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ZEITGESCHEHEN Luftbefeuchtung und kein Ende: Nachdem die Redaktion von cci Zeitung kontroverse Meinungen zu den in cci Zeitung 03/2015 vorgestellten beiden Studien zur Sinnhaftigkeit von Luftbefeuchtung vorgestellt hat, kommt in dieser Ausgabe Dr. med. Walter Hugentobler zu Wort, der sich aus der Sicht eines Humanmediziners zum Thema Luftbefeuchtung äußert. "Die Nase ist unsere Klimaanlage" Ärztemeinung zum Thema Luftbefeuchtung: sinnvoll oder nicht?- von Dr. med. Walter Hugentobler (Abb. © vitanovski/Fotolia.com) Menschen halten sich zu mehr als 90 % in geschlossenen, immer luft- dichteren Innenräumen auf. Hier wird das angebotene Klima und die L uftqualität imme r ausschließ- licher durch die Bauphysik und die Haustechnik bestimmt. Das Wis- sen und Können ist vorhand en, um d as Kli ma n ac h Zielvorgaben zu steuern, es besteht Wa hlfreiheit. Diese Wahlf reiheit haben weder die Organsysteme Atemtrakt Haut und Augen, noch der Ge bäuden ut - ze r. Der Atemtrakt muss ohne Wenn u nd Aber jedes Pro zent Feuchte, das von der Kl imatechnik nicht bereitges tellt wird, aufbrin- gen. Er muss die At emluft bei jeder Ausgangs lage so aufbereiten, dass sie mit e in hundertp rozen tiger Feuchte in den Lungenbläschen ankommt. Nase, Mund, Rachen und Bronchien stehen dabei in Konkurrenz zur gnadenlos durst i- gen Luft, die ihrerseits nach Sätti- gung, da s heißt nach 100% Feuch- tigkeit, strebt. Sie holt die Feuchte überall dort, wo sie, in we lcher Form auch im mer, vo rha nden ist. Da in der Arbeitswe lt, und über große Zeiträume auch im Woh nbe- re ich, der Mensch die ei nzige Feuchtequelle ist, wird de r Mensch zu seinem eigenen Luftbefeuchter. Wir so llten uns bewusst werde n, dass d ie Befeuchtungsleistu ng des "Luftbefeuchters Mensch" r echt rasc h einen Grenzberei ch erreicht, wo Beschwerden und Krankheit auftreten. Was bedeut et es also, wenn in einem Großgebäude die Luftfeuchtigkeit nicht über 20 bis 30 % ansteigt? Es bedeutet , dass Nase, Rachen und Bronch ien jedes Anwesenden bis zu r möglichen Dekompensation gefordert wer- den. Trockenheit und Staubbelastung gehören zusammen Je t rockener die Atemluft, umso staubbeladener ist sie.ln der Hei z- periode be lasten deshalb Trocken- h eit und Staub die Kli matisie- rungs- und Reinigungsfunktion des Atemtrakts bis an deren Leis - tungsgrenze und darüber hina us. Sie stellen eine Doppelbelastung da r und bedingen si ch gegenseitig. Unser Innenraumklima stellt den Atemtrakt vo r Herausforderungen, mit denen er im Freien nie in dieser Form konfront iert ist! Die Feststellung ,zu t rockene Atem- l uft' wird se it Jahrzehnten in allen unabhängigen Befragungen von 30 bis 40 % der Gebäudenut zer geteilt. Darf ihre Forderu ng nach besserer Befeuchtung als Ko rn - fortanspru ch bezeichnet werde n? Die Antwort des informierten und interessierten Arztes lautet klar: Nein! Es gi bt keine guten Argu- mente f ür Zumutbarkeit oder gar Vorteile einer Trockenheit unter- ha lb von 40 % - aber zah lreiche, belegte gesundheitliche Nacht ei l e. Der Grad der Lufttrockenheit kann von ei ner Mehrheit sch lecht und nur mit zeit licher Ve rzögerung wahrgenommen werden. Deshalb können die vielfä lti ge n gesund- heitlichen Auswirkungen von den Worum geht es? "Wie und wann ist Luftbefeuchtung eigent li ch si nnvoll und wann unabding- bar?", fragte die Redaktion von cc i Zeitung in Ausgabe 03/2015, die vor der ISH/Aircontec im März erschien. Die Redaktion stel lte zwei neue Untersu- chun gen zur Luftbefeuchtung vor, die zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen sind. Die Disku ss ionen um diese St udien w urden dur ch die ISH noch angefeuert und halten noch an. Zur Er innerung: Neben einer aktuellen Fraunhofer-Studie, d ie den Nutzen von Lu ft befeucht ung unterstrei cht, wid mete sic h ei ne An alyse von Kurt Hildebrand, Professor für Gebäudetechnik an der Hochsc hule L uzern - Tech- n ik & Arch i tektur , der Frage nach der Sinnhaftigkeit, zur bloßen Erhöhung der Behaglichkeit die Luft in Innenräumen zu befeuchten. in cci Zeitung 07/ 2015 hat die Redaktion von cci Zei tu ng ausführliche Leser- meinungen zu dieser Kontroverse veröffentlicht. in dieser Ausgabe kommt ein weiterer Spezialist zu Wort: Dr. med. Walter Hugentobler, der sich aus der Sicht eines Humanmediziners zum Thema Luftbefeuchtung äußert. in der nächsten Ausgabe fol gt ei n Fachbeitrag von Prof. em. Klaus Fitzner, der aus der Sicht der technischen Wissenschaft argumentiert. Betroffenen schlecht u rsäch I ich mit der t rockenen Atemluft in Zu- sammenha ng gebracht werden. Tatsächlich we rd en die verheeren- den Auswirkungen der winterl i- che n Luftt rockenheit seit Jahr- zehn te n von einer großen Mehr- heit als unvermeidba r, nat urgege- ben und nicht ursächlich zusa m- menhängend wah rgenommen und hingenommen. in der Heizpe- riode erleidet Jah r f ür Ja hr eine Mehrheit vo n uns m indestens eine Erkältungskrankh eit Wir werden regelmäßig von Grippeepidemien heimgesucht und die chronischen Atemwegserkrankungen (Nasenal- lergi en . Asthma. Chronisch obst- ru kt ive Lu ngenerkrankung/COPD, Nasen-Nebenhö hl en-Prob leme) ve rs chlecht ern sich und nehmen zu. Wir hinterfragen das kaum noch -zu Unrecht und zu unserem gesundheitlichen Nac htei l. Die Leistungsfähigkeit gesunder Nasen Wir können die großen Feu chte- und Tempe raturschwankungen auch im Freien nur unbeschadet überstehen, weil w ir alle un se re eigene, leistungsfähige Klimaanla- ge mit uns herumtragen: unsere Nase. Ihre Aufgabe ist die Grobrei- nigung der Atemluft und deren Kli mati sierung (Anfeuchtung und Erwärmung). Es wi rd immer wie- der behauptet, dass un sere Nase den Anforderungen der t rocken- sta ubigen Atemluft im Winter ge- w ach sen se i. Dies tr ifft tatsächlich zu auf Personen, deren Nase per- fekt und optimal funkt ioniert- das si nd zwei Drittel der Bevölkerun g. Nasen mit abweichender Geomet- rie und vor allem verstopfte Nasen mit ve rmehrtem Strömungswider· sta nd kön nen keine optima le Kli- matisierung erbr ingen, da ga nz oder teilwe ise auf Mund a tmung umgestellt werd en mu ss. Ver s to p- fungsgefühl und Trockenheit der Nase sind die beiden häufigsten Nasenbeschwerden üb erha upt und betreffen nicht nur alle Allergi- ke r (R hinitis und Asthma, 20 bis 40 %der Bel kerung). Betroffen sind auch alle Personen mit vorgeschä- digter Nasenschlei mhaut (zum Beispiel du rch wiederholte Infek- te), Raucher und viele Senioren. Nicht befeuchtete, geheizte Luft bedeutet für all diese Personen- gruppen einen zu tzlichen S tress - test, dem sie am Arbeit splatz und auch in öffentli chen Gebäuden und Einka ufsläden nicht auswei- chen n nen. Die Schleimhaut ih- res Atemt raktes wird geschädigt und ist anfälliger für Inf ektions- kra nkheiten. Da Allergien se it fünf - zig Jahren stetig häufiger und un- sere Innenräume immer trockener werden, wird die Problematik wei- ter an Bedeutung zu nehmen. Welches Innenraumklima wollen wir in der Heizperiode anstreben? Die tief angesetzten Feuchte- Grenzwerte werden häufi g mit dem Hinweis gerechtferti gt, dass in unserem Klima solche Werte auch im Freien vorkommen und sie deshalb nicht als unnatürlich tief ei ngestuft we rd en können. Ein Ver- gleich von S tundenmi tteln (Luft- feucht igkeit bei 20 bis 24 °(, das heißt, be i lnnenraumtempera tu - ren) in unserem gemäßigten Klima offenbart, dass nur einige wenige P roz ente de r St undenmitt el unter 30% liegen. Die Medi anwerte der Luftfeuchte liegen auch in trocke- nen Reg ionen und Föhn-Gebieten durchweg über 50%. Das Feuchte- angebot unser es winterlichen ln- nenraum kl imas liegt damit deut - li ch unterhalb de mjenigen unseres gemäßigten Klimas. "Luftbefeuchtung im Winter ist unnötig"- Konsequenzen dieser Haltung Ausgerechnet maximale Feuchtig- keitsabgabe des mensc hli chen Körpe r s, die mehrere Orga nsyste- me betrifft, soll nicht oder nur von ,Komfort-Nebenwirkungen' beglei- t et sein ? Gefordert ist da bei ja nicht nur der Atemtrakt, son dern auch Augen und Haut, Gehirn, Nie- ren und Blut. Na chweisbar und messbar sind Veränderu ngen un- ter Trockenheitsstress in aus- nahm slos al l en angesprochenen Orga nen. Am best en bekannt, un- tersucht und zuverlässig reprodu- zierbar sind die Auswirkungen auf Augen und Ha ut. Auch die negati - ven Au swirkungen aufdi e Hirnleis- tun gsfähigkeit si nd gut belegt. So ist zu m Beispiel die Literat ur zum cci Zeitung 08/2015

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ZEITGESCHEHEN

Luftbefeuchtung und kein Ende: Nachdem die Redaktion von cci Zeitung kontroverse Meinungen zu den in cci Zeitung 03/2015 vorgestellten beiden Studien zur Sinnhaftigkeit von Luftbefeuchtung vorgestellt hat, kommt in dieser Ausgabe Dr. med. Walter Hugentobler zu Wort, der sich aus der Sicht eines Humanmediziners zum Thema Luftbefeuchtung äußert.

"Die Nase ist unsere Klimaanlage" Ärztemeinung zum Thema Luftbefeuchtung: sinnvoll oder nicht?- von Dr. med. Walter Hugentobler

(Abb. © vitanovski/Fotolia.com)

Menschen halten sich zu mehr als 90 % in geschlossenen, immer luft­dichteren Innenräumen auf. Hier wird das angebotene Klima und die Luftqualität immer ausschließ­licher durch die Bauphysik und die Haustechnik bestimmt . Das Wis­sen und Können ist vorhanden, um das Kli ma nach Zielvorgaben zu steuern, es besteht Wa hlfreiheit. Diese Wah lf reiheit haben weder

die Organsysteme Atemtrakt Haut und Augen, noch der Gebäudenut­ze r. Der Atemtrakt muss ohne Wenn und Aber jedes Prozent Feuchte, das von der Kl imatechnik nicht bereitgestellt wird, aufbrin­

gen. Er muss die At emluft bei jeder Ausgangslage so aufbereiten, dass sie mit ein hundertprozentiger Feuchte in den Lungenb läschen ankommt. Nase, Mund, Rachen und Bronchien stehen dabei in Konkurrenz zur gnadenlos durst i­gen Luft, die ihrerseits nach Sätti­gung, das heißt nach 100% Feuch­tigkeit, strebt. Sie holt die Feuchte

überall dort, wo sie, in welcher Form auch immer, vorha nden ist. Da in der Arbeitswelt, und über

große Zeiträume auch im Wohnbe­re ich, der Mensch die einzige Feuchtequelle ist, wird der Mensch zu seinem eigenen Luftbefeuchter.

Wir sollten uns bewusst werden, dass die Befeuchtungsleistung des

"Luftbefeuchters Mensch" recht rasch einen Grenzbereich erreicht, wo Beschwerden und Krankheit auftreten. Was bedeut et es also,

wenn in einem Großgebäude die Luftfeuchtigkeit nicht über 20 bis

30 % ansteigt? Es bedeutet , dass Nase, Rachen und Bronchien jedes Anwesenden bis zu r möglichen Dekompensation gefordert wer­den.

Trockenheit und Staubbelastung gehören zusammen

Je t rockener die Atemluft, umso staubbeladener ist sie.ln der Heiz­periode belasten desha lb Trocken­heit und Staub die Kl imatisie­

ru ngs- und Reinigungsfunktion des Atemtrakts bis an deren Leis­

t ungsgrenze und darüber hinaus. Sie stellen eine Doppelbelastung dar und bedingen sich gegenseitig. Unser Innenraumkl ima stellt den Atemtrakt vor Herausforderungen, mit denen er im Freien nie in dieser Form konfront iert ist! Die Fest stellung ,zu t rockene Atem­luft' wird se it Jahrzehnten in allen

unabhängigen Befragungen von 30 bi s 40 % der Gebäudenut zer geteilt. Darf ihre Forderung nach besserer Befeuchtung als Ko rn ­

fortanspruch bezeichnet werden? Die Antwort des informierten und interessierten Arztes lautet klar: Nein! Es gibt keine guten Argu­

mente f ür Zumutbarkeit oder gar Vorteile einer Trockenheit unter­

ha lb von 40 % - aber zah lreiche, belegte gesundheitliche Nachtei le. Der Grad der Lufttrockenheit kann

von einer Mehrheit sch lecht und nur mit zeit licher Ve rzögeru ng wahrgenommen werden. Deshalb können die vielfä ltigen gesund­heitl ichen Auswirkungen von den

Worum geht es?

"Wie und wann ist Luftbefeuchtung eigent lich si nnvoll und wann unabding­bar?", fragte die Redaktion von cci Zeitung in Ausgabe 03/2015, die vor der ISH/Aircontec im März erschien. Die Redaktion stel lte zwei neue Untersu­chungen zur Luftbefeuchtung vor, die zu untersch iedlichen Ergebnissen gekommen sind. Die Disku ssionen um diese Studien w urden durch die ISH noch angefeuert und halten noch an. Zur Erinnerung: Neben einer aktuellen Fraunhofer-Studie, die den Nutzen von Luftbefeuchtung unterstreicht , widmete sich eine Analyse von Kurt Hildebrand, Professor für Gebäudetechnik an der Hochschule Luzern - Tech­nik & Architektur, der Frage nach der Sinnhaftigkeit, zur bloßen Erhöhung

der Behaglichkeit die Luft in Innenräumen zu befeuchten. in cci Zeitung 07/ 2015 hat die Redaktion von cci Zeitung ausführliche Leser­meinungen zu dieser Kontroverse veröffentl icht. in dieser Ausgabe kommt ein weiterer Spezialist zu Wort: Dr. med. Walter Hugentobler, der sich aus der Sicht eines Humanmediziners zum Thema Luftbefeuchtung äußert. in der nächsten Ausgabe folgt ein Fachbeitrag von Prof. em. Klaus Fitzner, der

aus der Sicht der technischen Wissenschaft argumentiert.

Betroffenen schlecht u rsäch I ich mit der t rockenen Atemluft in Zu­sammenhang gebracht werden. Tatsächlich werden die verheeren­den Auswirkungen der winterl i­chen Luftt rockenheit seit Jahr­zehnten von einer großen Mehr­

heit als unvermeidba r, naturgege­ben und nicht ursächlich zusam­menhängend wa h rgenommen und hingenommen. in der Heizpe­riode erleidet Jah r f ür Ja hr eine Mehrheit von uns m indestens eine Erkältungskrankheit Wir werden regelmäßig von Grippeepidemien heimgesucht und die chronischen

Atemwegserkrankungen (Nasena l­lergien. Asthma. Chronisch obst­ru kt ive Lu ngenerkrankung/COPD, Nasen-N ebenhöhlen-Probleme) verschlechtern sich und nehmen zu. Wir hinterfragen das kaum noch -zu Unrecht und zu unserem gesundheitlichen Nachtei l.

Die Leistungsfähigkeit gesunder Nasen

Wir können die großen Feuchte­und Temperaturschwankungen auch im Freien nur unbeschadet überstehen, wei l w ir alle unsere

eigene, leistungsfähige Klimaanla­ge mit uns herumtragen: unsere Nase. Ihre Aufgabe ist die Grobrei­nigung der Atemluft und deren Klimatisierung (Anfeuchtung und Erwärmung). Es wi rd immer wie­

der behauptet, dass unsere Nase den Anforderungen der t rocken­staubigen Atemluft im Winter ge­w achsen sei. Dies tr ifft tatsächlich

zu auf Personen, deren Nase per­fekt und optimal funkt ioniert- das sind zwei Drittel der Bevölkerung. Nasen mit abweichender Geomet­

rie und vor allem verstopfte Nasen mit vermehrtem Strömungswider· stand können keine optima le Kli­

matisierung erbr ingen, da ganz oder teilweise auf Mundatmung umgestellt werd en muss. Verstop­fu ngsgefüh l und Trockenheit der Nase sind die beiden häufigst en

Nasenbeschwerden überh aupt und betreffen nicht nur alle Allergi ­ker (Rhinitis und Asthma, 20 bis 40

%der Bevölkerung). Betroffen sind auch alle Personen mit vorgeschä­digter Nasenschleimhaut (zum Beispiel durch wiederholte Infek­te), Raucher und viele Senioren. Nicht befeuchtete, geheizte Luft bedeutet für all diese Personen­gruppen einen zusätzlichen Stress­test, dem sie am Arbeitsplatz und auch in öffentlichen Gebäuden und Einka ufsläden nicht auswei­chen können. Die Schleimhaut ih­

res Atemtraktes wird geschädigt und ist anfälliger für Infektions­krankheiten. Da Allergien seit fünf­

zig Jahren stetig häufiger und un­sere Innenräume immer trockener werden, wird die Problematik wei­ter an Bedeutung zunehmen.

Welches Innenraumklima wollen wir in der Heizperiode

anstreben?

Die tief angesetzten Feuchte ­

Grenzwerte we rden häufig mit dem Hinweis gerechtfertigt, dass

in unserem Kl ima solche Werte auch im Freien vorkommen und sie deshalb nicht als unnatürlich tief eingestuft werden können. Ein Ver­gleich von Stundenmitteln (Luft­feucht igkeit bei 20 bis 24 °(, das

heißt , bei lnnenraumt emperatu­

ren) in unserem gemäßigten Klima offenbart , dass nur einige wenige Prozente der St undenmittel unter 30% liegen. Die Medianwerte der Luftfeuchte liegen auch in trocke­nen Regionen und Föhn-Gebieten durchweg über 50%. Das Feuchte­angebot unseres winterlichen ln­

nenraumkl imas liegt damit deut­lich unterhalb demjenigen unseres gemäßigten Klimas.

"Luftbefeuchtung im Winter ist unnötig"- Konsequenzen dieser Haltung

Ausgerechnet maximale Feuchtig­keitsabgabe des menschli chen Körpers, die mehrere Organsyste­me betrifft, soll nicht oder nur von ,Komfort-Nebenwirkungen' beglei­

t et sein ? Gefordert ist da bei ja nicht nur der Atemtrakt, sondern

auch Augen und Haut, Gehirn, Nie­ren und Blut. Nachweisbar und messbar sind Veränderu ngen un­ter Trockenheitsstress in aus­nahmslos al len angesprochenen Organen. Am besten bekannt, un­tersucht und zuverlässig reprodu­

zierbar sind die Auswirkungen auf Augen und Haut. Auch die negati ­ven Auswirkungen aufdie Hirnleis­

tungsfähigkeit sind gut belegt. So ist zum Beispiel die Literatur zum

cci Zeitung 08/2015

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Thema Fliegen (Aviatik) voll von Abhandlun­

gen über die gefährlichen Folgen zu großer

Austrocknung auf Sehkraft, Reaktionsfähig­

keitund Entscheidungsprozesse von Piloten.

Die negativen Auswirkungen von Lufttro­

ckenheit auf die intellektuel le Leistungsfä­

higkeit von Büropersonal und Schülern sind

ebenfalls vielfach belegt.

Knackpunkt Luftqualität

Luftqualität definiert sich über die Qualität

und die Quantität der Schwebestoffe sowie

den Feuchtegehalt. Der Wassergehalt der

Atemluft ist in diesem Kontext die zentrale

physikalische Größe. Sie hatdirekten Einfluss

auf die allermeisten Vorgänge rund um die

Schwebestoffe. Diese spielen sich in einerfür

uns unsichtbaren Mikroweit ab. Ihre alltägli­

chen Auswirkungen sind uns jedoch vertraut

und für alle leicht verständlich.

Im umgangssprachlichen Begriff ,staubtro­

cken' sind bereits die wichtigsten physika li­

schen Auswirkungen von Trockenheit zu­

sammengefasst . Trockenheit wird mit

Staubbelastung der Luft assoziiert. Bezüg­

lich einer Oberfläche bedeutet der Begriff,

dass dieselbe soweit abgetrocknet ist, dass

kein Staub mehrdaranhaften kann. Im Klar­

text: Trockenheit fördert eine lange Schwe­

bedauer von Staubpartikeln, und wenn die­

seibenschließlich auf eine Oberfläche gela n­

gen, werden sie dort weniger festgehalten.

Beides belastet unseren Atemtrakt.

Atemluft ist ein Aerosol

Aus physikalischer Sicht ist unsere Atemluft

ein Gemisch aus Gasen, festen und Tröpf­chen förmigen Schwebestoffen und Wasser­dampf. Man nennt diese Art Gemisch ein

Aerosol. Vom gesundheitlichen Standpunkt aus sind die meisten Schwebepartikel Luft­

verunreinigungen und viele stellen eine

ernsthafte Bedrohung für unsere Gesund­

heit dar. Der Gebäudenutzer hat keine Wahl:

Er muss einatmen, was angeboten wird .

Das Aerosoi-Gemisch ist für das bloße Auge

unsichtbar, obwohl auch frische, saubere

Meeresluft pro m' rund tausend Millionen Schwebeteilchen enthält . Die Fein- und

Grobstäube und die tröpfchenförmigen Ae­

rosole schweben je nach Größe stundenlang

in der Luft und werden durch thermische

und erzwungene Konvektion aufgewirbelt,

verteilt, verdünnt und nach draußen ab­

transportiert. ln einem vorgegeben Raum

sind die meisten Stäube nicht in der Luft

schwebend vorhanden, sondernauf Oberflä­

chen deponiert. Entscheidend beeinflusst

wird die dynamische Verteilung der Schwe­

bestoffe zwischen Oberflächen und Luft

durch Luftfeuchtigkeit und Konvektion.

Wasser: "Klebstoff" der Aerosole

Was ist die Bedeutung der Feuchte in diesem

dynamischen Kräftespiel? Die Luftfeuchtig­

keit fördertalle Vorgänge, die Stäube aus der

Luft entfernen und auf den Oberflächen

festhalten (Verminderung der Aufwirbe­

lung). All diese Vorgänge sind im Experiment

untersuchbar und quantifizierbar. Sie spie­

geln auch unsere Alltagserfahrungen wider.

Wollen wir verstaubte Oberflächen reinigen,

sprayen wirWasserauf die Oberflächen oder

wischen den Staub zumindest mit einem

feuchten Tuch auf. Andernfalls wird der auf­

gewirbelte Staub in unsere Nase und Atem­

wege gelangen und hier Niesattacken und

Hustenanfä lle auslösen.

Die wohltuenden Auswirkungen steigender

Luftfeuchtigkeit sind allen Pollenallergikern

08/2015 cci Zeitung

geläufig. Höhere Luftfeuchtigkeit hält Pollen

an den Blütenständen und auf den Oberflä­

chen fest und verhindert ihren Übertritt in

die Luft. Feuchte lässt deshalb Pollena l lergi­

ker aufatmen, auch in geschlossenen Räu­

men. Personen mit Allergien gegen Tier-All­

ergene und Milbenkot ("Hausstaub-AIIergi­

en") profitieren gleichermaßen. Höhere

Luftfeuchtigkeit hält die Hausstäube (Träger

der genannten Allergene) auf den Oberflä­

chen fest, und die Allergen-Konzentrat ion in

der Luft nimmt ab.

Physikalischer Hintergrund

Die in der Luft als Wasserdampf vorhande­

nen Wassermoleküle benetzen bei steigen-

te n, Text ilien und Büchern. Dies ermög­

licht deren Werterhalt über lange Zeiträu­

me

- Grippeviren und diejenigen Erkä ltungsvi­ren, die uns im Winter zu schaffen ma­

chen, werden zum großen Teil in wen igen

M inuten abgetötet.

Im Arbeits- und Wohnbereich w ird auf die

obigen Vorteil e mit Argumenten wie "zu

t eue r und energieintensiv" und "zu hohe

Schimmelgefahr" verzichtet. ln der Ferti­

gungsindustrie we rden diese Vorteile dage­

gen breit genutzt zur Optimierung von Pro­

zessabläufen, aber auch zu r Verminderu ng

von Staub- und Geruchsbelastung. Überall,

wo durch Sch leifen, Fräsen und Bohren uner-

Dr. med. Walter Hugentobler ist pensio­nierter Facharzt für Allgemeine Innere Medizin und lehrbeauftragter des Instituts für Hausarztmedizin an der Universität Zürich (dort auch in einer Kerngruppe Forschung tätig). Durch die Nähe seiner Praxis zum Flughafen Zürich/Kioten und durch die Betreuung von viel fliegendem Personal wurde er früh mit den praktischen Konsequen­zen der Lufttrockenheit konfrontiert: ein Thema, mit dem sich Dr. Hugentobler in der gesamten Zeit seiner beruflichen Praxis auseinandergesetzt hat. Kontakt zum Autor: [email protected]

der Luftfeuchtigkeit alle Raumoberfiächen.

Dies betrifft auch die Oberfl ächen derjeni­gen Schwebetei lchen, die einen Durchmes­ser von mehr als O,l!J.m aufweisen. Sie wer­

den zu sogenannten "Konde nsat ionsker­

nen". Die Benetzung beginnt bereits bei

niedriger Feuchte um 10% und nimmt kon­

tinuierlich mit steigender Feuchte zu.

Die Benetzung gibt Oberflächen und Schwe­

beteilchen die Eigenschaft der "Kiebrigkeit".

Sie haften besser aneinander (Aggregation)

und auch auf den Oberflächen. Wir alle ken­

nen den Umstand, dass feines Pu lver auf

leicht angefeuchteten Oberflächen sehr gut

haftet und dass das Pulver beim weiteren

Anstieg der Feuchte auch verklumpen (ag­

gregieren) kann . Bei zunehmender Trocken­

heit kann das Pulver auch leicht wiede r

weggeblasen werden.

Luft bei Zimmertemperatur mit eine r natür­

lichen Feuchte von 50 bis 60% hat folgende

Vorteile gegenüber trockener Luft von 20 bis 30%:

- Die Luft wird als frischer und angenehmer

empfunden. Wir befinden uns voll im Be­

reich der thermischen Behaglichkeit und

nicht schon in einem Übergangsbereich,

den man je nach Sichtweise als "noch be­

haglich" oder "schon etwas unbehagl ich"

bezeichnen kann

-Die gefühlte Temperatur ist um 1 bis 2

Grad höher, das heißt, Behaglichkeit w ird

mit 1 bis 2 K tieferen Raumtemperaturen

erreicht

- Die internen Wärmegewinne werden bei

höherer Feuchte besser. Die Wärmeabga­

be der Personen verschiebt sich von der

latenten zur sensiblen Wärmeabga be

-Gerüche werden weniger intensiv wahrge­

nommen

-Es können sich weniger unerwünschte

elektromagnetische Spannu ngen aufbau ­

en

- Es verdunstet weniger Wasser aus wert­

vollen Möbeln, Bi ldern, Musikinstrumen-

wünschte Staubbildung redu ziert werden

so ll, ja selbst bei der Rei nigung von giftigen lndustrieabgasen, ist Feuchte unverzi cht bar.

Reinraum-Technologie als Vorbild

Die Erfahru ngen in der Reinraum-Technolo­

gie haben in mancher Hins icht Vorbildcha­

rakte r für das Errei chung von Zielwerten

auch in der Gebäudetechnik. Grundidee der

Reinräume ist es, eine mögli chst geringe

Anzahl an luftgetragenen Teilche n zu errei­

chen. Dies w ird in den meisten Reinräumen

durch eine Luftfeuchtigkeit von 50 bis 60%

und speziell ausgelegte Verdrä ngu ngslüf­tung erzielt.

Spezielle Trocke n-Reinräume kommen in der

ZEITGESCHEHEN

chemischen und pharmazeut ischen Indust­

rie zum Einsatz, wo aus Prozessgründen eine

sehr t iefe Luftfeuchtigkeit von wen igen Pro­

zenten notwendig sein kan n. ln diesen Rä u­men muss in der Regel m it Mundschutz ge­

arbeitet werden. Dieser dient dem Schutz

vor der Staubbelastung und der Verringe­

ru ng der Atemwegsa ustrocknu ng. Zudem

werden spezielle, antistatische Haut-Schutz­

anzüge getragen, häufig auch Handschuhe.

Es gelten f ür diese Arbeitsplätze speziel le

Vorschr iften bezüg li ch Pausenregelung,

Trinkverhalten und Hautpf lege. Diese Ar­

beitsplät ze illustrieren gut, dass Trockenheit

nicht unbedenklich ist.

Innenraum-Luftbelastung durch

Gebäudenutzer

Ohne Anwesenheit und Akt iv itäten von

Menschen ist in geschlossenen Räumen eine

Art "Hintergrund-Konzentration" von Schwe­

bestoffen messbar. Sie w i rd mitbest immt

durch die Qualität der Außenluft und in der

Zuluft vorhandene Filter. Die Hauptbelas­

t ung durch krankmachende Stäube ("Haus­stäube") entsteht durch die Akt ivitäten der Nutzer im Rauminneren. Diese kann durch

Filter in der Zuluft nicht beeinflusst werden.

Verschiedenste Tätigkeiten und unvermeidl i­

chen Aktivitäten wie Herumgehen, Türen

öffnen und schließen, Reinigungsarbe iten

und handwerkliche Tätigkeiten können die

Anzah l der Schwebeteilchen auf den zehn

bis hundertfache n Wert ansteigen lassen.

Höhere Luftfeuchte hat eine präventive Wir­

kung: Sie hä lt einen Tei l der unerwünschten

Schwebeteilchen auf den Oberfl ächen fest,

dort wo sie desinfizie rt, feucht aufgenom­men und entsorgt werden können.

Fazit

Die beschriebenen Vorgänge haben alltägl i­

ch e und seh r praktische Konsequenzen fü r

unsere Arbeits- und Wohnräume, aber auch

für die industriellen Fertigungsprozesse so­

wie in Medizin und Wissenschaft. DieVorte i­

le gut befeuchteter Luft we rden in diesen

Anwendungsbereiche n gezielt genutzt und

im bewohnten Innenraum leichtfertig ver­

geben. Luftbefeuchtung eröffnet ein großes, bisher ungenutztes Präventionspotenzial -

wi r sollten es nutzen. *

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