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SWISSEXPORT JOURNAL 2. Quartal 2017 [ 8 ] DIE TRADITION DER INNOVATION Carsten K. Rath Das kann uns Angst machen – wir können diese Chance aber auch begrüssen. Denn in dem Handlungsfeld, auf das es in Zukunft am meisten ankommt, ist Umdenken, Neudenken, Weiterdenken Pflicht, und zwar schon im- mer: Innovation ist der Ursprung und der Kern jeder Un- ternehmung. Das Land der Pioniere Die gute Nachricht ist: Die Innovation ist eine der gröss- ten Schweizer Traditionen. Denn die Schweiz ist auch ein Land der Pioniere. Der Schweizer César Ritz etwa ist der grösste Innovator, den die Hospitality-Branche je gesehen hat. Sein Genie prägt bis heute die Philosophie von Premi- um-Marken überall auf der Welt. Wie später auch andere Grandhoteliers hat er Errungenschaften etabliert, die heute ganz selbstverständlich zu unserem Lebensstan- dard gehören. Weil Grandhoteliers sich traditionell als Erste getraut haben, was kein Mensch für möglich oder sinnvoll hielt – und César Ritz ist der Urvater dieser In- novationskraft. Als Erster überhaupt hat er elektrisches Licht in einem Gebäude installiert, um nur eine seiner zahlreichen Innovationen zu nennen. Schweizer Unternehmen geniessen weltweit einen exzellenten Ruf. Qualität hat hier Tradition. Das ist ein Pfund, mit dem die Führung jedes Schweizer Unterneh- mens international wuchern kann. Doch Tradition ist im Wettbewerb nicht alles: Die Digitalisierung stellt ganze Märkte auf den Kopf – einen nach dem anderen. Die Ver- änderungsprozesse, die sie angestossen hat, sorgen in bei- nahe allen Branchen für grosse Verunsicherung. Plötz- lich schiessen Konkurrenten aus dem Boden, die selbst Platzhirsche mit jahrzehntealter Tradition das Fürchten lehren. Sie zwingen uns umzudenken – bei unseren Pro- dukten, unseren Services und auch bei der Art, wie wir führen. EIN UNTERNEHMEN ZU FÜHREN, HEISST GLEICHZEITIG EINEM RUF GERECHT ZU WERDEN UND AM PULS DER ZEIT ZU SEIN. WAS GEHT VOR: TRADITION ODER INNOVATION? DIE ANTWORT HAT IMMER NUR EINER: DER KUNDE.

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Die TraDiTion Der innovaTion Carsten K. Rath

Das kann uns Angst machen – wir können diese Chance aber auch begrüssen. Denn in dem Handlungsfeld, auf das es in Zukunft am meisten ankommt, ist Umdenken, Neudenken, Weiterdenken Pflicht, und zwar schon im-mer: Innovation ist der Ursprung und der Kern jeder Un-ternehmung.

Das Land der PioniereDie gute Nachricht ist: Die Innovation ist eine der gröss-ten Schweizer Traditionen. Denn die Schweiz ist auch ein Land der Pioniere. Der Schweizer César Ritz etwa ist der grösste Innovator, den die Hospitality-Branche je gesehen hat. Sein Genie prägt bis heute die Philosophie von Premi-um-Marken überall auf der Welt. Wie später auch andere Grandhoteliers hat er Errungenschaften etabliert, die heute ganz selbstverständlich zu unserem Lebensstan-dard gehören. Weil Grandhoteliers sich traditionell als Erste getraut haben, was kein Mensch für möglich oder sinnvoll hielt – und César Ritz ist der Urvater dieser In-novationskraft. Als Erster überhaupt hat er elektrisches Licht in einem Gebäude installiert, um nur eine seiner zahlreichen Innovationen zu nennen.

Schweizer Unternehmen geniessen weltweit einen exzellenten Ruf. Qualität hat hier Tradition. Das ist ein Pfund, mit dem die Führung jedes Schweizer Unterneh-mens international wuchern kann. Doch Tradition ist im Wettbewerb nicht alles: Die Digitalisierung stellt ganze Märkte auf den Kopf – einen nach dem anderen. Die Ver-änderungsprozesse, die sie angestossen hat, sorgen in bei-nahe allen Branchen für grosse Verunsicherung. Plötz-lich schiessen Konkurrenten aus dem Boden, die selbst Platzhirsche mit jahrzehntealter Tradition das Fürchten lehren. Sie zwingen uns umzudenken – bei unseren Pro-dukten, unseren Services und auch bei der Art, wie wir führen.

Ein UntErnEhmEn zU führEn, hEisst glEichzEitig EinEm rUf gErEcht zU wErdEn Und am PUls dEr zEit zU sEin. was gEht vor: tradition odEr innovation? diE antwort hat immEr nUr EinEr: dEr KUndE.

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SCHWERPUNK T > Zukunftsfähige Geschäftsmodelle – neue Marktpotenziale

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César Ritz hat einen Standard für Kundenbegeisterung gesetzt, der bis heute gültig ist – und zwar weit über seine eigene Branche hinaus – , indem er umdachte, neu dach-te, weiterdachte. Er war nicht nur der König der Hoteliers und der Hotelier der Könige, sondern auch einer der Be-gründer jener Schweizer Tradition der Innovation. Wie ist ihm das gelungen? César Ritz hat das vielleicht wichtigste Führungsprinzip für Innovation erkannt und zum Mass aller Dinge erhoben: «Der Kunde irrt nie.» Ein Prinzip, das uns auch in den gegenwärtigen Verände-rungsprozessen leiten kann, um unsere Innovationsfä-higkeit sicherzustellen.

Kundenorientierung in jedem DetailAls ich das Hotel Kameha Grand Zürich eröffnet habe, stand ich vor der Frage: Wie sieht ein zeitgemässes Grand-hotel in der Schweiz heute aus? Welche Traditionen kann es fortführen, welche Innovationen integrieren? Auf der Suche nach Antworten hielt ich mich an César Ritz’ Prin-zip: Die Antwort hat immer mein Gast, der Kunde. Ich er-hob sie zum Führungsprinzip, zum Service-Prinzip und zum Kern der gesamten Unternehmung. Bis ins kleinste Detail hinein. Denn wenn Innovation das Ziel der Füh-rung ist, dann muss sie bis in die kleinste Verästelung des Unternehmens dringen, um wirken zu können. Eine der Detailfragen, die ich mir und meinen Mitar-beitern stellte: Braucht ein Grandhotel heute eine Mini-Bar auf den Zimmern? Als ich das zum ersten Mal aus-sprach, erntete ich dafür ein Dutzend irritierte Blicke aus der Runde. Ich pochte trotzdem darauf, diese Frage im Sinne von César Ritz zu beantworten. Im Kameha Grand Zürich gibt es keine klassischen Mini-Bars in den Zim-mern und Suiten. Stattdessen gibt es erstens typgerechte Getränkepakete, die wir vor der Anreise abfragen. Zwei-tens gibt es den 24-Stunden-Room-Service. Und drittens steht auf dem Flur ein Getränkeautomat. Ja, ein Getränkeautomat. Ich bin davon überzeugt: Luxus ist eine Frage der Wahlfreiheit. Und die bedient ein Automat viel besser als eine Mini-Bar, wenn der Gast nicht im Bademantel durch die Lobby laufen oder auf den Room Service warten will. Als Vortragsredner und Managementberater bin ich selbst ständig in Hotels zu Gast. Auch ich bin Kunde. Und aus dieser Perspektive fiel mir auf, dass das Konzept Mini-Bar nicht so recht zum Bedarf passt. Was steht da normalerweise drin? Ein Wein, ein Bier, eine Cola, ein Saft. Vielleicht sind es auch zehn Flaschen – das Prinzip Giesskanne. Aber so gross ist keine Mini-Bar, dass sie alle möglichen Wünsche abdecken könnte. Genau darum geht es aber. Der Gast will nicht die Mini-Bar an sich. Der Gast will in einem Hotel, zumal einem Grand Hotel, jederzeit trinken und essen können, wonach ihm der Sinn steht. Das ist der Bedarf – und des-halb ist das zu gewährleisten auch die Führungsaufgabe. Dieses Prinzip gilt genauso in jeder anderen Branche. Menschen wollen nicht mehr reisen – sie wollen ankom-

men. Menschen brauchen nicht mehr zwingend Autos – sie brauchen Mobilität. Menschen sind in Zeiten des Smartphones nicht mehr auf eine Uhr angewiesen, um die Zeit abzulesen, doch sie haben gerade im Zeitalter der Virtualität sehr wohl ein Bedürfnis nach Präzisionsarbeit und Qualitätshandwerk. Menschen kaufen heute nicht aus Prinzip «Made in China», aber sehr wohl immer noch aus Prinzip «Made in Switzerland». Denn eines hat sich nicht geändert und wird sich auch in Zukunft nicht ändern: Der Kunde irrt nie. Der Kunde ist der Massstab für jede Innovation, denn er trifft seine Entscheidung unabhängig. Und genau so sollten wir auch unsere treffen. Nicht unabhängig von Einflüssen, Erfahrungen, Umständen. Das wäre unrealis-tisch. Aber unabhängig von Denkverboten.

Innovation braucht Mut Ich glaube, dass Innovation in Wahrheit nicht auf der Führungsetage gemacht wird, sondern im Laden, am Verhandlungstisch, an der Rezeption und im Internet-shop – im Kundenkontakt. Wenn es um Innovation geht, trifft eigentlich nicht die Führung die Entscheidungen, sondern der Kunde. Ihm eine Wahl geben: Das ist die Füh-rungsaufgabe. Von den Pionieren wie César Ritz können wir lernen, diese Aufgabe proaktiv anzugehen: • Erstens Innovationschancen identifizieren, indem auf

den Prüfstand kommt, was «schon immer so gemacht» wurde.

• Zweitens dem Gast eine Wahl geben. • Drittens die Wahl des Gasts akzeptieren und über alle

Einwände stellen. Und bei all dem: mutig sein, ausprobieren, Risiken ein-gehen. Denn Gegenstimmen wird es immer geben. Neue Ideen anzupassen, bis es keine Einwände mehr gibt: Das ist ein Spiel, das wir verloren haben, sobald wir uns da-rauf einlassen. Denn dann geht es plötzlich nicht mehr darum, etwas zu verändern, sondern darum, sich anzu-passen. Ähnlicher zu werden, gleicher, austauschbarer. Wenn die Einwände im Vordergrund stehen, rücken die Ideen in den Hintergrund. Den Kunden interessieren die Einwände nämlich nicht. Den Kunden interessiert nur das Ergebnis. So manche Tradition steht heute aus gutem Grund auf dem Prüfstand. Doch Innovation ist eine Tradition, auf die wir stolz sein können. Übrigens hat sich bei mir noch nie ein Gast über die fehlende Mini-Bar beschwert. Und die Getränkeautoma-ten auf den Fluren erfreuen sich grosser Beliebtheit – und guter Umsätze. Der Kunde hat entschieden, und der Kunde irrt nie.

Der Entrepreneur Carsten K. Rath ist viel gefragter Keynote-Speaker und Autor zu den Themen Führung und Service. Rund um den Globus hat er Tausende Mit-arbeiter geführt und gibt als Vortragsredner den unter-schiedlichsten Unternehmen Impulse für Kundenbegeis-terung. Als Managementberater ist er auf Vorstands- und Geschäftsführungsebene international geschätzt und geniesst das Vertrauen erfolgreicher Führungskräfte.