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Klaus-Dieter Block Die Reise nach Innovatien Berichte von der großen und kleinen Zukunft © Klatschmohn Verlag Bentwisch/Rostock Lektorat: Annika Schmied Layout: Anke Luckmann ISBN 978-3-941064-36-2 1. Auflage 2012 Printed in Germany Klaus-Dieter Block Die Reise nach Innovatien Berichte von der großen und kleinen Zukunft Klatschmohn Verlag

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Klaus-Dieter BlockDie Reise nach InnovatienBerichte von der großen und kleinen Zukunft© Klatschmohn Verlag Bentwisch/RostockLektorat: Annika SchmiedLayout: Anke LuckmannISBN 978-3-941064-36-21. Auflage 2012Printed in Germany

Klaus-Dieter Block

Die Reise nach InnovatienBerichte von der großen und kleinen Zukunft

Klatschmohn Verlag

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Inhalt

Zu diesem Band . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Wir dienen uns in die Zukunft! . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

Wie gehen wir mit Jubiläen um? Das Beispiel Bauhaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

Indien – Slumdog oder Millionär? . . . . . . . . . . . . . . 31

Wähl dir einen bunten Luftballon! . . . . . . . . . . . . . . 42

Wir sind das Ostvolk! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

Die Spurstangenköpfe und die Wende . . . . . . . . . . . . . 63

Wie fühlen sich Schulden an? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77

Was soll das Theater? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87

Wie stabil ist ein Regenbogen? . . . . . . . . . . . . . . . . . 98

Die Mobilität aus der Steckdose . . . . . . . . . . . . . . . . 108

Geb ich oder geb ich nicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

Im Land der Alten und Seeadler . . . . . . . . . . . . . . . . 130

»Der will doch nur spielen« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

Der Zeigefinger und der Genuss . . . . . . . . . . . . . . . . 150

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Die Reise nach InnovatienBerichte von der großen und kleinen Zukunft

Zu diesem Band

»Hoch leben die Kreativen!« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161

Viel Protestlärm um nichts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172

Noch einmal glänzt das Empire . . . . . . . . . . . . . . . . . 183

Mahlzeit! Alarm in der Küche? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193

Vom Ruf der grünen Gurke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203

Die maritime Wunderbox . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212

Das Gespenst der Verblödung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221

Die Reise nach Innovatien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230

»Topfschlagen« mit heißem Herzen . . . . . . . . . . . . . . 240

Namensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248

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Wo liegt Innovatien? Wir wissen es nicht. Es ist ein Phantasieland, in dem sich in unseren Köpfen vieles so bewegt, wie wir uns das vorstellen. Die Innova-tionen, daher hat das Land seinen Namen und das Buch seinen Titel, zum Beispiel. Oder die Dienst-leistungsbranche, die Theaterlandschaft, die Kreativ-wirtschaft und das Verkehrswesen. Das sind Felder, die in diesem Buch eine Rolle spielen. Wie ist der Stand, was sind die Probleme, wo geht es hin? »Die Reise nach Innovatien« ist kein Buch, das die Zu-kunft voraussagen will. Versuche, dies zu tun, sind in der Vergangenheit meist gescheitert, weil die bunte Wirklichkeit die Annahmen oft widerlegt oder über-holt hat. Aber es ist möglich und notwendig, die Ge-genwart zu analysieren, die Trends zu erkennen und einen Blick zu wagen, wie es weitergehen könnte. Die Essays in diesem Band bieten das an.

Nach »Wie viele Sünden gehen auf eine Kuhhaut?« (Mitteldeutscher Verlag, 2007) und »Warten auf den West-besuch« (Klatschmohn-Verlag, 2009) mit den Untertiteln »Berichte von der Zeitenwende« bzw. »Berichte aus Deutschland« geht es in der vorliegenden dritten Essay-Sammlung um »Berichte von der großen und kleinen Zukunft«.

Es sind Analysen gravierender Probleme unserer Ge-genwart, wie die Schuldenproblematik, die Kompe-tenz von Politikern, die politische Protestkultur, der Bildungszustand oder die demographische Entwick-lung im Nordosten Deutschlands. Gegenstand der Texte sind auch scheinbar alltägliche Themen wie unser Umgang mit Haus- und Nutztieren oder unse-re Koch- und Essgewohnheiten. Wir schleppen aber nicht nur die eine oder andere Sünde im Umgang mit Tieren und überflüssige Pfunde auf der Reise nach Innovatien mit, sondern auch Bilder aus der Vergan-genheit, z.B. über das Bauhaus oder das »Ostvolk«, die wir im Kopf haben, wenn wir die Zukunft gestal-ten wollen.

Essays sind oft »Nachrichten hinter den Nachrich-ten« – oder eben die Sicht auf Hintergründe. Die werden in diesen Texten, die seit 2009 im »Nordku-rier« erschienen sind, nicht nur in Deutschland, son-dern auch in Großbritannien, Südafrika oder Indien betrachtet. »Geb‘ ich oder geb‘ ich nicht?« heißt ein Text, bei dem es um die Beziehungen zwischen den Welten, speziell zwischen der 1. und 3., geht.

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Wie kommen wir nach Innovatien? Auch dafür gibt es hier kein Kursbuch oder eine konkrete Reisebe-schreibung, wohl aber Anregungen für alle, die nicht ewig in Stagnatien hocken bleiben wollen und eine »Reise nach Innovatien« planen.

Mein herzlicher Dank gilt Angelika Kleinfeldt und ihrem Klatschmohn-Team, Anke Luckmann, Annika Schmied und Nora Block für die angenehme Zusam-menarbeit und Unterstützung.

Klaus-Dieter Block

Neubrandenburg, im Juni 2012

Wir dienen uns in die Zukunft!Februar 2009

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Deutschland ist nicht nur das Land der tiefsinnigen Dichter und Denker und der oft schwermütigen Grübler und Tüftler, sondern auch der seltsamen Wi-dersprüche. Einer dieser Widersprüche besteht darin, dass, obwohl die Dienstleistungsbranche schon längst die tragende Säule unserer Wirtschaft ist, wir das Die-nen nicht lieben. Der Dienstleistung geht es ähnlich wie Aschen-puttel oder Goldmarie, die den Haushalt der jewei-ligen Stiefmütter und ihrer leiblichen faulen Töchter schmissen, den ganzen Dreck wegmachten, aber eben von ihnen ungeliebt blieben. Die Bundesrepublik Deutschland und ihre Bürger leben hauptsächlich von der Dienstleistungsbranche, dem tertiären Sektor moderner Volkswirtschaften. In ihr arbeiten mehr als 70 Prozent der Erwerbstätigen. Im primären Sektor, der Landwirtschaft, sind es etwas über zwei Prozent und im sekundären Sektor, im pro-duzierenden Gewerbe, knapp 30 Prozent. Vor 40 Jah-ren hielten sich der sekundäre und tertiäre Sektor noch fast die Waage. Und der Trend geht weiter in Richtung Dienstleistungen. In den USA sind es drei Viertel der Beschäftigten, die in diesem Sektor arbeiten. Das Servicespektrum reicht in Deutschland von Handel, Gastgewerbe und Verkehr über Finanz-, Ver-

mietungs- und Unternehmensdienstleistungen, den Bereichen Verteidigung, öffentliche Verwaltung, Ge-sundheitsfürsorge und Bildung bis zu klassischen pri-vaten Dienstleistungen wie Schuhputzer, Kofferträger oder auch Hauswirtschafterin. Mit einem Wort: Wir leben in einer Dienstleistungsgesellschaft. Trotz dieser beeindruckenden Tatsachen hat Deutsch-land den Ruf, eine »Servicewüste« zu sein. Auch von Dienstleistungsmuffeln ist mitunter die Rede. Am Fleiß liegt es nicht, wohl eher an der Mentalität und der viel-leicht zu oft gestellten Frage an sich selbst: »Worin be-steht der tiefe Sinn des Dienens?« Oder: »Für wen mach ich mich für so wenig Geld eigentlich krumm?« Verzweifelte Ermunterungen wie »Lächeln!« oder »Entwickelt mehr Lust am Dienen!« verhallen noch zu oft wie Rufe in der Wüste. Das Wort »Dienen« hat bis auf wenige Ausnahmen, wie z.B. Dienstschluss, einen Hauch von unange-nehmer Pflicht: Dienstordnung, Dienstanweisung, Dienstverpflichtung, Dienstplan … Oder hat das gestörte Verhältnis zum Dienen auch Ursachen, die sich in unserer feudalen, bürgerlichen und sozialistischen Vergangenheit finden lassen? Vor 100 Jahren war es in Adelskreisen und in gutbür-gerlichen Kreisen üblich, dass die Herrschaften eine Die-

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nerschaft hatten, inklusive Köchin, Fahrer, Gärtner, Kindermädchen, beim verarmten Landadel mitunter in Personalunion. Sinn dieser Dienste war es, seine Lebenszeit nicht mit so genannten »niederen Arbei-ten« im Haushalt zu vergeuden und sich mit Hilfe von Dienstpersonal einfach den Alltag und das Le-ben zu erleichtern. Und es gehörte zum Status, über dessen aktuellen Zustand beim monarchischen und fürstlichen Restadel wir heute in den vielen bunten Journalen nachblättern können. Das Dienerwesen verflüchtigte sich nach dem 2. Weltkrieg rasch. Im antifeudalen und antibürgerlichen Osten war das ohnehin keine Frage. Aber auch in der alten Bundesrepublik, insbesondere nach 1968, wurde das » Dienen« vielfach suspekt, zumal es in Wirtschafts-wunderzeiten lukrativere handfeste Jobs gab. Auch die aufkommende Losung »Selbst ist der Mann!«, der sich zunehmend mehr Frauen anschlossen, und die Selbst-verwirklichung als Heimwerker oder Gärtner auf der Basis der üppigen Angebote des Baumarkts vom Klein-traktor bis zum Laub- oder Kiefernadelsauger trug zum Dienstleistungswertewandel bei. Überlebt hat der stumme Diener, ein Möbelstück, das sich zum Feierabend klaglos die Garderobe des staubigen Alltages aufbürden lässt.

Sind wir alles Stiefmütter, die zu sehr auf ihre leiblichen Kindern fixiert sind? Nach Meinung von Hemjö Klein, dem ehemaligen Vorstandsmitglied bei Bundesbahn und Lufthansa, müssen die Deutschen eine mentale Fehlorientierung korrigieren, eine Mentalitätslücke überwinden: »Was nicht Güterproduktion ist, gilt als minderwertig: Ich kann es nicht greifen, ich kann es nicht lagern, ich kann es nicht packen – also kann es nichts Ordentliches sein.« Dazu passt die schöne Definition von Dienst-leistung, die die englische Wochenzeitung »Economist« einmal gegeben hat: »Das ist alles, was einem nicht auf die Füße fallen kann.« Zitiert wird dieser schöne Satz von Wolf Lotter, dem Essayisten des Wirtschaftsmagazins »brand eins«, das sich seit langem und immer wieder für die Dienstleis-tungsbranche einsetzt. Das ist auch dringend notwen-dig, denn das Problem mit dem Dienen ist nicht nur mentaler Natur, sondern treibt uns zu oft die Ärger-falten ins Gesicht und führt zu volkswirtschaftlichen Verlusten. Und fällt uns im übertragenen Sinn doch auf die Füße und geht uns auf den Geist. Über Teile des tertiären Sektors fegt in regelmäßigen Abständen ein Wüstensturm der Empörung. Zuletzt im Frühherbst 2008 bei dem Versuch der Deutschen

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Bahn, ein Serviceentgelt in Höhe von 2,50 Euro für diejenigen zu erheben, die eine Fahrkarte am Schalter kaufen. Solche und ähnliche Aktionen führen offenbar dazu, dass die Bahn auf der Dienstleistungsmuffelliste in den Top Ten zu finden ist. Aber sie ist nicht allein. Das Institut für Demoskopie Allensbach hat Anfang 2008 eine Befragung in Firmen und Branchen durch-geführt, in denen die Kunden den Service als besonders schlecht einstuften. Bei der Deutschen Telekom sahen das 58 Prozent der Befragten, bei der Deutschen Bahn 53 und bei der Post 40 Prozent. Jeder vierte Handwer-ker bietet einen besonders schlechten Service an; bei den Restaurants ist es jedes zehnte. »Stopp« rufen Leute, die nicht in den Chor der Dienstleistungskritiker einstimmen wollen. Es gibt mehr Serviceoasen als wir auf den ersten Blick ausma-chen. Zum Beispiel das echte Bemühen von Versand-häusern, Krankenkassen, Logistikunternehmen und Energieversorgern. Aus dem Wettbewerb »Deutschlands kundenorientier-tester Dienstleister 2008« ging das größte Versandhaus Deutschlands, die Firma »Quelle«, als Sieger hervor! Eine Überzeugung des Hauses lautet: Es ist weitaus teurer, einen neuen Kunden zu gewinnen, als einen bestehen-den zu halten. Und so sorgt ein umfassendes System

zur Kundenkommunikation dafür, dass mehr als 80 Prozent der Kunden meinen, »Quelle« belohne treue Kunden. Auch so mancher Weltenbummler freut sich, wenn er nach langer Abwesenheit wieder in der Heimat ist, z.B. eine Platzkarte kauft und sich dann in der Regel auch auf den Platz setzen kann. Es hat sich eine neue Form des Dienens entwickelt, auch im Osten, oft in Ermangelung anderer beruf-licher Perspektiven. Nur dass die »Putzfrau« nicht mehr »Putzfrau« sondern Wirtschafterin heißt, oder das Kindermädchen Babysitter. Ob der klassische But-ler oder Diener, wie ihn Theo Lingen, Hans Moser, Klaus Kinski in vielen Filmen oder auch James alias Freddie Frinton in »Dinner for One« verkörpern, wie-der auferstehen wird, ist allerdings fraglich. Darum geht es allerdings ebenso wenig in erster Li-nie wie um die notwendige Freundlichkeit gegenüber dem »König Kunden« – gespielt oder besser gefühlt. Es geht um die Qualität der Dienstleistung. »Meine Hand für mein Produkt« muss auch für die immateri-elle Leistung gelten. Und die unterschiedliche Qualität muss wie beim »Betten ausschütteln« aus Frau Holles Fenster spürbar unterschiedliche Preise bringen. Siehe Goldmarie und Pechmarie.

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Was für materielle Leistungen selbstverständlich ist, beim Auto setzen wir beim Kauf Qualität und Ver-lässlichkeit voraus und haben Vertrauen, gilt nicht bei allen Dienstleistungen. Jüngst erlebt bei Finanzdienst-leistungen, aber auch im Servicealltag. Zum Beispiel beim Einholen einer telefonischen Auskunft, an dessen Ende man das Musikstück mitsingen kann, oder auch beim Warten auf einen Brief, den man vor x-Wochen an ein Ministerium geschickt hat. Schließlich geht es um noch mehr: Die Welt der Dienstleistungen erlebt am Anfang des neuen Jahrhun-derts einen revolutionären Wandel, den bereits Anfang der 1970er Jahre der US-Amerikaner David Bell mit dem Aufkommen eines »Quartären Sektors« beschrieb. Hier werden Daten und Informationen zu Wissen ver-edelt. Wolf Lotter beschrieb bereits vor sieben Jahren in seinem Artikel »Alles ist möglich« (brand eins 03/2002) die absehbare Entwicklung: Die von der Produkti-onsrevolution ausgelöste Warenlawine und ihre Be-herrschung verstopft unseren Alltag und damit unser Leben. Der Zweit-, Dritt-, Viertwagen, Fernseher in allen Zimmern, Stereoanlagen und Computer … Um all das zu beherrschen, braucht es Wissen, Fähigkeiten und vor allem Lebenszeit. Abgesehen vom Status oder von der Lust am sportlichen Fahren geht es letztlich

nicht um den Gebrauch der Dinge selbst, sondern dar-um zeit-, kosten und umweltfreundlich von A nach B zu kommen. So reizvoll es ist, sich Bahn-, Flug- und Busverbindungen im Internet selbst zusammenzustel-len (der Baumarkt lässt grüßen!), Zeit und 25 Mouse-Klicks müssen investiert werden. In Zukunft werden es ein bis zwei sein, dank kluger Lösungen aus dem »Quartären Sektor«, der zukunftsträchtigen Tochter der Dienstleistungsbranche. Die Mehrzahl ihrer angebotenen Lösungen ist für die Kunden weitgehend kostenlos, auch weil hier ein altes Kundenbindungssystem, das »Lock-in«, das »Einschließen der Kunden«, in modifizierter Form zur Anwendung kommt. Legendär ist der Schachzug von John D. Rockefeller vor 70 Jahren, als er in China Petroleumlampen verschenkte, die natürlich nur mit dem von ihm verkauften Petroleum funktionierten.Wir kennen das System bei billigen Rasierapparaten und überteuerten Rasierklingen, bei Kaffeemaschinen, Staubsaugern und den dazugehörigen Tüten. Heute ist es bei Computersystemen das so genannte »up-gra-ding«, das intelligente und kostenpflichtige Aufrüsten der Software. Aber der »Speck« soll auch auf andere Weise »Mäuse« fangen oder bringen. Auf den Seiten der Web-Provider, also den Diensten, mit denen man

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Wie gehen wir mit Jubiläen um?Das Beispiel Bauhaus

März 2009

in erster Linie Mails versenden kann, finden sich ne-ben den neuesten Nachrichten Angebote für Reisen, Konzerttickets, für Waren aller Art, für Diäten und Partnerschaftvermittlungen. »Möglichst viel aus einer Hand«, heißt die Dienstleistungsstrategie. Nicht mög-lichst viele Kunden für ein oder zwei Produkte, son-dern die Devise lautet, möglichst viel aus den einzel-nen Kunden und ihren Bedürfnissen herauszuholen. Auch wenn es auf Seiten des Dienstleistungskunden in Zukunft noch mehr heißt »Holzauge sei wachsam«, so wird sich die künftige Wahrnehmung und Wirkung von Dienstleistungen wandeln. Dabei ist ein Schuss zusätzliche Freundlichkeit mehr als das Salz in der Sup-pe der Dienstleistungsgesellschaft. Summa summarum: Die Dienstleistung wird ihr Stiefkind-Stigma allmählich verlieren und sie wird in ihrem Ruf und in der Tat dorthin kommen, wo sie hingehört. Märchenhaft! Und es geht ihr letztlich wie Aschenputtel und Goldmarie, die zum Schluss auch ganz groß rausgekommen sind.

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Am 11. April 1919 unterschrieb der Architekt Walter Gropius (1883-1969) in Weimar seinen Anstellungs-vertrag als Leiter der »Hochschule für bildende Kunst einschließlich der ehemaligen Kunstgewerbeschule.« Die Umbenennung dieser beiden Schulen in »Staatli-ches Bauhaus in Weimar« wurde am 12. April 1919 juristisch fixiert. 90 Jahre ist ein beachtliches Alter, aber eigentlich kein klassisches Jubiläum, kein »annus jubilaeus«, das ursprünglich an die 25, 50 oder 100 geknüpft war. Und dennoch reiht sich die 90-jährige Wiederkehr der Gründung des Bauhauses in die dichte Kette von Jubi-läen im Jahre 2009. Das sind u.a. die 2.000-jährige Wiederkehr der Va-rus-Schlacht im Teutoburger Wald, 750 Jahre Wen-disches Quartier, das als Ursprung und Kern der le-gendären Städtehanse gilt, der 250. Geburtstag von Friedrich Schiller, der 200. von Felix Mendelssohn Bartholdy oder der 250-jährige Todestag von Georg Friedrich Händel. Zu den »unrunden« Gedenktagen in diesem Jahr zählen aufgrund ihrer zeitgeschichtlichen Nähe und Brisanz der 95. bzw. 70. Jahrestag des Be-ginns des 1. und 2. Weltkrieges, die jeweils 60. Wieder-kehr der Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der DDR und schließlich der 20. Jahrestag des

Falls der Mauer, alles prägnante Daten des deutschen 20. Jahrhunderts. Warum gedenken wir? Nicht nur an Gedenktagen, sondern auch mit Hilfe von über einer Million Denk-mälern in Deutschland in Form von Einzeldenkmä-lern, städtebaulichen Ensembles und Quartieren. Neben dem ehrenden Gedenken und der Mahnung oder der einfachen Tatsache, dass mitunter nur das historische Interesse befriedigt wird, brauchen wir An-regungen für unser individuelles und kollektives Ge-dächtnis, das bekanntlich beim »Denken an …« nicht nur Freude oder Trauer auslöst, sondern uns auch als Kompass in der Gegenwart dient und Impulse für die Zukunftsgestaltung liefert. Wo kommen wir her, wie hängt was zusammen, wie wirkt es bis heute? Und schließlich: Wann steht unser historisches kollektives Urteil über bestimmte Ereignisse mehrheitlich fest? Der Umgang mit Jubiläen ist nicht ungefährlich. Das 20. Jahrhundert war auch eine Zeit des ideologischen Gedenkmissbrauchs, sei es zum Zwecke der Vorbereitung auf aggressive Ziele zu Kaisers und Hitlers Zeiten, sei es um den Aufbau des Sozialismus im Osten zu forcieren oder um das Rad der Geschichte bei Landsmannschafts-treffen im Westen, wenn schon nicht in der Wirklichkeit, so wenigsten doch im Kopf zurückzudrehen.

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Jubiläen und Geschichtsklitterung gingen oft einher. Und wir sind bis heute nicht vor dieser unseligen Paa-rung gefeit. Daneben gibt es die unermüdlichen Aktivitäten der Gedenkindustrie, mit T-Shirts, Tüchern, Taschen und abgewandelten Mozartkugeln Geschäfte zu machen. Tückischer sind diverse Formen einer Gedenkinflati-on, die auch mit einem alten Spruch zu tun haben: »Das Gedächtnis ist eine gute Tasche, aber sie reißt, wenn man zu viel in sie hineinstopft.« Diese Inflation, aber auch die Art und Weise des Gedenkens bewegt den einen oder anderen dazu, ab-zuschalten. »Nein, nicht schon wieder Händelpralinen oder verbale Mauerstückchen!« Letztere liegen uns schon jetzt schwer im Magen, wie die gegenwärtige, bereits heftige Hamsterraddiskussion zum Thema »Wie war die DDR wirklich?« zeigt – mehr als ein halbes Jahr vor dem Jubiläum im November. Ein Frühlingsthema, auch weil es mit Aufbruch und mit Aufblühen zu tun hat, ist der 90. Jahrestag des Bau-hauses. Wenige Monate nach Ende des 1. Weltkrieges begann in der Stadt von Goethe und Schiller ein nur vierzehnjähriges Kapitel deutscher Kunst-, Ideen- und Baugeschichte mit Jahrhundert- und Weltwirkung. Nach Weimar gab es ab Frühjahr 1925 im anhaltinischen

Dessau den zweiten Lebensabschnitt des Bauhauses. Drei Jahre später übergab Walter Gropius den Direk-torenposten an den Schweizer Hannes Meyer. Mies van der Rohe, der auch in der Nachkriegsarchitektur, u.a. in den USA oder mit der Neuen Nationalgalerie in Berlin (1968) Akzente setzte, übernahm die Schule 1930, zog mit ihr 1932 nach Berlin-Steglitz um, wo sie nur noch bis 1933 existierte. Dreimal ist das Bauhaus durch die Reaktion vertrieben worden. Es war von Anfang an ein Dorn im Auge des national-konservativen Bürgertums in Weimar, später der Nationalsozialisten in Dessau, die hier bereits 1932 dominierten, und schließlich besiegel-ten die Nazis 1933 das endgültige Aus in Berlin. 90 Jahre nach seiner Gründung werden seine Leistun-gen und seine nachhaltigen Wirkungen in den höchs-ten Tönen gelobt. Von einem bis heute nachwirkenden Wunder ist die Rede, das Impulse für ein ganzes Jahr-hundert gegeben hat. Das Bauhaus wird als Labor der zukunftsträchtigen Produktgestaltung und als eine epo-chale weltweite ästhetische Umwälzung charakterisiert. Ebenso ungewöhnlich für ein »nur« 90-jähriges Jubiläum sind die Veranstaltungen und Ausstellungen nicht nur an den Wirkungsstätten des Bauhauses in Weimar, Dessau und Berlin, sondern auch in Japan und im Herbst 2009 im Museum of Modern Arts (MOMA) in New York.

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Was ist damals passiert? Was sind die Ursachen für solch zum Teil euphorische Bewertungen, denen mitunter auch der Verdacht einer Mystifizierung und Verklärung anhaftet? Es scheint wohl in erster Linie die konstruktive Ra-dikalität der Bewegung zu sein, die sich nicht wie bei allen früheren Stilen erst allmählich durchsetzte oder die sich bewusst nicht der Gestaltungsformen der Bau- und Designgeschichte, wie bei der Neogotik oder der Neorenaissance im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, eklektizistisch bediente. Im so genannten Funktionalismus, in der Neuen Sachlichkeit, wurde alles Schnörkelige, die schmücken-de Inhaltsleere vermieden und die Gestaltung auf das Funktionelle reduziert. »Schön ist, was gut funktio-niert« war einer der Leitsprüche des Bauhauses, der von Wohnsiedlungen über Gebäude, Möbel bis zu Lampen und Türklinken praktisch umgesetzt wurde. Dieser radikale Stilwechsel ging einher mit bemer-kenswerten inhaltlichen Zielen und Prozessen, die wenige Monate nach den Weltkriegsschrecken nach einer »Neuen Welt« strebten, die auf die Erneue-rung menschlicher Existenz- und Kreativitätsformen und auf die Suche nach neuen geistigen und sozialen Grundlagen gerichtet waren. Neben neuen Formen

und Inhalten waren es schließlich außergewöhnliche Methoden, mit denen sie umgesetzt wurden. Es war ein »großer kunstpädagogischer Entwurf« mit einer Neubestimmung der Rolle des Teams, der Arbeitsge-meinschaft, mit neuen Lehr- und Lernmethoden. Alle Künste von der Architektur, über die Malerei, das De-sign bis zur Bühnenkunst und Fotografie flossen in den Bauhausjahren widersprüchlich und sich gegenseitig befruchtend ineinander. Ergebnis war die Aufhebung der starren Grenzen von Bildender, Darstellender und Angewandter Kunst. Die bewusste Ersetzung der Be-griffe Professor und Student durch Form- bzw. Hand-werksmeister und Schüler symbolisierte die Idee der gegenseitigen Inspiration von Lehrern und Lernenden. Angestrebt wurde ein neues Verhältnis von Kunst und Handwerk und schließlich von Kunst und Industrie. Es ist oft die Idee oder ein Ideengebäude, das äußere Formen auch für die Nachwelt so anziehend macht. Walter Gropius, selbst Weltkriegserfahren, setzte an den Beginn der Bauhausära ein Manifest, das einen Neubeginn begründen sollte. Ziel sollte der »Bau der Zukunft als Gesamtkunstwerk« sein. Diese Vision zog im Laufe der Jahre nicht nur Avantgardisten aus Deutschland, wie Oskar Schlemmer, Johannes Itten oder Josef Albers an, sondern auch ausländische Künst-

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ler, wie den Russen Wassily Kandinsky, den Schweizer Paul Klee, den US-Amerikaner Lyonel Feininger oder den Ungarn László Moholy-Nagy. Punktum: Am Bau-haus traf sich die Avantgarde der Klassischen Moderne auf allen Gebieten der freien und angewandten Kunst, die bis heute den Maßstab in Architektur und Design bestimmt. Daran ändern weder die zwischenzeitlichen Kritiken am so genannten Bauhausstil als zu kalt, zu seelenlos oder zu puristisch etwas, noch die Gegenentwürfe von Vertretern der Postmoderne ab den 1980er Jahren. Sie setzten dem Leitspruch Mies van der Rohes »Weniger ist mehr« ihre Losung »Weniger ist langweilig« entge-gen und führten wieder »moderne Schnörkel« in die Architektur ein. Die angeblich direkte Linie zwischen den Bauhaus-ideen in den 1920er Jahren und dem »industriellen Wohnungsbau« 40 Jahre später, wie er sich in den Sa-tellitenstädten des Westens oder in den Neubaugebie-ten, in der »Platte« des Ostens niederschlug, ist nach wie vor umstritten. Die aktuelle Faszination für die Leistungen des Bau-hauses unmittelbar nach der Weltkriegskatastrophe, inmitten der Inflation in den frühen 1920er Jahren und schließlich während der Weltwirtschaftskrise ab

1929 hängen sicher auch mit den gegenwärtigen kri-senhaften und düsteren Zeiten zusammen, in denen es an machbaren wirtschaftlichen, sozialen und kul-turellen Visionen und Zukunftsorientierungen man-gelt. Seit dem 1. März 2009 ist Philipp Oswalt der neue Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau. Bekannt ge-worden ist Oswalt u.a. als vehementer Gegner des ori-ginalgetreuen Wiederaufbaus des Berliner Schlosses. Er formulierte in einem »Spiegel«-Interview kurz vor seiner Amtseinführung den Satz: »Die Deutschen ha-ben komischerweise nicht die Tendenz, eine andere Zukunft schaffen zu wollen, was der Einstellung der klassischen Avantgarde entsprechen würde – sie wol-len sich eine andere Vergangenheit entwerfen.« Das ist eine Aussage, die offensichtlich nicht nur für die Architektur zutrifft. Gleichzeitig setzt sich Oswalt für seine künftige Arbeit selbst einen hohen Maßstab. Denn es reicht offensichtlich nicht aus, lediglich von den Impulsen zu leben, die vor 90 oder 80 Jahren gegeben wurden. In einer Studie im Auftrag der Bundesregierung wird kritisiert, dass die heutigen Wirkungsstätten in den Räumen des legendären Bauhauses zu provinziell ge-worden sind.

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Natürlich ist es fraglich, ob man geniale Leistungen, wie sie z.B. Walter Gropius lieferte, oder historische Glücksfalle, wie sie das Bauhaus aus einer Melange von gesellschaftlichen Erfordernissen, Gemeinschaftsgeist, Zeitpunkt und Zusammenfinden von avantgardisti-schen Ideen und Personen hervorbrachte, »nachbauen« kann. Aber man könnte es mit neuen Ideen auf zeitgenös-sischen Wegen probieren. Solch ein Versuch ist eigent-lich das Beste, was uns mit einem Jubiläum passieren kann.

Indien – Slumdog oder Millionär?Mai 2009