Die sensomotorische Lernschrittfolge und unterrichtsim ... · „Sensorische Integration“ und...

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Praxisteil

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1. VorbemerkungenDie vorliegenden Übungen und Spiele richten sich inhaltlich nach folgen-den Orientierungspunkten. Sie sollen u.a.

• in unterschiedlichen Settings leicht anwendbar und unmittelbar umsetz-bar sein, d.h. nur geringe organisatorische Vorarbeiten erfordern,

• sich an der individuellen Entwicklung orientieren,

• dem kindlichen Bedürfnis nach Bewegungslust entgegenkommen,

• vielfältige sinnliche Erlebnisse zulassen,

• erweiterbar und veränderbar sein,

• Sprache und Stimme in hohem Maße berücksichtigen,

• möglichst untereinander kombinierbar sein und

• sich an der Lebens- und Alltagswelt orientieren.

Üben wird hier nicht als mechanischer, inhaltsloser Vorgang verstanden,sondern im Sinne eines wiederholten spielerischen Praktizierens von Be-wegungsfertigkeiten- und stimmlich-sprachlichen Ausdrucksqualitäten. Jemehr Kinder „üben“, sich selbst zu erleben, umso mehr wird ihre Reflexi-onsfähigkeit gefördert. Dabei wird auch ein bedeutsamer sozialer Aspektangesprochen, d.h., „Ich nehme mich in meinem Handeln wahr und achtedarauf, was ich tue, wo ich mich befinde, wo der andere steht und womeine und seine Grenzen und Möglichkeiten sind...“.

Die Spiele und Übungen richten sich in erster Linie an Vor- und Grund-schulkindern. In diesem Alter kann der Spiel- und Bewegungsdrang beson-ders gut für die Initiierung von Lernprozessen im kognitiven, emotionalen,motorischen sowie sozialen Bereich genutzt werden. Um flexibel mit denAnregungen umgehen zu können, wurde auf die Einbettung in Rahmenge-schichten verzichtet, dem interessierten und kreativen Leser steht jederzeitdie Möglichkeit offen, phantasievolle Rahmengeschichten zu kreieren (vgl.BEUDELS et a. 1996).

Die Funktionseinheit von Atem-Stimme-Sprache und Bewegung steht da-bei im Sinne des Themas im Mittelpunkt. Je nach Schwerpunkt bedeutetdies:

Förderung des Körperbewusstseins

• Körperwahrnehmung

• Entwicklung von Vorstellungen über den eigenen Körper

• Planen von Bewegungen

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Förderung der Strukturierung von Raum und Zeit• Wahrnehmung des Körpers im Raum

• des Bewegungsrhythmus

• Fremd- und Eigenrhythmus

• Aufbau von Planungsfähigkeit und Handlungskompetenz

Förderung der Körperkoordination• Wahrnehmung von Grundbewegungen

• Wahrnehmung von Muskelspannung- und Entspannung

• Entwicklung von Bewegungen und Erweiterung des Bewegungsreper-toires

• Wahrnehmung körpereigener Instrumente wie Klatschen, Schnalzenusw.

• Gleichgewicht im übertragenen wie im wörtlichen Sinne...

Förderung der auditiven und visuellen Wahrnehmung• Entwicklung der Fähigkeit zur phonematischen Differenzierung über

Töne Geräusche, Klänge

• Unterscheidung und Imitation von Sprachelementen

Förderung der Sozialerfahrung und Kommunikation und Aufbau vonGruppenfähigkeit• Erleben in Selbst- und Fremdwahrnehmung,

• Ausdruck von Gefühlsqualitäten wie Wut, Trauer, Freude, Angst

• Bewusstwerdung und zum Ausdruck bringen eigener Bedürfnisse undFähigkeiten

Förderung der Sprache, des Sprechens und des stimmlichen Aus-drucks• Aneignung unterschiedlicher nonverbaler und verbaler Ausdrucksmög-

lichkeiten

• spontaner, spielerischer, experimenteller Umgang mit der eigenenStimme

• Sprech- und Singstimme in differenzierten Ausdrucksmöglichkeiten

• Erschließen von Atem- und Resonanzräumen (vgl. NIENKERKE-SPRINGER

1994).

Über Bewegungshandlungen werden kognitive und kommunikative Struk-turen aufgebaut, wobei interaktive Anteile das Verbindungsglied zwischenSprache und Motorik bilden. Kinder benötigen eine „bewegte Auseinander-

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setzung“ mit ihrer Umwelt, um diese im wahrsten Sinne des Wortes zu„begreifen“ und dadurch ebenso zu verstehen. Wahrnehmung und Bewe-gung stellen eine Einheit dar die in sowohl nach außen, d.h. auf dasUmfeld als auch nach innen, d.h. auf das Eigenempfinden und Denkenwirkt. Das Kind verschafft sich dadurch eine Orientierung in und zur Weltund erlebt sich als „ganzer“ Mensch.

Bezogen auf die mit Sprache und Stimme im Zusammenhang stehendenAuffälligkeiten verfolgen die Anregungen ebenso das Ziel von einer eherfunktionsorientierten logopädischen Förderung „am Tisch“ auf eine ganz-heitliche Förderung hinzulenken, die interaktive bewegungsorientierteSpiel- und Kommunikationsformen integriert und zulässt.

Kinder sollen dabei angeregt werden:

• ihre Erfahrungen und Gefühle zu verbalisieren, zu interpretieren

• Handlungen zu planen und geeignete Strategien zu entwickeln

• kommunikative Erfahrungen zu machen, die sie dazu befähigen,Kontakte zu anderen aufzunehmen, sich in der Gruppe zu behauptenund in einen sozial-kommunikativen Austausch mit anderen zu treten.

Von großer Bedeutung ist dabei die Förderung der Eigen- und Fremdwahr-nehmung. Gerade in interaktiven Situationen lernt das Kind sich mit kon-kreten Handlungssituationen auseinander zusetzen und den anderen sei-ne Absichten deutlich zu machen. Hier wird deutlich, dass zunächst derAspekt der Gruppe im Mittelpunkt der Förderung steht. Das schließt je-doch nicht aus, Kontexte zu schaffen, in denen auch Einzelarbeit stattfin-den kann und ebenso angemessen scheint.

Die Entwicklung sozial kompetenten Verhaltens, d.h., Selbstbehauptung,Empathie, Kooperation, Kompromissfähigkeit und kommunikative Fähig-keiten, setzt Interaktion voraus die primär im Umgang mit anderen Men-schen entwickelt wird.

Wir können beobachten, dass Kinder in ihrem alltäglichen Spiel alles inte-grieren, worauf sie neugierig sind und was für sie erreichbar ist. Dazugehören Bauklötze, Töpfe, Zeitungen, Bettzeug u.v.m. All diese Gegen-stände werden vom Kind unterschiedlich eingesetzt und umfunktioniert.Dabei sind die Variationen so zahlreich wie das spielende und lernendeKind Ideen hat.

Der Einsatz psychomotorischer Materialien bezweckt im Förderzusam-menhang ebenso ein Wecken der Neugierde des Kindes. Die erlebtenReize sind dabei visueller, taktiler, olfaktorischer und akustischer Art. Psy-

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chomotorische Übungsgeräte bieten Handlungsmöglichkeiten auf sehrbreitem und differenzierbaren Niveau und verbinden diese mit selbstdo-sierbarem Risiko (vgl. BEUDELS 1998).

Bezogen auf eine ganzheitliche Stimm- und Bewegungsförderung geltenbesondere Anforderungen die das psychomotorische Material erfüllen soll.Dazu gehören:

• hoher Aufforderungscharakter

• Kombinationsmöglichkeiten mit anderen Materialien

• Variationsbreite der Einsatzmöglichkeit

Bei der Verwendung psychomotorischer Materialien steht für Kinder dasNeue und Unbekannte das Reizvolle und Neugierde erweckende im Vor-dergrund. Die Materialien üben eine große Faszination aus, fordern zumExperimentieren und Kombinieren auf, zum Bewegen und Toben, aberauch zum Ruhigwerden und Entspannen. Sie bieten Kindern verschieden-artige Wahrnehmungsmöglichkeiten, die von ihnen variiert werden können.

Die Art und Weise, wie Kinder über Bewegung und Spiel ihre Umwelt bzw.Bewegungsgegenstände erfahren, stellt einen entscheidenden Faktor fürweitere Lern- und Erkenntnisprozesse dar (vgl. ZIMMER et al. 1995), denn:„Wenn alles komplett und perfekt ist, bleibt den Kindern oft nur eins: DieZerstörung“ (ebd. 206).

Nicht zuletzt stellt Humor eine wichtige Bedingung einer effektiven Förde-rung dar. Er dient als Katalysator, um Ängste und Stress abzubauen sowieWerte und Toleranz zu entwickeln. Dabei ist das Spiel der leichteste undwirkungsvollste Weg, um Humor im Kind zu entwickeln und zu stärken.Wenn wir dabei Kindern helfen zwischen feindseligem und nicht feindseli-gem Humor zu unterscheiden kann dies insbesondere in der Arbeit mitGruppen, auch eine Gelegenheit darstellen, ihnen Toleranz und Respektfür andere nahe zubringen.

Humor wird im kommunikativen Kontext als wichtige soziale Fähigkeit ge-sehen und als solche bewertet. Jemanden zum Lachen zu bringen, übersich selbst lachen zu können und humorvoll mit Problemen umgehen zukönnen, sind Fähigkeiten, die nicht zuletzt auch als Führungsfähigkeitenbewertet werden (SHAPIRO 1997).

Wir konzentrieren uns in unserer Praxissammlung auf sieben Förder-schwerpunkte. Diese ergeben sich unserer Meinung nach dadurch, dasssie in besonderer Weise den Zusammenhang von Stimme, Sprache undBewegung berücksichtigen. Selbstverständlich kann beispielsweise der

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Gesamtbereich der Wahrnehmung nicht reduziert werden auf die Kapitel„Hören“ und „Selbst- und Fremdwahrnehmung“. Weitere wichtige Sinnes-modalitäten werden zwar nicht explizit hervorgehoben, sind jedoch mehroder weniger Bestandteil aller vorgestellten Übungen und Spiele. Ebensostellen „Atmung“ und „Rhythmus“ keine isolierten Förderbereiche dar. Un-sere Absicht ist es, auch Kollegen und Kolleginnen, die nicht ausdrücklichin der Sprach- und Stimmtherapie beauftragt sind, ein Manual an die Handzu geben, das ihnen die Planung und Gestaltung entsprechender Förder-maßnahmen und -situationen im Alltag von Kindergarten und Schule er-leichtert.

Wir hegen darüber hinaus die Hoffnung, dass sprachtherapeutische Fach-kräfte eine bewegte Anreicherung für ihren Arbeitsbereich erhalten.

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2. Beschreibung der Förderschwerpunkte

Atmung

Die Atmung ist die einzige biologische Funktion, die unwillkürlich abläuft,aber auch willkürlich verändert werden kann. Unbewusst im Schlaf oderbewusst beim Sprechen begleitet uns unser Atem. Immer bleibt er vielfältigverflochten mit der Muskeltätigkeit und dem Seelischen des Menschen.

Übungen und Spiele, die Atem, Stimme und Bewegung verbinden, spre-chen die „vitalen Selbstregulationskräfte“ des Kindes an. Die heutige Le-benswelt von vielen Kindern ist häufig geprägt durch Reizüberflutung, Ter-minstress, erhöhten Medienkonsum usw. Diese Einflüsse tragen dazu bei,dass Kinder einem zum Teil atemlos, gehetzt, kurzatmig und mit lauterüberschlagender Stimme begegnen.

Übungen zum Tonus- und Haltungsaufbau sowie zur Selbstwahrnehmungwirken auf unsere Atmung ein. Lockerungsübungen zur Spannungsregulie-rung weiten den Brustraum so dass die Atmung ungehindert fließen kann.

Da Atmung reflektorisch erfolgt, d.h. nach einem Ausatemzug folgt auto-matisch, also reflektorisch ein Einatemzug, ist es ratsam in der Atemarbeitmit Kindern den Focus nicht auf die Atemprozesse zu lenken. Wollen wirden Ablauf der Atmung bewusst machen, so ist es ratsam die Aufmerk-samkeit spielerisch auf die Ausatmung zu lenken.

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Hören

Dem Hören kommt in der zwischenmenschlichen Kommunikation eineSchlüsselfunktion zu. Das „Hören-können“ zählt zu den grundlegendenWahrnehmungsmöglichkeiten des Menschen. Als Vorraussetzung zur ver-balen zwischenmenschlichen Kommunikation stellt es die Basis zur Siche-rung des Lauterwerbs dar. Verschiedene Autoren weisen darauf hin, dassdie Behandlung einer gestörten Stimme mit dem Hören- Lernen, d.h. miteinem Hörtraining bzw. Hörerziehung beginnt. Dazu gehört die Schulungdes Gehörs im Sinne der Sensibilisierung zur „Horchsamkeit“. So könnenüber Spiele zum Hören beim Kind innere Klangvorstellungen geweckt unddie Nachahmungsfähigkeit angeregt werden.

Zur beabsichtigten Wirkung gehört u.a., dass

• Kinder bewusst auf ihren Stimmklang hören,

• die Intonationsfähigkeit gefördert wird,

• innere Klangvorstellungen geweckt werden,

• das Richtungshören gefördert wird,

• die Tontreffsicherheit bei der Imitation einer Sprachmelodie gefördertwird,

• ein Rhythmusgefühl entwickelt und

• die akustische Differenzierungsfähigkeit gefördert wird.

So dienen Spiele und Übungen zum Hören vorrangig zur Wahrnehmungund Differenzierung der eigenen Stimme und fremder Stimmen. Dem Ein-fluss des Umfeldes kommt im Zusammenhang des Hörens besondereBedeutung zu. Aus diesem Grund sollen an dieser Stelle Gesprächs- undFeedbackregeln erwähnt werden. Die Vermittlung von Gesprächsregelninnerhalb der Familie führt zum einen zu einem „aktiven Zuhören“ wieauch zu einer erhöhten Sensibilität im interaktiven Umgang miteinander. Indem Moment, wo Meinungen, Störungen und Gefühle des einzelnen re-spektiert werden, findet eine Erweiterung kommunikativer Kompetenzendes Individuums und der Gruppe statt. Die spielerische Vermittlung grund-sätzlicher Kommunikationsfertigkeiten kann beispielsweise in Form selbst-gestalteter Plakate zu Gesprächsregeln erarbeitet werden.

Dazu kann beispielsweise zählen, dass ein Kind (aber auch Erwachsener)klar seine Bedürfnisse und Wünsche auszudrücken lernt, indem es ver-sucht zu beschreiben, wie es sich fühlt, warum es so fühlt und was es will.So setzt die Entwicklung der Fähigkeit, positives Feedback zu geben vor-aus, zu verbalisieren, wenn mir eine Äußerung von anderen gefallen hat

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(z.B.: „Das ist eine gute Idee“).

Gut Zuzuhören und Akzeptanz ausdrücken, die Gefühle des Anderen ver-stehen sowie Hilfe anbieten und Vorschläge machen, scheinen auf demersten Blick so einfach und selbstverständlich. Dennoch setzt die Erlan-gung dieser Kernkompetenzen eine Basis voraus – nämlich der einer beja-henden offenen und wachsamen Zuwendung des Zu- bzw. Hinhörens.

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Selbst- und Fremdwahrnehmung

Wahrnehmung ist Aufnahme und Verarbeitung von Reizen aus dem eige-nen Körper und der Außenwelt. Sie stellt im Laufe der Entwicklung dieGrundlage jedes psychischen Geschehens dar. Im Laufe der Entwicklungentsteht ein Prozess zunehmender Differenzierung, durch den sich fort-schreitend komplexere Verarbeitungsmuster entwickeln. Die Informationenlaufen dabei über einen oder mehrere Sinneskanäle und werden im Ver-gleich zu den bisherigen Informationen zu einem (neuen) Ganzen zusam-mengefügt. Die Wahrnehmung hängt sowohl von angeborenen Organisati-onsprozessen, der Beschaffenheit unserer Sinnesorgane und äußerenUmständen wie vor allem auch von Erfahrungen, momentanen und über-dauernden Bedürfnissen sowie vom konkreten sozialen Kontext ab. Somitfür nicht nur die Beschaffenheit bzw. Begrenztheit unserer Sinnesorganedazu, dass wir weder ein objektives noch ein komplettes Bild von der Weltwahrnehmen können.

Förderung der Selbstwahrnehmung bedeutet hinsichtlich der übergreifen-den Zielsetzung dieses Buches weniger eine spezifische Förderung desRiechens, Schmeckens, Fühlens, Hörens und Sehens. Vielmehr geht esdarum, einen Rahmen für den Aufbau eines realistischen bzw. positivenKörper- und Selbstkonzepts bereit zu stellen. Dazu sind zunächst umfang-reiche, über Bewegung und Spiel zu vermittelnde Selbsterfahrungen not-wendig, die dem Kind die Möglichkeiten, Bedürfnisse und Grenzen deseigenen Körpers bewusst machen. Dies bildet wiederum die Basis dafür,die eigene Person, den eigenen Körper als Ausdrucksmittel der Befindlich-keit zu erkennen und einzusetzen.

Unter dem Aspekt der Fremdwahrnehmung rücken kommunikative undsoziale Aspekte der Körper- und Selbsterfah-rung in den Vordergrund. Im Spiel und in derBewegung, begleitet und unterstützt vonStimme und Sprache, soll die „Empfindungs-fähigkeit“ für den/die anderen entwickelt underweitert werden. In einem entsprechend ge-stalteten „dialogfreundlichen“ Setting lerntdas Kind nicht nur, Wünsche und Bedürfnisseanderer zu erkennen und Vorurteile abzu-bauen, sondern auch mit eigenem Erfolg undMisserfolg umzugehen, Emotionen auszuhal-ten und aus Fehlern zu lernen. Ein wichtigerund notwendiger Baustein für Wachstum undWeiterentwicklung.

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Kommunikation – Interaktion

Die vorgestellten Übungen und Spiele zielen über die Entwicklung verbalerund nonverbaler Kommunikationspotentiale auf eine Verbesserung der In-teraktions- und Kooperationsfähigkeit ab. Neben dem Kennenlernen undspielerischen Ausprobieren der vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten vonKöper, Sprache und Stimme geht es in vielen Spielen auch darum, sich zuverständigen, gemeinsam etwas zu planen und durchzuführen. Dazu ge-hört aber auch die Fähigkeit, in angemessener Art und Weise eigeneWünsche und Bedürfnisse zu artikulieren bzw. darzustellen, wie auch dieFähigkeit, andere Wünsche und Bedürfnisse zur Kenntnis zu nehmen bzw.auf die anderer einzugehen.

Gerade innerhalb dieses Förderschwerpunktes ist die Orientierung an derErlebniswelt der Kinder bedeutsam. Im Spiel werden aktuelle Ereignissedargestellt bzw. mitgeteilt und verarbeitet. In verschiedenen Rollen könnenKinder Handlungsalternativen kennenlernen, sie können sich für eine be-stimmte Zeit eine eigene Welt schaffen, in der sie frei und nach eigenenBedürfnissen und Regeln agieren können. In dieser Welt, wo es zunächstkein richtig und falsch gibt, finden sie gemeinsam unterschiedliche Pro-blemlöse- und Handlungsstrategien. Sie erfahren, dass Handlungen Kon-sequenzen haben, und übernehmen aber auch mehr und mehr die Verant-wortung für ihr Tun.

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Experimentieren

„Experimentieren“ bedeutet „Versuchen“, „Ausprobieren“, und auch, sichmit Neuem und Unbekannten auseinander zusetzen. Über ein Experimen-tieren mit Stimme, Sprache und Bewegung wird die Entwicklung von Aus-druckspotentialen angeregt und damit das Kommunikations-, Handlungs-und Bewegungsrepertoire erweitert. Dazu muss ein (geschützter) Raumgeschaffen werden, in dem das Kind weitgehend von sich aus aktiv wirdbzw. der Kreativität und Phantasie zulässt. Emotionen wie Wut, Freude,Trauer usw. können in spielerischer Form aufgegriffen und umgewandeltwerden. In eine andere Rolle zu schlüpfen, sich zu verkleiden und zumaskieren ermutigt beispielsweise gerade schüchterne Kinder, neue Aus-drucksmöglichkeiten zu erkunden bzw. in der Bewegung stimmliche undsprachliche „Versuche“ zu unternehmen. Im Kontakt mit einem Partneroder der Gruppe experimentieren Kinder mit unterschiedlichen Kommuni-kationsweisen und erlernen sowohl nonverbale als auch verbale Aus-drucksformen angemessen einzusetzen. Nonverbale Mitteilungsformenwie Gestik, Mimik, Bewegung und Stimme werden hinsichtlich ihrer Mög-lichkeiten erfahren und erkannt.

Die Praxisbeispiele sind sogewählt, dass sie in einemhohen Maße zur Selbsttätig-keit der Kinder führen kön-nen. Es werden durch denErwachsenen eher Rahmen-bedingungen geschaffen, alsdass festgelegte Spielregelndie Durchführung der Spielebestimmen. Die Eingrenzungmancher Aufgaben führt da-bei nicht zu einer „Gänge-lung“, sondern soll der Ori-entierung der Kinder dienenund einer Verunsicherungvorbeugen (vgl. NEUBER2000). Da das Experimentie-ren im Vordergrund steht, istin den meisten Fällen der„Ausgang offen“. Der Pro-zess selber ist zunächstwichtiger als das Produkt.

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Rhythmus

Kinder lieben das Wechselspiel von rhythmisch-musikalischen Elementenund Bewegung, weil es ihrem Ausdrucksbedürfnis entgegenkommt. Durchrhythmisches Ausleben des Bewegungsdranges auf der körperlichen Ebe-ne entwickelt das Kind so u.a. die Fähigkeit zur Balance. Unterstützt wirddabei die Sprachförderung durch das Aufgreifen und Gestalten von Wor-ten, Texten, Geräuschen, Klängen und Liedern. Über ein Polarisieren, dasArbeiten mit Begriffspaaren, lernen Kinder Gegensätzlichkeiten von lautund leise, langsam und schnell, hoch und tief usw.. Dabei können Bewe-gungsabläufe mittels Sprache rhythmisiert, geführt und unterstützt werden,wodurch nicht zuletzt eine ökonomisierende Wirkung auf das Atemgesche-hen ausgeübt wird.

Die Einheit von Sprache und Bewegung spiegelt sich auch im Rhythmusvon Worten wie zum Beispiel „Hau-ruck! wider. Dabei gilt das rhythmischeLösen der Spannung auf der Worthälfte nicht nur für die Bewegung son-dern auch für den Ton. Die Stimme hilft hierbei eine schwere Arbeit leichterzu bewältigen. Das rhythmische Zusammenspiel von Stimme und Bewe-gung können wir auch beobachten, wenn ein Kind auf einer Schaukelschaukelt und dabei summt.

Die Übungen und Spiele dienen dem Erfahren und Erleben von Rhythmusals universalem wie individuellem Phänomen. Begleitet und angeregtdurch Stimme, Töne und Geräusche, z.T. unterstützt durch Musik, werdendarüber hinaus unterschiedliche Erscheinungsformen deutlich (Kraft-,Raum-, Zeit-, Formrhythmus...). „Erfinden und Nachahmen“, „Erkennenvon Gegensätzen“,„Gehörtes in Bewe-gung umsetzen“, „vor-gegebene Rhythmenmit Bewegung undStimme aufnehmenund beantworten“ sindzentrale Inhalte die-ses Förderbereiches.

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Bewegte Texte

Im spielerischen Umgang mit Texten entwickeln sich aus der Vielfalt derIdeen und des gemeinsamen Tuns innerhalb der Gruppe eigenschöpferi-sche Ausdrucksmöglichkeiten für das Zusammenspiel von Stimme, Spra-che und Bewegung und deren Realisierung hin zur Präsentation. Dies istauch mit jüngeren Kindern – zumindest ansatzweise – möglich. Dabeikönnen Geschichten und Texte in vielfältiger Weise zum Improvisierenanregen und verwendet werden.

Der Umgang damit hat viele Facetten. Ob Neugierde, Interesse, ein Sich-angesprochen-Fühlen oder auch Ablehnung hervorgerufen wird, in jedemFall sind emotionale Aspekte entscheidend für die weitere Auseinanderset-zung mit dem Text. Je nach Text kann ebenso auf bestimmte Schwerpunk-te focussiert werden, so dass Aspekte im Sinne einer Sprach- und/oderBewegungsförderung im Vordergrund stehen, wie das Experimentieren mitverschiedenen Sprachelementen (Vokalen, Konsonanten, Nasalen, Explo-sivlauten, Zischlauten und Reibelauten), wie auch auf rhythmisch-klangli-che Elemente der Sprache, Sprachmelodie, Akzentuierung und Dynamik.

Lyrik als verdichteter sprachlicher Ausdruck zielt im Wechselspiel vonSprache und Bewegung auf eine Auseinandersetzung mit der Welt, demMenschen, der Natur und dem eigenen „Sein“ ab. Kinder merken dabeischnell, was Sprache und Phantasie bewirken können. Sprache fordert zurBewegung und zum kommunikativen Handeln heraus. Der spielerischeUmgang mit Texten, der möglichst nur durch einen geringen Einsatz vonGeräten und Materialienbegleitet werden sollte,sensibilisiert für dieWahrnehmung sprachli-cher Normen und Struk-turen ebenso, wie es Fä-higkeiten im kreativenUmgang mit sprachlichenGesetzmäßigkeiten an-regt. Es befreit in seinerSpontaneität von demGefühl, im Umgang mitStimme und Sprache nurfehlerhaft kommunizierenzu können.