Die polizeiliche Videoüberwachung öffentlicher Orte in Niedersachen

3
DuD Datenschutz und Datensicherheit 12 | 2011 879 AUFSÄTZE Christoph Schnabel Die polizeiliche Videoüberwachung öffentlicher Orte in Niedersachen Anmerkung zu VG Hannover, Urteil vom 14.7.2011, 10 A 5452/10 ( in diesem Heft ) Bei der Videoüberwachung handelt es sich um eine sicherheitspolitische Wunderwaffe: 1 Im Vergleich zu im Streifendienst eingesetzten Beamten ist sie relativ kostengünstig und soll das subjektive Sicherheitsgefühl stärken. 2 Die Kameras ermöglichen häufig eine nachträgliche Aufklärung der Straftat, auch wenn ihr Einfluss auf die Begehung von Straftaten umstritten ist. 3 Trotz gewichtiger Bedenken gegen die Effektivität im Rahmen der Gefahrenabwehr wird ihr Einsatz hartnäckig verteidigt und im Zweifelsfall ausgebaut. 4 Es ist verwunderlich, dass es so lange gedauert hat, bis Bürger begonnen haben, gerichtlich gegen polizeiliche Videoüberwachung vorzugehen. 5 Dr. Christoph Schnabel, LL.M. Referent beim Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit E-Mail: christoph.schnabel@ datenschutz.hamburg.de 1 Tatbestand Der Kläger wendet sich gegen die von der Polizei durchgeführte Videoüber- wachung. Diese begann Ende der 1950er Jahre als reine Verkehrsüberwachung und umfasst heute 78 Kameras. Zur letz- ten Erweiterung des Kameraarsenals kam es 2006 anlässlich der Vorbereitungen zur Fußball-WM der Herren in Deutschland. Im Anschluss wurden die Kameras wei- ter betrieben. Alle Kameras sind schwenk- bar und mit einem Zoom ausgestattet. Die Bildsignale werden in die Lage- und Füh- rungszentrale der Polizeidirektion über- tragen, bei weniger als der Hälfte der Ka- meras findet eine Aufzeichnung statt, die- se wird nach fünf Tagen und fünf Stunden automatisch gelöscht. Seit 2007 wird die Videoüberwachung jährlich von der Poli- zeidirektion selbst evaluiert. Gestützt wird der Betrieb der Kameras auf § 32 Abs. 3 Satz 1 und 2 Niedersächsisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ord- nung (SOG) 6 , wonach die Polizei öffent- lich zugängliche Orte mittels Bildübertra- gung offen beobachten darf, wenn dies zur Aufgabenerfüllung erforderlich ist. Eine öffentlich wahrnehmbare Beschil- derung der Kameras erfolgt nicht, aller- 6 Gesetz v. 19.1.2005, Nds. GVBl. 2005, 9 ff. dings sind die Standorte der Kameras über die Homepage der Polizei Nieder- sachsen im Internet verfügbar. Der Klä- ger verlangte zunächst die Beschilderung der Kameras. Als die Polizei dies ablehn- te, erhob er Klage auf Unterlassung der Vi- deoüberwachung, der das Verwaltungsge- richt Hannover vollumfänglich stattgab. 7 2 Eingriff in das Recht der informationellen Selbstbestimmung auch bei bloßer Beobachtung Dass die Aufzeichnung von Videobil- dern einen Eingriff in das Recht der in- formationellen Selbstbestimmung dar- stellt, kann wohl kaum noch bestritten werden. 8 Für die bloße Beobachtung ohne 7 Urteil vom 14.7.2011, 10 A 5452/10 (in die- sem Heft). Zur rechtlichen Beurteilung der Video- überwachung durch öffentliche Stellen insgesamt s. Landesbeauftragter für den Datenschutz Nie- dersachsen, 20.4.2010, http://www.lfd.niedersach- sen.de/live/live.php?navigation_id=13110&article_ id=56251&_psmand=48. 8 S. dazu BVerfGE 120, 378, 400 f.; VGH Mann- heim NVwZ 2004, 498, 500; OVG Hamburg MMR 2011, 129. Zur Abgrenzung zwischen dem Recht der informationellen Selbstbestimmung und dem Recht am eigenen Bild s. Schnabel, ZUM 2008, 657 ff. 12345 1 S. dazu auch Latzel, FAZ.net v. 31.8.2011, ht- tp://www.faz.net/-021cq5. 2 Für Niedersachsen: Landtags-Drs.: 14/2788, 8; für Hamburg: Bürgerschafts-Drs. 18/1487, 15; krit. dazu Schnabel, NVwZ 2010, 1457, 1458; Waech- ter, DVBl. 1999, 809 ff. 3 S. dazu den Überblick über versch. Studien bei Maximini, Polizeiliche Videoüberwachung öffentli- cher Straßen und Plätze zur Kriminalitätspräventi- on, 2010, 27 ff. 4 Für Niedersachen s. Fragestunde am 27.3.2009 in der Sitzung des Niedersächsischen Landta- ges, http://www.mi.niedersachsen.de/live/live. php?navigation_id=14797&article_id=62601&_ps- mand=33; außerdem: Bundespolizei fordert Ausbau der Videoüberwachung, DerWesten v. 27.1.2009, ht- tp://www.derwesten.de/nachrichten/politik/Bun- despolizei-fordert-Ausbau-der-Videoueberwa- chung-id834847.html. 5 Bislang existieren nur relativ wenige Ur- teile: VGH Mannheim NVwZ 2004, 498 ff.; BVerfG DuD 2007, 703 ff.; OVG Hamburg MMR 2011, 128 ff.; zur polizeilichen Videoüberwachung einer Ver- sammlung s. OVG Münster NWVBl 2011, 151 f.

Transcript of Die polizeiliche Videoüberwachung öffentlicher Orte in Niedersachen

Page 1: Die polizeiliche Videoüberwachung öffentlicher Orte in Niedersachen

DuD Datenschutz und Datensicherheit 12 | 2011 879

AUFSÄTZE

Christoph Schnabel

Die polizeiliche Videoüberwachung öffentlicher Orte in NiedersachenAnmerkung zu VG Hannover, Urteil vom 14.7.2011, 10 A 5452/10 (in diesem Heft)

Bei der Videoüberwachung handelt es sich um eine sicherheitspolitische Wunderwaffe:1 Im Vergleich zu im Streifendienst eingesetzten Beamten ist sie relativ kostengünstig und soll das subjektive Sicherheitsgefühl stärken.2 Die Kameras ermöglichen häufig eine nachträgliche Aufklärung der Straftat, auch wenn ihr Einfluss auf die Begehung von Straftaten umstritten ist.3 Trotz gewichtiger Bedenken gegen die Effektivität im Rahmen der Gefahrenabwehr wird ihr Einsatz hartnäckig verteidigt und im Zweifelsfall ausgebaut.4 Es ist verwunderlich, dass es so lange gedauert hat, bis Bürger begonnen haben, gerichtlich gegen polizeiliche Videoüberwachung vorzugehen.5

Dr. Christoph Schnabel, LL.M.

Referent beim Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und

InformationsfreiheitE-Mail: [email protected]

1 Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die von der Polizei durchgeführte Videoüber-wachung. Diese begann Ende der 1950er Jahre als reine Verkehrsüberwachung und umfasst heute 78 Kameras. Zur letz-ten Erweiterung des Kameraarsenals kam es 2006 anlässlich der Vorbereitungen zur Fußball-WM der Herren in Deutschland. Im Anschluss wurden die Kameras wei-ter betrieben. Alle Kameras sind schwenk-bar und mit einem Zoom ausgestattet. Die Bildsignale werden in die Lage- und Füh-rungszentrale der Polizeidirektion über-tragen, bei weniger als der Hälfte der Ka-meras findet eine Aufzeichnung statt, die-se wird nach fünf Tagen und fünf Stunden automatisch gelöscht. Seit 2007 wird die Videoüberwachung jährlich von der Poli-zeidirektion selbst evaluiert. Gestützt wird der Betrieb der Kameras auf § 32 Abs. 3 Satz 1 und 2 Niedersächsisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ord-nung (SOG)6, wonach die Polizei öffent-lich zugängliche Orte mittels Bildübertra-gung offen beobachten darf, wenn dies zur Aufgabenerfüllung erforderlich ist.

Eine öffentlich wahrnehmbare Beschil-derung der Kameras erfolgt nicht, aller-

6 Gesetz v. 19.1.2005, Nds. GVBl. 2005, 9 ff.

dings sind die Standorte der Kameras über die Homepage der Polizei Nieder-sachsen im Internet verfügbar. Der Klä-ger verlangte zunächst die Beschilderung der Kameras. Als die Polizei dies ablehn-te, erhob er Klage auf Unterlassung der Vi-deoüberwachung, der das Verwaltungsge-richt Hannover vollumfänglich stattgab.7

2 Eingriff in das Recht der informationellen

Selbstbestimmung auch bei bloßer Beobachtung

Dass die Aufzeichnung von Videobil-dern einen Eingriff in das Recht der in-formationellen Selbstbestimmung dar-stellt, kann wohl kaum noch bestritten werden.8 Für die bloße Beobachtung ohne

7 Urteil vom 14.7.2011, 10 A 5452/10 (in die-sem Heft). Zur rechtlichen Beurteilung der Video-überwachung durch öffentliche Stellen insgesamt s. Landesbeauftragter für den Datenschutz Nie-dersachsen, 20.4.2010, http://www.lfd.niedersach-sen.de/live/live.php?navigation_id=13110&article_id=56251&_psmand=48.

8 S. dazu BVerfGE 120, 378, 400 f.; VGH Mann-heim NVwZ 2004, 498, 500; OVG Hamburg MMR 2011, 129. Zur Abgrenzung zwischen dem Recht der informationellen Selbstbestimmung und dem Recht am eigenen Bild s. Schnabel, ZUM 2008, 657 ff.

12345

1 S. dazu auch Latzel, FAZ.net v. 31.8.2011, ht-tp://www.faz.net/-021cq5.

2 Für Niedersachsen: Landtags-Drs.: 14/2788, 8; für Hamburg: Bürgerschafts-Drs. 18/1487, 15; krit. dazu Schnabel, NVwZ 2010, 1457, 1458; Waech-ter, DVBl. 1999, 809 ff.

3 S. dazu den Überblick über versch. Studien bei Maximini, Polizeiliche Videoüberwachung öffentli-cher Straßen und Plätze zur Kriminalitätspräventi-on, 2010, 27 ff.

4 Für Niedersachen s. Fragestunde am 27.3.2009 in der Sitzung des Niedersächsischen Landta-ges, http://www.mi.niedersachsen.de/live/live.php?navigation_id=14797&article_id=62601&_ps-mand=33; außerdem: Bundespolizei fordert Ausbau der Videoüberwachung, DerWesten v. 27.1.2009, ht-tp://www.derwesten.de/nachrichten/politik/Bun-despolizei-fordert-Ausbau-der-Videoueberwa-chung-id834847.html.

5 Bislang existieren nur relativ wenige Ur-teile: VGH Mannheim NVwZ 2004, 498 ff.; BVerfG DuD 2007, 703 ff.; OVG Hamburg MMR 2011, 128 ff.; zur polizeilichen Videoüberwachung einer Ver-sammlung s. OVG Münster NWVBl 2011, 151 f.

Page 2: Die polizeiliche Videoüberwachung öffentlicher Orte in Niedersachen

880 DuD Datenschutz und Datensicherheit 12 | 2011

AUFSÄTZE

Aufzeichnung war dies lange nicht so ein-deutig. Das Gericht weist zutreffend da-rauf hin, dass das Recht auf informatio-nelle Selbstbestimmung auch Daten von vergleichsweise geringem Informations-gehalt schützt9 und dieser Schutz nicht al-lein deshalb entfällt, weil sich Betroffe-ne in die Öffentlichkeit begeben.10 Trotz-dem wurde lange vertreten, dass bei blo-ßen Überblicksaufnahmen die Betroffe-nen nicht zu identifizieren seien und da-her kein Grundrechtseingriff vorliege. Die Konstellation entspreche vielmehr einem Polizeibeamten, der mit einem Fernglas Beobachtungen mache.11 Hier von einem Grundrechtseingriff auszugehen, führe zu einem vom Grundrecht nicht gedeck-ten Wahrnehmungsschutz.12 Überzeu-gend sind diese Ausführungen nicht. Der Polizei stehen durch moderne Techniken vielfältige Möglichkeiten des Drehens, Schwenkens, Zoomens der Kameras so-wie Einzelbildschaltungsfunktion und des ständigen Wechsels zwischen Übersichts- und Nahaufnahmen sowie zumindest teil-weise auch der Bildspeicherung zur Ver-fügung.13 Die Situation ist daher nicht mit dem Polizeibeamten auf Streife mit oder ohne Fernglas vergleichbar.

Zwar hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass bei rückstandsloser Lö-schung von Daten unmittelbar nach der Er-hebung, ohne die Möglichkeit, einen Per-sonenbezug herzustellen, nicht von einem Eingriff in das Recht der informationellen Selbstbestimmung auszugehen ist.14 Vor-liegend ist aber ebenfalls zu berücksichti-gen, dass sich aus der beabsichtigen (und nach Ansicht des Gerichts auch gegebe-nen) Steigerung des subjektiven Sicher-heitsgefühls als Kehrseite der Flächenwir-kung auch Einschüchterungseffekte erge-ben können.15 Dass es eine der vornehms-ten Aufgaben des Rechts der informationel-len Selbstbestimmung ist, die unbefangene Wahrnehmung anderer Freiheitsrechte zu ermöglichen, hat das Bundesverfassungs-gericht schon im Volkszählungsurteil klar-

9 S. schon BVerfGE 65, 1, 45 – Volkszählungsurteil.10 BVerfG DuD 2007,703, 706 f.11 So Schmitt-Glaeser, BayVBl 2002, 584, 585;

Zöller, NVwZ 2005, 1235; Henrichs, BayVBl 2005, 289, 296.

12 So Ipsen, Niedersächsisches Polizei- und Ord-nungsrecht, 4. Aufl. 2010, Rn. 496.

13 Zu den technischen Möglichkeiten moderner Kameras s. Ellermann, Die Polizei 2006, 271, 277.

14 S. nur BVerfG DuD 2008, 352, 353 m.w.N. aus der eigenen Rspr.; krit. dazu Schnabel, CR 2009, 384 f.

15 VG Hannover (in diesem Heft).

gestellt.16 Maßnahmen mit hoher Streubrei-te können ein diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins hervorrufen, das eine unbefangene Grundrechtswahrnehmung in vielen Bereichen beeinträchtigt.17 Aus diesen Gründen ist auch bei der bloßen Be-obachtung von einem Grundrechtseingriff auszugehen.18

Den Anspruch auf Unterlassung der rechtswidrigen Videoüberwachung lei-tet das Gericht interessanterweise nicht aus dem Grundrecht auf informationel-le Selbstbestimmung her, sondern aus der Erlaubnisnorm des § 32 Abs. 3 Nds. SOG.19 Da die Norm die Voraussetzun-gen der Videoüberwachung festlege, sei ihr Zweck auch, den Einzelnen vor Per-sönlichkeitsrechtsbeeinträchtigungen zu schützen, die durch unzulässige Daten-erhebungen drohen.20 Aus einer Gesamt-schau der Regelungen des entsprechen-den Gesetzesabschnitts ergebe sich, dass diesen eine Schutzrichtung zukomme, die unzulässig verkannt würde, verstün-de man sie als bloße objektivrechtliche Be-fugnisnormen ohne Anspruchscharakter.

3 „Offenheit“ der Videoüberwachung

Nach § 32 Abs. 3 Satz 1 SOG hat die Video-überwachung offen zu erfolgen. Die Poli-zei ging davon aus, dass dies nur bedeu-tet, dass es sich nicht um einen verdeck-ten Eingriff21 handeln darf, aber keine Hinweispflichten bestehen, denen nach-zukommen wäre. Außerdem verweist die Polizei darauf, dass eine Kennzeich-nung dem Sinn und Zweck der Video-überwachung widerspräche, da Straftäter sie dann meiden könnten. Ferner verweist sie auf die im Internet verfügbare Stand-ortkarte aller polizeilichen Kameras.

16 Vgl. BVerfGE 65, 1, 42.17 BVerfG DuD 2010, 409, 411 zur Vorratsdaten-

speicherung; s. dazu Hornung/Schnabel, DVBl. 2010, 824, 826.

18 VG Hannover (in diesem Heft); i.E. ebenso VGH Mannheim NVwZ 2004, 498, 500; OVG Ham-burg MMR 2011, 128, 129 f.; Schnabel, NVwZ 2010, 1457; Röger/Stephan, NWVBl 2001, 201, 207; Maximi-ni (o. Fn. 3), 82.

19 A.A. OVG Hamburg MMR 2011, 128, 129: „An-spruchsgrundlage ist in Ermangelung einer spezi-algesetzlichen Grundlage der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch, der sich aus den Grund-rechten ableitet.“

20 Nur hilfsweise wird auf das Grundrecht verwiesen.

21 Wie z.B. in § 30 Abs. 2 Satz 2 SOG.

Das Gericht erklärt, dass der Begriff der „verdeckten Erhebung“ in § 30 Abs. 2 Satz 2 SOG als eine Datenerhebung de-finiert wird, die nicht als Maßnahme der Gefahrenabwehr erkennbar sein soll. Es muss also noch ein subjektives Element des Versteckens hinzutreten. Die Offen-heit der Maßnahme in § 32 Abs. 3 Satz 1 SOG erfordert hingegen, dass die Daten-erhebung an dem Ort, an dem sie stattfin-det, erkennbar sein muss.22 Die Erkenn-barkeit wird nicht durch die Internetseite hergestellt, da diese von den Betroffenen eine aktive Recherche erfordere und dort auch nicht die Reichweite der Beobach-tung zu erkennen sei. Der deutlich wahr-nehmbare Hinweis auf die Videobeobach-tung schmälere auch nicht den Erfolg der Maßnahme, sondern verstärke diesen, so-weit eine abschreckende, also straftaten-verhütende Wirkung angestrebt werde. Da die Anforderungen an die Offenheit der Videoüberwachung von der Polizei nicht erfüllt wurden, ist die Maßnahme bereits aus diesem Grund rechtswidrig. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Fra-ge, welche Anforderungen an die „Offen-heit“ einer Datenerhebung bei der Video-überwachung zu stellen sind, hat das VG Hannover allerdings nach § 124a Abs. 1 Satz 1 und § 124 Abs. 1 Nr. 3 VwGO die Berufung zugelassen.

4 Offene Fragen: Bestimmtheit und

Verhältnismäßigkeit

Da sich die Rechtswidrigkeit der Video-überwachung bereits aus der mangeln-den „Offenheit“ der Datenerhebung er-gibt, musste das Gericht mehrere Fra-gen nicht abschließend beantworten, die zu den klassischen rechtlichen Proble-men im Zusammenhang mit der Video-überwachung zählen. Dies betrifft zum Beispiel die Bestimmtheit der Ermächti-gungsnorm. Durch das Gesetz sollen der Verwaltung steuernde und begrenzende Handlungsmaßstäbe gegeben werden, die den Gerichten eine wirksame Rechtskon-trolle ermöglichen und den Betroffenen die Möglichkeit geben, sich auf belastende Maßnahmen einzustellen. Anlass, Zweck und Grenzen eines Eingriffs sind deshalb

22 VG Hannover (in diesem Heft); ebenso VGH Mannheim NVwZ 2004, 498, 505, wo dies durch drei-sprachige (!) Hinweisschilder erreicht wird.

Page 3: Die polizeiliche Videoüberwachung öffentlicher Orte in Niedersachen

DuD Datenschutz und Datensicherheit 12 | 2011 881

AUFSÄTZE

vom Gesetzgeber hinreichend bereichs-spezifisch, präzise und normenklar fest-zulegen.23 Dies ist nach Ansicht des Ge-richts bei § 32 Abs. 3 SOG nicht der Fall.24 Da ausschließlich an die polizeiliche Auf-gabenerfüllung angeknüpft wird, genügt das Vorliegen einer Gefahr, ein Begriff, der „denkbar weit“ ist.25 Ferner sei auch die Gefahrenverhütung ein Ziel der Maß-nahme, was selbst ein Anknüpfen an das Vorliegen einer Gefahr ausschließt. Hier stellt das Gericht sehr hohe Anforderun-gen, wenn man bedenkt, dass das Vorlie-gen einer konkreten Gefahr nach den Poli-zeigesetzen noch sehr viel tiefer gehende Grundrechtseingriffe als Beobachtungen ermöglicht. Gleichzeitig würde das Erfor-dernis einer konkreten Gefahr die gängi-ge Überwachungspraxis wohl ausnahms-los unzulässig machen.Auch die von § 32 Abs. 3 SOG geforderte Erforderlichkeit hilft nicht weiter, da eine permanente anlasslose Beobachtung im-mer geeigneter sei als jede Maßnahme, die auf den Einsatz von Personen vor Ort angewiesen sei und dabei mit beschränk-ten Mitteln haushalten müsse.26 Das OVG Hamburg hatte das Problem einfach da-durch gelöst, dass Begriffe wie „Krimi-nalitätsbrennpunkte“ aus der Gesetzes-begründung in den Tatbestand der Er-mächtigungsnorm hineingelesen wur-den, um diese vor der Verfassungswidrig-keit zu retten.27 Das VG Hannover hält die Norm für zu unbestimmt,28 zieht daraus aber nicht die Konsequenz eines konkre-ten Normenkontrollantrags, da die Maß-nahme ohnehin rechtswidrig sei.

23 BVerfGE 100, 313, 372; 110, 33, 53; 113, 348, 375.24 Anforderungen an die zu beobachtenden

Orte existieren nach § 32 Abs. 2 Satz 2 SOG nur bei Bildaufzeichnungen.

25 VG Hannover (in diesem Heft).26 A.a.O.27 OVG Hamburg MMR 2011, 128, 131; krit. zu

dieser Vorgehensweise Schnabel, NVwZ 2010, 1457 f. 28 Ebenso Maximini (o. Fn. 3), 136.

Zum anderen bestehen aus Sicht des Ge-richts auch gegen die Verhältnismäßig-keit von § 32 Abs. 3 SOG erhebliche Be-denken. Videoüberwachung ist eine an-lasslose Maßnahme mit hoher Streubrei-te, die viele Unbescholtene trifft und der man sich nur schwer entziehen kann. Das Gericht bemängelt, dass die Maßnahme trotz der beschriebenen Risiken nicht auf den Schutz eines besonders schützenswer-ten Rechtsguts beschränkt sei und auch keine verfahrensrechtlichen Maßnahmen wie zum Beispiel ein Behördenleitervor-behalt29 eingeführt wurden.30 Das Gericht hält deshalb das Übermaßverbot für ver-letzt, äußert sich aber ausdrücklich nicht zur Frage, ob die Norm einer verfassungs-gemäßen Auslegung zugänglich ist.

5 Ausblick

Die im Zusammenhang mit der polizei-lichen Videoüberwachung wohl strittigs-te Frage ist die der Gesetzgebungskompe-tenz.31 Diese ist dann problematisch, wenn die Maßnahme zumindest auch der Straf-verfolgungsvorsorge dienen soll, die zum gerichtlichen Verfahren nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zählt, für das eine konkur-rierende Gesetzgebungskompetenz von Bund und Ländern besteht.32 Die Frage, ob der Bund eventuell auch durch absichts-volles Unterlassen von seiner Kompetenz Gebrauch gemacht hat und dadurch eine Sperrwirkung eingetreten ist, ist für je-de Maßnahme gesondert zu beantwor-

29 Zum Behördenleitervorbehalt als verfahrens-rechtlicher Maßnahme s. Hufeld, Die Vertretung der Behörde, 2003, 123 ff.

30 Zum Erfordernis von Maßnahmen der Da-tensicherheit bei der Videoüberwachung in Anleh-nung an das VDS-Urteil des BVerfG s. Schnabel, NV-wZ 2010, 1457, 1460 f.

31 Überblick zum Streitstand bei Maximini (o. Fn. 3), 99 ff.

32 Vgl. BVerfGE 103, 21, 30 f.; 113, 348, 369 ff.

ten. In der Literatur sind zahlreiche Stim-men für eine Sperrwirkung bei der Video-überwachung zu vernehmen.33 Der VGH Mannheim hat sich mit der Feststellung begnügt, die Strafverfolgungsvorsorge sei ein reiner Nebenzweck und daher für die Frage der Gesetzgebungskompetenz nicht entscheidend.34 Lediglich das OVG Ham-burg hat sich der Frage gestellt und die Gesetzgebungskompetenz des Landes be-jaht.35 Wegen dieser Frage hat das BVerwG allerdings die Revision zugelassen.36

In diesem Zusammenhang sind eini-ge Ausführungen der Beklagten in die-sem Verfahren von Interesse: Die Poli-zei hat die Kennzeichnung der Video-überwachung abgelehnt, weil potentielle Straftäter dann abgeschreckt würden und ihre Straftaten in Bereiche außerhalb der Überwachung verlegen.37 Diese Argumen-tation zeigt, dass der Einfluss offener Vi-deoüberwachung auf die Verhinderung von Straftaten praktisch nicht existiert und ihr eigentlicher Zweck die Vorsorge für die Aufklärung von Straftaten ist. Ob dies auf der Grundlage von Landesgeset-zen überhaupt zulässig ist, ist aber wie ge-zeigt noch nicht abschließend geklärt.

33 Zöller, NVwZ 2005, 1235, 1239; ders., NJW-aktuell 32/2010, 10 f.; Vahle, NVwZ 2001, 165, 166 f.; Roggan, NVwZ 2001, 134, 139; zweifelnd Schnabel, NVwZ 2010, 1457, 1458 f.; a. A. Ellermann, Die Polizei 2006, 271 ff.; dem ohne eigene Begründung folgend Beaucamp/Ettemeyer/Rogosch/Stammer, SOG/PolDVG, 2. Aufl. 2009, § 8 PolDVG, Rn. 13.

34 NVwZ 2004, 498, 499; a.A. Zöller, NVwZ 2005, 1235, 1239.

35 Urt. v. 22.6.2010, 4 Bf 276/07, Rn. 83 ff.; in MMR 2011, 128 ff. nicht abgedruckt.

36 Beschl. v. 28.3.2011, 6 B 56/10, 6 B 56/10 (6 PKH 18/10, 6 C 9/11). Diese könnte die Berufung ge-gen das Urteil des VG Hannover überholen oder von dieser überholt werden.

37 Dass die Weigerung der Polizei, die Video-überwachung offen durchzuführen dafür gesorgt hat, dass sie in Gänze abgestellt werden muss, ist ei-ne besondere Ironie des vorliegenden Falls.