Die Rolle von Massenmedien und Schule auf das kindliche ......Kinder bekamen Essen mit und ohne...

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Universität Hamburg Institut für Recht der Wirtschaft Die Rolle von Massenmedien und Schule auf das kindliche Ernährungsverhalten 2. Deutscher Zuckerreduktionsgipfel PD Dr. Tobias Effertz, Universität Hamburg 17.Oktober 2018, Berlin

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    Die Rolle von Massenmedien und Schule auf das kindliche

    Ernährungsverhalten

    2. Deutscher ZuckerreduktionsgipfelPD Dr. Tobias Effertz, Universität Hamburg

    17.Oktober 2018, Berlin

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    Agenda

    • Problem Kindermarketing: Kinder als Zielgruppe des Lebensmittelmarketings

    • Massenmedien und Kindermarketing Internet Fernsehen

    • Marketing in kindlichen Lebenswelten Der Einfluss von Lebensmittelmarken auf den Geschmack Die Rolle des Umfelds am Beispiel Schule

    • Was ist zu tun ? Rechtspolitische Empfehlungen

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    Kinder als Zielgruppe der Lebensmittelindustrie • Die Idee des Kindermarketings• Gründe:

    • Kinder haben ein bedeutendes eigenes finanzielles Potenzial• Kinder beeinflussen die Käufe ihrer Eltern• Kinder sind die Kunden von morgen

    • Zahlen für Deutschland:• Das verfügbare finanzielle Potenzial der 4-13-jährigen liegt bei ca. 3,31 Mrd. € pro

    Jahr (7,3 Mio. Kinder 2017; Kinder-Medien Studie + eigene Berechnungen). • Das Beeinflussungspotenzial liegt bei ca. 70 Mrd. € (2013; EVS+ eigene

    Berechnungen)• Zahlreiche empirische Untersuchungen Erwachsener und Kinder, die Produkt-

    /Markenbindung belegen. Es gilt: Je früher, desto stärker.

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    Kinder sind leicht zu beeinflussen

    • Emotionale Kontrolle -> emotionale Ansprache• Mangelnde Erfahrung -> größere Fehler in Nahrungsauswahl• Impulsivität -> Überreaktionen auf „cues“• „instabile Präferenzen“ -> Branding und Bonding

    • Wirksamkeit von Lebensmittelmarketing insb. Werbung: Steigerung des spontanen Konsumwunsches Veränderung des Ernährungswissens Langfristige stabile Präferenzen für ungesunde Lebensmittel

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    Kindermarketing im Internet• Internet ist aktives Medium• Möglichkeit von Internetapps zur Ernährungsbeeinflussung• AOK-Studie zum Kindermarketing für Lebensmittel im Internet (Effertz 2017):

    o Analyse der aktuellen IST-Situation (Stand November/Dezember 2016)o Statistische Untersuchung von Unterschieden im Marketing zwischen

    „ungesunden“ und „gesunden“ Lebensmitteln Lebensmitteln von Unternehmen mit EU-Pledge-Verpflichtung und ohne Lebensmittelproduktgruppen Lebensmitteln und Spielwarenmarketing

    o Längsschnittuntersuchung mittels Ausnutzung älterer Datenerhebungeno Typologisierung von Webseiten und deren Beurteilung o Hochrechnung des Ausmaßes von Lebensmittelkindermarketing im Internet

    • Untersucht wurde die Internetpräsenz der 301 wichtigsten Lebensmittel in Deutschland

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    Kindermarketing im Internet II

    • 182 von 301 Webseiten (60,54%) beinhalteten klassisches Kindermarketing • 2.777 bis 7.893 Internet-Werbe-Impressions pro Kind im Jahr.• Weitere wichtige Befunde:

    Ungesunde „Non-core“ Lebensmittel werden häufiger mit Kindermarketing beworben als gesunde „Core“ Lebensmittel

    Es gibt - obwohl man dies erwarten sollte – kein signifikant geringeres Ausmaß an Kindermarketing bei Produkten von EU-Pledge Mitgliedern (vs. Produkten von Nicht-EU-Pledge-Mitgliedern)

    Nahezu gleiches Ausmaß bei Nutzung von Kindermarketing für Spielzeug und Lebensmitteln => Lebensmittel werden gezielt an Kinder vermarktet

    Kombinierte Typen aus „klassischem Kindermarketing“ mit Gesundheitsbetonung, Social-Media-Einbindung, kombinierter Eltern-Kind-Ansprache (inklusive Verantwortungs-PR) und Advercation

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    Die Probleme des Kindermarketings im Jahr 2018 im Internet

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    Inaugenscheinnahme der 30 Webseiten mit dem vormals meisten Kindermarketing zeigt nach wie vor hohes Ausmaß an Kinderansprache.

    Vorrangiges Ziel: Zeit mit Marke/Produkt erhöhen; Verstärktes Ausmaß an Auseinandersetzung mit Produkten

    Problem für die nahe Zukunft: das Smartphone (17% 6-Jährige; 92% 13-Jährige ; Kinder Medien Studie)

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    Kindermarketing für ungesunde Lebensmittel im Fernsehen I• Empirische Untersuchungen zum Kindermarketing im Fernsehen

    Datenbasis UHH-TV-ADBASE: 40.676 Werbespots von 2007/2008 bis 2016 (in 3-Jahres-Intervallen) in von Kindern besonders präferierten Sendern

    Anzahl der Lebensmittelwerbungen pro Stunde auf Pro7 und Nickelodeono 2007/2008 = 5,08 -> 2016 = 5,41

    • Analyse von Effertz & Wilcke (2012) zeigte im Vergleich 2007/2008 bis 2010, dass Kinder in hohem Umfang mit Lebensmittelwerbung konfrontiert werden (ca.

    12.000 bis 19.000 Werbspots pro Jahr; davon ca. 20% für Lebensmittel). EU-Pledge nicht wirksam: An Kinder gerichtete Werbung nach wie vor präsent. Werbung für Lebensmittel und Spielzeug ähnlich = es werden ähnliche Stilmittel

    zu Peakviewing-Zeiten in ähnlichem Umfang genutzt.

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    Kindermarketing für ungesunde Lebensmittel im Fernsehen II• Wahrscheinlichkeit des Kindermarketings (Promotional Characters,

    Premiums, Peakviewing-Time) auf dem Fernsehsender Pro7 :

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    2007 2010 2013 2016

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    PD Dr. Tobias Effertz

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    Kindermarketing für ungesunde Lebensmittel im Fernsehen III• Wahrscheinlichkeit des Kindermarketings (Promotional Characters,

    Premiums, Peakviewingtime) auf dem Fernsehsender SuperRTL:

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    2007 2013 2016

    No Pledge Pledge

    PD Dr. Tobias Effertz

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    Marken und Geschmacksbildung

    • Studien zeigen eine direkte Beeinflussung des Geschmacks von Lebensmitteln durch Marken

    • Das wahrscheinlich berühmteste Experiment (McClure 1994): Pepsi versus Coca-Cola ; Blindversuch versus ouverte Marken Pepsi > Coca-Cola im Blindversuch ; Coca-Cola > Pepsi bei ouverten

    Marken

    • Möhren und McDonalds (Robinson et al. 2007) Kinder bekamen Essen mit und ohne McDonalds Logo auf Verpackung

    • Markeneinfluss und verzehrte Menge (Keller et al. 2012) Bei adipösen Kindern Bei gesunden Lebensmitteln

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    Geschmack durch Markenimage• Untersuchung: Einflussstärke von Marken, Werbeclaims und Geschmackstextur auf

    Geschmackserlebnis (Effertz et al. Psychology & Marketing 2019 forthcoming)

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    Geschmacksmanipulation durch Markenimage II• Deutlich positiver Effekt der bekannten „globalen“ Marke auf

    Geschmackserlebnis

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    Geschmacksmanipulation durch Markenimage III• Warnhinweis bewirkt bei etablierten und ggf. problematischen Produkten einen positiven Effekt auf

    das Geschmackserlebnis• Heterogene Effekte je nach Komposition von Werbung, Produkt und Marke• Unternehmen haben die Möglichkeit negative Effekte durch geeignete Zusatzclaims zu nivellieren.• Salzigeres Produkt wurde besser bewertet, am besten bei globaler etablierter Marke

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    Warnhinweise funktionieren anders als intendiert

    • Ausschlaggebend ist das Zusammenwirken aller Faktoren eines Produktes• Bereits aus früheren Studien bekannt: Einfluss emotionaler Framings auf Bewertung

    des Produktes• Kongruentes Erleben von Warnhinweis-Information und Emotion

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    Kindliche Lebenswelt Schule • Nach Elternhaus ist Schule der zweitwichtigste Ort an dem Kinder Zeit

    verbringen.• Schul- und Schulumfeld (Peers, Lehrer, Schulkonzept / -system) wichtiger

    Umwelteinfluss auf kindliches Verhalten• Kindermarketing an der Schule möglich durch

    Promotion (Werbung, Sponsoring) Placement (Schulessen, Kantine) Produkt (Bundling und Kooperationen zw. Schule und Unternehmen) Preis (z.B. durch Schülerrabatte)

    • Mögliches Problem Marketing erfolgt in einem für Kinder bedeutenden sozialen Netzwerk, dem sie sich nicht

    entziehen können (captive audience). Korrumpierender Effekt ggü. nichteffektiven und –effizienten Schulmaßnahmen f. gesundes

    Ernährungsverhalten. Anmerkung: Bisherige Schulmaßnahmen zeigen nur geringen Effekt der positiven

    Beeinflussung des Ernährungsverhaltens

    • Beispiele: Schulmaterialien, (Lese-)wettbewerbe, Sportveranstaltungen

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    Kindliche Lebenswelt Schule II• Aktuelle Studie (noch im Feld): Über 8000 Schulleiter wurden zu

    Lebensmittelmarketing an ihren Schulen befragt. 700 Schulen haben bislang geantwortet.

    • Abgefragt wurde Ausmaß an Sponsoring, Werbung und weiteren Marketingmaßnahmen

    • Als erste Befunde lassen sich festhalten: 44% der Schulen nutzen Sponsoring durch Unternehmen; von Sponsoren 14% Lebensmittelunternehmen Im wesentlichen direkte finanzielle Gründe: Finanzsituation verbessern (22%), Unterrichtsmaterialien

    beschaffen (33%), spezifische Events finanzieren (33%) Gesponserte (selbstveranstaltete / außerhäusige) Wettbewerbe in 54% der Schulen, davon ebenfalls 15%

    durch Lebensmittelunternehmen Sponsoring ist kein Hintergrundgeschehen, sondern präsent (Plakate, Bandenhinweise etc., Flyer 33%).

    „Gesponserte Schulmaterial“ 14%. Schulessen als Marketinginstrument – drei Schultypen

    o Ungesundes Essen ja/neino Ausgewogenes Essen ja/neino Frühstücksangebot ja/nein

    Ca. 30% mit mögl. problematischem Angebot (Softdrinks, Süßwaren)• To be continued…

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    Fazit

    • Hohes Ausmaß an Kindermarketing ungesunder Lebensmittel auch im Jahr 2018 in Massenmedien

    • Zum jetzigen Zeitpunkt: Potenzielle Erstreckung des Kindermarketings auch auf den Schulbereich

    • Bis jetzt ist kein zufriedenstellender Präventionsansatz / gesetzliche Regulierung vorhanden – ein rein auf Informationsvermittlung ruhendes Konzept ist deutlich zu wenig

    • Probleme mit Kindermarketing für die nahe Zukunft Internet und Mobile Marketing Schule als mögliches Einfallstor für Marketing

    • Verbot und Einschränkung des direkt an Kinder gerichteten Marketings – Re-Fokussierung auf Ansprache der Eltern

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    Was ist zu tun ? Rechtspolitische Empfehlung

    • Verbot von an Kinder gerichteter Werbung für ungesunde Lebensmittel

    • Lebensmittelwerbung darf nur an Erwachsene / Eltern gerichtet sein.

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    Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. August 2011 (BGBl. I S.1770)Nach § 12 wird folgender neuer §12a eingeführt:"§12a Verbot von auf Kinder gerichteter Lebensmittelwerbung (1) Es ist verboten, im Verkehr mit Lebensmitteln oder in der Werbung für Lebensmittel allgemein oder im Einzelfall Bezeichnungen, Angaben, Aufmachungen, Darstellungen oder sonstige Aussagen zu verwenden, die ihrer Art nach dazu besonders geeignet sind, Kinder zum Verbrauch der beworbenen Lebensmittel zu bewegen. Hiervon ausgenommen sind Bezeichnungen, Angaben, Aufmachungen und Darstellungen auf der Verkaufsverpackung des Lebensmittels.(2) Vom Werbeverbot ausgenommen sind Lebensmittel gemäß Anlage 2 laufende Nummer 10 und 11 UStG.(3) Von einer besonderen Geeignetheit im Sinne des Absatzes 1 ist insbesondere dann auszugehen, wenn mindestens 15% der Fernsehwerbung, Rundfunkwerbung, Internetwerbung, Werbung in Druckerzeugnissen, Werbefilmen und Werbeprogrammen im Rahmen öffentlicher Filmveranstaltungen und Plakataußenwerbung ausgesetzten Personen Kinder sind."

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    • Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit !!!

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