Die ungewöhnliche Vita eines Architekten der Moderne · dem „Modulor“ baute, hatte sicher...

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Bauwelt 28 | 2008 18 Thema Claude Laurens Bauwelt 28 | 2008 19 Die ungewöhnliche Vita eines Architekten der Moderne Zum Leben und Werk des Architekten Claude Laurens Text: Johan Lagae Zweifellos steht Claude Laurens ein Platz in der Architektur- geschichte zu, nicht wegen der Anzahl seiner Projekte, son- dern wegen ihrer Qualität. Von 1934 an hat er, abgesehen von einigen Möbeln, 106 Bauten entworfen, von denen aber nur etwa ein Drittel realisiert wurde, denn Laurens hat das Recht für sich in Anspruch genommen, die Bedingungen für die Pla- nung und Realisierung selbst zu bestimmen. Es gibt eine ganze Reihe von Projekten, von denen er sich zurückgezogen hat, ob- wohl sie schon bis zur Ausführungsplanung gereift waren. Diese Rigorosität spricht für ihn. Die uns eher bekannten Ent- würfe stammen aus den Jahren 1947 bis 1952 und zeigen Be- züge zu Le Corbusier, dem „grand guide“ jener Epoche. Den- noch schreibt Claude Gérard 1952 im Editorial zu einer Claude Laurens gewidmeten Ausgabe der belgischen Zeitschrift „Ar- chitecture“: „Immer wieder ist man berührt von der tief emp- fundenen Menschlichkeit, die alle Bauten von Claude Laurens auszeichnen, weshalb sie auch weit entfernt sind von jenen Wohnmaschinen, die den einfachen Mann das Fürchten leh- ren. Es sind, zugegebenermaßen, Maschinen zum Wohnen, aber was für bewunderungswürdige Maschinen! Hier fügen Das schmale Appartement- gebäude JEA in der Avenue Jeanne im Stadtteil Ixelles, errichtet 1949–50, erfuhr kaum Veränderungen. Das Nachbarhaus rechts musste einem Neubau weichen. Johan Lagae ist Bauhistori- ker an der Universität Gent. Obergeschoss im Maßstab 1:333 Fotos: Archiv Laurens sich das große und das kleineVolumen zu einer perfekten Har- monie, hier hat die Poesie ihren Platz, hier tragen Farben und Materialien zu Entspannung und Wohlbefinden bei.“ Irgend- wann später hat Laurens dann sein eigenes Vokabular entwi- ckelt, bei dem er auf zurückhaltende, wenn auch raffinierte Weise ein Credo verwirklichte, das alles andere als rhetorisch war: „Architektur“, so Laurens, „besteht aus einem durchdach- ten Konzept, aus logischer Planung und dem Wissen um die Gesetzmäßigkeiten der Konstruktion.“ Seine Bauten überzeu- gen durch eine „gewöhnliche Moderne“, denn er hielt sich fern von allen utopischen Ansprüchen der Avantgarde. „Ich hatte keine Leitsätze zu vermitteln“, sagte er zu mir in einem späten Gespräch. Es gibt keinerlei Bruch in seinem Werk, doch wenn man es als Historiker betrachtet, stechen zwei Epochen hervor: zum einen sein besonderer Weg durch die Moderne in Paris während der dreißiger und vierziger Jahre, zum anderen sein Wirken im ehemaligen Belgisch-Kongo, wo seine Bauten für jeden, der sich mit der wenig publizierten Geschichte der kolonialen Architektur in der heutigen Demokratischen Re- publik Kongo befassen will, eine Art Wegweiser sind. Tatsache Von Johan Lagae und Denise Laurens erschien 2001 die Veröffentlichung „Claude Lau- rens. Architecture. Projets et Réalisations“ (Nr. 53–54 in der Reihe Vlees & Beton an der Universität Gent).

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Bauwelt 28 | 200818 Thema Claude Laurens Bauwelt 28 | 2008 19

Die ungewöhnliche Vita eines Architekten der ModerneZum Leben und Werk des Architekten Claude LaurensText: Johan Lagae

Zweifellos steht Claude Laurens ein Platz in der Architektur-geschichte zu, nicht wegen der Anzahl seiner Projekte, son-dern wegen ihrer Qualität. Von 1934 an hat er, abgesehen von einigen Möbeln, 106 Bauten entworfen, von denen aber nur etwa ein Drittel realisiert wurde, denn Laurens hat das Recht für sich in Anspruch genommen, die Bedingungen für die Pla-nung und Realisierung selbst zu bestimmen. Es gibt eine ganze Reihe von Projekten, von denen er sich zurückgezogen hat, ob-wohl sie schon bis zur Ausführungsplanung gereift waren. Diese Rigorosität spricht für ihn. Die uns eher bekannten Ent-würfe stammen aus den Jahren 1947 bis 1952 und zeigen Be-züge zu Le Corbusier, dem „grand guide“ jener Epoche. Den-noch schreibt Claude Gérard 1952 im Editorial zu einer Claude Laurens gewidmeten Ausgabe der belgischen Zeitschrift „Ar-chitecture“: „Immer wieder ist man berührt von der tief emp-fundenen Menschlichkeit, die alle Bauten von Claude Laurens auszeichnen, weshalb sie auch weit entfernt sind von jenen Wohnmaschinen, die den einfachen Mann das Fürchten leh-ren. Es sind, zugegebenermaßen, Maschinen zum Wohnen, aber was für bewunderungswürdige Maschinen! Hier fügen

Das schmale Appartement-gebäude JEA in der Avenue Jeanne im Stadtteil Ixelles, errichtet 1949–50, erfuhr kaum Veränderungen. Das Nachbarhaus rechts musste einem Neubau weichen. Johan Lagae ist Bauhistori -ker an der Universität Gent.

Obergeschoss im Maßstab 1:333Fotos: Archiv Laurens

sich das große und das kleineVolumen zu einer perfekten Har-monie, hier hat die Poesie ihren Platz, hier tragen Farben und Materialien zu Entspannung und Wohlbefinden bei.“ Irgend-wann später hat Laurens dann sein eigenes Vokabular entwi-ckelt, bei dem er auf zurückhaltende, wenn auch raffinierte Weise ein Credo verwirklichte, das alles andere als rhetorisch war: „Architektur“, so Laurens, „besteht aus einem durchdach-ten Konzept, aus logischer Planung und dem Wissen um die Gesetzmäßigkeiten der Konstruktion.“ Seine Bauten überzeu-gen durch eine „gewöhnliche Moderne“, denn er hielt sich fern von allen utopischen Ansprüchen der Avantgarde. „Ich hatte keine Leitsätze zu vermitteln“, sagte er zu mir in einem späten Gespräch. Es gibt keinerlei Bruch in seinem Werk, doch wenn man es als Historiker betrachtet, stechen zwei Epochen hervor: zum einen sein besonderer Weg durch die Moderne in Paris während der dreißiger und vierziger Jahre, zum anderen sein Wirken im ehemaligen Belgisch-Kongo, wo seine Bauten für jeden, der sich mit der wenig publizierten Geschichte der kolonialen Architektur in der heutigen Demokratischen Re-publik Kongo befassen will, eine Art Wegweiser sind. Tatsache

Von Johan Lagae und Denise Laurens erschien 2001 die Ver öffentlichung „Claude Lau-rens. Architecture. Projets et Réalisations“ (Nr. 53–54 in der Reihe Vlees & Beton an der Universität Gent).

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Das Haus EFF in Fond-Roy bei Brüssel errichtete Laurens 1947–48 für eine Familie mit sieben Kindern. Auch einige Möbel stammen von Laurens.Rechts: Das Gebäude musste einem Neubau weichen.

Grundrisse im Maßstab 1:333 Fotos: Archiv Laurens, Foto rechts: Johan Lagae

ist, dass Laurens einer der wenigen Architekten war, die wäh-rend der fünfziger Jahre in Léopoldville (seit 1966 Kinshasa) Bauten errichteten, die nationales, wenn nicht gar internatio-nales Renommee beanspruchen durften. Seine Skizzen und Projekte sind beispielhaft für jenen verführerischen „Moder-nisme tropical“, der während der fünfziger Jahre die dortige Stadtlandschaft prägte.

Claude Laurens wurde 1908 in Paris geboren, wo er inmit-ten der künstlerischen Avantgarde aufwuchs, denn sein Vater war der Bildhauer Henri Laurens, zu dessen Freunden Pablo Picasso, Georges Braque, Henri Matisse und Fernand Léger zähl-ten. Zudem gehörte Le Corbusier, der zwar von Beruf Archi-tekt, aber in der Seele Künstler war, quasi zum Kreis der Fami-lie. 1932 beschloss Claude Laurens, auch Architekt zu werden. Seine Ausbildung führte ihn durch verschiedene Ateliers, zu-erst in das von George Nelson, einem Amerikaner, der in Paris studiert hatte und ein Freund von Georges Braque war. Als erste Aufgabe musste er die Modelle zu dessen „Cité hospita-lière de Lille“ fertigen, fotografiert wurden sie dann von Man Ray, erschienen sind sie in den berühmten Cahiers d’Art. 1933 wechselte Laurens zu Pierre Forestier, einem französischen Ar-chitekten, und arbeitete dort an der Ausführungsplanung für die „Cité Sanitaire de Clairville“ in Salignac, ein Thermalbad mitten in einer erstaunlich modernen Anlage, die aus achtzig Pavillons, einem Krankenhaus, einem Heim für 200 Personen und allen dazu nötigen Serviceeinrichtungen bestand. Hier konnte er erstmalig auch den Bauverlauf aus der Nähe beob-achten. Bei William Vetter, seiner nächsten Station, war er am Wettbewerb für das „Kantonsspital Zürich“ beteiligt und in die Planung des Krankenhauses „Louis Pasteur de Colmar“ einbe-zogen. Bis hierhin war alles, was ihm beigebracht wurde, eine Art Funktionalismus hoher Schule, denn seine Lehrer führten

ihn in eine methodische Auseinandersetzung mit Nutzungs-programmen ein, sie erklärten ihm die Logik struktureller Pla-nung und ließen ihn zusehen, wie man eine Baustelle bestmög-lich organisiert, dabei beriefen sich alle auf Auguste Perret.

Laurens wechselte weiter, diesmal zu einem Architekten polnischer Herkunft, der Bruno Elkouken hieß und zur soge-nannten „Ecole de Paris“ gerechnet wurde. Während der drei-ßiger Jahre baute Elkouken eine Reihe von Appartementhäu-sern in Montparnasse, was damals als erste Adresse für Pariser Intellektuelle und Künstler galt. Außerdem war er Hausarchi-tekt von Helena Rubinstein. 1934 bearbeitete Claude Laurens seine ersten eigenen Projekte. Es handelte sich um eine kleine Villa, einen Theatersaal und ein Kino, nichts wirklich Spek-takuläres, und doch zeigten diese ersten Fingerübungen so viel Entwurfssicherheit und Fertigkeit, dass er 1935 von der Galerie „Cahiers d’Art“ in die Ausstellung „Jeunes Architectes“ aufgenommen wurde, seine Blätter hingen neben denen von

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Ursprünglich war der Air-Ter- mi nus als Teil des Großpro-jekts „Hotel Aviamar“ ge- plant gewesen, das Laurens ebenfalls entworfen hat. Die Hapt- und Rückfassade sind unverändert geblieben. Letz-tere hat eine vorgesetzte Be-ton-Rahmenkonstruktion, die für eine gute Verschattung sorgt.

Grundrisse im Maßstab 1:500Fotos: Archiv Laurens, kleine Fotos von 2008: Etienne Kokolo

Charlotte Perriand und Jacques Bossu, neben denen des visio-nären Robert le Ricolais, neben Tecton (gegründet von Berthold Lubetkin) und GATEPAC (der spanischen Sektion von CIAM).

1936 verdingt sich Claude Laurens am „Musée d’Ethno-graphie du Trocadéro“. 1938 wird das Museum im rechten Flü-gel des Palais de Chaillot untergebracht und am Tag der Neu-eröffnung in „Musée des Hommes“ umbenannt. Zusammen mit Robert Pontraby und Marcel Gautherot war Laurens für die Einrichtung zuständig, was ihn in engen Kontakt mit Paul Rivet, damals Direktor des Museums, und dessen Assistenten Jacques Soustelle und Georges-Henri Rivière brachte. Pontraby, Gautherot und Laurens entwickelten einen völlig neuen mu-sealen Ansatz, der die Ausstellungsstücke in einen kontextu-alen Zusammenhang stellte. Die Organisation des Museums wurde auf einem Globus in der Eingangshalle abgebildet, in allen Sälen hingen große Reliefkarten. Der einzige architekto-nische Eingriff bezog sich auf den Vortrags- und Kinosaal: Hier konnte Laurens die technisch verbesserte Lösung seines Thea-tersaals von 1934 beisteuern, wobei er sich diesmal vor allem um die Akustik kümmerte. Mit einer abgehängten, sich ver-jüngenden dunklen Decke löste er das akustische Problem, gab dem Raum eine überzogene Perspektive und konnte zu-dem noch eine indirekte Beleuchtung unterbringen. Das Drei-gespann Pontraby, Gautherot und Laurens hat unzählige Aus-stellungen organisiert, sowohl im Rahmen des „Musée des Hommes“ als auch außerhalb. 1939 entwarf Laurens, wieder zusammen mit Pontraby, den Stand für den französischen Pa-villon auf der „Exposition internationale de la Technique de l’Eau“ in Lüttich. Und noch im gleichen Jahr kam der Auftrag von Paul Grimard, dem Regisseur und Produzenten vieler be-rühmter Animationsfilme, für ihn ein Filmstudio zu bauen. Dieses Mal beteiligte Laurens die Architekten Frantz Philippe

Jourdain und André Louis. Die komplexe Aufgabe, bei der eine Anzahl in sich abgeschlossener Einheiten bewältigt werden musste, löste er nach dem Muster von Paul Nelson mit Organi-grammen und entwarf eine Reihe von Modulen, die, durch Rampen und Galerien miteinander verbunden, zu einem faszi-nieren den Raumgefüge zusammenwuchsen, um dann in einen Kinosaal einzumünden.

Während des Kriegs reiste Claude Laurens eine Zeit lang durch die Schweiz. Dort traf er den Architekten Bruno Giaco-metti, den Bruder von Alberto und Diego. Wen er auch häufig sah, war Alfred Roth. Im Juni 1945 gab ihm das Züricher „Bu-reau Technique de la Reconstruction“, für das er damals gerade arbeitete, den Auftrag, das Jugendheim „Clair-Foyer“ in der Nähe von Brüssel zu bearbeiten, und mit diesem Projekt, das in einem Buch über die Typologien von Bauten für die Jugend veröffentlicht wurde, begann seine „belgische Karriere“. Lau-rens ließ sich Anfang 1946 in Brüssel nieder und eröffnete ein eigenes Büro. Was ihn nicht hinderte, sich im gleichen Jahr bei der „Union des Artistes Modernes“ (U.A.M.) in Paris einzu-schreiben. Zu den Aufträgen in den Jahren 1946 bis 1950 ge-hörten vor allem Einfamilien- und Appartementhäuser am Rande von Brüssel oder Projekte im Rahmen des Wiederauf-bauprogramms. Gleich nach dem Jugendheim „Clair-Foyer“ übernahm er 1946 den Auftrag für einen Wohnkomplex, 1947 für ein Sanatorium, 1949 für eine Poliklinik. Bei allen drei Pro-jekten kam ihm seine zuvor im Bereich Gesundheitsbauten er-worbene Professionalität im Umgang mit den Elementen der Moderne zugute, die als der letzte Schrei galten: schräge Pfei-ler, Dachterrassen usw. Die Planung für Siedlungen, die als Ersatz für ausgebombte Familien geplant wurden, unterlag ei-nem strengen Regelwerk, trotzdem gelang es Laurens, heiter an-mutende, abwechslungsreiche Ensembles zu entwerfen. Zwar

Das 1955 in Kinshasa fertig-gestellte Gebäude mit zweige-schossiger Lamellenfassade entstand als Air-Terminus für die belgische Fluglinie. Das Erdgeschoss nutzt heute die Kongolesische Fluglinie.

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Der Treppenturm wurde auf gesamter Höhe mit offenen Steinelementen versehen, die die Durchlüftung gewährleis-ten. Den Sockelbau ziert eine für Laurens typische geschwun-gene Wand aus Bruchstein-mauerwerk.Noch heute sind die beiden Wohntürme in einem guten Zustand.

Fotos: Archiv Laurens, kleine Fotos 2008: Etienne Kokolo

stellte er die Häuser in Reihen auf, aber die Reihen waren un-terschiedlich lang und nie parallel. Gegen die Uniformität der Fassaden ging er mit Vor- und Rücksprüngen an und setzte auf Materialwechsel.

Bei den meisten Häusern schlug er isolierende Elemente in „Durisol“ vor, einem Material, das er sehr gut kannte, weil er für dessen Hersteller schon öfter Messestände entworfen hatte. Bei manchen seiner Bauten lässt er diese vorgefertigten Elemente sogar formal dominieren, zum Beispiel bei dem Pro-jekt „Claire-Foyer“ und beim „Maison VIV“ von 1946, das auf der Brüsseler „Exposition de l’habitation préfabriquée“ gezeigt werden sollte, aber am Ende nur als Anbau an ein existieren-des Wohnhaus realisiert wurde. Bei diesem Haus diktiert das Material die Formsprache: In ein hölzernes Fachwerk einge-fügt, verketten sich Durisol-Elemente und Ständer zu einem eindrucksvollen Linienspiel. Zwischen 1946 und 1950 baute Laurens zahlreiche Einfamilienhäuser, sie reichen von beschei-denen Behausungen bis zur großen Villa. Das Maison EFF (Seite 20) zum Beispiel begeisterte Fernand Léger, aber auch die nationale und internationale Fachpresse wurde auf Lau-rens’ Häuser aufmerksam. Allmählich festigte sich sein Ruf.

Obwohl jedes einzelne Haus exakt auf die Bedürfnisse der Bauherren abgestimmt war, ging Laurens bei all seinen Häusern auf die essentiellen Forderungen der frühen Mo-derne ein: Licht, Grün und offene Räume. Auch bei kleineren Häusern gab es immer große Fensterflächen, die das Grün nach innen ziehen, wurden die Zimmer durch Terrassen nach außen vergrößert, gruppierten sich fast alle Wohnräume um einen Kamin.

Dass er nach „Maßreglern“ und manchmal auch nach dem „Modulor“ baute, hatte sicher damit zu tun, dass in den Jahren 1948/49 zwei ehemalige Mitarbeiter von Le Corbusier

in seinem Büro gearbeitet haben. Zwischen 1949 und 1950 baute Laurens das Appartementhaus in der Avenue Jeanne in Brüssel, sein wahrscheinlich bekanntestes Werk (Seite 18). Das Haus stellt seine Materialien zur Schau (zum Beispiel grob gefügtes Bruchsteinmauerwerk am Eingang) und scheint sich lässig zwischen die benachbarten Altbauten zu schieben. So der erste Eindruck. Beim näheren Hinsehen erkennt man je-doch die ausgeklügelte Formsprache in den Proportionen der Fassade und in dem Rücksprung zwischen Straße und Entree, mit dem so etwas wie eine Anpassung an die Nachbarn ange-deutet wird. Geht man die Rue Jeanne entlang, springt das Gebäude zwar ins Auge, aber es beherrscht die Straße nicht. Präsenz ohne Aufsehen – das ist die Eigenschaft, die seine bes-ten Bauten auszeichnet.

Zwischen 1946 und 1948 entstehen die ersten Möbelent-würfe, eine Serie von Stühlen und Sesseln, ein Speisezimmer-tisch, ein Lehnstuhl und ein Salontisch. Ursprünglich hatte Laurens die Möbel für bestimmte Räume entworfen, aber sie tauchen später in anderen Projekten wieder auf. Es sind ge-wissermaßen Prototypen, denn Laurens hat immer wieder daran gefeilt. 1953/54 kommen noch ein Geschirrbord, weitere Stühle und zwei Tische hinzu, einige Jahre später entwirft er für sein eigens Büro einen großen Arbeitstisch und eine Regal-wand. Alle seine Möbel gehen auf reale Grundrisse ein, des-halb gab es für ihn auch nie den Gedanken, sie seriell fertigen zu lassen. Das erklärt auch, warum es so wenige sind. Außer-dem hat Laurens immer mit schweren Hölzern gearbeitet und auf handwerkliche Verbindungen geachtet. Nirgendwo, weder bei den Stuhlbeinen und Armlehnen, noch bei Tischplatten, ist eine Bemühung zu erkennen, die Profile zu minimieren. Kurz gesagt, seine Möbel sind schwer, im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. Dennoch wirken sie elegant, dank ihrer

Die wohl wichtigsten Gebäude von Laurens im Kongo ent-standen 1954 in Kinshasa: die zwei 60 Meter hohen Türme mit Appartements für die Mit-arbeiter der belgischen Flug-linie Sabena. Die ursprüngli-che Planung hatte drei Türme vorgesehen.

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Eigens für die zwei Türme wurden Studien zur bestmög- li chen Verschattung und zur Durchlüftung angefertigt. Alle Wohnungen sind als Maiso-net tes konzipiert. Die Erschlie-ßung für jeden Turm befin -det sich in einem separat ste-henden Gebäudeteil, der über ei nen Laubengang angebun-den ist.

ausgewogenen Proportionen. Ähnlich wie Charlotte Perriand, die zum Atelier Le Corbusier gehörte, setzte auch Laurens auf eine sinnliche Linienführung und weiche, griffige Materialien (Stoff, Leder, Lamm- oder Kuhhäute).

Im Jahr 1951 reiste Laurens im Auftrag der staatlichen Fluggesellschaft Sabena in den Kongo, zu der Zeit noch bel-gische Kolonie, und entdeckte dort für sich ein neues Tätig-keitsfeld. Zwischen 1951 und 1960 arbeitete er an 32 Großpro-jekten, vornehmlich im Raum Léopoldville. Es handelte sich um Hochhäuser, Banken, Parkhäuser und Erholungszentren, zum Beispiel der „Cercle de Léopoldville“ oder das „Centre Culturel“. Außerdem hatte ihn die Sabena mit Recherchen für einen Flughafen in Coquilhatville/Mbandaka beauftragt und ihm weitere wichtige Projekte in Léopoldville anvertraut. Dazu kamen Aufträge von anderen belgischen Unternehmen. Obwohl er so viele Baustellen zu betreuen hatte, hatte Laurens nie einen Wohnsitz im Kongo, er zog es vor, zu kommen und zu gehen.

Im Prinzip galten im Kongo die gleichen Normen wie in Belgien. Anfang der fünfziger Jahre hatte man sich in der Kolo-nie, vornehmlich in Léopoldville, um eine Professionalisierung der Bautätigkeit gekümmert, so dass die Ausführungsbestim-mungen mit denen in Europa vergleichbar wurden, gut zu er-kennen an den sechzig Meter hohen Wohntürmen, die Lau-rens 1953/54 im Auftrag von Sabena baute. Erleichtert wurde ihm die Ausführung dadurch, dass jetzt mehr und mehr be-kannte Baumaterialien zur Verfügung standen. Um dem tropi-schen Klima zu begegnen, bestand Laurens auf widerstandsfä-higen Materialien: Verblendungen mit einer Quarzoberfläche, tragende Wandscheiben aus Bruchstein, Türen und Fenster aus anodisiertem Aluminium oder Edelstahl, Sonnenschutz-elemente aus Aluminium oder Beton.

Auch andere belgische Kolonialstädte haben sich bei ihren städtebaulichen Entscheidungen von den Normen ihres Hei-matlandes leiten lassen, mit anderen Worten, der Aufbau von Léopoldville unterlag einem strengen Reglement. Obwohl er die geltenden Regeln beachtete, nutzte Laurens den verbliebe-nen Spielraum, um zu Entwürfen zu gelangen, deren Formen und Volumen mit einer erstaunlichen Leichtigkeit daherkom-men. Die Wohnkomplexe „VANG“ von 1955 und „Belgika-So-dexcom“ von 1956/57 sind Beispiele für seinen virtuosen Um-gang mit Traufhöhen und Fassadenregeln. Gleiches gilt auch für das Hotel „Le Miramar“ von 1956/57 in Brüssel (Seite 36). Trotz der erwähnten Anpassungen blieb das Bauen im Kongo weiterhin etwas fundamental anderes als das, was man in Bel-gien darunter verstand. „Im Kongo muss der Architekt vieles vergessen, was er in Europa gelernt hat“, schrieb Laurens 1953 in einem Artikel, der mit „Vers une nouvelle architecture au Congo Belge“ überschrieben war, „denn er muss den Umgang mit den Bedingungen, die ihm das Land vorgibt, erst lernen. Er muss die Probleme in dem anderen Land anders durchdenken und trotzdem alles berücksichtigen, was sich an neuen Tech-niken, neuen Materialien (...) und neuen Lüftungsmöglichkei-ten bietet.“ Seine Haltung wurde damals von der internationa-len Fachpresse geteilt, sofern sie sich überhaupt mit dem Bauen in tropischen Regionen beschäftigte. Man war der Auf-fassung, die Claude Laurens übrigens teilte, dass aus den ein-heimischen Bautraditionen nichts zu gewinnen war und dass es vor allem darum gehen müsse, für das tropische Klima bau-technisch adäquate Lösungen zu finden. Schon in den drei-ßiger Jahren hatten einige Architekten – Le Corbusier in Alge-rien, Antonin Raymond in Indien und Oscar Niemeyer, Affonso Reidy und Lucio Costa in Brasilien – gezeigt, wie die Antwor-ten der modernen Architektur in heißen Klimazonen aus-

sehen könnten. Ihre Entwürfe waren gewissermaßen Vorrei-ter für eine Architektur unter tropischer Sonne, für die die wissenschaftlichen Grundlagen erst in den vierziger Jahren nachgeliefert wurden und sich zu folgende Regeln verfestig-ten: Innenräume brauchen eine natürliche Querlüftung, Dach und Außenwände müssen einen ausreichenden Schutz vor Sonne und Regen bieten, Wärmerückstrahlung ist zu vermei-den. Mit diesen Forderungen musste sich der Aufbau der Fas-saden ändern. Was Le Corbusier als „façade libre“ in den zwan-ziger Jahren gefordert hatte, erhielt somit seinen logischen Schlusspunkt.

Die Entwürfe und Bauten von Claude Laurens zählen zu den besten Beispielen der neuen Architektur im Kongo. Mit der ihm eigenen Sensibilität für plastische Ausformungen ge-lang es ihm, die unumgänglichen architektonischen Zusätze wie Brise-soleils, Pfeiler oder Arkaden in ein heftig kontras-tierendes Spiel aus Schatten und Licht umzusetzen, das er manchmal durch Farben noch betonte. Bei den Fassaden be-schränkte sich Laurens auf ein kleines Repertoire von Ele-menten, aber schon sein erstes Projekt in Afrika, der „Cercle de Léopoldville“ von 1951, zeigt, wie geschickt er die Sonnen-schutzmaßnahmen einsetzte, um die Bedeutung der verschie-denen Funktionsbereiche zu unterstreichen. Bei dem Projekt DAR von 1955–57 (Seite 30), das aus einer Verwaltungsebene und mehreren Wohngeschossen besteht, wird die untere Bü-roebene durch vertikale Sonnenschutzelemente verschattet, ganz im Gegensatz zu den Wohnbauten, wo er mit feststehen-den Betongittern, Loggien und Laubengängen arbeitete. Durch die Stützenreihe im Erdgeschoss, die er vom tragenden System unterschied, markierte er zusätzlich die Funktionsbereiche: unten Verwaltung, oben Wohnen. An anderen Bauten dienen Vordächer oder Arkaden dem gleichen Zweck. Seine architek-

Die Organisation der Räume bei den Maisonettes variie-ren. Unten: die jeweils zwei Grundrisse der unteren fünf Wohnungen bis zum 10. Ober-geschoss sowie die Wohnun-gen im 11.–12. und 13.–14. Obergeschoss.

Grundrisse und Schnitt im Maßstab 1:500Fotos: Archiv Laurens, kleines Foto 2008: Luce Beekmans