Die grössten Irrtümer der Rehwildbejagung · 2012. 10. 4. · Die grössten Irrtümer der...

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Die grössten Irrtümer der Rehwildbejagung Fortbildung St. Gallischer Jägerverein „Hubertus“ 13. April 2012 Blockhaus Erlenholz, 20.00 – 21.15 Dr. Dominik Thiel, Sektion Jagd und Fischerei Kanton Aargau

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  • Die grössten Irrtümer der Rehwildbejagung

    Fortbildung St. Gallischer Jägerverein „Hubertus“

    13. April 2012 Blockhaus Erlenholz, 20.00 – 21.15

    Dr. Dominik Thiel, Sektion Jagd und Fischerei Kanton Aargau

  • Rehe = Die bekannte Unbekannte„Über kaum eine Wildart wird soviel Mist

    geschrieben, wie über das Reh“ (nach Bruno Hespeler)

  • Die drei grössten Irrtümer über das Rehwild

    • das Alter eines adulten Rehs ansprechen zu wollen

    • Rehe zählen zu wollen

    • Böcke selektiv heranhegen zu wollen

  • Inhalt des Vortrages

    • Biologie des Rehs

    • Jagdplanung Theorie

    • Jagdplanung Praxis

    • Fallbeispiel Aargau

  • • Sturmschäden = mehr Nahrung / Deckung

    • Käferholz = mehr Nahrung / Deckung

    • mehr Mastjahre = mehr Nahrung

    • Waldwegebau = mehr Nahrung

    • Mosaik Wald-Feld= mehr Nahrung und Deckung

    • mehr Maisfelder = mehr Nahrung und Deckung

    Biologie

    • fehlende Grossraubtiere = weniger Mortalität

    • milde Winter = weniger Mortalität

    • keine Tierseuchen = weniger Mortalität

    • keine hungrigen / arme Jäger = weniger Mortalität

    Heute = Zeitalter des Rehs

  • • Kulturfolger, anpassungsfähig (Wald, Feld, Gebirge, Siedlung)

    • Grenzgänger, Unterholzbewohner, „Haagschlüpfer“, „unsichtbar“

    • Meister in Feindvermeidung

    • Frühling-Sommer: ♂ territorial, ♀ einzelgängerisch

    • Kitze ab September/Oktober „unabhängig“

    Biologie

  • Altersklassen:

    Sozialklassen:

    GV

    Zwei! (älter und jünger als 13 Monate)

    ♂, führende ♀, nicht-führende ♀

    1 ♂ : 1 ♀

    Gewichtsunterschiede ♂, ♀ vernachlässigbar

    Biologie

    Rehe sind von Natur aus kurzlebig.Das Alter und Sozialstruktur haben wenig Bedeutung.

  • Hespeler 2003

    Biologie

    aus: Jagen in der Schweiz 2011

  • Fortpflanzungsstrategie/-biologie

    • hohe Fortpflanzungsrate (50%)

    • starke Geissen haben mehr Jungtiere

    • starke Selbstregulation durch Dichteeffekte (Stress, Konkurrenz)

    à bei Bestandeseinbrüchen schnelle Bestandeserholung

    à in guten Lebensräumen hohe Dichten

    à Fortpflanzungserfolg von Äsung/Lebensraumqualität abhängig

    Biologie

  • • mehr Nahrung = bessere Kondition

    • bessere Kondition Geiss = mehr Kitze!

    • bessere Kondition Geiss = stärkere Kitze!

    aus Hespeler 2003

  • Physiologie

    • anfällig auf hohe Schneelage und nasskalte Witterung

    • wenige Speichermöglichkeiten im Winter

    • ganzjährig qualitativ gute Nahrung notwendig

    à hohe klimabedingte Abgänge (Abschussplanung)

    à starke Böcke werden nicht vererbt sondern entstehen durch….

    à Fütterung grosser Einfluss

    à

    Biologie

  • Wenn die Jogger, Biker und Reiter das Rehwild stressen (würden), schlägt sich dies auf die Reproduktion nieder. Haben Sie in ihrem Revier keine Rehkitze?

    Biologie

    nach THIEL 2002

  • Beispiele von Fehleinschätzungen

    • 200 ha Wald, Schätzung 30 Rehe, 120 erlegt• 250 ha Wald, Schätzung 50 Rehe, 125 erlegt, 20 gefangen

    • in Waldinsel 165 ha 38 Rehe markiert, auf Zähldrückjagd 4 markierte Rehe gefunden

    Rehe kann man nicht zählen, es gibt auch keinen Grund dies zu tun!

    Rehwildzählungen ergeben eine Ungenauigkeit von rund +/- 100 %

    Biologie

  • Biologie

  • Schalenwild wie noch nie!

    Jagdplanung

    Quelle: BAFU

  • Jagdplanung gemäss BAFU 2010: Grundlagen für die Praxis

    • Abschuss mindestens gemäss Zuwachs

    • Mittelklasse schonend

    • GV 1:1

    • gewisser Anteil Abschuss in Jugendklasse

    • Bestand unterhalb Lebensraumkapazität

    Wieviele Kitze haben Sie?

    Wie alt ist ein mittelaltes Reh?Wieviele Böcke haben Sie?

    Welches Reh ist jung?

    Wann ist diese erreicht?

    Jagdplanung Theorie

  • Frühjahrsbestand+ Jungtiere+ Einwanderung- Abgang natürlich- Abgang jagdlich- Abwanderung

    Rehe kann man nicht zählen

    + 50% (Karteneintrag Kitzbeo. ab August)

    + ???? (Markierung notwendig)

    + ???? (Fuchs, Luchs, Klima, Krankheit)

    - 50%

    - ???? (Markierung notwendig)

    Jagdplanung Theorie

    Abschussplanung im Revierjagdsystem fraglich

  • Konsequenzen für die Jagdplanung (1)

    • Reh territorial: keine revierübergreifende Jagd

    • Reh territorial: Wildschadenprobleme lokal lösbar

    • da sich Rehe drücken: Stöberhunde unverzichtbar

    • da Kitze ab Oktober unabhängig: ab Oktober alles Rehwild jagdbar

    • da starke intraspezifische Dichteregulation: grosse Bandbreite von jagdlicherEingriffsmöglichkeit (viele Kitze bei hohem Abschuss)

    • hohes Fortpflanzungspotential (50%), grosser Spielraum für jagdlichen Eingriff

    Jagdplanung Praxis

    hoher Abschuss = weniger Konkurrenz/Stress = starke Tiere = mehr Kitze à mehr jagen

    tiefer Abschuss = mehr Konkurrenz/Stress = schwache Tiere = hohe natürl. Mortalität

  • Konsequenzen für die Jagdplanung (2)

    • da ich nicht weiss, wieviele Rehe im Wald leben, macht eine Abschusszahl keinen Sinn

    • da ich das Alter der Rehe nicht bestimmen kann, macht eine Abschussvorgabe bzl. Alter keinen Sinn

    • da das Trophäenwachstum vom Lebensraum und Konkurrenzdruck abhängig ist, macht eine selektive Bockjagd keinen Sinn

    • auf Treibjagd: egal ob Kitz, Bock oder Geiss

    Wenn Rehe unselektiv bejagt werden, setzt sich die Jagdstrecke so zusammen, wie der Bestand zusammen gesetzt ist.

    Jagdplanung Praxis

  • Rehwildabschuss Geschlechteranteil pro Kanton

    0

    20

    40

    60

    80

    100

    120

    AG AR AI BL BS BE FR GL GR JU LU NE NW OW SH SZ SG SO TI TG UR VD VS ZG ZH

    Rehwildabschuss Anteil weiblichRehwildabschuss Anteil männlich

    Jagdplanung Praxis

  • Konsequenzen für die Jagdplanung (3)

    • bei hohen Dichten: starker jagdlicher Eingriff

    • wenn Wildschadenproblem: starker jagdlicher Eingriff

    • wenn Grossraubtiere fehlen: starker jagdlicher Eingriff

    • wenn Lebensraum optimal: starker jagdlicher Eingriff

    Wer den Abschuss drosselt, drosselt die Reproduktionsrate (Hespeler)

    Wenn fast keine sinnvollen wildbiologischen Abschusskriterien übrig bleiben, an was soll sich eine Abschussplanung orientieren?

    Jagdplanung Praxis

  • Wie viele Rehe sollen erlegt werden, wie hoch soll die Dichte sein?

    Soviel, dass die waldbaulichen Ziele erreicht werden, u.a.:

    • Naturverjüngung grösstenteils ohne Schutz aufbringen

    • keine Entmischung der Baumarten

    In einem Wald leben 80 Rehe auf 100 ha ohne Wildschadenprobleme, in einem anderen Wald sind 10 Rehe auf 100 ha zu viel!

    Jagdplanung Praxis

  • Fallbeispiel Aargau

  • Abschussdichten Rehwild Kanton Aargau 2011

    0

    10

    20

    30

    40

    50

    60

    70

    3.00 6.00 9.00 12.00 15.00 18.00 21.00 24.00 27.00 und größer

    Abschussdichte pro 100 ha Wald

    Anz

    ahl J

    agdr

    evie

    reFallbeispiel Aargau

  • 400 ha, A

    700 ha, B

    900 ha, C

    Fallbeispiel Aargau

  • Rehwild Ab schussdichten pro 100 h a W ald

    0.0

    5.0

    10.0

    15.0

    20.0

    25.0

    30.0

    35.0

    2001/2002 2002/2003 2003/2004 2004/2005 2005/2006 2006/2007 2007/2008 2008/2009 2009/2010

    Jagdjahr

    Reh

    e A

    bsch

    uss

    / 100

    ha

    Wal

    d

    Brem gartenFis chbach-G ös likonO berw ilStaffe lbac h

    14 kg

    16 kg

    Rehwild Abschussdichten pro 100 ha Wald

    Fallbeispiel Aargau

    A

    B

    C

  • Entwicklung Rehgewichte Staffelbach

    0.0

    2.0

    4.0

    6.0

    8.0

    10.0

    12.0

    14.0

    16.0

    18.0

    2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009

    Jahr

    Gew

    icht

    auf

    gebr

    oche

    n m

    it H

    aupt

    BockGeissKitz

    Abschuss

    17 Rehe / 100 ha Wald

    60 Rehe pro Jahr

    Entwicklung Gewichte Rehe

    Fallbeispiel Aargau

    B

  • Entwicklung Rehgewichte Bremgarten

    0.0

    2.0

    4.0

    6.0

    8.0

    10.0

    12.0

    14.0

    16.0

    18.0

    20.0

    2005 2006 2007 2008 2009

    Jahr

    Gew

    icht

    auf

    gebr

    oche

    n m

    it H

    aupt

    BockGeissKitz

    Abschuss

    8 Rehe / 100 ha Wald

    40 Rehe pro Jahr

    Entwicklung Gewichte Rehe

    Fallbeispiel Aargau

    C

  • Erfolgskonzept Rehwildbejagung:

    • unselektive Bockjagd ab 1. Mai

    • Schmalrehjagd 1. Mai – 15. Juni

    • Abschuss Geissen/Kitze ab 1. September

    • Treibjagden ab 1. Oktober: alles Rehwild

    • Wenige grosse effiziente Treibjagden • gut vorbereitete Jagdleitung/Planung• viele Jäger, gute Stöberhunde• alles Rehwild frei (keine Einschränkungen)

    Fallbeispiel Aargau

    Kapitale Bö

    cke kriegt m

    an weder du

    rch eine se

    lektive Boc

    kjagd noch

    durch die S

    chonung vo

    n «Zukunfts

    böcken», so

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    e durch

    einen hohe

    n Abschuss

    (geringe Ko

    nkurrenz)!

  • Man kann die Rehe entweder jagen oder sie im Wald verfaulen lassen (Peter Meile 2011).

  • Es ist egal wie viele Rehe im Wald leben, solange sie bei guter Kondition sind und den

    Wald nicht entmischen (Bruno Hespeler).

    Selektive Rehjäger brauchen dringend eine Abschussplanung.

    Es ist egal welche Rehe du (im Herbst) jagst, wenn es nur genügend sind (Bruno Hespeler)!

  • Hespeler B (2003): Rehwild heute – Neue Wege für Hege und Jagd. BLV-Verlag

    Thiel D (2008): Warum hat es im Aargau so viele Rehe? UMWELT AARGAU (http://www.ag.ch/umwelt-aargau)

    JFK (2011): Jagen in der Schweiz - Auf dem Weg zur Jagdprüfung, Salm-Verlag.

    http://www.ag.ch/umwelt-aargau