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Die Hessen und ihre Geschichte

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Die Hessen und ihre GeschichteWege-Weiser durch die hessische Landes-

und Regionalgeschichte

Herausgegeben von Bernd Heidenreich und Eckhart G. Franz

Hessische Landeszentrale für politische Bildung Wiesbaden 1999

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Impressum

Herausgeber:Dr. Bernd HeidenreichHessische Landeszentrale für politische Bildung, Wiesbaden 1999

Abb. Titel:Reitersiegel Heinrichs I., des ersten hessischen Landgrafen (gest. 1308)Hess. Staatsarchiv Marburg

Satz und Druck:Georg Aug. Walter's Druckerei GmbH, 65343 Eltville im Rheingau

ISBN 3-927127-32-9

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Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Eckhart G. Franz: Landesgeschichte und regionale Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Bernd Heidenreich:Politische Bildung und geschichtliche Orientierung . . . . . . . . . . . . . 19

Klaus Eiler:Öffentliche Archive in Hessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

Hans-Peter Lachmann:Geschichtsvereine in Hessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

Wolf-Arno Kropat:Die Historischen Kommissionen in Hessen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

Ursula Braasch-Schwersmann:Das Hessische Landesamt für geschichtliche Landeskunde . . . . . . . 53

Bettina Wischhöfer:Kirchliche Archive und Kirchengeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

Ulrich Eisenbach:Archive der Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

Michael Neumann:Denkmalpflege als Geschichtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

Kai R. Mathieu:Staatliche Schlösser und Gärten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

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Dieter Wolf:Regional-, Stadt- und Heimatmuseen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88

Hartmut Heinemann:Jüdische Friedhöfe und Denkmäler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98

Lupold von Lehsten:Familienkundliche Forschung in Hessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

Friedrich Battenberg:Landeskundliche Zeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108

Fritz Wolff:Geschichtsausstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

Egon Schallmayer:Geschichte erleben auf der Saalburg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124

Hans Sarkowicz:Landesgeschichte in Hörfunk und Fernsehen. . . . . . . . . . . . . . . . . . 129

Thomas Lange:Landesgeschichte in der Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133

Wichtige Anschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142

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Vorwort

Landes- oder Regionalgeschichte in Hessen war schon seit der Grün-dung der ersten Geschichtsvereine zu Beginn des 19. Jahrhundertsmehr als ein wissenschaftliches Forschungsanliegen für Professorenund Archivare. Die unter möglichst breiter Beteiligung angesetztenForschungen, die zunächst von den sichtbaren „Denkmalen“ ausgin-gen, sollten allen, die am von der Geschichte geprägten Leben teil-nehmen, zugänglich sein und das Vergangene „im Gedächtnis derMitwelt“ verankern.

Eine zunehmende Auflösung bestehender Bindungen durch Grenz-verschiebungen, Gebietsreformen und Migration hat gerade in denletzten Jahren bei Bürgerinnen und Bürgern zu einem immer stärke-ren Bedürfnis nach historischer Selbstvergewisserung geführt. Immermehr Menschen fragen daher nach der Geschichte der Region, in dersie leben und arbeiten, um daraus Orientierung für die Gegenwartund sicheren Boden für die Gestaltung der Zukunft zu gewinnen. Dashat ein wachsendes Interesse an der Landes- und Regionalgeschichtein Hessen nach sich gezogen, mit der die Informationen über die ver-schiedenen Träger und Ansprechpartner der Landesgeschichte jedochnicht immer Schritt gehalten haben. Mit der Publikation „Wo, wie undwozu befasst man sich in Hessen mit Landes- und Regionalge-schichte?“ wollen wir diese Lücke schließen.

Das kleine Handbuch stellt die einzelnen Institutionen und wich-tigsten Aktionsfelder der Landesgeschichte in Hessen vor. Es will aufdie Vielfalt der geleisteten Arbeit aufmerksam machen und zugleichzu einer noch besseren Vernetzung der Regionalgeschichte und hessi-schen Landeskunde beitragen. Die Hessische Landeszentrale für poli-tische Bildung will durch die Vermittlung von hessischer Landes-kunde und Landesgeschichte die Identität unseres Bundeslandes unddie historisch-politische Orientierung seiner Bürgerinnen und Bürgerfördern.

Dr. Bernd Heidenreich Prof. Dr. Eckhart G. FranzStändiger Vertreter des Direktors Hessische Historischeder Hessischen Landeszentrale für Kommission Darmstadtpolitische Bildung

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Wilhelm Dilichs Zukunftsvision des „lieben Vatterlandes Hessen“ ausdem Jahre 1605

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Landesgeschichte und regionale Identität

Prof. Dr. Eckhart G. Franz, Hessische Historische Kommission Darmstadt

Zur geschichtlichen Überlieferung unseres Landes gehören die Bo-denfunde der Vorzeit, das mit modernen Grabungsmethoden aufge-fundene Steinbild des „Keltenfürsten“ vom Glauberg und der römi-sche Limes mit seinen Kastellen ebenso wie die frühen Kirchen- undKlosterbauten der Karolingerzeit. Die schreibkundigen Mönchehaben zwar neben Urkunden und Besitzlisten auch erste chronikali-sche Aufzeichnungen hinterlassen, doch die bei den Kanzleien desMittelalters angelegten Registraturen oder Archive waren vorrangigVerwaltungsstütze und juristische Rüstkammer. Der MarburgerSchlosskaplan Wigand Gerstenberg aus Frankenberg hat sie nicht he-rangezogen, als er für seinen landgräflichen Herrn gegen Ende des 15.Jahrhunderts seine mit reizvollen Federzeichnungen illustrierte „Lan-deschronik von Thüringen und Hessen“ schrieb, die den eigentlichenAnfang hessischer Landesgeschichtsschreibung bildet.

Die aus der „terra Hassia“, dem Erbe der Heiligen Elisabeth er-wachsene Landgrafschaft hatte damals mit den kurz zuvor aus derHinterlassenschaft der Grafen von Katzenelnbogen erworbenenStützpunkten um St. Goar und Darmstadt bereits die Außengrenzendes heutigen Landes markiert. Dass die vier Söhne Landgraf Philippsdes Großmütigen das eigentliche „Hessen“ 1567 erneut aufteilten,machte das Land dann noch stärker als zuvor zu einem buntenFlickenteppich aus geistlichen und weltlichen, fürstlichen und gräfli-chen, reichsstädtischen und reichsritterlichen Klein- und Kleinstherr-schaften. Als der zum „historiographus et geographus“ des KasselerLandgrafen Moritz bestallte Wilhelm Scheffer gen. Dilich auf derÜbersichtskarte seiner ab 1605 in mehreren Druckauflagen verbreite-ten „Hessische Chronica“ ein „liebes Vatterland Hessen“ präsentierte,das alles Land zwischen Werra, Oden- und Westerwald umfasste, gabes lautstarke Proteste der auf ihre Selbständigkeit bedachten Wet-terauer Grafen; der von ihnen beauftragte Kurpfälzer Marquard Fre-her fragte in seinem „Historischen Bericht von der Wetterau, Rinckau,

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Westerwald ... und anderen an das Fürstenthumb Hessen angräntzen-den Landen“, wo Dilich wohl seine neuartige „geographiam“ gelernthabe.

Politisch-dynastische Interessen verfolgten auch die in den Folge-jahrzehnten entstandenen Darstellungen, die 1647 in Darmstadt inAuftrag gegebene „Gründliche und wahrhaftigen Beschreibung derFürstentümer Hessen und Hersfeld“ des Rats Johann Justus Winckel-mann, die erst zu Ende des Jahrhunderts in Bremen gedruckt werdenkonnte, wie die für die Grafen von Nassau, von Hanau und von Solms,für die Ysenburger, die Erbacher und Waldecker erstellten Genealogienund Chroniken: die schon 1617 verfasste Nassauische Chronik des Johannes Textor, die „Gründliche Deduction des gräflichen HausesYsenburg“ des Mag. Johann Fuchs (1647) u.a.m. Die umfängliche„Franckfurter Chronick“ des Achill August von Lersner erschien 1706.

Ein neuer Ansatz ergab sich, als die enzyklopädische Gelehrsam-keit des 18. Jahrhunderts das archivische Schriftgut als Quellenreser-voir zu nutzen begann. In Darmstadt wie in den nassauischen Resi-denzen Usingen und Idstein wurden die Archive nach „wissenschaft-lichen“ Kriterien neu geordnet. Juristen, Historiker und Archivare pub-lizierten aus Archiv-Recherchen erwachsene Traktate und Quellen-sammlungen zu landesgeschichtlichen Themen. Manches davon, die„Analecta Hassiaca“ des Joh. Philipp Kuchenbecker (1728/42) undJoh. Friedrich Conrad Retters „Hessische Nachrichten“ (1738/41), die„Origines iuris publici Hassiaci“ des Marburger Juristen JohannGeorg Estor (1752), die Schriften seiner Kollegen Johann Adam undCarl Philipp Kopp, vor allem aber der fünfbändige „Codex diploma-ticus“ des Valentin Ferdinand von Gudenus für die Kurmainzer Über-lieferung (1743/68) werden wie manche der mit Urkundentexten an-gereicherten juristischen „Deductionen“ der Zeit bis heute genutzt.

Als Geburtsstunde der Landesdenkmalpflege in Hessen gilt die1777 verfügte Gründung der „Société des Antiquités“ in Kassel durchLandgraf Friedrich II., eine der zeittypischen „gelehrten Gesellschaf-ten“, die sich neben den für das neue „Museum Fridericianum“ wich-tigen Relikten der ägyptischen, griechischen und römischen Antikeausdrücklich auch um die „mittelalterlichen Altertümer“ kümmernsollte. Drei Jahre später erging die Schutzverordnung für „Monu-mente und sonstige Altertümer“ der Landgrafschaft, mit der JohannWilhelm Casparson ein Gesamtinventar oder „raisonnierendes Ver-zeichnis der antiquarischen Örter in Hessen vom Mittelalter“ an er-

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stellen wollte. „Inventar“ war auch die „Grundlage zu einer Hessi-schen Gelehrten- und Schriftsteller-Geschichte“ des Kasseler Biblio-thekars Friedrich Wilhelm Strieder, ein breit angelegtes biographi-sches Lexikon, dessen erster Band 1781 im Druck erschien. Zwei Jahrespäter folgte der erste Band der mit umfänglichen Urkunden-Anhän-gen versehenen „Hessischen Landesgeschichte“ seines DarmstädterKollegen Helfrich Bernhard Wenck. Die positive Resonanz auf die relativ zahlreichen orts- und regionalhistorischen Beiträge im 1779 begründeten „Hanauischen Magazin“ bezeugt das Interesse des ge-bildeten Publikums.

In der Tradition der Kasseler „Société“ steht zunächst auch die 1812von Hofkammerrat Christian Friedrich Habel in Wiesbaden bean-tragte Gründung einer „Altertums-Gesellschaft für das HerzogtumNassau und die angrenzenden Länder“, die neben dem römischenLimes auch die „Denkmale der alten Teutschen am Rhein, Main undLahn“ erforschen und sichern sollte. In der Begründung, man wollesowohl „nassauisch“ wie „patriotisch“ sein, wolle neben der Alter-tumskunde, Geschichte und Geographie des 1806 neu begründetenRheinbund-Herzogtums Nassau auch den „vaterländischen Sinn“ fürden „deutschen Nationalruhm“ stärken, klingt der romantisch-natio-nale Ansatz der Freiheitskriege an. Er prägte die 1819, nach dem Schei-tern der erhofften Nationaleinung auf dem Wiener Kongress, inFrankfurt vollzogene Gründung der „Gesellschaft für ältere deutscheGeschichtskunde“ des im Nassauischen beheimateten Freiherrn vomStein. Die im Sommer 1820 genehmigte endgültige Satzung der „Ge-sellschaft für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsfor-schung“ beschränkte das Wirken des Vereins auf das Gebiet des Her-zogtums, wobei Vorrang offenbar die gefährdeten Denkmale der Rö-merzeit und des Mittelalters haben sollten, um deren Sicherung sichder Verein in der Folge hochverdient gemacht hat.

Noch deutlicher wird die Ausrichtung der staatlich gefördertenGeschichtsvereine auf die historisch zu begründende Identität der inden Umwälzungen der napoleonischen Zeit neu zusammengefügtenEinzelstaaten bei der Gründung des „Historischen Vereins für dasGroßherzogtum Hessen“ in den Jahren 1832/34. Auch hier dachte derInitiator, der mit dem Ehrentitel eines „Hofhistoriographen“ ausge-zeichnete Christian Steiner, vorrangig an die Sicherung und Er-schließung der „römischen und deutschen Altertümer“ nebst „Ur-kunden, bildlichen Darstellungen, plastischen Gegenständen“. Ver-

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suche der hessischen Liberalen um Staatsrat Karl Jaup, VerlegerLeske und die Advokaten Heinrich Karl Hofmann, Philipp Bopp undKarl Buchner, den Verein für ihre politischen Ideen nutzbar zu ma-chen (es war die Zeit des „Hambacher Fests“, des „Wachensturms“,des „Hessischen Landboten“) wurden mit dem „Ausschluss der Ta-gesgeschichte und aller Erörterungen über politische Gegenständeder neuesten Zeit“ in der im September 1834 von Staatsminister duThil genehmigten Satzung abgewehrt. Zurückgewiesen wurde auchdie vom Kasseler Archivar Georg Landau aufgegriffene Anregungdes Darmstädter Gymnasialdirektors Carl Ludwig Dilthey, den Ver-ein „auf beide Hessen ausgedehnt zu sehen“: Man wolle den vomGroßherzog „für sein Land“ genehmigten Verein nur für „unserenStaat“, für „unser Hessen“, obwohl die endgültige Satzung aus dereingeengten „Forschung im Gebiete der Geschichte des Großherzog-tums Hessen“ dann doch die „Beförderung des Forschens im Gebieteder hessischen Altertumskunde und Landesgeschichte“ gemacht hat.So wurde denn Ende 1834 in Kassel ein eigener „Verein für hessischeGeschichte und Landeskunde“ gestiftet, der die zu betreibende „va-terländische Geschichte“ in einem etwas gewundenen Satzungsarti-kel vorrangig auf Kurhessen bezog. Die 1846 versuchte Installierungder in Kassel herausgebenen „Periodischen Blätter“ als gemeinsamesInformationsorgan beider Vereine, dem sich zeitweilig auch die Ver-eine in Frankfurt, Mainz und Wiesbaden anschlossen, war nur von re-lativ kurzer Dauer.

Die in ihrer Struktur eindeutig „offiziösen“, in den ersten Jahrendurchgängig von höheren Staatsbeamten geleiteten Geschichtsvereinekonzentrierten sich trotz Diltheys Warnung, „dass ein ausschließlichgelehrtes Forschen … in unserm der theoretischen Gelehrsamkeit ab-geneigten Zeitalter wenig Teilnahme finden“ wird, anfangs vorrangigauf die Koordinierung der landeskundlichen Forschungsarbeit imKreis der vorwiegend aus den geschichtsinteressierten „Honoratio-ren“, Beamten und Professoren, Pfarrern und Lehrern rekrutiertenMitglieder. Der in den Jahresbänden der Vereinszeitschriften, der„Nassauischen Annalen“, des Darmstädter „Archivs“ und der Kasse-ler „Zeitschrift“, publizierte Ertrag dieser Arbeit ist eindrucksvoll.Von den Vereinen unterstützte oder angeregte Publikationen wieGeorg Landaus „hessische Ritterburgen“, Landaus und G.W.J. Wag-ners Inventare der „wüsten Ortschaften“, Scribas „Biographisch-literärisches Lexicon“ für das Großherzogtum Hessen oder die Ur-

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kundenbände des Darmstädter Archivars Ludwig Baur leistetenwichtige Grundlagenforschung.

Die in Nassau im Zuge der 48er Revolution geforderte Umorien-tierung der Geschichtsvereine von der Forschung zur aktiven Förde-rung des Geschichtsinteresses durch öffentliche Vorträge und Exkur-sionen, wie sie heute zum Standardprogramm gehören, vollzog sichin Wiesbaden seit Anfang der 1850er, in Darmstadt wohl erst zu Be-ginn der 60er Jahre. Auch die Namen der jetzt gewählten Vorsitzen-den, in Darmstadt Karl Jaup, der Ministerpräsident der Jahre1848/50, in Wiesbaden die nationalliberalen Sprecher Karl Braunund Heinrich Hergenhahn, sind Anzeichen der Neuorientierung.Dem neuen Ziel aktiver Mitarbeit entsprachen die Gründung einesselbständigen „Oberhessischen Geschichtsvereins“ in Gießen (1878);auch die Vereine in Bad Homburg und Worms sind damals entstan-den.

Mit der für Kurhessen, Nassau und Frankfurt bereits 1866, für dasGroßherzogtum dann endgültig 1871 vollzogenen Einbindung in dasneubegründete preußisch-deutsche Reich rückte der im Vormärz for-cierte Einzelstaats-Patriotismus in den Hintergrund. An seine Stelletrat eine vom zunehmenden nationalen Zentralismus des wilhelmini-schen Reiches, von der gleichzeitigen Anonymisierung der modernenIndustriegesellschaft bestärkte Rückbesinnung auf die engere Hei-mat-Identität, die zum Teil auf ältere historische Einheiten zurück-griff. Dazu gehörte eine ganze Welle neuer, kleinregionaler Ge-schichtsvereinsgründungen, in der Provinz Hessen-Nassau in selb-ständigen Vereinen für Fulda und Wetzlar und in weiterhin mit Kasselund Wiesbaden verbundenen „Zweigvereinen“, im Großherzogtummit den Vereinen in Friedberg, Alsfeld, Alzey und Büdingen. Auchpopuläre Darstellungen hessischer Geschichte, „für Jung und Alt“,„für Schule und Haus“, hatten Konjunktur. Die Ausweitung vom„klassischen“ Denkmalschutz zum „Heimatschutz“, der Zuspruchder naturbegeisterten Wandervereine wie die Jugendbewegung des„Wandervogel“, das neuerwachte Interesse an Volkskunst und regio-naler Handwerkstradition gehören in den gleichen Zusammenhang.1899, gleichzeitig mit der Gründung der „Künstlerkolonie“ in Darm-stadt, erschien in Marburg die erste Lieferung von Ferdinand Justis„Hessischem Trachtenbuch“. In den „Mitteilungen des Vereins fürNassauische Altertumskunde“ plädierte Pfarrer Heinrich Schlosser1908 für eine Stärkung der „Lokalgeschichtsforschung“, um der Zer-

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störung der „bodenständigen Eigenart“ durch die drohende „Gleich-macherei“ der „Zentralisation“ entgegenzuwirken.

Das „Trachtenbuch“ war eine der ersten Publikationen der im Juli1897 begründeten „Historischen Kommission für Hessen und Wal-deck“, eine Ausgründung des Kasseler Geschichtsvereins, die wie diewenige Monate zuvor vom Nassauischen Altertumsverein konstitu-ierte Parallel- „Kommission für Nassau“, nun wieder als „Gelehrten-gesellschaft“, die bis dato von den Vereinen betreuten wissenschaftli-che Forschungs- und Publikationsarbeit im Bereich der Landesge-schichte übernehmen sollten. Wichtig war hier das auch personellenge Zusammenwirken mit den unter preußischer Ägide neu organi-sierten und für die allgemeine Benutzung geöffneten Staatsarchivenin Marburg und Wiesbaden, an der (für Wiesbaden) der Altertums-verein maßgeblichen Anteil hatte. Gegen den von der MarburgerKommission mit der Einbeziehung der Gießener Historiker unter-nommenen Versuch, zumindest die „althessischen“ Gebiete zusam-menzufassen, bestand man in Darmstadt auf der Schaffung einer ei-genen „Historischen Kommission für das Großherzogtum Hessen“,die 1908 ins Leben trat. Schon seit 1906 gab es auch in Frankfurt eine„Historische Kommission“.

Im Gegensatz dazu waren die in den ersten Jahren des neuen Jahr-hunderts neu begonnenen volks- und heimatkundlichen Zeitschriften,die 1901 in Gießen anlaufenden „Hessischen Blätter für Volkskunde“,die 1906 unter dem Protektorat des Darmstädter Jugendstil-Großher-zogs Ernst Ludwig begründete „Hessen-Kunst/Jahrbuch für Kunstund Denkmalpflege in Hessen und im Rhein-Main-Gebiet“ oder auchdie ab 1912 in Darmstadt redigierte „Hessische Chronik/Monats-schrift für Familien- und Ortsgeschichte in Hessen-Darmstadt undHessen-Nassau“ bewusst „gesamthessisch“ angelegt, wie man auchdie Feiern zum 400. Geburtstag Landgraf Philipps des Großmütigen1904 zwischen Kassel, Darmstadt und Gießen koordiniert hatte. Ineiner 1906 erschienenen „Hessischen Landes- und Volkskunde“ findetsich (in Analogie zur alldeutschen Bewegung) der Begriff „Allhessen-land“; zwei Jahre später publizierte Georg Greim eine gemeinsame„Landeskunde des Großherzogtums Hessen, der Provinz Hessen-Nassau und des Fürstentums Waldeck“.

Der hier bereits anklingende Neugliederungsansatz, den auchGroßherzog Ernst Ludwig in einer internen Aufzeichnung als Denk-modell notierte, wurde in den wenige Wochen nach der November-

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Revolution 1918 von Kassel und Gießen aus propagierten „Großhes-sen“-Plänen aufgegriffen, in deren Diskussion auch Historiker undArchivare einbezogen waren. Der Darmstädter Archivdirektor Rein-hard Dieterich, Vorsitzender der neu formierten „Historischen Kom-mission für den Volksstaat Hessen“, vertrat ein alternatives „Rhein-franken“-Konzept, das in den 20er Jahren von den „Rhein-Main-ischen“ Planungsansätzen in Frankfurt übernommen wurde. InDarmstadt war man jedoch schon mit der 1922 unter FederführungDieterichs neu begründeten Populär-Zeitschrift „Volk und Scholle.Heimatblätter für beide Hessen, Nassau und Frankfurt“ zur gemein-samen Tradition „des einen rheinfränkisch-hessischen Volksstamms“zurückgekehrt.

Während die Volksstaats-Kommission in ihren Publikationen be-wusst auf die liberalen Traditionen des 19. Jahrhunderts zurückgriff,brachte die Verknüpfung der Geschichtsvereine mit der Heimat-schutz-Bewegung, der verstärkte Zuspruch, den sie mit den von derNiederlage, der „Schmach“ der französischen Rheinlandbesetzung,neu belebten National-Ressentiments erfuhren (in Darmstadt zählteman im Inflationsjahr 1923 bis dahin nie erreichte 1.500 Mitglieder),zugleich eine ungute Distanzierung von der neuen Republik. Als der„Historische Verein für Hessen“ im April 1933 im Darmstädter Saal-bau sein 100-jähriges Bestehen feierte, betonte der nunmehrige NS-Staatspräsident Ferdinand Werner „die Bedeutung der Geschichte alsKraftspenderin zur Hingabe für das Vaterland“, und Dieterich ant-wortete mit einem Bekenntnis zu einer „Geschichte nicht um ihrerselbst, sondern um des Volkes und des Staates willen“. Mit einem Vor-trag über „Probleme der Judenforschung“ im Vereinsprogramm desKristallnacht-Jahres 1938 war dies offenbar mehr als eine Festtags-Pa-role. Dass es auch in den Publikationen der Kommissionen, etwa inden 1939/40 neu begonnenen „Lebensbilder“-Bänden, Konzessionenan die „völkische“ Ideologie des NS-Staats gab, kann kaum überra-schen.

Die nach Kriegsausbruch zum Erliegen gekommene landeskundli-che Arbeit wurde in den späten 1940er Jahren, trotz der zwischenzeit-lich erfolgten Gründung „Großhessens“, des künftigen BundeslandesHessen, in den alten Strukturen wieder aufgenommen. Zu den ab 1949vom Land Hessen geforderten Kommissions-Unternehmungen, „diefür ganz Hessen besondere Bedeutung“ haben, gehörte das zwei Jahrespäter begründete „Hessische Jahrbuch für Landesgeschichte“, des-

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sen Redaktion 1963 vom nunmehrigen Marburger „Landesamt für ge-schichtliche Landeskunde“ übernommen wurde. Über Forschungs-projekte und Veröffentlichungen der Kommissionen wie über dasWirken der ebenfalls neu belebten Geschichtsvereine in den Nach-kriegsjahrzehnten wird in gesonderten Beiträgen berichtet.

Während etwa im südlichen Nachbarland schon 1954, wenige Jahrenach der endgültigen Konstituierung, von Staats wegen eine „Kom-mission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg“ ge-schaffen wurde, ist der 1971/72 ausgiebig erörterte Zusammenschlussder überkommenen Territorialkommissionen in Hessen damals nichtzustande gekommen. Dass auch in den Einzelkommissionen eineganze Reihe „gesamthessischer“ Projekte verwirklicht werden konn-ten, ist der guten Zusammenarbeit in der „Arbeitsgemeinschaft derhistorischen Kommissionen“ zu danken. Die 1965/68 von der Wies-badener Kommission publizierte Bibliographie Karl E. Demandts(„Schrifttum zur Geschichte und geschichtlichen Landeskunde vonHessen“) wurde von der Marburger Kommission fortgeführt, bis sie1977 vom Verlag K.G. Saur in München übernommen wurde. Der 1986in Marburg vorgelegte Band „Das Werden Hessens“ war Ausgangs-punkt für die Planung eines mehrbändigen „Handbuchs der hessi-schen Geschichte“. In Darmstadt ist 1987 der „Hessische Flurnamen-atlas“ erschienen, eine Kooperation mit dem Marburger Landesamt,das kurz zuvor das Großprojekt des „Geschichtlichen Atlas von Hes-sen“ abgeschlossen hatte.

Förderung und Affirmation der seit 1945 gewachsenen neuen Lan-desidentität, eines gesamthessischen „Staatsbewusstseines“, war undist Ziel der 1961 von Ministerpräsident Georg August Zinn ins Lebengerufenen „Hessentage“, die seitdem alljährlich in wechselnden Städ-ten des Landes stattfinden. Zur „Leistungsschau“ der Wirtschaft undden folkloristischen Umzügen mit Trachten- und Volksmusikgruppenaus allen Landesteilen traten seit 1972 die jährlichen „Hessentags-Ausstellungen“ der drei hessischen Staatsarchive, die mit Dokumen-tationen zum Thema „Revolution und demokratischer Widerstand inder hessischen Geschichte“ begannen. Dass diese Ausstellungenanschließend durch zahlreiche hessische Städte „wanderten“, gab derLandesgeschichte eine neue Aktualität und Breitenwirkung. „Erfor-schung und Vermittlung“ des landeskundlichen Quellenguts gehörtseit dem „Hessischen Archivgesetz“ vom 18. Okt. 1989 zum Auftragder Staatsarchive „als Häuser der Geschichte“. Sie arbeiten hier zu-

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sammen mit dem Hessischen Rundfunk, der 1991 Mitherausgeber dervon Archivaren und Landeshistorikern verfassten „Chronik Hessens“des Harenberg-Verlages war, aber auch mit der Hessischen Landes-zentrale für politische Bildung. „Einheit aus der Vielfalt“ ist Themavon Schriften- und Vortragsreihen der HLZ, in denen der Beitrag dereinzelnen historischen Landesteile „für das heutige Hessen“ heraus-gearbeitet wird.

Die Entstehung des heutigen Landes Hessen und seiner Verfassungist eines der Themen des vom Hessischen Landtag 1979 im Zusam-menwirken mit Historischen Kommissionen und Staatsarchiven ge-starteten Forschungsvorhabens „Politische und parlamentarische Ge-schichte des Landes Hessen“ (ursprünglich „Vorgeschichte und Ge-schichte des Parlamentarismus in Hessen“). Die Ergebnisse der vonder Landesregierung in Auftrag gegebenen Forschungen über „Quel-len zu Widerstand und Verfolgung unter der NS-Diktatur“ und zur„Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen in Hessen nach 1945“erscheinen in den Veröffentlichungen der Historischen Kommissionfür Nassau.

Fragen zur neueren Geschichte, zu Voraussetzungen und Auswir-kungen der NS-Zeit im regionalen Bereich, zur Geschichte der jüdi-schen Bevölkerung und zum Neuanfang nach 1945 prägen auch dasneu belebte Interesse an der Landesgeschichte im Schulunterricht,dem die vom Hessischen Kultusministerium 1986 verfügte Bestellungvon „Archivpädagogen“ Rechnung trug. Sie stellen sich zunehmendauch in der orts- und heimatgeschichtlichen Forschung, die sie langeZeit ausgeklammert hatte. Zum Teil erwuchs dies aus der Aktivität so-genannter „Geschichtswerkstätten“ im Gefolge der 68er Bewegung,ist aber zugleich Teil einer neuen Renaissance des Interesses am ge-schichtlichen Umfeld vor Ort, das man wohl (so wie einst die „Hei-mat“-Bewegung um 1900) in Bezug zur neuen Verunsicherung setzenmag, zu der die erheblichen Bevölkerungsverschiebungen durchFlüchtlinge und Zuwanderer, die Auflösung der alten Gemeindebin-dungen im Zuge der Gebietsreform ebenso beigetragen haben wie dieaktuelle Internationalisierung und „Globalisierung“. Eine Vielzahlneuer Geschichts- und Heimatvereine entstand gerade auch in kleine-ren Orten mit hohem Anteil nicht „einheimischer“ Bevölkerung wieden Satellitenstädten des Großraums Frankfurt. Neu begründete oderneu ausgebaute Heimat- und Regionalmuseen bildeten Anziehungs-und Kristallisationspunkte. Das neue Bemühen um Identität ver-

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knüpft die Verwurzelung im örtlichen Umfeld, in der Region, mit derEinbindung in den größeren europäischen Zusammenhang. Landes-und Ortsgeschichte können auch hierzu ihren Beitrag leisten.

Literaturhinweise

Karl E. DEMANDT: Fragen der Landesgeschichtsschreibung (mit besondererBerücksichtigung Hessens). In: Hess. Jahrbuch für Landesgesch. 12, 1962,S. 3-14.

Eckhart G. FRANZ: Der Weg nach Großhessen. Staatsbildung und Landes-bewusstsein im Hessischen 1803-1946. In: Blätter für deutsche Landes-geschichte 132, 1996 , S. 71-90.

DERS., Identität in der Region. Zum 100jährigen Jubiläum des FriedbergerGeschichtsvereins. In: Wetterauer Geschichtsblätter 47/48, 2000 (in Vorbe-reitung).

Walter HEINEMEYER: Die Historische Kommission für Hessen 1897-1997.Geschichtlicher Überblick, wissenschaftliche Unternehmungen. In: Hun-dert Jahre Hist. Kommission für Hessen, 1997, S. 1215ff.

Ulrich REULING, Althessen – Neuhessen – Großhessen. Der Hessen-Begriffim Spannungsfeld von Politik und Wissenschaft im 19. und 20. Jahrhun-dert. In: Fünfzig Jahre Land Hessen (Schriften der Hess. Akademie derForschung und Planung im ländlichen Raum 13, 1995, S. 13-41.

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Politische Bildung und geschichtliche Orientierung

Dr. Bernd Heidenreich, Hessische Landeszentrale für politische Bildung, Wiesbaden

Die Hessische Landeszentrale für politische Bildung (HLZ) – unser Profil

Die Hessische Landeszentrale für politische Bildung ist seit über vierJahrzehnten ein fester Bestandteil der politischen Kultur unseres Bun-deslandes. Als Einrichtung des Landes Hessen ist sie unmittelbar demHessischen Ministerpräsidenten zugeordnet. Die Landeszentraleführt als einzige hessische Einrichtung politische Bildungsarbeit imöffentlichen Auftrag durch. Ein Landtagsgremium aus neun Abge-ordneten gewährleistet ihre unparteiische Arbeit.

Die Hessische Landeszentrale wurde 1954 mit der Aufgabe geschaf-fen, die Entwicklung des freiheitlich-demokratischen Bewusstseinsdurch politische Bildungsarbeit zu fördern. Diese Aufgabe ist vor demHintergrund einer wachsenden Politikverdrossenheit mit sinkenderWahlbeteiligung, den Herausforderungen des politischen Extremis-mus, der europäischen Integration und den Umbrüchen in Osteuropa,der noch unvollendeten inneren Einheit Deutschlands und dem anste-henden Umbau unserer sozialen Systeme aktueller denn je.

Die zahlreichen Arbeitsfelder der Hessischen Landeszentrale kön-nen mit den Stichworten Landeskunde, Geschichte, Kultur, Europa,Demokratieentwicklung, Bildungswesen, Ökologie, Jugend, Parla-mente, Bundeswehr, Frauen, Jugendarbeit, Migration, Gedenkstätten-arbeit und Extremismus allerdings nur unvollständig beschriebenwerden. Im Kern geht es darum, durch Bildungsarbeit auf verschie-denen Politikfeldern einen Beitrag zur Stabilisierung und Festigungunserer Demokratie in Hessen zu leisten und sich dabei gleicher-maßen an den aktuellen politischen Problemlagen wie an den Lernin-teressen der relevanten gesellschaftlichen Gruppen zu orientieren.

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Die Landeszentrale für politische Bildung verfolgt dazu eine Vielzahlmethodischer Ansätze und macht ein umfangreiches und differenzier-tes Leistungsangebot: Sie bietet ein breites Spektrum von Publikationenzu zentralen Themen der Politik. Sie führt Seminare, Fachtagungen undVortragsreihen zu aktuellen politischen und historischen Fragen durch.Sie unterstützt pädagogische Maßnahmen anderer hessischer Bildungs-träger. Sie fördert Fahrten zu den Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus und klärt über politischen Extremismus von rechtsund links auf. Sie verleiht aus ihrer Bibliothek Publikationsmaterial,berät zu allen Themenbereichen politischer Bildungsarbeit und führtschließlich gemeinsam mit dem Hessischen Landtag einen Schüler-wettbewerb Osteuropa durch, der hessische Schülerinnen und Schülerermutigen soll, sich mit Geschichte, Wirtschaft und Kultur der ost-europäischen Völker intensiver zu beschäftigen.

Landeskunde und Landesgeschichte – Beiträge zur Identität des Bundeslandes Hessen

In den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten zur Landeskunde stellt die Hes-sische Landeszentrale für politische Bildung Ursprung, Geschichteund Aufbau des Landes Hessen sowie die Institutionen der hessischenDemokratie. Ziel ist es, bei Bürgerinnen und Bürgern ein vertiefendesVerständnis für die politische Kultur und die historisch kulturellenWurzeln unseres Bundeslandes zu wecken, um wachsenden Identi-tätsverlusten und politischer Desorientierung entgegenzuwirken.

Landeskunde vermittelt im Rahmen der politischen Bildunggrundlegende Informationen über unser Bundesland (Staatssymbo-lik, Geographie, Bevölkerungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsstruk-tur etc.). Sie bringt die politische Kultur des Bundeslandes zur An-schauung und stellt dabei vor allem die Verfassung als normativenRahmen, als institutionelles und wertmäßiges Fundament des politi-schen Lebens in den Mittelpunkt. Sie will ferner die Kenntnisse überdie demokratischen Institutionen (z.B. Landtag, Landesregierung,Landesverwaltung, Gerichte) vermehren. Denn das Wissen über dieWurzeln und den Aufbau der Institutionen, auf denen unser Staat be-ruht, und die Kenntnis der Funktionsweisen von Legislative, Exeku-tive und Judikative stärken staatspolitisches Bewusstsein und gebenEinblick in die Mechanismen einer föderalen Demokratie.

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Landeskunde muss jedoch vor allem die historischen Ursprüngedes Bundeslandes darstellen und ist deshalb ein wichtiger Bestandteilder Regionalgeschichte. Gerade in diesem Bereich der historischenLandeskunde hat die Hessische Landeszentrale für politische Bildungbesondere Schwerpunkte gesetzt:

An erster Stelle steht dabei der Versuch, Landesidentität durch dieAuseinandersetzung mit der geschichtlichen Entwicklung des Bun-deslandes zu fördern. Das ist gerade im Falle Hessens nicht einfach –speist sich doch gesamthessisches Geschichtsbewusstsein aus der His-torie der einzelnen Territorien, aus denen sich unser heutiges Bundes-land konstituiert. Denn Hessen ist ohne direkten Vorgängerstaat undkann – anders als Bayern – nicht an ein geschlossenes Territorium an-knüpfen. Was noch im 19. Jahrhundert in das Kurfürstentum Hessen(Kassel), das Großherzogtum Hessen (Darmstadt), die LandgrafschaftHessen-Homburg, das Herzogtum Nassau, die Freie ReichsstadtFrankfurt am Main, das Fürstentum Waldeck, preußische und bayeri-sche Gebietsteile zerfiel, wuchs erst nach 1945 zu einem Staatsgebildezusammen, in dem die Bedingungen seiner Entstehung – etwa in denBrüchen zwischen Nord- und Südhessen – bis heute fortwirken. Wiesich aus dieser Vielfalt das Bundesland Hessen zu einer Einheit ent-wickelte und seinen Weg in die Bundesrepublik Deutschland fand, istaus Sicht der politischen Bildung eines der Hauptthemen der histori-schen Landeskunde. Hinzu kommen die Territorialgeschichte der ein-zelnen Vorgängerstaaten und die politische Kultur der verschiedenenRegionen des heutigen Hessen, in denen lokales Geschichtsbewusst-sein und Heimatgefühl gepflegt werden.

Ein zweiter Schwerpunkt liegt auf den demokratischen, liberalenund sozialen Traditionen, die sich im Gebiet des heutigen Hessen ent-wickelt haben. Das gilt etwa für die Rechts- und Verfassungsentwick-lung in Hessen, die unser Bundesland als Vorreiter des deutschenKonstitutionalismus ausweist und das staatliche Leben in Deutsch-land ebenso wie die Entwicklung eines demokratischen Rechtsstaatesmaßgeblich beeinflusst hat. Das gilt ebenso für die Geschichte des Par-lamentarismus und der politischen Parteien in Hessen. Das giltschließlich für die Pflege des Freiheitsgedankens als Teil unserer poli-tischen Kultur und die Erinnerung an die verpassten Chancen unserernationalen Vergangenheit, für die die Revolution von 1848/49 bei-spielhaft genannt sei.

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Ein dritter Themenschwerpunkt historischer Landeskunde wird zu-nehmend die Kultur-, Geistes- und Ideengeschichte unserer Region,die stärker noch als die äußeren Ereignisse die Mentalitäten und Denk-weisen der Menschen geprägt haben. Die Landeszentrale für politischeBildung hat dabei vor allem mit einem biographischen Ansatz positiveErfahrungen gemacht. Anhand exemplarisch ausgewählter hessischerLebensläufe und Persönlichkeiten will sie in Seminaren, Vortragsrei-hen und Publikationen neue Perspektiven der Landeskunde eröffnen.Politische Bildung orientiert sich dabei am Auftrag des Artikels 56 derHessischen Verfassung, bei der Darstellung der Geschichte „die großenWohltäter der Menschheit, die Entwicklung von Staat, Wirtschaft, Zivilisation und Kultur“ in den Vordergrund zu stellen.

Geschichtliche Orientierung als Aufgabe politischer Bildung

Der Bildungsauftrag der Hessischen Landeszentrale weist jedoch überdie engere Landesgeschichte hinaus. Denn politisches Urteilen setztdas Fundament eines umfassenden historischen Grundwissens voraus.Daher gehört die Vermittlung historischer Kenntnisse und geschicht-licher Orientierung zu den Kernaufgaben der politischen Bildung.

Nach dem Ende des Ost-Westkonfliktes und der Herstellung derDeutschen Einheit muss Deutschland seine neue Rolle als gleichbe-rechtigtes Glied der Völkerfamilie finden und eine stärkere internatio-nale Verantwortung übernehmen. Das Bedürfnis nach einer histori-schen Standortbestimmung ist in diesem Prozess vor allem in der Au-ßenpolitik größer denn je. Die Landeszentrale versucht im Rahmenihrer Bildungsmaßnahmen dieser Nachfrage mit Tagungen und Pub-likationen zur Geschichte der internationalen Beziehungen und derVölker Europas bzw. Osteuropas Rechnung zu tragen.

Die Epochen und Schlüsselthemen der mittleren, neueren und neu-esten Geschichte der Deutschen bleiben jedoch im Zentrum ihrer Ar-beit. Wie wichtig eine intensive politische Bildungsarbeit gerade aufdiesem Feld ist, ergibt sich schon daraus, dass politische Kontroversenimmer stärker als Geschichtsdebatten geführt, historische Kontrover-sen immer heftiger politisiert werden. Ob es um die Formen nationa-len Gedenkens, Erinnerns und Trauerns, die Einrichtung von Mahn-und Gedenkstätten für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft, dieInterpretation von Jahrestagungen und Jubiläen, die Bewertung histo-

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rischer Persönlichkeiten und gesellschaftlicher Gruppen oder auchnur um das Urteil über einzelne Ausstellungen, Filme oder Buchpub-likationen geht – die Konfrontation mit der Geschichte hat zu einerDauerkontroverse im vereinten Deutschland geführt, in deren Mittel-punkt die Selbstfindung sowie das moralische und politische Selbst-verständis der Deutschen stehen. Diese Kontroverse bedarf einer umObjektivität bemühten Moderation, einer fachwissenschaftlichen Be-gleitung durch ausgewiesene Historiker und einer sorgfältigen Doku-mentation, zu denen die Hessische Landeszentrale für politische Bil-dung im Rahmen ihrer Aktivitäten beiträgt.

Auseinandersetzung mit der Zeitgeschichte – wichtige Voraussetzung für die Entwicklung freiheitlich-demo-kratischen Bewusstseins

Die Auseinandersetzung mit der Zeitgeschichte und die Aufklärungüber Diktatur und totalitäre Herrschaft sind wichtige Voraussetzun-gen für die Entwicklung freiheitlich-demokratischen Bewusstseinsund zählen zu den zentralen Aufgaben politischer Bildung. Sie warendaher schon vor mehr als 40 Jahren ein entscheidendes Motiv für dieGründung der Hessischen Landeszentrale, als es nach dem Untergangder Weimarer Republik und der Überwindung des Nationalsozialis-mus galt, dem Gedanken der freiheitlichen Demokratie zum Durch-bruch zu verhelfen. Die Hessische Landeszentrale für politische Bil-dung ist daher traditionell auf dem Feld der Zeitgeschichte stark en-gagiert.

Seit 1993 ist die Arbeit des Landes Hessen für die „Gedenkstättenfür die Opfer des Nationalsozialismus“ bei der Hessischen Landes-zentrale für politische Bildung zentralisiert und wird von hier aus ko-ordiniert. Die Landeszentrale konnte dabei an die Erfahrungen an-knüpfen, die sie bereits in den 80er Jahren bei der Förderung hessi-scher Gedenkstätten und Gedenkstättenfahrten gemacht hatte. DasEngagement der Hessischen Landeszentrale umfasst derzeit die För-derung hessischer Gedenkstätten (u.a. Breitenau und Hadamar), dieDurchführung gemeinsamer Bildungsmaßnahmen mit diesen Ein-richtungen sowie die Förderung und Unterstützung von Gedenkstät-tenbesuchen und entsprechenden Projekten hessischer Schul-, Ju-gend- und Erwachsenengruppen. Über die Gedenkstättenarbeit hin-

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aus stehen die Aufklärung über den Nationalsozialismus und seineVerbrechen im Mittelpunkt zahlreicher wissenschaftlicher Fachtagun-gen, Seminare, öffentlicher Vorträge und Zeitzeugengespräche derHLZ. Dabei geht es sowohl um die Vermittlung von Grundlagenwis-sen und neuesten Forschungsergebnissen zum Nationalsozialismusund zur NS-Diktatur als auch um eine stärkere Beachtung der Lokal-und Regionalforschung zu diesem Themenkomplex unter Aspektender Landesgeschichte.

Informationen über die kommunistischen Diktaturen Osteuropasund die Aufarbeitung des SED-Unrechtstaates sind fester Bestandteilder pädagogischen und publizistischen Arbeit der Hessischen Lan-deszentrale. Dazu zählen u. a. die historische Analyse der DDR undder kommunistischen Regime, der Weg zur WiedervereinigungDeutschlands sowie der Dialog mit der Bürgerrechtsbewegung undden Opfern der SED-Diktatur. Darüber hinaus hat die Landeszentraledie Zuständigkeit für die Grenzmuseen Point Alpha und Schifflers-grund übernommen, die an die ehemalige innerdeutsche Grenze undan die deutsche Teilung erinnern. Mit diesen Aktivitäten leistet dieHessische Landeszentrale einen wichtigen Beitrag zur Vollendung derinneren Einheit Deutschlands und pflegt die hessisch-thüringischenBeziehungen in Geschichte und Gegenwart.

Mit ihren Angeboten zur Zeitgeschichte will die Hessische Landes-zentrale für politische Bildung vor allem bei Jugendlichen Geschichts-bewusstsein stärken und zu einer intensiveren Auseinandersetzungmit Diktaturen und Unrechtssystemen anregen. Sie beugt damitRechts- und Linksextremismus vor und trägt zur Festigung demokra-tischer Einstellungen im Sinne ihres Satzungsauftrages maßgeblichbei.

Literaturhinweise

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Wiesbaden, 19934. Gerhard MENK. Waldecks Beitrag für das heutige Hessen. Wiesbaden,

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Frankfurt/Main: Eichborn Verlag, 1995Klaus BÖHME; Bernd HEIDENREICH (Hrsg.). „Einigkeit und Recht und

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Öffentliche Archive in Hessen

Dr. Klaus Eiler, Hessisches Hauptstaatsarchiv, Wiesbaden

Die Erforschung der Geschichte eines Ortes, einer Region oder einesLandes wird immer mit der Suche nach den schriftlichen Quellen be-ginnen. Die in hessischen Archiven aufbewahrten Dokumente reichenbis ins 8. Jahrhundert zurück. Sie zeugen vom Beginn der Schriftlich-keit und der christlichen Kultur, als Hessen in seiner heutigen Formnoch nicht existierte. So berühmte Reichsabteien wie Fulda undLorsch, aber auch andere Klöster und Stifte waren nicht nur Zentrender Spiritualität, der Seelsorge, der Kunst und Kultur, sie bewirtschaf-teten auch das Land und machten große Gebiete des heutigen LandesHessen urbar. Dazu baute man eine Verwaltung auf, die sich derSchriftlichkeit bediente. Man ließ sich Besitzrechte verbriefen, stellteselbst Urkunden aus und führte über Einnahmen und AusgabenBuch. Auch die Verwaltungen der Städte und Territorien des Mittelal-ters und der Frühen Neuzeit folgten diesem Beispiel. Viele Doku-mente, die aus dem Verwaltungshandeln entstanden, mussten zumZwecke der Rechtssicherung langfristig aufbewahrt werden. Daherdeponierte man sie in verschlossenen Behältnissen und an gesichertenOrten, den Archiven. Damit fungierten die Archive als Langzeitge-dächtnis der Verwaltung. Kein Unbefugter erhielt Zutritt, damit keineRechtstitel des Landesherrn verletzt oder vernichtet wurden undkeine Staatsgeheimnisse ans Licht der Öffentlichkeit gelangten.

Wurden im Zuge der Reformation Klöster aufgelöst oder ver-schwanden zu Beginn des 19. Jahrhunderts infolge der Säkularisie-rung und Mediatisierung ganze Terriorialstaaten von der Landkarte,so gingen mit dem Besitz zumeist auch die Archive auf die Rechts-nachfolger über. Im Bereich des heutigen Landes Hessen blieben nachdem Wiener Kongress von 1815 nur noch wenige Staaten übrig: dasKurfürstentum und das Großherzogtum Hessen, das LandgraftumHessen(-Homburg), das Herzogtum Nassau und das FürstentumWaldeck sowie die Freie Stadt Frankfurt. Nach dem Krieg von 1866und der Annexion von Kurhessen, Nassau und Frankfurt durch

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Preußen wurden die noch bestehenden Territorialarchive zentrali-siert.

In der Universitätsstadt Marburg bezog das preußische Provinzial-archiv im alten Landgrafenschloss seine neue Bleibe. Dort vereinigteman die Bestände der alten Landgrafschaft Hessen-Kassel, des Kur-fürstentums Hessen, des alten Fuldaer und des Hanauer, später auchdes Waldecker Archivs. Kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Welt-kriegs erhielt das Staatsarchiv Marburg einen Neubau am Friedrichs-platz. In Wiesbaden, der vormaligen Hauptstadt des HerzogtumsNassau und nunmehrigen preußischen Bezirkshauptstadt, errichteteman 1880/81 ein Archivgebäude, das die Bestände der nassauischenGrafschaften und Fürstentümer aus den Archiven in Dillenburg, Id-stein und Weilburg, des Herzogtums Nassau und des Behördenar-chivs des Landgraftums Hessen-Homburg aufnahm. Im DarmstädterSchloss behielt das Großherzogliche Hof- und Staatsarchiv seinen Sitzund übernahm die Bestände der provisorischen Außenstelle im rhein-hessischen Mainz. Im Zweiten Weltkrieg erlitten alle drei Staatsar-chive durch Bombenangriffe und infolge der Auslagerungen zum Teilerhebliche Verluste an ihren Beständen; am schwersten war das Darm-städter Archiv getroffen, dessen Räume im Residenzschloss fast völligzerstört wurden. Nach der Gründung des Landes Hessen wurden dieehemals preußischen Staatsarchive in Marburg und Wiesbaden unddas Staatsarchiv des vormaligen Volksstaates Hessen als hessischeStaatsarchive dem Kultusministerium unterstellt. Seit 1984 gehörendie hessischen Staatsarchive zum Geschäftsbereich des damals neugebildeten Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst.Schon 1985 wurde für das Hauptstaatsarchiv ein neuer Zweckbau amMosbacher Berg in Wiesbaden errichtet. 1993 konnte das StaatsarchivDarmstadt aus dem wiederaufgebauten Schloss in das im ehemaligenHoftheater (Mollerbau) neu errichtete Haus der Geschichte einziehen.

Auch der Bund ist in Hessen mit einer Außenstelle des Bundesar-chivs in Frankfurt vertreten. Sie beherbergt den sogenannten unteil-baren Bestand des alten Reichskammergerichts mit Urkunden- undProtokollbüchern und Prozessakten aus dem 16. bis frühen 19. Jahr-hundert. Weitere etwa 650 Meter Akten betreffen die Geschichte derDeutschen Nationalversammlung und des ersten deutschen Parla-ments von 1848 in der Frankfurter Paulskirche. Hinzu kommen wert-volle Nachlässe, das Familienarchiv von Gagern und das Archiv derDeutschen Burschenschaft.

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Die regionale Zuständigkeit der hessischen Staatsarchive ist nochan der historisch gewachsenen Sprengeleinteilung ausgerichtet. DasHauptstaatsarchiv Wiesbaden hat eine Doppelfunktion: Es ist zustän-dig für die Ministerien und oberen Landesbehörden des Landes Hes-sen. Aus diesem Grunde erhielt es 1963 die Bezeichnung „HessischesHauptstaatsarchiv“. Darüber hinaus betreut es als Regionalarchiv dieBehörden und Gerichte in der Landeshauptstadt Wiesbaden und inder Stadt Frankfurt, im Lahn-Dill-Kreis, im Kreis Limburg-Weilburg,im Kreis Wetzlar, im Hochtaunuskreis, im Main-Taunus-Kreis, imMain-Kinzig-Kreis und im Rheingau-Taunus-Kreis. Das StaatsarchivDarmstadt ist zuständig für die Dienststellen des Landes in den Städ-ten Darmstadt und Offenbach, in den Kreisen Bergstraße, Darmstadt-Dieburg, Groß-Gerau, Gießen und Offenbach, im Odenwaldkreis, imVogelsbergkreis und im Wetteraukreis, das Staatsarchiv Marburg ent-sprechend für die Landesbehörden in der Stadt Kassel und in denKreisen Fulda, Hersfeld-Rotenburg, Kassel, Marburg-Biedenkopf,Waldeck-Frankenberg, im Schwalm-Eder-Kreis und im Werra-Meiß-ner-Kreis.

Mit ihren historisch gewachsenen Altbeständen der im Bereich desheutigen Landes Hessen gelegenen alten Fürstentümer, Grafschaften,reichsritterschaftlichen Gebiete, Klöster, Stifte und Städte und mit derSchriftgutüberlieferung der modernen Verwaltung dokumentierendie Staatsarchive die ganze Palette der Verwaltungstradition Hessensseit 1000 Jahren. Diesen Schatz geschichtlicher Überlieferung zu be-wahren und zugänglich zu machen, gehört von jeher zu den wichtig-sten archivischen Aufgaben. Aber erst die Demokratisierung der Ge-sellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg hat eine stärkere Öffnung derArchive für ein breites Publikum erreicht. Im Unterschied zum Bundund zu den anderen Bundesländern hat in Hessen der Gesetzgeber dieKonsequenzen gezogen und den Staatsarchiven im Hessischen Ar-chivgesetz vom 18. Oktober 1989 neben den traditionellen Fachauf-gaben auch die Funktion von „Häusern der Geschichte“ zugewiesen.

Zu den traditionellen Aufgaben zählen die Übernahme von Schrift-gut, Plänen, Karten, Bildern und anderen Unterlagen der Behördenund Gerichte des Landes sowie die Sicherung, Aufbewahrung und Er-schließung von Archivgut. Dies verlangt von den fachlich ausgebilde-ten Archivarinnen und Archivaren umfassende Kenntnisse der Zeit-geschichte und der Funktionen und des Aufbaus der staatlichen Ver-waltung, aber auch der Restaurierung und der Konservierungstechni-

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ken für Papier, Pergament und andere Informationsträger. In derRegel wird das alljährlich bei den Behörden und Gerichten des Landesauszusondernde Schriftgut auf seine „Archivwürdigkeit“ geprüft undnur in Auswahl als „Archivgut“ übernommen. Manche der Rechtssi-cherung dienenden Aktengruppen sind jedoch dauernd aufzubewah-ren. Mit der Übernahme des Schriftguts in die Magazine ist es abernicht getan. Das Archivgut muss gegen Entwendung und Zerstörunggeschützt werden. Schadhafte Papiere, Karten, Pläne und Fotos müs-sen aufwendig restauriert, konserviert und ggf. auf andere Trägerme-dien kopiert werden, um sie für die Nachwelt zu erhalten. Dem Ar-chivar kommt daher eine hohe Verantwortung bei der Bildung undErhaltung der geschichtlichen Überlieferung zu.

Für die landesgeschichtliche Forschung von größter Bedeutung istjedoch, dass das Archivgut möglichst rasch erschlossen wird. Dazumüssen Findmittel erstellt werden, die den Forschern bei ihrer Suchenach Informationen helfen. Am geläufigsten sind die schon aus der äl-teren Archivgeschichte bekannten Findbücher oder „Repertorien“. Inihnen werden die einzelnen Archivalien nach ihrem Sachbetreff „klas-sifiziert“, nach Inhalt und Laufzeit beschrieben und mit einer laufen-den Nummer versehen, die das Wiederauffinden ermöglicht. NeuereBestände werden auch in Karteien oder maschinell lesbar in Daten-banken erfasst. Das Dokumentationssystem HADIS ermöglicht es, diedort abgelegten Daten aller drei hessischen Staatsarchive in einer zen-tralen Datenbank abzurufen.

Mit der Funktion der Staatsarchive als „Häuser der Geschichte“ istdie Öffentlichkeitsarbeit angesprochen. Von den Archivaren gingenschon seit der frühen Neuzeit entscheidende Impulse für die Landes-geschichte aus. War die Geschichtsschreibung anfangs noch eng mitder jeweils herrschenden Dynastie verbunden, so vollzog sich seitdem späten 19. Jahrhundert ein deutlicher Wandel, als die Landesge-schichte als eigenständige wissenschaftliche Disziplin an den Univer-sitäten Einzug hielt. Die als Fachhistoriker ausgebildeten Archivare anden Staatsarchiven setzten sich, oft gemeinsam mit Universitätspro-fessoren, dafür ein, die Landesgeschichte in den hessischen Territorienwissenschaftlich zu erforschen, und wirkten maßgeblich bei derGründung der Historischen Kommissionen mit. Noch heute sindzahlreiche Bedienstete der hessischen Archive aktive Mitglieder derHistorischen Kommission für Hessen in Marburg, der Hessischen Hi-storischen Kommission in Darmstadt, der Historischen Kommission

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für Nassau in Wiesbaden, der Frankfurter Historischen Kommissionund der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen. Wich-tige Publikationen wurden und werden von Archivaren der Staatsar-chive herausgegeben oder betreut. Außerdem wirken Archivarinnenund Archivare bei den historischen Vereinen durch Vorträge, Exkur-sionen, Lesekurse und andere Aktivitäten ehrenamtlich mit.

In der Nachkriegszeit haben die Staatsarchive mit Unterstützungder hessischen Landesregierung oder des Hessischen Landtags Doku-mentationsprojekte durchgeführt, deren Ergebnisse der Forschungzur Verfügung stehen. Dazu gehört namentlich die Datenbank „Wi-derstand und Verfolgung in Hessen“, die ca. 45.000 Datensätze überwährend der NS-Herrschaft aus rassischen, religiösen oder politi-schen Gründen verfolgten Personen aus dem Bereich des heutigenLandes Hessen enthält. Andere Projekte wie die „Quellen und Doku-mente zur Geschichte der Vertriebenen und Flüchtlinge in Hessen“,„Quellen zu Widerstand und Verfolgung in Hessen in der NS-Zeit“oder verschiedene Publikationen zur „Vorgeschichte und Geschichtedes Parlamentarismus in Hessen“ entstanden in enger Zusammenar-beit mit den Historischen Kommissionen.

Doch die Außenwirkung der Staatsarchive ist damit noch keines-wegs erschöpft. Seit den 70er Jahren präsentieren sie sich durch Aus-stellungen auf den jährlichen „Hessentagen“ der Öffentlichkeit. DieseAusstellungen werden im Anschluss an die Hessentage als Wander-ausstellungen in verschiedenen Orten des Landes gezeigt. Sie spre-chen weite Bevölkerungskreise und vor allem die Schulen an. Zuwei-len haben die Themen dieser Ausstellungen, zu denen auch Katalogeerscheinen, wissenschaftliches Neuland betreten und weitere For-schungen angeregt. Darüber hinaus veranstalten die Staatsarchive seitvielen Jahren in ihren Häusern, oftmals zu Gedenkveranstaltungen,historische Ausstellungen und Vortragsreihen. Alle Ausstellungenwerden jetzt zusammen mit den Archivpädagogen entwickelt unddurch Unterrichtsmaterialien für die Schulen aufbereitet. Die Archiv-pädagogen, die für einige Wochenstunden von ihrem Schulunterrichtfür die Tätigkeit im Archiv freigestellt sind, erarbeiten aber auch ge-meinsam mit Schülern und Lehrern Projekte zu landesgeschichtlichenThemen, vornehmlich zur Zeitgeschichte.

Mit dem Betrieb von Datenbanken und der Nutzung der Textverar-beitung haben die neuen Medien nach ersten Versuchen in den 1970erJahren schon seit 1986 endgültig bei den Staatsarchiven Einzug gehal-

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ten. Mittlerweile haben sie damit begonnen, sich im Internet mit ihrenBeständeübersichten zu präsentieren. Künftig werden auch Verzeich-nisse zu einzelnen, besonders häufig benutzten und bedeutenden Be-ständen dort zugänglich sein.

Der Kreis der Archivbenutzer ist breit gefächert. In erster Linie sindes die Universitätsdozenten, Fachhochschullehrer und Studenten, diewissenschaftliche Untersuchungen und Forschungsprojekte durch-führen und Habilitationen, Dissertationen, Magister- und Staatsex-amensarbeiten verfassen. Die Mehrzahl der Arbeiten entsteht an dengesellschaftswissenschaftlichen Fachbereichen, aber auch Kunsthisto-riker, Juristen, Theologen, Ingenieure, Architekten und Naturwissen-schaftler nutzen das Archivgut für eigene Studien oder für Seminareund Übungen. An Bedeutung gewinnt die enge Zusammenarbeit mitLehrern und Schülern allgemeinbildender Schulen. Ein weiterer Teilder Archivbenutzer ist dem Kreis der privaten Forscher zuzurechnen,die die Geschichte ihrer Familien, ihrer denkmalgeschützten Häuseroder ihrer Heimatgemeinden erforschen. Andere wiederum wollenpersönliche Rechte an Grundbesitz oder aus Beschäftigungszeiten imöffentlichen Dienst nachweisen. Letztlich konsultieren auch dieBehörden, Gerichte, Notare und Rechtsanwälte die Archive, wenn esanhand von Akten, Karten oder Plänen ältere Rechtsverhältnisse zuklären gilt.

Mit der Sicherung und Präsentation der staatlichen Überlieferungallein werden die Staatsarchive sich jedoch in Zukunft immer wenigerbegnügen dürfen, da pluralistisch herbeigeführte Entscheidungensich zusehends aus den Verwaltungen in andere gesellschaftliche Be-reiche verlagern. Daher gewinnen Überlieferungen nichtstaatlicheröffentlicher und privater Funktionsträger immer mehr an Bedeutung.Die Staatsarchive, die schon immer zur Ergänzung ihrer BeständeNachlässe und Deposita von Privatleuten, Parteien, Körperschaften,Vereinen, Verbänden und sonstigen Institutionen übernommenhaben, werden dem nicht staatlichen zeitgeschichtlichen Dokumenta-tionsgut künftig stärkere Aufmerksamkeit zuwenden müssen. Sie er-gänzen damit auch Überlieferungen, die bei anderen Archivträgernentstehen. Zu den nicht staatlichen, aber nur zum Teil öffentlichen Ar-chiven zählen in Hessen die Kommunalarchive, die Archive der Kir-chen, der Wirtschaft, der Medien, der Universitäten, der Forschungs-und Kulturinstitute, der Stiftungen, der Körperschaften und Verbändesowie die Familienarchive des Adels und der ehemaligen Standesher-

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ren, soweit sie nicht (vielfach mit Depositalverträgen) an die Staatsar-chive abgegeben wurden.

Zu den öffentlichen Archiven gehören die Archive der Kommunenund Kommunalverbände. Stärker akzentuiert als in den Staatsarchi-ven ist in vielen Kommunalarchiven die Verwahrung von Quellen zurSozial- und Wirtschaftsgeschichte in geschlossener und dichter Über-lieferung. Sie bilden vor allem hier eine wichtige Ergänzung des staat-lichen Archivguts. Die Archive ehemaliger Reichsstädte wie z. B.Frankfurt am Main und Wetzlar sind mit ihren bis weit ins Mittelalterzurückreichenden Akten- und Urkundenbeständen für die Forschungvon besonderem Interesse. Das Stadtarchiv Frankfurt, das jetzt eineAbteilung des „Instituts für Stadtgeschichte“ bildet, erreicht mit ca.23.000 Urkunden, 20.000 laufenden Metern Akten des HistorischenArchivs, Amtsbüchern, Fotosammlungen, Nachlässen und sonstigemArchivgut auch quantitativ fast die Bedeutung eines Staatsarchivs.

Doch trägt eine Großstadt mit einer großen Vergangenheit nicht al-lein die Verantwortung für ihr historisches Archiv. Eine differenziertausgebildete moderne Verwaltung und massenhaft anfallendesSchriftgut verlangen eine der staatlichen Archivverwaltung vergleich-bare Betreuung durch fachkundige Archivarinnen und Archivare.Dies wird um so dringlicher, je mehr Aufgaben der Staat an die Kom-munen und Kommunalverbände delegiert. Die hessischen GroßstädteDarmstadt, Frankfurt, Kassel, Offenbach und Wiesbaden lassen ihreArchive von Facharchivaren verwalten. Dagegen sind nur die wenigs-ten Archive der mittleren und kleineren Städte und Gemeinden inHessen wie z.B. Bad Homburg, Bensheim, Gießen, Hanau, Lampert-heim, Marburg, Oestrich-Winkel, Pfungstadt und Wetzlar fachlichqualifiziertem Personal anvertraut. In einer ganzen Reihe von kleine-ren Städten und Gemeinden fehlt eine sachgerechte Betreuung der Ar-chive ganz. In anderen Fällen, vor allem in einer Reihe nordhessischerStädte, wurden die älteren Bestände an das zuständige Staatsarchivabgegeben. Im günstigeren Fall werden die Archive, oftmals zusam-men mit dem Stadtmuseum und der Stadtbibliothek, ehren- oder ne-benamtlich verwaltet. Dies führt nicht selten dazu, dass zwar die viel-fach von der ehemaligen Archivberatungsstelle beim HessischenLandkreistag inventarisierten historischen Archivbestände sorgfältiggehütet werden, die moderne Schriftgutverwaltung jedoch weitge-hend vernachlässigt wird. Vor allem dort, wo sie hauptamtlich betreutwerden, sind jedoch gerade die Kommuanlarchive in der Öffentlich-

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keit durch zahlreiche Aktivitäten wie Ausstellungen und Publikatio-nen präsent und gestalten das kulturelle Leben aktiv mit. Kreise undsonstige Kommunalverbände unterhalten in Hessen nur in Einzelfäl-len fachlich betreute Archive. Derzeit werden nur im Kreis Gießen, imHochtaunuskreis (Oberursel), im Main-Kinzig-Kreis (Gelnhausen)und im Odenwaldkreis (Erbach) Kreisarchive geführt. Davon wirdnur eines von einer Diplomarchivarin betreut. Beim Landeswohl-fahrtsverband Hessen leitet eine Archivarin des höheren Dienstes dasArchiv, das mit ca. 600 Metern Akten und Amtsbüchern eine der wich-tigsten Überlieferungen zur Krankenpflege und Psychiatrie in Hessenverwahrt.

In Hessen gibt es seit der Aufhebung der ehemaligen Archivbera-tungsstelle keine vom Land geförderte und institutionalisierte kom-munale Archivpflege wie in Nordrhein-Westfalen oder in Thüringen.Das Hessische Archivgesetz räumt jedoch den Staatsarchiven dieMöglichkeit ein, die Archivträger fachlich zu beraten. Da die ungüns-tige Haushaltslage die kommunalen Körperschaften und Verbändeauch in Zukunft zu personellen Einschränkungen zwingen wird, wärees an der Zeit, auch hierzulande über kostengünstige Modelle wie diein Baden-Württemberg und anderen Bundesländern bereits prakti-zierten Archivverbunds-Lösungen nachzudenken.

Lange Zeit hat man in Hessen auch die Sicherung der Schriftgut-überlieferung von Verbänden der Wirtschaft, von Handelskammern,Industrieunternehmen, Betrieben und Banken vernachlässigt. Fürwirtschaftsgeschichtliche Forschungen war man zunächst vorrangigauf das Schriftgut staatlicher Provenienz angewiesen. Erst das dankgemeinsamer Anstrengungen des Landes Hessen und der Industrie-und Handelskammern 1992 begründete „Hessische Wirtschaftsarchive.V.“, das seinen Sitz im Haus der Geschichte in Darmstadt erhielt, hathier Wandel geschaffen. Über die erfolgreiche Arbeit des Wirtschafts-archivs wie über die vor allem im Bereich der chemischen und der me-tallverarbeitenden Industrie, aber auch bei Banken und Versicherun-gen bestehenden Firmenarchive wird in einem gesonderten Beitragberichtet.

Eine andere Form der Archivierung pflegen die Archive des Hessi-schen Landtags, des Hessischen Rundfunks und der Medien. Deren Ar-chive sollen zunächst weniger der wissenschaftlichen Forschung als dermöglichst raschen Bereitstellung von Informationen dienen. Das Land-tagsarchiv erschließt in erster Linie Drucksachen und Pressematerial

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nach bestimmten Schlagworten mit Hilfe der modernen Informations-technologie, übernimmt aber auch Unterlagen aus der Parlamentsver-waltung und aus den Ausschüssen sowie Parlamentariernachlässe.Eine Überschneidung mit der Überlieferung der Staatsarchive ergibtsich bei Schriftgut der Fraktionen, Nachlässen von Parteipolitikern undvon Materialien aufgelöster oder verbotener Parteien (z.B. der NSDAP).Größere hessische Presseorgane wie z.B. die „Frankfurter AllgemeineZeitung“, die „Frankfurter Neue Presse“ und die „Frankfurter Rund-schau“, das „Darmstädter Echo“, die „Hessisch-Niedersächsische All-gemeine“ in Kassel sowie der „Wiesbadener Kurier“ und das „Wiesba-dener Tagblatt“ besitzen Redaktionsarchive mit den älteren Ausgaben.Historische Zeitungen aus Hessen sind in aller Regel in den Landes-bibliotheken, aber auch in Staats- und Kommunalarchiven zu finden.

Auch im Bereich der Kultur und Wissenschaft verfügt Hessen übereine Reihe namhafter Archive. An erster Stelle sind die Hochschular-chive zu nennen, die Schriftgut aus der Verwaltung, darunter zahlrei-che personenbezogene Unterlagen sowie Akten und Urkunden betr.Besitzrechte und Wirtschaftsführung enthalten. Für die Forschung be-deutend sind auch dort verwahrte Gelehrtennachlässe und Sammlun-gen. Das Archiv der Philipps-Universität Marburg ist das älteste hes-sische Universitätsarchiv. Seine Bestände reichen bis in die vorrefor-matorische Zeit zurück. Fachlich wird es vom Staatsarchiv Marburgbetreut. Auch das Archiv der Justus-Liebig-Universität Gießen besitztzahlreiche Urkunden und Akten vom 14. Jh. bis in die neueste Zeit. Esist zur Zeit das einzige Hochschularchiv in Hessen, das hauptamtlichvon einer Facharchivarin geleitet wird. Auch die jüngeren Hochschu-len wie die Technische Universität Darmstadt, deren Archiv räumlichim Haus der Geschichte untergebracht ist, und die Johann WolfgangGoethe-Universität Frankfurt besitzen bis in ihre Gründungszeitenzurückreichende Unterlagen.

Die Vielfalt der öffentlichen Archive in Hessen ist beachtlich. Lan-desgeschichtliche Forschung ist ohne die öffentlichen Archive kaummöglich. Je mehr diese sich einem breiten Publikum öffnen, ihre Be-stände erschließen und sich durch Ausstellungs- und Publikati-onstätigkeit in der Öffentlichkeit präsentieren, um so mehr haben sieden Anspruch, als Zentren landes- und ortsgeschichtlicher Forschungund des kulturellen Lebens zu gelten. Die öffentlichen Archivegehören zum kulturellen Erbe, das zu bewahren allen Bürgern diesesLandes eine Verpflichtung sein muss.

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Literaturhinweise

Archive in Hessen. Kurzführer, bearb. von E. G. FRANZ. (= Darmstädter Ar-chivschriften 11). Darmstadt 1996.

Übersicht über die Bestände des Hessischen Hauptstaatsarchivs Wiesbaden.Wiesbaden 1970. – Repertorien des Hess. Hauptstaatsarchivs Wiesbaden.1978ff.

Die Bestände des Hessischen Staatsarchivs Darmstadt, hg. von Friedrich BAT-TENBERG unter Mitarbeit von Hans Dieter EBERT und KatharinaSCHAAL. (= Darmstädter Archivschriften 12). Darmstadt 1997. - Reperto-rien des Hessischen Staatsarchivs Darmstadt. 1971ff.

Repertorien des Hess. Staatsarchivs Marburg, 1955ff. - Fritz WOLFF: Das Hes-sische Staatsarchiv in Marburg. 100 Jahre seiner Geschichte. In: Hess. Jahr-buch für Landesgeschichte 27, 1977, S. 135-160.

Konrad BUND: 1436-1986. 550 Jahre Stadtarchiv Frankfurt am Main. EineKurzübersicht über seine Bestände. Frankfurt a. M. 1986.

Christian RENGER / Dieter SPECK: Die Archive der Hochschulen und wis-senschaftlichen Institutionen. Ein Kurzführer. Weimar 1995.

Überlieferung gestalten. Die Archivschule Marburg zum 40. Jahrestag ihrerGründung, hg. von Angelika MENNE-HARITZ. (= Veröff. der Archiv-schule Marburg 15). Marburg 1989.

Eckhart G. FRANZ: Einführung in die Archivkunde. 5. Aufl. Darmstadt 1999.

Weitere Informationen im Internet: http:/www.hessen.de/archive.

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Geschichtsvereine in Hessen

Dr. Hans-Peter Lachmann, Historische Kommission für Hessen, Marburg

Im Kräftefeld der geschichtlichen Landeskunde Hessens, das sichheute als ein Dreischritt – Geschichtsvereine / Historische Kommis-sionen / Forschungsinstitute – präsentiert, stehen die Geschichtsver-eine am Anfang; sie waren Ausgangspunkt und Grundlage für die Er-forschung wie für die Vermittlung von Landes-, Regional- und Lokal-geschichte. In fruchtbarem Austausch mit den von Fachwissenschaft-lern geleiteten Historischen Kommissionen und landesgeschichtli-chen Instituten hat das Anfang des 19. Jahrhunderts entstandene undschrittweise verdichtete Netz nach wie vor eine wichtige und unver-zichtbare Rolle. Im Bundesland Hessen stehen dem Landesamt für ge-schichtliche Landeskunde und den insgesamt fünf historischen Kom-missionen etwa 150 Geschichts- und Heimatvereine gegenüber. Ihregenaue Zahl ist noch nicht erfasst worden. Eine dem Verzeichnis„Landesgeschichtliche Vereinigungen in Baden-Württemberg“ (1987)entsprechende Zusammenstellung gibt es nicht.

Der 1960 gegründeten „Arbeitsgemeinschaft der historischen Ver-eine in Hessen“ gehören nur rund 25 Vereine an. Das gedruckte Mit-gliederverzeichnis des „Gesamtvereins der deutschen Geschichts-und Altertumsvereine“ führt in der 3. Ausgabe von 1994 21 hessischeVereine mit zusammen 13.400 Mitgliedern auf; doch zählt allein der„Verein für hessische Geschichte und Landeskunde e.V.“ in Kassel 18Zweigvereine; von den sieben Zweigvereinen des „Vereins für Nas-sauische Altertumskunde und Geschichtsforschung e.V.“ Wiesbadenwirken vier im heutigen Land Rheinland-Pfalz. In der „Hessischen Bib-liographie 1997“ sind Zeitschriften und Publikationen von insgesamt135 hessischen Geschichtsvereinen erfasst, wobei die Bandbreite vonden zu Beginn des 19. Jahrhunderts als wissenschaftliche Gesellschaf-ten gegründeten Großvereinen bis zum Geschichts- und Heimatver-ein eines im Zuge der Gebietsreform eingemeindeten Dorfes reicht.Gemeinsame Aufgabe aller Vereine ist nach den Vorgaben der Satzun-gen, die sich auch in den Publikationen spiegeln, die Erforschung und

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Vermittlung der heimatlichen Geschichte. Dazu kommt vielfach dieErhaltung von Geschichts- und Kunstdenkmälern, oft verbunden mitdem Aufbau und der Unterhaltung eines Museums.

Die festgestellten 135 Vereine lassen sich nach ihren Arbeitsgebie-ten, nach der regionalen Verteilung im Lande, aber auch nach ihrerGründungszeit untergliedern. Dabei ergibt sich, dass die ältesten, inden Vormärz-Jahrzehnten vor 1848 gegründeten Vereine zugleich dieumfassendsten Arbeitsgebiete besetzen. Der „Verein für NassauischeAltertumskunde und Geschichtsforschung“ (1812/21) hat sich in den1821 genehmigten Statuten vor allem die Pflege der römischen unddeutschen Altertümer, zugleich aber die Erforschung der Geschichtedes 1806/1814 neu gebildeten Herzogtums Nassau vorgenommen,letzteres allerdings unter Ausschluss der Geschichte der „neuerenZeit“. Der „Historische Verein für Hessen“ in Darmstadt (1833) solltedie Geschichte des Großherzogtums Hessen in den auf dem WienerKongress neu formierten Grenzen erforschen, der „Frankfurter Vereinfür Geschichte und Landeskunde“ (1837) das Gebiet der Freien StadtFrankfurt, während der 1834 gegründete „Verein für hessische Ge-schichte und Landeskunde“ in Kassel seine Arbeit ohne zeitliche Be-schränkung auf die „gesamten jetzigen und ehemaligen kurhessi-schen Lande“ erstrecken wollte. Zu den frühen Gründungen wärenschließlich noch der „Hanauer Geschichtsverein“ (1844) und der„Waldeckische Geschichtsverein“ (1862) zu zählen, der seinen Sitz inder einstigen Landeshauptstadt Arolsen hat.

Die zwischen den Reichsgründungsjahren und 1914, in einer zwei-ten und dritten Gründungswelle entstandenen Vereine orientiertensich (im Bereich der nunmehr preußischen Provinz Hessen-Nassauwaren die selbständigen Mittelstaaten entfallen) wie schon der Han-auer Verein an kleineren historischen Einheiten, dem Gebiet eines äl-teren Kleinterritoriums, einer Provinz oder Stadt. Das gilt für den„Oberhessischen Geschichtsverein Gießen e.V.“ (1878) und für den„Verein für Geschichte und Landeskunde e.V. Bad Homburg“ (1875)wie für die um die Jahrhundertwende entstandenen Geschichtsver-eine in Friedberg und Fulda (beide 1896), für den „Alsfelder Ge-schichts- und Museumsverein“ (1897), den „Wetzlarer Geschichtsver-ein“ (1904), der schon einen kurzlebigen Vorläufer zwischen 1834 und1852 hatte, und den „Büdinger Geschichtsverein“ von 1906.

Eine letzte Neugründungs-Welle von zumeist örtlichen Geschichts-und Heimatvereinen ist in Hessen wie in anderen Ländern der Bun-

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desrepublik seit Ende der 1960er Jahre zu beobachten. Hier geht es zu-meist um die Konzentration auf das unmittelbare örtliche Umfeld, dieGemeinde oder gar den Stadt- oder Ortsteil, die in der Gebietsreformder 70er Jahre eingegliederte, vordem selbständige Gemeinde, derenTradition gewahrt werden soll. Zu diesen jüngeren Gründungenzählen u.a. der „Verein für Geschichte und Heimatkunde Kronberg“(1972), der „Rodheimer Geschichts- und Heimatverein e.V.“ in Ros-bach-Rodheim, parallel zum „Heimatgeschichtsverein 1984 Rosbachv.d.H.“, oder der „Verein für Wettersche Geschichte e.V.“ in Wetter beiMarburg, wo in den Stadtteilen ebenfalls weitere lokale Geschichts-und Heimatvereine tätig sind.

Die regionale Verteilung der Geschichtsvereine wirkt insofern un-gleichmäßig, als sich die Verdichtung des Netzes im ehemaligen Kur-hessen wie im Nassauischen weitgehend durch Bildung von Zweig-vereinen im Verbund der alten „gesamtstaatlichen“ Vereine, des Kas-seler „Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde“ und des„Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung“vollzogen hat. Ausnahmen gab es in Gebieten ohne engeren Bezug zurälteren Geschichte Kurhessens und Nassaus, im Fuldischen (Fuldaund Hünfeld 1910), in Wetzlar und im vordem kurmainzischen(Frankfurt-)Höchst (1894). Anders war die Entwicklung im Großher-zogtum Hessen, wo das im „Landboten“-Jahr 1834 aus Sorge vor einerpolitischen Tarnorganisation festgelegte Verbot örtlicher Sektionenerst 1879/80 entfiel. Auch die räumliche Entfernung zur Landes- undVereinshauptstadt Darmstadt hat wohl dazu beigetragen haben, dasssich nach dem Gießener Vorbild gerade in Oberhessen (Alsfeld, Büdingen, Butzbach, Friedberg, Lauterbach) eine ganze Reihe eigen-ständiger Vereine bildete. Auch die Neugründungen der letzten Jahr-zehnte konzentrieren sich vor allem auf Südhessen mit dem Groß-raum Rhein-Main.

Als loser Zusammenschluss der hessischen Geschichtsvereine aufLandesebene wurde auf Initiative des Kasseler „Vereins für hessischeGeschichte und Landeskunde“ 1960 in Fritzlar von dem damaligenVorsitzenden Prof. Walter Heinemeyer gemeinsam mit Kultusminis-ter Prof. Ernst Schütte die bereits angesprochene „Arbeitsgemein-schaft der historischen Vereine in Hessen“ begründet, die mit den„Tagen der hessischen Landesgeschichte“ ein gemeinsames Forumbieten sollte. Zur angestrebten Koordinierung der Arbeiten gehörtauch die Verteilung der von der Landesregierung zur Verfügung ge-

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stellten Mittel zur Förderung der von den Vereinen herausgegebenenZeitschriften und Publikationen.

Eine Vorstufe der heutigen „Arbeitsgemeinschaft“ waren (damalsnoch über die bestehenden Landesgrenzen hinweg) die „PeriodischenBlätter“ der hessischen Geschichtsvereine, die auf Anregung des Kas-seler Vereins von 1845 bis 1861 gemeinsam mit den Vereinen in Darm-stadt, Frankfurt, Wiesbaden und Mainz herausgegeben wurden. Fürdas stärker dezentralisierte Vereinswesen Südhessens wurde 1906unter Federführung der Darmstädter ein „Verband der Geschichts-und Altertumsvereine im Großherzogtum (später Volksstaat) Hessen“begründet, der als Träger der Zeitschrift „Volk und Scholle. Heimat-blätter für beide Hessen, Nassau und Frankfurt“ 1923/24 zum „Ver-band der hessischen Geschichts- und Altertumsvereine“ erweitertwurde; die Zeitschrift wurde 1934 vom „Reichsbund Volkstum undHeimat“ übernommen.

Neben der 1960 neu begründeten landesweiten „Arbeitsgemein-schaft“ haben sich in den letzten Jahren regionale Gruppierungen for-miert, als erste wohl die 1968 vom damaligen Landrat des KreisesBergstraße Dr. Ekkehard Lommel ins Leben gerufene „Arbeitgemein-schaft der Geschichts- und Heimatvereine im Kreis Bergstraße“, deren„Geschichtsblätter Kreis Bergstraße“ sich einen festen Platz im Kreisder hessischen Zeitschriften erworben haben. Ähnliche Zusammen-schlüsse auf Kreisebene bilden der vom Kulturamt des LandkreisesMarburg-Biedenkopf unterstützte „Arbeitskreis Heimatpflege undLokalgeschichtsforschung“ und die „Arbeitsgemeinschaft für Ge-schichte und Kultur bei der Sparkasse Wetterau“ im Wetteraukreis.

Von den in den Satzungen der Geschichtsvereine formulierten Zie-len: Erforschung der Geschichte des jeweiligen Arbeitsgebietes undVermittlung ihrer Kenntnis, steht heute, wie die Programme der Ver-eine eindeutig belegen, die Vermittlung durch Vorträge, Studienfahr-ten und Ausstellungen an erster Stelle. Dabei finden die Vorträge zu-meist im Winterhalbjahr statt, während Exkursionen und Besichti-gungen in den dafür günstigeren Monaten der wärmeren Jahreszeitdurchgeführt werden. Neben den Vortragsabenden (zumeist einmalim Monat) bieten die Vereine auch besondere Seminare oder „Fortbil-dungsveranstaltungen“ an, die meist einen Tag oder auch ein Wo-chenende dauern, gelegentlich aber auch über mehrere Wochen ver-teilt werden. Zu nennen sind hier die ortsgeschichtlichen Tagungendes Nassauer Vereins und die Fortbildungsveranstaltungen des „Ver-

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eins für hessische Geschichte und Landeskunde“. Dazu kommen Ein-führungen in heimatgeschichtliche Forschung und Veröffentlichungs-technik oder praktische Übungen zum Lesen alter Schriften, wie siez.B. in Wiesbaden und Marburg in Zusammenarbeit mit den Staatsar-chiven angeboten werden. Mit diesen Veranstaltungen, die wie dieVorträge nicht auf die Mitglieder beschränkt sind, bieten die Vereinehistorisch Interessierten, die nur zu einem geringen Teil fachlich vor-gebildet sind, Hilfestellung für eigenes historisches Arbeiten, um siemit entsprechender Organisation zu abgesicherten Ergebnissen zuführen.

In der Herausgabe der Vereinszeitschriften und anderen Veröffent-lichungen liegt ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit der Geschichts-vereine, wie dies an anderer Stelle dieses Bandes ausführlicher darge-stellt wird. In den Zeitschriften der altrenommierten Geschichtsver-eine, dem „Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde“,den „Nassauischen Annalen“, den „Mitteilungen des OberhessischenGeschichtsvereins“ oder der „Zeitschrift des Vereins für hessische Ge-schichte und Landeskunde“, werden vor allem neue wissenschaftli-che Forschungsergebnisse und methodisch interessante Ansätze zurLandes-, Regional- und Ortsgeschichte vorgestellt. Wichtig sind auchdie umfassenden Literaturberichte und Besprechungsteile, in denenMitglieder, die nicht in den großen Zentren mit ihren wissenschaftli-chen Bibliotheken leben, über Neuerscheinungen zur Landes- undOrtsgeschichte, aber auch für Hessen wichtige Bücher zur allgemei-nen Geschichte und über Hilfsmittel für den Landes- und Ortsge-schichtsforscher unterrichtet werden. Das gilt in gewissem Umfangauch für die kleineren Zeitschriften, die vor allem auch den eigenenMitgliedern Gelegenheit zur Publikation ihrer Arbeitsergebnisse bie-ten.

Neben den Zeitschriften geben die Vereine vielfach besondereSchriftenreihen heraus, in denen größere Arbeiten zu regionalhistori-schen Einzelthemen publiziert werden, wie die „Hessischen For-schungen zur geschichtlichen Landes- und Volkskunde“ des KasselerGeschichtsvereins, die die früheren „Supplemente“ zur Zeitschrift ab-gelöst haben, oder die „Darmstädter Archivschriften“ des Histori-schen Vereins für Hessen, um nur zwei Beispiele zu erwähnen. Gele-gentlich werden auch Zeitschriftenbände genutzt, um Doktorarbeitenoder sonstige Untersuchungen größeren Umfangs zu publizieren. DerInformation der Mitglieder über das Vereinsleben und organisatori-

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sche Fragen, soweit diese nicht in der Vereinszeitschrift enthaltensind, dienen zum Teil gesonderte „Mitteilungsblätter“ wie die „Mit-teilungen des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde e.V.Kassel“, die hier vor allem auch die 18 Zweigvereine enger verbindensollen.

Die Bibliotheken der Vereine haben durch Schriftentausch vielfacheine beachtliche Größe angenommen und bieten damit nicht nur ihrenMitgliedern günstige Arbeitsmöglichkeiten. Sie werden allerdings nurzu einem Teil von den Vereinen selbst verwaltet, so z.B. beim „Wal-deckischen Geschichtsverein“ oder in Bad Homburg. In Alsfeld oderBüdingen sind die Buch- und Zeitschriftenbestände in den vom Vereinbetreuten Museem aufgestellt. Die Bibliothek des Frankfurter Vereinsbefindet sich im Institut für Stadtgeschichte, die des „Hanauer Ge-schichtsvereins“ in der Stadtbibliothek im Schloss Philippsruhe. Dievor allem aus dem Zeitschriftentausch erwachsenen Büchereien derVereine in Darmstadt, Kassel und Wiesbaden wurden schon im 19. Jahrhundert (unter Eigentumsvorbehalt) in die jeweiligen Landes-bibliotheken eingegliedert. Die älteren Bestände in Darmstadt undKassel sind im Zweiten Weltkrieg vernichtet worden und damit inihrem einstigen Umfang nur noch durch ältere Kataloge und Tausch-partnerlisten rekonstruierbar. Lediglich die Bibliothek des Nassaui-schen Vereins in der Landesbibliothek Wiesbaden hat ohne Verlusteüberdauert. Die Bedeutung des von den Vereinen für die öffentlichenBibliotheken eingeworbenen Schrifttums mögen die Zahlen für denKasseler „Verein für hessische Geschichte und Landeskunde“ zeigen:Ende 1998 zählte der Verein 181 Tauschpartner, von denen neben nichtgezählten Monographien 222 Periodika eingingen. Diese Erwerbun-gen, die in der hessischen Abteilung der Gesamthochschul-BibliothekKassel jedermann zur Verfügung stehen, haben angesichts der starkgekürzten Ankaufsetats der Bibliotheken zusätzliches Gewicht gewon-nen. Die Vereine leisten damit einen gewichtigen Beitrag zur histo-risch-kulturellen Arbeit in unserem Land, dessen Bedeutung die vonöffentlichen Stellen gezahlten Druckkostenzuschüsse weit übersteigt.

Noch stärker als bei den für Außenstehende oft kaum als solchewahrgenommenen Bibliotheksbeständen ist die Außenwirkung beiden Museen und sonstigen Sammlungen der Geschichtsvereine. Mitder Sammlung von „Altertümern“ haben die Vereine seit ihrer Grün-dung im 19. Jahrhundert aktiven Denkmalschutz betrieben, habenkirchliche Kunstwerke, bürgerliche und bäuerliche Arbeitsgeräte,

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Hausgeräte und Trachten sowie Urkunden, Handschriften und sons-tige schriftliche Quellen vor der Zerstörung bewahrt. Mit den von Ver-einen begründeten Museen, die im Germanischen Nationalmuseumin Nürnberg ihren zentralen Ort finden sollten, stellten sie den fürstli-chen Wunderkammern früherer Jahrhunderte das „Historische Mu-seum“ als Lehr- und Studienort des gebildeten Bürgertums gegen-über. In allen so entstandenen Sammlungen nehmen die durch die ar-chäologischen Unternehmungen der Vereine, bei Ausgrabungen vonrömischen Kastellen oder germanischen Grabhügeln, geborgenenFundstücke besonders großen Raum ein. Die Vereine zu Darmstadt,Kassel und Wiesbaden haben ihre Sammlungen unter Eigentumsvor-behalt den Landesmuseen übergeben; die Sammlungen des Marbur-ger Zweigvereins des „Vereins für hessische Geschichte“ sind seit 1927als Dauerleihgabe im Universitätsmuseum für Kunst- und Kulturge-schichte in Marburg ausgestellt, während der „Oberhessische Ge-schichtsverein“ in Gießen seine musealen Sammlungen der StadtGießen übertragen hat. Die genannten Vereine bauen die deponiertenSammlungen z.T. auch heute noch weiter aus und leisten wesentlicheBeiträge für Restaurierung und Konservierung. Bei anderen Ge-schichtsvereinen, insbesondere auch bei den erst in den letzten Jahrengegründeten kleineren Vereinen, ist das Museum zum Teil geradezuMittelpunkt der Vereinsarbeit, besonders deutlich etwa bei den Verei-nen in Bensheim, Lindenfels, Viernheim oder Waldmichelbach imKreis Bergstraße. Die Regionalmuseen in Alsfeld und Büdingen, dasHohhaus-Museum in Lauterbach oder das Museum für Höchster Ge-schichte im Höchster Schloss gehören zu den bedeutenden Museenunseres Landes; die Geschichtsvereine leisten auch hier für Ausbauund Unterhaltung, vor allem durch die ehrenamtliche Arbeit der Mit-glieder, auch durch finanzielle Beiträge, wichtige Unterstützung.

Die archivalischen Sammlungen der Geschichtsvereine sind heutezum überwiegenden Teil in den zuständigen Staats- oder Kommunal-archiven deponiert, wo sie die Bestände ergänzen und der allgemei-nen Benutzung zugänglich sind; die Sammlungen des „Vereins fürNassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung“ liegen imHauptstaatsarchiv Wiesbaden, die des Marburger Zweigvereins imStaatsarchiv Marburg, die des Alsfelder Vereins im örtlichen Stadtar-chiv.

Organisation und Wirken der Geschichtsvereine in Hessen sind anden Programmen und Berichten verhältnismäßig gut abzulesen. Aus-

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sagen über die personelle und soziale Zusammensetzung der Ge-schichtsvereine sind wesentlich schwieriger zu gewinnen, zumal dieMitgliederverzeichnisse heute zumeist auf Angaben zu Beruf undAlter der Mitglieder verzichten. Hier könnten nur detaillierte Unter-suchungen aus den Karteien der Vereine weiterführen. Nach allge-meinen Beobachtungen liegt das Eintrittsalter der Geschichtsvereins-mitglieder etwa bei 50 Jahren; jüngere Mitglieder sind heute – auch inden Universitätsstädten – eher die Ausnahme. Bei den 21 im Ver-zeichnis des Gesamtvereins aufgeführten Vereinen aus Hessen, diemit zwei Ausnahmen sämtlich vor 1914 gegründet wurden, werdendie Vorstände noch weitgehend von Historikern, Archivaren und Leh-rern gebildet. Insgesamt sind die Geschichtsvereine aber heutzutagekeineswegs mehr eine Domäne von Akademikern. Nach einer – sichernicht repräsentativen – Auszählung der Mitglieder des MarburgerZweigvereins stand hier das Verhältnis von Mitgliedern mit und ohneHochschulstudium bei etwa 1 : 1; unter den Akademikern dominier-ten Lehrer, Archivare und Pfarrer, während Universitätsangehörigenur verhältnismäßig schwach beteiligt waren. Bei den „Nichtstudier-ten“ waren die Angestellten am stärksten vertreten; es gab nur wenigeSelbständige, Handwerker und Kaufleute, nur einen einzigen nochtätigen Landwirt. Bei kleineren Heimat- und Geschichtsvereinen dürf-ten die interessierten, aber fachlich nicht vorgebildeten Geschichts-freunde überwiegen, ohne dass hier bisher genaue Zahlen vorliegen.Mit aktiver Öffentlichkeitsarbeit und möglichst attraktiven Themenbleiben die Vereine auch weiterhin um die Ausweitung ihrer Reso-nanz, die Verbreiterung der Mitgliederbasis bemüht.

Literaturhinweise

Hermann HEIMPEL: Geschichtsvereine einst und jetzt. In: Geschichtswissen-schaft und Vereinswesen im 19. Jahrhundert. Beiträge zur Geschichte hi-storischer Forschung in Deutschland, 1972, S. 45-73.

Hugo STEHKÄMPER: Geschichtsvereine im Wandel. Alte und neue Aufga-ben in Stadt und Land. In: Aufgabe und Bedeutung historischer Vereine inunserer Zeit. Ulm 1992, S. 13-26.

Geschichtsvereine, Entwicklungslinien und Perspektiven lokaler und regio-naler Geschichtsarbeit (= Bensberger Protokolle, hg. Thomas-Morus-Aka-demie Bensberg), Bensberg 1990.

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Wolf-Heino STRUCK: Gründung und Entwicklung des Vereins für Nassaui-sche Altertumskunde und Geschichtsforschung. In: Nassauische Annalen84, 1973, S. 98-144. – DERS.: 175 Jahre Verein für Nassauische Altertums-kunde und Geschichtsforschung. Ebd. 98, 1987, S. 1-33.

Karl ESSELBORN, Hundert Jahre Historischer Verein für Hessen. Darmstadt1934. – Eckhart G. FRANZ: Geschichtsverein und Geschichtsbewußtsein.Zur 150-Jahrfeier des Historischen Vereins für Hessen 1833/1983. In: Ar-chiv für hessische Geschichte und Altertumskunde, NF 41, 1983, S. III-XII.

Wilhelm HOPF, Hundert Jahre hessischer Geschichtsverein. In: Zeitschrift desVereins für Hess. Geschichte 59/60, 1934, S. V-LXIII. – Hans-Enno KORN:Hunderfünfzig Jahre Verein für hessische Geschichte und Landeskunde.In: Mitteilungen des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde 8,Juni 1984, S. 3-5. – Karl E. DEMANDT: Der Marburger Verein für hessischeGeschichte und Landeskunde. Gedenkrede zur 140. Wiederkehr desGründungstages. In: Mitteilungen des Vereins für hessische Geschichteund Landeskunde 1984, S. 16-28.

Günter MÖSSINGER: Die Geschichts- und Heimatvereine im Kreis Berg-straße. In: Geschichtsblätter Kreis Bergstraße 30, 1997, S. 9-18.

Günter HOLLENBERG, Heimatgeschichte erforschen und veröffentlichenAnleitungen und Hinweise (= Schriften des Hess. Staatsarchivs Marburg11). Marburg 1995.

Gesamtverein der Deutschen Geschichts- und Altertumsvereine. Mitglieder-verzeichnis. 3. Ausgabe 1994. Bearb. von Hugo STEHKÄMPER. Köln-Ulm1994.

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Die Historischen Kommissionen in Hessen

Dr. Wolf-Arno Kropat, Historische Kommission für Nassau, Wiesbaden

Die Entwicklung der wissenschaftlichen Landesgeschichtsforschungin Deutschland ist seit dem 19. Jahrhundert untrennbar mit der Ge-schichte der Historischen Kommissionen verbunden. Vor 1800 warLandesgeschichte vor allem Darstellung der regierenden Fürstenhäu-ser des Alten Reiches und ihrer Ruhmestaten. Erst im 19. Jahrhunderttrat mit der Romantik die Besinnung auf die nationale Geschichte inden Vordergrund. Reichsfreiherr Karl vom Stein, der aus Nassaustammte, gründete mit der „Gesellschaft für ältere deutsche Ge-schichtskunde“ die „Monumenta Germaniae Historica“ (heute inMünchen), die seit 1826 über 500 Bände mit historischen Quellen, Ur-kunden, Rechtsbüchern, Chroniken und Akten von nationaler Bedeu-tung publiziert haben. Die Veröffentlichung regionaler Geschichts-quellen übernahmen zunächst die in den 1820er und 30er Jahren auchin Nassau, den hessischen Staaten und der Reichsstadt Frankfurt be-gründeten Altertums- und Geschichtsvereine.

Wenn die Verantwortung für die wissenschaftliche Erforschung derRegionalgeschichte gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf die unter Zu-stimmung und Mitwirkung der inzwischen stärker in der bürgerli-chen Breitenarbeit engagierten Historischen Vereine auf neu begrün-dete „Historische Kommissionen“ übertragen wurde, so hatte dasauch und vor allem mit der zwischenzeitlich erfolgten Öffnung derStaatsarchive zu tun, die eine systematische Publikation der in den Ar-chiven verwahrten Quellen erst möglich machte. Die Geschichtsver-eine blieben Herausgeber der landesgeschichtlichen Zeitschriften, diein Aufsätzen und kleineren Beiträgen auch neue Forschungser-gebnisse publizieren. Aufgabe der Kommissionen in der arbeitsteili-gen wissenschaftlichen Gesellschaft war und ist es, die historischeGrundlagenforschung zu fördern und wichtige Quellen, aber auchwissenschaftliche Darstellungen zu bedeutenden landesgeschichtli-chen Themen zu veröffentlichen. Mit der Erschließung des reichenQuellenguts der Staats- und Stadtarchive liefern sie zugleich die wis-

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senschaftliche Grundlage für die Arbeit der Geschichtsvereine imLande.

Die Historischen Kommissionen in Hessen können auf eine mehrals 100-jährige Geschichte zurückblicken. Im März 1897 gründetenProfessoren, Archivare und Bibliothekare in Wiesbaden die „Histori-sche Kommission für Nassau“. Bereits im Sommer folgte in Marburgdie Gründung der „Historischen Kommission für Kurhessen und Wal-deck“, die seit 1972 „Historische Kommission für Hessen“ heißt. BeideKommissionen entstanden als freie Vereinigungen von Forschern, diesich durch Zuwahl ergänzen. Im Gegensatz dazu war und ist die 1906berufene „Frankfurter Historische Kommission“ eine Magistrats-De-putation. Auch die „Historische Kommission für das GroßherzogtumHessen“ (ab 1919 „für den Volksstaat Hessen“) wurde zunächst alsStaats-Kommission von der Darmstädter Landesregierung bestellt;erst mit der Umwandlung zur „Hessischen Historischen KommissionDarmstadt“ 1949 hat sie sich der Vereinsform der Schwesterkommis-sionen angeglichen. Die Historischen Kommissionen repräsentierendie geschichtliche Identität der drei großen Regionen, aus denen dasheutige Land Hessen gebildet wurde.

Die Historischen Kommissionen waren sich von vornherein be-wusst, vor einer schier unlösbaren Aufgabe zu stehen, wenn sie miteng begrenzten personellen und finanziellen Mitteln daran gingen,die Geschichte einer Region unter den verschiedenen Aspekten ihrerEntwicklung zu bearbeiten: Von der Verfassungs- und Rechtsge-schichte bis zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, von der Siedlungs-geschichte bis zur Demographie, von der Vor- und Frühgeschichte biszur zeitgeschichtlichen Forschung. Andererseits ließen sich gerade inden Historischen Kommissionen die notwendigen interdisziplinärenKontakte zwischen Wissenschaftlern verschiedener Forschungsrich-tungen vermitteln. Günstig war, dass die Regionalgeschichte auch inder wissenschaftlichen Forschung an Universitäten und Akademienzunehmend Beachtung fand. Die Landesgeschichte galt als Prüfsteinfür von der allgemeinen historischen Forschung entwickelte Thesen.Hier ließ sich überprüfen, ob manche aus allgemeinen Quellen ent-wickelte Aussage auch „vor Ort“ Bestand hatte.

Vorrang in der Arbeit der Historischen Kommissionen hattezunächst die Veröffentlichung der Urkundenbestände des Mittelaltersaus Bistums- und Klosterarchiven. Die „Urkundenbücher“ mit derwertvollen Überlieferung von der Karolinger- bis zur Stauferzeit

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waren über die Regional- und Ortsgeschichtsforschung hinaus auchfür die nationale Geschichtsschreibung wichtig. Im hessischen Bereichgalt das für die Publikation der älteren Urkunden der ReichsklösterFulda und Hersfeld wie für den sogen. „Lorscher Codex“, aber auchfür das „Mainzer Urkundenbuch“ und die für das spätere Mittelalteranschließenden „Regesten der Erzbischöfe von Mainz“, die wegen derZugehörigkeit Rheinhessens zum Großherzogtum in den Zuständig-keitsbereich der Darmstädter Kommission fielen. Vor allem der regio-nalen Geschichtsforschung dienen die hessischen „Landgrafenrege-sten“ und die „Regesten der Grafen von Katzenelnbogen“ wie die Re-gestenbände für „Klöster und Stifte an der Lahn“ und für eine Reihenord- und mittelhessischer „Klosterarchive“. Die rechtlichen und so-zialen Verhältnisse des Bürgertums in den mittelalterlichen Städtenspiegelten sich in den Urkunden- und Bürgerbüchern von Frankfurt,Friedberg und Wetzlar wie in den von der Marburger Kommission an-geregten „Quellen zur Rechtsgeschichte“ hessischer Städte, denenauch das in Wiesbaden publizierte „Limburger Stadtbuch von 1548“zuzuordnen wäre.

Auch wichtige Quellengruppen späterer Jahrhunderte wurdendurch die Historischen Kommissionen der Öffentlichkeit zugänglichgemacht. Neben dem von Walter Heinemeyer abgeschlossenen, vier-bändigen Inventar zum sogen. „Politischen Archiv des LandgrafenPhilipp des Großmütigen“ wären hier die „Urkundlichen Quellen zurhessischen Reformationsgeschichte“ zu nennen. Für das 19. Jahrhun-dert gab die Darmstädter Kommission die Erinnerungen und Tage-bücher der Ministerpräsidenten du Thil und von Dalwigk sowie denBriefwechsel Heinrichs von Gagern heraus; in der Marburger Kom-missions-Reihe erschienen u.a. die Briefe der Brüder Grimm an ihrenSchwager Savigny und weitere Teile der Savigny-Korrespondenz,aber auch die „Zeitungsberichte“ der preußischen Regierungspräsi-denten in Kassel und Wiesbaden für die Jahre 1867-1918.

Unterstützung auch für den Orts- und Heimathistoriker botenHandbücher und Nachschlagewerke wie die „Historischen Ortsle-xika“ (von H. Reimer für Kurhessen und W. Müller für Starkenburg),eine Aufgabe, die heute vom Landesamt für geschichtliche Landes-kunde weitergeführt wird. Zu nennen sind hier weiter das „HessischeKlosterbuch“ und das „Hessische Ortswappenbuch“, das „HessischeTrachtenbuch“ und das inzwischen ebenfalls vom Landesamt über-nommene „Hessische Münzwerk“. Ein unentbehrliches Hilfsmittel

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für alle Forscher ist die bibliographische Zusammenstellung des„Schrifttums zur Geschichte und geschichtlichen Landeskunde vonHessen“ in den von Karl E. Demandt bearbeiteten Bänden von1965/68, die zum Ausgangspunkt für die ab 1977 jahrweise publi-zierte „Hessische Bibliographie“ wurden.

Viel benutzt werden auch die biographischen Nachschlagewerkeüber die hessische Beamtenschaft, die Lehrer- und Pfarrerbücher wiedie Professoren-Kataloge der Marburger Universität. Für das 19. Jahr-hundert sind zunächst bei der Darmstädter Kommission, dann auchin Marburg und Wiesbaden mehrbändige „Lebensbilder“-Reihen he-rausgekommen, die zum Teil noch fortgeführt werden. BiographischeEinzelstudien erschienen (zumeist in der Reihe „Quellen und For-schungen zur hessischen Geschichte“) über Politiker des Vormärz wieHans Christoph von Gagern, den Oberpräsidenten Friedrich vonSolms-Laubach und Prinz Emil von Hessen, aber auch über Minister-präsident Christian Stock und den NS-Reichsstatthalter Jakob Spren-ger. Weite Verbreitung fand die „Nassauische Biographie“ von OttoRenkhoff, die in der 1992 erschienenen Zweitauflage Kurzlebensläufevon rund 5.000 Persönlichkeiten der Region enthält. Die beiden Bändeder etwas anders konzipierten „Frankfurter Biographie“ (Hrsg. Wolf-gang Klötzer) folgten 1994/96. Eine ergänzende „Hessische Biogra-phie“ ist in Vorbereitung.

Damit sind in einem exemplarischen Ausschnitt lediglich Schwer-punkte aus den Veröffentlichungsprogrammen der hessischen Histo-rischen Kommissionen markiert. Im breiten Spektrum der publizier-ten Bücher finden sich Darstellungen und Dokumentationen zur poli-tischen Entwicklung Hessens, zur Geschichte der Wahlen und der politischen Parteien, zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte vom Tex-tilgewerbe des 16. Jahrhunderts bis zum Eisenbahnbau, zur Stadtent-wicklung und zur Baugeschichte von Schlössern und Burgen, zur Ge-schichte von Kirchen und Klöstern, zum Schul- und Bildungswesen,von „Rom und den Chatten“ bis zum „Nationalsozialismus in derDreieich“. Dabei hat sich der Schwerpunkt von den Quelleneditionenzunehmend auf die historischen Darstellungen verlagert; viele davonsind landeskundliche Doktorarbeiten, die von den Kommissionen (oftnach entsprechender Überarbeitung) zur Publikation übernommenwerden. Insgesamt haben die Historischen Kommissionen in ihrenReihen mehrere hundert Bände mit Quelleneditionen und wissen-schaftlichen Monographien veröffentlicht. Der größere Teil fällt in die

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Jahre nach 1949 – vor allem dank der tatkräftigen Förderung durchjährliche Zuwendungen des Hessischen Ministeriums für Wissen-schaft und Kunst.

Die reiche Fülle landeskundlicher Literatur, die im Verlauf des zuEnde gehenden Jahrhunderts von den Kommissionen für Forscherund interessierte Leser verfügbar gemacht wurde, darf freilich nichtdarüber hinwegtäuschen, dass die Historischen Kommissionen inHessen zu einer planmäßigen landesgeschichtlichen Forschung heutekaum in der Lage sind. Im Gegensatz zu den Landes-Kommissionenin Baden-Württemberg und Niedersachsen haben die hessischenKommissionen keine hauptamtlichen Mitarbeiter. Sie werden vonProfessoren und Archivaren ehrenamtlich betreut und sind letztend-lich auf das persönliche Engagement von Wissenschaftlern und Dok-toranden angewiesen. Da die zur Verfügung gestellten Landesmittelausdrücklich nur zur Finanzierung der bloßen Druckkosten bestimmtsind, gibt es keine Möglichkeit, für die Bearbeitung aktueller ThemenForschungsaufträge oder Werkverträge an geeignete Wissenschaftlerzu vergeben. Zusätzlich fällt ins Gewicht, dass es an den Universitä-ten des Landes keine Lehrstühle für hessische Landesgeschichte gibt,an denen (wie in anderen Ländern) eine kontinuierliche Bearbeitunglandes- und zeitgeschichtlicher Themen, auch durch Vergabe vonDoktor- und Examensarbeiten, erfolgen könnte. Demgegenüber fi-nanziert der Freistaat Bayern fünf landeskundliche Professuren, undin Nordrhein-Westfalen gibt es zwei Spezialprofessuren nur für dieGeschichte des Landes nach 1945!

Die gezielte Durchführung größerer Forschungsvorhaben ist inHessen in den vergangenen Jahrzehnten daher nur in Ausnahmefäl-len möglich gewesen. Hier wäre vorab das „Handbuch der Hessi-schen Geschichte“ zu nennen, das von der Historischen Kommissionfür Hessen mit Sondermitteln der Hessischen Staatskanzlei in Angriffgenommen wurde. Die erste Lieferung des auf fünf Bände geplantenWerks ist im vorigen Jahr erschienen. Zwei weitere sollen in Kürze fol-gen.

Eine besondere Aufgabe hat sich die „Kommission für die politi-sche und parlamentarische Geschichte des Landes Hessen“ beim Hes-sischen Landtag gestellt. Seit zwei Jahrzehnten fördert sie historischeDarstellungen und Dokumentationen, die sich mit der Entstehungvon Parlamentarismus und Demokratie in Hessen befassen. Zunächststand die Entwicklung der hessischen Territorien vom Ständestaat

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zum Verfassungsstaat in den hessischen Territorien im Vordergrund.Auf die (noch nicht abgeschlossene) Veröffentlichung der Landtags-abschiede der hessischen Landgrafschaften vor 1806 folgte eine statt-liche Reihe von Publikationen mit ausgewählten Reden und Doku-menten aus den Landtagen des 19. Jahrhunderts in Nassau, Hessen-Darmstadt und Kurhessen, in denen die Ablösung des Ständestaatsdurch vom Volk gewählte Parlamente und die Durchsetzung des po-litischen Liberalismus deutlich wird. Der von E. G. Franz und Man-fred Köhler bearbeitete Auswahlband „Parlament im Kampf um dieDemokratie“ gilt dem Landtag des Volksstaats Hessen in den Jahren1919-1933. Weiterer Programmpunkt war die Erforschung der Biogra-phien aller hessischen Abgeordneten seit dem Beginn des 19. Jahr-hunderts, deren Ergebnisse in dem von Jochen Lengemann herausge-gebenen Handbuch „MdL Hessen 1808-1996“ zusammengefasst sind.Mit der Ausweitung des Themas auf die „Politische und parlamenta-rische Geschichte des Landes Hessen“ wurde der Schwerpunkt dervon einem Beirat aus Historikern, Archivaren und Politikwissen-schaftlern begleiteten Arbeit auf die politische Entwicklung nach 1945verlagert. Erste Ergebnisse sind die grundlegende Dokumentationvon Helmut Berding zur „Entstehung der Hessischen Verfassung von1946“ und ein Band über die „Sitzungsprotokolle des Beratenden Lan-desausschusses“ im Jahr 1946, die in den Veröffentlichungen der Hi-storischen Kommission für Nassau erschienen sind. Quellenbändeüber wichtige Landtagsdebatten der Jahre 1946-1970 und über die Ka-binettsprotokolle der Hessischen Landesregierung ab 1945 sind inVorbereitung.

Ein weiteres bedeutendes Projekt, das im Auftrag des HessischenSozialministeriums von 1985 bis 1991 durchgeführt wurde, galt derAufnahme und Integration der Heimatvertriebenen und Flüchtlingenach 1945. Dazu wurde beim Sozialministerium eine eigene wissen-schaftliche Kommission gebildet. Im Zusammenwirken mit dem Hes-sischen Hauptstaatsarchiv konnten insgesamt sechs Bände herausge-geben werden, die sich mit der wirtschaftlichen und sozialen Integra-tion der Flüchtlinge und Vertriebenen befassen. Obwohl die Auf-nahme von rund einer Million Neubürgern eines der wichtigsten Er-eignisse in der Geschichte des Landes nach 1945 darstellt, musste dieArbeit der Kommission nach dem Regierungswechsel im Jahr 1991eingestellt werden, da an der Fortführung des Forschungsprojekteskein politisches Interesse mehr bestand.

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Längerfristig angelegt ist die Arbeit der im Jahr 1963 vom damali-gen Hessischen Kultusminister Ernst Schütte begründeten „Kommis-sion für die Geschichte der Juden in Hessen“. Ihr historisch wie poli-tisch bedeutsamer Auftrag ist die Erforschung der Geschichte der jü-dischen Bevölkerung Hessens und die Darstellung von Antisemitis-mus und Judenverfolgung vom Mittelalter bis zur Gegenwart. In derbundesweit beachteten Schriftenreihe der Kommission konnten be-reits in den 70er Jahren, früher als in manchen anderen deutschen Län-dern, zwei Dokumentenbände zur Verfolgung der Juden unter derNS-Diktatur vorgelegt werden: „Juden vor Gericht 1933-1945“ und„NS-Verbrechen vor Gericht 1945-1955“. Sie wurden Vorbild für wei-tere Publikationen zur verhängnisvollen Rolle der deutschen Justizunter der NS-Diktatur. Zum 50. Gedenktag des Novemberpogroms1938 erschien 1988 die Dokumentation „Kristallnacht in Hessen“ desBerichterstatters über den Verlauf der Terroraktionen in hessischenStädten und Gemeinden, der 1997 ein zweiter Band „Reichskristall-nacht“ über Ursachen und Hintergründe des Novemberpogromsfolgte. Die 1992 erschienene „Bibliographie zur Geschichte der Judenin Hessen“, die über 2.500 Veröffentlichungen zur Geschichte der jüdi-schen Bevölkerung nachweist, ist zum unentbehrlichen Hilfsmittel fürdie wissenschaftliche Forschung, aber auch für Geschichtsvereine undBürgerinitiativen geworden, die sich mit der Geschichte der örtlichenjüdischen Gemeinden befassen. Die Broschüre „Jüdische Geschichtein Hessen erforschen“ von 1994 bietet ergänzende Informationen überArchive und Forschungsstätten in Hessen und in der Bundesrepublik,die mit ihren Judaica-Beständen für hessische Forscher von Interessesind. Dem Engagement der Kommission in der Inventarisierung be-deutender jüdischer Friedhöfe gilt ein besonderer Beitrag diesesHefts.

Wenn man die Ergebnisse des zwangsläufig kursorischen Über-blicks zusammenfasst, so bleiben vor allem im Bereich der Zeitge-schichte große Defizite. Obwohl die kontinuierliche, kritisch-wissen-schaftliche Aufarbeitung der Geschichte des eigenen Landes auch fürdie politische Bildung unerlässlich ist, blieb etwa die „Ära Zinn“, inder die Grundlagen des modernen Hessen gelegt wurden, bis heutenahezu unbearbeitet. Das gilt auch für die Jahre der sozialliberalenKoalition in Hessen 1970-1982, von den nachfolgenden Wahlperiodenganz zu schweigen. Zu untersuchen wären sowohl die Entwicklungder politischen Parteien und das Verhältnis von Regierung und Op-

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position wie die Probleme der Schul-, Kultur-, Wirtschafts- und Sozi-alpolitik. Auch hierfür wäre die Schaffung eines der hessischen Lan-desgeschichte nach 1945 gewidmeten Lehrstuhls unabdingbar, dermit den Historischen Kommissionen zusammenarbeitet. Die Kom-missionen selbst können die notwendige gezielte Aufarbeitung derjüngsten Geschichte des Landes in ihrer bisherigen, weitgehend eh-renamtlichen Konstruktion nur leisten, wenn ihnen in verstärktemUmfang auch Personal- und Sachmittel zur Verfügung gestellt wer-den. Hier liegt, auch im Interesse der politischen Bildung, eine vor-rangige Aufgabe für das neue Jahrhundert.

Literaturhinweise

Hundert Jahre Historische Kommission für Hessen 1897-1997. Festgabe, dar-gebracht von Autorinnen und Autoren der Historischen Kommission. 2Bände, Marburg 1997. Darin insbes. Walter HEINEMEYER: Die Histori-sche Kommission für Hessen 1897-1997. Geschichtlicher Überblick, wis-senschaftliche Unternehmungen, S. 1215-1235.

Wolf-Heino STRUCK: Neunzig Jahre Historische Kommission für Nassau. In:Nassauische Annalen 98, 1987, S. 251-272.

Julius Reinhart DIETERICH: Eine historische Kommission für das Großher-zogtum Hessen. In: Quartalsblätter des Hist. Vereins NF 3, 1905, S. 591ff. –Gustav PAUL: Die Historische Kommission für den Volksstaat Hessen. In:Volk und Scholle 8, 1930, S. 18-20

Jährliche Arbeitsberichte der Kommissionen in Darmstadt, Frankfurt, Mar-burg und Wiesbaden seit 1952 in den Jahresbänden des Hessischen Jahr-buchs für Landesgeschichte, Bd. 2ff. – Gedruckte Schriftenverzeichnissekönnen bei den Geschäftsstellen der Kommissionen angefordert werden(Anschriften im Anhang).

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Das Hessische Landesamt für geschichtlicheLandeskunde

Dr. Ursula Braasch-Schwersmann, Hess. Landesamt für geschichtliche Landeskunde, Marburg

Entwicklung:

Anfänge und Herausbildung des Hessischen Landesamtes stehen imZusammenhang mit den Forschungen zum „Geschichtlichen Atlasvon Hessen und Nassau“, den der Marburger Mediävist Edmund E.Stengel im Auftrag der „Historischen Kommission von Hessen undWaldeck“ seit 1921 vorbereitete. Die wissenschaftlichen und kartogra-phischen Vorarbeiten wurden innerhalb der von ihm geleiteten Abtei-lung für mittelalterliche Geschichte des Historischen Seminars derPhilipps-Universität geleistet. Seit 1926 „Institut für geschichtlicheLandeskunde in Hessen und Nassau“, wurde die Arbeitsstelle weiter-hin von Prof. Stengel ehrenamtlich geleitet; sie erhielt zwar Sachbei-hilfen von kommunalen Gebietskörperschaften, hatte aber keine festetatisierten Personalstellen. Erst Theodor Mayer, der 1938 die Nach-folge Stengels antrat, regte die Umwandlung des bis dahin quasi halb-amtlichen Instituts in eine staatliche Behörde an. Es kam seinen Vorstellungen entgegen, dass der Bezirksverband Kassel schon längereine Konzentration der Landesforschung in Marburg anstrebte.1937/38 hatten das Amt für Vor- und Frühgeschichte und ein „Lan-desamt für Volkskunde“ ihre Arbeit aufgenommen. Die Umwandlungdes landeskundlichen Instituts in ein „Landesamt für geschichtlicheLandes- und Volksforschung“ verzögerte sich durch den Kriegsaus-bruch bis 1941. Der Stellenplan des neueingerichteten Landesamtsumfasste zwei Kustoden, einen Zeichner und eine Verwaltungskraft.Die räumliche Bindung an das Universitätsinstitut für mittelalterlicheGeschichte im Marburger „Kugelhaus“ blieb ebenso bestehen wie dieehrenamtliche Leitung durch das Ordinariat für mittelalterliche Ge-schichte, das 1942 erneut von dem nach Marburg zurückgekehrten

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E. E. Stengel übernommen wurde. Die Bezeichnung lautete fortanwieder „Landesamt für geschichtliche Landeskunde von Hessen undNassau“.

Als nachgeordnete Behörde des Kommunalverbandes für den Re-gierungsbezirk Kassel konnte das Amt seine Arbeit auch nach demKrieg fortsetzen. Mit der Auflösung der Kommunalverbände 1953wurde das Landesamt dem Hessischen Minister für Erziehung undVolksbildung unterstellt. Heute gehört es zum Geschäftsbereich desMinisteriums für Wissenschaft und Kunst. 1966 bezog das Landesamtgemeinsam mit den geisteswissenschaftlichen Instituten der Philipps-Universität den Neubau in der Wilhelm-Röpke-Straße 6. Mit der Über-nahme der Leitung durch Walter Schlesinger als Nachfolger HeinrichBüttners auf dem Lehrstuhl für mittelalterliche Geschichte 1964 erhieltdie Einrichtung ihren heutigen Namen „Hessisches Landesamt für ge-schichtliche Landeskunde“. Die schon seit der Gründung 1960 vonSchlesinger ehrenamtlich geleitete „Forschungsstelle für geschichtli-che Landeskunde Mitteldeutschlands“ wurde dem Landesamt 1962 alsAbteilung angegliedert. Der Aufbau der mit der Forschungsstelle ver-bundenen Spezialbibliothek (derzeit rund 50.000 bibliographische Ein-heiten und 7.500 Karten) wurde von der Bundesregierung bis ein-schließlich 1993 mit erheblichen Drittmitteln gefördert.

Langzeitprojekte, laufende Arbeiten, Publikationen:

Die Arbeiten am „Geschichtlichen Atlas von Hessen“ standen von An-fang an im Mittelpunkt der Forschungstätigkeit des Landesamtes. Daes an zusammenfassenden historisch-topographischen Grundlagen-werken für ein solches Unternehmen in Hessen fehlte, wurdenzunächst in Form relativ kleinräumiger Studien die älteren Siedlungs-und Verfassungsverhältnisse des hessischen Raumes und seiner Terri-torien systematisch erforscht und kartographisch dokumentiert. DieseEinzelstudien, die in einer eigenen Publikationsreihe, den „Schriftendes hessischen Landesamtes für geschichtliche Landeskunde“ er-schienen sind (von 39 Bänden enthalten 20 zugehörige Atlasmappen),erfassen inzwischen nahezu den gesamten hessischen Raum und sindlängst zu einer unentbehrlichen Grundlage für die landesgeschichtli-che Forschung geworden. Parallel zu diesem Langzeitprojekt hattedas hessische Landesamt seit den fünfziger Jahren einen geschichtli-

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chen Handatlas vorbereitet, der für Unterrichtszwecke an Universitä-ten und Schulen sowie für Geschichtsfreunde allgemein gedacht warund den Gesamtbereich des 1945 geschaffenen Bundeslandes Hessenerfassen sollte. Der maßgeblich von Friedrich Uhlhorn konzipierte„Geschichtliche Atlas von Hessen“, der seit 1960 in zahlreichen Teilliefe-rungen erschien (insgesamt 53 Blätter mit 79 Karten), konnte 1984 mitdem zugehörigen Text- und Erläuterungsband zum Abschluss ge-bracht werden. Damit verfügte Hessen als eines der ersten Bundes-länder über ein modernes historisches Kartenwerk, welches das breiteSpektrum landesgeschichtlicher Forschung von der älteren Siedlungs-geschichte bis zur neueren Wirtschafts- und Sozialgeschichte des heu-tigen Landes zur Anschauung bringt; die Kooperation von Histori-kern, Geographen, Archäologen, Germanisten und Volkskundlern lie-fert im Textband eine unter vielfältigen Gesichtspunkten verfassteKommentierung.

In Fortführung der vom Landesamt seit seiner Gründung schwer-punktmäßig betriebenen historisch-kartographischen Forschungenwurden nach Abschluss des „Geschichtlichen Atlas“ die Vorarbeitenfür einen „Hessischen Städteatlas“ begonnen, der als neues Langzeitpro-jekt betrieben wird und 130 Städte im heutigen Bundesland erfassensoll. Dieser Atlas folgt den seit 1968 auf europäischer Ebene getroffe-nen und seit Mitte der siebziger Jahre vom „Institut für VergleichendeStädtegeschichte“ in Münster im Westfälischen und Deutschen Städ-teatlas vorbildlich umgesetzten Übereinkünften. Allerdings wurde dasvon Münster vorgegebene, vier Blätter pro Stadt umfassende Modellerweitert. Im Hessischen Städteatlas wird jede Stadtmappe nebeneinem umfangreichen Begleitheft sieben Karten auf sechs Blättern ent-halten: eine mehrfarbige Urkatasterkarte (Maßstab 1:2.500) des 19. Jahr-hunderts; ein zweigeteiltes Blatt (1:25.000) mit einer topographischenÜbersichtskarte aus dem 19. Jahrhundert, der eine aktuelle topogra-phische Karte im gleichen Ausschnitt gegenübergestellt wird; einemehrfarbige Karte (1:2.500) zur Siedlungsentwicklung von den Anfän-gen bis zum Stand der Urkatasterkarte; eine mehrfarbige Karte(1:5.000) zur Siedlungsentwicklung von der Mitte des 19. Jahrhundertsbis heute; eine moderne Stadtkarte (1:5.000) sowie eine mehrfarbigeÜbersichtskarte (1:750.000) des Bundeslandes Hessen, in welcher dieStädte der jeweiligen Lieferung hervorgehoben sind. Die erste Liefe-rung für die Städte Arolsen, Butzbach, Dieburg, Hersfeld, Homberg,Limburg, Michelstadt und Wetter wird im Jahr 2000 erscheinen.

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Neben umfangreichen historischen und topographischen Karten-sammlungen verfügt das Hessische Landesamt über ein großes Flurna-menarchiv, das Ergebnis einer seit den dreißiger Jahren im Rahmen einerauf die damalige preußische Provinz Hessen-Nassau begrenzten Sam-melaktion zur Erfassung der mündlich überlieferten Flurnamen, die inden sechziger Jahren zum Abschluss kam. Gemeinsam mit den ent-sprechenden Sammlungen des „Hessischen Flurnamenarchivs Gießen“(im Fachbereich Germanistik der Justus-Liebig-Universität) für das Ge-biet des ehemaligen Volksstaats Hessen bildete die Marburger Samm-lung die Grundlage für den von dem Gießener Germanisten HansRamge 1987 herausgegebenen „Hessischen Flurnamenatlas“. Die da-mals erfolgreich begonnene Kooperation mit dem Gießener Flurna-menarchiv wie mit dem „Forschungsinstitut für deutsche Sprache/Deutscher Sprachatlas“ in Marburg, das die Erfahrungen seiner Abtei-lung für Linguistische Informatik einbrachte, wird fortgeführt.

Ähnlich wie in anderen Bundesländern wurde in den siebziger Jah-ren das Projekt eines „Historischen Ortslexikons des Landes Hessen“ indas Arbeitsprogramm des Landesamtes aufgenommen. Dieses Ortsle-xikon soll auf der Grundlage eines einheitlichen Bearbeitungsschemasin knapper Form über die wesentlichen Strukturelemente und -datender örtlichen Siedlungs-, Verfassungs-, Kirchen- und Wirtschaftsge-schichte informieren. Erfasst werden alle bestehenden und ausgegan-genen örtlichen Siedlungen mit selbständigem Namen, auch Ortsteile,Einzelhöfe, Burgen, Mühlen und Industrieansiedlungen. Die beige-fügte Karte (1:50.000) enthält neben den Kreis- und Gemarkungsgren-zen sowie allen bestehenden Siedlungen auch die Ortswüstungen,nicht zuletzt als wichtige Hinweise für die Archäologie und Sied-lungsforschung. Erschienen sind bislang fünf Bände für die AltkreiseWitzenhausen, Fritzlar-Homberg, Marburg, Biedenkopf und Ziegen-hain; in Vorbereitung befindet sich der Band für den Altkreis Gießen.Das „Historische Ortslexikon“ dient als lexikalisches Nachschlage-werk dem Allgemein- und Landeshistoriker, dem Siedlungsgeogra-phen und Namenforscher sowie dem Kenner und Liebhaber der Hei-matgeschichte. Nicht zuletzt vermag es aber auch Zwecken der öf-fentlichen Verwaltung und in zunehmendem Maße den Belangen derDenkmalpflege zu dienen.

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Numismatik und Münzfundpflege:

Mit der Schaffung einer zusätzlichen, mit einem Numismatiker be-setzten Kustodenstelle im Jahre 1964 wurde die laufende Betreuungder aus Mittelalter und Neuzeit anfallenden Münzfunde im Lande zueinem besonderen Tätigkeitsbereich. Alle Informationen über hessi-sche Münzfunde werden (wie in anderen Bundesländern) in einerLandesfundkartei organisiert, die mit dem „Zentralen FundkatalogMittelalter/Neuzeit“ der Numismatischen Kommission der Länder inder Bundesrepublik Deutschland in Hannover verbunden ist. Im Zu-sammenwirken mit dem Landesamt für Denkmalpflege Hessen/Abt.für Archäologische und Paläontologische Denkmalpflege, werdenneue Funde erfasst und gesichert und in Form von Quellenpublika-tionen vorgelegt. Über die laufende Berichterstattung in den „Fund-berichten aus Hessen“ hinaus werden bedeutende Fundkomplexe inMonographien und Aufsätzen behandelt, um sie als besondere ge-genständliche Quelle der Landesgeschichte wie der Wirtschafts- undSozialgeschichte dienstbar zu machen.

Sonstige Dienstleistungen:

Im Zusammenwirken mit der „Arbeitsgemeinschaft der HistorischenKommissionen in Hessen“ ist das Landesamt Mitherausgeber des seit1951 erscheinenden „Hessischen Jahrbuchs für Landesgeschichte“, das zueinem wesentlichen Teil auch redaktionell vom Landesamt betreutwird. Im Jahrbuch erscheinen wissenschaftliche Beiträge zur hessi-schen und vergleichenden Landesgeschichte, Buchbesprechungenund die jährlichen Tätigkeitsberichte der fünf Historischen Kommis-sionen und des Landesamtes. Das im Jahr 2000 zum fünfzigsten Malerscheinende Jahrbuch gehört zu den führenden landesgeschichtli-chen Zeitschriften in Deutschland. Die 1973 begonnenen Reihe der„Untersuchungen und Materialien zur Verfassungs- und Landesgeschichte“(bisher 17 Bände) ergänzt die „Schriften des hessischen Landesamtes“und bietet größeren Arbeiten von der Vor- und Frühgeschichte bis zurGegenwart aus allen Bereichen der Landeskunde Platz. Insbesonderedie wissenschaftlichen Abhandlungen zur Stadtgeschichte der Neu-zeit, etwa über Marburg, Hersfeld und Homberg/Ohm, dienen zu-gleich den Vorbereitungen für den „Hessischen Städteatlas“.

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Das Personal des Hessischen Landesamtes für geschichtliche Lan-deskunde umfasst gegenwärtig neun feste Mitarbeiter: fünf Wissen-schaftler, eine Bibliothekarin, einen Kartographen und zwei Ange-stellte für Verwaltung, Schreibdienst und Verlag. Die wissenschaft-lichen Mitarbeiter nehmen neben ihren fortlaufenden Langzeitpro-jekten und redaktionellen Daueraufgaben eine Reihe von weiterenFunktionen wahr. Dazu zählen die Betreuung der umfangreichen Bi-bliothek, universitäre Lehraufträge, Unterrichtsverpflichtungen ander Archivschule Marburg, Vorträge bei Geschichtsvereinen und aufwissenschaftlichen Fachtagungen, Mitarbeit an eigenen und vonaußen an das Landesamt herangetragenen Publikations- und Ausstel-lungsprojekten. Darüber hinaus sind die wissenschaftlichen Mitarbei-ter in verschiedenen Fachorganisationen auf hessischer, deutscherund internationaler Ebene engagiert. Das Landesamt richtete wieder-holt auch eigene wissenschaftliche Tagungen zu besonderen landes-geschichtlichen Themen aus. Das Spektrum reicht hier von einemSymposium im Zusammenhang mit der Ausstellung über die Hl. Eli-sabeth im Jahre 1981 und einer Tagung über „Aspekte thüringisch-hessischer Geschichte“ unmittelbar nach Öffnung der innerdeutschenGrenze sowie ein Kolloquium über „Interdisziplinäre Kulturland-schaftsforschung im ländlichen und städtischen Raum“ als Jahresta-gung des Arbeitskreises landeskundlicher Institute und Forschungs-stellen in der Deutschen Akademie für Landeskunde bis zu der histo-riographiegeschichtlich angelegten und begleitenden Veranstaltungzum fünfzigjährigen Bestehen des „Hessischen Jahrbuchs für Landes-geschichte“ im September 1999.

Die Bibliotheksbestände des Landesamtes und der Forschungs-stelle für geschichtliche Landeskunde Mitteldeutschlands sind kata-logmäßig erfasst. In den Räumlichkeiten der Bibliothek des Fach-gebiets aufgestellt, sind sie über diese für Forschung und Lehre be-nutzbar. Thematische Schwerpunkte beider Sammlungen bilden dieLandes- und Ortsgeschichte. Besonders hervorzuheben sind die zahl-reichen landes- und regionalgeschichtlichen Zeitschriften und Publi-kationsreihen, die zu einem großen Teil im Austausch mit den heraus-gebenden Institutionen erworben werden. Durch die Einbindung indie universitäre Institutsbibliothek sind beide Bibliotheken für Benut-zer öffentlich zugänglich und über die elektronischen Kataloge desHessischen Bibliotheksverbundes (HEBIS) erschlossen.

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Literaturhinweise

Ulrich REULING: Von der „Atlaswerkstatt“ zur Landesbehörde. Das Hessi-sche Landesamt für geschichtliche Landeskunde in Marburg in seiner in-stitutionellen und forschungsgeschichtlichen Entwicklung. In: HundertJahre Historische Kommission für Hessen 1897-1997, hg. von W. HEINE-MEYER, Marburg 1997, Bd. 2, S. 1169-1203.

Friedrich UHLHORN: Der geschichtliche Atlas von Hessen. Planung und Ge-staltung. In: Hess. Jahrbuch für Landesgeschichte 23 (1973), S. 62-80. – FredSCHWIND (Hg.): Geschichtlicher Atlas von Hessen. Text- und Erläute-rungsband, 1984. – Ursula BRAASCH- SCHWERSMANN / Holger Th.GRÄF: The Historic Town Atlas of Hesse (Hessischer Städteatlas). In:Urban History Newsletter 24, 1998, S. 7f. – U. REULING, Der hessischeRaum als „Geschichtslandschaft“: Die Entwicklung der historischenRaumvorstellungen im Spiegel der hessischen Atlasunternehmen. In:Hess. Jahrbuch für Landesgeschichte 34, 1984, S. 163-192.

U. REULING, Auf der Suche nach der angemessenen Konzeption und Form:Die Arbeit an regionalen Historischen Ortslexika in Deutschland seit demausgehenden 19. Jh. In: Blätter für deutsche Landesgeschichte 127, 1991, S. 47-64. – Herbert WOLF, Hessische Flurnamensammlung. Ein Tagungs-bericht. In: Hess. Jahrbuch für Landesgeschichte 14, 1964, S. 345-354.

Niklot KLÜSSENDORF, Die Münzfundpflege im Lande Hessen. Eine Ein-führung in Aufgaben und Arbeitsweise, 2. ergänzte Aufl. 1993. – Münz-fundberichte des Hessischen Landesamtes für geschichtliche Landes-kunde, bearb. von Wolfgang HESS (bis 1980) bzw. N. KLÜSSENDORF: Nr. 1 (1954-1975) = Hess. Jahrbuch für Landesgeschichte 25, 1975, S. 148-222; Nr. 2-8 in: Fundberichte aus Hessen 15ff, 1975ff; zuletzt: Nr. 8 (1991 bis 1996), Fundberichte aus Hessen 36, 1996. Die Berichte sind über dasLandesamt für Denkmalpflege Hessen, Wiesbaden, auch als selbständigeSchriften beziehbar.

Michael GOCKEL: Die Anfänge des „Mitteldeutschen Arbeitskreises“ undder „Forschungsstelle für geschichtliche Landeskunde Mitteldeutsch-lands“. In: Neues Archiv für sächsische Geschichte 64, 1993, S. 223-232.

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Kirchliche Archive und Kirchengeschichte

Dr. Bettina Wischhöfer, Landeskirchliches Archiv der Evangelischen Kirchevon Kurhessen-Waldeck, Kassel

Die kirchlichen Archive in Deutschland haben sich gerade in den letz-ten Jahrzehnten zu wichtigen Stätten der Forschung entwickelt. Diesgilt sowohl für die katholischen Diözesanarchive als auch für die Lan-deskirchlichen Archive im evangelischen Bereich. Sie nehmen an derkirchengeschichtlichen Forschung teil. Nicht wenige geben eigenewissenschaftliche Reihen heraus oder treten mit Ausstellungen undAusstellungskatalogen an eine breitere Öffentlichkeit.

Fünf Kirchenarchive verwahren, sichern und erschließen hessischeGeschichte. Dies sind das Zentralarchiv der Evangelischen Kirche inHessen und Nassau in Darmstadt und das Landeskirchliche ArchivKassel der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck sowie aufkatholischer Seite das Bistumsarchiv Fulda, das Diözesanarchiv Lim-burg und das Dom- und Diözesanarchiv Mainz.

An der hessischen Landesgeschichtsforschung maßgeblich beteiligtsind auch die Hessische Kirchengeschichtliche Vereinigung und dieGesellschaft für mittelrheinische Kirchengeschichte. Die kirchenge-schichtlichen Vereine stellen sich die Aufgabe, die Kenntnisse der lo-kalen und regionalen geschichtlichen Vorgänge zu vertiefen, um mit-zuhelfen, die eigene kirchliche Tradition deutlicher zu erkennen.Gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts bildeten sich kirchenge-schichtliche Vereinigungen zur Pflege der heimischen Kirchenge-schichte. Sie gehören zu den freiwilligen Initiativen, die sich damalsum die kirchliche Neubelebung bemühten.

Die 1949 gegründete Hessische Kirchengeschichtliche Vereinigung(HKV) gibt als wissenschaftliche Publikation neben dem „Jahrbuchder Hessischen Kirchengeschichtlichen Vereinigung“ eine Reihe„Quellen und Studien zur hessischen Kirchengeschichte“ heraus undorganisiert in ihren Jahreshauptversammlungen Tagungen zur hessi-schen Kirchengeschichte. Die in Bischofsheim bei Mainz ins Leben ge-rufene HKV setzt die Tradition der 1901 in Friedberg gegründeten Ver-

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einigung für hessische Kirchengeschichte fort. Ihr Sitz ist Darmstadt. Bis1949 beschränkte sich die zunächst für das Großherzogtum Hessenbegründete Vereinigung auf den Bereich der Evangelischen Landes-kirche in Hessen und Nassau. Bei der ersten Hauptversammlung derVereinigung nach dem Zweiten Weltkrieg wurde beschlossen, die Ar-beit auch auf den Bereich der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck auszudehnen. Seitdem ist die HKV eine der wenigen Institu-tionen, die das Gebiet beider hessischer Kirchen umfasst.

Die Kommission für Neuere Geschichte der Evangelischen Kirche vonKurhessen-Waldeck wurde 1998 ins Leben gerufen. Ihre Aufgabe ist es,die Erforschung der neueren Geschichte der Evangelischen Kirchevon Kurhessen-Waldeck zu fördern. Dies geschieht durch die Veröf-fentlichung von Quelleneditionen und wissenschaftlichen Darstellun-gen sowie durch Vortragsveranstaltungen.

Die 1948 gegründete Gesellschaft für mittelrheinische Kirchengeschichteist ein Gemeinschaftswerk der Kirchenhistoriker und Freunde derKirchengeschichte in den Bistümern Fulda, Limburg, Mainz, Speyerund Trier zur wissenschaftlichen Pflege der regionalen Kirchenge-schichte. Sie veröffentlicht neben der seit 1954 erscheinenden Schrif-tenreihe „Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchen-geschichte“ seit 1950 jährlich eine eigene Zeitschrift, das „Archiv fürmittelrheinische Kirchengeschichte“. Sie behandelt die Geschichte derfünf Bistümer sowie die kirchliche Denkmalpflege. Vorläufer warendie 1883 begründeten „Geschichtsblätter für mittelrheinische Bisthü-mer“, an denen damals die Bistümer Mainz, Trier und Limburg betei-ligt waren. Die Gründung lag später als bei den territorialgeschichtli-chen Zeitschriften, die von den historischen Vereinen bereits im Ver-lauf der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ins Leben gerufen wurden.Die Geschichtsblätter hatten keine lange Lebensdauer und musstenihr Erscheinen bereits 1885 wieder einstellen.

Kirchengesetze regeln den Umgang der Kirchenarchive mit ihremArchivgut. Entsprechend der Struktur der katholischen Kirche ge-schieht dies auf katholischer Seite zentral, während auf evangelischerSeite jede Landeskirche ihre Angelegenheiten eigenständig regelt.Beide Seiten verfügen mit der Bundeskonferenz bzw. dem Verbandkirchlicher Archive über Einrichtungen, die bundesweit agieren.

Für die Archive der katholischen Kirche gelten die Bestimmungender Deutschen Bischofskonferenz. Ihre Empfehlungen zum Archiv-wesen erlangen, nachdem sie von den einzelnen Bischöfen für ihre

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Diözesen promulgiert worden sind, Rechtskraft für diese Diözesen, soetwa die „Anordnung über die Sicherung und Nutzung der Archiveder Katholischen Kirche“ von 1988. Die Bundeskonferenz der kirchlichenArchive in Deutschland beschäftigt sich kontinuierlich mit Fragen desArchivwesens. Der Vorsitzende der Bundeskonferenz vertritt diekirchlichen Archive in der Kommission für Wissenschaft und Kultur, diefür das Archivwesen der katholischen Kirche auf überdiözesanerEbene zuständig ist. Die 1983 begründete Bundeskonferenz erfüllt alsübergeordneter Zusammenschluss aller Bistumsarchive beratendeund koordinierende Aufgaben.

Die landeskirchlichen Archive der evangelischen Kirche sind an diejeweiligen Archivgesetze ihrer Landeskirchen gebunden. So gilt fürkirchliche Archive im Bereich der Landeskirche Hessen und Nassaudas Kirchenarchivgesetz der EKHN von 1984, während für kirchlicheArchive in Kurhessen-Waldeck das Archivgesetz der EKKW aus demJahr 1997 verbindlich ist. Der Verband kirchlicher Archive in der Arbeits-gemeinschaft der Archive und Bibliotheken in der evangelischen Kirche, 1936als Arbeitsgemeinschaft landeskirchlicher Archivare gegründet und1961 im Rahmen der EKD institutionalisiert, erfüllt Aufgaben, die voneinzelnen kirchlichen Archiven nicht geleistet werden können, soetwa die Diskussion von Grundsatzfragen in Archivrecht, -technikund EDV.

Bistumsarchiv Fulda: Die Archivbestände umfassen 650 Urkundenund 1.000 Meter Akten und Amtsbücher. Die frühere ReichsabteiFulda war 1752 zum Fürstbistum erhoben worden. Mit der Säkulari-sierung von 1802/03 wurde das fürstbischöfliche Territorium Teil desFürstentums Oranien-Nassau, wurde 1806 französisch, kam 1810 zumrheinbündischen Großherzogtum Frankfurt und 1815 schließlich zumwiederhergestellten Kurfürstentum Hessen. Fulda selbst blieb Bi-schofssitz (für ganz Kurhessen). Durch das Konkordat von 1929 wur-den eine Reihe nach Frankfurt eingemeindeter Orte dem Bistum Lim-burg, die Exklave Grafschaft Schaumburg der Diözese Hildesheim zu-geteilt. Die Bestände der weltlichen Verwaltung des Fürstbistums undzu großen Teilen auch der kirchlichen Verwaltung für Reichsabtei,Fürstbistum und napoleonische Zeit kamen im Laufe des 19. Jahrhun-derts ins Staatsarchiv Marburg.

Diözesanarchiv Limburg: Die Archivbestände umfassen knapp 100Urkunden, 400 Meter Akten und 340 Meter Amtsbücher. Mit der In-besitznahme der rechtsrheinischen Gebiete durch das revolutionäre

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Frankreich 1794 hatte der Erzbischof von Trier das dortige Generalvi-kariat nach Limburg verlegt. 1827 wurde das Bistum Limburg im Rah-men der Oberrheinischen Kirchenprovinz neu aus Teilen der früherenErzbistümer Trier und Mainz sowie aus einem kleineren Teil des Erz-bistums Köln und aus diözesanfreien Pfarreien gebildet. Es umfassteaus dem rechtsrheinischen Teil des ehemaligen Erzbistums Trier unddem rechtsrheinischen Teil von Mainz alle Pfarreien des HerzogtumsNassau und der Freien Stadt Frankfurt. 1884 kamen der Kreis Bieden-kopf und das Amt Homburg von Mainz, 1929 und 1933 weitere Stadt-teile von Frankfurt und der Kreis Wetzlar hinzu. Im Gefolge der Sä-kularisation wurden die Bestände des Archidiakonats Dietkirchenund des St. Georgstiftes in Limburg von der Herzoglichen Regierungübernommen und befinden sich heute im Hessischen Hauptstaats-archiv Wiesbaden.

Dom- und Diözesanarchiv Mainz: Die Archivbestände umfassen 900Urkunden und 1.000 Meter Amtsbücher und Akten. Die „hessische“Geschichte des Erzbistums Mainz ist zu umfangreich, als dass sie andieser Stelle auch nur annähernd befriedigend skizziert werden kann.Es soll der Hinweis reichen, dass die Machtstellung der Mainzer Erz-bischöfe im hessischen Raum, vor allem im Mittelalter und in derfrühen Neuzeit, bedeutend war. Zeugnisse dieser Entwicklung findensich u.a. in den Beständen „Hessisches Bistum Mainz“. Als Folge derWirren der Französischen Revolution befindet sich der Hauptanteildes alten Mainzer Archivs heute im Staatsarchiv Würzburg und imÖsterreichischen Staatsarchiv in Wien. Nach dem Pertinenzprinzipgelangten die übrigen Teile in die Staatsarchive Darmstadt, Wiesba-den, Marburg, Karlsruhe und Magdeburg.

Zentralarchiv der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau: Die Ar-chivbestände umfassen gut 500 Urkunden, etwa 2.200 Meter Aktenund Amtsbücher und eine Fotosammlung. Das Archivgut des Zen-tralarchivs umfasst im wesentlichen Schriftgut zentraler und mittlererInstanzen der 1947 begründeten „Evangelischen Kirche in Hessen undNassau“ sowie Bestände ihrer Vorgängerkirchen. Daneben werdenbegleitende Sammlungen angelegt und Nachlässe kirchlicher Persön-lichkeiten (Nachlass Martin Niemöller) sowie im Bedarfsfall auchPfarrarchive als Deposita übernommen. Das Archivgut kirchlicherOberbehörden der nassauischen Territorien bis etwa 1866 wird imHessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden verwahrt. Entsprechendesgilt für kirchliches Archivgut der ehemals hessen-darmstädtischen

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Gebietsteile, das, soweit erhalten, bis etwa 1850 im Hessischen Staats-archiv Darmstadt liegt. Schriftgut über kirchliche Angelegenheitender Reichs- bzw. späteren Freien Stadt Frankfurt am Main bis in dieerste Hälfte des 19. Jahrhunderts befindet sich, soweit nicht im Zwei-ten Weltkrieg vernichtet, im heutigen Institut für StadtgeschichteFrankfurt am Main.

Landeskirchliches Archiv Kassel: Die Archivbestände umfassen 650Meter Akten und Amtsbücher. Neben Schriftgut der Konsistorien Kas-sel, Marburg, Hanau (seit 1873 Gesamtkonsistorium Kassel) und desKonsistoriums Waldeck werden die Bestände der Evangelischen Kir-che in Hessen-Kassel (1924-1934) und der Evangelischen Kirche vonKurhessen-Waldeck (seit 1934) verwahrt. Ein Teil der Konsistorialbe-stände lagert im Staatsarchiv Marburg. Als Deposita werden Pfarr- undDekanatsarchive wie auch das Archiv des Hessischen Diakonissenhau-ses in Kassel aufbewahrt. Nachlässe kirchlicher Persönlichkeiten undSammlungen (Sammlung Kirchenkampf) komplettieren die Bestände.

In allen kirchlichen Archiven finden sich Kirchenbücher, die Auf-schluss geben über die zentralen christlichen Lebenspunkte wie Ge-burt/Taufe, Kommunion/Konfirmation, Heirat, Tod. Für Familien-forscher sind diese Quellen von besonderer Anziehungskraft. Um die-ses vielbenutzte Archivgut für die Nachwelt zu erhalten, findet seitJahren auf katholischer wie auf evangelischer Seite die Kirchenbuch-verfilmung statt. Nach Abschluss der Verfilmung werden die Origi-nale in aller Regel nicht mehr verwendet, sondern als Microfiches zurBenutzung vorgelegt.

Literaturhinweise

Handbuch des kirchlichen Archivwesens I, Die zentralen Archive in der evan-gelischen Kirche , hg. von Hans OTTE (= Veröffentlichungen der Arbeits-gemeinschaft der Archive und Bibliotheken in der evangelischen Kirche3). Neustadt an der Aisch 1997.

Bettina WISCHHÖFER: Landeskirchliches Archiv Kassel. Kassel 1997.Hans AMMERICH: Die Bistumsgeschichtsvereine und die Bistumsarchive. In:

Der Archivar 51, 1998, Sp. 71-80.Führer durch die Bistumsarchive der katholischen Kirche in Deutschland, hg.

von der Bundeskonferenz der kirchlichen Archive in Deutschland. 2. erw.Auflage, Siegburg 1991.

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Karl DIENST: Aus der Geschichte der Hessischen kirchengeschichtlichen Ver-einigung. Vorabdruck zu: Jahrbuch der Hess. Kirchengeschichtl. Vereini-gung 50, 1999, S. 1-64 – Satzung der Hessischen KirchengeschichtlichenVereinigung (Fassung 1999).

Martina KNICHEL, Die Gesellschaft für mittelrheinische Kirchengeschichte.Geschichte ihres 50jährigen Bestehens (= Quellen und Abhandlungen zurmittelrheinischen Kirchengeschichte 85). Mainz 1998.

Internet: www.archive.hessen.de; www.ekkw.de/archiv.

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Archive der Wirtschaft

Dr. Ulrich Eisenbach, Hessisches Wirtschaftsarchiv e.V., Darmstadt

Während staatliche, kirchliche und kommunale Archive zum Teil aufeine jahrhundertelange Tradition zurückblicken können, sind Archiveder privaten Wirtschaft, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen,zumeist Gründungen des 20. Jahrhunderts, ja überwiegend sogar derletzten Jahrzehnte. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Eine Ursachewar sicherlich die Interessenlage der Geschichtswissenschaft, die sichbis zum ausgehenden 19. Jahrhundert vornehmlich mit den soge-nannten Haupt- und Staatsaktionen, also der politischen und militäri-schen Geschichte beschäftigte. Wirtschaftsgeschichte oder gar Unter-nehmensgeschichte blieben exotische Randgebiete, die von der Öf-fentlichkeit kaum wahrgenommen wurden. Erst unter dem Eindruckder Umwälzungen durch die industrielle Revolution, die im letztenDrittel des 19. Jahrhunderts große Teile Deutschlands erfasste undauch den politischen Bereich zunehmend beeinflusste, wandte sichdas Interesse allmählich der Wirtschaftsgeschichte zu. Auf die Erfah-rungen in staatlichen und kommunalen Archiven, deren Unterlagenoft nur unbefriedigende Antworten auf wirtschaftsgeschichtliche Fra-gen lieferten, reagierten im Besonderen die Vertreter der jüngeren His-torischen Schule der Nationalökonomie, allen voran Gustav Schmol-ler, und Wirtschaftshistoriker wie Karl Lamprecht. Ihnen gebührt dasVerdienst, Wirtschaftsgeschichte als universitären Forschungs- undLehrgegenstand etabliert zu haben.

Weitere Impulse für die Einrichtung spezieller Unternehmensar-chive gingen von den Großunternehmen aus, die gegen Ende des 19.Jahrhunderts, zuerst im Bereich der Montan- und Schwerindustrie inDeutschland entstanden. Bei ihnen führte die Ausweitung der Ge-schäftstätigkeit zu einem derartigen Anwachsen der Registraturen,dass sich daraus automatisch ein Bedürfnis nach der Zusammen-führung der historischen Quellenzeugnisse in eigenen Archiven ent-wickelte. Im Vordergrund stand dabei nicht so sehr der Wunsch, daseigene Handeln der Nachwelt zu überliefern, sondern der Gedanke

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der Rechtssicherung und Rechtswahrung, den bereits Jakob Fuggermit seiner Definition der Archive als „Rüstkammern für Beweismit-tel“ prägnant formuliert hatte.

Den äußeren Anstoß für die Gründung von Firmenarchiven gabenmeist Firmenjubiläen. So entstand in der Vorbereitungsphase zum1912 anstehenden 100-jährigen Jubiläum der Firma Krupp 1905 inEssen das wohl erste, heute noch existierende Unternehmensarchiv inDeutschland. Zwei Jahre jünger sind die Unternehmensarchive vonSiemens in Berlin (heute München) und der Farbenfabriken von Bayerin Leverkusen. Bereits 1906 hatte in Köln das Rheinisch-WestfälischeWirtschaftsarchiv – eine Gründung der Handelskammern der preußi-schen Provinzen Rheinland und Westfalen – als erstes regionales,überbetriebliches Wirtschaftsarchiv seine Arbeit aufgenommen. Eben-falls 1906 richtete die Handelskammer Leipzig das „Archiv für Wirt-schaftsgeschichte Leipzigs“ ein, das allerdings ebenso wenig wie dasim gleichen Jahr in Saarbrücken aus der Taufe gehobene Südwest-deutsche Wirtschaftsarchiv von dauerhaftem Bestand sein sollte.

Hessen, das bekanntermaßen bei der Industrialisierung keine Vor-reiterrolle spielte, hinkte auch bei der Entwicklung der Unterneh-mensarchive hinterher. Einzig und allein das ChemieunternehmenMerck in Darmstadt darf sich zu dem kleinen Kreis derjenigen Unter-nehmen zählen, die bereits vor dem Ersten Weltkrieg ein eigenes Ar-chiv ins Leben gerufen haben. Das Merck-Archiv existierte seit etwa1905, zunächst jedoch nicht als typisches Unternehmensarchiv, son-dern eher als genealogisch orientiertes Familienarchiv. Erst Ende der1970er Jahre erfolgte eine Schwerpunktverlagerung hin zur Unterneh-mensgeschichte.

Alle übrigen heute in Hessen bestehenden Unternehmensarchivekönnen bestenfalls auf eine 30 bis 40-jährige Geschichte zurückblicken.Die meisten sind erst in den vergangenen zehn Jahren gegründet wor-den. In jüngster Zeit ist bei einigen Unternehmen ein vorsichtigerTrend zur Neubewertung des historischen Erbes zu erkennen, das ins-besondere in den beiden ersten Nachkriegsjahrzehnten sehr stiefmüt-terlich behandelt wurde. Gleichwohl muss konstatiert werden, dass esgemessen an der Zahl der traditionsreichen Unternehmen in Hessenviel zu wenig Unternehmensarchive gibt – sofern man darunter nichtlediglich eine Ansammlung von Altakten, sondern eine Einrichtungmit gewissen Mindestanforderungen wie Betreuung durch einenhauptamtlichen Archivar und regelmäßige Bewertung des ausgeson-

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derten Registraturguts versteht. Vor allem außerhalb Frankfurts unddes Rhein-Main-Gebietes ist das Netz der Unternehmensarchive nachwie vor sehr weitmaschig.

Die in Frankfurt ansässigen Großbanken verfügen inzwischen fastalle über eigene, fachlich geführte Archive. An erster Stelle zu nennenist hier das Historische Institut der Deutsche Bank AG, das mit ca.5.000 lfm Akten und Geschäftsbüchern den umfangreichsten Bestandverwaltet. Darin findet sich nicht nur die Überlieferung des eigenenUnternehmens, sondern auch die der Disconto-Gesellschaft, Berlin,des A. Schaafhausen’schen Bankvereins, Köln, sowie anderer Bankin-stitute, die in der Deutsche Bank AG aufgegangen sind. Weniger um-fangreich, aber zeitlich weiter zurückreichend ist das Archiv der Com-merzbank AG, das u.a. auch die Überlieferung der MitteldeutschenCreditbank enthält. Die 1948 gegründete Kreditanstalt für Wiederauf-bau hat erst vor einigen Jahren ein Archiv eingerichtet, und die Ar-chive der Dresdner Bank AG und der Deutschen Genossenschafts-bank sind noch im Aufbau begriffen. Im Zusammenhang mit denFrankfurter Banken muss auch das Historische Archiv der DeutschenBundesbank erwähnt werden, dem neben einer ca. 170.000 Bändezählenden Bibliothek und einer Pressedokumentation mit ca. 6 Mio.Zeitungsausschnitten seit 1999 auch ein Geldmuseum angeschlossenist. Weniger günstig sieht es bei den hessischen Privatbanken, Genos-senschaftsbanken und Sparkassen aus. Als einzige in dieser Gruppebesitzt die Sparkasse Wetterau in Friedberg ein eigenes Archiv.

Die chemische Industrie ist mit drei bedeutenden Unternehmens-archiven vertreten. Außer dem bereits oben erwähnten Archiv derMerck KGaA in Darmstadt sind dies die Archive der Hoechst AG undder Degussa-Hüls AG, die beide in Frankfurt a.M. angesiedelt sind.Vor allem das Archiv der Hoechst AG, 1955 gegründet und inzwi-schen unter der Firma HistoCom GmbH eine selbständige Gesell-schaft, zählt aufgrund des Umfangs seiner Bestände (ca. 9.000 lfmAkten und Geschäftsbücher) und der Bedeutung des Unternehmenszu den wichtigsten Unternehmensarchiven in Deutschland. Währendin der Zentrale am Stammsitz in Frankfurt-Höchst die Aktenbeständedes Konzerns und der Chemischen Fabrik Griesheim verwahrt wer-den, sind die historischen Unterlagen der angegliederten Unterneh-men wie Kalle & Co., Chemische Werke Albert, Behringwerke AG undNaphtol-Chemie Offenbach am jeweiligen Standort verblieben undwerden von Höchst aus dezentral betreut.

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Abgesehen von Frankfurt am Main verdienen vor allem Darmstadtund Wiesbaden als Standorte von Unternehmensarchiven Erwäh-nung. In Darmstadt unterhält neben der Merck KGaA auch die WellaAG ein eigenes Archiv, dem eine umfangreiche Sammlung von Ge-genständen aus der Geschichte der Haarpflege angegliedert ist. Über-haupt gehört es zum Charakteristikum von Unternehmensarchiven,dass sie neben ihren Aktenbeständen oft mehr oder weniger umfang-reiche Objektsammlungen oder gar regelrechte Firmenmuseen be-treuen. In Wiesbaden verfügen die traditionsreichen UnternehmenDyckerhoff AG und Henkell & Söhnlein Sektkellereien KG über ei-gene Archive. Dazu kommen außerhalb des Rhein-Main-Gebiets dieArchive der Buderus AG in Wetzlar und (seit 1998) der B. Braun Mel-sungen AG in Melsungen. Firmenübergreifend und nicht auf Hessenbeschränkt sammelt das Archiv des Börsenvereins des DeutschenBuchhandels e.V. mit Sitz in Frankfurt am Main Dokumente zur Ge-schichte des Buchhandels und des Verlagswesens. U.a. wird dort auchdas Firmenarchiv des Verlags Karl Robert Langewiesche in König-stein/Ts. verwahrt.

Neben diesen fachlich geführten und von hauptamtlichen Mitar-beitern betreuten Unternehmensarchiven gibt es eine Reihe von Un-ternehmen, die ihre historischen Unterlagen nebenamtlich (meist vonMitarbeitern der Abteilung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit) odervon ehrenamtlichen Kräften (häufig ausgeschiedene, geschichtlich in-teressierte Mitarbeiter) verwalten lassen. Zwar fehlt es in diesen Fäl-len häufig an geeigneten Kräften und der nötigen Kontinuität, da esoft schwer fällt, geeignete Nachfolger zu finden, doch werden damitwertvolle Archivbestände wenigstens für den Augenblick vor der Ver-nichtung bewahrt. Ehren- oder nebenamtlich geführte Unterneh-mensarchive gibt es u.a. bei der Binding Brauerei AG in Frankfurt, derHensoldt AG Optische Werke in Wetzlar, der Leica GmbH, ebenfallsWetzlar, der Mineralbrunnen Gebrüder Appel KG, der Röhm GmbHChemische Fabrik in Darmstadt und der Veritas AG in Gelnhausen.

Die Einrichtung und Unterhaltung eines Archivs – sei es in neben-oder hauptamtlicher Form – ist bei realistischer Einschätzung nur dengrößeren Unternehmen möglich. Die wenigsten kleinen oder mittel-ständischen Unternehmen sehen sich in der Lage, die personellen, fi-nanziellen oder räumlichen Voraussetzungen für ein eigenes Archivzu schaffen. Für sie bietet sich die Abgabe ihrer historischen Unterla-gen an das Hessische Wirtschaftsarchiv in Darmstadt an.

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Das Hessische Wirtschaftsarchiv ist 1992 von den hessischen Indu-strie- und Handelskammern als gemeinnütziger Verein gegründetworden. Es hat seinen Sitz im Haus der Geschichte in Darmstadt, woihm vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst Ar-beitsräume und ein Magazin zur Verfügung gestellt werden. Die Auf-gabe des Hessischen Wirtschaftsarchivs besteht darin, archivwürdigeDokumente aus dem Hessischen Wirtschaftsleben, vor allem ausKammern, Unternehmen und Verbänden, dauerhaft zu sichern, zu er-schließen und der Forschung zugänglich zu machen. Darüber hinaussoll es durch Publikationen und Ausstellungen dazu beitragen, das In-teresse an regionaler Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte zuwecken und entsprechende Forschungen anzustoßen. Bei der Durch-führung dieser Aufgabe erhält es Unterstützung von einem wissen-schaftlichen Beirat, dem die drei Direktoren der hessischen Staatsar-chive und die Inhaber wirtschafts- und technikgeschichtlicher Lehr-stühle an hessischen Universitäten angehören. Der wissenschaftlicheBeirat gibt die Reihe „Schriften zur hessischen Wirtschafts- und Un-ternehmensgeschichte“ heraus, von der bis 1999 vier Bände erschie-nen sind.

Knapp die Hälfte des ca. 3.500 lfm umfassenden Aktenbestandes imHessischen Wirtschaftsarchiv entfällt auf die Überlieferung der Indu-strie- und Handelskammern. Bei den dort angefallenen Geschäftsun-terlagen handelt es sich um öffentliches Schriftgut, das unter Berück-sichtigung der im Hessischen Archivgesetz vorgesehenen Schutzfri-sten zu Forschungszwecken eingesehen werden darf. Anders verhältes sich bei den 60 Firmenarchiven, die bis 1999 ins Hessische Wirt-schaftsarchiv gelangt sind. Sofern es sich nicht um Übernahmen ausKonkursen handelt, sind die Eigentums- und Verfügungsrechte beiden Unternehmen verblieben, die im Einzelfall die Einsichtnahme inihre Unterlagen verwehren können. Es sei jedoch darauf hingewiesen,dass von diesem Recht kaum Gebrauch gemacht wird.

Zu den wichtigsten Unternehmensbeständen im Hessischen Wirt-schaftsarchiv zählt das Archiv der Metallgesellschaft. Mit seinen Teil-beständen „Metallgesellschaft, Konzern“, „Vereinigte Deutsche Me-tallwerke“, dem Nachlass von Richard Merton und den Unterlagendes Instituts für Gemeinwohl hat es einen Umfang von ca. 400 lfm.Ähnlich umfangreich ist die Überlieferung der Deutsche Börse AG mitTausenden von Börsenzulassungsakten, die bis in die 1860er Jahrezurückreichen und neben wichtigen Informationen über die an der

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Frankfurter Börse zugelassenen Aktiengesellschaften oft auch Mustervon Wertpapieren enthalten. Gut dokumentiert ist die Geschichte derGießerei- und Ofenindustrie an Lahn und Dill mit den Archiven derFrank Aktiengesellschaft in Niederscheld bei Dillenburg, der Neu-hoffnungshütte Haas + Sohn in Sinn und der WESO Aurorahütte beiGladenbach, des Braunkohlenbergbaus in der Wetterau und bei Bor-ken sowie der Kaliindustrie in Heringen, Neuhof b. Fulda und Phi-lippsthal. Der Maschinenbau ist mit den Firmenarchiven der SchieleGmbH in Frankfurt-Bockenheim bzw. Eschborn, der Deutsche Verei-nigte Schuhmaschinen GmbH in Frankfurt a.M., der Rheinhütte Lud-wig Beck in Wiesbaden-Biebrich und der Maschinenfabrik TheodorOhl in Limburg, die Straßenbaumaschinen herstellen, vertreten. Zuden ältesten Aktenbeständen im Hessischen Wirtschaftsarchiv zählendie Unterlagen der Isabellenhütte Heusler KG in Dillenburg – eineKupferhütte, die bis ca. 1860 auch Kupfer- und Manganerzbergbau be-trieb – und der L. Schellenberg’schen Hofbuchdruckerei in Wiesba-den, deren Druckerzeugnisse seit dem frühen 19. Jahrhundert nahezuvollständig erhalten sind.

Neben dem Schriftgut aus Industrie- und Handelskammern, Ver-bänden und Unternehmen verfügt das Hessische Wirtschaftsarchivüber eine wirtschaftsgeschichtliche Fachbibliothek mit einer umfang-reichen Sammlung von Firmenfestschriften. Darüber hinaus gibt eineschnell wachsende Fotosammlung, die mehr als 7.000 verzeichneteund mehrere Tausend unverzeichnete Fotos (Stand November 1999)enthält. Hingewiesen sei auch auf die Sammlung von Inflations- undNotgeldscheinen, die Sammlung von Reklamemarken hessischer Un-ternehmen und die Ansichtskartensammlung mit Motiven aus derhessischen Wirtschafts- und Verkehrsgeschichte.

Die Übersicht über hessische Wirtschafts- und Unternehmensar-chive wäre ohne Hinweis auf einige Kommunalarchive und Mu-seumsvereine, die sich um die Sicherung und Aufbereitung von Un-ternehmensschriftgut große Verdienste erworben haben, unvollstän-dig. Vor allem gilt dies für das Institut für Stadtgeschichte in Frankfurtam Main, das seit vielen Jahren eine eigene Abteilung „Wirtschaftsar-chiv“ eingerichtet hat. Ähnlich wie das Hessische Wirtschaftsarchiv,allerdings beschränkt auf das Gebiet der Stadt Frankfurt, bietet es denUnternehmen seine Hilfe bei der Verwahrung und Erschließung derArchivalien an. Zu den vom Institut für Stadtgeschichte betreuten Un-ternehmensarchiven zählen die Archive des Bankhauses Bethmann,

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der Feinseifen- und Parfümeriefabrik J. G. Mouson und der Hartmann& Braun AG sowie die Altakten der Handelskammer Frankfurt amMain (bis 1920), die Anfang der 50er Jahre als Depositum des Hessi-schen Hauptstaatsarchivs Wiesbaden nach Frankfurt a. M. gekommensind. Das Stadtarchiv in Rüsselsheim verfügt über eine umfangreicheDokumentation zur Geschichte der Adam Opel AG, mit der die Ent-wicklung der Stadt eng verknüpft ist; das Stadtarchiv in Offenbacha.M. verwahrt die Überlieferung des Frankfurter Bankhauses Metzler.Unterlagen zum nordhessischen Braunkohlenbergbau finden sich imBergbaumuseum in Borken, Altakten der DachschiefergewerkschaftLanghecke im Bergbau- und Stadtmuseum Weilburg, Materialen überdie längst untergegangene Automobilfabrik Röhr im Heimatmuseumder Stadt Ober-Ramstadt und Dokumente aus der Geschichte der Ka-liindustrie im Werra-Kalibergbau-Museum in Heringen/Werra. Nurin Einzelfällen befinden sich ausgesprochene Firmen- oder Betriebsar-chive auch im Gewahrsam der Staatsarchive. Das gilt etwa für daswertvolle Archiv des Kasseler Privatbankhauses Pfeiffer im Staatsar-chiv Marburg oder für die mit dem Archiv der Grafen Solms-Rödel-heim nach Darmstadt gelangte Überlieferung des Braunkohlenberg-werks Ossenheim.

Die vorstehende Übersicht kann naturgemäß nicht vollständig sein.Manches Unternehmen, das sich redlich um die Pflege seines Archivsbemüht, wird seinen Namen in diesem Beitrag vergeblich suchen. Umeine größere Öffentlichkeit zu erreichen, sollte man sich mit entspre-chenden Informationen an das Hessische Wirtschaftsarchiv in Darm-stadt bzw. an die Vereinigung deutscher Wirtschaftsarchivare (c/oDetlef Krause, Commerzbank AG, ZKV-Historische Dokumentation,60261 Frankfurt a. M.) wenden, die in Hessen als Mittler zwischen derForschung und den Archiven der Wirtschaft fungieren. Auch istdavon auszugehen, dass noch in zahlreichen, hier nicht erwähntenhessischen Komunalarchiven und Museums- bzw. HeimatvereinenUnternehmensbestände existieren, die der Forschung und einer inte-ressierten Öffentlichkeit nicht bekannt sind. Hier mit einer möglichstvollständigen Übersicht Abhilfe zu schaffen, wäre sicherlich eine loh-nende und verdienstvolle Aufgabe.

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Literaturhinweise:

Evelyn KROKER / Renate KÖHNE-LINDENLAUB / Wilfried REINING-HAUS (Hg.): Handbuch für Wirtschaftsarchivare. Theorie und Praxis.München 1998.

Harald WINKEL: Wirtschaftsarchive und die Vereinigung deutscher Wirt-schaftsarchivare in ihrer Bedeutung für die Wirtschafts- und Unterneh-mensgeschichte. In: Archiv und Wirtschaft. Zeitschrift für das Archivwe-sen der Wirtschaft 18, 1985, S. 43-45.

Renate SCHWÄRZEL: Deutsche Wirtschaftsarchive. Eine statistische Betrach-tung. In: Archiv und Wirtschaft. Zeitschrift für das Archivwesen der Wirt-schaft 28, 1995, S. 101-105.

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Denkmalpflege als Geschichtspflege

Dr. Ing. Michael Neumann, Landesamt für Denkmalpflege/Außenstelle Marburg

Von den Anfängen bis zum Zweiten Weltkrieg:

Die erhaltenden Bemühungen um das bemerkenswerte Bauwerk alsGegenstand der Erinnerung waren seit jeher von dem Wunsch getra-gen, Geschichtszeugnisse sichtbar zu machen. Seit den ersten Ansät-zen staatlicher Denkmalpflege – diese reichen in Hessen bis ins späte18. Jahrhundert zurück – verstand sich die konservierende Behand-lung von Bauten und Ruinen als Pflege jener geschichtlichen Zeug-nisse, denen man – vor allen Dingen nach den napoleonischen Krie-gen – einen besonderen Stellenwert für die „vaterländische Ge-schichte“ einräumte. Für diese sogenannten „klassischen“ Denkmalewurde durch Kunstgelehrte, Architekten und Historiker der wissen-schaftliche Boden aufbereitet.

Sowohl die Erforschung des Mittelalters, als auch das Studium sei-ner Bauzeugnisse stellten nach den Befreiungskriegen eine entschei-dende Orientierungshilfe auf der Suche nach nationaler Identität darund prägten einen Denkmalbegriff, der über den edlen und schönenSchauwert hinausgehen konnte und sich zunehmend dem geschicht-lichen Zeugnischarakter von Bauten und Gegenständen eines be-stimmten Herrschaftsbereichs widmete. Die neu entstehenden Ge-schichts- und Altertumsvereine wirkten hier mit der noch schwachentwickelten Denkmalpflege zusammen. Quellenveröffentlichungenund die Herausgabe von Inventarbänden über Bau-, Boden- undKunstdenkmäler waren erste Ergebnisse der gemeinsamen Arbeit.

Erste Schutzverordnungen für Baudenkmale wurden nach 1800 infast allen mitteleuropäischen Groß- und Kleinstaaten erlassen. Dasgalt vornehmlich für jene Landesherren, die mit der Konservierungder dynastischen „Monumente“ ihrer eigenen Familie zugleich eineneue regionale Identität schaffen wollten. Die wohl älteste derartigeVerordnung im deutschsprachigen Raum erließ am 22. Dez. 1780

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Landgraf Friedrich II. von Hessen-Kassel „… zum Erhalt der imLande befindlichen Monumente und Altertümer“. Eine Vorreiterrollehatte auch die von Oberbaurat Georg Moller angeregte Verordung desDarmstädter Großherzogs Ludewig I. zur „Erhaltung der vorhande-nen Denkmäler der Baukunst“ vom 22. Jan. 1818. Mitunter wurden er-innerungswürdige Zeugnisse zur Erbauung für Volk und Nation poli-tisch gezielt und mit großem Aufwand instandgesetzt oder zu Endegebaut. Das „merkwürdige Denkmal“, zu dessen Schutz beispiels-weise König Ludwig II. von Bayern 1868 einen „Generalkonservator“einsetzte, entwickelte sich nach der Gründung des Reichs zum „Zeug-nis deutscher Geschichte“ und wurde über das Interesse einzelnerKunstgelehrter, Bildungsbürger, Landesherren und Bauschaffenderhinausgehend zum Anliegen einer breiteren Öffentlichkeit. 1892wurde Ludwig Bickell zum ersten preußischen Bezirkskonservator inKassel berufen.

Die Qualitätsmaßstäbe für Bau- und Kunstdenkmale wurden zwarimmer von politischen Ereignissen, von Modeströmungen und zeit-bedingten Schönheitsidealen mitbestimmt, sind aber besonders seitder Jahrhundertwende von forschenden Architekten und Kunstwis-senschaftlern geprägt worden, die über Quellenforschung, Bestands-aufnahme, Objekt- und Stilvergleich zu einer möglichst objektiven Bewertung zu gelangen suchten. Dennoch sollte der Denkmalschutz,der als „staatstragendes Element“ galt, im neuen Reich vornehmlichder Ehre des Kaiserhauses dienen, was trotz der anfänglich vom Idea-lismus getragenen Anfängen zu Störungen in der positiven, wissen-schaftlich orientierten Entwicklung führte.

Ruinöse Zeugnisse der Architektur wurden oft auf pseudowissen-schaftlicher Grundlage so „rekonstruiert“ wie man sich mittelalterlichArchitektur vorstellte bzw. meinte, diese interpretieren zu können.Dazu wurden viele Thesen und Antithesen formuliert, die zum Teilharte Auseinandersetzungen unter Gelehrten und Fachleuten, aberauch in der breiteren Öffentlichkeit auslösten. Der Streit um die Re-konstruktion des Ottheinrich-Baus im Heidelberger Schloss im Jahre1900 kann als Höhepunkt dieser Auseinandersetzungen und zugleichals Geburtsstunde moderner Denkmalpflege bezeichnet werden. DieDiskussion war geprägt vom aufgeklärten Geschichtssverständnisdes Kunstgelehrten Georg Dehio, der im Windschatten großer engli-schen Vorreiter wie John Ruskin und William Morris auch der deut-schen Denkmalpflege ein allgemeingültiges Selbstverständnis und

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eine Argumentationsstruktur für kommende Fragen dieser Art schaf-fen wollte und dazu ein Plädoyer für das „Konservieren“ und gegendie Vollendungssucht des 19. Jahrhunderts führte. Seine Forderung„Nicht restaurieren – wohl aber konservieren“ ist seitdem zu den amhäufigsten zitierten Leitsätzen der Denkmalpflege geworden.

In der Zwischenzeit hatte eine zunehmende Spezialisierung derLandesgeschichte wie auch der Denkmalpflege zu einer stärkeren In-stitutionalisierung geführt, was notgedrungen eine Lockerung dertraditionellen Bindungen der beiden Disziplinen bewirkte, diezunächst eine untrennbare Einheit gebildet hatten. Ihr vordem ge-meinsamer Einsatz wurde zum Teil von der um 1900 einsetzendenHeimatschutzbewegung übernommen, die sich mehr den gegen-wartsbezogenen Zielen des Bauens und der Denkmalpflege innerhalbder jeweiligen Stadt- und Kulturlandschaft widmete und sowohl derSpekulationsarchitektur, als auch dem Eklektizismus der Gründer-jahre eine pointierte Absage zugunsten einer sachlicheren regional-spezifischen Moderne erteilte. Das abermals richtungweisende „Ge-setz den Denkmalschutz betr.“ des Großherzogtums Hessen vom 16.Juli 1902 berief die „traditionalistischen“ ArchitekturprofessorenGeorg Wickop, Friedrich Pützer und Heinrich Walbe zu Provinzial-Denkmalpflegern; Walbe hatte sich vor allem um die Erforschung deshessisch-fränkischen Fachwerks verdient gemacht. 1904 wurde aufReichsebene der „Bund Heimatschutz“ gegründet, der sich verstärktder Volkskunst und somit auch der Erforschung des bäuerlichen undbürgerlichen Bauens zuwandte. In Hessen wurde nach den bereits1901 in Gießen begründeten „Hessischen Blättern für Volkskunde“1906 unter dem Protektorat des Darmstädter Großherzogs die Zeit-schrift „Hessen-Kunst / Jahrbuch für Kunst und Denkmalpflege inHessen und im Rhein-Main-Gebiet“ ins Leben gerufen.

Der erste Weltkrieg schwächte die positive Entwicklung der Denk-malpflege. Die Verbindung zu den Heimatschutzverbänden brachtezwar in den Notzeiten der Nachkriegsjahre mit Inflation und Wirt-schaftskrise eine sowohl ideell wie auch materiell breitenwirksamereAkzeptanz, brachte aber dann in den 30er Jahren eine gefährlicheNähe zur Blut- und Bodenideologie des Nationalsozialismus. Mit demstaatsideologischen Ziel, die führende Rolle des Deutschtums in derKunst nachzuweisen, war auch die staatliche Denkmalpflege gefor-dert. Ihre führenden Köpfe, die dem Nationalsozialismus vorwiegenddistanziert gegenüberstanden, konnten sich gleichwohl der großzügig

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bereitgestellten Gelder bedienen, die für die Erhaltung von sogenann-ten „völkischen“ oder vom „germanischen Wesen“ geprägten Bau-zeugnissen zur Verfügung gestellt wurden. Die Nutzung der damitgebotenen Möglichkeiten, vom Untergang bedrohte Monumente wieRathäuser, Stadtkirchen, Burgen und Dome oder stattliche Bürger-häuser instandzusetzen oder groß angelegte Fachwerk-Freilegungs-aktionen durchzuführen und die Bürger- und Bauernhausforschungwie auch die allgemeine Inventarisation der Bau- und Kunstdenk-mäler voranzutreiben, ist der staatlichen Denkmalpflege im Nach-hinein als „Vorteilsnahme“ gegenüber dem Unrechtsstaat angelastetworden. Das brachte die Denkmalpflege nach dem verlorenen Kriegin eine denkbar ungünstige Ausgangslage.

Probleme der Nachkriegszeit

Der Ausspruch des im europäischen Denkmalschutzjahr 1975 amtie-renden Bundespräsidenten, es seien nach 1945 mehr Kulturdenkmälerverlorengegangen als im Krieg selbst, umschreibt die negativen Aus-wirkungen der Nachkriegszeit auf den Städtebau, den Denkmal-schutz und die Vernachlässigung des Umweltgedankens. Zwar gab eszwischen 1945 und 1975 auch im Bereich der Denkmalpflege beachtli-che Einzelleistungen, die jedoch mehr dem Zufall, günstigen lokalpo-litischen Gegebenheiten oder dem Einsatz überzeugender Einzelper-sönlichkeiten aus Kulturleben und Denkmalpflege zu danken waren.Immer wieder war das Schicksal herausragender Zeugnisse deutscherBau- und Kunstgeschichte dem Urteil der politischen Entscheidungs-träger unterworfen, wenn Kriegsbeschädigungen zur Diskussion umden Erhalt des betreffenden Objektes führten. Das, was in den Not-jahren zwischen 1945 und dem sogenannten Wirtschaftswunder posi-tiv für den Erhalt von unverzichtbaren Denkmalen geleistet wurde, istgrößtenteils einem Kreis engagierter Kommunalpolitiker, Architek-ten, Pfarrer bzw. Kirchenvertreter und interessierten Mitgliedern derBürgerschaft zu danken, zumal fehlende Denkmalschutzgesetze durchBestimmungen in den Landesbauordnungen ersetzt wurden. DenLandesdenkmalämtern wurde keine Mitbestimmung eingeräumt.

Mit zunehmendem Wohlstand und gesteigerten Ansprüchen anden Wohnkomfort wurde die Akzeptanz denkmalpflegerischer Zieleweiter geschwächt. Im „Kielwasser“ der Stadtflucht folgte der soziale

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und bauliche Niedergang der Altstädte. Da der Denkmalpflege jegli-che finanzielle Basis fehlte und ein rechtliches Eingreifen nur möglichwar, wenn der Staat alle Unterhaltungskosten für private Kulturdenk-mäler übernahm oder bereit war, die Minderung des Marktwertesoder der Nutzungserweiterung zu vergüten, war eine erfolgverspre-chende Denkmalpflege kaum möglich. Die Rationalisierung derBauindustrie, die Entmündigung des traditionellen Handwerks, dieEntwicklung zur „Schnellverbrauchs- bzw. Wegwerfgesellschaft“, dieVision vom „pflegeleichten“ Haus ohne Bauunterhaltung und auchdie überzogenen Ansprüche eines stetig expandierenden Konsumver-haltens, aber auch verkehrsplanerische Neuordnungen, die sich inDorf und Stadt oft wie kriegsbedingte Zerstörungen auswirkten: Alldies war charakteristisch für die geschichtsfernen 60er und 70er Jahre.

Es bedurfte schockartiger Aktionen, um den ständig steigendenVerlust historischer Zeugnisse ins öffentliche Bewusstsein zu bringen.Der Protestbewegung einer frustrierten jungen Generation, die sichunter anderem durch Hausbesetzungen Gehör verschaffte, folgte seitBeginn der 70er Jahre eine Politisierung des Denkmal- und Umwelt-gedankens. Im Windschatten der Studentenbewegung bildeten sichneue Bürgerinitiativen, in denen auch der einzelne Bürger die Mög-lichkeit sah, gegen staatliche Obrigkeit und kommunale Planungspro-zesse aufzubegehren. Das Gewahrwerden der Unwirtlichkeit unsererStädte durch Bevölkerungsentleerung und der Kommerzialisierungder letzten historischen Rückzugsgebiete, die Überformung der Restenoch ungestörter städtebaulicher Normalität, die Auswertung sozio-logischer Studien über die Lebensverhältnisse in den verdichteten Tra-bantenstädten: All dies führte letztendlich zu jener hochexplosivenStimmung, die sich im europäischen Denkmalschutzjahr 1975 positiventladen konnte und auch jene Politiker, die der „Vergangenheit keineZukunft“ zubiIligen wollten, zum Umdenken, zu neuem politischemHandeln, im Sinne des Denkmalschutzgedankens brachte.

Denkmalpflege heute

Der Umdenkungsprozess ebnete den Weg zu einem neuen Denkmal-schutzdenken und brachte der modernen Denkmalpflege auch in Hes-sen eine heute noch gültige Akzeptanz als Träger öffentlicher Belange.Die Auseinandersetzung des Denkmalpflegers mit dem Alltag machte

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damals einen neuen Anfang, u.a. in der wissenschaftlichen Beschäfti-gung mit einem bislang diskriminierten Zeitabschnitt deutscher Bau-geschichte: der Zeit zwischen l850 und 1914. Die Entdeckung des His-torismus als Zeugnis einer von Industrialisierung und Kaiserreich ge-prägten Lebensform wurde von Kunstwissenschaftlern und Kulturhis-torikern in einer Flut von Dissertationen, Publikationen, Aufsätzenund Vorträgen aufbereitet, gewürdigt und zur Anerkennung gebracht.Die Qualität der Gründerzeitviertel, die in den Randzonen der Städtevielfach von den Bomben des Zweiten Weltkrieges verschont geblie-ben waren, haben die Diskussion um den Ensembleschutz, die Identi-fikation mit den Quartieren, mit dem Wohnort oder heimatlichenStandort in Gang gebracht. Im Verlauf der zweiten Hälfte der 70erJahre erreichte die Gesamtanlage – das Ensemble – in den westlichenBundesländern endlich seine denkmalrechtliche Anerkennung.

Seit dieser Zeit ist durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit und die Ein-wirkungsmöglichkeit auf politische Entscheidungsträger der Ge-danke des Denkmalschutzes in die Landesregierungen und den Bun-destag getragen worden. Das hat zur Verabschiedung neuer Gesetzegeführt, die die Belange des Denkmalschutzes fördern und durch fi-nanzielle Erleichterungen – besonders aber durch steuerliche Vergün-stigungen – einen Anreiz für die Besitzer von Denkmalen bieten. Dashessische „Gesetz zum Schutze der Kulturdenkmäler (Denkmal-schutzgesetz)“ erging am 23. Sept. 1974. Hohe finanzielle Förderun-gen für die Instandsetzung und Modernisierung von Baudenkmalenkonnten auf der Basis des bereits 1971 in Kraft getretenen Städte-bauförderungsgesetzes jenen Kommunen angeboten werden, die ihreAltstädte reaktivieren und zu qualitativ hochwertigen Lebensräumenumgestalten wollten. Zu den Wirtschaftlichkeitsberechnungen, die oftden Abbruch ganzer Altstadtquartiere zur Folge gehabt hätten, botendie Städtebauförderungsmittel ein willkommenes Gegengewicht.

Seit dem europäischen Denkmalschutzjahr, das eine Ära des neuenGeschichtsbewusstseins einleiten sollte, wurden tiefgreifende denk-malschutzrechtliche Veränderungen in Bewegung gesetzt. Sowohl dieDenkmalschutzämter der Bundesländer, als auch das „Nationalkomi-tee für Denkmalschutz“ sowie Kommunen und Denkmal- und Hei-matverbände haben in Festschriften, Broschüren oder in fortlaufen-den Schriftenreihen in leidenschaftlicher und klarer wissenschaftli-cher Sprache darzulegen versucht, um was es, in der Durchsetzungder neuen Denkmalschutzgesetze geht, warum Denkmalpflege ein

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wesentlicher Bestandteil unseres Geschichtsverständnisses sein mussund warum sie ein selbstverständliches Element jeder Kulturpolitiksein sollte.

Neue Kriterien der Denkmalwürdigkeit

Schon beim Durchlesen der heute gültigen Vorschriften wird ersicht-lich, dass sich die Gesetzeslandschaft seit 1975 (für die hinzukom-menden Bundesländer seit 1990) radikal verändert hat und dass siesich um einiges von den alten Rechtsgrundlagen unterscheidet, soweitsolche überhaupt vorhanden waren. Woraus sich der Denkmalwertder Einzelobjekte begründet, wird in allen Denkmalschutzgesetzenklar definiert. Die Begriffsbestimmungen für „Kulturdenkmale“ sindzwar unterschiedlich formuliert, inhaltlich aber weitgehend gleich.Zu den sogenannten klassischen Denkmalen, die als künstlerisch, ge-schichtlich oder wissenschaftlich wertvoll eingestuft wurden, habensich zwischenzeitlich jene Denkmäler gesellt, die künftig aus technik-geschichtlichen und städtebaulichen Gründen erhalten werden sollen,wenn sie als wichtige oder unverzichtbare Zeugnisse menschlicherGeschichte und Entwicklung gelten. Das Gesetz unterscheidet zwi-schen Denkmalen mit Einzelwert und solchen, deren Bedeutung ineinem direkten architektonischen oder städtebaulich-historischen Be-zug zum bebauten oder gestalteten Umgebungsfeld stehen. Hierbeihandelt es sich um die sogenannte Gesamtanlage, die, auch weitläu-fig, als Ensemble bezeichnet wird.

Natürlich geht es im denkmalpflegerischen Alltag nicht allein um dieSicherung inhaltsschwerer Geschichtsdenkmale, die z.B. an eine promi-nente Person oder an große und denkwürdige landesgeschichtliche Ereignisse erinnern sollen, sondern auch um die Erhaltung und Sicht-barmachung von geschichtlichen „Denkmalen“, die über die kunsthis-torischen Bewertungskriterien hinaus Auskunft über historische Bege-benheiten und Entwicklungen geben können. Das gilt für orts- bzw. territorialgeschichtliche, für sozial-, verkehrs- und wirtschaftsgeschicht-liche oder auch kirchen- und rechtsgeschichtliche Zeugnisse.

Wichtige Informationsträger sind für die vorchristliche Zeit auchdie Bodendenkmale der Vor- und Frühgeschichte, die mit ihren frühenSpuren menschlichen Lebens unter der Erdoberfläche verborgen sind.Archäologisch erschlossen und ausgewertet, bieten sie ebenso wich-

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tige historische Erkenntnisse wie die paläontologisch erschlossenenerdgeschichtlichen Funde mit ihren Abdrücken und Versteinerungenvon pflanzlichen und tierischen Lebensformen. Ihre Fundstellen bzw.ausgegrabenen Anlagen genießen wie die Zeugnisse der Bauge-schichte aus wissenschaftlichen Gründen Denkmalschutz.

Die wissenschaftliche Erforschung von noch nicht erschlossenenZeugnissen menschlicher Geschichte ist für die Denkmalbewertungunverzichtbar. Sie kann nicht nur dazu beitragen, historische Ent-wicklungen, die bisher überformt oder verschüttet waren, zu klären;sie kann auch alte Lebens- und Wohnformen vor Ort, über das Objektnacherlebbar machen. Da die Qualität des Baudenkmals sehr oft aus-schließlich über das äußere Erscheinungsbild gewertet wurde, sindviele bedeutsame Informationen, z.B. über bürgerliche Wohnkultur,Siedlungen und Nutzbauten vergangener Zeiten, unbeachtet geblie-ben und damit verloren gegangen. Der hierdurch entstandene Quel-lenverlust ist vor allem durch die Zerstörungen des letzten Weltkriegsbewusst geworden. Bei „denkmalverdächtigen“ Gebäuden wirdheute demzufolge das Innenleben hinsichtlich Grundrissdisposition,Ausstattung und die meist unter mehreren Anstrichen verborgenenInnenraumfassungen untersucht, zumal die Ergebnisse für die Erfor-schung der Wohnkultur unserer Vorfahren oft genauso aufschluss-reich sind wie die kunsthistorische Würdigung von Hausfassaden.

Wesentliche Informationen können hierbei oft ausschließlich überdie vor Ort forschenden Geschichts- oder Heimatvereine eingeholtwerden, die sich nun zunehmend auch der Aufarbeitung der jüngerenGeschichte widmen. Geht es doch nicht allein um die „Zeugnisseruhmreicher Vergangenheit“ sondern auch um die Sichtbarmachungtragischer und katastrophaler Verstrickungen unserer Geschichte, ausder sich letztendlich unser demokratisches Geschichtsverständnisentwickelt hat. Ein solches Geschichtsverständnis muss auch Grund-lage der Denkmalbewertung sein, weil nur eine weitgehend wissen-schaftlich objektivierbare Einordnung den Wert eines Kulturdenkmalsüber subjektive Urteile und Zeiterscheinungen „hinweg retten“ kann.

Das Aufspüren und Auswerten von Dokumenten hat in vielen Fäl-len bauhistorische Zusammenhänge geklärt und geholfen, die Histo-rie eines Bauwerks hinsichtlich seines ehemaligen Grundrisses oderseiner ursprünglichen Funktion und Nutzung zu erschließen. Oftgenug haben erst gezielte Quellenstudien in den Beständen der Staats-archive den wahren Wert eines Bauwerkes erkennen lassen, dessen

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Bedeutung vorher dem Dunstkreis der Vermutungen überlassen war.Angesichts des hohen Stellenwertes, den das moderne Denkmal-schutzgesetz den historischen Faktoren als Bewertungsmaßstab fürKulturdenkmäler und Gesamtanlagen (Ensembles) einräumt, mussdie Denkmalpflege zunehmend auch auf historisch-topographischeund siedlungsgeschichtliche Nachschlagewerke zurückgreifen, dieihr über den geschulten „historischen Blick“ hinaus jene geschichtli-chen Quellen vermitteln, die sie für ihre Argumentation, d.h. die offi-zielle, hieb- und stichfeste Denkmalbegründung, nicht nur im Rah-men gerichtlicher Auseinandersetzungen benötigt. Gehört doch diewissenschaftliche Erfassung, Erforschung und Dokumentation zurVoraussetzung aller denkmalpflegerischen Tätigkeit.

Organisation des Landesamtes für Denkmalpflege

Denkmalschutz und Denkmalpflege werden durch verschiedeneBehörden mit unterschiedlichen Aufgaben geregelt. Oberste Denk-malschutzbehörde in Hessen ist der Minister für Wissenschaft undKunst. Die Unteren Denkmalschutzbehörden bei den Kreisen und denkreisfreien Städten (oder auch Gemeinden mit eigener Bauaufsicht)sind vor allem für denkmalrechtliche Genehmigungen zuständig. Aufbeiden Ebenen bestehen als beratende Gremien Denkmalbeiräte, diesich aus ausgewählten Fachleuten aus Bauverwaltung, Politik, For-schung und Lehre sowie Denkmaleigentümern zusammensetzen.

Das Hessische Landesamt für Denkmalpflege ist als Denkmalfach-behörde für alle fachlichen Belange zuständig, die Kulturdenkmälerberühren. Neben dem Hauptsitz im Schloss Biebrich in Wiesbadengibt es zwei Außenstellen, eine in Marburg und eine weitere (nur fürdie archäoligische Denkmalpflege) in Darmstadt. In der AbteilungBau- und Kunstdenkmalpflege beschäftigen sich die einzelnen Be-zirkskonservatoren vor allem mit Problemen der praktischen Bau-denkmalpflege. Sie unterstützen und beraten die Unteren Denkmal-schutzbehörden bei denkmalrechtlichen Genehmigungen und sindAnsprechpartner für Denkmaleigentümer, Architekten, Planer undHandwerker. Die Restaurierungswerkstatt des Amtes verfügt über dienotwendigen Fachkenntnisse, um Maßnahmen an Kulturdenkmalenumfassend zu betreuen. Aus dem Mittelalter stammende beweglicheKulturgüter werden in der Amtswerkstatt vorbildhaft restauriert.

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Zum Aufgabenbereich der Abteilung archäologische und paläonto-logische Denkmalpflege (ebenfalls mit eigener Restaurierungswerk-statt) gehören nicht nur die Bodendenkmäler als Zeugnisse menschli-chen Schaffens, sondern auch die Fossilien als erdgeschichtlicheDenkmäler. Während die paläontologische Denkmalpflege allein vonWiesbaden aus betreut wird, wird die archäologische Denkmalpflegez.T. von den bereits genannten Außenstellen in Marburg und Darm-stadt wahrgenommen.

In der Abteilung Inventarisation werden die Denkmal-Topogra-phien erstellt. In den in Buchform veröffentlichen Verzeichnissen istder Denkmälerbestand für annähernd die Hälfte des Landes Hessenvollständig erfasst. Für das ganze Land liegen sogenannte Arbeitslis-ten vor. Ein ständig wachsendes Foto- und Planarchiv sowie die wert-vollen Bibliotheken in der Hauptstelle in Wiesbaden und in der Mar-burger Außenstelle bilden die Grundlage der Arbeit; sie stehen auchdem interessierten Publikum zur Verfügung. Teil der Öffentlichkeits-arbeit ist die Zeitschrift „Denkmalpflege und Kulturgeschichte“, dieregelmäßig über aktuelle Ergebnisse und Probleme berichtet. Die ar-chäologische und paläontologische Denkmalpflege gibt zudem inloser Folge kleine Informationsschriften zu Einzeldenkmälern heraus.

Literaturhinweise

Gottfried KIESOW: Einführung in Denkmalpflege. Darmstadt 1982.Norbert HUSE (Hg.): Denkmalpflege. Deutsche Texte aus drei Jahrhunderten.

München 1984.Horst THOMAS (Hg.): Denkmalpflege für Architekten. Köln 1998.Bewertungsfragen der Denkmalpflege im städtischen Raum. Hg. Institut für

Bau- und Kunstgeschichte der TU Hannover, Hannover 1976.Städtebauliche Denkmalpflege. Hg. Vereinigung der Landesdenkmalpfleger

in der Bundesrepublik Deutschland. Bad Homburg/Leipzig 1995.25 Jahre Denkmalpflege in Hessen. Hg. Landesamt für Denkmalpflege /Hess.

Ministerium für Wissenschaft und Kunst. Wiesbaden 1999.Denkmalpflege und Kulturgeschichte (bis 1997: Denkmalpflege in Hessen).

Zeitschrift des Landesamts für Denkmalpflege Hessen. Wiesbaden 1988ff(zwei Hefte jährlich).

Schriftenreihe des Deutschen National-Komitees für Denkmalschutz, Bd. 1-52.

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Staatliche Schlösser und Gärten

Dr. Kai R. Mathieu, Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten inHessen, Bad Homburg

Im Freistaat Preußen wurde nach der Vermögensauseinandersetzungmit dem Haus Hohenzollern 1927 eine „Verwaltung der StaatlichenSchlösser und Gärten“ gebildet. Ihr wurden jene Kulturdenkmälerfürstlicher Provenienz unterstellt, die dem damals geprägten Begriff„Museumsschlösser“ entsprachen: Kulturzeugnisse, historisch ge-wachsene Ensembles, Gesamtkunstwerke aus Schlössern und Gärtenmit ihrem Inventar. Zu den Liegenschaften der bis 1945 bestehendenPreußischen Schlösserverwaltung gehörten außer dem im ZweitenWeltkrieg zerstörten Residenzpalais in Kassel Schloss und Schloss-park Wilhelmshöhe sowie das Orangerieschloss mit der Karlsaue,Schloss Wilhelmsthal bei Calden, das Schloss in Wiesbaden (heute Sitzdes Hessischen Landtags) sowie die Schlösser Homburg v.d.Höheund Weilburg. Sie bildeten den Kernbestand der am 1. April 1946 ge-schaffenen „Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten“ deskünftigen Bundeslandes Hessen, die hinfort auch für bedeutendeDenkmäler im Gebiet des vormaligen Großherzogtums bzw. Volks-staats Hessen wie die ehemaligen Klöster Lorsch und Seligenstadt, dieBurg Münzenberg, den Prinz-Georg-Garten in Darmstadt oder denStaatspark Fürstenlager in Bensheim-Auerbach zuständig war.

Auf dem Fundament einer über 70 Jahre zurückreichenden Erfah-rung betreut die Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten inHessen heute rund 40 bedeutende landeseigene Kulturdenkmäler,überwiegend Burgen, Schlösser und Gärten in allen Teilen des Landes.Sie versteht sich als Kultur- und Vermögensverwaltung, zugleich aberauch als Bildungseinrichtung mit kultureller, historischer, ökologi-scher, wirtschaftlicher und sozialer Zielsetzung. VerfassungsmäßigerAuftrag ist die Erhaltung, Erforschung, Ergänzung und Präsentationdes künstlerischen und geschichtlichen Erbes des Landes Hessen instaatlicher Hand. Die der Verwaltung anvertrauten Zeugnisse hessi-scher, deutscher und europäischer Geschichte sind:

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• Landmarken und Träger heimatlicher Identität sowie historischerAuthentizität;

• Schatzregale von Kultur und Natur seit Jahrhunderten;• Stätten für Bildung, Erholung und Besinnung;• Lernorte für Künste und Handwerk;• Orte umfassender Umweltvorsorge und hoher Arbeitsplatzidentität.

Der Beitrag der Schlösserverwaltung zur Sicherung unserer Um-welt kann sich nur auf die Objekte erstrecken, die sie selbst betreut. Daes sich hierbei oft um Dokumente von Rang handelt, muss auch derBeitrag auf lange Sicht von Rang sein. Viele Kulturdenkmäler wurdenin den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, in den mei-sten Fällen nach Teilzerstörung und Fremd- bzw. Falschnutzung, denBürgern als Besichtigungsobjekte, als Museen und als Erholungsbe-reiche wieder zugänglich gemacht, um dem Bildungsauftrag gerechtzu werden und das kulturelle Erbe von zwei Jahrtausenden Bau- undKunstgeschichte in Hessen im Bewusstsein zu erhalten.

Ausgehend von dem Ziel einer optimalen Bestandssicherung undPräsentation der ihr anvertrauten Kulturdenkmäler – dazu gehörenneben den Bauten auch die historischen Gärten und Parkanlagen –verfolgt die Schlösserverwaltung seit Mitte der 1980er Jahre ein um-fangreiches Grundlagen-Forschungs- und Ausbauprogramm, das sichim Landeshaushalt in einer Fülle von laufenden und im Entstehen be-griffenen Projekten niederschlägt. Sicherung von Originalsubstanzund Rückgewinnung verlorener Bestände bei hohem denkmalpflege-rischem Anspruch, Neuordnung und Ausbau der Sammlungen mitdem Ziel, historisches Bewusstsein zu wecken und dem Bürger denZugang zu den Geschichtszeugnissen zu ermöglichen, Pflege vonFlora und Fauna im Sinne einer hohen Umwelt- und Lebensqualitätziehen sich als Leitlinien (mit unterschiedlicher Gewichtung) durchalle Maßnahmen der Schlösserverwaltung.

Im Pflichtenheft der Schlösserverwaltung gesellen sich zu den kul-tur- und naturfachlichen Aufgaben das wirtschaftsorientierte Han-deln, die Dienstleistung für den Kunden und Besucher sowie als so-ziale Verpflichtung die Einbindung von Schwerbehinderten in die Ar-beitswelt und die Ausbildung von Jugendlichen als Daseinsvorsorgeund Zukunftssicherung. Die Hülle des Pflichtenhefts und das Rück-grat des Leitbildes sind zum einen Artikel 14 (2) des Grundgesetzes:„Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle derAllgemeinheit dienen“; zum anderen Artikel 62 der Verfassung des

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Landes Hessen: „Die Denkmäler der Kunst, der Geschichte und Kul-tur sowie der Landschaft genießen den Schutz und die Pflege desStaates und der Gemeinden“.

Die Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten in Hessenvermittelt in Theorie und Praxis die historische und aktuelle Bedeu-tung des Erbes und bringt dies in die landes- und kommunalpoliti-schen Entscheidungen und Entwicklungen ein. Für die Erfüllung derFachaufgaben stehen in der Hauptverwaltung und in den Außenstel-len der Verwaltung in ganz Hessen kompetente Abteilungen, Fach-und Sachgebiete für die Bereiche Verwaltung, Museen, Gärten, Res-taurierung, Bauangelegenheiten und Denkmalpflege sowie provinzi-alrömische Altertümer zur Verfügung. Denkmal- und Landespflegegenießen hierbei und bei den vielfältigen anderen wirtschaftlich aus-gerichteten Betätigungen oberste Priorität. Durch wirtschaftliches En-gagement im denkmal- und naturverträglichen Rahmen werden Ein-nahmen zur Aufgabenerfüllung erzielt. Dies erfolgt markt- und ziel-orientiert im Sinne eines modernen und kundenorientierten Dienstleis-ters.

Unsere denkmalgerechte Vermögensverwaltung im Verfassungs-auftrag stützt sich auf vier Säulen als Betriebsvermögen: 1. Grundbe-sitz des Landes Hessen, insgesamt rund 5,77 Mio. Quadratmeter miteinem Gesamtwert von ca. 288,5 Mio. DM. – 2. Immobilienbesitz desLandes Hessen, insgesamt 275 Bauwerke mit einem Friedensneubau-wert von 39,6 Mio. und einem Gesamtwert von 860 Mio. DM. – 3. Mo-biles Vermögen des Landes Hessen, a) insgesamt ca. 30.000 Kunstge-genstände mit einem Gesamtwert von ca. 200 Mio. DM, b) Betriebs-einrichtungen und -ausstattungen mit einem Gesamtwert von ca. 20Mio. DM, c) Pflanzenbestand auf 577 Hektar mit einem kaum näher zubeziffernden Geldwert. Der Gesamtwert des messbaren, zu erhalten-den und zu verwaltenden Vermögens beträgt damit annähernd 1,37Milliarden DM.

Vierte Säule ist das für die Verwaltung tätige Fachpersonal des Lan-des Hessen, insgesamt 267 Personen als Stammpersonal mit einer ta-riflichen Gesamtleistung von 454.000 Arbeitsstunden pro Jahr. Jedefest angestellte Fachkraft ist somit rechnerisch „Vermögensverwalte-rin“ für einen Betrag von rund 5,125 Mio. DM (ohne Ziffer 3c) undeinen Grundbesitz von 21.610 Quadratmetern.

Neben den materiellen Werten, die kompetent und fachkundig ver-waltet werden, stehen gleichrangig die insbesondere in den Garten-

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und Wasseranlagen wichtigen ökologischen und landespflegerischen,also umweltrelevanten Komponenten, wie zum Beispiel: Landschafts-und Naturschutzgebiete, Quellenanlagen und Wasserschutzgebiete,Fauna- und Florareichtum, Frischluftquellen. Beides, Verwaltung undLandespflege, garantieren die nicht zu unterschätzenden Bildungs-und Erholungswerte, die jedem Besucher kostenlos oder gegen Ent-gelt zur Verfügung gestellt werden. Zum vielfältigen Aufgabenkata-log gehören außerdem: museumspädagogische Dienstleistungen fürSchulen und andere Zielgruppen; unterschiedliche Publikationen undDrucksachen, die jetzt unter dem Titel „Edition der Verwaltung derStaatlichen Schlösser und Gärten Hessen“ herausgegebenen Broschü-ren (amtliche Führer), Kataloge und Monographien; Herstellung undVerkauf sonstiger Waren in Museumsshops und Gärtnereien; zehnverpachtete Gastronomiebetriebe (mit einem Gesamtumsatz von jähr-lich 5 Mio. DM) und schließlich Veranstaltungen, die in eigener Ver-antwortung oder von Dritten durchgeführt werden, wie die Hersfel-der Festspiele, die Weilburger Schlosskonzerte und vieles anderemehr.

Literaturhinweise

Froschkönig und Dornröschen. Die Pflege der Staatlichen Schlösser und Gär-ten in Hessen im Jahre 1997. (= Monographien Band 6). Bad Homburg1998.

B. CLAUSMAYER-EWERS, Bernd MODROW: Historische Gärten in Hessen.(= Monographien Band 2). Bad Homburg 1998.

Edition der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen: Infor-mationsbroschüren, derzeit 20 Hefte.

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Regional-, Stadt- und Heimatmuseen in Hessen

Dr. Dieter Wolf, Museum und Stadtarchiv Butzbach

Kultur und Geschichtsbewusstsein eines Landes und seiner Bevölke-rung sind auch an der Zahl, an den Beständen und an den wissen-schaftlich erarbeiteten Forschungsergebnissen seiner Museen erkenn-bar. Bekanntlich gab es 1816, als Goethe seine Schrift über Kunst undAltertum in den Rhein- und Main-Gegenden publizierte, im Hessi-schen noch kein einziges der Allgemeinheit zugängliches Museum instaatlicher oder kommunaler Trägerschaft. Die ersten öffentlichenMuseen entstanden auch hier zu Lande erst nach der FranzösischenRevolution zu Beginn des bürgerlichen Zeitalters. Unter den heute zu-gänglichen Museen in Hessen finden sich eine Reihe international be-kannter Institute, bedeutende Schlossmuseen, bekannte Landesmu-seen, etliche wichtige Regionalmuseen sowie zahlreiche Heimatmu-seen und kleinere Sammlungen (Heimatstuben), die sich über das ge-samte Bundesland verteilen und einen erstaunlichen kulturellen undhistorischen Reichtum dokumentieren. In etwa 250 Städten und Ge-meinden gibt es derzeit an die 400 Museen, Sammlungen und Ge-denkstätten, die dem Hessischen Museumsverband angeschlossensind.

Der Rang der „großen“ Museen beruht oftmals noch auf Beständen,die in der Barockzeit und danach von den Landesfürsten oder auchprivaten Sammlern zusammengetragen wurden. Die größeren Regio-nal- und Heimatmuseen sind zumeist im 19. Jahrhundert oder zu Be-ginn des 20. Jahrhunderts gegründet worden. Seit Beginn der 80erJahre des jetzt zu Ende gehenden Jahrhunderts sind dann allein etwafünfzig neue Museen oder museumsähnliche Einrichtungen dazuge-kommen. Sie alle leisten, vielfach auch mit ehrenamtlichen Mitarbei-tern, einen ganz wesentlichen Beitrag als Kulturträger und Kulturver-mittler.

Der Museumsboom der 80er Jahre ist inzwischen verebbt. Die wirt-schaftliche Misere zwingt Bund, Länder und Gemeinden zum Sparen.Allzu leicht erliegt man dabei der Versuchung, den Rotstift im Bereich

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der sogenannten „freiwilligen Leistungen“ anzusetzen. Bei der Kulturwird auf den verschiedensten Ebenen gestrichen. Dabei wird überse-hen, dass die Kulturpflege und ihre Träger sich zu einem wichtigenund notwendigen, eigentlich nicht mehr wegzudenkenden Bestand-teil des öffentlichen Lebens und unseres Alltags entwickelt haben. Ge-rade die auf die Region und einzelne Orte bezogenen Museen, dieHeimatmuseen, bieten die Möglichkeit, regionale Identität zu vermit-teln (früher hat man das vielleicht mit „Heimatgefühl“ umschriebenoder zumindest etwas sehr Ähnliches damit gemeint!). Heimatmu-seen sind in der Regel kulturelle Mittelpunkte für ihren Standort unddie Umgebung. Sie können und sollen historisch bedingte Traditionennachfolgenden Generationen übermitteln und zugleich Ausgangs-punkt für kritische Fragen an Geschichte und Gegenwart sein. Dieweiterführende Sammlung, ausgewählte wie ausgewogene Präsenta-tion und Forschung vor Ort – meist von hauptamtlich tätigen, inHochschulen ausgebildeten Mitarbeitern, aber auch von qualifiziertenehrenamtlichen Museumsfachleuten getragen – ermöglichen es, auchin der Region zu vertiefter Bewusstseinsbildung zu führen, sowohlbeim Einzelnen als auch in der Gesellschaft. Das hängt jeweils vomIdeenreichtum, von der Fachkompetenz der Planer und dem Könnender ausführenden Handwerker beim Aufbau der Dauerausstellungoder von dem Geschick in der Inszenierung von Wechselausstellun-gen und anderen Sonderveranstaltungen ab.

Aus der Fülle des hessischen Museumsangebots können nur einigeBeispiele ausgewählt werden. Auf die umfänglichen Sammlungenund das breite Themenangebot der Landesmuseen, der Museen in denGroßstädten Frankfurt, Darmstadt und Kassel und die Schätze derkirchlich getragenen Dom- und Diözesanmuseen kann dabei nur amRande verwiesen werden. Es bleibt festzustellen, dass die meistenMuseen des Landes zumindest in Teilbereichen auch Themen der ge-schichtlichen Landeskunde aufgreifen. Das vom Hessischen Mu-seumsverband herausgegebene, weit verbreitete Handbuch „Museenin Hessen“, zuletzt in vierter Auflage 1996 erschienen, vermittelt einenguten Überblick über alle öffentlich zugänglichen Museen und Samm-lungen.

Die älteren Museen des Landes – die Landesmuseen in Kassel,Darmstadt und Wiesbaden oder das Marburger Universitätsmuseum– haben neben den stärker im Blickfeld stehenden Kunstsammlungenauch weiterhin zentrale Bedeutung für die Geschichte, die vor- und

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frühgeschichtliche wie die kulturgeschichtliche Überlieferung und Er-forschung der historischen Landesteile (wenn man hier vom gegen-wärtigen Präsentationsproblem in Wiesbaden absieht). Dazu gehörtauch die ursprünglich als zentrales Museum der Reichslimeskommis-sion gedachte Saalburg bei Bad Homburg. Sie alle verfügen dafür übereinen angemessenen fachwissenschaftlichen Mitarbeiterstab. BeimAuf- und Ausbau regionaler Sammlungen im 19. Jahrhundert spieltendie Geschichts- und Altertumsvereine eine wichtige Rolle; in einerReihe von Fällen sind sie bis heute Förderer oder auch Träger der Mu-seen. Neben den in die Landesmuseen eingegliederten Sammlungender Vereine in Wiesbaden, Kassel und Darmstadt, den Sammlungendes Frankfurter Altertumsvereins, die 1878 ins neu eröffnete Histori-sche Museum übernommen wurden, und den ins Marburger Univer-sitätsmuseum übernommenen Sammlungen des örtlichen Vereins fürGeschichte und Landeskunde wären hier vor allem der OberhessischeGeschichtsverein mit dem Oberhessischen Museum Gießen und dieSammlungen der um die Jahrhundertwende neu begründeten Vereinezu nennen, die den Grundstock für regional ausgerichtete Museen wiedas Wetterau-Museum in Friedberg, das Lauterbacher Hohhaus-Mu-seum, die Museen in Alsfeld und Butzbach, später auch in Wolfhagen,Büdingen und andernorts bildeten bzw. bilden.

Das ursprünglich vorherrschende Interesse an den „Altertümern“hat dazu geführt, dass auch die meisten Regional- und Stadtmuseenbeachtliche Sammlungen zur heimischen Vor- und Frühgeschichte be-sitzen. Sie können sicher nicht mit den Landesmuseen, dem Marbur-ger Universitätsmuseum oder dem Museum für Vor- und Frühge-schichte/Archäologisches Museum Frankfurt konkurrieren, doch ver-mitteln auch das Oberhessische Museum mit den Gail’schen Samm-lungen in Gießen, die Museen in Fritzlar, Hofgeismar und Wolfhagenoder auch das Vortaunusmuseum Oberursel (mit seiner sehenswertenDokumentation über das keltische Oppidum im Heidetränktal) wert-volle Anschauung für die Frühzeit der Landesentwicklung. Für dieRömerzeit finden sich neben den zentralen Sammlungen im Saalburg-Museum und im Museum für Vor- und Frühgeschichte Frankfurtebenfalls reizvolle, wenn auch unterschiedlich umfangreiche Schau-bestände im Wetterau-Museum Friedberg, im Kreis- und Stadtmu-seum Dieburg, in den Stadtmuseen Rüsselsheim, Groß-Gerau undHofheim/Ts., im Museum Schloss Steinheim und in Butzbach, aberauch in kleineren Heimatmuseen wie Echzell oder Großkrotzenburg.

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Aus dem Bereich der Volkskunde gibt es – neben den hochinteres-santen Ausstellungen im Universitätsmuseum Marburg oder in derDependance des Darmstädter Landesmuseums im MuseumszentrumLorsch – insbesondere für die vielfältige Trachten-Tradition Hessensreiche, oftmals alte Sammlungsbestände mit wertvollen Objektgrup-pen in Alsfeld und Ziegenhain (für die Schwalm), in Butzbach (Hüt-tenberg und Wetterau), im Schloss Biedenkopf (Hinterland), in Lau-terbach und Schlitz (für Riedsel- und Schlitzerland). Besonders hinzu-weisen ist auf die reichhaltige „Sammlung zur Volkskunde in Hessen“im Museum Otzberg. Zu den volkskundlichen Einrichtungen, die sichspeziellen Themenbereichen widmen , zählt das 1992 eröffnete „Mu-seum für Sepulkralkultur“ in Kassel.

Zur hessischen „Museumslandschaft“ gehört ein (mit Ausnahmeder Verdichtung im Bereich der Großstädte) einigermaßen gleich-mäßig über das Land verteiltes Netz älterer und neuerer Museen, diemit ihren Dauerausstellungen in ansprechender Form Einblicke in dieGeschichte der jeweiligen Region bzw. als Stadtmuseen in die typi-schen Strukturen des engeren Raumes vermitteln wollen. Mehr als dieHälfte dieser Museen mit regionalem Anspruch sind seit dem Endeder 60er Jahre modernisiert worden; die Reihe der „modernen“ Re-gionalmuseen begann mit den Neueinrichtungen in Büdingen undAlsfeld. Die folgende Auflistung nennt noch einmal kurz, geogra-phisch von Norden nach Süden fortschreitend, die wichtigen Mu-seumsorte (mit Jahreszahlen zu Sammlungsbeginn, Gründung bzw.Eröffnung): Hofgeismar (Stadtmuseum, 1938); Kaufungen (Regional-museum „Alte Schule“, 1986); Kassel (Stadtmuseum, gegr. 1979 als his-torisches Museum für den Stadtkreis); Wolfhagen (Regionalmuseum,1980-1986 neu gestaltet); Arolsen (Museum der Stadt im Schreiber-schen Haus, Kaulbach-Haus und C.D. Rauch-Haus, 1987ff); Korbach(Städtisches Museum, um 1900); Bad Wildungen (Heimatmuseum,1907, und Kurmuseum, 1984/85); Fritzlar (Regionalmuseum, 1951);Borken (Nordhessisches Braunkohle-Bergmuseum, 1992); Roten-burg/Fulda (Kreisheimatmuseum, 1931); Fulda (Vonderau-Museum,1875/87); Schlitz (Heimatmuseum, 1926); Lauterbach (Hohhaus-Mu-seum, 1910); Alsfeld (Regionalmuseum, 1897); Schwalmstadt-Ziegen-hain (Museum der Schwalm, 1911, zunächst Kreismuseum, seit 1951Schwälmer Heimatbund); Frankenberg (Kreisheimatmuseum, 1952);Biedenkopf (Hinterlandmuseum im Schloss, gegr. 1908 vom Ge-schichtsverein, jetzt Eigengesellschaft des Landkreises); Gießen

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(Oberhessisches Museum und Gail’sche Sammlungen, 1879); Wetzlar(Städtische Sammlungen mit mehreren Museen); Weilburg (Bergbau-und Stadtmuseum) ; Butzbach (Museum der Stadt, 1898, seit 1994 imSolms-Braunfelser Hof); Friedberg (Wetterau-Museum, 1913, neu aus-gebaut); Ulrichstein (Museum im Vorwerk, 1995); Schotten (Vogels-berger Heimatmuseum, 1937); Büdingen (Heuson-Museum im Rat-haus, 1968/71, Büdinger Geschichtsverein); Schlüchtern (Bergwinkel-museum, um 1910); Bad Orb (Museum, seit 1989 an neuem Standort);Gelnhausen (Museum der Barbarossastadt); Hanau (Historisches Mu-seum Schloss Philippsruhe); Oberursel (Vortaunusmuseum, 1976);Bad Homburg (Museum im „Gotischen Haus“, urspr. Hutmuseum);Hofheim am Taunus (Stadtmuseum, 1993); Rüsselsheim (Museum derStadt, 1974/76); Groß-Gerau (Stadtmuseum, 1927, Neueröffnung1993); Dreieich (Dreieich-Museum, 1910, seit 1956 in der „Burg Hayn“);Offenbach (Stadtmuseum, 1917); Seligenstadt (Landschaftmuseum,Sammlung seit 1936); Dieburg (Kreis- und Stadtmuseum im SchlossFechenbach); Michelstadt (Odenwaldmuseum, vor 1910, in der Kelle-rei neugestaltet); Heppenheim (Museum für Stadtgeschichte undVolkskunde, kürzlich neu eingerichtet); Lorsch (Museumszentrum).

Das neue „Museumszentrum Lorsch“ beherbergt in unmittelbarerNähe zur berühmten karolingischen Klostertorhalle gleich drei Mu-seen (die klostergeschichtliche, baugeschichtliche Abteilung der Staat-lichen Verwaltung der Schlösser und Gärten, das Tabakmuseum unddie Stadtgeschichte aus dem Lorscher Stadtmuseum, sowie die großeVolkskundliche Sammlung des Landesmuseums Darmstadt mit demAusstellungsschwerpunkt südhessische Alltagskultur). Hervorzuhe-ben ist in diesem Zusammenhang auch die 1986 im Wetterau-MuseumFriedberg neu eröffnete, spektakuläre Präsentation „Von der Sichelzur Dreschmaschine / Die Mechanisierung und Modernisierung derländlichen Arbeitswelt in der Wetterau von 1800-1950“. ÜberregionaleBeachtung fand und findet das 1976 eröffnete Museum der Stadt Rüs-selsheim, das inzwischen mit mehreren großen Abteilungen musealvorbildlich aufbereitete Einblicke in die Vor- und Frühgeschichte, dievorindustrielle Zeit und die Epoche der Industrialisierung gewährt.Dabei geht es in allen Abteilungen um die ortsspezifischen Aspektemit den Schwerpunkten Arbeitstechniken und Arbeitsverhältnisse,wirtschaftliche, soziale und politische Entwicklung, Wohnverhält-nisse, Kunstwerke der verschiedenen Epochen. Neu war, dass dieHauptabteilung „Rüsselsheim vom Beginn der Industrialisierung bis

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1945“ das Phänomen Industrie nicht auf die Abhandlung der Tech-nikgeschichte begrenzte, sondern als komplexen technischen, wirt-schaftlichen, sozio-kulturellen und politischen Wandlungsprozessverstand und darstellte. Die Verleihung des Museumspreises des Eu-roparates in Straßburg 1980 und die daraus folgende Vorstellung derRüsselsheimer Konzeption im „Unesco-Kurier“ brachten internatio-nales Ansehen. Spektakulär ist aufgrund seiner z.T. sehr modernenund deshalb in der Bevölkerung zunächst gewöhnungsbedürftigenArchitekturformen auch das an sich ältere Regionalmuseum Korbachan der spätgotischen Kilianskirche mit seinem sehr breiten und inte-ressanten Ausstellungsangebot (von den als Sensation um die ganzeWelt gehenden fossilen Funden der „Korbacher Spalte“ und der ge-stalterisch interessanten Darbietung der stadtgeschichtlichen undvolkskundlichen Abteilungen bis zur Darstellung des Goldabbauesim Waldecker Land).

Zwischen den kleineren Regionalmuseen, Heimatmuseen, teil-weise auch den kontinuierlich betreuten und geöffneten Heimatstu-ben, gibt es natürlich gleitende Übergänge. Wichtige Beiträge zur Lan-desgeschichte leisten auch die verschiedensten Museen mit Sonder-themen. Zu der für verschiedene Gegenden Hessen prägenden Zu-wanderung französischer Glaubensflüchtlinge wären hier neben demvon einem Verein getragenen Deutschen Hugenotten-Museum in BadKarlshafen auch das kleinere Hugenottenmuseum von Friedrichsdorfam Taunus oder das 1987 zusammengestellte Heimatmuseum Wall-dorf zu nennen. Im Stadtmuseum Hofgeismar werden unter kompe-tenter Leitung besondere Forschungsmöglichkeiten auch zur Huge-nottengeschichte angeboten.

Der nur selten angesprochene Themenbereich Vormärz wird seitkurzem mit interessanten Schlaglichtern in der Dokumentationsstätte„Georg-Büchner-Haus“ in Georg Büchners Geburtsort Riedstadt-Goddelau dargestellt und aktualisiert. Büchners 1837 im DarmstädterUntersuchungsgefängnis zu Tode gekommenen Weggefährten Dr.Friedrich Ludwig Weidig gilt eine kleine Abteilung im Museum derStadt Butzbach, deren Stadtarchiv unter dem gleichen Dach auch das„Weidig-Forschungsarchiv“ mit einer Fachbibliothek und der 1988 er-worbenen Sammlung A.W. Heil mit politischer Druckgraphik desVormärz und der Revolution 1848/49 betreut. Vormärz/48er Revolu-tion werden auch in der stadtgeschichtlichen Abteilung des HanauerMuseums im Schloss Philippsruhe eingehend dargestellt.

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Die NS-Zeit wird vor allem in den Gedenkstätten am Standort desfrühen Konzentrationslagers für Kurhessen im ehem. Kloster Brei-tenau in Guxhagen (1992) und in der Gedenkstätte für die Opfer derEuthanasie-Verbrechen im Psychiatrischen Krankenhaus Hadamar(seit 1983/1989) dokumentiert. An die Judenverfolgung und das ver-lorene jüdische Kulturerbe erinnern das Jüdische Museum Frankfurt(1988 eröffnet) und seine 1992 geschaffene Filiale „Museum Juden-gasse“ mit den baulichen Überresten des mittelalterlichen Ghettos.Die Geschichte der Heimatvertriebenen wird in mehreren Museenthematisiert; besonders hervorzuheben ist hier das „Heimatmuseumund Dokumentationszentrum zur deutschen Nachkriegsgeschichte“in Wanfried; das Thema Zonengrenze präsentiert das nach dem Mau-erfall gegründete „Grenzmuseum Schifflersgrund“ in Bad Sooden-Allendorf.

Nicht nur in Frankfurt und Kassel, auch in einigen anderen Städten,in Fulda, Gießen, Wetzlar gibt es mehrere Museen von historisch-lan-deskundlichem Interesse. In Wetzlar müssen hier, neben den Städti-schen Sammlungen mit Stadt- und Industriemuseum und Lottehaus,das 1987 eröffnete Reichskammergerichtsmuseum und das Landwirt-schaftliche Museum genannt werden. Auch in der reichen Palette vonMuseen in kleineren Städten gibt es eine ganze Reihe neu konzeptio-nierter Einrichtungen, die Beachtung verdienen. Zu nennen wärenhier das 1984 eröffnete Heimatmuseum im „Alten Brauhaus“ in Amö-neburg, dem 1994 das ähnlich gestaltete Museum im benachbartenHomberg/Ohm folgte, das Ackerbürgermuseum Grebenstein (gegr.1964 vom Hess. Heimatbund, seit 1980 städtisch), das 1934 gegrün-dete Heimatmuseum Lich (1982-84 neu eingerichtet), das NiddaerHeimatmuseum (1983) oder das Stadtmuseum Idstein im Killinger-haus, einem restaurierten Fachwerkjuwel am Marktplatz. Architekto-nisch interessant ist auch das kleine Museum der Stadt Eschborn (1989eröffnet), das sich als Neubau einem älteren Fachwerkbau anschließt,eine Kombination von alt und neu, die sich auch andernorts bewährthat (u.a. in Borken, Butzbach und Hofheim). Besondere Themen-schwerpunkte setzen das Dorfmuseum „Alter Forsthof“ Ober-Rosphemit der dörflichen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, das „Rosenmu-seum“ Bad Nauheim-Steinfurth (1990) mit Rosenzucht und ländlicherArbeitswelt des 19./20. Jahrhunderts oder das Heimatmuseum Mör-felden, in dem vorrangig der Alltag der Dorfbevölkerung von ca.1870-1945 dargestellt wird.

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Obwohl es eine ganze Reihe von Museen gibt, die sich mit der Ent-wicklung von Gewerbe und Industrie beschäftigen, ist ein zentrales(oder auch regionales) hessisches Industriemuseum bisher nicht zu-stande gekommen. Mit den Bergbau befassen sich vor allem Bergbau-und Stadtmuseum Weilburg, das Regionalmuseum „Alte Schule“ inKaufungen und das 1992 eröffnete Nordhessische Braunkohle-Berg-baumuseum Borken sowie die Besucherbergwerke SchiefergrubeChristina in Willingen im Uppland, Grube Gustav in Meißner-Ab-terode und Grube Fortuna in Solms-Oberbiel (mit dem dortigen Feld-und Grubenbahnmuseum Fortuna). Stärker in den orts- und regional-geschichtlichen Kontext eingepasst ist die breit angelegte, weit überden eigentlichen Museumskomplex hinausgehende Konzeption desWerra-Kalibergbau-Museums Heringen (1994). Das Museum Großau-heim (der Stadt Hanau), das als Teil der Präsentation des dörflichenLebens in einer großen Maschinenhalle zahlreiche Dampfmaschinenausstellt, ist durch die alljährliche Großveranstaltung der „Großau-heimer Dampftage“ bekannt geworden. Stärker spezialisiert sind dasGlasmuseum Immenhausen, das Glas- und Keramikmuseum Großal-merode oder das kleinere Glasmuseum Hadamar. Zu den überregio-nal bedeutenden Instituten zählt das Deutsche Ledermuseum in Of-fenbach.

Schon diese kursorische Übersicht der bestehenden Museen undihrer unterschiedlichen Arbeitsschwerpunkte macht deutlich, dass sieeinen wichtigen Beitrag zur Vermittlung und Veranschaulichung dergeschichtlichen Vergangenheit leisten. Wichtig ist dabei die Zusam-menarbeit mit den kommunalen Archiven und mit den Geschichts-vereinen. Das gilt vor allem da, wo der Museumsleiter selbst keinfachlich ausgebildeter Landeshistoriker ist; eine Vielzahl von Museenwird ohnedies ehrenamtlich betreut. Ehrenamtliche Mitarbeit ist inallen Museen gefragt. Ob und wieweit in den Museen selbständigeForschung und landes-, regional- oder ortsgeschichtliche Beratung ge-leistet werden kann, hängt natürlich von der Fachkompetenz der Mit-arbeiter/Innen ab. Vorrang hat für die Museen in jedem Fall die Ver-mittlung. Seit Beginn der 1970er Jahre haben der Hessische Mu-seumsverband und die staatliche Museumsberatung auf eine Stär-kung der bildungspolitischen Rolle der Museen hingewirkt. Dazugehört insbesondere auch die bessere Nutzung für den Schulunter-richt. Das Hessische Institut für Lehrerfortbildung (HILF, jetzt HELP)mit seinen verschiedenen Sektionen hat die Zusammenarbeit aktiv

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unterstützt, u.a. mit zahlreichen museumspädagogischen Arbeitskrei-sen zu Themen der Regional- und Ortsgeschichte. Obwohl die Bedeu-tung der museumspädagogischen Arbeit längst allgemein anerkanntist, gibt es in Hessen bisher allerdings erst 17 hauptamtlich tätige Mu-seumspädagogen.

Weiterer Förderung bedarf auch die dokumentierende Aufarbei-tung der dörflichen Geschichte, obwohl hier mit dem Ausbau zahlrei-cher kleinerer Heimatmuseen oder Heimatstuben bereits erheblicheFortschritte erzielt wurden. Dabei können die von der „klassischen“landeskundlichen Forschung, aber auch der Alltagsgeschichte, derKulturgeschichte und der Volkskunde erzielten Ergebnisse vor Ortüberprüft, verifiziert und verknüpft werden, um sie dem interessier-ten Publikum anschaulich vorzustellen und vielleicht auch zu aktiverMitarbeit anzuregen. Jeder Museumsleiter kann von entsprechendenErgebnissen berichten.

Aufs Ganze gesehen sind im hessischen Museumswesen, vor allemin den Regional- und Heimatmuseen, in den letzten Jahrzehntenenorme Fortschritte in der Verbesserung und Modernisierung der Prä-sentation und Vermittlung der vielfältig ergänzten und weiter ausge-bauten Sammlungen erzielt worden. Dazu hat auch der Einsatz derneuen Medien mit audiovisuellen Elementen, z.T. auch schon interak-tiven Computerprogrammen, in musealen Ausstellungen beigetra-gen. Allerdings wird es für die kleineren, finanziell wie personellmeist nur unzureichend ausgestatteten Museen schwierig sein, hierallen Erwartungen und Ansprüchen eines durch Film und Fernsehenzunehmend verwöhnten Publikums zu entsprechen. Dennoch wer-den die zahlreichen hessischen Regional- und Heimatmuseen, größe-re wie kleinere, in ihrer Gesamtheit auch in Zukunft einen wichtigenBeitrag zur sichernden Bewahrung und Vermittlung der landes- undregionalgeschichtlichen Überlieferung leisten, der von der öffentli-chen Hand auf keinen Fall vernachlässigt werden sollte.

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Literaturhinweise

Museen in Hessen. Ein Handbuch der öffentlich zugänglichen Museen undSammlungen im Lande Hessen. Hrsg. vom Hessischen Museumsverband.4. Aufl. Kassel 1994.

Alfred HÖCK, Dieter KRAMER: Verzeichnis der volkskundlichen und kul-turgeschichtlichen Bestände der hessischen Museen. Marburg 1970.

Michael FEHR, Stefan GROHÉ (Hrsg.): Geschichte – Bild – Museum. Zur Dar-stellung von Geschichte im Museum. Köln 1989.

Frank M. ANDRASCHKO, Alexander LINK, Hans-Jakob SCHMITZ: Ge-schichte erleben im Museum. Frankfurt a. M. 1992. – Michael IMHOF, Joa-chim SCHULZ (Hrsg.): Lernort Museum. Museumspädagogische Werk-stattberichte. Hess. Institut für Lehrerfortbildung, Fuldatal 1995.

Mitteilungen. Ein Journal des Hessischen Museumsverbandes. Bd. 1ff, Kassel1986ff. – Museumsverbandstexte. Schriftenreihe des Hessischen Mu-seumsverbandes. Nr. 1ff, Kassel 1989ff.

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Jüdische Friedhöfe und Denkmäler

Dr. Hartmut Heinemann, Hessisches Hauptstaatsarchiv und Kommissionfür Geschichte der Juden in Hessen, Wiesbaden

In Reaktion auf die Verbrechen an den Juden in der NS-Zeit bestehtheute ein überaus erfreuliches öffentliches Interesse an der Erfor-schung jüdischer Geschichte. Dies war nicht immer so, galt es dochnach 1945 zunächst als zweckmäßig, das Thema in der landesge-schichtlichen Forschung auszuklammern. Die Überlieferung zur jüdi-schen Geschichte ist zwiespältig. Auf der einen Seite gibt es eine rei-che, im Vergleich zur allgemeinen Geschichte sogar besonders reich-haltige Quellenlage. Dies gilt vor allem für das 19. Jahrhundert, aberauch für die Zeit des Dritten Reiches. Aussagen von Zeitzeugen undbiographische Erlebnisberichte ergänzen die schriftliche Überliefe-rung und erlauben eine intensive Beschäftigung auch mit der jünge-ren Vergangenheit.

Schwieriger sieht es mit der Überlieferung von Bauwerken, Kultus-geräten und sonstigen sichtbaren Denkmälern jüdischer Kultur in un-serem Lande aus. Die Zerstörungen der Pogrome vom November1938 dienten ja gerade dem Ziel, die sichtbaren Zeugnisse jüdischenLebens möglichst umfassend zu tilgen. Dabei gingen nicht nur diemeisten Synagogen in Flammen auf und wurden anschließend abge-rissen, auch die Kultusgegenstände wurden überwiegend vernichtet.Somit gestaltet sich heute die „Spurensuche“ nach sichtbaren Zeug-nissen jüdischer Geschichte einigermaßen schwierig. Die wenigen er-haltenen Synagogen und Frauenbäder (Mikwen) sind zudem baulichmeist nicht so typisch, dass sie für den interessierten Bürger sofort alsjüdisches Kulturgut zu erkennen und zu deuten wären. Daher gilt denjüdischen Friedhöfen als oft einzigen erhaltenen Belegen des früherenJudentums das besondere Interesse der Öffentlichkeit.

Im Bundesland Hessen gibt es heute noch 344 jüdische Friedhöfe,die amtlich erfasst sind und die gepflegt werden. Sie ließen sich um ei-nige weitere Begräbnisplätze ergänzen, auf denen keine Grabsteinemehr stehen. Hessen verfügt damit neben Rheinland-Pfalz über das

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dichteste Netz jüdischer Friedhöfe in Deutschland. Dies ist Folge undAusdruck des in Hessen sehr verbreiteten Landjudentums. JüdischeFriedhöfe dürfen nicht wie die christlichen nach einer bestimmten Be-legzeit abgeräumt werden. Sie sind für die Ewigkeit bestimmt. Ent-sprechend findet man zum Teil sehr alte Friedhöfe. Ein Dutzend derFriedhöfe in Hessen geht mit seinen erhaltenen Grabsteinen in die Zeitvor 1700 zurück. Es handelt sich durchweg um alte Sammelfriedhöfeeiner Region oder einer historischen Verwaltungseinheit. GrößterLandfriedhof in Hessen ist jener in Alsbach an der Bergstraße mitmehr als 2.000 Grabsteinen. An die Frankfurter Friedhöfe, unter denender am Börneplatz mit dem ältesten hessischen Grabstein von 1272 dieNS-Zeit leider nur fragmentarisch überstanden hat, reicht er damit je-doch nicht heran. Die Masse der hessischen Judenfriedhöfe stammt al-lerdings aus dem 19. Jahrhundert. In dieser Zeit der Judenemanzipa-tion wurde es nun auch amtlicherseits gerne gesehen, wenn jede jüdi-sche Gemeinde ihren eigenen Friedhof anlegte.

Auch die jüdischen Friedhöfe haben die Verfolgungen der NS-Zeitnicht unbeschadet überstanden. Gerade in den Tagen des Pogromsvom November 1938 waren fast alle jüdischen Friedhöfe in Hessen –im übrigen entgegen einer heute weit verbreiteten Meinung – das Zielsystematischer Zerstörungen. In den folgenden Jahren versuchten dieZivilgemeinden mit unterschiedlichem Erfolg, in den Besitz des Fried-hofs zu gelangen, um ihn dann über kurz oder lang abräumen zukönnen. Viele jüdische Friedhöfe enthalten daher heute nur nocheinen Restbestand an Grabsteinen. Einige historisch wertvolle Fried-höfe (Friedberg, Fulda) sind in der NS-Zeit vollständig beseitigt wor-den. In der Nachkriegszeit war es nach der formellen „Wiederherstel-lung“ der Friedhöfe im Jahr 1945 gerade der Hessischen Landesregie-rung ein besonderes Anliegen, Unterhalt und Pflege der jüdischenFriedhöfe auf Dauer zu sichern. Seit den 1950er Jahren erhalten diezum Unterhalt verpflichteten Zivilgemeinden einen jährlichen Zu-schuss. Bei den Regierungspräsidien stehen für größere Arbeiten –etwa die Wiederaufrichtung umgestürzter Grabsteine – Sondermittelbereit.

Die 1963 gegründete „Kommission für die Geschichte der Juden inHessen“, von der bereits an anderer Stelle berichtet wurde, machte essich schon früh zur Aufgabe, eine Dokumentation der jüdischenFriedhöfe in Hessen anzulegen. Seit 1980 wird an diesem Projekt ge-arbeitet. Die anfangs von der Stiftung Volkswagenwerk getragene, seit

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1985 vom Land Hessen maßgeblich finanzierte Dokumentation hatbisher mehr als 50 Friedhöfe mit zusammen rund 13.000 Grabsteinenerfasst. Dabei werden alle vorhandenen Grabsteine fotografiert, dieInschriften abgeschrieben und übersetzt. Mit diesen Arbeiten, die Spe-zialkenntnisse in hebräischer Epigraphik erfordern, ist eine eigeneFrachkraft betraut. Ziel ist es, alle alten Friedhöfe in Hessen mit nocherhaltenen Steinen aus der Zeit vor 1800 – hiervon gibt es rund 60 –entsprechend zu dokumentieren. Die Ergebnisse können bei derKommission im Hessischen Hauptstaatsarchiv eingesehen werden.Publikationen sind in Vorbereitung. Mit diesem flächendeckendenProjekt steht Hessen in Deutschland einzig da und leistet damit einenhervorragenden Beitrag zur Erforschung der hessischen Landesge-schichte.

Neben den Friedhöfen verdienen unter den sichtbaren Denkmälernselbstverständlich die erhaltenen Synagogen besondere Beachtung.Nur wenige Synagogen haben die Pogrome von 1938 in ihrem Baube-stand überlebt, zumeist aus Brandschutzrücksichten, weil ein FeuerNachbargebäude gefährdet hätte. Es gab aber eine größere Anzahlvon Synagogen, die schon vorher legal in private Hände gelangtwaren und somit den gezielten Zerstörungen entgingen. Bedauerli-cherweise wurden jedoch auch nach den Zerstörungen der NS-Zeitnoch in den 1950er und 1960er Jahren gedankenlos Synagogenbautenniedergelegt oder baulich völlig umgestaltet.

Seit vielen Jahren bemühen sich die Kommunen und lokale Vereineum den Unterhalt und die Nutzung dieser erhaltenen Synagogen. DieProbleme liegen nicht allein bei den Kosten. Sie ergeben sich oft mehrnoch aus dem Umstand, dass sich die angesprochenen Bauten heutein Privatbesitz befinden. Gleichwohl sind zahlreiche Geschichts- undFördervereine im Umfeld dieser Synagogen um ihren Erhalt bemüht.Entsprechende Vereine bestehen beispielsweise in Bensheim-Auer-bach, im Kreis Groß-Gerau, in Roth bei Marburg, in Zwingenberg undin anderen Orten. Ziel ist es, geeignete Nutzungen in Form von kultu-rellen Veranstaltungen, Ausstellungen und dergleichen zu finden. Zuden Aufgaben der Vereine gehört oft auch die Betreuung von ehema-ligen jüdischen Mitbürgern, die ihre alte Heimat besuchen. In vielenFällen haben diese Vereine auch generell die intensivere Erforschungjüdischer Geschichte auf lokaler Ebene übernommen mit einem deut-lichen Schwergewicht bei der jüngsten Geschichte. In diesen Zusam-menhang gehören auch lokale Vereine wie der „Förderkreis Aktives

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Museum Deutsch-Jüdischer Geschichte in Wiesbaden“, der trotz sei-nes etwas irreführenden Namens kein Museum betreut, sich aber tat-kräftig für die deutsch-jüdische Verständigung einsetzt. Mit ihrenbreit gefächerten Aktivitäten erfüllen diese Vereine auch Aufgaben,denen sich die schon bald nach dem Kriege gegründeten „Gesell-schaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit“ verschrieben hat-ten.

Man wird in diesem Rahmen auch an die Museen und deren histo-rischen wie pädagogischen Aufgaben erinnern müssen. Wichtig isthier vor allem das von der Stadt Frankfurt getragene Jüdische Mu-seum Frankfurt am Main. Das 1988 eröffnete, personell und finanziellrelativ gut ausgestattete Museum hat sich in den wenigen Jahren sei-nes Bestehens ein hohes Ansehen erworben. Das Museum beschränktsich in seinem Aufgabenfeld nicht auf die reiche jüdische Geschichteder Stadt, sondern greift mit seinen Ausstellungsthemen weit darüberhinaus. Ein Glanzpunkt war die 1994 gezeigte Rothschild-Ausstel-lung. Mit ihren Katalogen und Beiheften sorgen diese Ausstellungenzudem für einen bleibenden wissenschaftlichen Ertrag.

Was hier in Frankfurt auf hohem wissenschaftlichen Niveau ange-strebt wird, versuchen auch kleinere Museen und Gedenkstätten inanderen hessischen Städten und auf dem Land mit ihren beschränktenMöglichkeiten in die Tat umzusetzen. In der Regel sind einzelne Ab-teilungen dem Thema Judentum gewidmet. Zu nennen sind nament-lich das Stadtmuseum Hofgeismar und das Stadtmuseum Kassel.Auch werden in einigen der angesprochenen historischen Synagogenkleine Museen und Dokumentationszentren unterhalten, so beispiels-weise das „Rabbiner Lichtigfeld-Museum“ in der Synagoge in Mi-chelstadt. Die Gedenkstätten in Breitenau und Hadamar erinnern andie Verbrechen der NS-Zeit und widmen auch den jüdischen Opferneinen breiten Raum. Im Freilichtmuseum Hessenpark in Neu-An-spach ist die Synagoge von Nentershausen wieder aufgebaut; sie ver-sinnbildlicht so das Zusammenleben der verschiedenen Religions-gemeinschaften in der Vergangenheit im ländlichen Bereich. Derpädagogische Wert dieser Ausstellungen zur Geschichte des unterge-gangenen Judentums in Hessen ist unbestritten.

Viele der Aktivitäten gerade im lokalen Bereich beruhen trotz staat-licher Unterstützung letztlich auf der Initiative Einzelner. Um so be-achtenswerter sind die Leistungen, die vor allem in den letzten zwan-zig Jahren auf dem Gebiet der jüdischen Landesgeschichte in Hessen

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vollbracht worden sind. Was man sich wünscht, wäre eine stärkereKoordinierung mit einem entsprechenden Erfahrungsaustausch.

Literaturhinweise:

Paul ARNSBERG: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang, Untergang,Neubeginn. 3 Bde. Frankfurt/Darmstadt 1971/73.

Hartmut HEINEMANN: Die jüdischen Friedhöfe in Hessen. In: Denkmal-pflege in Hessen 1997/2, S. 32-41.

Thea ALTARAS: Synagogen in Hessen. Was geschah nach 1945? Königsteini.T. 1988; Das jüdische Rituelle Tauchbad und: Synagogen in Hessen / Wasgeschah seit 1945? 2. Teil. Ebd. 1994.

Jüdisches Museum Frankfurt am Main. Prestel-Museumsführer. München/New York 1997.

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Familienkundliche Forschung in Hessen

Lupold von Lehsten, Institut für personengeschichtliche Forschung, Bensheim

Die genealogische Forschung in Hessen hat eine lange Tradition, auchwenn sich die frühen Genealogen vor allem mit Fürstenhäusern undAdel befassten. Eine erste Blütezeit erlebte die Familienforschung für„jedermann“ in den 1920er Jahren, als binnen weniger Jahre in Frank-furt, Darmstadt, Kassel, Fulda und Wiesbaden neue „familienge-schichtliche Vereinigungen“ gegründet wurden. 1920 erschien auchder erste „Hessen“-Band im „Deutschen Geschlechterbuch“. Die Ju-biläen der Vereine boten in den vergangenen Jahren immer wieder Ge-legenheit zum bilanzierenden Rückblick. Eine erneute Standortbe-stimmung zur anstehenden Jahrtausendwende erscheint sinnvoll undnotwendig, da sich mit Computer und Internet auch Forschungsmög-lichkeiten und Forschungspraxis der Familienforschung durchgrei-fend verändert haben.

In früheren Jahrzehnten waren die Familienforscher eine Gruppevon Liebhabern, die sich zumeist untereinander kannten. Den erstenAnstoß gab die Erforschung der eigenen Vorfahren zwecks Erstellungeiner Ahnentafel, was dann in den Archiven, bei Kirchenbuchstudienund im Verein fast zwangsläufig Kontakte zu Gleichgesinntenbrachte. Vorbilder und Wegweiser waren bis heute renommierte Ge-nealogen wie die Theologen Wilhelm Diehl, Karl Eduard Grimmelloder Hermann Knodt, Konrektor Rudolf Dietz, Otfried Praetorius undder Darmstädter Regierungsrat Rudolf Schäfer, die als Nachkommender großen Gelehrten- und Beamtensippen des Landes in Hessen unddarüber hinaus forschten und die Ergebnisse ihrer Forschungen fürandere nutzbar machten. Heute gibt es neben der relativ kleinenGruppe der Vereins-Aktiven eine rasch wachsende Zahl von Hobby-Forschern, die durch ein PC-Programm dazu angeregt wurden, ihrenVorfahren nachzuspüren, Formular-Blätter auszufüllen oder in Daten-banken zu recherchieren, um Ahnen- oder Stammtafeln zu erstellen.Sie beschränken sich vielfach auf Kirchenbücher oder Kopien davonund die im Internet gebotenen „Links“.

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Ein früher Kontakt mit den „Fachleuten“ der genealogischen Ver-eine, die fachkundige Beratung geben können, wäre gleichwohl wün-schenswert, nicht zuletzt um Doppelarbeit zu vermeiden, die u.U.auch die Quellen unnötig belastet, und um die eigenen Ergebnisse imAustausch für andere nutzbar zu machen. Ein entsprechender Ein-stieg kann durchaus stilgerecht über das Internet erfolgen, das Vereineund Forschungsmöglichkeiten in Deutschland (mit z.T. umfangrei-chen Forschungshilfen und Hinweisen) unter

http://www.genealogy.net.geneanbietet. Die hessischen Seiten folgen unter

http://www.genealogy.net/reg/HES/. Hier findet man zunächst die drei maßgeblichen Regionalvereine:• die „Hessische familiengeschichtliche Vereinigung e.V.“ in Darm-

stadt (mit selbständigen Gruppen in Gießen für Oberhessen, im Bie-denköpfer Hinterland, im Odenwald und im südhessischen Ried);

• die „Gesellschaft für Familienkunde in Kurhessen und Waldeck“ inKassel;

• die „Familienkundliche Gesellschaft für Frankfurt und Nassau“ inFrankfurt.

Wie im Siegerland („Familienkundliche Arbeitsgemeinschaft (FAG)im Siegerländer Heimat- und Geschichtsverein“) gibt es auch inFulda, im Hanauischen, in Gelnhausen und um den Vogelsberg örtli-che Gruppen. Zusammengebunden sind die Vereine in der „Arbeits-gemeinschaft der familienkundlichen Gesellschaften in Hessen“.

Die Arbeitsgemeinschaft firmiert als Herausgeber der in Bensheimredigierten Zeitschrift „Hessische Familienkunde“, die jetzt (mit jähr-lich 4 Heften) im 24. Band erscheint. Beigefügt werden die Lieferungender „Hessischen Ahnenlisten“ (jetzt im 4. Band), die „Familienkundli-chen Nachrichten“ und Mitteilungen der Einzelvereine. Die Vereine inDarmstadt und Kassel publizieren eigene Schriftenreihen (zumeistOrtsfamilienbücher). Dazu gibt es allein in Hessen rund ein DutzendZeitschriften von Familienverbänden, die zumeist in der „Zentralstellefür Personen- und Familiengeschichte“ in Frankfurt-Höchst dokumen-tiert werden. Über Hessen hinaus wirkt das „Institut für personenge-schichtliche Forschung“ in Bensheim (gegründet 1967 von FriedrichWilhelm Euler als „Institut zur Erforschung historischer Führungs-schichten“ in Verbindung mit den von der Ranke-Gesellschaft organi-sierten „Büdinger Gesprächen“ zum Thema „Führungsschichten“); esbildet heute eine wichtige Schnittstelle zwischen familienkundlicher

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Laienforschung und wissenschaftlicher Genealogie bzw. Personenge-schichte. Schwerpunktthema ist zur Zeit die Beamtenschaft der Terri-torien des Alten Reiches unter besonderer Berücksichtigung Hessens.

Für den einzelnen Familienforscher ist Hauptansatzpunkt seinerArbeit noch immer die Auswertung der Kirchenbücher, vielfach engbegrenzt auf einzelne Orte der engeren Umgebung, die Herkunftsorteder Vorfahren. Er arbeitet vorrangig für sich, für seine Ahnen- undStammtafel, doch können sich die Recherchen durchaus auch zu um-fassenderen Verwandtschaftslisten oder ganzen Ortsfamilienbüchernausweiten, die dann freilich oft nur im Internet oder in Privatdruckenfür einen begrenzten Interessentenkreis publik werden.

Probleme ergeben sich zum Teil schon durch die verstärkte Benut-zung der zum Teil ohnedies in ihrem physischen Bestand gefährdetenKirchenbücher. Verschärft wird die Lage durch die noch größere Zahlder genealogischen Anfragen aus Nordamerika, die sich auf der Suchenach im 18. oder 19. Jahrhundert ausgewanderten Vorfahren an Ar-chive und Kirchengemeinden, Stadtverwaltungen oder sonstige An-sprechpartner wenden. In den hessischen Staatsarchiven sucht mananhand umfassender, heute großenteils computerisierter Auswande-rerdateien zumindest den Anknüpfungspunkt, den konkreten Her-kunftsort zu bestimmen. Für die weitere, zumeist honorierte Nachfor-schung vor Ort werden zum Teil die Vereine (die Geschäftsstelle derDarmstädter „Vereinigung“ befindet sich im „Haus der Geschichte“des Staatsarchivs), zum Teil private Forschungshelfer eingeschaltet.Ergebnis entsprechender Recherchen ist u.a. die 5-bändige Dokumen-tation über „Auswanderungen aus dem Odenwaldkreis“, die 1988/97von Ella Gieg in Lützelbach als Privatdruck publiziert wurde.

Mit den zahlreichen Anfragen in- und ausländischer Ahnenfor-scher sind vor allem die Pfarreien und ihre Archivverwalter überfor-dert. Hohe Benutzungs- und Bearbeitungsgebühren sollen ab-schrecken. Bemühungen um einheitliche, möglichst „benutzerfreund-liche“ Regelungen blieben zumeist ohne greifbare Ergebnisse, was po-sitive Beispiele guter Zusammenarbeit nicht ausschließt. Entlastungschafft zum Teil die seit den 1970er Jahren im Auftrag der „Genealo-gical Society of Utah“ durchgeführte Kirchenbuchverfilmung, mit derzumindest Teile der amerikanischen Fragesteller an die Zentralstelleder GSU in Salt Lake City verwiesen werden können. Entlastung brin-gen auch die in wachsender Zahl publizierten Ortsfamilien- oderOrtssippenbücher, in denen die Kirchenbucheinträge eines Orts nach

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Familien geordnet und vernetzt werden. Allein von der „Hessischenfamiliengeschichtlichen Vereinigung“ wurden hier in den letzten Jah-ren über 25 Bände gedruckt. Der Geschichtsverein in Arolsen hat 1997mit dem Band Nieder-Werbe bereits Band 56 der „WaldeckischenOrtssippenbücher“ vorgelegt.

Die in den offiziellen Reihen publizierten Bände erfassen aber nureinen kleinen Teil des tatsächlich aufgearbeiteten Materials. Zahlrei-che genealogische Arbeiten erscheinen im Selbstprint-Verfahren, ohneRegistrierung, in kleinsten Auflagen, meist ohne richtigen Titel undoft ohne eindeutigen Verfasser. Umfängliches Material (ganze Kir-chenbuchkopien, Karteien oder auswertende Zusammenstellungenunterschiedlichen Umfangs) findet sich überdies ungedruckt in denArbeitsnachlässen, die den Vereinen von ihren Mitgliedern überlassenwurden und werden. Die Vereine bemühen sich, auch von neu erstell-ten Stammtafeln, Auszugssammlungen und Ausarbeitungen der Ein-zelforscher Belegkopien zu bekommen. Vor allem in Hinblick auf diein jüngster Zeit neu erstellten elektronischen Dateien bedürfen dabeieine Reihe von Fragen dringend der Klärung:• Wie lässt sich die Vielfalt konventionell oder elektronisch gespei-

cherter Forschungsergebnisse kompatibel strukturieren und erfas-sen, um sie einem möglichst großen Kreis von Interessenten zu-gänglich zu machen?

• Wie werden die rechtlichen Fragen des Zugangs zu privat erhobe-nen Daten geregelt, der u.U. auch eine Benutzungsgebühr als an-teilige Aufwandsvergütung einschließen müsste?

• Wie kann eine längerfristige Verwahrung und Zugänglichkeit derelektronisch erstellten Dateien auch bei Wechsel der Computersys-teme sichergestellt werden?Gerade die letzte Frage beschäftigt natürlich auch die Archive, die

zunehmend damit konfrontiert sind, dass bisher in konventionellerPapierform dokumentierte Unterlagen wie Meldedateien oder Katas-ter nur noch in elektronischer Form vorliegen.

Ein Problem für die Genealogen ist darüber hinaus die bedingteKompatibilität der mit den verschiedenen marktgängigen Computer-programmen erfassten und gespeicherten Daten. Auch die Mitglieds-vereine der hessischen „Arbeitsgemeinschaft“ benutzen bisher unter-schiedliche Programme. Kassel und Darmstadt sind um eine Abstim-mung bemüht, von der Wiesbaden wegen seiner Anbindung an dasmit der Hessischen Zentrale für Datenverarbeitung vernetzte Haupt-

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staatsarchiv bisher ausgeklammert war. In Kassel wurde unter Lei-tung von Holger Zierdt ein Gesamtindex für die „Hessische Familien-kunde“ erstellt, der ins Internet eingebracht wird. Die Ausweitung aufeine umfassende Indizierung aller hessischen genealogischen Zeit-schriften und Publikationen ist im Gange. Für genealogische Datenfand das in Darmstadt entwickelte Genealogie-Programm „Ahn-Data“nur regional Verwendung. Favorisiert wird jetzt das Programmpaket„GES 2000“. Auch der in verschiedenen Genealogieprogrammen vor-gesehene Austausch mit GEDCOM, einem Angebot der „GenealogicalSociety“, hat sich als unzulänglich erwiesen. Es wird notwendig sein,zunächst einmal feste Standards festzulegen, welche Teile und in wel-cher Form die vorhandenen Materialien erfasst, gespeichert und er-schlossen werden sollen.

Die familienkundliche Forschung in Hessen bietet innerhalbDeutschlands eine außerordentlich breite Palette von Traditionen,Vereinen, Organisationen und Forschungseinrichtungen. Eine wirk-samere Vernetzung und systematischer Austausch der Forschungs-vorhaben und der erzielten Ergebnisse könnte auch für andere deut-sche Regionen exemplarischen Charakter haben. Zum Erreichen die-ses Ziels bedürfen die in erster Linie geforderten Vereine jedoch dernachhaltigen Förderung und Unterstützung von allen Beteiligten.

Literaturhinweise

Heinz F. FRIEDERICHS. Die Entwicklung der Genealogie in Hessen und Nas-sau. In: Hess. Familienkunde 3/11-12, 1956, Sp. 577-590.

50 Jahre Hessische familiengeschichtliche Vereinigung e.V. Darmstadt1921/1971. Festschrift, mit Beiträgen zur hessen-darmstädtischen Genea-logie. Darmstadt 1971. - Gert GRAMLICH: 75 Jahre Hessische familienge-schichtliche Vereinigung. In: Hess. Familienkunde 23/1, 1996, Sp.1f.

Jakob HENSELING, 50 Jahre Gesellschaft für Familienkunde in Kurhessenund Waldeck. In: Hess. Familienkunde 12/2-3, 1974, Sp. 125-146. – GustavEICHBAUM: 70 Jahre …. In: Hess. Familienkunde 22/3, 1994, Sp. 121f.

Lupold VON LEHSTEN: Das Institut für personengeschichtliche Forschung.In: Jahrbuch für historische Forschung, Berichtsjahr 1993. München 1994,S. 24-28.

Holger ZIERDT: Möglichkeiten und Grenzen der Genealogie im Internet –unter besonderer Berücksichtigung hessischer Informationen. In: Hess.Familienkunde 24/5, 1999, Sp. 277-294.

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Landeskundliche Zeitschriften

Prof. Dr. J. Friedrich Battenberg, Hessisches Staatsarchiv Darmstadt

Die Forschung zur geschichtlichen Landeskunde Hessens ist seit mehrals anderthalb Jahrhunderten eng mit periodisch erscheinenden Pub-likationsorganen verbunden, die (mehr oder weniger umfassend) fürdie Aufarbeitung der Geschichte und Kultur einer Region oder auchdes ganzen Landes zur Verfügung stehen. Bei der Entscheidung überdie Aufnahme der in den Schriftleitungen eingehenden Beiträge spieltes heute zumeist keine Rolle, welche historische Epoche angesprochenwird, ob der thematische Schwerpunkt auf allgemeiner politischer,auf sozialer oder wirtschaftlicher Geschichte liegt, ob Rechts-, Verwal-tungs- oder Kirchengeschichte angesprochen sind, ob mit Methodender Mikrohistorie, der „oral history“ oder der historischen Sozialfor-schung gearbeitet wird, ob ein eher allgemeines Thema oder ein Ein-zelfall aus den Akten behandelt werden. Veröffentlichen kann jederInteressent und jede Interessentin unabhängig von Vorqualifikationenund Titeln und auch unabhängig davon, ob er oder sie Mitglied in derhinter der Zeitschrift stehenden Vereinigung ist; der Beitrag muss nurqualitätsvoll sein, ins Spektrum der Zeitschrift passen und den redak-tionellen Richtlinien entsprechen. Landeskundliche Zeitschriften sindinhaltlich und in der Zusammensetzung der Autorenschaft grund-sätzlich offen und umfassend konzipiert, sofern der aufzunehmendeBeitrag für die Geschichte der behandelten Region relevant ist.

Diese „Allzuständigkeit“, die sich auch in der von vielen Autorenund Autorinnen bevorzugten interdisziplinären Arbeitsweise nieder-schlägt, erscheint heute so selbstverständlich, dass man darüber kaumein Wort verlieren müsste. Bezeichnend ist, dass das 1951 erstmalspublizierte „Hessische Jahrbuch für Landesgeschichte“, das damalsunter der Schriftleitung von Prof. Friedrich Uhlhorn (Marburg) vonder Arbeitsgemeinschaft der Historischen Kommissionen in Darm-stadt, Frankfurt, Marburg und Wiesbaden herausgegeben wurde (dieoffizielle Verbindung mit dem Hessischen Landesamt für geschichtli-che Landeskunde besteht seit 1963), ohne jedes einführende „Edito-

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rial“ auskam: Man ging offenbar davon aus, dass die Publikation einesderartigen Jahrbuchs mit der üblichen Dreiteilung in Aufsätze, kleineBeiträge (Miszellen) und Buchbesprechungen keiner nähere Begrün-dung bedürfe, dass der Inhalt mit dem Begriff „hessische Landesge-schichte“ hinlänglich definiert sei. Dabei blieb denn auch unerwähnt,dass es seit mehr als hundert Jahren in allen vier historischen Groß-landschaften Hessens – den vordem selbständigen Landesteilen Kur-hessen, Großherzogtum Hessen, Herzogtum Nassau und Freie StadtFrankfurt – historische Jahrbücher gab, die das Gebiet des neuen Bun-deslandes Hessen samt den angrenzenden, ehemals hessischen bzw.nassauischen Gebieten fast lückenlos abdeckten; dazu kamen zahlrei-che weitere landeskundliche Zeitschriften, die für engere historischeRegionen, Städte und Gemeinden zusätzliche Publikationsmöglich-keiten boten.

Dass das „Hessische Jahrbuch“ dennoch seine Existenzberechti-gung hat und letztlich nicht als Konkurrenz zu den älteren Jahr-büchern zu verstehen ist, ergibt sich aus der vorausgesetzten, wennauch nicht ausdrücklich erklärten Zielvorstellung: Nach der 1945 er-folgten Gründung des neuen Landes (Groß-)Hessen schien es an derZeit, mit einer auf dessen Grenzen bezogenen Zeitschrift das histori-sche Bewusstsein für das gesamte Land zu stärken, die überkommeneOrientierung an den alten Regionen Althessens, Nassaus und derReichsstadt aufzugeben und die historisch-landeskundlichen Grund-lagen zur Schaffung einer neuen, das gesamte Land umfassendenIdentität zu legen. Dies bedeutet nicht, dass diese Zeitschrift nur diedeutsche Nachkriegsgeschichte am Mittelrhein behandeln sollte.Auch war keineswegs beabsichtigt, die gesamte ältere Geschichte aufdas heutige Bundesland hin zu interpretieren, in dem Sinne etwa, dassvon der Besatzungsmacht nur vereinigt worden sei, was eigentlichschon immer zusammengehört hatte, auch wenn es ältere „Großhes-sen“-Pläne durchaus gegeben hatte.

Beim Blick auf den Inhalt des ersten „Jahrbuch“-Bandes mit Beiträ-gen von der Kultur der „urnenfelderzeitlichen Grabhügel“ im FuldaerLand bis zum Kirchenverfassungsrecht des 19. Jahrhunderts in Nas-sau bleibt eher der Eindruck einer konzeptionellen Offenheit oder garUnsicherheit. Die Vorgeschichte, Entstehung und weitere Entwick-lung Hessens in seiner heutigen Gestalt wird auch in der Folge kaumthematisiert. Selbst als Karl E. Demandt, Verfasser der wenige Jahrezuvor erschienenen „Geschichte des Landes Hessen“, im 12. Band

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1962 über „Fragen der hessischen Landesgeschichtsschreibung“ refe-rierte, wurde die Gelegenheit zu einer konzeptionellen Reflexion nichtgenutzt. Erst 1970 (im 20. Jahresband) findet sich ein Aufsatz von WolfH. Struck „Zur ideenpolitischen Vorbereitung des Landes Hessen“.

Die für landeskundliche Zeitschriften selbstverständliche Offen-heit, die auch als methodische Unentschiedenheit oder Scheu vor ein-seitiger Festlegung und inhaltlicher Eingrenzung interpretiert werdenkönnte, ist ein Ergebnis der jüngeren Entwicklung, für die man die Re-sonanz auf die republikanische Demokratisierung nach dem ErstenWeltkrieg und die nachfolgenden Jahre des Nationalsozialismus ge-nauer ins Auge fassen müsste, prüfen müsste, wie sich die zwangs-läufige „Gleichschaltung“ der jeweiligen Zeitschriftenträger aus-wirkte, wieweit man „Mitläufer“ wurde, in unpolitische Freiräumezurückwich oder die Publikation in der Hoffnung auf bessere Zeiteneinschlafen ließ. Beim Darmstädter „Archiv für hessische Geschichteund Altertumskunde“ wurden die 1943 durch Bombeneinwirkungzerstörten Druckvorlagen für Band 23/1 mit einem Gedenkaufsatzzum Vertrag von Verdun 843 unverdrossen wiederhergestellt, so dassder Text (offenbar unverändert) im Juni 1945 erscheinen konnte. Erstdann gab es eine, auch durch Papiermangel bedingte Unterbrechung,bis 1950 das 2. Heft des Bandes folgte. Wie auch die anderen älterenlandeskundlichen Zeitschriften wurde das „Archiv“ durch das „Hes-sische Jahrbuch“ nicht verdrängt, allenfalls veranlasst, den eigenenWirkungsbereich näher zu definieren und zugleich die Betreuung desengeren historischen Wirkungsbereichs zu intensivieren.

Im vorigen Jahrhundert hatten die Gründungsväter der noch heuteerscheinenden vier „großen“ landeskundlichen Zeitschriften in Hes-sen Pionieraufgaben zu bewältigen. Die Erweiterung des Spielraumsder bürgerlichen Öffentlichkeit im Zuge der Aufklärung hatte zwarbereits im 18. Jahrhundert zur Gründung erster historisch orientierterZeitschriften geführt. Für die in den 1820er und 30er Jahren neu begründeten landeskundlichen Jahrbücher gab es jedoch kein Vorbildund auch keine logistischen oder organisatorischen Erfahrungen. Trä-ger der neuen Publikationsorgane, die der neu definierten „älterendeutschen Geschichtskunde“ eine breitere Basis schaffen sollten,waren die neu begründeten Historischen Vereine. Vorrangiges Zielwar die Sammlung und Vermittlung von Nachrichten über „Altertü-mer“ und andere Geschichtsquellen. Dabei blieb man der Zensur desStaates unterworfen, der sichergehen wollte, dass nicht im Gewand

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geschichtlicher Beispiele (wie der Berufung auf den Bauernkrieg von1525) politische Propaganda gemacht wurde. Die Behandlung vonThemen der jüngeren Geschichte wurde im Großherzogtum Hessenausdrücklich verboten.

Die erste landeskundliche Zeitschrift im Bereich des heutigen Bun-deslandes Hessen waren die 1827 in Wiesbaden begründeten „Anna-len des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsfor-schung“. Vereinssekretär Archivar Friedrich Gustav Habel aus Schier-stein erläuterte im Vorwort des ersten Heftes, der Vorstand habe demvielfach geäußerten Wunsch entsprochen, „in einer Zeitschrift diejeni-gen Aufsätze niederzulegen, wodurch sich die Tätigkeit der Mitglie-der für die Zwecke des Vereins beurkundet“. So könne „die Teilnahmean vaterländischer Geschichtskunde allgemeiner verbreitet und […]durch Aufsuchung und Benutzung noch verborgener historischerHülfsquellen der Grund zu einer Sammlung mehrseitig geprüfter Ma-terialien gelegt werden, aus welchen der Geschichtsschreiber in derFolge eine gründliche und umfassende Landesgeschichte mit Sicher-heit darzustellen im Stande ist“. Die Statuten der „Gesellschaft fürNassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung“ definiertenden Vereinszweck mit „Aufsuchung, Sammlung und Beschreibungder römischen und deutschen Alterümer im Herzogtum Nassau“ undsahen zugleich vor, dass „die Resultate der Arbeiten und Verhandlun-gen des Vereins […] zum Druck befördert“ werden sollten. Vorrangi-ges Ziel war also der Ausbau einer Materialsammlung als Grundlagekünftiger Darstellung der älteren Nassauischen Geschichte.

Der „Historische Verein für Hessen“ ging in seinem 1835 erstmalserschienenen „Archiv für Hessische Geschichte und Altertumskunde“deutlich über solche Zielvorstellungen hinaus. Nach dem ursprüngli-chen Entwurf des nachmaligen Herausgebers Johann Wilhelm Chris-tian Steiner von 1832 sollte die Zeitschrift „als wesentliches Mittel zurBeförderung vaterländischer Geschichtskunde“ dienen, „welche dieBearbeitungen der Mitglieder aufnimmt“, die damit zu selbständigerwissenschaftlicher Mitarbeit aufgerufen waren. Die von Staatsminis-ter du Thil genehmigten Statuten von 1834 definierten den Vereins-zweck mit „Beförderung des Forschens im Gebiete der hessischen Al-tertumskunde und Landesgeschichte“ mit dem bereits erwähnten„Ausschluss der Tagesgeschichte und aller Erörterungen über politi-sche Gegenstände der neuesten Zeit“. Das war letztlich noch toleran-ter als die vom Gründungsvorsitzenden Staatsrat Eigenbrodt vorge-

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schlagene Beschränkung auf die „ältere Geschichte“, die ein anderesVotum „etwa bis zum Schluss des 17. Jahrhunderts“ eingrenzenwollte. Im vorgegebenen Rahmen sollte die Zeitschrift neben eigentli-chen Vereinsnachrichten „Beschreibungen alter Denkmäler sowie ge-schichtliche Monographien über einzelne Landesteile und einzelne,sich auf Staat, Kirche, Gemeinden u.s.w. beziehende Institute“, außer-dem „Abdrücke geschichtlicher Quellen“ und schließlich ergänzende„Miscellen“ bringen, in denen „insbesondere kurze Anfragen undAufschlüsse über bisher zweifelhafte Punkte der ältern vaterländi-schen Geschichte ihre Stelle finden, sowie einzelne interessante Zügeaus derselben aufgenommen werden können“. Die zu bearbeitende„Landesgeschichte“ war hier deutlich weiter gefasst als die in Wies-baden anvisierte „Altertumskunde“.

Zukunftsweisend war an sich auch die 1832 vom DarmstädterGymnasialdirektor Dilthey mit Kostengründen motivierte Anregung,„teilweise Verbindungen mit andern gelehrten Gesellschaften undVereinen einzuleiten oder eine Erweiterung des Vereins zu einem all-gemein hessischen durch Ausbreitung in Kurhessen“ zu erwirken. InKassel stimmte man dem zu, entschloss sich aber, nachdem man ausDarmstadt die Begrenzung auf „unser Hessen“ vorgezogen hatte, mitdem eigenen „Verein für hessische Geschichte und Landeskunde“ebenfalls eine Zeitschrift ins Leben zu rufen. Der Herausgeber der ab1837 publizierten „Zeitschrift“, die nachmals mit „ZHG“ abgekürztwurde, erläuterte in seiner Einführung, dass es nicht nur um For-schung und Erweiterung des historischen Wissens gehe, sondern auchund vor allem um die Verbreitung gründlicher historischer Kennt-nisse: „Eine von dem Vereine zu begründende Zeitschrift, in zwang-losen Heften, dürfte wohl das geeignetste Mittel sein, den Geschmackfür vaterländische Geschichte zu wecken und zu beleben und zu-gleich die Mitglieder des Vereins selbst mit mehr Lust und Eifer zumArbeiten zu erfüllen.“ Hier wird also als weitere Funktion die Bildungeines auf Quellenkenntnissen beruhenden Geschichtsbildes angege-ben. Die Spannweite der als Grundlage einer breiteren historischenBildung anzusetzenden landeskundlichen Forschung umrissen die imEröffnungsheft der „Zeitschrift“ publizierten Statuten: „Als Grund-lage einer umfassenden Geschichte des Landes und seiner Bewohnerund als Gegenstände, denen deshalb vorzügliche Aufmerksamkeit zuwidmen ist“, werden insbesondere bezeichnet: Die natürliche Be-schaffenheit des Landes und seiner Erzeugnisse; der Ursprung und

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die Stammesverhältnisse der Bewohner, die Sprache nach ihrenMundarten, Sagen, Lieder u.s.w.; die Geschichte des Volkes, der Fürs-ten, Geschlechter und Ortschaften; die alte Gau- und spätere Ge-richtsverfassung; das Kirchenwesen; die Güterverhältnisse; die städti-schen Freiheiten, das Zunftwesen und andere Genossenschaften, dieGewerbe und bäuerlichen Verhältnisse und sonstige die Landwirt-schaft betreffende Einrichtungen; die Rechtsaltertümer, Gebräuche,Festlichkeiten; die Fortschritte und Leistungen der Wissenschaftenund Künste, und Beschreibung von Altertümern aller Art; „überhauptalles, was dazu dienen kann, ein möglichst richtiges und vollständigesBild von dem Zustande des Vaterlandes in den verschiedenen Zeitenzu entwerfen“. Die Altertümer rangierten hier ganz am Schluss, nachDisziplinen, die wir heute mit geschichtlicher Landes- und Volks-kunde, Rechts- und Verwaltungsgeschichte, Kirchen- und Bildungs-,Wirtschafts- und Sozialgeschichte bezeichnen würden. Wir könntendas Publikationsprogramm einer landeskundlichen Zeitschrift heutekaum besser definieren.

Die jüngste dieser älteren Gründungen, das 1839 erstmals publi-zierte „Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst“, verschob denAkzent noch stärker auf Vermittlung historischen Wissens an die Öf-fentlichkeit: „Im allgemeinen geht die Absicht nicht darauf hin, dunklePunkte in Frankfurts Altertümern durch gelehrte Forschungen aufzu-hellen, sondern das vorhandene Material jeder Art in einer Weise zuverarbeiten, die es jedem, der an dem geschichtlichen Leben einer derältesten und bedeutendsten Städte unseres Vaterlandes teilnimmt, zu-gänglich macht“. Die Vergangenheit sollte „in das Gedächtnis der Mit-welt zurückzurufen“ werden. Die Zeitschrift als Kommunikationsme-dium des „kulturellen Gedächtnisses“ also? Dieser Gedanke könnte inunserer schnelllebigen und weitgehend computergesteuerten Zeit, inder selbst historische Quellen zum „Wegwerfgut“ geworden sind,neue Aktualität gewinnen. Es wird deutlich, dass die von den landes-kundlichen Zeitschriften betriebene Historiographie nicht auf dasbloße Sammeln, Ordnen und Forschen beschränkt sein sollte; dassauch die in Kassel angestrebte interdisziplinäre Ausweitung der Ge-schichte nicht genügte: Vorrangiges Ziel war es, die gesammelten Ma-terialien und Ergebnisse in allgemeinverständlicher Form zu vermit-teln, historisches Bewusstsein zu bilden und so an der Bildung des kul-turellen Gedächtnisses der jeweiligen Region mitzuwirken.

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Die Gründungen der Vormärzjahre, die sämtlich bis in unsere TageBestand hatten, bildeten einen ersten, aber entscheidenden Auftakt,der die grundsätzliche Richtung für alle später gegründeten landes-und heimatkundlichen Zeitschriften vorgab. Bei diesen ging es zu-meist um die weitere Regionalisierung und Popularisierung der Ge-schichte für Interessenten „vor Ort“. Dazu kam die Abspaltung undDifferenzierung eigenständiger Bereiche. Benannt werden sollen we-nigstens beispielhaft die ab 1879 publizierten „Jahresberichte desOberhessischen Vereins für Localgeschichte“, die ab 1889 in die „Mit-teilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins in Gießen“ eingin-gen. Die 1898 entstandene Zeitschrift „Hessenland. Zeitschrift für hes-sische Geschichte und Literatur“ blieb nicht lange bestehen, hatte aberverschiedene Nachfolger. Um die Jahrhundertwende entstanden die„Geschichtsblätter für Waldeck und Pyrmont“ (1901), die „FuldaerGeschichtsblätter“ (1902) sowie die „Friedberger Geschichtsblätter“,die ab 1952 als „Wetterauer Geschichtsblätter“ fortgeführt wurden.Nach Ende des Zweiten Weltkriegs kamen die „Hessische Familien-kunde“ (1948), in der die seit 1925 herausgegebenen „Mitteilungender Hessischen Familiengeschichtlichen Vereinigung“ aufgingen, unddas „Jahrbuch der Kirchengeschichtlichen Vereinigung in Hessen undNassau“ (1949) dazu. Regional enger begrenzt wurden die Zeitschrif-ten „Der Odenwald“ (1953) und die „Geschichtsblätter für den KreisBergstraße“ (1968). Hinzu kamen zahlreiche landeskundlich orien-tierte Fachzeitschriften aus angrenzenden Gebieten, die mit Teilenihres historischen Sprengels in den Bereich des heutigen Bundeslan-des Hessen hineinreichen.

Versucht man eine abschließende Bewertung dieser Vielfalt landes-kundlicher Periodica vor dem Hintergrund der historischen Entwick-lung, so sind zwei Tendenzen sichtbar: Auf der einen Seite stehen dievier traditionsreichen „großen“ Zeitschriften des Landes aus den An-fangsjahren der Geschichtsvereine im vorigen Jahrhundert, denen dieNachkriegsgründung des „Hessischen Jahrbuchs für Landesge-schichte“ zugesellt wurde. Sie alle wollen das Spektrum der Ge-schichtlichen Landeskunde für ihren jeweiligen Bereich möglichstumfassend abdecken und unter Nutzung des verfügbaren wissen-schaftlich-methodischen Instrumentariums präsentieren. Dabei wer-den neuerdings zunehmend auch zeitgeschichtliche Themen berück-sichtigt. Beispielhaft sei hier auf den 55. Band des „Archiv für hessi-sche Geschichte und Altertumskunde“ von 1997 hingewiesen, der

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neben Aufsätzen zur mittelalterlichen Stadttopographie und zur Ge-schichte der Hugenotten auch Beiträge zur Judenemanzipation imÜbergang zur bürgerlichen Gesellschaft, zur politischen Orientierungder Juden in der Weimarer Republik und zum Wiederaufbau Darm-stadts nach dem Zweiten Weltkrieg enthält. Eine zweite Ebene bildendie mit Sonderbereichen befassten Zeitschriften und auf kleinere Re-gionen ausgerichteten Blätter, die in ihrem begrenzten Themenkreis instärkerem Umfang auch Beiträge von Laienforschern aufnehmen unddamit zugleich eine fachlich weniger vorgebildete Leserschaft anspre-chen, um das Bewusstsein für Regional- und Heimatgeschichte zustärken. Die traditionsreichen „großen“ Zeitschriften, die Organe derSonderdisziplinen (z.B. die „Hessischen Blätter für Volkskunde“) wiekleinräumig ausgerichteten Blätter haben nebeneinander ihre Berech-tigung und leisten in ihren Bereichen sinnvolle und notwendige Ar-beit. Vielleicht sollte man sich wünschen, dass sich das „HessischeJahrbuch für Landesgeschichte“, das mit dem im Sommer 1999 inMarburg durchgeführten Jubiläums-Symposium „50 Jahre Landes-kunde in Hessen“ für den 50. Band im Jahre 2000 eine umfassende Bi-lanz der hessischen Landesgeschichtsforschung vorbereitet, auchkünftig stärker auf überregionale Fragestellungen orientiert, so dasssich eine echte Dreistufigkeit im Aufbau der landeskundlichen Zeit-schriftenlandschaft Hessens ergäbe.

Literaturhinweise

Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst. Hg. im Auftrag des FrankfurterVereins für Geschichte und Landeskunde. Neue Folge Bd. 1-65. Frankfurt1860-1999.

Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde. Hg. Hessisches Staats-archiv Darmstadt in Verbindung mit dem Historischen Verein für Hessen.Bd. 1-15, Neue Folge Bd. 1-57. Darmstadt 1837-1999.

Archiv für Mittelrheinische Kirchengeschichte. Hg. im Auftrag der Gesell-schaft für Mittelrheinische Kirchengeschichte. Bd. 1-51. Trier/Speyer 1949-1999.

Fuldaer Geschichtsblätter. Zeitschrift des Fuldaer Geschichtsvereins. Bd. 1-76.Fulda 1902-1999.

Geschichtsblätter Kreis Bergstraße. Hg. Arbeitsgemeinschaft der Geschichts-und Heimatvereine im Kreis Bergstraße. Bd. 1-32. Heppenheim 1968-1999.

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Geschichtsblätter für Waldeck (bis 1938: für Waldeck und Pyrmont). Hg. Wal-deckischer Geschichtsverein. Bd. 1-87. Arolsen 1901-1999.

Hessische Blätter für Volkskunde. Hg. Hessische Vereinigung für Volkskunde.Bd. 1-64/65. Gießen 1902-1974; Forts.: Hessische Blätter für Volks- undKulturforschung. Neue Folge Bd.1-34. Marburg 1976-1998.

Hessische Familienkunde. In Arbeitsgemeinschaft hg. Gesellschaft für Fami-lienkunde in Kurhessen und Waldeck, Familienkundliche Gesellschaft fürNassau und Frankfurt, Hessische Familiengeschichtl. Vereinigung. Bd. 1-24.Darmstadt 1948-1999.

Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte. Hg. Hessisches Landesamt für ge-schichtliche Landeskunde und von der Arbeitsgemeinschaft der Histori-schen Kommissionen in Darmstadt, Frankfurt, Marburg und Wiesbaden.Bd. 1-49. Marburg 1951-1999.

Jahrbuch der Hessischen kirchengeschichtlichen Vereinigung. Bd. 1-50. Darm-stadt 1949-1999.

Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins. Neue Folge Bd. 1-84.Gießen 1879-1999.

Nassauische Annalen. Jahrbuch des Vereins für Nassauische Altertumskundeund Geschichtsforschung. Bd. 1-110. Wiesbaden 1827-1999.

Wetterauer Geschichtsblätter. Beiträge zur Geschichte und Landeskunde. Bd. 1-45. Friedberg 1952-1996 (1999).

Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde. Bd. 1-104.Kassel 1837-1999.

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Geschichtsausstellungen

Dr. Fritz Wolff, Hessisches Staatsarchiv Marburg

Ausstellungen, mit denen die Erinnerung an Personen, Ereignisseoder Zustände der Vergangenheit wachgehalten oder wiederbelebtwerden soll, bilden heute einen unverzichtbaren Bestandteil der his-torisch-politischen Bildungsarbeit. Sie dienen der kritischen Rückbe-sinnung, der Selbstvergewisserung oder der Neuinterpretation der ei-genen Geschichte und bilden gleichzeitig eine nicht zu unterschät-zende Ergänzung des kulturellen Freizeitangebots. Häufig knüpfensie an ein bestimmtes Datum an, an einen Gedenktag oder ein Ge-denkjahr, dessen Aussage nicht nur in Wort und Schrift, sondern ebenauch durch eine Ausstellung verdeutlicht, im Wortsinne sichtbar ge-macht werden soll. Im Folgenden werden die wichtigsten Sparten der„Geschichtsausstellung“ in einer einigermaßen systematisierten Formvorgestellt. Behandelt werden Ausstellungen auf Landesebene undsolche von regionaler oder lokaler Bedeutung, sodann Wechselaus-stellungen von Archiven, Bibliotheken und Museen und schließlichdie Wanderausstellungen der hessischen Staatsarchive. Um einen Ein-druck von der Vielfalt der hessischen Ausstellungslandschaft zu ver-mitteln, werden bewusst zahlreiche Beispiele genannt. Ausgeklam-mert bleibt hier die sicher auch vorhandene Problematik des Ausstel-lungsbetriebes, angefangen bei der Themenwahl bis zu Fragen derAusstellungstechnik, der Gestaltung und Didaktik und schließlichauch des Kosten-Nutzen-Verhältnisses.

Landesausstellungen: In einigen Ländern, so in Bayern, Baden-Würt-temberg und in den österreichischen Bundesländern, sind große, injährlichem Rhythmus wechselnde Landesausstellungen gleichsam in-stitutionalisiert und wirken weit über die Landesgrenzen hinaus, auchals Faktor der Tourismus-Industrie. Auch Hessen veranstaltet solcheLandesausstellungen die landesweite und darüber hinaus reichendeBeachtung beanspruchen (wenn auch nicht in jährlicher Wiederkehr).Das gilt etwa für die Ausstellungen: „Herzogtum Nassau 1806-1866“(Wiesbaden 1981), „200. Geburtstag der Brüder Grimm“ (Kassel 1986),

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„Georg Büchner. Revolutionär/Dichter/Wissenschaftler“ (Darmstadt1987, Weimar 1988), „Ulrich von Hutten“ (Schlüchtern 1988, auch inNürnberg), „Hessen und Thüringen“ (Marburg 1992, dann auch in Ei-senach), „50 Jahre Land Hessen“ (Frankfurt a. M. 1995) und „1848.Aufbruch zur Freiheit“ (Frankfurt a.M. 1998, unter Beteiligung vonBund und Stadt). Alle Einrichtungen des Landes, Archive, Bibliothe-ken und Museen, wirken daran mit; dazu kommen hochkarätige Leih-gaben aus anderen Bundesländern oder aus dem Ausland, oft auchaus Privatbesitz. Konzipiert und gestaltet werden diese Ausstellungenin der Regel von einem Team von Landeshistorikern und Museums-fachleuten, das von Architekten, Graphikern und Restauratoren un-terstützt wird. Die beträchtlichen Mittel in Millionenhöhe, die für diemehrjährigen Vorarbeiten und für die Realisierung erforderlich sind,werden z.T. von der Landesregierung zur Verfügung gestellt, z.T. vonKulturstiftungen und Sponsoren übernommen. Zur Ausstellunggehört ein Katalog, manchmal in mehreren Bänden, der die präsen-tierten Objekte beschreibt und meist auch einen umfangreichen Auf-satzteil mit der Zusammenfassung des wissenschaftlichen Ertragsenthält.

Landesweite Bedeutung haben auch manche Ausstellungen, die inder Trägerschaft einzelner Städte oder Institutionen durchgeführtwerden, wie die Jubiläumsausstellung „Ein Dokument deutscherKunst. Darmstadt 1901/1976“, die Kasseler Ausstellung „300 JahreHugenotten in Hessen“ (1985), „750 Jahre Frankfurter Messe“ (1991)und die Rothschild-Ausstellung in Frankfurt (1995) oder die Elisa-beth-Ausstellung 1981 in Marburg, die von der Universität und demLandesamt für geschichtliche Landeskunde getragen wurde. In die-sem Zusammenhang sind schließlich auch Ausstellungen aus anderenLändern zu nennen, die wegen ihres besonderen Bezugs zur hessi-schen Geschichte auch in Hessen gezeigt werden: die Lomonossow-Ausstellung des Historischen Museums Moskau (im StaatsarchivMarburg 1990), die Herder-Ausstellung der Stiftung Weimarer Klassik(Haus der Geschichte in Darmstadt 1995) oder die Landgraf-Moritz-Ausstellung des Weser-Renaissance-Museums Lemgo (in der Orange-rie in Kassel 1997).

Regionale und lokale Ausstellungen: Verlässt man die Landesebeneund begibt sich in enger begrenzte regionale und lokale Bereiche, sobietet sich ein buntes und kaum noch überschaubares Bild von The-men und Anlässen für Geschichtsausstellungen. Gefeiert und mit

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einer Ausstellung geschmückt werden Jubiläen von Städten und In-stitutionen (1200 Jahre Pfungstadt, 1200 Jahre Oberursel, 400 JahreNeustadt Hanau, 350 Jahre Gesundbrunnen Hofgeismar, 150 JahreLandkreis Erbach, 100 Jahre Maifestspiele Wiesbaden, 425 Jahre Land-gericht Darmstadt, 100 Jahre Stadtvermessungsamt Gießen, 25 JahreLandesfinanzschule Rotenburg), verdienstvolle Persönlichkeiten (nurdas Beispiel Kassel: der Architekt Simon Louis du Ry, der KomponistLouis Spohr, der jüdische Schriftsteller Franz Rosenzweig, der Loko-motivenkönig Henschel, die Brüder Murhard) oder Ereignisse derStadtgeschichte (700 Jahre Marienkirche in Marburg, 150 Jahre Stän-dehaus in Kassel, 150 Jahre Revolution 1848, fast in jeder hessischenStadt). Daneben gibt es Ausstellungen ohne unmittelbaren chronolo-gischen Bezug zur Stadt- oder Institutionengeschichte (Zünfte in Fran-kenberg 1979, Marktgeschehen in Büdingen 1980, Berühmte Soziali-sten in Marburg 1991, Arolsen als Residenz 1992 oder Historische Kar-ten der Landesvermessung, eine Wanderausstellung des Landesver-messungsamtes 1980). Die Initiative zu solchen Veranstaltungen liegtoft bei städtischen Einrichtungen, bei Vereinen, interessierten Grup-pen und manchmal auch bei Einzelpersonen, die sich für die Sache en-gagieren. Das Ausstellungsmaterial kommt aus Heimatmuseen undStadtarchiven, aus privaten Sammlungen (ertragreich sind oft Foto-sammlungen oder Kollektionen von Ansichtskarten); nicht seltenlocken die Ausstellungsmacher, das Stadtmuseum oder der Ge-schichtsverein, durch einen Aufruf in der Lokalzeitung unerwarteteStücke aus Privathaushalten, aus Dachböden und Kellern ans Tages-licht. In der Regel werden aber auch Leihgaben aus den Staatsarchivenund Landesmuseen erbeten (die Urkunde mit der Ersterwähnung derStadt, alte Landkarten mit der Stadtlage, Bauzeichnungen einzelnerGebäude oder Porträts).

Wechselausstellungen: Während Geschichtsausstellungen bei Kom-munen oder Institutionen gewissermaßen zu den „freiwilligen Leis-tungen“ gehören, die hin und wieder, aber keineswegs regelmäßig er-bracht werden, zählen sie für die großen staatlichen und städtischenArchive, Bibliotheken und Museen in gewissem Umfang zu denPflichtaufgaben. Hier sollen die Dauerausstellungen der historischenMuseen (oder Museumsabteilungen) ebenso wie die ständigen Zime-lienausstellungen der Archive unberücksichtigt bleiben. Es geht viel-mehr um Wechselausstellungen, die bei den Museen ohnehin zumnormalen Geschäft gehören, aber auch bei den Bibliotheken und Ar-

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chiven zunehmend in Gebrauch gekommen sind und inzwischeneinen festen Bestandteil des jährlichen Arbeitsprogramms bilden. Beiden Museen, die Malerei und Graphik, Skulptur und Architektur, Bildund Gegenstand in ihren Ausstellungen vermitteln, stehen „Ge-schichtsausstellungen“ im engeren Sinne naturgemäß nicht an ersterStelle; doch auch bei Themen aus dem Gebiete der Kunst wird, wo essinnvoll und möglich ist, der historische Kontext hergestellt. Ob „Auf-klärung und Klassizismus in Hessen“ (Kunstsammlungen Kassel1979), der Architekt Louis Remy de la Fosse (Stadtmuseum Darmstadt1980), „Architektur der Synagoge“ (Architekturmuseum Frankfurta.M.), „Herkules“ (Staatliche Museen Kassel 1997) – immer gehörendazu auch Leihgaben aus den Staatsarchiven, persönliche Korrespon-denzen und Urkunden, Pläne und Druckschriften, durch die die hi-storische Dimension verdeutlicht und veranschaulicht wird.

Anders als bei den Museen, die ja schon von ihrer Funktion her„Schau-Orte“ sind, über Schau-Räume verfügen und ihre Besucherzum Betrachten einladen, liegen die Dinge bei den Archiven und Bib-liotheken. Hier ist es nicht die große „Saalausstellung“, sondern eherdie Gelegenheitsausstellung im Foyer, in der Eingangshalle oder inden Wandelgängen, die gerade auch denen etwas bieten soll, die nichteigens zu einer Ausstellungsbesichtigung ins Haus kommen, sonderndie dort in den Lesesälen arbeiten, die gewissermaßen die Laufkund-schaft der Institute bilden. Selbstverständlich wird die Öffentlichkeitauch auf diese Ausstellungen durch offizielle Eröffnung und Presse-berichte aufmerksam gemacht, werden besondere Führungen fürSchulklassen, Vereine und interessierte Gruppen angeboten. Archiveund Bibliotheken greifen bei ihren Wechselausstellungen in ersterLinie auf eigene Bestände zurück (wenn sie nicht Ausstellungen über-nehmen, die schon anderswo gezeigt worden sind). Von der Thematikher sind es bei den Bibliotheken meist Beiträge zur Buchgeschichte,zur Literatur- oder Wissenschaftsgeschichte oder zu einzelnen, mitder Institution verbundenen Persönlichkeiten. Als Beispiele seien ge-nannt für die Landesbibliothek Fulda: Fuldische Handschriften ausHessen (1994); für die Universitätsbibliothek Marburg: MarburgerFrühdrucke (1987), Alte Karten und Atlanten (1990), der Neukantia-ner Hermann Cohen (1992), Melanchthon und die Marburger Profes-soren (1999); für die Landes- und Hochschulbibliothek Darmstadt:Bühnenbildmodelle aus dem Besitz der Bibliothek (1995). Auch dieseAusstellungen werden oft durch Leihgaben aus den Archiven ange-

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reichert, wie denn diese ihrerseits auch auf solche aus Bibliothekenund Museen zurückgreifen.

Für die Staatsarchive bieten nicht nur, wie man zunächst meinenkönnte, die großen Ereignisse der Geschichte den Anlass zu einer Aus-stellung, obwohl diese natürlich auch berücksichtigt werden: „Waldeckim Strudel der großen Politik“ (Marburg 1961), „Hessen-Darmstadtund die Französische Revolution“ (Darmstadt 1988/90), „150 JahreNassauer Verfassung“ (Wiesbaden 1989), „350 Jahre Westfälischer Frie-den“ (Marburg 1998). Ebenso häufig sind es Themen mit ausgespro-chenem Lokalbezug: „Marburg 750 Jahre Stadt“ (Marburg 1972), „EinRundgang durch Alt-Eberstadt“ (Darmstadt 1989), „Von der Kurstadtzur Landeshauptstadt“ (Wiesbaden 1995/96); zur Bevölkerungs- undStrukturgeschichte der Region: Auswanderung aus Kurhessen (Mar-burg 1982), Kurhessische Beamtenfamilien (Marburg 1985), Juden inWiesbaden (Wiesbaden 1988), Anfänge der Industrialisierung (Wiesba-den 1992), Auswanderung aus Nassau (Wiesbaden 1992/93); überLeben und Werk einzelner Persönlichkeiten: der Philosoph ChristianWolff, der Heraldiker Otto Hupp, der Kunsthistoriker Hermann Grimm(Marburg 1978, 1980, 1985), der Politiker Wilhelm Leuschner, der Foto-graf Joseph Magnus, der Plakatkünstler Klaus Dill (Darmstadt 1990und 1995); und schließlich auch zur eigenen Arbeit und Geschichte:Hessische Kreis- und Gemeindewappen (Marburg 1984), Typische Bei-spiele aus den Beständen (Wiesbaden 1985), „Vom Hoftheater zumHaus der Geschichte“ (Darmstadt 1994), „Das Staatsarchiv als Collec-ting Point“ (Marburg 1996). Hinzu kommt die oft kurzfristig zu arran-gierende Präsentation ausgewählter Archivalien beim Besuch des Ar-chivs durch Persönlichkeiten von Rang: thailändische Prinzen 1961, derGeneraldirektor der Archive der Sowjet-Union 1969, die hessische Wis-senschaftsministerin 1984, der schwedische Botschafter 1991.

Die archiveigenen Ausstellungen werden in der Regel vom eigenenPersonal und mit eigenen Mitteln erarbeitet. Oft werden die Archiv-pädagogen, Gymnasiallehrer, die seit 1986 an den hessischen Staatsar-chiven eingesetzt sind, an der Themenwahl und an den Vorbereitun-gen beteiligt. Das Staatsarchiv Marburg führt daneben in Zusammen-arbeit mit der Archivschule Marburg gelegentlich Lehrausstellungendurch, die von den Teilnehmern der Lehrgänge gestaltet werden.

Wanderausstellungen der hessischen Staatsarchive: Einen besonderenPlatz in der hessischen Ausstellungslandschaft nehmen die Wander-ausstellungen der Staatsarchive ein. Sie werden zunächst auf den Hes-

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sentagen vorgestellt (zum ersten Male 1972 in Marburg) und anschlie-ßend an interessierte Städte und Gemeinden weitergegeben. Währendbei den archivinternen Ausstellungen meist Originaldokumente in Vi-trinen gezeigt werden, wird bei den Wanderausstellungen, vor allemauch aus konservatorischen Gründen, durchweg mit großformatigenReproduktionen auf Stellwänden gearbeitet. Die Exponate habendamit zwar nicht die Aura des Originals, aber durch geschickte gra-phische Gestaltung mit Ausschnittsvergrößerungen, Collagen u.ä.kann ihre Aussage durchaus verdeutlicht und eindringlicher vermit-telt werden. In ihrer Thematik knüpfen die Ausstellungen an mar-kante historische Daten an: Revolution 1848 (1973 und wieder 1998),Revolution 1918/19 (1974), Bauernkrieg (1975), Amerikanischer Un-abhängigkeitskrieg (1976); sie lenken den Blick auf einzelne Bevölke-rungsgruppen: „Hugenotten in Hessen“ (1978), „Juden in Hessen“(1979), Auswanderer (1984), Flüchtlinge und Vertriebene (1994), Min-derheiten und Unterschichten (1995), auf soziale Strukturen undWandlungen: Kranken- und Armenpflege (1980), Industrialisierung(1984), Zünfte und Handwerk (1985), Universitäten und Hochschulen(1986), und sie lassen auch kunst- und kulturgeschichtliche Themennicht aus: Gärten in Hessen (1990), Musik in Hessen (1993).

Im Laufe der Jahre hat sich ein fester Kundenkreis für diese Wan-derausstellungen gebildet. Sie werden regelmäßig in Museen oderSchulen gerade der mittleren und kleineren Städte Hessens gezeigt,von Karlshafen bis Lampertheim, von Limburg bis Friedewald, wo siedas jährliche Kulturprogramm des städtischen Kulturamts, des Stadt-museums oder des Heimat- und Geschichtsvereins bereichern. Einigevon ihnen waren auch in den Wandelhallen von Kurorten, im Foyerdes Landtags, in Universitäten oder auch in der Abflughalle desFrankfurter Flughafens zu sehen. Im Durchschnitt gehen sie bei einerLaufzeit von zwei bis drei Jahren über 20 bis 30 Stationen mit einerAusstellungsdauer von etwa vier Wochen und dürften damit bis zu30.000 Besucher erreichen. Sie machen keine Schlagzeilen wie eineStaufer- oder Salierausstellung, aber sie entfalten eine nachhaltige undnicht zu unterschätzende Breitenwirkung.

Mit diesem Überblick sind wohl die wichtigsten, aber keineswegsalle Aktivitäten auf dem Gebiete der Geschichtsausstellungen ge-nannt. Zu erinnern ist etwa auch an die von der Sparkassen-Kultur-stiftung Hessen-Thüringen organisierten Wanderausstellungen, diegelegentlich auch historische Themen aufgreifen, an Ausstellungszyk-

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len einzelner Institutionen wie der Sparkasse Kassel, die unter demReihentitel „Kassel trifft sich – Kassel erinnert sich“ jährlich ein inte-ressiertes Publikum anzieht, an die Hessische Hausstiftung, die Do-kumente und Kunstgegenstände aus eigenen Beständen ausstellt(1999 aus dem Archiv: Goethe-Autographen, aus den Sammlungen:Sèvres-Porzellan). Zu nennen wäre noch vieles von dem, was oben indem Abschnitt über lokale Ausstellungen nur angedeutet werdenkonnte. Aber die Frage nach dem „Wo, wie und wozu betreibt man inHessen Landes- und Regionalgeschichte“ wird, soweit es sich um Ge-schichtsausstellungen handelt, nach dieser knappen Übersicht dochetwas leichter zu beantworten sein.

Literaturhinweise

E. MAY: Expositionen. Geschichte und Kritik des Ausstellungswesens. Mün-chen/Berlin 1986. – Eberhard STRAUB: Bildung und Bilder. Sinn und Un-sinn historischer Ausstellungen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung23/1981 (28.1.1981), S. 23.

Eckhart G. FRANZ: Archive im Dienste der Öffentlichkeit. Die Wanderaus-stellungen der hessischen Staatsarchive. In: Archives et bibliothèques deBelgique 57, 1986, S. 173-184.

Gregor RICHTER/ Wolf-Arno KROPAT/ Joh. Volker WAGNER/ Hugo STEH-KÄMPER: Archive und Historische Museen/Häuser der Geschichte. Dis-kussionsbeiträge zu einem Thema des 58. Deutschen Archivtags München1986. In: Der Archivar 40, 1987, Sp. 181-200. – Volker EICHLER: Zimelien-schau oder historische Bildungarbeit? Zur Fortbildungsveranstaltungüber „Historische Ausstellungen als Aufgabe der Archive“. Ebd., Sp. 286-289.

Karl DACHS: Ausstellungen in wissenschaftlichen Bibliotheken. In: Imprima-tur NF 11, 1984, S. 82-100. – M. HÖHL (Hg.): Öffentlichkeitsarbeit undWerbung in öffentlichen Bibliotheken. Berlin 1982.

Bodo von BORRIES: Präsentation und Rezeption von Geschichte im Museum.In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 48, 1997, S. 337-343.

Rainer A. MÜLLER (Hg.): Historische Ausstellungen 1960-1990. Eine Biblio-graphie der Kataloge. Bearb. von S. SCHUH. Paderborn 1992.

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Geschichte erleben auf der Saalburg

Dr. Egon Schallmayer, Saalburgmuseum, Bad Homburg

Die Saalburg, das zur letzten Jahrhundertwende wiederaufgebauteRömerkastell auf dem Taunuskamm zwischen Bad Homburg v.d.H.und dem Usinger Land an der vielbefahrenen Bundesstraße 456, diedem Zug der alten römischen Passstraße hinter dem hier noch gut er-haltenen Grenzzug des Limes folgt, ist heute ein vielbesuchtes Aus-flugs- und Wanderziel. Am Eingang werden die Besucher von einerBronze-Statue des römischen Kaisers Antoninus Pius mit imperialerGeste begrüßt; die gemeißelte Inschrift am Sockel lautet: „Dem Kaiserder Römer und Augustus, Publius Aelius Hadrianus Antoninus Pius,gewidmet von Wilhelm II., dem Kaiser der Deutschen“, der (so die inBronzelettern gegossene Inschrift über dem Eingangstor der porta prae-toria) „… in Erinnerung und zur Ehre seiner Eltern das Kastell des rö-mischen Limes namens Saalburg wieder aufgebaut hat.“ Das von denHohenzollern erneuerte „Reich der Deutschen“ wird mit stolzem An-spruch in die Tradition des Imperium Romanorum gestellt.

Für Kaiser Wilhelm II. verband sich das mit echtem Interesse an derGeschichte, an der weit zurückreichenden Limes-Forschung, die ihmder engagierte Bad Homburger Architekt Louis Jacobi, seit 1892Streckenkommissar der auf Anregung Theodor Mommsens begrün-deten „Reichs-Limeskommission“, nahegebracht hatte. Am 18. Okto-ber 1897 hatte der Kaiser in Wiesbaden den Entschluss zum Aufbauder Saalburg verkündet, der im Folgejahr mit der porta praetoria be-gann. Am 11. Oktober 1900 folgte die mit großem Pomp, römischer viatriumphalis und kostümierten Römern und Germanen inszenierteGrundsteinlegung. Die Zielvorgabe des Kaisers: „Möge die Römer-veste, auf der Höhe des Taunus so getreu wie möglich in römischerBauweise wieder errichtet, als ein Denkmal vergangener Herrscher-macht und folgenreicher Kultureinwirkung in den Beschauern dasVerständnis vom Wesen früherer Zeiten beleben, den historischenSinn wachhalten und zu weiterem Forschen anregen!“ ist noch heuteRichtschnur für die Arbeit auf der Saalburg.

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Louis Jacobi hat mit dem Wiederaufbau der Saalburg, die dem For-schungsstand seiner Zeit entsprach, eine außerordentlich eindrucks-volle Leistung erbracht. Das von ihm verwirklichte Konzept war vonvornherein nicht auf das eigentliche Kastell, die im Mittelpunkt ste-henden Stabsgebäude mit der großen Exerzierhalle, die Getreide-speicher, Waffenkammern und Mannschaftsunterkünfte beschränkt.Unterhalb des Lagerdorfs, unweit des schon früher errichteten Grä-berhauses, wurde ein Kultbereich mit Nymphenquelle und rekon-struiertem Mithrastempel geschaffen. Abseits im Wald stand dieNachbildung der Mainzer Jupitersäule, und der bei den ausgegrabe-nen Resten des Kohortenbades angelegte „Pliniusgarten“ wollte denBesuchern römische Gartenkultur demonstrieren. Die aus heutigerSicht unerhört moderne Idee eines „Archäologischen Parks Saalburg“sollte Forschung (im auf den Grundmauern des praetorium errichte-ten Institut), Bildung (durch die musealen Ausstellungen) und ent-spannende Erholung miteinander verknüpfen. Zur Anlage, die vomKurort Bad Homburg mit eigener Straßenbahnlinie verbunden war,gehörte das Saalburg-Restaurant, in der auch der Kaiser mit Gefolgeund die bei den Ausgrabungen beteiligten Archäologen abstiegen.Dazu kamen spektakuläre Veranstaltungen wie das 1904 durchge-führte „Gordon-Bennett-Rennen“, ein im Rundkurs um das Kastellgeführtes Automobilrennen, zu dem Jacobi Zuschauertribünen in„altrömischem“ Stil entwarf. Die Saalburg war damit weltweit inaller Munde.

Die ursprünglichen Intentionen Jacobis sind heute nur noch zumTeil erkennbar. Aktuelle Ausbaupläne wollen die Konzeptionen des„Archäologischen Parks Saalburg“ neu beleben. Die Anlagen der Saal-burg sollen eingebunden werden in eine mit dem nahegelegenen Frei-lichtmuseum des „Hessenparks“ verknüpfte Museumslandschaft derHochtaunusregion, die, wie dies schon Jacobi geplant hatte, Bildungund Erholung miteinander verbindet. Die Ausstellungsräume wurdenschon zur 100-Jahrfeier des Baubeginns 1997 völlig neugestaltet. Zumlängerfristigen Bauprogramm gehört der Weiterbau des praetorium fürdie dringend notwendige Erweiterung der Institutsbibliothek, denWissenschafts- und Verwaltungsbetrieb, aber auch Räumlichkeiten fürmuseumspädagogische Zwecke, gehört aber auch die Reaktivierungdes schon jetzt ins Führungs- und Veranstaltungsprogramm einbezo-genen Umfelds. Das romantische Ambiente der Gesamtanlage wirdbereits seit einiger Zeit für festliche Veranstaltungen, auch Hochzeiten,

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Geburtstage und andere private Feiern genutzt, für die ein „Saalburg-Veranstaltungsservice“ Infrastruktur und Catering stellt.

Die heutige Saalburg bietet durchaus das Potential, einen moder-nen Museumsbetrieb mit öffentlichkeitswirksamer und zugleichwirtschaftlicher Vermarktung zu verknüpfen. Das gilt es künftig nochverstärkt auszuschöpfen. Ein Renner im gegenwärtigen Angebot, dasvor allem für Schulklassen in besonderer Weise geeignet ist, stelltBrotbacken nach römischem Rezept an den auf antiken Fundamentenwieder errichteten Backöfen dar. Kinder und Jugendliche sind beimuseumspädagogischen Aktivitäten sicher selten konzentrierter beider Sache wie an den Brotbacktagen auf der Saalburg. „Römertage“,an denen Gruppen das Soldaten- und Zivilleben zur Römerzeit in ori-ginalgetreuer Ausrüstung vorführen, sind eine Publikumsattraktionfür Groß und Klein. Das Römer-Festwochenende anlässlich des 100-jährigen Jubiläums am 18. und 19. Oktober 1997 lockte innerhalbvon zwei Tagen 40.000 Menschen auf die Saalburg. Dazu trug sicherauch die intensive Werbung über einen im Rhein-Main-Gebiet ope-rierenden Radiosender bei. Mit der Demonstration von Aussehen,Anlegen und Tragen römischer Kleidung wurde den Besuchern zu-gleich eine Menge an Informationen geboten. Zu den Kleidern ge-hören auch die nach antiken Vorbildern gelegten Frisuren. MancheBesucherin hat sich beim Schaufrisieren bereitwillig als Modell zurVerfügung gestellt. Auch die Vorführungen römischen Handwerkswurden von den Besuchern mit Interesse verfolgt. Es gab einen Stein-metzbetrieb nach antiken Vorbildern, aber auch Beinschnitzer, Me-tallverarbeiter und andere Handwerksgruppen. Die Möglichkeit, dieim modernen Alltag verschwundenen alten Handwerkstechniken zubeobachten, zählt ja auch im „Hessenpark“ zu den Hauptattraktio-nen. Natürlich wird auf der Saalburg auch stilecht für das leiblicheWohl der Besucher gesorgt: Zu dem auf „römischem“ Brot angebote-nen moretum, dem typisch römischen Kräuterkäse, trinkt man mul-sum, den römischen Gewürzwein, und in der neu eingerichtetentaberna werden vielfältige Gerichte nach römischen Rezepten ge-kocht: „Essen wie die alten Römer“. Lebhafte Beachtung fand schließ-lich die im Sommer 1998 vorgestellte Multimedia-CD-ROM „DerLimes – eine antike Grenze“, mit der man sich „virtuell“ in die Rö-merzeit zurück„klicken“ kann.

Bei alldem kommt aber die Wissenschaft keineswegs zu kurz. DieSaalburg wirkt auch weiterhin als Forum für den wissenschaftlichen

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Austausch. Neben dem „Saalburg-Jahrbuch“, einer vom Saalburgmu-seum herausgegebenen Fachzeitschrift zur römischen Archäologie,die 1910 erstmals erschien und 1999 den 50. Band präsentierte, dienendazu die seit 1995 regelmäßig veranstalteten „Saalburg-Kolloquien“,an denen Fachkollegen aus dem In- und Ausland teilnehmen. Meiststehen aktuelle Forschungsfragen im Vordergrund der Zusammen-kunft; die Ergebnisse werden in den „Saalburgschriften“ publiziert.Der Tausch der hauseigenen Publikationen mit über 400 in- und aus-ländischen Einrichtungen kommt dem weiteren Ausbau der umfang-reichen Saalburg-Bibliothek zugute, die dem wissenschaftlichenNachwuchs ebenso offen steht wie dem an der römischen Archäologieinteressierten Heimatforscher. Das Saalburgmuseum führt auch ei-gene archäologische Ausgrabungen an römischen Objekten, insbeson-dere am Limes durch.

Die Saalburg als ein in wunderschönem Ambiente gelegenes Frei-lichtmuseum mit neu hergerichteten Innenräumen und umfangrei-chen Sammlungsbeständen zur römischen Archäologie bietet nebendem Wissenschaftsbetrieb und dem musealen Bereich ein vielfältigesmuseumspädagogisches Angebot, das von der einfachen Führungüber die Organisation und Durchführung von Kindergeburtstagenund themenbezogenen Sonderveranstaltungen bis hin zu „Römerta-gen“, die die ganze Anlage nutzen, reicht. Daneben erlaubt ein spezi-eller Service die Organisation und das Arrangement von Firmenfei-ern, geschäftlichen Präsentationen oder gesellschaftlichen Events.Auch ein „Hot Jazz Festival“ brachte junges Publikum in die SaalburgDie Römerzeit wird damit auf ganz verschiedenen Ebenen und ausunterschiedlichen Anlässen erlebbar. Die Antike wird erforscht; dieForschungsergebnisse werden kurzweilig und als freibleibendesLehrangebot an ein breites Publikum vermittelt. Von der Ideenge-schichte und dem Wiederaufbau der Saalburg, den dazu angewand-ten Methoden und bauhistorischen Forschungen, über die Darstel-lung von Ergebnissen, die sich durch die Neubeschäftigung mit denalten Grabungsdokumentationen und -unterlagen erzielen lassen,spannt sich der Bogen hin bis zu aktuellen Bezügen, die sich aus derAntike für uns heute ergeben. Themen, wie der antike Handel, die an-tike Geldwirtschaft, Nahrungsmittelversorgung und Infrastrukturund vieles mehr werden unter dem Motto „100 Jahre Saalburg – VomGrenzposten Roms zum europäischen Museum“ behandelt. Die Ver-antwortlichen hoffen damit, eine interessante Mischung für ein viel-

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fältig orientiertes Publikum gefunden zu haben und dadurch der Saal-burg das öffentliche Interesse sichern zu können, das ihr gebührt.

Literaturhinweise

Egon SCHALLMAYER (Hg.): Hundert Jahre Saalburg. Vom römischen Grenz-posten zum europäischen Museum. Mainz 1997.

Das Saalburgmuseum im Spiegel der Presse. Rückblick 1998.

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Landesgeschichte in Hörfunk und Fernsehen

Hans Sarkowicz, Hessischer Rundfunk, Frankfurt am Main

Schon wenige Tage nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, am 1. Juni1945, nahm „Radio Frankfurt“ als Sender der amerikanischen Militär-regierung seinen Betrieb wieder auf. Da die Produktionsanlagen desehemaligen „Reichssenders“ in Frankfurt zerstört waren, hatte mannach Bad Nauheim ausweichen müssen, wo das Hotel „Terrassenhof“als provisorisches Funkhaus diente. Was zunächst mit Nachrichten-und Musiksendungen für alle begann, die im Empfangsbereich lebten(also zum Beispiel auch für ehemalige Zwangsarbeiter), entwickeltesich schnell zu einem regional geprägten Programm für „Großhes-sen“. Denn neben Informationen über das Weltgeschehen und die ver-änderte politische Situation in Deutschland interessierte die Hörer be-sonders das, was sich vor ihrer eigenen Haustür ereignete: WelcheBrücke wieder passierbar war oder wo es was auf Marken gab, konntemitunter lebenswichtig sein. Mit der „Rundschau aus dem Hessen-land“ wurde im Juli 1946 ein tägliches Informationsangebot geschaf-fen, das (als älteste Sendung des hr) bis heute Bestand hat.

Der damalige Intendant Eberhard Beckmann begründete die Ein-führung damit, dass der einzelne, bei allen „brennenden Fragen desdeutschen Lebensinteresses“, doch „fest dem Heimatgebiet verbun-den“ bleibe. Damit war auch schon eine der großen Aufgaben des spä-teren Hessischen Rundfunks benannt. Während die amerikanischeMilitärregierung die Aufgabe des Rundfunks vor allem darin sah,„ohne Kompromisse sich der Förderung der menschlichen Ideale vonWahrheit, Toleranz, Gerechtigkeit, Freiheit und Achtung vor denRechten der individuellen Persönlichkeit zu widmen“, versuchten dieRadiomacher auch, ein „Hessenbewusstsein“ zu erzeugen und zu för-dern. Rückblickend schrieb hr-Intendant Klaus Berg 1995, „dass dieEntwicklung des Landes Großhessen zum Bundesland Hessen zueinem wesentlichen Teil auch der Tatsache zu verdanken ist, dass derHessische Rundfunk als einziges landesweites Medium die notwen-dige Informationsdichte herbeiführen konnte, um die Bevölkerung in

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dem weiten Land zwischen Werra und Neckar, zwischen Kinzig undRhein zu einer politischen und gesellschaftlichen Einheit werden zulassen“.

Dabei spielte die Erinnerung an gemeinsame geschichtliche Wur-zeln von Anfang an eine Rolle, allerdings zunächst nur eine kleine.Denn die Gründungsjahre der Bundesrepublik und damit auch desBundeslandes Hessen waren von aktuellen politischen Entwicklun-gen dominiert. Zum Teil heftig geführte öffentliche Diskussionen,aber auch der Wunsch, vom schwierigen Alltag abgelenkt zu werden,prägten das Programm, das zunächst noch eine Einheitswelle war:vom „bunten Nachmittag“ bis zum Orchesterkonzert und von derNachrichtensendung bis zum anspruchsvollen „Abendstudio“-Fea-ture oder Hörspiel. Feste Programmplätze für landesgeschichtlicheSendungen gab es damals noch nicht. Es blieb bei einzelnen Beiträgen,die oft an einen aktuellen Anlass oder einen Gedenktag gebundenwaren.

Zu einer ersten deutlichen Akzentverschiebung kam es 1961 mitder Einführung des „Hessentags“ durch Ministerpräsident Georg Au-gust Zinn. Landesgeschichte im Sinn von Traditionspflege wurde zumjährlich wiederkehrenden Ereignis und damit auch zum Thema vonRadio- und Fernsehprogrammen.

Eine deutliche Zäsur brachte das Jahr 1965. Zwanzig Jahre nachAusrufung von „Großhessen“ rückte zunächst die jüngere Vergan-genheit in das Zentrum des Interesses. Aber was sich seit Kriegsendeereignet hatte, war ohne den geschichtlichen Hintergrund nur unvoll-ständig zu verstehen. Die Fernseh-Dokumentation des HessischenRundfunks startete deshalb im Januar 1966 eine sechzehnteilige Reiheüber „Hessens Weg durch die Geschichte“, die auf große Resonanzstieß und die Programmmacher ermutigte, auf diesem Weg fortzufah-ren.

Seither hat es eine ganze Reihe von herausragenden Dokumenta-tionen gegeben. Sicherlich die aufwendigste und vom Material herspektakulärste war die zehnteilige Serie „Hessens Weg nach 1945“, diezwischen 1970 und 1995 entstanden ist. Daneben sind immer wiedersehr populäre und unterhaltsame Formen entwickelt worden, die hes-sische Geschichte und Brauchtum, Mundarten und Küchengeheim-nisse einem breiten Fernsehpublikum vermitteln: „Bilderbögen ausHessens Geschichte“, „Bilderbogen aus Hessen“, „Hessen-Rallye“,„Landpartie“, „Geheimnisvolles Hessen“, „Hessen-Illustrierte“ oder

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eine sechsteilige Reihe mit geographischen Streifzügen durch Hessen.Zu einem besonderen Erfolg ist die filmische Verbindung von lokalemBrauchtum und regionalen Kochrezepten geworden. Unter dem Titel„Hessen à la carte“ haben sich Michaele Scherenberg und Karl-HeinzStier auf eine kulinarische Spurensuche begeben, die auch in Buch-form eine weite Verbreitung findet und damit augenfällig macht, wiestark das Interesse an Sendungen über das historische Hessen ist.

Auf eine außergewöhnliche Resonanz stieß 1981/82 auch eine Hör-funkreihe, die sich in zwanzig Folgen mit der Geschichte Hessens be-schäftigte: von den eiszeitlichen Mammutjägern bis zum Wiederauf-bau und Neuanfang nach 1945. Namhafte hessische Historiker undPublizisten hatten Radioessays geschrieben, die wegen der großenHörernachfrage mehrfach wiederholt werden mussten und auch inBuchform (beim Stuttgarter Theiss Verlag) zu einem regionalen Best-seller wurden.

Dieses unerwartet große Interesse war im Hörfunk eine Art Initi-alzündung für die weitere journalistische Aufarbeitung der hessi-schen Vergangenheit. Befördert wurde diese Entwicklung durch dieEinrichtung von Regionalstudios in Kassel, Frankfurt, Wetzlar, Fuldaund Bensheim, die 1986 mit hr4 ein eigenes Rahmenprogramm erhiel-ten. Eine breite Berichterstattung über lokale historische Besonderhei-ten, Ausgrabungen, Ausstellungen und neueste Forschungsergeb-nisse gehört seitdem zum festen Bestandteil von aktuellen Hörfunk-sendungen.

Daneben wurde im Kulturprogramm und an herausgehobenenSendeplätzen eine kleine Tradition begründet, die bis heute verschie-dene Aspekte der hessischen Geschichte ausführlich beleuchtet hat,mit Reihen wie: „Historische Porträts hessischer Städte“ (hr4,1987/88), „Die großen Frankfurter“ (hr4, 1993/94), „Die großen Hes-sen“ (hr2, 1995), „Hessen kriminell - Orte des Verbrechens“ (hr2, 1999)oder „Reportagen aus der hessischen Geschichte“ (hr2, 1999) Außer-dem hat hr1 mit den sonntäglichen „Nahaufnahmen aus Stadt undLand“ einen eigenen Sendeplatz für längere Produktionen über hessi-sche Themen geschaffen.

Besondere Ereignisse regen immer wieder besondere Aktivitätenan. Dabei muss es sich nicht in jedem Fall um einen Gedenktag han-deln, wie etwa das Gründungsjubiläum der Stadt Frankfurt oder dieRevolution von 1848. So beteiligte sich der Hessische Rundfunk zumBeispiel mit Sendungen, Spendenaufrufen und einem Buch an der

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Rettung des Geburtshauses von Georg Büchner in Goddelau. Unter-dessen ist dort eine Gedenkstätte entstanden, die auch internationalBeachtung findet.

Eines der zentralen Probleme des Denkmalschutzes stand 1997 imMittelpunkt einer großen Sommeraktion von hr1 in Zusammenarbeitmit dem Landesamt für Denkmalpflege. Während die Wiederherstel-lung von Burgen, Schlössern und ähnlich attraktiven Baudenkmälernin hohem Maße akzeptiert ist, führen nicht minder bedeutende, aberunspektakuläre Zeugnisse des Alltags aus den letzten Jahrhundertenein Schattendasein. Sie zu präsentieren und die Hörer zur aktiven Mit-arbeit anzuregen, war das Ziel von „Mein Denkmal - Hessischer Kul-tur auf der Spur“. Die Reaktionen waren überwältigend und sind un-terdessen auch in Buchform (bei Eichborn) dokumentiert. (Für die Ak-tion erhielt die Redaktion die „Silberne Halbkugel“ des Nationalko-mitees für Denkmalschutz.)

1998 wurden die Hessen von hr2 in einer weiteren Sommeraktionaufgefordert, ihr „Hessisch“ vorzustellen. In neun breit angelegtenFeaturesendungen wurde außerdem die überaus vielfältige Dialekt-landschaft von Hessen akustisch präsentiert. Für das Jahr 2000 ist eineHörfunkreihe vorgesehen, die der hessischen Industriegeschichtenachgehen will.

Der reine Essay, gelesen von einem oder zwei Sprechern und ohneOriginaltonelemente, ist bei den Hörfunk-Sendereihen eher die Aus-nahme geworden. Dem breiten Interesse an hessischer Landesge-schichte tragen die Programmmacher auch dadurch Rechnung, dasssie die einzelnen Themen möglichst vielfältig und unterhaltsam, aberdennoch mit dem notwendigen publizistischen Ernst aufbereiten. Sokann eine, nur auf den ersten Blick „trockene“ Thematik zu einemstark nachgefragten Programmangebot werden, dessen Bedeutung inZukunft eher noch wachsen wird.

Literaturhinweise

Heiner BOEHNCKE/Michael CRONE/Hans SARKOWICZ: FunkBilder.Fotos und Texte zur Geschichte des Rundfunks in Hessen. Frankfurt amMain 1990.

Heiner BOEHNCKE/ Michael CRONE/ Rainer GÖTZE/Hans SARKOWICZ:hr – 50 Jahre Rundfunk für Hessen. Frankfurt am Main 1995.

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Landesgeschichte in der Schule

Dr. Thomas Lange, Bert-Brecht-Schule und Hessisches Staatsarchiv Darmstadt

„Wehe dem Menschen, der nirgends wurzelt!“1 – Mit solch düsterenDrohungen verfocht Eduard Spranger 1923 in einer programmati-schen Rede den „Bildungswert der Heimatkunde“. Er traf mit seinerMischung aus rousseauistischer und Spenglerscher Zivilisations- undGroßstadtkritik offenbar so sehr das Bedürfnis der nach dem verlore-nen Weltkrieg in ihrem Weltbild erschütterten Pädagogen, dass „Leh-rer, Schulbuchautoren und Lehrplangestalter den Gedanken eines In-tegrationsfaches Heimatkunde begierig auf[griffen] und […] es zu-mindest an den Volksschulen zum beherrschenden Unterrichtsprin-zip“ stilisierten.2 Im Volksstaat Hessen erschien 1925 ein Lese- und Ar-beitsbuch „Am Heimatquell“, das die allgemein verbreitetenGeschichtsbücher durch „das Besondere, das Einzig- und Eigenartigeunserer Hessenheimat“ ergänzen wollte. Ziele waren „Erziehung zurLiebe zur Heimat, zur Treue zum Volk und zum Staat, zur Arbeit imDienste der ganzen Menschheit.“3 Das letztgenannte Lernziel klingtgeradezu übernational, vielleicht darin begründet, dass einer der Ver-fasser (Georg Weigand) zur Gewerkschaftsbewegung gehörte (wassich auch darin spiegelt, dass er Themen wie die „Fabrikstadt“ Offen-bach nicht meidet und verteufelt); doch endet das Buch gleichwohlmit einer nationalen Apotheose: „Wir wollen zusammenstehen, end-lich mit- und füreinander leben und streben. Das ist deutsch. […] Diedeutsche Heimat muss leben, und wenn wir auch alle sterben müs-sen.“4

Eine vergleichbare „Hessische Heimatgeschichte“ für das ehe-malige Kurhessen gipfelt in ebensolchen nationalen Phrasen: „AnDeutschlands Aufstieg muss das ganze Volk ernst und gläubig arbei-ten.“5 Bis in die fünfziger Jahre wurde der Begriff „Heimatkunde“weiterhin unkritisch gebraucht. Bei den Lernzielen für den heimat-kundlichen Unterricht schwangen die Sprangerschen Kategorien von„totaler Einwurzelung“ und „tiefem Verbundenheitsgefühl mit dem

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eigenen Volk“ mit und wohl auch das ziemlich dumpfe Gefühl: „Hei-mat ist erlebbare und erlebte Totalverbundenheit mit dem Boden.“6

Die Geschichtswissenschaft heute spricht sachlicher in anthropolo-gischen und sozialgeschichtlichen Kategorien von „Regionalge-schichte“. Heimatgeschichte begreift sich als „aufgeklärt“, sieht in„Heimat“ keinen Zustand, sondern den „Prozess eines Bewusstseins“.In didaktischer Hinsicht verweist die Regionalgeschichte darauf, dassihre Quellen Unmittelbarkeit und lokalen Bezug haben, die denSchülern selbständig entdeckendes Lernen ermöglichen. Heimatge-schichte heute beansprucht in den Worten von Paul Leidinger „dasVerflochtensein der Schüler in bestimmte sozio-kulturelle Zusammen-hänge, ihre sprachliche, gedankliche, emotionale Einbindung in histo-risch begründete Traditionen, in kollektive Erfahrungen“ zu untersu-chen und dadurch zu „kritischer Loyalität“ anzuregen.7 Kein Ge-schichtslehrer vertritt mehr die „volkstümelnde“, agrarromantischePosition Sprangers; inwieweit allerdings der hohe Anspruch des kriti-schen Ansatzes von Leidinger eingelöst werden kann, ist eine andereFrage.

Wie sieht die Realität von Landes- oder Regionalgeschichte im Ge-schichtsunterricht in Hessen aus? Da ist zunächst einmal zu konsta-tieren, dass die seit 1995 gültigen Rahmenpläne für den Geschichts-unterricht Regionalgeschichte nicht als eigene Kategorie kennen, son-dern sie gewissermaßen beiläufig unter den Begriffen „Handlungsori-entierung“ (Sekundarstufe I) bzw. „forschendes Lernen“ (Sekundar-stufe II) in den Unterricht hereinholen. Gemeint sind einmal„Erkundungen, Befragung von Zeitzeugen, […] Spuren in lokal-, re-gionalgeschichtlichem Bereich suchen […] Besuch von Gedenkstättenund Ausstellungen“ (Sek. I). Für die Oberstufe wird dergleichen unter„außerschulischen Lernorten (Museen, Archive, Gedenkstätten)“ auf-geführt und dabei „auf die besondere Bedeutung des Besuchs von Ge-denkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus hingewiesen.“ Diekargen Angaben bestätigen die Feststellung von K.E. Jeismann und B.Schönemann, dass sich überhaupt nur in den Plänen weniger Bundes-länder (1988: Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen, Bayern,Baden-Württemberg)8 explizit regionalgeschichtliche Themenvorga-ben finden, und diese dann z. T. unter die zumindest fragwürdigeBemühung gestellt werden, so etwas wie ein politisches Landesbe-wusstsein zu schaffen.9 Ihrer Beobachtung: „Landes- und Regionalge-schichte wird in erster Linie als Konkretisierung und Veranschauli-

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chung von Allgemeingeschichte begriffen“, ist ebenso zuzustimmenwie der Bemerkung von Ernst Hinrichs, dass „die Regionalität unse-rer historischen Entwicklung als solche […] kaum in das Blickfeld desGeschichtsunterrichts“ gerät.10 Die föderale Struktur der Bundesrepu-blik, also die Geschichte einzelner Bundesländer, lässt sich nur schwerin den Geschichtsunterricht integrieren, der eher damit zu tun hat, diedivergierende Entwicklung von BRD und DDR in der Nachkriegszeitzu verdeutlichen. Gegenüber dem (auch nach der Wiedervereinigungandauernden) evidenten Unterschied zwischen Ost und West wirkendie Bundesländer allenfalls folkloristisch different. Von den Vorgän-gern der Bundesländer, also den Ländern des Deutschen Reichs, denStaaten des Deutschen Bundes oder den Fürstentümern des AltenReichs wird in Schulbüchern regelmäßig Preußen, oft Österreich und– selten, aber zunehmend – in entsprechenden Regionalausgaben Bay-ern oder Württemberg dargestellt, allerdings auch hier wieder als re-gionales Beispiel einer nationalen Entwicklung.11

Auch in den Plänen für den Sachunterricht der hessischen Grund-schule (Primarstufe) herrscht ein distanzierendes Herangehen vor: Im„3./4. Schuljahr sollen die Kinder verstärkt auch in die historische Di-mension der Zeit eingeführt werden. Sie lernen, dass unser Wissenüber die Vergangenheit durch Zeugen der Vergangenheit (Gegen-stände, alte Fotos, Berichte und Erzählungen, Denkmäler) vermitteltist.“ Zum Besuch von Museen, historischen Ausstellungen und Denk-mälern wird aufgefordert, auch dazu, „die Vergangenheit anhand dereigenen Familiengeschichte oder von Fallbeispielen“ darzustellen;sogar historische Entwicklungen (Schule/Wohnort/Leben), auch„Arbeiten früher und heute“ sollen einbezogen werden.

So ist es gewiss, dass Landesgeschichte als hessische im Unterrichtzwar kaum vorgesehen ist, – dennoch wird sie immer öfter einbezo-gen. Nachdem jene ortsfesten und heimatverbundenen Lehrer (vorallem Volksschullehrer), die bis in die fünfziger Jahre ungebrochenidentifikatorische Dorf- oder Heimatchroniken verfasst hatten, vonder nachwachsenden politisch-kritischen Generation der nach-68erGeschichtslehrer abgelöst worden waren, dominierte die strukturori-entierte Politik- und Wirtschaftsgeschichte. Doch kann man seit denachtziger Jahren ein Wiederaufleben regionalen Geschichtsbewusst-seins beobachten. Diese gilt allerdings nicht einer auf Regierungs-ebene angesiedelten Landesgeschichte, sondern der Konzentrationauf das konkrete örtliche Detail im Zusammenhang mit der Ge-

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schichte der nationalsozialistischen Diktatur. Angestoßen durch dieAusstrahlung der Filmserie „Holocaust“ 1979 entwickelten sich Akti-vitäten, die von außerhalb der Schule angeregt, in ihr aber in den acht-ziger Jahren entschieden gefördert wurden. An erster Stelle ist hier derSchülerwettbewerb ‘Deutsche Geschichte’ um den Preis des Bundespräsiden-ten zu nennen. An zwei Wettbewerbsthemen zum „Alltag im Natio-nalsozialismus“ (1980/81: „Vom Ende der Weimarer Republik biszum Zweiten Weltkrieg“; 1982/83: „Die Kriegsjahre in Deutschland“)beteiligten sich ca. 17.000 Schüler mit über 3.000 Beiträgen. (Mittler-weile sind es seit dem ersten Wettbewerb 1973 über 85.000 beteiligteSchüler mit über 17.000 Arbeiten zu den verschiedenen Wettbe-werbsthemen geworden.) Bei den Begriffen „Spurensuche“ und „Zeit-zeugen“ denkt man in der Schule heute nahezu automatisch an dieNS-Geschichte. Das Faszinierende am lokalen Zugang ist ja, dass „beider lokalen Forschungsarbeit entdeckt [wurde], dass es ‘nicht ir-gendwo, sondern hier bei uns’ geschehen war, dass dieselben Men-schen ‘Nazis und Nachbarn’ gewesen waren“.12 Aus diesen lokalhis-torischen Forschungen hat sich ein Ansatz entwickelt, nach amerika-nischem Vorbild („Facing History and ourselves“) einen personen-zentrierten Zugang zur Geschichte auch didaktisch zu begründen undzu erproben, in dem alle, nicht nur die politisch prominenten Men-schen als Handelnde in Entscheidungssituationen begriffen werden.13

Wie sehr diese flächendeckende Erforschung der „normalen“ NS-Verbrechen die Schutzschichten von Vergessen und Verdrängendurchstößt, zeigen die lokalen Skandale, die die Spurensuche vor Ortseit Beginn permanent begleiten.14 Die vielen „50-jährigen“ Gedenk-veranstaltungen nach 1983 ließen das Thema nicht aus der öffentli-chen Aufmerksamkeit entkommen. Auf Initiative des Hessischen In-stituts für Bildungsplanung und Schulentwicklung entstanden eineReihe von lokalgeschichtlichen Untersuchungen, die von vornhereinals Unterrichtsmaterial konzipiert waren. Insbesondere das 50-jährigeGedenken an die Pogromnacht 1988 hat maßgeblich dazu beigetra-gen, der Geschichte der Juden und ihrer Verfolgung an vielen Ortennachzugehen. Sehr oft waren dabei SchülerInnen und LehrerInnen be-teiligt, die auf diese Weise außerhalb des Klassenzimmers (und desCurriculums) landesgeschichtliche Forschung praktizierten. Teilweisesind daraus Arbeitsberichte entstanden, die selbst wieder als „Schul-bücher“ dienen können. Gar nicht selten gaben solche Untersuchun-gen Anlass, örtliche Museen zur jüdischen Geschichte einzurichten,

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die wiederum Anschauungsmaterial auch für Jugendliche bieten. Dieschon in die achtziger Jahre zurückreichenden Publikationen der vonder Gesamthochschule Kassel herausgegebenen Schriftenreihe „Na-tionalsozialismus in Nordhessen“ waren für die regionalgeschichtli-che Aufarbeitung pionierhaft ebenso wie – beispielhaft genannt – dieVeröffentlichungen und Aktivitäten des Förderkreises „Aktives Mu-seum Deutsch-Jüdischer Geschichte“ in Wiesbaden, dem man manchelokalen Geschichtswerkstätten an die Seite stellen könnte. Die Ge-schichtswerkstatt am Friedrichsgymnasium in Kassel knüpft an derLebensumwelt der heutigen Schüler an, nämlich an der Geschichteihrer Schule.15 Insbesondere die Auseinandersetzung mit der Ge-schichte der eigenen Schulen hat in letzter Zeit zu einer Reihe von Ini-tiativen geführt, die auch Gegenstand einer Tagung des HessischenInstituts für Lehrerfortbildung waren.16 Hier, an der Untersuchungder eigenen Arbeits-, sprich: Lehr- und Lernumwelt, die früher be-sonders hoch mit korporativen, unkritischen Identifikationsgeboten(z.T. über Jahrhunderte hinweg) besetzt war, zeigt sich besonders klarder Paradigmenwechsel regionalgeschichtlicher Forschung im Zu-sammenhang mit Schule und Unterricht. Er betrifft übrigens nicht nurdie inhaltlichen Ziele, die ganz klar eine politisch-moralische Wertungeinschließen, sondern auch die Methoden, indem nämlich Schüler Ge-schichtslernen als Forschende erfahren, nicht aus Geschichtsbüchernrezipieren, sondern aus Quellen aktiv (re)konstruieren.17

In diesem Bereich selbständigen Forschens zeigt sich übrigens eineder stärksten Veränderungen des Geschichtsunterrichts in den letztenJahren: Die Lektüre von Schulbüchern im Klassenraum ist zwar nachwie vor Rückgrat des Geschichtsunterrichts, doch gewinnen andereMedien und Methoden wie auch außerschulische Lernorte an Bedeu-tung. In zahlreichen Veranstaltungen der regionalen Außenstellen desHessischen Instituts für Lehrerfortbildung werden Kolleginnen undKollegen an diese außerschulischen Lernorte herangeführt. Selbstver-ständlich sind Museen, Ausstellungen und Gedenkstätten Ziele vonUnterrichtsexkursionen, ebenso wie auch „Zeitzeugen“ in den Unter-richt als „menschliche Quellen“ integriert werden. Unterstützt wirddies z.B. durch das Fritz Bauer-Institut in Frankfurt, die HessischeLandeszentrale für politische Bildung oder manchmal auch die örtli-chen Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit.

Diese Art des Lernens erfordert andere Methoden als das schulischgeübte Lesen schriftlicher Quellen. Das Geschichtslernen hat sich so

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verändert, wie die Lebensumwelt der Jugendlichen: ins Individuali-stische, Konkrete, auf den Einzelfall bezogene. Vielleicht ist dies eineReaktion auf eine als zunehmend unübersichtlich, undurchschaubar,globalisiert empfundene Welt. Sicher reflektiert dieses individuali-sierte Interesse auch die vielfältig in den Medien gespiegelte neue Be-deutung des Durchschnittlichen. Dies beinhaltet für die historischenStoffe aber zugleich auch eine zunehmende Ausrichtung auf den All-tag. Dem kommt seit über zehn Jahren (nicht nur in Hessen) ein An-gebot vieler Staatsarchive und einiger Kommunal- und Stadtarchiveentgegen, die Schülern und Lehrern die Möglichkeit bieten, an origi-nalen Akten zu arbeiten. Was im Rahmen von Schülerwettbewerbenmittlerweile Standard geworden ist, kann so (an den drei hessischenStaatsarchiven und am Institut für Stadtgeschichte in Frankfurt un-terstützt durch Archivpädagogen) auch im normalen Unterricht ein-geübt werden: mehrstündige bis mehrtägige Arbeit an Quellen zurGeschichte des regionalen Absolutismus, der Auswirkungen derWeltwirtschaftskrise, der Revolution 1848, Hexenprozesse, Ge-schichte der Juden u.s.w. u.s.f. Viele der in solchen Arbeiten mehrfachbenutzten Quellen sind auch in unterschiedlichen Formen von denArchiven als Unterichtsmaterial bearbeitet und gedruckt herausgege-ben worden.18

Eine weitere Form didaktischer Vermittlung von regionalgeschicht-lichen Themen hat sich (ebenfalls: nicht nur in Hessen) bewährt: Diearchivische Wanderausstellung mit historischen Themen. So wurde1998 an verschiedenen Orten in Hessen die (am Staatsarchiv Marburgerarbeitete) Ausstellung „Revolution 1848. Hessen für Freiheit undEinheit, Recht und Gerechtigkeit“ gezeigt; immer noch wird nachge-fragt die 1994 am Staatsarchiv Darmstadt erarbeitete Ausstellung„‘…möchten verbrennet werden’. Ausgrenzung und Gewalt gegenKetzer, Juden, Hexen … auch in der hessischen Geschichte.“ Das schu-lisch selten aufgearbeitete Thema der Vertriebenen-Ansiedlung und -Integration nach 1945 wurde in einer Ausstellung des Hauptstaatsar-chivs Wiesbaden 1992 dargestellt („Vom Neubürger zum Mitbürger.Die Aufnahme der Flüchtlinge und Vertriebenen in Hessen 1945-1955“). Zu all diesen Ausstellungen liegen auch Kataloge vor, dieeinen ersten Zugang zu dem entsprechenden Quellenmaterial ermög-lichen. Neuerdings hat das Hessische Wirtschaftsarchiv in Darmstadtebenfalls für den Besuch von Schülern geeignete Wanderausstellun-gen konzipiert, so 1998: „Bitteres, buntes Salz. Die Kaliindustrie an

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Werra und Fulda“, in der gut hundert Jahre Technik-, Sozial- und (be-sonders nach 1945) auch politische Geschichte gespiegelt werden.

„Heimatgeschichte“ hat in der Schule in den letzten Jahrzehntenein unerwartetes Wiederaufleben feiern können, wobei der Begriff„Heimat“ freilich keineswegs dazu beitragen soll, jenen „Wurzelbo-den“ neu zu düngen, auf dem in der Vergangenheit nie etwas „Frem-des“ wachsen durfte. Angesichts der vielfältigen ethnischen Herkunftder hessischen Schülerschaft heute kann es auch nur wenig Sinn ma-chen, den „in ihrer Identität unsicheren, zwischen zwei Kulturen ste-henden Kindern als Lerngegenstände historische Ereignisse, Persön-lichkeiten und Gegebenheiten einer Region“ anzubieten, „in die sie oftzufällig oder zusammen mit ihren Eltern aus ökonomischen Gründenverschlagen wurden.“ Ein Lernziel „Identität“ ließe sich so nicht er-reichen, vielleicht aber dadurch, dass „in solchen gemischten Klassenden deutschen Kindern die ‘fernen Heimaten’ ihrer ausländischenMitschüler mit den von ihnen verinnerlichten Normen und Wertvor-stellungen“ nahezubringen versucht würde.19 Es ist zu hoffen, dassaus solcher Gegenseitigkeit ein „Humus“ entsteht, der Humanität alsHeimat betrachtet.

Literaturhinweise

Will CREMER / Sabine STICHMANN in: Heimat. 2. Bd.: Lehrpläne, Literatur, Fil-me, hg. von der Bundeszentrale für politische Bildung. Bonn 1990, S. 13-292.

Peter KNOCH/Thomas LEEB (Hrsg.): Heimat oder Region? Grundzüge einerDidaktik der Regionalgeschichte. Frankfurt am Main 1984.

Gottfried KÖSSLER / Guido STEFFENS / Christoph STILLEMUNKES (Hg.):Spurensuche. Ein Reader zur Erforschung der Schulgeschichte währendder NS-Zeit. Frankfurt am Main (Fritz Bauer-Institut) 1998.

Thomas LANGE: Lehrstücke aus dem Schularchiv. Schulgeschichte, Archiv-pädagogik und die deutsche Vergangenheit. In: Festschrift für E. G. Franz,Darmstadt 1996, S. 612-634.

DERS.: Zwischen Zimelien und Zensuren. Anmerkungen zu Gerhard Fritz„Archivnutzung im Geschichtsunterricht“ (GWU 49, 1997). In: Geschichtein Wissenschaft und Unterricht 51, 1999, S. 43-49.

Gerhard SCHNEIDER: Heimat und Region in Geschichtsdidaktik und Ge-schichtsunterricht. In: Carl-Hans HAUPTMEYER (Hrsg.): Landesge-schichte heute. Göttingen 1987, S. 97-123.

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Eduard SPRANGER: Der Bildungswert der Heimatkunde (1923). Stuttgart1952 (= Reclam 7562).

Peter STEINBACH: Zur Diskussion um den Begriff der „Region“ – eineGrundsatzfrage der modernen Landesgeschichte. In: Hess. Jahrbuch fürLandesgeschichte, 31, 1981, S. 185-210.

Gert ZANG: Die unaufhaltsame Annäherung an das Einzelne. Reflexionenüber den theoretischen und praktischen Nutzen der Regional- und All-tagsgeschichte. Konstanz 1985.

Anmerkungen

1 E. SPRANGER: Bildungswert der Heimatkunde, S. 15, 50.2 G. SCHNEIDER: Heimat und Region in Geschichtsdidaktik und Ge-

schichtsunterricht, 1987.3 Heinrich EIDMANN / Georg WEIGAND: Am Heimatquell. Geschichts-

bilder, Aufgaben und eine Zeittafel. Frankfurt am Main: Moritz Diester-weg 1925, S. III, V.

4 Heimatquell (wie Anm. 3), S. 1395 Heinrich BLUM: Hessische Heimatgeschichte. Kassel: Bärenreiter Verlag

1931, S. 125.6 SPRANGER (wie Anm. 1), S. 14.7 Vgl. Paul LEIDINGER: Landes- und Regionalgeschichte in Geschichtswis-

senschaft und Geschichtsunterricht. Begriff, Möglichkeiten und Grenzen.In: Geschichte, Politik und ihre Didaktik, 1984, H.1/2, S. 36-48; JoachimKUROPKA: Eine Wiederentdeckung: Heimatgeschichte. In: ebd., S. 49-57.– s.a.: Ernst HINRICHS: Regionalgeschichte, in: C.-H. HAUPTMEYER,Landesgeschichte heute, Göttingen 1987, S. 16-34.

8 Dies wird bestätigt in der umfangreichen Lehrplananalyse von W. CRE-MER / S. STICHMANN in: Heimat 2: Lehrpläne, Literatur, Filme. 1990, S. 13ff.

9 Karl-Ernst JEISMANN / Bernd SCHÖNEMANN: Geschichte amtlich.Lehrpläne und Richtlinien der Bundesländer. Analyse, Vergleich, Kritik.Frankfurt 1989 (= Studien zur Internationalen Schulbuchforschung Bd.65), S. 66f.

10 Ernst HINRICHS: Zur Einführung. In: ders.: Regionalität. Der „kleineRaum“ als Problem der internationalen Schulbuchforschung. Frankfurt1990 (= Studien zur Internationalen Schulbuchforschung Bd. 64), S. 13.

11 Z. B. Kolleg Geschichte (Verlag C. C. Buchner) „Zwischen Beharrung undAufbruch“: Die deutschen Länder auf dem Weg in die Moderne: das Bei-spiel Bayern (Bamberg 1988, S. 29-44); auch ebd. „Von der attischen Demo-kratie bis zum aufgeklärten Absolutismus“, im Kapitel Spätmittelalter:

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Erwerbspolitik am Beispiel Württembergs“ (Bamberg 1990, S. 225-235). –In den Ländern Bayern, Baden-Württemberg, Hamburg, Niedersachsen,Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein werden von unterschiedlichen Re-gierungsstellen (Kultusministerien, Oberschulämter u.a.) Materialien zudiesen Themen erarbeitet und zur Verfügung gestellt. Vgl. CREMER/STICHMANN (wie Anm. 8).

12 Bodo VON BORRIES, Deutsche Geschichte. Spuren suchen vor Ort imSchülerwettbewerb um den Preis des Bundespräsidenten. Frankfurt amMain 1990, S. 56.

13 Das Fritz Bauer-Institut in Frankfurt am Main versucht empirisch dieseMethode auf deutsche Verhältnisse zu übertragen.

14 Z. B.: Drei Lehrer rühren in der braunen Suppe. Ein Buch über die NS-Zeitan einem Kölner Gymnasium stört heute den Schulfrieden. Bericht in derFrankfurter Rundschau vom 8.11.1986.

15 Z. B. Peter ADAMSKI (Hg.): Vom Pennäler zum Flakhelfer. Schule und Ju-gend im Nationalsozialismus. Eine Dokumentation der Geschichtswerk-statt am Friedrichsgymnasium, Kassel 1996.

16 G. KÖSSLER / G. STEFFENS / Ch. STILLEMUNKES (Hg.): Spurensuche.Ein Reader … 1998.

17 Vgl. Th. LANGE: Lehrstücke aus dem Schularchiv. 1996, mit weiteren Literaturhinweisen. Hier folgt nur eine Auswahl von Titeln: FranziskaCONRAD, Bernhard POST u.a., Erziehung im Nationalsozialismus. Gu-tenbergschule und Diltheyschule 1933-45. Wiesbaden 1992 – HILF Außen-stelle Limburg: Das Schicksal der Hadamarer Juden. Schule und Öffent-lichkeit erneuern gemeinsam das Gedächtnis an jüdische Mitbürger von1933-1945. Ergebnisse regionaler Lehrerfortbildung, Limburg 1991 – Rein-hard ERNST u. a., Die jüdischen Schülerinnen der Elisabethenschule 1878bis 1938. Experiment. Zeitung der Elisabethenschule, Sonderheft. Mar-burg, November 1990. – Ulrike KLEIN, Beate KOSMALA u. a.: JüdischeSchüler am Ludwig-Georgs-Gymnasium in den zwanziger und dreißigerJahren, Darmstadt 1992 – Renate HESS u. a., Juden-Deportationen ausDarmstadt 1942/43. Die damalige Liebig-Schule als Sammellager. Darm-stadt 1992. – Benjamin ORTMEYER, Schicksale jüdischer Schülerinnenund Schüler in der NS-Zeit. Leerstellen deutscher Erziehungswissen-schaft? Bundesrepublikanische Erziehungswissenschaften (1945/49-1995)und die Erforschung der nazistischen Schule. Bonn 1998.

18 Vgl. die Literaturliste bei Th. LANGE in: Geschichte in Wissenschaft undUnterricht 51, 1999, S. 43-49.

19 SCHNEIDER (wie Anm. 2), S. 116.

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Wichtige Anschriften

Arbeitsgemeinschaft der Geschichts- und Heimatvereine im KreisBergstraße, Landratsamt, Gräffstr. 5, 64646 Heppenheim, Tel. (0 62 51)1 54 10

Bistumsarchiv Fulda, Bischöfl. Generalvikariat, Paulustor 5, 36037Fulda, Tel. (06 61) 87-0, Fax 87-5 78

Diözesanarchiv Limburg, Roßmarkt 4, 65549 Limburg a. d. Lahn, Tel.(0 64 31) 2 95-3 34, Fax 2 95-4 76

Familienkundliche Gesellschaft für Nassau und Frankfurt, MosbacherStr. 55 (Hauptstaatsarchiv), 65187 Wiesbaden, Tel. (06 11) 8 81-0

Frankfurter Historische Kommission, Karmelitergasse 5 (Inst. f. Stadt-geschichte), 60311 Frankfurt am Main, Tel. (0 69) 2 12-3 33 74, Fax 2 21-3 07 53

Frankfurter Verein für Geschichte und Landeskunde e.V., Karmeliter-gasse 5 (Inst. für Stadtgeschichte), 60311 Frankfurt am Main, Tel./Fax(0 69) 28 78 60

Friedberger Geschichtsverein e.V., Haagstr. 16, 61169 Friedberg,Tel./Fax (0 60 31) 9 32 86,

Fuldaer Geschichtsverein e.V., Stadtschloss Raum C 256, Postfach 10 20, 36010 Fulda

Gesellschaft für Familienkunde in Kurhessen und Waldeck, Postfach10 13 46, 34013 Kassel

Hanauer Geschichtsverein e.V., Schlossplatz 2, 63450 Hanau

Hessische Familiengeschichtliche Vereinigung; Karolinenplatz 3(Haus der Geschichte), 64289 Darmstadt, Tel. (0 61 51) 16 59-60

Hessische Historische Kommission Darmstadt, Karolinenplatz 3 (Hausder Geschichte), 64289 Darmstadt, Tel. (0 61 51) 16 59-00, Fax 16 59-01

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Hessische Kirchengeschichtliche Vereinigung e.V., Karolinenpl. 3 (Hausder Geschichte), 64289 Darmstadt, Tel. (0 61 51) 16 59-00, Fax 16 59-01

Hessische Landeszentrale für politische Bildung, Rheinbahnstr. 2,65185 Wiesbaden, Tel. (06 11) 9 91 97-0, Fax 9 91 97-44

Hessischer Museumsverband e.V., Kölnische Str. 42-46, 34117 Kassel,Tel. (05 61) 7 88 95 97

Hessischer Rundfunk, Bertramstr. 8, 60222 Frankfurt am Main, Tel. (0 69) 15 51, Fax 1 55-29 00

Hessisches Hauptstaatsarchiv, Mosbacher Str. 55, 65187 Wiesbaden,Tel. (06 11) 8 81-0, Fax 8 81-1 45

Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde, Wilhelm-Röpke-Str. 6 C, 35032 Marburg, Tel. (0 64 21) 28 45 82, Fax 28 47 99

Hessisches Staatsarchiv Darmstadt, Karolinenplatz 3 (Haus der Ge-schichte), 64289 Darmstadt, Tel. (0 61 51) 16 59-00, Fax 16 59-01

Hessisches Staatsarchiv Marburg, Friedrichsplatz 15, 35037 Marburg,Tel. (0 64 21) 92 50-0, Fax 16 11 25

Hessisches Wirtschaftsarchiv e.V., Karolinenplatz 3, (Haus der Ge-schichte), 64289 Darmstadt, Tel. (0 61 51) 16 50-00, Fax 16 50-03

Historische Kommission für Hessen, Friedrichsplatz 15 (Staatsarchiv),35037 Marburg, Tel. (0 64 21) 92 50-0, Fax 16 11 25

Historische Kommission für Nassau, Mosbacher Str. 55 (Hauptstaats-archiv), 65187 Wiesbaden, Tel. (06 11) 8 81-0, Fax 8 81-1 45

Historischer Verein für Hessen, Karolinenplatz 3 (Haus der Ge-schichte), 64289 Darmstadt, Tel. (0 61 51) 16 59-64, Fax 16 59-01

Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main, Karmelitergasse 5,60311 Frankfurt am Main, Tel. (0 69) 2 12-3 54 79, Fax 2 12-3 07 53

Institut für personengeschichtliche Forschung, Schwanheimer Str.133, 64625 Bensheim, Tel. (0 62 51) 6 22 11, Fax 6 22 71

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Page 144: Die Hessen und ihre Geschichte · Fürstentümer Hessen und Hersfeld“ des Rats Johann Justus Winckel-mann, die erst zu Ende des Jahrhunderts in Bremen gedruckt werden konnte, wie

Jüdisches Museum, Untermainkai 14/15, 60311 Frankfurt am Main,Tel (0 69) 2 12-3 50 00

Kommission für Geschichte der Juden in Hessen, Mosbacher Str. 55(Hauptstaatsarchiv), 65187 Wiesbaden, Tel. (06 11) 8 81-0, Fax 8 81-1 65

Landesamt für Denkmalpflege Hessen, Schloss Biebrich, 65203 Wies-baden, Tel. (06 11) 69 06 13

Landeskirchliches Archiv der Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck, Les-singstr. 15, 34119 Kassel, Tel. (05 61) 78 87-60, Fax 78 87-6 11

Oberhessischer Geschichtsverein Gießen e.V., Stadtarchiv, Ostanlage45, 35390 Gießen, Tel. (0 61 41) 3 06-27 15

Saalburgmuseum, Saalburg-Kastell, 61350 Bad Homburg v. d. H.,Tel. (0 61 75) 93 74-0, Fax 93 74-11

Verein für Geschichte und Landeskunde e.V., Am Seeberg 7A, 61352Bad Homburg v.d.H., Tel. (0 61 72) 48 81 25

Verein für hessische Geschichte und Landeskunde e.V., Diagonale 10(Gesamthochschul-Bibliothek Kassel), 34111 Kassel, Tel. (05 61) 8 04-21 17/18

Verein für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschunge.V., Mosbacher Str. 55 (Hess. Hauptstaatsarchiv), 65187 Wiesbaden,Tel. (06 11) 8 81-0, Fax 8 81-1 45

Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen, Schloss,61348 Bad Homburg v.d.H., Tel. (0 61 72) 92 62-00, Fax 92 62-1 90

Waldeckischer Geschichtsverein e.V., Schlossstr. 24, 34454 Bad Arol-sen, Tel. (0 56 91) 66 52

Zentralarchiv der Ev. Kirche in Hessen und Nassau, Ahastr. 5a, 64285Darmstadt, Tel. (0 61 51) 4 05-4 93, Fax 4 05-4 94

Zentralstelle für Personen- und Familiengeschichte, Birkenweg 13,61381 Friedrichsdorf/Ts.

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