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SONNABEND/SONNTAG, 2./3. FEBRUAR 2013 32 taz.thema www.taz.de | [email protected] | fon 030 • 25 90 23 14 | fax 030• 25 10 694 die verlagsseiten der taz.die tageszeitung Impressum Redaktion: Ansgar Warner & Lars Klaaßen | Foto-Red.: Ann-Christine Jansson | Anzeigen: Natalie Hauser NATÜRLICH GESUND ANZEIGE 6,3 Millionen Mal Analgetika: Ob sie helfen, ist fraglich Foto: Laif die genauen Ursachen oft nicht herauszufinden sind. Dann ist so manch ratloser Arzt schnell mit Schmerzmitteln zur Hand wenn nicht, wie bei Rückenlei- den, sogar eine Operation emp- fohlen wird. So steigt auch deren Zahl: Nach einer Studie der Bar- mer GEK aus dem Vorjahr wur- den 2006 lediglich 65 von 100.000 Versicherten an der Bandscheibe operiert, 2010 wa- ren es bereits 90. Professor Gustav J. Dobos, Lei- ter der Klinik für Naturheilkun- de und Integrative Medizin an den Klinken Essen-Mitte, hält das für eine zweifelhafte Entwick- lung: „Chronische Rücken- schmerzen zum Beispiel sind meistens nicht organisch be- dingt“, sagt Dobos, da würden Schmerzmittel zwar kurzfristig Linderung, aber keine wirkliche Heilung bringen. „Zu uns kom- men viele Patienten, die von Schmerzmitteln loskommen wollen oder nach einer Operati- on weiter Schmerzen haben.“ Besser als eine langfristige Ver- schreibung von Schmerzmitteln oder vorschnelle Operationen sei es darum, ganzheitlich gegen die Schmerzen anzugehen. Die Naturheilkunde bietet hier laut Dobos viele Möglichkeiten an, von Yoga über Manualtherapie bis zu Akupunktur. Naturheilkundliche Therapi- en gehen dabei grundsätzlich an- ders als die Schulmedizin an Schmerzsyndrome heran. Der Schmerz werde, so Dobos, als „Aufschrei des Körpers“ verstan- den. Dieser habe seine Ursache in einer „körperlichen oder seeli- schen Dysbalance“, die es aus- zugleichen gelte. Und anders als häufig angenommen, ist die Wirkung naturheilkundlicher Schmerztherapien wissen- schaftlich relativ gut evaluiert – zum Teil sogar besser als die schulmedizinischen Ansätze, meint Dobos. Die Essener Klinik ist eine der führenden Institutionen Deutschlands bei der Erfor- schung der Naturheilkunde 1999 wurde sie als Modellein- richtung des Landes Nordrhein- Westfalen mit dem Ziel gegrün- det, optimale Behandlungsan- sätze aus konventioneller Medi- laut Cramer kann man vom Zu- sammenwirken mehrerer Kom- ponenten ausgehen: Zum einen helfen die Übungen gegen mus- kuläre Verspannungen. Zum an- deren würden die dazugehöri- gen Atem- und Meditations- übungen zusätzliche Entspan- nung bringen. Anhaltende Ver- besserungen gebe es vor allem bei jenen Schmerzpatienten, so Cramer, die Yoga „regelmäßig und dauerhaft praktizieren“. Dieser Befund wird durch ei- ne neue Studie der Essener Kli- nik untermauert, für die aus- führliche Interviews mit Schmerzpatienten geführt wur- den: „Durch Yoga ändert sich die Körperwahrnehmung, und viele achten dann zum Beispiel auch im Alltag mehr auf ihre Körper- haltung“, fasst Cramer zusam- men. Denn ohne Veränderung der Bewegungs- und Haltungs- muster – manchmal auch der in- neren Haltung – ist chronischen Schmerzen nur selten beizukom- men. Neben Yoga gibt es noch eine Reihe anderer naturheilkundli- cher Schmerztherapien die Psychologin Frauke Musial fasst sie unter dem Oberbegriff „Re- flextherapien“ zusammen. Dazu zählen laut Musial klassische Massagetechniken ebenso wie die Gua-Sha-Massage, die Aku- punktur und Akupressur bis hin zur Fango-Wärmebehandlung oder dem Schröpfen. Bei all die- sen Ansätzen werden durch „Ma- nipulationen und Deformatio- nen der Haut und des tiefer lie- genden Gewebes“ die entspre- chenden Nervenrezeptoren ge- Dahin gehen, wo’s wehtut SCHMERZEN Chronische Leiden werden zunehmend mit Medikamenten behandelt, die lediglich die Symptome beseitigen. Oft liegt die Lösung jenseits des rein Organischen Probleme im Nacken oder Rücken: Eine Studie belegt, dass Yoga hilft VON OLE SCHULZ Dass die Einnahme starker Schmerzmittel auf Dauer sucht- bildend und gesundheitsschädi- gend ist, ist weithin bekannt. Trotzdem werden in Deutsch- land so viele starke Analgetika verschrieben wie nie zuvor: Laut der Bundesvereinigung Deut- scher Apothekerverbände (AB- DA) gaben die Apotheker 2011 6,3 Millionen entsprechende Verpa- ckungen an Versicherte der ge- setzlichen Krankenkassen her- aus – 2005 waren es 4,2 Millio- nen. Ein Grund dafür ist, dass gera- de bei chronischen Schmerzen Husten und grippale Infekte. „Ich rate, reichlich Gemüse und Obst zu essen, sowie zum Würzen Küchenkräuter oder Gewürze wie Zimt, Gelbwurz, Kardamom und Pfeffer zu verwenden. Die sind wegen ihrer sekundären Pflanzeninhaltsstoffe viel effek- tiver als Vitamine aus der Pille“, so Naturkundlerin Jänsch. Mit den Stoffen wie zum Beispiel Fla- vonoiden und Carotinoiden wehren sich Pflanzen gegen Fressfeinde und gegen Mikro- ben. Beim Menschen schützen sie möglicherweise vor Tumo- ren, auch sollen sie Blutgefäße erweitern und den Blutdruck senken können. Außerdem schreibt man ihnen entzün- dungshemmende und antibak- terielle Wirkungen zu. Die Anti- oxidantien finden sich auch in Beerenobst und im grünen Tee. Viele schwören bei einer nahen- den Erkältung auf wärmenden Ingwertee. Man kocht frischen geschälten und in Scheiben ge- schnittenen Ingwer einige Minu- ten lang und seiht ab. Wer will, gibt noch Honig dazu. Die Ing- wer-Dosis sollte jeder für sich selbst ermitteln, da konzentrier- ter Tee im Hals brennen und eine abführende Wirkung haben kann. Andere schnupfenvertrei- bende Mittel sind heißer Holun- dersaft und der gute alte Linden- blütentee. Zur Abhärtung und Vorbeu- gung empfiehlt Annette Jänsch ihren Patienten außerdem ein weiteres morgendliches und abendliches Ritual. „Erstens mit einem Zungenschaber die Zunge putzen, dann mit Emser Salz die Frag Mutter Natur: der Erkältung was husten VORBEUGEN Wer sein Immunsystem ganzjährig stimuliert, verringert das Risiko zu erkranken. Bewegung ist ein gutes Mittel. Aber auch mit heißem und kaltem Wasser, bei Saunagängen oder durch die richtige Ernährung wird der Körper fit gemacht VON ANGELIKA SYLVIA FRIEDL Gegen Erkältung sollte man vor- beugen, aber nicht nur zur Win- terszeit. Am besten schützt sich, wer sein Immunsystem das gan- ze Jahr über stimuliert. Ein All- heilmittel ist Bewegung: regel- mäßig walken, Fahrrad fahren, spazieren gehen oder schwim- men. „Bewährt haben sich auch Saunagänge einmal oder zwei- mal die Woche“, sagt Annette Jänsch, Fachärztin für Innere Me- dizin und Naturheilverfahren am Immanuel Krankenhaus in Berlin-Wannsee. „Dabei ist aber wichtig, dass man sich nach dem heißen Saunagang gut abkühlt im Tauchbecken oder mit kalten Körpergüssen. Lauwarmes Du- schen ist nicht sehr effektiv. Auch kalte Kneipp-Güsse unter- stützen die Abwehrkräfte.“ Un- tersuchungen haben gezeigt, dass richtiges Saunieren und Ab- kühlen die Anzahl der Immun- globuline A auf den Schleimhäu- ten erhöht. Hier fangen die Anti- körper bereits Bakterien und Vi- ren ab, bevor sie in den Körper eindringen. Die Ernährung ist ein weiterer zentraler Baustein in der Ab- wehrfront gegen Schnupfen, holt. Anstatt des Schlauchs kann man sich zur Not auch mit einem Zahnputzbecher behelfen. Kneippsche Anwendungen wie zum Beispiel heiße Fußbäder sind überhaupt bewährte Me- thoden gegen Erkältungen. Ein gutes Mittel, sich abzuhärten, sind wechselwarme Fußbäder. Die Füße sollten sich vor dem Eintauchen in kaltes Wasser warm anfühlen. Die Gefäße müs- sen so hoch sein, dass das Wasser mindestens die Waden erreicht. „Am besten kauft man sich zwei Malerplastikeimer aus dem Bau- markt“, sagt Jänsch. Einen Eimer füllt man mit heißem Wasser von etwa 36 bis 38 Grad, den an- deren mit kaltem Wasser. Zuerst kommen die Füße für zwei bis fünf Minuten ins warme, dann 10 bis 30 Sekunden ins kalte Wasser. Diese Prozedur dreimal wieder- holen. Warm beginnen, kalt auf- hören, das Wasser von den Füßen nur mit beiden Händen abstrei- fen und auf einem Handtuch tro- cken laufen. Anschließend war- me Wollsocken überziehen. Eine gesunde Darmflora spielt eine wichtige Rolle für ein gut funktionierendes Immun- system. Helfen können dabei Laktobazillen und Bifidobakteri- en, die auch in Nahrungsmitteln enthalten sind. Mikrobiologi- sche Therapie mit Probiotika heißt die Kur in der Fachsprache. „Die Mikroorganismen gibt es in milchsauer vergorenen Lebens- mitteln wie Dickmilch, Rote Bete oder Sauerkraut, aber auch in eingelegtem Gemüse oder in An- tipasti vom Italiener“, erklärt Ex- pertin Jänsch. Wer eine höhere Dosis mag, kann sich Nahrungs- ergänzungsmittel kaufen, in de- nen häufig ein spezieller Ballast- stoff aus der Chicoree-Wurzel (Inulin) sowie Laktobazillen und Bifidobakterien enthalten sind. Es gibt auch probiotische Arznei- mittel, etwa mit Laktobacillen, Bifidobakterien und E.-coli-Niss- le-Bakterien. Dafür braucht man aber den Rat eines Arztes oder Apothekers. Homöopathische Komplex- mittel mag Annette Jänsch für die Prophylaxe nicht empfehlen. „Wir arbeiten ja in der Homöo- pathie vor allem symptomorien- tiert, sodass homöopathische Mittel erst ausgewählt werden können, wenn Symptome bereits bestehen. Dann allerdings haben sich diese Mittel sehr bewährt und sind einer unnötigen Anti- biotika-Gabe vorzuziehen.“ Zwei Malereimer im Baumarkt kaufen und die Füße darin baden: erst warm, dann kalt Nase spülen und zuletzt einen kalten Gesichtsguss machen.“ Dafür schraubt man vom Schlauch der Dusche den Brause- kopf ab. Das kalte Wasser sollte fast ohne Druck aus dem Schlauch fließen. Dann gießt man sich das Wasser von der rechten Schläfenseite über die Stirn zur linken Schläfe. Dabei ruhig weiteratmen. Anschlie- ßend kommt der Guss von rechts nach links vom Jochbein über den Nasenrücken zum Jochbein. Das Ganze wird dreimal wieder- reizt. Als positive Folge würde da- durch die „Sensitivität für Schmerzen gesenkt“, sagt Musial, die als Professorin die wissen- schaftliche Abteilung des re- nommierten Nationalen For- schungszentrums für Komple- mentär- und Alternativmedizin Norwegens (NAFKAM) leitet und dort zum Thema Reflextherapi- en forscht. Deren Wirksamkeit sei – ähnlich wie bei Yoga – „zum Teil gut belegt, ohne dass die neurobiologischen Grundlagen dieser Verfahren bekannt sind“. Wer nun selbst unter chroni- schen Schmerzen leidet und starke Analgetika nimmt, dem sei angeraten, bei seiner Kran- kenkasse anzufragen, ob diese auch für naturheilkundliche Schmerztherapien aufkommt. Denn ob zum Beispiel die Kosten einer Akupunktur-Behandlung übernommen werden, ist abhän- gig vom Krankheitsbefund und der jeweiligen gesetzlichen Krankenkasse. Auch Yoga-Kurse werden im Rahmen der Gesund- heitsprävention mittlerweile von vielen Krankenkassen zum Teil oder ganz bezahlt. zin und wissenschaftlich evalu- ierter Naturheilkunde zu kombi- nieren. Unter anderem wurde hier ei- ne groß angelegte Vergleichsstu- die zum Nutzen von Yoga bei der Behandlung von chronischen Schmerzpatienten durchgeführt – mit einem positiven Ergebnis: Bei Problemen im Nacken oder Rücken würden sich durch Yoga „Schmerzen und funktionelle Einschränkungen verlässlich und deutlich verbessern“, sagt Holger Cramer, wissenschaftli- cher Mitarbeiter an der Klinik und Autor der Studie. Wie Yoga genau wirke, sei zwar noch nicht hinreichend untersucht, aber

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SONNABEND/SONNTAG, 2./3. FEBRUAR 201332

taz.thema

www.taz.de | [email protected] | fon 030 • 25 90 23 14 | fax 030• 25 10 694

die verlagsseiten dertaz.die tageszeitung

Impressum Redaktion: Ansgar Warner & Lars Klaaßen | Foto-Red.: Ann-Christine Jansson | Anzeigen: Natalie Hauser

NATÜRLICHGESUND

ANZEIGE

6,3 Millionen Mal Analgetika: Ob sie helfen, ist fraglich Foto: Laif

die genauen Ursachen oft nichtherauszufinden sind. Dann ist somanch ratloser Arzt schnell mitSchmerzmitteln zur Hand –wenn nicht, wie bei Rückenlei-den, sogar eine Operation emp-fohlenwird. So steigt auch derenZahl: Nach einer Studie der Bar-mer GEK aus dem Vorjahr wur-den 2006 lediglich 65 von100.000 Versicherten an derBandscheibe operiert, 2010 wa-ren es bereits 90.

Professor Gustav J. Dobos, Lei-ter der Klinik für Naturheilkun-de und Integrative Medizin andenKlinkenEssen-Mitte,hältdasfür eine zweifelhafte Entwick-lung: „Chronische Rücken-schmerzen zum Beispiel sindmeistens nicht organisch be-dingt“, sagt Dobos, da würdenSchmerzmittel zwar kurzfristigLinderung, aber keine wirklicheHeilung bringen. „Zu uns kom-men viele Patienten, die vonSchmerzmitteln loskommenwollen oder nach einer Operati-on weiter Schmerzen haben.“Besser als eine langfristige Ver-schreibung von Schmerzmittelnoder vorschnelle Operationensei es darum, ganzheitlich gegendie Schmerzen anzugehen. DieNaturheilkunde bietet hier lautDobos viele Möglichkeiten an,von Yoga über Manualtherapiebis zu Akupunktur.

Naturheilkundliche Therapi-engehendabeigrundsätzlichan-ders als die Schulmedizin anSchmerzsyndrome heran. DerSchmerz werde, so Dobos, als„Aufschrei des Körpers“ verstan-den. Dieser habe seine Ursacheineiner „körperlichenoder seeli-

schen Dysbalance“, die es aus-zugleichen gelte. Und andersals häufig angenommen, ist dieWirkung naturheilkundlicherSchmerztherapien wissen-schaftlich relativ gut evaluiert –zum Teil sogar besser als dieschulmedizinischen Ansätze,meint Dobos.

Die Essener Klinik ist eineder führenden InstitutionenDeutschlands bei der Erfor-schung der Naturheilkunde –1999 wurde sie als Modellein-richtung des Landes Nordrhein-Westfalen mit dem Ziel gegrün-det, optimale Behandlungsan-sätze aus konventioneller Medi-

laut Cramer kann man vom Zu-sammenwirken mehrerer Kom-ponenten ausgehen: Zum einenhelfen die Übungen gegen mus-kuläre Verspannungen. Zum an-deren würden die dazugehöri-gen Atem- und Meditations-übungen zusätzliche Entspan-nung bringen. Anhaltende Ver-besserungen gebe es vor allembei jenen Schmerzpatienten, soCramer, die Yoga „regelmäßigund dauerhaft praktizieren“.

Dieser Befund wird durch ei-ne neue Studie der Essener Kli-nik untermauert, für die aus-führliche Interviews mitSchmerzpatienten geführt wur-den: „Durch Yoga ändert sich dieKörperwahrnehmung, und vieleachten dann zum Beispiel auchim Alltag mehr auf ihre Körper-haltung“, fasst Cramer zusam-men. Denn ohne Veränderungder Bewegungs- und Haltungs-muster –manchmal auch der in-neren Haltung – ist chronischenSchmerzennurseltenbeizukom-men.

Neben Yoga gibt es noch eineReihe anderer naturheilkundli-cher Schmerztherapien – diePsychologin Frauke Musial fasstsie unter dem Oberbegriff „Re-flextherapien“ zusammen. Dazuzählen laut Musial klassischeMassagetechniken ebenso wiedie Gua-Sha-Massage, die Aku-punktur und Akupressur bis hinzur Fango-Wärmebehandlungoder dem Schröpfen. Bei all die-senAnsätzenwerdendurch „Ma-nipulationen und Deformatio-nen der Haut und des tiefer lie-genden Gewebes“ die entspre-chenden Nervenrezeptoren ge-

Dahin gehen, wo’s wehtutSCHMERZEN Chronische Leiden werden zunehmendmit Medikamenten behandelt, dielediglich die Symptome beseitigen. Oft liegt die Lösung jenseits des rein Organischen

Probleme im Nackenoder Rücken:Eine Studie belegt,dass Yoga hilft

VON OLE SCHULZ

Dass die Einnahme starkerSchmerzmittel auf Dauer sucht-bildend und gesundheitsschädi-gend ist, ist weithin bekannt.Trotzdem werden in Deutsch-land so viele starke Analgetikaverschrieben wie nie zuvor: Lautder Bundesvereinigung Deut-scher Apothekerverbände (AB-DA) gabendieApotheker 2011 6,3Millionen entsprechende Verpa-ckungen an Versicherte der ge-setzlichen Krankenkassen her-aus – 2005 waren es 4,2 Millio-nen.

EinGrunddafür ist, dass gera-de bei chronischen Schmerzen

Husten und grippale Infekte.„Ich rate, reichlich Gemüse undObstzuessen,sowiezumWürzenKüchenkräuter oder Gewürzewie Zimt, Gelbwurz, Kardamomund Pfeffer zu verwenden. Diesind wegen ihrer sekundärenPflanzeninhaltsstoffe viel effek-tiver als Vitamine aus der Pille“,so Naturkundlerin Jänsch. MitdenStoffenwie zumBeispiel Fla-vonoiden und Carotinoidenwehren sich Pflanzen gegenFressfeinde und gegen Mikro-ben. Beim Menschen schützensie möglicherweise vor Tumo-ren, auch sollen sie Blutgefäßeerweitern und den Blutdrucksenken können. Außerdemschreibt man ihnen entzün-dungshemmende und antibak-terielle Wirkungen zu. Die Anti-oxidantien finden sich auch inBeerenobst und im grünen Tee.Viele schwören bei einer nahen-den Erkältung auf wärmendenIngwertee. Man kocht frischengeschälten und in Scheiben ge-schnittenen Ingwer einigeMinu-ten lang und seiht ab. Wer will,gibt noch Honig dazu. Die Ing-wer-Dosis sollte jeder für sichselbst ermitteln, da konzentrier-terTee imHalsbrennenundeineabführende Wirkung haben

kann. Andere schnupfenvertrei-bende Mittel sind heißer Holun-dersaft und der gute alte Linden-blütentee.

Zur Abhärtung und Vorbeu-gung empfiehlt Annette Jänschihren Patienten außerdem einweiteres morgendliches undabendliches Ritual. „Erstens miteinemZungenschaber die Zungeputzen, dann mit Emser Salz die

Frag Mutter Natur: der Erkältung was hustenVORBEUGEN Wer sein Immunsystem ganzjährig stimuliert, verringert das Risiko zu erkranken. Bewegung ist ein gutes Mittel.Aber auchmit heißem und kaltemWasser, bei Saunagängen oder durch die richtige Ernährung wird der Körper fit gemacht

VON ANGELIKA SYLVIA FRIEDL

Gegen Erkältung sollte man vor-beugen, aber nicht nur zur Win-terszeit. Am besten schützt sich,wer sein Immunsystem das gan-ze Jahr über stimuliert. Ein All-heilmittel ist Bewegung: regel-mäßig walken, Fahrrad fahren,spazieren gehen oder schwim-men. „Bewährt haben sich auchSaunagänge einmal oder zwei-mal die Woche“, sagt AnnetteJänsch, Fachärztin für InnereMe-dizin und Naturheilverfahrenam Immanuel Krankenhaus inBerlin-Wannsee. „Dabei ist aberwichtig, dassman sich nach demheißen Saunagang gut abkühltim Tauchbecken oder mit kaltenKörpergüssen. Lauwarmes Du-schen ist nicht sehr effektiv.Auch kalte Kneipp-Güsse unter-stützen die Abwehrkräfte.“ Un-tersuchungen haben gezeigt,dass richtiges SaunierenundAb-kühlen die Anzahl der Immun-globuline A auf den Schleimhäu-ten erhöht. Hier fangen die Anti-körper bereits Bakterien und Vi-ren ab, bevor sie in den Körpereindringen.

Die Ernährung ist einweitererzentraler Baustein in der Ab-wehrfront gegen Schnupfen,

holt. Anstatt des Schlauchs kannmansichzurNotauchmiteinemZahnputzbecher behelfen.Kneippsche Anwendungen wiezum Beispiel heiße Fußbädersind überhaupt bewährte Me-thoden gegen Erkältungen. Eingutes Mittel, sich abzuhärten,sind wechselwarme Fußbäder.Die Füße sollten sich vor demEintauchen in kaltes Wasserwarmanfühlen.DieGefäßemüs-sen sohoch sein, dass dasWassermindestens die Waden erreicht.„Am besten kauft man sich zweiMalerplastikeimer aus dem Bau-markt“, sagt Jänsch. Einen Eimerfüllt man mit heißem Wasservon etwa 36 bis 38 Grad, den an-deren mit kaltem Wasser. Zuerstkommen die Füße für zwei bisfünfMinuteninswarme,dann10bis 30Sekunden inskalteWasser.Diese Prozedur dreimal wieder-holen. Warm beginnen, kalt auf-hören,dasWasservondenFüßennur mit beiden Händen abstrei-fenundaufeinemHandtuch tro-cken laufen. Anschließend war-meWollsocken überziehen.

Eine gesunde Darmfloraspielt eine wichtige Rolle für eingut funktionierendes Immun-system. Helfen können dabeiLaktobazillen und Bifidobakteri-

en, die auch in Nahrungsmittelnenthalten sind. Mikrobiologi-sche Therapie mit Probiotikaheißt die Kur in der Fachsprache.„DieMikroorganismen gibt es inmilchsauer vergorenen Lebens-mittelnwieDickmilch, Rote Beteoder Sauerkraut, aber auch ineingelegtemGemüse oder inAn-tipasti vom Italiener“, erklärt Ex-pertin Jänsch. Wer eine höhereDosis mag, kann sich Nahrungs-ergänzungsmittel kaufen, in de-nen häufig ein spezieller Ballast-stoff aus der Chicoree-Wurzel(Inulin) sowie Laktobazillen undBifidobakterien enthalten sind.Es gibt auchprobiotischeArznei-mittel, etwa mit Laktobacillen,Bifidobakterien und E.-coli-Niss-le-Bakterien. Dafür braucht manaber den Rat eines Arztes oderApothekers.

Homöopathische Komplex-mittel mag Annette Jänsch fürdie Prophylaxe nicht empfehlen.„Wir arbeiten ja in der Homöo-pathie vor allemsymptomorien-tiert, sodass homöopathischeMittel erst ausgewählt werdenkönnen,wennSymptomebereitsbestehen.Dannallerdingshabensich diese Mittel sehr bewährtund sind einer unnötigen Anti-biotika-Gabe vorzuziehen.“

Zwei Malereimer imBaumarkt kaufen unddie Füße darin baden:erst warm, dann kalt

Nase spülen und zuletzt einenkalten Gesichtsguss machen.“Dafür schraubt man vomSchlauchderDuschedenBrause-kopf ab. Das kalte Wasser solltefast ohne Druck aus demSchlauch fließen. Dann gießtman sich das Wasser von derrechten Schläfenseite über dieStirn zur linken Schläfe. Dabeiruhig weiteratmen. Anschlie-ßendkommtderGussvonrechtsnach links vom Jochbein überden Nasenrücken zum Jochbein.Das Ganze wird dreimal wieder-

reizt.AlspositiveFolgewürdeda-durch die „Sensitivität fürSchmerzengesenkt“, sagtMusial,die als Professorin die wissen-schaftliche Abteilung des re-nommierten Nationalen For-schungszentrums für Komple-mentär- und AlternativmedizinNorwegens (NAFKAM) leitet unddort zum Thema Reflextherapi-en forscht. Deren Wirksamkeitsei – ähnlichwie bei Yoga – „zumTeil gut belegt, ohne dass dieneurobiologischen Grundlagendieser Verfahren bekannt sind“.Wer nun selbst unter chroni-

schen Schmerzen leidet undstarke Analgetika nimmt, demsei angeraten, bei seiner Kran-kenkasse anzufragen, ob dieseauch für naturheilkundlicheSchmerztherapien aufkommt.Dennob zumBeispiel die Kosteneiner Akupunktur-Behandlungübernommenwerden, ist abhän-gig vom Krankheitsbefund undder jeweiligen gesetzlichenKrankenkasse. Auch Yoga-Kursewerden im Rahmen der Gesund-heitsprävention mittlerweilevon vielen Krankenkassen zumTeil oder ganz bezahlt.

zin und wissenschaftlich evalu-ierter Naturheilkunde zu kombi-nieren.

Unter anderemwurde hier ei-ne groß angelegte Vergleichsstu-die zumNutzen von Yoga bei derBehandlung von chronischenSchmerzpatienten durchgeführt– mit einem positiven Ergebnis:Bei Problemen im Nacken oderRücken würden sich durch Yoga„Schmerzen und funktionelleEinschränkungen verlässlichund deutlich verbessern“, sagtHolger Cramer, wissenschaftli-cher Mitarbeiter an der Klinikund Autor der Studie. Wie Yogagenau wirke, sei zwar noch nichthinreichend untersucht, aber

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2./3.FEBRUAR 2013 33NATÜRLICH GESUND

„Und jetzt mal nur die Zehen des Fußes“ Foto: Laif

unterschiedlichen Gesundheits-bereichen, in pädagogischenund sozialen Einrichtungenebenso wie in Unternehmen er-forschen.

Das Interesse an alltagstaugli-chen Hilfen gegen Stress ist be-rechtigt. „Wir sindheuteauf stän-dige Bereitschaft programmiert.Für viele Menschen wird diesebeschleunigte Lebens- und Ar-beitswelt zu einer nicht enden-den Belastung, zu einem Dauer-stress“, urteilt Hudasch. DiesesStresssystem befördere einenTunnelblick, der es vielen un-möglich mache, ungesunde Ver-haltensmuster und Reaktionenzu überprüfen und zu ändern.„Meditation weitet wieder deneigenen Horizont. Achtsam zusein heißt, sich und seine Um-welt, seine Situation wertfreiwahr- und anzunehmen, sich zukonzentrieren und zu sammeln,um sich in Ruhe seinen Ängsten,Belastungenoder Schmerzen zu-zuwenden.“

Dies erfordert aber Training.Und das dauerhaft. Ein ratsamerEinstieg ist ein achtwöchigerMBRS-Kurs: Hier werden inGruppenvonsechsbiszwölfTeil-

nehmenden die Meditati-onstechniken erklärt, erlerntund geübt. Auch die Bedeutungvon Stress und Kommunikati-onsmustern im Alltag werden inVorträgen und Diskussionen be-handelt. „Ganz wichtig ist dastägliche Üben“, sagt Coach Hu-dasch.AchtWochenbräuchtedasGehirn erfahrungsgemäß, umsich neu zu strukturieren undumzuorientieren.

DasGute ist: AuchnacheinemKurs lassen sich dieÜbungen fürAchtsamkeit überall und jeder-zeit in den Alltag integrieren.Zum Beispiel morgens unter derDusche: Anstatt das KopfkinounddieTagesplanungzustarten,erspüren, wie sich das warmeWasser auf derHaut anfühlt, lau-schen, wie es an die Duschwandprasselt. Nicht denAufzug rufen,sondern bewusst die Treppe zurArbeit nehmen, innehalten unddurchatmen… ImHier und Jetztankommen, nicht immer nur ra-sen. „Die Zahl der Teilnehmer,die abbrechen, ist minimal“,freut sich Günter Hudasch. Diemeisten würden schnell eine Er-leichterung spüren und ihr Le-ben anders ausrichten.

Diese Erfahrung teilt auchAn-na Lange (Name von der Redakti-on geändert), die bei Günter Hu-dasch vor sieben Jahren ihrenersten MBSR-Kurs wahrgenom-men hat. Sie arbeitete imSchichtdienst als Redakteurinund fand überhaupt nicht mehrin den Schlaf. Sie recherchierte,um für sich eine Lösung zu fin-den, und stieß dabei auf MBSRund Günter Hudasch. „Mir hatvon Anfang an gefallen, dass derKurs gar nichts Esoterisches hat-te. Keine Klangschalen und keinDogma“, erzählt die Journalistin.

Ein erstes Aha-Erlebnis, dassihrmehrAchtsamkeit durchMe-ditation helfen konnte, hatte sieschon während des ersten Kur-ses. „Ich kam mit einer vollenEinkaufstüte aus dem Laden undwar wie so oft in Hektik. Dannriss die Tüte, und der Einkauf lagschön verstreut auf dem Bürger-steig.“ Normalerweise hätte siewie eine Rakete in die Luft gehenkönnen. „Aber ich hielt inne,konnte sagen, dass das Malheurnun einmal passiert ist und iches nicht ungeschehen machenkann. Wozu sich aufregen? Diesgelingtmir in schwierigen Situa-tionen nun viel häufiger.“ Einzu-schlafen geht auch besser.

Nicht täglich findet Anna Lan-ge die Zeit für ihren „Body-Scan“oder eine 12-Minuten-Meditati-on. „Aber es gibt die „3-Minuten-Räume“, in denen man sich kurzzurückziehtund in sichgeht.Dasgeht auch auf der Toilette“, er-zählt sie. Manchmal frischt sieihre Achtsamkeit bei Günter Hu-daschauf. AchtMonate langgehtsie einmal im Monat zu ihm.„Auchwennesnichtgeradebilligist, es ist für mich die idealeForm, mir etwas Gutes zu tun.“Günter Hudasch, studierter Bio-loge, fand selbst erst zuMBSR, alsihn ein Job in der Berliner Ver-waltung über dieMaßen aufrieb.Den Jobhater längstaufgegeben.Schon 2003machte er seineAus-bildung zum MBSR-Lehrer undgründete 2005 den MBSR-Ver-band. Damals waren in Deutsch-land, in der Schweiz und Öster-reichnur 15MBRS-Lehrer organi-siert, heute sind es allein hierzu-lande schon 300. Nicht nur Pri-vatpersonenwendensichan ihn,er ist vor allem in Unternehmenunterwegs, für Führungskräftewie Mitarbeitende. „Es gibtnichts zu tunundnichts zu errei-chen.“ Pause. Stille.

Einfach mal nichtsRUHE „Stressbewältigung durch Achtsamkeit“ hilft, gelassener mitnegativen Gefühlen oder mit sinnlosen Grübeleien umzugehen

Wir sind gewohnt,ständig inBereitschaftsein zumüssen,das belastet

VON VERENA MÖRATH

„Es gibt nichts zu tun und nichtszu erreichen“, sagt eine beruhi-gende Stimme. Pause. Stille. „DerEinkauf, die Wäsche, TerminZahnarzt, Gespräch mit demChef, übermorgen Dienstreise,Konto wieder im Minus!“, meintdas Ich trotzig. „Nun wende dei-ne Aufmerksamkeit auf die Ze-hen deines linken Fußes. Viel-leicht gibt es Empfindungen wieJucken oder Kribbeln, Wärmeoder Kühle …“, unterbricht dieStimme das Sorgengewitter undlenkt für die nächsten 30 Minu-ten mittels einer geführten Me-ditationdieAufmerksamkeit desgrübelndenMenschendurchsei-nenganzenKörperundauf seineAtmung.

Dieser „Body-Scan“ ist einwichtiges Element der „Stressbe-wältigung durch Achtsamkeit(engl. Mindfulness-Based StressReduction/MBSR). EinAntistressprogramm und Acht-samkeitstraining mit dem Ziel,besser und gelassenermit StressauslösendenSituationen,mitne-gativen Gefühlen und Ängstenoder mit sinnlosen Grübeleienumzugehen. Es gilt, sich wohl-wollend zu beobachten, anzu-nehmen und nichts verändernzu müssen. „Achtsamkeit ist einTraining des Geistes“, erklärtGünter Hudasch, MBSR-Lehrer,Coach und Organisationsberaterin Berlin. MBSR befähige Men-schen, sich besser zu konzentrie-ren, zuentspannenundzurRuhezu kommen. Durch Meditation,Körperwahrnehmung und Yoga.

Diese Methode wurde schonvor über 20 Jahren von dem US-Medizinprofessor Jon Kabat-Zinn an der UniversitätsklinikvonMassachusetts alswirkungs-volle Selbsthilfemethode entwi-ckelt. „Die Wurzeln liegen in derbuddhistischen Meditation“, soHudasch, „aber das Programmist losgelöst von jeder Religion.Es wurde sozusagen verwelt-licht.“ Vom ersten Tag an sei dieWirksamkeit von Achtsamkeits-trainings wissenschaftlich un-tersucht worden. Bis zu 300 Stu-dien jährlich würden heute diepositive Wirkung von MBSR in

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...............................................................................................................................Kurse & Literatur

■ Kurse von zertifizierten Lehrernin „Mindfullness-Based StressReduction“ (Stressbewältigungdurch Achtsamkeit) findet man –sortiert nach Postleitzahlen – un-ter www.mbsr-verband.org■ Die Kosten liegen zwischen 250und 400 Euro (inklusive Übungs-CD und -materialien). MancheKassen übernehmen auf Anfrageeinen Teil der Kosten. Als Stress-bewältigung sind die Kurse steuer-lich absetzbar.■ Literatur: Linda Lehrhaupt, Pet-ra Meibert: „Stress bewältigenmit Achtsamkeit: Zu innerer Ruhekommen durch MBRS“. Kösel,2010, 16,95 Euro. (vm)

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Vor allem Mittel gegen Erkältungen sind gefragt Foto: Mike Schroeder/Argus

nach Hahnemann. Beide, Apo-thekeundLabor,produzierenzu-sammengenommen rund 600homöopathische Arzneimittel,die mit dem ebenfalls ange-schlossenen Versandhandeljährlich an etwa 2.000Ärzte undzwanzigtausend Privatkundenim In- und Ausland verschicktwerden.

„Vor einigen Jahren waren essogar noch viel mehr Präparate,die wir selbst hergestellt haben“,sagt die 71-Jährige heute. Dochdie Regulierung sei auch fürhomöopathische Arzneimittelstrenger geworden; so müssenMittel aus Substanzen tierischerHerkunft – wie etwa Milch vonKatzen, Hunden und anderenTieren – beim Bundesgesund-heitsamt registriert werden, be-richtet Gudjons, die sichmanch-mal auch etwas erleichterte Pro-duktionsvorgaben wünschenwürde.Aber: „Fürunserekleinen

Labore gelten dieselben Vorga-ben wie für große industrielleHersteller.“

Dass Apotheker in Deutsch-land homöopathische Präparatein Eigenregie produzieren, dasgibt es immer öfter. MehrereDutzend dürften es bundesweitsein, die in der Filiale oder perVersand selbst gefertigte Globulioder potenzierte Tinkturen an-bieten. Kein Wunder: Das Ge-schäft mit den Naturheilmittelnist durchaus umsatzstark, weißder Bundesverband der Arznei-mittelhersteller: Die Verbrau-cher gaben allein 2011 etwa 5Mil-liarden Euro für rezeptfreiepflanzliche und homöopathi-sche Arzneimittel in Apothekenaus.GefragtwarenvorallemMit-tel gegen Erkältungen und zurAnregung von Herz, Kreislaufund Verdauung.

Fast 95 Prozent der von BritaGudjons und ihren 25 Mitarbei-tern hergestellten und verkauf-ten Arzneien wurden zuvor voneinem homöopathischen Arztverordnet – der Rest wird nachpersönlichen Beratungen in derApotheke abgegeben. Aber: EineKonkurrenz zu ihren ärztlichenKollegen wollen die Apothekerdamit nicht aufbauen – im Ge-genteil: „Wir arbeiten Hand inHand“, sagt Brita Gudjons, „undin komplizierten Fälle und beichronischen Krankheiten ver-weisen wir die Patienten an ei-nen Arzt.“

Die Beratung kann auch nichtgleichwertig mit der eines ho-möopathischenMediziners sein,sagt Brita Gudjons: „Der Arztfragt in oft mehrstündigen Ge-sprächen sämtliche Beschwer-dendesPatientenab;daskönnenwir im laufenden Apothekenbe-trieb zeitlich gar nicht leisten.“Dennoch bieten Gudjons Mitar-beiter ausführliche – und ab

20Minuten auch kostenpflichti-ge – Beratungen an, in denenmehrere Symptome erfasst wer-den. „In denmeisten Fällen wirddann eine Arznei nach der be-währten Indikation gegeben“,sagt Gudjons.

Und die Kostenübernahme?Die Homöopathie ist zwar keineRegelleistung der gesetzlichenKrankenversicherung, dochrund 90 Krankenkassen ermög-lichen ihren Versicherten inzwi-schen die gezielte Versorgungmit homöopathischen Präpara-ten. „Mit rund 3.000 Apothekenhaben diese Kassen dazu Verträ-

Wenn Apothekerinnen an der Pille drehenDO IT YOURSELF Längst hat die Idee der Homöopathie in der Filialwelt klassischer Apotheken Fuß gefasst. Viele hundert Apothekerhaben sich in Sachen Naturpräparate weiterbilden lassen. Einige stellen die Tinkturen und Globuli sogar in Eigenregie her

2011 gaben Verbrau-cher 5 Milliarden Eurofür homöopathischeArzneimittel aus

VON CHRISTOPH RASCH

Ihren Weg zur Homöopathiefand Brita Gudjons über ein pro-fanes Laster: „Mitte der 70er Jah-re war ich starke Raucherin undwurde durch die Einnahme zahl-reicher Antibiotika sehr krank“,erzähltdiegelernteApothekerin,die damals in Frankfurt amMainam Anfang ihrer Karriere stand.In der Folge suchte sie auf zahl-reichen Fortbildungen und Se-minaren der alternativen Szenenach „sanfteren Arzneimitteln“– und stieß dabei auf die LehreSamuel Hahnemanns, die Ho-möopathie, der sie bis heute treublieb.

Inzwischen führt Brita Gud-jons nicht nur eine homöopa-thisch ausgerichtete Apothekeim bayerischen Stadtbergen na-he Augsburg, sondern auch eineigenständiges Herstellungsla-bor für handgefertigte Arzneien

ge abgeschlossen, im Rahmenderen die Kosten erstattet wer-den“, erklärt Christoph Trappvom ebenfalls beteiligten Deut-schen Zentralverein homöopa-thischer Ärzte.

Die Apothekerbranche hatsich derHomöopathie schon vorJahren geöffnet, auch um kom-petente Beratungen auf diesemFeld anbieten zu können. Lautden Zahlen der Bundesvereini-gung Deutscher Apothekerver-bände (ABDA) haben bereitsrund1.800eine intensiveberufs-begleitende Weiterbildung indiesem Bereich absolviert.

Allerdings: Seit einigen Jahrenlässt die Nachfrage nach diesenWeiterbildungen nach, sagtChristoph Trapp. Und auch BritaGudjons hat den Eindruck, dassbei der jüngeren Apothekerge-neration das Interesse anHomö-opathie etwas nachlässt. Sie bie-

tet seit Jahren Seminare für The-rapeuten an, die in Sachen Arz-neiherstellung Erfahrungensammeln wollen. Auf dem Pro-gramm steht etwa ein „Verreibe-Seminar“. Darin, erzählt sie, lern-ten die Teilnehmer nicht nur,Grundstoffe wie Austernscha-lenkalk mit Mörser und Stößelfachgerecht zu bearbeiten, son-dern auch, die Wirkung der ver-wendeten Substanzen bereits imHerstellungsprozess zu erspü-ren–nichtdurchEinnahme, son-dern allein durch das Verarbei-tendes Stoffs: „Etwa jeder zehnteKursteilnehmer erlebt dabei tat-sächlich Symptome oder erhältandere Informationen des Roh-stoffs“, sagt Brita Gudjons.

■ Informationen über Krankenkas-

senerstattungen und Fortbildun-

gen für Apotheker finden sich unter

www.welt-der-homoeopathie.de

gewicht wiederherstellen, undversprechen,nebenwirkungsfreizu sein. So etwa die Homöopa-thie: Die nach dem „Ähnlich-keitsprinzip“ funktionierendeHeilkunde setzt Natur gegenNatur. Homöopathische Nach-schlagewerke führen etwa90 verschiedene Heilmittel ge-gen Heuschnupfen auf, von derKüchenzwiebel über denSchwammkürbis bis zum Läuse-samen. Was da eigentlich pas-siert, beschrieb Globuli-PionierSamuel Hahnemann im 19. Jahr-hundert so: „Die homöopathi-sche Heilkunst entwickelt die in-nern, geistartigen Arzneikräfteder rohen Substanzen mittelseiner ihr eigenthümlichen Be-handlung.“ Die Wirkstoffe wer-den „potenziert“, indemman sieinmehrerenSchritten jeweils imVerhältnis 1:10 verdünnt, bis siekaumnochnachweisbar sind.Ander Wirkung selbst ändert dasangeblich nichts: „Wir konntenwiederholt Effekte homöopathi-scher Potenzen im Labor beob-achten“, sagt etwa der Potenzie-rungsforscher Stephan Baum-gartner. „Je komplexer der Orga-nismus, desto deutlicher ist dieReaktion auf Homöopathika“, soderausgebildetePhysiker,deralsDozent an der Kollegialen In-stanz für Komplementärmedi-zin (Kikom) der Universität Bernarbeitet. Von einer Selbstbe-handlung sollte man jedoch ab-

sehen und stattdessen lieber ei-nem homöopathisch ausgebil-deten Mediziner vertrauen.Denn im Vordergrund steht dieIndividualität einer Erkrankung– ohne ausführliche Erhebungder persönlichen Lebensum-stände geht es nicht. Bei der Erst-behandlung dauert die „Anam-nese“ oft länger als eine Stunde.

Anders als die Homöopathieist die Akupunktur keine Erfin-dung der Neuzeit – sie gehört zuden klassischen Methoden der

Reishi gegen Hatschi?ALLERGIEN Fast jeder zweite Bundesbürger reagiert allergisch auf Pollen, Tierhaare oder bestimmteNahrungsmittel. Natürliche Behandlungsmethoden wirken besser dagegen als konventionelle

Bereits 30 Millionen Menschenleiden in Deutschland unter Al-lergien, schätzt die Bundesregie-rung. Fast jeder zweite Bundes-bürger reagiert also allergischauf Dinge wie Pollen, Tierhaareoder bestimmte Nahrungsmit-tel. Vor allem der Heuschnupfenist zurVolkskrankheitavanciert–denn der Klimawandel führt da-zu, dass Pflanzen immer früherblühen, die Vegetationsperiodeinsgesamt verlängert sich, eswird wärmer.

Perfekte Startbedingungenfür den Pollencocktail, den Bäu-mewie Birke undErle oderKräu-tern wie Beifuß undWegerich inihrer Blütezeit ausstoßen. Diewinzigen Blütenpollen machtvielenMenschenmonatelang zuschaffen: Der Körper schüttetdas Hormon Histamin aus, dasbringt das Immunsystem aufHochtouren, vor allem Atemwe-ge und Augen sind betroffen.Während die Allergene bekanntsind, weißmanüber die Ursacheder Unverträglichkeiten bishernurwenig. Entsprechendgrob istdie Therapie – das Immunsys-tem wird mit Histaminblockernchemisch herunterreguliert. DieBeschwerdenwerden damit abernur gemildert, zudem machenvielen Patienten die Nebenwir-kungen zu schaffen, vor allemMüdigkeit und Reizbarkeit.

Alternative Therapien dage-gen sollen das natürliche Gleich-

Empfehlenswert ist einerechtzeitige Behandlung vor dereigentlichen Pollensaison: „Inder Regel geht man von zwei Sit-zungen pro Woche aus, insge-samt etwa acht- bis zwölfmal“, soIrnich, der die Akupunktur nichtnur selbst praktiziert, sondernauch Fortbildungen leitet. Beiakuten Beschwerden kann dasStechen mit den etwa streich-holzlangenNadeln ebenfalls hel-fen: „Aktuelle Studien zeigen,dass allergische Reaktionen sichim Durchschnitt um 50 Prozentlindern lassen.“ Die chinesischeMedizin nimmt es problemlosmit den Histaminblockern derPharmaindustrie auf.

ZusätzlicheVorteile bringt dieBehandlung durch einen Arztmit Akupunkturausbildung:„DerArzt kann etwamit standar-disiertenTestmethodendie indi-viduellen Allergene genau be-stimmen und bei akuten Be-schwerden auch Medikamenteverschreiben“, so Irnich.

Esmuss ja nicht immer gleichein konventioneller Histamin-blocker sein. Verträglicher sindbeispielsweise Präparate ausHeilpilzen wie dem asiatischenReishi, in Europa unter dem Na-men „Glänzender Lackporling“bekannt. In der traditionellenchinesischen Medizin ist er seitTausenden Jahren als „Pilz deslangen Lebens“ bekannt.

ANSGAR WARNER

Chinesische Medizinnimmt es mit denHistaminblockernproblemlos auf

traditionellen chinesischen Me-dizin. Das Setzen von Nadeln anbestimmten Punkten des Kör-pers kann auch Allergien lin-dern. Heuschnupfen kannteman früher zwar nicht, dochmanche Symptome wie das Nie-sen oder tränende Augen passenin überlieferte Schemata. „Dietraditionelle Umschreibung fürsolche allergieähnlichen Be-schwerden lautet ‚Schwäche derMilz‘“, so Dominik Irnich, Aku-punktur- und Schmerzforscheram Münchner Uniklinikum, woes eine naturheilkundlich orien-tierte Schmerzambulanz gibt.