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Ostfalia – Fakultät Karl-Scharfenberg Studiengang Medienmanagement Wintersemester 2015/16 Erstprüfer: Prof. Dr. habil. Harald Rau Zweitprüferin: Annika Ehlers, B.A. Die Theorie der Schweigespirale am Beispiel der sozialen Netzwerkseite „Facebook“ Bachelorthesis 31. Dezember 2015 Eingereicht von: Fabian Meister (Fachsemester: 07) Matrikelnummer: 70298466 [email protected] 05171/7902482

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Ostfalia – Fakultät Karl-Scharfenberg

Studiengang Medienmanagement

Wintersemester 2015/16

Erstprüfer: Prof. Dr. habil. Harald Rau

Zweitprüferin: Annika Ehlers, B.A.

Die Theorie der Schweigespirale am Beispiel

der sozialen Netzwerkseite „Facebook“

Bachelorthesis

31. Dezember 2015

Eingereicht von:

Fabian Meister (Fachsemester: 07)

Matrikelnummer: 70298466

[email protected]

05171/7902482

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Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis ........................................................................................................... 3

1. Einleitung ....................................................................................................................... 4

2. Die Öffentlichkeit .......................................................................................................... 7

2.1. Begriffe von Öffentlichkeit ..................................................................................... 8

2.2. Öffentlichkeit nach Elisabeth Noelle-Neumann ................................................... 11

3. Die Theorie der öffentlichen Meinung ...................................................................... 13

3.1. Ursprung und Entwicklung ................................................................................... 14

3.2. Grundlagen der Theorie ........................................................................................ 15

3.2.1. Öffentliche Meinung ...................................................................................... 16

3.2.2. Die Meinungsklimawahrnehmung ................................................................ 18

3.2.3. Isolationsfurcht und Redebereitschaft ........................................................... 20

3.3. Die Rolle der Massenmedien ................................................................................ 22

3.4. Die Entstehung einer Schweigespirale .................................................................. 26

3.5. Kritik und Weiterentwicklung ............................................................................... 29

3.6. Verwandte Ansätze ............................................................................................... 33

4. Soziale Netzwerkseiten ............................................................................................... 36

4.1. Was sind soziale Netzwerke? ................................................................................ 36

4.2. Ursprung und Entstehung ...................................................................................... 40

4.3. Identitätsbildung in sozialen Medien .................................................................... 41

4.4. Internetriese „Facebook“ ....................................................................................... 45

4.4.1. Daten, Fakten und Entstehung ....................................................................... 46

4.4.2. Funktionen ..................................................................................................... 46

4.4.3. Nutzungsweisen und Motive ......................................................................... 49

5. Die Schweigespirale auf „Facebook“ ........................................................................ 52

5.1. Öffentlichkeit in der digitalen Welt ...................................................................... 53

5.1.1. Öffentlichkeit 2.0 ........................................................................................... 53

5.1.2. „Facebook“ und die Öffentlichkeit – Ein Algorithmus macht Meinung ....... 59

5.2. Meinungsklimawahrnehmung auf Facebook ........................................................ 65

5.3. Online-Isolationsfurcht und Redebereitschaft ....................................................... 69

5.4. Die digitale Medienwelt ........................................................................................ 76

5.5. Die Entstehung einer digitalen Schweigespirale ................................................... 82

5.5.1. Die Theorie der öffentlichen Meinung auf sozialen Netzwerkseiten ............ 82

5.5.2. „Facebook“ und die Schweigespirale ............................................................ 92

6. Fazit und Ausblick ...................................................................................................... 97

Literaturverzeichnis ............................................................................................................ 107

Ehrenwörtliche Erklärung .................................................................................................. 120

3

Abbildungsverzeichnis

Modell 1: Theorie der öffentlichen Meinung und Entstehung der Schweigespirale ............ 28

Modell 2: Theorie der öffentlichen Meinung und die digitale Schweigespirale .................. 90

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1. Einleitung

Oktober 2015, wie ein dunkler Schatten weilt die Angst vor dem Fremden über Deutschland

(vgl. Infratest Dimap 2015, 3). Zugleich herrsche in der öffentlichen und medialen Debatte

eine fast euphorische Stimmung gegenüber den wachsenden Flüchtlingsströmen (vgl. Spahn

2015). Ungeachtet dessen laufen die sozialen Medien des Internet förmlich vor Hass und

Fremdenfeindlichkeit über (vgl. Schröder/Bouhs 2015). Wie kommen solche Diskrepanzen

zustande? Womit erklärt sich dieser Effekt? Auf der einen Seite laute Bekundungen der So-

lidarität, in der Mitte eine vor Angst schweigende Mehrheit und am äußersten Rand ungefil-

terte Hassparolen? Wie lässt sich dieses Bild der öffentlichen Meinung in der schnelllebigen

Welt des 21. Jahrhunderts erklären?

Um solche gesellschaftlichen Phänomene zu erklären, bedarf es der Verwendung sozialwis-

senschaftlicher Theorien (vgl. Schwietring 2011, 142). Elisabeth Noelle-Neumann (u. a.

1979; 1980; 1989; 1996) versucht, mit der Theorie der öffentlichen Meinung, die Einfluss-

faktoren von Meinungsäußerungen in der Öffentlichkeit zu erklären. Den Kern ihrer Theorie

bildet die sogenannte „Schweigespirale“. Die Bereitschaft zum öffentlichen Bekennen der

eigenen Meinung hänge von der Beurteilung des Meinungsklimas ab. Bei erlebter Dissonanz,

gegenüber der als dominant wahrgenommenen Meinung, neige der Einzelne dazu seine Mei-

nung zu verschweigen. Die Verstärkung dieses Effekts, durch steigende Gegensätze in der

öffentlichen Meinung, bedingt somit den Begriff der „Spirale“. Vor allem die Massenmedien

üben dabei einen relevanten Einfluss auf die Wahrnehmung des Meinungsklimas aus und

bestimmen das Bild einer öffentlichen Debatte. Indirekt beeinflussen sie damit auch das Mei-

nungsempfinden der Rezipienten. (vgl. ebd.)

Es stellt sich die Frage, ob mithilfe dieser über 35 Jahre alten Theorie auch ein besseres Ver-

ständnis der Kommunikationsprozesse innerhalb des Internet erzielt werden kann. „Our

world has been in a process of structural transformation for over two decades. This process

is multidimensional, but it is associated with the emergence of a new technological paradigm,

based in information and communication technologies […]”, erläutert Castells (2005, 3) den

Einfluss der digitalen Welt auf die Gesellschaft. Das Internet genieße zuweilen den Ruf als

Ort der freien und differenzierten Meinungsäußerung (vgl. Münker 2009). So wird ihm gar

die Macht zugesprochen, die klassischen Informationsmonopole der Medienwelt zu brechen

(vgl. Schulz 2015, 210). „Some social media creators and supporters have hoped that social

media platforms like Facebook and Twitter might produce different enough discussion ven-

ues that those with minority views might feel freer to express their opinions, thus broadening

public discourse and adding new perspectives to everyday discussion of political issues”,

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erklären Hampton et al. (2014, 3). Als wichtiger Teil des Alltags (Bitkom 2013, 15) begleitet

die Kommunikation im Netz zunehmend das Geschehen rund um gesellschaftlich relevante

Themen (vgl. Meusers 2015). Deshalb soll sie für diese Arbeit auch im Mittelpunkt der Un-

tersuchungen stehen. Da Noelle-Neumanns (1980, 13) Theorie in ihren Ursprüngen auf das

Jahr 1965 zurückgeht, konnte sie die Entwicklungen der digitalen Welt nicht voraussehen. Es

ist demnach unklar, ob sie weiterhin genug Erklärungskraft besitzt, um diese neuen Kommu-

nikationsräume zu beschreiben. So sei, laut Thomas Roessing (2011, 96), einem der renom-

miertesten deutschen Experten dieser Disziplin, noch offen inwieweit soziale Prozesse in On-

line-Communities solchen der Schweigespirale ähneln und wo es Unterschiede gäbe.

Aktuelle Studien zu diesem Thema (Hampton et al. 2014), versuchen eine Anwendung von

Noelle-Neumanns Annahmen auf das Internet. Allerdings missachten sie dabei die weitläu-

figen Rahmenbedingungen der Online-Kommunikation im Internet. Doch die Sozialwissen-

schaften ermöglichen keine komplexen Theorien für das gesamte Sozialsystem (vgl. Merton

1995). Deshalb müsse der Fokus auf der Entwicklung besonderer Theorien für begrenzte Da-

tenbereiche liegen (vgl. ebd., 6). Statt einer simplen empirischen Untersuchung der Mei-

nungsprozesse im Internet, unter der Prämisse einer Schweigespirale, ist es demnach ratsam,

zunächst theoretische Vorüberlegungen anzustellen, die sich näher mit der Erklärungskraft

der Theorie in diesem Kontext auseinandersetzen. Jene theoretischen Vorüberlegungen stel-

len die Hauptaufgabe dieser Thesis dar.

Da das Internet eine Vielzahl möglicher Kommunikationsräume bietet (vgl. Münker 2012,

47), bedarf es zunächst der Auswahl eines exemplarischen Forschungsgegenstands. Roessing

(2011, 96) fragt konkret nach der Rolle von sozialen Netzwerkseiten in der öffentlichen Mei-

nung. Da sich soziale Netzwerkseiten vor allem durch den kommunikativen Austausch ihrer

Mitglieder auszeichnen (vgl. Boyd/Ellison 2013, 157), scheinen sie damit die optimale Wahl

für das Vorhaben dieser Arbeit zu sein. Allen voran stellt sich dabei die Website „Facebook“

als die am weitesten etablierte Plattform dar (Bitkom 2013, 9). Somit gestaltet sich „Face-

book“ als idealer Untersuchungsgegenstand für den Versuch einer Theorieanpassung an die

digitale Medienwelt. Dabei kommt zunächst eine Reihe von Fragen auf. Allen voran, ob die

soziale Netzwerkseite „Facebook“ die Voraussetzungen zur Entstehung einer Schweigespi-

rale nach Noelle-Neumann bietet. Lassen sich die Kommunikationsprozesse auf „Facebook“

mithilfe der Theorie der öffentlichen Meinung erklären? Welche Rolle spielen dabei ver-

wandte Effekte mit ähnlicher Wirkung? Um den Versuch der Theorieanwendung zu unter-

nehmen, gilt es zunächst zu entschleiern, was überhaupt unter den Voraussetzungen einer

Schweigespirale zu verstehen ist und wie sich der Aufbau der Theorie der öffentlichen Mei-

nung gestaltet. Darauf folgend gilt es zu untersuchen, wie sich der Kommunikationsraum

6

„Facebook“ gestaltet und welche strukturellen Rahmenbedingungen er aufweist. Abschlie-

ßend ist es vonnöten einen analytischen Abgleich der einzelnen Aspekte vorzunehmen. Erst

hiermit lässt sich beantworten, ob Noelle-Neumanns Theorie tatsächlich auf den Forschungs-

gegenstand übertragbar ist, ob gegebenenfalls Anpassungen oder Erweiterungen vonnöten

sind oder ob eine Verwerfung der Theorie für diesen Bereich die Folge wäre.

Diese Fragen soll die vorliegende Arbeit beantworten. Dafür wird in Kapitel 2 zunächst ein

Verständnis für den Begriff der „Öffentlichkeit“ geschaffen. Es wird eine Distinktion zwi-

schen verschiedenen Vertretern von Öffentlichkeitskonzepten und Noelle-Neumann vorge-

nommen. Kapitel 3 behandelt die Theorie der öffentlichen Meinung und bildet somit die Ba-

sis für die folgenden Überlegungen. Nach Vorstellung der Herkunft und Entstehung von

Noelle-Neumanns Überlegungen, werden die einzelnen Grundlagen der Theorie detailliert

erläutert. Eine besondere Pointierung liegt hierbei auf der Rolle der Massenmedien. Mithilfe

dieser Kernaspekte wird die Entstehung einer Schweigespirale dargestellt. Darüber hinaus

werden wichtige Kritikpunkte und Weiterentwicklungen vorgestellt, die für die Überlegun-

gen dieser Arbeit relevant sind. Den Abschluss des Kapitels bilden verwandte Ansätze der

Theorie. Kapitel 4 bietet daraufhin eine Einführung in den Untersuchungsgegenstand. Anfan-

gend nimmt es eine Einordnung und Definition von sozialen Netzwerkseiten, im Konzept der

sozialen Netzwerke, vor. Ein kurzer Exkurs zeigt den technologischen Ursprung und die Ent-

stehung der sozialen Netzwerkseiten. Es folgt eine Vorstellung der Identitätsbildung in sozi-

alen Medien. Damit wird die Rolle des Einzelnen im Untersuchungsgegenstand miteinbezo-

gen. Das Augenmerk liegt daraufhin auf der Website „Facebook“, die als exemplarischer

Forschungsgegenstand dient. Hierbei werden die Hintergründe, Funktionen und Nutzungs-

weisen der Website vorgestellt. Kapitel 5 analysiert daraufhin die Theorie der öffentlichen

Meinung und eine Schweigespirale auf „Facebook“. Schrittweise werden hier, auf Basis der

Erkenntnisse vorheriger Kapitel, die Aspekte der Theorie der öffentlichen Meinung am Un-

tersuchungsgegenstand analysiert und in die digitale Welt übertragen. Somit geschieht eine

Verknüpfung der Kapitel 3 und 4 zur Beantwortung der eingehenden Fragen dieser Arbeit.

Darüber hinaus werden die daraus abgeleiteten Implikationen diskutiert.

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2. Die Öffentlichkeit

Öffentlichkeit und öffentliche Meinung seien die sozialen und kulturellen Phänomene des 20.

und 21. Jahrhunderts (vgl. Merz-Benz 2015, 11). Öffentlichkeit stelle eine Sphäre dar, „in der

Überzeugungen gebildet und verbreitet werden […]“ (ebd.). Daher ist es wichtig, Noelle-

Neumanns „Theorie der öffentlichen Meinung“, sowie den Untersuchungsgegenstand „Face-

book“ ebenfalls als Teil der Öffentlichkeit verorten zu können. Somit findet diese Arbeit ih-

ren Anschluss an das Phänomen „Öffentlichkeit“. Dafür wird im Folgenden eine Grundlage

geschaffen, was konkret als Öffentlichkeit zu verstehen ist.

Hoffjann und Arlt (2015, 7) versuchen eine erste Definition der Wortbedeutung des öffentli-

chen: „Das Öffentliche, ob Ämter, Toiletten oder Konzerte, ist das allgemein Zugängliche.

Sein Gegenbegriff ist das Exklusive. Bekannte Formen der Exklusivität sind das Geheime

und das Private.“ Dies zeigt eine erste Tendenz auf, die eine grobe Vorstellung von dem

ermöglicht, was das Öffentliche zu sein vermag. Doch zur Klärung der Problemstellung wird

ein klarer Begriff, mit genau abgegrenzten Einschränkungen und Ausnahmen, benötigt. Allen

voran ist es wichtig, wie Elisabeth Noelle-Neumann den Begriff der Öffentlichkeit selbst de-

finiert. Denn genau dieser Begriff ist nötig, um die aufgestellten Thesen zu untersuchen. Des-

halb folgt an dieser Stelle auch keine Diskussion des Begriffes. Die Verwendung eines sach-

dienlichen Begriffes ist bereits durch die Formulierung der Themenstellung vorgegeben.

Allerdings ist es dennoch wichtig, eine Übersicht über umstehende Wortbedeutungen und

Kategorisierungen der Öffentlichkeit zu erstellen. In diesem Sinne findet im Folgenden eine

Distinktion der Begrifflichkeiten statt. Es werden unterschiedliche Bedeutungen vorgestellt

und dadurch eine Abgrenzung vorgenommen. Nachdem an dieser Stelle nun bereits die Re-

levanz des Öffentlichkeitsbegriffs für diese Arbeit erläutert wurde, folgt in Kapitel 2.1 die

Vorstellung unterschiedlicher Konzeptionen von Öffentlichkeit. Das Hauptaugenmerk liegt

dabei auf der übergeordneten Kategorisierung nach der „juristischen“, „politischen“ und „so-

zialpsychologischen“ Ebene von Öffentlichkeit (vgl. Roessing 2011, 89). Im Anschluss wird

in Kapitel 2.2 der Begriff nach Noelle-Neumann vorgestellt, in einer entsprechenden Kate-

gorie verortet und mit den konkurrierenden Auffassungen verglichen. Abschließend wird die

Nutzungsweise des Begriffs für diese Arbeit festgelegt.

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2.1. Begriffe von Öffentlichkeit

Zur folgenden Abgrenzung gegenüber Noelle-Neumanns Begriff bedarf es zunächst einer

Vorstellung der konkurrierenden Begrifflichkeiten. An dieser Stelle wird daher auf die unter-

schiedlichen geläufigen Begrifflichkeiten und Bedeutungen von Öffentlichkeit eingegangen.

Bei weiterführender Recherche stößt man zunehmend auf unterschiedliche Erklärungen, ver-

schiedenster Richtungen. Bereits im Jahr 1965 versuchte sich der Politikwissenschaftler Har-

wood L. Childs (1965, 14 – 26) an einer Sammlung von Öffentlichkeitsbegriffen und kam

dabei auf circa 50 unterschiedliche Definitionen. Eine einheitliche Klärung des Öffentlich-

keitsbegriffs scheint sich insofern als schwierig zu gestalten. Für einen besseren Zugang zur

Thematik, stellt Roessing (2009, 141ff; 2011, 89) drei Bedeutungsebenen des Begriffs vor.

Auch Noelle-Neumann (1980, 88f) und andere Vertreter von Öffentlichkeitskonzepten (vgl.

Hennis 1968, 43f; Habermas 1990, 54f) orientieren sich, bei der Beschreibung des Begriffs,

an dieser Aufteilung. Um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den verschiedenen

Konzepten erkennen zu können, ist es wichtig, diese Kategorisierung zu thematisieren. Neben

dem politischen bzw. staatswissenschaftlichen Begriff von Öffentlichkeit wird in den juristi-

schen und den sozialpsychologischen Begriff unterteilt (vgl. Roessing 2009, 141ff; 2011, 89;

Noelle-Neumann 1980, 88f; Hennis 1968, 43f; Habermas 1990, 54f). Der politische Begriff

von Öffentlichkeit bezieht sich auf die Sphäre, „die das Gemeinwohl, den Staat und die Ge-

sellschaft betrifft“ (Roessing 2011, 89). Der juristische Begriff der Öffentlichkeit bezeichnet

„freie Zugänglichkeit, freien Zutritt für jedermann“ (ebd.). Dieser Grundsatz wird im Ge-

richtsverfassungsgesetz (§§169ff) dementsprechend für jedwede Gerichtsverhandlungen re-

guliert. Der dritte Begriff, die sozialpsychologischen Öffentlichkeit, bezeichnet Öffentlich-

keit als „Beurteilungsinstanz für das Verhalten des Einzelnen“ (Roessing 2011, 89). Diese

Urteilsinstanz teile in der Gesellschaft, nach Vorstellung der Sozialpsychologie, Achtung und

Verachtung, sowie Beliebtheit und Unbeliebtheit aus (vgl. Noelle-Neumann 1980, 90). Laut

Noelle-Neumann (ebd., 89) haben diese drei Bedeutungen vor allem eins gemein: „Die Aus-

legung ‚öffentliche Meinung‘ gleich ‚herrschende Meinung‘ zieht sich wie ein Roter Faden

durch die mannigfachen Definitionen […].“ Ferner weist Roessing (2011, 89f) darauf hin,

dass diese Begriffsebenen im Alltag durchaus gemeinsam auftreten können. Ein gutes Bei-

spiel dafür sei eine Gerichtsverhandlung (vgl. ebd.). „Sie ist üblicherweise für jeden zugäng-

lich, betrifft das Gemeinwohl und der Angeklagte sieht sich den urteilenden Blicken […]

ausgesetzt“, so Roessing (ebd.).

Viele Vertreter von Öffentlichkeitskonzepten konzentrieren sich bei ihren Überlegungen auf

eine staatswissenschaftliche Auslegung (vgl. Roessing 2011, 90). So auch die im Folgenden

vorgestellten Ansätze. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts formulierte Ferdinand Tönnies

9

(1922), auf dieser Grundlage, einen soziologischen Begriff der öffentlichen Meinung. Die

öffentliche Meinung sei „der geistigste Ausdruck des gleichen Gemeinwillens, der sich in

Konvention und Gesetzgebung dartut“ (ebd., 98). Öffentlichkeit sei nach Tönnies dabei

hauptsächlich ein Begriff der Empirie, welcher den Wirklichkeitsbereichs umfasst, in dem

die öffentliche Meinung zu Vorschein tritt, so Merz-Benz (2015, 28). An dieser Stelle zeigt

sich bereits die starke Verbindung zwischen Öffentlichkeit und öffentlicher Meinung. Jürgen

Habermas (1990) formulierte im Jahr 1962 mit seiner Habilitationsschrift „Strukturwandel

der Öffentlichkeit“ eines der populärsten Konzepte zu dieser Thematik (vgl. Roessing 2011,

88). Sein Ansatz sei als geläufiger Hauptkonkurrent zu Noelle-Neumanns „Theorie der öf-

fentlichen Meinung“ zu sehen (vgl. ebd.). In ihren Grundzügen ähnele die Arbeit Habermas

den Überlungen Tönnies (vgl. Zahn 2015, 93). Habermas (1990) verfolgt ebenfalls eine

staatswissenschaftliche Auffassung. Der Prozess von öffentlicher Meinung beläuft sich laut

Habermas (1990, 132) darauf, „in öffentlicher Diskussion, nachdem das Publikum durch Er-

ziehung und Mitteilung instand gesetzt ist, eine begründete Meinung zu fassen […].“ Als

Gegensatz formuliert er die private Meinung, die grundsätzlich jeder haben könne, auch der

uninformierte Bürger (vgl. ebd., 325). Meinungen privater Natur gestalten sich „weder ratio-

nal, nämlich in bewusster Auseinandersetzung mit erkennbaren Sachverhalten […] noch bil-

den sie sich diskutant, nämlich im Für und Wider eines öffentlich geführten Gesprächs […]“

(ebd., 325). Genau wie Tönnies formuliert Habermas also Ansprüche an das, was öffentliche

Meinung darstellen soll. Zusätzlich bezieht er dabei die Relevanz der Massenmedien für den

öffentlichen Diskurs ein (vgl. Habermas 1990, 275f). Zeitelhack (2015) beschäftigt sich mit

der Frage, welche Rolle die Massenmedien nach Habermas, in der heutigen Zeit spielen. Ur-

sprünglich seien die Massenmedien der „Repräsentant (Medien) des Repräsentanten (Bürger)

des Repräsentanten (Politiker)“ (ebd., 172). Damit seien sie also wichtiger Bestandteil der

Ermöglichung von Demokratie (vgl. ebd.). Die Aufgaben der Massenmedien würden sich

aber nun, durch den steigenden Einfluss des Internet verändern (vgl. ebd., 177). An die Stelle

der Massenmedien trete nun wieder der Bürger mit einer neuen Autonomie (vgl. ebd.). Diese

Überlegungen sind bereits ein entscheidender Anstoß für die Untersuchung der neuen Rolle

der Massenmedien auf „Facebook“ (siehe Kapitel 5.4). Es zeigt sich, dass auch diese Theorie

den Veränderungen des 21. Jahrhunderts unterliegt und Anpassungen benötigt. Ob gleiches

für die Theorie der Schweigespirale gilt, wird sich im Verlauf dieser Arbeit klären.

Diese staatswissenschaftliche Vorstellung von Öffentlichkeit lassen sich unter dem Begriff

„Elitekonzept“ zusammenfassen, so Roessing (2011, 90). Ein weiterer wichtiger Vertreter

dieses Konzepts ist Wilhelm Hennis (1957). Er orientiere sich ebenfalls vor allem am ratio-

nalen Diskurs durch eine informierte Elite (vgl. Roessing 2011, 90.). Wichtig sei, dass das

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Elitekonzept keine empirisch-analytische Theorie ist wie Noelle-Neumanns Theorie der öf-

fentlichen Meinung (vgl. ebd., 90). Stattdessen handelt es sich um Anforderungen, „welche

Eigenschaften das Phänomen haben soll, das die Theoretiker dem Begriff der öffentlichen

Meinung subsumieren“ (Roessing, 2009, 51; H.i.O.). Man könne zwar empirisch prüfen, in

welchem Maße rationaler Diskurs stattfindet, doch die normativen Anforderungen des An-

satzes sind unabhängig davon gültig, ob sie umgesetzt werden oder nicht (vgl. Roessing 2011,

91). Dieses Konzept beinhaltet also keine sozialpsychologische Realität, wie sie in demosko-

pischen Meinungsumfragen erfasst wird. Trotz unterschiedlicher Ausrichtungen im Detail

lässt sich das Elitekonzept, laut Roessing (2009, 50f), in seine grundsätzlichen Bestandteile

zerlegen: die „Eigenschaften der Träger der öffentlichen Meinung: […] Informiertheit, Intel-

ligenz, Moralität“, die „Eigenschaften des Prozesses öffentlicher Meinungsbildung: rationa-

ler Diskurs […], informierte Argumentation, ohne Einfluss persönlicher Interessen“ und die

„Eigenschaften des Ergebnisses dieses Diskurs: Bewertung politischer Akte, Fragen von all-

gemeiner Wichtigkeit betreffend, rational begründet […].“

Abschließend ist ebenfalls der Ansatz von Niklas Luhmann (1996) erwähnenswert. Luhmann

(1996, 184) sieht die Öffentlichkeit als Intermediär zwischen den unterschiedlichen Teilsys-

temen einer Gesellschaft. Dieses Kommunikationssystem ermögliche Bürgern und Akteuren

des politischen Systems eine wechselseitige Beobachtung (vgl. Luhmann 1996, 187). Es gäbe

dort keine herrschende Urteilsinstanz, erläutert Jäckel (2011, 272). Öffentlichkeit sei zudem

mehr als nur ein Spiegelbild der einzelnen Teilbereiche einer Gesellschaft, sondern gehe in

ihrer Vermittlungsfunktion darüber hinaus (vgl. ebd.). Wichtiger Formgeber der öffentlichen

Meinung seien auch in diesem Fall die Massenmedien (vgl. ebd., 275). Luhmanns Theorie

gestehe dabei der individuellen Lebenswelt und dem Bewusstsein des einzelnen keine beson-

dere Rolle im Prozess der öffentlichen Meinung zu (vgl. ebd., 276). Auch diese Vorstellung

von Öffentlichkeit ist zur Beantwortung der Thesen nicht geeignet.

Für den folgenden Umgang mit diesem Begriff ist vor allem die Erkenntnis über die drei

verschiedenen Bedeutungsebenen von Öffentlichkeit elementar – somit die juristische, poli-

tische und sozialpsychologische Definition. Natürlich existieren innerhalb dieser Kategorien

mannigfaltige Ansätze, wie im Verlauf dieses Kapitels knapp vorgestellt. So zeichnen sich

die Ansätze von Tönnies (1922), Hennis (1957), Habermas (1990) oder Luhmann (1996) im

Detail durch zuweilen grundverschiedene Ansichten aus. Diese sind aber für den weiteren

Verlauf dieser Arbeit nicht relevant. Wichtig ist, dass diese Ansätze konkret einer der drei

Begriffsebenen zuordenbar sind. Im Allgemeinen genügt es, diese konkurrierenden Ansätze

unter dem Titel der staatswissenschaftlichen Konzepte zu verordnen. Das nächste Kapitel

behandelt daraufhin die Vorstellung von Öffentlichkeit nach Noelle-Neumann.

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2.2. Öffentlichkeit nach Elisabeth Noelle-Neumann

In diesem Kapitel wird nun der Fokus auf Noelle-Neumanns Konzept von Öffentlichkeit ge-

richtet (vgl. Noelle-Neumann 1979; 1980, 1996). Ihre Begriffsbedeutung wird ebenfalls in

den Rahmen der drei Bedeutungsebenen von Öffentlichkeit eingeordnet und von den bereits

vorgestellten Konzepten abgegrenzt. Auf dieser Basis wird die Erschließung ihrer Theorie

der öffentlichen Meinung (siehe Kapitel 3.2) und der darin verordneten Schweigespirale

(siehe Kapitel 3.4) ermöglicht. Bevor die Rolle der öffentlichen Meinung näher betrachtet

werden kann, bedarf es einer klaren Definition ihrer Vorstellung von Öffentlichkeit.

Noelle-Neumanns Begriff ist Teil der sozialpsychologischen Auffassung von Öffentlichkeit

(vgl. Noelle-Neumann 1980, 89; Noelle-Neumann 1989, 7; Roessing 2011, 91). Kern ihrer

Idee von Öffentlichkeit sei laut Roessing (2011, 91), die Wahrnehmung von Meinungen und

die Einschätzung der dort vertretenen Meinungslager. Sie versucht folglich, im Gegensatz

zum vorgestellten Elitekonzept (vgl. Kapitel 2.1), real existierende soziale Phänomene zu

erklären. Getrieben vom Bedürfnis nach Akzeptanz durch seine Umwelt, halte der Einzelne

„seine Aufmerksamkeit gespannt auf die Umwelt gerichtet, so dass man von Öffentlichkeit

als Bewusstseinszustand sprechen kann“ (Noelle-Neumann 1980, 90). Öffentlichkeit dürfe

dabei aber nicht, „als Gesamtheit vereinzelter, atomisierter Individuen mißverstanden wer-

den“ (Noelle-Neumann 1996, 328). Stattdessen sei sie ein systemischer Zusammenhang, der

auf den Wechselwirkungen der individualen Umweltbeobachtungen besteht (vgl. ebd.).

Schulz und Rössler (2013, 205) heben hervor, das Noelle-Neumann der Öffentlichkeit dabei

eine starke Wirkungskraft in der Gesellschaft zuschreibt. Schwäche dieser Vorstellung von

Öffentlichkeit als Bewusstseinszustand sei allerdings, dass sie abstrakt bleibe (vgl. ebd.). Erst

als öffentliche Meinung werde aus dem individuellen Tatbestand ein interpretierbares „Mak-

rophänomen“ (vgl. ebd., 206). Nichtsdestotrotz formulierte Noelle-Neumann (1980, 36) auch

konkretisierende Annahmen zur Öffentlichkeit. Die konkrete Wahrnehmung der unterschied-

lichen Meinungen sei nur möglich, „wenn Signale ganz offen sind, öffentlich also“ (ebd.).

Damit nimmt sie ebenfalls eine Trennung zwischen Öffentlichkeit und Privatbereich vor, wie

auch die Vertreter anderer Konzepte. Sie ergänzt, „das Verhalten […] im Primärkreis mag

ebenso sein wie das Verhalten in der Öffentlichkeit, oder anders, das ist erst einmal für den

Prozeß der Schweigespirale Nebensache“ (ebd.). Sie knüpft also den Bereich der Öffentlich-

keit konkret an ihre Theorie der Schweigespirale (siehe Kapitel 3.4). Öffentliche Kommuni-

kation scheint damit also die Anwesenheit von Fremden vorauszusetzen. Ferner spiele die

wahrgenommene Größe der Öffentlichkeit, also die „Weite des Kreises“ (Noelle-Neumann,

1979, 206), bei der Teilnahme an einer potenziellen Meinungsäußerung eine Rolle (vgl. ebd.).

Dabei dienen die Massenmedien als Instrument, das verstärkt diese Art von bedrohlichen

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öffentlichen Situationen produziert, bei denen das Individuum die Gefahr einer Meinungsäu-

ßerung verspürt (ebd., 208). Diese Zusammenhänge, fasst sie unter der Bezeichnung „Öffent-

lichkeit als Tribunal“ zusammen (Noelle-Neumann 1998, 85). Sie beachtet also weniger kon-

krete Themen der Öffentlichkeit, sondern die sozialpsychologischen Phänomene im

öffentlichen Raum und ihre Wirkung auf den Einzelnen.

Roessing (2009, 58) fasst das Verhältnis zwischen Elitekonzept und dem „Integrationskon-

zept“, nach Noelle-Neumann, prägnant zusammen: „1. Das Integrationskonzept kann das nor-

mative Elitekonzept öffentlicher Meinung nicht widerlegen, weil normative Konzepte prin-

zipiell nicht wahrheitsfähig sind.“ und „2. Das Elitekonzept kann das empirisch-analytische,

quantitative Integrationskonzept nicht widerlegen, weil die Wahrheitsfähigkeit dieses Kon-

zeptes unabhängig von normativen Sätzen oder Begriffsdefinitionen ist.“ Schulz und Rössler

(2013, 202; H.i.O.) weisen zusätzlich darauf hin, dass der öffentliche Wandel des Internet nur

mithilfe eines „empirisch ausgerichteten Konzepts, das Öffentlichkeit als tatsächlich greif-

bare, realweltlich beobachtbare Bezugsgröße für das Handeln des Einzelnen versteht […]“

sichtbar gemacht werden kann. Es zeigt sich also, dass die Untersuchung der Thesen nur

möglich ist, da ihr Konzept jene Voraussetzungen erfüllt.

Mit diesem Gedanken wird die Vorstellung der unterschiedlichen Konzepte nun abgeschlos-

sen. Da sich die These dieser Arbeit direkt auf Noelle-Neumanns „Theorie der Schweigespi-

rale“ (vgl. Noelle-Neumann 1980) bezieht, wird im Folgenden grundsätzlich ihre Definition

der Begrifflichkeiten verwendet. Auch wenn an dieser Stelle keine Gültigkeit dieser Defini-

tion bewiesen werden kann, wird an diesem Ausdruck, auch zum besseren Textverständnis,

festgehalten. Die vorliegende Unterscheidung, zwischen den drei gängigen Begriffsebenen,

ist wichtig, um andere Erklärungsversuche zum Untersuchungsgegenstand „Facebook“, auf

Herkunft ihres Öffentlichkeitsbegriffs überprüfen zu können. Erkenntnisse des Elitekonzep-

tes werden im Folgenden nur dann zur Hilfe genommen, wenn sie einen relevanten Teil des

Integrationskonzeptes, beziehungsweise theoretische Überlegungen zum Untersuchungsge-

genstand, beinhalten. In solch einem Fall, wird der Begriff dementsprechend gekennzeichnet.

Ausgehend von dieser Definition der Öffentlichkeit, wird im nächsten Abschnitt kurz die

Person „Noelle-Neumann“ vorgestellt (siehe Kapitel 3.1). Anschließend folgt die detaillierte

Auseinandersetzung mit ihrer Theorie der Schweigespirale (siehe Kapitel 3.2 bis 3.6).

13

3. Die Theorie der öffentlichen Meinung

Nachdem die Arbeit nun an den Überbau „Öffentlichkeit“ Anschluss fand (siehe Kapitel 2),

widmet sich dieses Kapitel ganz Noelle-Neumanns Theorie der Theorie der öffentlichen Mei-

nung (auch TdÖM). Darauf basierend, wird die darin verortete Schweigespirale erläutert. Als

zentraler Bestandteil und aufgrund der gegenseitigen Bedingung werden die Begriffe beider

Theorien im Folgenden synonym verwendet. Ebenfalls wird ein kurzer Blick auf die impo-

sante Person „Noelle-Neumann“ geworfen, die zu ihrem Tod, von der Welt am Sonntag gar

als „Jahrhundertfrau“ (vgl. Stürmer 2010) betitelt wurde. Die folgenden Kapitel erläutern

theoretische Grundlagen und Erkenntnisse, welche für den späteren Übertragungsversuch der

Theorie, auf den Untersuchungsgegenstand „Facebook“ nötig sind. Kern ihrer Annahmen ist

die Gestaltung eines Erklärungsversuchs zur Entschlüsselung kollektiver Meinungsvertei-

lung in einer Gesellschaft (vgl. Roessing 2011, 13). Von den Grundlagen ihres Forschungs-

ansatzes über die einzelnen Bestandteile ihrer Theorie bis zu weiteren Ergänzungen werden

die Entstehung und der Aufbau ihrer Theorie beleuchtet.

Zunächst befasst sich Kapitel 3.1 mit dem Ursprung und der Entwicklung ihrer Theorie der

öffentlichen Meinung. Ausgehend von ihrer bewegten Lebensgeschichte wird vorgestellt,

was sie motivierte, das Phänomen „Schweigespirale“ zu untersuchen und wie sie die For-

schungen daran aufnahm. Dabei werden erste Annahmen zur Schweigespirale und der öffent-

lichen Meinung beschrieben. Ferner werden die Erkenntnisgrundlagen vorgestellt, nach de-

nen sie sich zu Lebzeiten der Erforschung öffentlicher Meinung verpflichtete. Das darauf

folgende Kapitel 3.2 befasst sich im Detail mit den einzelnen Grundlagen der Theorie der

Schweigespirale. Die Unterkapitel befassen sich, geordnet nach ihrer Stellung im Prozess der

Schweigespirale, mit der öffentlichen Meinung (siehe Kapitel 3.2.1), der Meinungsklima-

wahrnehmung (siehe Kapitel 3.2.2) und dem Phänomen von Isolationsfurcht und Redebereit-

schaft (siehe Kapitel 3.2.3). In Kapitel 3.3 wird die Rolle der Massenmedien bei Prozessen

der öffentlichen Meinung, somit auch der Schweigespirale, vorgestellt. Kapitel 3.4 fasst die

bisherigen Erkenntnisse zusammen und führt sie darüber hinaus zum Gesamtbild der Schwei-

gespirale zusammen. In Kapitel 3.5 wird geläufige Kritik an der Schweigespirale vorgestellt.

Einerseits in Bezug auf den inhaltlichen Aufbau, andererseits auch auf das methodische Vor-

gehen bezogen. Obendrein werden Weiterentwicklungen, unter anderem von Noelle-

Neumann selbst, dargestellt. Mithilfe der Betrachtung dieser kritischen Rezeption ist es mög-

lich, verschiedene Randbedingungen bei der späteren Übertragung der Theorie zu integrieren.

Ebenfalls wird eine allgemeine Einschätzung der Validität der Theorie geboten. Abschlie-

ßend stellt Kapitel 3.6 verwandte Ansätze der Schweigespirale vor. Die Vorstellung dieser

weiteren Erklärungsmodelle soll das Verständnis der Schweigespirale zusätzlich verbessern.

14

3.1. Ursprung und Entwicklung

Elisabeth Noelle-Neumann gilt als eine der prägnantesten Figuren der Kommunikationswis-

senschaft (vgl. Meyen/Löblich 2006, 255). Als eine von wenigen deutschen Forscherinnen,

genossen ihre Publikationen auch in den USA ein hohes Ansehen (vgl. Weischenberg 2014,

136). Geboren im Jahr 1916 in Berlin, sind ihre jungen Jahre unter anderem durch nebulöse

Verbindungen zur Propaganda-Abteilung der Nationalsozialisten geprägt (vgl. Roessing

2011, 28). In der darauf folgenden Nachkriegszeit gründete sie, gemeinsam mit ihrem dama-

ligen Ehemann, das Institut für Demoskopie in Allensbach (IfD Allensbach o.J.). Trotz an-

fänglich schwierigem Stand in der Forschung setzte sie ihre wissenschaftliche und publizis-

tische Arbeit bis zu ihrem Tod im Jahr 2010 konsequent fort (vgl. Roessing 2011, 29). Auch

gegenwärtig sind ihre Veröffentlichungen, allen voran die Theorie der Schweigespirale, häu-

fig diskutierte Konzepte (vgl. Schulz/Roessing 2013).

Ausgangspunkt zur Erforschung der Schweigespirale, war das Wahljahr 1965 (vgl. Noelle-

Neumann 1980, 13). Noelle-Neumann (1980, 14), machte eine Beobachtung, welche sie so

zuvor noch nicht erlebt hatte: „Unter dem Druck der öffentlichen Meinung hatten Hundert-

tausende, wohl mehr als eine Million Wähler etwas bewirkt, was wir später einen ‚last minute

swing‘ nannten, es war ein Mitläufereffekt letzter Minute, der die CDU/CSU anschwellen

ließ, bis an die Stelle ebenbürtiger Stärke der beiden großen Parteien eine Vorsprung für die

CDU/CSU von mehr als acht Prozent im amtlichen Erststimmenergebnis getreten war.“ Sie

stellte bei genauer Analyse der Messungen von Wahlabsicht und Siegeserwartung eine un-

übersehbare Diskrepanz fest (vgl. ebd., 16). Es sei gewesen, „als ob die beiden Messungen

[…], auf verschiedenen Planeten vorgenommen worden seien“ (ebd.). Anfänglich entwickel-

ten sich die Ergebnisse unauffällig, doch im letzten Moment kam es zu einem Mitläufereffekt

in Richtung der steigenden Siegeserwartung (vgl. ebd., 15). Motiviert, diesem Phänomen

nachzugehen, untersuchte Noelle-Neumann das folgende Wahljahr 1972, mit verbesserten

Hypothesen und ausgearbeiteten Messinstrumenten, erneut (vgl. ebd., 16f). Zu ihrem Erstau-

nen, glich das Ergebnis den Vermutungen der vorherigen Wahl (vgl. ebd.). Erneut entwickelte

sich in letzter Minute ein Mitläufereffekt in Richtung der ansteigenden Siegeserwartung (vgl.

ebd.). Auf diesem Phänomen begründete sie ihre weitere Forschung (vgl. ebd., 21).

Daraufhin begann sie eine Vielzahl von Annahmen zu erstellen und dem Phänomen auf den

Grund zu gehen (Noelle-Neumann u.a. 1979; 1980; 1989; 1996; 1998). Bereits 1940 be-

schrieb Paul Lazarsfeld (1969, 145), bei der amerikanischen Präsidentschaftswahl, ein ähnli-

ches Phänomen unter dem Namen „Bandwagon-Effekt“. Kern dieser Erklärung ist, dass jeder

gerne auf der ruhmreichen Seite des Siegers stehe und somit seine Stimmvergabe anpasse

15

(vgl. ebd.). Noelle-Neumann (1980, 19) nahm diese Überlegung auf, sah jedoch einen näher

liegenden Grund als Ursache. Es sei etwas viel Bescheideneres, „das Bemühen, […] sich

nicht zu isolieren“ (ebd.). In diesem frühen Stadium ihrer Theorieentwicklung beschrieb sie

Isolation bereits als treibende Kraft hinter den Phänomenen der öffentlichen Meinung. Ge-

zielte Befragungen ergaben daraufhin, dass vor allem diejenigen besonders stark von diesem

Mitläufereffekt betroffen waren, die tendenziell schneller Isolation verspüren (vgl. ebd., 20).

So entschied sie sich dazu, die Erscheinung mit unterschiedlichen Methoden sichtbar zu ma-

chen (vgl. ebd., 21f). Sie begann damit, Werke der Literatur, Geschichte und Philosophie auf

ähnliche Phänomene zu überprüfen (vgl. Roessing 2011, 30). In vielen dieser Werke konnte

sie tatsächlich ähnliche Tendenzen erkennen (vgl. Noelle-Neumann 1980, 21). So zogen sich

diese Erkenntnisse, häufig nur als Randnotizen, durch Werke von Machiavelli (1532), Hume

(1738), de Tocqueville (1856) und vielen anderen, bis weit zurück in die Antike (vgl. Noelle-

Neumann 1980, 21f.). Mit verdichtender Realität der Schweigespirale begann sie sich darauf-

hin, der empirischen Sozialforschung zu widmen (vgl. Roessing 2011, 31). Aus ihren vorlie-

genden Umfragedaten und bestärkt durch die Erkenntnisse der Vergangenheit, begann sie

konkrete Thesen, und damit die Grundpfeiler für ihre Theorie, zu entwickeln. Als Kernaspekt

formulierte sie die These, „daß die Menschen ihre Umwelt beobachten, wachsam wahrneh-

men, wie die meisten anderen Menschen denken und wie die Tendenzen sind, welche Ein-

stellungen zunehmen, was sich durchsetzen wird“ (Noelle-Neumann 1980, 23). Als erstes

Forschungsinstrument wählte sie den so genannten „Eisenbahntest“ (vgl. ebd., 33). Bei dieser

Simulation der Öffentlichkeit, in Form eines Zugabteils, versuchte sie zu untersuchen, wie

sich Rede- und Schweigetendenz der einander unbekannten Teilnehmer, bei unterschiedli-

chen Themen zeigte (vgl. ebd.). Dabei untersuchte sie die These: „in einer Kontroverse sind

die verschiedenen Lager unterschiedlich bereit, sich öffentlich sichtbar für ihre Überzeugung

einzusetzen“ (ebd., 35). Erneut bestärkt durch die Resultate, welche den Kern der These un-

terstützten (vgl. Roessing 2009, 143), begann sie mit der Konkretisierung der Theorie der

Schweigespirale (vgl. Noelle-Neumann 1980, 86). Im Folgenden Kapitel werden diese Rah-

menbedingungen und Grundlagen, die sie immer wieder anpasste, detailliert vorgestellt.

3.2. Grundlagen der Theorie

Ziel dieses Kapitels ist es, die drei Kernaspekte der Theorie der Schweigespirale vorzustellen.

Zudem sollen die Zusammenhänge zwischen diesen Bereichen vorgestellt werden. Im Laufe

ihrer Forschungen erkannte Noelle-Neumann (1980, 59 – 83), die tiefgreifenden Zusammen-

hänge zwischen öffentlicher Meinung, Meinungsklimawahrnehmung und der Isolations-

furcht sowie Redebereitschaft. An dieser Stelle wird das Zusammenspiel dieser Aspekte er-

läutert. Im späteren Verlauf dienen diese Erläuterungen vor allem als Rückbezug auf die

16

wichtigen theoretischen Grundlagen der Schweigespirale (siehe Kapitel 3.4). In Abschnitt

3.2.1 wird der theoretische Unterbau, die öffentliche Meinung, vorgestellt. Dabei wird die

Beziehung der öffentlichen Meinung zu Noelle-Neumanns Explikation von Öffentlichkeit

hergestellt. Hier wird insbesondere betrachtet, auf welche Art sich die öffentliche Meinung

zusammensetzt. Überdies wird näher demonstriert, welche Macht die öffentliche Meinung

auf den Einzelnen ausübt. Abschließend wird dieser Begriff anschlussfähig an die weiteren

Kernaspekte gemacht. Auf dieser Grundlage wird in Abschnitt 3.2.2 der Begriff des „Mei-

nungsklimas“ und die Wahrnehmung des selbigen vorgestellt. Es wird ferner betrachtet, aus

welchen Konstellationen das Meinungsklima entspringt. Ebenfalls wird geklärt, wie der Ein-

zelne dazu in der Lage ist, das Meinungsklima überhaupt wahrzunehmen. Darüber hinaus

wird die Auswirkung der Meinungsklimawahrnehmung auf das Individuum und rückwirkend

die öffentliche Meinung gezeigt. Abschließend werden in Abschnitt 3.2.2 die „Isolations-

furcht und Redebereitschaft“ betrachtet und als Ergebnis der Kräfte von öffentlicher Meinung

vorgestellt. Eingangs wird die Isolationsfurcht, als existenzielle Angst der Menschen, vorge-

stellt. Daraufhin wird näher erläutert, in welcher Art und Weise die Wahrnehmung der öf-

fentlichen Meinung im Zusammenhang mit dem Gefühl der Isolation steht. Im Anschluss

wird darauf aufbauend untersucht, wie sich dadurch die Redebereitschaft des Einzelnen zeigt.

3.2.1. Öffentliche Meinung

Untrennbar mit Noelle-Neumanns Begriff der Öffentlichkeit (vgl. Kapitel 2.2) verbunden,

stellt die öffentliche Meinung den Nährboden für den Prozess der Schweigespirale dar (vgl.

Noelle-Neumann .1979, 169). Noelle-Neumann versuche mit ihrem Entwurf, einen „klären-

den Beitrag zur jahrhundertealten Diskussion über Gegenstand und Begriff ‚öffentliche Mei-

nung‘ zu leisten“, beschreibt Roessing (2009, 14). Im Rahmen ihrer Erkenntnisse zur Bun-

destagswahl 1965 stellte sie fest, dass die Schweigespirale unbestreitbar ein Glied der

öffentlichen Meinung darstellen müsse (vgl. Noelle-Neumann 1980, 86). Dieses Kapitel er-

läutert nun, wie sich öffentliche Meinung in ihrer Vorstellung von Öffentlichkeit verorten

lässt und welche Eigenschaften sie nach ihrer Vorstellung besitzt. Zugleich dient es als Refe-

renzpunkt für spätere Überlegungen (siehe Kapitel 5).

Im Kern beruft Noelle-Neumann sich bei der Definition der öffentlichen Meinung auf das

bereits vorgestellte Integrationskonzept (vgl. Kapitel 2.2). Nach eingehender Beschäftigung

mit dieser Thematik formulierte sie eine erste Definition: „Meinungen im kontroversen Be-

reich, die man öffentlich äußern kann, ohne sich zu isolieren“ (Noelle-Neumann 1980, 91;

H.i.O.). Wichtig zum Verständnis ihrer Definition ist die Analogie der Aggregatzustände,

nach Tönnies (1922, 137f). So gebe es feste, flüssige und luftartige Zustände der öffentlichen

Meinung (vgl. ebd.). Roessing (2011, 13) erklärt die festgewordene öffentliche Meinung als,

17

„etablierte Sitten – beispielsweise der Händedruck zur Begrüßung […]“. Diese würden sich

nicht in „überschaubaren“ Zeiträumen ändern (vgl. ebd.). Ein Wandel dieser Art von öffent-

licher Meinung vollzieht sich also verhältnismäßig langsam. Die flüssige Form öffentlicher

Meinung betreffe dagegen Aspekte der Gesellschaft, in der sich Mehrheitsverhältnisse kurz-

fristig schnell ändern (vgl. ebd.). Die Schweigespirale ließe sich damit im flüssigen Teil der

öffentlichen Meinung verorten (vgl. Noelle-Neumann 1980, 91). Um eine operationelle De-

finition zu schaffen, ergänzte Noelle-Neumann (ebd., 255) um die Unterscheidung der Ag-

gregatzustände. Prägnant formuliert sie: „Öffentliche Meinung, das sind Meinungen, Verhal-

tensweisen, die man in der Öffentlichkeit äußern oder zeigen muß, wenn man sich nicht

isolieren will; in kontroversen, im Wandel begriffenen Bereichen oder in neu entstandenen

Spannungszonen in der Öffentlichkeit äußern kann ohne Gefahr sich zu isolieren“ (ebd., 255;

H.i.O.). Diese Definition nutzte sie im späteren Verlauf unter anderem als Grundlage für ihre

empirischen Untersuchungen (vgl. ebd.). Die wachsende Gleichheit der gesellschaftlichen

Grundbedingungen, sei einer der Hauptgründe, für eine Übermacht der Öffentlichen Meinung

(vgl. ebd., 127f). So würden sich die Menschen in „Zeiten der Gleichheit“ (ebd., 128), auf-

grund ihrer Ähnlichkeit kein Vertrauen mehr schenken (vgl. ebd.). Andererseits sei diese

Ähnlichkeit der Grund für ein „fast unbegrenztes Vertrauen in das Urteil der Öffentlichkeit

[…]“ (ebd.). Doch trotz der Schweigespirale gebe es Möglichkeit auf Reform (vgl. ebd., 201).

Das Konzept schließe nicht aus, dass das Individuum im Einzelfall keine Isolationsfurcht

verspüre oder sie zu überwinden vermag, um somit die Fesseln des Schweigens zu brechen

und einen Prozess des Wandels anzustoßen (vgl. ebd.).

Trotz kleinerer formaler Unterschiede in ihren Definitionen der öffentlichen Meinung findet

sich auch ein präziser roter Faden, der sich durch all ihre Erklärungen zieht. Noelle-Neumann

(1998, 92; H.d.d.Verf.) formuliert es sehr prägnant: „Öffentliche Meinung ist herrschende

Meinung in der Öffentlichkeit“. So handele es sich dabei immer um moralisch aufgeladene

Meinungen und Verhaltensweisen (vgl. Noelle-Neumann 1996, 343f). Bei festgewordener

Übereinstimmung, wie einer Sitte, müsse man sie zeigen, um sich nicht zu isolieren (vgl.

Noelle-Neumann ebd., 344). Während es sich bei einem Zustand des Wandels, um eine Mei-

nung handelt, die man „öffentlich zeigen kann, ohne sich zu isolieren“ (ebd.). Das Phänomen

der Schweigespirale entstehe besonders dort, wo eine Meinung noch nicht fest etabliert sei

(vgl. Roessing 2011, 13). In dieser Definition verbirgt sich im Prinzip bereits der dynamische

Prozess der Schweigespirale. Hiermit ist es nun möglich, die weiteren Grundlagen der Theo-

rie zu untersuchen und abschließend den Aufbau dieses Prozesses zu formulieren (siehe Ka-

pitel 3.4). Ebenso ist dieser Begriff von öffentlicher Meinung nötig, um einordnen zu können,

welche öffentlichen Prozesse auf „Facebook“ stattfinden und wie sie zu kategorisieren sind.

18

3.2.2. Die Meinungsklimawahrnehmung

Als nächster Schritt wird nun die Bedeutung der Meinungsklimawahrnehmung vorgestellt.

Es wird vorab gezeigt, woher der Begriff des Meinungsklimas stammt. Daraufhin wie sich

die Meinungsklimawahrnehmung gestaltet und wie sich das Individuum des Meinungsklimas

bewusst wird. Ferner dient der Inhalt dieses Kapitels als Anknüpfungspunkt für die Erläute-

rung der Rolle der Massenmedien (siehe Kapitel 3.3) und weitere Überlegungen zum Mei-

nungsklima im Netz (siehe Kapitel 5.2). Um die Effekte der öffentlichen Meinung zu spüren,

muss der Einzelne zunächst wahrnehmen, welche öffentliche Meinung überhaupt vor-

herrscht. Das Meinungsklima trägt also eine wichtige Rolle im Prozess der Schweigespirale.

Der Begriff „Meinungsklima“ wurde bereits im Jahr 1661 vom Sozialphilosophen Joseph

Glanvill geprägt und auch Noelle-Neumann (1980, 109) führt ihn in ihre Überlegungen ein.

Wichtig sei vor allem jenes, was sich im „-klima“ verberge, und zwar die Unsicherheit sowie

Schwankungen der öffentlichen Meinung (vgl. ebd., 110). Es handele sich also, über öffent-

liche Meinung hinaus, um die Beobachtung eines Stärkefelds – um Häufigkeitsverteilungen

von unterschiedlichen Tendenzen (vgl. ebd.). Zum besseren Verständnis formuliert Roessing

(2011, 33) eine simple Frageform nach dem Meinungsklima: „Welche Meinung ist vorherr-

schend?“. Das Meinungsklima dürfe nicht mit der tatsächlichen Meinungsverteilung inner-

halb der Bevölkerung verwechselt werden (vgl. ebd.). Denn im Rahmen des Meinungsklimas

könne auch „eine tatsächliche Minderheit als Mehrheit wahrgenommen werden“ (ebd.). Zur

Erfragung dieser Tendenzen eignen sich vor allem Fragen, nach dem folgenden Schema (vgl.

Noelle-Neumann 1980, 231): „Wissen kann das natürlich niemand, aber was glauben Sie,

wer die kommende Bundestagswahl gewinnt, wer die meisten Stimmen bekommt: die

CDU/CSU oder die SPD/F.D.P.?“

Das Meinungsklima sei aber keineswegs nur eine Ansammlung der zahlenmäßigen Vertei-

lung der Meinungen, so Roessing (2009, 118). Stattdessen umfasse es auch „die öffentliche

Sichtbarkeit und Aktivität von Meinungslagern […]“ (ebd.), welche dabei durchaus auch mit

den Prozessen der öffentlichen Meinung in Wechselwirkung stehen könne (vgl. ebd.). Die

Meinungsklimawahrnehmung sei eine Kombination, aus Wahrnehmung der tatsächlichen

Meinungsverteilung und der Bekenntnisbereitschaft der jeweiligen Lager (vgl. Roessing

2011, 33). Die Wahrnehmung des Meinungsklimas hängt demzufolge also hauptsächlich von

zwei Faktoren ab. So kann die Minderheit bei lautstarkem Auftritt dennoch das Meinungs-

klima beherrschen. Es kommt die Frage auf, wie Individuen die notwendigen Informationen

zur Formung eines Meinungsbildes erhalten. Unter anderem seien die Massenmedien dafür

maßgeblich verantwortlich (vgl. Roessing 2009, 120). An dieser Stelle soll nun also geklärt

werden, woher das Meinungsklima ebenfalls zu beziehen ist. Verschiedene Auffassungen der

19

Meinungsklimawahrnehmung gehen davon aus, der Einzelne orientiere sich nicht nur an der

gesamten Öffentlichkeit, sondern auch an seinen Bezugsgruppen (vgl. Katz 1981, 36). Dies

schließe die Theorie der öffentlichen Meinung, trotz strikter Verknüpfung zur Öffentlichkeit,

jedoch nicht aus (vgl. Roessing 2009, 120f). Stattdessen unterstreiche Noelle-Neumann, den

Zusammenhang von öffentlicher Meinung und Gruppenphänomenen (vgl. ebd., 121). So un-

terscheide sich der Druck auf das Individuum in verschiedenen Gruppen, je nachdem, wel-

cher Präferenz die Gruppe vertrete (vgl. ebd., 122). Noelle-Neumann (1980, 165) weist je-

doch ebenfalls darauf hin, dass unterschiedliche Subpopulationen Veränderungen des

gesamten Meinungsklimas größtenteils gleichwertig wahrnehmen. Dieser Aspekt der Theorie

der Schweigespirale wird im späteren Verlauf vor allem dort von Relevanz sein, wo geklärt

wird, wie sich die Einflussgrößen auf „Facebook“ gestalten (siehe Kapitel 5.2).

Nachdem nun geklärt ist, was unter dem Meinungsklima zu verstehen ist, ergibt sich die

Frage, wie Menschen dieses Meinungsklima überhaupt wahrnehmen. Noelle-Neumann (ebd.)

erklärt das Ganze mit einem „quasistatistischen Sinn“. Die Menschen würden ein „Organ“

besitzen, welches ihnen ermöglicht, „Häufigkeitsverteilungen, Meinungsänderungen in der

Umwelt mit großer Empfindlichkeit wahrzunehmen […]“ (ebd.). Damit handele es sich um

das „Bindeglied zwischen individueller und kollektiver Sphäre“ (ebd., 164). Mithilfe dieses

Quasi-Statistischen-Organs nehmen die Menschen also verschiedene Meinungslager war. Jä-

ckel (2008, 252) stellt zwei Möglichkeiten zur Umweltwahrnehmung vor. So könne der Ein-

zelne, wie bereits erläutert, die Umwelt direkt und unmittelbar wahrnehmen (vgl. ebd.). An-

dererseits könne der Einzelne seine Vorstellung des Meinungsklimas auch aus der

Berichterstattung der Massenmedien ziehen (vgl. ebd., 253). Je nach Quelle und Intensität

der Mediennutzung hätten die Menschen eine andere Vorstellung des Meinungsklimas (vgl.

Roessing 2011, 24). Im Extremfall könne es auch zur Wahrnehmung eines doppelten Mei-

nungsklimas kommen (vgl. ebd.). Demzufolge gibt es also mehrere Domänen des Meinungs-

klimas. Das was für den einen die herrschende Mehrheit ist, könnte für den anderen eine

Randerscheinung sein. Im Folgenden wird nun von der Annahme Noelle-Neumanns ausge-

gangen, Menschen würden die Fähigkeit zur genauen Wahrnehmung des Meinungsklimas

besitzen. Dies ist zur weiteren Beantwortung der Forschungsfragen notwendig. Wie in Kapi-

tel 3.2.1 erklärt, bestimmt die öffentliche Meinung, die Positionen, die man einnehmen kann,

ohne negative Konsequenzen zu erleben. Unter Zunahme der Meinungsklimawahrnehmung

erhält das Individuum nun die Möglichkeit abzuwägen, welche Position gefährlich für das

eigene Selbst ist und welche nicht. Aus dieser Wahrnehmung ergibt sich zudem die Angst

des Individuums vor Isolation (vgl. Noelle-Neumann 1980, 63), welche zusammen mit der

Redebereitschaft im nächsten Abschnitt vorgestellt wird.

20

3.2.3. Isolationsfurcht und Redebereitschaft

Als aktive Prozesse sind Isolationsfurcht und Redebereitschaft treibende Kräfte bei der Ent-

stehung der Schweigespirale (vgl. Noelle-Neumann 1980, 63). Im Folgenden wird geklärt,

wo diese beiden Prozesse auftauchen und unter welchen Voraussetzungen sie entstehen. Auf

der einen Seite die Isolationsfurcht – der Wunsch nicht ausgegrenzt zu werden. Auf der an-

deren Seite die Redebereitschaft – der Wille zum Äußern der eigenen Meinung. Dieses Wech-

selspiel wird nun erläutert.

Noelle-Neumann (1980, 63), vermutet in der Isolationsfurcht der Menschen den Impuls für

die Redebereitschaft. Bereits vor Noelle-Neumanns Theorie der öffentlichen Meinung, er-

kannte Erwin Scheuch (1965) bei der Betrachtung von Meinungsäußerungen ähnliche Ten-

denzen. Aus Sorge vor negativen sozialen Sanktionen würde der Einzelne, bei entsprechen-

den Themen, seine eigene Position verschweigen (vgl. ebd., 170). Auch hierbei sticht erneut

die Vorstellung von Öffentlichkeit als Bewertungsinstanz hervor. Noelle-Neumann (1980,

64) stellte daraufhin weitere Überlegungen zu diesem Verhalten der Menschen an: „Die An-

spannung, die Umwelt zu beobachten, ist anscheinend das geringere Übel, verglichen mit der

Gefahr, plötzlich das Wohlwollen seiner Mitmenschen zu verlieren, plötzlich isoliert zu sein.“

Dieses „Wohlwollen der Mitmenschen“ bezeichnet Scheff (1994, 4) auch als „social bond“.

Es handele sich dabei um die enge Beziehung, die Menschen zu ihren Nächsten führen, und

der ein großer sozialer sowie emotionaler Wert zugeschrieben werde (vgl. ebd., 4f). Um diese

Verbindung zu ihren Mitmenschen nicht zu gefährden, orientieren sich die Menschen an den

Richtlinien der öffentlichen Meinung (vgl. Roessing 2009, 140; Kapitel 3.2.1). Die Menschen

orientieren sich also ununterbrochen an den Eindrücken aus ihrem Umfeld, um sich so vor

Fehlverhalten zu schützen. Bonfadelli (2004, 157) beschreibt diesen Prozess als das „soziale

Konsonanzstreben“. Das Individuum sei auf der Suche nach Stimmigkeit und Ausgeglichen-

heit im Sozialleben, und strebe daher nach diesem Idealzustand (vgl. ebd.). Fraglich ist, wie

sich bei solch einer existenziellen Angst dennoch die Bereitschaft ergeben kann, über ein

bestimmtes Thema zu reden. Roessing (2011, 16) stellt die moralische Ladung eines Themas

als wichtigen Faktor für diese Prozesse der Schweigespirale dar. Sie sei „emotionales Poten-

tial, das Isolationsfurcht (und umgekehrt: Isolationsdrohungen gegen Abweichler) erst wirk-

sam werden lässt“ (ebd.). Damit wäre der Wirkungsbereich der Schweigespirale, bei rationa-

len Themen und weniger emotionalen Sachverhalten, dementsprechend eingeschränkt. Es

gehe nicht um Themen zur Frage ob „falsch oder richtig“ (ebd.), sondern um die Frage nach

der „guten und schlechten Meinung“ (vgl. ebd.). So lässt sich also Schlussfolgern, dass so-

lange die eigene Position der als positiv wahrgenommenen Seite entspricht, auch keine son-

21

derliche Isolationsfurcht verspürt wird. Die Redebereitschaft bleibt also unter diesen Umstän-

den vermutlich unberührt davon. Dies deckt sich auch mit den bereits in Kapitel 3.2.1 vorge-

stellten Eigenschaften öffentlicher Meinung. Es zeigt sich damit die starke Verflechtung der

drei Kernaspekte.

Laut Noelle-Neumann (1980, 46) werde die Redebereitschaft außerdem durch „die Überein-

stimmung zwischen den eigenen Überzeugungen und dem Gefühl, […] die Zustimmung der

modernen, vernünftigeren oder einfach besseren Menschen für sich zu haben“ beeinflusst.

Doch nicht immer dürfe das Fehlen des sprachlichen Ausdrucks als Schweigen gewertet wer-

den, auch die öffentliche Zurschaustellung der eigenen Meinung, sei Reden und Schweigen

im weitesten Sinne (vgl. ebd., 42). Dazu zähle unter anderem das Tragen eines Abzeichens,

Autoaufkleber, das Lesen einer bestimmten Zeitung oder all jenes zu verstecken (vgl. ebd.).

Noelle-Neumann (ebd.) formuliert es spitz: „Reden war es in den 60er Jahren, wenn ein Mann

schulterlanges Haar trug. Reden ist in den Ostblockländern, Jeans tragen.“ Doch auch unab-

hängig vom Thema oder Überzeugungen gebe es Menschen, die es vorziehen offen zu kom-

munizieren und andere, die lieber schweigen (vgl. ebd., 45). Manche Menschen genießen also

auch die Rolle als Zuhörer, ohne dass sie sich von Isolation bedroht fühlen. Dieser Punkt ist

auch interessant für die spätere Übertragung des Konzeptes, auf die Online-Welt. Gibt es dort

Prädispositionen, unabhängig der Isolationsfurcht und Redebereitschaft, bezüglich des Um-

gangs mit Online-Plattformen?

Doch einmal dahingestellt, ob eine Person grundsätzlich mehr oder weniger rede, zeige die

simulierte Öffentlichkeit des „Eisenbahntests“ deutlich, dass die Befürworter eines Themas

immer eher dazu bereit waren, sich an einem Gespräch zu beteiligen (vgl. ebd., 49). Denn

letztendlich gehe es beim Verspüren von Isolation und dem Abwägen der Redebereitschaft

um Existenzfragen (vgl. ebd., 82). In manchen Fällen sei sogar eine reale Gefährdung des

körperlichen Wohls vorhanden, so Noelle-Neumann (ebd.). „Zerschnittene Reifen, be-

schmierte oder zerrissene Plakate, Verweigerung der Hilfe gegenüber Fremden“ (ebd.), seien

alles Folgen eines Meinungsklimas, welches gegen Oppositionelle gerichtet ist (vgl. ebd.).

Roessing (2011, 37) vollendet diesen Bezug zum Meinungsklima abschließend: „Wenn das

Meinungslager, das das Meinungsklima gegen sich hat, weniger bereit ist, in der Öffentlich-

keit über seinen Standpunkt zu reden, liegt eine Schweigespirale vor.“ Es findet also eine

klare Wechselwirkung zwischen diesen Kräften statt. Im Zusammenspiel dieser drei Grund-

lagen zeigt sich worauf das Konzept der Schweigespirale beruht.

22

3.3. Die Rolle der Massenmedien

Nachdem nun in Kapitel 3.2 die Grundzüge der Theorie der Schweigespirale erläutert wur-

den, beschäftigt sich das folgende Kapitel mit der Rolle der Massenmedien. Wie aus den

Grundlagen der Theorie hervorgeht, sind die Massenmedien keine Voraussetzung für die Ent-

stehung einer Schweigespirale. Im Folgenden wird deshalb dargestellt wie sie als Randbedin-

gungen der öffentlichen Meinung agieren. Zu Beginn wird der Begriff der Massenmedien

vorgestellt und gezeigt, welche Bedeutung sie tragen. Daraufhin wird der in Kapitel 3.2.2

eingeführte Begriff des „doppelten Meinungsklima“ näher festgelegt. Abschließend werden

weitere theoretische Grundlagen der massenmedialen Rolle vorgestellt. Von dort wird der

Einfluss auf die Entstehung der Schweigespirale näher dargestellt. Ebenfalls spielt dieses Ka-

pitel eine bedeutende Rolle für die spätere Übertragung der Theorie (siehe Kapitel 5.5), da

davon auszugehen ist, dass sich die massenmediale Rolle im Kontext digitaler Welten verän-

dert (siehe Kapitel 5.4).

McQuail (2010, 26), nimmt eine Distinktion zwischen dem „Prozess der Massenkommuni-

kation“ und den eigentlichen „Medien“, die dies ermöglichen, vor. Die Erscheinungen

menschlicher Kommunikation gäbe es bereits weitaus länger als das, was unter den Massen-

medien verstanden werde (vgl. ebd.). Das Aufkommen von Massenmedien sei je nach Kultur

unterschiedlich, doch ließe es sich für Europa am Ende des Mittelalters verorten (vgl. ebd.,

27). Nach seiner Theorie der Massenkommunikation sei davon auszugehen, dass alle Um-

stände und Ereignisse unserer Welt tatsächlich erfahrbar und erlebbar sind (vgl. ebd., 13).

„The media provide us with reports or reflections of this reality, with varying degrees of

accuracy, completeness or dependability”, beschreibt McQuail (ebd.) die Funktion der Mas-

senmedien bei der Darstellung der sozialen Realität. Luhmann (1997, 1103) beschreibt die

Massenmedien auf ähnliche Art. Sie seien ein „soziales Sinnsystem“, welches die Umwelt

nach „Information/Nichtinformation“ differenziert und dementsprechend die Repräsentation

der Wirklichkeit vornehme (vgl. ebd.). Dabei würde dieses System für eine breite Öffentlich-

keit die Gegenwart beschreiben und Inhalte, nach ihrer Anschlussfähigkeit priorisiert, ver-

breiten (vgl. ebd., 1098). Die Massenmedien versuchen also ein Abbild der Realität zu schaf-

fen, greifen dabei aber allein durch ihre Selektionsmechanismen schon verzerrend in die

Darstellung ein. Noelle-Neumann (1980, 222), konzentriert sich bei ihrer Beschreibung der

Massenmedien vor allem auf die Verleihung von Öffentlichkeit durch selbige. Zu Beginn

nimmt sie eine klare Distinktion zwischen massenmedialer Kommunikation und interperso-

neller Kommunikation, wie einem Gespräch, vor (vgl. ebd., 222f). Kommunikation lasse sich

erst einmal in „einseitig oder zweiseitig“ (vgl. ebd., 222) einordnen. Ein Gespräch sei dabei

zweiseitig, sowie direkte Kommunikation und im Allgemeinen privat (vgl. ebd., 223). Die

23

Massenmedien seien jedoch „einseitige, indirekte, öffentliche Kommunikation […]“ (ebd.).

Damit seien sie der „natürlichsten menschlichen Kommunikation“ (ebd.), auf dreierlei Arten

entgegengesetzt (vgl. ebd.). Dies führe unweigerlich zu einem Gefühl von Machtlosigkeit,

gegenüber dieser Instanz (vgl. ebd.). „Die Massenmedien verkörpern Öffentlichkeit, eine

weit ausgebreitete, anonyme, unangreifbare beinflußbare Öffentlichkeit“, betitelt Noelle-

Neumann (ebd., 222) dieses Phänomen. An dieser Stelle nimmt Noelle-Neumann (ebd., 223)

auch Bezug zu den Überlegungen Luhmanns. Wenn im Sinne seiner Vorstellungen (vgl. Luh-

mann 1997, 1096 – 1109) für eine Idee oder Sichtweise Aufmerksamkeit eingefangen werden

soll, diese jedoch durch die Selektion der Massenmedien der Öffentlichkeit vorenthalten

wird, entstehe ebenfalls ein starkes Gefühl von Machtlosigkeit (vgl. Noelle-Neumann 1980,

223). Dann fungieren die Medien außerdem als „Pranger“ (ebd.). Der Einzelne sei dieser

gesichtslosen Öffentlichkeit dabei schutzlos ausgeliefert (vgl. ebd.). So wären die Möglich-

keiten zur Gegendarstellung, gegenüber den Massenmedien, verschwindend gering (vgl.

ebd.). Doch auch Personen innerhalb dieser Maschinerie, stellen sich unweigerlich der Gefahr

einer negativen Darstellung aus (vgl. ebd.).

Roessing (2009, 207ff; 2011, 47ff), versucht die Rolle der Massenmedien anhand ihrer Funk-

tionen genauer darzustellen. Zu allererst sei die Funktion der „Thematisierung“ (Roessing

2011, 47; H.i.O), im Kontext der Schweigespirale relevant. Durch die Massenmedien würden

die Menschen erst auf gewisse Themen aufmerksam gemacht und eine Relevanz dahinter

empfinden (vgl. ebd.). Im Rahmen des „Agenda-Setting“, wird dieser Umstand tiefergehend

beleuchtet (vgl. Schenk 2007, 433 – 525). Dieser Forschungszweig widmet sich ganz der

Frage „inwiefern die Medien beeinflussen, worüber Menschen nachdenken, welche Themen

sie für wichtig halten […]“ (Roessing 2011, 47). Diese Vorstellung sei ebenfalls mit den

Ansätzen Luhmanns verwandt (vgl. Roessing 2009, 208). Als nächstes bezeichnet Roessing

(2011, 47; H.i.O.) das „Verleihen von Öffentlichkeit“ als wichtiges Element der Massenme-

dien. So transportieren die Massenmedien Standpunkte an die Öffentlichkeit oder diskredi-

tieren einen Ansatz in Form von negativer Öffentlichkeit (vgl. Roessing 2009, 209). Letzt-

endlich sei das Verleihen von Öffentlichkeit ein Ergebnis der Thematisierungsfunktion (vgl.

ebd.). Noelle-Neumann (1980, 225) bezeichnet diese beiden Funktionen gemeinsam auch als

„Tagesordnungsfunktion“. Standpunkte, die dabei nicht aufgegriffen werden, hätten kaum

Chancen in der öffentlichen Debatte (vgl. ebd., 224). Es wird deutlich, womit die Massenme-

dien die Schweigespirale beeinflussen und formen können. Ferner geschehe dies durch die

„Artikulationsfunktion“ (Roessing 2011, 47; H.i.O.) der Massenmedien. In der massenmedi-

alen Berichterstattung würden Argumente und Aussagen formuliert, welche sich daraufhin

24

auch in der alltäglichen Diskussion wiederfänden (vgl. ebd.). Die Anhänger der Meinungsla-

ger werden dabei, unabhängig von einer Mehrheits- oder Minderheitsposition, mit Argumen-

ten für die öffentliche Diskussion versorgt (vgl. Roessing 2009, 215). Noelle-Neumann

(1980, 247) stellt die wichtige Verbindung der Artikulationsfunktion zur Schweigespirale

heraus. Denn in einer Gesellschaft, in der die öffentliche Meinung auch vom Bild der Mas-

senmedien geprägt wird, sind die Menschen empfänglich für die Formulierungen der Mei-

nungsführer und in gewisser Weise auch davon Abhängig. „Wenn sie für ihren Standpunkt

keine einigermaßen geläufige, keine einigermaßen häufige Artikulation finden, verfallen sie

in Schweigen […]“, so Noelle-Neumann (ebd.) über den Einfluss der Artikulationsfunktion

auf das Individuum. Als letzte wichtige Funktion formuliert Roessing (2011, 47) eine sehr

naheliegende. So seien die Massenmedien auch immer eine „Quelle der Umweltwahrneh-

mung“ (vgl. ebd.; H.i.O.). Denn nicht nur beim privaten Gespräch, mit Bekannten oder bei

zufälligen Begegnungen, sondern auch durch die Massenmedien werde Einfluss auf das Mei-

nungsklima genommen (vgl. ebd.). Wenn die Medien als Folge ihrer Funktionen verschiede-

nen Inhalten Öffentlichkeit verleihen, sei es nur selbstverständlich, dass diese Darstellungen

auch als Quelle der Umweltbeobachtung dienen würden, schlussfolgert Tsfati (2003, 69).

Massenmedien sind aufgrund ihrer Funktionen und Strukturen der optimale Hinweisgeber für

akzeptables oder unakzeptables Verhalten. Dieser Vorgang werde durch die steigende Allge-

genwärtigkeit der Massenmedien, zu Noelle-Neumanns Zeit vor allem Radio und Fernsehen,

beschleunigt (vgl. Noelle-Neumann 1980, 224f). Als Grundlage ihrer Argumentation zieht

Noelle-Neumann (1979, 167) diese Konsonanz und Kumulation der Massenmedien heran.

Hierauf begründe sich jene starke Medienwirkung (vgl. ebd.). Eine eindeutige, also konso-

nante Position der Medien, würde die selektive Zuwendung durch den Rezipienten hindern

und somit ihre Macht stärken (vgl. ebd.). Bei gleichzeitiger Kumulation durch periodisch

erscheinende Massenmedien würde so ein starker Einfluss auf den individuellen Meinungs-

bildungsprozess stattfinden (vgl. ebd., 168).

Die Wirklichkeit der Medien sei meist Folge ihrer realitätsbildenden Funktionen (vgl. Jäckel,

2011, 221). So bestimmen Nachrichtenfaktoren, Gatekeeper oder Selektionskriterien, was die

Medien vermitteln (vgl. ebd., 222 – 227). Jäckel (ebd., 221f) unterscheidet dabei in zwei

theoretische Ansätze. Nach der ersten Ausführung würden Medienangebote und Wirklich-

keitsvorstellungen der Menschen unmittelbar zusammenhängen (vgl. ebd.). Wiederum gebe

es die Ansicht, dass „Übereinstimmungen in der Wahrnehmung von Medienangeboten“

(ebd., 222) eher auseinanderfallen. Die Wirklichkeit beruhe dabei auf der beobachterabhän-

gigen Interpretation der Umstände (vgl. ebd.). Noelle-Neumann (1980, 242) tendiert in ihrer

25

Theorie, bei Prozessen der Schweigespirale, zur zweiten Betrachtungsweise. Die Massenme-

dien seien tatsächlich häufig Teil eines doppelten Meinungsklimas (vgl. ebd.). So auch im

einleitend geschilderten Fall (vgl. Kapitel 1). Unter Umständen fallen das Meinungsbild der

Bevölkerung und das der Journalisten auseinander, sodass ein Bruch in der öffentlichen Mei-

nung entstehe (vgl. Noelle-Neumann 1980, 242). Roessing (2011, 24) vertieft diese Überle-

gung und geht davon aus, dass Menschen die unter diesen Umständen Massenmedien inten-

siver als andere nutzen, auch in ihrer Vorstellung vom Meinungsklima stärker gegenüber

anderen variieren. Das doppelte Meinungsklima beschreibt also letztendlich ein Phänomen,

bei dem das Meinungsklima der unmittelbaren Öffentlichkeit, etwa im Supermarkt oder der

Kneipe, sich von dem Meinungsklima unterscheidet, welches durch die Massenmedien prä-

sentiert wird. Unterschiede in der Mediennutzung des Einzelnen schlagen sich auch in der

Wahrnehmung der existierenden Meinungslager nieder. Noelle-Neumann (1980, 241) nahm

das Phänomen des doppelten Meinungsklima besonders stark im Wahljahr 1976 war. Dieses

Phänomen macht die Komplexität der Ursachen einer Schweigespirale noch deutlicher.

Ebenso ist dies von hoher Relevanz bei der Einschätzung, auf welche Art und Weise die

Menschen heutzutage in der digitalen Welt das Meinungsklima bewerten (siehe Kapitel 5.2).

Friemel (2010, 29) nennt die Massenmedien eines der alltäglichsten Gesprächsthemen. Hier-

mit nimmt er ebenfalls Bezug zu der bereits angesprochenen „Allgegenwärtigkeit der Mas-

senmedien“ (vgl. ebd.). Nach sorgfältiger Überprüfung unterschiedlicher Studien stellt er

fest, dass Anschlusskommunikation zu Medieninhalten kein Einzelphänomen sei (vgl. ebd.,

31). Aus diesem Grund könne man bei Medienvertretern auch von „Meinungsführern“ spre-

chen, so Jäckel (2012, 54f). Mit ihrer charismatischen oder autoritären Präsenz würden Mei-

nungsführer eine starke Beeinflussungs- und Verstärkungsfunktion verkörpern (vgl. Jäckel

2011, 144f). Meinungsführer können über die Massenmedien, zum Beispiel in Form von pa-

rasozialer Interaktion1, eine größere Nähe zur Öffentlichkeit und den Individuen aufbauen,

was letztendlich in einer Art „Gefolgschaft“ enden würde, die starkes Vertrauen in diese eine

Person habe (vgl. ebd., 145). Seinen Ursprung fand dieser Ansatz bei Katz und Lazarsfeld

(1962). Neben diesen besonderen Charakterzügen, sei laut Gertler (2015, 87), die intensive

Mediennutzung der „Opinion Leader“ relevant. Dadurch würden sie gegenüber denjenigen,

die weniger damit beschäftigt sind, als besonders kompetent in Hinblick auf das diskutierte

Thema wirken (vgl. ebd., 87f).

1 „Begriff, der in den 1950er Jahren von Horton/Wohl für das Phänomen geprägt wurde, dass Rezipienten

fiktive Personen, die sie aus Radio- oder Fernsehsendungen kennen, als reale Kommunikationspartner an-

sehen und so behandeln“ (Uni Kiel 2011a: Lexikon der Filmbegriffe).

26

Die Massenmedien bieten also komplexe Möglichkeiten der Beeinflussung des Meinungskli-

mas und der Gestaltung der öffentlichen Meinung. Inwiefern sich dies auch in der Online-

Welt gestaltet, wird später auf dieser Grundlage beantwortet (siehe Kapitel 5.4). Trotz der

umfangreichen Thematik genügen zum Verständnis der Schweigespirale zunächst diese

grundlegenden Erläuterungen. Fortsetzende Ausführungen, zum Verhältnis von Massenme-

dien und öffentlicher Meinung, finden sich unter anderem bei Roessing (2009, 207 – 246),

Jäckel (2011, 159 – 188) sowie Friemel (2010, 21 – 34). Die in diesem Kapitel vorgestellten

Aspekte sind sowohl für das Verständnis der Schweigespirale von Relevanz, als auch für die

folgende Begutachtung von „Facebook“ nach ähnlichen Phänomenen notwendig (siehe

5.5.1). Mithilfe dieser einflussreichen Randbedingung lässt sich nun ein Bild des Prozesses

der Schweigespirale skizzieren.

3.4. Die Entstehung einer Schweigespirale

Nachdem nun in den vorherigen Kapiteln, die einzelnen Aspekte und Grundlagen der Schwei-

gespirale vorgestellt wurden, werden sie an dieser Stelle zusammengeführt. Zu Anfang wer-

den noch einmal kurz die Kernaspekte der einzelnen Grundlagen vorgestellt. Daraufhin wer-

den diese Aspekte in die jeweiligen Theoriebereiche eingeordnet und somit anschlussfähig

gemacht. Im letzten Teil dieses Kapitels werden aus all diesen Erkenntnissen die Eigenschaf-

ten und die Entstehung einer Schweigespirale beleuchtet. Somit lässt sich ein Modell der

Entstehung einer Schweigespirale entwickeln. Auf Basis dieses Prozesses kann im weiteren

Verlauf der Arbeit überprüft werden, wie sich der Ablauf einer Schweigespirale in der digi-

talen Welt gestalten würde (siehe. Kapitel 5.5).

Grundlage aller Annahmen von Elisabeth Noelle-Neumann ist ihr Begriff von Öffentlichkeit.

Dabei geht sie davon aus, dass die Öffentlichkeit als ein Tribunal fungiere, vor dem der Ein-

zelne sich rechtfertigen müsse. Der Einzelne sei möglichst bemüht, nicht abgelehnt zu wer-

den. (vgl. Kapitel 2.2) Auf dieser Basis formuliert sie den ersten Kernaspekt der Schweige-

spirale, die öffentliche Meinung. Kern der öffentlichen Meinung sei, dass diese, egal in

welcher Form, immer die herrschende Meinung sei. Eng verbunden mit ihrem Begriff der

Öffentlichkeit, handele es sich um Meinungen und Verhaltensweisen, die man äußern müsse,

um sich nicht zu isolieren. Beziehungsweise in kontroversen Prozessen des Wandels, äußern

könne, ohne sich zu isolieren. (vgl. Kapitel 3.2.1) Darauf aufbauend, bildet Noelle-Neumann

die Meinungsklimawahrnehmung. Denn um der Isolation durch abweichendes Verhalten zu

entgehen, beobachten die Menschen dauerhaft ihre Umwelt. Dabei seien sie in der Lage, mit-

hilfe eines Quasi-Statistischen-Sinns, die Meinungsverteilung in der Gesellschaft wahrzuneh-

27

men. Sie können somit erkennen, unter welchen Umständen es für sie besser wäre zu schwei-

gen und unter welchen Umständen sie nicht in Gefahr sind, isoliert zu werden. (vgl. Kapitel

3.2.2) Roessing (2011, 14) erläutert dieses Zusammenspiel eingehend. Mehrheitsverhältnisse

würden sich demzufolge über einen gewissen Zeitraum ändern (vgl. ebd.). Dabei sei es für

Menschen möglich, zu erkennen, welches Lager tatsächlich größer ist oder zumindest so er-

scheint (vgl. ebd.). Teilnehmer des absteigenden Lagers, würden sich, aus Furcht vor Isola-

tion im Laufe der Zeit weniger zu diesem Thema äußern (vgl. ebd.). Dadurch wird auch die

Wahrnehmung dieses Meinungslagers in der Öffentlichkeit immer kleiner. Das Meinungs-

klima ist damit eine wichtige Variable bei der Untersuchung der Schweigespirale. An dieser

Stelle greift anknüpfend bereits der nächste Kernaspekt ihrer Theorie, die Isolationsfurcht

und Redebereitschaft. Die Isolationsfurcht gehe aus dem existenziellen Bedürfnis des Einzel-

nen nach sozialer Bestätigung hervor. Sie sei eine treibende Kraft hinter der Entscheidung,

ob jemand bereit dazu ist, seine Meinung zu äußern oder sie zu verschweigen. In Wechsel-

wirkung mit der Meinungsklimawahrnehmung versuche das Individuum somit sein soziales

„Überleben“ zu sichern. Je mehr sich der Einzelne der Akzeptanz seiner Mitmenschen sicher

sei, umso bereiter sei er auch, seine Meinung offen zu vertreten. Dies wirke sich, wie zuvor

beschrieben, auf die Sichtbarkeit der Meinungslager aus und ist damit ebenfalls ein zentraler

Bestandteil der Schweigespirale. (vgl. Kapitel 3.2.3) Roessing (2011, 42) erklärt: „Isolations-

furcht tritt nur auf, wenn das umstrittene Thema eine moralische Komponente hat.“ Eine mo-

ralische Ladung sei also notwendig zur Entstehung der Schweigespirale, allerdings sei sie

nicht hinreichend – es benötige die weiteren Aspekte (vgl. ebd.). Dieses Zusammenspiel der

einzelnen Aspekte ist im Grunde bereits das, was als Schweigespirale zu verstehen ist.

Die vier wichtigsten Randbedingungen für die Entstehung der Schweigespirale seien, daraus

abgeleitet: die „Moralische Ladung“, „Kontroverse und Aktualität“, „Dynamik des Mei-

nungsprozesses“ und die „Wirkung der Massenmedien“ (Roessing 2009, 77). Allerdings,

handele es sich nicht immer um notwendige Bedingungen (vgl. Roessing 2011, 46). So sei

die „Kontroverse“ die logische Folge, der Definition der Schweigespirale (vgl. ebd.). Ebenso

erleichtere „Aktualität“ zwar die Forschungsarbeit, aufgrund besserem Zugang zu Untersu-

chungsgegenständen, doch gebe es ebenfalls langsame Schweigespiralen, die über viele Jahre

ablaufen (vgl. ebd.). Und wie bereits erläutert, sind auch die Massenmedien, trotz großem

Einfluss, kein notwendiger Faktor (vgl. Kapitel 3.3). Dennoch seien diese Randbedingungen

nicht zu vernachlässigen, da sie ein Sichtbarmachen der Schweigespirale deutlich vereinfa-

chen (vgl. Roessing 2009, 77). Typische Themen, die Potenzial für eine Schweigespirale in-

nehaben, seien Umweltschutz, Religion, Sexualität und Gewalt (vgl. Roessing 2011, 16). Da-

bei gehe es folglich nicht um die Frage nach „richtig“ oder „falsch“, sondern existenziell um

28

„gut“ oder „böse“ (vgl. ebd.). Noelle-Neumann (1996, 299) formuliert dazu vier Annahmen,

auf denen ihre Theorie der Schweigespirale beruht: „1. Die Gesellschaft gebraucht gegenüber

abweichenden Individuen Isolationsdrohungen“, „2. die Individuen empfinden ständig Isola-

tionsfurcht“, „3. aus Isolationsfurcht versuchen die Individuen ständig, das Meinungsklima

einzuschätzen“ und „4. das Ergebnis der Einschätzung beeinflußt ihr Verhalten vor allem in

der Öffentlichkeit und insbesondere durch Zeigen oder Verbergen von Meinungen, zum Bei-

spiel Reden und Schweigen.“ Als fünfte Annahme formuliert sie den Einfluss, den die vier

vorherigen Hypothesen auf die Bildung, Verteidigung und Veränderung von öffentlicher

Meinung haben (vgl. ebd.). Also damit die Schweigespirale an sich. Der Prozess der Schwei-

gespirale werde dabei, durch „laute Meinungsäußerungen auf der einen, Schweigen auf der

anderen Seite […] in Gang“ (Noelle-Neumann/Petersen 2004, 349) gesetzt. Die Grafik ver-

deutlicht diesen Ablauf:

Modell 1: Theorie der öffentlichen Meinung und Entstehung der Schweigespirale (eigene Darstellung in Anlehnung an

Schenk 2007, 493)

29

Damit sind alle wichtigen Grundlagen der Entstehung der Schweigespirale erklärt. Somit ist

es nun möglich, im weiteren Forschungsverlauf zu überprüfen, ob diese Eigenschaften auch

beim Untersuchungsgegenstand „Facebook“ vorzufinden sind. Kern zur Beantwortung der

Forschungsfrage ist dabei, ob diese Eigenschaften überhaupt grundsätzlich vorhanden sind,

und sich die Schweigespirale übertragen lässt (siehe Kapitel 5.5.1). Darüber hinaus lassen

sich auf dieser Grundlage weitere Implikationen unter Online-Voraussetzungen ableiten und

mögliche Aggregationseffekte der Theorie herausarbeiten (siehe Kapitel 5.5.2). Wichtig da-

bei ist zu beachten, dass nicht jede öffentliche Auseinandersetzung zu einer Schweigespirale

führe (vgl. Roessing 2011, 41). Deshalb ist es nötig, die an dieser Stelle vorgenommenen

Merkmale zur Überprüfung der späteren Sachverhalte zu nutzen.

3.5. Kritik und Weiterentwicklung

Trotz oder gerade wegen ihrer weitläufigen Rezeption blieb die Theorie der Schweigespirale

nicht von Kritik verschont (vgl. Fuchs et al. 1992). Bereits bei der ersten Veröffentlichung

ihrer Ergebnisse, gerat Noelle-Neumann in die Kritik der Presse (vgl. Roessing 2011, 83).

Darauf folgende Weiterentwicklungen, unter anderem von Noelle-Neumann (1992) selbst,

haben die Theorie anwachsen lassen und auf neue Sachverhalte angepasst. Jenseits der vor-

gestellten Grundlagen entwickelte sich die Theorie fortwährend weiter. An dieser Stelle sol-

len deshalb anknüpfend Schwachstellen und Probleme der Schweigespirale erläutert werden.

Zunächst stehen inhaltliche Probleme der Theorie und daraufhin konkrete Kritik am Aufbau

ihrer empirischen Forschungen im Fokus. Ferner sollen die Ergänzungen und Erweiterungen

der Theorie vorgestellt werden. Außerdem werden die Reaktionen Noelle-Neumanns auf un-

terschiedliche Kritikpunkte vorgestellt. Abschließend wird die allgemeine Validität der

Schweigespirale überprüft. Diese Überlegungen sind unter anderem auch dafür nötig, um bei

der Übertragung auf den Untersuchungsgegenstand klar von anderen Effekten unterscheiden

und gegebenenfalls eine Schweigespirale erkennen zu können.

Ein großes Problem der Schweigespirale sei die Schwierigkeit einer klaren Definition von

öffentlicher Meinung (vgl. Roessing 2011, 86). Dies beruhe unter anderem auf den Verschie-

denen Auffassungen von Öffentlichkeit (vgl. ebd.; vgl. Kapitel 2.1). Laut Roessing (2011,

86) sei eine Kritik an der Integrationsfunktion der öffentlichen Meinung häufig ein Resultat

der Vermischung unterschiedlicher Ansätze. Zum Beispiel eine Vermischung der staatswis-

senschaftlichen Vorstellung, mit dem Ziel informierter Bürger, und Noelle-Neumanns sozi-

alpsychologischer Vorstellung, mit emotionalen Komponenten, führe zu einem unklaren Be-

griff (vgl. ebd.). Dieser Kritikpunkt muss auch vor der Beantwortung der Forschungsfragen

30

in Betracht gezogen werden. Möglicherweise ergeben sich bei der Untersuchung des For-

schungsgegenstandes ebenfalls Probleme mit der Einordnung der dort stattfindenden öffent-

lichen Meinung. Weitere Kritik findet sich am Quasi-Statistischen-Sinn (vgl. Lübbe, 1991).

Lübbe (ebd., 105) zweifelt an der individuellen Fähigkeit, eine Wahrnehmung der Meinungs-

verteilung zu besitzen. Ferner sei es unwahrscheinlich, dass überdies eine kollektive Mehr-

heitswahrnehmung in der Gesellschaft entstehen könne (vgl. ebd.). Es sei unnötig, ein Mei-

nungsklima zu erfragen, wenn die Frage nach der eigenen Meinung bereits ein Bild der

Mehrheitsmeinung zeigt (vgl. ebd., 106). Die Differenz zwischen Meinungsklima und Mei-

nungsverteilung zu ermitteln, sei eher eine Leistung der Demoskopie als der Befragten (vgl.

ebd.). Dabei übersehe Lübbe allerdings, dass es für die Schweigespirale relevant ist, wie die

Wahrnehmung der Stärke eines Meinungslagers, auf die Redebereitschaft einwirkt (vgl. Ro-

essing 2011, 86). Der Kern dieser Kritik sei jedoch gerechtfertigt, da Noelle-Neumann selbst

nie erklärte wie „Aggregat- […] und Individual-Ebene […] bei einer Schweigespirale zusam-

menwirken“ (ebd., 87). Bisher ungelöst sei auch das „Voting-Booth-Problem“ (vgl. ebd., 94).

Die Forschung stehe nach wie vor, vor der Frage: „wie wirkt öffentliche Meinung bis in die

Einsamkeit der Wahlkabine?“ (ebd.). Damit einher gehe die Ungewissheit, inwiefern Men-

schen ihre Meinung nur äußerlich ändern, um nicht aufzufallen, und inwiefern sie tatsächlich

ihre Meinung der Mehrheit anpassen (vgl. ebd.). Diese Frage ist besonders vor dem Hinter-

grund der Konstruktion einer virtuellen Identität (siehe Kapitel 4.3) interessant.

Ferner fragt Roessing (2011, 94), ab wann eine Öffentlich groß genug sei, um von einem

realen Prozess der öffentlichen Meinung zu sprechen und nicht lediglich von einem Grup-

penphänomen. Denn Noelle-Neumann (1980, 222) schließt Kneipen, Vereine, Schulen oder

andere Umfelder, mit ähnlichen Abläufen, von der öffentlichen Meinung aus. Allerdings

seien die zugrundeliegenden Bedürfnisse nach Zugehörigkeit ähnlich und es handele sich zu-

mindest im Ansatz um einen Prozess der Entstehung öffentlicher Meinung (vgl. ebd.). Eine

wirklich klare Formulierung der notwendigen Größe einer Öffentlichkeit, zum Entstehen der

Schweigespirale, formuliert sie jedoch nicht in ihren Arbeiten. Aufgrund ihrer zuweilen

schwammigen Definitionen ist auch nicht klar, was nun in letzter Instanz öffentlich sei und

was nicht. Je nach Blickwinkel (vgl. Kapitel 2.2), könnte ein Gespräch auf der Arbeit einen

Prozess der Öffentlichkeit darstellen – oder auch nicht. Womöglich ist der entscheidende

Punkt dabei, ob etwas nur in diesem kleinen Rahmen relevant ist oder ob es übergreifend,

eben gesamtgesellschaftlich ein Thema wird. Noelle-Neumann selbst gibt dazu jedoch keine

Auskunft. Zwar untersuche sie die meisten Prozesse auf landesweiter Ebene, doch seien auch

„globale Phänomene“ wie „Religionen, Kriege oder Medienhypes“, laut Roessing (2011, 94),

durchaus prädestiniert zum Produzieren einer Schweigespirale. Besonders diese Unklarheit

31

könnte im weiteren Verlauf der Arbeit eine Schwierigkeit darstellen. Deshalb ist es nötig, in

Kapitel 5.1 darzustellen, wie sich Öffentlichkeit in der digitalen Welt gestaltet. Speziell muss

geklärt werden, ob „Facebook“ größtenteils ein Spiegel dieser Privatbereiche des Lebens ist

oder ob dort auch jene Form von Öffentlichkeit stattfindet, die Noelle-Neumann als Voraus-

setzung sieht (siehe Kapitel 5.1.2). Passend dazu kritisiert Haferkamp (2008, 277), dass die

Prämisse der Theorie zu sehr davon ausgehe, der Mensch lebe in einer atomisierten Gesell-

schaft, „in der keine sozialen Netzwerke existieren“ (ebd.). Ob die Theorie, trotz dieser An-

passung, weiterhin verwendbar bleibt, zeigt sich in Kapitel 5.5. Roessing (2011, 94f) kritisiert

zudem den zu starken Fokus auf informierende Medieninhalte. Zusätzlich seien gerade die

unterhaltenden Massenmedien ein wichtiger Ursprung von öffentlicher Meinungsvermittlung

(vgl. ebd., 95). So würde zum Beispiel „Scripted Reality1“ alltägliche Fallbeispiele vorstellen

und dabei unbemerkt präsentieren, welche Verhaltensweisen akzeptabel seien (vgl. Roessing

2011, 95; Klaus/Röser 2008). Eine Beschränkung der Medieninhalte, sei also nicht zielfüh-

rend bei der Erforschung der Schweigespirale (vgl. Roessing 2011, 95).

Ein weiterer Teil der Kritik bezieht sich auf den fehlenden Bezug zur spezifischen Rolle der

Individualpsychologie (vgl. Roessing 2011, 87). Denn während ein Großteil der Kritik den

unveränderten Kernsätzen der Theorie gilt, so entwickeln sich im Randbereich die individu-

alpsychologische Forschung und ein verstärktes Augenmerk auf das individuelle Involve-

ment der Menschen (vgl. ebd.). Kern dieser Denkrichtung sei, nach Erkenntnissen von Sal-

mon und Kline (1985, 29), dass Angst und Isolationsfurcht ein höchst individuelles Merkmal

seien. Nicht jeder handle also nach einem Universalprinzip von Isolationsfurcht. Doch diesen

Umstand bezieht Noelle-Neumann bereits in ihrer ursprünglichen Formulierung der Theorie

mit ein (vgl. Kapitel 3.2.3), womit dieser Einwand eher als ein Anstoß zur Weiterentwicklung

gesehen werden kann. Eine stärkere Tragkraft hat dabei ein Einwand von Schulz und Rössler

(2013, 31). Ihre Argumentation baut unter anderem auf einer Studie von Allen (1975) auf,

welche besagt, dass in Kleingruppen bereits durch den Zuspruch einer Person der Konformi-

tätsdruck ausgehebelt werden könne (vgl. Schulz/Rössler 2013, 31). Diesen Umstand be-

denke Noelle-Neumann nicht in ihrer Theorie (vgl. ebd.). Da Isolationsfurcht bei Noelle-

Neumann (vgl. Kapitel 3.2.3) die einzig relevante Determinante von Redebereitschaft ist,

werden Charakterzüge wie Geselligkeit oder Mitteilungsbedürfnis nicht miteinbezogen.

1 „Scripted Reality ist eine Form des vor allem deutschsprachigen Unterhaltungsfernsehens. In Scripted-

Reality-Formaten stellen Laiendarsteller und -darstellerinnen einem Drehbuch (= Script) folgend alltägli-

che Situationen in inszenierter Weise dar […]“(Uni Kiel 2011b: Lexikon der Filmbegriffe).

32

Doch nicht nur in den inhaltlichen Überlegungen der Theorie finden sich Schwächen, sondern

auch im methodischen Vorgehen Noelle-Neumanns (vgl. Haferkamp 2008, 277). Als wissen-

schaftlich unzulänglich beschreibt Roessing (2011, 84), dass Noelle-Neumann Fallzahlen un-

ter einhundert prozentuiert habe und häufig auf eine Grundgesamtheit verzichtete. Zwar be-

mühte sie sich in ihrer Forschung immer eine Serie von Drittvariablenkontrollen aufzustellen

(vgl. Noelle-Neumann 1980, 96ff), doch hätte „Noelle-Neumann sich viel Kritik ersparen

können, wenn sie offensiver auf die naheliegende mathematisch-statistische Kritik eingegan-

gen wäre“ (Roessing, 2011, 84f). Ebenfalls in der Kritik stand der von ihr durchgeführte Ei-

senbahntest (vgl. Noelle-Neumann 1980, 40). Das, was sich für die Forscher der Schweige-

spirale als Vorteil darstellt, sei für andere der klare Nachteil des Eisenbahntests (vgl. Roessing

2011, 87). So vermuten Fuchs et al. (1992, 294), dass grade die kleine und anonyme Öffent-

lichkeit eines Eisenbahnabteils zu irrelevant sei, um tatsächlich Druck auf ein Individuum

ausüben zu können. In einer Replikation des Eisenbahntests konnten Fuchs et al. (1992) kei-

nen Prozess der Schweigespirale nachweisen. Sie sehen ihre Ergebnisse jedoch nicht als voll-

ständige Falsifikation der Theorie Noelle-Neumanns, sondern als Bestätigung dafür, dass der

Isolationsdruck besonders dann erst zur Geltung komme, wenn die Öffentlichkeit „normativ

stärker strukturiert ist“ (Fuchs et al. 1992, 294). Noelle-Neumann (1980, 40f) erkannte selbst,

dass die Situation des Eisenbahntests sehr speziell war. In einer anderen Situation, die eine

private Einladung simulierte, fielen die Ergebnisse negativ aus (vgl. ebd., 36-40). Dies hielt

sie jedoch nicht davon ab, an ihren Ergebnissen des Eisenbahntests festzuhalten (vgl. ebd.,

41). Auch diese Erkenntnisse sind besonders relevant für die Übertragung der Schweigespi-

rale in die digitale Welt. Erneut stellt sich die Frage, ob die dortige Öffentlichkeit diesen

Umständen gerecht wird (siehe Kapitel 5.1).

Abschließend wird nun ein Blick auf die vorherrschende Rezeption der Schweigespirale und

ihre Validität geworfen. In der weitläufig kontroversen Rezeption der Schweigespirale (vgl.

Deisenberg 1986) ergebe sich vor allem ein Bild von Inkonsistenz und widersprüchlichen

Belegen (vgl. Roessing 2011, 84). Dies liege laut Haferkamp (2008, 277) daran, dass häufig

nur einzelne Glieder des Prozesses (zum Bsp. die Isolationsfurcht) untersucht werden, wäh-

rend die gesamte Kausalkette noch nicht ganzheitlich untersucht sei. In jüngerer Zeit gab es

in dieser Hinsicht jedoch Ansätze, wie unter anderem von Anne Schulz und Patrick Rössler

(2013), die versuchen, eine ganzheitliche Untersuchung anzufertigen. Roessing (2009, 47)

sieht in der Konkurrenz zwischen Elite- und Integrationskonzept einen weiteren Brennpunkt

des wissenschaftlichen Disputs. So bietet die Theorie der Schweigespirale also auf theoreti-

scher, methodischer und ideologischer Ebene Angriffspunkte. Die schwierige Ergreifung al-

33

ler Phänomene der Schweigespirale, sei der sich ständig verändernden sozialen Realität ge-

schuldet (vgl. ebd., 269). Die Wissenschaft habe es mit einer dauerhaft nichtkonstanten Wirk-

lichkeit zu tun, was bei einer Theorie, die gesamtgesellschaftliche Veränderungsprozesse un-

tersucht, zu den erwähnten Schwierigkeiten führe (vgl. ebd., 269f). Aus diesem Grund ist das

Ziel dieser Arbeit auch die theoretische Grundsatzlegung der Übertragung der Theorie auf

soziale Netzwerkseiten am Beispiel „Facebook“. Um einen klaren Blick auf den Untersu-

chungsgegenstand zu erlangen, müssen die notwendigen Randbedingungen und veränderten

Gesellschaftsprozesse beleuchtet werden. Roessing (2011, 95f) sieht in der Kritik der Schwei-

gespirale jedoch keine endgültige Falsifikation, sondern sie sei ein Ansporn, weitere Rah-

menbedingungen zu untersuchen und die Fragen zu beantworten, die durch das Aufkommen

neuer Medien und veränderter Gesellschaftsbeziehungen offen bleiben.

3.6. Verwandte Ansätze

Die Schweigespirale verfügt über unterschiedliche Desiderate und Ansätze mit großer Ähn-

lichkeit (vgl. Roessing 2011, 91ff). Das folgende Kapitel bietet, abschließend zu der bisheri-

gen Vorstellung der Schweigespirale, einen Überblick über die wichtigsten dieser Ansätze.

An dieser Stelle werden die „Looking-Glass-Perception“, der „Hostile-Media-Effekt“, der

„Third-Person-Effekt“, der „False-Consensus-Ansatz“ und die „Pluralistic-Ignorance“ vor-

stellt. Diese Ansätze seien sowohl ergänzende Erklärungen als auch dort anwendbar, wo

keine Schweigespirale entstehe (vgl. ebd.). Es handelt sich also um keine direkte Konkurrenz,

sondern um benachbarte Theorien. Je nach Struktur wirken die vorgestellten Effekte entwe-

der verstärkend oder abschwächend auf die Schweigespirale (vgl. ebd., 93).

Unter der „Looking-Glass-Perception“ (auch LGE) sei im Kern zu verstehen, dass „Men-

schen dazu neigen, die Mehrheit auf ihrer Seite zu wähnen“ (ebd., 91). Er trete besonders

häufig bei Umfragen zum Meinungsklima auf und sei in der Schweigespirale beim Verlierer-

lager dementsprechend abgeschwächt (vgl. ebd.). Die abweichende Vorstellung des Mei-

nungsklimas beruhe dabei auf der „kognitiven Verarbeitung durch das Individuum“

(Schulz/Rössler 2013, 66). In diesem Fall tritt also eine möglicherweise verzerrte Medien-

darstellung in den Hintergrund. Als Hauptgründe für diesen Effekt seien fehlende Informati-

onen über die Umwelt und die Übertragung der eigenen Meinung auf andere, um die Illusion

zu nähren, in friedlicher Übereinstimmung mit seinen Mitmenschen zu leben (vgl. ebd., 66f).

Empirisch untersucht wurde dieser Ansatz unter anderem von Salmon und Kline (1985). In-

teressant ist dieser Ansatz auch bei der späteren Betrachtung des Untersuchungsgegenstan-

des. Es stellt sich die Frage, ob und wie die Selektionsmöglichkeiten des Internet mit diesem

Effekt einhergehen.

34

Der „Hostile-Media-Effekt“ (auch HME), geht ebenfalls von einer verzerrten Meinungs-

wahrnehmung aus (vgl. Roessing 2011, 92). In diesem Fall entstehe beim Individuum aller-

dings der Eindruck, die Medien stehen auf der Seite des Gegenlagers (vgl. ebd.). Durch die

wichtige Rolle der Massenmedien (vgl. Kapitel 3.3) in der Schweigespirale kann auch dieser

Effekt einen Einfluss auf die Meinungsklimawahrnehmung und letztendlich die Redebereit-

schaft haben. Krämer (2008, 140) formuliert als mögliche Begründung für diesen Effekt,

„dass für die Vertreter unterschiedlicher Positionen jeweils die Informationen salienter sind,

die der eigenen Haltung widersprechen und diese daher besser erinnert werden.“ Möglich sei

auch, dass Argumente die von unabhängigen Personen als neutral eingestuft werden würden,

von involvierten Personen schneller der Gegenposition zugeschrieben werden, da selbst keine

Verbindung zu diesen Argumenten bestehe (vgl. ebd.). Grundlage solcher Erklärungsversu-

che sei aber zum großen Teil die Vorstellung der Menschen, dass „Medien einseitig und feh-

lerhaft berichten“ (vgl. ebd.). Studien wie die von Perloff (1989) konnten diesen Effekt über-

dies in der Wirklichkeit nachweisen. Auch an dieser Stelle ergibt sich die Frage, wie dieser

Effekt unter den möglicherweise neuen Voraussetzungen der digitalen Medienwelt (siehe

Kapitel 5.4), seinen Einfluss auf die Schweigespirale ausübt.

Der „Third-Person-Effekt“ (auch TPE) basiere weniger auf der Wahrnehmung von Medien-

inhalten, sondern auf der von Medienwirkungen (vgl. Roessing 2011, 92). Dabei glauben die

Menschen, die Medien würden auf andere stärker wirken, als auf sie selbst (vgl. ebd.). Mutz

(1989, 7), äußert sich zur Verbindung zwischen der Theorie der Schweigespirale und des TPE

folgendermaßen: „The spiral of silence is in essence a special case of the third person effect

with important implications for the formation of public opinion.“ Diese Vorstellung, eines

stärkeren Einflusses der Massenmedien auf andere Menschen, kombiniert mit der Ansicht,

die Medien würden ein bestimmtes Meinungslager unterstützen, führe letztendlich zu der

Überzeugung dieses Meinungslager gehe am Ende als Sieger hervor (vgl. ebd., 5). Im Rah-

men der Schweigespirale bedeutet das einen direkten Einfluss auf die Redebereitschaft des

Einzelnen, basierend auf der Wahrnehmung dieses verzerrten Meinungsklimas. Diese „Ver-

stärkerrolle“ trete laut Schulz und Rössler (2013, 76) aber nur dort auf, wo die Medienmei-

nung nicht der eigenen entspricht. Eine Kombination des TPE und LGE sei bereits „per De-

finition ausgeschlossen“ (ebd.). Allerdings könne sich eine Kombination aus TPE und HME

ergeben, bei der zuerst im Rahmen des HME von einer verzerrten medialen Botschaft ausge-

gangen wird, welche dann im Zuge des TPE auf das „Mitpublikum“ übertragen werde (vgl.

ebd., 77). Hierbei stellt sich die Frage, ob Online-Kommunikation das Zusammenspiel dieser

Effekte eher begünstigt oder abschwächt (siehe Kapitel 5.2).

35

Im Rahmen des „False Consensus“ gehen Individuen davon aus, der Großteil der anderen

Menschen sei einer Meinung, selbst wenn dies nicht der Wahrheit entspreche (vgl. Glynn et.

al, 1999, 186). Der Ansatz des falschen Konsens sei in vielen Aspekten nah mit dem LGE

verwandt (vgl. Schulz/Rössler 2013, 66), weshalb an dieser Stelle nur kurz darauf eingegan-

gen wird. Am Beispiel der Schweigespirale könne dies bedeuten, dass „ein Meinungslager

einen Konsens annimmt und sich dadurch in seiner öffentlichen Redebereitschaft gestärkt

sieht“ (Roessing 2011, 92). Auf Basis solch eines Irrtums könne das Lager daraufhin durch

die eigene Stärke den Prozess der Schweigespirale in Gang setzen (vgl. ebd.).

Abschließend wird der Ansatz der „Pluralistic Ignorance“ vorgestellt. Auch hierbei handele

es sich um eine klassische Fehlwahrnehmung der umliegenden Meinungen (vgl. ebd.). Die

Menschen würden dabei irrtümlich erwarten, die Mehrheit sei gegen ihre Position (vgl. Glynn

et al, 1999, 186). Dieser Effekte spiegele sich im interessantesten Fall einer Schweigespirale

wieder, wenn „ein nur scheinbares Mehrheitslager ein tatsächliches Mehrheitslager durch

stärkere öffentliche Sichtbarkeit niederringt“ (Roessing 2011, 92).

Wie es sich zeigt, haben alle diese Ansätze eine gewisse Bedeutung für die Schweigespirale

und als Teil davon auch für die weiteren Überlegungen dieser Arbeit. Ihre Relevanz beruht

dabei vor allem auf den beschriebenen Wahrnehmungseffekten. Besonders der LGE, HME

und der TPE sind dabei auch als einzelnes relevant für die weiteren Überlegungen. Sie können

dabei helfen zu differenzieren, ob ein Prozess der Schweigespirale vorliegt oder eine andere

Form der Wahrnehmungsverzerrung. Damit sind nun die wichtigsten Aspekte Noelle-

Neumanns Theorie der öffentlichen Meinung, sowie ihrer Theorie der Schweigespirale vor-

gestellt. Im Nächsten Kapitel werden nun die Grundlagen des Untersuchungsgegenstandes

erläutert um den Versuch der Theorieübertragung zu ermöglichen.

36

4. Soziale Netzwerkseiten

Dieses Kapitel beschreibt, wie sich die Makrosituation, der für die Schweigespirale relevan-

ten Bereiche, verändert hat. Ausgehend von der Theorie sozialer Netzwerke wird sich dem

Untersuchungsgegenstand „Facebook“ genähert. Ziel ist es, alle grundlegenden Eigenschaf-

ten der folgenden Aspekte hervorzuheben, um so im späteren Verlauf klare Referenzpunkte

für die Beantwortung der Fragestellungen zu haben. Da Noelle-Neumanns Theorie bereits

über 35 Jahre alt ist (vgl. IfD Allensbach o.J.), ist es an dieser Stelle wichtig zu betrachten,

wie sich die Eigenarten sozialer Netzwerke verändert haben und welche neuen Erscheinungen

es in diesem Zusammenhang gibt. Dafür wird in Kapitel 4.1 zuerst mit der Frage begonnen,

was soziale Netzwerke sind. Dabei werden soziologische Hintergründe erläutert und die da-

raus resultierenden Erscheinungen des Internet, bis zu den „sozialen Netzwerkseiten“ erör-

tert. Anknüpfend betrachtet Kapitel 4.2 kurz Ursprung und Entstehung sozialer Netzwerksei-

ten. Im nächsten Kapitel 4.3 wird der Vorgang der Identitäts- und Rollenbildung in „sozialen

Medien“ respektive sozialen Netzwerkseiten vorgestellt. An dieser Stelle wird vermehrt die

Rolle des Individuums bei der Teilnahme an diesen Netzwerkprozessen gezeigt. Im letzten

Schritt, in Kapitel 4.4 wird der eigentliche Forschungsgegenstand „Facebook“ näher betrach-

tet. Zunächst wird die Wahl dieses Untersuchungsobjektes begründet. Daraufhin werden Da-

ten, Fakten und Hintergründe zur Entstehung vorgestellt, um einen Einblick in die Idee hinter

der Seite zu erhalten (siehe Kapitel 4.4.1). Im nächsten Abschnitt werden kurz technische

Funktionen der Seite erläutert, um ent-/eingrenzende Aspekte auf struktureller Ebene zu iden-

tifizieren (siehe Kapitel 4.4.2). Im letzten Punkt liegt der Fokus auf den Nutzern selbst (siehe

Kapitel 4.4.3). Dabei werden Nutzungsweisen und einzelne Motive der User vorgestellt. So-

mit bietet dieses Kapitel einen genauen Überblick, der vom Allgemeinen in das Spezielle und

damit in den gewählten Forschungsgegenstand führt.

4.1. Was sind soziale Netzwerke?

Um „Facebook“ als soziale Netzwerkseite einordnen zu können, wird an dieser Stelle vorge-

stellt, worum es sich bei „sozialen Netzwerken“ ursprünglich handelt. Aus ideen- oder dis-

kursgeschichtlicher Perspektive existieren soziale Netzwerke bereits seit den 1960er Jahren

(vgl. Adelmann 2014, 185). Während die Grundbegriffe der Soziologie, wie „Vergesellschaf-

tung“ oder „Gemeinschaft“ bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufkamen (vgl. Simmel

1908/1999; Weber 1922, Tönnies 1922). Darauf basierend werden Entwicklungen der Digi-

talisierung in Hinblick auf soziale Netzwerke vorgestellt. Ferner wird dabei der Zusammen-

hang zwischen sozialen Netzwerken, sozialen Netzwerkseiten und „Social- Media“ heraus-

gestellt. Der Fokus liegt hierbei weniger auf technischen Funktionen und Beispielseiten,

sondern auf der Beschreibung von sozialen Netzwerkseiten als Produkt des 21. Jahrhunderts.

37

Um aus der Blütezeit Noelle-Neumanns Theorie den Übergang zu heutigen Entwicklungen

zu erarbeiten, wird an dieser Stelle das „soziale Netzwerk“ zunächst klassisch, aus soziologi-

scher Perspektive, betrachtet. Schelske (2007, 123) führt in die Thematik ein: „Der Begriff

soziale Netzwerke‘ erfasst sowohl Gruppen als auch Gemeinschaften und beschreibt zudem

soziale Beziehungen, die kaum eine soziale Strukturiertheit aufweisen und nur locker mitei-

nander verbunden sind.“ Soziale Netzwerke seien, im Gegensatz zu Gruppen und Gemein-

schaften, häufig weniger hierarchisch organisiert (vgl. ebd.). Schmidt (2009, 84) ergänzt, dass

das Beziehungsmanagement eine der wichtigsten Handlungskomponenten von sozialen Netz-

werken sei. Direkt damit verbunden sei die Identitätsbildung (vgl. ebd.), auf die in Kapitel

4.3, in Bezug auf soziale Netzwerkseiten, genauer eingegangen wird. In jenem Beziehungs-

geflecht seien Menschen als Knotenpunkt mit anderen Menschen verbunden und treten dabei,

mit unterschiedlichen Inhalten und Intensitäten, miteinander in Kontakt (vgl. Schmidt 2009,

84). Im Kern beinhalte der Begriff „soziales Netzwerk“ die Vorstellung, „dass sich soziale

Strukturen sinnvoll als Netzwerke von Sozialbeziehungen […] beschreiben lassen“ (Fuhse

2012, 32). Solche Netzwerkstrukturen ließen sich laut Bucher et al. (2008, 41) in vielen Er-

scheinungsformen der menschlichen Kommunikation finden, ob nun in der direkten Umwelt

oder medial-vermittelter Kommunikation. Ein besonderer Treiber der steigenden Vernetzung

sei gar die stetige Mediatisierung, also der wachsende Anteil an medialer Kommunikation in

allen Lebensbereichen der Gesellschaft (vgl. Krotz 2007, 15f). Laut Schmidt (2009, 85),

spiele digitales „Netzwerken“ deshalb eine immer größere Rolle. Auf dieser Grundlage wird

sich nun dem für diese Arbeit relevanten Bereich sozialer Netzwerke, den „Social-Network-

Sites“ auch „SNS“ (vgl. Boyd/Ellison 2013, 157), gewidmet.

Das Internet sei ein einfaches Werkzeug zur besseren Kontaktpflege, so Kneidinger (2010,

48). Dabei biete das Web, wie im realen Leben, „unterschiedliche Formen gesellschaftlicher

Netzwerke“ (ebd.). SNS seien dabei ein Raum, in dem einerseits offline entstandene Bezie-

hungen durch Online-Interaktionen ergänzt werden, andererseits auch reine Online-Bezie-

hungen geknüpft und gepflegt werden (vgl. ebd.). Boyd und Ellison (2013, 157; H.i.O.) for-

mulieren eine zielgerichtete Definition von SNS, welche drei zentralen Grundprinzipien

sozialer Online-Netzwerke beinhaltet: “A social network site is a networked communication

platform in which participants 1) have uniquely identifiable profiles that consist of user-sup-

plied content, content provided by other users, and/or system - provided data; 2) can publicly

articulate connections that can be viewed and traversed by others; and 3) can consume, pro-

duce, and/or interact with streams of user-generated content provided by their connections

on the site.” Kneidinger (2010, 19) erklärt die Beliebtheit von SNS mit der sozialen Veranla-

gung der Menschen. „Kontakte und die Interaktion mit anderen Personen“ (ebd.), spielen eine

38

zentrale Rolle im Leben (vgl. ebd.). Die Stärke der einzelnen Verbindungen könne dabei va-

riieren (vgl. ebd., 20; siehe auch Granovetter 1973). Diese verschiedenen Bindungsstärken

finden sich in unterschiedlichen Gemeinschaftsrollen wieder (vgl. ebd., 21). Der Umgang mit

Verwandten, Nachbarn oder Arbeitskollegen verhält sich dementsprechend unterschiedlich

aufgrund der Eigenschaften dieser Rollen. Auf SNS befinde sich in den Netzwerken der Nut-

zer häufig eine Kombination aus Personen unterschiedlicher Lebensbereiche (vgl. ebd., 23).

Diese Bündelung der einzelnen Beziehungen an einem Ort, ist vermutlich ein weiterer Grund

für die Anerkennung von SNS und allen voran „Facebook“. Der Blick auf die Empirie bestä-

tigt diese wachsende Beliebtheit, so geht die Bitkom-Studie (2013) davon aus, dass rund 80

Prozent aller deutschen Internetnutzer auf einer sozialen Netzwerkseite angemeldet sind (vgl.

ebd., 3). Wobei knapp 75 Prozent der User die Vernetzung mit Freunden und Co als Haupt-

motiv ihrer Nutzung angeben (vgl. ebd.). Im Kern würden SNS, durch die dort gebotenen

Funktionen (siehe Kapitel 4.4.2), einen entscheidenden Beitrag zum „Auf- und Ausbau von

Sozialkapital1 […]“ (Kniedinger 2010, 35) bieten.

SNS seien laut Schmidt (2013,11) auch als eine Form von "Social-Media" bekannt. In Bezug

auf Facebook könne man diese Bezeichnungen jedoch synonym verwenden (vgl. ebd.). "Fa-

cebook" sei genau an diesem Schnittpunkt verortet (vgl. Knoll 2015, 22). Wichtiger Aspekt

von Social-Media sei, dass die Dienste die jeweiligen Beziehungen unter den Nutzern sicht-

bar machen (vgl. ebd., 22). So findet also nicht nur ein kommunikativer Austausch zwischen

den Mitgliedern des Netzwerks statt, sondern es entsteht auch eine beobachtbare Ebene, auf

der die einzelnen Handlungen kumuliert und aufbereitet werden. Diese Immersion des Nut-

zers ist eine Besonderheit der sozialen Medien (vgl. ebd.). Dies ist vor allem bei der Beant-

wortung der Frage, ob Noelle-Neumanns Vorstellung von Öffentlichkeit so auch auf „Face-

book“ stattfindet von Relevanz (siehe Kapitel 5.1.2). Der Grundgedanke von Social-Media

beziehungsweise sozialen Netzwerkseiten scheint fast so, als wäre er einer Utopie von Bertolt

Brecht (1999, 260) zur Funktion des Rundfunks, aus dem Jahr 1932, entsprungen:

„Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen

Lebens, [...] wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also

den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren,

sondern ihn in Beziehung zu setzen.“

1 „Die Gesamtheit der aktuellen und potenziellen Ressourcen, die mit der Teilhabe am Netz sozialer Bezie-

hungen gegenseitigen Kennens und Anerkennens verbunden sein können. [...]. Soziales Kapital bietet für

die Individuen einen Zugang zu den Ressourcen des sozialen und gesellschaftlichen Lebens wie Unterstüt-

zung, Hilfeleistung, Anerkennung, Wissen und Verbindungen bis hin zum Finden von Arbeits- und Aus-

bildungsplätzen. Es produziert und reproduziert sich auch über Tauschbeziehungen, wie gegenseitige Ge-

schenke, Gefälligkeiten, Besuche und Ähnliches“ (Wikipedia o.J.).

39

Um genau verorten zu können, wo eine Schweigespirale in sozialen Medien stattfinden

könnte, wird nun abschließend das „3-Ebenen-Modell“ nach Daniel Michelis (2012, 19) vor-

gestellt. Das Modell helfe, Social-Media besser einzugrenzen (vgl. ebd.). Die erste Ebene sei

die „individuelle Ebene“ (ebd.). Grundlage dieser Ebene ist, dass hinter allen Aktivitäten, die

in sozialen Medien stattfinden, ein individueller Beitrag liege (vgl. ebd.). Dieser Beitrag va-

riiere stark aufgrund unterschiedlicher Aktivitätsgrade, Erwartungen, Rollen oder Fähigkei-

ten der Nutzer (vgl. ebd., 20). Letztendlich würde sich diese Ebene durch die „Beteiligung

von Nutzern an der Gestaltung von Internetangeboten“ (ebd., 22) auszeichnen. Die Nutzer

würden damit die technischen Möglichkeiten der sozialen Medien determinieren (vgl. ebd.).

Grund dafür sei, dass die Bereitschaft des Individuums, Technologie zur Erfüllung der eige-

nen Ziele zu nutzen, den Gebrauch determiniere, nicht die Technologie selbst (vgl. ebd.). So

könnten hier Prädispositionen für eine geringe Isolationsfurcht die Sicht des Nutzers auf die

Inhalte verändern. Für die Entstehung einer Schweigespirale fehlen auf dieser Ebene jedoch

die notwendigen Wechselwirkungen zwischen öffentlicher Meinung und dem Einzelnen. Im

nächsten Schritt folgt die „technologische Ebene“ (ebd.). Diese Ebene bezeichne „beschreib-

bare Internetangebote, die aus inhaltlichen und technischen Modulen zusammengesetzt sind“

(ebd., 23). Die technologische Ebene könne man als Grundlage dafür sehen, dass Nutzer in

sozialen Medien sich überhaupt austauschen können (vgl. ebd., 24). Auf dieser Ebene lässt

sich auch „Facebook“ als Plattform (siehe Kapitel 4.4) einordnen. Diese Ebene stehe im

wechselseitigen Austausch mit der zuvor beschriebenen individuellen Ebene und der nun fol-

genden „sozio-ökonomischen Ebene“ (ebd.). Auf sozio-ökonomischer Ebene bezeichne der

Begriff Social-Media, „die auf einem neuen Informations- und Kommunikationsverhalten

basierenden Beziehungen zwischen unterschiedlichsten Akteuren in Wirtschaft und Gesell-

schaft“ (ebd.). Es wird deutlich, dass sich auf dieser Ebene eine Vielzahl von Akteuren mit-

einander vermischen. So ist es kein Raum, in dem sich Privatpersonen allein gegenüberste-

hen, sondern auch wirtschaftliche Institutionen und die Massenmedien (vgl. ebd.) beteiligen

sich an den dortigen Prozessen. Die Definition selbst zeigt bereits die Relevanz für die mög-

liche Entstehung einer digitalen Schweigespirale (siehe Kapitel 5.5). Wenn öffentliche Mei-

nung – und somit auch die Schweigespirale im Netz entstehen könnte, dann auf dieser Ebene.

Ferner gilt es im späteren Verlauf zu beachten, wie sehr sich der Einzelne und Akteure der

Medien auf dieser Ebene verknüpfen (siehe auch Kapitel 5.4).

Damit sind die wichtigsten Eigenschaften von sozialen Netzwerkseiten und Social-Media

vorgestellt. Gleichzeitig konnte ihr Ursprung in der Theorie sozialer Netzwerke verortet wer-

den. Abschließend wird nun noch einmal eine Distinktion der Begrifflichkeiten vorgenom-

men, um im weiteren Verlauf der Arbeit gezielt damit umgehen zu können. Dabei wird sich

40

an Boyd und Ellison (2013, 257) orientiert. Der Begriff „soziale Netzwerkseiten“ (in Eng-

lisch: „social-network-sites“; kurz SNS) ist die akkurateste Beschreibung dessen, was im Fol-

genden untersucht wird. Dagegen wird der Begriff „soziale Netzwerke“ oder „social-net-

works“ weiterhin für das rein soziologische Phänomen verwendet, auf dem diese Online-

Dienste basieren. Unter „sozialen Medien“ oder „Social-Media“ wird ferner jene Abwand-

lung der SNS verstanden, die in diesem Kapitel vorgestellt wurde. Da der Untersuchungsge-

genstand „Facebook“ dieser Kategorie entspringt, wird der Begriff der sozialen Medien mit

ihm synonym verwendet – und schließt für diese Arbeit somit andere Dienste wie „Twitter“

oder „Instagram“ aus. Welche inhaltlichen Eigenschaften auf „Facebook“ zu finden sind,

zeigt das Kapitel 4.4 im Detail. Als nächstes erfolgt ein Einblick in die Entstehung der SNS.

4.2. Ursprung und Entstehung

In diesem Kapitel wird knapp vorgestellt, wie technologische Entwicklungen diese soziolo-

gischen Grundgedanken aufgriffen und im Zuge der der Evolution des „Web 2.0“ die SNS

hervorbrachten. Tim O’Reilly (2005) prägte mit seinem Essay „What Is Web 2.0“ diesen

Begriff nachhaltig. Das Web 2.0 sei weniger ein genau begrenztes Konzept, sondern eher

eine Ansammlung von Prinzipien und Plattformen (vgl. ebd., 1). Ohne die Entwicklungen

des Web 2.0 seien soziale Netzwerkseiten nicht möglich (vgl. ebd., 5.). Wichtig sei dafür

besonders eine „Architektur der Beteiligung“ (ebd., 1). Mit platzen der „New-Economy-

Blase“ Ende der 1990er, sei der Grundstein für jene entscheidenden strukturellen Verände-

rungen des Web gelegt, so Schmidt (2013, 15). Das Web 2.0 sei, trotz seiner „Versionsnum-

mer“, als dynamischer Prozess zu verstehen, der bei rückwirkender Betrachtung der Web-

Entwicklungen zum Vorschein komme (vgl. O’Reilly 2005, 5). Münker (2012, 45) geht so

weit und nennt den Schritt zum Web 2.0, eine „radikale Neuerfindung des Internet.“ Erst mit

dem Web 2.0 zogen nutzergenerierte Inhalte und multidirektionale Kommunikation ins In-

ternet ein (vgl. ebd.). Dies sind beides Grundlagen für Websites wie „Facebook“ (siehe Ka-

pitel 4.4). Das Web wurde im Zuge dieser Entwicklungen „beschreibbar“ (ebd., 46) und er-

möglichte so die Etablierung von SNS, in der Definition nach Boyd und Ellison (2013, 157).

Nun kann der Nutzer selbst an den dort stattfindenden Prozessen teilnehmen. Zuvor seien

Websites häufig nur „statische Flächen“ (Münker, 2012, 46) gewesen, die den Nutzer einsei-

tig mit Informationen versorgten (vgl. ebd.). Der Abschließende Kernsatz macht deutlich,

wie die SNS und sozialen Medien im Web 2.0 entstehen konnten: „Im Web 2.0 dreht sich

alles um Kommunikation, Interaktion und Partizipation“ (Münker 2012, 47).

41

4.3. Identitätsbildung in sozialen Medien

Es liege in der Natur der technischen Begrenzungen von Online-Diensten (Boyd/Ellison

2013, 157), dass Individuen dort nicht alle Facetten ihrer Persönlichkeit offenbaren können.

Dieses Kapitel versucht zu beantworten, wie nah dieses nutzergenerierte Bild an der Realität

ist. Außerdem inwiefern der Einzelne überhaupt beabsichtigt, ein realitätsnahes Bild von sich

zu bieten. Ferner, wie sich die Strukturen der SNS auf die Persönlichkeitsmerkmale des Ein-

zelnen auswirken können. Wichtig ist dabei die einleitende Unterscheidung zwischen der

Frage nach dem Einfluss durch SNS auf die reale Bildung einer Identität (zum Bsp. bei Ju-

gendlichen) und dem Prozess der Bildung einer „Online-Identität“. Letzteres steht in diesem

Kapitel im Vordergrund. Man könnte also auch zum besseren Verständnis von „Rollenbil-

dung“ sprechen. Bildet sich solch eine „Persona“ automatisch oder wählen Nutzer gar be-

wusst bestimmte Eigenschaften aus? Für die spätere Übertragung der Theorie der Schweige-

spirale ist es wichtig zu wissen, ob sich der Einzelne im Netz genauso präsentiert wie in der

Offline-Welt. Womöglich bieten neue Formen der Identitätsbildung, in sozialen Medien,

auch erweiterte Einflussmöglichkeiten auf die Redebereitschaft oder Umweltwahrnehmung.

Dieses Kapitel soll dabei als Grundlage für die Untersuchung der Forschungsfragen in Kapi-

tel 5 dienen und dementsprechend als Ausgangspunkt des handelnden Individuum gesehen

werden. Denn Fremd- und Selbstwahrnehmung spielen auf „Facebook“ ebenso eine entschei-

dende Rolle (vgl. Knoll 2015, 22) wie bei der Meinungsbildung (vgl. Noelle-Neumann 1980,

164). Voraussetzung für das Präsentieren einer Meinung sei immer eine soziale Identität von

der eine Position ausgeht (vgl. Schwietring 2011, 277). Als Ausgangspunkt wird erst einmal

die Bedeutung der Identitätsbildung für soziale Netzwerke herausgestellt. Daraufhin wird der

Übergang von klassischer Identitätsbildung zu virtueller Identitäts- bzw. Rollenbildung dar-

gestellt. Ferner wird dabei der Aufbau der Persona des Einzelnen auf SNS beleuchtet. Zum

Abschluss werden die wichtigsten Erkenntnisse für die weiteren Überlegungen vorgestellt.

Schmidt (2009, 84) macht den Aufbau der Identität anhand von Simmel (1908/1999) deutlich:

„Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte Simmel (1908/1999) erkannt, dass die Indivi-

dualität des Menschen in funktional differenzierten Gesellschaften aus seiner jeweils einzig-

artigen Kombination von Rollenbeziehungen, aus seiner Position im Schnittpunkt sozialer

Kreise entsteht.“ Dieser Ansatz tendiert zwar zunächst eher in Richtung „Identitätsbildung

durch soziale Netzwerke“, dient im Folgenden jedoch als Grundlage zur Bestimmung von

Rollenbildern und virtuellen Identitäten. Demzufolge dürften auch SNS einen gewissen Ein-

fluss auf die Individualität des Einzelnen haben. Denn im Kern stellen die Beziehungen auf

„Facebook“ ebenfalls diverse Rollenbeziehungen dar. Laut Volpers und Wunder (2008, 91),

sei das „Oszillieren zwischen ’virtuellen‘ […] und ‚realen‘ Erlebnissphären“ nicht erst durch

42

das Web möglich geworden. Allerdings habe das Web unzählige neue Möglichkeiten eröff-

net, um dieses Spiel mit den „Teilidentitäten“ eines Subjekts zu erweitern (vgl. ebd.). Perso-

nen können laut Friemel (2010, 99) dementsprechend in mehrere soziale Kontexte eingebun-

den sein. Aufgrund verschiedener Attribute sei es ihnen möglich Teil vieler unterschiedlicher

Beziehungsarten zu werden (vgl. ebd.).

Zunächst wird an dieser Stelle versucht, sich der Thematik der virtuellen Identität in Hinblick

auf soziale Medien zu nähern. Logan (2010, 239) schlussfolgert, dass bei Verwendung des

weiten Medienbegriffs nach McLuhans1 (1964) das Internet nichts anderes als eine Erweite-

rung der Psyche sei. So helfe es, die eigene Persönlichkeit auszuweiten, ohne das Haus ver-

lassen zu müssen (vgl. Logan 2010, 239). Nach Logans Schlussfolgerung könnte man argu-

mentieren, dass Menschen auf SNS dementsprechend ihre Offline-Identität reproduzieren.

Jedoch bedarf es einer differenzierteren Betrachtung des Prozesses, um herauszufinden, wie

genau die Einflüsse und Strukturen der SNS dabei auf die Psyche bzw. Rolle des Einzelnen

wirken. Voirol (2012, 164) geht davon aus, dass sich grundsätzlich all unsere Spuren im In-

ternet zu einer „digitalen Identität“ festigen. Mikos et al. (2009) versuchen dabei die Rolle

der (sozialen) Medien miteinzubeziehen. Sie sehen in den symbolischen Ressourcen der Me-

dien die „Basis für unser reflexives Projekt der Ich-Identität“ (ebd., 13). Dieser Ansatz be-

achtet zunächst eher die Bildung einer realen Identität durch Medien. Doch diese „symboli-

schen Ressourcen, Identifikationen und Geschichten“ (ebd.) können ebenfalls als Grundlage

für den Aufbau einer virtuellen Identität bzw. Rolle dienen (vgl. ebd.). Schelske (2007, 94)

stellt ferner die Frage, „mit welcher Identität Individuen in welchen computervermittelten

Sozialkontexten handeln?“ Man müsse aufpassen, sich dabei nicht zu sehr auf den soziologi-

schen Begriff der Identität zu verlassen (vgl. ebd.). Das „Echte und Einzigartige“ (ebd., 95)

sei vorbei, stattdessen könne Identität mittlerweile in vielen Bereichen einfach vervielfältigt

und angepasst werden (vgl. ebd.). Der Mensch habe somit in gewisser Weise, die Überein-

stimmung mit sich selbst verloren und sei nun ein Phantom (vgl. ebd.), welches seine Identität

wechsle, „wie die Kleider zu diversen Partys“ (ebd.). Facebook-Gründer „Mark Zuckerberg“,

formulierte dagegen, in einem Interview mit dem Journalisten David Kirkpatrick (2011), für

dessen Buch „Der Facebook-Effekt“, eine ganz andere Sicht der Dinge. Der Mensch habe

auch Online nur eine Identität, so Zuckerberg (vgl. Kirkpatrick 2011, 217). Die Zeiten, in

denen man zum Beispiel ein unterschiedliches Image gegenüber Freunden oder Kollegen

zeige, seien bald vorbei (vgl. ebd.). „Wenn man zwei Identitäten präsentiert, zeigt das einen

1 „ […] the personal and social consequences of any medium -- that is, of any extension of ourselves --

result from the new scale that is introduced into our affairs by each extension of ourselves, or by any new

technology” (McLuhan 1964, 7).

43

Mangel an Integrität“, propagiert Zuckerberg (ebd.). Kurz darauf entkräftete er diese harsche

Aussage jedoch und ließ verlauten, das Ganze sei eher als beiläufige Bemerkung zu verstehen

(vgl. Pariser 2012a, 116). Trotz der Flüchtigkeit dieser Aussage zeigt sich, dass die Frage

nach der Identität auf "Facebook" nicht unbegründet ist. Deshalb wird im Folgenden nun der

Blick darauf gelenkt, wie sich eine auf SNS virtuelle Identität gestalten kann.

Das Aufkommen sozialer Netzwerkseiten beinhalte keine Frage des Identitätsverlusts, son-

dern viel eher die Frage, welche Selbstdarstellung im Netz genutzt werde (vgl. Schelske 2007,

96). In Hinblick auf eine sozialpsychologische Identität sei eine reine Online-Identität aller-

dings nicht möglich (vgl. ebd.). Stattdessen liege die Motivation der Nutzer viel eher darin,

ihrer sozialen Identität neue Facetten zu geben oder verschiedene Rollenbilder zu probieren

(vgl. ebd., 96f). Von der virtuellen Identität zu unterscheiden, sei die „Online-Selbstdarstel-

lung“ (ebd., 97). Darunter seien flüchtige Ereignisse zu verstehen wie das einmalige Anmel-

den in einem öffentlichen Chat mit Verwendung eines Pseudonyms (vgl. ebd.). Dies ent-

spricht jedoch nicht dem Untersuchungsgegenstand, weshalb an dieser Stelle weiterhin nur

die virtuelle Identität betrachtet wird. Solch ein selbstkreiertes Online-Rollenbild diene laut

Döring (2003, 400) häufig dazu, „im sonstigen Alltag unterrepräsentierte Selbst-Aspekte zu

realisieren.“ Das Individuum kreiere in sozialen Medien eine virtuelle Identitätspräsentation,

„die als Anknüpfungspunkt für ganz reale Sozialbeziehungen dient“ (Schelske 2007, 107).

Diese befinde sich auf einem Spektrum zwischen „rein fiktional“ und „realer Aspekt des In-

dividuums als Teilidentität“ (ebd.). Volpers und Wunder (2008, 93) untersuchen, ob die vir-

tuelle Identität auch auf das reale „Ich“ rückwirke und wenn ja mit welchen Auswirkungen.

Sie schlussfolgern, „selbst wenn Menschen im Web Identitäten annehmen, die scheinbar völ-

lig abgelöst vom realen ICH sind […] entstehen Übertragungseffekte“ (ebd.; H.i.O.). So gäbe

es immer Interferenzen zwischen der realen und der virtuellen Identität (vgl. ebd.). Dieser

Effekt deutet darauf hin, dass trotz Unterscheidung zwischen virtueller und realer Identität

auch durchaus Übertragungsprozesse bei den, für die Schweigespirale relevanten, Wahrneh-

mungen bestehen. Auf "Facebook" erlebtes würde somit auch das Offline-Empfinden beein-

flussen und vice versa. Der Umfang dieses Effekts ist bisher nicht erforscht und findet dem-

entsprechend keine Beachtung in Noelle-Neumanns Theorie. Da virtuelle Präsenzen jedoch

immer relevanter im Alltag der Menschen werden (vgl. ebd., 100), ist es wichtig diesen As-

pekt bei einer Erneuerung der Schweigespirale mit einzubeziehen.

Mit Bildung einer virtuellen Identität gehe nach Schmidt (2009, 74), das „Identitätsmanage-

ment“ einher. Damit beschreibt er den spezifischen Verwaltungsvorgang der Online-Identität

(vgl. ebd., 74). Dieser beginne schon beim Ausfüllen der Profilseite und ende mit der kon-

stanten Überwachung der eigenen Profilaktivitäten (vgl. ebd., 76f). Damit umfasse es mehr,

44

als „das bewusste und aktive Publizieren bestimmter Inhalte einschließlich parasprachlicher

Merkmale […]“ (ebd., 77). So sei dieses Identitätsmanagement in vielen Fällen sogar erst

Grundvoraussetzung zur Nutzung sozialer Medien, denn „erst das Ausfüllen eins Profils oder

das Veröffentlichen von Einträgen […] ermöglicht es, sich in Beziehung zu anderen Nutzern

zu setzen“ (ebd.). So auch beim Untersuchungsgegenstand „Facebook“ (siehe Kapitel 4.4).

Es werde schnell deutlich, dass das Identitätsmanagement nicht ohne eine Öffentlichkeit oder

ein Publikum zu denken sei (vgl. ebd., 80). Dies bekräftigt das, für die digitale Schweigespi-

rale vorausgesetzte, Bestehen einer Online-Öffentlichkeit. Wichtig sei zudem der technische

Rahmen, welcher die Möglichkeiten der virtuellen Identität weiter strukturiere (vgl. ebd., 81).

Back et al. (2010) untersuchen anknüpfend zwei mögliche Rollenbilder in sozialen Medien.

Zuerst gebe es die „idealized virtual-identity hypothesis“ (ebd., 372). Demzufolge würden

die Profilbesitzer ihre Darstellung weniger der eigenen Persönlichkeit anpassen, sondern ein

idealisiertes Abbild ihrer selbst schaffen (vgl. ebd.). Angaben seien dabei nicht unbedingt

falsch aber geschönt (vgl. ebd.). Dem gegenüber stehe die „extended real-life hypothesis“,

welche einen erweiterten sozialen Kontext gestatte, in dem Individuen ihre wirkliche Persön-

lichkeit ausdrücken können (vgl. ebd.). Nach eingehender empirischer Untersuchung deuten

ihre Ergebnisse darauf hin, dass Nutzer tatsächlich eher eine akkurate Darstellung ihrer Per-

sönlichkeit in SNS produzieren würden (vgl. ebd., 374). Abgeschlossen seien diese Forschun-

gen jedoch noch nicht (vgl. ebd.). Bisher müssten noch weitere Faktoren, wie individuelle

Unterschiede der Personen, überprüft werden (vgl. ebd.). Es lässt sich also noch keine klare

Aussage treffen, wie sich eine virtuelle Identität im Rahmen der öffentlichen Meinung auf

„Facebook“ bemerkbar machen würde. Unsere Identität forme zwar augenscheinlich unsere

Medien, doch Pariser (2012a, 120) warnt, dass auch die Medien genauso gut unsere Identität

formen können. So sei es möglich, dass „Internetservices uns und unsere Medien aufeinander

abstimmen, indem sie uns verändern“ (ebd.). Im Endeffekt gäbe es damit, aufgrund der neuen

technischen Möglichkeiten, sich „selbst erfüllende Identitäten“ (ebd.). Diese würden damit

einhergehend in einem verzerrten Persönlichkeitsprofil enden (vgl. ebd.). Jeder erkennt also

nur noch das, was ihn bzw. seine virtuelle Rolle bestätigt. Das Meinungsklima (vgl. Kapitel

3.2.2) wäre demnach ebenfalls von dieser Verzerrung betroffen. Demzufolge würde dieser

Prozess also zu einer starken Looking-Glass-Perception führen. Kapitel 5.2 betrachtet diese

Umstände deshalb näher und bietet weitere Erklärungsansätze. Für die Theorie der öffentli-

chen Meinung könnte das bedeuten, dass eine Online-Persona gar nicht genug Autorität be-

säße, um beim Individuum existenzielle Ängste, wie die Isolationsfurcht, auszulösen.

45

Zur Übertragung der Schweigespirale auf den Untersuchungsgegenstand wird die Idee eines

virtuellen Identitäts-Spektrum gewählt. Damit ist davon auszugehen, dass Nutzer zuweilen

virtuelle Identitäten bilden, die zur Fiktion tendieren können. Aber es ist auch möglich, dass

dennoch eine Verbindung zur realen Identität besteht und somit zu den tiefsten Urängsten,

die hinter der Schweigespirale stecken. Die virtuelle Identität könnte demnach als Maske ver-

standen werden, hinter der das Gesicht des Einzelnen mal mehr oder weniger zu sehen ist.

Doch die wahrgenommenen Meinungen würden immer sein Innerstes erreichen. Dies ist

ebenfalls eine gute Basis für später anknüpfende Empirie. Eine Wechselwirkung zwischen

virtueller Identität und den technischen Interaktionen der sozialen Medien ist aber dennoch

nicht komplett auszuschließen (vgl. Voirol 2012, 165). Denn letztendlich werden dort die

formulierten Meinungen des Nutzers mit denen der anderen Akteure verglichen (vgl. ebd.).

In diesem „Beziehungs- und Wechselwirkungsraum“ (ebd.) würden die eigenen Fähigkeiten

und solche anderer auf neue Art interpretiert (vgl. ebd.). Dies geschehe immer vor dem Hin-

tergrund virtueller Identitäten (vgl. ebd.). So ist die Quintessenz dieses Kapitels eine strin-

gente Trennung zwischen sozialer und virtueller Identität. Für die digitale Schweigespirale

wird damit übernommen, dass tendenziell nicht davon ausgegangen werden darf, der Ein-

zelne verhalte sich wie in der Offline-Gesellschaft. Zudem gilt zu beachten, dass die virtuelle

Identität einen bisher ungeklärten Einfluss auf die Redebereitschaft sowie Isolationsfurcht

haben kann. Als letzter wichtiger Impuls dieses Kapitels ist anzumerken, dass im Folgenden

immer konkret zwischen der Offline-Persönlichkeit und der virtuellen Persona des Individu-

ums unterschieden wird.

4.4. Internetriese „Facebook“

An dieser Stelle wird nun das Untersuchungsobjekt „Facebook“ näher betrachtet. Im Verlauf

dieser Arbeit dient dieses Kapitel als weiterer Anknüpfungspunkt für die Überprüfung der

Hauptthesen (siehe Kapitel 5). Es werden Eigenheiten und Spezifika sichtbar gemacht, wel-

che in die späteren Überlegungen zur digitalen Schweigespirale mit einbezogen werden müs-

sen. Abschnitt 4.4.1 betrachtet dabei zunächst den Ursprung der sozialen Netzwerkseite „Fa-

cebook“. Gleichzeitig wird dabei die Relevanz der Seite als Global-Player hervorgestellt.

Darauf wird in Abschnitt 4.4.2 betrachtet, wie sich die technischen Funktionen der Seite ge-

stalten und welche strukturellen Grenzen dort entstehen. Abschließend stellt Abschnitt 4.4.3

eine Übersicht der Nutzungsweisen und -motive dar. Dabei liegt der Fokus auf den sozialen

Kontexten der Funktionalitäten und der Übersicht einer Nutzertypologie. Ziel dieses Kapitels

ist es, den Forschungsgegenstand für die weiteren Überlegungen anschlussfähig zu machen.

46

4.4.1. Daten, Fakten und Entstehung

Im Jahr 2004, ursprünglich als Netzwerk für Harvard-Studenten entwickelt, wurde Facebook

ab 2006 auch der breiten Öffentlichkeit verfügbar (vgl. Kneidinger 2010, 59). Gründer „Mark

Zuckerberg“ brachte damit eine der erfolgreichsten sozialen Netzwerkseiten aller Zeiten auf

den Weg (vgl. ebd., 60). Seit der Gründung der Seite gewinnt Facebook kontinuierlich an

Bedeutung in allen Bevölkerungskreisen (vgl. ebd.). Allein in Deutschland waren 2013 mehr

als 50 Prozent aller Internetnutzer auf Facebook aktiv (Bitkom 2013, 9). Zum Vergleich, die

nächst häufigste genutzte SNS „Stayfriends“ wird grade mal von knappen 10 Prozent der

deutschen Internetnutzer verwendet (vgl. ebd.). Das macht Facebook zum idealen Untersu-

chungsgegenstand für diese Arbeit, denn aufgrund seiner enormen Verbreitung besteht dort

die größte Möglichkeit ein Abbild der Realität vorzufinden. Gleichzeitig wird dadurch die

Schnelllebigkeit solcher Angebote deutlich. Laut ARD/ZDF-Online-Studie (2015) nutzen die

Deutschen Online-Kommunikationsangebote wie Facebook rund 40 Minuten am Tag. In der

Kernzielgruppe von Facebook, den 14 bis 29 Jährigen (vgl. Kneidinger 2010, 60), sind es

sogar knapp 100 Minuten pro Tag (ARD/ZDF 2015). Somit wird also ein nicht zu missach-

tender Teil des Alltags vieler Menschen auf SNS verbracht. Bei seiner Expansion profitiert

Facebook vom sogenannten „Kleine-Welt-Phänomen“ (Milgram 1967). Mithilfe eines Expe-

riments versuchte Milgram, die These zu belegen, dass auch einander unbekannte Personen,

durch gemeinsame Bekannte als Knotenpunkte zwischen ihnen, verbunden seien (vgl. ebd.,

63). Mit einem durchschnittlichen Abstand von sechs Bekanntenkreisen zwischen einander

sah er die These bestätigt (vgl. ebd., 67). Die Welt sei demzufolge „klein“ (vgl. ebd.). Bei der

Übertragung dieses Experiments auf digitale Angebote konnten Leskovec und Horvitz (2008)

einen ähnlichen Effekt bei Instant-Messengern1 empirisch nachweisen. Und auch Facebook

ist in seiner Funktionen genau auf diesen Effekt ausgelegt, so konnte das Unternehmen im

Jahr 2011 sogar nachweisen, dass die Nutzer der Website im Durchschnitt nur vier Knoten-

punkte voneinander entfernt sind (vgl. Backstrom et al. 2011). Die Nutzer stehen also, nach

diesem Grundgedanken, dauerhaft in engem Kontakt mit anderen. Wie dies von technischer

Seite aus ermöglicht wird, stellt das nächste Kapitel vor.

4.4.2. Funktionen

In Anknüpfung an die technologische Ebene, des Drei-Ebenen-Modell sozialer Medien (vgl.

Kapitel 4.1), betrachtet dieses Kapitel vor allem die technischen Funktionen und Besonder-

heiten von Facebook. Dies dient als weitere Grundlage für das Verständnis des Nutzerverhal-

1 „Instant Messaging […] ist eine Kommunikationsmethode, bei der sich zwei oder mehr Teilnehmer per

Textnachrichten unterhalten.“ (Wikipedia o.J.)

47

tens. Denn die Abbildung der Realität und virtueller Identitäten fällt und steigt mit den Dar-

stellungsmöglichkeiten, die Facebook bietet. Rein technische Aspekte, wie zum Bsp. Pro-

grammierschnittstellen, sind an dieser Stelle nicht von Belang. Stattdessen wird ein Blick

darauf geworfen, welche Funktionen den Nutzern zur Verfügung stehen und ferner welche

Funktionen auch massenmedial genutzt werden können.

Facebook zeichne sich vor allem durch einen modularen Aufbau aus, so können Nutzer ver-

schiedene Applikationen in ihr Profil einbetten und damit unterschiedliche persönliche Infor-

mationen oder Multimedia-Inhalte preisgeben (vgl. Boyd/Ellison 2007, 213). Einspänner-

Pflock und Reichmann (2014, 61) mahnen, dass trotz allerlei technischer Möglichkeiten SNS

immer strukturelle Begrenzungen mit sich bringen. So würde schon die Notwendigkeit einer

gültigen E-Mail-Adresse bei der Registration ausgrenzen (vgl. ebd.). Doch auch innerhalb

der Seiten gebe es strukturelle Grenzen (vgl. ebd.). So können auf Facebook verschiedene

Zugangsgrenzen zu den eigenen Inhalten gesetzt werden (vgl. ebd.), die „Öffentlichkeits-

bzw. Privatheitsgrade“ (ebd.) bestimmen. Somit werde aus dem Netzwerk eine „eigene Welt

in der Online-Umgebung“ (vgl. ebd.). Es bestehe jedoch auch immer die Möglichkeit der

Entgrenzung; so können Facebook-User den Zugang zu ihren Informationen jederzeit selbst

regulieren oder auch, entsprechende Einstellungen vorausgesetzt, über die Grenzen von Fa-

cebook hinaus verlinken (vgl. ebd., 62). Ferner helfe auch der Wechsel der Medienform um

sich technischer Begrenzungen zu entziehen (vgl. ebd.). Parasprachliche Zeichensysteme

zum Beispiel, die ein Text nur schwer vermitteln kann, lassen sich über eine Videobotschaft

leicht in eine Nachricht implementieren. So bedeutet Freiheit an mancher Stelle auch immer

Eingrenzung an anderer. Demzufolge lässt sich die Realität auf Facebook zwar weitestgehend

nachbilden jedoch niemals im vollen Umfang. Dies sehe das Modell der „Netzwerkplattform“

jedoch auch nicht vor (vgl. Schmidt 2009, 23). Stattdessen sei der Grundgedanke nur, die

sozialen Beziehungen zwischen den Nutzern zu ermöglichen und sichtbar zu machen (vgl.

Boyd/Ellison 2007, 213). Der Nutzer an sich stehe im Zentrum (vgl. ebd., 219). Technische

Erweiterungen und Funktionen sind also eher als Erweiterungen der Vernetzung zu sehen.

Der nächste Abschnitt betrachtet diese Funktionen im Einzelnen genauer und gibt Hinweise

darauf, wie diese zur Ent- bzw. Eingrenzung beitragen.

Im Vordergrund stehe augenscheinlich zuerst das Profil des Nutzers (Hoyer 2014, 14). Dort

gebe es unzählige Möglichkeiten zur Anreicherung der eigenen Darstellung, (vgl. ebd.). Per-

sönliche Daten wie Wohnort oder Geburtsdatum, Einträge anderer Nutzer auf der Profilseite

oder Foto-/Video-Uploads (vgl. ebd.). Hier wird also zunächst die virtuelle Identität (vgl.

Kapitel 4.3) etabliert und durch technische Funktionen unterstützt. Besonders diesen Aspekt

nimmt Facebook sehr ernst – Nutzer verpflichten sich, durch Akzeptieren der Endnutzer-

48

Bestimmung, nur realitätsgetreue Informationen in ihrem Profil zu verwenden (vgl. Facebook

2015). Auf der Profilseite lassen sich Statusmeldungen teilen, welche dann im „News-Feed“,

der Hauptseite von Facebook, befreundeter Nutzer auftauchen (vgl. Kneidinger 2010, 60).

Kernfunktion sei vor allem, dass bei allen Aktivitäten und Veröffentlichungen die Möglich-

keit besteht, „mittels einfachem Klick auf den ‚Gefällt mir‘-Button anzuzeigen, dass man eine

Äußerung oder Aktivität positiv findet“ (ebd.). Im Rahmen der öffentlichen Meinung bedeu-

tet dies eine enorme Vereinfachung Zustimmung auszudrücken. Auch nicht-öffentliche Kom-

munikation wie ein interner Chat und ein Postfach werden angeboten (vgl. ebd.). Ebenso

können Nutzer Unterhaltungs-Applikationen aktivieren und dort Spiele sowie Multi-Media-

Inhalte konsumieren (vgl. ebd., 61). Im Kern sind jedoch die folgenden Grundfunktionen am

wichtigsten, sie machen aus einem „Bündel von Profilen“ (Steinschaden 2012, 14), die welt-

weit erfolgreichste soziale Netzwerkseite (vgl. Kapitel 4.4.1). Der bereits erwähnte News-

Feed stellt die Hauptseite von Facebook dar. Dort werden Nutzeraktivitäten gesammelt und

präsentiert. So ist es möglich Beiträge zu sehen, die befreundete Nutzer „geliked“ haben,

genauso wie es möglich ist, das neueste Fotoalbum eines Kontaktes zu begutachten. Ebenfalls

finden Nutzer dort die Beiträge von abonnierten Seiten. Denn nicht nur Beiträge lassen sich

mit einem „Like“ versehen, sondern auch sogenannte „Pages“. Dabei handelt es sich um öf-

fentliche Seiten von Unternehmen, Prominenten, Interessengruppen oder Institutionen. Diese

versorgen die Nutzer mit neuesten Informationen und Multi-Media-Inhalten. Auch wenn auf

diesen Seiten die Möglichkeit besteht, Kommentare zu hinterlassen, so ist die Kommunika-

tion doch größtenteils unidirektional. Zudem gibt es auch eine Gruppenfunktion. Hier können

Nutzer sich auf Basis gemeinsamer Interessen zusammenschließen und untereinander austau-

schen. Auch an dieser Stelle sind unterschiedliche Privatsphäre-Einstellungen möglich. So

gibt es einerseits frei zugängliche Gruppen wie Tauschbörsen oder Fan-Communities. Aber

auch nicht-öffentliche Gruppen wie private Freundeskreise oder studentische Lerngruppen.

Weitere Kernfunktion auf Facebook ist die Suchfunktion. Damit ist es unter anderem möglich

bekannte und fremde Personen zu finden. So können Nutzer ihr Netzwerk regelmäßig erwei-

tern. Facebook versucht in vielerlei Hinsicht die Verbindungen zwischen Nutzern deutlich zu

machen, so findet sich auf Profilen von Personen, die nicht mit dem Nutzer befreundet sind,

eine Anzeige für „gemeinsame Freunde“. (vgl. Facebook-Newsroom 2015) Nach erfolgrei-

cher Freundschaftsschließung ist es dem Nutzer möglich, seine Freunde mithilfe einer Lis-

tenfunktion zu organisieren. Diesen Listen lassen sich ebenfalls eigene Privatsphäre-Einstel-

lungen zuordnen. (vgl. Faller 2012) So sehen Arbeitskollegen nicht die letzten Bilder vom

Wochenende und enge Freunde nicht den geteilten Artikel einer Fachzeitschrift. Dies ist be-

sonders für die Schweigespirale interessant, da somit die Nutzer selbst gewisse Teilöffent-

lichkeiten schaffen können. Wichtig für die Darstellung der eigenen Person sind jedoch auch

49

die verbreiteten Inhalte (vgl. Kapitel 4.3). Nicht nur auf den Profilseiten ermöglicht Facebook

den Upload von Multi-Media-Inhalten. So ist es fast überall möglich, Fotos oder Videos zu

posten, zu kommentieren oder zu teilen. In jüngster Entwicklung begann Facebook ebenfalls

mit der Ausweitung auf weitere elektronische Geräte. So findet man die Seite mittlerweile als

Applikation auf vielen Smartphones. (vgl. Facebook-Newsroom 2015) Dies alles ist dafür

geeignet, seine eigene Meinung darzustellen und so zur öffentlichen Meinung beizutragen.

Der Aufkleber am Auto wird durch ein Titelbild auf Facebook ergänzt.

Massenmediale Inhalte finden ihren Zugang zu Facebook häufig über die bereits vorgestellten

„Facebook-Seiten“ bzw. Fanpages (vgl. Gisel et al. 2012, 260). Da jeder Nutzer befähigt ist,

solch eine Seite zu liken, dementsprechend auch „Likes“ seiner Freunde sieht, könne es

schnell zu viralen Verbreitungseffekten kommen (vgl. ebd.). Außerdem bietet Facebook die

Möglichkeit bezahlte Werbeanzeigen zu schalten, durch die Reichweite generiert werden

kann – diese Funktion wird jedoch hauptsächlich von Unternehmen verwendet (vgl. ebd.,

261). Andererseits sind Nutzer natürlich auch in der Lage solche Inhalte zu Teilen und zu

Verbreiten. Dafür können selbstverständlich alle zuvor vorgestellten Funktionen genutzt wer-

den. Auf welche vielseitigen Arten, Facebook von seinen Mitgliedern genau genutzt wird,

wird im nächsten Kapitel erläutert.

4.4.3. Nutzungsweisen und Motive

Da es sich bei der Schweigespirale um eine sozialpsychologische Theorie handelt (vgl. Ka-

pitel 2.2), ist die Nutzerperspektive an dieser Stelle natürlich nicht zu vernachlässigen. Wie

bereits deutlich geworden ist (vgl. Kapitel 4.4.2), sei Facebook in erster Linie ein Kommuni-

kationsinstrument (vgl. Busemann 2014, 36). „Grade bei neuen Medien ist diese Versteifung

auf Grundfunktionen und einzelne Kanäle jedoch ein Fehler, da die Nutzer sich diese Medien

oftmals und auf unabsehbare Weise aneignen“, mahnt Wettstein (2012, 131). Deshalb wird

der Blick nun von der vorherigen technischen Sicht, auf eine Nutzertypologie gerichtet. Mo-

tive und Gründe für die Nutzung werden genauso, wie der Versuch einer Formulierung ver-

schiedener Nutzertypen vorgestellt.

Busemann (2014, 36) stellt drei grundlegende Hauptmotive der Nutzung vor. So seien die

grundlegenden Motive Selbstdarstellung, Vernetzung bzw. Kontaktpflege und privates oder

themenbezogenes Informieren (vgl. ebd.). Mit den zwei ersten Motiven dort verortet, domi-

niere der zwischenmenschliche Bereich (vgl. ebd.). Dies ist nicht verwunderlich, denn

Freundschaft ist nach wie vor ein zentrales Element sozialer Netzwerke (vgl. Adelmann 2014,

185) und somit auch von SNS. Facebook-Nutzer würden im Durchschnitt acht Freundschafts-

anfragen im Monat versenden (vgl. Kneidinger 2010, 61), was diesen Aspekt noch einmal

50

unterstreicht. Ferner schreiben Nutzer durchschnittlich 25 Kommentare pro Monat und drü-

cken circa 60 Mal „gefällt mir“ (vgl. ebd.). Die Facebook-Nutzung lasse sich dabei in unter-

schiedliche Funktionalitätsgruppen einteilen (Kneidinger 2010; Schmidt 2009, Pfaff-Rüdi-

ger/Meyen 2012). Diese Handlungskomponenten werden durch die im vorherigen Kapitel

vorgestellten Funktionen von Facebook ermöglicht (vgl. Kapitel 4.4.2).

Grundlage vieler Nutzungsweisen sei das bereits bekannte Identitätsmanagement (vgl. Knei-

dinger 2010, 50. Da mit dieser Funktionalität bereits das Erstellen der Profilseite einhergehe

(vgl Schmidt 2009, 71), ist sie von elementarer Bedeutung bei der Nutzung. Laut Pfaff-Rüdi-

ger und Meyer (2012, 79), sei das Identitätsmanagement unverzichtbar dafür, „die eigene

Position […] zu kennen“ und damit zu überprüfen, welche Möglichkeiten im sozialen Raum

zur Verfügung stehen (vgl. ebd.). Eine weitere wichtige Funktionalitätsgruppe sei das „Kon-

takt-/Beziehungsmanagement“ (vgl. Kneidinger 2010, 50). Dabei gehe es hauptsächlich um

das Verwalten der eigenen Kontakt und die Pflege der Beziehungen (vgl. ebd.). Darunter

fallen das Anlegen von Listen (vgl. ebd.), gegenseitige Kommentare und das Versenden/An-

nehmen von Kontaktanfragen (vgl. Schmidt 2009, 71). Ebenfalls eine wichtige Rolle spiele

das „Informationsmanagement“ (vgl. ebd.). Kern dessen sei das „Selektieren, Filtern, Bewer-

ten und Verwalten von Informationen“ (ebd.). Nutzer seien damit in der Lage, Wissen zu

suchen und zu nutzen sowie dauerhafte Informationen über die Aktivitäten des eigenen Netz-

werks zu gewinnen (vgl. Kneidinger 2010, 50). Dabei handele es sich um die wesentlichsten

Handlungskomponenten auf Facebook (vgl. Schmidt 2009, 71). Eine besondere Rolle schrei-

ben Pfaff-Rüdiger und Meyen (2012, 79) dem „Kapitalmanagement“ zu. Dies diene konkret

der Ausführung des, in Kapitel 4.1 beschriebenen, Aufbaus von Sozialkapital (vgl. ebd.). Fa-

cebook ermögliche eine einfache Zurschaustellung des eigenen gesellschaftlichen Stands so-

wie weitere Möglichkeiten zur zusätzlichen Generierung von Sozialkapital (vgl. ebd.). Aus

all diesen Aspekten setzt sich die Nutzungsweise der User zusammen und auch ihre Motive

basieren dementsprechend darauf (vgl. Schmidt 2009, 71). Dabei gehen sie immer mit den

strukturellen Gegebenheiten der SNS einher (vgl. ebd., 103; siehe Kapitel 4.4.2). Darauf ba-

sierend werden nun abschließend verschiedene Ansätze einer Nutzertypologie vorgestellt.

Gleichzeitig spielen diese Aspekte auch eine Rolle bei der Umweltwahrnehmung (vgl. Kapi-

tel 3.2.2), der Redebereitschaft und der Isolationsfurcht (vgl. Kapitel 3.2.3).

Gerhards et al. (2008), haben auf Basis empirischer Forschung acht Nutzertypologien des

Social-Web herausgearbeitet. Zu aller erst könne man Nutzer grob nach aktiver und passiver

Nutzung einteilen (vgl. ebd., 136). Passive Nutzer würden selten bis nie eigene Beiträge er-

stellen oder Interaktionen ausführen (vgl. ebd.). Der Fokus liege bei ihnen auf dem reinen

51

Rezipieren von Inhalten (vgl. ebd.). Während aktive Nutzer als solche gelten, die eigene Bei-

träge verfassen und aktiv die Inhalte der SNS gestalten (vgl. ebd., 137). Ihre Studie kam zu

dem Ergebnis, dass aktiv partizipierende Nutzer mit 57 Prozent überwiegen (ebd., 138). Für

die Schweigespirale würde das bedeuten, dass bereits im Vorfeld ein großer Nutzeranteil auf-

grund seiner Nutzungspräferenzen schweigt, ganz ohne Einfluss anderer sozialpsychologi-

scher Effekte. Doch zumindest verwenden passive Nutzer auch „individuelle“ Kommunika-

tion, also Chats und private Nachrichten (vgl. ebd., 131). Ob sich dort jedoch die Form von

Öffentlichkeit wiederfindet, die für eine Schweigespirale nötig ist (siehe Kapitel 5.1), ist un-

klar. Im Folgenden werden exemplarisch drei Nutzertypen, entlang des Spektrums von Akti-

vität und Passivität, nach Gerhards et al. (2008,) dargestellt. Zunächst gebe es die „Infosu-

cher“ am passiven Rand (ebd., 145). Sie nutzen das Web nicht kommunikativ, sondern nur

betrachtend bei der Suche nach Informationen (vgl. ebd.). In der Mitte seien „spezifisch In-

teressierte“ zu finden (ebd., 141). Ihnen gehe es vor allem um ganz bestimmte Interessen oder

Hobbys, dabei nutzen sie selektiv Möglichkeiten zur Mitgestaltung und Kommunikation (vgl.

ebd.). Auf aktiver Seite stechen die „Selbstdarsteller“ hervor (ebd., 141). Bei ihnen gehe es

vor allem um das Veröffentlichen von Inhalten, dabei stehe besonders die Darstellung der

eigenen Person im Vordergrund (vgl. ebd.). Hieran zeigt sich, dass die Nutzer ein Angebot

wie Facebook auf vielseitige Art und Weise verwenden können.

Nutzungsweisen und Nutzertypologien können partiell stark auseinander gehen. Nicht mehr

allein die angeborene Prädisposition zur Redebereitschaft (vgl. Kapitel 3.2.3) würde damit

nun also über das Verhalten in Situationen der öffentlichen Meinung entscheiden, sondern

auch die hier vorgestellten Motive. Manche Nutzer verhalten sich von Grund auf anders als

andere. An dieser Stelle sind nun alle theoretischen Vorüberlegungen zum Untersuchungsge-

genstand an sich abgeschlossen. Im weiteren Verlauf der Arbeit dient dieses Kapitel als Be-

zugspunkt für Fragen der Nutzungshintergründe. Auf dieser Basis wird nun der Versuch be-

gonnen, die Theorie der Schweigespirale auf den Untersuchungsgegenstand anzuwenden.

52

5. Die Schweigespirale auf „Facebook“

Nachdem in den vorherigen Kapiteln alle nötigen Grundlagen zur Untersuchung der For-

schungsfragen vorgestellt wurden, widmet sich dieses Kapitel nun strukturiert den Kernthe-

sen dieser Arbeit. Dabei steht die Verknüpfung der theoretischen Grundlagen mit den Eigen-

heiten des gewählten Untersuchungsgegenstands im Zentrum. Nach der gleichen Logik wie

in Kapitel 3 werden nun die Eigenheiten der Theorie der öffentlichen Meinung schrittweise

auf die vorgestellten Strukturen des Untersuchungsgegenstands (siehe Kapitel 4) übertragen.

Gleichzeitig werden dabei Besonderheiten beachtet die, aufgrund neuer Umstände in der di-

gitalen Welt, möglicherweise einen Einfluss auf die Bildung einer digitalen Schweigespirale

haben könnten. Begonnen wird, in Kapitel 5.1, mit der Zergliederung der Öffentlichkeit in

der digitalen Welt. Kapitel 5.1.1 legt dabei das Augenmerk auf den Begriff der Öffentlichkeit,

sowie den der öffentlichen Meinung in der Online-Welt. Ziel ist es, Ähnlichkeiten und Un-

terschiede zu Noelle-Neumanns Begriff der öffentlichen Meinung (vgl. Kapitel 3.2.1) zu fin-

den. Kapitel 5.1.2 behandelt daraufhin besondere Eigenschaften des Untersuchungsgegen-

stands, die sich variierend auf das dortige Verständnis von Öffentlichkeit auswirken. Kapitel

5.2 überprüft, basierend auf den Grundlagen aus Kapitel 3.2.2, die Möglichkeiten und die

Ausgestaltung der Meinungsklimawahrnehmung auf Facebook. Dabei werden besonders

neue Möglichkeiten zur Wahrnehmung des Meinungsklimas und die Unterschiede zur Off-

line-Welt vorgestellt. Darauf folgend betrachtet Kapitel 5.3 die Faktoren der Online-Isolati-

onsfurcht und Redebereitschaft. Der Fokus liegt hierbei vor allem darauf, wie die Strukturen

auf Facebook sich auf diese zentralen Grundlagen der Schweigespirale (vgl. Kapitel 3.2.3)

auswirken. Da es sich bei den Massenmedien um eine zentrale Komponente der TdÖM han-

delt (vgl. Kapitel 3.3), stellt Kapitel 5.4 die digitale Medienwelt des Internet vor. Kapitel 5.5

beschäftigt sich daraufhin, auf Basis der zuvor getätigten Überlegungen, mit der Entstehung

einer digitalen Schweigespirale. Insofern mit dem Prozess der Schweigespirale auf der sozi-

alen Netzwerkseite Facebook. Kapitel 5.5.1 setzt dabei den Fokus auf den eigentlichen Ver-

such der Übertragung, der Grundlagen der TdÖM, und folgt dabei der Vorgehensweise aus

Kapitel 3.4. Damit wird an dieser Stelle die hauptsächliche Fragestellung der Arbeit behan-

delt. In Kapitel 5.5.2 werden zudem weiterführende Überlegungen zu den Implikationen die-

ser Ergebnisse dargestellt. Dabei wird sowohl versucht die Ergebnisse des vorherigen Kapi-

tels in den Transformationsprozess der Schweigespirale einzuordnen, als auch weiter-

führende Gedanken zu formulieren, die bei der Untersuchung der Schweigespirale notwendig

sind. Kritik und Weiterentwicklungen der Theorie (siehe Kapitel 3.5) sowie verwandte An-

sätze (siehe Kapitel 3.6) werden in diesem Kapitel stellenweise nach Bedarf aufgegriffen und

als wichtige Vorüberlegungen zur kritischen Betrachtung der Thesen belangt.

53

5.1. Öffentlichkeit in der digitalen Welt

In diesem Kapitel wird der Grundstein für eine Übertragung von Noelle-Neumanns Theorie

gelegt. Da ihr Begriff von Öffentlichkeit der Überbau der Theorie ist (vgl. Kapitel 2.2), wird

an dieser Stelle betrachtet, wie sich Öffentlichkeit in der digitalen Welt gestaltet. An dieser

Stelle wird zunächst, in Kapitel 5.1.1, der Übergang von der bekannten Offline-Öffentlichkeit

zur Öffentlichkeit im Internet dargestellt. Kern dieses Kapitels ist die Frage, welche Formen

von Öffentlichkeit Online-Plattformen beherbergen. Dazu werden die in Kapitel 2 vorgestell-

ten Begriffe herangezogen, um klar zu unterscheiden, welche Form der Online-Öffentlichkeit

Noelle-Neumann entspricht und welche nicht. Im Zusammenhang mit Öffentlichkeit wird

beim Internet häufig von der „Rettung des Diskurses“ gesprochen (vgl. Ragaly 2015, 352).

Dieses Argument ist jedoch in einer politischen Definition von Öffentlichkeit zu verorten

(vgl. Kapitel 2.1). Darum fokussieren sich die folgenden Erläuterungen weniger auf diese

These sondern auf die soziale Realität der SNS. Die Ableitungen, die aus dieser Sicht dennoch

relevant für die Schweigespirale sind, werden jedoch vorgestellt. Andere Ansichten gehen

hingegen von einer Vereinzelungstendenz im Mediengebrauch aus (vgl. Boltze/Rau 2012).

Der Einzelne sei vermehrt auf der Suche nach der Befriedigung seiner individuellen Bedürf-

nisse (vgl. Rau 2007, 207). In eine ähnliche Richtung geht die Idee, dass das Internet in

Teilöffentlichkeiten zerfalle, die sich aus den Einzelinteressen der Nutzern speisen (vgl.

Thomä 2013, 46). Diesen Ansätzen wird im Folgenden nachgegangen, um herauszufinden,

was die jeweiligen Konsequenzen für eine digitale Schweigespirale wären. Abschließend

wird eine Tendenz der Prävalenz dieser Ausrichtungen erfolgen. Darauf folgend betrachtet

Kapitel 5.1.2 konkret die Öffentlichkeit auf Facebook. Hierbei steht als Ausgangspunkt die

Frage im Vordergrund, welche Formen von Online-Öffentlichkeit auf Facebook vorzufinden

sind. Daraufhin werden weitere technische Besonderheiten der Seite vorgestellt, die einen

Einfluss auf die dortige Öffentlichkeit haben. Allen voran der „News-Feed-Algorithmus“,

welcher für die Strukturierung der angezeigten Inhalte verantwortlich ist (vgl. Pariser 2012a,

43). Wie sich aus diesen Gegebenheiten letztendlich eine „Filter-Blase“ bildet, die den Nutzer

umschließt und seine Umwelt bestimmt (vgl. ebd.), wird daraufhin vorgestellt. Welche

Schlussfolgerungen sich aus diesen Umständen für eine Öffentlichkeit, nach Noelle-

Neumanns Vorstellung, ergeben, wird abschließend detailliert durchleuchtet und interpretiert.

5.1.1. Öffentlichkeit 2.0

Zu Beginn ist festzuhalten, dass es sich hierbei um die Öffentlichkeit auf Online-Plattformen

handelt und nicht um den Versuch der Darstellung einer Öffentlichkeit mit Online-Plattfor-

men. In ihrem Buch „Die Digitale Gesellschaft“ fragen Beckedahl und Lüke (2012), nach

den Eigenschaften der „neuen“ Öffentlichkeit (vgl. ebd., 170) und zeigen damit, dass diese

54

Frage auch bereits im Mainstream angekommen ist. Ob die Forschung ebenfalls von solch

einer Veränderung der Öffentlichkeit ausgeht, zeigt sich im Folgenden. Ausschlaggebend für

diesen Wandel sei laut Einspänner-Pflock und Reichmann (2014, 55) die „synthetische Situ-

ation“, die zu Beginn des 21. Jahrhunderts entstand. Mithilfe der dort aufkommenden Tech-

nologien des Web 2.0 (vgl. O’Reilly 2005), sei es nun möglich, vielfältig miteinander zu

interagieren, ohne sich dabei körperlich nah zu sein (vgl. Einspänner-Pflock/Reichmann

2014, 55). Durch diese „Aufnahme von Interaktions-Handlungen“ (ebd., 65) in die Online-

Dienste werde es möglich, neue „soziale Welten“ zu kreieren (vgl. ebd.). Mercedes-Bunz

(2012, 133) hinterfragt, ob Massen mithilfe von Technologie wirklich klüger werden können.

Also, ob eine darauf basierende Öffentlichkeit, aufgeklärter ist und Informationen besser ver-

arbeitet (vgl. ebd.). Seiner Ansicht nach sei ein klarer qualitativer Unterschied zwischen der

digitalen und der industriellen Öffentlichkeit zu sehen (vgl. ebd., 133). Es scheine fast so, als

sei die Digitalisierung eine „zweite Phase der Aufklärung und Emanzipation“ (ebd.), die sich

nun aber vom Individuum auf die gesamte Masse ausbreite (vgl. ebd.). Für die Schweigespi-

rale könnte dies bedeuten, dass die Gesamtgesellschaft ein schärferes Bild vom Meinungs-

klima entwickelt, Konsequenzen besser einschätzt und dementsprechend eher redebereit ist.

Ernst (2008, 74) bekräftigt dies, indem er dem Internet das Potenzial zuspricht, Informations-

monopole zu brechen und Kommunikationsräume des freien Meinungsaustausches zu etab-

lieren. Tendenziell lässt sich bei diesen Überlegungen feststellen, dass dem Internet eine be-

freiende Wirkung zugeschrieben wird.

Die Hinweise auf das Entstehen einer neuen Öffentlichkeit verdichten sich. Doch was lässt

sich wirklich unter dieser „Öffentlichkeit 2.0“ vorstellen? Eine der folgenreichsten Verände-

rungen, die das Web 2.0 mit sich brachte, sei laut Neuberger (2014, 309) eine Senkung der

Zugangsschwelle zur Öffentlichkeit. Das „Nadelöhr“ der alten Medien sei damit mehr oder

weniger beseitigt und der Weg in die Öffentlichkeit ist nun deutlich vereinfacht (vgl. ebd.).

Diese Erläuterung hat zwar eher weniger Noelle-Neumanns Begriff von Öffentlichkeit im

Sinn, sondern einen politikwissenschaftlichen, doch lässt sich dieser Umstand auch auf ihren

Ansatz übertragen. Im Netz ist man nicht nur den abwertenden Blicken der Nachbarn ausge-

setzt sondern im Zweifel der gesamten unbekannten Masse an Öffentlichkeit. „Cybermob-

bing“, das Diffamieren und Bloßstellen von Personen im Web (vgl. Shanmuganathan 2010,

91), ist ein reales Phänomenen, welches dieses verstärkte Tribunal sichtbar macht. Ebenfalls

wird nach Neuberger (2014, 309) bereits eine veränderte Rolle der Massenmedien deutlich.

Überschneidungen sind an dieser Stelle nicht vermeidbar, jedoch soll, ähnlich nach Noelle-

Neumanns Vorgehen, die Rolle der Massenmedien (siehe Kapitel 5.4) erst im späteren Ver-

lauf vorgestellt werden.

55

Beginnend werden verschiedene Sichtweisen zur „Erweiterung“ der Öffentlichkeit im Netz

vorgestellt. Schweiger und Weihermüller (2008, 545; H.i.O.) zufolge sei das Internet ein „um-

fassendes Öffentlichkeitsforum, das alle Öffentlichkeitssphären in sich vereint.“ So könne

sich dort zwar durchaus massenmediale Kommunikation abspielen, jedoch seien dort genauso

PR, Marketing, private Homepages, interpersonale Kommunikation und Gruppenkommuni-

kation zu finden (vgl. ebd.). Im Netz liegen diese Sphären häufig nur wenige Klicks ausei-

nander und seien oft bereits auf derselben Website vereint (vgl. ebd.). Eine weitere zentrale

Eigenschaft von Online-Öffentlichkeiten sei, dass fast alle Inhalte auch „Tage, Monate und

Jahre später noch verfügbar“ (ebd., 546) sind. Dieser Umstand gibt der Öffentlichkeit im Netz

eine unglaubliche Kraft. Bei singulären Erscheinungen ist es möglich, intime Details über

eine Person herauszufinden und diese gegen sie zu verwenden. Dies bietet sich besonders an,

sollte sie sich gegen die öffentliche Meinung (vgl. Kapitel 3.2.1) aussprechen. Die aus der

Netzkultur entsprungene Phrase „the Internet never forgets“ (vgl. Rosen 2010) ist à point.

Auch nach Jahren könne einen eine Online-Meinungsäußerung noch einholen (vgl. ebd.).

Zwar sei es durchaus möglich, die eigenen Spuren zu minimieren, doch in Kombination mit

der übergreifenden Verknüpfung der unterschiedlichen Sphären, ist eine Kontrolle der eige-

nen Aussagen im Netz fast unmöglich (vgl. ebd.). Es fällt also schwerer seine vertretene Mei-

nung zu verschleiern als in reinen Offline-Situationen.

Eisermann und Potz (2014, 121) sehen die Unterschiede zur Offline-Öffentlichkeit weniger

bedeutend. Es handele sich auch im Netz um einen „gemeinsamen Ort“, der ebenso vorstruk-

turiert sei wie physische Orte (vgl. ebd.). Nur bestimmte Parameter würden sich unterschei-

den; statt durch den Zeitpunkt der Kommunikation sei die Öffentlichkeit eher durch Technik

geprägt (vgl. ebd.). „Perspektive und Rolle“ (ebd.) des Einzelnen blieben jedoch gleich (vgl.

ebd.). Schulz und Rössler (2013, 209; H.i.O.) lehnen zwar eine Vorstellung vom „grundle-

genden Wandel“ der Öffentlichkeit durch das Internet ab, gehen aber dennoch von relevanten

Einflüssen auf die Charakteristika der Öffentlichkeit aus (vgl. ebd.). So könne das Internet,

als „Öffentlichkeitsforum“ beschrieben, dabei helfen, Teilöffentlichkeiten ihrer ursprüngli-

chen Beschränkungen zu entheben und sie zu Massenbewegungen auszudehnen (vgl. ebd.,

210). Ferner können durch das Netz „isolierte Randgruppen“ (ebd.) nun erstmalig die Chance

bekommen, einen relevanten Stellenwert in der Öffentlichkeit einzunehmen (vgl. ebd.). Für

die Schweigespirale würde dies womöglich eine diversifizierte Verteilung der Meinungslager

bedeuten. Salzborn (2012, 278) warnt in dieser Hinsicht jedoch vor einer „Scheinpartizipa-

tion“. Menschen würden sich gewissen Ansichten, meist aus Bequemlichkeit, scheinbar an-

schließen, ohne wirklich ideologisch dahinter zu stehen oder aktiv zu werden (vgl. ebd.). Zu-

sätzlich ermögliche das Internet die Etablierung alternativer Öffentlichkeiten (vgl.

56

Schulz/Rössler 2013, 210). Ursprung nehmen diese Bewegungen häufig ausschließlich im

Internet und nur bei Bedarf werden die Anliegen über andere Wege kommuniziert (vgl. ebd.,

211). Für die Mobilisierung dieser öffentlichen Meinung reiche nur eine kleine Anzahl an

„Avantgardisten“, wie Noelle-Neumann (1980, 200) sie selbst nennt (vgl. Schulz/Rössler

2013, 211). Ob diese Bemühungen dann jedoch letztendlich erfolgreicher seien, als jene in

Offline-Öffentlichkeiten, sei nicht abzusehen (vgl. ebd.).Besonders relevant sei, dass im Netz

die Grenzen zwischen Privatheit und Öffentlichkeit zu verschwinden drohen (vgl. ebd.). Nut-

zer würden teilweise den Bezug dazu verlieren, ob es sich um eine öffentliche Situation han-

delt oder nicht, da Fremdwahrnehmung und mögliche Konsequenzen schwer einzuschätzen

seien (vgl. ebd., 212). Die Funktion als Katalysator für die Schweigespirale würde die, sonst

als bedrohlich wahrgenommene, Öffentlichkeit, nun weniger intensiv ausüben (vgl. ebd.).

Nutzer nehmen sie dann gar nicht mehr oder nur vermindert wahr. Schmidt (2013, 34) be-

nennt dafür vier Eigenschaften sozialer Medien, die für solch eine Fehleinschätzung der

Reichweite und Größe des Publikums ausschlaggebend sind. Kommunikation auf SNS sei,

wie bereits erwähnt, immer persistent, „also dauerhaft gespeichert“ (ebd.). Weiterer Faktor

sei die einfache Kopierbarkeit der Daten (vgl. ebd.). Inhalte lassen sich so ohne Qualitätsein-

buße wiedergeben. Aus diesen beiden Aspekten folge eine beliebig skalierbare Reichweite

der Inhalte (vgl. ebd.). In letzter Instanz werden die Daten „durchsuchbar“, die persistenten

Daten können so jederzeit mit Personen oder anderen Fakten in Verbindung gesetzt werden

(vgl. ebd., 35). Grundsätzlich sei dies alles nicht problematisch, doch sie „erschweren zu-

gleich die Grenzziehung zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit, weil sie dem Einzelnen

die Kontrolle darüber entziehen oder zumindest erschweren, wer welche Informationen über

ihn zu sehen bekommt“ (ebd., 35). In eine ähnliche Richtung argumentiert auch Bussemer

(2014, 206). Für ihn ist die Problemlage jedoch akuter und er befürchtet einen drohenden

Kontrollverlust der Nutzer (vgl. ebd.). Dies sei, zusammen mit „totaler Vorhersagbarkeit“

durch Datensammlung (ebd.), ein zentrales Kennzeichen der Online-Öffentlichkeit (vgl.

ebd.). Damit bringt er konkret den Begriff „Big-Data1“ in die Überlegung ein und weist drauf

hin, dass fast alle Inhalte mittlerweile analysiert und ausgewertet werden, jedoch niemand

genau wisse, wie damit letztendlich umgegangen werde (vgl. ebd.). So zeichne sich die Öf-

fentlichkeit des Internet zunehmend durch Unvorhersehbarkeiten aus, die ebenso schwierig

zu untersuchen seien (vgl. ebd.).

1 „große Mengen an Daten […], die u.a. aus Bereichen wie Internet und Mobilfunk […] stammen und die

mit speziellen Lösungen gespeichert, verarbeitet und ausgewertet werden.“ (Gabler Wirtschaftslexikon

o.J.)

57

Damit ist nun zunächst eine Perspektive der Online-Öffentlichkeit erfasst. Trotz kleinerer

Differenzen, in den unterschiedlichen Ansichten, wird aus dieser Sicht davon ausgegangen,

dass es kaum entscheidende Veränderungen der Öffentlichkeit im Netz gegenüber der Off-

line-Welt gibt. Vor allem Tendenzen zu einer Netzarchitektur seien bemerkbar und kleinere

Weiterentwicklungen fänden statt. Doch nach wie vor handele es sich um den „einen“ Raum,

der dementsprechend wertet und beurteilt. Prägnant aber bisher nicht abschätzbar ist außer-

dem Big-Data. Insgesamt scheint es, als würden die Faktoren der Öffentlichkeit nach Noelle-

Neumann in vielerlei Hinsicht verstärkt.

Die Fragmentierungsthese zeigt dagegen ein differenziertes Bild der Öffentlichkeit im Web.

Verschiedene Auffassungen gehen von einschneidenden Unterschieden zur Offline-Öffent-

lichkeit aus. Allen voran Habermas (2008, 161), der den Hoffnungen, das Web würde ein

neuer Meilenstein im öffentlichen Diskurs sein, folgendes entgegensetzt: „Das Web liefert

die Hardware für die Enträumlichung einer verdichteten und beschleunigten Kommunikation,

aber von sich aus kann es der zentrifugalen Tendenz nichts entgegensetzen. Vorerst fehlen

im virtuellen Raum die funktionalen Äquivalente für die Öffentlichkeitsstrukturen, die die

dezentralisierten Botschaften wieder auffangen, selegieren und in redigierter Form syntheti-

sieren.“ Das Internet würde letztendlich in eine Ansammlung von desorganisierten Teilöf-

fentlichkeiten zerfallen (vgl. ebd.). Wichtig ist an dieser Stelle ganz klar darauf hinzuweisen,

dass Habermas dabei selbstverständlich seinen eigenen Begriff von Öffentlichkeit verwendet

(siehe Kapitel 2.1). So sind die von ihm formulierten Konsequenzen weniger relevant für die

Schweigespirale. Wichtiger ist hierbei der Grundsatz der Fragmentierung. Auch andere An-

sätze gehen, wenn auch mit unterschiedlichen Prämissen, von ähnlichen Tendenzen aus (vgl.

u.a. Bussemer 2014, 207; Thomä 2013, 46; Schmidt 2009, 105). Laut Rau (2007, 47) seien

Vereinzelungstendenzen ein Effekt von saturierten Gesellschaften, in denen es erschwinglich

sei, jedes einzelne Bedürfnis möglichst zielgerecht zu befriedigen. Für Bussemer (2014, 207)

folgen aus solchen Individualisierungsprozessen „gewaltige Strukturveränderungen“. Es ent-

stehe eine „amorphe, sich oftmals spontanen Erregungswellen hingebende und kaum noch

integrierte Crowd“ (ebd.). Die „Crowd“ respektive das Publikum, spalten sich dabei in „un-

zählige Interessens- und Anspruchsgruppen“ auf (ebd.). Statt einem Diskursraum, wie den

„Tagesthemen“, gebe es nun eine unüberschaubare Auswahl an speziellen Interessen (vgl.

ebd.), die im Zweifel alle ihre eigene Agenda publik machen. Bei all dem sei das Web in der

Lage die „Normen und Praxen verschiedener Öffentlichkeiten“ (Ernst 2008, 81) zu simulie-

ren. Das Web könne eine „Printöffentlichkeit“ genauso generieren wie die „Fernsehöffent-

lichkeit (vgl. ebd.). Dies treibe die Pluralisierung ebenfalls weiter voran (vgl. ebd.). Schmidt

(2009, 105f) benennt das Aufkommen von „persönlicher Öffentlichkeit“ als eine weitere

58

wichtige Folge der Entwicklungen des Web. Diese würden an den Stellen des Web entstehen,

an denen Nutzer sich mit ihren „eigenen Interessen, Erlebnissen, kulturellen Werken oder

Meinungen für ein Publikum präsentieren“ (ebd.). Dabei werde jedoch kein Anspruch auf

gesellschaftsweite Relevanz gelegt (vgl. ebd.). Damit würden sie vor allem einen klaren Ge-

gensatz zum Anspruch der Massenmedien darstellen, die der Ambition folgen, eine univer-

selle Öffentlichkeit darzustellen (vgl. ebd., 106). Kern dieser Ausführung sei überdies das

Verschwimmen der Grenzen zwischen Privatem und Öffentlichem (vgl. ebd., 115). Thomä

(2013) betitelte eines seiner Werke zu diesem Thema prägnant „Der Zerfall des Publikums“.

In seinen Äußerungen folgt er einem ähnlichen Tenor wie die vorherigen Standpunkte. So

entstünden „voneinander abgeschottete Teilöffentlichkeiten mit unterschiedlichen Wissens-

beständen und Themenagenden“ (ebd., 46). Der Kontakt zu oppositionellen Meinungen

könne dadurch schwinden (vgl. ebd.). Gleichzeitig erlaube das steigende Medienangebot

weitreichende Selektionsmöglichkeiten (vgl. ebd.), die genau auf die persönlichen Interessen

und Meinungen des Einzelnen ausgerichtet sind (vgl. ebd.; Boltze/Rau 2012). „Individuali-

sierung, Fragmentierung und Vereinzelung“ sind damit weitere der Stichworte der Web-2.0-

Öffentlichkeit. Es ist nicht erkennbar, ob unter diesen Umständen das "Tribunal der Öffent-

lichkeit" (vgl. Kapitel 2.2) noch seine volle Wirkung zeigen kann. Alternativ würde der Ein-

zelne in diesem Fall mehreren Wertungsinstanzen, mit jeweils eigener Agenda, gegenüber

stehen. Zwar ist die Vorstellung von Öffentlichkeit als Bewusstseinszustand (vgl. ebd.) wei-

terhin möglich, allerdings setzt dies womöglich eine akkuratere Meinungsklimawahrneh-

mung voraus. Ferner muss weiterhin die Möglichkeit bestehen, der gesamten Öffentlichkeit

ausgeliefert zu sein. Andernfalls steht jedes Individuum nur den ihm bekannten Teilöffent-

lichkeiten gegenüber und verspürt ein zuweilen hoch individuelles Meinungsklima (siehe

auch Kapitel 5.2). Im Extremfall könnte das Individuum sogar, je nach Nutzungsweise (vgl.

Kapitel 4.4.3), nur noch seiner privaten Öffentlichkeit gegenüber stehen.

Eine abgrenzende Schlussfolgerung, wie sich die postmoderne Öffentlichkeit im Netz gestal-

tet, stellt sich als schwierig heraus. Die große Frage, ob das Netz eine fragmentierte Öffent-

lichkeit innehabe oder eher eine simple Erweiterung der Offline-Öffentlichkeit darstellt, ist

je nach Perspektive unterschiedlich zu beantworten. Es ist davon auszugehen, dass beide Er-

scheinungen in unterschiedlichen Bereichen vorkommen. Zudem ist davon auszugehen, dass

sich die unterschiedlichen Modi der Online-Öffentlichkeit nicht unbedingt ausschließen.

Grundsätzlich ist erneut festzuhalten, dass in der Literatur kaum darüber diskutiert wird, wie

die Öffentlichkeit nach Noelle-Neumann im Web stattfindet. Dennoch lassen sich aus den

vorgestellten Sichtweisen relevante Argumente und Vermutungen ableiten. So wird deutlich,

59

wie sich im Netz anscheinend eine Verstärkung der Effekte von Öffentlichkeit vollzieht. Mei-

nungen können lauter verbreitet werden und Sanktionen werden großflächiger sichtbar. An-

dererseits zerfalle die Öffentlichkeit aber auch zunehmend und letztendlich würden die Men-

schen nur noch das Wahrnehmen, was ihren Bedürfnissen entspricht. Einspänner-Pflock und

Reichmann (2014, 59) bezeichnen das Internet auch als „soziale Welt“. Menschen würden

sich dort nach ihren Vorlieben eigenen Subwelten erschaffen (vgl. ebd.), zum Beispiel inner-

halb von sozialen Netzwerkseiten. Hierbei stellt die immer schwieriger werdende Unterschei-

dung zwischen dem Privaten und der Öffentlichkeit ein Problem dar. Denn für Noelle-

Neumann (1980, 36) ist das Öffentliche die Grundlage für den unaufhaltsamen Prozess der

Schweigespirale. Steinmetz (2015, 219) schlägt zur Überwindung des Problems vor, eine

„gleitende Skala kommunikativer Äußerungen von der Privatheit zur Öffentlichkeit“ anzu-

nehmen. In der neuen Web-Öffentlichkeit kommuniziere der User „aus seiner Privatsphäre

heraus“ (ebd.) in „verschiedene private, micro-öffentliche oder öffentliche Sphären hinein.“

Dies stellt einen deutlichen Strukturwandel dar, der auch für spätere empirische Untersuchun-

gen von Relevanz ist. Ferner lässt sich so weiterhin von einer bestehenden öffentlichen

Sphäre ausgehen. Trotz aller mit einzubeziehender neuer Faktoren, gibt es im Web vorerst

nichts, was eine Funktion von Öffentlichkeit nach Noelle-Neumann dezimiert. Allerdings gilt

es dann, zu untersuchen, in welchem Rahmen der Theorie Ad-Hoc-Ergänzungen hinzuzufü-

gen sind. Für die weitere Arbeit wird jedoch vorerst auf der in diesem Kapitel vorgestellten

Grundlagen argumentiert. Dies entspricht dem Ziel der Arbeit, Schwachstellen und mögliche

Änderungspunkte der Theorie der Schweigespirale auf sozialen Netzwerkseiten zu beleuch-

ten. Das nächste Kapitel übernimmt all diese Überlegungen nun und vergleicht sie mit den

konkreten Umständen auf Facebook, um ein Bild der dortigen Öffentlichkeit zu zeichnen.

5.1.2. „Facebook“ und die Öffentlichkeit – Ein Algorithmus macht Meinung

Es ist davon auszugehen, dass Facebook, als Anwendung des Web 2.0 (vgl. Kapitel 4.4),

keine Ausnahme zu den Überlegungen des vorherigen Kapitels darstellt. Zu klären ist, welche

Anteile des Öffentlichkeits-Spektrum Facebook vereint. Inwiefern die dortige Öffentlichkeit

zu einer simplen Erweiterung der Offline-Öffentlichkeit tendiert oder ob dort eine Kumula-

tion an individualisierten Teilöffentlichkeiten existiert. Nach Beantwortung dieser Frage wer-

den hervorstechende technische Eigenschaften vorgestellt, die in ihrer Funktionsweise einen

Einfluss auf die Ermöglichung von Öffentlichkeit haben. Ausgehend davon wird sich der

größten Besonderheit auf Facebook gewidmet, dem „News-Feed-Algorithmus“ (vgl. Pariser

2012a, 43). Es wird beschrieben, wie sich diese inhaltskontrollierende Software auf die Struk-

tur der Website auswirkt und dabei die Nutzung der User beeinflusst. Wie aus diesen Zusam-

60

menhängen eine „Filter-Bubble“ (vgl. ebd.) entstehen kann, also ein geschlossener, fast kon-

struktivistischer Raum, in dem der Einzelne seine Internet-Erfahrung erlebt, wird abschlie-

ßend vorgestellt. Ferner wird überprüft, ob die dortigen Umstände die Öffentlichkeit nach

Noelle-Neumann eher begünstigen oder verhindern. Wie bereits in Kapitel 4.4.2 vorgestellt,

wird Facebook durch viele ein- und entgrenzende Faktoren gestaltet. Dadurch entsteht ein

Kommunikationsraum, der in vielerlei Hinsicht nach außen abgegrenzt ist. Nutzer müssen

zum Bsp. andere Personen erst als Freunde hinzufügen, um mit ihnen in Kontakt treten zu

können. Privatsphäre-Einstellungen grenzen die Nutzer voneinander ab und das bewusste

Abonnieren von Fanpages, nach eigenen Interessen, kreiert den Nutzern ein persönliches Er-

lebnis. (vgl. ebd.) Auch der Blick auf die Nutzertypologie in Kapitel 4.4.3 zeigt, dass die

Nutzung des Angebots häufig vielfältig und von individuellen Beweggründen motiviert ist.

Zweifellos ist das oberste Ziel dort nach wie vor die Vernetzung mit anderen (Bitkom 2013,

3), doch der Nutzer findet vorrangig Anschluss an seine eigene Subwelt und nicht die Ge-

samtöffentlichkeit der Website (vgl. Kapitel 5.1.1). Hauptsächlich in Wirkungskreisen wie

Gruppen oder im Kommentarbereich öffentlicher Seiten, treten die Menschen aus ihrer pri-

vaten Öffentlichkeit hinaus (vgl. ebd.). Somit ist auf Facebook von einer desorganisierten

Ansammlung vieler Teilöffentlichkeiten mit Schnittpunkten, die eine erweiterte Öffentlich-

keit bilden, auszugehen. Zugleich geschieht der Kontakt in äußere Sphären hinein immer aus

der eigenen Privatsphäre. Die individuelle Erfahrung steht dort klar im Vordergrund (vgl.

Kapitel 4.4.3). Doch darüber hinaus gibt es weitere Besonderheiten auf Facebook.

Eisermann und Potz (2014, 118) weisen darauf hin, dass die vorherrschende Situation auch

immer den Handlungsrahmen der Kommunikation beschreibe. Deshalb werden noch einmal

kurz wichtige Besonderheiten auf Facebook betrachtet, die den Rahmen der Kommunikation

und somit auch der Öffentlichkeit setzen. Dabei fällt vor allem die Möglichkeit auf, befreun-

dete Personen in verschiedene Listen einzuordnen (vgl. Kapitel 4.4.2). Kniedinger (2012, 80)

fragt an dieser Stelle kritisch, was sich überhaupt hinter dem Begriff „Freunde“ auf Facebook

verberge. Denn meistens sei es eine Kombination aus Arbeitskollegen, Mitschülern, Familie

und eben „echten“ Freunden (vgl. ebd.). Wenn nun mit genau dieser Listenfunktion die eige-

nen „Freunde“, in jene Bezugsgruppen eingeordnet werden, strukturiert dies bereits die dor-

tige Öffentlichkeit. Beim bloßen Einsortieren ist der Einfluss noch minimal, doch sobald die

vielfältigen Privatsphäre-Einstellungen zugezogen werden (vgl. ebd.), entsteht eine Vielzahl

von neuen Sphären. Arbeitskollegen sehen nun nicht mehr die Fotos des letzten Urlaubs und

Freunde sehen nicht den geteilten Fachartikel. Schemmerling und Brüggen (2014, 152) sind

der Ansicht, diese technische Gestaltung „unterminiert die Möglichkeit auf selbstbestimmtes

Handeln“. Es handele sich dabei um einen empfindlichen Eingriff in die Kontaktaufnahme

61

zu anderen Nutzern und eine Verzerrung der Sozialräume (vgl. ebd.). Auch dies stellt die

Öffentlichkeit nach Noelle-Neumann (vgl. Kapitel 2.2) weiter infrage. Denn letztendlich ent-

steht hier dieselbe Privatheit wie in der Stammkneipe oder dem Fußballverein (vgl. Noelle-

Neumann 1980, 222). Der Nutzer selbst nimmt gegebenenfalls die Äußerungen seiner

Freunde auf demselben Weg wahr, jedoch steht er seltener einer gesichtslosen Masse gegen-

über. Er weiß genau, dass er die Kontrolle über seine Aussagen hat. Zumindest in jener Teilöf-

fentlichkeit. Dagegen ist es extrem einfach, wie im vorherigen Kapitel vorgestellt, aus der

vermeintlich sicheren privaten Öffentlichkeit in den Mittelpunkt der Gesamtöffentlichkeit zu

geraten. Und dort agiert die Öffentlichkeit mit Gewissheit noch als Tribunal (vgl. Shan-

muganathan 2010, 91). Im nächsten Schritt wird erläutert, wie sich diese Öffentlichkeit auf

Basis des News-Feed-Algorithmus konstituieren kann.

Imhof (2015, 16) nutzt dabei den Begriff des „Walled Garden“. Aufgrund der Monopolstel-

lung sei Facebook wie ein eingezäunter Garten zu verstehen (vgl. ebd.). Doch dieses Phäno-

men grenzt nicht nur nach außen ab. Busemann (2014, 42) beschreibt den Walled-Garden als

eigenes Ökosystem im Netz. Facebook ist also eine eigenständige soziale Struktur mit eigener

Öffentlichkeit. Vorrangig geformt, durch die im vorherigen Abschnitt und Kapitel 4.4.2 be-

schriebenen technischen Eigenheiten, gibt es innerhalb dieses Walled-Garden einen weiteren

steuernden Faktor (vgl. Bunz 2012, 11). Die Digitalisierung verändere „was und wie wir wis-

sen“ (ebd.; H.i.O.). Denn im Internet entstehen Algorithmen, die Inhalte kreieren und lenken

(vgl. ebd., 12). Damit kontrollieren sie in gewissem Maße auch das, was wir als Wirklichkeit

wahrnehmen. Schmidt (2013, 57) erklärt den Ursprung dieser Algorithmen: „Die sozialen

Medien vergrößern die Informationsfülle, die uns tagtäglich zur Verfügung steht.“ Um in

diese Flut an Informationen Ordnung zu bringen, seien Hilfsmittel nötig (vgl. ebd.). Deshalb

arbeiten verborgen im technischen Konstrukt der Seite zahlreiche Algorithmen (vgl. ebd.),

„die Daten zusammenfassen, filtern und in eine Reihenfolge bringen“ (ebd.). Auf Facebook

sei das wichtigste Werkzeug zur Speisung des Algorithmus der Like-Button, jede einzelne

dieser Interaktionen liefert dem Unternehmen wichtige Informationen (vgl. ebd., 59). Und im

Umkehrschluss werde sie genutzt, um dem Nutzer in vielfältiger Weise Rückmeldung zu ge-

ben (vgl. ebd.). Viele „Likes“ lassen oft ein höheres Involvement schließen. Dementspre-

chend schlage Facebook neue Personen, Gruppen oder Fanpages vor, die in das Raster der

bisherigen Interaktionen fallen (vgl. ebd., 64). Dabei werde hauptsächlich in „Ranking-Algo-

rithmen“ und „Ähnlichkeitsalgorithmen“ unterschieden (vgl. ebd.). Erstere versuchen heraus-

zufinden was momentan populär ist, während letztere Interferenzen und Analogien zwischen

Objekten finden (vgl. ebd., 64f). Pariser (2012a, 43) sieht in Facebook einen Vorreiter bei der

62

Erstellung von Algorithmen. Statt nur das simple Klickverhalten zu analysieren, werden ge-

zielt persönliche Angaben erfragt und zu einem großen Bild zusammengefügt (vgl. ebd., 44).

Die Einführung des News-Feed sei bei der Entwicklung immer besserer Algorithmen der

entscheidende Faktor gewesen (vgl. ebd., 45). Denn mit steigender Anzahl an Freunden,

steigt auch die Unübersichtlichkeit im News-Feed. Facebook versucht deshalb stetig den Al-

gorithmus für die Anzeige der Hauptmeldungen zu verbessern, um nur die für den Nutzer

relevantesten Meldungen anzuzeigen (vgl. Frantz 2015). Pariser (2012a, 45f) versucht die

grundlegende Idee dieser komplexen Formel zusammenzufassen. Erster Faktor sei der „Grad

der Verbundenheit“, je höher die Interaktionsrate zwischen zwei Personen ist, umso wahr-

scheinlicher auch, dass einander die Updates des jeweils anderen angezeigt werden (vgl. ebd.,

46). Als nächstes fände eine Gewichtung der Inhalte statt, Neuigkeiten die in der Gesamtheit

Interesse finden, werden tendenziell häufiger angezeigt (vgl. ebd.). Es sei auch davon auszu-

gehen, dass diese Gewichtung darüber hinaus personalisiert ist (vgl. ebd.). Letzter Faktor sei

die Zeit, denn Aktualität stehe immer im Vordergrund (vgl. ebd.). Es besteht zwar die Mög-

lichkeit den News-Feed kurzzeitig auf „neueste Meldungen“ umzustellen, doch Facebook

sieht letztendlich die Nutzung des optimierten Feed vor und nutzt diesen auch als Stan-

dardeinstellung (vgl. Frantz 2015). Den Nutzern ist aber zumindest indirekt möglich, in den

Algorithmus einzugreifen (vgl. Marra 2014). So können sie Beiträge in ihrem News-Feed

ausblenden und somit dem Algorithmus ihre Präferenzen „beizubringen“ (vgl. ebd.). Nach

welchen Kriterien Facebook, bei der Sortierung von Inhalten, aber letztendlich vorgeht, ist

nur dem Unternehmen selbst bekannt. Bereits diese Sachlage könnte fatale Folgen für eine

digitale Schweigespirale haben. Denn nicht mehr die Redebereitschaft oder die tatsächliche

Meinungsverteilung würden dann das Meinungsklima beherrschen, sondern der Algorithmus,

der dem Nutzer ein höchst individuelles Bild der Welt zeigt. Was der Algorithmus dabei be-

vorzugt oder benachteiligt ist nicht ersichtlich. Bussemer (2014, 206) geht davon aus, dass

Algorithmen und Big-Data zunehmend die Massen kontrollieren. Dies würde in gegebenen

Fällen zu einer Kettenreaktion der Empörung führen (vgl. ebd.). Denn was andere gut finden,

muss auch für einen selber gut sein, argumentiert Bussemer (ebd.).

An diesem Punkt stellt sich die Frage, ob der Algorithmus es überhaupt zulässt, dass so etwas

wie eine Gesamtöffentlichkeit auf Facebook stattfindet. Es ist zu vermuten, dass Nutzer in

ihrer privaten Öffentlichkeit stark durch ihren „persönlichen“ Algorithmus eingeschränkt

sind. Hier versucht der Algorithmus also die individuelle Erfahrung der Nutzer zu optimieren.

Während außerhalb der privaten Öffentlichkeit ein übergreifender Algorithmus wirkt, den

somit alle gleich wahrnehmen. In beiden Fällen macht der Algorithmus Meinung. Denn wäh-

rend die professionellen Gatekeeper möglicherweise an Einfluss verlieren (siehe Kapitel 5.4),

63

werden die Algorithmen immer besser darin Themenkonjunkturen zu erkennen (vgl. Busse-

mer 2014, 207). Laut Pariser (2012b, 64) sei es aber durchaus sinnvoll, solche Mechanismen

zu haben. Die Informationsflut ungefiltert wahrzunehmen käme einem weißen Rauschen

nahe (vgl. ebd.). Somit befähigt der Algorithmus womöglich erst zur Meinungsklimawahr-

nehmung auf Facebook, in dem er einzelne Positionen aus diesem „weißen Rauschen“ her-

ausfiltert. Doch das Kernproblem zeige sich auch an dieser Stelle (vgl. ebd., 63). Der Algo-

rithmus, der die Nutzer umgibt, ist unsichtbar (vgl. ebd.). Der Einzelne wisse nicht, für was

für eine Person Facebook ihn halte und kennt keine konkreten Annahmen über sich (vgl.

ebd.). Vor allem ist nie klar, an welcher Stelle der Algorithmus genau eingreift und an welcher

Stelle manuelle Kriterien strukturieren (vgl. ebd.). Und zuweilen bedeutet „filtern“ auch im-

mer der Verzicht auf Informationen, die womöglich relevant seien könnten. Es zeigt sich,

dass dieser Dienst der Bequemlichkeit gleichzeitig seine Makel hat und eine Untersuchung

der Schweigespirale in sozialen Netzwerkseiten erheblich beeinträchtigen kann.

Aus all diesen vorgestellten Eigenheiten bildet sich letztendlich das, was unter der „Filter-

Bubble“ zu verstehen ist (vgl. Mahrt 2014; Pariser 2012a/2012b). Pariser (2012b, 62) nennt

als die prägnanteste Eigenschaft der Filter-Bubble, dass jeder Nutzer alleine in ihr sitze. Die

Auswirkungen dieses Umstands formuliert Pariser (ebd., 63) wie folgt: „In einer Zeit, da ge-

teilte Informationen die Voraussetzung für geteilte Erfahrungen sind, wirkt die Filter Bubble

als Zentrifugalkraft und treibt uns auseinander.“ Dies könnte letztendlich auf ein Versagen

des ursprünglichen Gedankens sozialer Netzwerkseiten hindeuten. Doch das nur am Rande,

die eigentliche Relevanz dieser Umstände findet sich bei der Frage nach Noelle-Neumanns

Öffentlichkeit. Wenn jeder Einzelne in seiner eigenen Filter-Bubble sitzt und von dort aus

die Welt betrachtet, so erlebt auch jeder einzelne eine einzigartige Scheinöffentlichkeit. Ob

diese noch immer dieselbe verheerende Macht hat ist unklar und lässt sich womöglich nur

mithilfe der Empirie beantworten. Mahrt (2014, 142) weist jedoch darauf hin, dass die User

nach wie vor über andere Kanäle integrierende Inhalte konsumieren würden. Dies erleichtere

das Erkennen von Diskrepanzen zumindest zum Teil (vgl. ebd.). Ebenfalls sei es nicht not-

wendig, dass sich der gesellschaftliche Kontakt über Inhalte auflöse, nur weil diese unter-

schiedlich rezipiert werden (vgl. ebd.). Dies ist jedoch nur ein schwacher Lichtblick durch

den Dunst der Filter-Blase.

Dieses Kapitel macht die Relation einzelner Ereignisse und Eigenschaften deutlich, die letzt-

endlich dazu führen könnten, dass Nutzer nur noch in abgeschotteten Schweinwelten intera-

gieren. Es beginnt mit dem Zerfall der Öffentlichkeit in individualisierte Teilbereiche. An

dieser Stelle ist zwar noch eine starke Gruppenbildung in der jeweiligen Nische möglich,

doch ein übergreifender Austausch wird bereits unwahrscheinlicher. Damit einher geht die

64

stetig anwachsende Suche nach individueller Bedürfnisbefriedigung. Diese wird einerseits

mithilfe von bestimmten Inhalten als auch mit der persönlichen Konfiguration von Facebook

umgesetzt. Dabei greifen nun auch die technischen Beschränkungen der Seite ein und grenzen

die Öffentlichkeiten weiter voneinander ab. An dieser Stelle ist schon von der privaten Öf-

fentlichkeit des Individuums zu sprechen. All dies wird durch den alles umfassenden Algo-

rithmus nun in unbekannte Bahnen gelenkt. Diese Blackbox aus mathematischen Entschei-

dungen und Prognosen dichtet die Filter-Bubble förmlich ab. Am Ende steht der Nutzer vor

einem fast maßgeschneiderten Erlebnis, welches fast schon konstruktivistisch anmutet, und

ist sich dessen häufig nicht einmal bewusst. Für Facebook mag es das höchste der Ziele sein,

dem Nutzer eine möglichst individuelle Erfahrung zu bieten (vgl. Frantz 2015). Für die

Schweigespirale bedeutet dies jedoch unvorhergesehene Einflussfaktoren und womöglich

eine Öffentlichkeit, die, wie ein Bienenstock, aus vielen einzelnen Waben besteht. Dabei stellt

sich auch die Frage, ob es die öffentliche Meinung nach Noelle-Neumann weiterhin gibt. Es

ist zunächst davon auszugehen, dass öffentliche Meinung weiterhin der Definition Noelle-

Neumanns folgt (vgl. Kapitel 3.2.1), denn sie entspringt den Köpfen der Menschen, die jene

Bewertungsinstanz der Öffentlichkeit darstellen. Doch greift hier nun zusätzlich der Algo-

rithmus ein. Bekanntlich kontrolliert er die Sichtbarkeit von Themen, somit ist er auch in der

Lage ungewünschte Themen „abzustrafen“. Der Algorithmus hat also einen verstärkten Ein-

fluss bei der Etablierung der öffentlichen Meinung als herrschende Meinung. Darüber hinaus

ist davon auszugehen, dass nun mehrere herrschende Meinungen, je nach Teilöffentlichkeit,

nebeneinander existieren können. Statt nun aufgrund der vorherrschenden gesamtöffentlichen

Meinung seine Aussage nicht mehr zu tätigen, entscheidet nun der Algorithmus, welche The-

men dem Konsens der Gruppe entsprechen und welche nicht. Diese werden nun sichtbarer

oder weniger sichtbar. Da sich der Algorithmus an den Informationen der Nutzer orientiert,

muss er ebenso die allgemeine öffentliche Meinung aufgreifen und damit verstärkend imple-

mentieren. So wäre er zwar größtenteils ein Spiegelbild der Meinung der Menschen, doch

niemals eine wirkliche Kopie, stattdessen ein verzerrendes Echo. Trotz dieser gravierenden

Auswirkungen werden im Folgenden dennoch die weiteren Aspekte der digitalen Schweige-

spirale vorgestellt. Nach wie vor ist es das Ziel der Arbeit eine ganzheitliche Übertragung der

Theorie zu gestalten. Nun jedoch vor den Hintergründen wie „Öffentlichkeit“ sich auf Face-

book konstituiert. Das nächste Kapitel beschäftigt sich mit der Wahrnehmung des Meinungs-

klimas unter diesen Umständen.

65

5.2. Meinungsklimawahrnehmung auf Facebook

Wie im vorherigen Kapitel vorgestellt, ist davon auszugehen, dass ein großer Teil des Mei-

nungsklimas durch den News-Feed-Algorithmus gesteuert wird. Dennoch muss dieser seine

Informationen zuerst aggregieren, weshalb an dieser Stelle untersucht wird, wie sich die di-

rekte und indirekte Umwelt auf Facebook etablieren. Ferner wie sich das Verhältnis dieser

beiden Wahrnehmungsquellen gestaltet. Der Algorithmus wird an dieser Stelle als gegeben

betrachtet, jedoch zur Einfachheit nicht weiter einbezogen. Fernerhin wird der Frage nachge-

gangen, wie neben dem Algorithmus die wahrgenommene Meinung beeinflusst wird. Eben-

falls wird der Quasi-Statistische-Sinn unter den Bedingungen des Web 2.0 betrachtet. Ab-

schließend steht die Frage, welche Effekte sich beim Nutzer selbst bemerkbar machen und

wie sie die Meinungsklimawahrnehmung beinträchtigen.

Neuberger (2014, 313) geht davon aus, dass im Netz auch bei der Meinungsbildung eine

Tendenz zur Interessenorientierung herrsche. Die übergreifende Aufmerksamkeit auf gesell-

schaftlich relevante Themen ging verloren, stattdessen seien Gleichgesinnte immer mehr un-

ter sich (vgl. ebd.). Dies geht unverkennbar mit den bekannten Individualisierungstendenzen

der Online-Welt einher. Zur Steigerung der sozialen Behaglichkeit wird sich im eigenen

Dunstkreis aufgehalten. Da Facebook direkte Kommunikation ermöglicht, aber auch massen-

mediale Angebote dort zu finden sind (vgl. Kapitel 4.4.2), ist die klare Zuordnung einer do-

minanten Meinungsquelle klärungsbedürftig. Laut Schulz und Rössler (2013, 42) ließen sich

beide Konzepte integrieren. Die indirekte Umwelt sei einerseits, wie bekannt in Form von

massenmedialen Angeboten zu finden, werde jedoch durch den Umstand ergänzt, dass heut-

zutage theoretisch jeder massenmediale Inhalte produzieren könne (vgl. ebd., 43). Ebenso sei

die Unterscheidung der Inhalte nicht mehr gänzlich trennscharf (vgl. ebd.). Zu den massen-

medialen Angeboten gesellen sich nun auch Werbung und PR, die als solches nicht immer

erkennbar sind (vgl. ebd.). Diese professionelle Kommunikation sei auch immer noch Haupt-

bestandteil der indirekten Umwelt (vgl. ebd.). Somit belassen Schulz und Rössler (ebd., 45)

den Einzelnen weiterhin in der direkten Umwelt, jedoch mit der Ergänzung, dass nun jeder

Einzelne die Möglichkeit habe, massenmediale Aufmerksamkeit zu erzielen (vgl. ebd., 47).

Somit können Laien nun ebenfalls eine Artikulationsfunktion, ähnlich der Massenmedien,

einnehmen (vgl. ebd., 46f). Ferner diene die direkte oder auch soziale Umwelt weiterhin als

Quelle der Klimaeinschätzung des Individuums (vgl. ebd., 47). In den Kommentarbereichen

öffentlicher Beiträge treffen diese Sphären nun aufeinander und lassen den Grat zwischen

direkter und indirekter Umwelt verschwimmen (vgl. ebd., 44). Die ursprünglich einseitige

Kommunikation werde dabei nun wechselseitig (vgl. ebd.). Somit vereint Facebook also

beide Quellen des Meinungsklimas und stellt sie in eine relative Beziehung.

66

Grade durch diese fehlende Trennschärfe stellt sich die Frage, wer letztendlich das Meinungs-

klima gebietet. Wie bereits ausführlich behandelt, steht hier vermutlich der Algorithmus an

erster Stelle. Doch auch das Verhältnis zwischen den klassischen Akteuren des Meinungskli-

mas ist zu betrachten. Denn deren Gebaren speist letztendlich den Algorithmus und ist des-

halb weiterhin von Relevanz. Mithilfe mathematischer Berechnungen haben Kang und

Lerman (2015) versucht, der Frage auf den Grund zu gehen, wie sich Meinungsströme auf

sozialen Netzwerkseiten ergeben. Dabei stellten sie fest, dass bereits die Verknüpfung, der

Nutzer untereinander, beeinflusst wie die Mehrheit wahrgenommen wird (vgl. ebd., 1). Mit

wem wir uns vernetzen, beeinflusse dementsprechend welchen Meinungsbildern wir ausge-

setzt sind. Je nach Konstellation könne es vorkommen, dass eine Gegenmeinung im eigenen

Kreis gar nicht erst vertreten ist (vgl. ebd., 7). Ein idealer Nährboden für den Looking-Glass-

Effekt (vgl. Kapitel 3.6). Darüber hinaus sei ebenfalls die Aktivität der Nutzer ausschlagge-

bend (vgl. Kang/Lerman 2015., 9). „Users can increase the amount of diverse information

they receive by increasing the structural diversity of their network position, rather than simply

increasing the number of people they follow” (ebd., 9), schlussfolgern Kang und Lerman auf

Basis ihrer Ergebnisse. Der Fall, dass aktive Nutzer eine größere Meinungsvielfalt wahrneh-

men, ließe sich durch zwei Erklärungsmodelle erläutern (vgl. ebd.). So sei es einerseits mög-

lich, dass diese Nutzer besser in der Lage sind Informationen zu verarbeiten (vgl. ebd.). An-

dererseits könnte es sein, dass sie mehr Zeit aufbringen, um eine größere Anzahl an Inhalten

zu rezipieren (vgl. ebd.). Maireder (2012, 193) weist darauf hin, dass Nutzer bei der Verwen-

dung von sozialen Medien Ereignisse und Themen durch die Benutzung des Like-Button, der

Teilfunktion oder Kommentaren in einen subjektiven Deutungsrahmen setzen. Aus der indi-

rekten Umwelt ist dieser Vorgang auch als „Framing“ bekannt (vgl. ebd., 195). Nutzer wür-

den so bestimmte Aspekte von Medieninhalten hervorheben oder sie mit weiteren Informati-

onen verknüpfen (vgl. ebd., 194). Gleichzeitig erscheinen diese Aktionen bei ihren Freunden

im Newsfeed (vgl. ebd.). Damit schlagen sich die Nutzer gegenseitig eine Lesart der Inhalte

vor (vgl. ebd.). Wie groß der Wirkungsunterschied zu klassischen „Medienframes“ ist, sei

bisher unklar (vgl. ebd., 195). Jedoch helfe den Nutzern der nähere Bezug zur teilenden Per-

son dabei, mehr Vertrauen in solche Inhalte zu haben (vgl. ebd.). Schulz und Rössler (2013,

57) gehen im Zuge dieser Entwicklungen davon aus, dass die Thematisierungs- und Artiku-

lationsfunktion der Massenmedien nach und nach verschwinde. Das „Gatekeeper-Monopol“

der Massenmedien breche auf und der freie Zugang auf Informationen ermögliche es, priva-

ten Aussagen einen meinungsverändernden Massencharakter zu verleihen (vgl. ebd.). Es

zeigt sich erneut, in welcher Hinsicht die Rahmenbedingungen der Online-Öffentlichkeit sich

differenzieren. Während in der Offline-Welt Fernsehen, Radio und Presse als separate Kanäle

die Meinungen der Gesellschaft präsentieren, verschmelzen diese Informationskanäle und

67

nehmen unmittelbar neben der direkten Umwelt Platz. Die Frage, welche Form der Umwelt-

wahrnehmung nun dominiert, ist nicht einfach zu beantworten. Das Bild einer Verschmel-

zung liefert hierbei vermutlich die beste Antwort. Inhalte der indirekten Umwelt werden häu-

fig fast unmittelbar mit der direkten Umwelt verknüpft. So gelangen Informationen über

beide Wege zum Nutzer. Die Folge sei nach Rössler et al. (2012, 89) ein subjektiver Medi-

entenor, der der individuellen Perspektive des Individuums entspricht.

Da die vielfältigen Quellen des Meinungsklimas jedoch erst einmal wahrgenommen werden

müssen, widmet sich der jetzige Abschnitt dem Quasi-Statistischen-Sinn und der damit ver-

bundenen Wahrnehmung des Meinungsklimas. Egebark und Egström (2011), untersuchen in

ihrer Studie vorrangig Konformitätsprozesse auf Facebook. Dabei legen sie zugrunde, dass

eine große Zahl der Nutzer gegenseitig ihr Verhalten überprüfen würden (vgl. ebd., 13). Dies

entspricht im Kern auch der von Noelle-Neumann vorgestellten Meinungsklimawahrneh-

mung (vgl. Kapitel 3.2.2). Ein Großteil der dortigen Kommunikation beschäftige sich mit

Meinungseinstellungen, Glaube und Werten (vgl. Egebark/Egström 2011, 13). Also Themen

mit jener in der Schweigespirale vorausgesetzten emotionalen Ladung (vgl. Kapitel 3.4). Auf-

grund fehlender Optionen bereits etablierte Ansichten abzulehnen, zum Beispiel das Fehlen

eines „dislike-buttons“, sei es für die Nutzer umso wichtiger, ihre Umwelt wahrzunehmen

(vgl. Egebark/Egström 2011, 13.). Für die Effekte der Isolationsfurcht und Redebereitschaft

(vgl. Kapitel 3.2.3) wären dies ideale Voraussetzungen. Bault et al. (2011) untersuchen die

neuronalen Effekte die bei der Einschätzung von sozialen Situationen entstehen. „These find-

ings suggest that the brain is equipped with the ability to detect and encode social signals,

make social signals salient, and then, use these signals to optimize future behavior” (ebd., 5),

fassen sie ihre Ergebnisse zusammen. Die betroffene Hirnregion zeige bei der Erwartung des

Gewinns von Sozialkapital eine bemerkbar höhere Aktivität, als bei der Angst vor dem Ver-

lust von Sozialkapital (vgl. ebd., 1). Allerdings weisen sie damit auch darauf hin, dass diese

Wahrnehmung eher auf die Möglichkeit des Gewinns von Sozialkapital ausgelegt ist und

weniger auf den Verlust desselbigen (vgl. ebd., 5). Der Quasi-Statistische-Sinn dagegen ten-

diert eher in Richtung der Isolationsfurcht als Antrieb (vgl. Kapitel 3.2.2). Ob damit nun der

Quasi-Statistische-Sinn nach Noelle-Neumann nachgewiesen wurde, ist unklar, jedoch zeigt

sich, dass es auf neuronaler Ebene durchaus beobachtbare Vorgänge ähnlichen Aufbaus gibt.

Nutzer sind also tatsächlich in der Lage aus der Vielzahl der vorhandenen Informationen, die

für ihr soziales Kapital relevanten zu filtern. Hampton et al. (2014) untersuchen die Wahr-

nehmung des Meinungsklimas direkt auf SNS. So ergab ihre Umfrage, dass 76 Prozent der

Facebook-Nutzer davon ausgeht, die Meinung der Personen in ihrem Netzwerk zu kennen

(ebd., 19). Interessant sei, dass die Nutzer sozialer Netzwerkseiten auch insgesamt häufiger

68

angaben, sich der Meinungen ihres Umfelds bewusst zu sein (vgl. ebd.). So scheint es also,

dass eine Umweltwahrnehmung über soziale Medien tatsächlich möglich ist und, wie zuvor

angedeutet, verstärkt stattfindet. Grevet et al. (2014) untersuchen die Effekte der Homophilie

in sozialen Medien. Dabei zeigte sich, dass die Probanden, die mehr abweichende Stand-

punkte bei ihren Freunden wahrnahmen, die Seite weniger nutzten als Personen mit mehr

Ähnlichkeiten in ihrem Netzwerk (vgl. ebd., 1). Allerdings ist nicht klar, welches Attribut das

andere bedingt. Diesem Ergebnis muss jedoch ebenfalls die Wahrnehmung eines Meinungs-

klimas zugrunde liegen, ansonsten wäre es nicht möglich eigene Standpunkte mit äußeren zu

vergleichen. Bei einer grundlegenden Übertragung dieser Erkenntnisse auf soziale Medien

ist jedoch Vorsicht geboten. Dennoch zeigen all diese Ergebnisse in die Richtung, dass die

Nutzer grundsätzlich in der Lage sind Online-Meinungen differenziert wahrzunehmen.

Auch die in Kapitel 3.6 vorgestellten, verwandten Ansätze, beeinflussen auf Facebook die

Wahrnehmung der Meinungen (vgl. Rössler et al. 2012, 93). An dieser Stelle soll nur ein

kurzer Überblick über die wichtigsten Effekte auf Facebook gegeben werden, näheres zu den

Auswirkungen findet sich in Kapitel 5.4. Besonders der Looking-Glass- und der Hostile-Me-

dia-Effekt versprächen vor dem Hintergrund der Online-Öffentlichkeit neue Erkenntnisse

(vgl. ebd.). Hofer und Sommer (2012, 15) gehen außerdem davon aus, dass grade Kommen-

tare unter redaktionellen Inhalten einen Third-Person-Effekt begünstigen. Tsay-Vogel (2015)

untersucht den TPE konkret unter den Bedingungen auf Facebook. Ihre Ergebnisse weisen

auf ein Vorkommen des Effekts auf Facebook hin (vgl. ebd., 11). Nutzer würden davon aus-

gehen, dass die Seite einen stärkeren Einfluss auf andere habe als auf sie selbst (vgl. ebd.,

12). Gleichzeitig berichten Nutzer mit steigender Aktivität von stärkeren Effekten auf sich

selbst (vgl. ebd.). Im Zusammenhang mit der Erkenntnis, dass Nutzer mit höherer Aktivität

auch mehr Meinungsunterschiede wahrnehmen (vgl. Kang/Lerman 2015., 9), könnte diese

Nutzergruppe verstärkt empfänglich für Effekte der Schweigespirale sein und weniger Emp-

fänglich für den LGE. Jedoch seien diese Ergebnisse unter ihren methodischen Schwächen

zu betrachten, Ungleichheiten aufgrund von persönlichen Präferenzen seien nicht auszu-

schließen (vgl. ebd., 13). So wie auch in Noelle-Neumanns Theorie (vgl. Kapitel 3.5).

Abschließend stellt sich nun die übergreifende Frage, ob eine vernünftige Meinungsklima-

wahrnehmung auf Facebook überhaupt möglich ist. Teilöffentlichkeiten und Individualisie-

rung formen die Filter-Blasen der Nutzer immer weiter und treiben sie auseinander (vgl. Ka-

pitel 5.1.2). Eine Überarbeitung oder Verwerfung Noelle-Neumanns Vorstellungen zeichnet

sich weiter ab. Eilders und Porten-Cheé (2014, 300) sehen trotz Teilöffentlichkeiten kein

Problem für die Meinungsklimawahrnehmung respektive die Schweigespirale. Einerseits sei

69

durch die verschiedenen Umwelteinflüsse eine „Vergleichbarkeit zwischen der massenme-

dial erfahrenen Konsonanz und der in den Informationsrepertoires erfahrenen Konsonanz

hergestellt“ (ebd.). Die Nutzer seien ferner in der Lage von den Meinungen ihrer Teilöffent-

lichkeit, auf die äußeren Meinungen zu schließen (vgl. ebd.). „Die in ihrer Teilöffentlichkeit

artikulierte Meinung wird als heuristischer shortcut auf die übergeordnete öffentliche Mei-

nung übertragen“ (ebd.), beschreiben Eilders und Porten-Cheé diesen Zusammenhang. Es ist

also nicht die eine Mehrheitsmeinung, die nun hauptsächlich als Richtwert genutzt wird, es

ist die Meinung, die im eigenen Netzwerk vorherrscht – die Meinung der persönlichen Filter-

Blase. Was die Protagonisten des eigenen News-Feed mit Likes und positiven Kommentaren

honorieren, kann schließlich nicht so verkehrt sein (vgl. Bussemer 2014, 206.), wie der An-

satz des Framing bereits zeigte. Gleichzeitig besteht nach wie vor der Zugriff auf massenme-

diale Angebote, wie zum Beispiel die Fanpage einer überregionalen Tageszeitung. Die Filter-

Blase und den News-Feed-Algorithmus außen vor gelassen, haben die User theoretisch also

sogar eine breitere Auswahl an Meinungsquellen. Es zeigt sich, dass die Quellen des Mei-

nungsklimas zunehmend komplexer werden und das Individuum vor der Herausforderung

steht, kritisch aus dem subjektiven Tenor seiner Filter-Blase auszubrechen – sofern dies über-

haupt gewünscht ist. Kapitel 5.4 betrachtet in diesem Zusammenhang dabei noch detaillierter

die Rolle der Massenmedien. Folgend werden die Grundlagen der Isolationsfurcht und Re-

debereitschaft unter Online-Bedingungen betrachtet.

5.3. Online-Isolationsfurcht und Redebereitschaft

Nachdem im vorherigen Kapitel vorgestellt wurde, was die entscheidenden Orientierungs-

größen des Meinungsklimas auf Facebook sind, widmet sich dieses Kapitel der dortigen Iso-

lationsfurcht und Redebereitschaft. Einführend wird beleuchtet, welche Erkenntnisse es be-

reits zum Thema „Isolation und das Internet“ gibt. Daraufhin werden neue Formen der

Isolationsfurcht, Redebereitschaft und Sanktionserwartung vorgestellt, die soziale Netzwerk-

seiten bedingen. Im darauf folgenden Abschnitt werden die zwei Kernpositionen zu diesem

Thema verglichen. Einige Forscher folgen der Ansicht, soziale Netzwerkseiten beinhalten

dieselben Formen von Isolationsfurcht, wie auch die Offline-Welt (vgl. Döring 2008; Busse-

mer 2015). Eine andere Denkrichtung geht davon aus, dass die Isolationsfurcht im Netz we-

niger ausgeprägt sei und SNS dabei helfen aus ihr auszubrechen (vgl. Schulz/Rössler 2013;

Hampton et al. 2014). Als treibender Faktor der Schweigespirale ist die Isolationsfurcht auch

bei der Betrachtung des Untersuchungsgegenstandes von enormer Relevanz.

Immer wieder ist vom allgemeinen Problemzustand zu hören, soziale Netzwerkseiten würden

die Menschen im realen Leben einsam machen (vgl. Turkle 2011). Bereits zu Beginn des 21.

70

Jahrhunderts konnte Franzen (2000, 5f) jedoch feststellen, dass das Internet als solches nicht

isolierend wirke. Es kann sich dem Thema somit unter Ausschluss dieser Variable genähert

werden. Bak und Keßler (2012, 28) weisen außerdem darauf hin, dass die subjektive Bedeu-

tung die Facebook beigemessen wird, sich gleichzeitig auf das dortige Konformitätsverhalten

ausübe. Bei geringerem Stellenwert der Seite werde vermutlich auch den dortigen Interakti-

onen weniger Wirkungskraft beigemessen (vgl. ebd.). Laut Kneidinger (2012, 84) sei jedoch

deutlich, dass soziales Feedback immer Teil von Plattformen sozialer Beziehungen sei. Von

Effekten der Isolationsfurcht ist somit auf Facebook genauso auszugehen wie in der Offline-

Welt. Jedoch ist es möglich, dass die Strukturen der Website einen anderen Umgang damit

bewirken oder gar erzwingen.

Zunächst stellt sich die Frage, was unter Isolation auf Online-Plattformen zu verstehen ist.

Grundsätzlich ist Isolation als Angst vor Ausgrenzung oder sozialer Ablehnung (vgl. Noelle-

Neumann 1980, 63) zu verstehen. Die Redebereitschaft beschreibt das Maß der Bereitschaft,

sich zu einem kontroversen Thema zu äußern (vgl. ebd.). Da es sich dabei um Persönlich-

keitsmerkmale des Individuums handelt, lassen sich diese Effekte, Nutzertypologien einmal

außen vor, auch auf Facebook auffinden. Die Grundprinzipien bleiben also gleich. Schulz

und Rössler (2013, 92) gehen eher von veränderten Umständen aus, die sich manipulierend

auf Sanktionserwartungen auswirken – damit auch auf Isolationsfurcht und Redebereitschaft.

Online sei es durch die neue Kommunikationsumgebung für das Individuum einfacher, ab-

zuschätzen, „wie wahrscheinlich oder gerade unwahrscheinlich es ist, von der sozialen Um-

welt sanktioniert zu werden (ebd.). „Asynchronität“ sei, als erster von drei Faktoren, aus-

schlaggebend für die Veränderung der Situation (vgl. ebd., 93). Im Gegensatz zu einer face-

to-face Situation seien die Nutzer dort in der Lage einer unangenehmen Situation zumindest

temporär zu entfliehen (vgl. ebd., 95). Es bestehe immer die Möglichkeit, auf Kommunika-

tion nicht zu reagieren (vgl. ebd., 94). Es sei davon auszugehen, dass sich dieser Umstand

positiv auf die Redebereitschaft auswirke, da Nutzer einen anderen Bezug zu Sanktionen ent-

wickeln (vgl. ebd., 95). Als nächster Aspekt sei die „Anonymität“ ausschlaggebend (vgl.

ebd.). Eine vollständige Anonymisierung des Profils ist auf Facebook jedoch kaum möglich

(vgl. Kapitel 4.4.2), dennoch hat dieser Aspekt relevanten Einfluss. Auch besteht die Mög-

lichkeit eines verfälschten Profils, doch dabei handele es sich nicht um den Regelfall (vgl.

Schulz/Rössler 2013, 100). Kern der Anonymität sei die Frage danach, wie viele Informatio-

nen über die soziale Umwelt bekannt sind (vgl. ebd., 98). Die „Identifizierbarkeit“ beschreibt

dagegen, wie viel über das handelnde Individuum bekannt bzw. nicht bekannt ist (vgl. ebd.).

Auf Facebook seien, je nach Situation, verschiedene Kombinationen dieser beiden Aspekte

71

möglich (vgl. ebd., 100). Der Normallfall stelle dabei eine Kombination aus hoher Identifi-

zierbarkeit und geringer Anonymität dar (vgl. ebd., 98). Besonders in öffentlichen Gruppen

sei es jedoch möglich sich der dortigen Öffentlichkeit weniger identifizierbar zu präsentieren

(vgl. ebd., 100). Die Auswirkungen beider Aspekte auf die Sanktionserwartungen hängen eng

zusammen (vgl. ebd., 101). Schulz und Rössler (ebd., 112) schlussfolgern, dass die Sankti-

onserwartung bei hoher Anonymität und hoher Identifizierbarkeit am stärksten sei. In unter-

schiedlichen Situationen seien diese Faktoren dementsprechend anders ausgeprägt und be-

einflussen so direkt die Sanktionserwartung und darüber auch die Redebereitschaft (vgl. ebd.,

113). Es sei davon auszugehen, dass dabei der Einfluss der sozialen Umwelt höher zu bewer-

ten ist als der der übergreifenden Meinung (vgl. ebd., 124). Nähere Schlüsse zur Redebereit-

schaft im Internet seien dagegen weniger verbreitet (vgl. ebd., 180). Tendenziell sprächen die

vorgestellten Befunde jedoch eher für, als gegen die Annahmen der Theorie der öffentlichen

Meinung (vgl. ebd.). Ausgehend hiervon scheinen beide Tendenzen zunächst plausibel. Ei-

nerseits scheint es so, als würde Facebook Möglichkeiten bieten, die Isolationsfurcht zu über-

winden, andererseits scheinen manche Aspekte gar eine verstärkende Funktion darauf zu ha-

ben. Auf Facebook könnten mögliche Sanktionen beispielsweise das Vorenthalten von Like-

Angaben, negative Kommentare oder gar das Beenden der virtuellen Freundschaft sein. Wäh-

rend zum Beispiel mithilfe von Privatsphäre-Einstellungen Sanktionen vorgebeugt werden

kann. Im nächsten Abschnitt werden nun beide Tendenzen miteinander verglichen, um eine

plausible Erklärung für die digitale Schweigespirale zu gewinnen.

Für Bussemer (2014, 212) ist klar, dass diese Faktoren ein Ausbrechen aus der Isolations-

furcht eher begünstigen als sie zu beschränken: „Das Fehlen des unmittelbaren persönlichen

Kontakts, die Mühelosigkeit des elektronischen Postings, die erwartete Sanktionslosigkeit

derartiger Attacken und die das Setting prägende Virtualität scheinen das Aufbrechen kultu-

rell erlernter Scham- und Höflichkeitsregeln im Netz zu begünstigen.“ Diese Aussage lässt

jedoch eher auf die Beschreibung eines festen Aggregatzustands der Meinung schließen. Der

Bezug zu luftartigen Aggregatzuständen, in denen sich die größten Potenziale der Schweige-

spirale finden (vgl. Kapitel 3.2.1), wird weniger deutlich. Die direkten Konsequenzen für eine

Schweigespirale werden somit noch nicht klar. Laut Döring (2008, 290) trage besonders der

„Reduced-Social-Cues-Ansatz“ zur Befreiung von sozialem Druck im Rahmen von Online-

Kommunikation bei. Kern des Ansatzes ist, dass aufgrund der fehlenden Sinneskanäle bei

digitaler Kommunikation ein Mangel an Hintergrundinformationen entstehe (vgl. ebd.). Dies

habe einen befreienden Effekt auf psycho-sozialer-Ebene (vgl. ebd., 290). Denn wegen der

fehlenden Hintergrundinformationen sei ein „offener, vorurteilsfreier und gleichberechtigter“

(ebd.) Austausch wahrscheinlicher als in Face-to-Face-Situationen (vgl. ebd., 290f). Es sei

72

wichtig anzumerken, dass technisch-vermittelte Kommunikation nicht nur Informationen

vorenthalte, sondern durchaus auch sinnvoll interpretierbare Hinweise hinzufüge, die in der

Offline-Kommunikation nicht vorhanden sind (vgl. ebd., 296). Dies findet auch auf Facebook

in großem Maße statt (vgl. Kapitel 4.4.2; Kapitel 5.1.2). Es ist davon auszugehen, dass die

Vorteile des Reduced-Social-Cue-Ansatzes sich dort präsentieren, wo das Individuum eine

hohe Nicht-Identifizierbarkeit aufzeigt und/oder eine hohe Anonymität herrscht. Also vor al-

lem beim Heraustreten aus der privaten Öffentlichkeit. Während in der privaten Öffentlich-

keit die Bekanntheitsgrade der Nutzer untereinander vermutlich hoch genug sind (vgl. Kapitel

5.1.2), um diesen Effekt zu vermindern oder gänzlich auszuhebeln. Dies bekräftigt auch die

Empirie (vgl. Döring 2008, 295). So ist der Effekt vor allem bei klassischer Online-Kommu-

nikation wie in „Online-Forum“ oder „Chats“ zu beobachten, doch in Kontexten in denen die

Kommunikation bewusst durch persönliche Informationen angereichert wird, treten kaum

noch Filter-Effekte auf (vgl. ebd.). In einer weiteren Untersuchung zu Prozessen der Schwei-

gespirale, in sozialen Medien, konnten Gearhart und Zhang (2014) einen befreienden Effekt

für die Redebereitschaft isolieren. Nach wie vor sei ein Abgleich der Redebereitschaft mit-

hilfe der Isolationsfurcht, am momentanen Meinungsklima, die vorherrschende Strategie bei

der Entscheidung zur Beteiligung an Online-Kommunikation (vgl. ebd., 18). Demzufolge ist

also auch die Schweigespirale am Werk. Allerdings sie die Relevanz, die ein Individuum

einem Thema beimisst, so ausschlaggebend, dass dabei ein Zusammenhang zu gesteigerter

Redebereitschaft, trotz feindseligem Meinungsklimas, bestehe (vgl. ebd., 32). Sie fassen

zusammen: “Individuals who consider the […] issue to be of high importance are more likely

to comment on the Facebook discussion and less likely to ignore the Facebook discussions

under both hostile and friendly conditions” (ebd.). So zeichnet sich das Bild ab, dass Face-

book die Isolationsfurcht nicht nachhaltig verändert, auch wenn es durchaus punktuell die

Möglichkeit bietet. Grevet et al. (2014) kommen in einer Studie, zum Austausch über politi-

sche Themen in sozialen Medien, zu einem ähnlichen Schluss. Auch sie wiesen die Grund-

prinzipien der Isolationsfurcht und Redebereitschaft nach, doch sie konnten ebenfalls fest-

stellen, dass soziale Medien im Kern weiterhin gute Voraussetzungen zum freien Austausch

bieten (vgl. ebd., 8). Dafür müssen jedoch zuerst schwächere Verbindungen zwischen den

Nutzern gestärkt und Gemeinsamkeiten in der Debatte sichtbarer gemacht werden (vgl. ebd.,

1). Bis zur wirklichen Auflösung der Isolationsfurcht auf Facebook bedarf es also noch wei-

terer Entwicklungen. Stattdessen zeigt sich, dass vor allem andere Kommunikationsräume

des Internet befreiende Effekte aufweisen, während Facebook aufgrund seiner vornehmlich

privaten Öffentlichkeit weniger davon beeinflusst wird.

73

Diesen Ansatz vertreten auch die folgenden Forscher. So gebe es zwar durchaus Strukturver-

änderungen auf Facebook, die im Einzelfall Isolationsfurcht und Redebereitschaft verstärken

oder schwächen, aber die Grundprinzipien des Konzeptes bestehen weiterhin (vgl.

Schulz/Rössler 2013., 113). Doch auch an dieser Stelle kann keine einheitliche Beschreibung

der dortigen Situation erzielt werden. Egebark und Egström (2011) nennen in ihrer Studie zu

Konformitäts- und Gruppenprozessen auf Facebook mehrere Faktoren, die sich verstärkend

auf jene auswirken. Zuerst sei die hohe Sichtbarkeit ein guter Nährboden (vgl. ebd., 2), trotz

Algorithmus ist das Betrachten von Beiträgen eine der Kernfunktionen von Facebook (vgl.

Kapitel 4.4.2). Zweitens seien emotionale Themen wie Einstellungen und Überzeugungen,

welche auf Facebook besonders häufig vertreten sind, ein weiterer Grund (vgl. Egebark/Egst-

röm 2011, 2.). Als drittes sehen sie die geringen Möglichkeiten, zum Bsp. durch einen „Dis-

like-Button“, Standpunkten sichtbar zu widersprechen, als ausschlaggebend dafür, dass sich

Konformitätsdruck mit der Zeit verringert (vgl. ebd.). Hierbei kommt auch die Frage auf, wo

die Unterscheidung zwischen bloßem Konformitätsdruck und Prozessen der Schweigespirale

stattfindet. Klar ist, dass über bloße Konformität hinaus, die Maßstäbe Noelle-Neumanns ein-

bezogen werden müssen (vgl. Kapitel 3.4). Doch durch eine Verlagerung der Öffentlichkeit

weiter in die private Sphäre wird diese Unterscheidung immer schwieriger. Im weiteren Ver-

lauf werden dazu verschiedene Erklärungsversuche geboten. Es werde nach Egebark und

Egström (2011, 17) jedoch deutlich, dass die Leute sich bei der Reaktion auf Beiträge und

Interaktionen Sorgen um ihren sozialen Status machen. Dabei spiele besonders die Like-

Funktion eine Rolle bei der Einschätzung der Konsequenzen einer Interaktion (vgl. ebd.).

Doch dies ist eben auch ohne die weiteren Faktoren der Schweigespirale (vgl. Kapitel 3.4)

möglich. Auch ohne emotionale Ladung können diese Dinge stattfinden und nur die Aner-

kennung als solches zum Ziel haben. Dennoch stellen sie eine sozialpsychologische Grund-

lage für die Prozesse der Isolationsfurcht dar, da sie selbige ebenfalls widerspiegeln. Bak und

Keßler (2012) konnten in einer ähnlichen Studie zu Konformitätseffekten auf Facebook eben-

falls die große Relevanz des Like-Buttons nachweisen (vgl. ebd., 23). So wird deutlich, dass

die Isolationsfurcht weiterhin besteht und sie anscheinend bereits über das bloße Abschätzen

der Like-Angaben eines Beitrags gespeist wird. Um diese Erkenntnisse näher an die Voraus-

setzungen der Schweigespirale zu bringen, ist es nötig, die Isolationsfurcht und die Redebe-

reitschaft im Kontext von emotionaler Debatten zu betrachten. Hampton et al. (2014) betrach-

teten in einer Studie zur Schweigespirale in sozialen Medien den Umgang mit den

Enthüllungen des Überwachungsprogramms der NSA (vgl. Beuth 2015). Ihre Ergebnisse le-

gen nahe, dass Facebook keine Plattform zur freieren Meinungsäußerung sei (vgl. Hampton

et al. 2014, 4). „Social media did not provide new forums for those who might otherwise

remain silent to express their opinions and debate issues” (ebd.), fassen sie zusammen. Ferner

74

würden SNS die Schweigetendenz in Offline-Situationen sogar verstärken, wenn das dortige

Meinungsklima nicht mit dem auf Facebook wahrgenommenen übereinstimme (vgl. ebd.).

„The broad awareness social media users have of their networks might make them more hes-

itant to speak up because they are especially tuned into the opinions of those around them”

(ebd.), erläutern sie weiter. Demzufolge ist eher von realen Effekten der Schweigespirale auf

Facebook auszugehen statt von befreienden. Huge und Glynn (2013) stellen in einer Studie

übergreifendend fest, dass die Minderheit durchschnittlich immer länger für eine Reaktion

brauche als die Mehrheit. Damit stellen sie gleichzeitig eine Verbindung zwischen Konfor-

mitätsprozessen und der Schweigespirale her, „those most likely to hesitate when expressing

a minority viewpoint are the same individuals who fear negative evaluation at the hands of

others“ (ebd., 303). Yun und Park (2011) weisen in ihrer Studie, zur Bereitschaft im Netz

Beiträge zu verfassen, auf direkte Effekte der Schweigespirale hin. Sie kommen zu dem

Ergebnis, „that online discussion forums are not as ideal as many people think. In an online

forum where a majority opinion exists, users may decide not to post a message against the

majority opinion” (ebd., 217). Diese stark empirisch geprägte Sichtweise verdeutlicht, dass

davon auszugehen ist, dass auf Facebook weiterhin die Grundprinzipien von Isolationsfurcht

und Redebereitschaft herrschen. Allerdings lassen sich die strukturöffnenden Effekte der Ge-

genposition durchaus in dieses Bild integrieren.

Bei solch einer Vielzahl an Ergebnissen und Möglichkeiten gestaltet es sich zunächst, auch

aufgrund der widersprüchlichen Aussagen, schwierig einen geeigneten Ansatz zu wählen.

Die unterschiedlichen Ergebnisse dieser Studien und Argumentationen lassen aber weiterhin

im Kern darauf schließen, dass die Grundprinzipien der Isolationsfurcht und Redebereitschaft

auch im Internet gelten. Einzelne Aspekte auf Facebook können die Sanktionserwartung zwar

beidseitig beeinflussen, doch die treibenden Kräfte dahinter werden nie vollständig aufgelöst.

So muss bei der Betrachtung der Isolationsfurcht und Redebereitschaft des Individuums be-

achtet werden, in welcher Öffentlichkeitssphäre dies wirkt. Die Theorie der öffentlichen Mei-

nung bedarf, zur Übertragung auf Facebook, eine Erweiterung um jene Effekte, die Isolati-

onsfurcht und Redebereitschaft beeinflussen können. Es ist nicht davon auszugehen, dass

Facebook grundsätzlich ein Garant für die freiere Meinungsäußerung ist. Stattdessen finden

sich dort eigene Strukturen und Situationen, die dementsprechend auf das Individuum wirken.

Statt eines simplen Eisenbahnabteils (vgl. Kapitel 3.1) finden sich nun verschiedensten Sze-

narien an einem Ort. Mit Blick auf die steigende Anzahl an Öffentlichkeitssphären (vgl. Ka-

pitel 5.1.1) liegt die Vermutung nahe, dass sich die Isolationsfurcht entlang des Spektrums

von privater Öffentlichkeit zur Gesamtöffentlichkeit verringert. Einer der Gründe dafür

könnte das vorgestellte Konzept von Anonymität und Identifizierbarkeit sein. Doch auch die

75

übrigen Erklärungsansätze lassen darauf schließen. Ein Rechtsradikaler wird in seiner priva-

ten Öffentlichkeit vermutlich keine politisch linksorientierten Nachrichtenbeiträge teilen, um

nicht bei seinen Freunden mit selber Gesinnung in Ungnade zu fallen. Dies entspräche den

klassischen Prinzipien der Isolationsfurcht und Redebereitschaft. Im Gegensatz dazu besteht

eine größere Chance darauf, dass er seine Ansichten in der Gesamtöffentlichkeit weiter ver-

tritt, auch wenn sie nicht dem allgemeinen Konsens entsprechen. Besonders die Stärkung

durch die konforme Referenzmeinung in der privaten Öffentlichkeit würde dies dann begüns-

tigen. Liu und Fahmy (2011, 54) kommen zu dem Ergebnis, dass dies tatsächlich die

Redebereitschaft erhöhe: „people are indeed reluctant to express views if they feel they are

in a clear minority, if there is an immediate reference group willing to speak up for them they

feel emboldened.“ So ergibt sich eine Vielzahl neuer Situationen in denen die Isolationsfurcht

und Redebereitschaft gegenüber der Offline-Welt unterscheiden könnten.

Studien wie die von Hampton et al. (2014) weisen zwar weiterhin auf ein Bestehen der

Schweigespirale hin, beachten allerdings die erweiterten Umstände auf Facebook nicht zur

Gänze. Für die weitere Forschung bekräftigt dies die Frage, an welcher Stelle nun Konformi-

tätsprozesse vorherrschen und wo weiterhin Auswirkungen der Schweigespirale bestehen.

All dies ist ebenfalls abhängig von der Referenzmeinung in der jeweiligen Situation – be-

trachtet man Effekte in der privaten Öffentlichkeit oder der Gesamtöffentlichkeit? Oder auf

dem Spektrum dazwischen? Dies lässt sich an dieser Stelle nicht endgültig klären und stellt

eine wichtige sowie komplexe Aufgabe für die Empirie dar. An jetziger Stelle verdichtet sich

jedoch das Bild, dass diese Umstände das Entstehen von mehrerer „Subspiralen“ (vgl.

Schulz/Rössler 2013, 141) in unterschiedlichen Sphären, unter unterschiedlich starken Sank-

tionserwartungen, begünstigen. Nach wie vor zeigen sich aber auch Prozesse einer gesamtöf-

fentlichen Schweigespirale auf Facebook (vgl. ebd., 145). Insgesamt erhärten die bisherigen

widersprüchlichen Befunde jedoch vor allem den Bedarf nach weiterer Forschung in diesem

Gebiet. Für die weiteren Überlegungen wird an dieser Stelle von der Erklärung ausgegangen,

dass zumindest die gleichen Grundprinzipien auf Facebook wirken. In welcher Sphäre und

mit welcher Stärke wird daraufhin immer im jeweiligen Einzelfall betrachtet werden müssen.

Für die Gesamtübersicht (siehe Kapitel 5.5) reicht dieser Umstand jedoch zunächst aus. Es

wird hier deutlich, dass nicht nur der News-Feed-Algorithmus einen starken Einfluss auf die

Prozesse der Schweigespirale hat.

76

5.4. Die digitale Medienwelt

Noelle-Neumann (1980, 222) weist in ihrer Theorie der öffentlichen Meinung auf den großen

Einfluss der Massenmedien hin (vgl. Kapitel 3.3). Deshalb wird an dieser Stelle näher be-

trachtet, wie sich die digitale Medienwelt auf Facebook formt. Ziel dieses Kapitels ist es her-

auszustellen, wie sich die Massenmedien dort als wichtige Quelle des Meinungsklimas und

Einflussfaktor der Schweigespirale gestalten. Ferner, ob sie nach wie vor durch einseitige,

indirekte und öffentliche Kommunikation bestimmt sind (vgl. ebd.). Friemel (2010, 34) leitet

spitz in das Thema ein und bekundet, die wichtigere Frage sei es mittlerweile, was die Men-

schen mit den Medien machen und nicht umgekehrt. Diese dem „Uses-and-Gratification-An-

satz“ entlehnte Aussage (vgl. ebd.), weist auf einen ersten Ansatzpunkt der Veränderungen

in der digitalen Medienwelt hin. Dazu werden zunächst neue Formen von Selektionsmöglich-

keiten und ein daraus erwachsender Selektionsdruck vorgestellt. Als weiterer Punkt wird das

Aufkommen neuer Nutzungsmuster im Umgang mit Online-Medien betrachtet. Dabei stehen

die partizipativen Einflussmöglichkeiten des Web 2.0 (vgl. Kapitel 4.2) und die dadurch ent-

stehenden Einflussmöglichkeiten der Rezipienten im Zentrum. Der dritte Kernpunkt des Ka-

pitels ist das Handeln der Massenmedien selbst. Hierbei wird untersucht, wie es sich aus der

Adaption an die neue Situation und der Etablierung neuer Chancen konstituiert. Daraus lässt

sich die digitale Rolle der Massenmedien skizzieren und für den Versuch der Theorieübertra-

gung (siehe Kapitel 5.5) aufbereiten.

Um später betrachten zu können, wie die Medien sich an die Umstände des Internet und auf

Facebook anpassen, gilt es zunächst herauszufinden wie die strukturellen Grundlagen des

Internet die Mediennutzung verändern. An dieser Stelle sei angemerkt, dass auch die Filter-

Blase eine Form der Nachrichtenselektion vornimmt (vgl. Kapitel 5.1.2). Diese wird an dieser

Stelle nicht mit einbezogen. Stattdessen werden die Vorgänge auf Nutzerseite näher betrach-

tet. Neuberger (2014, 314) sieht als Grund für den steigenden Selektionsdruck des Internet

die wachsende Informationsflut und fehlende Qualitätssicherung im Netz. Es herrsche nun

Knappheit an „Aufmerksamkeit und Urteilsvermögen auf Seiten der Rezipienten“ (ebd.).

Dies führe letztendlich dazu, dass sie Inhalte selbstständig selektieren und prüfen müssten

(vgl. ebd.). Gleichzeitig haben die Rezipienten die Möglichkeit, ihre ganz speziellen Bedürf-

nisse immer selektiver zu befriedigen (vgl. Boltze/Rau 2012, 9). Dadurch ergibt sich die

Frage, wie Nutzer im Datenchaos überhaupt auf neue Inhalte aufmerksam werden. Bei der

Medienselektion sei in Primär- und Sekundärnutzer zu unterscheiden, so Friemel (2010, 165).

Bei den Primärnutzern handele es sich um Personen, die Inhalte konkret suchen und über ihre

Relevanz entscheiden (vgl. ebd.). Dabei weisen sie die Sekundärnutzer auf jene Inhalte hin,

die für sie möglicherweise von Interesse sein könnten (vgl. ebd.). Der Primärnutzer werde

77

zum „Meinungsführer“ innerhalb seines sozialen Netzwerk (vgl. ebd., 166). Je nach Interesse

und Themenbereich können Nutzer auch zwischen diesen Rollen wechseln (vgl. ebd., 165).

Es werde deutlich, dass die Aufmerksamkeit das Auswahlkriterium der Relevanz verdränge

(vgl. Bussemer 2014, 207). Die Kombination aus Selektion und unbegrenzten Wahlmöglich-

keiten führe dazu, „dass die Gesellschaft entlang thematischer und politischer Grenzlinien

fragmentiere“ (Trilling 2014, 77). Somit wird deutlich, dass der Selektionsdruck ebenfalls ein

Faktor in der Tendenz der Individualisierung und Zersplitterung ist (vgl. Kapitel 5.1.1).

Rössler et al. (2012, 90) machen eine Reihe von Selektionsmustern aus, die beim Umgang

mit den Massenmedien von Relevanz seien und sich dadurch auf die Schweigespirale aus-

wirken. Grundlage dieser Muster sei der subjektive Medientenor im Netz, also der Umstand,

dass sich die Wirkungspotenziale des klassischen Medientenors aufgrund der Selektionsmög-

lichkeiten schmälern (vgl. ebd., 91). Bei der ersten Auslegung handelt es sich um den „sub-

jektiv-konsonanten Medientenor“ (vgl. ebd.; H.d.d.Verf.). Im Kern selektieren Nutzer hierbei

nur Meinungen, die der eigenen entsprechen und dissonante Inhalte werden ausgeblendet

(vgl. ebd.). Ähnlich des von Trilling vorgestellten Ansatzes würde dieser individuell selek-

tierte Medientenor des Nutzers „demnach wesentlich konsonanter ausfallen als der Medien-

tenor eines Rezipienten der Offline-Medien“ (ebd.). Damit weist er zudem Ähnlichkeiten zur

Looking-Glass-Perception (vgl. Kapitel 3.6) auf. Der „subjektiv-pluralistische Medientenor“

(vgl. Rössler et al. 2012, 91; H.d.d.Verf) weist darauf hin, dass der Nutzer sich nie gänzlich

über den Tenor eines Inhalts sicher sein könne (vgl. ebd.). Demzufolge sei er gezwungen sich

auch mit dissonanten Inhalten auseinanderzusetzen (vgl. ebd.). Hierbei könnten also durchaus

auch der HME und der TPE (vgl. Kapitel 3.6) auftreten. Auch möglich sei die Selektion nach

dem Muster des „subjektiv-dissonanten Medientenor“ (vgl. Rössler et al. 2012, 92;

H.d.d.Verf). Das Verlangen über ein Thema umfassend informiert zu sein oder Interesse an

den Argumenten der Gegenseite würden zu diesem Selektionsmuster führen (vgl. ebd.). Al-

lerdings sei dieser im Gegensatz zu den beiden anderen eher eine Ausnahmeerscheinung (vgl.

ebd.). Dennoch bestehen hier besonders gute Grundlagen für das Auftreten eines HME (vgl.

Kapitel 3.6). Insgesamt können die vorgestellten Muster unabhängig und auch parallel von-

einander auftreten (vgl. Rössler et al. 2012, 92). Je nach Situation entscheide sich die Wahl

des Mechanismus anders (vgl. ebd.). Für die Faktoren „Kumulation und Konsonanz“ (vgl.

Kapitel 3.3) bedeute dies, dass sie in diesem Umfeld an Wirkungskraft verlieren. Konsonanz

wird bei subjektiver Wahl abgeschwächt und Kumulation verliert aufgrund von Vielfältigkeit

an Einfluss. Neben dieser Auswirkung wird insgesamt auch deutlicher, mit welchen Informa-

tionen die Selektion und der News-Feed-Algorithmus sich gegenseitig versorgen können.

78

Gleichzeitig ermöglichen das subjektiv-pluralistische und das subjektiv-dissonante Selekti-

onsmuster auch einen Ausbruch aus der eigenen Filter-Blase. Denn bei gezielter Suche von

Inhalten, zum Beispiel dem Aufrufen der Facebook-Seite einer Publikation, greift der Algo-

rithmus nicht ein. Letztendlich scheint es so, als würden beide die ursprüngliche Macht der

Massenmedien verringern. Stark (2014, 37) geht jedoch davon aus, dass trotz der unterschied-

lichen Selektionsmuster auch im Online-Bereich eine übergreifende gemeinsame Themena-

genda entstehen könne, „die erst im Long-Tail-Bereich zersplittert“ (ebd.). Also erst dort, wo

individuellste Bedürfnisse befriedigt werden. Bei gesellschaftlich relevanten Themen der

Schweigespirale würde dies bedeuten, dass tatsächlich nur eine Entkräftung der Kumulation

und Konsonanz vorliegt. Doch auch jenseits der Selektion verändern Nutzer die Art, wie sie

mit Medieninhalten umgehen (vgl. Biermann et al. 2013, 7).

Mit der Überwindung zeitlicher und räumlicher Grenzen führte das Internet auch zu „einer

Verwischung der Trennlinie zwischen Produzenten und Rezipienten, zwischen Medienma-

chern und Mediennutzern […]“ (ebd.). Ebenfalls ermögliche das Internet den Zugang zu einer

völlig neuen partizipativen Medienkultur (vgl. ebd., 9). An dieser Stelle werden nun die drei

Aspekte Konsumieren, Produzieren und Partizipieren betrachtet. Die neuen Möglichkeiten

des Konsumierens wurden bereits im Rahmen des Selektionsdrucks eingehend vorgestellt.

Der deutlichste Unterschied zum Umgang mit den Massenmedien in Noelle-Neumanns Zeit

(vgl. Kapitel 3.3) ist dabei, dass der Nutzer nun seltener passiv konsumiert, sondern seine

Inhalte aktiv auswählt. Soziale Netzwerkseiten eignen sich hierbei besonders als Informati-

onsquelle (vgl. Spangenberg 2015, 106). Ein Vorteil der SNS sei die dort mögliche schnelle

Informationsverbreitung (vgl. ebd., 107). Außerdem seien sie omnipräsent, so lassen sich von

überall auf der Welt Nachrichten konsumieren und auch verbreiten (vgl. ebd., 108). Darüber

hinaus sei besonders ihre Vielseitigkeit ausschlaggebend (vgl. ebd.). So sei es dort einfacher

aus dem Medienkanon auszubrechen und Tatsachen aus „nächster Nähe“ darzustellen (vgl.

ebd., 109). Die Ergebnisse der Bitkom-Studie (2013, 26) zeigen, dass mittlerweile rund 40

Prozent der Facebook-Nutzer die Website zum Konsumieren von Nachrichteninhalten ver-

wenden. Scherfer (2008, 21) weist darauf hin, dass die Struktur von Facebook als Plattform

einen substantiellen Unterschied zu den „massenmedialen Ordnungsrollen“ (ebd.) darstelle.

Sie seien „weder von linear strukturierten Kommunikationsmodellen noch durch Sender-

Empfänger oder Autor-Leser-Hierarchien determiniert“ (ebd.). Die Grenzen zwischen direk-

ter und indirekter Kommunikation verwischen also zunehmend. Zeitelhack (2015, 175) for-

muliert überspitzt: „Es gibt nun so viele Chefredakteure, wie es Menschen gibt.“ Dieser As-

pekt des Produzierens sorge für eine gesteigerte Relevanz nicht-journalistischer Online-

Inhalte (vgl. Eilders/Porten-Cheé 2014, 295). Inhalte, die von einzelnen Bürgern oder von

79

den politischen Akteuren veröffentlicht werden, seien eine erhebliche Erweiterung des An-

gebots politischer Information (vgl. ebd.). Gerade bei der Nutzung nicht-journalistischer In-

halte sei ein subjektiv-konsonanter Medientenor zu beobachten (vgl. ebd., 300). In der Praxis

sei ein klares Abtrennen zwischen professioneller Kommunikation und Laienkommunikation

jedoch nicht einfach (vgl. Schulz/Rössler 2013, 43). Massenmediale Kommunikation gestalte

sich jedoch immer noch vermehrt einseitig, während sich bei Nutzerangeboten auch die Mög-

lichkeiten der Rückmeldung erweitern (vgl. ebd., 44f). Aufgrund der fehlenden Trennschärfe

ist aber auch davon auszugehen, dass journalistische Angebote zunehmend auf Möglichkeiten

der Interaktion zurückgreifen. Der Aspekt des Partizipierens wird an dieser Stelle nur kurz

vorgestellt. Da er für die Theorie der öffentlichen Meinung weniger relevant ist, sondern dem

staatswissenschaftlichen Öffentlichkeitsmodell (vgl. Kapitel 2.1) entspringt (vgl. Biermann

2013, 7). Grundsätzlich stellen soziale Medien „vielfältige Möglichkeiten zur Teilhabe bereit,

auch weil man sich mit ihrer Hilfe in gesellschaftliche und politische Debatten einbringen

kann“, so Schmidt (2013, 81). Dies bestätigt erneut die vielfältigeren Möglichkeiten zur Mei-

nungsäußerung (vgl. Kapitel 5.3) dank partizipatorischer Effekte. Haas (2015, 27f) sieht in

diesen Potenzialen des Internets einerseits die, skeptisch zu betrachtenden, Effekte der Frag-

mentierung aber auch den positiven Effekt, dass das Netz in der Lage sei Menschen durchaus

zu mobilisieren.

Wie sich zeigt, herrscht im Internet und auf Facebook eine vielfältigere massenmediale Situ-

ation als in der Offline-Welt. Wie sich aus diesen Umständen die neue Rolle der Massenme-

dien formt und welche Auswirkungen dies auf eine digitale Schweigespirale hat, zeigt sich

im Folgenden. Mit Aufkommen des Internets hofften Medienunternehmen auf neue Chancen,

ihre Angebote zu verbreiten, doch stattdessen seien sie nun gezwungen, sich den neuen Struk-

turen anzupassen und Attraktivitätseinbußen auszugleichen (vgl. Thomä 2013, 7). Die Öf-

fentlich-Rechtlichen-Medien prägten das Meinungsbild über Jahrzehnte (vgl. Quack 2015,

127), allen voran das von Noelle-Neumann (1980, 224f) hoch geachtete Fernsehen. Diese

Zeiten seien nun vorbei, so Quack (2015, 127). „Dem Aufspüren relevanter Themen massen-

wirksamen Charakters kommt in einer fragmentierten Gesellschaft eine immer wichtigere

Bedeutung zu“ schlussfolgert er (ebd., 138). Genau dabei verlieren die Massenmedien im

Internet immer mehr an Bedeutung (vgl. ebd.). Ursprünglich seien grade diese Selektions-

und Synthetisierungs-Aufgaben das, was die Massenmedien in ihrer Funktion zu einem sozi-

alen Sinnsystem formten, argumentiert Schrape (2011, 411). Doch wie zeigen sich die Kon-

sequenzen dieser Veränderungen? Aufgrund der Abnahme an selektierenden und prüfenden

Instanzen auf professioneller Seite, werden auch die institutionellen Gatekeeper weniger, so

Neuberger (2014, 311). Das Web begünstige dafür, nach Engesser und Wimmer (2009, 60),

80

die Entstehung pluralistischer Gegenöffentlichkeiten. Erstarkte Gegenpositionen würden für

das Meinungsklima eine Abschwächung des Einflusses der indirekten Umwelt bedeuten.

Schmidt (2009, 143) beschreibt diese Entwicklungen als „Übergang von einer Medienumge-

bung, in der Journalisten ein Monopol auf die Auswahl, Aufbereitung und Verbreitung von

gesellschaftlich relevanten Informationen für ein Massenpublikum besaßen, hin zu einer Me-

dienwelt, in der neue Akteure und Intermediäre das Spektrum von Öffentlichkeiten erweitern

und so die Auswahl von bereits Veröffentlichtem die eigentliche Herausforderung wird […]“.

Es zeigt sich, dass die Massenmedien ein neues Set an Aufgaben übernehmen müssen, um

ihrer neuen Rolle gerecht zu werden. Um die ordnende Funktion aufrechtzuerhalten sei eine

hohe Übereinstimmung zwischen Medienagenda und Publikumsagenda Voraussetzung (vgl.

Jäckel 2011, 222). Bei einem subjektiven Medientenor gestaltet sich die objektive Betrach-

tung der Medienagenda schon der Definition nach schwierig. Dies würde bedeuten, dass die

Dominanz der medienvermittelten Wahrnehmung abnehme (vgl. ebd.). Bussemer (2014, 208)

spricht davon, dass die professionellen Medien, dort wo sie eingreifen und strukturieren, „im-

mer häufiger zu reinen Verstärkern der digitalen Erregung, zu Resonanzräumen für Themen

und Wertungen, die Trolls, Blogger oder Netzaktivisten in den Diskurs eingespeist haben“,

werden. Steinmetz (2015, 229f) fasst vier kommunikative Hybridiserungstrends zusammen:

„a) Eine Vermischung von Privatheit und Öffentlichkeit, auf der Nutzerseite wie auch bei den

neuen Gatekeepern des „Journalismus 2.0“, „b) die Öffnung einseitiger hin zu zweiseitiger

Kommunikation“, „c) eine Vermischung von professioneller und Amateur-Kommunikation“

und „d) eine Mischung von journalistischer und PR-Kommunikation.“ Es zeigt sich also, dass

die Grundprinzipien der massenmedialen Kommunikation (vgl. Kapitel 3.3) unter Online-

Bedingungen dissoziieren.

Die Massenmedien fungieren prinzipiell nach wie vor in ihrer Rolle als Meinungsquelle. Ein-

fluss und Struktur transformieren sich jedoch mit dem Web 2.0 zunehmend. Schrape (2011)

versucht das Verhältnis von Social-Media und Massenmedien näher zu charakterisieren. In

Bezug auf die „gesamtgesellschaftliche Gegenwartsbeschreibung“ (ebd., 423) seien die Mas-

senmedien weiterhin von großer Relevanz, da sie nach wie vor in der Lage seien, parallel

verlaufende Kommunikationsprozesse zu beobachten und synthetisieren (vgl. ebd., 422). Der

von Nutzern ausgehende Austausch sei bislang zu unstet und zu fragmentiert um dieselben

Leistungen wie die Massenmedien erbringen zu können (vgl. ebd., 423). Massenmedien und

Social-Media stehen ferner in einem komplementären Verhältnis zueinander (vgl. ebd.). So-

ziale Medien würden die Funktionen der Massenmedien weniger direkt substituieren, sondern

eine „Erleichterung der Entwicklung und Diffusion innovativer Sinnangebote“ (ebd.) anbie-

ten. Für die Massenmedien würde der Umgang mit sozialen Medien nun einen Anstieg an

81

potenziellen Inhaltsquellen und einen neuen „Integrations- und Aktualitätsdruck“ (ebd.) be-

deuten (vgl. ebd.).Tatsächlich könnte die massenmediale Berichterstattung letztendlich sogar

von der Fragmentierung auf Facebook profitieren. So wäre es dabei möglich in der Bericht-

erstattung ein differenzierteres Meinungsbild aufzufangen. Andererseits bedeutet die Viel-

zahl an Fragmentierungen gleichzeitig eine große Herausforderung. Für die Theorie der öf-

fentlichen Meinung würde das bedeuten, dass die Massenmedien durch explizitere Nähe zur

Gesellschaft den Tenor eines doppelten Meinungsklimas reduzieren könnten. An dieser Stelle

ist jedoch anzumerken, dass sich dieser Effekt nur bei einem subjektiv-pluralistischen Medi-

entenor auch wirklich bemerkbar machen kann.

Da die Massenmedien ein soziales Sinnsystem darstellen, seien sie nicht an spezifische For-

matgrenzen gebunden (vgl. ebd.). Dies ermögliche erst die Konkurrenz durch alternative In-

haltsanbieter (vgl. ebd.). Schulz und Rössler (2013, 43f) versuchen diese Umstände in den

Kontext der indirekten Umweltwahrnehmung einzubinden. Das Internet biete den Individuen

eine Vielzahl an zusätzlichen Möglichkeiten ihre indirekte Umwelt zu beobachten (vgl. ebd.,

45). Professionelle Angebote stellen dabei aber immer noch den Kern der indirekten Umwelt

dar (vgl. ebd.). Selbst wenn ein Nutzer versucht, sie bewusst zu vermeiden, werde er in sei-

nem News-Feed durchaus mit ihnen konfrontiert, da viele der journalistischen Meldungen

weiterhin den klassischen Meinungsführern entstammen (vgl. ebd.). Die Strukturveränderun-

gen betreffen ferner den institutionellen Charakter der Massenmedien. Die Konstruktion ei-

nes objektiven Medientenors sei unter den heutigen medialen Rahmenbedingungen kaum

denkbar (vgl. ebd., 57). Der Journalismus wird in den sozialen Medien also nicht grundsätz-

lich redundant. Dennoch verändert die Integration der indirekten Umwelt auf Facebook, die

Art und Weise wie dort eine Medienöffentlichkeit entsteht. Facebook beschleunigt den Infor-

mationsfluss und ermöglicht es den Usern, ein eigenes Set an Informationsquellen zusam-

menzustellen. Journalistische Inhalte finden sich dort zwischen dem Meinungsaustausch und

den unzähligen Kommentaren der User wieder. Für die Nutzer und letztendlich die Mei-

nungsklimawahrnehmung bedeutet das eine Erweiterung der Meinungsquellen, andererseits

die Möglichkeit sich verstärkt der eigenen Agenda zuzuwenden. Bei subjektiv-pluralisti-

schem Tenor wäre es möglich neue Perspektiven zu erlangen. Gleichzeitig wirkt der Selekti-

onsdruck jedoch auch überfordernd und könnte Menschen schneller dazu bewegen, sich der

herrschenden Mehrheitsmeinung anzuschließen. Es lässt sich festhalten: Die Rolle der Mas-

senmedien in der digitalen Welt ist diffus.

82

5.5. Die Entstehung einer digitalen Schweigespirale

Nachdem nun schrittweise die einzelnen Aspekte der Theorie der öffentlichen Meinung im

Kontext des Untersuchungsgegenstands betrachtet wurden, wird sich in diesem Kapitel der

Beantwortung der eigentlichen Kernthesen (vgl. Kapitel 1) gewidmet. Als Noelle-Neumanns

Theorie entstand, waren die Entwicklungen des Internet noch eine ferne Utopie (vgl. Roes-

sing 2011, 95). Ob die Theorie der öffentlichen Meinung dennoch ihre Erklärungskraft behält,

lässt sich nur aufklären, indem sie auf die Aspekte der digitalen Welt angewandt wird. Diese

theoretische Untersuchung wird in zwei Schritte getrennt. In Abschnitt 5.5.1 wird zunächst

überprüft, ob die Einzelteile der Theorie auch weiterhin im Untersuchungsgegenstand vor-

handen sind. Im Fokus liegt dabei die individuelle Ebene, auf der der Einzelne den Prozess

der Schweigespirale erlebt. Dabei wird der Aufbau einer digitalen Schweigespirale, ähnlich

wie in Kapitel 3.4, erläutert. Darüber hinaus behandelt Abschnitt 5.5.2 den Effekt der Schwei-

gespirale auf Facebook als solches. Hierbei werden Implikationen untersucht, die sich aus

dem Aufbau der digitalen Schweigespirale ergeben. Ferner wird der Versuch unternommen,

die individuellen Effekte der Schweigespirale zurück in das Aggregat zu führen, um heraus-

zufinden, ob auf Facebook tatsächlich von einer gesellschaftsbestimmenden Schweigespirale

auszugehen ist. Neue Medien verändern auch immer die sozialen Strukturen einer Kultur, so

Logan (2010, 352). Dadurch gebe es heutzutage eine völlig andere Wahrnehmung in der mas-

senmedialen Welt des 20. Jahrhundert (vgl. ebd.). Ob dies auch für die Theorie der öffentli-

chen Meinung respektive Schweigespirale gilt, wird im Folgenden eruiert. An dieser Stelle

wird erneut darauf hingewiesen, dass hierbei eine Schweigespirale im Internet und nicht

durch das Internet betrachtet wird.

5.5.1. Die Theorie der öffentlichen Meinung auf sozialen Netzwerkseiten

In diesem Kapitel werden nun, nach der gleichen Logik wie in Kapitel 3.4, die Aspekte der

Theorie der öffentlichen Meinung zusammengesetzt. Dabei wird von der individuellen Ebene

ausgehend der Prozess der digitalen Schweigespirale betrachtet. Versucht man die Theorie

der öffentlichen Meinung für die veränderten Bedingungen in der Online-Welt anzupassen,

so sind zum einen die unter Online-Bedingungen veränderten Voraussetzungen der medialen

Umweltbeobachtung zu berücksichtigen (vgl. Kapitel 5.2; Kapitel 5.4), zum anderen die ver-

änderten Artikulationsmöglichkeiten durch die Online-Plattformen (vgl. Kapitel 5.1). Ferner

müssen die strukturellen Einflüsse auf die psychosozialen Effekte der Theorie miteinbezogen

werden (vgl. Kapitel 5.3). Auf Basis dieser, in den vorherigen Kapiteln erläuterten, Grundla-

gen, wird nun eine theoretische Skizze vom Ablauf der digitalen Schweigespirale geschaffen.

Über die theoretischen Gedanken hinaus, wird gegebenenfalls auf empirische Erkenntnisse

zurückgegriffen. Hierbei ist anzumerken, dass alle bisherigen Studien zu diesem Thema kein

83

angepasstes ganzheitliches Konzept der Schweigespirale untersuchten sondern bisher nur As-

pekte der Grundlagen. Somit werden dort auch nur die Effekte der ausgewählten Grundlagen

dargestellt, jedoch ohne Einbezug der übergreifenden Überlegungen, die im Folgenden voll-

zogen werden. So konnten zum Beispiel Hampton et al. (2014) in einer Studie verschiedene

Effekte der Schweigespirale, wie eine verminderte Redebereitschaft (vgl. ebd., 17), nachwei-

sen. Die Forscher gingen dabei von der Prämisse aus, die Theorie der Schweigespirale sei

ohne Anpassungen auf soziale Netzwerkseiten übertragbar. Mit dem Nachweis unterschied-

licher Aspekte der Theorie (vgl. ebd., 3f) ergibt sich auch eine wahre Konklusion. So ist ihre

Argumentation zwar formal gültig, allerdings besteht durch das fehlende Prüfen von Alter-

nativhypothesen die Möglichkeit einer falschen Prämisse. Die bisherigen Erkenntnisse dieser

Arbeit weisen zunehmend auf die Notwendigkeit dementsprechender Anpassungen hin.

Diese Sachlage zeigt auch, warum für weiterführende Untersuchungen der digitalen Schwei-

gespirale diese theoretischen Überlegungen essentiell sind. An dieser Stelle wird sich deshalb

konkret der eingehenden Frage genähert, ob die soziale Netzwerkseite Facebook die Voraus-

setzungen der Theorie der öffentlichen Meinung nach Noelle-Neumann erfüllt. Ferner wird

behandelt, welche Eigenschaften und Voraussetzungen der Schweigespirale dabei auf Face-

book auffindbar sind. Wie sich im Verlauf dieses Kapitels zeigen wird, ergeben sich viele

mögliche Variablen bei einer digitalen Schweigespirale, deshalb wird an dieser Stelle ver-

sucht, ein möglichst allgemeingültiges Bild darzustellen. Beginnend mit Noelle-Neumanns

Vorstellung von Öffentlichkeit, wird sich der Schweigespirale über die Meinungsklimawahr-

nehmung, Isolationsfurcht, Redebereitschaft und weiteren Randbedingungen genähert.

Zu Beginn gilt es zu beachten, dass bereits bei der Offline-Variante ihrer Theorie der fehlende

Einbezug der Persönlichkeitsmerkmale des Einzelnen kritisiert wurde (vgl. Kapitel 3.5). Un-

ter den Online-Bedingungen auf Facebook steigt dieser Faktor in seiner Relevanz. Die Bil-

dung einer virtuellen Identität (vgl. Kapitel 4.3), sowie individuelle Nutzertypologien (vgl.

Kapitel 4.4.3), determinieren die Nutzung und das Verhalten auf sozialen Netzwerkseiten

maßgeblich. Die virtuelle Identität ist eine Maskierung, die den Einzelnen mal mehr und mal

weniger verschleiert, aber gleichzeitig eine Osmose der wahrgenommenen Meinung in sein

Innerstes zulässt (vgl. Kapitel 4.3). Auf individueller Ebene entscheiden sich Nutzer zur An-

wendung bestimmter Verhaltensmuster und tragen dabei zusätzlich reale Persönlichkeits-

merkmale, die sich automatisch auf den Umgang mit Elementen der Schweigespirale auswir-

ken. Die virtuelle Identität sei dabei Anknüpfungspunkt an reale soziale Beziehungen (vgl.

Schelske 2007, 107). In den folgenden Überlegungen wird dieser individuelle Aspekt deshalb

84

immer als gegeben betrachtet. Während in der ursprünglichen TdÖM die Persönlichkeits-

merkmale des Einzelnen noch zweitrangig waren (vgl. Kapitel 3.5), lässt sich ihre Rolle in

einer digitalen Theorie der Schweigespirale nicht leugnen.

Kapitel 5.1 nahm sich der Grundlage der Theorie an und untersuchte die herrschenden For-

men von Öffentlichkeit auf Facebook. Es ist davon auszugehen, dass Noelle-Neumanns Form

der Öffentlichkeit (vgl. Kapitel 2.2) zunächst einmal weiterhin als Bewusstseinszustand im

Kopf der Menschen entsteht. Allerdings zeigen sich auf Facebook verschiedene Veränderun-

gen in der Struktur (vgl. Kapitel 5.1.2) des „Tribunals Öffentlichkeit“ (Noelle-Neumann

1998, 85). Die Frage nach einer Fragmentierung oder Erweiterung der Öffentlichkeit lässt

sich nach den Schlussfolgerungen aus Kapitel 5.1.1 nicht gänzlich beantworten. Es ist davon

auszugehen, dass beide Erscheinungen vorkommen, jedoch in verschiedenen Disziplinen un-

terschiedlich ausgeprägt sind. Facebook schafft dabei eine persönliche Öffentlichkeit und er-

weitert gleichzeitig die professionelle Öffentlichkeit (vgl. Kapitel 5.1.2; Kapitel 5.4). Stein-

metz (2015, 219) nennt diese neue Form der Öffentlichkeit ein „Spektrum vom Privaten zum

Öffentlichen“. Es etablieren sich vermehrt Teilöffentlichkeiten, die unterschiedliche Interes-

sen bedienen. Noelle-Neumann (1980, 127) sah in der fehlenden Differenzierung der Gesell-

schaft einen wichtigen Hauptgrund für die Übermacht der öffentlichen Meinung. Mit steigen-

der Fragmentierung der Gesellschaft (vgl. Kapitel 5.1.1) ist hierbei also zunehmend von

entmachtenden Effekten auszugehen. Besonderheit sei, nach Schulz und Rössler (2013, 210),

vor allem, das nahe beieinander liegen dieser verschiedenen Ebenen von Öffentlichkeit.

Ebenso sei es nun möglich, dass sich alternative Öffentlichkeiten mit oppositionellen The-

menagenden etablieren (vgl. ebd.). Der Netzwerkcharakter ermöglicht also das Erreichen grö-

ßerer Mengen und auch die bessere Mobilisierung des Einzelnen. Letztendlich würden dabei

auch die Grenzen zwischen Öffentlichkeit und Privatsphäre verschwinden (vgl. ebd., 211).

Diese, ebenfalls von Steinmetz (2015, 219) erwähnte Tendenz lässt darauf schließen, dass

das Individuum nun schneller zwischen den einzelnen Sphären verkehrt. Damit besteht

gleichzeitig die Möglichkeit, einer größeren Öffentlichkeit ausgesetzt zu sein. Andererseits

stellt sich die Frage, welche dieser Ebenen als Referenzmeinung für die Anpassung des eige-

nen Handelns herangezogen wird. Die „Masse der Unbekannten“ sorgt auf Facebook einer-

seits für die Möglichkeit stärkerer Sanktionen. Es war noch nie so leicht wie im Netz, jeman-

den öffentlich bloßzustellen. Andererseits bietet das Netz auch einfache Wege sich diesen

Sanktionen zu entziehen. (vgl. Kapitel 5.3) Diese Veränderungen der Struktur werden vom

dortigen News-Feed-Algorithmus und der dortigen Filter-Bubble überschattet (siehe Kapitel

5.1.2). Jeder einzelne Nutzer befindet sich in seiner eigenen kleinen Welt, die aus der Wahl

85

seiner Teilöffentlichkeiten, Nutzungspräferenzen und den Mitgliedern seines sozialen Netz-

werks basiert (vgl. ebd.). Der News-Feed-Algorithmus hat einen entscheidenden Einfluss auf

die Bildung der Öffentlichkeit. Auf der einen Seite formt er das, was die Nutzer in ihrer Filter-

Blase angezeigt bekommen, auf der anderen nimmt er das auf, was der einzelne äußert. Dabei

wird, nach nicht bekannten Kriterien, festgestellt, welche Inhalte für andere Nutzer und einen

selbst relevant sind (vgl. ebd.). Die Abhängigkeit, der dortigen Öffentlichkeitsstruktur und

dem damit verbundenen Meinungsklima, von den Einflüssen des Algorithmus ist eminent.

Darüber hinaus sind die Einflüsse des News-Feed-Algorithmus bei der Betrachtung der wei-

teren Aspekte ebenfalls omnipräsent.

Aus diesen Umständen ergeben sich weitere Konsequenzen für die öffentliche Meinung. Bei

Betrachtung der Kerndefinition, „öffentliche Meinung gleich herrschende Meinung“ (Kapitel

3.2.1), ergibt sich die Frage, welche Meinung der verschiedenen Öffentlichkeiten auf Face-

book nun die öffentliche Meinung stellt. Es ist aufgrund der Fragmentierung davon auszuge-

hen, dass die öffentliche Meinung ihre Stärke gehäuft in den einzelnen Teilöffentlichkeiten

ausspielt. Somit gäbe es dementsprechend unzählige Tribunale der Öffentlichkeit und meh-

rere, vielleicht auch konkurrierende, herrschende Meinungen. Dies deutet auf eine Schwä-

chung der übergreifenden Macht der Gesamtöffentlichkeit auf Facebook hin. Gestärkt durch

den Konsens des eigenen Umfelds würde der einzelne so in der gesamtgesellschaftlichen De-

batte klarer zu seiner Meinung stehen (vgl. Liu/Fahmy 2011, 54). Zuweilen gebe es außerdem

die Möglichkeit eines „Shortcuts“ aus der herrschenden Meinung einer Teilöffentlichkeit hin-

aus, über den der Einzelne das gesamte Meinungsklima der Facebook-Community ableiten

könne (vgl. Eliders/Porten-Cheé 2014, 300).

Mit Erweiterung der Öffentlichkeit ergeben sich gleichzeitig diversifizierte Möglichkeiten

der Umweltwahrnehmung (vgl. Schulz/Rössler 2013, 182). Grundsätzlich nehmen die Men-

schen auch auf Facebook weiterhin das Meinungsklima ihrer Umgebung wahr (vgl. Ege-

bark/Egström 2011, 13). Allerdings gestaltet sich die Umweltdarstellung anders als in der

Offline-Welt (vgl. Kapitel 5.2). Eine fehlende Trennschärfe zwischen sozialem und indirek-

tem Meinungsklima (vgl. Schulz/Rössler 2013, 43) erschwert das Wahrnehmen der Mei-

nungslager. Eine immer größere Rolle spiele hierbei die verstärkte Informationsselektion im

Netz, also die Frage, auf welche Inhalte der Nutzer eigentlich zurückgreift (vgl. ebd., 183).

Die Veränderungen in der indirekten Umwelt machen sich vor allem deutlich in der Erweite-

rung von Selektionsdruck/-möglichkeiten (vgl. Kapitel 5.4). Ergebnis davon sei die Etablie-

rung eines subjektiven Medientenors (vgl. Rössler et al. 2012, 89). Aus gesteigerter Selektion

folgt ein Bild des Meinungsklimas, welches stark der Nutzungsweise des Einzelnen angepasst

ist. Ein von allen Usern gleichermaßen wahrgenommener Medientenor ist in dieser Situation

86

unwahrscheinlich. Die konkrete Wahrnehmung unterschiedlicher Meinungen sei nur mög-

lich, „wenn Signale ganz offen sind, öffentlich also“ (Noelle-Neumann 1980, 36). Unter die-

ser Voraussetzung zeigt sich ebenfalls, wie der subjektive Meinungstenor innerhalb der eige-

nen Filter-Blase die differenzierte Meinungswahrnehmung lähmt. Gleichzeitig lässt auch die

soziale Umwelt eine stärkere Selektion zu (vgl. Kapitel 5.1.1). Nutzer können sich in Teilöf-

fentlichkeiten begeben, die genau ihrem persönlichen Meinungsbild entsprechen. Anderer-

seits stehen sie aber auch weiterhin mit Freunden, Familie, Kollegen und Co in Kontakt (vgl.

Kniedinger 2012, 80). Doch je nach Situation sind diese Subwelten voneinander abgegrenzt.

Zum Beispiel ist es Familienmitgliedern nicht möglich, Beiträge des Nutzers in einer privaten

Gruppe zu sehen, ohne selbst dort Mitglied zu sein (vgl. Kapitel 4.4.2). Dies macht die direkte

Umwelt weniger starr. Gleichzeitig gehen Schulz und Rössler (2013, 182) davon aus, dass

die direkte Umwelt nun auch eine Thematisierungs- und Artikulationsfunktion ähnlich der

Massenmedien innehabe. Dies führt zu einem weiteren Annähern der beiden Meinungsquel-

len. Bei der Wahrnehmung des Meinungsklimas seien neben dem Quasi-Statistischen-Sinn

vor allem der HME und der LGE relevant bei der Meinungswahrnehmung auf SNS (vgl. ebd.,

183). Je nachdem worauf der Einzelne bei seiner Informationsselektion zurückgreife, ver-

stärke sich einer dieser Effekte (vgl. ebd.). Kwon et al. (2014, 1356) zeigen in ihrer Studie

auf, dass durch erhöhte Sichtbarkeit in der Referenzgruppe dort auch stärkere normative Ein-

flüsse auf die Redebereitschaft bestehen. Aus diesen Umständen ergeben sich mehrere Kon-

sequenzen für die weitere Rolle der Isolationsfurcht und Redebereitschaft in der digitalen

Schweigespirale. Zunächst liegt es nahe davon auszugehen, dass nun beim Empfinden von

Dissonanz gegenüber der öffentlichen Meinung die Wahl der Umweltquelle und dementspre-

chend der Referenzgruppe eine größere Rolle spielt. Bei Gefahr in der massenmedialen Öf-

fentlichkeit bloßgestellt zu werden oder nur im kleinen Umfeld einer anonymen Gruppe, er-

geben sich vermutlich Unterschiede in der wahrgenommenen Tragkraft jener Öffentlichkeit.

Ferner ist auch hier erneut der News-Feed-Algorithmus als entscheidende Kraft zu nennen.

Denn neben der manuellen Selektionen durch den Nutzer entscheidet er weiterhin automa-

tisch, welche Inhalte als relevant einzuschätzen sind und welche nicht (vgl. Kapitel 5.1.2.).

Dabei greift der Algorithmus aber auch auf die Selektionsmuster anderer Nutzer zurück und

versucht somit ein Gesamtbild der wichtigen Themen darzustellen (vgl. ebd.). Dies wirkt sich

in einem schwer einschätzbaren verzerrenden Effekt aus. Im Anschluss ergibt sich die Frage,

woraus sich das Meinungsklima der Gesamtöffentlichkeit auf Facebook konstituiert. Es ist

nicht klar, ob es sich dabei um die Summe aller Teilöffentlichkeiten handelt oder auf anderer

Ebene eine relevante Themenagenda geschaffen wird. An dieser Stelle ist ebenfalls der Ein-

fluss des Algorithmus zu vermuten. Er entscheidet letztendlich, welche Themen übergreifend

87

sichtbar werden (vgl. ebd.). Bei kleineren Prozessen der Schweigespirale in Teilöffentlich-

keiten kommt zusätzlich die Frage auf, ob sich dort noch die nötige Tragweite einer Öffent-

lichkeit als Tribunal etablieren kann, die Noelle-Neumann (1998, 85) als Grundvorausset-

zung nennt. Auch die Beschreibung der Meinungsklimawahrnehmung muss sich in einer

digitalen Schweigespirale also deutlich variabler gestalten.

Verschiedene Faktoren auf Facebook sorgen für verstärkende und auflösende Einflüsse auf

die Redebereitschaft und Isolationsfurcht (vgl. Kapitel 5.3). Zu Beginn ist hierbei auch erneut

auf die virtuelle Identität und die persönlichen Eigenschaften der Nutzer zu verweisen, diese

individuellen Merkmale gestalten die Isolationsfurcht aktiv mit (vgl. Schulz/Rössler 2013,

186). Gearhart und Zhang (2014, 33) stellten in ihrer Studie unter anderem die wichtige Rolle

des persönlichen Involvements heraus. So sei bei erhöhter Wichtigkeit eines Themas auch

von erhöhter Redebereitschaft auszugehen (vgl. ebd.). Doch darüber hinaus zeigen sich auch

andere Aspekte, die nun erläutert werden. Nachdem in den vorherigen Überlegungen eine

verstärkte Tendenz zu einer Vielzahl an Meinungsklimaquellen geschlussfolgert wurde, stellt

sich nun die Frage, in welchen dieser Bereiche die Isolationsfurcht weiterhin aktiv ist. Zu-

nächst ist dabei der Kommunikationskontext wichtig. Innerhalb einer öffentlichen Facebook-

Gruppe gestalten sich die Sanktionsmöglichkeiten vermutlich anders als in der privaten Öf-

fentlichkeit. Demzufolge spürt das Individuum auch je nach Kommunikationsraum eine an-

dere Intensität der Isolationsfurcht. Auch bei wahrgenommener Meinungsdissonanz sei nicht

immer von Sanktionserwartungen beim Individuum auszugehen (vgl. Schulz/Rössler ebd.,

184). Entscheidend hierfür sind unter anderem die Anonymität und Identifizierbarkeit (vgl.

Kapitel 5.3). Je nach Vorkommen dieser Parameter verändert sich auch die Isolationsfurcht

in einer (Teil-)Öffentlichkeit. Hohe Anonymität und eine niedrige Identifizierbarkeit begüns-

tigen zum Beispiel das Äußern einer dissonanten Meinung, da die Sanktionen in diesem Fall

relativ gering einzuschätzen seien (vgl. Schulz/Rössler 2013, 184). Die Struktur der sozialen

Netzwerkseite „Facebook“ (siehe Kapitel 4.4.2) gibt also in diesem Fall Rahmenbedingungen

vor, die Kommunikationsräume so gestalten, dass sie Isolationsfurcht und Redebereitschaft

dirigieren. Nicht mehr nur die bloße Anwesenheit der öffentlichen Masse bestimmt die exis-

tenziellen Ängste des Individuums (vgl. Kapitel 3.2.3), sondern auch die Form des Kommu-

nikationsraumes. Ferner haben auch die zuvor erwähnten Selektionsmöglichkeiten in der

Meinungsklimawahrnehmung einen relevanten Einfluss auf die Ängste des Einzelnen. Indi-

viduen, die gezielt Inhalte auswählen, die ihrem Meinungsbild entsprechen, kommen dem-

entsprechend auch weniger in Kontakt mit kritischem Material. Yun und Park (2011, 216)

weisen weiterhin auf eine Verbindung zwischen der Isolationsfurcht und der Bereitschaft

seine Meinung zu äußern hin. Jedoch seien auch umliegende Faktoren von Bedeutung (vgl.

88

ebd.). Es zeigt sich also, dass dieses sozialpsychologische Grundprinzip weiterhin funktio-

niert. Jedoch müssen klare Anpassungen in Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand vor-

genommen werden. Als wichtige Erkenntnisse für die Bildung einer digitalen Schweigespi-

rale zeigen sich an dieser Stelle zwei Faktoren. Zunächst ist davon auszugehen, dass die

simple Meinungsklimawahrnehmung nicht mehr der einzige bestimmende Faktor der Re-

debereitschaft ist. Ferner wird es immer wahrscheinlicher, dass sich die Isolationsfurcht nun

an einem situativen Referenzrahmen orientiert und dabei unterschiedlich schwer zu überwin-

den ist. Damit sind an dieser Stelle die drei wichtigen Grundlagen der Theorie im Kontext

der sozialen Netzwerkseite „Facebook“ eruiert.

Doch auch die im Vorfeld formulierten Randbedingungen der Schweigespirale (vgl. Kapitel

3.4; Roessing 2009, 77) sind für den Übertragungsversuch der Theorie von Bedeutung. Diese

werden nun ebenfalls im Online-Kontext betrachtet. Zunächst ist festzuhalten, dass sich die

Randbedingungen Massenmedien (vgl. Kapitel 5.4), moralische Aufladung (vgl. Kapitel

5.1.1) und Aktualität sowie Dynamik (vgl. Kapitel 4.4.2) auch auf Facebook finden lassen.

Die Veränderung der Massenmedien wurde in diesem Kapitel bereits bei der Vorstellung der

veränderten Umweltwahrnehmung angeschnitten. Im Kern ist der Wandel der Massenmedien

in der digitalen Welt auf den neuen Selektionsdruck und die, von den Nutzern ausgehenden,

Änderungen bezüglich Rezeption, Produktion und Konsum zurückzuführen (vgl. Kapitel

5.4). Es zeigt sich, dass die Massenmedien auf sozialen Netzwerkseiten grundsätzlich an Be-

deutung bei der Meinungsbildung verlieren. Die langfristigen Implikationen sind jedoch noch

unklar. Die neue Rolle der Massenmedien ist nicht endgültig definierbar, da sie zum Teil

noch gefunden werden muss und sich momentan primär auf Wandlungsprozessen begründet.

In Folge des subjektiven Medientenors geht ihr Einfluss allerdings weiter verloren. Ihre Funk-

tion als Meinungsquelle behalten sie aber weiterhin. Zudem ist davon auszugehen, dass sie

eine der letzten Instanzen zur Generierung einer gesamtöffentlichen Schweigespirale sind.

Allerdings werden sie nun vermehrt durch die Nutzer selektiert. (vgl. ebd.) Bakshy et al.

(2015) konnten in einer Studie in diesem Zusammenhang interessante Ergebnisse bezüglich

des Kontakts zu ideologisch abweichenden Nachrichteninhalten auf Facebook aufzeigen. So

sei der Algorithmus in diesem Fall weniger dafür ausschlaggebend, ob Nutzer mit abwei-

chenden Meinungen der Massenmedien konfrontiert werden (vgl. ebd., 1). „Compared to al-

gorithmic ranking, individuals’ choices about what to consume had a stronger effect limiting

exposure to cross-cutting content“, (ebd.) fassen sie ihr Ergebnis zusammen. Die Konsequen-

zen dieser Veränderungen spiegeln sich letztendlich bereits in der bereits dargestellten Ver-

änderung des Meinungsklimas und der Wahrnehmung des selbigen wider. Als soziale Netz-

werkseite, die Kommunikation in den Vordergrund stellt (vgl. Kapitel 4.4), finden sich auf

89

Facebook ebenfalls jene aufgeladenen Themen (vgl. Meusers 2015), die zur Entstehung einer

Schweigespirale notwendig sind (vgl. Roessing 2011, 16). Die Community-Richtlinien (vgl.

Facebook 2015) unterbinden dabei keine Inhalte, nur unerwünschte Verhaltensweisen wie

zum Beispiel Volksverhetzung. Ferner ist entscheidend, wie der Algorithmus mit kontrover-

sen Themen umgeht. Dies lässt sich ohne Kenntnis der genauen Funktionsweise nicht beant-

worten. Allerdings liegt es nahe, dass der Algorithmus kontroverse Themen durchaus in den

Hintergrund verbannt. Facebook ist dafür bekannt, den Nutzern ein möglichst angenehmes

Erlebnis zu bieten (vgl. Frantz 2015). Die persönlichen Vorlieben des Nutzers könnten hier-

bei ebenfalls eine Rolle spielen. Ferner zeigt sich, dass Facebook jene Aktualität und Dyna-

mik im Meinungsprozess bietet (vgl. Kapitel 4.4.2), die für eine Schweigespirale nötig sind

(vgl. Kapitel 3.4).

Wie das Analysieren dieser einzelnen Aspekte darlegt, sind die Grundprinzipien der Schwei-

gespirale durchaus weiterhin anwendbar und lassen sich auf Facebook übertragen. Somit lässt

sich die Fragestellung dieser Arbeit in ihren Grundzügen beantworten. Allerdings zeigt sich

auch an vielen Stellen, dass die neue Umgebung auf Facebook tiefgehende Einflüsse in den

Ablauf der Schweigespirale vornimmt. „Laute Meinungsäußerungen auf der einen, Schwei-

gen auf der anderen Seite […]“, so beschreiben Noelle-Neumann und Petersen (2004, 349)

den Kern der Schweigespirale. Und auch in der digitalen Welt ändert sich nichts an diesem

simplen Grundprinzip. Je mehr Menschen zu einem Thema schweigen, umso weniger wird

es in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Doch dieser an sich so einfache Prozess scheint sich

nun in vielerlei Hinsicht komplizierter als je zuvor zu gestalten. Deshalb wird nun, ein Modell

erstellt, welches die einzelnen Aspekte beinhaltet, die mit einer Übertragung der Theorie ein-

hergehen. Die folgende Seite zeigt die entsprechende Grafik:

90

Modell 2: Theorie der öffentlichen Meinung und die digitale Schweigespirale (eigene Darstellung in Anlehnung an Modell 1, 28)

91

Ziel dieses Modells ist es, zunächst relative Festlegungen darzustellen. Die Realität kann

hierbei, wie in einem Modell üblich (vgl. Stachowiak 1973, 131f), nicht komplett dargestellt

werden. Zweck des Modells ist ebenfalls, neben der vereinfachten Darstellung dieses kom-

plexen Prozesses, Anreize zur weitergehenden empirischen Forschung zu schaffen. Die klare

Dominanz des Algorithmus zeigt sich auch hier. So greift er einerseits dort ein, wo das Indi-

viduum seine Meinung aussagt. Andererseits auch dort, wo die Quellen des Meinungsklima

sich formen. Die Tendenz einer algorithmisierten Schweigespirale verdichtet sich immer wei-

ter. Zum besseren Verständnis wird an dieser Stelle nun beispielhaft ein mögliches Szenario

der digitalen Schweigespirale vorgestellt:

Frau P. ist im Alltag eine selbstbewusste Frau, die zu ihrer Meinung steht. Auch auf Face-

book verkörpert sie diesen Charakterzug. Sie legt Wert darauf, eine möglichst genaue Dar-

stellung ihrer selbst abzuliefern und sich nicht zu verstellen. Wenn, dann tendiert sie dazu,

mit ihrer virtuellen Identität noch klarer für ihre Meinung einzustehen. Sie ist Mitglied ei-

ner öffentlichen Diskussionsgruppe ihrer Hochschule, die sich über den Umgang mit

Flüchtlingen austauscht. In dieser direkten Umwelt nimmt sie vor allem ein konsonantes

Meinungsklima war. Viele der Studenten sind ebenfalls der Meinung, Flüchtlinge müssen

besser unterstützt werden. An dieser Stelle wirkt nun der Algorithmus. Da sie sehr aktiv in

dieser Gruppe mitdiskutiert, sind auch die dortigen Beiträge vermehrt in ihrer Timeline zu

finden. Sie fühlt sich weiter in ihrer Ansicht bestätigt. Die Konsonanz ihrer Meinung führt

nun zu einer geringen Isolationsfurcht. Da sie eine aktive Nutzerin ist, tut sie ihre Meinung

weiterhin kund. Ihre Aussagen zu diesem Thema werden nun erneut vom Algorithmus auf-

genommen und für andere Nutzer aufbereitet. Gleichzeitig tritt der klassische Effekt der

Schweigespirale in Gang, bei dem das lautere Meinungslager als größer wahrgenommen

wird. Rückgeführt in die Diskussionsgruppe steht ihre Meinung nun besonders sichtbar ne-

ben den gleichen Ansichten, während kritische Stimmen vermehrt verstummen.

Anzumerken ist, dass es natürlich unzählige Varianten eines möglichen Ablaufs gibt und nur

ein kleiner Teil des Umfangs damit deutlich gemacht werden kann. Ebenso kann das Modell

das Verschwimmen der einzelnen Sphären nur bedingt darstellen, sondern eignet sich nur für

die Betrachtung einer vorher gewählten Ebene. Ferner wird hierbei eine der wichtigsten Fra-

gen der digitalen Schweigespirale deutlich. Wie aggregiert sich unter diesen Umständen letzt-

endlich die öffentliche Meinung? Wie im Beispiel deutlich wird, findet der Prozess dort auf

der Ebene der Teilöffentlichkeit statt. Schulz und Rössler (2013, 141) sprechen in diesem Fall

auch von „Subspiralen“; also Prozesse der Schweigespirale innerhalb einer Teilöffentlichkeit.

Offen bleibe die Frage, welchen Einfluss diese auf den gesamten Prozess der Schweigespirale

in der anonymen Öffentlichkeit hat (vgl. ebd.). Das nächste Kapitel versucht diese und wei-

tere Frage nun näher zu betrachten. Ebenfalls werden weitere Implikationen dieses Modells

der digitalen Schweigespirale untersucht.

92

5.5.2. „Facebook“ und die Schweigespirale

Über das Vorhandensein der Grundlagen (vgl. Kapitel 5.5.1) hinaus wird nun die meinungs-

verändernde Dynamik der Schweigespirale (vgl. Kapitel 3.4) genauer untersucht. Um weitere

Erkenntnisse über eine digitale Schweigespirale zu erlangen, bedarf es der Betrachtung jenes

kollektiven Effekts, der sich in der Dynamik einer Schweigespirale widerspiegelt (vgl.

Schulz/Rössler 2013, 195). Die vorherigen Erkenntnisse werden deshalb mit weiterführenden

Gedanken zur Aggregation einer Schweigespirale auf Facebook angereichert. Die daraus re-

sultierenden Implikationen vertiefen somit die bisherigen Untersuchungen und dienen dar-

über hinaus auch als wichtige Ansatzpunkte für weitere Forschung. Nachdem nun auf der

individuellen Ebene die Konstitution einer digitalen Schweigespirale dargestellt wurde, stellt

sich die Frage, wie sich der Aggregationsprozess der digitalen Schweigespirale gestaltet.

Denn erst, wenn aus dem individuellen Effekt eine Bewegung in der Öffentlichkeit wird,

beginnen Meinungslager zu verstummen oder zu erstarken (vgl. Noelle-Neumann/Petersen

2004, 349). Weitergehend wird in diesem Kapitel gezeigt, welche Auswirkungen die Online-

Kommunikation auf Facebook, auf die dortige Bildung einer Schweigespirale hat. Dabei wer-

den die einzelnen Schlussfolgerungen und Konsequenzen zu den neuen Rahmenbedingungen

der Theorie in der digitalen Welt vorgestellt. Abschließend werden diese Erkenntnisse erneut

zur Gesamtbetrachtung einer digitalen Schweigespirale zusammen getragen.

Eingangs ergaben sich Probleme mit Noelle-Neumanns Begriff der Öffentlichkeit (vgl. Ka-

pitel 2.2). Im Kern bedeute Öffentlichkeit, jeder könne es sehen (vgl. Noelle-Neumann 1980,

115). Doch dieses Verständnis von Öffentlichkeit macht die weitere Untersuchung auf Face-

book schwierig. Denn wie bereits die vorgestellte Tendenz zu mehreren Teilöffentlichkeiten

zeigt (vgl. Kapitel 5.1.1), gibt es auch Bereiche die nicht von jedem einsehbar sind, aber

trotzdem den Effekt einer Schweigespirale hervorbringen könnten (vgl. Kapitel 5.5.1). Zu-

sammen mit diesem Problem müsse außerdem genauer geklärt werden, wie an dieser Stelle

aus den individuellen Meinungen, die öffentliche Meinung entstehen könne (vgl. Schulz/

Rössler 2013, 201). Öffentlichkeit als „Transformationsprozess“ müsse in diesem Zusam-

menhang näher erforscht werden, da sich dort die öffentliche Meinung bildet (vgl. ebd.). Die

Problematik durch verschiedene Teilöffentlichkeiten wird somit deutlich. Ferner ergibt sich

dabei die Frage, wann eine Teilöffentlichkeit öffentliche Meinung, in Form von herrschender

Meinung, innehat und wann es eine allgemeine Gesinnung ist, die dort von Beginn an vertre-

ten wird. Teilöffentlichkeiten, die sich nach diesem Beispiel von Anfang an auf einer be-

stimmten Themenagenda begründen, werden vermutlich weniger empfänglich für Prozesse

der Schweigespirale sein. Die herrschende Meinung wäre dort vermutlich normativ begrün-

det. Nutzer wählen sie bewusst aus, da ihre eigene Meinung dort gespiegelt wird. Im Zweifel

93

ließe sich in diesem Fall eher von einem Anpassungsdruck sprechen. Bei diesen Themen wäre

dann von einem festen Aggregatzustand der öffentlichen Meinung auszugehen, sodass sich

in diesem Bereich die Schweigespirale in Grenzen hält. Die weitere Frage ist, wie dies die

Stimmung in der Gesamtöffentlichkeit beeinträchtigt. So wären die Meinungen in der Filter-

Blase zwar relativ fest, doch lassen sie sich bei Diskrepanz auch austauschen. Der Austritt

aus einer Gruppe ist in wenigen „Klicks“ durchgeführt (vgl. Kapitel 4.4.2). Jedoch ist es un-

klar, wie sich eine Teilöffentlichkeit genau konstituiert bzw. wie man sie bei einer Untersu-

chung gezielt abgrenzen kann. So ließe sich zwischen der Filter-Blase des Individuums, kon-

kreten Facebook-Gruppen oder der privaten Öffentlichkeit unterscheiden. All diese Bereiche

können einzeln oder auch zusammen eine Teilöffentlichkeit darstellen. Ferner bestehen ver-

schiedene Möglichkeiten der Konstitution einer Gesamtöffentlichkeit. So könnte sie die

Summe aller Teilöffentlichkeiten sein oder eine übergreifende Meta-Sphäre darstellen. Für

die Aggregation der öffentlichen Meinung hätte dies einschneidende Auswirkungen. Die

Frage nach der Struktur der Öffentlichkeit lässt sich theoretisch allerdings nur skizzieren.

Darüber hinaus gilt es die Sonderposition des Algorithmus zu betrachten, welcher über grund-

legende Aspekte der Schweigespirale verfügt (vgl. Kapitel 5.5.1). Er schließt die Filter-Blase

dicht um den User ab. Generell ist es schwer zu eruieren, welche Meinungen und Inhalte der

Algorithmus letztendlich verdrängt. Fehlende Einblicke in die Funktionsweise werden auch

weiterhin die empirische Forschung komplizieren. Es ist unklar, welche verzerrenden Eigen-

schaften dem Algorithmus im Detail zuzuordnen sind. Das Verhältnis zwischen Schweige-

spirale und Algorithmus ist diffus. So könnte sich der Algorithmus komplementär zum Spiral-

Effekt verhalten. Der Algorithmus nimmt dann die bestehende Meinungsverteilung auf und

gibt sie demnach verstärkt wieder. Dabei selektiert er noch stärker nach Relevanz als Mas-

senmedien und Co. Bei einer schweigenden Minderheit vermutet der Algorithmus dement-

sprechend eine irrelevante Position. Zudem könnte der Algorithmus auch vermehrt dort ver-

zerrend wirken, wo eine eigentliche Minderheit das dominante Meinungslager stellt. Da der

Algorithmus nicht hinterfragt, ob dies wirklich die prävalente Meinung der Gesellschaft ist,

würde er dort, dem in diesem Fall lauteren Meinungslager noch mehr zu Aufmerksamkeit

verhelfen. Damit würde der Algorithmus den Effekt der schweigenden Mehrheit weiter un-

terstützen. Doch dies sind nur zwei von einer Vielzahl denkbarer Szenarien. Letztendlich er-

geben Algorithmus und Schweigespirale eine große Blackbox. Es lässt sich schwer nachvoll-

ziehen, welche Themen systematisch aus der Timeline der Nutzer verdrängt und welche

aufbereitet werden. Und auch die Filter-Bubble ist in ihrer Gesamtheit heranzuziehen. Dieser

abgegrenzte Bereich, in dem sich der Einzelne befindet, entspricht häufig der eigenen Mei-

nung (vgl. Kapitel 5.1.2). Demzufolge wäre dann die eigene Meinung, aus der sich die Filter-

94

Blase zum großen Teil bildet, auch die herrschende Meinung. Individuen wären somit in wei-

ten Teilen auf Facebook von möglicher Kontroverse abgeschottet. Nur bei selbstständigem

Aufsuchens anderer Inhalte, zum Beispiel im Rahmen eines subjektiv-pluralistischen Medi-

entenors (vgl. Kapitel 5.4.), kommen sie in Kontakt mit konträren Meinungen und fremden

Themenagenden. Es stellt sich also ferner die Frage, wie die öffentliche Meinung aus der

Filter-Bubble ausbrechen kann und Teilöffentlichkeiten zugänglich wird. Zu vermuten ist,

dass dies dort möglich wird, wo Individuen aufgrund ihrer persönlichen Nutzungspräferenz

dazu neigen, sich diskursiv mit Themen auseinanderzusetzen. An dieser Stelle würde sich

dann die eigene Filter-Blase im Umkehrschluss nicht mehr nur auf die eigene Meinung aus-

richten. Ferner liefern die Massenmedien als Meinungsquelle nach wie vor ein recht diffe-

renziertes Bild der relevanten Themen (vgl. ebd.). Somit ist es stellenweise also durchaus

möglich, die Filter-Blase zu überwinden. Inwiefern sie letztendlich limitierend wirkt und an

welcher Stelle sie genau überwunden wird hängt jedoch vom Einzelfall ab.

Auch die Meinungsklimawahrnehmung gestaltet sich auf Facebook situativ-differenziert. Zu

allererst gilt auch hier erneut der Einfluss von Algorithmus und Filter-Bubble. Je nach Stärke

der beiden Einflussfaktoren kontrollieren sie das Verhältnis zwischen indirekter sowie direk-

ter Umwelt und die konsumierbaren Inhalte (vgl. Kapitel 5.5.1). Zugleich ergeben sich durch

die differierenden Selektionsmöglichkeiten (vgl. Kapitel 5.4) für die Nutzer höhere Chancen,

ein holistisches Meinungsklima wahrzunehmen. Allerdings bedingt Selektion schon der De-

finition nach Subjektivität. Trotz vermehrter Möglichkeiten verschiedene Meinungen aufzu-

nehmen, entsteht kein objektiver Meinungstenor. Die neuen Einflüsse auf die Meinungskli-

mawahrnehmung (vgl. Kapitel 5.5.1) lassen darauf schließen, dass sich eben auch die

Meinungsbildungsprozesse immer weiter individualisieren. Wenn jeder Nutzer nun im ext-

remsten Fall seine eigene „Schweigespirale“ erlebt, gestaltet sich die gesamtöffentliche Ag-

gregation vermutlich schwierig. Es wird immer unwahrscheinlicher von „dem einen“ Mei-

nungsklima reden zu können. Solch ein zersplittert wahrgenommenes Meinungsklima

bedeutet für die Dynamik der Schweigespirale eine enorme Verlangsamung und ist mit er-

höhtem Aufwand in der Aggregation einer gesamtöffentlichen Meinung verbunden. Die Kon-

sonanz wird dann vermehrt ein Faktor, den der Einzelne mit sich selbst ausmacht. Zugleich

bedeutet diese neue Meinungsklimawahrnehmung auch, dass sich Isolationsfurcht und Re-

debereitschaft dementsprechend stark verändern. Die Grundlage „Isolationsfurcht = Zurück-

halten der Meinung“ (vgl. Kapitel 3.2.3) ist nicht mehr alleinstehend gültig. Stattdessen ergibt

sich durch Einflüsse wie die virtuelle Identität (vgl. Kapitel 4.3) Nutzertypologien (vgl. Ka-

pitel 4.4.3) oder der Anonymität/Identifizierbarkeit (vgl. Kapitel 5.3) häufiger die Möglich-

95

keit aus der wahrgenommenen Minderheit heraus das Schweigen zu brechen. Die Redebe-

reitschaft ist also nicht mehr eindeutig nur mit der Isolationsfurcht verknüpft. Für die Be-

trachtung der Schweigespirale in der digitalen Welt ist somit wichtig, stets zu analysieren in

welchem Referenzrahmen die untersuchten Aspekte stattfinden.

Ferner wurde bereits zu Beginn erläutert, dass ein Vorhanden sein aller Randbedingungen

nicht unbedingt nötig ist, um die Entstehung einer Schweigespirale zu ermöglichen (vgl. Ro-

essing 2011, 46). Auf Facebook erreichen diese Randbedingungen, wie die Rolle des Indivi-

duums oder die Massenmedien, eine ganz andere Bedeutung, als in der Offline-Welt (vgl.

Kapitel 5.5.1). Nutzertypologien, die über bloße Persönlichkeitsmerkmale hinausgehen (vgl.

Kapitel 4.4.3) oder unterschiedlichste Möglichkeiten den massenmedialen Tenor wahrzuneh-

men (vgl. Kapitel 5.4), verändern nicht nur die Umstände sondern auch die gesamte Struktur,

auf die Noelle-Neumanns Theorie angewendet wird. Für den letztendlichen Prozess der

Schweigespirale bedeutet dies vorrangig eine Veränderung der Struktur. So könne möglich-

erweise statt einem doppelten Meinungsklima, aufgrund differenzierter Meinungsquellen-

wahl, auch ein multiples Meinungsklima entstehen. Ein Ausbrechen aus der klassischen Ku-

mulation und Konsonanz würde die digitale Schweigespirale zudem weiter verlangsamen.

Ebenso ergibt sich die Frage, ob die Massenmedien womöglich eher sogar eine relevantere,

wenn auch schwächere, Rolle im Rahmen einer digitalen Schweigespirale tragen. Denn sie

sind weiterhin die Instanz, die es vermag so etwas wie Kumulation und Konsonanz im Netz

überhaupt zu fördern. Dies würde bedeuten, dass jene Strukturen noch eingehender betrachtet

werden müssen, um all ihre Aspekte sichtbar machen zu können.

Wie sich in diesem Kapitel zeigte, sind viele der Aspekte einer Schweigespirale auf Facebook

situationsabhängig. Dies lässt eine neue Anzahl an Fallbeispielen, gegenüber der Offline-

Welt, vermuten. Im Mittelpunkt steht also immer noch die Frage, wie sich aus öffentlicher

Meinung eine Gesamtöffentlichkeit auf Facebook aggregieren kann, die letztendlich eine

Schweigespirale beinhalten könnte. Denn bei einem fehlenden Transformationsprozess wä-

ren die Effekte innerhalb der Teilöffentlichkeiten für die Schweigespirale zunehmend irrele-

vant. Es zeigt sich, dass in einer normalen Situation die Gesamtöffentlichkeit auf Facebook

eher im Hintergrund steht (vgl. Kapitel 5.1.2). Im alltäglichen Gebrauch, in der Filter-Blase,

sind es der eigene Freundeskreis oder die Followerschaft, die unsere Welt gestalten. Der sin-

kende Einfluss der Massenmedien bzw. die Tendenz zu weniger kontroversen Inhalten (vgl.

Kapitel 5.4) verschleiert dann womöglich noch das Meinungsbild außerhalb dieses Bereichs.

Die Schweigespirale würde somit aus vielen Fragmenten bestehen, die zur Anwendung der

Theorie letztendlich erst wieder zusammengesetzt werden müssten. Neben dem Algorithmus

zeigt sich dies als eine der größten Herausforderungen bei der Anpassung an Facebook.

96

Schulz und Rössler (2013, 216) gehen ebenfalls davon aus, dass sich der normative Druck

weiter in die jeweiligen Gruppenkontexte hinein verlagert. Parallel werde das homogene Mei-

nungsklima der Offline-Welt aufgebrochen (vgl. ebd.). In diesem Fall sei davon auszugehen,

dass sich die Meinungsbildungsprozesse mehrheitlich in die Teilöffentlichkeiten verlagern

(vgl. ebd., 217). Es zeigt sich also das Bild mehrerer Sub-Spiralen, die unabhängig voneinan-

der fungieren. In einem anderen Szenario sei es auch möglich, dass sich eine neue Form von

Meinungspluralismus entwickle (vgl. ebd., 218). Da sich eine kollektive Meinung nur durch-

setzen könne, wenn sie sich auf allen Öffentlichkeitsebenen behauptet, würde bei einer frag-

mentierten Öffentlichkeit die Wahrscheinlichkeit größer sein, dass eine Pluralität an Meinun-

gen hervortritt (vgl. ebd.). Ein drittes Szenario wäre der nach wie vor bekannte Aufbau einer

einzelnen normativen öffentlichen Meinung (vgl. ebd., 219). Im Online-Zeitalter sei hier von

einer zunehmenden Bedeutungslosigkeit auszugehen (vgl. ebd.). Voraussetzung seien dabei

eine enorme emotionale Relevanz, eine sehr klare Position der Massenmedien und die Ent-

stehung eines homogenen Meinungsklimas in allen Öffentlichkeitssphären (vgl. ebd.). Dabei

kommt erneut die Frage auf, ob die Massenmedien nicht möglicherweise sogar die einzige

Möglichkeit auf Facebook sind, eine breite Schicht der Gesellschaft zu erreichen und somit

auch eine gesamtöffentliche Schweigespirale zu aggregieren. Aus den vorherigen Überlegun-

gen wird deutlich, wie unwahrscheinlich das Entstehen einer übergreifenden normativen Öf-

fentlichen Meinung auf Facebook ist. Je nachdem müssen also in der Online-Öffentlichkeit

unterschiedliche Transformationsbedingungen erfüllt sein, um vom Reden und Schweigen

zur öffentlichen Meinung zu gelangen. Nicht nur Auswirkungen sondern auch Verlauf der

Schweigespirale werden bei diesen neuen Erklärungsmustern deutlich verändert. Dabei kann

nicht länger von der einen Schweigespirale gesprochen werden. Stattdessen entstehen mit

den diversifizierten Grundlagen diversifizierte Szenarien der Aggregation.

97

6. Fazit und Ausblick

Online-Kommunikation wird zunehmend komplexer und bedarf geeigneter Erklärungsmo-

delle zum besseren Verständnis der dort stattfindenden gesellschaftlichen Prozesse. Zuweilen

kommt es zu starken Diskrepanzen in der Wahrnehmung der dortigen Meinungsbilder. Mit-

hilfe der sozialpsychologischen Theorie der öffentlichen Meinung nach Elisabeth Noelle-

Neumann ist es möglich, Prozesse der öffentlichen Meinungsbildung zu untersuchen (vgl.

Roessing 2011, 13). Vor diesem Hintergrund war es Ziel dieser Arbeit zu erforschen, ob die

Theorie der öffentlichen Meinung respektive Schweigespirale auf die soziale Netzwerkseite

Facebook anwendbar ist. Zu diesem Zweck wurden die Bestandteile der Theorie sowie die

Rahmenbedingungen des Untersuchungsgegenstands analysiert. Es galt zu überprüfen wie

sich unter diesen Voraussetzungen eine Übertragung der Theorie gestaltet. Daraufhin wurde

die Verknüpfung von Theorie und Forschungsgegenstand durchgeführt und vor dem Hinter-

grund, ob Facebook jene notwendigen Voraussetzungen erfüllt, tiefer analysiert.

Ausgehend vom Begriff der Öffentlichkeit stellt sich heraus, wie facettenreich jener gesell-

schaftliche Raum ist. Zur Betrachtung der Theorie und der Auswahl eines geeigneten Begriffs

ergab sich der logische Zwang zur Begrifflichkeit nach Noelle-Neumann. Dabei zeigte sich,

dass Öffentlichkeit in unterschiedliche Auffassungen zerlegbar ist, die je nachdem einem an-

deren Theoriemodell dienen können. Zur Abgrenzung von Noelle-Neumanns Theorie gegen-

über anderen Auffassungen gilt deshalb die wichtige Unterscheidung zwischen der staatswis-

senschaftlichen, juristischen und sozialpsychologischen Auffassung von Öffentlichkeit.

Wobei letztere Noelle-Neumanns Vorstellung entspricht. Hierbei handele es sich um ein „Tri-

bunal“, welches das Verhalten des Einzelnen, vor aller Augen, abstraft (vgl. Noelle-Neumann

1998, 85). Wichtig ist zudem die klare Trennung zwischen öffentlichem und privaten. Nur

das Öffentliche beinhalte die Tragkraft, um einen relevanten Einfluss auf den Einzelnen aus-

zuüben (vgl. Noelle-Neumann 1980, 36) Darauf basierend bilden sich die weiteren Eigen-

schaften der Theorie der öffentlichen Meinung.

Kern der Theorie sind die öffentliche Meinung, die Meinungsklimawahrnehmung, Isolations-

furcht und die Redebereitschaft. Aus diesen Aspekten ergibt sich das Konstrukt, welches

letztendlich zu einer Schweigespirale führen kann. Bei öffentlicher Meinung handelt es sich

um die in der Gesellschaft jeweils vorherrschende Meinung. Dabei wird in Handlungen un-

terschieden, die man zeigen kann, ohne von der Öffentlichkeit abgestraft zu werden, und

Handlungen, die man zeigen muss, um nicht sanktioniert zu werden. Bei ersteren kann es sich

zum Beispiel um konsonante Meinungen in einer emotionalen Debatte handeln. Während

98

normative Handlungen, wie der Händedruck zur Begrüßung, eher dem anderen Feld zuzu-

ordnen sind. Für eine Schweigespirale ist vor allem ersterer, „luftartiger“ Meinungszustand,

relevant (vgl. Noelle-Neumann 1980, 91), da hier die notwendige Dynamik zum relevanten

Erstarken oder Abschwächen eines Meinungslagers vorkommt. Die Individuen nehmen dabei

die Verteilung einzelner Meinungslager in der Öffentlichkeit wahr und bilden sich somit ein

Bild des Meinungsklimas. Beim Abgleich mit ihren eigenen Überzeugungen kann sich im

Falle von einer dissonanten Einstellung gegenüber der Öffentlichkeit, beim Individuum Iso-

lationsfurcht bemerkbar machen. Dieser Umstand ist ausschlaggebend für die eigene Redebe-

reitschaft und somit treibende Kraft der Schweigespirale. Je nach Stärke der empfundenen

Sanktionserwartung neigt das Individuum daraufhin zum Verschweigen der eigenen Mei-

nung. Dabei ist die Redebereitschaft sinngemäß zu verstehen. So kann das Verstecken einer

bestimmten Zeitung ebenfalls ein Zeichen des Schweigens sein. Dies setzt daraufhin den Vor-

gang der Schweigespirale in Gang. Sobald ein Meinungslager in der Öffentlichkeit als vor-

herrschend empfunden wird, beginnt das gegenüberliegende Meinungslager aufgrund von

steigender Isolationsfurcht damit, seine Ansichten zu verschweigen. Der daraus resultierende

verstärkende Effekt bedingt den Begriff der Spirale. Eine wichtige Rolle spielen dabei die

Massenmedien. Sie sorgen einerseits durch einen kumulierenden Effekt für eine Verstärkung

dieser Spirale, andererseits bieten sie der Gesellschaft zudem ein konsonantes Meinungsbild.

So kann es durchaus vorkommen, dass sich, im Falle eines doppelten Meinungsklimas, das

Bild der Massenmedien, von den Überzeugungen der Gesellschaft differenziert. Im Zuge der

weitläufigen Rezeption kamen jedoch auch relevante Kritikpunkte an Noelle-Neumanns The-

orie auf (vgl. Lübbe 1991, Fuchs et al. 1992; Roessing 2011, 83). Allen voran sei der fehlende

Einbezug der Individualpsychologie zu bemängeln (vgl. Roessing 2011, 87). Darüber hinaus

seien ihre empirischen Nachweise zuweilen mangelhaft (vgl. Haferkamp 2008, 277). Den-

noch zeigte sich die große Relevanz ihrer Theorie in den Sozialwissenschaften. Darüber hin-

aus ergab sich ein Bild von verschiedenen verwandten Ansätzen, die die Erklärungskraft der

Theorie in verschiedenen Bereichen weiter unterstützen. Abschließend bot sich dadurch ein

klarer Ablauf (vgl. Kapitel 3.4), welcher zur späteren Analyse des Forschungsgegenstands

uneingeschränkt herangezogen werden konnte.

Zunächst galt es jedoch, den Forschungsgegenstand näher zu betrachten und die damit ver-

bundenen Rahmenbedingungen zu durchleuchten. Einführend konnte Facebook im soziolo-

gischen Begriff der sozialen Netzwerke verortet werden. Soziale Strukturen lassen sich als

sinnvolle Netzwerke von Sozialbeziehungen beschreiben (vgl. Fuhse 2012, 32). Hierauf be-

gründet sich der Begriff des "sozialen Netzwerk". Bei sozialen Netzwerkseiten handelt es

sich um Online-Angebote, die sich den Kerngedanken dieser Vernetzung zu Eigen machen.

99

Der kommunikative Austausch mit Personen des eigenen sozialen Netzwerks steht hierbei im

Vordergrund. Es wurde festgestellt, dass die Bildung einer virtuellen Identität eine entschei-

dende Rolle bei der Nutzung solcher Dienste darstellt. Das Internet ermöglicht den Nutzern

dabei das Bilden einer Rolle, die prinzipiell von der sozialen Identität des Individuums ab-

weichen kann. Hierbei zeichnen sich mögliche Einflüsse auf persönliche Attribute wie die

Isolationsfurcht ab. Facebook stellt dabei die größte dieser Online-Plattformen dar. Es zeigt

sich, dass Facebook mithilfe verschiedener Funktion eine möglichst wirklichkeitsgetreue

Darstellung des eigenen Selbst versucht. Dabei scheitert der Dienst zuweilen jedoch an tech-

nologischen Beschränkungen. So ist es den Nutzern möglich, ihr Profil mit vielfältigen In-

formationen über sich selbst anzureichern. Ebenso ist es möglich, auf vielfältigen Wegen die

eigene Meinung zu äußern. Neben klassischen Textbeiträgen bieten sich auch Fotos, Videos

und diverse Anpassungen der Profilseite an. Die Verwendung parasprachlicher Zeichensys-

teme wird in Online-Angeboten jedoch aufgrund fehlender Face-to-Face-Kommunikation

häufig unterbunden. Über diese technologischen Begrenzungen hinaus zeigt sich, dass Nutzer

selbst in der Lage sind, ihr soziales Netzwerk in Parzellen zu gliedern. So bieten diverse

Privatsphäre-Einstellungen die Möglichkeit, verschiedenen Bezugsgruppen in der Freundes-

liste unterschiedliche Beiträge zu zeigen oder vorzuenthalten. Neben den Beiträgen und In-

halten der eigenen Freunde, bietet Facebook zudem den Zugang zu massenmedialen Inhalten.

Über so genannte Facebook-Seiten ist es möglich, interessierten Personen verschiedene In-

halte anzubieten. Diese können von massenmedialen und journalistischen Inhalten bis zu An-

geboten von Prominenten oder Politikern reichen. Es zeigt sich, dass Facebook im Kern eine

möglichst individuelle Nutzungsweise bieten möchte. Eine nähere Betrachtung ergab, dass

sich auf sozialen Netzwerkseiten unterschiedliche Nutzertypologien und Nutzungsmotive

wiederfinden. So ist bei den Nutzern nicht von konsonanten Absichten auszugehen. Stattdes-

sen bewegen sich die Motive der User auf einem breiten Spektrum von aktiver zu passiver

Nutzung. Aus diesen Eigenschaften konnte ein komplexes Bild des Untersuchungsgegen-

stands entstehen, welches für eine nähere Untersuchung qualifiziert war.

Davon ausgehend konnte die eingehende Analyse der Aspekte der Theorie der öffentlichen

Meinungen unter den Voraussetzungen des Online-Angebots von Facebook vorgenommen

werden. Es wurden prägnante Unterschiede zwischen der ursprünglichen Vorstellung von

Öffentlichkeit nach Noelle-Neumann und der neuen Öffentlichkeit in der digitalen Welt aus-

gemacht. So ergab sich die Streitfrage, ob die Öffentlichkeit im Netz eine erweiterte Sphäre

der bekannten Öffentlichkeit darstelle oder ob sie in ein fragmentiertes Gebilde aus Teilöf-

fentlichkeiten zerfalle. Eine endgültige Einigung konnte nicht erreicht werden. Stattdessen ist

davon auszugehen, dass beide Tendenzen in unterschiedlichen Formen vorkommen. So kann

100

einerseits von einer Erweiterung und Verstärkung der Effekte von Öffentlichkeit ausgegan-

gen werden Und andererseits neigen Individuen immer mehr dazu, sich in eigene Sub-Welten

zurückzuziehen. So galt es diese Widersprüche in die fortlaufenden Überlegungen zu integ-

rieren. Darüber hinaus bietet die Web-Öffentlichkeit eine neue Trennung zwischen dem pri-

vaten und dem öffentlichen. Beide Sphären liegen dort so nah beieinander, dass die Unter-

scheidung nach Noelle-Neumann problematisch ist. Eine gleitende Skala von der Privatheit

zur Öffentlichkeit empfehle sich dabei als Lösungsansatz (vgl. Steinmetz 2015, 219). Es zeigt

sich also, dass das Tribunal der Öffentlichkeit im Netz an Stärke gewinnen kann und gleich-

zeitig in Fragmente zersplittert. Die Öffentlichkeit besteht darüber hinaus weiterhin als Kon-

zept. Dabei spielen die Besonderheiten auf Facebook eine ganz eigenständige Rolle. So zeigt

sich, dass die Tendenzen der Individualisierung im Zusammenspiel mit dort agierenden Al-

gorithmen den Nutzer in eine fast hermetisch abgeriegelte Filter-Blase manövrieren. Zu-

nächst bietet die Seite dem Individuum allerlei Möglichkeiten seine Erfahrung zu individua-

lisieren. Für ein höchst angenehmes Nutzungserlebnis wird es dem User so einfach wie

möglich gemacht, sich nur mit konsonanten Inhalten auseinanderzusetzen. Eingebettet in den

Freundeskreis, welcher meist derselben Gesinnung folgt, konstruiert sich so schon eine Sub-

Welt, die zuweilen wenig Verbindung zu einer übergreifenden gesamtgesellschaftlichen Öf-

fentlichkeit bietet. Die Bewertungsinstanzen der Öffentlichkeit verteilen sich demnach zu-

nehmend auf die einzelnen Teilöffentlichkeiten und sanktionieren dort nach vorherrschenden

Gruppenkonsens. Darüber hinaus lenken die Algorithmen der Seite alle Meinungen in unbe-

kannte Bahnen. Nach diversen Einflussfaktoren sortieren diese Algorithmen, welche Inhalte

für den Nutzer und die Facebook-Gemeinschaft von Relevanz sind. Innerhalb der Filter-Blase

spiegelt der Algorithmus somit fast ausschließlich die eigene Meinung des Individuums.

Beim Blick in die Gesamtöffentlichkeit ist das dortige Meinungsklima ebenfalls durch die

Prinzipien des Algorithmus verzerrt. Denn auch hier hat er einen tragenden Einfluss darauf,

welche Inhalte verstärkt sichtbar und somit thematisiert werden. Damit wurde einer der

stärksten neuen Einflussfaktoren der öffentlichen Meinung in der digitalen Welt ausgemacht.

Es zeigt sich, dass auch die Meinungsklimawahrnehmung unter diesen Umständen diversen

Veränderungen nachsteht. Grundsätzlich ist die Wahrnehmung des Meinungsklimas, als

Leistung des Individuums, auch auf Facebook möglich. Die Vermengung von Teilöffentlich-

keiten, der Gesamtöffentlichkeit und unterschiedlichen Sphären verzerren das Bild jedoch

vermehrt. So wird nun vornehmlich die Meinung des eigenen Netzwerks als Richtwert ge-

nutzt. Doch darüber hinaus bestehe weiterhin die Möglichkeit von der Meinung einer Teilöf-

fentlichkeit auf den gesamtgesellschaftlichen Konsens zu schließen (vgl. Eilders/Porten-Cheé

2014, 300). Die Problematik des News-Feed-Algorithmus außen vor gelassen kann sogar von

101

einer breiteren Auswahl an Meinungsquellen auf Facebook ausgegangen werden. Ferner be-

steht auch weiterhin der Zugriff auf massenmediale Inhalte. Letztendlich unterliegt die Mei-

nungsklimawahrnehmung den neuen Regeln der Online-Öffentlichkeit. Betrachtet man unter

diesen Umständen Redebereitschaft und Isolationsfurcht, so wird deutlich, dass auch diese,

vielfältigen neuen Einflüssen ausgesetzt sind. Die Öffentlichkeit auf Facebook bietet ver-

schiedene Einflussmöglichkeiten auf die Sanktionserwartungen und die damit einhergehen-

den Auswirkungen. Im Kern zeigen sich hierbei weiterhin die Grundprinzipien der Isolati-

onsfurcht und Redebereitschaft. Jedoch gestaltet sich ein befreiender Effekt, entlang des

Spektrums, von der Privatsphäre hinein in die Gesamtöffentlichkeit. Anonymität, also der

Bekanntheitsgrad der Referenzgruppe, und Identifizierbarkeit, die Möglichkeit von anderen

erkannt zu werden, sind hierbei wichtige neue Einflussfaktoren. Sie können situationsabhän-

gig zu einem Abschwächen oder Erstarken der Redebereitschaft führen. Somit handelt es sich

dort bei der Isolationsfurcht nicht mehr um den einzigen treibenden Faktor der Redebereit-

schaft. Von der euphorischen Darstellung als "Retter des Diskurses" ist dennoch nicht auszu-

gehen. Stattdessen zeigt sich auch hier die zunehmende Komplexität durch erweiterte Öffent-

lichkeitsräume. So ist davon auszugehen, dass das Individuum vor allem im Rahmen seiner

Filter-Blase versucht, möglichst selten unangenehm aufzufallen. Während beim Übergang in

die Gesamtöffentlichkeit, unter anderem gestärkt durch den Zuspruch der eigenen Referenz-

gruppe, vermehrt die Hemmungen abnehmen. Damit zeigt sich, dass die Isolationsfurcht nicht

mehr universell, sondern stark von der Referenzgruppe und den weiteren Umständen abhän-

gig ist. Auch auf Facebook zeigen sich die Massenmedien nach wie vor als Einflussgröße.

Somit dient die digitale Medienwelt weiterhin als ein Referenzpunkt für den Meinungsab-

gleich. Doch auch hier finden sich beeinflussende Effekte, die zugunsten einer Individuali-

sierung tendieren. In Folge eines steigenden Selektionsdrucks, durch immer differenziertere

Wahlmöglichkeiten, sei nun Aufmerksamkeit das wichtigste Auswahlkriterium von Inhalten

(vgl. Bussemer 2014, 207). Auch hierbei ist die Individualisierung ein immer entscheidende-

rer Faktor. Der Einzelne kann mithilfe der mannigfaltigen Angebote auf Facebook gezielt

seine persönlichen Bedürfnisse befriedigen. Dafür steht ihm eine Reihe von Selektionsmus-

tern zur Verfügung. Grundlage dieser Selektionsmuster sei ein subjektiver Medientenor (vgl.

Rössler et al. 2012, 91). Der Einfluss von Kumulation und Konsonanz lässt somit stetig nach.

Ein konsonantes Bild des Meinungsbildes der Medien fällt dem immer größer werdenden

Bedürfnis nach individueller Bedürfnisbefriedigung zum Opfer. Darüber hinaus eignen sich

die Nutzer neue Möglichkeiten zum Konsumieren der Inhalte an. Zuweilen ergibt sich für

den Einzelnen ferner die Möglichkeit, selbst massenmediale Aufmerksamkeit zu erreichen.

Dies ist dem Umstand geschuldet, dass auf Facebook die direkte und indirekte Umwelt bei-

102

nahe verschmelzen. Im Rahmen der Theorie der öffentlichen Meinung wird der Einflussver-

lust der Massenmedien in der digitalen Medienwelt deutlich. Gleichzeitig behalten sie jedoch

eine wichtige Funktion, die auf Facebook bisher nur sie vermögen auszuüben. So stellen sie

die einzige Kraft dar, die in der Lage ist, über die Sub-Welten der Filter-Blasen hinaus eine

konsonante Themenagenda aufzustellen. Ihre Position als relevante Randbedingung wird da-

bei jedoch zunehmend schwächer.

Es zeigt sich, dass eine Übertragung der Grundlagen der Theorie der öffentlichen Meinung

auf Facebook realisierbar ist und sich auch ein dementsprechendes Modell erstellen lässt (vgl.

Kapitel 5.5.1). Somit konnte die eingehende Fragestellung, ob „Facebook“ die Voraussetzun-

gen, zur Entstehung einer Schweigespirale nach Noelle-Neumann, bietet, beantwortet wer-

den. Darüber hinaus ergeben sich weitere Implikationen (vgl. Kapitel 5.5.2), die mit der Ent-

stehung einer Schweigespirale auf Facebook in Zusammenhang stehen. Zunächst ist unklar,

ob die dargestellten Effekte nach wie vor eine Schweigespirale bedingen. So lassen sich die

Rahmenbedingungen des Untersuchungsgegenstandes zwar in die Theorie der öffentlichen

Meinung integrieren, doch nur, weil dabei von der Prämisse einer Schweigespirale ausgegan-

gen wird, heißt dies nicht, dass sich daraus auch die entsprechende Konklusion ergibt. So

bieten sich auch andere Erklärungsmodelle, wie sozialer Anpassungsdruck, an. Darüber hin-

aus kann, dort wo keine Schweigespirale entsteht, auch wie in der Offline-Welt von ergän-

zenden Effekten wie dem Looking-Glass-Effekt oder Hostile-Media-Effekt ausgegangen

werden. Die vorgestellten Individualisierungstendenzen können zudem solch eine entkräf-

tende Wirkung auf die öffentliche Meinung haben, dass Individuen kaum noch in das Schwei-

gen verfallen. Eine endgültige Klärung dessen steht jedoch noch aus. Die theoretische Be-

trachtung lässt allerdings weiterhin darauf schließen, dass sich auf Facebook auch Effekte der

Schweigespirale zeigen können. Der eingangs beschriebene Cyber-Optimismus offenbart

sich demnach als stellenweise überzogen. So befreit das Internet in gewissen Fällen die Mei-

nungsäußerung, doch beschränkt es sie in anderen auf neue Art und Weise. Während sich der

Prozess in der Offline-Welt relativ eingängig darstellt, gestaltet sich eine digitale Schweige-

spirale fallabhängig. Dabei spielen alle Grundlagen der Theorie weiterhin eine entsprechende

Rolle. Für den Erklärungsversuch auf Facebook müssen sie jedoch um die dortigen Umstände

erweitert werden. Allen voran zeigt sich der News-Feed-Algorithmus, gemeinsam mit der

Filter-Bubble, als mächtige Determinante der digitalen Schweigespirale. Bei abnehmender

Macht der Massenmedien lässt sich vermuten, dass der Algorithmus, zumindest in der Ge-

samtöffentlichkeit auf Facebook, ihre Funktionen der Konsonanz und Kumulation über-

nimmt. Somit wird er zum wichtigen Manipulator des Meinungsklimas. In der theoretischen

Erklärung zeigt sich, dass viele Aspekte der Aggregation, also der genauen Erklärung vom

103

Prozess öffentlicher Meinung auf einer übergreifenden Ebene, noch unklar sind. Bei einem

Kommunikationsraum der sich durch diverse Sub-Welten profiliert, liegt die Vermutung von

dementsprechenden Sub-Spiralen nahe. Damit würden Prozesse der öffentlichen Meinung

auf mehreren Ebenen stattfinden. Und, wenn überhaupt stattfindend, eine übergreifende

Schweigespirale nur verlangsamt. Dazwischen liegt das ebenfalls mögliche Szenario eines

neuen Meinungspluralismus. Der Versuch die anfänglichen Fragen zu beantworten wirft da-

mit eine Reihe neuer Fragen auf. So muss in Zukunft untersucht werden, welche dieser Sze-

narien auf Facebook tatsächlich stattfinden.

Die vorherigen Überlegungen bieten zwar eine solide theoretische Grundlage, jedoch bedarf

es der Reflektion des Umgangs mit diesen Implikationen. Es ist wichtig, einen Zusammen-

hang zwischen Individuum, seiner Filter-Blase, und der digitalen Schweigespirale herzustel-

len. Der Anstieg von individueller und selektiver Mediennutzung lässt darauf schließen, dass

der mediale Einfluss nur noch auf der Individualebene messbar ist. Für weitere Untersuchun-

gen bedeutet dies unter anderem, auf psychologische Analyseverfahren zurückzugreifen.

Dies schlug Donbasch (1987) bereits als Ergänzung zur ursprünglichen Theorie der öffentli-

chen Meinung vor. Darüber hinaus gestaltet sich die Untersuchung der Aggregation indivi-

dueller Gruppenmeinungen ebenfalls schwierig. Dabei müssen die jeweiligen Gruppenein-

flüsse, sowie im Zweifel alle dort verorteten Filter-Blasen, miteinbezogen werden. Für die

Empirie bedeutet dies, einen starken Fokus darauf zu legen, wie sich eine gemischte Zusam-

mensetzung aus Teilöffentlichkeiten und Diskursräumen auf die Meinungsbildung auswirkt.

Es lässt sich in der Theorie nicht klären, wie auf dieser Grundlage die eine dominierende

Mehrheitsmeinung auf Facebook zustande kommen kann. Insgesamt gestaltet sich der fort-

laufende Umgang mit Teilöffentlichkeiten und verschiedenen Referenzmeinungen als

schwierig. Besonders die neue Einschätzung vom Verhältnis der Privatsphäre zur Öffentlich-

keit steht den ursprünglichen Annahmen Noelle-Neumanns (1980, 36) gegenüber. Somit gilt

es weiterhin zu klären, wie sich dieser veränderte Umstand auf eine Schweigespirale auswir-

ken kann. Doch nicht nur die Teilöffentlichkeiten verändern das Bild der Öffentlichkeit auf

Facebook stark. Auch im Hinblick auf den Algorithmus kommen Fragen zu seinen genauen

Auswirkungen auf. Er ist womöglich die letzte unüberprüfbare Determinante der digitalen

Schweigespirale. Nachdem die Massenmedien jahrzehntelang eine verzerrende Rolle in der

Meinungsbildung innehatten, könnte es womöglich nicht verkehrt sein, wenn den Menschen

nun ein Bild nach ihren Interessen geboten wird. Gleichzeitig besteht jedoch die reale Gefahr

einer immer diskursärmeren Gesellschaft.

Ferner kommt die Frage auf, wie diese Erkenntnisse über virtuelle Kommunikationsräume

letztendlich in die Gesellschaft integriert werden könnten. Diese Arbeit geht von der Prämisse

104

eines Individuums aus, welches sich nur und ausschließlich im Internet bewegt. Dadurch

konnten erst die Grenzen des neuen Kommunikationsraums erfahren werden. Allerdings blei-

ben dabei Fragen für den gesamtgesellschaftlichen Prozess offen. Bei weitergehender For-

schungen muss betrachtet werden, wie sich eine gesamtöffentliche Schweigespirale, in Ver-

bindung mit der Online-/ und Offline-Welt, gestalten würde, wenn Facebook dort ebenfalls

integriert wird. Schmidt (2013, 95) sagt voraus, dass soziale Medien einen Wandel der Öf-

fentlichkeit vorantreiben. Dabei ergibt sich die Frage, ob die Umstände der jetzigen Überle-

gungen, beim Integrieren in die gesamtgesellschaftliche Schweigespirale, dort dementspre-

chend jene Veränderungen bewirken würden, die nun im kleinen Rahmen auf Facebook zu

finden sind. Es sind mehrere mögliche Szenarien denkbar. So könnten Facebook bzw. soziale

Medien die Rolle eines dritten Meinungsklimas einnehmen. Gleichzeitig stellen sie aber auch

einen neuen Raum dar, der den Kontakt zwischen Individuum und Massenmedien verringert.

An dieser Stelle bedarf es weiterführender Überlegungen, die einerseits theoretischer Natur

sein sollten, aber auch von empirischen Ergebnissen unterstützt werden müssen. Die Arbeit

bietet somit zunächst nur eine Abbildung, die als Grundlage für ein weiteres Vorgehen dienen

kann. Dies gilt es für die Empirie zu beachten. In ihrer Reichweite bezieht sich diese Arbeit

somit vor allem auf aktive Nutzer der Seite Facebook, die in ihrer Typologie mit Themen von

gesellschaftlicher Bedeutung in Kontakt kommen. Darüber hinaus konnten jedoch auch wei-

tere Einordnungen vorgenommen werden. Bei einer Übertragung dieser Erkenntnisse in eine

gesamtgesellschaftliche Theorie der Schweigespirale, könnte vor allem die Anschlusskom-

munikation über jene Themen auf Facebook relevant sein.

Es ist nicht endgültig zu beantworten, in welchen Fällen tatsächlich eine Schweigespirale am

Werk ist oder Konformitätseffekte wie sozialer Anpassungsdruck. Möglich wären ein ver-

stärktes Auftreten von Konformitätseffekten innerhalb der eigenen Filter-Blase und eine

Schweigespirale in der Gesamtheit der digitalen Öffentlichkeit. Doch auch hier gilt es, diese

Effekte weiter zu betrachten, um somit ein klares Bild zu erhalten. Die Fragen bezüglich der

Aggregation kann nur die Empirie weiter beantworten. Dafür gelten die Überlegungen dieser

Arbeit als wichtige Voraussetzung. Auch auf theoretischer Ebene bedarf es erneut der kriti-

schen Betrachtung. So ist nicht eindeutig klar, welche Aspekte einer digitalen Schweigespi-

rale zur Verifikation oder Falsifikation selbiger führen. Ist die Theorie der öffentlichen Mei-

nung widerlegt, sobald einmal keine Schweigespirale auftritt? Oder bedeutet dies nur, dass

die Hilfshypothesen, die den harten Kern der Theorie umgeben, versagt haben? Die vorlie-

genden Ergebnisse deuten darauf hin. So scheinen die Grundprinzipien der Theorie nach wie

vor genug Plausibilität und Erklärungskraft zu besitzen, um soziale Gegebenheiten zu erklä-

ren. Doch punktuell muss die Theorie bei einer Übertragung auf Facebook von ihren Altlasten

105

befreit werden. Im Zuge dessen bedarf es wiederum der Ergänzung neuer Rahmenbedingun-

gen. Somit behält die Theorie ihren relevanten Charakter und zeigt sich zugleich als ausrei-

chend wandlungsfähig für notwendige Anpassungen. Eine grundlegende Verwerfung der

Theorie ist damit nicht notwendig. Stattdessen empfiehlt sich die Restauration.

Diese Arbeit konnte wichtige Erkenntnisse für die theoretische Betrachtung von Kommuni-

kationsprozessen auf sozialen Netzwerkseiten generieren. Dennoch ist anzumerken, dass in

manchen Aspekten kein endgültiges oder konkretes Ergebnis erreichbar ist. In vielen Fällen

zeigen sich widersprüchliche Ansätze, die weiterer Integration bedürfen. Ziel dieser Arbeit

war es jedoch nicht, jene Widersprüche vehement zu minimieren, sondern sie sichtbar zu

machen und für weitere Untersuchungen zu analysieren. Darüber hinaus ist es aufgrund der

Schnelllebigkeit von sozialen Netzwerkseiten (vgl. Kapitel 4.4.1), schwierig zu prognostizie-

ren, wie sich die zukünftigen Entwicklungen, auch in Hinblick auf die Gesamtgesellschaft,

gestalten werden. An dieser Stelle kann keine Nachfolgerin der Theorie der Schweigespirale

geboten werden. Stattdessen handelt es sich um die Identifikation relevanter Faktoren, welche

zum Beispiel im Rahmen eines Modells (vgl. Kapitel 5.5.1) anwendbar sind. Fraglich ist da-

bei, ob es überhaupt möglich ist, dieses komplexe Modell in der Realität gänzlich zu testen.

Bereits die Überprüfung einer „gewöhnlichen“ Schweigespirale gestalte sich schwierig (vgl.

Roessing 2009, 269). Daher empfiehlt sich zunächst, womöglich doch die Untersuchung ein-

zelne Aspekte dieser digitalen Schweigespirale, um daraus weitere Schlüsse über die Kom-

munikation im Internet zu ziehen. Somit könnte ein empirisch belegtes Gesamtbild der The-

orie der öffentlichen Meinung im Netz entstehen. Nichtsdestotrotz stellt diese Arbeit den

Anspruch, die Theorie in Gänze in den Kontext des Internet gehoben zu haben. Es wurde ein

ganzheitliches Bild über einzelne Teilaspekte hinaus analysiert. Die Identifizierung dieser

relevanten Randbedingungen kann dabei bereits einen wichtigen Teil dazu beitragen, die The-

orie der öffentlichen Meinung unter den gegenwärtigen Umweltbedingungen aufrechtzuer-

halten. Allerdings kommt sie vermutlich in selteneren Fällen zur Entfaltung als ursprünglich

vermutet. Ob diese theoretischen Überlegungen tragbar sind, wird hiermit zur Diskussion

gestellt und bedarf einerseits der weiteren Ergänzung durch Lösungsvorschläge für die vor-

liegenden Widersprüche und andererseits der näheren Betrachtung in der Praxis, durch die

Empirie. Es lässt sich an diesem Punkt jedoch bestätigen, dass die Theorie der öffentlichen

Meinung auch dabei hilft, Kommunikationsprozesse im Internet zu erklären.

106

Schlagwörter können in der Wissenschaft dazu beitragen, einer Theorie zu Popularität zu

verhelfen; so auch im Fall der Schweigespirale. Dennoch galt es, dieser mehr als 35 Jahre

alten Theorie kritisch zu begegnen, um den Tugenden des wissenschaftlichen Arbeitens ge-

recht zu werden. So konnte Noelle-Neumanns Theorie der Wissenschaft in den vergangenen

Jahrzehnten einen guten Dienst erweisen. Im Lichte neuer Lebenswelten galt es jedoch, sie

auf den theoretischen Prüfstand zu stellen. Dabei kamen Erkenntnisse zum Vorschein, die

eine Anpassung der Theorie bedingen, genauso wie Erkenntnisse, die sie in ihren Grundwer-

ten bestätigen. Gleichzeitig wurden diese Überlegungen vom Gedanken der Theorieverwer-

fung begleitet. Doch es zeigt sich, dass die Theorie der öffentlichen Meinung nach wie vor

ein relevantes Werkzeug zur Erklärung öffentlicher Kommunikationsprozesse ist. Jedoch un-

ter Vorbehalt wichtiger Anpassungen, die in dieser Arbeit erläutert wurden. Denn die Rah-

menbedingungen der Medienwelt des 21. Jahrhunderts gehen nicht spurlos an ihr vorbei. Es

zeigt sich, dass der Einbezug neuer Variablen eine wichtige Aufgabe in der Forschung zur

Schweigespirale spielen muss. Dabei empfehlen sich die Überlegungen dieser Arbeit als

wichtiger Bezugspunkt. Zur Anwendung auf den Untersuchungsgegenstand Facebook emp-

fiehlt sich der Begriff einer „algorithmisierten Schweigespirale“.

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Ehrenwörtliche Erklärung

Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Abschlussarbeit in allen Teilen selbständig ver-

fasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel (einschließlich elektro-

nischer Medien und Online-Quellen) benutzt habe. Alle wörtlich oder sinngemäß übernom-

menen Textstellen habe ich als solche kenntlich gemacht.

Peine, den. 31.12.2015