Die Qualität der Qualität: Parallelwelten der Versorgungsqualität und des Qualitätsmanagements
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Public Health Forum 22 Heft 83 (2014)http://journals.elsevier.de/pubhef
Die Qualit€at der Qualit€at: Parallelwelten derVersorgungsqualit€at und des Qualit€atsmanagements
Olaf Iseringhausen
Die Anzahl von Verfahren, die die
Qualitat in der ambulanten und statio-
naren Versorgung steigern sollen, ist
inzwischen unubersichtlich groß.
Kaum jemand kann uberblicken, wer
was unter Qualitat versteht, mit wel-
chem Ziel Qualitat gemessen werden
soll und wie sie verbessert werden
kann. Die Entwicklung qualitatsver-
bessernder Verfahren im Gesundheits-
wesen ist zu einer von Experten ver-
walteten Branche geworden. Vielfach
kann man den Eindruck gewinnen,
dass die Verpflichtung, Qualitat zu
dokumentieren, zu messen und zu ver-
bessern, vor allem burokratischen
Fantasien folgt, ohne dass ein Patien-
tennutzen erkennbar wurde.
Das ursprungliche Ziel der Qualitats-
verbesserung lautete, PatientInnen vor
unnotigen, fehlerhaften oder schlecht
erbrachten Leistungen zu schutzen
(Cochrane, 1972). In der Folge sind
Verfahren mit dem Ziel entwickelt
worden, Qualitat im Gesundheitswe-
sen transparent zumachen. Die Erwar-
tungen an qualitatsverbessernde Ver-
fahren sind hoch. Doch profitieren
Patienten, Leistungserbringer, Kos-
tentrager und der Staat uberhaupt da-
von? Oder entwickeln sich Versor-
gungsqualitat und Qualitatssiche-
rungs- sowie Qualitatsmanagement
unabhangig voneinander?
Historisch betrachtet lag die Bewer-
tung einer Krankenbehandlung in der
Definitionsmacht der arztlichen Pro-
fession. ArztInnen bewerteten – ge-
messen an den medizinisch-professio-
nellen Standeskriterien – die Gute ei-
ner medizinischen Intervention als
,,gut‘‘ oder ,,schlecht‘‘. In den 60er
Jahren begannen jedoch Staat, Wis-
senschaft und Wirtschaft zunehmend
Einfluss auf die Bestimmung von
Qualitatsmaßstaben im Gesundheits-
wesen zu nehmen. Auf die sogenannte
Phase der professionellen Dominanz
folgte so in den USA eine Zeit des
,,federal involvements‘‘. Der Staat be-
gann sich in die Belange der Medizin
einzumischen, indem er versuchte, an-
hand epidemiologischer Studien die
Wirkungenmedizinischer Interventio-
nen auf ihren Wert und ihren Bedarf
hin zu beurteilen. Diese Phase der
staatlichen Einflussnahme wurde
schließlich abgelost von ,,managerial
control and market mechanism‘‘
(Ruef und Scott, 1998, 885). Als
Reaktion auf weiterhin steigende Kos-
ten setzte der Staat zunehmend auf die
Privatisierung offentlicher Einrichtun-
gen, auf eine erhohte betriebswirt-
schaftliche Kontrolle und damit auf
Regulierungsmechanismen des Mark-
tes. Diese sollten mit Anreizen fur
PatientInnen und Anbieter dafur sor-
gen, die Ausgabensteigerung zu
reduzieren.
In den USA haben Managementge-
sellschaften, insbesondere Rating-
oder Zertifizierungsagenturen, Ein-
fluss auf die Definition und Bewertung
von guten oder schlechten Behand-
lungsleistungen imGesundheitswesen
gewonnen. Auch in Deutschland ist zu
beobachten, dass zunehmend Exper-
tengruppen aus dem Bereich des Ma-
nagements und nicht aus der Medizin
oder der Pflege Einfluss auf Qualitats-
maßstabe in der gesundheitlichen Ver-
sorgung ausuben. Diese Form staat-
licher Steuerung bedeutet konkret,
dass sich der Staat darauf beschrankt,
die Selbstverwaltung aufzufordern,
Anforderungen an Qualitat zu definie-
ren und ihr zugleich die Aufgabe zu
ubertragen, zu uberprufen, inwieweit
deren Einhaltung im System nachge-
kommen wird. Die Selbstverwal-
tungspartner verpflichten ihrerseits
zur Sicherstellung und Verbesserung
der Versorgung nach bestimmtenQua-
litatsstandards institutionell eigen-
standige und z.B. vom Deutschen Ak-
kreditierungsrat (DAR) und der Tra-
gergemeinschaft fur Akkreditierung
(TGA GmbH) zugelassene Organisa-
tionen, Verbande, Vereine, Aktienge-
sellschaften oder Stiftungen, die mit
zum Teil inhaltlich sehr unterschied-
lich gewichteten Verfahren die Uber-
prufung der Qualitat sowie die Bereit-
stellung von Methoden zur Forderung
von Qualitat im Gesundheitssystem
ubernehmen. Diese Form der Sicher-
stellung und Forderung von Qualitat
ist gegenwartig hauptsachlich daran
geknupft, ob verschiedene Verfahren
wie z.B. Qualitatsberichterstattung,
Zertifizierung, internes Qualitatsma-
nagement usw. eingefuhrt werden
oder nicht.
Konzepte und Verfahren der Quali-
tatsverbesserung haben inzwischen ei-
nen derartigen Komplexitatsgrad er-
reicht, dass sie ihrerseits zu Unsicher-
heit und Intransparenz im System
beitragen. Das Klagelied der Praxis
betrifft das gleichzeitige Nebeneinan-
der von Leitlinien, Berichterstattung,
Zertifizierung, ,,Best Practice Ran-
king‘‘ usw. Dieses Nebeneinander
macht es nicht nur den PatientInnen
nahezu unmoglich, noch nachzuvoll-
ziehen, welche Art von Qualitat erho-
ben, an welchen Kriterien sie gemes-
sen und mit welchem Ziel sie
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gefordert wird. Auch aus der Perspek-
tive derjenigen, welche die Qualitat
erbringen sollen, insbesondere der
im Gesundheitswesen tatigen Berufs-
gruppen, ist angesichts der Vielfalt der
qualitatsfordernden Ansatze deren
Sinnhaftigkeit immer weniger ersicht-
lich. Zertifizierungen sind zum Wer-
bemittel geworden: Ob ein Gutesiegel
,,Geprufte Qualitat nach DIN ISO‘‘ in
einer Klinik gleichzeitig bedeutet,
dass Komplikationsraten verringert
oder Wiedereinweisungsraten gesenkt
wurden, ist wissenschaftlich noch
nicht belegt.
Es mehren sich begrundete Zweifel
daran, ob sich die Hoffnungen auf
eine bessere Qualitat der Versorgung
erfullen werden, die mit der gesetz-
lichen Verpflichtung zur Qualitatsver-
besserung verknupft waren. Bezwei-
felt wird beispielsweise, ob die Doku-
mentation von Leistungen
zwangslaufig die Verbesserung von
Behandlung zur Folge hat. Oder, ob
die Existenz eines QM-Handbuchs
zwanglaufig zur besseren Diagnostik
und Therapie fuhrt. Man befasst sich
nun verstarkt mit der Qualitat der Ver-
fahren selbst. ,,Wer kontrolliert ei-
gentlich die mentale Qualitat der Qua-
litatssicherer?‘‘, fragte denn auch das
Deutsche Arzteblatt vom 9. August
2011 in einem Kommentar zur Aus-
wertung stationarer Qualitatssiche-
rungsdaten. Eine Studie der Unterneh-
mensberatung KPMG stellt fest: Qua-
litat zahlt sich nicht aus! ,,Weder wird
die Qualitat in deutschenKrankenhau-
sern verlasslich ermittelt noch wird sie
ausreichend vergutet (KPMG, 2013,
S. 3). So gibt es der Studie zufolge
keinen statistisch nachweisbaren Zu-
sammenhang zwischen der in den
strukturierten Qualitatsberichten er-
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fassten Qualitat und der von den Pa-
tienten eingeschatzten Qualitat noch
der Wirtschaftlichkeit der Qualitat.
Aus einer theoretischen Perspektive
hat auch der englische €OkonomMichael Power (1997a) bezweifelt,
dass die Versorgungsqualitat durch
qualitatsfordernde Verfahren real ver-
bessert werden kann. Im Zusammen-
hang mit der Uberprufung, Messung
und Forderung von Qualitat im Be-
reich des Gesundheitswesens nimmt
er an, dass der Fokus eher auf Kenn-
ziffern des Qualitatsmanagements
liegt als auf dem tatsachlichen ,,Ope-
rieren‘‘ der Einrichtungen und der da-
rin handelnden Akteure. Kennziffern
beziehen sich haufig auf apparative
Ausstattung, Anzahl von Patienten,
Anzahl durchgefuhrter Teamsitzun-
gen, Qualitatszirkeln oder durchge-
fuhrte Prozeduren nach OPS Kennzif-
fern. Das bedeutet, dass sich Formen
der Uberprufung und Forderung von
Qualitat lediglich auf eine ,,Kontrolle
der Kontrolle‘‘ verlassen. Im Rahmen
der Prufung werden nur noch die vom
Managementsystem dargestellten
,,Symbole der Compliance‘‘ kontrol-
liert. Die Idee und Hoffnung, die die-
ser Form der Kontrolle und Qualitats-
sicherung zugrunde liegen, soMichael
Power, sind somit mehr an Bekennt-
nisse gekoppelt als an das reale Hand-
lungsgeschehen. Aus dieser Perspek-
tive ist zu befurchten, dass sich dieser
Prozess zu einem teuren und wir-
kungslosen Ritual verselbstandigen
kann.
Zusammenfassend lasst sich festhal-
ten, dass mit der Etablierung von Qua-
litatsmanagement im Gesundheitswe-
sen ein vormals unbewegliches und
vorwiegend durch die medizinische
Profession kontrolliertes Feld in Be-
wegung gerat. Dennoch erscheinen
viele Errungenschaften auf dem Ge-
biet der Qualitatsforschung und -ent-
wicklung noch fraglich und die Ver-
mutung liegt nahe, dass mit der Ein-
fuhrung qualitatsverbessernder
Verfahren in erster Linie eine Legiti-
mation von Leistungen verfolgt wird
(Iseringhausen, 2007). Zudem ist zu
vermuten, dass die Ursachen der un-
terstellten Diskrepanz zwischen den
Anspruchen des Qualitatsmanage-
ments und der realen Versorgungs-
wirklichkeit nicht in der unzureichen-
den Umsetzung der Verbesserungser-
fahren gesucht werden mussen,
sondern in der irrigen Vorstellung,
dass in Qualitatsmanagement Pro-
grammen Qualitat im Sinne aller In-
teressengruppen – also der PatientIn-
nen, der Leistungserbringer, der Kos-
tentrager und des Staates –
gleichermaßen berucksichtigt werden
kann. Die Einfuhrung qualitatsverbes-
sernder Verfahren war also gut ge-
meint, der Nachweis, dass sie die Ver-
sorgungsqualitat auch realiter stei-
gern, steht aber noch aus.
Zielfuhrend ware es deshalb, die Qua-
litatsmanagement Programme noch
konsequenter am Nutzen aus Patien-
tInnensicht weiterzuentwickeln.
Der korrespondierende Autor erklart, dasskein Interessenkonflikt vorliegt.
http://dx.doi.org/10.1016/j.phf.2014.03.022
Dr. Olaf IseringhausenUniversitatsklinik der Ruhr-UniversitatBochumInstitut fur angewandte Telemedizin(IFAT)Herz- und Diabeteszentrum NRWGeorgstr. 1132545 Bad [email protected]
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Literatur
Cochrane AL. Effectiveness and Efficiency:. Lon-
don: Random Reflections on Health Services;
1972.Iseringhausen O. Die Qualitat der Qualitat. An-
spruch undWirklichkeit des Qualitatsmanage-
ments im Gesundheitswesen. Stuttgart: ibi-
dem-Verlag; 2007.
KPMG, 2013: Qualitat und Wirtschaftlichkeit im
deutschen Gesundheitssystem. Elin.
Power M. The Audit Society. Rituals of Veri-
fication. Oxford u.a: Oxford Univ. Press;
1997.
RuefM, ScottWR. AMultidimensionalModel of
Organizational Legitimacy: Hospital Survival
in Changing Institutional Environments. In
Administrative Science Quarterly
1998;42:877–904.
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Public Health Forum 22 Heft 83 (2014)http://journals.elsevier.de/pubhef
Einleitung
Die Entwicklung qualitatsverbessernder Verfahren im Gesundheitswesen ist zu einer von Experten verwalteten Branche
geworden. Die Anzahl von Verfahren, die die Qualitat in der ambulanten und stationaren Versorgung steigern sollen, ist
inzwischen unubersichtlich groß. Kaum jemand kann uberblicken, wer was unter Qualitat versteht, mit welchem Ziel
Qualitat gemessen werden soll und wie sie verbessert werden kann. In dem Beitrag wird danach gefragt, inwieweit mit
diesen Verfahren tatsachlich ein Patientennutzen erzielt wird.
Summary
The development of quality improvement methods in health care has become an industry managed by experts. The number
of procedures designed to increase the quality of care, has reached a confusing quantity. Hardly anyone has an overview of
what is to be understood with the phrase ‘‘quality’’, what purpose quality measurement has and how it can be improved.
This article questions the extent to which these methods can achieve actual benefits for the patient.
Schlusselworter:
Qualitatsmanagement = Quality management, Audit = audit, Versorgungsqualitat = quality of care
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