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Die Isolierung im eigenen Sein Das Motiv „Isolation“ in den Robinsonaden „Die Wand“ von Marlen Haushofer und „Die Arbeit der Nacht“ von Thomas Glavinic vorgelegt von Laura Aline Widerhofer 8A Schuljahr 2014/15 BG Stockerau Unter den Linden 16 2000 Stockerau Mag. a Verena Ofner Stockerau, Februar 2015

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Die Isolierung im eigenen Sein

Das Motiv „Isolation“ in den Robinsonaden „Die Wand“ von Marlen Haushofer und

„Die Arbeit der Nacht“ von Thomas Glavinic

vorgelegt von

Laura Aline Widerhofer

8A

Schuljahr 2014/15

BG Stockerau

Unter den Linden 16 2000 Stockerau

Mag.a Verena Ofner

Stockerau, Februar 2015

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Meinen Eltern

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Abstract

Die vorliegende vorwissenschaftliche Arbeit behandelt das literarische Motiv Isolation in

den Romanen DIE WAND von Marlen Haushofer und DIE ARBEIT DER NACHT von Thomas

Glavinic. Die Untersuchung bietet sowohl einen formalen als auch inhaltlichen Überblick

über die beiden Romane, wobei das Hauptaugenmerk auf auftretenden Unterschieden

liegt. Da es sich bei dieser Arbeit um eine Literaturanalyse handelt, beschränkt sich die

gewählte wissenschaftliche Methodik auf die Analyse der Primärwerke sowie die Studie

der Sekundärliteratur, welche die erarbeiteten Thesen stützen soll. Bei diesen Werken

handelt es sich um moderne Robinsonaden, weshalb die Einsamkeit der Robinsonfigur

im Zentrum der Erzählungen steht. Beide Male wird das letzte Individuum in seiner Exis-

tenz als Mensch und bewusst handelndes Wesen bedroht.

Die Arbeit zeigt schlussendlich, dass die Bearbeitung des Themas der totalen Isolation

stark divergieren und sehr individuell ausgelegt werden kann. Im Vergleich wird deut-

lich, dass zwei unterschiedliche Identitätsentwürfe einander konträr gegenüberstehen.

Dieser Antagonismus wird sowohl in der inneren Sicht der Robinsonfiguren als auch äu-

ßeren Faktoren wie dem Isolationsbereich deutlich. Auch die Auflösung der Anti-Utopie,

die in DIE ARBEIT DER NACHT mit der Selbstbefreiung des Robinsons aus der Einsamkeit

durch Suizid miteinhergeht, kann wie in DIE WAND durch den Mord an dem wohl letzten

männlichen Überlebenden unterschiedlich geschehen – beide Male bedeutet dies je-

doch das Ende der Menschheit.

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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung – Zwei Romane im Vergleich ....................................................................... 5

2. Die formale Ebene...................................................................................................... 6

2.1. Die Gattung der Robinsonade ............................................................................ 6

2.2. Wer erzählt? ....................................................................................................... 8

3. Die inhaltliche Ebene ............................................................................................... 10

3.1. Die Isolationssituation und ihre möglichen Auslöser ...................................... 12

3.2. Überlebensstrategien....................................................................................... 16

3.2.1. Die physischen Überlebensbestrebungen der Protagonistin/des

Protagonisten ............................................................................................ 16

3.2.2. Die psychischen Überlebensbestrebungen der Protagonistin/des

Protagonisten ........................................................................................... 18

3.2.2.1. Kontaktversuche: Ersatzfamilie bzw. (Verzweiflungs-)Taten .......... 18

3.2.2.2. Kontrollversuche der Ich-Auflösung bzw. des Ich Zerfalls .............. 22

3.2.2.3. Die Zementierung der Isolation – Das Ende des utopischen Spiels..28

4. Abschließender Vergleich .......................................................................................... 33

Literaturverzeichnis ...................................................................................................... 36

Selbstständigkeitserklärung ............................................................................................ 37

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1. Einleitung – Zwei Romane im Vergleich

Die beiden österreichischen Robinsonaden DIE WAND1 (1968) von Marlen Haushofer und

DIE ARBEIT DER NACHT2 (2006) von Thomas Glavinic haben beide die Isolation der mensch-

lichen Robinsonfigur als literarisches Motiv im Zentrum. Das Hauptziel dieser Arbeit ist

es, diesen Stoff zu untersuchen, Parallelen zwischen den Werken zu ziehen und Unter-

schiede aufzuzeigen.

Die Arbeit beruht einerseits auf der Studie der Primärwerke, andererseits auf jener der

Sekundärliteratur. Im Zuge dessen halfen die von Mara Stuhlfauth in ihrer Arbeit MO-

DERNE ROBINSONADEN3 anhand Daniel Defoes ROBINSON CRUSOE erarbeiteten Gattungs-

merkmale, einen Überblick über die Kohärenz von Inhalt und Struktur einer Robinsona-

de zu bekommen. Eben diese scheinen nicht nur eine wichtige, strukturelle Leitlinie vor-

zugeben, sondern die Romane auch auf inhaltlicher Ebene maßgeblich zu beeinflussen.

Der inhaltlichen Analyse der beiden Romane werden zum besseren Verständnis des in-

haltlichen Stoffes eine kurze Erörterung der literarischen Gattung Robinsonade in Ver-

bindung mit dem Konzept (Anti-)Utopie sowie eine knappe Struktur- und Sprachanalyse

der Werke vorangestellt. Im weiteren Verlauf werden inhaltliche Punkte wie etwa die

Auslöser der verschiedenen Isolationssituationen, die unterschiedliche Art der Ausei-

nandersetzung der Protagonistin/des Protagonisten mit der Einsamkeit und deren suk-

zessive Wesensveränderung sowie die schlussendliche Auflösung des Robinsonzustan-

des beleuchtet. Im abschließenden Kapitel kommt es zu einem zusammenfassenden

Vergleich der beiden Robinsonaden. Die Arbeiten von Monika Kohler4 und Gina Kaiser5,

die sich mit einer ähnlichen Fragestellung beschäftigen, bilden eine wichtige Grundlage

für diese inhaltliche Untersuchung.

1 Haushofer, Marlen: Die Wand. 17.Auflage. Berlin: List Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH,2012 2 Glavinic, Thomas: Die Arbeit der Nacht. 3.Auflage. München: Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, 2011 3 Stuhlfauth, Mara: Moderne Robinsonaden. Eine gattungstypologische Untersuchung am Beispiel von Marlen Haushofers Die Wand und Thomas Glavinic Die Arbeit der Nacht. 1.Auflage. Würzburg: Ergon- Verlag GmbH, 2011 4 Kohler,  Monika:  Das  Symbol  „Wand“  in  Werken  Marlen  Haushofers/  Monika  Kohler.–2002 5 Kaiser,  Gina:  „Jedes  Ende  ist  auch  ein  neuer  Anfang“:  Arno  Schmidts  „Schwarze Spiegel“,  Marlen  Haushofers  „Die  Wand“,  Herbert  Rosendorfers  „Großes  Solo  für  Anton“  und  ein  Kon- zept der postapokalyptischen Robinsonade im 20. Jahrhundert. München: September 2011. Als Down- load: http://d-nb.info/1025821998/34 (Zugriff:28.06.2014)

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Die Arbeit konzentriert sich vor allem auf die Analyse des Motivs Isolation in den beiden

Romanen und so konnten weitergehende Aspekte nicht behandelt werden. Im Falle

Haushofers Roman sind dies beispielsweise zeitgeschichtliche sowie autobiografische

Hintergründe, die Daniela Strigl in der Biografie „WAHRSCHEINLICH BIN ICH VERRÜCKT…“6

erläutert. Bei Glavinic wäre die Untersuchung der Intertextualität des Romans DIE ARBEIT

DER NACHT in seinem Gesamtwerk sehr spannend und bietet genügend Stoff für eine

weitere Abhandlung.

2. Die formale Ebene

2.1. Die Gattung der Robinsonade

Das Genre der Robinsonade wurde mit der Veröffentlichung Daniel Defoes ROBINSON

CRUSOE im Jahr 1719 begründet. Jedoch findet sie noch lange keine Berechtigung als

eine eigenständige, vom klassischen Abenteuerroman unabhängige Gattung, obwohl ihr

Stoff und die damit verbundenen strukturellen Merkmale bald Anklang in der Literatur

des 18. und 19. Jahrhunderts finden und auf immense Adaption stoßen: „[…]  der  Name  

‚Robinson‘  [ist] […]  nicht  mehr  der  Name  eines  individuellen  Protagonisten  eines  Aben-

teuerromans, sondern ein Kollektivsubstantiv für […][die  Hauptfigur] in einer durch die

Vorlage definierten Situation.“7 Defoe gelang es durch seinen Roman nicht nur die Lite-

ratur seiner Zeit maßgeblich zu prägen, sondern mit ihm einen historischen Prototyp zu

erschaffen. Seine Vorlage erfuhr in den vergangen Jahrhunderten zwar eine Weiterent-

wicklung, doch sind die Grundmuster der klassischen Robinsonade auch in ver-

schiedensten literarischen Variationen des Stoffes von unzähligen Autorinnen und Auto-

ren weltweit im Grunde gleichgeblieben und folgen einem einheitlichen Schema: der

Protagonist/die Protagonistin lebt einsam in einem isolierten, realen oder imaginären

Raum. Zentral dabei ist die Veränderung, die diese/r sowie seine/ihre Umwelt dabei

erfährt.

Eine bedeutende Charakteristik der Robinsonade der Gegenwart ist die nahe Ver-

wandtschaft zur fantastischen und grotesken Literatur. Hierbei wurde die Struktur der

klassischen Robinsonade adaptiert und mit utopisch-futuristischen Elementen verbun- 6 Strigl,  Daniela:  „Wahrscheinlich  bin  ich  verrückt…“.  Marlen  Haushofer  – die Biographie. 4.Auflage. Berlin: List Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH,2012 7 Stuhlfauth, Moderne Robinsonaden, S.11

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den. Es zeichnet sich ab, dass im Gegensatz zur klassischen in der modernen Robinsona-

de der, einer Fabel ähnliche, belehrende Charakter weniger stark im Zentrum steht bis

hin zu gar nicht vorhanden ist. Es geht nicht mehr darum, im subjektleeren Raum die

Missstände der alten Gesellschaft aufzuzeigen, daraus Lehren zu ziehen und neuentwi-

ckelte Werte an die Nachwelt weiterzugeben. Es ist viel eher ein unbewusstes Rekapitu-

lieren des früheren Lebens und die sinnstiftende (aktive) Flucht aus einer Welt, die für

ein Individuum keine Perspektiven mehr geboten hatte, in eine Utopie. Es besteht also

eine scheinbare Abhängigkeit der Robinsonade von der Utopie und so ist es wichtig, an

dieser Stelle kurz auf diese ambivalente Beziehung einzugehen: Es muss unterschieden

werden, ob es sich um Kritik an den bis zum Auftreten der Katastrophe herrschenden

Zuständen handelt (Utopie),  oder  um  die  Kritik  an  der  „utopischen  Welt“  und  dem  uto-

pischen Denken der Menschheit (Kritik an der Utopie Æ Anti-Utopie). Die beiden in die-

ser Arbeit behandelten Romane können insofern als anti-utopische bezeichnet werden,

als dass sie die Aussicht auf eine ideale (utopische) Zukunftsgesellschaft negieren und

schlussendlich ablehnen – eine optimale Situation wird sich niemals einstellen und der

Glaube daran wird als naiv enttarnt. Gina Kaiser wiederum konstatiert in ihrer Disserta-

tion, dass gerade die Einbindung einer imaginären Welt in einen realen Raum in der

Endzeitdichtung und die damit verbundenen utopischen sowie anti-utopischen Eigen-

schaften eine Klassifizierung der modernen Robinson-Romane als Robinsonaden nicht

zulassen.8 Es lässt sich also keine eindeutige Genreeinteilung treffen. Kaiser argumen-

tiert, dass die fehlende Hoffnung auf Rettung dem Robinsonaden-Charakter nicht ge-

recht werde. Wird nun aber die Isolierung als aktive Handlung der Robinsonfigur defi-

niert, hat die Hauptfigur als Utopistin Einfluss auf das Gedankenspiel Utopie, dessen

Realitätsgrad sie sich dennoch nicht bewusst werden kann.

Ein anderer wichtiger Punkt der weiterentwickelten Form der Robinsonade wird von

dem „jungen“  inhaltlichen Merkmal Ende des Menschengeschlechts gebildet, der in bei-

den Romanen sehr zentral ist. Das Phänomen einzig und somit auch letzte/r Überleben-

de/r der Menschheit ist die Voraussetzung dafür, dass dieser Stoff funktionieren kann -

ein auktorialer Erzähler, wie er in DIE ARBEIT DER NACHT vorkommt, steht dazu im Wider-

spruch. 8 vgl. Kaiser, „Jedes  Ende  ist  auch  ein  neuer  Anfang“, S.230f

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2.2. Wer erzählt?

Unter Betrachtung des zuvor genannten Merkmals ist der Bericht die einzig logische

Form des Erzählens, wie ihn auch der in der 17. Auflage des List Verlags 276 Seiten um-

fassende Roman DIE WAND von Marlen Haushofer annimmt. Die im weiteren Verlauf der

Robinsonade als Ich-Erzählerin agierende Protagonistin beginnt diesen mit den Worten:

„Heute,  am  fünften  November,  beginne   ich  mit  meinem  Bericht.“9 Sie reflektiert darin

über das ihr Widerfahrene und verarbeitet den Mord an ihren Tieren. Die chronologi-

sche Erzählung des Geschehenen basiert auf von ihr angefertigten Kalendernotizen,

wobei sich häufig Ungereimtheiten zeigen. Es scheint, als würden „[d]ie Inkohärenzen,

die sich zwischen [den] Notizen [der Ich-Erzählerin] und dem Bericht ergeben, in diesem

Roman der Veranschaulichung des Bruches in der Identität der Protagonistin [die-

nen].“10 Diese sowie die Reduzierung des Geschehenen auf die reine Subjektivität der

Ich-Erzählerin lassen den Leser/die Leserin in Angesicht der psychischen Instabilität der

Frau zu Beginn des Schreibprozesses an deren Erzählautorität und damit an ihrem Be-

richt zweifeln. Zum Zeitpunkt des eigentlichen Schreibens des Skripts ist die Roman-

handlung bereits abgeschlossen und beim Lesen dessen die Existenz der Frau ungewiss.

Die zwei entstehenden Handlungsebenen (vor und nach Eintreten der Wand in das Le-

ben der Protagonistin) werden durch den Bericht auf drei Zeitebenen geteilt:

x Zeit des Verfassens fällt in die im Bericht beschriebene Gegenwart

x Schilderung der vergangenen Monate in Isolation wird unterbrochen

x durch Rückblicke in eine Vergangenheit vor der Katastrophe

Die im Bericht beschriebene Dauer in Einsamkeit erstreckt sich beinahe über einen Zeit-

raum von zweieinhalb Jahren, die in nur einigen Monaten niedergeschrieben werden.

Dadurch entsteht eine große Diskrepanz zwischen erzählter Zeit und Erzählzeit.

Sprachlich ist das Buch sehr einfach gehalten, was abermals stilistisch begründet liegt

und die Beschreibungen sehr authentisch wirken lässt. Es besteht großteils aus Wetter-

und Naturbeobachtungen, sowie Schilderungen des Gemütszustands der Robinsonfigur.

9 Haushofer, Die Wand, S.7 (Zitation  infolge    angeführt  unter:  „Wand,  S.“) 10 Stuhlfauth, Moderne Robinsonade, S.70

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Die Frau versucht zwar objektiv zu berichten, doch klappt dies nur bedingt, da ja bereits

die angedachte Funktion des Schreibens eine andere ist: die eigene Angstbewältigung.

Der Bericht dient bei Haushofers außerdem als Mittel zur Verdeutlichung des (fiktiven)

Utopischen Spiels, das die Autorin mit dem Robinson-Stoff anstellt. Das Lesen durch den

Rezipienten/die Rezipientin des Berichts setzt voraus, dass dieser zu einem ungewissen

Zeitpunkt aus dem Isolationsbereich geborgen werden musste. Da der Ausgang der Iso-

lationssituation in DIE WAND eine Leerstelle bleibt, kann über den Grad der Fiktionalität

des Ereignisses insgesamt lediglich gemutmaßt werden.

In Glavinic´ Roman DIE ARBEIT DER NACHT, der aufgrund seiner Veröffentlichung im Jahr

2006 zur Literatur der Gegenwart zählt, sind Parallelen zu Haushofers Werk nicht zu

leugnen, auch wenn der Autor selbst wiederholt betont, dieses nicht gekannt zu haben.

Auf formaler Ebene bildet der Roman einen starken Gegensatz. Auf rund 400 Seiten

beschreibt ein personaler Erzähler die letzten 47 Tage im Leben des Protagonisten Jonas

in Isolierung und berichtet sehr objektiv über die Geschehnisse. Da aber aufgrund des

postapokalyptischen Szenarios hier keine Fremdcharakterisierung möglich ist (die Inter-

aktion mit einem Gegenüber, die auf Charakterzüge schließen lässt, kommt nicht infra-

ge), muss der Erzähler hier besonders genau arbeiten. Die Satzstellung ahmt Gedanken-

gänge des Protagonisten nach und die Figurenrede weist Elemente der erlebten Rede

auf, wodurch dem Leser/der Leserin ein Einblick in Jonas´ Innerstes ermöglicht wird. Der

Erzähler eröffnet hier gleichzeitig eine neue Perspektive, die unweigerlich zur Frage

führt, wer denn erzähle, wenn es außer der Robinsonfigur selbst keinen anderen Men-

schen mehr geben soll. Seine bloße Existenz liefert einen Hinweise auf die spätere Situa-

tion: Denn gegen Ende des Romans verschwimmt auch seine Perspektive, als er in das

Leben Jonas´ eingreift, und nicht mehr klar ist, ob es die Fiktion des Autors Glavinic, die

der Hauptfigur oder die eines wiederum fiktiven Autors ist.

Auch in DIE ARBEIT DER NACHT ist die Sprache überwiegend einfach gehalten, ab und zu

kommen österreichische Besonderheiten im Ausdruck durch. Die Sätze wirken durch

ihre Knappheit umso kraftvoller. Bei der Ausgestaltung des literarischen Doppelgänger-

Motivs schafft es Glavinic doch gerade mithilfe der so charakteristischen mystisch-

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bedrohlichen Ausschmückungen, Spannung aufzubauen und zu halten und verwendet

häufig detaillierte Beschreibungen erdrückender Stille zur Darstellung der inneren An-

spannung des Protagonisten. Die aktive Handlungsebene der Robinsonfigur wird hier

mittels zweier Zeitebenen geschildert, wobei die der Gegenwart deutlich überwiegt und

nur stellenweise durch Erinnerungen unterbrochen wird. Eine zweite bildet die Ebene

des fiktiven Autors, der sich auf einer übergeordneten Zeitebene befindet und sowohl in

die Vergangenheit, als auch die Gegenwart der Romanfigur hineinspielt.

3. Die inhaltliche Ebene

DIE WAND (1968), Marlen Haushofer

„Plötzlich fiel mir auf, was mich im Unterbewußtsein schon die ganze Zeit gequält haben

mochte, daß die Straße völlig leer lag. Irgend jemand mußte doch längst Alarm geschla-

gen  haben.   […]  Daß  kein  einziger  Mensch  zu  sehen  war,  erschien  mir  noch  rätselhafter

als  die  Wand.“11

Die namenlose Ich-Erzählerin reist mit ihrer Cousine und deren Ehemann zu einer Jagd-

hütte in den Bergen, um sich dort einige Tage in Abgeschiedenheit zu erholen. Als die

Frau an ihrem ersten Morgen erwacht, muss sie feststellen, dass lediglich der Hund ihrer

Verwandten, Luchs, von dem abendlichen Spaziergang ins Dorf zurückgekehrt war, nicht

so ihre Cousine noch deren Gatte. Sie findet sich und das Tier eingeschlossen hinter ei-

ner unsichtbaren Wand wieder, hinter welcher kein weiteres Leben zu existieren

scheint. Durch diese, über Nacht eingetretene, Katastrophe, wird die Frau offensichtlich

zur letzten Überlebenden – zu einer Robinsonfigur – zu einer Alleinversorgerin, gleich-

zeitig geschützt wie gefangen hinter einer undefinierbaren Grenze. Nach und nach baut

sich die Protagonistin eine Existenz auf, lernt das rurale Bewirtschaften und gründet

eine tierische Ersatzfamilie. Sie lernt Verantwortung für sich und ihre Tiere zu überneh-

men und die Kontrolle über ihr Leben zurückzugewinnen. Allmählich verschafft sich die

Ich-Erzählerin auch einen gewissen Grad an Mobilität und zieht beispielsweise in ihrem

zweiten Sommer von ihrer Jagdhütte im Tal auf eine Alm in der Nähe, um dort ihre Kü-

he besser versorgen zu können. Ihre Trauer um ihr vorheriges Leben wird mit der Zeit

immer geringer und mit ihm schwindet auch die Hoffnung, jemals wieder auf menschli- 11 Wand, S. 16

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ches Leben zu stoßen. Dies ändert sich jedoch eines Tages, als plötzlich ein fremder

Mann in ihren Lebensraum eindringt und ohne ersichtlichen Grund zunächst ihren Stier

und anschließend ihren Hund umbringt und ihr somit ihre scheinbar letzten Existenz-

grundlagen nimmt. Die Frau erschießt daraufhin den Fremden. Sie beginnt, traumati-

siert von den erneuten, schicksalsträchtigen Ereignissen einen Bericht zu verfassen, in

dem sie ihr Leben aufzeichnet, ohne zu wissen, ob ihre Zeilen jemals gelesen werden.

Trotz zahlreicher Rückschläge, die ihr in ihren zweieinhalb Jahren hinter der Wand wi-

derfahren sind, klingt die Protagonistin auch gegen Ende ihres Berichts weiter zuver-

sichtlich; diesen Bericht kann sie nicht ewig weiterführen, da ihr allmählich die Lebens-

grundlagen ausgehen und damit  auch  die  Ressourcen  ihres  letzten  „weltlichen“  Kultur-

guts. Das endgültige Schicksal der Protagonistin bleibt offen.

DIE ARBEIT DER NACHT (2006), Thomas Glavinic

„Man  konnte doch nicht eine Millionenstadt innerhalb einer Nacht evakuieren und nur

ihn vergessen. Und das alles, ohne daß er es merkte. Oder er träumte. Oder war wahn-

sinnig geworden.“12

Auch Jonas, der Protagonist dieses Romans, wacht eines Morgens auf und sieht sich

damit konfrontiert, dass er alleine in Wien zu sein scheint. Er ist zurückgelassen in einer

Welt, die aussieht wie je zuvor, doch fehlt jegliche Spur von animalischem Leben. Jonas

irrt durch die ihm vertrauten Straßen und Gassen der Stadt, immer auf der Suche nach

dem Verbleib seiner Familie, seiner Freunde und Bekannten, vor allem aber auf der Su-

che nach einer Antwort auf die Frage nach dem Ursprung dieser Katastrophe. Verzwei-

felt nach Hinweisen auf den Verbleib der Menschheit begibt sich Jonas zuerst auf zu

Plätzen in Österreich, die einst für ihn von Bedeutung waren. Später gelangt er so bis

nach Ungarn, Deutschland und England, wo er hofft, den letzten Aufenthaltsort seiner

Freundin Marie vorzufinden, die sich zum vermeintlich Zeitpunkt der Katastrophe dort

aufgehalten hat. Unerschöpflich verfolgt er wie besessen ein Ziel: hinter des Rätsels Lö-

sung zu gelangen.

12 Glavinic, Die Arbeit der Nacht, S.17 (Zitation  infolge  angeführt  unter:  „Arbeit,  S.“)

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Zu diesem Zeitpunkt des Romans hegt der Protagonist noch Hoffnung und hinterlässt an

jedem besuchten Ort eine Spur von sich selbst; meist schreibt er seinen Namen, das

Datum und seine Kontaktdaten auf, oder bringt Zeichen zur Rettung an. Bald spürt Jonas

ein inneres Verlangen nach mehr Kontrolle über die Situation, aber auch über sich selbst

und beginnt mit Kameras zu arbeiten, die er an mehreren Orten aufstellt, sie gleichzeitig

filmen lässt und anschließend die Aufnahmen auf Anomalitäten untersucht. Im Zuge

dessen analysiert Jonas auch Sequenzen, die ihn nachts beim Schlafen zeigen. Hierbei

spricht er von sich selbst als  der  „Schläfer“  und auch seine Taten sind denen des „Tag-

Ichs“ fremd. Diese beiden Identitäten entwickeln sich immer weiter bis sie gegen Ende

des Romans vielmehr zu Feinden als zu Unterstützern des Protagonisten geworden sind.

In diesem Zwiespalt gefangen, arbeitet Jonas aktiv gegen sich selbst und macht es sich

beinahe unmöglich, sein eigentliches Ziel, einmal noch ganz nahe bei Marie oder zu-

mindest an dem Ort, an dem sie zuletzt war, zu sein, zu erreichen.

Nachdem Jonas es jedoch geschafft hat, Maries Besitztümer von England nach Öster-

reich zurückzubringen, seine zwei Identitäten mehr oder weniger wieder zu vereinen

und sein Schicksal anzunehmen, endet der Roman mit dem Sturz des Protagonisten vom

Stephansdom.

3.1. Die Isolationssituation und ihre möglichen Auslöser

„Verdutzt streckte ich die Hand aus und berührte etwas Glattes und Kühles: einen glat-

ten, kühlen Widerstand an einer Stelle, an der doch gar nichts sein konnte als Luft. Zö-

gernd versuchte ich es noch einmal, und wieder ruhte meine Hand wie auf der Scheibe

eines  Fensters.“13

Der Beginn der Isolationssituation der namenlosen Ich-Erzählerin kann mit ihrer Ent-

scheidung, nicht mit ihrer Cousine und deren Mann ins Dorf zu gehen, um dort Abend zu

essen, gleichgesetzt werden. Die Romanheldin zieht hier ein erstes Mal die Einsamkeit

der Gesellschaft vor. Schon vor dem Ereignis Wand war sie in ihrer Rolle als Hausfrau

und Mutter gefangen. Später einmal erinnert sie sich zurück an die Frau, die sie früher

einmal war: „Als   sie   jung   war,   nahm   sie,   unwissend,   eine   schwere   Last auf sich und

gründete eine Familie, und von da an war sie immer eingezwängt in eine beklemmende

13 Wand, S.15

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Fülle   von  Pflichten  und  Sorgen.“14 Sie führte ein Leben in Anonymität und Abgeschie-

denheit in einer Gesellschaft, der sie sich aktiv zu entziehen versuchte. Der Unzufrie-

denheit mit ihrem Leben konnte die Protagonistin in ihrer damaligen Welt nichts entge-

gensetzten. Sie isolierte sich zusehends und schien, misanthrope Züge entwickelt zu

haben, denn „[…]  schon  lange  ehe  es  die  Wand  gab,  ha[t] [sie] gewünscht, tot zu sein,

um [ihre] Bürde endlich abwerfen zu können. Über diese schwere Last [hat sie] immer

geschwiegen;  […]“15 und stattdessen versucht, der Menschheit zu entgehen, indem sie

sich  „durch   innere  Wände   in  Form  einer  psychischen  Barriere  von   ihren  Mitmenschen

isoliert[e].“16 Trotz dieser Voraussetzung, allein sein zu können, wirkt ihr Überleben in

der hereingebrochenen Not willkürlich. Nichts deutet daraufhin, dass sie als Person spe-

ziell auserwählt worden ist, ein Unglück wie dieses als einzige zu überstehen. Ihr Unwis-

sen  über  den  Ablauf  und  ihre  „zufällige“  Abwesenheit  während  des  vermeintlichen  Ent-

stehungszeitpunktes der Katastrophe scheinen ihr Bestehen zu rechtfertigen.

Haushofers Protagonistin wacht in der neuen Situation auf und muss das plötzliche Auf-

treten einer gläsernen Wand erst nach und nach geistig erfassen.

„[…]  nach  wenigen  Schritten  stieß  ich  mit  der  Stirn  heftig  an  und  taumelte  zurück.  […]  

Dann hörte ich lautes Pochen und sah um mich, ehe ich begriff, daß es mein eigener

Herzschlag war, der mir in den Ohren dröhnte. Mein Herz hatte sich schon gefürchtet,

ehe  ich  es  wußte.  […]  Ich  stand  noch  dreimal  auf  und  überzeugte  mich  davon,  daß  hier,  

drei Meter vor mir, wirklich etwas Unsichtbares, Glattes, Kühles war, das mich am Wei-

tergehen hinderte. Ich  dachte  an  eine  Sinnestäuschung,  […]  Aber  da  war  Luchs  mit  sei-

nem blutenden Maul, und da war die Beule  auf  meiner  Stirn,  […]  “17

Die Auswirkungen, die dieser massive Einschnitt in das Leben der Protagonistin reißen

wird, lassen sich zu diesem Zeitpunkt für sie noch lange nicht abschätzen. Was zurück-

bleibt, sind Ungläubigkeit und Ratlosigkeit, denn „[e]s konnte einfach nicht wahr sein,

derartige Dinge geschahen einfach nicht, und wenn sie doch geschahen, nicht in einem

kleinen Dorf im Gebirge, nicht in Österreich und nicht in Europa.“18 Gerade die Unmög-

14 Wand, S.83 15 ebd. S.71 16 Stuhlfauth, Moderne Robinsonaden, S.22 17 Wand, S.14f 18 ebd. S.18f

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lichkeit des Ereignisses verleiht dem Text eine fantastische Note, die es dem Leser/der

Leserin unmöglich macht, die Handlung in Traum oder Wirklichkeit, in Schlaf oder in

Wachzustand einzuordnen19 und lässt somit den Wahrheitsgehalt der Erzählung offen.

Gleichzeitig bietet der für die Protagonistin neue Lebensraum aufgrund seiner naturhaf-

ten Prozesse und der Autonomie der noch existierenden Lebewesen ein neues Ver-

ständnis für sie selbst und somit auf gewisse Weise auch Halt in der radikalen Isolations-

situation: „Hier,   im  Wald,   bin   ich   eigentlich   auf   dem  mir   angemessenen   Platz.“20 Das

Entkommen der Frau aus der alten Welt ist in jener Situation relativ. Die Wand fungiert

für die Heldin als Asyl und Exil zugleich.21 Sie eröffnet der Protagonistin die Chance eines

absoluten Neuanfangs nach einer totalen Katastrophe, doch bietet für diesen wenige bis

keine Grundlagen. Die Wand ermöglicht ihr also eine Flucht aus ihrem früheren Leben,

schickt sie jedoch gleichzeitig in eine beinahe unmenschlich anmutende Perspektivenlo-

sigkeit, da die Aussicht auf eine Besserung der nunmehr gegenwärtigen, bei weitem

nicht optimalen Situation nicht vorhanden ist. So hat ihr zwar „[d]ie Katastrophe   […]  

eine große Verantwortung abgenommen, und [doch] ohne, daß [sie] es sogleich merkte,

eine neue Last auferlegt.“22

Gina  Kaiser  konstatiert  in  ihrer  Arbeit,  dass  „obwohl  im  Roman  eine  lokale  Katastrophe  

gezeigt  wird,   […]  der  Hinweis,  dass  die   Ich-Erzählerin [am Ende] bereits seit über zwei

Jahren auf Rettung wartet, darauf hin [deutet], dass es sich um ein globales Phänomen

handelt.“23 Somit wird die These bestätigt, dass die Wand die Welt in zwei Bereiche

trennt: den abgegrenzten Lebensraum der Erzählerin und den Todesraum außerhalb,

den sie wie durch eine Glasscheibe immer vor Augen hat – der omnipräsent ist. Der Ro-

binsonfigur ist diese Teilung klar und so bleibt sie mit dem Schicksal ihrer Cousine be-

schäftigt, die „[v]ielleicht   […]   immer  noch  am Wirtshaustisch [sitzt], [wie] ein lebloses

erstarrtes Ding mit bemalten Lippen  und  rotblonden  Locken.“24

19 vgl.  Kaiser,  „Jedes  Ende  ist  auch  ein  neuer  Anfang“,  S.  261 20 Wand, S.222 21 Anm.: Besonders hier wird die enge Verbundenheit von Robinsonade und (Anti-)Utopie sichtbar, denn zeichnet sich ersteres oftmals durch eine Exil-, zweiteres durch eine Asyl-Situation aus. 22 Wand, S.75 23 Kaiser,  „Jedes  Ende  ist  auch  ein  neuer  Anfang“,  S.  241 24 Wand, S.124

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Die Protagonistin kann sich bis zum Schluss des Romans kein genaues Bild über das tat-

sächliche Ausmaß der Wand machen, somit wird nie zur Gänze geklärt, ob es sich bei

dem postapokalyptischen Raum um eine lokale oder globale Ausdehnung handelt. Der

Leser/die Leserin kann erst gegen Ende des Buches mit der Erscheinung des Menschen-

manns jene Absolutheit der Menschheitskatastrophe, die die Protagonistin stets vermit-

telt, anzweifeln.

„Als   er   den  Kopf  hob,   stellte   er   fest,   daß  außer   ihm  niemand   zu   sehen  war.  Daß  kein  

Mensch da war und daß keine Autos fuhren.

Ein Scherz, kam ihm in den Sinn. Und: Es muß Feiertag sein.“25

Wie bei Haushofer wird auch Glavinic´ Protagonist, Jonas, über Nacht von einem unbe-

kannten Unglück überrascht und findet sich am Morgen des 4. Juli in einer entleerten

Welt wieder. Die hier beschriebene Isolationssituation ist jedoch um vieles drastischer

als jene, der Haushofers Heldin ausgesetzt ist, denn in DIE ARBEIT DER NACHT kommt dem

Protagonisten neben der Menschheit auch die Tierwelt über Nacht abhanden. Dies ver-

weigert ihm die Möglichkeit auf psychische Bindung und emotionalen Austausch, sowie

jegliche Aussichten auf den Fortbestand von Leben auf der Erde. Außerdem handelt es

sich hierbei nicht um eine insulare Beschränkung der Isolation auf einen abgesteckten

Bereich, da der Hauptfigur weiterhin völlige Mobilität gewährt ist und ihr keine Grenzen

gesetzt sind. Dies und die Tatsache, dass das Ereignis Einsamkeit über die Hauptfigur

hereinbricht,   als   diese   sich   in   einer   „Großstadt   im   Zentrum   des   zivilisatorischen   Le-

bens“26 befindet, geben – zumindest dem Leser/der Leserin – schnell Gewissheit über

das geografische Ausmaß der Katastrophe. Für Jonas relativiert sich jedoch mit fort-

schreitender Romanhandlung auch die globale Ausdehnung, denn die Welt verliert für

ihn durch den freien Zugang zu Machtzentralen und dem nun unnützen Gebrauch mo-

derner Technologien  an  Einschränkungen.  So  hat  auch  „Geld   zu  gewinnen   […]     keinen  

Reiz.“27

25 Arbeit, S.9 26 Stuhlfauth, Moderne Robinsonade, S.74 27 Arbeit, S.48

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Obwohl die Ursache für die Entvölkerung der Erde im Roman eine Leerstelle bleibt, liegt

der Verdacht nahe, dass auch in diesem Fall der Protagonist nicht ganz zu entlasten ist.

Jonas selbst fühlt sich schuldig und so könnte man ihm seine teilweise vorhandene

Sehnsucht nach Einsamkeit zur Last legen, die das Auslöschen anderen menschlichen

Lebens begründen könnte. Zwar stellen seine verzweifelte Suche nach seiner Freundin

Marie und die immer wieder aufkommende Erinnerung an die Liebe zu ihr ein zentrales

Leitmotiv dar, doch hatte auch Jonas sich kurz vor Eintreten der Menschheitskatastro-

phe bewusst gegen eine Reise nach England zu Maries Verwandten entschieden und

dadurch – wenn auch unbewusst – die  Einsamkeit  der  Gesellschaft  vorgezogen.  „Er  hät-

te Marie begleiten sollen. Trotz seiner Abneigung gegen Verwandtschaftsbesuche.“28

Wien und die anderen durch die Romanfigur aufgesuchten Orte dienen lediglich als re-

präsentative Kulisse für den restlichen menschenleeren Raum. Einzelnen Schauplätzen

werden dabei unterschiedliche Wichtigkeiten zugemessen. So ist der erste Ort den Jo-

nas  auf  der  Suche  nach  Sinn  und  Ursache  aufsucht,  die  Wohnung  seines  Vaters:  „`Papa,  

bist du da?´ Bevor er einen Raum  betrat,  rief  er.  […]  Vom  Flur  ging  es  in  die  Küche  […]  

Dann  ins  Schlafzimmer.  […]  Sein Vater  […]  war  nicht  mehr  da.“29 Daraufhin beschließt er,

sich in seines Vaters Bett schlafen zu legen. Er schlief wie ein Kind, den Geruch und so

die Präsenz seines Vaters spürend.30

3.2. Überlebensstrategien

3.2.1. Die physischen Überlebensbestrebungen der Protagonistin/des Protagonisten

„So  vieles  gab  es,  was  ich  tun  sollte,  Holz  hacken,  Erdäpfel  ernten,  Acker  umstechen,  Heu  

aus der Schlucht holen, die Straße richten und das Dach  ausbessern“31

Beschreibungen wie diese bilden einen Großteil des Berichts der Protagonistin. Es sind

ihre täglichen Arbeiten im Wald und die damit verbundene schwere körperliche Arbeit,

die zum einen das physische Überleben der Frau symbolisieren und dieses gleichzeitig

sichern, zum anderen geben sie ein geregeltes Leben vor, worauf jegliche psychische

Stabilität in solch einer absurden Extremsituation beruht.

28 ebd. S.7 29 ebd. S. 14 30 vgl. ebd. S. 15 31 Wand. S. 97

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Ihre Lebenszeit ist jedoch auch so begrenzt, denn die Vorräte, die in der Jagdhütte ange-

legt waren, reichen nicht ewig und sobald Streichhölzer und/oder Munition ausgehen,

nehmen auch ihre Überlebenschancen ab. Die Heldin erobert sich ein Stück Natur zu-

rück  und  versucht  sich  mit  der  Erkenntnis,  „[d]afür  bin  ich  in  der  Landwirtschaft  und  der

Tierpflege   nicht   ungeschickt“32, als Alleinversorgerin, um von denen in der Jagdhütte

gebunkerten Lebensmittel möglichst unabhängig agieren zu können. Ihre   „Vorräte  

schmolzen viel zu schnell, und [sie] mußte  [sich]  sehr  einschränken“33 und  auch  „der  Tag  

des letzten Zündholzes [scheint] in greifbare Nähe [zu rücken].“34 So helfen der Prota-

gonistin ihre natürliche Begabung und die Weisheiten eines alten Bauernkalenders, ihr

Überleben zu sichern.35 Die Frau aus der Stadt wird zu einer Jägerin und Sammlerin,

wobei sie sich gerade mit ersterer Aufgabe niemals wirklich identifizieren kann. Sie

„[…]fühlte   [sich]   krank.   [Und   sie]  wußte,   es   kam  davon,  daß   [sie]   immer  wieder töten

mußte.“36 Durch das Domestizieren, der ihr zugelaufenen, trächtigen Kuh, Bella, wird sie

gleichermaßen zu einer Vieh- beziehungsweise Milchbäuerin. Die Kuh ist somit eine

wichtige Stütze im Kampf um das Überleben der Frau, fordert jener allerdings auch eini-

ges ab (vgl. Kapitel 3.2.2.1.).

Um einer akuten Bedrohung ihrer physischen Existenz vorzubeugen, nützt die Frau ihre

eingeschränkte  Mobilität   innerhalb   ihres   „Gefängnisses“   anfangs  maximal   aus,   indem  

sie sich weitere Gebiete wie etwa die Alm erschließt. Hierbei ist jedoch die enge Verwo-

benheit ihrer zwei ihr Überleben sichernden Stützen auffällig. Denn ihre psychische

Konstitution ist enorm gebunden an ihre Umgebung, die sie aufgrund besserer Versor-

gungsmöglichkeiten an dem jeweils anderen Ort – der Jahreszeit entsprechend - regel-

mäßig wechselt. Doch mit dem Tod Luchs´ und Stiers wird ihre Mobilität weiter einge-

schränkt, da es ihr ab dann unmöglich ist, die Alm nochmals zu betreten.

32 Wand, S. 137 33 ebd. S.54 34 ebd. S.76 35 Anm.: An dieser Stelle suggeriert Haushofer Bildungskritik an der zeitgenössischen Gesellschaft der ein primitives (Über-)Leben mit ihrer praxisfernen Bildung beinahe unmöglich ist. 36 Wand, S.140

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„Mit  dem  Zangenarm  schlug  er  die  Scheibe  ein.  Die  Alarmanlage  stellte  er  […]  nicht  ab.  

[…]  Aus  dem  Kiosk  holte er sich eine Tüte Chips und eine Limonade, dazu ein Päckchen

Taschentücher für seine laufende Nase. Im Zeitschriftenladen packte er einen Stoß Zei-

tungen  […].“37

Durch die Verortung des Hauptschauplatzes der Menschheitskatstrophe in einer euro-

päischen Großstadt liegen die physischen Überlebensbemühungen Glavinic´ Hauptfigur

weit hinter denen der Ich-Erzählerin in DIE WAND. Jonas muss seinen Existenzkampf auf

anderer Ebene führen, denn seine Nahrungsbeschaffung ist unabhängig von Wetterbe-

dingungen und lediglich auf die Stromversorgung der Kühlregale angewiesen. Er hat

ungehindert Zugang zu Supermärkten, Restaurants und Wohnungen, was im ersten

Moment eine Lebensgefahr aus rein physischer Sicht ausschließt. Die dadurch entfallen-

de Sorge um die tägliche Ernährung eliminiert gleichzeitig die einzig existenzielle und

somit strukturgebende Tageskomponente einer Robinsonfigur, die sich nun zwangsläu-

fig intensiver mit ihrer psychischen Konstitution und Situation befassen muss.

Jonas ist überwältigt von der Globalität der Katastrophe und klammert sich beinahe

selbstquälerisch an seinen geregelten Tagesablauf. Durch die sich dem Mann erschlie-

ßende, grenzenlose Mobilität und die entfallende Dringlichkeit einer komplizierten Nah-

rungsbeschaffung besteht für Jonas kein von außen auferlegter Handlungsimperativ.

3.2.2. Die psychischen Überlebensbestrebungen der Protagonistin/des Protagonisten

3.2.2.1. Kontaktversuche: Ersatzfamilie bzw. (Verzweiflungs-)Taten

„Ich  hatte ja nur noch die Tiere, und ich fing an, mich als Oberhaupt unserer merkwürdi-

gen  Familie  zu  fühlen.“38

Man könnte sagen, dass mit dem Eintreten der Wand in das Leben der Protagonistin

automatisch ihr Dasein in emotionaler Isolation, das ihr zuvor in gewisser Weise möglich

war, ein rasches Ende findet. Denn von diesem Zeitpunkt an ist sie zu ihrem eigenen

Überleben unweigerlich dazu genötigt, Beziehungen aufzubauen und eine Art Symbiose

mit den zurückgebliebenen Lebewesen einzugehen.

37 Arbeit, S. 22 38 Wand, S.47

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Mara Stuhlfauth stellt in ihrer Analyse fest,  dass  „die  Eigenschaft  der  Vernunft  […]nicht  

dem  Menschen,  sondern  einem  Tier,  dem  Hund  Luchs  zugeordnet  [wird].“39 Die Heldin

selbst begründet darin ihre enge Verbundenheit, die schließlich zu Gunsten beider ist.

Gemeinsam mit ihm formt sie allmählich eine sozial agierende Gruppe aus Gefährten in

Gestalt von (teils) durch sie selbst domestizierten sowie anthropomorphisierten Lebe-

wesen. Am zweiten Tag ihrer Abgeschiedenheit stößt eine trächtige Kuh zu Luchs und

ihr, bald darauf eine Katze. Und so „waren   [sie] also zu viert, die Kuh, die Katze Luchs

und [sie]. Luchs stand [ihr immer] am nächsten, er war bald nicht nur [ihr] Hund, son-

dern  [ihr]  Freund.“40 Die Beziehung besonders zu Bella, der Kuh, ist – durch deren Hilfs-

bedürftigkeit - sehr   gespalten:   „Ich  war  der  Besitzer   und  der  Gefangene  einer   Kuh.“41

Hier schildert die Robinsonfigur den durch die übernommene Verantwortung entste-

henden Zwang zur Sesshaftigkeit und die damit verbundene, eingeschränkte Mobilität.

Gleichzeitig ersetzen diese Tiere für die Erzählerin Kommunikations-, sowie Lebens-

partner.

Nur durch die gegenseitige Abhängigkeit kann die Frau Verantwortungsbewusstsein und

Lebenswillen schöpfen, die verhindern, dass sie in Apathie versinkt. Sie meint: „Ich  lebe  

immer noch gern, aber eines Tages werde ich genug gelebt haben und zufrieden sein,

daß  es  zu  Ende  geht.“42 Doch noch „gab [es] keinen Ausweg, denn solange es im Wald

ein Geschöpf gibt, das ich lieben könnte, werde ich es tun; und wenn es einmal wirklich

nichts mehr gibt, werde ich aufhören  zu  leben.“43 So hält sie die Empathie zu ihren Tie-

ren davon ab, Selbstmord zu begehen.

39 Stuhlfauth, Moderne Robinsonaden, S.52 40 Wand, S.51 41 ebd. S. 33 42 ebd. S.104 43 ebd. S.161

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„Er stand da, den Kopf gesenkt, und horchte.

Nur Wind.

Die  Tiere  waren  weg.“44

Glavinic macht seine Robinsonfigur nicht nur zum einzig überlebenden Menschen, son-

dern gleich zum letzten Lebewesen auf der Erde, das – anders als Haushofers Roman-

heldin – dazu genötigt ist auch in emotionaler Einsamkeit zu leben; nach Jonas´ Auffas-

sung ist nur noch sein eigenes Ich und kein anderes mehr existent. Überfordert von der

Einsamkeit und dem sich selbst Überlassensein, sucht der Protagonist anfänglich nach

elterlichem Schutz45 und sehnt sich nach seiner Liebe Marie. Er bezieht die Situation

zunächst auf sich und bemüht sich um eine rationale Aufklärung. Kognitiv versucht er

plausible Lösungsansätze für die Entvölkerung der Erde zu finden. Seine Bemühungen

scheitern letztlichen ebenfalls an der Unwahrscheinlichkeit. So muss er die Entführung

der Menschheit durch außerirdisches Leben, die Vernichtung durch atomare Waffen

oder die Zerstörung durch einen Asteroideneinschlag als rational denkender Mensch

ausschließen.46

Jonas selbst verkörpert von nun an das Oberste auf Erden, das heißt, er ist sowohl in

kultureller und politischer, als auch in wirtschaftlicher und religiöser Hinsicht die überle-

gene Instanz, wobei er sich jedoch nicht mit etwas Göttlichem vergleicht. Doch „[a]n  

ihm war es nun, das  Alte  wiederherzustellen.“47

Durch den Entfall der altbekannten Relation von Kultur- und Naturraum, das durch das

Verschwinden der Menschheit in ein Ungleichgewicht kommt, ergibt sich für den letzten

überlebenden Menschen eine nichtgreifbare Bedrohlichkeit sonst so vertrauter Orte –

es steht ihm frei wohin er geht, doch allein ist er überall. Er sucht Schutz an ihm bekann-

ten Orten, die ihm diesen doch nicht bieten können:

44 Arbeit, S.28 45 vgl. ebd. S.15ff 46 vgl. ebd. S. 16 47 ebd. S. 111

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„Woher es rührte, wußte er nicht. Doch beim Anblick der beiden einsamen Häuser be-

schlich ihn ein vages Gefühl von Furcht. Als sei etwas mit dem Platz nicht in Ordnung. Als

habe etwas nur auf ihn gewartet. Und hätte sich kurz vor seiner Ankunft versteckt.“48

„Ein  Auserwählter  hatte  er  sein  wollen.  Der  war  er  jetzt.“49 Auch der fiktive Autor, der in

personaler Erzählform von Jonas Leben berichtet, lässt dieses als eine minuziös geplante

Versuchsanordnung erscheinen, indem er Jonas zum Objekt seines Gedankenexperi-

ments macht und vermittelt simultan den Eindruck einer, von dritter Hand geplanten,

Erscheinung und bewussten Täuschung der Robinsonfigur. Eben diesen lässt er mehr

und mehr an seiner Existenz und vor allem an seiner Wahrnehmungsfähigkeit zweifeln.

In seinen im Roman beschriebenen Verzweiflungstaten und seiner ernst gemeinten

Reue zeigt sich der eindeutige Wunsch, in die Herkunftsgesellschaft zurückzukehren.

Außerdem sträubt sich Jonas von Beginn an, das Erlebte als Tatsache hinzunehmen und

drückt stattdessen seine Zweifel der illusionären Realität gegenüber in einer, sich ver-

weigernden, Grundhaltung und Skepsis aus. Er wagt Versuche einer transzendentalen

Betrachtung der Situation, das heißt, er bemüht sich, sich selbst, aus der Situation zu

nehmen und diese möglichst objektiv zu betrachten, um die ihm gestellte Aufgabe zu

lösen   und   Antworten   auf   all   die   offenen   Fragen   zu   finden.   „Würde   er   Ende   Oktober  

noch immer durch diese verlassene Stadt laufen? Was geschah bis dahin? Was geschah

danach?“50 „Wonach   suchen?“51 Für ihn hat diese Form der radikalen Isolation nichts

Friedvolles und so scheint der bloße Gedanke an die Absolutheit der Einsamkeit den

Protagonisten in nervösen Aktionismus und eine hektische Suche zu treiben.

Die Dimension der Katastrophe macht eine systematische und vernunftgeleitete Suche

eines einzelnen Überlebenden unmöglich und so treibt die daraus resultierende Erfolg-

losigkeit Jonas in Verzweiflung und hektischen Aktionismus. Seine Suche wird immer

willkürlicher und beschränkt sich nicht mehr nur auf die Klärung der existentiellen Frage.

Die Robinsonfigur beginnt nach kleinen Hinweisen auf den Verbleib der Menschheit zu

suchen. Doch eigentlich  „wusste [Jonas] nicht einmal, was er wissen wollte. Sicher, er

48 Arbeit, S.251 49 ebd. S. 94 50 ebd. S. 162 51 ebd. S. 58

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wollte erfahren, wohin die Menschen verschwunden waren. Aber wie sollte so ein Hin-

weis  aussehen?“52 So zeigt er sich von der geregelten Ordnung in der doch so verkehr-

ten Welt irritiert und versucht alles, um diese zu zerstören. Er möchte Erinnerungen an

die frühere Welt neu gewinnen, um so handfeste Vergleiche ziehen zu können. Seine

Bestrebungen, sich durch das Tragen einer Waffe vor der dystopischen Realität und dem

unsichtbaren  ‚Feind‘  zu schützen, scheitern kläglich und erinnern viel mehr an das Mus-

ter eines Amoklaufes. Es scheint, als ob es „der  Aufstand  eines  einzelnen  Menschen  ge-

gen  die  schreiende  Ungerechtigkeit,  von  allen  verlassen  worden  zu  sein,  […]“53 ist. Zum

einen ist es die permanente Furcht vor dem Auftauchen des nicht zu definierenden Ge-

genübers, zum anderen die Ambition eine Reaktion zu provozieren.54 Jonas´ Schreien

um Hilfe drückt sich auch besonders in den verzweifelten Kontaktversuchen aus. Er hin-

terlässt die eigenen Kontaktdaten, hoffend, dass so jemand von seiner Existenz erfährt.

Dabei nutzt er die uneingeschränkte Handlungsfreiheit, die ihm der objektleere Raum

bietet: „Die  Sezession  umwickelte  er  so  dicht  mit  schwarzem  Klebeband,  daß  man  es  für  

ein Werk von Christo halten konnte. Mit der Dose eines Grafittomalers sprayte er Tele-

fonnummer und Name in  grellem  Gelb  auf  das  Band.“55

Trotz seiner umfangreichen Kommunikationsversuche und dem Hinterlassen von Nach-

richten in Form seiner Kontaktadresse, Hilfe-Botschaften an öffentlichen Orten wie dem

Heldenplatz oder dem Donauturm, Kontaktaufnahme via Radio, etc. bleibt er in den 47

Tagen seiner Isolation einsam.

3.2.2.2. Kontrollversuche der Ich-Auflösung bzw. des Ich Zerfalls

„In   jenem   Sommer   vergaß   ich   ganz,   daß   Luchs   ein  Hund  war   und   ich   ein  Mensch.   Ich  

wußte es, aber es hatte jede trennende Bedeutung verloren...“56

Der postapokalyptische Raum in all seiner Leere bietet den Rahmen, Werte wie Mensch-

lichkeit und Identität neu zu diskutieren. Der geistig-soziale Entwicklungsstand der

Menschheit ist in DIE WAND lediglich durch ein einzelnes Individuum konserviert, wobei

die kulturellen Erfahrungen der Protagonistin aus ihrem früheren Leben nur einen klei-

52 Arbeit, S. 58 53 Stuhlfauth, Moderne Robinsonaden, S.81 54 vgl. ebd. S. 81 55 Arbeit, S. 57 56 Wand, S.265

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nen Teil der ethnischen Vielfalt der Welt vor dem Ereignis Wand widerspiegeln. Die Ver-

gangenheit wird von Haushofer als ein verlorengegangener Idealzustand beschrieben,

den es mit einigen Abstrichen wieder zu erreichen gilt. Die Sublimierung dessen bleibt

der Frau allein überlassen. Dabei ist die Konzentration auf Existentielles richtungswei-

send und die Solidarisierung mit den Tieren hinter der Wand notwendig, wobei sie ihre

menschliche Herkunft nicht vergessen darf:

„Ich   bin   […]   immer   noch  ein  Mensch,   der   denkt   und   fühlt,   und   ich  werde  mir   beides  

nicht abgewöhnen könne. Deshalb sitze ich hier und schreibe alles auf, was geschehen

ist, […]  Es kommt nur darauf an zu schreiben, und da es keine anderen Gespräche mehr

gibt, muß ich das endlose Selbstgespräch  in  Gang  halten.“57

Die Ich-Erzählerin verfasst den Bericht, um den Mord an ihren Tieren zu verarbeiten,

der, durch die nunmehr komplett fehlende Kommunikation, eine dramatische Ich-

Gefährdung der Protagonistin darstellt. Durch das Schreiben, das in dieser einer Schock-

starre ähnlichen Situation für die Frau das letzte Mittel zum Ausdruck darstellt, versucht

sie sich ihrer eigenen, noch bestehenden Existenz zu vergewissern. Es ist also das letzte,

rein menschliche, kulturelle Relikt, das durch das Eintreten der Wand in das Leben der

Frau, für diese nicht an Wert verloren, sondern gewonnen hat. Denn die Relevanz von

Zeit, gesellschaftlicher Identität oder Fortschritt sind in ihrem neuen Leben an nichts

mehr mess- beziehungsweise realisierbar und verlieren dadurch an Einfluss. Anfangs

„nahm  [sie sich] auch fest vor, täglich die Uhren aufzuziehen und einen Tag vom Kalen-

der abzustreichen. Das schien [ihr] damals sehr wichtig, [sie] klammerte [sich] geradezu

an die spärlichen Reste menschlicher Ordnung, die [ihr] geblieben waren.“58 Doch ir-

gendwann, als die Uhren längst stehen geblieben sind, gelangt sie zu der Feststellung:

„Man müßte mir dafür dankbar sein, aber niemand wird nach meinem Tod wissen, daß

ich die Zeit  ermordet  habe.“59

57 Wand, S.211f 58 ebd. S.43f 59 ebd. S.237

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So kann man folgern, dass sollten die in der Jagdhütte angelegten Papiervorräte zu Ende

gehen, auch ihr menschliches Dasein endet. Doch   „[…]   es   kümmert   [sie]   nicht,   ob  die  

Mäuse die Aufzeichnungen [nach ihrem Tod] fressen werden, oder nicht.“60

Die Robinsonfigur ist ab dem Momentum Wand dazu genötigt in   „schreckliche[r] Stil-

le“61 zu leben, die sich ihr als Folge der Einsamkeit darstellt. Sie ist dazu gezwungen, den

Rhythmus der Natur zu adaptieren, da die Leere, die das Verschwinden der Menschheit

mit sich bringt, nur von Geräuschen des Waldes unterbrochen werden kann. Indem sich

die Ich-Erzählerin immer mehr an ihr neues Umfeld anpasst, lässt sie sich immer stärker

von diesem einverleiben, was ausschließlich durch die Überwindung der eigenen Indivi-

dualität möglich sein und der Akzeptanz des eigenen Seins inmitten gleichsam wie als

Teil eines naturhaften Prozesses basieren kann.62 Doch  bedroht  diese  „Entgrenzung“  als  

ein fortwährend schleichender Prozess die Entwicklung des einzelnen, unabhängigen

Lebewesens und begünstigt dessen Ich-Auflösung:

„Nicht  daß  ich  fürchtete,  ein  Tier  zu  werden,  das  wäre  nicht  sehr  schlimm,  aber  

ein Mensch kann niemals ein Tier werden, er stürzt am Tier vorüber in einen Ab-

grund.  Ich  will  nicht,  daß  mir  dies  zustößt.  […]  diese  Angst  läßt  mich  meinen  Be-

richt   schreiben.   […]   Ich  werde   alles   tun,   um   dieser Verwandlung zu entgehen,

[…]“63

Die Verwandlung, von der die Frau hier spricht, spiegelt den Grad ihrer Auflösung wider

und allmählich geschieht, was sie doch von Beginn an zu verhindern wollte:

Es  war  „[…]  als  fange  der  Wald  an,  in  mir  Wurzeln  zu  schlagen  und  mit  meinem  

Hirn seine alten, ewigen Gedanken zu denken. Und der will nicht, daß die Men-

schen  zurückkommen.  […]  Es  fällt  mir  schwer,  beim  Schreiben  mein  früheres  und  

mein neues Ich auseinanderzuhalten, mein neues Ich, von dem ich nicht sicher

60 Wand, S. 212 61 ebd. S. 89 62 vgl.  Kaiser,  „Jedes  Ende  ist  auch  ein  neuer  Anfang“,  S.229 63 Wand, S.44

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bin, daß es nicht langsam von einem größeren Wir aufgesogen wird. Aber schon

damals bahnte  die  Verwandlung  sich  an.“64

Haushofer   verleiht   dem   Identitätsschwund   weiters   durch   die   „Verweigerungshaltung  

[der   Protagonistin]   gegenüber   [...]   kulturellen   Konvention[en]“65 Ausdruck. So meint

diese  in   ihrem  Bericht  einmal:  „Es  fällt mir auf, daß ich meinen Namen nicht niederge-

schrieben  habe.  Ich  hatte  ihn  schon  fast  vergessen,  und  dabei  soll  es  auch  bleiben.“  Na-

menlosigkeit fungiert hier also als Werkzeug zur Demontage einer Persönlichkeit und

begünstigt den Identitätsverlust, und somit unweigerlich auch die Ich-Auflösung eines

Menschen.

Dieser Verfall drückt sich bei der Heldin jedoch nicht nur psychisch sondern ebenso phy-

sisch mit der Veränderung ihrer Gesichtszüge und dem Verlust ihrer weiblichen Züge als

Folge der harten, körperlichen Arbeit aus. Sie verliert gleichzeitig ein stückweit ihre se-

xuelle  Identität  und  entfremdet  sich  von  ihrem  eigenen  Körper:  „Die  Fraulichkeit  […]  war  

von  mir   abgefallen   […].   Gleichzeitig   kam  mir   das   Bewußtsein   abhanden,   eine   Frau   zu  

sein.  […]  Ich  konnte ruhig vergessen,  dass  ich  eine  Frau  war.“66 So wie sich die Erzählerin

hier bewusst von ihrer früheren Identität als Frau löst, so zieht sie auch bewusst eine

Grenze - zeitlich wie räumlich – zwischen sich als Teil ihrer alten Gesellschaft, und sich

als Robinson in der Utopie Niemandsland.   Das   Abstecken   der   „gläsernen“  Wand  mit  

Haselzweigen   „verdeutlicht  die   äußere  Projektion  einer   inneren  Abkapselung   in  Bezug  

auf das bisherige Leben der Ich-Erzählerin.“67

Mit sinkender Ich-Stabilität schwinden auch der Überlebenswillen und gleichzeitig die

Hoffnung  auf  Rettung.  So  „[…]spür[t   sie],  daß  die  Hoffnung   in   [ihr]  abgestorben   ist.  Es  

macht [ihr] Angst. [Sie] weiß nicht, ob [sie] es ertragen [wird], nur noch mit der Wirk-

lichkeit  zu  leben.“68 So überkommt sie bald  „[ein]  wilde[s]  Verlangen  [...],  nachzugeben  

64 Wand, S.185 65 Stuhlfauth, Moderne Robinsonaden, S.35 66 Wand, S. 82 67 Kaiser,  „Jedes  Ende  ist  auch  ein  neuer  Anfang“,  S.  225f 68 Wand, S. 211

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und den Dingen ihren Lauf zu lassen. [Sie] war müde geworden, immer weiterzufliehen,

und  wollte  [sich]  stellen.“69

„Für den Bruchteil einer Sekunde war da ein scharfer Blick aus dem Auge des Schläfers.

Ohne ein Zeichen von Schlaftrunkenheit blickte er in die Kamera. Das Auge schloß sich

wieder.“70

Auch in DIE ARBEIT DER NACHT verursacht die Entmaterialisierung der Menschheit eine

unheimliche Leere auf der Welt, die es für den Protagonisten neu auszugestalten gilt.

Diese unendliche Weite des menschenleeren Raums muss durch die Robinsonfigur erst

neu  erkundet  und  „verifiziert“  werden,  um  eine  Erklärung  für  das  Geschehene  zu  finden.  

Die Erwägung, sein Leben sei ein (Alp-)Traum, ist die einzige Option, die das Phänomen

der Entvölkerung realisierbar erscheinen lässt.

Die Isolationssituation birgt für die Robinsonfigur gleich zwei Bedrohungen: das apoka-

lyptische Szenario der Isolation als externe Gefährdung ihrer Existenz (denn die Jonas

umgebende Bewegungslosigkeit steht in enger Verbindung mit seiner Vorstellung des

Todes) und die Spaltung des Ichs als interne. Dieses Spannungsfeld führt im weiteren

Verlauf zum Verlust vollständigen Urteilsvermögens. Durch den fortschreitenden Pro-

zess einer Identitätsbewusstlosigkeit sieht Jonas sich zum Handeln gezwungen und nutzt

das Filmen als Mittel, seine obskuren Sinneseindrücke festzuhalten und zur Kontrolle

über die Realität.

Um eben diesem Zustand zu entgehen, schafft sich Jonas unterbewusst ein Gegenüber,

das durch die Teilung seiner selbst entsteht. Es ist ein Gegenüber, das rein aus ihm ge-

kommen ist, nur in ihm aufgehen und allein durch ihn wieder vergehen kann. Diese Ich-

Abspaltung in ein Doppel-Ich des Protagonisten wird schon sehr früh im Roman ersicht-

lich  und  findet  bei  Jonas  vornehmlich  auf  emotionaler  Ebene  Ausdruck:  „Steif  stand  er  

da. Unfähig, sich umzudrehen. Er hatte das Gefühl, es sei jemand da, zugleich wußte er,

daß niemand da war. Und ihn quälte der  Gedanke,  daß  beides  stimmte.“71 Dieses omni-

69 Wand, S.132 70 Arbeit, S.105 71 ebd. S. 45

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präsente Alter-Ego des Romanhelden wird mit voranschreitender Romanhandlung als

„nachtaktiver  Schläfer“  identifiziert.  Hierbei  bedient  sich  Glavinic  eines  alten  Motivs  der  

Literatur, dem Doppelgängermotiv. Diese literarische Tradition entspringt der Vorstel-

lung, dass die Spaltung des individuellen Seins in Gestalt einer sich entzweienden Psyche

vollzogen wird. Die Ambivalenz von Tag und Nacht, von Traum und Wachzustand und

dem Schlafwandeln als Zwischenstadium begünstigen zusätzlich die Separierung der Ich-

Identität des Protagonisten. Den dadurch entstehenden seelischen Dualismus baut der

Autor  dahingehend  aus,  dass  er  „sich  auf  die  Korrelation  und  Kommunikationsform    zwi-

schen den beiden Ichs seiner Hauptfigur  Jonas  konzentriert  […]“,72 wie Mara Stuhlfauth

es in ihrer Arbeit konstatiert – das Filmen wird zum Medium der Kontaktaufnahme.

In den vom Schläfer angefertigten Filmaufnahmen stellt sich Jonas selbst als Objekt dar

und macht den handelnden Schläfer zum Impulsgeber. Dieser setzt Jonas´ visuelle

Träume in aktive Handlungen um und verzerrt so das Bild zwischen passivem Zustand

und aktiver Handlung. Er kann als Versinnbildlichung Jonas´ Alpträume gesehen werden

und steht dessen innigstem Wunsch – ein letztes Mal noch an den Ort zu gelangen, an

dem seine große Liebe Marie weilte, als die Menschheitskatastrophe hereinbrach –

konträr gegenüber. Der Schläfer möchte Jonas nachts davon abhalten, an sein Ziel zu

gelangen. Anfangs noch in Form harmloser Manipulationsversuche, wobei er etwa die

Reifen des Motorrads aufschlitzt, um den Protagonisten so an seinem Fortkommen zu

hindern. Je näher Jonas jedoch seiner Destination kommt, desto aggressiver scheinen

die Taten des Schläfers zu werden, bis allmählich das Leben des Romanhelden ernsthaft

bedroht ist. So stellt sich seine Reise als ein perfekt inszenierter Kampf zwischen Tag-

und Nacht-Ich dar, bei dem die Grenze zwischen den beiden zu verschwimmen droht.

Jonas dokumentiert also durch das Filmen im Grunde nichts anderes als das Resultat

seines eigenen Ich-Zerfalls:

„Er  mußte  daran  denken,  daß  die  Kamera  in  diesem  Moment  ihn  filmte.  Ihn,  und  nicht  

den Schläfer. Würde er beim Ansehen den Unterschied bemerken? Würde er sich erin-

nern?  […]  `Ich bin es, nicht der Schläfer!´“73

72 Stuhlfauth, Moderne Robinsonaden, S.93 73 Arbeit, S. 260

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Auch Jonas´ Angst bekommt einen Namen: das Wolfsvieh, das hinter jeder Ecke, hinter

jedem Baum und in jedem Raum auf ihn wartet. Es bestimmt auf unangenehme Art und

Weise seinen Tagesinhalt und schränkt seinen Handlungsraum gewaltig ein, indem es

omnipräsent  über  allem  zu  schweben  scheint.    „Seine  Gedanken  gehorchten [Jonas] seit

Stunden  nicht  mehr  […]  Das  Wolfsvieh  erschien  in  ihnen,  und er konnte es nicht verja-

gen.“74 Dieses Mischwesen aus Wolf und Bär75 taucht in insgesamt elf Träumen des Pro-

tagonisten auf und repräsentiert auf mehreren Ebenen dessen Isolation. Es ist das Sinn-

bild eines Monsters kindlicher  Träume.  Dieses  „Vieh“76 verfolgt Jonas jedoch nicht nur

nachts in seine Träumen, sondern auch auf seiner Reise durch Österreich, durch Europa

und England. Es wirkt, als sei es ein Diener des Schläfers, der den Protagonisten so auch

tagsüber beeinflusst und zu unterdrücken versucht; es wirkt, als hätte es sich in die Psy-

che  der  Robinsonfigur  eingenistet:  „In  diesem  Moment  wußte  er,  daß  an  diesem  Tag  das  

Wolfsvieh  kommen  würde.  […]  Groß,  unaufhaltsam,  unpersönlich.  Unüberwindlich.“77

Am Ende verliert Jonas jedoch den erbitterten Wettstreit, denn gegen die Leere und das

Nichts  ist  auch  er  wehrlos  und  kommt  schließlich  zu  dem  Fazit,  dass  „er  […]  es  nicht  [er-

trug], der Nacht  bei  ihrer  Arbeit  zuzusehen.“78

3.2.2.3. Die Zementierung der Isolation – Das Ende des utopischen Spiels

„Ich  werde  alles  so  genau  aufschreiben,  wie  es  mir  möglich  ist.  Aber  ich  weiß  nicht  ein-

mal,  ob  heute  wirklich  der  fünfte  November  ist  […],  und  ich  fürchte,  daß sich in meiner

Erinnerung vieles anders ausnimmt, als  ich  es  wirklich  erlebte.“79

DIE WAND stellt ein Lebenskonzept in einem utopisch anmutendem Raum dar, in dem es

keine (menschliche) geschlechtliche Spannung zu geben scheint, da bis zu dem Eindrin-

gen des Menschenmannes  eine  doch  „heile  Welt“  beschrieben  wird.  Durch das Eindrin-

gen wird das neue, durch die Frau aufgebaute Wertesystem gänzlich erschüttert und es

kommt zu einer traumatischen Desillusionierung. Man könnte sagen, der Mann entlarvt

das Gedanken- und Sozialisationsexperiment Wand als solches und enttarnt diese Uto-

74 Arbeit, S. 271 75 vgl. ebd. S.191 76 vgl. ebd. S.282 77 ebd. S. 269 78 ebd. S. 256 79 Wand, S. 7

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pie als naiven Lebensentwurf und die angestrebte Verschmelzung von Mensch und Na-

tur als eine rein fiktive Bestrebung der Robinsonfigur.

Der Menschenmann repräsentiert alles Schlechte der Menschheit und dient Haushofer,

Gesellschaftskritik zu üben. Es ist die fehlende Lieblosigkeit und Liebenswürdigkeit, die

die Erzählerin immer wieder aufbringt und von der sie sich durch die Abgrenzung vom

Mann zu erholen versucht. Die Tiere werden dem Mann als eindeutiges Pendant entge-

gengestellt.

Ein weiteres wichtiges Motiv des Utopischen Spiels ist die Zeitenthobenheit, in der sich

die  Frau  in  jenem  Raum  befindet.  Es  ist  die  sukzessive  „Demontage  der  Messbarkeit  der  

Zeit“,  wie  Mara  Stuhlfauth  es   in   ihrer  Arbeit  betitelt,  die  den  Kosmos  hinter  der  Wand  

als fiktiven Kunststaat ohne gebräuchliche Konventionen darstellt; denn Zeit ist – unab-

hängig von einem Tag-Nacht-Rhythmus – eine rein durch den Menschen fingierte, geis-

tige  Konstruktion.  Dem  zu  Folge  entwickelt  die  Protagonistin  die  These,  dass  „[w]enn  die  

Zeit   […]  nur   in   [ihrem]  Kopf  existiert  und  [sie]  der   letzte  Mensch  [ist],  wird  sie  mit  [ih-

rem]  Tod  enden.  […]  [Sie  hat]  es  vielleicht  in  der Hand, die Zeit zu ermorden.“80 Auch mit

dem Mord an dem Menschenmann, raubt die Protagonistin der Zeit an Bedeutung.

Denn ohne ein Gegenüber verliert diese auch für die Erzählerin an Notwendigkeit und

somit an Einfluss.

Um das Verhältnis zwischen Realität und Fiktion nachvollziehbar zu machen, muss ent-

schieden werden, wer in dem Fall von DIE WAND die Utopistin ist: Die Romanfigur selbst,

die sich ihres Einflusses bewusst ist, oder die Autorin, Marlen Haushofer, die dieses Spiel

im Zuge ihrer Arbeit als Schriftstellerin kreiert. Gina Kaiser fasst dies unter dem Begriff

„dualistische  Konzeption“  zusammen,  die  nur  in  einem  utopischen  Raum  überhaupt  erst  

möglich ist.

80 Wand, S. 237

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„Schon   immer  hatte  er  sich  vorgestellt,  man  könne  durch  Langsamkeit  sterben.     Indem  

man   die   Ausführung   einer   […]   Handlung   zeitlich   dehnte   – ins `Unendliche´ oder eben

doch Endliche: weil man in diesem Dehnen und Ausdehnen  diese  Welt  verließ.“81

„Verschiedene Konstanten der Wahrnehmung, wie Raum, Materie, Luft, Zeit, schienen

sich miteinander zu verbinden. Alles  floß  ineinander.  Wurde  zäh.“82

Während des gesamten Romans bemüht sich der Protagonist um eine objektive Be-

trachtung der Situation auf der Metaebene83. Es ist dabei so, dass Jonas sich selbst sein

Sein anhand seiner Existenz erklären möchte. Durch die hier – wie später ersichtlich

wird - vorliegende Aporie84 stößt er jedoch an die Grenzen menschlicher Vernunft und

damit an die Grenzen des Vorstellbaren. Mara   Stuhlfauth   stellt   fest,   dass   „Jonas´   Ge-

schichte am Ende des Romans DIE ARBEIT DER NACHT als Gedankenexperiment eines Au-

tors  entlarvt  [wird].“85 Auch Jonas selbst erschließt sich dieses mit ihm getriebene Uto-

pische Spiel, an dessen Spitze ein Utopist als göttliche Figur86 steht, der er selbst nicht

sein kann, gegen Ende der Erzählung:

Da die von Jonas erhoffte Erlösung auch mit dem Auffinden Maries Habseligkeiten nicht

eintritt, sieht er den eigenen Freitod als einzig verbleibenden Ausweg aus der Utopie. So

ist er in den letzten Kapiteln seines Lebens mit der Inszenierung seines Abschieds be-

schäftigt und zelebriert diesen in Form einer Gedenkfeier auf dem Heldenplatz. Wie

schon zu Beginn, stößt der Protagonist auch bei den Vorbereitung auf seinen Selbst-

mord auf  die  fundamentalen  Fragen  seiner  Existenz  und  hinterfragt  sein  Handeln:  „[…]  

war  es  gar  nicht  sein  freier  Wille?  […]  wurden  seine  Handlungen  von  jemand  anderem

bestimmt?“87 So ist es im Grunde genommen für den Leser/die Leserin auch nicht über-

raschend, weshalb es den Romanhelden auf seiner Abschiedsrundfahrt durch Wien aus-

gerechnet in die Wohnung eines Schriftstellers treibt. An dieser Stelle wird klar, dass

81 Arbeit, S. 49 82 ebd. S. 90f 83 Anm.: Metaebene [vgl. Metaphilosophie]: übergeordnete Ebene oder Perspektive; in dem hier ange- führten Zusammenhang bezieht sie sich auf die Sichtweise, die der Protagonist versucht einzunehmen. Indem er selbst von sich als Maß ausgeht, sich also als Referenz nimmt, übt er Selbstreferentialität. 84 Anm.: Aporie [griech.]: logische Schwierigkeit, Unerreichbarkeit; Unmöglichkeit etwas zu klären auf- grund der Widersprüchen der Sache selbst 85 Stuhlfauth, Moderne Robinsonaden, S.111 86 Anm.: Der  Begriff  „göttliche  Figur“  wird  keinem  spezifischen  religiösen  Kontext  zugeordnet,  als  viel mehr als Bezeichnung etwas Überirdischen verstanden. 87 Arbeit, S. 64

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sich der Autor des Romans, Thomas Glavinic, in der Rolle des Beobachters und Erzählers

dieser Robinsongeschichte befindet, da eindeutige Parallelen gezogen und Andeutungen

auf die reale Person Glavinic gemacht werden.88 Hierbei eröffnet sich dem Leser/der

Leserin eine Perspektive, in der Jonas auch innerhalb der Romanwelt eine Romanfigur

ist und das dichterische Vorgehen selbst das eigentliche Thema des Buches ist. So erge-

ben sich zwei unterschiedliche Lesearten: die Robinsonade als erdachte Erzählung oder

ein Gedankenexperiment eines fiktiven Autors/ Glavinic´.89

Nachdem Jonas diese eine letzte Frage für sich zufriedenstellend geklärt und begriffen

hatte, nachdem er sich in England noch ein einziges Mal Marie nahe gefühlt und nach-

dem er die Zusammenhänge seines Doppelgängers verstanden hatte, ist er bereit zu

sterben. Zurück auf dem Heldenplatz gleicht seine Inszenierung einer Kinovorführung.

Wichtig hierbei sind die zwei Filmaufnahmen, die er am selben Tag noch aufgezeichnet

hatte. Mithilfe derer versucht er, die Fiktionalität seiner Realität ein letztes Mal zu ver-

anschaulichen:

In dem einen Video vereint er durch Filmen des Schlafzimmerspiegels seinen eigenen

Wahrnehmungsbereich, also den Bereich hinter der Kamera mit dem Wirkungsbereich

des Schläfers, dem Bett. Beide Seiten – Realität und Traum – werden somit zeitgleich

eingefangen und die Spiegelfechterei   der   „Ichs“   als   Sinnestäuschung   entlarvt.   „[D]ie  

Blicke [des Schläfers  und  Jonas´]  trafen“90 sich im Spiegel; genauso im Video. Durch das

zweite Videoband, auf dem eine Kommode durch ein Schlüsselloch gefilmt wird, wird

der Robinsonfigur Einblick in einen verschlossenen Raum gewehrt. Die Tür stellt sich ihr

als  Grenze  zwischen  Fiktion  und  Realität  dar,  denn  obwohl  „für  das  Zimmer  […]  niemand  

da“  war,  existierte  es  und  so  war  es  für  Jonas,  als  sähe  er,  „was  in  einem  Buch  geschah,

wenn es zugeschlagen war.“91

Durch diese Aufnahmen, aber besonders durch den eben zitierten letzten Satz, erklärt

der Romanheld um ein weiteres Stück seine Daseinsfrage. Der letzte Weg seiner Reise

ist jener zum Stephansdom. In vollem Bewusstsein seiner eigenen Fiktionalität begibt er

88 vgl. Arbeit, S. 375 89 vgl. Stuhlfauth, Moderne Robinsonaden, S.111 90 Arbeit, S. 279 91 ebd. S. 112

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sich auf die Spitze des Glockenturms und blickt ein letztes Mal über die Stadt, in der er

Zeit seines Lebens gewohnt hatte.

„Er  klemmte  sich  den  Koffer  [gefüllt  mit  all  den  materiellen  Dinge,  die  von  seiner  Exis-

tenz  und  seiner  Geschichte  zeugen  sollten]  zwischen  die  Beine.  […]  Er  dachte  an  Marie.  

Er kippte. Nach vorne. Langsam. Immer langsamer. Kippte er.   […]  Er   sah  ein  Buch  vor  

sich, es kam auf ihn zu. Drang in ihn ein. Er nahm es auf. Ein Buch. Wurde geschrieben,

wurde  gedruckt.  […]  Da  war  es.  Ein  Buch.  Ein  Leben  im  Regal,  Leben  in  sich  bergend.“92

Mit dem Sturz vom Stephansdom ist Jonas Schicksal als Held eines Romans besiegelt,

denn  „[e]r  fiel.  Und  schien  sich  doch  nicht  zu  bewegen.“93 Die letzten Zeilen seines Le-

bens sind geschrieben, Raum und Zeit fließen ineinander über; werden eines. Der Erzäh-

ler distanziert sich hier mehr und mehr von der Figur Jonas, bis die Schilderung der eines

Autors gleicht, der über sein Schaffen berichtet. Es ist der Übergang Jonas´ in die Unend-

lichkeit eines Buches.

92 Arbeit, S. 391ff 93 ebd. S. 393

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4. Abschließender Vergleich

Die inhaltliche Analyse der beiden Robinsonaden DIE WAND und DIE ARBEIT DER NACHT

hat gezeigt, dass ein isolierter Bereich sowohl als Zufluchtsort als auch als Raum zur in-

dividuellen Entfaltung und Verwirklichung dienen kann. Er bietet quasi innere Freiheit,

indem er die äußere einschränkt; er zeigt dem Menschen Grenzen auf und kann doch

durch endlose Weite überfordern. Die Katastropheninitiation bleibt meist ungeklärt und

die Robinsonfigur wird vor eine vollendete Tatsache gestellt. Da jeglicher Bezug zu einer

noch intakten Außenwelt fehlt, ist die eingetretene Situation ein allgemeingültiges, glo-

bales Ereignis.

Im Zentrum einer Robinsonade steht die individuelle Ich-Entwicklung der Robinsonfigur

in jener Extremsituation. Sie ist mit der Entwicklung des verbleibenden (Natur-) Raumes

und der darin durch ein einzelnes Individuum repräsentierten Gesellschaft gleichzuset-

zen. Die subjektive Realität der Hauptfigur ist die einzig erhaltene und somit existente

Lebenswahrheit.

Der Kampf um die eigene Existenz in solch einer Situation beruht auf der Stabilität zwei-

er Säulen – den psychischen sowie den physischen Überlebensbemühungen der Robin-

sonfigur. Diese korrelieren eng miteinander und übernehmen eine stark sinnstiftende

sowie strukturierende Rolle in einer Welt, die frei von Einfluss jeglicher äußerer Werte

ist; einer Welt, in der die Protagonistin in DIE WAND, die Verantwortung über einen Mik-

rokosmos, der Protagonist in DIE ARBEIT DER NACHT jene über die menschenleere Welt

übernehmen muss, ohne dass sich ihr/ihm zeitlich abgegrenzte beziehunsgsweise zu

erreichende Ziele oder Perspektiven bieten. Wird ihnen auch nur eine dieser zwei Stüt-

zen entzogen und ist es somit nicht mehr möglich, in jenem Spannungsfeld zu existieren,

bedroht dies ihr Überleben.

Bei der Betrachtung des physischen Überlebenskampfes ist vor allem der Mobilitätsfak-

tor ein wesentlicher: Haushofers Ich-Erzählerin ist gefangen in der Enge des von der

Wand abgegrenzten Bergabschnitts und so ist auch die Versorgung mit Lebensmitteln

auf die Erträge dieses Ortes und die Erzeugnisse seiner Bewohner beschränkt. Im Ge-

gensatz dazu steht die Isolation Glavinic´ Protagonisten in einem großstädtischen Be-

reich, der sich später als global herausstellt. Er wiederum genießt durch die Weite freien

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Zugang zu jeglicher Versorgungsmöglichkeit und bleibt damit von Umweltfaktoren un-

abhängig. Dadurch verliert er jedoch gleichzeitig ein wichtiges strukturgebendes Merk-

mal, was wiederum eine intensivere Auseinandersetzung mit der psychischen Situation

mit sich bringt. Die enge Verwobenheit der körperlichen mit der mentalen Konstitution

zeigt sich auch darin, dass die Topografie und die mit dem jeweiligen Ort verbundenen

Erinnerungen maßgeblich an der emotionalen Stimmung der Robinsonfigur partizipie-

ren: So war es Haushofers Romanfigur nach dem Tod ihrer Tiere auf der Alm beispiels-

weise nicht mehr möglich, dorthin zurückzukehren, was ihre Mobilität und somit ihre

physische Freiheit weiter einschränkt.

Das Bestehen als Robinsonfigur in einem Kunststaat ist eine Gradwanderung zwischen

Leben im Wahn und Tod aus Verzweiflung. Der utopische Raum bietet den Figuren wei-

testgehenden Handlungsspielraum, um theoretisch Werte neu zu diskutieren und die

Fehler ihrer Herkunftsgesellschaft zu vermeiden. So konzentriert sich Haushofers Heldin

vor allem auf ihr physisches Überleben, nimmt die Situation ohne gröbere Versuche

auszubrechen hin und passt sich dem Rhythmus ihres neuen Umfelds an. Dementspre-

chend gestaltet sich auch der Ausgang in Form eines offenen Endes, wobei der Bericht-

verfasserin nach dem Mord an dem scheinbar letzten Mann das Weiterleben durchaus

zuzutrauen, es aber nicht sonderlich wahrscheinlich ist. Glavinic hingegen macht seine

Hauptfigur zu einem hektischen Einzelkämpfer und erfindet eine mögliche Auflösung

der unrealistischen Isolationssituation einer Robinsonade in Form eines fiktiven Erzäh-

lers, gegen den sich der Held durch seinen eigenen Selbstmord wendet und das Utopi-

sche Spiel beendet.

Durch die Analyse der zwei in dieser Arbeit behandelten Romane wird ersichtlich, dass

der Robinsonstoff eine unglaublich große Variationsmöglichkeit des literarischen Motivs

Isolation zulässt und es doch in einen bestimmten strukturellen Rahmen eingebettet

bleibt. Nimmt man nun die Erfüllung des Motivs Aussterben des Menschengeschlechts

als alleiniges Merkmal der modernen Robinsonade an, so kann man konstatieren, dass

es sich sowohl bei DIE WAND als auch bei DIE ARBEIT DER NACHT tatsächlich um eben diese

sich von der klassischen Robinsonade unterscheidende literarische Gattung handelt.

Glavinic knüpft in DIE ARBEIT DER NACHT mit einem Mann als Robinsonfigur an das histo-

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rische Vorbild der klassischen Robinsonade an. Indem jedoch Marlen Haushofer eine

Frau zur letzten Überlebenden macht (ihr Werk wird deshalb oftmals als weibliche Uto-

pie gehandelt), zeigt sich, dass das Robinson-Motiv nicht rein männlich auszugestalten

ist.

Eine Schwierigkeit, die sich beim Schreiben dieser Arbeit aufgetan hat, ist die enge Ver-

wobenheit des literarischen Stoffs mit dem philosophischen Konzept (Anti-)Utopie. Be-

sonders spannend, aber kompliziert hat sich somit die Entscheidung gestaltet, wer in

einer Robinsonade der (Anti-) Utopist/die (Anti-)Utopistin sei. Da die Nicht-Existenz ei-

nes Ortes Voraussetzung diese Konzepts ist, ist es schwer eine Aussage darüber zu tref-

fen, ob in den behandelten Romanen der Protagonist/die Protagonistin die Realität neu

entwirft, oder ob es die reine Fiktion eines fiktiven Schriftstellers, oder die des Au-

tors/der Autorin ist. Wirklich entschieden kann dieses Problemfeld jedoch niemals wer-

den, da es der literarischen/philosophischen (Anti-)Utopie unrecht täte, diese anhand

der Fiktionalität von Literatur zu messen.

Interessant wären also eine philosophische Erörterung dieser Thematik sowie die Erar-

beitung möglicher Unterscheidungskriterien von passiver Isolation zu aktiver Isolierung

im Kontext einer Robinsonade.

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Literaturverzeichnis

Primärliteratur:

Glavinic, Thomas: Die Arbeit der Nacht. 3.Auflage. München: Deutscher Taschenbuch

Verlag GmbH & Co. KG, 2011

Haushofer, Marlen: Die Wand. 17.Auflage. Berlin: List Verlag der Ullstein Buchverlage

GmbH,2012

Sekundärliteratur:

Stuhlfauth, Mara: Moderne Robinsonaden. Eine gattungstypologische Untersuchung

am Beispiel von Marlen Haushofers Die Wand und Thomas Glavinic Die Arbeit

der Nacht. 1.Auflage. Würzburg: Ergon-Verlag GmbH, 2011

Kohler,  Monika:  Das  Symbol  „Wand“  in  Werken  Marlen  Haushofers/  Monika  Kohler. –

2002

Strigl,  Daniela:  „Wahrscheinlich  bin  ich  verrückt…“.  Marlen Haushofer – die Biographie.

4.Auflage. Berlin: List Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH,2012

Kaiser,  Gina:  „Jedes  Ende  ist  auch  ein  neuer  Anfang“:  Arno  Schmidts  „Schwarze

Spiegel“,  Marlen  Haushofers  „Die  Wand“,  Herbert  Rosendorfers  „Großes  Solo  für  

Anton“  und  ein  Konzept  der  postapokalyptischen Robinsonade im 20. Jahrhun-

dert. München: September 2011. Als Download: http://d-

nb.info/1025821998/34 (Zugriff:28.06.2014)

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Selbstständigkeitserklärung

Name: Laura Widerhofer

Selbstständigkeitserklärung

Ich erkläre, dass ich diese vorwissenschaftliche Arbeit eigenständig angefertigt und nur

die im Literaturverzeichnis angeführten Quellen und Hilfsmittel benutzt habe.

__________________ ___________________

Ort, Datum Unterschrift

Zustimmung zur Aufstellung in der Schulbibliothek

Ich gebe mein Einverständnis, dass ein Exemplar meiner vorwissenschaftlichen Arbeit in

der

Schulbibliothek meiner Schule aufgestellt wird.

__________________ ___________________

Ort, Datum Unterschrift

Stockerau, am 10.02.2015

Stockerau, am 10.02.2015

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Ich fürchte mich auch heute noch, weil ich weiß, dass ich nur leben kann, wenn ich ge-

wisse Dinge nicht begreife.94

94 Wand, S.109