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Die Mühsal des Nichts Wie geht das: Stundenlang stillsitzen und dem eigenen Atem lauschen? Achtsamkeitsübungen gegen Stressleiden – ein Selbstversuch. VON ANNETTE BRUHNS

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Die Mühsal des NichtsWie geht das: Stundenlang stillsitzen und dem eigenen Atem lauschen? Achtsamkeitsübungen

gegen Stressleiden – ein Selbstversuch.VON ANNETTE BRUHNS

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Im Bauch, sagt die Stimme, suchenach der Antwort im Bauch. Für ge-wöhnlich pflege ich mit dem Kopfzu denken, aber nun denn, ich ver-suche mal, was die Kursleiterin uns

aufgetragen hat. Ich atme tief in denBauch und formuliere im Geist die ge-stellte Frage: Was will ich von diesemSeminar? „Ruhe finden.“ Sagt das mein Bauch?

Oder mein Unterbewusstsein? Oder ein-fach die Streberin in mir, seit Schulzei-ten darauf gedrillt, möglichst schnell dieerwartete Antwort zu liefern?

Ich verlagere meine Atmung, bis sichmein Brustraum dehnt und zusammen-zieht. Misstrauisch stelle ich mir die Fra-ge erneut. Was will ich hier? „Die Angstverlieren“, flüstert es zurück. Angst? Wo-vor? Ach Quatsch. Wenn mich Ängstequälten, habe ich sie bisher jedenfalls er-folgreich verdrängt.

Der Gong ertönt. Wir öffnen die Au-gen, räkeln uns wie geheißen, setzen unslangsam auf. Über uns wölbt sich diekuppelförmige Decke im „Haus der Mit-te“, das zum Osterberg-Institut im hol-steinischen Niederkleveez gehört. EinRundbau mit viel Oberlicht und hellemHolz, das würzig nach Kiefer duftet. Voreinem großen Bullauge sitzt SusanneKersig, die Kursleiterin – für uns: Susan-ne. Alle duzen sich hier, na schön.

Vielleicht behalte ich auchwegen dieserverordneten Vertrautheit meine zweiteAntwort für mich. Ich sei hier, um gelas-sener zu werden, sage ich laut in die Run-de nach diesem ersten Versuch mit derStille. Etwas Ähnliches antworten dieanderen Kursteilnehmer auch, zwölfFrauen und ein Mann. Alle wollen eineMethode erlernen, die Entspannung ver-spricht. Das Achtsamkeitsprogrammnach dem US-Stressforscher Jon Kabat-Zinn, das uns in diesem dreitägigen

Unsere Kursleiterin ist Psychologi-sche Psychotherapeutin. Apartes Outfitmit Blazer, Schmuck, Lippenstift, Kurz-haarfrisur – in Pumps statt der Wollso-cken könnte die 53-jährige Hamburgerinauch als Unternehmenscoach arbeiten.

Zweimal reiste Kersig in den neunzigerJahren, als sie an einer Freiburger KlinikKrebskranke betreute, zu Jon Kabat-Zinnin die USA. Gesprächstherapien schienenihr für diese Patienten nicht ausreichend;deshalb versuchte sie es mit Kabat-ZinnsAchtsamkeits training. Tatsächlich hättendie Patienten die Übungen dankbar ange-nommen. Wegen ihrer tödlichen Krank-heit hatten viele bereits die Grundannah-me der Achtsamkeit verinnerlicht – dassdas Leben im Hier und Jetzt stattfindet.Einige Krebskranke seien zum ersten Malwieder schmerzfrei gewesen.

Nach dem Abendbrot putze ich mir mitHingabe die Zähne. Es ist unsere Haus-aufgabe, uns bewusst auf diesen Akt zukonzentrieren, auf etwas, das man nor-malerweise genauso automatisch machtwie Kaffee zu kochen oder Auto zu fah-ren. Genau das heißt nämlich Achtsam-sein: sich auf den Moment zu konzen-trieren, nicht in Gedanken abzuschwei-fen, weder über erlebten Ärger zu grü-beln noch über Unerledigtes auf der To-do-Liste.

Die „Erleuchtung beim Abwaschen“hatte mir mein Arzt prophezeit, als ermir das Achtsamkeitstraining empfahl.Ich hielt das zunächst für einen Scherz,doch er sah es ernsthaft als Mittel gegenmeine häufigen Magenkrämpfe.

So putze ich nun brav; im Zweifelhilft’s gegen Karies. Zahn um Zahnschrubbe und schmirgle ich. Die Bewe-gung ist wie Speckstein schleifen, denkeich – halt! Es ist das Säubern von Zähnen.Meiner Zähne, die in meinem Schädelverankert sind, der Teil meines Skeletts

Crash-Kurs beigebracht werden soll, istin langjähriger Praxis erprobt*.

Noch mal Augen zu. Den Körper wahr-nehmen. Eine halbe Stunde lang nenntSusanne Gliedmaßen: Großzeh, kleinerZeh, Fußsohle, Knöchel, Schienbein undso weiter, bis hinauf zum Scheitel. Wirsollen jedes Körperteil im Geist abtasten,es erfühlen, seine „Temperatur nehmen“.

Der Fachbegriff für diese Übung istBody-Scan. Susanne sagt, er stamme ausder uralten buddhistischen Traditiondes „Vipassana“. Kabat-Zinns Programmempfiehlt ihn anfangs 45 Minuten langtäglich. Alles andere – Yoga, Sitz- oderGeh-Meditation – baut darauf auf.

Ich taste wie wild mein Inneres ab.Aber es klappt nicht. Vielleicht liegt dasan den Geistern, mit denen ich kämpfe?Ständig schieben sich Gesichter vormein inneres Auge, mal ein unbekannterMann, eine Frau, mal mein eigenes Kind.Sie ziehen mich weg. Susannes Stimmeverscheucht sie, aber dann kommen siewieder, die Schatten der Träume.

Gong. Aufrichten. Fragestunde. „Ichfühle mich frisch und wach“, sagt eineTeilnehmerin. Sie sieht begeistert aus.Ich bin genervt. Wer von vornherein zumüde ist, um den Body-Scan zu machen,wird auch durch den Versuch nicht fri-scher. Bin ich jemals ausgeschlafen ge-nug fürs stille Liegen?

Eine andere klagt, dass sie ihrenBauch nicht fühlen konnte. SusannesRat: „Einfach das Nichtfühlen wahrneh-men, ohne mehr daraus zu machen.“Wer achtsam ist, akzeptiert die Dinge,ohne sie zu bewerten.

Schmerz sei nur ein Konzept, be-schwichtigt Susanne die Frau, der wäh-rend der Körpermeditation der Rückenweh tat. Sie solle in die Anspannung at-men, sie „benennen und annehmen“.

* Seminare unter www.mbsr-deutschland.de.

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Tauchen kenne. Plötzlich sehe ich eineQualle vor meinem inneren Auge, beob-achte, wie sich ihr schimmernder Kör-per dehnt und zusammenzieht, dehntund zusammenzieht, im Rhythmus mei-nes Atems. Endlich: Die Luft strömt wie-der ungehindert durch mich durch. Ichmuss doch nicht ersticken.

Leider werden jetzt meine Füße taub.Bernd, der Mann neben mir, praktiziertseit drei Jahren Zen-Meditation. Er ste-he eigentlich nicht auf Esoterik, hatteer der Gruppe anvertraut. Das machtihn mir sympathisch. Deshalb vertraueich Bernds Erkenntnis, dass es nichtschlimm sei, wenn die Füße einschlafen.Sie gewöhnten sich daran, hat er gesagt.

Bernd ist Geschäftsführer eines phar-mazeutischen Unternehmens. Er medi-tiert jeden Morgen. Wenn er einen Flugum sieben Uhr hat, dann steht er um vierUhr auf, um noch aufs Bänkchen zu kön-nen. Leidensdruck habe ihn zur Medita -tion geführt: chronische Rückenschmer-zen. Jetzt sei er, der Morgenmuffel, süch-tig nach dieser frühen halbe Stunde, inder sein Rücken schmerzfrei wird.

Ping – ping – ping! Vorbei, ich habe esgeschafft. Ich spüre keine Erleuchtung,aber immerhin den Stolz, den eigenenSchweinehund überwunden zu haben.Nachmittags machen wir Achtsamkeits-übungen, die mir auf Anhieb gefallen –Yoga. Das ist eine sportliche Herausfor-derung, und die Konzentration stellt sichvon selbst ein, wenn man lange genug aufeinem Bein steht. Ich mag Sport. Dass wirder Wirkung jeder Übung hinterher imKörper nachspüren sollen – geschenkt.

der Geschäftigkeit des Alltags aufzuhor-chen. Immer wieder innezuhalten.Durchzu atmen. Was fühle, sehe, schme-cke, höre ich? Bin ich ruhig? Bin ich un-ruhig? Wo im Körper ist der Herd, derAufruhr?

Um Stress zu reduzieren, könne esschon helfen, nicht sofort den Telefon-hörer abzunehmen, rät Susanne. Son-dern zwei, drei Klingeltöne als eine Art

Wecker zu nutzen: Stopp. Halt. Atmen.Und dann erst abnehmen.

Ping – ping – ping macht SusannesKlangschale. Meine erste 25-Minuten-Meditation auf einem Bänkchen. Ichknie auf dem Boden, den Po auf die sehrniedrige Sitzfläche gestützt. Die Alter-native zum klassischen Schneidersitz istanfangs durchaus bequem. Doch baldbeginnen neue Qualen.

Nichtstun sei Schwerstarbeit, sagtJon Kabat-Zinn. Ich sage: Meditieren istMartyrium. Auf das Kommando, denAtem zu beobachten, bekomme ichplötzlich Atemnot, habe das Gefühl, dieFrühstücksbrötchen von vorhin stecktennoch in der Speiseröhre. Hilfe.

Das bewusste Atmen ist das Alphaund Omega der Meditation. Jawohl, mei-ne Rippenbögen heben sich, ja, dieBauchdecke dehnt sich. Aber wo bloßbleibt die Luft? Ich sehne mich nach ei-ner Sauerstoffflasche, nach der Schwe-relosigkeit unter Wasser, die ich vom

ist. Das Zähneputzen wird mir zur Er-fahrung der Vergänglichkeit. HatteSusanne nicht gesagt, dass ihr Kursauf die Herausforderung des Al-terns vorbereite?

„Achtsamkeit ist der natürlicheZustand des Bewusstseins: daswahrzunehmen, was jetzt gerade ge-schieht, und dieses zu akzeptieren.“ Mitdieser Definition beginnt Susanne dennächsten Morgen. Die Geisteshaltungdabei sei absichtslos, ohne Plan, ohneZiel. Dadurch unterscheide sie sich vomzielorientierten Alltagsbewusstsein.

Mir graut vor planlosem Nichtstun.Dasziellose Erforschen des Geistes scheintmir wie eine besonders anstrengendeWeise, seine Zeit zu vergeuden, anstattwichtigere Dinge zu erledigen.

Dass stundenlang wenig passiert, daskenne ich vom Fahrtensegeln bei stetemWind und Kurs. Segeln ist eine Zeitver-schwendung, die ich liebe. Allerdingsverfolge ich dabei ständig ein Ziel: denperfekten Stand der Segel. Permanentbeobachte ich Wind, See, Himmel, Ho-rizont. Das absorbiert mich komplett.An Land lasse ich nicht nur den Job zu-rück, sondern alle Sorgen, alle Krisen,alle Menschen, nette wie nervige.

Ich konfrontiere Susanne und dieGruppe mit meiner Ansicht: Segeln entspanne mich, gerade weil es kein ziel loses Treibenlassen sei. Ob ich anden nächsten Hafen denken würde, ans Ankommen, Festmachen, hakt die Kurs-leiterin nach. Nein, nein, gar nicht. Ichdächte an nichts außer dem Segelnselbst. Dann sei ich achtsam, sagt sie.

Ich bin baff. Meine Lieblingsbeschäf-tigung ist Achtsamkeit pur! Wir alle er-lebten im Alltag Momente der Achtsam-keit, klärt uns Susanne auf. Manche beimMusizieren, andere beim Kochen oderbeim Spazierengehen. Das passiere dann,wenn wir uns ganz und gar auf eine Tä-tigkeit einlassen, ohne mit den Gedankenabzuschweifen. Nach Kabat-Zinn istauch Sex ein Achtsamkeitserlebnis.

Bei seinem Programm geht es darum,möglichst viele Momente bewusst zu er-leben. Diese Haltung kann man am bes-ten in der Stille der Meditation einüben.Als genauso wichtig gilt es aber auch, in

Beim Meditieren versuche ich mir innerlich zuzulächeln.

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Wirklich toll finde ich die Geh-Medi-tation, draußen in der feucht-kühlenHerbstluft. Eine halbe Stunde langschleichen wir, jeder auf einer imaginä-ren 20-Meter-Linie, im Schneckentem-po übers Gras. Irgendwo findet ein Mo-tocrossrennen statt, es klingt nach wett-kämpfenden Rasenmähern. Aber ichhöre auch das leise Summen letzter In-sekten, das Knacken von Ästen im Wind.

Ich genieße jeden meiner wackeln-den Schritte wie ein Häftling beim Frei-gang. Hauptsache, nicht stillsitzen, ichwill nie wieder stillsitzen müssen.

Es ist 17 Uhr. Wir haben jetzt alle dreiStunden lang geschwiegen, sogar wäh-rend der Kaffeepause. Jeglicher Blick-kontakt war untersagt. Unsere stummeTruppe wirkte wie linkische Laiendar-steller bei ersten Pantomimeversuchen.

Susanne erzählt Paul Watzlawicks Geschichte vom Mann, der von seinemNachbarn einen Hammer leihen will,sich auf dem Weg zu ihm aber in den Ge-danken hineinsteigert, der sei ihm übelgesinnt. „Behalten Sie Ihren Hammer,Sie Rüpel!“, brüllt er den Nachbarn an,als der arglos die Tür öffnet.

Es sind fast immer unsere Gedanken,die uns Stress machen, doziert Susanne,nicht die Dinge an sich. Klar: Abschaltenund Nichtsdenken wären manchmaleine prima Alternative. Aber wie soll dasgehen? Ich denke, also bin ich. Ich miss-traue jedem, der behauptet, er könne das:an nichts denken.

Und ja, ich habe auch Angst vor fal-schen Gedanken, die bei der Meditationhochkommen könnten, vor unangeneh-men Vorstellungen oder unverdauter Pein.Zu viel Innenschau scheint mir gefährlich.

Doch, doch, sagt Susanne, natürlichkönnten törichte, sogar quälende Gedan-ken aufziehen. Das sei ganz normal. Wirsollen sie einfach wie Wolken am Him-mel beobachten: Ziehen sie schnell oderlangsam, herrscht Flaute oder Sturm?

Unruhe könne beim Meditieren sogarproduktiv sein, behauptet unsere Meis -terin. Zwar nervten die ablenkenden Ge-danken. Aber ausgerechnet an den Ta-gen, an denen man sich ihnen in der Stil-le geduldig aussetzt, gewinne man be-sonders viel Gelassenheit.„Wenn die Gedanken euch bestürmen,

dann denkt euch einfach, es seien garnicht eure, sondern die der Nachbarin“,rät Susanne listig. Das verändere die Ein-stellung zu den lästigen Sätzen. „Undzur Nachbarin“, sagt sie und grinst.

Eine Teilnehmerin erzählt stolz, dasssie ihre Gedanken beim Meditieren„freundlich weggeschickt“ habe. „Schaudeinen Gedanken lieber zu“, sagt Susan-ne warm. „Sie freundlich wegzuschi-cken, kann auch eine Art Aversion sein.“Beim Meditieren gelte es, sich selbst in-nerlich zuzulächeln.

Die letzte Meditation des Tages über-stehe ich auf einem ganz gewöhnlichenStuhl. Mein erstes Aha-Erlebnis: Es krib-belt im Rücken, aber ich kann das Ju-cken aussitzen. Ich kratze mich nicht,ich benenne den Reiz, betrachte ihn undschicke meinen Atem in den Rücken.Und tatsächlich: Der Juckreiz ver-schwindet. Halleluja!

Sonntagmorgen. Sieben StundenSchlaf, nur einmal aufgewacht, ein per-sönlicher Rekord. Ob ich schon in denGenuss einer erhöhten Ausschüttung desSchlafhormons Melatonin durch die Me-ditation gekommen bin? Oder hat michder gesellige Abend entspannt? Ich habemit meinen Schweigegenossen Wein ge-trunken und viel gelacht. Die meistensind Mütter und berufstätig, die jüngste,31, Erzieherin, die älteste, 71, Gynäkolo-gin. Eine arbeitet bei einem Bestatter.

Sie wirken alle engagiert, sozial, auchpolitisch. Ich hatte Frauen in Walla-wal-la-Kleidern befürchtet, dauerlächelndeGrünteetrinkerinnen – weit gefehlt.

Gesellschaftliches Engagement emp-fiehlt Jon Kabat-Zinn sogar – um das

Gefühl zu überwinden, den Dingen hilf-los ausgeliefert zu sein. Und weil manim Einsatz für andere oder für ein An-liegen spüre, wie sehr man mit allemverbunden sei. Denn darum geht es, amEnde: irgendwie mit allem eins zu wer-den. Kabat-Zinn zitiert dazu Albert Ein-stein. Den Eindruck, mit seinen Gedan-ken und Sorgen ganz allein zu sein,nannte der Physiker einmal „eine Artoptische Täuschung des gewöhnlichenBewusstseins“. Diese Täuschung sei einGefängnis, aus dem man sich laut Ein-stein befreit, „indem wir unser Mitge-fühl auf alle Wesen und die Natur“ aus-dehnen.

Bei der Geh-Meditation auf dem reifbe-deckten Rasen am nächsten Morgen er-lebe ich den ersten Durchbruch. Ein fie-ser Gedanke zieht auf, während ich mei-ne mönchischen Runden drehe, 20 Me-ter zur Sonne, 20 zum Schatten. Einervon jenen Quälgeistern im Morgengrau-en, die zur Endlosschleife neigen.

Doch diesmal tauchen die Bilder nurkurz auf und gehen wieder, lange bevormich ihr Mahlstrom erfasst hätte. Wasich tat? Nichts! Ich sah ihnen eine Weilezu. Schaute sie einfach an. Sie sind wirk-lich sehr hässlich, fand ich. Aber diesmalverurteilte ich sie nicht, versuchte nicht,sie wie böse Dämonen zu verjagen.

Es sind bloß Gedanken, sage ich mirlächelnd, nicht mein Schicksal, nicht be-deutungsschwer, kein verdrängtes Trau-ma. Dann beginne ich den Tau beimTrocknen zu beobachten, gehe einenFaultierschritt, und dann den nächsten.Der Rasen wird grüner, der Geruch desGrases beginnt aufzusteigen.

Es ist so verblüffend einfach, dass ichgleich danach einen anderen Gedankenauf diese Weise erledige: den, nicht me-ditieren zu können. Egal, ob es stimmtoder nicht, es ist ja nur ein Gedanke!

Zu Hause stelle ich mir den Weckereine halbe Stunde vor, auf 6.15 Uhr. Ichschaffe es: Drei Tage lang stehe ichpünktlich auf und setze mich zum Body-Scan hin. Dann lasse ich nach. Aber ichregistriere Veränderung. Ich fühle michfroher, schon morgens, mit dem Fahrradauf dem Weg zur Arbeit. Da fahre ichneuerdings einfach nur Rad – ohne zugrübeln, zu planen, zu träumen.

Der Weg des Schweigens, sagt Susan-ne Kersig, brauche einen Becher Weis-heit, einen Eimer Liebe und einen OzeanGeduld. Ich glaube, er lohnt sich.