingegen eher der

Status eroberter Gebiete zu, an denen sich Österreich zu vergrößern wusste. Er berücksichtigte darin

nicht die anderen Kronländer und Gebiete, die die Habsburgermonarchie der Gegenwart in ihrer

Summe ausmachten und ergänzten, oder ein größeres Kerngebiet als Geburtsstunde des

habsburgischen Staatswesens, wie er beispielsweise mit 1526 als einem breiteren Identifikations-

466 Silva-Tarouca, Vaterlandskunde: S. 91.

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Page 99: Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

und Orientierungspunkt hätte wählen können. Das „stetige Wachsen“, das der Verfasser ansprach,

wirkt in diesem Zusammenhang nicht wie ein „Zusammenwachsen“, sondern eher wie ein

„Vergrößern“ des ursprünglichen Herzogtums Österreich.

Noch interessanter erscheint die Bezeichnung Österreich, die er als Bezeichnung für den

Gesamtstaat der Österreichisch-Ungarischen Monarchie seiner Gegenwart benutzte. Gleichzeitig

sprach er aber die unterschiedliche Bedeutungsebene und Interpretationsmöglichkeit des

Österreichbegriffs an und nannte hierfür die beiden Möglichkeiten zur Bezeichnung des

Gesamtstaats oder des Erzherzogtums. Alternativ dazu könnte aufgrund des Zusatzes „Königreiche

und Länder“ auch lediglich die Bezeichnung für die cisleithanische Reichshälfte der

Habsburgermonarchie gemeint sein, auf die Silva-Tarouca in diesem Fall verwiesen hätte. Auch in

diesem Fall würde es sich aber nicht um den aktuell gültigen Terminus des „heutigen“ Staatswesens

handeln, da Österreich erst ein Jahr später zum offiziellen Namen der „westlichen“ Reichshälfte der

Habsburgermonarchie werden sollte.467 Über die Probleme der sperrigen Termini zur Bezeichnung

des Gesamtstaats oder Teilen wurde bereits gesprochen, die inoffizielle Verwendung von

„Österreich“ und „österreichisch“ zur Benennung des Gesamtstaats war auch nach dem Ausgleich

bis zum Ende der Habsburgermonarchie der Einfachheit halber noch durchaus gebräuchlich. Die

Verwendung dieses inoffiziellen Terminus ist aber doch in Anbetracht eines Schulbuch der

Vaterlandskunde, das in staatlichen Einrichtungen der Habsburgermonarchie in Gebrauch war,

verwunderlich.Allerdings verwendete Silva-Tarouca diese Bezeichnung nicht konsequent, sondern

sprach in der Regel von „Österreich-Ungarn“.

In Silva-Taroucas „Vaterlandskunde“ lassen sich deutlich mehr gesamt-österreichische Elemente als

beispielsweise im Lehrbuch Wilhelm Pütz‘, das über ein halbes Jahrhundert zuvor erschienen war,

erkennen. Nach dem Urteil Schwerdfegers sei die „Vaterlandskunde“ Silva-Taroucas im

Unterschied zu den als antiquiert und mangelhaft kritisierten Vorgängern in diesem Gegenstand gar

„eine wahrhaft befreiende Tat“468 gewesen. In dem vorausgeschickten Orientierungs-Abschnitt

erklärte der Autor mittels dieses „Lehrbuchs für Vaterlandskunde“ einen „Rundgang durch die

schönen Königreiche und Länder, die in ihrer Gesamtheit unser Vaterland bilden“469, antreten zu

wollen. Somit untermauerte er den Anspruch, einerseits der Berücksichtigung aller Länder gerecht

zu werden, und andererseits ihre Zugehörigkeit zu einem größeren Ganzen, das Thema der

Vaterlandskunde war, zu betonen. Diesen Grundsatz bekräftigte er noch einmal in der Einleitung zu

seinem historischen Teil: „Nun wollen wir uns aber die Österreichisch-ungarische Monarchie,

467 Vgl. Rumpler, Chance für Mitteleuropa: S. 412.468 Schwerdfeger (Rez.): Silva-Tarouca, Vaterlandskunde: S. 2.469 Silva-Tarouca, Vaterlandskunde: S. III.

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Page 100: Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

unsere Heimat, als einen 'Staat' betrachten.“470 Nach den Beschreibungen der vielen Regionen und

Länder der Habsburgermonarchie und ihren geographischen Eigenschaften und Eigenheiten folgte

die Betonung der gemeinsamen Klammer, der Zugehörigkeit all dieser Gebiete zu ein und

demselben Staat. Silva-Tarouca argumentierte in einer ähnlichen Weise, wie Helfert dies getan

hatte,471 die Wichtigkeit eines staatlichen Überbaus zur Wahrung der Interessen und zur kulturellen

Entfaltung einer Gemeinschaft, die nur durch ein gemeinsames Handeln einen entsprechenden

Nutzen daraus ziehen könne, womit er den Wappenspruch Kaiser Franz Josephs, „viribus unitis“,

zitierte.472 Sein Fingerspitzengefühl bewies Silva-Tarouca in der Schilderung der Konsequenzen der

Schlacht am Lechfeld, wo er besonders spitzfindig formulierte:

„Der Sieg, den diese Großmacht [das ottonische Kaiserreich] am St. Laurentiustage 955 auf dem

Lechfeld davontrug, hat für Österreich-Ungarn eine hohe Bedeutung. Dieser zehnte August ist zum

Doppelgeburtstag der Monarchie geworden. Denn auf die Schlacht vom Lechfeld folgt die

Christianisierung der auf ihr Wanderleben verzichtenden Magyaren und – die Gründung der

Ostmark!“473

Durch seine geschickte Wortwahl und viel Sensibilität hob Silva-Tarouca die doppelte, gemeinsame

Bedeutung für die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn hervor und umging auf diese Weise die

Beschreibung der Folgen für Österreich einerseits und Ungarn andererseits. Zudem vermied er es

Österreich und die Ostmark in die Nähe dieser ottonischen Großmacht zu rücken und Ungarn in die

direkte Verbindung mit der Niederlage zu bringen. Stattdessen verwies er auf die Konsequenzen

vom Standpunkt der Habsburgermonarchie aus, für die in diesem Ereignis ein wichtiger Schritt für

die künftigen Entwicklungen und das Zusammenwachsen Österreichs und Ungarns bestanden habe.

Silva-Taroucas „Vaterlandskunde“ ist zudem das einzige der von mir behandelten Lehrbücher, in

dem auf Österreich-Ungarn als gemeinsamem Heimatbegriff noch vor der Schilderung des

Ausgleichs verwiesen wurde. Auch auf die slawische Bevölkerung der Habsburgermonarchie,

besonders die Tschechen, und deren Reichsgründungen wurde Bezug genommen, stellenweise in

die Babenberger-Geschichte eingewoben und den Entwicklungen in Österreich gegenübergestellt.474

Auch wenn damit der äußerliche Aufbau einer rein herzöglich-österreichischen Perspektivierung

etwas entkräftet wird, so lag dennoch der Schwerpunkt aufgrund der Spärlichkeit dieser Einschübe

auf den Babenbergern und Österreich. Ausgeglichen wurde dies durch die Berücksichtigung

Böhmens und Ungarns als wichtige Faktoren zum Aufstieg der Habsburgermonarchie zur

470 Ebenda: S. 89.471 Vgl. Helfert, Nationalgeschichte: S. 54.472 Vgl. Silva-Tarouca, Vaterlandskunde: S. 89.473 Ebenda: S. 107f.474 Vgl. Ebenda: S. 110f.

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Großmacht.475 Allerdings sprach Silva-Tarouca in diesem Kontext vom „Erwerb von Böhmen und

Ungarn“476 durch Österreich und den daraus resultierenden Aufstieg von letzterem. Ähnlich verhält

sich dies auch an anderer Stelle, als er in der Regentschaft Ferdinands I. und besonders in dessen

Erbe 1526 den Beginn einer neuen Periode und den Aufstieg der österreichischen oder deutschen

Linie des Hauses Habsburg zur Großmacht verortete.477 Das Ereignis von 1526, das etwa Franz

Krones als „Geburtsjahr des Oesterreichischen Gesammt- oder Großstaates“478 oder als

„Vereinigung“479 Österreichs, Böhmens und Ungarns ansah, bezeichnete Silva-Tarouca auch an

dieser Stelle als „Erwerb“480 beider Kronen durch Österreich oder die habsburgische Dynastie. Er

wollte den dominanten und aktiven Part von Österreich bei diesem Vorgang verstanden wissen, oder

wie eingehends erwähnt wurde: das „Wachsen“ bedeutete bei ihm kein „Zusammenwachsen“.

Die Dominanz und Perspektivierung Österreichs unterstrich bereits das äußere Erscheinungsbild

mit dem schlicht gehaltenen Cover: Darauf prangte nicht etwa der österreichisch-ungarische

Doppeladler und/oder die Wappen der Kronländer, sondern lediglich der österreichische

Bindenschild mit den Lettern A.E.I.O.U., des Wappenspruchs Kaiser Friedrichs III., dessen

Bedeutung meist vulgo mit „Alles Erdreich ist Österreich Untertan“ oder „Austriae est imperare

orbi universo“ interpretiert wird. Darin wurde rein äußerlich die Thematik des

Eroberungsgedankens und Herrschaftsanspruchs seitens Österreichs aufgeworfen. Der rote-weiß-

rote Bindenschild war der Wahrscheinlichkeit nach als ursprüngliches Wappen der Eppensteiner von

Schwaben aus zunächst nach Kärnten und Friaul und über die steirischen Traungauer schließlich

mit den Babenbergern nach Österreich gekommen.481 Vom Haus Habsburg wurde der Bindenschild

mit seinen Farben zwar übernommen und später auch ins österreichisch-ungarische Wappen

integriert, womit er gewissermaßen über das Herzogtum hinausging, doch repräsentierte er dennoch

primär die österreichischen „Erblande“.

Auch der dynastische Gedanke kam in diesem Lehrbuch zum Tragen. Über den gesamten Zeitraum

sah er in der Regierungszeit Franz Josephs und der konstitutionellen Monarchie „die Majestät der

Krone […] nicht ein Jota ihrer Größe“482 geschmälert. Das verbindende Element der Habsburger-

Dynastie veranlasste Silva-Tarouca dazu, auf ein kollegiales „wir“ einzuschwenken und das

Funktionieren und die Gerechtigkeit der staatlichen Institutionen und Gesetze der

475 Vgl. Ebenda: S. 94.476 Ebenda.477 Ebenda: S. 141.478 Krones, Handbuch. Bd. 1: S. 80.479 Ders., Die österreichischen, böhmischen und ungarischen Länder.480 Silva-Tarouca, Vaterlandskunde: S. 141.481 Vgl. Hermann Wiesflecker, Österreich im Zeitalter Maximilians I. Die Vereinigung der Länder zum frühmodernen

Staat. Der Aufstieg zur Weltmacht. Wien 1999: S. 138f.482 Silva-Tarouca, Vaterlandskunde: S. 227.

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Page 102: Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

Habsburgermonarchie zu loben:

„Wir Österreicher dürfen auf das Herrscherhaus stolz sein, das im Besitz der Allmacht in

wundervoller Selbstzucht nie einen Schritt hinaustrat aus den Bahnen des Rechts […].“483

Auf die direkte Rolle der Dynastie beim Ländererwerb und der Machtentfaltung wurde bereits

verwiesen. Silva-Tarouca arbeitete sich jedoch nicht an der strengen Abfolge die Habsburger ab,

sondern schloss in seine Charakterisierungen auch prägende Figuren über die Dynastie hinaus mit

ein. So wurden vor allem Feldherrn wie Albrecht von Wallenstein, Prinz Eugen oder Feldmarschall

Radetzky als Vorbilder und Orientierungshilfen für die Schülerinnen und Schüler aufgebaut. Gerade

diese lebendige Charakteristik und der beinahe romanhafte Duktus des Verfassers veranlassten

Schwerdfeger zu Lobeshymnen, da „ein Hauptgewicht […] nach Rankes Vorgang auf die

Gestaltung der historischen Persönlichkeiten gelegt und so das Interesse auch der Jugend gefesselt,

nicht ertötet“484 worden sei. Im Fall Prinz Eugens wurde die Weitsicht und der Scharfblick des

hochdekorierten Feldherrn auch über die Politik Karls VI. gestellt, zumindest im Zusammenhang

mit der Pragmatische Sanktion.485 Der Bedeutung der Pragmatischen Sanktion für die

Habsburgermonarchie und ihre Länder wurde Silva-Tarouca erst vor dem Hintergrund des

Ungarischen Ausgleichs gerecht. Hierbei betonte er die „Wahrung des im Staatsgrundgesetze Kaiser

Karls VI. von 1713 unauflöslich gemachten Verwachsenseins mit Österreich“.486 Auf dieses

„Verwachsensein“ achtete Silva-Tarouca in der Folge jedoch wenig. Die Gebietsveränderungen

wurden, vor allem bei der Beschreibung der Wiederherstellung der Habsburgischen Länder nach

den Napoleonischen Kriegen, mehr nach einer Kosten-Nutzen Rechnung bemessen, um welche

Territorien es sich dabei handelte, wirkt eher trivial.487 Dies erweckt angesichts eines Schulbuchs

der Vaterlandskunde, das ja gerade die geographischen und historischen Spezifika der

Habsburgermonarchie zum Inhalt hat und ein Zugehörigkeitsgefühl aufgrund dieser gemeinsamen

Gesichtspunkte vermitteln sollte, nicht gerade den Anschein eines zusammenhängenden

„Staatskörpers“ oder eines „Organismus“, für dessen Funktionieren jeder Teil essentiell wäre. Der

Patriotismus steckte bei Silva-Tarouca auch nicht in der Berücksichtigung der Peripherie und der

einzelnen Kronländer, sondern im österreichischen Zentrum und dem großen Ganzen. Diesen

großösterreichischen Patriotismus auf die breite Bevölkerung aller Kronländer ausdehnen zu

können, sah Silva-Tarouca als nicht möglich an und führte dies auf ein gesamtösterreichisches

Merkmal zurück, das ironischerweise die Bevölkerung der Habsburgermonarchie miteinander

483 Ebenda: S. 168.484 Schwerdfeger (Rez.): Silva-Tarouca, Vaterlandskunde: S. 4.485 Vgl. Silva-Tarouca, Vaterlandskunde: S. 172f.486 Ebenda: S. 225.487 Vgl. Ebenda: 194.

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verband, nämlich das fehlende „Selbstbewusstsein in der Vaterlandsliebe“488. Ein gesamtstaatliches

Denken lässt sich vor allem in den Passagen der jüngeren Geschichte erkennen. Den Nationalismus

stufte Silva-Tarouca zwar als progressive und moderne Strömung ein, sah in ihm aber

naheliegenderweise eine Gefahr für das Staatswesen und rückte ihn in die Nähe des Militarismus,

was er aus der historischen Erfahrung am Exempel Napoleons zu belegen versuchte.489

Einen besonderen Stellenwert nahm der Neoabsolutismus in Silva-Taroucas Werk ein, den er mit

der „Ära Bach“ gleichsetzte. Der Innenminister Alexander von Bach, der dieser Ära seinen Stempel

aufgedrückt hatte, wurde hierbei in Schutz genommen. Daneben lieferte Silva-Tarouca aber auch

interessante Einsichten in die zeitgenössische Beurteilung von dessen Politik:

„Von Alexander von Bach spricht man jetzt nur mehr wenig. Er gehört zu den Leuten, an die

niemand besonders interessiert zurückdenkt, weder die Einen, denen seine offen bekannte

religiöse Gesinnung nicht gefiel, noch die anderen, weil ihrer ungeachtet Baron Bach ein

entschiedener, nein, starrer Zentralist war. Und doch hat er unleugbar seinerzeit viel

geleistet. Advokat von Beruf und der Sache der Freiheit begeistert zugewendet, hatte er […]

sehr wesentlichen an den Errungenschaften jener Tage und später als Minister des Inneren

unter Schwarzenberg wurde er die Seele von großen, folgenschweren Reformen.“490

Auch wenn Silva-Tarouca die Schwächen an Bachs Politik thematisierte und dessen Reformen in

möglichst vagen und wertfreien Beschreibungen charakterisierte, so betonte er dennoch dessen

Leistungen. Er war darum bemüht, dem zeitgenössischen Urteil über Bachs Politik ein

differenziertes Bild entgegenzuhalten. Insbesondere für Bachs Reformwerk hatte Silva-Tarouca

lobende Worte übrig, die er mit der damit einhergegangenen Modernisierung der

Habsburgermonarchie begründete. Ähnlich wie Gindely-Tupetz lobte Silva-Tarouca nicht direkt die

Zentralisierungsmaßnahmen Bachs, sondern vielmehr die Modernisierung, die allerdings aufgrund

der gestiegenen nationalen Emanzipation bei den Ungarn auf wenig Verständnis gestoßen war:

„Sie [die Bach'sche Beamtenschaft] hat Straßen gebaut und die Schulen gehoben, die

sprichwörtliche Unsicherheit des Rechts und der Ordnung gemildert; - aber die Ungarn

wußten ihm keinen Dank, sie wollten auf Kosten ihrer heißen nationalen Gefühlen von

Reformen nichts wissen.“491

In seinem negativen Urteil zum Ende des Neoabsolutismus lassen sich einige Parallelen zu Krones‘

„Handbuch“ ziehen, in dem 1859/60 ebenfalls als entscheidende Zäsur bewertet wurde.492 Einen

gesamtstaatlichen Standpunkt nahm er auch beim Februarpatent von 1861 ein, an dem er „das 488 Ebenda: S. 205.489 Vgl. Ebenda: S. 209f.490 Ebenda: S. 224.491 Ebenda: S. 225.492 Vgl. Krones, Handbuch. Bd. 4: S. 650.

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gleichzeitige, gleichberechtigte Gelten zweier Verfassungsreformen, die prinzipiell und praktisch

einander widersprachen“, kritisierte. „In Wien das Parlament und in Ungarn die strenge, absolute

Regierung […].“493 Hier warnte er vor der Problematik eines staatlichen Auseinanderdriftens der

habsburgischen Länder durch die Einführung zweier verschiedener Verfassungen und

Verwaltungspraktiken. Somit maß Silva-Tarouca der Zäsur 1859/60 und dem Ende des

Neoabsolutismus eine erhebliche Bedeutung bei und sparte auch nicht mit Kritik an der Situation,

die aus der gescheiterten Durchsetzung eines Gesamtstaats entstanden war. Diese Bedenken

wiederholte Silva-Tarouca beim Ausgleich mit Ungarn allerdings nicht, den er mehr als

lohnenswerten Kompromiss und sogar als Wiederannäherung mit Ungarn zum Nutzen der

Habsburgermonarchie interpretierte: „Dann – nach dem Preußenkriege – kam die große

Versöhnung: unser 'Ausgleich mit Ungarn vom Jahre 1867' zustande.“494 Obwohl er Ungarns daraus

resultierenden „Rang eines eigenen Staates“495 klar benannte, stellte Silva-Tarouca dennoch die

verbindenden Elemente wie die gemeinsamen Ministerien in den Vordergrund und kaschierte das

Trennende. Auch die Tatsache, die Silva-Tarouca im Zusammenhang mit dem Februarpatent noch

als problematisch bezeichnet hatte, dass seit dem Ausgleich erst recht zwei verschiedene Systeme

mit zwei verschiedenen Verfassungen konstituiert wurden, schien den Verfasser nun nicht mehr zu

stören. Angesichts der zahlreichen Stimmen von Zeitgenossen, welche wie erwähnt den

Ungarischen Ausgleich als Katastrophe oder zumindest als Ende des österreichischen Gesamt- und

Einheitsstaates empfanden, ist es dahingehend besonders interessant, wie Silva-Tarouca auch hier

das Verbindende, „unseren Ausgleich“ hervorhob und mit ihm scheinbar sympathisierte. Dies mag

darin begründet liegen, dass der Autor sich mit der politischen Tatsache des Ausgleichs und der

Österreichisch-Ungarischen Monarchie abgefunden hatte, sich mit dieser realen Gegebenheit

arrangierte. Dies hatte sich ja bereits bei Franz Krones abgezeichnet, der hingegen noch sichtlich

weniger Sympathien für den Ungarischen Ausgleich aufbrachte als Silva-Tarouca. Im Gegensatz zur

Krise von 1859/60, die Silva-Tarouca als negative Zäsur auffasste, bewertete er den Ausgleich unter

Betonung der Kontinuitäten als überaus positiv. Trotz einiger Veränderungen hielt Silva-Tarouca

einen gesamtstaatlichen Patriotismus hoch und bediente zahlreiche Elemente der Gesamtstaatsidee,

die somit in veränderter Form auch 1914 noch weiterlebte und weiterentwickelt wurde.

493 Silva-Tarouca, Vaterlandskunde: S. 224.494 Ebenda: S. 225.495 Ebenda.

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8 Schlussfolgerungen

Bei den betrachteten Lehrbüchern lässt sich folgender Kanon an Ereignissen, die hinsichtlich ihrer

Bedeutung für den Gesamtstaat häufig auftauchen, zusammenfassen. In allen Lehrbüchern wurde

die Vereinigung der drei Länderkomplexe thematisiert, sodass sowohl die Personalunion unter

Albrecht II. als auch der dauerhafte Zusammenschluss unter Ferdinand I. Erwähnung fanden. Des

Weiteren wurden auch die Pragmatische Sanktion und die Rolle Maximilians bei der Vereinigung in

den Lehrbüchern soweit berücksichtigt, dass sie sich als gesamtstaatliche Muster bemerkbar

machen. Im Einzelnen zeigte sich aber eine sehr unterschiedliche Gewichtung dieser Ereignisse.

Die Bedeutung Albrechts II. wurde vor allem in „Gindelys Lehrbuch“ aber auch in Hannaks

„Lehrbuch der Geschichte“ hervorgehoben. Die Vereinigung durch Ferdinand wurde ebenfalls sehr

unterschiedlich ausgedeutet, die Tragweite der Konsequenzen aber am stärksten bei Gindely-Tupetz

und Silva-Tarouca behandelt. Häufig wurde dabei auf die vorbereitende Rolle Maximilians, der die

Wiener Hochzeit arrangierte, verwiesen, wie dies vordergründig Wilhelm Pütz und Emanuel

Hannak („Lehrbuch“) taten. Ebenfalls in allen Lehrbüchern enthalten ist die Pragmatische Sanktion,

die allerdings lediglich in Hannaks „Lehrbuch“ und in Silva-Taroucas „Vaterlandskunde“ als

wichtiges Staatsgesetz und einendes Band für die Habsburgischen Länder präsentiert wurde.

Wilhelm Pütz betonte immerhin die Zugehörigkeit der Habsburgischen Länder und nicht nur die

weibliche Erbfolge. Während der Krieg zwischen Österreich und Preußen von 1866 Eingang in alle

Lehrbücher fand, wurde auf die Berücksichtigung des Ungarischen Ausgleichs in einigen Fällen

verzichtet. Auch die Art und Weise, wie der Ausgleich erwähnt und beurteilt wurde, divergiert

wiederum stark. Ebenso sehr wichen die Lehrbücher in der Verwendung gesamtstaatlicher Topoi

voneinander ab. Obwohl bei Pütz und Silva-Tarouca die einzelnen Kronländer wenig

Berücksichtigung fanden, richteten beide nach eigenen Angaben ihr Augenmerk darauf, das

Staatswesen als ein großes Ganzes zu betrachten. Auf eine parallele Darstellung der Habsburgischen

Länder bis zu ihrer Vereinigung wurde besonders in „Gindelys Lehrbuch“ und Hannaks

„Vaterlandskunde“ geachtet. Vereinzelt wurde auch auf den Topos der Notwendigkeit für das

Zusammengehen und Zusammenbleiben der Länder zurückgegriffen, in den meisten Fällen aber die

Verbindungen und Gemeinsamkeiten der Länder vor ihrer Einigung 1526 bekräftigt. Die Dynastie

als Identifikationsmerkmal fand in allen Lehrbüchern Erwähnung, während aber Pütz und Spitzer

das Haus Habsburg streckenweise mit dem Staat gleichsetzten und auch Silva-Tarouca die Macht

der Dynastie hervorhob, betonte Gindely-Tupetz in seinen Darstellungen die Einheit des

Staatswesens über den dynastischen Gedanken hinaus. Interessante Schlüsse lassen sich aber vor

allem aus der Wortwahl im Zusammenhang mit der Thronbesteigung Ferdinands in Böhmen und

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Ungarn ziehen. Dort spalten sich die Lehrbücher in exakt zwei gleichgroße Lager: Während Silva-

Tarouca und Spitzer vom „Erwerb“ Böhmens und Ungarns für Österreich oder das Haus Habsburg

sprachen, implizierten Gindely-Tupetz und Hannak („Lehrbuch“) mit der „Vereinigung“ der Länder

das Entstehen eines eigenen, großen Staatsgebiets. Pütz vermied zwar den Begriff „Erwerb“,

tendierte aber dennoch zu einer dynastisch konnotierten Inbesitznahme, wohingegen Hannaks

„Vaterlandskunde“ in der Wortwahl zwischen „Vereinigung“ und „Erwerb“ wechselte.

In Anbetracht dieser Ergebnisse lässt sich daher argumentieren, dass gesamtstaatliche Aspekte, wie

sie im Kanon und in den Topoi zusammengefasst wurden, in fast allen behandelten Lehrbüchern

bewusst thematisiert wurden, dass aber gleichzeitig die Gewichtung und Häufigkeit stark variierte.

Oft ergeben sich durch die Stoffanordnung, die Kontextualisierung oder die Wortwahl kleine aber

feine Unterschiede, die einen differenzierten Zugang zur Gesamtstaatsidee offenkundig werden

lassen. Es kristallisieren sich dadurch einige Lehrbücher heraus, die gesamtstaatliche Elemente

linear und stringent über den gesamten Geschichtsstoff hinweg transportierten und auf diese Weise

eine tiefer gehende Intention erkennbar machen. Ein dichtes Netz an gesamtstaatlichen Themen,

Textstrategien und Begrifflichkeiten lässt sich vor allem bei Gindely-Tupetz und Hannak

rekonstruieren, die akribisch genau die Muster, die aus der Diskursanalyse zum Gesamtstaat

hervorgegangen sind, einzuhalten bemüht waren. Punktuell und weniger vollständig geschah dies

auch bei Silva-Tarouca, der viele der Kriterien der Gesamtstaatsgeschichte erfüllte. Bei diesen

Vertretern lässt sich die primäre Tendenz, die Habsburgermonarchie gezielt als historisch

gewachsenen Gesamtstaat zu präsentieren, herauslesen. Insofern versuchten sie den staatlichen und

geschichtswissenschaftlichen Ansprüchen, die Helfert und Chmel bei einer österreichischen

Nationalgeschichte voraussetzten, gerecht zu werden und wiesen einige Parallelen zu Franz Krones‘

Handbuch auf. Sie folgten den Vorgaben des Ministeriums für Cultus und Unterricht und suchten

die Interessen des Staats ideologisch zu untermauern. Überwiegend ist der Anspruch und die

Tendenz in den Lehrbüchern erkennbar, die Vorgaben des Ministeriums einzuhalten und den

einheitlichen und gesamtstaatlichen Charakter der Habsburgermonarchie hervorzuheben. Gerade

diejenigen Lehrbücher, die die staatlichen Positionen am konsequentesten vertraten und dem

Ministerium am ehesten gerecht zu werden verstanden, erlebten die größte Nachfrage und weiteste

Verbreitung. Die höchsten Neuauflagen nämlich erzielten „Gindelys Lehrbuch“ und Hannaks

„Lehrbuch der Geschichte“. Dieser Zusammenhang könnte zum Teil auch mit dem Wohlwollen des

Ministeriums erklärt werden.

Von Relevanz sind in erster Linie die Ergebnisse zu den innen- und außenpolitischen Zäsuren. Im

Hinblick auf die Beurteilung der Krisen 1859/60 und 1866/67 machen sich große Unterschiede

bemerkbar. Während auf die außenpolitischen Niederlagen größtenteils Bezug genommen wurde,

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traten die innenpolitischen Auswirkungen vergleichsweise eher in den Hintergrund. Im Gegensatz

zu 1867 gab es selten Reaktionen auf 1860, allerdings wurde der Neoabsolutismus in diesen Fällen

als Regierungsperiode im Gesamten einer Beurteilung unterzogen, nicht nur der Schlusspunkt. Aus

den Untersuchungen lässt sich schlussfolgern, dass der Neoabsolutismus mit Zentralisierung und

Modernisierung assoziiert und die Reformen in dieser Zeit als grundsätzlich positiv aber

missverstanden interpretiert wurden. Während bei Gindely-Tupetz das Ende des Neoabsolutismus

mehr wie eine Weiterentwicklung einer Verfassung, die trotz positiver Ansätze doch ihre Mängel

offenbart hätte, angesehen wurde, betonte Silva-Tarouca den Charakter einer Zäsur. In beiden Fällen

wurde die Periode selbst allerdings durchaus positiv bewertet. Im Gegensatz zu 1860 wurde 1867

häufiger behandelt, allerdings nicht als Zäsur interpretiert. Trotz der positiven Sichtweise auf die

zentralisierenden Maßnahmen des Neoabsolutismus folgte bei der Betrachtung des Ausgleichs keine

Kritik, sondern größtenteils Zustimmung. Vorherrschend war nämlich die Herangehensweise, die

Kontinuitäten hervorzuheben und die Habsburgermonarchie trotz der Einschnitte als im Wesen

unverändert und als einen Staat zu behandeln. Dementsprechend wurde der Ausgleich mit Ungarn

primär positiv bewertet, um die Unversehrtheit des österreichischen Gesamtstaats und die

ungebrochene Identifikation mit diesem Staatswesen zu betonen. Daher schienen sich gerade die

Autoren, die am meisten gesamtstaatliches, großösterreichisches Gedankengut transportierten, eher

mit dem Dualismus zu arrangieren. Dies kann auf eine Anpassung der Verfasser an die veränderte

Ausrichtung der Regierung zurückgeführt werden, die durch die neuen politischen Verhältnisse des

Ausgleichs nötig geworden war. Umso mehr verdeutlicht dies den Anspruch der Lehrbücher, den

Regierungsvorgaben Rechnung zu tragen und offizielle, staatsdienliche Inhalte gezielt zu

verbreiten. In etwa entsprach diese Haltung der Franz Krones‘, der zwar nicht mit der De-facto-

Zweiteilung sympathisierte, sich aber sehr wohl mit der Doppelmonarchie abgefunden hatte. Dieser

Umstand hielt ihn jedenfalls, anders als Bidermann bei seinem dritten Band, nicht davon ab sein

„Handbuch“ in den 1870ern zu publizieren. Schulbücher, die in staatlichen Einrichtungen in

Verwendung waren, mussten naheliegenderweise die politischen Gegebenheiten des Staatswesens

ein Stück weit widerspiegeln. In erster Linie wurde dabei meist das Gemeinsame vor das Trennende

gestellt. Konkret bei Gindely-Tupetz, der trotz seiner objektiven Herangehensweise im Ausgleich

mehr eine Möglichkeit sah, innenpolitisch Frieden zu schließen und den Gesamtstaat wieder zu

konsolidieren. Ganz ähnlich war der Umgang Silva-Taroucas mit dem Ausgleich, dessen politische

Realität er begrüßte und als „große Versöhnung“ bezeichnete. Auch Emanuel Hannak, der zwar die

Bezeichnung des „Ausgleichs“ unter Verwendung eines Synonyms umging und dadurch umso mehr

den Eindruck der Kontinuität erweckte, stand den neuen Verhältnissen ebenso wohlwollend

gegenüber wie Silva-Tarouca und Gindely-Tupetz. Zudem sprach er sich dezidiert gegen föderale

107

Page 108: Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

Strömungen aus, die am Dualismus zu rütteln versuchten.

In engem Zusammenhang hiermit stand auch der Wandel des Österreichbegriffs. In der Regel war

„Österreich“ als alleiniger Terminus mindestens bis zu den Beschreibungen des Ausgleichs in

Verwendung. Ab diesem Stoffgebiet gibt es allerdings deutliche Unterschiede was den Gebrauch

offizieller Termini anbelangt. Allgemein lässt sich festhalten, dass „Österreich“ in der Mehrzahl der

Lehrbücher unverändert als Bezeichnung für den Gesamtstaat der Habsburgermonarchie bestehen

blieb. Die positive Haltung zum Dualismus musste dabei nicht zwingend mit der Verwendung der

offiziellen Termini korrelieren. Silva-Tarouca erkannte den neuen Namen desselben Staatswesens

an und gebrauchte die offizielle Bezeichnung „Österreich-Ungarn“. Zudem war Silva-Tarouca der

einzige, der diesen Terminus an einer früheren Stelle erwähnte, nämlich als er die Konsequenzen

der Schlacht am Lechfeld für „Österreich-Ungarn“ auseinandersetzte. Eine weitere Besonderheit an

Silva-Tarouca ist hierbei, dass nur er auf die unterschiedlichen Verwendungsmöglichkeiten des

Österreichbegriffs aufmerksam machte und differenzierte. Exakt eingehalten wurde die offizielle

Terminologie von Gindely-Tupetz, der von „Österreich-Ungarn“ als dem Gesamtstaat und den „im

Reichsrat vertretenen Ländern“ in der Bedeutung der „cisleithanischen“ Reichshälfte sprach.

Konsequent in diesem Vorgehen war aber auch Gindely-Tupetz nicht, da auch bei ihm „Österreich“

in der Regel „die im Reichsrat vertretenen Länder“ synonymisch ersetzte. Von Pütz abgesehen,

vermieden hingegen Spitzer und Hannak den Terminus „Österreich-Ungarn“ und verwendeten

„Österreich“ deckungsgleich für „Habsburgermonarchie“. Hannaks „Lehrbuch“, das in die direkte

Folgezeit des Ausgleichs fiel, lässt zwar ebenso eine Anerkennung des Dualismus erkennen, doch

schien Hannak noch von der Aussicht auf die Rettung des „Österreich-Begriffs“ für den

Gesamtstaat geprägt. In zeitlicher Hinsicht lässt sich dadurch der Trend feststellen, dass vor allem

spätere Werke, wie die Gindely-Tupetz‘ und Silva-Taroucas, sich mit den Gegebenheiten des

Dualismus abgefunden hatten und auch den offiziellen Namen dieses Staatswesens rundum

anerkannten und übernahmen. Als Fazit lassen sich also deutliche Anzeichen eines gesamt-

österreichischen Bewusstseins in den meisten der Lehrbücher erkennen, vor allem in den

bekanntesten. Vereinzelt wird zwar eine Bevorzugung des „deutschen“ Elements der

Habsburgermonarchie bemerkbar, doch geschieht dies meist im Rahmen der mittelalterlichen

Geschichte und der engen Verbindung mit dem deutschen Raum. Dennoch nahmen diese Tendenzen

nie extreme Züge im Sinne deutschnationaler Positionen an und überstiegen nie das

großösterreichische Identitätsbewusstsein. Mehr noch als bei Franz Krones, der trotz eines

moderaten Zugehörigkeitsgefühls zur deutschen Nationalität seiner großösterreichischen Gesinnung

stets den Vorzug einräumte, traten die Identitäten der Lehrbuchautoren in den Hintergrund. Zum

Teil wurde der Führungsanspruch des Herzogtums Österreich innerhalb des Staats unter

108

Page 109: Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs im Spiegel der ...

Hintanstellen der böhmischen und ungarischen Geschichte unterstrichen, doch war dabei die

Betonung des eigenstaatlichen Charakters der Habsburgermonarchie als nicht-deutschem Staat

vorherrschend. Grundsätzlich scheinen Sympathien zugunsten eines Zentralismus und einer

Vereinheitlichung des Staatswesens durch, bei Hannak eine klare Antipathie gegen föderalistische

Reformen. Trotz dieser Sympathien in die eine oder andere Richtung war es hingegen nie das Ziel,

die zeitgenössische Politik zu kritisieren. Um der offiziellen Position der Regierung zu entsprechen

und die staatlichen Interessen zu unterstützen, wurde der status quo der Habsburgermonarchie stets

positiv beurteilt. Dementsprechend wurden auch die gesamtstaatlichen Elemente an das veränderte

Staatsinteresse angepasst und fanden unvermindert bis zum Zerfall der Habsburgermonarchie

Verwendung.

109

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