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ABC L’ écriture est à l’origine de la culture supérieure ab ABCDEFGH · Am Beginn höherer Kultur #eht die S>ri~ · abcdefghi АБГДЕЖЗИК · Πисъмне начапо въIсшей купътуръI · абгдежзиклм ABCDEFGHIJKLM · Yüksek medeniyeyetin basi yazidir · abcdefghijklmnopq Wolfgang Hendlmeier Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa Aw Awestaschrift E Etruskische Schrift G Gotische Schrift GM Griechische Minuskel KM Karolingische Minuskel O Oiratisch (Kalmückisch) Unz Unzialis Hebräisch K Aramäisch S Punisch Altägyptisch W,S Phönikisch S,K Altgriechisch Kyrillisch Irisch Römische Capitalis Antiqua G (Nord-)Italisch A Nabatäisch K Arabisch K O A Hieratisch Neugriechisch E KM Fraktur GM A A A A Runen A Unz A Demotisch Phönikisch S,K W,S K W,S A 3000 v. Chr. 2500 2000 1500 1000 500 0 500 1000 1500 2000 n. Chr. Syrisch K Georgisch A Armenisch A Persisch (Aw) A A K S W Alphabetschrift Konsonantenschrift Silbenschrift Wortschrift Gebrauch nur noch als Kirchenschrift unmittelbare Ableitung nur Beeinflussung

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Wolfgang Hendlmeier

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften

in Europa

Aw AwestaschriftE Etruskische SchriftG Gotische SchriftGM Griechische MinuskelKM Karolingische MinuskelO Oiratisch (Kalmuumlckisch)Unz Unzialis

HebraumlischA

K

Aramaumlisch S

Punisch

Altaumlgyptisch WS

Phoumlnikisch SK

Altgriechisch

Kyrillisch

Irisch

Roumlmische Capitalis Antiqua

G(Nord-)Italisch A

Nabataumlisch K Arabisch K

O A

Hieratisch

Neugriechisch

E KM

Fraktur

GM A

AA

A

Runen A

Unz A

Demotisch

Phoumlnikisch SK

WS

K

WS

A

3000

v C

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2500

2000

1500

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1000

1500

2000

n C

hr

Syrisch K

Georgisch A

Armenisch A

Persisch (Aw) A

AK

SW

Alphabetschrift

Konsonantenschrift

Silbenschrift

Wortschrift

Gebrauch nur noch als Kirchenschrift

unmittelbare Ableitung

nur Beeinflussung

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

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Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa Von Wolfgang Hendlmeier

1 Einfuumlhrung

Die Sprache dient der Verstaumlndigung der Menschen uumlber das Gehoumlr Die

Schrift hat die Sprache sichtbar gemacht Schriftzeichen stellen die aumllteste Art

der Speicherung von Gedanken Erfahrungen und Erkenntnissen dar Erst mit

Hilfe der Schrift konnten Menschen ihr Wissen an andere weitergeben die sie

nie gesehen oder gesprochen hatten Ohne die Schrift haumltten sich menschliche

Hochkulturen nicht entwickeln koumlnnen Nach wie vor ist die auf Papier ge‐

schriebene oder gedruckte Schrift das dauerhafteste Mittel zur Weitergabe von

Kenntnissen und dazu jederzeit ohne Strom und frei von sich staumlndig aumlndern‐

den technischen Systemen verfuumlgbar

2 Die Sprachenvielfalt auf Erden

Seit einigen hunderttausend Jahren siedeln Menschen in allen Klimazonen

und Erdteilen Von Natur aus ist der Mensch in verschiedene Gemeinschaften

eingebunden in Familie Sippe Stamm und Volk Bis zum Beginn des indus‐

triellen Zeitalters in der Mitte des 18 Jahrhunderts hatten Menschen die in

weit voneinander entfernten Gemeinschaften lebten miteinander wenig Ver‐

bindung so daszlig sich ungestoumlrt Rassen und Voumllker mit unterschiedlichen We‐

sensarten und Sprachen entwickeln konnten

Die verschiedenartigen Voumllker siedelten nicht immer friedlich nebeneinander

aumlhnlich wie die Mieter in einem Mietshaus nicht immer gut miteinander aus‐

kommen Ausgeloumlst durch die Macht‐ und Besitzgier von Fuumlrsten Politikern

und anderen Einfluszligreichen fielen Staaten immer wieder uumlbereinander her

Trotzdem ist die Vielfalt der Voumllker und ihrer Sprachen erst seit der Mitte des

20 Jahrhunderts durch uumlbermaumlszligigen Warenaustausch und voumllkerwande‐

rungsaumlhnliche Bewegungen ernsthaft gefaumlhrdet Dabei gilt es festzuhalten daszlig

die Natur keinen Einheitsmenschen sondern recht verschiedene Individuen

geschaffen hat die unterschiedlichen Rassen und Voumllkern angehoumlren Die

Sprachen haben sich im Laufe der Jahrhunderttausende entwickelt und stellen

geradezu ein Spiegelbild der jeweiligen Volksseele dar Allerdings empfinden

einfluszligreiche Kraumlfte seit jeher die verschiedenen Sprachen auch als Belastung

da sie den Austausch behindern Hier sei an die Mitteilung von der babyloni‐

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

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schen Sprachverwirrung im 1 Buch Mosis Kap 11 1 bis 9 erinnert Aber sol‐

len wir nicht vielmehr dankbar dafuumlr sein daszlig das Erscheinungsbild der Erde

und das Leben auf ihr so vielgestaltig und abwechslungsreich sind

In der Voumllkerfamilie sind die einen Voumllker im Durchschnitt ihrer Volksange‐

houmlrigen eher fleiszligig und verantwortungsbewuszligt die anderen eher faul die

einen eher kuumlhl und nuumlchtern die anderen eher uumlberschwenglich die einen

eher ordentlich und organisatorisch begabt die anderen eher schlampig die

einen eher selbstkritisch und bescheiden die anderen eher uumlberheblich und

eingebildet So stellen sich die Voumllker als von der Schoumlpfung gewollte Gemein‐

schaften dar die sich durch verschiedene Wesensart und verschiedene Spra‐

chen auszeichnen und deren Handeln auszliger durch die naturgegebenen Anla‐

gen auch durch Klima Religion und nicht zuletzt durch die Fuumlhrungskraumlfte

beeinfluszligt wird

Auf der Erde gibt es mehr als 10 groszlige Sprachfamilien unter ihnen die indo‐

germanische mit dem Deutschen Rund 150 Sprachen meist alte Kulturspra‐

chen ndash davon allein uumlber 50 in Europa ndash sind in den fast 200 Staaten der Erde

als Verwaltungs‐ Amts‐ und Schulsprachen eingefuumlhrt Insgesamt hat es um

1990 je nach Quelle 3 000 bis 6 000 Sprachen [9 12] gegeben von denen die

meisten nur eine aumlhnliche Rolle wie die deutschen Mundarten gespielt haben

Viele davon wurden von Staats wegen unterdruumlckt dh ihr Gebrauch war vor

Behoumlrden und Gerichten sowie in der Schule nicht erlaubt

Nach dem ʺAtlas der Sprachen der Weltʺ [12] soll es vor rund 15 000 Jahren

einen Houmlhepunkt sprachlicher Verschiedenheit gegeben haben Insgesamt

10 000 bis 15 000 Sprachen wurden damals gesprochen Bis um 1500 ging die

Zahl auf 7 000 zuruumlck bis um 1990 auf 6 000 In 200 Jahren sollen es nur noch

600 sein also nur noch rund ein Zehntel der im 20 Jahrhundert verbliebenen

Sprachen Wird die materialistische Globalisierung mit ihrer scheinbar

schrankenlosen Geldgier die menschliche und kulturelle Vielfalt auf Erden

zerstoumlren Derzeit sieht es so aus

3 Die Laut‐Buchstaben‐Beziehung

Die Aussprache der verschiedenen Sprachen hat sich in geschichtlicher Zeit

veraumlndert Zur Zeit der Verschriftlichung einer Volkssprache war man be‐

strebt fuumlr jedes Phonem ein Graphem festzulegen Zur Erlaumluterung ein Pho‐

nem ist ein Laut oder eine Lautfolge zB der Umlaut uuml lautlich zwischen den

Vokalen i und u stehend Ein Graphem ist ein bestimmtes Schriftzeichen oder

ein Schriftzeichen mit diakritischem Zeichen (zB Akzent) oder ein Sonderzei‐

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

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chen oder eine Zeichenfolge z B fuumlr den Laut uuml ein u mit daruumlber stehenden

diakritischen Punkten Der waagrecht liegende Doppelpunkt der deutschen

Umlaute ist aus dem kleinen e der deutschen Schreibschrift hervorgegangen

Bei Sprachen deren Schreibweise schon vor langer Zeit festgelegt worden ist

besteht heute in der Regel ein nicht besonders sinnvoller (logischer) Zusam‐

menhang zwischen Schreibweise und Aussprache dh gleiche Laute werden

nicht immer durch das gleiche Graphem wiedergegeben Umgekehrt wird das

gleiche Graphem nicht immer gleich ausgesprochen Dieser Mangel ist zum

Beispiel bei der Schreibung des Englischen und Franzoumlsischen stark ausge‐

praumlgt weniger bei der des Deutschen

Aus den genannten Gruumlnden ist eine international guumlltige Uumlbertragung zum

Beispiel der russischen oder chinesischen Namen in lateinische Schreibweise

nicht richtig da die Lateinbuchstaben in den verschiedenen Laumlndern mit latei‐

nischer Schreibweise verschieden ausgesprochen werden Trotzdem haben

uns in den letzten Jahrzehnten Geographen und kartographische Verlage ohne

amtliche Genehmigung die am Englischen ausgerichtete Namensschreibweise

praktisch aufgenoumltigt zB slavisch (statt fruumlher slawisch)

Sprachen deren Schreibweise erst im 19 Jahrhundert durch Sprachwissen‐

schaftler (Linquisten) festgelegt wurde sind aumllteren Schriftsprachen gegen‐

uumlber im Vorteil Eine besonders sinnvolle Laut‐Buchstaben‐Beziehung zeich‐

net das Serbokroatische aus dessen Schreibweise Vuk Stefanović Karadžić

(1787 ‐ 1864) erst 1818 festgelegt hat In [2] heiszligt es dazu unter dem Stichwort

ʺSerbokroatische Spracheʺ ʺEin besonderer Vorzug speziell des Serbischen ist

die ausgezeichnete streng phonetische Orthographie deren sich in solcher

Vollkommenheit wohl kaum eine zweite Sprache erfreuen duumlrfteʺ Dabei hat

die unterschiedliche Religionszugehoumlrigkeit der orthodoxen Serben und der

katholischen Kroaten ihrer Sprache zwei Schriften beschert Das Serbische

wird in kyrillischer Schrift das Kroatische in Antiqua gesetzt

4 Die Sprachenvielfalt in Europa

Europa ist im Norden Westen und Suumlden durch Meere begrenzt im Osten

durch das Ural‐Gebirge den Ural‐Fluszlig das Kaspische Meer und die Ma‐

nytschsenke zwischen Kaspischem und Asowschem Meer Zu Europa gehoumlren

also nicht die Kaukasus‐Staaten Armenien Aserbaidschan und Georgien In

Europa bestehen zur Zeit ndash ohne die deutschen und oumlsterreichischen Bundes‐

laumlnder sowie vergleichbare staatliche Gebilde ndash 45 mehr oder weniger souve‐

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

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raumlne Staaten mit uumlber 40 Amts‐ und Schulsprachen Hierbei sind die russi‐

schen Regionalsprachen zB das zu den finnougrischen Sprachen gehoumlrende

Mordwinische nicht mitgerechnet

Die kulturgeschichtliche und politische Bedeutung der einzelnen Sprachen ist

recht unterschiedlich Sie haumlngt davon ab wann die einzelnen Sprachen

verschriftlicht worden sind wie groszlig die Zahl der Sprecher heute ist und wel‐

chen sprachlichen Behauptungswillen das jeweilige Volk oder vielmehr des‐

sen Politiker und Medien an den Tag gelegt haben So faumlllt auf daszlig Deutsch

mit rund 100 Mio Sprechern weltweit im Gegensatz zum Franzoumlsischen mit

nur rund 80 Mio Sprechern nicht als eine der derzeit 6 Amtssprachen der Ver‐

einten Nationen eingefuumlhrt ist Diese Sprachen sind in der Reihenfolge der

Sprecherzahl Chinesisch Englisch Spanisch Russisch Arabisch und Franzouml‐

sisch Dies liegt daran daszlig die deutschsprachigen Regierungen bei ihrer Auf‐

nahme in die Vereinten Nationen nicht auf Deutsch als Amtssprache bestan‐

den haben und wohl auch daran daszlig die Vereinten Nationen urspruumlnglich

als Buumlndnis gegen die ʺAchsenmaumlchteʺ Deutsches Reich und Italien und deren

Verbuumlndete entstanden sind

Tabelle 1 zeigt die Sprachen‐ und Schriftenvielfalt Europas Einige Sprachge‐

biete zerfallen in ausgepraumlgte Mundartgebiete wobei der Uumlbergang zwischen

Sprache und Mundart flieszligend ist Nicht wenige Mundarten die streng ge‐

nommen den Rang einer eigenen Sprache haben zB das Niederdeutsche das

Schweizerdeutsch oder das Provenzalische konnten sich nicht als Amts‐ und

Verkehrssprachen durchsetzen wenn auch in fast allen Mundarten seit lan‐

gem eine Mundartliteratur in nicht festgelegter Schreibweise entstanden ist

Tabelle 1

Amtssprachen und Schriften in den europaumlischen Staaten

Staat Sprache Schriftlicher Nachweis der

Sprache seit dem

Schriftart

Albanien albanisch im Norden auch gegisch

16 Jahrh lateinisch bis 1908 auch griechische Schrift

Andorra katalanisch spanisch und franzoumlsisch

12 Jahrh 9 Jahrh

lateinisch

Belgien franzoumlsisch und niederlaumlndisch (in Belgien als flaumlmisch bezeichnet) im Gebiet von Eupen auch deutsch

9 Jahrh 12 Jahrh

lateinisch

Bosnien und Herzegowina

serbisch und kroatisch

13 Jahrh 14 Jahrh

kyrillisch lateinisch

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

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Staat Sprache Schriftlicher Nachweis der

Sprache seit dem

Schriftart

Bulgarien bulgarisch tuumlrkisch der Minderheit nicht amtlich anerkannt (Stand 1975)

18 Jahrh 12 Jahrh

kyrillisch

Daumlnemark daumlnisch auf den Faumlroumler-Inseln auch faumlringisch in Nordschleswig auch deutsch

12 Jahrh

18 Jahrh 8 Jahrh

lateinisch bis in das 19 Jahrhundert auch Fraktur

Deutschland deutsch in Suumldschleswig auch daumlnisch in der Lausitz auch sorbisch

um 770 lateinisch bis um 1960 auch Fraktur (1941 durch die deutsche Reichsregierung abge-schafft)

Estland estnisch und russisch

16 Jahrh

11 Jahrh

lateinisch fuumlr das Estnische (Frakturgebrauch wie in Daumlnemark) kyrillisch fuumlr das Russische

Finnland finnisch und schwedisch im Norden auch samisch und lap-pisch

16 Jahrh lateinisch Frakturgebrauch wie in Daumlnemark

Frankreich franzoumlsisch die Minderheiten-sprachen deutsch bretonisch baskisch und italienisch sind amtlich nicht anerkannt

9 Jahrh lateinisch

Griechenland neugriechisch (Dimotiki) im Norden auch mazedonisch

19 Jahrh 20 Jahrh

griechisch kyrillisch fuumlr das Mazedoni-sche

Groszligbritan-nien und Nordirland

englisch in Wales auch walisisch in Nord-schottland auch gaumllisch auf den Kanalinseln auch franzoumlsisch

8 Jahrh

17 Jahrh 9 Jahrh

lateinisch

Irland irisch und englisch

6 Jahrh 8 Jahrh

irisch (zuruumlckgehend) und lateinisch

Island islaumlndisch 12 Jahrh lateinisch Frakturgebrauch wie in Daumlnemark

Italien italienisch in Suumldtirol auch deutsch im Aostatal auch franzoumlsisch

13 Jahrh 8 Jahrh 9 Jahrh

lateinisch

Kroatien kroatisch 14 Jahrh lateinisch

Lettland lettisch und russisch

16 Jahrh

11 Jahrh

lateinisch fuumlr das Lettische (Frakturgebrauch wie in Daumlnemark) kyrillisch fuumlr das Russische

Liechtenstein deutsch 8 Jahrh lateinisch siehe Deutsch-land

Litauen litauisch und russisch

16 Jahrh

11 Jahrh

lateinisch fuumlr das Litauische (Frakturgebrauch wie in Daumlnemark) kyrillisch fuumlr das Russische

Luxemburg franzoumlsisch deutsch und letzeburgisch

9 Jahrh 8 Jahrh

lateinisch

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

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Staat Sprache Schriftlicher Nachweis der

Sprache seit dem

Schriftart

Malta maltesisch und englisch 18 bzw 8 Jahrh lateinisch

Mazedonien mazedonisch 20 Jahrh kyrillisch

Moldau (Mol-dawien)

moldauisch = rumaumlnisch und russisch

16 Jahrh 11 Jahrh

kyrillisch

Monaco franzoumlsisch 9 Jahrh lateinisch

Niederlande niederlaumlndisch im Nordosten westfriesisch als nichtamtliche Minderheitensprache

12 Jahrh lateinisch

Norwegen norwegisch (norwegisch ist der Oberbegriff fuumlr die im 19 Jahrhundert aus Mundarten entwickelten Sprachen Bokmal und Nynorsk) in Teilgebieten auch samisch

12 Jahrh lateinisch Frakturgebrauch wie in Daumlnemark

Oumlsterreich deutsch in Teilen Kaumlrntens auch slowenisch (windisch)

8 Jahrh lateinisch siehe Deutsch-land

Polen polnisch als Minderheitensprachen deutsch und kaschubisch

15 Jahrh lateinisch fruumlher teilweise auch Fraktur

Portugal portugiesisch 12 Jahrh lateinisch

Rumaumlnien rumaumlnisch in Siebenbuumlrgen auch ungarisch und deutsch

16 Jahrh ab 1865 lateinisch vorher kyrillisch

Ruszligland russisch in Teilgebieten auch Minderheitensprachen am be-deutendsten das Mordwinische (eine finno-ugrische Sprache) mit uumlber 1 Mio Sprechern

11 Jahrh kyrillisch

San Marino italienisch 13 Jahrh lateinisch

Schweden schwedisch im Norden auch samisch

12 Jahrh lateinisch Frakturgebrauch wie in Daumlnemark

Schweiz deutsch franzoumlsisch italienisch und raumltoromanisch

8 Jahrh 9 Jahrh

13 Jahrh 16 Jahrh

lateinisch fuumlr das Deutsche fruumlher auch Fraktur

Serbien und Montenegro

serbisch in Teilgebieten auch ungarisch

13 Jahrh 15 Jahrh

kyrillisch (fuumlr serbisch) lateinisch (fuumlr ungarisch)

Slowakei slowakisch in Teilgebieten auch ungarisch

18 Jahrh 15 Jahrh

lateinisch bis in das 19 Jahrh auch Fraktur

Slowenien slowenisch 16 Jahrh lateinisch

Spanien spanisch in Teilgebieten auch katalanischbaskisch und Gallego = galizisch

12 Jahrh

16 Jahrh

lateinisch

Tschechien tschechisch 13 Jahrh lateinisch bis in das 19 Jahrh auch Fraktur

Tuumlrkei tuumlrkisch 12 Jahrh lateinisch 1928 Umstellung von arabischer auf lateini-sche Schrift

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

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Staat Sprache Schriftlicher Nachweis der

Sprache seit dem

Schriftart

Ukraine ukrainisch und russisch 14 bzw 11 Jahrh kyrillisch

Ungarn ungarisch in Teilgebieten auch deutsch

15 Jahrh 8 Jahrh

lateinisch

Vatikanstadt italienisch und lateinisch

13 Jahrh lateinisch

Weiszligruszligland weiszligrussisch und russisch 15 bzw 11 Jahrh kyrillisch Anmerkungen zur Tabelle 1 auch vor den genannten Sprachen bedeutet daszlig es sich um eine Minderheitensprache handelt Als Schul- oder Amtssprachen fuumlr nationale Minderheiten nicht anerkannte Spra-chen sind idR nicht aufgefuumlhrt

Serbisch und kroatisch wird auch zur Sprache Serbokroatisch zusammengefaszligt Die Trennung ist nur deshalb zweckmaumlszligig weil Kroatisch in lateinischer Schrift Serbisch in kyrillischer Schrift geschrieben wird

Die Sprachen Arabisch Deutsch Englisch Portugiesisch Russisch und Spanisch werden weltweit von uumlber 100 Mio Sprechern gesprochen

Luther hat entscheidend dazu beigetragen daszlig das Hochdeutsche auch im

niederdeutschen Sprachbereich ndash ohne die Niederlande und Belgien ndash Fuszlig faszlig‐

te da es als bdquoheilige Spracheldquo galt und deshalb im Gottesdienst anstelle der

oumlrtlichen Mundarten gebraucht wurde

Die fruumlhere Sowjetunion hat das Eigenleben ihrer zahlreichen Voumllker und

Volksgruppen zum Teil bewuszligt gefoumlrdert so daszlig viele Sprachen noch im

20 Jahrhundert von einer Volkssprache in den Rang einer Schrift‐ und Amts‐

sprache erhoben worden sind In Tabelle 1 ist soweit bekannt das Jahrhun‐

dert der Verschriftlichung genannt

Oumlstlich einer gedachten Linie von Triest nach St Petersburg also im wesentli‐

chen im slawischen Siedlungsraum siedeln die verschiedenen Voumllker und

Volksgruppen in Gemengelage nebeneinander Geschlossene Volkssiedlungs‐

gebiete sind dort im wesentlichen nur das weiszligrussische und das ukrainische

Gebiet Umsiedlung und Vertreibung haben fast alle deutschen Sprachinseln

in Osteuropa ausgeloumlscht Sie wurden vom Mittelalter an bis ins 19 Jahrhun‐

dert hinein besiedelt

Die vom 18 Jahrhundert an allmaumlhlich eingefuumlhrte Schulpflicht hat sprachli‐

che Minderheiten zuruumlckgedraumlngt Sie koumlnnen nur dann uumlberleben wenn das

Mehrheitsvolk eines Staates seinen Minderheitsvoumllkern groszligmuumltig Minderhei‐

tenrechte gewaumlhrt dh wenn es ihre Muttersprache neben der allgemeinen

Staatssprache als Schul‐ und Amtssprache zulaumlszligt Staaten die sich mit dem

Minderheitenschutz seit jeher schwer tun oder ihn miszligachten sind ua Frank‐

reich Polen und Bulgarien

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

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5 Die in Europa gebraumluchlichen Schriften

Auszliger mit der heute als Druckschrift in Deutschland eingefuumlhrten Antiqua

(mit Endquerstrichen oder Serifen) bzw den serifenlosen Groteskschriften

wurden die in Europa gesprochenen Sprachen um 1900 in neun weiteren

Schriften gedruckt (Tab 2 und Abb 4) Beispiele von Buchschriften aus Euro‐

pa und Randgebieten zeigt Abb 2 den Stammbaum dieser Schriften Abb 1

Die Urahnen der europaumlischen Schriften sind die vor rund 5000 Jahren ent‐

standenen altaumlgyptischen Hieroglyphen

Dieser Beitrag beruumlcksichtigt nicht sog tote Sprachen und Schriften auch

wenn sie im 19 Jahrhundert noch fuumlr den religioumlsen und wissenschaftlichen

Bereich verwendet wurden Hierher gehoumlren die lateinische und syrische

Sprache sowie die syrische Schrift Die hebraumlische Sprache und Schrift sind vor

allem durch den Zionismus wiederbelebt worden Auch die Runen die von

den Griechen uumlber die Etrusker zu den Germanen gekommen sein sollen wa‐

ren im 19 Jahrhundert bereits ausgestorben Sie sind im Gegensatz zu den

vorgenannten toten Schriften nie als Buchschrift verwendet worden

Abb 1

Entwicklung der in Europa und Randgebieten eingefuumlhrten

Buch‐ und Monumentalschriften seit fuumlnftausend Jahren [10]

Aw AwestaschriftE Etruskische SchriftG Gotische SchriftGM Griechische MinuskelKM Karolingische MinuskelO Oiratisch (Kalmuumlckisch)Unz Unzialis

Hebraumlisch

A

K

Aramaumlisch S

Punisch

Altaumlgyptisch WS

Phoumlnikisch SK

Altgriechisch

Kyrillisch

Irisch

Roumlmische Capitalis Antiqua

G(Nord-)Italisch A

Nabataumlisch K Arabisch K

O A

Hieratisch

Neugriechisch

E KM

Fraktur

GM A

AA

A

Runen A

Unz A

Demotisch

Phoumlnikisch SK

WS

K

WS

A

3000

v C

hr

2500

2000

1500

1000

500

0 500

1000

1500

2000

n C

hr

Syrisch K

Georgisch A

Armenisch A

Persisch (Aw) A

AK

SW

Alphabetschrift

Konsonantenschrift

Silbenschrift

Wortschrift

Gebrauch nur noch als Kirchenschrift

unmittelbare Ableitung

nur Beeinflussung

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

10

Seit 150 Jahren haben einige Staaten einen Schriftwechsel beschlossen

1860 (1865) in Rumaumlnien Umstellung von Kyrillisch auf Antiqua

1928 in der Tuumlrkei Umstellung von Arabisch auf Antiqua

1941 in Deutschland Umstellung von Fraktur auf Antiqua schon um 1900

waren die skandinavischen Staaten mit der Umstellung von Fraktur auf An‐

tiqua vorangegangen

nach 1920 in der Sowjetunion Ersatz der oiratischen Schrift der Kalmuumlcken

sowie der arabischen Schrift in den islamischen Gebieten zunaumlchst durch

Antiqua nach 1939 durch die kyrillische Schrift mit Sonderzeichen

Tabelle 2

Die Bevoumllkerung Europas nach Schriftverbreitungsgebieten

um 1890

Schriftart Millionen Einwohner Anteil in

Antiqua 1814 50

Kyrillische Schrift 900 25

Fraktur 811 23

Arabische Schrift 50 13

Griechische Schrift 37 1

Irische Schrift 10 03

Oiratische Schrift 01 02

Summe 3623 100

Schrift und Religion haumlngen eng zusammen denn vor allem Geistliche ha‐

ben die verschiedenen Schriften in Europa und seinen Randgebieten geschaf‐

fen oder als Schriften fuumlr wichtige religioumlse Buumlcher benutzt Die Verschriftli‐

chung der einzelnen Sprachen ist vor dem 19 Jahrhundert eng mit der Aus‐

breitung des Christentums und des Islams verbunden Die wichtigen reli‐

gioumlsen Buumlcher wurden deshalb in den bdquorichtigenldquo Schriften geschrieben oder

spaumlter gedruckt Diese Schriften galten als geheiligt Jahrhundertelang haben

die roumlmisch‐katholische Kirche und die anglikanische Kirche die Antiqua ver‐

breitet die lutherische Kirche die Fraktur orthodoxe Kirche ndash mit Ausnahme

Griechenlands ndash die kyrillische Schrift und der Islam mit dem Koran in arabi‐

scher Sprache die arabische Schrift Erst im 19 Jahrhundert zerfiel allmaumlhlich

der Zusammenhang zwischen Religion und Schrift Die Fraktur wurde ab 1941

sozusagen in den schriftgeschichtlichen Bereich verbannt

Die Domschulen Kloumlster und Koranschulen waren jahrhundertelang Traumlger

der Schriftkultur Das urspruumlnglich zur Verfuumlgung stehende Abc der Westkir‐

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

11

che war fuumlr die Wiedergabe aller Laute der nichtlateinischen Volkssprachen

nicht vollstaumlndig geeignet Deshalb entstanden nach und nach Sonderzeichen

vor allem diakritische Zeichen Im Deutschen sind dies die Umlaute auml ouml und uuml

sowie das szlig Insgesamt gibt es fuumlr die Schreibung der europaumlischen Sprachen

des lateinischen Schriftenkreises uumlber 70 abgewandelte Buchstaben und Son‐

derbuchstaben die meisten fuumlr die Schreibung der slawischen und baltischen

Sprachen Nationale Sonderzeichen gibt es auch in der kyrillischen Schrift

Die heutigen lateinischen Druckschriften sind unmittelbar auf die humani‐

stische Minuskel des 15 Jahrhunderts zuruumlckzufuumlhren (Abb 3) Diese hat die

Groszligbuchstaben (Versalien) von der um die Zeitenwende entstandenen CA‐

PITALIS uumlbernommen die Kleinbuchstaben (Gemeinen) von der karolingi‐

schen Minuskel des 8 Jahrhunderts Verwendet wird die lateinische Schrift

fast ausschlieszliglich in Laumlndern die durch die roumlmische Kirche missioniert wor‐

den sind wenn man vom Rumaumlnischen und Tuumlrkischen absieht

Als fruumlhe Sonderform der lateinischen Schrift haben irischen Moumlnche die iri‐

sche Schrift entwickelt Schon im 6 Jahrhundert war sie in einer Auspraumlgung

gebraumluchlich die der heutigen stark aumlhnelt

Das juumlngste Glied des lateinischen Werkschriftenkreises ist die Fraktur Sie

war fruumlher in allen europaumlischen Laumlndern verbreitet in denen sich waumlhrend

der Reformation die Einwohner ganz oder uumlberwiegend der evangelisch‐

lutherischen Lehre angeschlossen hatten also in Deutschland Skandinavien

und im Baltikum Die unmittelbaren Vorlaumlufer der Fraktur sind die Bastard‐

schriften (gebrochenen Kursiven) wie sie in Nordfrankreich in den Nieder‐

landen und in der kaiserlichen Kanzlei von der Mitte des 15 Jahrhunderts an

verwendet wurden In vollendeter Form taucht die Fraktur 1525 in Albrecht

Duumlrers Buch ʺUnterweisung der Messung mit dem Zirkel und Richtscheid in

Linien Ebenen und ganzen Koumlrpernʺ auf Geschnitten hat sie Hieronymus

Andreauml (Roumlsch) nach dem Entwurf des Schreibmeisters Johann Neudoumlrffer

d Auml (1497 ‐ 1563) Als Werkschrift des deutschen Sprachraums und des kultu‐

rell mit Deutschland verbundenen skandinavischen baltischen und westsla‐

wischen Raums hielt sich die Fraktur auszligerhalb Deutschlands bis ins 19 Jahr‐

hundert und wurde erst danach durch die Antiqua abgeloumlst

In Deutschland verfuumlgte die damalige Reichsregierung 1941 ein Umstellungs‐

gebot von ʺdeutscher Schriftʺ dh von Fraktur und deutscher Schreibschrift

auf ʺNormalschriftʺ dh auf Antiqua und lateinische Schreibschrift Die Um‐

stellung wurde auch nach dem 2 Weltkrieg weitergefuumlhrt denn die tonange‐

benden Kraumlfte in Deutschland halten idR das Neue oder das Fremde fuumlr bes‐

ser als das Alte und das Eigene

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

12

Abb 2

Beispiele von Buchschriften aus Europa und Randgebieten [10]

Alle Sprach‐ und Schriftbeispiele mit Ausnahme der kalmuumlckischen Sprache

in oiratischer Schrift geben die Aussage wieder Am Beginn houmlherer Kultur steht die Schrift

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

13

Streng genommen ist nach der Fraktur noch eine allerjuumlngste Werkschrift ent‐

standen naumlmlich die schlichte gotische Schrift oder die Gebrochene Grotesk

Das aumllteste Mitglied dieser Schriftfamilie ist die Wieynck‐Werkschrift Profes‐

sor Heinrich Wieynck hat sie 1930 entworfen In den dreiszligiger Jahren haben

sie viele Schriftkuumlnstler nachempfunden denn mit Wieynck waren damals

viele der Meinung die Fraktur mit ihren Schnoumlrkeln passe nicht in das techni‐

sche Zeitalter dessen Aussehen damals beispielgebend der schmucklos‐

nuumlchterne Bauhausstil zeigte Die Neuerer gestalteten um einen vollstaumlndigen

Ersatz der Fraktur durch Antiqua und Grotesk zu verhindern die gebroche‐

nen Schriften schlichter erreichten ihr Ziel aber nicht Stilistisch nahmen die

gebrochenen Groteskschriften die recht konstruiert wirken bei den damals

stark im Gespraumlch befindlichen Runen und der Staumlbchenschrift Anleihen Letz‐

tere entstand dadurch daszlig die Schuumller zum Erlernen der Antiqua jeden Buch‐

staben aus Staumlbchen zusammensetzen sollten Den gebrochenen Groteskschrif‐

ten zB der Tannenberg National und anderen Schriften mit betont national

klingenden Namen fehlen jegliche Rundungen Sie konnten sich vor dem

Frakturverbot nicht mehr als Werksatzschriften durchsetzen Nur fuumlr Aus‐

zeichnungszwecke verwendete man sie damals gelegentlich Schriftbeispiele

aller abendlaumlndischen Schriften und ihren Stammbaum zeigt Abb 3

Die kyrillische Schrift seit dem 10 Jahrhundert gebraumluchlich geht auf die im

9 Jahrhundert durch den Slawenapostel Kyrill (826 ‐ 869) aus der griechischen

Schrift abgeleitete glagolitische Schrift (Glagoliza) zuruumlck die sich als eckige

kroatische oder illyrische Glagoliza noch bis ins 19 Jahrhundert im kroati‐

schen Insel‐ und Kuumlstenraum als Kirchenschrift hielt Nach dem 1 Weltkrieg

hat die kyrillische Schrift in der Sowjetunion eine deutliche Vergroumlszligerung ih‐

res Verbreitungsgebietes erfahren da die Wiedergabe der fruumlher durch arabi‐

sche Schriftzeichen ab den zwanziger Jahren durch Antiqua dargestellten

Sprachen seit 193940 in kyrillischer Schrift erfolgt

Die im Mathematikunterricht und im Griechischunterricht an den humanisti‐

schen Gymnasien gelehrte griechische Schrift die auch im heutigen Griechen‐

land verwendet wird hat ihren unmittelbaren Vorlaumlufer in der geschriebenen

griechischen Minuskel des 13 Jahrhunderts Dagegen waumlren heute die griechi‐

schen Handschriften des Altertums fuumlr jeden Gymnasiasten und wohl auch

fuumlr die meisten Altphilologen unleserlich

Im oumlstlichen Europa am Westufer des Kaspischen Meeres leben die im 17

Jahrhundert aus dem Osten zugewanderten Kalmuumlcken Sie verwendeten

noch im 19 Jahrhundert die 1648 von Dschaja Pandita geschaffene oiratische

Schrift Sie geht auf die im 11 Jahrhundert in Anlehnung an das syrische Al‐

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

14

phabet entstandene mongolische Schrift zuruumlck Merkwuumlrdig an dieser Schrift

ist daszlig sie in Spalten von oben nach unten geschrieben wird aber nach Dre‐

hung um 90deg von rechts nach links zu lesen ist Im 20 Jahrhundert ersetzten

die Kalmuumlcken ihre eigene Schrift zunaumlchst durch Antiqua dann durch die

kyrillische Schrift

Durch den Islam kam die arabische Schrift auch in die oumlstlichen Randgebiete

Europas Diese wird zur Wiedergabe der arabischen Sprachen und sie wurde

jahrhundertelang auch zur Wiedergabe der Turksprachen im Osmanischen

Reich und im Zarenreich verwendet also in den Gebieten die den islamischen

Glauben angenommen hatten Trotz ihres von den abendlaumlndischen Schriften

und der kyrillischen Schrift sehr verschiedenen Aussehens hat die arabische

Schrift die gleiche Wurzel naumlmlich die phoumlnikische Schrift aus der sich die

aramaumlische und im 6 Jahrhundert die arabische Schrift entwickelt hat

Abb 3

Stammtafel der Schriften des lateinischen Schriftenkreises

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

15

Infolge der Umwaumllzungen nach dem 1 Weltkrieg ist die arabische Schrift als

Alltags‐Werkschrift in der Tuumlrkei 1928 durch die lateinische Schrift mit Son‐

derzeichen ersetzt worden wohl nach diesem Vorbild in der Sowjetunion

ebenfalls Ende der zwanziger Jahre ebenfalls durch Antiqua schon im

2 Weltkrieg schlieszliglich durch die kyrillische Schrift Inzwischen foumlrdert der

wieder erstarkte Islam Bestrebungen die arabische Schrift dort wieder einzu‐

fuumlhren wo sie durch andere Schriften verdraumlngt worden ist

6 Schluszligbetrachtung

Bedingt durch die Vielfalt der Voumllker und Religionen in Europa haben sich

verschiedene Kulturen und im Rahmen dieser Kulturen verschiedene Spra‐

chen und auch Schriften entwickelt Die phoumlnikische Schrift ist die Stammutter

aller europaumlischen Schriften Je nach Wesensart Koumlnnen und Geschmack der

Schriftschoumlpfer ist sie recht unterschiedlich weiterentwickelt worden Als Er‐

gebnisse sind unter anderem die kuumlhle monumentale Antiqua die schlichte

Abb 4

Europaumlische Buchschriften im 19 Jahrhundert [10]

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

16

Grotesk die kuumlnstlerisch beschwingte Fraktur die flott geschriebene arabische

Schrift und die kyrillische Schrift entstanden

Zur bdquodeutschen Schriftldquo gehoumlren im weiteren Sinne alle gebrochenen Schrif‐

ten im engeren Sinne Schwabacher Fraktur Gebrochene Grotesk und die

spitze deutsche Schreibschrift Die genannten Schriften sind mit den heute ge‐

braumluchlichen runden Schriften eng verwandt und fuumlr den frakturungewohn‐

ten Leser bei durchschnittlicher Begabung und mit etwas Fleiszlig nach kurzer

Einlesezeit lesbar Die Fraktur ist eine von neun Werkschriften die in der Mit‐

te des 19 Jahrhunderts in Europa noch gebraumluchlich waren Es waumlre bedauer‐

lich wenn sie aus modischen technischen und wirtschaftlichen Gruumlnden auf

dem Altar der Vereinheitlichung und kulturellen Verflachung geopfert wuumlrde

Wichtigstes Schrifttum

[1] bdquoBrockhaus‐Enzyklopaumldieldquo 17 Aufl Wiesbaden 1975 unter den einschlaumlgigen Stich‐

woumlrtern insbesondere die Erlaumluterungen im 21 Band auf S IX

[2] bdquoMeyers Konversations‐Lexikonldquo 5 Aufl 1895 ndash 1897

[3] Wolfgang Hendlmeier bdquoVon den Mundarten zur Hochspracheldquo in Hans Riegelmann

bdquoVon deutscher Sprache und Schriftldquo Bremen 1993 S 21

[4] Wolfgang Hendlmeier bdquoDie Pflege der deutschen Sprache ndash einst und heuteldquo in Hans

Riegelmann bdquoVon deutscher Sprache und Schriftldquo Bremen 1993 S 31

[5] Wolfgang Hendlmeier bdquoViele Sprachen werden aussterbenldquo in bdquoDie deutsche Schriftldquo

Heft 11994 S 4

[6] Wolfgang Hendlmeier bdquoVon bedrohten Sprachen und sterbenden Voumllkernldquo in bdquoDie

deutsche Schriftldquo Heft 21994 S 37

[7] Wolfgang Hendlmeier bdquoDie Rechtschreibreform ndash Ein Anschlag auf die deutsche Spra‐

cheldquo in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 41997 S 83

[8] Wolfgang Hendlmeier und Gerhard Helzel bdquoSonderzeichen europaumlischer Sprachen des

lateinischen Schriftenkreisesldquo in in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 21995 S 138

[9] Werner Koumlnig bdquoAtlas zur deutschen Spracheldquo 5 Aufl dtv‐Verlag Muumlnchen 1983

[10] Artur Wohe bdquoVielfalt der Sprachen und Schriften in Europa ndash Buumlrde oder Reichtumldquo

in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 31990 S 83 dort weitere Literaturhinweise

[11] Wolfgang Hendlmeier bdquoKunstwerke der Schriftldquo 3 Aufl Hannover 1994 S 89

[12] Gerhard Quast Bedrohte Sprachen sterbende Voumllker in bdquoJunge Freiheitldquo Nr 121994

[13] httpdewikipediaorgwikiGriechische_Sprachfrage

[14] httpdewikipediaorgwikiKyrillisches_Alphabet

Stand 18072013

Page 2: Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa - … · 2 Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa Von ... nahme in die Vereinten Nationen nicht auf Deutsch als Amtssprache

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

2

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa Von Wolfgang Hendlmeier

1 Einfuumlhrung

Die Sprache dient der Verstaumlndigung der Menschen uumlber das Gehoumlr Die

Schrift hat die Sprache sichtbar gemacht Schriftzeichen stellen die aumllteste Art

der Speicherung von Gedanken Erfahrungen und Erkenntnissen dar Erst mit

Hilfe der Schrift konnten Menschen ihr Wissen an andere weitergeben die sie

nie gesehen oder gesprochen hatten Ohne die Schrift haumltten sich menschliche

Hochkulturen nicht entwickeln koumlnnen Nach wie vor ist die auf Papier ge‐

schriebene oder gedruckte Schrift das dauerhafteste Mittel zur Weitergabe von

Kenntnissen und dazu jederzeit ohne Strom und frei von sich staumlndig aumlndern‐

den technischen Systemen verfuumlgbar

2 Die Sprachenvielfalt auf Erden

Seit einigen hunderttausend Jahren siedeln Menschen in allen Klimazonen

und Erdteilen Von Natur aus ist der Mensch in verschiedene Gemeinschaften

eingebunden in Familie Sippe Stamm und Volk Bis zum Beginn des indus‐

triellen Zeitalters in der Mitte des 18 Jahrhunderts hatten Menschen die in

weit voneinander entfernten Gemeinschaften lebten miteinander wenig Ver‐

bindung so daszlig sich ungestoumlrt Rassen und Voumllker mit unterschiedlichen We‐

sensarten und Sprachen entwickeln konnten

Die verschiedenartigen Voumllker siedelten nicht immer friedlich nebeneinander

aumlhnlich wie die Mieter in einem Mietshaus nicht immer gut miteinander aus‐

kommen Ausgeloumlst durch die Macht‐ und Besitzgier von Fuumlrsten Politikern

und anderen Einfluszligreichen fielen Staaten immer wieder uumlbereinander her

Trotzdem ist die Vielfalt der Voumllker und ihrer Sprachen erst seit der Mitte des

20 Jahrhunderts durch uumlbermaumlszligigen Warenaustausch und voumllkerwande‐

rungsaumlhnliche Bewegungen ernsthaft gefaumlhrdet Dabei gilt es festzuhalten daszlig

die Natur keinen Einheitsmenschen sondern recht verschiedene Individuen

geschaffen hat die unterschiedlichen Rassen und Voumllkern angehoumlren Die

Sprachen haben sich im Laufe der Jahrhunderttausende entwickelt und stellen

geradezu ein Spiegelbild der jeweiligen Volksseele dar Allerdings empfinden

einfluszligreiche Kraumlfte seit jeher die verschiedenen Sprachen auch als Belastung

da sie den Austausch behindern Hier sei an die Mitteilung von der babyloni‐

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

3

schen Sprachverwirrung im 1 Buch Mosis Kap 11 1 bis 9 erinnert Aber sol‐

len wir nicht vielmehr dankbar dafuumlr sein daszlig das Erscheinungsbild der Erde

und das Leben auf ihr so vielgestaltig und abwechslungsreich sind

In der Voumllkerfamilie sind die einen Voumllker im Durchschnitt ihrer Volksange‐

houmlrigen eher fleiszligig und verantwortungsbewuszligt die anderen eher faul die

einen eher kuumlhl und nuumlchtern die anderen eher uumlberschwenglich die einen

eher ordentlich und organisatorisch begabt die anderen eher schlampig die

einen eher selbstkritisch und bescheiden die anderen eher uumlberheblich und

eingebildet So stellen sich die Voumllker als von der Schoumlpfung gewollte Gemein‐

schaften dar die sich durch verschiedene Wesensart und verschiedene Spra‐

chen auszeichnen und deren Handeln auszliger durch die naturgegebenen Anla‐

gen auch durch Klima Religion und nicht zuletzt durch die Fuumlhrungskraumlfte

beeinfluszligt wird

Auf der Erde gibt es mehr als 10 groszlige Sprachfamilien unter ihnen die indo‐

germanische mit dem Deutschen Rund 150 Sprachen meist alte Kulturspra‐

chen ndash davon allein uumlber 50 in Europa ndash sind in den fast 200 Staaten der Erde

als Verwaltungs‐ Amts‐ und Schulsprachen eingefuumlhrt Insgesamt hat es um

1990 je nach Quelle 3 000 bis 6 000 Sprachen [9 12] gegeben von denen die

meisten nur eine aumlhnliche Rolle wie die deutschen Mundarten gespielt haben

Viele davon wurden von Staats wegen unterdruumlckt dh ihr Gebrauch war vor

Behoumlrden und Gerichten sowie in der Schule nicht erlaubt

Nach dem ʺAtlas der Sprachen der Weltʺ [12] soll es vor rund 15 000 Jahren

einen Houmlhepunkt sprachlicher Verschiedenheit gegeben haben Insgesamt

10 000 bis 15 000 Sprachen wurden damals gesprochen Bis um 1500 ging die

Zahl auf 7 000 zuruumlck bis um 1990 auf 6 000 In 200 Jahren sollen es nur noch

600 sein also nur noch rund ein Zehntel der im 20 Jahrhundert verbliebenen

Sprachen Wird die materialistische Globalisierung mit ihrer scheinbar

schrankenlosen Geldgier die menschliche und kulturelle Vielfalt auf Erden

zerstoumlren Derzeit sieht es so aus

3 Die Laut‐Buchstaben‐Beziehung

Die Aussprache der verschiedenen Sprachen hat sich in geschichtlicher Zeit

veraumlndert Zur Zeit der Verschriftlichung einer Volkssprache war man be‐

strebt fuumlr jedes Phonem ein Graphem festzulegen Zur Erlaumluterung ein Pho‐

nem ist ein Laut oder eine Lautfolge zB der Umlaut uuml lautlich zwischen den

Vokalen i und u stehend Ein Graphem ist ein bestimmtes Schriftzeichen oder

ein Schriftzeichen mit diakritischem Zeichen (zB Akzent) oder ein Sonderzei‐

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

4

chen oder eine Zeichenfolge z B fuumlr den Laut uuml ein u mit daruumlber stehenden

diakritischen Punkten Der waagrecht liegende Doppelpunkt der deutschen

Umlaute ist aus dem kleinen e der deutschen Schreibschrift hervorgegangen

Bei Sprachen deren Schreibweise schon vor langer Zeit festgelegt worden ist

besteht heute in der Regel ein nicht besonders sinnvoller (logischer) Zusam‐

menhang zwischen Schreibweise und Aussprache dh gleiche Laute werden

nicht immer durch das gleiche Graphem wiedergegeben Umgekehrt wird das

gleiche Graphem nicht immer gleich ausgesprochen Dieser Mangel ist zum

Beispiel bei der Schreibung des Englischen und Franzoumlsischen stark ausge‐

praumlgt weniger bei der des Deutschen

Aus den genannten Gruumlnden ist eine international guumlltige Uumlbertragung zum

Beispiel der russischen oder chinesischen Namen in lateinische Schreibweise

nicht richtig da die Lateinbuchstaben in den verschiedenen Laumlndern mit latei‐

nischer Schreibweise verschieden ausgesprochen werden Trotzdem haben

uns in den letzten Jahrzehnten Geographen und kartographische Verlage ohne

amtliche Genehmigung die am Englischen ausgerichtete Namensschreibweise

praktisch aufgenoumltigt zB slavisch (statt fruumlher slawisch)

Sprachen deren Schreibweise erst im 19 Jahrhundert durch Sprachwissen‐

schaftler (Linquisten) festgelegt wurde sind aumllteren Schriftsprachen gegen‐

uumlber im Vorteil Eine besonders sinnvolle Laut‐Buchstaben‐Beziehung zeich‐

net das Serbokroatische aus dessen Schreibweise Vuk Stefanović Karadžić

(1787 ‐ 1864) erst 1818 festgelegt hat In [2] heiszligt es dazu unter dem Stichwort

ʺSerbokroatische Spracheʺ ʺEin besonderer Vorzug speziell des Serbischen ist

die ausgezeichnete streng phonetische Orthographie deren sich in solcher

Vollkommenheit wohl kaum eine zweite Sprache erfreuen duumlrfteʺ Dabei hat

die unterschiedliche Religionszugehoumlrigkeit der orthodoxen Serben und der

katholischen Kroaten ihrer Sprache zwei Schriften beschert Das Serbische

wird in kyrillischer Schrift das Kroatische in Antiqua gesetzt

4 Die Sprachenvielfalt in Europa

Europa ist im Norden Westen und Suumlden durch Meere begrenzt im Osten

durch das Ural‐Gebirge den Ural‐Fluszlig das Kaspische Meer und die Ma‐

nytschsenke zwischen Kaspischem und Asowschem Meer Zu Europa gehoumlren

also nicht die Kaukasus‐Staaten Armenien Aserbaidschan und Georgien In

Europa bestehen zur Zeit ndash ohne die deutschen und oumlsterreichischen Bundes‐

laumlnder sowie vergleichbare staatliche Gebilde ndash 45 mehr oder weniger souve‐

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

5

raumlne Staaten mit uumlber 40 Amts‐ und Schulsprachen Hierbei sind die russi‐

schen Regionalsprachen zB das zu den finnougrischen Sprachen gehoumlrende

Mordwinische nicht mitgerechnet

Die kulturgeschichtliche und politische Bedeutung der einzelnen Sprachen ist

recht unterschiedlich Sie haumlngt davon ab wann die einzelnen Sprachen

verschriftlicht worden sind wie groszlig die Zahl der Sprecher heute ist und wel‐

chen sprachlichen Behauptungswillen das jeweilige Volk oder vielmehr des‐

sen Politiker und Medien an den Tag gelegt haben So faumlllt auf daszlig Deutsch

mit rund 100 Mio Sprechern weltweit im Gegensatz zum Franzoumlsischen mit

nur rund 80 Mio Sprechern nicht als eine der derzeit 6 Amtssprachen der Ver‐

einten Nationen eingefuumlhrt ist Diese Sprachen sind in der Reihenfolge der

Sprecherzahl Chinesisch Englisch Spanisch Russisch Arabisch und Franzouml‐

sisch Dies liegt daran daszlig die deutschsprachigen Regierungen bei ihrer Auf‐

nahme in die Vereinten Nationen nicht auf Deutsch als Amtssprache bestan‐

den haben und wohl auch daran daszlig die Vereinten Nationen urspruumlnglich

als Buumlndnis gegen die ʺAchsenmaumlchteʺ Deutsches Reich und Italien und deren

Verbuumlndete entstanden sind

Tabelle 1 zeigt die Sprachen‐ und Schriftenvielfalt Europas Einige Sprachge‐

biete zerfallen in ausgepraumlgte Mundartgebiete wobei der Uumlbergang zwischen

Sprache und Mundart flieszligend ist Nicht wenige Mundarten die streng ge‐

nommen den Rang einer eigenen Sprache haben zB das Niederdeutsche das

Schweizerdeutsch oder das Provenzalische konnten sich nicht als Amts‐ und

Verkehrssprachen durchsetzen wenn auch in fast allen Mundarten seit lan‐

gem eine Mundartliteratur in nicht festgelegter Schreibweise entstanden ist

Tabelle 1

Amtssprachen und Schriften in den europaumlischen Staaten

Staat Sprache Schriftlicher Nachweis der

Sprache seit dem

Schriftart

Albanien albanisch im Norden auch gegisch

16 Jahrh lateinisch bis 1908 auch griechische Schrift

Andorra katalanisch spanisch und franzoumlsisch

12 Jahrh 9 Jahrh

lateinisch

Belgien franzoumlsisch und niederlaumlndisch (in Belgien als flaumlmisch bezeichnet) im Gebiet von Eupen auch deutsch

9 Jahrh 12 Jahrh

lateinisch

Bosnien und Herzegowina

serbisch und kroatisch

13 Jahrh 14 Jahrh

kyrillisch lateinisch

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

6

Staat Sprache Schriftlicher Nachweis der

Sprache seit dem

Schriftart

Bulgarien bulgarisch tuumlrkisch der Minderheit nicht amtlich anerkannt (Stand 1975)

18 Jahrh 12 Jahrh

kyrillisch

Daumlnemark daumlnisch auf den Faumlroumler-Inseln auch faumlringisch in Nordschleswig auch deutsch

12 Jahrh

18 Jahrh 8 Jahrh

lateinisch bis in das 19 Jahrhundert auch Fraktur

Deutschland deutsch in Suumldschleswig auch daumlnisch in der Lausitz auch sorbisch

um 770 lateinisch bis um 1960 auch Fraktur (1941 durch die deutsche Reichsregierung abge-schafft)

Estland estnisch und russisch

16 Jahrh

11 Jahrh

lateinisch fuumlr das Estnische (Frakturgebrauch wie in Daumlnemark) kyrillisch fuumlr das Russische

Finnland finnisch und schwedisch im Norden auch samisch und lap-pisch

16 Jahrh lateinisch Frakturgebrauch wie in Daumlnemark

Frankreich franzoumlsisch die Minderheiten-sprachen deutsch bretonisch baskisch und italienisch sind amtlich nicht anerkannt

9 Jahrh lateinisch

Griechenland neugriechisch (Dimotiki) im Norden auch mazedonisch

19 Jahrh 20 Jahrh

griechisch kyrillisch fuumlr das Mazedoni-sche

Groszligbritan-nien und Nordirland

englisch in Wales auch walisisch in Nord-schottland auch gaumllisch auf den Kanalinseln auch franzoumlsisch

8 Jahrh

17 Jahrh 9 Jahrh

lateinisch

Irland irisch und englisch

6 Jahrh 8 Jahrh

irisch (zuruumlckgehend) und lateinisch

Island islaumlndisch 12 Jahrh lateinisch Frakturgebrauch wie in Daumlnemark

Italien italienisch in Suumldtirol auch deutsch im Aostatal auch franzoumlsisch

13 Jahrh 8 Jahrh 9 Jahrh

lateinisch

Kroatien kroatisch 14 Jahrh lateinisch

Lettland lettisch und russisch

16 Jahrh

11 Jahrh

lateinisch fuumlr das Lettische (Frakturgebrauch wie in Daumlnemark) kyrillisch fuumlr das Russische

Liechtenstein deutsch 8 Jahrh lateinisch siehe Deutsch-land

Litauen litauisch und russisch

16 Jahrh

11 Jahrh

lateinisch fuumlr das Litauische (Frakturgebrauch wie in Daumlnemark) kyrillisch fuumlr das Russische

Luxemburg franzoumlsisch deutsch und letzeburgisch

9 Jahrh 8 Jahrh

lateinisch

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

7

Staat Sprache Schriftlicher Nachweis der

Sprache seit dem

Schriftart

Malta maltesisch und englisch 18 bzw 8 Jahrh lateinisch

Mazedonien mazedonisch 20 Jahrh kyrillisch

Moldau (Mol-dawien)

moldauisch = rumaumlnisch und russisch

16 Jahrh 11 Jahrh

kyrillisch

Monaco franzoumlsisch 9 Jahrh lateinisch

Niederlande niederlaumlndisch im Nordosten westfriesisch als nichtamtliche Minderheitensprache

12 Jahrh lateinisch

Norwegen norwegisch (norwegisch ist der Oberbegriff fuumlr die im 19 Jahrhundert aus Mundarten entwickelten Sprachen Bokmal und Nynorsk) in Teilgebieten auch samisch

12 Jahrh lateinisch Frakturgebrauch wie in Daumlnemark

Oumlsterreich deutsch in Teilen Kaumlrntens auch slowenisch (windisch)

8 Jahrh lateinisch siehe Deutsch-land

Polen polnisch als Minderheitensprachen deutsch und kaschubisch

15 Jahrh lateinisch fruumlher teilweise auch Fraktur

Portugal portugiesisch 12 Jahrh lateinisch

Rumaumlnien rumaumlnisch in Siebenbuumlrgen auch ungarisch und deutsch

16 Jahrh ab 1865 lateinisch vorher kyrillisch

Ruszligland russisch in Teilgebieten auch Minderheitensprachen am be-deutendsten das Mordwinische (eine finno-ugrische Sprache) mit uumlber 1 Mio Sprechern

11 Jahrh kyrillisch

San Marino italienisch 13 Jahrh lateinisch

Schweden schwedisch im Norden auch samisch

12 Jahrh lateinisch Frakturgebrauch wie in Daumlnemark

Schweiz deutsch franzoumlsisch italienisch und raumltoromanisch

8 Jahrh 9 Jahrh

13 Jahrh 16 Jahrh

lateinisch fuumlr das Deutsche fruumlher auch Fraktur

Serbien und Montenegro

serbisch in Teilgebieten auch ungarisch

13 Jahrh 15 Jahrh

kyrillisch (fuumlr serbisch) lateinisch (fuumlr ungarisch)

Slowakei slowakisch in Teilgebieten auch ungarisch

18 Jahrh 15 Jahrh

lateinisch bis in das 19 Jahrh auch Fraktur

Slowenien slowenisch 16 Jahrh lateinisch

Spanien spanisch in Teilgebieten auch katalanischbaskisch und Gallego = galizisch

12 Jahrh

16 Jahrh

lateinisch

Tschechien tschechisch 13 Jahrh lateinisch bis in das 19 Jahrh auch Fraktur

Tuumlrkei tuumlrkisch 12 Jahrh lateinisch 1928 Umstellung von arabischer auf lateini-sche Schrift

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

8

Staat Sprache Schriftlicher Nachweis der

Sprache seit dem

Schriftart

Ukraine ukrainisch und russisch 14 bzw 11 Jahrh kyrillisch

Ungarn ungarisch in Teilgebieten auch deutsch

15 Jahrh 8 Jahrh

lateinisch

Vatikanstadt italienisch und lateinisch

13 Jahrh lateinisch

Weiszligruszligland weiszligrussisch und russisch 15 bzw 11 Jahrh kyrillisch Anmerkungen zur Tabelle 1 auch vor den genannten Sprachen bedeutet daszlig es sich um eine Minderheitensprache handelt Als Schul- oder Amtssprachen fuumlr nationale Minderheiten nicht anerkannte Spra-chen sind idR nicht aufgefuumlhrt

Serbisch und kroatisch wird auch zur Sprache Serbokroatisch zusammengefaszligt Die Trennung ist nur deshalb zweckmaumlszligig weil Kroatisch in lateinischer Schrift Serbisch in kyrillischer Schrift geschrieben wird

Die Sprachen Arabisch Deutsch Englisch Portugiesisch Russisch und Spanisch werden weltweit von uumlber 100 Mio Sprechern gesprochen

Luther hat entscheidend dazu beigetragen daszlig das Hochdeutsche auch im

niederdeutschen Sprachbereich ndash ohne die Niederlande und Belgien ndash Fuszlig faszlig‐

te da es als bdquoheilige Spracheldquo galt und deshalb im Gottesdienst anstelle der

oumlrtlichen Mundarten gebraucht wurde

Die fruumlhere Sowjetunion hat das Eigenleben ihrer zahlreichen Voumllker und

Volksgruppen zum Teil bewuszligt gefoumlrdert so daszlig viele Sprachen noch im

20 Jahrhundert von einer Volkssprache in den Rang einer Schrift‐ und Amts‐

sprache erhoben worden sind In Tabelle 1 ist soweit bekannt das Jahrhun‐

dert der Verschriftlichung genannt

Oumlstlich einer gedachten Linie von Triest nach St Petersburg also im wesentli‐

chen im slawischen Siedlungsraum siedeln die verschiedenen Voumllker und

Volksgruppen in Gemengelage nebeneinander Geschlossene Volkssiedlungs‐

gebiete sind dort im wesentlichen nur das weiszligrussische und das ukrainische

Gebiet Umsiedlung und Vertreibung haben fast alle deutschen Sprachinseln

in Osteuropa ausgeloumlscht Sie wurden vom Mittelalter an bis ins 19 Jahrhun‐

dert hinein besiedelt

Die vom 18 Jahrhundert an allmaumlhlich eingefuumlhrte Schulpflicht hat sprachli‐

che Minderheiten zuruumlckgedraumlngt Sie koumlnnen nur dann uumlberleben wenn das

Mehrheitsvolk eines Staates seinen Minderheitsvoumllkern groszligmuumltig Minderhei‐

tenrechte gewaumlhrt dh wenn es ihre Muttersprache neben der allgemeinen

Staatssprache als Schul‐ und Amtssprache zulaumlszligt Staaten die sich mit dem

Minderheitenschutz seit jeher schwer tun oder ihn miszligachten sind ua Frank‐

reich Polen und Bulgarien

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

9

5 Die in Europa gebraumluchlichen Schriften

Auszliger mit der heute als Druckschrift in Deutschland eingefuumlhrten Antiqua

(mit Endquerstrichen oder Serifen) bzw den serifenlosen Groteskschriften

wurden die in Europa gesprochenen Sprachen um 1900 in neun weiteren

Schriften gedruckt (Tab 2 und Abb 4) Beispiele von Buchschriften aus Euro‐

pa und Randgebieten zeigt Abb 2 den Stammbaum dieser Schriften Abb 1

Die Urahnen der europaumlischen Schriften sind die vor rund 5000 Jahren ent‐

standenen altaumlgyptischen Hieroglyphen

Dieser Beitrag beruumlcksichtigt nicht sog tote Sprachen und Schriften auch

wenn sie im 19 Jahrhundert noch fuumlr den religioumlsen und wissenschaftlichen

Bereich verwendet wurden Hierher gehoumlren die lateinische und syrische

Sprache sowie die syrische Schrift Die hebraumlische Sprache und Schrift sind vor

allem durch den Zionismus wiederbelebt worden Auch die Runen die von

den Griechen uumlber die Etrusker zu den Germanen gekommen sein sollen wa‐

ren im 19 Jahrhundert bereits ausgestorben Sie sind im Gegensatz zu den

vorgenannten toten Schriften nie als Buchschrift verwendet worden

Abb 1

Entwicklung der in Europa und Randgebieten eingefuumlhrten

Buch‐ und Monumentalschriften seit fuumlnftausend Jahren [10]

Aw AwestaschriftE Etruskische SchriftG Gotische SchriftGM Griechische MinuskelKM Karolingische MinuskelO Oiratisch (Kalmuumlckisch)Unz Unzialis

Hebraumlisch

A

K

Aramaumlisch S

Punisch

Altaumlgyptisch WS

Phoumlnikisch SK

Altgriechisch

Kyrillisch

Irisch

Roumlmische Capitalis Antiqua

G(Nord-)Italisch A

Nabataumlisch K Arabisch K

O A

Hieratisch

Neugriechisch

E KM

Fraktur

GM A

AA

A

Runen A

Unz A

Demotisch

Phoumlnikisch SK

WS

K

WS

A

3000

v C

hr

2500

2000

1500

1000

500

0 500

1000

1500

2000

n C

hr

Syrisch K

Georgisch A

Armenisch A

Persisch (Aw) A

AK

SW

Alphabetschrift

Konsonantenschrift

Silbenschrift

Wortschrift

Gebrauch nur noch als Kirchenschrift

unmittelbare Ableitung

nur Beeinflussung

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

10

Seit 150 Jahren haben einige Staaten einen Schriftwechsel beschlossen

1860 (1865) in Rumaumlnien Umstellung von Kyrillisch auf Antiqua

1928 in der Tuumlrkei Umstellung von Arabisch auf Antiqua

1941 in Deutschland Umstellung von Fraktur auf Antiqua schon um 1900

waren die skandinavischen Staaten mit der Umstellung von Fraktur auf An‐

tiqua vorangegangen

nach 1920 in der Sowjetunion Ersatz der oiratischen Schrift der Kalmuumlcken

sowie der arabischen Schrift in den islamischen Gebieten zunaumlchst durch

Antiqua nach 1939 durch die kyrillische Schrift mit Sonderzeichen

Tabelle 2

Die Bevoumllkerung Europas nach Schriftverbreitungsgebieten

um 1890

Schriftart Millionen Einwohner Anteil in

Antiqua 1814 50

Kyrillische Schrift 900 25

Fraktur 811 23

Arabische Schrift 50 13

Griechische Schrift 37 1

Irische Schrift 10 03

Oiratische Schrift 01 02

Summe 3623 100

Schrift und Religion haumlngen eng zusammen denn vor allem Geistliche ha‐

ben die verschiedenen Schriften in Europa und seinen Randgebieten geschaf‐

fen oder als Schriften fuumlr wichtige religioumlse Buumlcher benutzt Die Verschriftli‐

chung der einzelnen Sprachen ist vor dem 19 Jahrhundert eng mit der Aus‐

breitung des Christentums und des Islams verbunden Die wichtigen reli‐

gioumlsen Buumlcher wurden deshalb in den bdquorichtigenldquo Schriften geschrieben oder

spaumlter gedruckt Diese Schriften galten als geheiligt Jahrhundertelang haben

die roumlmisch‐katholische Kirche und die anglikanische Kirche die Antiqua ver‐

breitet die lutherische Kirche die Fraktur orthodoxe Kirche ndash mit Ausnahme

Griechenlands ndash die kyrillische Schrift und der Islam mit dem Koran in arabi‐

scher Sprache die arabische Schrift Erst im 19 Jahrhundert zerfiel allmaumlhlich

der Zusammenhang zwischen Religion und Schrift Die Fraktur wurde ab 1941

sozusagen in den schriftgeschichtlichen Bereich verbannt

Die Domschulen Kloumlster und Koranschulen waren jahrhundertelang Traumlger

der Schriftkultur Das urspruumlnglich zur Verfuumlgung stehende Abc der Westkir‐

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

11

che war fuumlr die Wiedergabe aller Laute der nichtlateinischen Volkssprachen

nicht vollstaumlndig geeignet Deshalb entstanden nach und nach Sonderzeichen

vor allem diakritische Zeichen Im Deutschen sind dies die Umlaute auml ouml und uuml

sowie das szlig Insgesamt gibt es fuumlr die Schreibung der europaumlischen Sprachen

des lateinischen Schriftenkreises uumlber 70 abgewandelte Buchstaben und Son‐

derbuchstaben die meisten fuumlr die Schreibung der slawischen und baltischen

Sprachen Nationale Sonderzeichen gibt es auch in der kyrillischen Schrift

Die heutigen lateinischen Druckschriften sind unmittelbar auf die humani‐

stische Minuskel des 15 Jahrhunderts zuruumlckzufuumlhren (Abb 3) Diese hat die

Groszligbuchstaben (Versalien) von der um die Zeitenwende entstandenen CA‐

PITALIS uumlbernommen die Kleinbuchstaben (Gemeinen) von der karolingi‐

schen Minuskel des 8 Jahrhunderts Verwendet wird die lateinische Schrift

fast ausschlieszliglich in Laumlndern die durch die roumlmische Kirche missioniert wor‐

den sind wenn man vom Rumaumlnischen und Tuumlrkischen absieht

Als fruumlhe Sonderform der lateinischen Schrift haben irischen Moumlnche die iri‐

sche Schrift entwickelt Schon im 6 Jahrhundert war sie in einer Auspraumlgung

gebraumluchlich die der heutigen stark aumlhnelt

Das juumlngste Glied des lateinischen Werkschriftenkreises ist die Fraktur Sie

war fruumlher in allen europaumlischen Laumlndern verbreitet in denen sich waumlhrend

der Reformation die Einwohner ganz oder uumlberwiegend der evangelisch‐

lutherischen Lehre angeschlossen hatten also in Deutschland Skandinavien

und im Baltikum Die unmittelbaren Vorlaumlufer der Fraktur sind die Bastard‐

schriften (gebrochenen Kursiven) wie sie in Nordfrankreich in den Nieder‐

landen und in der kaiserlichen Kanzlei von der Mitte des 15 Jahrhunderts an

verwendet wurden In vollendeter Form taucht die Fraktur 1525 in Albrecht

Duumlrers Buch ʺUnterweisung der Messung mit dem Zirkel und Richtscheid in

Linien Ebenen und ganzen Koumlrpernʺ auf Geschnitten hat sie Hieronymus

Andreauml (Roumlsch) nach dem Entwurf des Schreibmeisters Johann Neudoumlrffer

d Auml (1497 ‐ 1563) Als Werkschrift des deutschen Sprachraums und des kultu‐

rell mit Deutschland verbundenen skandinavischen baltischen und westsla‐

wischen Raums hielt sich die Fraktur auszligerhalb Deutschlands bis ins 19 Jahr‐

hundert und wurde erst danach durch die Antiqua abgeloumlst

In Deutschland verfuumlgte die damalige Reichsregierung 1941 ein Umstellungs‐

gebot von ʺdeutscher Schriftʺ dh von Fraktur und deutscher Schreibschrift

auf ʺNormalschriftʺ dh auf Antiqua und lateinische Schreibschrift Die Um‐

stellung wurde auch nach dem 2 Weltkrieg weitergefuumlhrt denn die tonange‐

benden Kraumlfte in Deutschland halten idR das Neue oder das Fremde fuumlr bes‐

ser als das Alte und das Eigene

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

12

Abb 2

Beispiele von Buchschriften aus Europa und Randgebieten [10]

Alle Sprach‐ und Schriftbeispiele mit Ausnahme der kalmuumlckischen Sprache

in oiratischer Schrift geben die Aussage wieder Am Beginn houmlherer Kultur steht die Schrift

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

13

Streng genommen ist nach der Fraktur noch eine allerjuumlngste Werkschrift ent‐

standen naumlmlich die schlichte gotische Schrift oder die Gebrochene Grotesk

Das aumllteste Mitglied dieser Schriftfamilie ist die Wieynck‐Werkschrift Profes‐

sor Heinrich Wieynck hat sie 1930 entworfen In den dreiszligiger Jahren haben

sie viele Schriftkuumlnstler nachempfunden denn mit Wieynck waren damals

viele der Meinung die Fraktur mit ihren Schnoumlrkeln passe nicht in das techni‐

sche Zeitalter dessen Aussehen damals beispielgebend der schmucklos‐

nuumlchterne Bauhausstil zeigte Die Neuerer gestalteten um einen vollstaumlndigen

Ersatz der Fraktur durch Antiqua und Grotesk zu verhindern die gebroche‐

nen Schriften schlichter erreichten ihr Ziel aber nicht Stilistisch nahmen die

gebrochenen Groteskschriften die recht konstruiert wirken bei den damals

stark im Gespraumlch befindlichen Runen und der Staumlbchenschrift Anleihen Letz‐

tere entstand dadurch daszlig die Schuumller zum Erlernen der Antiqua jeden Buch‐

staben aus Staumlbchen zusammensetzen sollten Den gebrochenen Groteskschrif‐

ten zB der Tannenberg National und anderen Schriften mit betont national

klingenden Namen fehlen jegliche Rundungen Sie konnten sich vor dem

Frakturverbot nicht mehr als Werksatzschriften durchsetzen Nur fuumlr Aus‐

zeichnungszwecke verwendete man sie damals gelegentlich Schriftbeispiele

aller abendlaumlndischen Schriften und ihren Stammbaum zeigt Abb 3

Die kyrillische Schrift seit dem 10 Jahrhundert gebraumluchlich geht auf die im

9 Jahrhundert durch den Slawenapostel Kyrill (826 ‐ 869) aus der griechischen

Schrift abgeleitete glagolitische Schrift (Glagoliza) zuruumlck die sich als eckige

kroatische oder illyrische Glagoliza noch bis ins 19 Jahrhundert im kroati‐

schen Insel‐ und Kuumlstenraum als Kirchenschrift hielt Nach dem 1 Weltkrieg

hat die kyrillische Schrift in der Sowjetunion eine deutliche Vergroumlszligerung ih‐

res Verbreitungsgebietes erfahren da die Wiedergabe der fruumlher durch arabi‐

sche Schriftzeichen ab den zwanziger Jahren durch Antiqua dargestellten

Sprachen seit 193940 in kyrillischer Schrift erfolgt

Die im Mathematikunterricht und im Griechischunterricht an den humanisti‐

schen Gymnasien gelehrte griechische Schrift die auch im heutigen Griechen‐

land verwendet wird hat ihren unmittelbaren Vorlaumlufer in der geschriebenen

griechischen Minuskel des 13 Jahrhunderts Dagegen waumlren heute die griechi‐

schen Handschriften des Altertums fuumlr jeden Gymnasiasten und wohl auch

fuumlr die meisten Altphilologen unleserlich

Im oumlstlichen Europa am Westufer des Kaspischen Meeres leben die im 17

Jahrhundert aus dem Osten zugewanderten Kalmuumlcken Sie verwendeten

noch im 19 Jahrhundert die 1648 von Dschaja Pandita geschaffene oiratische

Schrift Sie geht auf die im 11 Jahrhundert in Anlehnung an das syrische Al‐

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

14

phabet entstandene mongolische Schrift zuruumlck Merkwuumlrdig an dieser Schrift

ist daszlig sie in Spalten von oben nach unten geschrieben wird aber nach Dre‐

hung um 90deg von rechts nach links zu lesen ist Im 20 Jahrhundert ersetzten

die Kalmuumlcken ihre eigene Schrift zunaumlchst durch Antiqua dann durch die

kyrillische Schrift

Durch den Islam kam die arabische Schrift auch in die oumlstlichen Randgebiete

Europas Diese wird zur Wiedergabe der arabischen Sprachen und sie wurde

jahrhundertelang auch zur Wiedergabe der Turksprachen im Osmanischen

Reich und im Zarenreich verwendet also in den Gebieten die den islamischen

Glauben angenommen hatten Trotz ihres von den abendlaumlndischen Schriften

und der kyrillischen Schrift sehr verschiedenen Aussehens hat die arabische

Schrift die gleiche Wurzel naumlmlich die phoumlnikische Schrift aus der sich die

aramaumlische und im 6 Jahrhundert die arabische Schrift entwickelt hat

Abb 3

Stammtafel der Schriften des lateinischen Schriftenkreises

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

15

Infolge der Umwaumllzungen nach dem 1 Weltkrieg ist die arabische Schrift als

Alltags‐Werkschrift in der Tuumlrkei 1928 durch die lateinische Schrift mit Son‐

derzeichen ersetzt worden wohl nach diesem Vorbild in der Sowjetunion

ebenfalls Ende der zwanziger Jahre ebenfalls durch Antiqua schon im

2 Weltkrieg schlieszliglich durch die kyrillische Schrift Inzwischen foumlrdert der

wieder erstarkte Islam Bestrebungen die arabische Schrift dort wieder einzu‐

fuumlhren wo sie durch andere Schriften verdraumlngt worden ist

6 Schluszligbetrachtung

Bedingt durch die Vielfalt der Voumllker und Religionen in Europa haben sich

verschiedene Kulturen und im Rahmen dieser Kulturen verschiedene Spra‐

chen und auch Schriften entwickelt Die phoumlnikische Schrift ist die Stammutter

aller europaumlischen Schriften Je nach Wesensart Koumlnnen und Geschmack der

Schriftschoumlpfer ist sie recht unterschiedlich weiterentwickelt worden Als Er‐

gebnisse sind unter anderem die kuumlhle monumentale Antiqua die schlichte

Abb 4

Europaumlische Buchschriften im 19 Jahrhundert [10]

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

16

Grotesk die kuumlnstlerisch beschwingte Fraktur die flott geschriebene arabische

Schrift und die kyrillische Schrift entstanden

Zur bdquodeutschen Schriftldquo gehoumlren im weiteren Sinne alle gebrochenen Schrif‐

ten im engeren Sinne Schwabacher Fraktur Gebrochene Grotesk und die

spitze deutsche Schreibschrift Die genannten Schriften sind mit den heute ge‐

braumluchlichen runden Schriften eng verwandt und fuumlr den frakturungewohn‐

ten Leser bei durchschnittlicher Begabung und mit etwas Fleiszlig nach kurzer

Einlesezeit lesbar Die Fraktur ist eine von neun Werkschriften die in der Mit‐

te des 19 Jahrhunderts in Europa noch gebraumluchlich waren Es waumlre bedauer‐

lich wenn sie aus modischen technischen und wirtschaftlichen Gruumlnden auf

dem Altar der Vereinheitlichung und kulturellen Verflachung geopfert wuumlrde

Wichtigstes Schrifttum

[1] bdquoBrockhaus‐Enzyklopaumldieldquo 17 Aufl Wiesbaden 1975 unter den einschlaumlgigen Stich‐

woumlrtern insbesondere die Erlaumluterungen im 21 Band auf S IX

[2] bdquoMeyers Konversations‐Lexikonldquo 5 Aufl 1895 ndash 1897

[3] Wolfgang Hendlmeier bdquoVon den Mundarten zur Hochspracheldquo in Hans Riegelmann

bdquoVon deutscher Sprache und Schriftldquo Bremen 1993 S 21

[4] Wolfgang Hendlmeier bdquoDie Pflege der deutschen Sprache ndash einst und heuteldquo in Hans

Riegelmann bdquoVon deutscher Sprache und Schriftldquo Bremen 1993 S 31

[5] Wolfgang Hendlmeier bdquoViele Sprachen werden aussterbenldquo in bdquoDie deutsche Schriftldquo

Heft 11994 S 4

[6] Wolfgang Hendlmeier bdquoVon bedrohten Sprachen und sterbenden Voumllkernldquo in bdquoDie

deutsche Schriftldquo Heft 21994 S 37

[7] Wolfgang Hendlmeier bdquoDie Rechtschreibreform ndash Ein Anschlag auf die deutsche Spra‐

cheldquo in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 41997 S 83

[8] Wolfgang Hendlmeier und Gerhard Helzel bdquoSonderzeichen europaumlischer Sprachen des

lateinischen Schriftenkreisesldquo in in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 21995 S 138

[9] Werner Koumlnig bdquoAtlas zur deutschen Spracheldquo 5 Aufl dtv‐Verlag Muumlnchen 1983

[10] Artur Wohe bdquoVielfalt der Sprachen und Schriften in Europa ndash Buumlrde oder Reichtumldquo

in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 31990 S 83 dort weitere Literaturhinweise

[11] Wolfgang Hendlmeier bdquoKunstwerke der Schriftldquo 3 Aufl Hannover 1994 S 89

[12] Gerhard Quast Bedrohte Sprachen sterbende Voumllker in bdquoJunge Freiheitldquo Nr 121994

[13] httpdewikipediaorgwikiGriechische_Sprachfrage

[14] httpdewikipediaorgwikiKyrillisches_Alphabet

Stand 18072013

Page 3: Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa - … · 2 Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa Von ... nahme in die Vereinten Nationen nicht auf Deutsch als Amtssprache

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

3

schen Sprachverwirrung im 1 Buch Mosis Kap 11 1 bis 9 erinnert Aber sol‐

len wir nicht vielmehr dankbar dafuumlr sein daszlig das Erscheinungsbild der Erde

und das Leben auf ihr so vielgestaltig und abwechslungsreich sind

In der Voumllkerfamilie sind die einen Voumllker im Durchschnitt ihrer Volksange‐

houmlrigen eher fleiszligig und verantwortungsbewuszligt die anderen eher faul die

einen eher kuumlhl und nuumlchtern die anderen eher uumlberschwenglich die einen

eher ordentlich und organisatorisch begabt die anderen eher schlampig die

einen eher selbstkritisch und bescheiden die anderen eher uumlberheblich und

eingebildet So stellen sich die Voumllker als von der Schoumlpfung gewollte Gemein‐

schaften dar die sich durch verschiedene Wesensart und verschiedene Spra‐

chen auszeichnen und deren Handeln auszliger durch die naturgegebenen Anla‐

gen auch durch Klima Religion und nicht zuletzt durch die Fuumlhrungskraumlfte

beeinfluszligt wird

Auf der Erde gibt es mehr als 10 groszlige Sprachfamilien unter ihnen die indo‐

germanische mit dem Deutschen Rund 150 Sprachen meist alte Kulturspra‐

chen ndash davon allein uumlber 50 in Europa ndash sind in den fast 200 Staaten der Erde

als Verwaltungs‐ Amts‐ und Schulsprachen eingefuumlhrt Insgesamt hat es um

1990 je nach Quelle 3 000 bis 6 000 Sprachen [9 12] gegeben von denen die

meisten nur eine aumlhnliche Rolle wie die deutschen Mundarten gespielt haben

Viele davon wurden von Staats wegen unterdruumlckt dh ihr Gebrauch war vor

Behoumlrden und Gerichten sowie in der Schule nicht erlaubt

Nach dem ʺAtlas der Sprachen der Weltʺ [12] soll es vor rund 15 000 Jahren

einen Houmlhepunkt sprachlicher Verschiedenheit gegeben haben Insgesamt

10 000 bis 15 000 Sprachen wurden damals gesprochen Bis um 1500 ging die

Zahl auf 7 000 zuruumlck bis um 1990 auf 6 000 In 200 Jahren sollen es nur noch

600 sein also nur noch rund ein Zehntel der im 20 Jahrhundert verbliebenen

Sprachen Wird die materialistische Globalisierung mit ihrer scheinbar

schrankenlosen Geldgier die menschliche und kulturelle Vielfalt auf Erden

zerstoumlren Derzeit sieht es so aus

3 Die Laut‐Buchstaben‐Beziehung

Die Aussprache der verschiedenen Sprachen hat sich in geschichtlicher Zeit

veraumlndert Zur Zeit der Verschriftlichung einer Volkssprache war man be‐

strebt fuumlr jedes Phonem ein Graphem festzulegen Zur Erlaumluterung ein Pho‐

nem ist ein Laut oder eine Lautfolge zB der Umlaut uuml lautlich zwischen den

Vokalen i und u stehend Ein Graphem ist ein bestimmtes Schriftzeichen oder

ein Schriftzeichen mit diakritischem Zeichen (zB Akzent) oder ein Sonderzei‐

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

4

chen oder eine Zeichenfolge z B fuumlr den Laut uuml ein u mit daruumlber stehenden

diakritischen Punkten Der waagrecht liegende Doppelpunkt der deutschen

Umlaute ist aus dem kleinen e der deutschen Schreibschrift hervorgegangen

Bei Sprachen deren Schreibweise schon vor langer Zeit festgelegt worden ist

besteht heute in der Regel ein nicht besonders sinnvoller (logischer) Zusam‐

menhang zwischen Schreibweise und Aussprache dh gleiche Laute werden

nicht immer durch das gleiche Graphem wiedergegeben Umgekehrt wird das

gleiche Graphem nicht immer gleich ausgesprochen Dieser Mangel ist zum

Beispiel bei der Schreibung des Englischen und Franzoumlsischen stark ausge‐

praumlgt weniger bei der des Deutschen

Aus den genannten Gruumlnden ist eine international guumlltige Uumlbertragung zum

Beispiel der russischen oder chinesischen Namen in lateinische Schreibweise

nicht richtig da die Lateinbuchstaben in den verschiedenen Laumlndern mit latei‐

nischer Schreibweise verschieden ausgesprochen werden Trotzdem haben

uns in den letzten Jahrzehnten Geographen und kartographische Verlage ohne

amtliche Genehmigung die am Englischen ausgerichtete Namensschreibweise

praktisch aufgenoumltigt zB slavisch (statt fruumlher slawisch)

Sprachen deren Schreibweise erst im 19 Jahrhundert durch Sprachwissen‐

schaftler (Linquisten) festgelegt wurde sind aumllteren Schriftsprachen gegen‐

uumlber im Vorteil Eine besonders sinnvolle Laut‐Buchstaben‐Beziehung zeich‐

net das Serbokroatische aus dessen Schreibweise Vuk Stefanović Karadžić

(1787 ‐ 1864) erst 1818 festgelegt hat In [2] heiszligt es dazu unter dem Stichwort

ʺSerbokroatische Spracheʺ ʺEin besonderer Vorzug speziell des Serbischen ist

die ausgezeichnete streng phonetische Orthographie deren sich in solcher

Vollkommenheit wohl kaum eine zweite Sprache erfreuen duumlrfteʺ Dabei hat

die unterschiedliche Religionszugehoumlrigkeit der orthodoxen Serben und der

katholischen Kroaten ihrer Sprache zwei Schriften beschert Das Serbische

wird in kyrillischer Schrift das Kroatische in Antiqua gesetzt

4 Die Sprachenvielfalt in Europa

Europa ist im Norden Westen und Suumlden durch Meere begrenzt im Osten

durch das Ural‐Gebirge den Ural‐Fluszlig das Kaspische Meer und die Ma‐

nytschsenke zwischen Kaspischem und Asowschem Meer Zu Europa gehoumlren

also nicht die Kaukasus‐Staaten Armenien Aserbaidschan und Georgien In

Europa bestehen zur Zeit ndash ohne die deutschen und oumlsterreichischen Bundes‐

laumlnder sowie vergleichbare staatliche Gebilde ndash 45 mehr oder weniger souve‐

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

5

raumlne Staaten mit uumlber 40 Amts‐ und Schulsprachen Hierbei sind die russi‐

schen Regionalsprachen zB das zu den finnougrischen Sprachen gehoumlrende

Mordwinische nicht mitgerechnet

Die kulturgeschichtliche und politische Bedeutung der einzelnen Sprachen ist

recht unterschiedlich Sie haumlngt davon ab wann die einzelnen Sprachen

verschriftlicht worden sind wie groszlig die Zahl der Sprecher heute ist und wel‐

chen sprachlichen Behauptungswillen das jeweilige Volk oder vielmehr des‐

sen Politiker und Medien an den Tag gelegt haben So faumlllt auf daszlig Deutsch

mit rund 100 Mio Sprechern weltweit im Gegensatz zum Franzoumlsischen mit

nur rund 80 Mio Sprechern nicht als eine der derzeit 6 Amtssprachen der Ver‐

einten Nationen eingefuumlhrt ist Diese Sprachen sind in der Reihenfolge der

Sprecherzahl Chinesisch Englisch Spanisch Russisch Arabisch und Franzouml‐

sisch Dies liegt daran daszlig die deutschsprachigen Regierungen bei ihrer Auf‐

nahme in die Vereinten Nationen nicht auf Deutsch als Amtssprache bestan‐

den haben und wohl auch daran daszlig die Vereinten Nationen urspruumlnglich

als Buumlndnis gegen die ʺAchsenmaumlchteʺ Deutsches Reich und Italien und deren

Verbuumlndete entstanden sind

Tabelle 1 zeigt die Sprachen‐ und Schriftenvielfalt Europas Einige Sprachge‐

biete zerfallen in ausgepraumlgte Mundartgebiete wobei der Uumlbergang zwischen

Sprache und Mundart flieszligend ist Nicht wenige Mundarten die streng ge‐

nommen den Rang einer eigenen Sprache haben zB das Niederdeutsche das

Schweizerdeutsch oder das Provenzalische konnten sich nicht als Amts‐ und

Verkehrssprachen durchsetzen wenn auch in fast allen Mundarten seit lan‐

gem eine Mundartliteratur in nicht festgelegter Schreibweise entstanden ist

Tabelle 1

Amtssprachen und Schriften in den europaumlischen Staaten

Staat Sprache Schriftlicher Nachweis der

Sprache seit dem

Schriftart

Albanien albanisch im Norden auch gegisch

16 Jahrh lateinisch bis 1908 auch griechische Schrift

Andorra katalanisch spanisch und franzoumlsisch

12 Jahrh 9 Jahrh

lateinisch

Belgien franzoumlsisch und niederlaumlndisch (in Belgien als flaumlmisch bezeichnet) im Gebiet von Eupen auch deutsch

9 Jahrh 12 Jahrh

lateinisch

Bosnien und Herzegowina

serbisch und kroatisch

13 Jahrh 14 Jahrh

kyrillisch lateinisch

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

6

Staat Sprache Schriftlicher Nachweis der

Sprache seit dem

Schriftart

Bulgarien bulgarisch tuumlrkisch der Minderheit nicht amtlich anerkannt (Stand 1975)

18 Jahrh 12 Jahrh

kyrillisch

Daumlnemark daumlnisch auf den Faumlroumler-Inseln auch faumlringisch in Nordschleswig auch deutsch

12 Jahrh

18 Jahrh 8 Jahrh

lateinisch bis in das 19 Jahrhundert auch Fraktur

Deutschland deutsch in Suumldschleswig auch daumlnisch in der Lausitz auch sorbisch

um 770 lateinisch bis um 1960 auch Fraktur (1941 durch die deutsche Reichsregierung abge-schafft)

Estland estnisch und russisch

16 Jahrh

11 Jahrh

lateinisch fuumlr das Estnische (Frakturgebrauch wie in Daumlnemark) kyrillisch fuumlr das Russische

Finnland finnisch und schwedisch im Norden auch samisch und lap-pisch

16 Jahrh lateinisch Frakturgebrauch wie in Daumlnemark

Frankreich franzoumlsisch die Minderheiten-sprachen deutsch bretonisch baskisch und italienisch sind amtlich nicht anerkannt

9 Jahrh lateinisch

Griechenland neugriechisch (Dimotiki) im Norden auch mazedonisch

19 Jahrh 20 Jahrh

griechisch kyrillisch fuumlr das Mazedoni-sche

Groszligbritan-nien und Nordirland

englisch in Wales auch walisisch in Nord-schottland auch gaumllisch auf den Kanalinseln auch franzoumlsisch

8 Jahrh

17 Jahrh 9 Jahrh

lateinisch

Irland irisch und englisch

6 Jahrh 8 Jahrh

irisch (zuruumlckgehend) und lateinisch

Island islaumlndisch 12 Jahrh lateinisch Frakturgebrauch wie in Daumlnemark

Italien italienisch in Suumldtirol auch deutsch im Aostatal auch franzoumlsisch

13 Jahrh 8 Jahrh 9 Jahrh

lateinisch

Kroatien kroatisch 14 Jahrh lateinisch

Lettland lettisch und russisch

16 Jahrh

11 Jahrh

lateinisch fuumlr das Lettische (Frakturgebrauch wie in Daumlnemark) kyrillisch fuumlr das Russische

Liechtenstein deutsch 8 Jahrh lateinisch siehe Deutsch-land

Litauen litauisch und russisch

16 Jahrh

11 Jahrh

lateinisch fuumlr das Litauische (Frakturgebrauch wie in Daumlnemark) kyrillisch fuumlr das Russische

Luxemburg franzoumlsisch deutsch und letzeburgisch

9 Jahrh 8 Jahrh

lateinisch

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

7

Staat Sprache Schriftlicher Nachweis der

Sprache seit dem

Schriftart

Malta maltesisch und englisch 18 bzw 8 Jahrh lateinisch

Mazedonien mazedonisch 20 Jahrh kyrillisch

Moldau (Mol-dawien)

moldauisch = rumaumlnisch und russisch

16 Jahrh 11 Jahrh

kyrillisch

Monaco franzoumlsisch 9 Jahrh lateinisch

Niederlande niederlaumlndisch im Nordosten westfriesisch als nichtamtliche Minderheitensprache

12 Jahrh lateinisch

Norwegen norwegisch (norwegisch ist der Oberbegriff fuumlr die im 19 Jahrhundert aus Mundarten entwickelten Sprachen Bokmal und Nynorsk) in Teilgebieten auch samisch

12 Jahrh lateinisch Frakturgebrauch wie in Daumlnemark

Oumlsterreich deutsch in Teilen Kaumlrntens auch slowenisch (windisch)

8 Jahrh lateinisch siehe Deutsch-land

Polen polnisch als Minderheitensprachen deutsch und kaschubisch

15 Jahrh lateinisch fruumlher teilweise auch Fraktur

Portugal portugiesisch 12 Jahrh lateinisch

Rumaumlnien rumaumlnisch in Siebenbuumlrgen auch ungarisch und deutsch

16 Jahrh ab 1865 lateinisch vorher kyrillisch

Ruszligland russisch in Teilgebieten auch Minderheitensprachen am be-deutendsten das Mordwinische (eine finno-ugrische Sprache) mit uumlber 1 Mio Sprechern

11 Jahrh kyrillisch

San Marino italienisch 13 Jahrh lateinisch

Schweden schwedisch im Norden auch samisch

12 Jahrh lateinisch Frakturgebrauch wie in Daumlnemark

Schweiz deutsch franzoumlsisch italienisch und raumltoromanisch

8 Jahrh 9 Jahrh

13 Jahrh 16 Jahrh

lateinisch fuumlr das Deutsche fruumlher auch Fraktur

Serbien und Montenegro

serbisch in Teilgebieten auch ungarisch

13 Jahrh 15 Jahrh

kyrillisch (fuumlr serbisch) lateinisch (fuumlr ungarisch)

Slowakei slowakisch in Teilgebieten auch ungarisch

18 Jahrh 15 Jahrh

lateinisch bis in das 19 Jahrh auch Fraktur

Slowenien slowenisch 16 Jahrh lateinisch

Spanien spanisch in Teilgebieten auch katalanischbaskisch und Gallego = galizisch

12 Jahrh

16 Jahrh

lateinisch

Tschechien tschechisch 13 Jahrh lateinisch bis in das 19 Jahrh auch Fraktur

Tuumlrkei tuumlrkisch 12 Jahrh lateinisch 1928 Umstellung von arabischer auf lateini-sche Schrift

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

8

Staat Sprache Schriftlicher Nachweis der

Sprache seit dem

Schriftart

Ukraine ukrainisch und russisch 14 bzw 11 Jahrh kyrillisch

Ungarn ungarisch in Teilgebieten auch deutsch

15 Jahrh 8 Jahrh

lateinisch

Vatikanstadt italienisch und lateinisch

13 Jahrh lateinisch

Weiszligruszligland weiszligrussisch und russisch 15 bzw 11 Jahrh kyrillisch Anmerkungen zur Tabelle 1 auch vor den genannten Sprachen bedeutet daszlig es sich um eine Minderheitensprache handelt Als Schul- oder Amtssprachen fuumlr nationale Minderheiten nicht anerkannte Spra-chen sind idR nicht aufgefuumlhrt

Serbisch und kroatisch wird auch zur Sprache Serbokroatisch zusammengefaszligt Die Trennung ist nur deshalb zweckmaumlszligig weil Kroatisch in lateinischer Schrift Serbisch in kyrillischer Schrift geschrieben wird

Die Sprachen Arabisch Deutsch Englisch Portugiesisch Russisch und Spanisch werden weltweit von uumlber 100 Mio Sprechern gesprochen

Luther hat entscheidend dazu beigetragen daszlig das Hochdeutsche auch im

niederdeutschen Sprachbereich ndash ohne die Niederlande und Belgien ndash Fuszlig faszlig‐

te da es als bdquoheilige Spracheldquo galt und deshalb im Gottesdienst anstelle der

oumlrtlichen Mundarten gebraucht wurde

Die fruumlhere Sowjetunion hat das Eigenleben ihrer zahlreichen Voumllker und

Volksgruppen zum Teil bewuszligt gefoumlrdert so daszlig viele Sprachen noch im

20 Jahrhundert von einer Volkssprache in den Rang einer Schrift‐ und Amts‐

sprache erhoben worden sind In Tabelle 1 ist soweit bekannt das Jahrhun‐

dert der Verschriftlichung genannt

Oumlstlich einer gedachten Linie von Triest nach St Petersburg also im wesentli‐

chen im slawischen Siedlungsraum siedeln die verschiedenen Voumllker und

Volksgruppen in Gemengelage nebeneinander Geschlossene Volkssiedlungs‐

gebiete sind dort im wesentlichen nur das weiszligrussische und das ukrainische

Gebiet Umsiedlung und Vertreibung haben fast alle deutschen Sprachinseln

in Osteuropa ausgeloumlscht Sie wurden vom Mittelalter an bis ins 19 Jahrhun‐

dert hinein besiedelt

Die vom 18 Jahrhundert an allmaumlhlich eingefuumlhrte Schulpflicht hat sprachli‐

che Minderheiten zuruumlckgedraumlngt Sie koumlnnen nur dann uumlberleben wenn das

Mehrheitsvolk eines Staates seinen Minderheitsvoumllkern groszligmuumltig Minderhei‐

tenrechte gewaumlhrt dh wenn es ihre Muttersprache neben der allgemeinen

Staatssprache als Schul‐ und Amtssprache zulaumlszligt Staaten die sich mit dem

Minderheitenschutz seit jeher schwer tun oder ihn miszligachten sind ua Frank‐

reich Polen und Bulgarien

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

9

5 Die in Europa gebraumluchlichen Schriften

Auszliger mit der heute als Druckschrift in Deutschland eingefuumlhrten Antiqua

(mit Endquerstrichen oder Serifen) bzw den serifenlosen Groteskschriften

wurden die in Europa gesprochenen Sprachen um 1900 in neun weiteren

Schriften gedruckt (Tab 2 und Abb 4) Beispiele von Buchschriften aus Euro‐

pa und Randgebieten zeigt Abb 2 den Stammbaum dieser Schriften Abb 1

Die Urahnen der europaumlischen Schriften sind die vor rund 5000 Jahren ent‐

standenen altaumlgyptischen Hieroglyphen

Dieser Beitrag beruumlcksichtigt nicht sog tote Sprachen und Schriften auch

wenn sie im 19 Jahrhundert noch fuumlr den religioumlsen und wissenschaftlichen

Bereich verwendet wurden Hierher gehoumlren die lateinische und syrische

Sprache sowie die syrische Schrift Die hebraumlische Sprache und Schrift sind vor

allem durch den Zionismus wiederbelebt worden Auch die Runen die von

den Griechen uumlber die Etrusker zu den Germanen gekommen sein sollen wa‐

ren im 19 Jahrhundert bereits ausgestorben Sie sind im Gegensatz zu den

vorgenannten toten Schriften nie als Buchschrift verwendet worden

Abb 1

Entwicklung der in Europa und Randgebieten eingefuumlhrten

Buch‐ und Monumentalschriften seit fuumlnftausend Jahren [10]

Aw AwestaschriftE Etruskische SchriftG Gotische SchriftGM Griechische MinuskelKM Karolingische MinuskelO Oiratisch (Kalmuumlckisch)Unz Unzialis

Hebraumlisch

A

K

Aramaumlisch S

Punisch

Altaumlgyptisch WS

Phoumlnikisch SK

Altgriechisch

Kyrillisch

Irisch

Roumlmische Capitalis Antiqua

G(Nord-)Italisch A

Nabataumlisch K Arabisch K

O A

Hieratisch

Neugriechisch

E KM

Fraktur

GM A

AA

A

Runen A

Unz A

Demotisch

Phoumlnikisch SK

WS

K

WS

A

3000

v C

hr

2500

2000

1500

1000

500

0 500

1000

1500

2000

n C

hr

Syrisch K

Georgisch A

Armenisch A

Persisch (Aw) A

AK

SW

Alphabetschrift

Konsonantenschrift

Silbenschrift

Wortschrift

Gebrauch nur noch als Kirchenschrift

unmittelbare Ableitung

nur Beeinflussung

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

10

Seit 150 Jahren haben einige Staaten einen Schriftwechsel beschlossen

1860 (1865) in Rumaumlnien Umstellung von Kyrillisch auf Antiqua

1928 in der Tuumlrkei Umstellung von Arabisch auf Antiqua

1941 in Deutschland Umstellung von Fraktur auf Antiqua schon um 1900

waren die skandinavischen Staaten mit der Umstellung von Fraktur auf An‐

tiqua vorangegangen

nach 1920 in der Sowjetunion Ersatz der oiratischen Schrift der Kalmuumlcken

sowie der arabischen Schrift in den islamischen Gebieten zunaumlchst durch

Antiqua nach 1939 durch die kyrillische Schrift mit Sonderzeichen

Tabelle 2

Die Bevoumllkerung Europas nach Schriftverbreitungsgebieten

um 1890

Schriftart Millionen Einwohner Anteil in

Antiqua 1814 50

Kyrillische Schrift 900 25

Fraktur 811 23

Arabische Schrift 50 13

Griechische Schrift 37 1

Irische Schrift 10 03

Oiratische Schrift 01 02

Summe 3623 100

Schrift und Religion haumlngen eng zusammen denn vor allem Geistliche ha‐

ben die verschiedenen Schriften in Europa und seinen Randgebieten geschaf‐

fen oder als Schriften fuumlr wichtige religioumlse Buumlcher benutzt Die Verschriftli‐

chung der einzelnen Sprachen ist vor dem 19 Jahrhundert eng mit der Aus‐

breitung des Christentums und des Islams verbunden Die wichtigen reli‐

gioumlsen Buumlcher wurden deshalb in den bdquorichtigenldquo Schriften geschrieben oder

spaumlter gedruckt Diese Schriften galten als geheiligt Jahrhundertelang haben

die roumlmisch‐katholische Kirche und die anglikanische Kirche die Antiqua ver‐

breitet die lutherische Kirche die Fraktur orthodoxe Kirche ndash mit Ausnahme

Griechenlands ndash die kyrillische Schrift und der Islam mit dem Koran in arabi‐

scher Sprache die arabische Schrift Erst im 19 Jahrhundert zerfiel allmaumlhlich

der Zusammenhang zwischen Religion und Schrift Die Fraktur wurde ab 1941

sozusagen in den schriftgeschichtlichen Bereich verbannt

Die Domschulen Kloumlster und Koranschulen waren jahrhundertelang Traumlger

der Schriftkultur Das urspruumlnglich zur Verfuumlgung stehende Abc der Westkir‐

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

11

che war fuumlr die Wiedergabe aller Laute der nichtlateinischen Volkssprachen

nicht vollstaumlndig geeignet Deshalb entstanden nach und nach Sonderzeichen

vor allem diakritische Zeichen Im Deutschen sind dies die Umlaute auml ouml und uuml

sowie das szlig Insgesamt gibt es fuumlr die Schreibung der europaumlischen Sprachen

des lateinischen Schriftenkreises uumlber 70 abgewandelte Buchstaben und Son‐

derbuchstaben die meisten fuumlr die Schreibung der slawischen und baltischen

Sprachen Nationale Sonderzeichen gibt es auch in der kyrillischen Schrift

Die heutigen lateinischen Druckschriften sind unmittelbar auf die humani‐

stische Minuskel des 15 Jahrhunderts zuruumlckzufuumlhren (Abb 3) Diese hat die

Groszligbuchstaben (Versalien) von der um die Zeitenwende entstandenen CA‐

PITALIS uumlbernommen die Kleinbuchstaben (Gemeinen) von der karolingi‐

schen Minuskel des 8 Jahrhunderts Verwendet wird die lateinische Schrift

fast ausschlieszliglich in Laumlndern die durch die roumlmische Kirche missioniert wor‐

den sind wenn man vom Rumaumlnischen und Tuumlrkischen absieht

Als fruumlhe Sonderform der lateinischen Schrift haben irischen Moumlnche die iri‐

sche Schrift entwickelt Schon im 6 Jahrhundert war sie in einer Auspraumlgung

gebraumluchlich die der heutigen stark aumlhnelt

Das juumlngste Glied des lateinischen Werkschriftenkreises ist die Fraktur Sie

war fruumlher in allen europaumlischen Laumlndern verbreitet in denen sich waumlhrend

der Reformation die Einwohner ganz oder uumlberwiegend der evangelisch‐

lutherischen Lehre angeschlossen hatten also in Deutschland Skandinavien

und im Baltikum Die unmittelbaren Vorlaumlufer der Fraktur sind die Bastard‐

schriften (gebrochenen Kursiven) wie sie in Nordfrankreich in den Nieder‐

landen und in der kaiserlichen Kanzlei von der Mitte des 15 Jahrhunderts an

verwendet wurden In vollendeter Form taucht die Fraktur 1525 in Albrecht

Duumlrers Buch ʺUnterweisung der Messung mit dem Zirkel und Richtscheid in

Linien Ebenen und ganzen Koumlrpernʺ auf Geschnitten hat sie Hieronymus

Andreauml (Roumlsch) nach dem Entwurf des Schreibmeisters Johann Neudoumlrffer

d Auml (1497 ‐ 1563) Als Werkschrift des deutschen Sprachraums und des kultu‐

rell mit Deutschland verbundenen skandinavischen baltischen und westsla‐

wischen Raums hielt sich die Fraktur auszligerhalb Deutschlands bis ins 19 Jahr‐

hundert und wurde erst danach durch die Antiqua abgeloumlst

In Deutschland verfuumlgte die damalige Reichsregierung 1941 ein Umstellungs‐

gebot von ʺdeutscher Schriftʺ dh von Fraktur und deutscher Schreibschrift

auf ʺNormalschriftʺ dh auf Antiqua und lateinische Schreibschrift Die Um‐

stellung wurde auch nach dem 2 Weltkrieg weitergefuumlhrt denn die tonange‐

benden Kraumlfte in Deutschland halten idR das Neue oder das Fremde fuumlr bes‐

ser als das Alte und das Eigene

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

12

Abb 2

Beispiele von Buchschriften aus Europa und Randgebieten [10]

Alle Sprach‐ und Schriftbeispiele mit Ausnahme der kalmuumlckischen Sprache

in oiratischer Schrift geben die Aussage wieder Am Beginn houmlherer Kultur steht die Schrift

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

13

Streng genommen ist nach der Fraktur noch eine allerjuumlngste Werkschrift ent‐

standen naumlmlich die schlichte gotische Schrift oder die Gebrochene Grotesk

Das aumllteste Mitglied dieser Schriftfamilie ist die Wieynck‐Werkschrift Profes‐

sor Heinrich Wieynck hat sie 1930 entworfen In den dreiszligiger Jahren haben

sie viele Schriftkuumlnstler nachempfunden denn mit Wieynck waren damals

viele der Meinung die Fraktur mit ihren Schnoumlrkeln passe nicht in das techni‐

sche Zeitalter dessen Aussehen damals beispielgebend der schmucklos‐

nuumlchterne Bauhausstil zeigte Die Neuerer gestalteten um einen vollstaumlndigen

Ersatz der Fraktur durch Antiqua und Grotesk zu verhindern die gebroche‐

nen Schriften schlichter erreichten ihr Ziel aber nicht Stilistisch nahmen die

gebrochenen Groteskschriften die recht konstruiert wirken bei den damals

stark im Gespraumlch befindlichen Runen und der Staumlbchenschrift Anleihen Letz‐

tere entstand dadurch daszlig die Schuumller zum Erlernen der Antiqua jeden Buch‐

staben aus Staumlbchen zusammensetzen sollten Den gebrochenen Groteskschrif‐

ten zB der Tannenberg National und anderen Schriften mit betont national

klingenden Namen fehlen jegliche Rundungen Sie konnten sich vor dem

Frakturverbot nicht mehr als Werksatzschriften durchsetzen Nur fuumlr Aus‐

zeichnungszwecke verwendete man sie damals gelegentlich Schriftbeispiele

aller abendlaumlndischen Schriften und ihren Stammbaum zeigt Abb 3

Die kyrillische Schrift seit dem 10 Jahrhundert gebraumluchlich geht auf die im

9 Jahrhundert durch den Slawenapostel Kyrill (826 ‐ 869) aus der griechischen

Schrift abgeleitete glagolitische Schrift (Glagoliza) zuruumlck die sich als eckige

kroatische oder illyrische Glagoliza noch bis ins 19 Jahrhundert im kroati‐

schen Insel‐ und Kuumlstenraum als Kirchenschrift hielt Nach dem 1 Weltkrieg

hat die kyrillische Schrift in der Sowjetunion eine deutliche Vergroumlszligerung ih‐

res Verbreitungsgebietes erfahren da die Wiedergabe der fruumlher durch arabi‐

sche Schriftzeichen ab den zwanziger Jahren durch Antiqua dargestellten

Sprachen seit 193940 in kyrillischer Schrift erfolgt

Die im Mathematikunterricht und im Griechischunterricht an den humanisti‐

schen Gymnasien gelehrte griechische Schrift die auch im heutigen Griechen‐

land verwendet wird hat ihren unmittelbaren Vorlaumlufer in der geschriebenen

griechischen Minuskel des 13 Jahrhunderts Dagegen waumlren heute die griechi‐

schen Handschriften des Altertums fuumlr jeden Gymnasiasten und wohl auch

fuumlr die meisten Altphilologen unleserlich

Im oumlstlichen Europa am Westufer des Kaspischen Meeres leben die im 17

Jahrhundert aus dem Osten zugewanderten Kalmuumlcken Sie verwendeten

noch im 19 Jahrhundert die 1648 von Dschaja Pandita geschaffene oiratische

Schrift Sie geht auf die im 11 Jahrhundert in Anlehnung an das syrische Al‐

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

14

phabet entstandene mongolische Schrift zuruumlck Merkwuumlrdig an dieser Schrift

ist daszlig sie in Spalten von oben nach unten geschrieben wird aber nach Dre‐

hung um 90deg von rechts nach links zu lesen ist Im 20 Jahrhundert ersetzten

die Kalmuumlcken ihre eigene Schrift zunaumlchst durch Antiqua dann durch die

kyrillische Schrift

Durch den Islam kam die arabische Schrift auch in die oumlstlichen Randgebiete

Europas Diese wird zur Wiedergabe der arabischen Sprachen und sie wurde

jahrhundertelang auch zur Wiedergabe der Turksprachen im Osmanischen

Reich und im Zarenreich verwendet also in den Gebieten die den islamischen

Glauben angenommen hatten Trotz ihres von den abendlaumlndischen Schriften

und der kyrillischen Schrift sehr verschiedenen Aussehens hat die arabische

Schrift die gleiche Wurzel naumlmlich die phoumlnikische Schrift aus der sich die

aramaumlische und im 6 Jahrhundert die arabische Schrift entwickelt hat

Abb 3

Stammtafel der Schriften des lateinischen Schriftenkreises

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

15

Infolge der Umwaumllzungen nach dem 1 Weltkrieg ist die arabische Schrift als

Alltags‐Werkschrift in der Tuumlrkei 1928 durch die lateinische Schrift mit Son‐

derzeichen ersetzt worden wohl nach diesem Vorbild in der Sowjetunion

ebenfalls Ende der zwanziger Jahre ebenfalls durch Antiqua schon im

2 Weltkrieg schlieszliglich durch die kyrillische Schrift Inzwischen foumlrdert der

wieder erstarkte Islam Bestrebungen die arabische Schrift dort wieder einzu‐

fuumlhren wo sie durch andere Schriften verdraumlngt worden ist

6 Schluszligbetrachtung

Bedingt durch die Vielfalt der Voumllker und Religionen in Europa haben sich

verschiedene Kulturen und im Rahmen dieser Kulturen verschiedene Spra‐

chen und auch Schriften entwickelt Die phoumlnikische Schrift ist die Stammutter

aller europaumlischen Schriften Je nach Wesensart Koumlnnen und Geschmack der

Schriftschoumlpfer ist sie recht unterschiedlich weiterentwickelt worden Als Er‐

gebnisse sind unter anderem die kuumlhle monumentale Antiqua die schlichte

Abb 4

Europaumlische Buchschriften im 19 Jahrhundert [10]

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

16

Grotesk die kuumlnstlerisch beschwingte Fraktur die flott geschriebene arabische

Schrift und die kyrillische Schrift entstanden

Zur bdquodeutschen Schriftldquo gehoumlren im weiteren Sinne alle gebrochenen Schrif‐

ten im engeren Sinne Schwabacher Fraktur Gebrochene Grotesk und die

spitze deutsche Schreibschrift Die genannten Schriften sind mit den heute ge‐

braumluchlichen runden Schriften eng verwandt und fuumlr den frakturungewohn‐

ten Leser bei durchschnittlicher Begabung und mit etwas Fleiszlig nach kurzer

Einlesezeit lesbar Die Fraktur ist eine von neun Werkschriften die in der Mit‐

te des 19 Jahrhunderts in Europa noch gebraumluchlich waren Es waumlre bedauer‐

lich wenn sie aus modischen technischen und wirtschaftlichen Gruumlnden auf

dem Altar der Vereinheitlichung und kulturellen Verflachung geopfert wuumlrde

Wichtigstes Schrifttum

[1] bdquoBrockhaus‐Enzyklopaumldieldquo 17 Aufl Wiesbaden 1975 unter den einschlaumlgigen Stich‐

woumlrtern insbesondere die Erlaumluterungen im 21 Band auf S IX

[2] bdquoMeyers Konversations‐Lexikonldquo 5 Aufl 1895 ndash 1897

[3] Wolfgang Hendlmeier bdquoVon den Mundarten zur Hochspracheldquo in Hans Riegelmann

bdquoVon deutscher Sprache und Schriftldquo Bremen 1993 S 21

[4] Wolfgang Hendlmeier bdquoDie Pflege der deutschen Sprache ndash einst und heuteldquo in Hans

Riegelmann bdquoVon deutscher Sprache und Schriftldquo Bremen 1993 S 31

[5] Wolfgang Hendlmeier bdquoViele Sprachen werden aussterbenldquo in bdquoDie deutsche Schriftldquo

Heft 11994 S 4

[6] Wolfgang Hendlmeier bdquoVon bedrohten Sprachen und sterbenden Voumllkernldquo in bdquoDie

deutsche Schriftldquo Heft 21994 S 37

[7] Wolfgang Hendlmeier bdquoDie Rechtschreibreform ndash Ein Anschlag auf die deutsche Spra‐

cheldquo in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 41997 S 83

[8] Wolfgang Hendlmeier und Gerhard Helzel bdquoSonderzeichen europaumlischer Sprachen des

lateinischen Schriftenkreisesldquo in in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 21995 S 138

[9] Werner Koumlnig bdquoAtlas zur deutschen Spracheldquo 5 Aufl dtv‐Verlag Muumlnchen 1983

[10] Artur Wohe bdquoVielfalt der Sprachen und Schriften in Europa ndash Buumlrde oder Reichtumldquo

in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 31990 S 83 dort weitere Literaturhinweise

[11] Wolfgang Hendlmeier bdquoKunstwerke der Schriftldquo 3 Aufl Hannover 1994 S 89

[12] Gerhard Quast Bedrohte Sprachen sterbende Voumllker in bdquoJunge Freiheitldquo Nr 121994

[13] httpdewikipediaorgwikiGriechische_Sprachfrage

[14] httpdewikipediaorgwikiKyrillisches_Alphabet

Stand 18072013

Page 4: Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa - … · 2 Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa Von ... nahme in die Vereinten Nationen nicht auf Deutsch als Amtssprache

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

4

chen oder eine Zeichenfolge z B fuumlr den Laut uuml ein u mit daruumlber stehenden

diakritischen Punkten Der waagrecht liegende Doppelpunkt der deutschen

Umlaute ist aus dem kleinen e der deutschen Schreibschrift hervorgegangen

Bei Sprachen deren Schreibweise schon vor langer Zeit festgelegt worden ist

besteht heute in der Regel ein nicht besonders sinnvoller (logischer) Zusam‐

menhang zwischen Schreibweise und Aussprache dh gleiche Laute werden

nicht immer durch das gleiche Graphem wiedergegeben Umgekehrt wird das

gleiche Graphem nicht immer gleich ausgesprochen Dieser Mangel ist zum

Beispiel bei der Schreibung des Englischen und Franzoumlsischen stark ausge‐

praumlgt weniger bei der des Deutschen

Aus den genannten Gruumlnden ist eine international guumlltige Uumlbertragung zum

Beispiel der russischen oder chinesischen Namen in lateinische Schreibweise

nicht richtig da die Lateinbuchstaben in den verschiedenen Laumlndern mit latei‐

nischer Schreibweise verschieden ausgesprochen werden Trotzdem haben

uns in den letzten Jahrzehnten Geographen und kartographische Verlage ohne

amtliche Genehmigung die am Englischen ausgerichtete Namensschreibweise

praktisch aufgenoumltigt zB slavisch (statt fruumlher slawisch)

Sprachen deren Schreibweise erst im 19 Jahrhundert durch Sprachwissen‐

schaftler (Linquisten) festgelegt wurde sind aumllteren Schriftsprachen gegen‐

uumlber im Vorteil Eine besonders sinnvolle Laut‐Buchstaben‐Beziehung zeich‐

net das Serbokroatische aus dessen Schreibweise Vuk Stefanović Karadžić

(1787 ‐ 1864) erst 1818 festgelegt hat In [2] heiszligt es dazu unter dem Stichwort

ʺSerbokroatische Spracheʺ ʺEin besonderer Vorzug speziell des Serbischen ist

die ausgezeichnete streng phonetische Orthographie deren sich in solcher

Vollkommenheit wohl kaum eine zweite Sprache erfreuen duumlrfteʺ Dabei hat

die unterschiedliche Religionszugehoumlrigkeit der orthodoxen Serben und der

katholischen Kroaten ihrer Sprache zwei Schriften beschert Das Serbische

wird in kyrillischer Schrift das Kroatische in Antiqua gesetzt

4 Die Sprachenvielfalt in Europa

Europa ist im Norden Westen und Suumlden durch Meere begrenzt im Osten

durch das Ural‐Gebirge den Ural‐Fluszlig das Kaspische Meer und die Ma‐

nytschsenke zwischen Kaspischem und Asowschem Meer Zu Europa gehoumlren

also nicht die Kaukasus‐Staaten Armenien Aserbaidschan und Georgien In

Europa bestehen zur Zeit ndash ohne die deutschen und oumlsterreichischen Bundes‐

laumlnder sowie vergleichbare staatliche Gebilde ndash 45 mehr oder weniger souve‐

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

5

raumlne Staaten mit uumlber 40 Amts‐ und Schulsprachen Hierbei sind die russi‐

schen Regionalsprachen zB das zu den finnougrischen Sprachen gehoumlrende

Mordwinische nicht mitgerechnet

Die kulturgeschichtliche und politische Bedeutung der einzelnen Sprachen ist

recht unterschiedlich Sie haumlngt davon ab wann die einzelnen Sprachen

verschriftlicht worden sind wie groszlig die Zahl der Sprecher heute ist und wel‐

chen sprachlichen Behauptungswillen das jeweilige Volk oder vielmehr des‐

sen Politiker und Medien an den Tag gelegt haben So faumlllt auf daszlig Deutsch

mit rund 100 Mio Sprechern weltweit im Gegensatz zum Franzoumlsischen mit

nur rund 80 Mio Sprechern nicht als eine der derzeit 6 Amtssprachen der Ver‐

einten Nationen eingefuumlhrt ist Diese Sprachen sind in der Reihenfolge der

Sprecherzahl Chinesisch Englisch Spanisch Russisch Arabisch und Franzouml‐

sisch Dies liegt daran daszlig die deutschsprachigen Regierungen bei ihrer Auf‐

nahme in die Vereinten Nationen nicht auf Deutsch als Amtssprache bestan‐

den haben und wohl auch daran daszlig die Vereinten Nationen urspruumlnglich

als Buumlndnis gegen die ʺAchsenmaumlchteʺ Deutsches Reich und Italien und deren

Verbuumlndete entstanden sind

Tabelle 1 zeigt die Sprachen‐ und Schriftenvielfalt Europas Einige Sprachge‐

biete zerfallen in ausgepraumlgte Mundartgebiete wobei der Uumlbergang zwischen

Sprache und Mundart flieszligend ist Nicht wenige Mundarten die streng ge‐

nommen den Rang einer eigenen Sprache haben zB das Niederdeutsche das

Schweizerdeutsch oder das Provenzalische konnten sich nicht als Amts‐ und

Verkehrssprachen durchsetzen wenn auch in fast allen Mundarten seit lan‐

gem eine Mundartliteratur in nicht festgelegter Schreibweise entstanden ist

Tabelle 1

Amtssprachen und Schriften in den europaumlischen Staaten

Staat Sprache Schriftlicher Nachweis der

Sprache seit dem

Schriftart

Albanien albanisch im Norden auch gegisch

16 Jahrh lateinisch bis 1908 auch griechische Schrift

Andorra katalanisch spanisch und franzoumlsisch

12 Jahrh 9 Jahrh

lateinisch

Belgien franzoumlsisch und niederlaumlndisch (in Belgien als flaumlmisch bezeichnet) im Gebiet von Eupen auch deutsch

9 Jahrh 12 Jahrh

lateinisch

Bosnien und Herzegowina

serbisch und kroatisch

13 Jahrh 14 Jahrh

kyrillisch lateinisch

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

6

Staat Sprache Schriftlicher Nachweis der

Sprache seit dem

Schriftart

Bulgarien bulgarisch tuumlrkisch der Minderheit nicht amtlich anerkannt (Stand 1975)

18 Jahrh 12 Jahrh

kyrillisch

Daumlnemark daumlnisch auf den Faumlroumler-Inseln auch faumlringisch in Nordschleswig auch deutsch

12 Jahrh

18 Jahrh 8 Jahrh

lateinisch bis in das 19 Jahrhundert auch Fraktur

Deutschland deutsch in Suumldschleswig auch daumlnisch in der Lausitz auch sorbisch

um 770 lateinisch bis um 1960 auch Fraktur (1941 durch die deutsche Reichsregierung abge-schafft)

Estland estnisch und russisch

16 Jahrh

11 Jahrh

lateinisch fuumlr das Estnische (Frakturgebrauch wie in Daumlnemark) kyrillisch fuumlr das Russische

Finnland finnisch und schwedisch im Norden auch samisch und lap-pisch

16 Jahrh lateinisch Frakturgebrauch wie in Daumlnemark

Frankreich franzoumlsisch die Minderheiten-sprachen deutsch bretonisch baskisch und italienisch sind amtlich nicht anerkannt

9 Jahrh lateinisch

Griechenland neugriechisch (Dimotiki) im Norden auch mazedonisch

19 Jahrh 20 Jahrh

griechisch kyrillisch fuumlr das Mazedoni-sche

Groszligbritan-nien und Nordirland

englisch in Wales auch walisisch in Nord-schottland auch gaumllisch auf den Kanalinseln auch franzoumlsisch

8 Jahrh

17 Jahrh 9 Jahrh

lateinisch

Irland irisch und englisch

6 Jahrh 8 Jahrh

irisch (zuruumlckgehend) und lateinisch

Island islaumlndisch 12 Jahrh lateinisch Frakturgebrauch wie in Daumlnemark

Italien italienisch in Suumldtirol auch deutsch im Aostatal auch franzoumlsisch

13 Jahrh 8 Jahrh 9 Jahrh

lateinisch

Kroatien kroatisch 14 Jahrh lateinisch

Lettland lettisch und russisch

16 Jahrh

11 Jahrh

lateinisch fuumlr das Lettische (Frakturgebrauch wie in Daumlnemark) kyrillisch fuumlr das Russische

Liechtenstein deutsch 8 Jahrh lateinisch siehe Deutsch-land

Litauen litauisch und russisch

16 Jahrh

11 Jahrh

lateinisch fuumlr das Litauische (Frakturgebrauch wie in Daumlnemark) kyrillisch fuumlr das Russische

Luxemburg franzoumlsisch deutsch und letzeburgisch

9 Jahrh 8 Jahrh

lateinisch

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

7

Staat Sprache Schriftlicher Nachweis der

Sprache seit dem

Schriftart

Malta maltesisch und englisch 18 bzw 8 Jahrh lateinisch

Mazedonien mazedonisch 20 Jahrh kyrillisch

Moldau (Mol-dawien)

moldauisch = rumaumlnisch und russisch

16 Jahrh 11 Jahrh

kyrillisch

Monaco franzoumlsisch 9 Jahrh lateinisch

Niederlande niederlaumlndisch im Nordosten westfriesisch als nichtamtliche Minderheitensprache

12 Jahrh lateinisch

Norwegen norwegisch (norwegisch ist der Oberbegriff fuumlr die im 19 Jahrhundert aus Mundarten entwickelten Sprachen Bokmal und Nynorsk) in Teilgebieten auch samisch

12 Jahrh lateinisch Frakturgebrauch wie in Daumlnemark

Oumlsterreich deutsch in Teilen Kaumlrntens auch slowenisch (windisch)

8 Jahrh lateinisch siehe Deutsch-land

Polen polnisch als Minderheitensprachen deutsch und kaschubisch

15 Jahrh lateinisch fruumlher teilweise auch Fraktur

Portugal portugiesisch 12 Jahrh lateinisch

Rumaumlnien rumaumlnisch in Siebenbuumlrgen auch ungarisch und deutsch

16 Jahrh ab 1865 lateinisch vorher kyrillisch

Ruszligland russisch in Teilgebieten auch Minderheitensprachen am be-deutendsten das Mordwinische (eine finno-ugrische Sprache) mit uumlber 1 Mio Sprechern

11 Jahrh kyrillisch

San Marino italienisch 13 Jahrh lateinisch

Schweden schwedisch im Norden auch samisch

12 Jahrh lateinisch Frakturgebrauch wie in Daumlnemark

Schweiz deutsch franzoumlsisch italienisch und raumltoromanisch

8 Jahrh 9 Jahrh

13 Jahrh 16 Jahrh

lateinisch fuumlr das Deutsche fruumlher auch Fraktur

Serbien und Montenegro

serbisch in Teilgebieten auch ungarisch

13 Jahrh 15 Jahrh

kyrillisch (fuumlr serbisch) lateinisch (fuumlr ungarisch)

Slowakei slowakisch in Teilgebieten auch ungarisch

18 Jahrh 15 Jahrh

lateinisch bis in das 19 Jahrh auch Fraktur

Slowenien slowenisch 16 Jahrh lateinisch

Spanien spanisch in Teilgebieten auch katalanischbaskisch und Gallego = galizisch

12 Jahrh

16 Jahrh

lateinisch

Tschechien tschechisch 13 Jahrh lateinisch bis in das 19 Jahrh auch Fraktur

Tuumlrkei tuumlrkisch 12 Jahrh lateinisch 1928 Umstellung von arabischer auf lateini-sche Schrift

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

8

Staat Sprache Schriftlicher Nachweis der

Sprache seit dem

Schriftart

Ukraine ukrainisch und russisch 14 bzw 11 Jahrh kyrillisch

Ungarn ungarisch in Teilgebieten auch deutsch

15 Jahrh 8 Jahrh

lateinisch

Vatikanstadt italienisch und lateinisch

13 Jahrh lateinisch

Weiszligruszligland weiszligrussisch und russisch 15 bzw 11 Jahrh kyrillisch Anmerkungen zur Tabelle 1 auch vor den genannten Sprachen bedeutet daszlig es sich um eine Minderheitensprache handelt Als Schul- oder Amtssprachen fuumlr nationale Minderheiten nicht anerkannte Spra-chen sind idR nicht aufgefuumlhrt

Serbisch und kroatisch wird auch zur Sprache Serbokroatisch zusammengefaszligt Die Trennung ist nur deshalb zweckmaumlszligig weil Kroatisch in lateinischer Schrift Serbisch in kyrillischer Schrift geschrieben wird

Die Sprachen Arabisch Deutsch Englisch Portugiesisch Russisch und Spanisch werden weltweit von uumlber 100 Mio Sprechern gesprochen

Luther hat entscheidend dazu beigetragen daszlig das Hochdeutsche auch im

niederdeutschen Sprachbereich ndash ohne die Niederlande und Belgien ndash Fuszlig faszlig‐

te da es als bdquoheilige Spracheldquo galt und deshalb im Gottesdienst anstelle der

oumlrtlichen Mundarten gebraucht wurde

Die fruumlhere Sowjetunion hat das Eigenleben ihrer zahlreichen Voumllker und

Volksgruppen zum Teil bewuszligt gefoumlrdert so daszlig viele Sprachen noch im

20 Jahrhundert von einer Volkssprache in den Rang einer Schrift‐ und Amts‐

sprache erhoben worden sind In Tabelle 1 ist soweit bekannt das Jahrhun‐

dert der Verschriftlichung genannt

Oumlstlich einer gedachten Linie von Triest nach St Petersburg also im wesentli‐

chen im slawischen Siedlungsraum siedeln die verschiedenen Voumllker und

Volksgruppen in Gemengelage nebeneinander Geschlossene Volkssiedlungs‐

gebiete sind dort im wesentlichen nur das weiszligrussische und das ukrainische

Gebiet Umsiedlung und Vertreibung haben fast alle deutschen Sprachinseln

in Osteuropa ausgeloumlscht Sie wurden vom Mittelalter an bis ins 19 Jahrhun‐

dert hinein besiedelt

Die vom 18 Jahrhundert an allmaumlhlich eingefuumlhrte Schulpflicht hat sprachli‐

che Minderheiten zuruumlckgedraumlngt Sie koumlnnen nur dann uumlberleben wenn das

Mehrheitsvolk eines Staates seinen Minderheitsvoumllkern groszligmuumltig Minderhei‐

tenrechte gewaumlhrt dh wenn es ihre Muttersprache neben der allgemeinen

Staatssprache als Schul‐ und Amtssprache zulaumlszligt Staaten die sich mit dem

Minderheitenschutz seit jeher schwer tun oder ihn miszligachten sind ua Frank‐

reich Polen und Bulgarien

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

9

5 Die in Europa gebraumluchlichen Schriften

Auszliger mit der heute als Druckschrift in Deutschland eingefuumlhrten Antiqua

(mit Endquerstrichen oder Serifen) bzw den serifenlosen Groteskschriften

wurden die in Europa gesprochenen Sprachen um 1900 in neun weiteren

Schriften gedruckt (Tab 2 und Abb 4) Beispiele von Buchschriften aus Euro‐

pa und Randgebieten zeigt Abb 2 den Stammbaum dieser Schriften Abb 1

Die Urahnen der europaumlischen Schriften sind die vor rund 5000 Jahren ent‐

standenen altaumlgyptischen Hieroglyphen

Dieser Beitrag beruumlcksichtigt nicht sog tote Sprachen und Schriften auch

wenn sie im 19 Jahrhundert noch fuumlr den religioumlsen und wissenschaftlichen

Bereich verwendet wurden Hierher gehoumlren die lateinische und syrische

Sprache sowie die syrische Schrift Die hebraumlische Sprache und Schrift sind vor

allem durch den Zionismus wiederbelebt worden Auch die Runen die von

den Griechen uumlber die Etrusker zu den Germanen gekommen sein sollen wa‐

ren im 19 Jahrhundert bereits ausgestorben Sie sind im Gegensatz zu den

vorgenannten toten Schriften nie als Buchschrift verwendet worden

Abb 1

Entwicklung der in Europa und Randgebieten eingefuumlhrten

Buch‐ und Monumentalschriften seit fuumlnftausend Jahren [10]

Aw AwestaschriftE Etruskische SchriftG Gotische SchriftGM Griechische MinuskelKM Karolingische MinuskelO Oiratisch (Kalmuumlckisch)Unz Unzialis

Hebraumlisch

A

K

Aramaumlisch S

Punisch

Altaumlgyptisch WS

Phoumlnikisch SK

Altgriechisch

Kyrillisch

Irisch

Roumlmische Capitalis Antiqua

G(Nord-)Italisch A

Nabataumlisch K Arabisch K

O A

Hieratisch

Neugriechisch

E KM

Fraktur

GM A

AA

A

Runen A

Unz A

Demotisch

Phoumlnikisch SK

WS

K

WS

A

3000

v C

hr

2500

2000

1500

1000

500

0 500

1000

1500

2000

n C

hr

Syrisch K

Georgisch A

Armenisch A

Persisch (Aw) A

AK

SW

Alphabetschrift

Konsonantenschrift

Silbenschrift

Wortschrift

Gebrauch nur noch als Kirchenschrift

unmittelbare Ableitung

nur Beeinflussung

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

10

Seit 150 Jahren haben einige Staaten einen Schriftwechsel beschlossen

1860 (1865) in Rumaumlnien Umstellung von Kyrillisch auf Antiqua

1928 in der Tuumlrkei Umstellung von Arabisch auf Antiqua

1941 in Deutschland Umstellung von Fraktur auf Antiqua schon um 1900

waren die skandinavischen Staaten mit der Umstellung von Fraktur auf An‐

tiqua vorangegangen

nach 1920 in der Sowjetunion Ersatz der oiratischen Schrift der Kalmuumlcken

sowie der arabischen Schrift in den islamischen Gebieten zunaumlchst durch

Antiqua nach 1939 durch die kyrillische Schrift mit Sonderzeichen

Tabelle 2

Die Bevoumllkerung Europas nach Schriftverbreitungsgebieten

um 1890

Schriftart Millionen Einwohner Anteil in

Antiqua 1814 50

Kyrillische Schrift 900 25

Fraktur 811 23

Arabische Schrift 50 13

Griechische Schrift 37 1

Irische Schrift 10 03

Oiratische Schrift 01 02

Summe 3623 100

Schrift und Religion haumlngen eng zusammen denn vor allem Geistliche ha‐

ben die verschiedenen Schriften in Europa und seinen Randgebieten geschaf‐

fen oder als Schriften fuumlr wichtige religioumlse Buumlcher benutzt Die Verschriftli‐

chung der einzelnen Sprachen ist vor dem 19 Jahrhundert eng mit der Aus‐

breitung des Christentums und des Islams verbunden Die wichtigen reli‐

gioumlsen Buumlcher wurden deshalb in den bdquorichtigenldquo Schriften geschrieben oder

spaumlter gedruckt Diese Schriften galten als geheiligt Jahrhundertelang haben

die roumlmisch‐katholische Kirche und die anglikanische Kirche die Antiqua ver‐

breitet die lutherische Kirche die Fraktur orthodoxe Kirche ndash mit Ausnahme

Griechenlands ndash die kyrillische Schrift und der Islam mit dem Koran in arabi‐

scher Sprache die arabische Schrift Erst im 19 Jahrhundert zerfiel allmaumlhlich

der Zusammenhang zwischen Religion und Schrift Die Fraktur wurde ab 1941

sozusagen in den schriftgeschichtlichen Bereich verbannt

Die Domschulen Kloumlster und Koranschulen waren jahrhundertelang Traumlger

der Schriftkultur Das urspruumlnglich zur Verfuumlgung stehende Abc der Westkir‐

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

11

che war fuumlr die Wiedergabe aller Laute der nichtlateinischen Volkssprachen

nicht vollstaumlndig geeignet Deshalb entstanden nach und nach Sonderzeichen

vor allem diakritische Zeichen Im Deutschen sind dies die Umlaute auml ouml und uuml

sowie das szlig Insgesamt gibt es fuumlr die Schreibung der europaumlischen Sprachen

des lateinischen Schriftenkreises uumlber 70 abgewandelte Buchstaben und Son‐

derbuchstaben die meisten fuumlr die Schreibung der slawischen und baltischen

Sprachen Nationale Sonderzeichen gibt es auch in der kyrillischen Schrift

Die heutigen lateinischen Druckschriften sind unmittelbar auf die humani‐

stische Minuskel des 15 Jahrhunderts zuruumlckzufuumlhren (Abb 3) Diese hat die

Groszligbuchstaben (Versalien) von der um die Zeitenwende entstandenen CA‐

PITALIS uumlbernommen die Kleinbuchstaben (Gemeinen) von der karolingi‐

schen Minuskel des 8 Jahrhunderts Verwendet wird die lateinische Schrift

fast ausschlieszliglich in Laumlndern die durch die roumlmische Kirche missioniert wor‐

den sind wenn man vom Rumaumlnischen und Tuumlrkischen absieht

Als fruumlhe Sonderform der lateinischen Schrift haben irischen Moumlnche die iri‐

sche Schrift entwickelt Schon im 6 Jahrhundert war sie in einer Auspraumlgung

gebraumluchlich die der heutigen stark aumlhnelt

Das juumlngste Glied des lateinischen Werkschriftenkreises ist die Fraktur Sie

war fruumlher in allen europaumlischen Laumlndern verbreitet in denen sich waumlhrend

der Reformation die Einwohner ganz oder uumlberwiegend der evangelisch‐

lutherischen Lehre angeschlossen hatten also in Deutschland Skandinavien

und im Baltikum Die unmittelbaren Vorlaumlufer der Fraktur sind die Bastard‐

schriften (gebrochenen Kursiven) wie sie in Nordfrankreich in den Nieder‐

landen und in der kaiserlichen Kanzlei von der Mitte des 15 Jahrhunderts an

verwendet wurden In vollendeter Form taucht die Fraktur 1525 in Albrecht

Duumlrers Buch ʺUnterweisung der Messung mit dem Zirkel und Richtscheid in

Linien Ebenen und ganzen Koumlrpernʺ auf Geschnitten hat sie Hieronymus

Andreauml (Roumlsch) nach dem Entwurf des Schreibmeisters Johann Neudoumlrffer

d Auml (1497 ‐ 1563) Als Werkschrift des deutschen Sprachraums und des kultu‐

rell mit Deutschland verbundenen skandinavischen baltischen und westsla‐

wischen Raums hielt sich die Fraktur auszligerhalb Deutschlands bis ins 19 Jahr‐

hundert und wurde erst danach durch die Antiqua abgeloumlst

In Deutschland verfuumlgte die damalige Reichsregierung 1941 ein Umstellungs‐

gebot von ʺdeutscher Schriftʺ dh von Fraktur und deutscher Schreibschrift

auf ʺNormalschriftʺ dh auf Antiqua und lateinische Schreibschrift Die Um‐

stellung wurde auch nach dem 2 Weltkrieg weitergefuumlhrt denn die tonange‐

benden Kraumlfte in Deutschland halten idR das Neue oder das Fremde fuumlr bes‐

ser als das Alte und das Eigene

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

12

Abb 2

Beispiele von Buchschriften aus Europa und Randgebieten [10]

Alle Sprach‐ und Schriftbeispiele mit Ausnahme der kalmuumlckischen Sprache

in oiratischer Schrift geben die Aussage wieder Am Beginn houmlherer Kultur steht die Schrift

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

13

Streng genommen ist nach der Fraktur noch eine allerjuumlngste Werkschrift ent‐

standen naumlmlich die schlichte gotische Schrift oder die Gebrochene Grotesk

Das aumllteste Mitglied dieser Schriftfamilie ist die Wieynck‐Werkschrift Profes‐

sor Heinrich Wieynck hat sie 1930 entworfen In den dreiszligiger Jahren haben

sie viele Schriftkuumlnstler nachempfunden denn mit Wieynck waren damals

viele der Meinung die Fraktur mit ihren Schnoumlrkeln passe nicht in das techni‐

sche Zeitalter dessen Aussehen damals beispielgebend der schmucklos‐

nuumlchterne Bauhausstil zeigte Die Neuerer gestalteten um einen vollstaumlndigen

Ersatz der Fraktur durch Antiqua und Grotesk zu verhindern die gebroche‐

nen Schriften schlichter erreichten ihr Ziel aber nicht Stilistisch nahmen die

gebrochenen Groteskschriften die recht konstruiert wirken bei den damals

stark im Gespraumlch befindlichen Runen und der Staumlbchenschrift Anleihen Letz‐

tere entstand dadurch daszlig die Schuumller zum Erlernen der Antiqua jeden Buch‐

staben aus Staumlbchen zusammensetzen sollten Den gebrochenen Groteskschrif‐

ten zB der Tannenberg National und anderen Schriften mit betont national

klingenden Namen fehlen jegliche Rundungen Sie konnten sich vor dem

Frakturverbot nicht mehr als Werksatzschriften durchsetzen Nur fuumlr Aus‐

zeichnungszwecke verwendete man sie damals gelegentlich Schriftbeispiele

aller abendlaumlndischen Schriften und ihren Stammbaum zeigt Abb 3

Die kyrillische Schrift seit dem 10 Jahrhundert gebraumluchlich geht auf die im

9 Jahrhundert durch den Slawenapostel Kyrill (826 ‐ 869) aus der griechischen

Schrift abgeleitete glagolitische Schrift (Glagoliza) zuruumlck die sich als eckige

kroatische oder illyrische Glagoliza noch bis ins 19 Jahrhundert im kroati‐

schen Insel‐ und Kuumlstenraum als Kirchenschrift hielt Nach dem 1 Weltkrieg

hat die kyrillische Schrift in der Sowjetunion eine deutliche Vergroumlszligerung ih‐

res Verbreitungsgebietes erfahren da die Wiedergabe der fruumlher durch arabi‐

sche Schriftzeichen ab den zwanziger Jahren durch Antiqua dargestellten

Sprachen seit 193940 in kyrillischer Schrift erfolgt

Die im Mathematikunterricht und im Griechischunterricht an den humanisti‐

schen Gymnasien gelehrte griechische Schrift die auch im heutigen Griechen‐

land verwendet wird hat ihren unmittelbaren Vorlaumlufer in der geschriebenen

griechischen Minuskel des 13 Jahrhunderts Dagegen waumlren heute die griechi‐

schen Handschriften des Altertums fuumlr jeden Gymnasiasten und wohl auch

fuumlr die meisten Altphilologen unleserlich

Im oumlstlichen Europa am Westufer des Kaspischen Meeres leben die im 17

Jahrhundert aus dem Osten zugewanderten Kalmuumlcken Sie verwendeten

noch im 19 Jahrhundert die 1648 von Dschaja Pandita geschaffene oiratische

Schrift Sie geht auf die im 11 Jahrhundert in Anlehnung an das syrische Al‐

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

14

phabet entstandene mongolische Schrift zuruumlck Merkwuumlrdig an dieser Schrift

ist daszlig sie in Spalten von oben nach unten geschrieben wird aber nach Dre‐

hung um 90deg von rechts nach links zu lesen ist Im 20 Jahrhundert ersetzten

die Kalmuumlcken ihre eigene Schrift zunaumlchst durch Antiqua dann durch die

kyrillische Schrift

Durch den Islam kam die arabische Schrift auch in die oumlstlichen Randgebiete

Europas Diese wird zur Wiedergabe der arabischen Sprachen und sie wurde

jahrhundertelang auch zur Wiedergabe der Turksprachen im Osmanischen

Reich und im Zarenreich verwendet also in den Gebieten die den islamischen

Glauben angenommen hatten Trotz ihres von den abendlaumlndischen Schriften

und der kyrillischen Schrift sehr verschiedenen Aussehens hat die arabische

Schrift die gleiche Wurzel naumlmlich die phoumlnikische Schrift aus der sich die

aramaumlische und im 6 Jahrhundert die arabische Schrift entwickelt hat

Abb 3

Stammtafel der Schriften des lateinischen Schriftenkreises

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

15

Infolge der Umwaumllzungen nach dem 1 Weltkrieg ist die arabische Schrift als

Alltags‐Werkschrift in der Tuumlrkei 1928 durch die lateinische Schrift mit Son‐

derzeichen ersetzt worden wohl nach diesem Vorbild in der Sowjetunion

ebenfalls Ende der zwanziger Jahre ebenfalls durch Antiqua schon im

2 Weltkrieg schlieszliglich durch die kyrillische Schrift Inzwischen foumlrdert der

wieder erstarkte Islam Bestrebungen die arabische Schrift dort wieder einzu‐

fuumlhren wo sie durch andere Schriften verdraumlngt worden ist

6 Schluszligbetrachtung

Bedingt durch die Vielfalt der Voumllker und Religionen in Europa haben sich

verschiedene Kulturen und im Rahmen dieser Kulturen verschiedene Spra‐

chen und auch Schriften entwickelt Die phoumlnikische Schrift ist die Stammutter

aller europaumlischen Schriften Je nach Wesensart Koumlnnen und Geschmack der

Schriftschoumlpfer ist sie recht unterschiedlich weiterentwickelt worden Als Er‐

gebnisse sind unter anderem die kuumlhle monumentale Antiqua die schlichte

Abb 4

Europaumlische Buchschriften im 19 Jahrhundert [10]

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

16

Grotesk die kuumlnstlerisch beschwingte Fraktur die flott geschriebene arabische

Schrift und die kyrillische Schrift entstanden

Zur bdquodeutschen Schriftldquo gehoumlren im weiteren Sinne alle gebrochenen Schrif‐

ten im engeren Sinne Schwabacher Fraktur Gebrochene Grotesk und die

spitze deutsche Schreibschrift Die genannten Schriften sind mit den heute ge‐

braumluchlichen runden Schriften eng verwandt und fuumlr den frakturungewohn‐

ten Leser bei durchschnittlicher Begabung und mit etwas Fleiszlig nach kurzer

Einlesezeit lesbar Die Fraktur ist eine von neun Werkschriften die in der Mit‐

te des 19 Jahrhunderts in Europa noch gebraumluchlich waren Es waumlre bedauer‐

lich wenn sie aus modischen technischen und wirtschaftlichen Gruumlnden auf

dem Altar der Vereinheitlichung und kulturellen Verflachung geopfert wuumlrde

Wichtigstes Schrifttum

[1] bdquoBrockhaus‐Enzyklopaumldieldquo 17 Aufl Wiesbaden 1975 unter den einschlaumlgigen Stich‐

woumlrtern insbesondere die Erlaumluterungen im 21 Band auf S IX

[2] bdquoMeyers Konversations‐Lexikonldquo 5 Aufl 1895 ndash 1897

[3] Wolfgang Hendlmeier bdquoVon den Mundarten zur Hochspracheldquo in Hans Riegelmann

bdquoVon deutscher Sprache und Schriftldquo Bremen 1993 S 21

[4] Wolfgang Hendlmeier bdquoDie Pflege der deutschen Sprache ndash einst und heuteldquo in Hans

Riegelmann bdquoVon deutscher Sprache und Schriftldquo Bremen 1993 S 31

[5] Wolfgang Hendlmeier bdquoViele Sprachen werden aussterbenldquo in bdquoDie deutsche Schriftldquo

Heft 11994 S 4

[6] Wolfgang Hendlmeier bdquoVon bedrohten Sprachen und sterbenden Voumllkernldquo in bdquoDie

deutsche Schriftldquo Heft 21994 S 37

[7] Wolfgang Hendlmeier bdquoDie Rechtschreibreform ndash Ein Anschlag auf die deutsche Spra‐

cheldquo in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 41997 S 83

[8] Wolfgang Hendlmeier und Gerhard Helzel bdquoSonderzeichen europaumlischer Sprachen des

lateinischen Schriftenkreisesldquo in in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 21995 S 138

[9] Werner Koumlnig bdquoAtlas zur deutschen Spracheldquo 5 Aufl dtv‐Verlag Muumlnchen 1983

[10] Artur Wohe bdquoVielfalt der Sprachen und Schriften in Europa ndash Buumlrde oder Reichtumldquo

in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 31990 S 83 dort weitere Literaturhinweise

[11] Wolfgang Hendlmeier bdquoKunstwerke der Schriftldquo 3 Aufl Hannover 1994 S 89

[12] Gerhard Quast Bedrohte Sprachen sterbende Voumllker in bdquoJunge Freiheitldquo Nr 121994

[13] httpdewikipediaorgwikiGriechische_Sprachfrage

[14] httpdewikipediaorgwikiKyrillisches_Alphabet

Stand 18072013

Page 5: Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa - … · 2 Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa Von ... nahme in die Vereinten Nationen nicht auf Deutsch als Amtssprache

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

5

raumlne Staaten mit uumlber 40 Amts‐ und Schulsprachen Hierbei sind die russi‐

schen Regionalsprachen zB das zu den finnougrischen Sprachen gehoumlrende

Mordwinische nicht mitgerechnet

Die kulturgeschichtliche und politische Bedeutung der einzelnen Sprachen ist

recht unterschiedlich Sie haumlngt davon ab wann die einzelnen Sprachen

verschriftlicht worden sind wie groszlig die Zahl der Sprecher heute ist und wel‐

chen sprachlichen Behauptungswillen das jeweilige Volk oder vielmehr des‐

sen Politiker und Medien an den Tag gelegt haben So faumlllt auf daszlig Deutsch

mit rund 100 Mio Sprechern weltweit im Gegensatz zum Franzoumlsischen mit

nur rund 80 Mio Sprechern nicht als eine der derzeit 6 Amtssprachen der Ver‐

einten Nationen eingefuumlhrt ist Diese Sprachen sind in der Reihenfolge der

Sprecherzahl Chinesisch Englisch Spanisch Russisch Arabisch und Franzouml‐

sisch Dies liegt daran daszlig die deutschsprachigen Regierungen bei ihrer Auf‐

nahme in die Vereinten Nationen nicht auf Deutsch als Amtssprache bestan‐

den haben und wohl auch daran daszlig die Vereinten Nationen urspruumlnglich

als Buumlndnis gegen die ʺAchsenmaumlchteʺ Deutsches Reich und Italien und deren

Verbuumlndete entstanden sind

Tabelle 1 zeigt die Sprachen‐ und Schriftenvielfalt Europas Einige Sprachge‐

biete zerfallen in ausgepraumlgte Mundartgebiete wobei der Uumlbergang zwischen

Sprache und Mundart flieszligend ist Nicht wenige Mundarten die streng ge‐

nommen den Rang einer eigenen Sprache haben zB das Niederdeutsche das

Schweizerdeutsch oder das Provenzalische konnten sich nicht als Amts‐ und

Verkehrssprachen durchsetzen wenn auch in fast allen Mundarten seit lan‐

gem eine Mundartliteratur in nicht festgelegter Schreibweise entstanden ist

Tabelle 1

Amtssprachen und Schriften in den europaumlischen Staaten

Staat Sprache Schriftlicher Nachweis der

Sprache seit dem

Schriftart

Albanien albanisch im Norden auch gegisch

16 Jahrh lateinisch bis 1908 auch griechische Schrift

Andorra katalanisch spanisch und franzoumlsisch

12 Jahrh 9 Jahrh

lateinisch

Belgien franzoumlsisch und niederlaumlndisch (in Belgien als flaumlmisch bezeichnet) im Gebiet von Eupen auch deutsch

9 Jahrh 12 Jahrh

lateinisch

Bosnien und Herzegowina

serbisch und kroatisch

13 Jahrh 14 Jahrh

kyrillisch lateinisch

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

6

Staat Sprache Schriftlicher Nachweis der

Sprache seit dem

Schriftart

Bulgarien bulgarisch tuumlrkisch der Minderheit nicht amtlich anerkannt (Stand 1975)

18 Jahrh 12 Jahrh

kyrillisch

Daumlnemark daumlnisch auf den Faumlroumler-Inseln auch faumlringisch in Nordschleswig auch deutsch

12 Jahrh

18 Jahrh 8 Jahrh

lateinisch bis in das 19 Jahrhundert auch Fraktur

Deutschland deutsch in Suumldschleswig auch daumlnisch in der Lausitz auch sorbisch

um 770 lateinisch bis um 1960 auch Fraktur (1941 durch die deutsche Reichsregierung abge-schafft)

Estland estnisch und russisch

16 Jahrh

11 Jahrh

lateinisch fuumlr das Estnische (Frakturgebrauch wie in Daumlnemark) kyrillisch fuumlr das Russische

Finnland finnisch und schwedisch im Norden auch samisch und lap-pisch

16 Jahrh lateinisch Frakturgebrauch wie in Daumlnemark

Frankreich franzoumlsisch die Minderheiten-sprachen deutsch bretonisch baskisch und italienisch sind amtlich nicht anerkannt

9 Jahrh lateinisch

Griechenland neugriechisch (Dimotiki) im Norden auch mazedonisch

19 Jahrh 20 Jahrh

griechisch kyrillisch fuumlr das Mazedoni-sche

Groszligbritan-nien und Nordirland

englisch in Wales auch walisisch in Nord-schottland auch gaumllisch auf den Kanalinseln auch franzoumlsisch

8 Jahrh

17 Jahrh 9 Jahrh

lateinisch

Irland irisch und englisch

6 Jahrh 8 Jahrh

irisch (zuruumlckgehend) und lateinisch

Island islaumlndisch 12 Jahrh lateinisch Frakturgebrauch wie in Daumlnemark

Italien italienisch in Suumldtirol auch deutsch im Aostatal auch franzoumlsisch

13 Jahrh 8 Jahrh 9 Jahrh

lateinisch

Kroatien kroatisch 14 Jahrh lateinisch

Lettland lettisch und russisch

16 Jahrh

11 Jahrh

lateinisch fuumlr das Lettische (Frakturgebrauch wie in Daumlnemark) kyrillisch fuumlr das Russische

Liechtenstein deutsch 8 Jahrh lateinisch siehe Deutsch-land

Litauen litauisch und russisch

16 Jahrh

11 Jahrh

lateinisch fuumlr das Litauische (Frakturgebrauch wie in Daumlnemark) kyrillisch fuumlr das Russische

Luxemburg franzoumlsisch deutsch und letzeburgisch

9 Jahrh 8 Jahrh

lateinisch

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

7

Staat Sprache Schriftlicher Nachweis der

Sprache seit dem

Schriftart

Malta maltesisch und englisch 18 bzw 8 Jahrh lateinisch

Mazedonien mazedonisch 20 Jahrh kyrillisch

Moldau (Mol-dawien)

moldauisch = rumaumlnisch und russisch

16 Jahrh 11 Jahrh

kyrillisch

Monaco franzoumlsisch 9 Jahrh lateinisch

Niederlande niederlaumlndisch im Nordosten westfriesisch als nichtamtliche Minderheitensprache

12 Jahrh lateinisch

Norwegen norwegisch (norwegisch ist der Oberbegriff fuumlr die im 19 Jahrhundert aus Mundarten entwickelten Sprachen Bokmal und Nynorsk) in Teilgebieten auch samisch

12 Jahrh lateinisch Frakturgebrauch wie in Daumlnemark

Oumlsterreich deutsch in Teilen Kaumlrntens auch slowenisch (windisch)

8 Jahrh lateinisch siehe Deutsch-land

Polen polnisch als Minderheitensprachen deutsch und kaschubisch

15 Jahrh lateinisch fruumlher teilweise auch Fraktur

Portugal portugiesisch 12 Jahrh lateinisch

Rumaumlnien rumaumlnisch in Siebenbuumlrgen auch ungarisch und deutsch

16 Jahrh ab 1865 lateinisch vorher kyrillisch

Ruszligland russisch in Teilgebieten auch Minderheitensprachen am be-deutendsten das Mordwinische (eine finno-ugrische Sprache) mit uumlber 1 Mio Sprechern

11 Jahrh kyrillisch

San Marino italienisch 13 Jahrh lateinisch

Schweden schwedisch im Norden auch samisch

12 Jahrh lateinisch Frakturgebrauch wie in Daumlnemark

Schweiz deutsch franzoumlsisch italienisch und raumltoromanisch

8 Jahrh 9 Jahrh

13 Jahrh 16 Jahrh

lateinisch fuumlr das Deutsche fruumlher auch Fraktur

Serbien und Montenegro

serbisch in Teilgebieten auch ungarisch

13 Jahrh 15 Jahrh

kyrillisch (fuumlr serbisch) lateinisch (fuumlr ungarisch)

Slowakei slowakisch in Teilgebieten auch ungarisch

18 Jahrh 15 Jahrh

lateinisch bis in das 19 Jahrh auch Fraktur

Slowenien slowenisch 16 Jahrh lateinisch

Spanien spanisch in Teilgebieten auch katalanischbaskisch und Gallego = galizisch

12 Jahrh

16 Jahrh

lateinisch

Tschechien tschechisch 13 Jahrh lateinisch bis in das 19 Jahrh auch Fraktur

Tuumlrkei tuumlrkisch 12 Jahrh lateinisch 1928 Umstellung von arabischer auf lateini-sche Schrift

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

8

Staat Sprache Schriftlicher Nachweis der

Sprache seit dem

Schriftart

Ukraine ukrainisch und russisch 14 bzw 11 Jahrh kyrillisch

Ungarn ungarisch in Teilgebieten auch deutsch

15 Jahrh 8 Jahrh

lateinisch

Vatikanstadt italienisch und lateinisch

13 Jahrh lateinisch

Weiszligruszligland weiszligrussisch und russisch 15 bzw 11 Jahrh kyrillisch Anmerkungen zur Tabelle 1 auch vor den genannten Sprachen bedeutet daszlig es sich um eine Minderheitensprache handelt Als Schul- oder Amtssprachen fuumlr nationale Minderheiten nicht anerkannte Spra-chen sind idR nicht aufgefuumlhrt

Serbisch und kroatisch wird auch zur Sprache Serbokroatisch zusammengefaszligt Die Trennung ist nur deshalb zweckmaumlszligig weil Kroatisch in lateinischer Schrift Serbisch in kyrillischer Schrift geschrieben wird

Die Sprachen Arabisch Deutsch Englisch Portugiesisch Russisch und Spanisch werden weltweit von uumlber 100 Mio Sprechern gesprochen

Luther hat entscheidend dazu beigetragen daszlig das Hochdeutsche auch im

niederdeutschen Sprachbereich ndash ohne die Niederlande und Belgien ndash Fuszlig faszlig‐

te da es als bdquoheilige Spracheldquo galt und deshalb im Gottesdienst anstelle der

oumlrtlichen Mundarten gebraucht wurde

Die fruumlhere Sowjetunion hat das Eigenleben ihrer zahlreichen Voumllker und

Volksgruppen zum Teil bewuszligt gefoumlrdert so daszlig viele Sprachen noch im

20 Jahrhundert von einer Volkssprache in den Rang einer Schrift‐ und Amts‐

sprache erhoben worden sind In Tabelle 1 ist soweit bekannt das Jahrhun‐

dert der Verschriftlichung genannt

Oumlstlich einer gedachten Linie von Triest nach St Petersburg also im wesentli‐

chen im slawischen Siedlungsraum siedeln die verschiedenen Voumllker und

Volksgruppen in Gemengelage nebeneinander Geschlossene Volkssiedlungs‐

gebiete sind dort im wesentlichen nur das weiszligrussische und das ukrainische

Gebiet Umsiedlung und Vertreibung haben fast alle deutschen Sprachinseln

in Osteuropa ausgeloumlscht Sie wurden vom Mittelalter an bis ins 19 Jahrhun‐

dert hinein besiedelt

Die vom 18 Jahrhundert an allmaumlhlich eingefuumlhrte Schulpflicht hat sprachli‐

che Minderheiten zuruumlckgedraumlngt Sie koumlnnen nur dann uumlberleben wenn das

Mehrheitsvolk eines Staates seinen Minderheitsvoumllkern groszligmuumltig Minderhei‐

tenrechte gewaumlhrt dh wenn es ihre Muttersprache neben der allgemeinen

Staatssprache als Schul‐ und Amtssprache zulaumlszligt Staaten die sich mit dem

Minderheitenschutz seit jeher schwer tun oder ihn miszligachten sind ua Frank‐

reich Polen und Bulgarien

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

9

5 Die in Europa gebraumluchlichen Schriften

Auszliger mit der heute als Druckschrift in Deutschland eingefuumlhrten Antiqua

(mit Endquerstrichen oder Serifen) bzw den serifenlosen Groteskschriften

wurden die in Europa gesprochenen Sprachen um 1900 in neun weiteren

Schriften gedruckt (Tab 2 und Abb 4) Beispiele von Buchschriften aus Euro‐

pa und Randgebieten zeigt Abb 2 den Stammbaum dieser Schriften Abb 1

Die Urahnen der europaumlischen Schriften sind die vor rund 5000 Jahren ent‐

standenen altaumlgyptischen Hieroglyphen

Dieser Beitrag beruumlcksichtigt nicht sog tote Sprachen und Schriften auch

wenn sie im 19 Jahrhundert noch fuumlr den religioumlsen und wissenschaftlichen

Bereich verwendet wurden Hierher gehoumlren die lateinische und syrische

Sprache sowie die syrische Schrift Die hebraumlische Sprache und Schrift sind vor

allem durch den Zionismus wiederbelebt worden Auch die Runen die von

den Griechen uumlber die Etrusker zu den Germanen gekommen sein sollen wa‐

ren im 19 Jahrhundert bereits ausgestorben Sie sind im Gegensatz zu den

vorgenannten toten Schriften nie als Buchschrift verwendet worden

Abb 1

Entwicklung der in Europa und Randgebieten eingefuumlhrten

Buch‐ und Monumentalschriften seit fuumlnftausend Jahren [10]

Aw AwestaschriftE Etruskische SchriftG Gotische SchriftGM Griechische MinuskelKM Karolingische MinuskelO Oiratisch (Kalmuumlckisch)Unz Unzialis

Hebraumlisch

A

K

Aramaumlisch S

Punisch

Altaumlgyptisch WS

Phoumlnikisch SK

Altgriechisch

Kyrillisch

Irisch

Roumlmische Capitalis Antiqua

G(Nord-)Italisch A

Nabataumlisch K Arabisch K

O A

Hieratisch

Neugriechisch

E KM

Fraktur

GM A

AA

A

Runen A

Unz A

Demotisch

Phoumlnikisch SK

WS

K

WS

A

3000

v C

hr

2500

2000

1500

1000

500

0 500

1000

1500

2000

n C

hr

Syrisch K

Georgisch A

Armenisch A

Persisch (Aw) A

AK

SW

Alphabetschrift

Konsonantenschrift

Silbenschrift

Wortschrift

Gebrauch nur noch als Kirchenschrift

unmittelbare Ableitung

nur Beeinflussung

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

10

Seit 150 Jahren haben einige Staaten einen Schriftwechsel beschlossen

1860 (1865) in Rumaumlnien Umstellung von Kyrillisch auf Antiqua

1928 in der Tuumlrkei Umstellung von Arabisch auf Antiqua

1941 in Deutschland Umstellung von Fraktur auf Antiqua schon um 1900

waren die skandinavischen Staaten mit der Umstellung von Fraktur auf An‐

tiqua vorangegangen

nach 1920 in der Sowjetunion Ersatz der oiratischen Schrift der Kalmuumlcken

sowie der arabischen Schrift in den islamischen Gebieten zunaumlchst durch

Antiqua nach 1939 durch die kyrillische Schrift mit Sonderzeichen

Tabelle 2

Die Bevoumllkerung Europas nach Schriftverbreitungsgebieten

um 1890

Schriftart Millionen Einwohner Anteil in

Antiqua 1814 50

Kyrillische Schrift 900 25

Fraktur 811 23

Arabische Schrift 50 13

Griechische Schrift 37 1

Irische Schrift 10 03

Oiratische Schrift 01 02

Summe 3623 100

Schrift und Religion haumlngen eng zusammen denn vor allem Geistliche ha‐

ben die verschiedenen Schriften in Europa und seinen Randgebieten geschaf‐

fen oder als Schriften fuumlr wichtige religioumlse Buumlcher benutzt Die Verschriftli‐

chung der einzelnen Sprachen ist vor dem 19 Jahrhundert eng mit der Aus‐

breitung des Christentums und des Islams verbunden Die wichtigen reli‐

gioumlsen Buumlcher wurden deshalb in den bdquorichtigenldquo Schriften geschrieben oder

spaumlter gedruckt Diese Schriften galten als geheiligt Jahrhundertelang haben

die roumlmisch‐katholische Kirche und die anglikanische Kirche die Antiqua ver‐

breitet die lutherische Kirche die Fraktur orthodoxe Kirche ndash mit Ausnahme

Griechenlands ndash die kyrillische Schrift und der Islam mit dem Koran in arabi‐

scher Sprache die arabische Schrift Erst im 19 Jahrhundert zerfiel allmaumlhlich

der Zusammenhang zwischen Religion und Schrift Die Fraktur wurde ab 1941

sozusagen in den schriftgeschichtlichen Bereich verbannt

Die Domschulen Kloumlster und Koranschulen waren jahrhundertelang Traumlger

der Schriftkultur Das urspruumlnglich zur Verfuumlgung stehende Abc der Westkir‐

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

11

che war fuumlr die Wiedergabe aller Laute der nichtlateinischen Volkssprachen

nicht vollstaumlndig geeignet Deshalb entstanden nach und nach Sonderzeichen

vor allem diakritische Zeichen Im Deutschen sind dies die Umlaute auml ouml und uuml

sowie das szlig Insgesamt gibt es fuumlr die Schreibung der europaumlischen Sprachen

des lateinischen Schriftenkreises uumlber 70 abgewandelte Buchstaben und Son‐

derbuchstaben die meisten fuumlr die Schreibung der slawischen und baltischen

Sprachen Nationale Sonderzeichen gibt es auch in der kyrillischen Schrift

Die heutigen lateinischen Druckschriften sind unmittelbar auf die humani‐

stische Minuskel des 15 Jahrhunderts zuruumlckzufuumlhren (Abb 3) Diese hat die

Groszligbuchstaben (Versalien) von der um die Zeitenwende entstandenen CA‐

PITALIS uumlbernommen die Kleinbuchstaben (Gemeinen) von der karolingi‐

schen Minuskel des 8 Jahrhunderts Verwendet wird die lateinische Schrift

fast ausschlieszliglich in Laumlndern die durch die roumlmische Kirche missioniert wor‐

den sind wenn man vom Rumaumlnischen und Tuumlrkischen absieht

Als fruumlhe Sonderform der lateinischen Schrift haben irischen Moumlnche die iri‐

sche Schrift entwickelt Schon im 6 Jahrhundert war sie in einer Auspraumlgung

gebraumluchlich die der heutigen stark aumlhnelt

Das juumlngste Glied des lateinischen Werkschriftenkreises ist die Fraktur Sie

war fruumlher in allen europaumlischen Laumlndern verbreitet in denen sich waumlhrend

der Reformation die Einwohner ganz oder uumlberwiegend der evangelisch‐

lutherischen Lehre angeschlossen hatten also in Deutschland Skandinavien

und im Baltikum Die unmittelbaren Vorlaumlufer der Fraktur sind die Bastard‐

schriften (gebrochenen Kursiven) wie sie in Nordfrankreich in den Nieder‐

landen und in der kaiserlichen Kanzlei von der Mitte des 15 Jahrhunderts an

verwendet wurden In vollendeter Form taucht die Fraktur 1525 in Albrecht

Duumlrers Buch ʺUnterweisung der Messung mit dem Zirkel und Richtscheid in

Linien Ebenen und ganzen Koumlrpernʺ auf Geschnitten hat sie Hieronymus

Andreauml (Roumlsch) nach dem Entwurf des Schreibmeisters Johann Neudoumlrffer

d Auml (1497 ‐ 1563) Als Werkschrift des deutschen Sprachraums und des kultu‐

rell mit Deutschland verbundenen skandinavischen baltischen und westsla‐

wischen Raums hielt sich die Fraktur auszligerhalb Deutschlands bis ins 19 Jahr‐

hundert und wurde erst danach durch die Antiqua abgeloumlst

In Deutschland verfuumlgte die damalige Reichsregierung 1941 ein Umstellungs‐

gebot von ʺdeutscher Schriftʺ dh von Fraktur und deutscher Schreibschrift

auf ʺNormalschriftʺ dh auf Antiqua und lateinische Schreibschrift Die Um‐

stellung wurde auch nach dem 2 Weltkrieg weitergefuumlhrt denn die tonange‐

benden Kraumlfte in Deutschland halten idR das Neue oder das Fremde fuumlr bes‐

ser als das Alte und das Eigene

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

12

Abb 2

Beispiele von Buchschriften aus Europa und Randgebieten [10]

Alle Sprach‐ und Schriftbeispiele mit Ausnahme der kalmuumlckischen Sprache

in oiratischer Schrift geben die Aussage wieder Am Beginn houmlherer Kultur steht die Schrift

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

13

Streng genommen ist nach der Fraktur noch eine allerjuumlngste Werkschrift ent‐

standen naumlmlich die schlichte gotische Schrift oder die Gebrochene Grotesk

Das aumllteste Mitglied dieser Schriftfamilie ist die Wieynck‐Werkschrift Profes‐

sor Heinrich Wieynck hat sie 1930 entworfen In den dreiszligiger Jahren haben

sie viele Schriftkuumlnstler nachempfunden denn mit Wieynck waren damals

viele der Meinung die Fraktur mit ihren Schnoumlrkeln passe nicht in das techni‐

sche Zeitalter dessen Aussehen damals beispielgebend der schmucklos‐

nuumlchterne Bauhausstil zeigte Die Neuerer gestalteten um einen vollstaumlndigen

Ersatz der Fraktur durch Antiqua und Grotesk zu verhindern die gebroche‐

nen Schriften schlichter erreichten ihr Ziel aber nicht Stilistisch nahmen die

gebrochenen Groteskschriften die recht konstruiert wirken bei den damals

stark im Gespraumlch befindlichen Runen und der Staumlbchenschrift Anleihen Letz‐

tere entstand dadurch daszlig die Schuumller zum Erlernen der Antiqua jeden Buch‐

staben aus Staumlbchen zusammensetzen sollten Den gebrochenen Groteskschrif‐

ten zB der Tannenberg National und anderen Schriften mit betont national

klingenden Namen fehlen jegliche Rundungen Sie konnten sich vor dem

Frakturverbot nicht mehr als Werksatzschriften durchsetzen Nur fuumlr Aus‐

zeichnungszwecke verwendete man sie damals gelegentlich Schriftbeispiele

aller abendlaumlndischen Schriften und ihren Stammbaum zeigt Abb 3

Die kyrillische Schrift seit dem 10 Jahrhundert gebraumluchlich geht auf die im

9 Jahrhundert durch den Slawenapostel Kyrill (826 ‐ 869) aus der griechischen

Schrift abgeleitete glagolitische Schrift (Glagoliza) zuruumlck die sich als eckige

kroatische oder illyrische Glagoliza noch bis ins 19 Jahrhundert im kroati‐

schen Insel‐ und Kuumlstenraum als Kirchenschrift hielt Nach dem 1 Weltkrieg

hat die kyrillische Schrift in der Sowjetunion eine deutliche Vergroumlszligerung ih‐

res Verbreitungsgebietes erfahren da die Wiedergabe der fruumlher durch arabi‐

sche Schriftzeichen ab den zwanziger Jahren durch Antiqua dargestellten

Sprachen seit 193940 in kyrillischer Schrift erfolgt

Die im Mathematikunterricht und im Griechischunterricht an den humanisti‐

schen Gymnasien gelehrte griechische Schrift die auch im heutigen Griechen‐

land verwendet wird hat ihren unmittelbaren Vorlaumlufer in der geschriebenen

griechischen Minuskel des 13 Jahrhunderts Dagegen waumlren heute die griechi‐

schen Handschriften des Altertums fuumlr jeden Gymnasiasten und wohl auch

fuumlr die meisten Altphilologen unleserlich

Im oumlstlichen Europa am Westufer des Kaspischen Meeres leben die im 17

Jahrhundert aus dem Osten zugewanderten Kalmuumlcken Sie verwendeten

noch im 19 Jahrhundert die 1648 von Dschaja Pandita geschaffene oiratische

Schrift Sie geht auf die im 11 Jahrhundert in Anlehnung an das syrische Al‐

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

14

phabet entstandene mongolische Schrift zuruumlck Merkwuumlrdig an dieser Schrift

ist daszlig sie in Spalten von oben nach unten geschrieben wird aber nach Dre‐

hung um 90deg von rechts nach links zu lesen ist Im 20 Jahrhundert ersetzten

die Kalmuumlcken ihre eigene Schrift zunaumlchst durch Antiqua dann durch die

kyrillische Schrift

Durch den Islam kam die arabische Schrift auch in die oumlstlichen Randgebiete

Europas Diese wird zur Wiedergabe der arabischen Sprachen und sie wurde

jahrhundertelang auch zur Wiedergabe der Turksprachen im Osmanischen

Reich und im Zarenreich verwendet also in den Gebieten die den islamischen

Glauben angenommen hatten Trotz ihres von den abendlaumlndischen Schriften

und der kyrillischen Schrift sehr verschiedenen Aussehens hat die arabische

Schrift die gleiche Wurzel naumlmlich die phoumlnikische Schrift aus der sich die

aramaumlische und im 6 Jahrhundert die arabische Schrift entwickelt hat

Abb 3

Stammtafel der Schriften des lateinischen Schriftenkreises

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

15

Infolge der Umwaumllzungen nach dem 1 Weltkrieg ist die arabische Schrift als

Alltags‐Werkschrift in der Tuumlrkei 1928 durch die lateinische Schrift mit Son‐

derzeichen ersetzt worden wohl nach diesem Vorbild in der Sowjetunion

ebenfalls Ende der zwanziger Jahre ebenfalls durch Antiqua schon im

2 Weltkrieg schlieszliglich durch die kyrillische Schrift Inzwischen foumlrdert der

wieder erstarkte Islam Bestrebungen die arabische Schrift dort wieder einzu‐

fuumlhren wo sie durch andere Schriften verdraumlngt worden ist

6 Schluszligbetrachtung

Bedingt durch die Vielfalt der Voumllker und Religionen in Europa haben sich

verschiedene Kulturen und im Rahmen dieser Kulturen verschiedene Spra‐

chen und auch Schriften entwickelt Die phoumlnikische Schrift ist die Stammutter

aller europaumlischen Schriften Je nach Wesensart Koumlnnen und Geschmack der

Schriftschoumlpfer ist sie recht unterschiedlich weiterentwickelt worden Als Er‐

gebnisse sind unter anderem die kuumlhle monumentale Antiqua die schlichte

Abb 4

Europaumlische Buchschriften im 19 Jahrhundert [10]

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

16

Grotesk die kuumlnstlerisch beschwingte Fraktur die flott geschriebene arabische

Schrift und die kyrillische Schrift entstanden

Zur bdquodeutschen Schriftldquo gehoumlren im weiteren Sinne alle gebrochenen Schrif‐

ten im engeren Sinne Schwabacher Fraktur Gebrochene Grotesk und die

spitze deutsche Schreibschrift Die genannten Schriften sind mit den heute ge‐

braumluchlichen runden Schriften eng verwandt und fuumlr den frakturungewohn‐

ten Leser bei durchschnittlicher Begabung und mit etwas Fleiszlig nach kurzer

Einlesezeit lesbar Die Fraktur ist eine von neun Werkschriften die in der Mit‐

te des 19 Jahrhunderts in Europa noch gebraumluchlich waren Es waumlre bedauer‐

lich wenn sie aus modischen technischen und wirtschaftlichen Gruumlnden auf

dem Altar der Vereinheitlichung und kulturellen Verflachung geopfert wuumlrde

Wichtigstes Schrifttum

[1] bdquoBrockhaus‐Enzyklopaumldieldquo 17 Aufl Wiesbaden 1975 unter den einschlaumlgigen Stich‐

woumlrtern insbesondere die Erlaumluterungen im 21 Band auf S IX

[2] bdquoMeyers Konversations‐Lexikonldquo 5 Aufl 1895 ndash 1897

[3] Wolfgang Hendlmeier bdquoVon den Mundarten zur Hochspracheldquo in Hans Riegelmann

bdquoVon deutscher Sprache und Schriftldquo Bremen 1993 S 21

[4] Wolfgang Hendlmeier bdquoDie Pflege der deutschen Sprache ndash einst und heuteldquo in Hans

Riegelmann bdquoVon deutscher Sprache und Schriftldquo Bremen 1993 S 31

[5] Wolfgang Hendlmeier bdquoViele Sprachen werden aussterbenldquo in bdquoDie deutsche Schriftldquo

Heft 11994 S 4

[6] Wolfgang Hendlmeier bdquoVon bedrohten Sprachen und sterbenden Voumllkernldquo in bdquoDie

deutsche Schriftldquo Heft 21994 S 37

[7] Wolfgang Hendlmeier bdquoDie Rechtschreibreform ndash Ein Anschlag auf die deutsche Spra‐

cheldquo in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 41997 S 83

[8] Wolfgang Hendlmeier und Gerhard Helzel bdquoSonderzeichen europaumlischer Sprachen des

lateinischen Schriftenkreisesldquo in in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 21995 S 138

[9] Werner Koumlnig bdquoAtlas zur deutschen Spracheldquo 5 Aufl dtv‐Verlag Muumlnchen 1983

[10] Artur Wohe bdquoVielfalt der Sprachen und Schriften in Europa ndash Buumlrde oder Reichtumldquo

in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 31990 S 83 dort weitere Literaturhinweise

[11] Wolfgang Hendlmeier bdquoKunstwerke der Schriftldquo 3 Aufl Hannover 1994 S 89

[12] Gerhard Quast Bedrohte Sprachen sterbende Voumllker in bdquoJunge Freiheitldquo Nr 121994

[13] httpdewikipediaorgwikiGriechische_Sprachfrage

[14] httpdewikipediaorgwikiKyrillisches_Alphabet

Stand 18072013

Page 6: Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa - … · 2 Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa Von ... nahme in die Vereinten Nationen nicht auf Deutsch als Amtssprache

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

6

Staat Sprache Schriftlicher Nachweis der

Sprache seit dem

Schriftart

Bulgarien bulgarisch tuumlrkisch der Minderheit nicht amtlich anerkannt (Stand 1975)

18 Jahrh 12 Jahrh

kyrillisch

Daumlnemark daumlnisch auf den Faumlroumler-Inseln auch faumlringisch in Nordschleswig auch deutsch

12 Jahrh

18 Jahrh 8 Jahrh

lateinisch bis in das 19 Jahrhundert auch Fraktur

Deutschland deutsch in Suumldschleswig auch daumlnisch in der Lausitz auch sorbisch

um 770 lateinisch bis um 1960 auch Fraktur (1941 durch die deutsche Reichsregierung abge-schafft)

Estland estnisch und russisch

16 Jahrh

11 Jahrh

lateinisch fuumlr das Estnische (Frakturgebrauch wie in Daumlnemark) kyrillisch fuumlr das Russische

Finnland finnisch und schwedisch im Norden auch samisch und lap-pisch

16 Jahrh lateinisch Frakturgebrauch wie in Daumlnemark

Frankreich franzoumlsisch die Minderheiten-sprachen deutsch bretonisch baskisch und italienisch sind amtlich nicht anerkannt

9 Jahrh lateinisch

Griechenland neugriechisch (Dimotiki) im Norden auch mazedonisch

19 Jahrh 20 Jahrh

griechisch kyrillisch fuumlr das Mazedoni-sche

Groszligbritan-nien und Nordirland

englisch in Wales auch walisisch in Nord-schottland auch gaumllisch auf den Kanalinseln auch franzoumlsisch

8 Jahrh

17 Jahrh 9 Jahrh

lateinisch

Irland irisch und englisch

6 Jahrh 8 Jahrh

irisch (zuruumlckgehend) und lateinisch

Island islaumlndisch 12 Jahrh lateinisch Frakturgebrauch wie in Daumlnemark

Italien italienisch in Suumldtirol auch deutsch im Aostatal auch franzoumlsisch

13 Jahrh 8 Jahrh 9 Jahrh

lateinisch

Kroatien kroatisch 14 Jahrh lateinisch

Lettland lettisch und russisch

16 Jahrh

11 Jahrh

lateinisch fuumlr das Lettische (Frakturgebrauch wie in Daumlnemark) kyrillisch fuumlr das Russische

Liechtenstein deutsch 8 Jahrh lateinisch siehe Deutsch-land

Litauen litauisch und russisch

16 Jahrh

11 Jahrh

lateinisch fuumlr das Litauische (Frakturgebrauch wie in Daumlnemark) kyrillisch fuumlr das Russische

Luxemburg franzoumlsisch deutsch und letzeburgisch

9 Jahrh 8 Jahrh

lateinisch

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

7

Staat Sprache Schriftlicher Nachweis der

Sprache seit dem

Schriftart

Malta maltesisch und englisch 18 bzw 8 Jahrh lateinisch

Mazedonien mazedonisch 20 Jahrh kyrillisch

Moldau (Mol-dawien)

moldauisch = rumaumlnisch und russisch

16 Jahrh 11 Jahrh

kyrillisch

Monaco franzoumlsisch 9 Jahrh lateinisch

Niederlande niederlaumlndisch im Nordosten westfriesisch als nichtamtliche Minderheitensprache

12 Jahrh lateinisch

Norwegen norwegisch (norwegisch ist der Oberbegriff fuumlr die im 19 Jahrhundert aus Mundarten entwickelten Sprachen Bokmal und Nynorsk) in Teilgebieten auch samisch

12 Jahrh lateinisch Frakturgebrauch wie in Daumlnemark

Oumlsterreich deutsch in Teilen Kaumlrntens auch slowenisch (windisch)

8 Jahrh lateinisch siehe Deutsch-land

Polen polnisch als Minderheitensprachen deutsch und kaschubisch

15 Jahrh lateinisch fruumlher teilweise auch Fraktur

Portugal portugiesisch 12 Jahrh lateinisch

Rumaumlnien rumaumlnisch in Siebenbuumlrgen auch ungarisch und deutsch

16 Jahrh ab 1865 lateinisch vorher kyrillisch

Ruszligland russisch in Teilgebieten auch Minderheitensprachen am be-deutendsten das Mordwinische (eine finno-ugrische Sprache) mit uumlber 1 Mio Sprechern

11 Jahrh kyrillisch

San Marino italienisch 13 Jahrh lateinisch

Schweden schwedisch im Norden auch samisch

12 Jahrh lateinisch Frakturgebrauch wie in Daumlnemark

Schweiz deutsch franzoumlsisch italienisch und raumltoromanisch

8 Jahrh 9 Jahrh

13 Jahrh 16 Jahrh

lateinisch fuumlr das Deutsche fruumlher auch Fraktur

Serbien und Montenegro

serbisch in Teilgebieten auch ungarisch

13 Jahrh 15 Jahrh

kyrillisch (fuumlr serbisch) lateinisch (fuumlr ungarisch)

Slowakei slowakisch in Teilgebieten auch ungarisch

18 Jahrh 15 Jahrh

lateinisch bis in das 19 Jahrh auch Fraktur

Slowenien slowenisch 16 Jahrh lateinisch

Spanien spanisch in Teilgebieten auch katalanischbaskisch und Gallego = galizisch

12 Jahrh

16 Jahrh

lateinisch

Tschechien tschechisch 13 Jahrh lateinisch bis in das 19 Jahrh auch Fraktur

Tuumlrkei tuumlrkisch 12 Jahrh lateinisch 1928 Umstellung von arabischer auf lateini-sche Schrift

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

8

Staat Sprache Schriftlicher Nachweis der

Sprache seit dem

Schriftart

Ukraine ukrainisch und russisch 14 bzw 11 Jahrh kyrillisch

Ungarn ungarisch in Teilgebieten auch deutsch

15 Jahrh 8 Jahrh

lateinisch

Vatikanstadt italienisch und lateinisch

13 Jahrh lateinisch

Weiszligruszligland weiszligrussisch und russisch 15 bzw 11 Jahrh kyrillisch Anmerkungen zur Tabelle 1 auch vor den genannten Sprachen bedeutet daszlig es sich um eine Minderheitensprache handelt Als Schul- oder Amtssprachen fuumlr nationale Minderheiten nicht anerkannte Spra-chen sind idR nicht aufgefuumlhrt

Serbisch und kroatisch wird auch zur Sprache Serbokroatisch zusammengefaszligt Die Trennung ist nur deshalb zweckmaumlszligig weil Kroatisch in lateinischer Schrift Serbisch in kyrillischer Schrift geschrieben wird

Die Sprachen Arabisch Deutsch Englisch Portugiesisch Russisch und Spanisch werden weltweit von uumlber 100 Mio Sprechern gesprochen

Luther hat entscheidend dazu beigetragen daszlig das Hochdeutsche auch im

niederdeutschen Sprachbereich ndash ohne die Niederlande und Belgien ndash Fuszlig faszlig‐

te da es als bdquoheilige Spracheldquo galt und deshalb im Gottesdienst anstelle der

oumlrtlichen Mundarten gebraucht wurde

Die fruumlhere Sowjetunion hat das Eigenleben ihrer zahlreichen Voumllker und

Volksgruppen zum Teil bewuszligt gefoumlrdert so daszlig viele Sprachen noch im

20 Jahrhundert von einer Volkssprache in den Rang einer Schrift‐ und Amts‐

sprache erhoben worden sind In Tabelle 1 ist soweit bekannt das Jahrhun‐

dert der Verschriftlichung genannt

Oumlstlich einer gedachten Linie von Triest nach St Petersburg also im wesentli‐

chen im slawischen Siedlungsraum siedeln die verschiedenen Voumllker und

Volksgruppen in Gemengelage nebeneinander Geschlossene Volkssiedlungs‐

gebiete sind dort im wesentlichen nur das weiszligrussische und das ukrainische

Gebiet Umsiedlung und Vertreibung haben fast alle deutschen Sprachinseln

in Osteuropa ausgeloumlscht Sie wurden vom Mittelalter an bis ins 19 Jahrhun‐

dert hinein besiedelt

Die vom 18 Jahrhundert an allmaumlhlich eingefuumlhrte Schulpflicht hat sprachli‐

che Minderheiten zuruumlckgedraumlngt Sie koumlnnen nur dann uumlberleben wenn das

Mehrheitsvolk eines Staates seinen Minderheitsvoumllkern groszligmuumltig Minderhei‐

tenrechte gewaumlhrt dh wenn es ihre Muttersprache neben der allgemeinen

Staatssprache als Schul‐ und Amtssprache zulaumlszligt Staaten die sich mit dem

Minderheitenschutz seit jeher schwer tun oder ihn miszligachten sind ua Frank‐

reich Polen und Bulgarien

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

9

5 Die in Europa gebraumluchlichen Schriften

Auszliger mit der heute als Druckschrift in Deutschland eingefuumlhrten Antiqua

(mit Endquerstrichen oder Serifen) bzw den serifenlosen Groteskschriften

wurden die in Europa gesprochenen Sprachen um 1900 in neun weiteren

Schriften gedruckt (Tab 2 und Abb 4) Beispiele von Buchschriften aus Euro‐

pa und Randgebieten zeigt Abb 2 den Stammbaum dieser Schriften Abb 1

Die Urahnen der europaumlischen Schriften sind die vor rund 5000 Jahren ent‐

standenen altaumlgyptischen Hieroglyphen

Dieser Beitrag beruumlcksichtigt nicht sog tote Sprachen und Schriften auch

wenn sie im 19 Jahrhundert noch fuumlr den religioumlsen und wissenschaftlichen

Bereich verwendet wurden Hierher gehoumlren die lateinische und syrische

Sprache sowie die syrische Schrift Die hebraumlische Sprache und Schrift sind vor

allem durch den Zionismus wiederbelebt worden Auch die Runen die von

den Griechen uumlber die Etrusker zu den Germanen gekommen sein sollen wa‐

ren im 19 Jahrhundert bereits ausgestorben Sie sind im Gegensatz zu den

vorgenannten toten Schriften nie als Buchschrift verwendet worden

Abb 1

Entwicklung der in Europa und Randgebieten eingefuumlhrten

Buch‐ und Monumentalschriften seit fuumlnftausend Jahren [10]

Aw AwestaschriftE Etruskische SchriftG Gotische SchriftGM Griechische MinuskelKM Karolingische MinuskelO Oiratisch (Kalmuumlckisch)Unz Unzialis

Hebraumlisch

A

K

Aramaumlisch S

Punisch

Altaumlgyptisch WS

Phoumlnikisch SK

Altgriechisch

Kyrillisch

Irisch

Roumlmische Capitalis Antiqua

G(Nord-)Italisch A

Nabataumlisch K Arabisch K

O A

Hieratisch

Neugriechisch

E KM

Fraktur

GM A

AA

A

Runen A

Unz A

Demotisch

Phoumlnikisch SK

WS

K

WS

A

3000

v C

hr

2500

2000

1500

1000

500

0 500

1000

1500

2000

n C

hr

Syrisch K

Georgisch A

Armenisch A

Persisch (Aw) A

AK

SW

Alphabetschrift

Konsonantenschrift

Silbenschrift

Wortschrift

Gebrauch nur noch als Kirchenschrift

unmittelbare Ableitung

nur Beeinflussung

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

10

Seit 150 Jahren haben einige Staaten einen Schriftwechsel beschlossen

1860 (1865) in Rumaumlnien Umstellung von Kyrillisch auf Antiqua

1928 in der Tuumlrkei Umstellung von Arabisch auf Antiqua

1941 in Deutschland Umstellung von Fraktur auf Antiqua schon um 1900

waren die skandinavischen Staaten mit der Umstellung von Fraktur auf An‐

tiqua vorangegangen

nach 1920 in der Sowjetunion Ersatz der oiratischen Schrift der Kalmuumlcken

sowie der arabischen Schrift in den islamischen Gebieten zunaumlchst durch

Antiqua nach 1939 durch die kyrillische Schrift mit Sonderzeichen

Tabelle 2

Die Bevoumllkerung Europas nach Schriftverbreitungsgebieten

um 1890

Schriftart Millionen Einwohner Anteil in

Antiqua 1814 50

Kyrillische Schrift 900 25

Fraktur 811 23

Arabische Schrift 50 13

Griechische Schrift 37 1

Irische Schrift 10 03

Oiratische Schrift 01 02

Summe 3623 100

Schrift und Religion haumlngen eng zusammen denn vor allem Geistliche ha‐

ben die verschiedenen Schriften in Europa und seinen Randgebieten geschaf‐

fen oder als Schriften fuumlr wichtige religioumlse Buumlcher benutzt Die Verschriftli‐

chung der einzelnen Sprachen ist vor dem 19 Jahrhundert eng mit der Aus‐

breitung des Christentums und des Islams verbunden Die wichtigen reli‐

gioumlsen Buumlcher wurden deshalb in den bdquorichtigenldquo Schriften geschrieben oder

spaumlter gedruckt Diese Schriften galten als geheiligt Jahrhundertelang haben

die roumlmisch‐katholische Kirche und die anglikanische Kirche die Antiqua ver‐

breitet die lutherische Kirche die Fraktur orthodoxe Kirche ndash mit Ausnahme

Griechenlands ndash die kyrillische Schrift und der Islam mit dem Koran in arabi‐

scher Sprache die arabische Schrift Erst im 19 Jahrhundert zerfiel allmaumlhlich

der Zusammenhang zwischen Religion und Schrift Die Fraktur wurde ab 1941

sozusagen in den schriftgeschichtlichen Bereich verbannt

Die Domschulen Kloumlster und Koranschulen waren jahrhundertelang Traumlger

der Schriftkultur Das urspruumlnglich zur Verfuumlgung stehende Abc der Westkir‐

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

11

che war fuumlr die Wiedergabe aller Laute der nichtlateinischen Volkssprachen

nicht vollstaumlndig geeignet Deshalb entstanden nach und nach Sonderzeichen

vor allem diakritische Zeichen Im Deutschen sind dies die Umlaute auml ouml und uuml

sowie das szlig Insgesamt gibt es fuumlr die Schreibung der europaumlischen Sprachen

des lateinischen Schriftenkreises uumlber 70 abgewandelte Buchstaben und Son‐

derbuchstaben die meisten fuumlr die Schreibung der slawischen und baltischen

Sprachen Nationale Sonderzeichen gibt es auch in der kyrillischen Schrift

Die heutigen lateinischen Druckschriften sind unmittelbar auf die humani‐

stische Minuskel des 15 Jahrhunderts zuruumlckzufuumlhren (Abb 3) Diese hat die

Groszligbuchstaben (Versalien) von der um die Zeitenwende entstandenen CA‐

PITALIS uumlbernommen die Kleinbuchstaben (Gemeinen) von der karolingi‐

schen Minuskel des 8 Jahrhunderts Verwendet wird die lateinische Schrift

fast ausschlieszliglich in Laumlndern die durch die roumlmische Kirche missioniert wor‐

den sind wenn man vom Rumaumlnischen und Tuumlrkischen absieht

Als fruumlhe Sonderform der lateinischen Schrift haben irischen Moumlnche die iri‐

sche Schrift entwickelt Schon im 6 Jahrhundert war sie in einer Auspraumlgung

gebraumluchlich die der heutigen stark aumlhnelt

Das juumlngste Glied des lateinischen Werkschriftenkreises ist die Fraktur Sie

war fruumlher in allen europaumlischen Laumlndern verbreitet in denen sich waumlhrend

der Reformation die Einwohner ganz oder uumlberwiegend der evangelisch‐

lutherischen Lehre angeschlossen hatten also in Deutschland Skandinavien

und im Baltikum Die unmittelbaren Vorlaumlufer der Fraktur sind die Bastard‐

schriften (gebrochenen Kursiven) wie sie in Nordfrankreich in den Nieder‐

landen und in der kaiserlichen Kanzlei von der Mitte des 15 Jahrhunderts an

verwendet wurden In vollendeter Form taucht die Fraktur 1525 in Albrecht

Duumlrers Buch ʺUnterweisung der Messung mit dem Zirkel und Richtscheid in

Linien Ebenen und ganzen Koumlrpernʺ auf Geschnitten hat sie Hieronymus

Andreauml (Roumlsch) nach dem Entwurf des Schreibmeisters Johann Neudoumlrffer

d Auml (1497 ‐ 1563) Als Werkschrift des deutschen Sprachraums und des kultu‐

rell mit Deutschland verbundenen skandinavischen baltischen und westsla‐

wischen Raums hielt sich die Fraktur auszligerhalb Deutschlands bis ins 19 Jahr‐

hundert und wurde erst danach durch die Antiqua abgeloumlst

In Deutschland verfuumlgte die damalige Reichsregierung 1941 ein Umstellungs‐

gebot von ʺdeutscher Schriftʺ dh von Fraktur und deutscher Schreibschrift

auf ʺNormalschriftʺ dh auf Antiqua und lateinische Schreibschrift Die Um‐

stellung wurde auch nach dem 2 Weltkrieg weitergefuumlhrt denn die tonange‐

benden Kraumlfte in Deutschland halten idR das Neue oder das Fremde fuumlr bes‐

ser als das Alte und das Eigene

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

12

Abb 2

Beispiele von Buchschriften aus Europa und Randgebieten [10]

Alle Sprach‐ und Schriftbeispiele mit Ausnahme der kalmuumlckischen Sprache

in oiratischer Schrift geben die Aussage wieder Am Beginn houmlherer Kultur steht die Schrift

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

13

Streng genommen ist nach der Fraktur noch eine allerjuumlngste Werkschrift ent‐

standen naumlmlich die schlichte gotische Schrift oder die Gebrochene Grotesk

Das aumllteste Mitglied dieser Schriftfamilie ist die Wieynck‐Werkschrift Profes‐

sor Heinrich Wieynck hat sie 1930 entworfen In den dreiszligiger Jahren haben

sie viele Schriftkuumlnstler nachempfunden denn mit Wieynck waren damals

viele der Meinung die Fraktur mit ihren Schnoumlrkeln passe nicht in das techni‐

sche Zeitalter dessen Aussehen damals beispielgebend der schmucklos‐

nuumlchterne Bauhausstil zeigte Die Neuerer gestalteten um einen vollstaumlndigen

Ersatz der Fraktur durch Antiqua und Grotesk zu verhindern die gebroche‐

nen Schriften schlichter erreichten ihr Ziel aber nicht Stilistisch nahmen die

gebrochenen Groteskschriften die recht konstruiert wirken bei den damals

stark im Gespraumlch befindlichen Runen und der Staumlbchenschrift Anleihen Letz‐

tere entstand dadurch daszlig die Schuumller zum Erlernen der Antiqua jeden Buch‐

staben aus Staumlbchen zusammensetzen sollten Den gebrochenen Groteskschrif‐

ten zB der Tannenberg National und anderen Schriften mit betont national

klingenden Namen fehlen jegliche Rundungen Sie konnten sich vor dem

Frakturverbot nicht mehr als Werksatzschriften durchsetzen Nur fuumlr Aus‐

zeichnungszwecke verwendete man sie damals gelegentlich Schriftbeispiele

aller abendlaumlndischen Schriften und ihren Stammbaum zeigt Abb 3

Die kyrillische Schrift seit dem 10 Jahrhundert gebraumluchlich geht auf die im

9 Jahrhundert durch den Slawenapostel Kyrill (826 ‐ 869) aus der griechischen

Schrift abgeleitete glagolitische Schrift (Glagoliza) zuruumlck die sich als eckige

kroatische oder illyrische Glagoliza noch bis ins 19 Jahrhundert im kroati‐

schen Insel‐ und Kuumlstenraum als Kirchenschrift hielt Nach dem 1 Weltkrieg

hat die kyrillische Schrift in der Sowjetunion eine deutliche Vergroumlszligerung ih‐

res Verbreitungsgebietes erfahren da die Wiedergabe der fruumlher durch arabi‐

sche Schriftzeichen ab den zwanziger Jahren durch Antiqua dargestellten

Sprachen seit 193940 in kyrillischer Schrift erfolgt

Die im Mathematikunterricht und im Griechischunterricht an den humanisti‐

schen Gymnasien gelehrte griechische Schrift die auch im heutigen Griechen‐

land verwendet wird hat ihren unmittelbaren Vorlaumlufer in der geschriebenen

griechischen Minuskel des 13 Jahrhunderts Dagegen waumlren heute die griechi‐

schen Handschriften des Altertums fuumlr jeden Gymnasiasten und wohl auch

fuumlr die meisten Altphilologen unleserlich

Im oumlstlichen Europa am Westufer des Kaspischen Meeres leben die im 17

Jahrhundert aus dem Osten zugewanderten Kalmuumlcken Sie verwendeten

noch im 19 Jahrhundert die 1648 von Dschaja Pandita geschaffene oiratische

Schrift Sie geht auf die im 11 Jahrhundert in Anlehnung an das syrische Al‐

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

14

phabet entstandene mongolische Schrift zuruumlck Merkwuumlrdig an dieser Schrift

ist daszlig sie in Spalten von oben nach unten geschrieben wird aber nach Dre‐

hung um 90deg von rechts nach links zu lesen ist Im 20 Jahrhundert ersetzten

die Kalmuumlcken ihre eigene Schrift zunaumlchst durch Antiqua dann durch die

kyrillische Schrift

Durch den Islam kam die arabische Schrift auch in die oumlstlichen Randgebiete

Europas Diese wird zur Wiedergabe der arabischen Sprachen und sie wurde

jahrhundertelang auch zur Wiedergabe der Turksprachen im Osmanischen

Reich und im Zarenreich verwendet also in den Gebieten die den islamischen

Glauben angenommen hatten Trotz ihres von den abendlaumlndischen Schriften

und der kyrillischen Schrift sehr verschiedenen Aussehens hat die arabische

Schrift die gleiche Wurzel naumlmlich die phoumlnikische Schrift aus der sich die

aramaumlische und im 6 Jahrhundert die arabische Schrift entwickelt hat

Abb 3

Stammtafel der Schriften des lateinischen Schriftenkreises

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

15

Infolge der Umwaumllzungen nach dem 1 Weltkrieg ist die arabische Schrift als

Alltags‐Werkschrift in der Tuumlrkei 1928 durch die lateinische Schrift mit Son‐

derzeichen ersetzt worden wohl nach diesem Vorbild in der Sowjetunion

ebenfalls Ende der zwanziger Jahre ebenfalls durch Antiqua schon im

2 Weltkrieg schlieszliglich durch die kyrillische Schrift Inzwischen foumlrdert der

wieder erstarkte Islam Bestrebungen die arabische Schrift dort wieder einzu‐

fuumlhren wo sie durch andere Schriften verdraumlngt worden ist

6 Schluszligbetrachtung

Bedingt durch die Vielfalt der Voumllker und Religionen in Europa haben sich

verschiedene Kulturen und im Rahmen dieser Kulturen verschiedene Spra‐

chen und auch Schriften entwickelt Die phoumlnikische Schrift ist die Stammutter

aller europaumlischen Schriften Je nach Wesensart Koumlnnen und Geschmack der

Schriftschoumlpfer ist sie recht unterschiedlich weiterentwickelt worden Als Er‐

gebnisse sind unter anderem die kuumlhle monumentale Antiqua die schlichte

Abb 4

Europaumlische Buchschriften im 19 Jahrhundert [10]

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

16

Grotesk die kuumlnstlerisch beschwingte Fraktur die flott geschriebene arabische

Schrift und die kyrillische Schrift entstanden

Zur bdquodeutschen Schriftldquo gehoumlren im weiteren Sinne alle gebrochenen Schrif‐

ten im engeren Sinne Schwabacher Fraktur Gebrochene Grotesk und die

spitze deutsche Schreibschrift Die genannten Schriften sind mit den heute ge‐

braumluchlichen runden Schriften eng verwandt und fuumlr den frakturungewohn‐

ten Leser bei durchschnittlicher Begabung und mit etwas Fleiszlig nach kurzer

Einlesezeit lesbar Die Fraktur ist eine von neun Werkschriften die in der Mit‐

te des 19 Jahrhunderts in Europa noch gebraumluchlich waren Es waumlre bedauer‐

lich wenn sie aus modischen technischen und wirtschaftlichen Gruumlnden auf

dem Altar der Vereinheitlichung und kulturellen Verflachung geopfert wuumlrde

Wichtigstes Schrifttum

[1] bdquoBrockhaus‐Enzyklopaumldieldquo 17 Aufl Wiesbaden 1975 unter den einschlaumlgigen Stich‐

woumlrtern insbesondere die Erlaumluterungen im 21 Band auf S IX

[2] bdquoMeyers Konversations‐Lexikonldquo 5 Aufl 1895 ndash 1897

[3] Wolfgang Hendlmeier bdquoVon den Mundarten zur Hochspracheldquo in Hans Riegelmann

bdquoVon deutscher Sprache und Schriftldquo Bremen 1993 S 21

[4] Wolfgang Hendlmeier bdquoDie Pflege der deutschen Sprache ndash einst und heuteldquo in Hans

Riegelmann bdquoVon deutscher Sprache und Schriftldquo Bremen 1993 S 31

[5] Wolfgang Hendlmeier bdquoViele Sprachen werden aussterbenldquo in bdquoDie deutsche Schriftldquo

Heft 11994 S 4

[6] Wolfgang Hendlmeier bdquoVon bedrohten Sprachen und sterbenden Voumllkernldquo in bdquoDie

deutsche Schriftldquo Heft 21994 S 37

[7] Wolfgang Hendlmeier bdquoDie Rechtschreibreform ndash Ein Anschlag auf die deutsche Spra‐

cheldquo in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 41997 S 83

[8] Wolfgang Hendlmeier und Gerhard Helzel bdquoSonderzeichen europaumlischer Sprachen des

lateinischen Schriftenkreisesldquo in in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 21995 S 138

[9] Werner Koumlnig bdquoAtlas zur deutschen Spracheldquo 5 Aufl dtv‐Verlag Muumlnchen 1983

[10] Artur Wohe bdquoVielfalt der Sprachen und Schriften in Europa ndash Buumlrde oder Reichtumldquo

in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 31990 S 83 dort weitere Literaturhinweise

[11] Wolfgang Hendlmeier bdquoKunstwerke der Schriftldquo 3 Aufl Hannover 1994 S 89

[12] Gerhard Quast Bedrohte Sprachen sterbende Voumllker in bdquoJunge Freiheitldquo Nr 121994

[13] httpdewikipediaorgwikiGriechische_Sprachfrage

[14] httpdewikipediaorgwikiKyrillisches_Alphabet

Stand 18072013

Page 7: Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa - … · 2 Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa Von ... nahme in die Vereinten Nationen nicht auf Deutsch als Amtssprache

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

7

Staat Sprache Schriftlicher Nachweis der

Sprache seit dem

Schriftart

Malta maltesisch und englisch 18 bzw 8 Jahrh lateinisch

Mazedonien mazedonisch 20 Jahrh kyrillisch

Moldau (Mol-dawien)

moldauisch = rumaumlnisch und russisch

16 Jahrh 11 Jahrh

kyrillisch

Monaco franzoumlsisch 9 Jahrh lateinisch

Niederlande niederlaumlndisch im Nordosten westfriesisch als nichtamtliche Minderheitensprache

12 Jahrh lateinisch

Norwegen norwegisch (norwegisch ist der Oberbegriff fuumlr die im 19 Jahrhundert aus Mundarten entwickelten Sprachen Bokmal und Nynorsk) in Teilgebieten auch samisch

12 Jahrh lateinisch Frakturgebrauch wie in Daumlnemark

Oumlsterreich deutsch in Teilen Kaumlrntens auch slowenisch (windisch)

8 Jahrh lateinisch siehe Deutsch-land

Polen polnisch als Minderheitensprachen deutsch und kaschubisch

15 Jahrh lateinisch fruumlher teilweise auch Fraktur

Portugal portugiesisch 12 Jahrh lateinisch

Rumaumlnien rumaumlnisch in Siebenbuumlrgen auch ungarisch und deutsch

16 Jahrh ab 1865 lateinisch vorher kyrillisch

Ruszligland russisch in Teilgebieten auch Minderheitensprachen am be-deutendsten das Mordwinische (eine finno-ugrische Sprache) mit uumlber 1 Mio Sprechern

11 Jahrh kyrillisch

San Marino italienisch 13 Jahrh lateinisch

Schweden schwedisch im Norden auch samisch

12 Jahrh lateinisch Frakturgebrauch wie in Daumlnemark

Schweiz deutsch franzoumlsisch italienisch und raumltoromanisch

8 Jahrh 9 Jahrh

13 Jahrh 16 Jahrh

lateinisch fuumlr das Deutsche fruumlher auch Fraktur

Serbien und Montenegro

serbisch in Teilgebieten auch ungarisch

13 Jahrh 15 Jahrh

kyrillisch (fuumlr serbisch) lateinisch (fuumlr ungarisch)

Slowakei slowakisch in Teilgebieten auch ungarisch

18 Jahrh 15 Jahrh

lateinisch bis in das 19 Jahrh auch Fraktur

Slowenien slowenisch 16 Jahrh lateinisch

Spanien spanisch in Teilgebieten auch katalanischbaskisch und Gallego = galizisch

12 Jahrh

16 Jahrh

lateinisch

Tschechien tschechisch 13 Jahrh lateinisch bis in das 19 Jahrh auch Fraktur

Tuumlrkei tuumlrkisch 12 Jahrh lateinisch 1928 Umstellung von arabischer auf lateini-sche Schrift

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

8

Staat Sprache Schriftlicher Nachweis der

Sprache seit dem

Schriftart

Ukraine ukrainisch und russisch 14 bzw 11 Jahrh kyrillisch

Ungarn ungarisch in Teilgebieten auch deutsch

15 Jahrh 8 Jahrh

lateinisch

Vatikanstadt italienisch und lateinisch

13 Jahrh lateinisch

Weiszligruszligland weiszligrussisch und russisch 15 bzw 11 Jahrh kyrillisch Anmerkungen zur Tabelle 1 auch vor den genannten Sprachen bedeutet daszlig es sich um eine Minderheitensprache handelt Als Schul- oder Amtssprachen fuumlr nationale Minderheiten nicht anerkannte Spra-chen sind idR nicht aufgefuumlhrt

Serbisch und kroatisch wird auch zur Sprache Serbokroatisch zusammengefaszligt Die Trennung ist nur deshalb zweckmaumlszligig weil Kroatisch in lateinischer Schrift Serbisch in kyrillischer Schrift geschrieben wird

Die Sprachen Arabisch Deutsch Englisch Portugiesisch Russisch und Spanisch werden weltweit von uumlber 100 Mio Sprechern gesprochen

Luther hat entscheidend dazu beigetragen daszlig das Hochdeutsche auch im

niederdeutschen Sprachbereich ndash ohne die Niederlande und Belgien ndash Fuszlig faszlig‐

te da es als bdquoheilige Spracheldquo galt und deshalb im Gottesdienst anstelle der

oumlrtlichen Mundarten gebraucht wurde

Die fruumlhere Sowjetunion hat das Eigenleben ihrer zahlreichen Voumllker und

Volksgruppen zum Teil bewuszligt gefoumlrdert so daszlig viele Sprachen noch im

20 Jahrhundert von einer Volkssprache in den Rang einer Schrift‐ und Amts‐

sprache erhoben worden sind In Tabelle 1 ist soweit bekannt das Jahrhun‐

dert der Verschriftlichung genannt

Oumlstlich einer gedachten Linie von Triest nach St Petersburg also im wesentli‐

chen im slawischen Siedlungsraum siedeln die verschiedenen Voumllker und

Volksgruppen in Gemengelage nebeneinander Geschlossene Volkssiedlungs‐

gebiete sind dort im wesentlichen nur das weiszligrussische und das ukrainische

Gebiet Umsiedlung und Vertreibung haben fast alle deutschen Sprachinseln

in Osteuropa ausgeloumlscht Sie wurden vom Mittelalter an bis ins 19 Jahrhun‐

dert hinein besiedelt

Die vom 18 Jahrhundert an allmaumlhlich eingefuumlhrte Schulpflicht hat sprachli‐

che Minderheiten zuruumlckgedraumlngt Sie koumlnnen nur dann uumlberleben wenn das

Mehrheitsvolk eines Staates seinen Minderheitsvoumllkern groszligmuumltig Minderhei‐

tenrechte gewaumlhrt dh wenn es ihre Muttersprache neben der allgemeinen

Staatssprache als Schul‐ und Amtssprache zulaumlszligt Staaten die sich mit dem

Minderheitenschutz seit jeher schwer tun oder ihn miszligachten sind ua Frank‐

reich Polen und Bulgarien

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

9

5 Die in Europa gebraumluchlichen Schriften

Auszliger mit der heute als Druckschrift in Deutschland eingefuumlhrten Antiqua

(mit Endquerstrichen oder Serifen) bzw den serifenlosen Groteskschriften

wurden die in Europa gesprochenen Sprachen um 1900 in neun weiteren

Schriften gedruckt (Tab 2 und Abb 4) Beispiele von Buchschriften aus Euro‐

pa und Randgebieten zeigt Abb 2 den Stammbaum dieser Schriften Abb 1

Die Urahnen der europaumlischen Schriften sind die vor rund 5000 Jahren ent‐

standenen altaumlgyptischen Hieroglyphen

Dieser Beitrag beruumlcksichtigt nicht sog tote Sprachen und Schriften auch

wenn sie im 19 Jahrhundert noch fuumlr den religioumlsen und wissenschaftlichen

Bereich verwendet wurden Hierher gehoumlren die lateinische und syrische

Sprache sowie die syrische Schrift Die hebraumlische Sprache und Schrift sind vor

allem durch den Zionismus wiederbelebt worden Auch die Runen die von

den Griechen uumlber die Etrusker zu den Germanen gekommen sein sollen wa‐

ren im 19 Jahrhundert bereits ausgestorben Sie sind im Gegensatz zu den

vorgenannten toten Schriften nie als Buchschrift verwendet worden

Abb 1

Entwicklung der in Europa und Randgebieten eingefuumlhrten

Buch‐ und Monumentalschriften seit fuumlnftausend Jahren [10]

Aw AwestaschriftE Etruskische SchriftG Gotische SchriftGM Griechische MinuskelKM Karolingische MinuskelO Oiratisch (Kalmuumlckisch)Unz Unzialis

Hebraumlisch

A

K

Aramaumlisch S

Punisch

Altaumlgyptisch WS

Phoumlnikisch SK

Altgriechisch

Kyrillisch

Irisch

Roumlmische Capitalis Antiqua

G(Nord-)Italisch A

Nabataumlisch K Arabisch K

O A

Hieratisch

Neugriechisch

E KM

Fraktur

GM A

AA

A

Runen A

Unz A

Demotisch

Phoumlnikisch SK

WS

K

WS

A

3000

v C

hr

2500

2000

1500

1000

500

0 500

1000

1500

2000

n C

hr

Syrisch K

Georgisch A

Armenisch A

Persisch (Aw) A

AK

SW

Alphabetschrift

Konsonantenschrift

Silbenschrift

Wortschrift

Gebrauch nur noch als Kirchenschrift

unmittelbare Ableitung

nur Beeinflussung

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

10

Seit 150 Jahren haben einige Staaten einen Schriftwechsel beschlossen

1860 (1865) in Rumaumlnien Umstellung von Kyrillisch auf Antiqua

1928 in der Tuumlrkei Umstellung von Arabisch auf Antiqua

1941 in Deutschland Umstellung von Fraktur auf Antiqua schon um 1900

waren die skandinavischen Staaten mit der Umstellung von Fraktur auf An‐

tiqua vorangegangen

nach 1920 in der Sowjetunion Ersatz der oiratischen Schrift der Kalmuumlcken

sowie der arabischen Schrift in den islamischen Gebieten zunaumlchst durch

Antiqua nach 1939 durch die kyrillische Schrift mit Sonderzeichen

Tabelle 2

Die Bevoumllkerung Europas nach Schriftverbreitungsgebieten

um 1890

Schriftart Millionen Einwohner Anteil in

Antiqua 1814 50

Kyrillische Schrift 900 25

Fraktur 811 23

Arabische Schrift 50 13

Griechische Schrift 37 1

Irische Schrift 10 03

Oiratische Schrift 01 02

Summe 3623 100

Schrift und Religion haumlngen eng zusammen denn vor allem Geistliche ha‐

ben die verschiedenen Schriften in Europa und seinen Randgebieten geschaf‐

fen oder als Schriften fuumlr wichtige religioumlse Buumlcher benutzt Die Verschriftli‐

chung der einzelnen Sprachen ist vor dem 19 Jahrhundert eng mit der Aus‐

breitung des Christentums und des Islams verbunden Die wichtigen reli‐

gioumlsen Buumlcher wurden deshalb in den bdquorichtigenldquo Schriften geschrieben oder

spaumlter gedruckt Diese Schriften galten als geheiligt Jahrhundertelang haben

die roumlmisch‐katholische Kirche und die anglikanische Kirche die Antiqua ver‐

breitet die lutherische Kirche die Fraktur orthodoxe Kirche ndash mit Ausnahme

Griechenlands ndash die kyrillische Schrift und der Islam mit dem Koran in arabi‐

scher Sprache die arabische Schrift Erst im 19 Jahrhundert zerfiel allmaumlhlich

der Zusammenhang zwischen Religion und Schrift Die Fraktur wurde ab 1941

sozusagen in den schriftgeschichtlichen Bereich verbannt

Die Domschulen Kloumlster und Koranschulen waren jahrhundertelang Traumlger

der Schriftkultur Das urspruumlnglich zur Verfuumlgung stehende Abc der Westkir‐

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

11

che war fuumlr die Wiedergabe aller Laute der nichtlateinischen Volkssprachen

nicht vollstaumlndig geeignet Deshalb entstanden nach und nach Sonderzeichen

vor allem diakritische Zeichen Im Deutschen sind dies die Umlaute auml ouml und uuml

sowie das szlig Insgesamt gibt es fuumlr die Schreibung der europaumlischen Sprachen

des lateinischen Schriftenkreises uumlber 70 abgewandelte Buchstaben und Son‐

derbuchstaben die meisten fuumlr die Schreibung der slawischen und baltischen

Sprachen Nationale Sonderzeichen gibt es auch in der kyrillischen Schrift

Die heutigen lateinischen Druckschriften sind unmittelbar auf die humani‐

stische Minuskel des 15 Jahrhunderts zuruumlckzufuumlhren (Abb 3) Diese hat die

Groszligbuchstaben (Versalien) von der um die Zeitenwende entstandenen CA‐

PITALIS uumlbernommen die Kleinbuchstaben (Gemeinen) von der karolingi‐

schen Minuskel des 8 Jahrhunderts Verwendet wird die lateinische Schrift

fast ausschlieszliglich in Laumlndern die durch die roumlmische Kirche missioniert wor‐

den sind wenn man vom Rumaumlnischen und Tuumlrkischen absieht

Als fruumlhe Sonderform der lateinischen Schrift haben irischen Moumlnche die iri‐

sche Schrift entwickelt Schon im 6 Jahrhundert war sie in einer Auspraumlgung

gebraumluchlich die der heutigen stark aumlhnelt

Das juumlngste Glied des lateinischen Werkschriftenkreises ist die Fraktur Sie

war fruumlher in allen europaumlischen Laumlndern verbreitet in denen sich waumlhrend

der Reformation die Einwohner ganz oder uumlberwiegend der evangelisch‐

lutherischen Lehre angeschlossen hatten also in Deutschland Skandinavien

und im Baltikum Die unmittelbaren Vorlaumlufer der Fraktur sind die Bastard‐

schriften (gebrochenen Kursiven) wie sie in Nordfrankreich in den Nieder‐

landen und in der kaiserlichen Kanzlei von der Mitte des 15 Jahrhunderts an

verwendet wurden In vollendeter Form taucht die Fraktur 1525 in Albrecht

Duumlrers Buch ʺUnterweisung der Messung mit dem Zirkel und Richtscheid in

Linien Ebenen und ganzen Koumlrpernʺ auf Geschnitten hat sie Hieronymus

Andreauml (Roumlsch) nach dem Entwurf des Schreibmeisters Johann Neudoumlrffer

d Auml (1497 ‐ 1563) Als Werkschrift des deutschen Sprachraums und des kultu‐

rell mit Deutschland verbundenen skandinavischen baltischen und westsla‐

wischen Raums hielt sich die Fraktur auszligerhalb Deutschlands bis ins 19 Jahr‐

hundert und wurde erst danach durch die Antiqua abgeloumlst

In Deutschland verfuumlgte die damalige Reichsregierung 1941 ein Umstellungs‐

gebot von ʺdeutscher Schriftʺ dh von Fraktur und deutscher Schreibschrift

auf ʺNormalschriftʺ dh auf Antiqua und lateinische Schreibschrift Die Um‐

stellung wurde auch nach dem 2 Weltkrieg weitergefuumlhrt denn die tonange‐

benden Kraumlfte in Deutschland halten idR das Neue oder das Fremde fuumlr bes‐

ser als das Alte und das Eigene

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

12

Abb 2

Beispiele von Buchschriften aus Europa und Randgebieten [10]

Alle Sprach‐ und Schriftbeispiele mit Ausnahme der kalmuumlckischen Sprache

in oiratischer Schrift geben die Aussage wieder Am Beginn houmlherer Kultur steht die Schrift

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

13

Streng genommen ist nach der Fraktur noch eine allerjuumlngste Werkschrift ent‐

standen naumlmlich die schlichte gotische Schrift oder die Gebrochene Grotesk

Das aumllteste Mitglied dieser Schriftfamilie ist die Wieynck‐Werkschrift Profes‐

sor Heinrich Wieynck hat sie 1930 entworfen In den dreiszligiger Jahren haben

sie viele Schriftkuumlnstler nachempfunden denn mit Wieynck waren damals

viele der Meinung die Fraktur mit ihren Schnoumlrkeln passe nicht in das techni‐

sche Zeitalter dessen Aussehen damals beispielgebend der schmucklos‐

nuumlchterne Bauhausstil zeigte Die Neuerer gestalteten um einen vollstaumlndigen

Ersatz der Fraktur durch Antiqua und Grotesk zu verhindern die gebroche‐

nen Schriften schlichter erreichten ihr Ziel aber nicht Stilistisch nahmen die

gebrochenen Groteskschriften die recht konstruiert wirken bei den damals

stark im Gespraumlch befindlichen Runen und der Staumlbchenschrift Anleihen Letz‐

tere entstand dadurch daszlig die Schuumller zum Erlernen der Antiqua jeden Buch‐

staben aus Staumlbchen zusammensetzen sollten Den gebrochenen Groteskschrif‐

ten zB der Tannenberg National und anderen Schriften mit betont national

klingenden Namen fehlen jegliche Rundungen Sie konnten sich vor dem

Frakturverbot nicht mehr als Werksatzschriften durchsetzen Nur fuumlr Aus‐

zeichnungszwecke verwendete man sie damals gelegentlich Schriftbeispiele

aller abendlaumlndischen Schriften und ihren Stammbaum zeigt Abb 3

Die kyrillische Schrift seit dem 10 Jahrhundert gebraumluchlich geht auf die im

9 Jahrhundert durch den Slawenapostel Kyrill (826 ‐ 869) aus der griechischen

Schrift abgeleitete glagolitische Schrift (Glagoliza) zuruumlck die sich als eckige

kroatische oder illyrische Glagoliza noch bis ins 19 Jahrhundert im kroati‐

schen Insel‐ und Kuumlstenraum als Kirchenschrift hielt Nach dem 1 Weltkrieg

hat die kyrillische Schrift in der Sowjetunion eine deutliche Vergroumlszligerung ih‐

res Verbreitungsgebietes erfahren da die Wiedergabe der fruumlher durch arabi‐

sche Schriftzeichen ab den zwanziger Jahren durch Antiqua dargestellten

Sprachen seit 193940 in kyrillischer Schrift erfolgt

Die im Mathematikunterricht und im Griechischunterricht an den humanisti‐

schen Gymnasien gelehrte griechische Schrift die auch im heutigen Griechen‐

land verwendet wird hat ihren unmittelbaren Vorlaumlufer in der geschriebenen

griechischen Minuskel des 13 Jahrhunderts Dagegen waumlren heute die griechi‐

schen Handschriften des Altertums fuumlr jeden Gymnasiasten und wohl auch

fuumlr die meisten Altphilologen unleserlich

Im oumlstlichen Europa am Westufer des Kaspischen Meeres leben die im 17

Jahrhundert aus dem Osten zugewanderten Kalmuumlcken Sie verwendeten

noch im 19 Jahrhundert die 1648 von Dschaja Pandita geschaffene oiratische

Schrift Sie geht auf die im 11 Jahrhundert in Anlehnung an das syrische Al‐

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

14

phabet entstandene mongolische Schrift zuruumlck Merkwuumlrdig an dieser Schrift

ist daszlig sie in Spalten von oben nach unten geschrieben wird aber nach Dre‐

hung um 90deg von rechts nach links zu lesen ist Im 20 Jahrhundert ersetzten

die Kalmuumlcken ihre eigene Schrift zunaumlchst durch Antiqua dann durch die

kyrillische Schrift

Durch den Islam kam die arabische Schrift auch in die oumlstlichen Randgebiete

Europas Diese wird zur Wiedergabe der arabischen Sprachen und sie wurde

jahrhundertelang auch zur Wiedergabe der Turksprachen im Osmanischen

Reich und im Zarenreich verwendet also in den Gebieten die den islamischen

Glauben angenommen hatten Trotz ihres von den abendlaumlndischen Schriften

und der kyrillischen Schrift sehr verschiedenen Aussehens hat die arabische

Schrift die gleiche Wurzel naumlmlich die phoumlnikische Schrift aus der sich die

aramaumlische und im 6 Jahrhundert die arabische Schrift entwickelt hat

Abb 3

Stammtafel der Schriften des lateinischen Schriftenkreises

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

15

Infolge der Umwaumllzungen nach dem 1 Weltkrieg ist die arabische Schrift als

Alltags‐Werkschrift in der Tuumlrkei 1928 durch die lateinische Schrift mit Son‐

derzeichen ersetzt worden wohl nach diesem Vorbild in der Sowjetunion

ebenfalls Ende der zwanziger Jahre ebenfalls durch Antiqua schon im

2 Weltkrieg schlieszliglich durch die kyrillische Schrift Inzwischen foumlrdert der

wieder erstarkte Islam Bestrebungen die arabische Schrift dort wieder einzu‐

fuumlhren wo sie durch andere Schriften verdraumlngt worden ist

6 Schluszligbetrachtung

Bedingt durch die Vielfalt der Voumllker und Religionen in Europa haben sich

verschiedene Kulturen und im Rahmen dieser Kulturen verschiedene Spra‐

chen und auch Schriften entwickelt Die phoumlnikische Schrift ist die Stammutter

aller europaumlischen Schriften Je nach Wesensart Koumlnnen und Geschmack der

Schriftschoumlpfer ist sie recht unterschiedlich weiterentwickelt worden Als Er‐

gebnisse sind unter anderem die kuumlhle monumentale Antiqua die schlichte

Abb 4

Europaumlische Buchschriften im 19 Jahrhundert [10]

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

16

Grotesk die kuumlnstlerisch beschwingte Fraktur die flott geschriebene arabische

Schrift und die kyrillische Schrift entstanden

Zur bdquodeutschen Schriftldquo gehoumlren im weiteren Sinne alle gebrochenen Schrif‐

ten im engeren Sinne Schwabacher Fraktur Gebrochene Grotesk und die

spitze deutsche Schreibschrift Die genannten Schriften sind mit den heute ge‐

braumluchlichen runden Schriften eng verwandt und fuumlr den frakturungewohn‐

ten Leser bei durchschnittlicher Begabung und mit etwas Fleiszlig nach kurzer

Einlesezeit lesbar Die Fraktur ist eine von neun Werkschriften die in der Mit‐

te des 19 Jahrhunderts in Europa noch gebraumluchlich waren Es waumlre bedauer‐

lich wenn sie aus modischen technischen und wirtschaftlichen Gruumlnden auf

dem Altar der Vereinheitlichung und kulturellen Verflachung geopfert wuumlrde

Wichtigstes Schrifttum

[1] bdquoBrockhaus‐Enzyklopaumldieldquo 17 Aufl Wiesbaden 1975 unter den einschlaumlgigen Stich‐

woumlrtern insbesondere die Erlaumluterungen im 21 Band auf S IX

[2] bdquoMeyers Konversations‐Lexikonldquo 5 Aufl 1895 ndash 1897

[3] Wolfgang Hendlmeier bdquoVon den Mundarten zur Hochspracheldquo in Hans Riegelmann

bdquoVon deutscher Sprache und Schriftldquo Bremen 1993 S 21

[4] Wolfgang Hendlmeier bdquoDie Pflege der deutschen Sprache ndash einst und heuteldquo in Hans

Riegelmann bdquoVon deutscher Sprache und Schriftldquo Bremen 1993 S 31

[5] Wolfgang Hendlmeier bdquoViele Sprachen werden aussterbenldquo in bdquoDie deutsche Schriftldquo

Heft 11994 S 4

[6] Wolfgang Hendlmeier bdquoVon bedrohten Sprachen und sterbenden Voumllkernldquo in bdquoDie

deutsche Schriftldquo Heft 21994 S 37

[7] Wolfgang Hendlmeier bdquoDie Rechtschreibreform ndash Ein Anschlag auf die deutsche Spra‐

cheldquo in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 41997 S 83

[8] Wolfgang Hendlmeier und Gerhard Helzel bdquoSonderzeichen europaumlischer Sprachen des

lateinischen Schriftenkreisesldquo in in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 21995 S 138

[9] Werner Koumlnig bdquoAtlas zur deutschen Spracheldquo 5 Aufl dtv‐Verlag Muumlnchen 1983

[10] Artur Wohe bdquoVielfalt der Sprachen und Schriften in Europa ndash Buumlrde oder Reichtumldquo

in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 31990 S 83 dort weitere Literaturhinweise

[11] Wolfgang Hendlmeier bdquoKunstwerke der Schriftldquo 3 Aufl Hannover 1994 S 89

[12] Gerhard Quast Bedrohte Sprachen sterbende Voumllker in bdquoJunge Freiheitldquo Nr 121994

[13] httpdewikipediaorgwikiGriechische_Sprachfrage

[14] httpdewikipediaorgwikiKyrillisches_Alphabet

Stand 18072013

Page 8: Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa - … · 2 Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa Von ... nahme in die Vereinten Nationen nicht auf Deutsch als Amtssprache

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

8

Staat Sprache Schriftlicher Nachweis der

Sprache seit dem

Schriftart

Ukraine ukrainisch und russisch 14 bzw 11 Jahrh kyrillisch

Ungarn ungarisch in Teilgebieten auch deutsch

15 Jahrh 8 Jahrh

lateinisch

Vatikanstadt italienisch und lateinisch

13 Jahrh lateinisch

Weiszligruszligland weiszligrussisch und russisch 15 bzw 11 Jahrh kyrillisch Anmerkungen zur Tabelle 1 auch vor den genannten Sprachen bedeutet daszlig es sich um eine Minderheitensprache handelt Als Schul- oder Amtssprachen fuumlr nationale Minderheiten nicht anerkannte Spra-chen sind idR nicht aufgefuumlhrt

Serbisch und kroatisch wird auch zur Sprache Serbokroatisch zusammengefaszligt Die Trennung ist nur deshalb zweckmaumlszligig weil Kroatisch in lateinischer Schrift Serbisch in kyrillischer Schrift geschrieben wird

Die Sprachen Arabisch Deutsch Englisch Portugiesisch Russisch und Spanisch werden weltweit von uumlber 100 Mio Sprechern gesprochen

Luther hat entscheidend dazu beigetragen daszlig das Hochdeutsche auch im

niederdeutschen Sprachbereich ndash ohne die Niederlande und Belgien ndash Fuszlig faszlig‐

te da es als bdquoheilige Spracheldquo galt und deshalb im Gottesdienst anstelle der

oumlrtlichen Mundarten gebraucht wurde

Die fruumlhere Sowjetunion hat das Eigenleben ihrer zahlreichen Voumllker und

Volksgruppen zum Teil bewuszligt gefoumlrdert so daszlig viele Sprachen noch im

20 Jahrhundert von einer Volkssprache in den Rang einer Schrift‐ und Amts‐

sprache erhoben worden sind In Tabelle 1 ist soweit bekannt das Jahrhun‐

dert der Verschriftlichung genannt

Oumlstlich einer gedachten Linie von Triest nach St Petersburg also im wesentli‐

chen im slawischen Siedlungsraum siedeln die verschiedenen Voumllker und

Volksgruppen in Gemengelage nebeneinander Geschlossene Volkssiedlungs‐

gebiete sind dort im wesentlichen nur das weiszligrussische und das ukrainische

Gebiet Umsiedlung und Vertreibung haben fast alle deutschen Sprachinseln

in Osteuropa ausgeloumlscht Sie wurden vom Mittelalter an bis ins 19 Jahrhun‐

dert hinein besiedelt

Die vom 18 Jahrhundert an allmaumlhlich eingefuumlhrte Schulpflicht hat sprachli‐

che Minderheiten zuruumlckgedraumlngt Sie koumlnnen nur dann uumlberleben wenn das

Mehrheitsvolk eines Staates seinen Minderheitsvoumllkern groszligmuumltig Minderhei‐

tenrechte gewaumlhrt dh wenn es ihre Muttersprache neben der allgemeinen

Staatssprache als Schul‐ und Amtssprache zulaumlszligt Staaten die sich mit dem

Minderheitenschutz seit jeher schwer tun oder ihn miszligachten sind ua Frank‐

reich Polen und Bulgarien

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

9

5 Die in Europa gebraumluchlichen Schriften

Auszliger mit der heute als Druckschrift in Deutschland eingefuumlhrten Antiqua

(mit Endquerstrichen oder Serifen) bzw den serifenlosen Groteskschriften

wurden die in Europa gesprochenen Sprachen um 1900 in neun weiteren

Schriften gedruckt (Tab 2 und Abb 4) Beispiele von Buchschriften aus Euro‐

pa und Randgebieten zeigt Abb 2 den Stammbaum dieser Schriften Abb 1

Die Urahnen der europaumlischen Schriften sind die vor rund 5000 Jahren ent‐

standenen altaumlgyptischen Hieroglyphen

Dieser Beitrag beruumlcksichtigt nicht sog tote Sprachen und Schriften auch

wenn sie im 19 Jahrhundert noch fuumlr den religioumlsen und wissenschaftlichen

Bereich verwendet wurden Hierher gehoumlren die lateinische und syrische

Sprache sowie die syrische Schrift Die hebraumlische Sprache und Schrift sind vor

allem durch den Zionismus wiederbelebt worden Auch die Runen die von

den Griechen uumlber die Etrusker zu den Germanen gekommen sein sollen wa‐

ren im 19 Jahrhundert bereits ausgestorben Sie sind im Gegensatz zu den

vorgenannten toten Schriften nie als Buchschrift verwendet worden

Abb 1

Entwicklung der in Europa und Randgebieten eingefuumlhrten

Buch‐ und Monumentalschriften seit fuumlnftausend Jahren [10]

Aw AwestaschriftE Etruskische SchriftG Gotische SchriftGM Griechische MinuskelKM Karolingische MinuskelO Oiratisch (Kalmuumlckisch)Unz Unzialis

Hebraumlisch

A

K

Aramaumlisch S

Punisch

Altaumlgyptisch WS

Phoumlnikisch SK

Altgriechisch

Kyrillisch

Irisch

Roumlmische Capitalis Antiqua

G(Nord-)Italisch A

Nabataumlisch K Arabisch K

O A

Hieratisch

Neugriechisch

E KM

Fraktur

GM A

AA

A

Runen A

Unz A

Demotisch

Phoumlnikisch SK

WS

K

WS

A

3000

v C

hr

2500

2000

1500

1000

500

0 500

1000

1500

2000

n C

hr

Syrisch K

Georgisch A

Armenisch A

Persisch (Aw) A

AK

SW

Alphabetschrift

Konsonantenschrift

Silbenschrift

Wortschrift

Gebrauch nur noch als Kirchenschrift

unmittelbare Ableitung

nur Beeinflussung

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

10

Seit 150 Jahren haben einige Staaten einen Schriftwechsel beschlossen

1860 (1865) in Rumaumlnien Umstellung von Kyrillisch auf Antiqua

1928 in der Tuumlrkei Umstellung von Arabisch auf Antiqua

1941 in Deutschland Umstellung von Fraktur auf Antiqua schon um 1900

waren die skandinavischen Staaten mit der Umstellung von Fraktur auf An‐

tiqua vorangegangen

nach 1920 in der Sowjetunion Ersatz der oiratischen Schrift der Kalmuumlcken

sowie der arabischen Schrift in den islamischen Gebieten zunaumlchst durch

Antiqua nach 1939 durch die kyrillische Schrift mit Sonderzeichen

Tabelle 2

Die Bevoumllkerung Europas nach Schriftverbreitungsgebieten

um 1890

Schriftart Millionen Einwohner Anteil in

Antiqua 1814 50

Kyrillische Schrift 900 25

Fraktur 811 23

Arabische Schrift 50 13

Griechische Schrift 37 1

Irische Schrift 10 03

Oiratische Schrift 01 02

Summe 3623 100

Schrift und Religion haumlngen eng zusammen denn vor allem Geistliche ha‐

ben die verschiedenen Schriften in Europa und seinen Randgebieten geschaf‐

fen oder als Schriften fuumlr wichtige religioumlse Buumlcher benutzt Die Verschriftli‐

chung der einzelnen Sprachen ist vor dem 19 Jahrhundert eng mit der Aus‐

breitung des Christentums und des Islams verbunden Die wichtigen reli‐

gioumlsen Buumlcher wurden deshalb in den bdquorichtigenldquo Schriften geschrieben oder

spaumlter gedruckt Diese Schriften galten als geheiligt Jahrhundertelang haben

die roumlmisch‐katholische Kirche und die anglikanische Kirche die Antiqua ver‐

breitet die lutherische Kirche die Fraktur orthodoxe Kirche ndash mit Ausnahme

Griechenlands ndash die kyrillische Schrift und der Islam mit dem Koran in arabi‐

scher Sprache die arabische Schrift Erst im 19 Jahrhundert zerfiel allmaumlhlich

der Zusammenhang zwischen Religion und Schrift Die Fraktur wurde ab 1941

sozusagen in den schriftgeschichtlichen Bereich verbannt

Die Domschulen Kloumlster und Koranschulen waren jahrhundertelang Traumlger

der Schriftkultur Das urspruumlnglich zur Verfuumlgung stehende Abc der Westkir‐

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

11

che war fuumlr die Wiedergabe aller Laute der nichtlateinischen Volkssprachen

nicht vollstaumlndig geeignet Deshalb entstanden nach und nach Sonderzeichen

vor allem diakritische Zeichen Im Deutschen sind dies die Umlaute auml ouml und uuml

sowie das szlig Insgesamt gibt es fuumlr die Schreibung der europaumlischen Sprachen

des lateinischen Schriftenkreises uumlber 70 abgewandelte Buchstaben und Son‐

derbuchstaben die meisten fuumlr die Schreibung der slawischen und baltischen

Sprachen Nationale Sonderzeichen gibt es auch in der kyrillischen Schrift

Die heutigen lateinischen Druckschriften sind unmittelbar auf die humani‐

stische Minuskel des 15 Jahrhunderts zuruumlckzufuumlhren (Abb 3) Diese hat die

Groszligbuchstaben (Versalien) von der um die Zeitenwende entstandenen CA‐

PITALIS uumlbernommen die Kleinbuchstaben (Gemeinen) von der karolingi‐

schen Minuskel des 8 Jahrhunderts Verwendet wird die lateinische Schrift

fast ausschlieszliglich in Laumlndern die durch die roumlmische Kirche missioniert wor‐

den sind wenn man vom Rumaumlnischen und Tuumlrkischen absieht

Als fruumlhe Sonderform der lateinischen Schrift haben irischen Moumlnche die iri‐

sche Schrift entwickelt Schon im 6 Jahrhundert war sie in einer Auspraumlgung

gebraumluchlich die der heutigen stark aumlhnelt

Das juumlngste Glied des lateinischen Werkschriftenkreises ist die Fraktur Sie

war fruumlher in allen europaumlischen Laumlndern verbreitet in denen sich waumlhrend

der Reformation die Einwohner ganz oder uumlberwiegend der evangelisch‐

lutherischen Lehre angeschlossen hatten also in Deutschland Skandinavien

und im Baltikum Die unmittelbaren Vorlaumlufer der Fraktur sind die Bastard‐

schriften (gebrochenen Kursiven) wie sie in Nordfrankreich in den Nieder‐

landen und in der kaiserlichen Kanzlei von der Mitte des 15 Jahrhunderts an

verwendet wurden In vollendeter Form taucht die Fraktur 1525 in Albrecht

Duumlrers Buch ʺUnterweisung der Messung mit dem Zirkel und Richtscheid in

Linien Ebenen und ganzen Koumlrpernʺ auf Geschnitten hat sie Hieronymus

Andreauml (Roumlsch) nach dem Entwurf des Schreibmeisters Johann Neudoumlrffer

d Auml (1497 ‐ 1563) Als Werkschrift des deutschen Sprachraums und des kultu‐

rell mit Deutschland verbundenen skandinavischen baltischen und westsla‐

wischen Raums hielt sich die Fraktur auszligerhalb Deutschlands bis ins 19 Jahr‐

hundert und wurde erst danach durch die Antiqua abgeloumlst

In Deutschland verfuumlgte die damalige Reichsregierung 1941 ein Umstellungs‐

gebot von ʺdeutscher Schriftʺ dh von Fraktur und deutscher Schreibschrift

auf ʺNormalschriftʺ dh auf Antiqua und lateinische Schreibschrift Die Um‐

stellung wurde auch nach dem 2 Weltkrieg weitergefuumlhrt denn die tonange‐

benden Kraumlfte in Deutschland halten idR das Neue oder das Fremde fuumlr bes‐

ser als das Alte und das Eigene

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

12

Abb 2

Beispiele von Buchschriften aus Europa und Randgebieten [10]

Alle Sprach‐ und Schriftbeispiele mit Ausnahme der kalmuumlckischen Sprache

in oiratischer Schrift geben die Aussage wieder Am Beginn houmlherer Kultur steht die Schrift

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

13

Streng genommen ist nach der Fraktur noch eine allerjuumlngste Werkschrift ent‐

standen naumlmlich die schlichte gotische Schrift oder die Gebrochene Grotesk

Das aumllteste Mitglied dieser Schriftfamilie ist die Wieynck‐Werkschrift Profes‐

sor Heinrich Wieynck hat sie 1930 entworfen In den dreiszligiger Jahren haben

sie viele Schriftkuumlnstler nachempfunden denn mit Wieynck waren damals

viele der Meinung die Fraktur mit ihren Schnoumlrkeln passe nicht in das techni‐

sche Zeitalter dessen Aussehen damals beispielgebend der schmucklos‐

nuumlchterne Bauhausstil zeigte Die Neuerer gestalteten um einen vollstaumlndigen

Ersatz der Fraktur durch Antiqua und Grotesk zu verhindern die gebroche‐

nen Schriften schlichter erreichten ihr Ziel aber nicht Stilistisch nahmen die

gebrochenen Groteskschriften die recht konstruiert wirken bei den damals

stark im Gespraumlch befindlichen Runen und der Staumlbchenschrift Anleihen Letz‐

tere entstand dadurch daszlig die Schuumller zum Erlernen der Antiqua jeden Buch‐

staben aus Staumlbchen zusammensetzen sollten Den gebrochenen Groteskschrif‐

ten zB der Tannenberg National und anderen Schriften mit betont national

klingenden Namen fehlen jegliche Rundungen Sie konnten sich vor dem

Frakturverbot nicht mehr als Werksatzschriften durchsetzen Nur fuumlr Aus‐

zeichnungszwecke verwendete man sie damals gelegentlich Schriftbeispiele

aller abendlaumlndischen Schriften und ihren Stammbaum zeigt Abb 3

Die kyrillische Schrift seit dem 10 Jahrhundert gebraumluchlich geht auf die im

9 Jahrhundert durch den Slawenapostel Kyrill (826 ‐ 869) aus der griechischen

Schrift abgeleitete glagolitische Schrift (Glagoliza) zuruumlck die sich als eckige

kroatische oder illyrische Glagoliza noch bis ins 19 Jahrhundert im kroati‐

schen Insel‐ und Kuumlstenraum als Kirchenschrift hielt Nach dem 1 Weltkrieg

hat die kyrillische Schrift in der Sowjetunion eine deutliche Vergroumlszligerung ih‐

res Verbreitungsgebietes erfahren da die Wiedergabe der fruumlher durch arabi‐

sche Schriftzeichen ab den zwanziger Jahren durch Antiqua dargestellten

Sprachen seit 193940 in kyrillischer Schrift erfolgt

Die im Mathematikunterricht und im Griechischunterricht an den humanisti‐

schen Gymnasien gelehrte griechische Schrift die auch im heutigen Griechen‐

land verwendet wird hat ihren unmittelbaren Vorlaumlufer in der geschriebenen

griechischen Minuskel des 13 Jahrhunderts Dagegen waumlren heute die griechi‐

schen Handschriften des Altertums fuumlr jeden Gymnasiasten und wohl auch

fuumlr die meisten Altphilologen unleserlich

Im oumlstlichen Europa am Westufer des Kaspischen Meeres leben die im 17

Jahrhundert aus dem Osten zugewanderten Kalmuumlcken Sie verwendeten

noch im 19 Jahrhundert die 1648 von Dschaja Pandita geschaffene oiratische

Schrift Sie geht auf die im 11 Jahrhundert in Anlehnung an das syrische Al‐

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

14

phabet entstandene mongolische Schrift zuruumlck Merkwuumlrdig an dieser Schrift

ist daszlig sie in Spalten von oben nach unten geschrieben wird aber nach Dre‐

hung um 90deg von rechts nach links zu lesen ist Im 20 Jahrhundert ersetzten

die Kalmuumlcken ihre eigene Schrift zunaumlchst durch Antiqua dann durch die

kyrillische Schrift

Durch den Islam kam die arabische Schrift auch in die oumlstlichen Randgebiete

Europas Diese wird zur Wiedergabe der arabischen Sprachen und sie wurde

jahrhundertelang auch zur Wiedergabe der Turksprachen im Osmanischen

Reich und im Zarenreich verwendet also in den Gebieten die den islamischen

Glauben angenommen hatten Trotz ihres von den abendlaumlndischen Schriften

und der kyrillischen Schrift sehr verschiedenen Aussehens hat die arabische

Schrift die gleiche Wurzel naumlmlich die phoumlnikische Schrift aus der sich die

aramaumlische und im 6 Jahrhundert die arabische Schrift entwickelt hat

Abb 3

Stammtafel der Schriften des lateinischen Schriftenkreises

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

15

Infolge der Umwaumllzungen nach dem 1 Weltkrieg ist die arabische Schrift als

Alltags‐Werkschrift in der Tuumlrkei 1928 durch die lateinische Schrift mit Son‐

derzeichen ersetzt worden wohl nach diesem Vorbild in der Sowjetunion

ebenfalls Ende der zwanziger Jahre ebenfalls durch Antiqua schon im

2 Weltkrieg schlieszliglich durch die kyrillische Schrift Inzwischen foumlrdert der

wieder erstarkte Islam Bestrebungen die arabische Schrift dort wieder einzu‐

fuumlhren wo sie durch andere Schriften verdraumlngt worden ist

6 Schluszligbetrachtung

Bedingt durch die Vielfalt der Voumllker und Religionen in Europa haben sich

verschiedene Kulturen und im Rahmen dieser Kulturen verschiedene Spra‐

chen und auch Schriften entwickelt Die phoumlnikische Schrift ist die Stammutter

aller europaumlischen Schriften Je nach Wesensart Koumlnnen und Geschmack der

Schriftschoumlpfer ist sie recht unterschiedlich weiterentwickelt worden Als Er‐

gebnisse sind unter anderem die kuumlhle monumentale Antiqua die schlichte

Abb 4

Europaumlische Buchschriften im 19 Jahrhundert [10]

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

16

Grotesk die kuumlnstlerisch beschwingte Fraktur die flott geschriebene arabische

Schrift und die kyrillische Schrift entstanden

Zur bdquodeutschen Schriftldquo gehoumlren im weiteren Sinne alle gebrochenen Schrif‐

ten im engeren Sinne Schwabacher Fraktur Gebrochene Grotesk und die

spitze deutsche Schreibschrift Die genannten Schriften sind mit den heute ge‐

braumluchlichen runden Schriften eng verwandt und fuumlr den frakturungewohn‐

ten Leser bei durchschnittlicher Begabung und mit etwas Fleiszlig nach kurzer

Einlesezeit lesbar Die Fraktur ist eine von neun Werkschriften die in der Mit‐

te des 19 Jahrhunderts in Europa noch gebraumluchlich waren Es waumlre bedauer‐

lich wenn sie aus modischen technischen und wirtschaftlichen Gruumlnden auf

dem Altar der Vereinheitlichung und kulturellen Verflachung geopfert wuumlrde

Wichtigstes Schrifttum

[1] bdquoBrockhaus‐Enzyklopaumldieldquo 17 Aufl Wiesbaden 1975 unter den einschlaumlgigen Stich‐

woumlrtern insbesondere die Erlaumluterungen im 21 Band auf S IX

[2] bdquoMeyers Konversations‐Lexikonldquo 5 Aufl 1895 ndash 1897

[3] Wolfgang Hendlmeier bdquoVon den Mundarten zur Hochspracheldquo in Hans Riegelmann

bdquoVon deutscher Sprache und Schriftldquo Bremen 1993 S 21

[4] Wolfgang Hendlmeier bdquoDie Pflege der deutschen Sprache ndash einst und heuteldquo in Hans

Riegelmann bdquoVon deutscher Sprache und Schriftldquo Bremen 1993 S 31

[5] Wolfgang Hendlmeier bdquoViele Sprachen werden aussterbenldquo in bdquoDie deutsche Schriftldquo

Heft 11994 S 4

[6] Wolfgang Hendlmeier bdquoVon bedrohten Sprachen und sterbenden Voumllkernldquo in bdquoDie

deutsche Schriftldquo Heft 21994 S 37

[7] Wolfgang Hendlmeier bdquoDie Rechtschreibreform ndash Ein Anschlag auf die deutsche Spra‐

cheldquo in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 41997 S 83

[8] Wolfgang Hendlmeier und Gerhard Helzel bdquoSonderzeichen europaumlischer Sprachen des

lateinischen Schriftenkreisesldquo in in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 21995 S 138

[9] Werner Koumlnig bdquoAtlas zur deutschen Spracheldquo 5 Aufl dtv‐Verlag Muumlnchen 1983

[10] Artur Wohe bdquoVielfalt der Sprachen und Schriften in Europa ndash Buumlrde oder Reichtumldquo

in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 31990 S 83 dort weitere Literaturhinweise

[11] Wolfgang Hendlmeier bdquoKunstwerke der Schriftldquo 3 Aufl Hannover 1994 S 89

[12] Gerhard Quast Bedrohte Sprachen sterbende Voumllker in bdquoJunge Freiheitldquo Nr 121994

[13] httpdewikipediaorgwikiGriechische_Sprachfrage

[14] httpdewikipediaorgwikiKyrillisches_Alphabet

Stand 18072013

Page 9: Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa - … · 2 Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa Von ... nahme in die Vereinten Nationen nicht auf Deutsch als Amtssprache

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

9

5 Die in Europa gebraumluchlichen Schriften

Auszliger mit der heute als Druckschrift in Deutschland eingefuumlhrten Antiqua

(mit Endquerstrichen oder Serifen) bzw den serifenlosen Groteskschriften

wurden die in Europa gesprochenen Sprachen um 1900 in neun weiteren

Schriften gedruckt (Tab 2 und Abb 4) Beispiele von Buchschriften aus Euro‐

pa und Randgebieten zeigt Abb 2 den Stammbaum dieser Schriften Abb 1

Die Urahnen der europaumlischen Schriften sind die vor rund 5000 Jahren ent‐

standenen altaumlgyptischen Hieroglyphen

Dieser Beitrag beruumlcksichtigt nicht sog tote Sprachen und Schriften auch

wenn sie im 19 Jahrhundert noch fuumlr den religioumlsen und wissenschaftlichen

Bereich verwendet wurden Hierher gehoumlren die lateinische und syrische

Sprache sowie die syrische Schrift Die hebraumlische Sprache und Schrift sind vor

allem durch den Zionismus wiederbelebt worden Auch die Runen die von

den Griechen uumlber die Etrusker zu den Germanen gekommen sein sollen wa‐

ren im 19 Jahrhundert bereits ausgestorben Sie sind im Gegensatz zu den

vorgenannten toten Schriften nie als Buchschrift verwendet worden

Abb 1

Entwicklung der in Europa und Randgebieten eingefuumlhrten

Buch‐ und Monumentalschriften seit fuumlnftausend Jahren [10]

Aw AwestaschriftE Etruskische SchriftG Gotische SchriftGM Griechische MinuskelKM Karolingische MinuskelO Oiratisch (Kalmuumlckisch)Unz Unzialis

Hebraumlisch

A

K

Aramaumlisch S

Punisch

Altaumlgyptisch WS

Phoumlnikisch SK

Altgriechisch

Kyrillisch

Irisch

Roumlmische Capitalis Antiqua

G(Nord-)Italisch A

Nabataumlisch K Arabisch K

O A

Hieratisch

Neugriechisch

E KM

Fraktur

GM A

AA

A

Runen A

Unz A

Demotisch

Phoumlnikisch SK

WS

K

WS

A

3000

v C

hr

2500

2000

1500

1000

500

0 500

1000

1500

2000

n C

hr

Syrisch K

Georgisch A

Armenisch A

Persisch (Aw) A

AK

SW

Alphabetschrift

Konsonantenschrift

Silbenschrift

Wortschrift

Gebrauch nur noch als Kirchenschrift

unmittelbare Ableitung

nur Beeinflussung

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

10

Seit 150 Jahren haben einige Staaten einen Schriftwechsel beschlossen

1860 (1865) in Rumaumlnien Umstellung von Kyrillisch auf Antiqua

1928 in der Tuumlrkei Umstellung von Arabisch auf Antiqua

1941 in Deutschland Umstellung von Fraktur auf Antiqua schon um 1900

waren die skandinavischen Staaten mit der Umstellung von Fraktur auf An‐

tiqua vorangegangen

nach 1920 in der Sowjetunion Ersatz der oiratischen Schrift der Kalmuumlcken

sowie der arabischen Schrift in den islamischen Gebieten zunaumlchst durch

Antiqua nach 1939 durch die kyrillische Schrift mit Sonderzeichen

Tabelle 2

Die Bevoumllkerung Europas nach Schriftverbreitungsgebieten

um 1890

Schriftart Millionen Einwohner Anteil in

Antiqua 1814 50

Kyrillische Schrift 900 25

Fraktur 811 23

Arabische Schrift 50 13

Griechische Schrift 37 1

Irische Schrift 10 03

Oiratische Schrift 01 02

Summe 3623 100

Schrift und Religion haumlngen eng zusammen denn vor allem Geistliche ha‐

ben die verschiedenen Schriften in Europa und seinen Randgebieten geschaf‐

fen oder als Schriften fuumlr wichtige religioumlse Buumlcher benutzt Die Verschriftli‐

chung der einzelnen Sprachen ist vor dem 19 Jahrhundert eng mit der Aus‐

breitung des Christentums und des Islams verbunden Die wichtigen reli‐

gioumlsen Buumlcher wurden deshalb in den bdquorichtigenldquo Schriften geschrieben oder

spaumlter gedruckt Diese Schriften galten als geheiligt Jahrhundertelang haben

die roumlmisch‐katholische Kirche und die anglikanische Kirche die Antiqua ver‐

breitet die lutherische Kirche die Fraktur orthodoxe Kirche ndash mit Ausnahme

Griechenlands ndash die kyrillische Schrift und der Islam mit dem Koran in arabi‐

scher Sprache die arabische Schrift Erst im 19 Jahrhundert zerfiel allmaumlhlich

der Zusammenhang zwischen Religion und Schrift Die Fraktur wurde ab 1941

sozusagen in den schriftgeschichtlichen Bereich verbannt

Die Domschulen Kloumlster und Koranschulen waren jahrhundertelang Traumlger

der Schriftkultur Das urspruumlnglich zur Verfuumlgung stehende Abc der Westkir‐

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

11

che war fuumlr die Wiedergabe aller Laute der nichtlateinischen Volkssprachen

nicht vollstaumlndig geeignet Deshalb entstanden nach und nach Sonderzeichen

vor allem diakritische Zeichen Im Deutschen sind dies die Umlaute auml ouml und uuml

sowie das szlig Insgesamt gibt es fuumlr die Schreibung der europaumlischen Sprachen

des lateinischen Schriftenkreises uumlber 70 abgewandelte Buchstaben und Son‐

derbuchstaben die meisten fuumlr die Schreibung der slawischen und baltischen

Sprachen Nationale Sonderzeichen gibt es auch in der kyrillischen Schrift

Die heutigen lateinischen Druckschriften sind unmittelbar auf die humani‐

stische Minuskel des 15 Jahrhunderts zuruumlckzufuumlhren (Abb 3) Diese hat die

Groszligbuchstaben (Versalien) von der um die Zeitenwende entstandenen CA‐

PITALIS uumlbernommen die Kleinbuchstaben (Gemeinen) von der karolingi‐

schen Minuskel des 8 Jahrhunderts Verwendet wird die lateinische Schrift

fast ausschlieszliglich in Laumlndern die durch die roumlmische Kirche missioniert wor‐

den sind wenn man vom Rumaumlnischen und Tuumlrkischen absieht

Als fruumlhe Sonderform der lateinischen Schrift haben irischen Moumlnche die iri‐

sche Schrift entwickelt Schon im 6 Jahrhundert war sie in einer Auspraumlgung

gebraumluchlich die der heutigen stark aumlhnelt

Das juumlngste Glied des lateinischen Werkschriftenkreises ist die Fraktur Sie

war fruumlher in allen europaumlischen Laumlndern verbreitet in denen sich waumlhrend

der Reformation die Einwohner ganz oder uumlberwiegend der evangelisch‐

lutherischen Lehre angeschlossen hatten also in Deutschland Skandinavien

und im Baltikum Die unmittelbaren Vorlaumlufer der Fraktur sind die Bastard‐

schriften (gebrochenen Kursiven) wie sie in Nordfrankreich in den Nieder‐

landen und in der kaiserlichen Kanzlei von der Mitte des 15 Jahrhunderts an

verwendet wurden In vollendeter Form taucht die Fraktur 1525 in Albrecht

Duumlrers Buch ʺUnterweisung der Messung mit dem Zirkel und Richtscheid in

Linien Ebenen und ganzen Koumlrpernʺ auf Geschnitten hat sie Hieronymus

Andreauml (Roumlsch) nach dem Entwurf des Schreibmeisters Johann Neudoumlrffer

d Auml (1497 ‐ 1563) Als Werkschrift des deutschen Sprachraums und des kultu‐

rell mit Deutschland verbundenen skandinavischen baltischen und westsla‐

wischen Raums hielt sich die Fraktur auszligerhalb Deutschlands bis ins 19 Jahr‐

hundert und wurde erst danach durch die Antiqua abgeloumlst

In Deutschland verfuumlgte die damalige Reichsregierung 1941 ein Umstellungs‐

gebot von ʺdeutscher Schriftʺ dh von Fraktur und deutscher Schreibschrift

auf ʺNormalschriftʺ dh auf Antiqua und lateinische Schreibschrift Die Um‐

stellung wurde auch nach dem 2 Weltkrieg weitergefuumlhrt denn die tonange‐

benden Kraumlfte in Deutschland halten idR das Neue oder das Fremde fuumlr bes‐

ser als das Alte und das Eigene

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

12

Abb 2

Beispiele von Buchschriften aus Europa und Randgebieten [10]

Alle Sprach‐ und Schriftbeispiele mit Ausnahme der kalmuumlckischen Sprache

in oiratischer Schrift geben die Aussage wieder Am Beginn houmlherer Kultur steht die Schrift

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

13

Streng genommen ist nach der Fraktur noch eine allerjuumlngste Werkschrift ent‐

standen naumlmlich die schlichte gotische Schrift oder die Gebrochene Grotesk

Das aumllteste Mitglied dieser Schriftfamilie ist die Wieynck‐Werkschrift Profes‐

sor Heinrich Wieynck hat sie 1930 entworfen In den dreiszligiger Jahren haben

sie viele Schriftkuumlnstler nachempfunden denn mit Wieynck waren damals

viele der Meinung die Fraktur mit ihren Schnoumlrkeln passe nicht in das techni‐

sche Zeitalter dessen Aussehen damals beispielgebend der schmucklos‐

nuumlchterne Bauhausstil zeigte Die Neuerer gestalteten um einen vollstaumlndigen

Ersatz der Fraktur durch Antiqua und Grotesk zu verhindern die gebroche‐

nen Schriften schlichter erreichten ihr Ziel aber nicht Stilistisch nahmen die

gebrochenen Groteskschriften die recht konstruiert wirken bei den damals

stark im Gespraumlch befindlichen Runen und der Staumlbchenschrift Anleihen Letz‐

tere entstand dadurch daszlig die Schuumller zum Erlernen der Antiqua jeden Buch‐

staben aus Staumlbchen zusammensetzen sollten Den gebrochenen Groteskschrif‐

ten zB der Tannenberg National und anderen Schriften mit betont national

klingenden Namen fehlen jegliche Rundungen Sie konnten sich vor dem

Frakturverbot nicht mehr als Werksatzschriften durchsetzen Nur fuumlr Aus‐

zeichnungszwecke verwendete man sie damals gelegentlich Schriftbeispiele

aller abendlaumlndischen Schriften und ihren Stammbaum zeigt Abb 3

Die kyrillische Schrift seit dem 10 Jahrhundert gebraumluchlich geht auf die im

9 Jahrhundert durch den Slawenapostel Kyrill (826 ‐ 869) aus der griechischen

Schrift abgeleitete glagolitische Schrift (Glagoliza) zuruumlck die sich als eckige

kroatische oder illyrische Glagoliza noch bis ins 19 Jahrhundert im kroati‐

schen Insel‐ und Kuumlstenraum als Kirchenschrift hielt Nach dem 1 Weltkrieg

hat die kyrillische Schrift in der Sowjetunion eine deutliche Vergroumlszligerung ih‐

res Verbreitungsgebietes erfahren da die Wiedergabe der fruumlher durch arabi‐

sche Schriftzeichen ab den zwanziger Jahren durch Antiqua dargestellten

Sprachen seit 193940 in kyrillischer Schrift erfolgt

Die im Mathematikunterricht und im Griechischunterricht an den humanisti‐

schen Gymnasien gelehrte griechische Schrift die auch im heutigen Griechen‐

land verwendet wird hat ihren unmittelbaren Vorlaumlufer in der geschriebenen

griechischen Minuskel des 13 Jahrhunderts Dagegen waumlren heute die griechi‐

schen Handschriften des Altertums fuumlr jeden Gymnasiasten und wohl auch

fuumlr die meisten Altphilologen unleserlich

Im oumlstlichen Europa am Westufer des Kaspischen Meeres leben die im 17

Jahrhundert aus dem Osten zugewanderten Kalmuumlcken Sie verwendeten

noch im 19 Jahrhundert die 1648 von Dschaja Pandita geschaffene oiratische

Schrift Sie geht auf die im 11 Jahrhundert in Anlehnung an das syrische Al‐

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

14

phabet entstandene mongolische Schrift zuruumlck Merkwuumlrdig an dieser Schrift

ist daszlig sie in Spalten von oben nach unten geschrieben wird aber nach Dre‐

hung um 90deg von rechts nach links zu lesen ist Im 20 Jahrhundert ersetzten

die Kalmuumlcken ihre eigene Schrift zunaumlchst durch Antiqua dann durch die

kyrillische Schrift

Durch den Islam kam die arabische Schrift auch in die oumlstlichen Randgebiete

Europas Diese wird zur Wiedergabe der arabischen Sprachen und sie wurde

jahrhundertelang auch zur Wiedergabe der Turksprachen im Osmanischen

Reich und im Zarenreich verwendet also in den Gebieten die den islamischen

Glauben angenommen hatten Trotz ihres von den abendlaumlndischen Schriften

und der kyrillischen Schrift sehr verschiedenen Aussehens hat die arabische

Schrift die gleiche Wurzel naumlmlich die phoumlnikische Schrift aus der sich die

aramaumlische und im 6 Jahrhundert die arabische Schrift entwickelt hat

Abb 3

Stammtafel der Schriften des lateinischen Schriftenkreises

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

15

Infolge der Umwaumllzungen nach dem 1 Weltkrieg ist die arabische Schrift als

Alltags‐Werkschrift in der Tuumlrkei 1928 durch die lateinische Schrift mit Son‐

derzeichen ersetzt worden wohl nach diesem Vorbild in der Sowjetunion

ebenfalls Ende der zwanziger Jahre ebenfalls durch Antiqua schon im

2 Weltkrieg schlieszliglich durch die kyrillische Schrift Inzwischen foumlrdert der

wieder erstarkte Islam Bestrebungen die arabische Schrift dort wieder einzu‐

fuumlhren wo sie durch andere Schriften verdraumlngt worden ist

6 Schluszligbetrachtung

Bedingt durch die Vielfalt der Voumllker und Religionen in Europa haben sich

verschiedene Kulturen und im Rahmen dieser Kulturen verschiedene Spra‐

chen und auch Schriften entwickelt Die phoumlnikische Schrift ist die Stammutter

aller europaumlischen Schriften Je nach Wesensart Koumlnnen und Geschmack der

Schriftschoumlpfer ist sie recht unterschiedlich weiterentwickelt worden Als Er‐

gebnisse sind unter anderem die kuumlhle monumentale Antiqua die schlichte

Abb 4

Europaumlische Buchschriften im 19 Jahrhundert [10]

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

16

Grotesk die kuumlnstlerisch beschwingte Fraktur die flott geschriebene arabische

Schrift und die kyrillische Schrift entstanden

Zur bdquodeutschen Schriftldquo gehoumlren im weiteren Sinne alle gebrochenen Schrif‐

ten im engeren Sinne Schwabacher Fraktur Gebrochene Grotesk und die

spitze deutsche Schreibschrift Die genannten Schriften sind mit den heute ge‐

braumluchlichen runden Schriften eng verwandt und fuumlr den frakturungewohn‐

ten Leser bei durchschnittlicher Begabung und mit etwas Fleiszlig nach kurzer

Einlesezeit lesbar Die Fraktur ist eine von neun Werkschriften die in der Mit‐

te des 19 Jahrhunderts in Europa noch gebraumluchlich waren Es waumlre bedauer‐

lich wenn sie aus modischen technischen und wirtschaftlichen Gruumlnden auf

dem Altar der Vereinheitlichung und kulturellen Verflachung geopfert wuumlrde

Wichtigstes Schrifttum

[1] bdquoBrockhaus‐Enzyklopaumldieldquo 17 Aufl Wiesbaden 1975 unter den einschlaumlgigen Stich‐

woumlrtern insbesondere die Erlaumluterungen im 21 Band auf S IX

[2] bdquoMeyers Konversations‐Lexikonldquo 5 Aufl 1895 ndash 1897

[3] Wolfgang Hendlmeier bdquoVon den Mundarten zur Hochspracheldquo in Hans Riegelmann

bdquoVon deutscher Sprache und Schriftldquo Bremen 1993 S 21

[4] Wolfgang Hendlmeier bdquoDie Pflege der deutschen Sprache ndash einst und heuteldquo in Hans

Riegelmann bdquoVon deutscher Sprache und Schriftldquo Bremen 1993 S 31

[5] Wolfgang Hendlmeier bdquoViele Sprachen werden aussterbenldquo in bdquoDie deutsche Schriftldquo

Heft 11994 S 4

[6] Wolfgang Hendlmeier bdquoVon bedrohten Sprachen und sterbenden Voumllkernldquo in bdquoDie

deutsche Schriftldquo Heft 21994 S 37

[7] Wolfgang Hendlmeier bdquoDie Rechtschreibreform ndash Ein Anschlag auf die deutsche Spra‐

cheldquo in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 41997 S 83

[8] Wolfgang Hendlmeier und Gerhard Helzel bdquoSonderzeichen europaumlischer Sprachen des

lateinischen Schriftenkreisesldquo in in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 21995 S 138

[9] Werner Koumlnig bdquoAtlas zur deutschen Spracheldquo 5 Aufl dtv‐Verlag Muumlnchen 1983

[10] Artur Wohe bdquoVielfalt der Sprachen und Schriften in Europa ndash Buumlrde oder Reichtumldquo

in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 31990 S 83 dort weitere Literaturhinweise

[11] Wolfgang Hendlmeier bdquoKunstwerke der Schriftldquo 3 Aufl Hannover 1994 S 89

[12] Gerhard Quast Bedrohte Sprachen sterbende Voumllker in bdquoJunge Freiheitldquo Nr 121994

[13] httpdewikipediaorgwikiGriechische_Sprachfrage

[14] httpdewikipediaorgwikiKyrillisches_Alphabet

Stand 18072013

Page 10: Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa - … · 2 Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa Von ... nahme in die Vereinten Nationen nicht auf Deutsch als Amtssprache

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

10

Seit 150 Jahren haben einige Staaten einen Schriftwechsel beschlossen

1860 (1865) in Rumaumlnien Umstellung von Kyrillisch auf Antiqua

1928 in der Tuumlrkei Umstellung von Arabisch auf Antiqua

1941 in Deutschland Umstellung von Fraktur auf Antiqua schon um 1900

waren die skandinavischen Staaten mit der Umstellung von Fraktur auf An‐

tiqua vorangegangen

nach 1920 in der Sowjetunion Ersatz der oiratischen Schrift der Kalmuumlcken

sowie der arabischen Schrift in den islamischen Gebieten zunaumlchst durch

Antiqua nach 1939 durch die kyrillische Schrift mit Sonderzeichen

Tabelle 2

Die Bevoumllkerung Europas nach Schriftverbreitungsgebieten

um 1890

Schriftart Millionen Einwohner Anteil in

Antiqua 1814 50

Kyrillische Schrift 900 25

Fraktur 811 23

Arabische Schrift 50 13

Griechische Schrift 37 1

Irische Schrift 10 03

Oiratische Schrift 01 02

Summe 3623 100

Schrift und Religion haumlngen eng zusammen denn vor allem Geistliche ha‐

ben die verschiedenen Schriften in Europa und seinen Randgebieten geschaf‐

fen oder als Schriften fuumlr wichtige religioumlse Buumlcher benutzt Die Verschriftli‐

chung der einzelnen Sprachen ist vor dem 19 Jahrhundert eng mit der Aus‐

breitung des Christentums und des Islams verbunden Die wichtigen reli‐

gioumlsen Buumlcher wurden deshalb in den bdquorichtigenldquo Schriften geschrieben oder

spaumlter gedruckt Diese Schriften galten als geheiligt Jahrhundertelang haben

die roumlmisch‐katholische Kirche und die anglikanische Kirche die Antiqua ver‐

breitet die lutherische Kirche die Fraktur orthodoxe Kirche ndash mit Ausnahme

Griechenlands ndash die kyrillische Schrift und der Islam mit dem Koran in arabi‐

scher Sprache die arabische Schrift Erst im 19 Jahrhundert zerfiel allmaumlhlich

der Zusammenhang zwischen Religion und Schrift Die Fraktur wurde ab 1941

sozusagen in den schriftgeschichtlichen Bereich verbannt

Die Domschulen Kloumlster und Koranschulen waren jahrhundertelang Traumlger

der Schriftkultur Das urspruumlnglich zur Verfuumlgung stehende Abc der Westkir‐

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

11

che war fuumlr die Wiedergabe aller Laute der nichtlateinischen Volkssprachen

nicht vollstaumlndig geeignet Deshalb entstanden nach und nach Sonderzeichen

vor allem diakritische Zeichen Im Deutschen sind dies die Umlaute auml ouml und uuml

sowie das szlig Insgesamt gibt es fuumlr die Schreibung der europaumlischen Sprachen

des lateinischen Schriftenkreises uumlber 70 abgewandelte Buchstaben und Son‐

derbuchstaben die meisten fuumlr die Schreibung der slawischen und baltischen

Sprachen Nationale Sonderzeichen gibt es auch in der kyrillischen Schrift

Die heutigen lateinischen Druckschriften sind unmittelbar auf die humani‐

stische Minuskel des 15 Jahrhunderts zuruumlckzufuumlhren (Abb 3) Diese hat die

Groszligbuchstaben (Versalien) von der um die Zeitenwende entstandenen CA‐

PITALIS uumlbernommen die Kleinbuchstaben (Gemeinen) von der karolingi‐

schen Minuskel des 8 Jahrhunderts Verwendet wird die lateinische Schrift

fast ausschlieszliglich in Laumlndern die durch die roumlmische Kirche missioniert wor‐

den sind wenn man vom Rumaumlnischen und Tuumlrkischen absieht

Als fruumlhe Sonderform der lateinischen Schrift haben irischen Moumlnche die iri‐

sche Schrift entwickelt Schon im 6 Jahrhundert war sie in einer Auspraumlgung

gebraumluchlich die der heutigen stark aumlhnelt

Das juumlngste Glied des lateinischen Werkschriftenkreises ist die Fraktur Sie

war fruumlher in allen europaumlischen Laumlndern verbreitet in denen sich waumlhrend

der Reformation die Einwohner ganz oder uumlberwiegend der evangelisch‐

lutherischen Lehre angeschlossen hatten also in Deutschland Skandinavien

und im Baltikum Die unmittelbaren Vorlaumlufer der Fraktur sind die Bastard‐

schriften (gebrochenen Kursiven) wie sie in Nordfrankreich in den Nieder‐

landen und in der kaiserlichen Kanzlei von der Mitte des 15 Jahrhunderts an

verwendet wurden In vollendeter Form taucht die Fraktur 1525 in Albrecht

Duumlrers Buch ʺUnterweisung der Messung mit dem Zirkel und Richtscheid in

Linien Ebenen und ganzen Koumlrpernʺ auf Geschnitten hat sie Hieronymus

Andreauml (Roumlsch) nach dem Entwurf des Schreibmeisters Johann Neudoumlrffer

d Auml (1497 ‐ 1563) Als Werkschrift des deutschen Sprachraums und des kultu‐

rell mit Deutschland verbundenen skandinavischen baltischen und westsla‐

wischen Raums hielt sich die Fraktur auszligerhalb Deutschlands bis ins 19 Jahr‐

hundert und wurde erst danach durch die Antiqua abgeloumlst

In Deutschland verfuumlgte die damalige Reichsregierung 1941 ein Umstellungs‐

gebot von ʺdeutscher Schriftʺ dh von Fraktur und deutscher Schreibschrift

auf ʺNormalschriftʺ dh auf Antiqua und lateinische Schreibschrift Die Um‐

stellung wurde auch nach dem 2 Weltkrieg weitergefuumlhrt denn die tonange‐

benden Kraumlfte in Deutschland halten idR das Neue oder das Fremde fuumlr bes‐

ser als das Alte und das Eigene

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

12

Abb 2

Beispiele von Buchschriften aus Europa und Randgebieten [10]

Alle Sprach‐ und Schriftbeispiele mit Ausnahme der kalmuumlckischen Sprache

in oiratischer Schrift geben die Aussage wieder Am Beginn houmlherer Kultur steht die Schrift

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

13

Streng genommen ist nach der Fraktur noch eine allerjuumlngste Werkschrift ent‐

standen naumlmlich die schlichte gotische Schrift oder die Gebrochene Grotesk

Das aumllteste Mitglied dieser Schriftfamilie ist die Wieynck‐Werkschrift Profes‐

sor Heinrich Wieynck hat sie 1930 entworfen In den dreiszligiger Jahren haben

sie viele Schriftkuumlnstler nachempfunden denn mit Wieynck waren damals

viele der Meinung die Fraktur mit ihren Schnoumlrkeln passe nicht in das techni‐

sche Zeitalter dessen Aussehen damals beispielgebend der schmucklos‐

nuumlchterne Bauhausstil zeigte Die Neuerer gestalteten um einen vollstaumlndigen

Ersatz der Fraktur durch Antiqua und Grotesk zu verhindern die gebroche‐

nen Schriften schlichter erreichten ihr Ziel aber nicht Stilistisch nahmen die

gebrochenen Groteskschriften die recht konstruiert wirken bei den damals

stark im Gespraumlch befindlichen Runen und der Staumlbchenschrift Anleihen Letz‐

tere entstand dadurch daszlig die Schuumller zum Erlernen der Antiqua jeden Buch‐

staben aus Staumlbchen zusammensetzen sollten Den gebrochenen Groteskschrif‐

ten zB der Tannenberg National und anderen Schriften mit betont national

klingenden Namen fehlen jegliche Rundungen Sie konnten sich vor dem

Frakturverbot nicht mehr als Werksatzschriften durchsetzen Nur fuumlr Aus‐

zeichnungszwecke verwendete man sie damals gelegentlich Schriftbeispiele

aller abendlaumlndischen Schriften und ihren Stammbaum zeigt Abb 3

Die kyrillische Schrift seit dem 10 Jahrhundert gebraumluchlich geht auf die im

9 Jahrhundert durch den Slawenapostel Kyrill (826 ‐ 869) aus der griechischen

Schrift abgeleitete glagolitische Schrift (Glagoliza) zuruumlck die sich als eckige

kroatische oder illyrische Glagoliza noch bis ins 19 Jahrhundert im kroati‐

schen Insel‐ und Kuumlstenraum als Kirchenschrift hielt Nach dem 1 Weltkrieg

hat die kyrillische Schrift in der Sowjetunion eine deutliche Vergroumlszligerung ih‐

res Verbreitungsgebietes erfahren da die Wiedergabe der fruumlher durch arabi‐

sche Schriftzeichen ab den zwanziger Jahren durch Antiqua dargestellten

Sprachen seit 193940 in kyrillischer Schrift erfolgt

Die im Mathematikunterricht und im Griechischunterricht an den humanisti‐

schen Gymnasien gelehrte griechische Schrift die auch im heutigen Griechen‐

land verwendet wird hat ihren unmittelbaren Vorlaumlufer in der geschriebenen

griechischen Minuskel des 13 Jahrhunderts Dagegen waumlren heute die griechi‐

schen Handschriften des Altertums fuumlr jeden Gymnasiasten und wohl auch

fuumlr die meisten Altphilologen unleserlich

Im oumlstlichen Europa am Westufer des Kaspischen Meeres leben die im 17

Jahrhundert aus dem Osten zugewanderten Kalmuumlcken Sie verwendeten

noch im 19 Jahrhundert die 1648 von Dschaja Pandita geschaffene oiratische

Schrift Sie geht auf die im 11 Jahrhundert in Anlehnung an das syrische Al‐

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

14

phabet entstandene mongolische Schrift zuruumlck Merkwuumlrdig an dieser Schrift

ist daszlig sie in Spalten von oben nach unten geschrieben wird aber nach Dre‐

hung um 90deg von rechts nach links zu lesen ist Im 20 Jahrhundert ersetzten

die Kalmuumlcken ihre eigene Schrift zunaumlchst durch Antiqua dann durch die

kyrillische Schrift

Durch den Islam kam die arabische Schrift auch in die oumlstlichen Randgebiete

Europas Diese wird zur Wiedergabe der arabischen Sprachen und sie wurde

jahrhundertelang auch zur Wiedergabe der Turksprachen im Osmanischen

Reich und im Zarenreich verwendet also in den Gebieten die den islamischen

Glauben angenommen hatten Trotz ihres von den abendlaumlndischen Schriften

und der kyrillischen Schrift sehr verschiedenen Aussehens hat die arabische

Schrift die gleiche Wurzel naumlmlich die phoumlnikische Schrift aus der sich die

aramaumlische und im 6 Jahrhundert die arabische Schrift entwickelt hat

Abb 3

Stammtafel der Schriften des lateinischen Schriftenkreises

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

15

Infolge der Umwaumllzungen nach dem 1 Weltkrieg ist die arabische Schrift als

Alltags‐Werkschrift in der Tuumlrkei 1928 durch die lateinische Schrift mit Son‐

derzeichen ersetzt worden wohl nach diesem Vorbild in der Sowjetunion

ebenfalls Ende der zwanziger Jahre ebenfalls durch Antiqua schon im

2 Weltkrieg schlieszliglich durch die kyrillische Schrift Inzwischen foumlrdert der

wieder erstarkte Islam Bestrebungen die arabische Schrift dort wieder einzu‐

fuumlhren wo sie durch andere Schriften verdraumlngt worden ist

6 Schluszligbetrachtung

Bedingt durch die Vielfalt der Voumllker und Religionen in Europa haben sich

verschiedene Kulturen und im Rahmen dieser Kulturen verschiedene Spra‐

chen und auch Schriften entwickelt Die phoumlnikische Schrift ist die Stammutter

aller europaumlischen Schriften Je nach Wesensart Koumlnnen und Geschmack der

Schriftschoumlpfer ist sie recht unterschiedlich weiterentwickelt worden Als Er‐

gebnisse sind unter anderem die kuumlhle monumentale Antiqua die schlichte

Abb 4

Europaumlische Buchschriften im 19 Jahrhundert [10]

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

16

Grotesk die kuumlnstlerisch beschwingte Fraktur die flott geschriebene arabische

Schrift und die kyrillische Schrift entstanden

Zur bdquodeutschen Schriftldquo gehoumlren im weiteren Sinne alle gebrochenen Schrif‐

ten im engeren Sinne Schwabacher Fraktur Gebrochene Grotesk und die

spitze deutsche Schreibschrift Die genannten Schriften sind mit den heute ge‐

braumluchlichen runden Schriften eng verwandt und fuumlr den frakturungewohn‐

ten Leser bei durchschnittlicher Begabung und mit etwas Fleiszlig nach kurzer

Einlesezeit lesbar Die Fraktur ist eine von neun Werkschriften die in der Mit‐

te des 19 Jahrhunderts in Europa noch gebraumluchlich waren Es waumlre bedauer‐

lich wenn sie aus modischen technischen und wirtschaftlichen Gruumlnden auf

dem Altar der Vereinheitlichung und kulturellen Verflachung geopfert wuumlrde

Wichtigstes Schrifttum

[1] bdquoBrockhaus‐Enzyklopaumldieldquo 17 Aufl Wiesbaden 1975 unter den einschlaumlgigen Stich‐

woumlrtern insbesondere die Erlaumluterungen im 21 Band auf S IX

[2] bdquoMeyers Konversations‐Lexikonldquo 5 Aufl 1895 ndash 1897

[3] Wolfgang Hendlmeier bdquoVon den Mundarten zur Hochspracheldquo in Hans Riegelmann

bdquoVon deutscher Sprache und Schriftldquo Bremen 1993 S 21

[4] Wolfgang Hendlmeier bdquoDie Pflege der deutschen Sprache ndash einst und heuteldquo in Hans

Riegelmann bdquoVon deutscher Sprache und Schriftldquo Bremen 1993 S 31

[5] Wolfgang Hendlmeier bdquoViele Sprachen werden aussterbenldquo in bdquoDie deutsche Schriftldquo

Heft 11994 S 4

[6] Wolfgang Hendlmeier bdquoVon bedrohten Sprachen und sterbenden Voumllkernldquo in bdquoDie

deutsche Schriftldquo Heft 21994 S 37

[7] Wolfgang Hendlmeier bdquoDie Rechtschreibreform ndash Ein Anschlag auf die deutsche Spra‐

cheldquo in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 41997 S 83

[8] Wolfgang Hendlmeier und Gerhard Helzel bdquoSonderzeichen europaumlischer Sprachen des

lateinischen Schriftenkreisesldquo in in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 21995 S 138

[9] Werner Koumlnig bdquoAtlas zur deutschen Spracheldquo 5 Aufl dtv‐Verlag Muumlnchen 1983

[10] Artur Wohe bdquoVielfalt der Sprachen und Schriften in Europa ndash Buumlrde oder Reichtumldquo

in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 31990 S 83 dort weitere Literaturhinweise

[11] Wolfgang Hendlmeier bdquoKunstwerke der Schriftldquo 3 Aufl Hannover 1994 S 89

[12] Gerhard Quast Bedrohte Sprachen sterbende Voumllker in bdquoJunge Freiheitldquo Nr 121994

[13] httpdewikipediaorgwikiGriechische_Sprachfrage

[14] httpdewikipediaorgwikiKyrillisches_Alphabet

Stand 18072013

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Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

11

che war fuumlr die Wiedergabe aller Laute der nichtlateinischen Volkssprachen

nicht vollstaumlndig geeignet Deshalb entstanden nach und nach Sonderzeichen

vor allem diakritische Zeichen Im Deutschen sind dies die Umlaute auml ouml und uuml

sowie das szlig Insgesamt gibt es fuumlr die Schreibung der europaumlischen Sprachen

des lateinischen Schriftenkreises uumlber 70 abgewandelte Buchstaben und Son‐

derbuchstaben die meisten fuumlr die Schreibung der slawischen und baltischen

Sprachen Nationale Sonderzeichen gibt es auch in der kyrillischen Schrift

Die heutigen lateinischen Druckschriften sind unmittelbar auf die humani‐

stische Minuskel des 15 Jahrhunderts zuruumlckzufuumlhren (Abb 3) Diese hat die

Groszligbuchstaben (Versalien) von der um die Zeitenwende entstandenen CA‐

PITALIS uumlbernommen die Kleinbuchstaben (Gemeinen) von der karolingi‐

schen Minuskel des 8 Jahrhunderts Verwendet wird die lateinische Schrift

fast ausschlieszliglich in Laumlndern die durch die roumlmische Kirche missioniert wor‐

den sind wenn man vom Rumaumlnischen und Tuumlrkischen absieht

Als fruumlhe Sonderform der lateinischen Schrift haben irischen Moumlnche die iri‐

sche Schrift entwickelt Schon im 6 Jahrhundert war sie in einer Auspraumlgung

gebraumluchlich die der heutigen stark aumlhnelt

Das juumlngste Glied des lateinischen Werkschriftenkreises ist die Fraktur Sie

war fruumlher in allen europaumlischen Laumlndern verbreitet in denen sich waumlhrend

der Reformation die Einwohner ganz oder uumlberwiegend der evangelisch‐

lutherischen Lehre angeschlossen hatten also in Deutschland Skandinavien

und im Baltikum Die unmittelbaren Vorlaumlufer der Fraktur sind die Bastard‐

schriften (gebrochenen Kursiven) wie sie in Nordfrankreich in den Nieder‐

landen und in der kaiserlichen Kanzlei von der Mitte des 15 Jahrhunderts an

verwendet wurden In vollendeter Form taucht die Fraktur 1525 in Albrecht

Duumlrers Buch ʺUnterweisung der Messung mit dem Zirkel und Richtscheid in

Linien Ebenen und ganzen Koumlrpernʺ auf Geschnitten hat sie Hieronymus

Andreauml (Roumlsch) nach dem Entwurf des Schreibmeisters Johann Neudoumlrffer

d Auml (1497 ‐ 1563) Als Werkschrift des deutschen Sprachraums und des kultu‐

rell mit Deutschland verbundenen skandinavischen baltischen und westsla‐

wischen Raums hielt sich die Fraktur auszligerhalb Deutschlands bis ins 19 Jahr‐

hundert und wurde erst danach durch die Antiqua abgeloumlst

In Deutschland verfuumlgte die damalige Reichsregierung 1941 ein Umstellungs‐

gebot von ʺdeutscher Schriftʺ dh von Fraktur und deutscher Schreibschrift

auf ʺNormalschriftʺ dh auf Antiqua und lateinische Schreibschrift Die Um‐

stellung wurde auch nach dem 2 Weltkrieg weitergefuumlhrt denn die tonange‐

benden Kraumlfte in Deutschland halten idR das Neue oder das Fremde fuumlr bes‐

ser als das Alte und das Eigene

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

12

Abb 2

Beispiele von Buchschriften aus Europa und Randgebieten [10]

Alle Sprach‐ und Schriftbeispiele mit Ausnahme der kalmuumlckischen Sprache

in oiratischer Schrift geben die Aussage wieder Am Beginn houmlherer Kultur steht die Schrift

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

13

Streng genommen ist nach der Fraktur noch eine allerjuumlngste Werkschrift ent‐

standen naumlmlich die schlichte gotische Schrift oder die Gebrochene Grotesk

Das aumllteste Mitglied dieser Schriftfamilie ist die Wieynck‐Werkschrift Profes‐

sor Heinrich Wieynck hat sie 1930 entworfen In den dreiszligiger Jahren haben

sie viele Schriftkuumlnstler nachempfunden denn mit Wieynck waren damals

viele der Meinung die Fraktur mit ihren Schnoumlrkeln passe nicht in das techni‐

sche Zeitalter dessen Aussehen damals beispielgebend der schmucklos‐

nuumlchterne Bauhausstil zeigte Die Neuerer gestalteten um einen vollstaumlndigen

Ersatz der Fraktur durch Antiqua und Grotesk zu verhindern die gebroche‐

nen Schriften schlichter erreichten ihr Ziel aber nicht Stilistisch nahmen die

gebrochenen Groteskschriften die recht konstruiert wirken bei den damals

stark im Gespraumlch befindlichen Runen und der Staumlbchenschrift Anleihen Letz‐

tere entstand dadurch daszlig die Schuumller zum Erlernen der Antiqua jeden Buch‐

staben aus Staumlbchen zusammensetzen sollten Den gebrochenen Groteskschrif‐

ten zB der Tannenberg National und anderen Schriften mit betont national

klingenden Namen fehlen jegliche Rundungen Sie konnten sich vor dem

Frakturverbot nicht mehr als Werksatzschriften durchsetzen Nur fuumlr Aus‐

zeichnungszwecke verwendete man sie damals gelegentlich Schriftbeispiele

aller abendlaumlndischen Schriften und ihren Stammbaum zeigt Abb 3

Die kyrillische Schrift seit dem 10 Jahrhundert gebraumluchlich geht auf die im

9 Jahrhundert durch den Slawenapostel Kyrill (826 ‐ 869) aus der griechischen

Schrift abgeleitete glagolitische Schrift (Glagoliza) zuruumlck die sich als eckige

kroatische oder illyrische Glagoliza noch bis ins 19 Jahrhundert im kroati‐

schen Insel‐ und Kuumlstenraum als Kirchenschrift hielt Nach dem 1 Weltkrieg

hat die kyrillische Schrift in der Sowjetunion eine deutliche Vergroumlszligerung ih‐

res Verbreitungsgebietes erfahren da die Wiedergabe der fruumlher durch arabi‐

sche Schriftzeichen ab den zwanziger Jahren durch Antiqua dargestellten

Sprachen seit 193940 in kyrillischer Schrift erfolgt

Die im Mathematikunterricht und im Griechischunterricht an den humanisti‐

schen Gymnasien gelehrte griechische Schrift die auch im heutigen Griechen‐

land verwendet wird hat ihren unmittelbaren Vorlaumlufer in der geschriebenen

griechischen Minuskel des 13 Jahrhunderts Dagegen waumlren heute die griechi‐

schen Handschriften des Altertums fuumlr jeden Gymnasiasten und wohl auch

fuumlr die meisten Altphilologen unleserlich

Im oumlstlichen Europa am Westufer des Kaspischen Meeres leben die im 17

Jahrhundert aus dem Osten zugewanderten Kalmuumlcken Sie verwendeten

noch im 19 Jahrhundert die 1648 von Dschaja Pandita geschaffene oiratische

Schrift Sie geht auf die im 11 Jahrhundert in Anlehnung an das syrische Al‐

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

14

phabet entstandene mongolische Schrift zuruumlck Merkwuumlrdig an dieser Schrift

ist daszlig sie in Spalten von oben nach unten geschrieben wird aber nach Dre‐

hung um 90deg von rechts nach links zu lesen ist Im 20 Jahrhundert ersetzten

die Kalmuumlcken ihre eigene Schrift zunaumlchst durch Antiqua dann durch die

kyrillische Schrift

Durch den Islam kam die arabische Schrift auch in die oumlstlichen Randgebiete

Europas Diese wird zur Wiedergabe der arabischen Sprachen und sie wurde

jahrhundertelang auch zur Wiedergabe der Turksprachen im Osmanischen

Reich und im Zarenreich verwendet also in den Gebieten die den islamischen

Glauben angenommen hatten Trotz ihres von den abendlaumlndischen Schriften

und der kyrillischen Schrift sehr verschiedenen Aussehens hat die arabische

Schrift die gleiche Wurzel naumlmlich die phoumlnikische Schrift aus der sich die

aramaumlische und im 6 Jahrhundert die arabische Schrift entwickelt hat

Abb 3

Stammtafel der Schriften des lateinischen Schriftenkreises

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

15

Infolge der Umwaumllzungen nach dem 1 Weltkrieg ist die arabische Schrift als

Alltags‐Werkschrift in der Tuumlrkei 1928 durch die lateinische Schrift mit Son‐

derzeichen ersetzt worden wohl nach diesem Vorbild in der Sowjetunion

ebenfalls Ende der zwanziger Jahre ebenfalls durch Antiqua schon im

2 Weltkrieg schlieszliglich durch die kyrillische Schrift Inzwischen foumlrdert der

wieder erstarkte Islam Bestrebungen die arabische Schrift dort wieder einzu‐

fuumlhren wo sie durch andere Schriften verdraumlngt worden ist

6 Schluszligbetrachtung

Bedingt durch die Vielfalt der Voumllker und Religionen in Europa haben sich

verschiedene Kulturen und im Rahmen dieser Kulturen verschiedene Spra‐

chen und auch Schriften entwickelt Die phoumlnikische Schrift ist die Stammutter

aller europaumlischen Schriften Je nach Wesensart Koumlnnen und Geschmack der

Schriftschoumlpfer ist sie recht unterschiedlich weiterentwickelt worden Als Er‐

gebnisse sind unter anderem die kuumlhle monumentale Antiqua die schlichte

Abb 4

Europaumlische Buchschriften im 19 Jahrhundert [10]

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

16

Grotesk die kuumlnstlerisch beschwingte Fraktur die flott geschriebene arabische

Schrift und die kyrillische Schrift entstanden

Zur bdquodeutschen Schriftldquo gehoumlren im weiteren Sinne alle gebrochenen Schrif‐

ten im engeren Sinne Schwabacher Fraktur Gebrochene Grotesk und die

spitze deutsche Schreibschrift Die genannten Schriften sind mit den heute ge‐

braumluchlichen runden Schriften eng verwandt und fuumlr den frakturungewohn‐

ten Leser bei durchschnittlicher Begabung und mit etwas Fleiszlig nach kurzer

Einlesezeit lesbar Die Fraktur ist eine von neun Werkschriften die in der Mit‐

te des 19 Jahrhunderts in Europa noch gebraumluchlich waren Es waumlre bedauer‐

lich wenn sie aus modischen technischen und wirtschaftlichen Gruumlnden auf

dem Altar der Vereinheitlichung und kulturellen Verflachung geopfert wuumlrde

Wichtigstes Schrifttum

[1] bdquoBrockhaus‐Enzyklopaumldieldquo 17 Aufl Wiesbaden 1975 unter den einschlaumlgigen Stich‐

woumlrtern insbesondere die Erlaumluterungen im 21 Band auf S IX

[2] bdquoMeyers Konversations‐Lexikonldquo 5 Aufl 1895 ndash 1897

[3] Wolfgang Hendlmeier bdquoVon den Mundarten zur Hochspracheldquo in Hans Riegelmann

bdquoVon deutscher Sprache und Schriftldquo Bremen 1993 S 21

[4] Wolfgang Hendlmeier bdquoDie Pflege der deutschen Sprache ndash einst und heuteldquo in Hans

Riegelmann bdquoVon deutscher Sprache und Schriftldquo Bremen 1993 S 31

[5] Wolfgang Hendlmeier bdquoViele Sprachen werden aussterbenldquo in bdquoDie deutsche Schriftldquo

Heft 11994 S 4

[6] Wolfgang Hendlmeier bdquoVon bedrohten Sprachen und sterbenden Voumllkernldquo in bdquoDie

deutsche Schriftldquo Heft 21994 S 37

[7] Wolfgang Hendlmeier bdquoDie Rechtschreibreform ndash Ein Anschlag auf die deutsche Spra‐

cheldquo in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 41997 S 83

[8] Wolfgang Hendlmeier und Gerhard Helzel bdquoSonderzeichen europaumlischer Sprachen des

lateinischen Schriftenkreisesldquo in in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 21995 S 138

[9] Werner Koumlnig bdquoAtlas zur deutschen Spracheldquo 5 Aufl dtv‐Verlag Muumlnchen 1983

[10] Artur Wohe bdquoVielfalt der Sprachen und Schriften in Europa ndash Buumlrde oder Reichtumldquo

in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 31990 S 83 dort weitere Literaturhinweise

[11] Wolfgang Hendlmeier bdquoKunstwerke der Schriftldquo 3 Aufl Hannover 1994 S 89

[12] Gerhard Quast Bedrohte Sprachen sterbende Voumllker in bdquoJunge Freiheitldquo Nr 121994

[13] httpdewikipediaorgwikiGriechische_Sprachfrage

[14] httpdewikipediaorgwikiKyrillisches_Alphabet

Stand 18072013

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Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

12

Abb 2

Beispiele von Buchschriften aus Europa und Randgebieten [10]

Alle Sprach‐ und Schriftbeispiele mit Ausnahme der kalmuumlckischen Sprache

in oiratischer Schrift geben die Aussage wieder Am Beginn houmlherer Kultur steht die Schrift

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

13

Streng genommen ist nach der Fraktur noch eine allerjuumlngste Werkschrift ent‐

standen naumlmlich die schlichte gotische Schrift oder die Gebrochene Grotesk

Das aumllteste Mitglied dieser Schriftfamilie ist die Wieynck‐Werkschrift Profes‐

sor Heinrich Wieynck hat sie 1930 entworfen In den dreiszligiger Jahren haben

sie viele Schriftkuumlnstler nachempfunden denn mit Wieynck waren damals

viele der Meinung die Fraktur mit ihren Schnoumlrkeln passe nicht in das techni‐

sche Zeitalter dessen Aussehen damals beispielgebend der schmucklos‐

nuumlchterne Bauhausstil zeigte Die Neuerer gestalteten um einen vollstaumlndigen

Ersatz der Fraktur durch Antiqua und Grotesk zu verhindern die gebroche‐

nen Schriften schlichter erreichten ihr Ziel aber nicht Stilistisch nahmen die

gebrochenen Groteskschriften die recht konstruiert wirken bei den damals

stark im Gespraumlch befindlichen Runen und der Staumlbchenschrift Anleihen Letz‐

tere entstand dadurch daszlig die Schuumller zum Erlernen der Antiqua jeden Buch‐

staben aus Staumlbchen zusammensetzen sollten Den gebrochenen Groteskschrif‐

ten zB der Tannenberg National und anderen Schriften mit betont national

klingenden Namen fehlen jegliche Rundungen Sie konnten sich vor dem

Frakturverbot nicht mehr als Werksatzschriften durchsetzen Nur fuumlr Aus‐

zeichnungszwecke verwendete man sie damals gelegentlich Schriftbeispiele

aller abendlaumlndischen Schriften und ihren Stammbaum zeigt Abb 3

Die kyrillische Schrift seit dem 10 Jahrhundert gebraumluchlich geht auf die im

9 Jahrhundert durch den Slawenapostel Kyrill (826 ‐ 869) aus der griechischen

Schrift abgeleitete glagolitische Schrift (Glagoliza) zuruumlck die sich als eckige

kroatische oder illyrische Glagoliza noch bis ins 19 Jahrhundert im kroati‐

schen Insel‐ und Kuumlstenraum als Kirchenschrift hielt Nach dem 1 Weltkrieg

hat die kyrillische Schrift in der Sowjetunion eine deutliche Vergroumlszligerung ih‐

res Verbreitungsgebietes erfahren da die Wiedergabe der fruumlher durch arabi‐

sche Schriftzeichen ab den zwanziger Jahren durch Antiqua dargestellten

Sprachen seit 193940 in kyrillischer Schrift erfolgt

Die im Mathematikunterricht und im Griechischunterricht an den humanisti‐

schen Gymnasien gelehrte griechische Schrift die auch im heutigen Griechen‐

land verwendet wird hat ihren unmittelbaren Vorlaumlufer in der geschriebenen

griechischen Minuskel des 13 Jahrhunderts Dagegen waumlren heute die griechi‐

schen Handschriften des Altertums fuumlr jeden Gymnasiasten und wohl auch

fuumlr die meisten Altphilologen unleserlich

Im oumlstlichen Europa am Westufer des Kaspischen Meeres leben die im 17

Jahrhundert aus dem Osten zugewanderten Kalmuumlcken Sie verwendeten

noch im 19 Jahrhundert die 1648 von Dschaja Pandita geschaffene oiratische

Schrift Sie geht auf die im 11 Jahrhundert in Anlehnung an das syrische Al‐

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

14

phabet entstandene mongolische Schrift zuruumlck Merkwuumlrdig an dieser Schrift

ist daszlig sie in Spalten von oben nach unten geschrieben wird aber nach Dre‐

hung um 90deg von rechts nach links zu lesen ist Im 20 Jahrhundert ersetzten

die Kalmuumlcken ihre eigene Schrift zunaumlchst durch Antiqua dann durch die

kyrillische Schrift

Durch den Islam kam die arabische Schrift auch in die oumlstlichen Randgebiete

Europas Diese wird zur Wiedergabe der arabischen Sprachen und sie wurde

jahrhundertelang auch zur Wiedergabe der Turksprachen im Osmanischen

Reich und im Zarenreich verwendet also in den Gebieten die den islamischen

Glauben angenommen hatten Trotz ihres von den abendlaumlndischen Schriften

und der kyrillischen Schrift sehr verschiedenen Aussehens hat die arabische

Schrift die gleiche Wurzel naumlmlich die phoumlnikische Schrift aus der sich die

aramaumlische und im 6 Jahrhundert die arabische Schrift entwickelt hat

Abb 3

Stammtafel der Schriften des lateinischen Schriftenkreises

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

15

Infolge der Umwaumllzungen nach dem 1 Weltkrieg ist die arabische Schrift als

Alltags‐Werkschrift in der Tuumlrkei 1928 durch die lateinische Schrift mit Son‐

derzeichen ersetzt worden wohl nach diesem Vorbild in der Sowjetunion

ebenfalls Ende der zwanziger Jahre ebenfalls durch Antiqua schon im

2 Weltkrieg schlieszliglich durch die kyrillische Schrift Inzwischen foumlrdert der

wieder erstarkte Islam Bestrebungen die arabische Schrift dort wieder einzu‐

fuumlhren wo sie durch andere Schriften verdraumlngt worden ist

6 Schluszligbetrachtung

Bedingt durch die Vielfalt der Voumllker und Religionen in Europa haben sich

verschiedene Kulturen und im Rahmen dieser Kulturen verschiedene Spra‐

chen und auch Schriften entwickelt Die phoumlnikische Schrift ist die Stammutter

aller europaumlischen Schriften Je nach Wesensart Koumlnnen und Geschmack der

Schriftschoumlpfer ist sie recht unterschiedlich weiterentwickelt worden Als Er‐

gebnisse sind unter anderem die kuumlhle monumentale Antiqua die schlichte

Abb 4

Europaumlische Buchschriften im 19 Jahrhundert [10]

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

16

Grotesk die kuumlnstlerisch beschwingte Fraktur die flott geschriebene arabische

Schrift und die kyrillische Schrift entstanden

Zur bdquodeutschen Schriftldquo gehoumlren im weiteren Sinne alle gebrochenen Schrif‐

ten im engeren Sinne Schwabacher Fraktur Gebrochene Grotesk und die

spitze deutsche Schreibschrift Die genannten Schriften sind mit den heute ge‐

braumluchlichen runden Schriften eng verwandt und fuumlr den frakturungewohn‐

ten Leser bei durchschnittlicher Begabung und mit etwas Fleiszlig nach kurzer

Einlesezeit lesbar Die Fraktur ist eine von neun Werkschriften die in der Mit‐

te des 19 Jahrhunderts in Europa noch gebraumluchlich waren Es waumlre bedauer‐

lich wenn sie aus modischen technischen und wirtschaftlichen Gruumlnden auf

dem Altar der Vereinheitlichung und kulturellen Verflachung geopfert wuumlrde

Wichtigstes Schrifttum

[1] bdquoBrockhaus‐Enzyklopaumldieldquo 17 Aufl Wiesbaden 1975 unter den einschlaumlgigen Stich‐

woumlrtern insbesondere die Erlaumluterungen im 21 Band auf S IX

[2] bdquoMeyers Konversations‐Lexikonldquo 5 Aufl 1895 ndash 1897

[3] Wolfgang Hendlmeier bdquoVon den Mundarten zur Hochspracheldquo in Hans Riegelmann

bdquoVon deutscher Sprache und Schriftldquo Bremen 1993 S 21

[4] Wolfgang Hendlmeier bdquoDie Pflege der deutschen Sprache ndash einst und heuteldquo in Hans

Riegelmann bdquoVon deutscher Sprache und Schriftldquo Bremen 1993 S 31

[5] Wolfgang Hendlmeier bdquoViele Sprachen werden aussterbenldquo in bdquoDie deutsche Schriftldquo

Heft 11994 S 4

[6] Wolfgang Hendlmeier bdquoVon bedrohten Sprachen und sterbenden Voumllkernldquo in bdquoDie

deutsche Schriftldquo Heft 21994 S 37

[7] Wolfgang Hendlmeier bdquoDie Rechtschreibreform ndash Ein Anschlag auf die deutsche Spra‐

cheldquo in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 41997 S 83

[8] Wolfgang Hendlmeier und Gerhard Helzel bdquoSonderzeichen europaumlischer Sprachen des

lateinischen Schriftenkreisesldquo in in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 21995 S 138

[9] Werner Koumlnig bdquoAtlas zur deutschen Spracheldquo 5 Aufl dtv‐Verlag Muumlnchen 1983

[10] Artur Wohe bdquoVielfalt der Sprachen und Schriften in Europa ndash Buumlrde oder Reichtumldquo

in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 31990 S 83 dort weitere Literaturhinweise

[11] Wolfgang Hendlmeier bdquoKunstwerke der Schriftldquo 3 Aufl Hannover 1994 S 89

[12] Gerhard Quast Bedrohte Sprachen sterbende Voumllker in bdquoJunge Freiheitldquo Nr 121994

[13] httpdewikipediaorgwikiGriechische_Sprachfrage

[14] httpdewikipediaorgwikiKyrillisches_Alphabet

Stand 18072013

Page 13: Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa - … · 2 Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa Von ... nahme in die Vereinten Nationen nicht auf Deutsch als Amtssprache

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

13

Streng genommen ist nach der Fraktur noch eine allerjuumlngste Werkschrift ent‐

standen naumlmlich die schlichte gotische Schrift oder die Gebrochene Grotesk

Das aumllteste Mitglied dieser Schriftfamilie ist die Wieynck‐Werkschrift Profes‐

sor Heinrich Wieynck hat sie 1930 entworfen In den dreiszligiger Jahren haben

sie viele Schriftkuumlnstler nachempfunden denn mit Wieynck waren damals

viele der Meinung die Fraktur mit ihren Schnoumlrkeln passe nicht in das techni‐

sche Zeitalter dessen Aussehen damals beispielgebend der schmucklos‐

nuumlchterne Bauhausstil zeigte Die Neuerer gestalteten um einen vollstaumlndigen

Ersatz der Fraktur durch Antiqua und Grotesk zu verhindern die gebroche‐

nen Schriften schlichter erreichten ihr Ziel aber nicht Stilistisch nahmen die

gebrochenen Groteskschriften die recht konstruiert wirken bei den damals

stark im Gespraumlch befindlichen Runen und der Staumlbchenschrift Anleihen Letz‐

tere entstand dadurch daszlig die Schuumller zum Erlernen der Antiqua jeden Buch‐

staben aus Staumlbchen zusammensetzen sollten Den gebrochenen Groteskschrif‐

ten zB der Tannenberg National und anderen Schriften mit betont national

klingenden Namen fehlen jegliche Rundungen Sie konnten sich vor dem

Frakturverbot nicht mehr als Werksatzschriften durchsetzen Nur fuumlr Aus‐

zeichnungszwecke verwendete man sie damals gelegentlich Schriftbeispiele

aller abendlaumlndischen Schriften und ihren Stammbaum zeigt Abb 3

Die kyrillische Schrift seit dem 10 Jahrhundert gebraumluchlich geht auf die im

9 Jahrhundert durch den Slawenapostel Kyrill (826 ‐ 869) aus der griechischen

Schrift abgeleitete glagolitische Schrift (Glagoliza) zuruumlck die sich als eckige

kroatische oder illyrische Glagoliza noch bis ins 19 Jahrhundert im kroati‐

schen Insel‐ und Kuumlstenraum als Kirchenschrift hielt Nach dem 1 Weltkrieg

hat die kyrillische Schrift in der Sowjetunion eine deutliche Vergroumlszligerung ih‐

res Verbreitungsgebietes erfahren da die Wiedergabe der fruumlher durch arabi‐

sche Schriftzeichen ab den zwanziger Jahren durch Antiqua dargestellten

Sprachen seit 193940 in kyrillischer Schrift erfolgt

Die im Mathematikunterricht und im Griechischunterricht an den humanisti‐

schen Gymnasien gelehrte griechische Schrift die auch im heutigen Griechen‐

land verwendet wird hat ihren unmittelbaren Vorlaumlufer in der geschriebenen

griechischen Minuskel des 13 Jahrhunderts Dagegen waumlren heute die griechi‐

schen Handschriften des Altertums fuumlr jeden Gymnasiasten und wohl auch

fuumlr die meisten Altphilologen unleserlich

Im oumlstlichen Europa am Westufer des Kaspischen Meeres leben die im 17

Jahrhundert aus dem Osten zugewanderten Kalmuumlcken Sie verwendeten

noch im 19 Jahrhundert die 1648 von Dschaja Pandita geschaffene oiratische

Schrift Sie geht auf die im 11 Jahrhundert in Anlehnung an das syrische Al‐

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

14

phabet entstandene mongolische Schrift zuruumlck Merkwuumlrdig an dieser Schrift

ist daszlig sie in Spalten von oben nach unten geschrieben wird aber nach Dre‐

hung um 90deg von rechts nach links zu lesen ist Im 20 Jahrhundert ersetzten

die Kalmuumlcken ihre eigene Schrift zunaumlchst durch Antiqua dann durch die

kyrillische Schrift

Durch den Islam kam die arabische Schrift auch in die oumlstlichen Randgebiete

Europas Diese wird zur Wiedergabe der arabischen Sprachen und sie wurde

jahrhundertelang auch zur Wiedergabe der Turksprachen im Osmanischen

Reich und im Zarenreich verwendet also in den Gebieten die den islamischen

Glauben angenommen hatten Trotz ihres von den abendlaumlndischen Schriften

und der kyrillischen Schrift sehr verschiedenen Aussehens hat die arabische

Schrift die gleiche Wurzel naumlmlich die phoumlnikische Schrift aus der sich die

aramaumlische und im 6 Jahrhundert die arabische Schrift entwickelt hat

Abb 3

Stammtafel der Schriften des lateinischen Schriftenkreises

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

15

Infolge der Umwaumllzungen nach dem 1 Weltkrieg ist die arabische Schrift als

Alltags‐Werkschrift in der Tuumlrkei 1928 durch die lateinische Schrift mit Son‐

derzeichen ersetzt worden wohl nach diesem Vorbild in der Sowjetunion

ebenfalls Ende der zwanziger Jahre ebenfalls durch Antiqua schon im

2 Weltkrieg schlieszliglich durch die kyrillische Schrift Inzwischen foumlrdert der

wieder erstarkte Islam Bestrebungen die arabische Schrift dort wieder einzu‐

fuumlhren wo sie durch andere Schriften verdraumlngt worden ist

6 Schluszligbetrachtung

Bedingt durch die Vielfalt der Voumllker und Religionen in Europa haben sich

verschiedene Kulturen und im Rahmen dieser Kulturen verschiedene Spra‐

chen und auch Schriften entwickelt Die phoumlnikische Schrift ist die Stammutter

aller europaumlischen Schriften Je nach Wesensart Koumlnnen und Geschmack der

Schriftschoumlpfer ist sie recht unterschiedlich weiterentwickelt worden Als Er‐

gebnisse sind unter anderem die kuumlhle monumentale Antiqua die schlichte

Abb 4

Europaumlische Buchschriften im 19 Jahrhundert [10]

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

16

Grotesk die kuumlnstlerisch beschwingte Fraktur die flott geschriebene arabische

Schrift und die kyrillische Schrift entstanden

Zur bdquodeutschen Schriftldquo gehoumlren im weiteren Sinne alle gebrochenen Schrif‐

ten im engeren Sinne Schwabacher Fraktur Gebrochene Grotesk und die

spitze deutsche Schreibschrift Die genannten Schriften sind mit den heute ge‐

braumluchlichen runden Schriften eng verwandt und fuumlr den frakturungewohn‐

ten Leser bei durchschnittlicher Begabung und mit etwas Fleiszlig nach kurzer

Einlesezeit lesbar Die Fraktur ist eine von neun Werkschriften die in der Mit‐

te des 19 Jahrhunderts in Europa noch gebraumluchlich waren Es waumlre bedauer‐

lich wenn sie aus modischen technischen und wirtschaftlichen Gruumlnden auf

dem Altar der Vereinheitlichung und kulturellen Verflachung geopfert wuumlrde

Wichtigstes Schrifttum

[1] bdquoBrockhaus‐Enzyklopaumldieldquo 17 Aufl Wiesbaden 1975 unter den einschlaumlgigen Stich‐

woumlrtern insbesondere die Erlaumluterungen im 21 Band auf S IX

[2] bdquoMeyers Konversations‐Lexikonldquo 5 Aufl 1895 ndash 1897

[3] Wolfgang Hendlmeier bdquoVon den Mundarten zur Hochspracheldquo in Hans Riegelmann

bdquoVon deutscher Sprache und Schriftldquo Bremen 1993 S 21

[4] Wolfgang Hendlmeier bdquoDie Pflege der deutschen Sprache ndash einst und heuteldquo in Hans

Riegelmann bdquoVon deutscher Sprache und Schriftldquo Bremen 1993 S 31

[5] Wolfgang Hendlmeier bdquoViele Sprachen werden aussterbenldquo in bdquoDie deutsche Schriftldquo

Heft 11994 S 4

[6] Wolfgang Hendlmeier bdquoVon bedrohten Sprachen und sterbenden Voumllkernldquo in bdquoDie

deutsche Schriftldquo Heft 21994 S 37

[7] Wolfgang Hendlmeier bdquoDie Rechtschreibreform ndash Ein Anschlag auf die deutsche Spra‐

cheldquo in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 41997 S 83

[8] Wolfgang Hendlmeier und Gerhard Helzel bdquoSonderzeichen europaumlischer Sprachen des

lateinischen Schriftenkreisesldquo in in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 21995 S 138

[9] Werner Koumlnig bdquoAtlas zur deutschen Spracheldquo 5 Aufl dtv‐Verlag Muumlnchen 1983

[10] Artur Wohe bdquoVielfalt der Sprachen und Schriften in Europa ndash Buumlrde oder Reichtumldquo

in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 31990 S 83 dort weitere Literaturhinweise

[11] Wolfgang Hendlmeier bdquoKunstwerke der Schriftldquo 3 Aufl Hannover 1994 S 89

[12] Gerhard Quast Bedrohte Sprachen sterbende Voumllker in bdquoJunge Freiheitldquo Nr 121994

[13] httpdewikipediaorgwikiGriechische_Sprachfrage

[14] httpdewikipediaorgwikiKyrillisches_Alphabet

Stand 18072013

Page 14: Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa - … · 2 Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa Von ... nahme in die Vereinten Nationen nicht auf Deutsch als Amtssprache

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

14

phabet entstandene mongolische Schrift zuruumlck Merkwuumlrdig an dieser Schrift

ist daszlig sie in Spalten von oben nach unten geschrieben wird aber nach Dre‐

hung um 90deg von rechts nach links zu lesen ist Im 20 Jahrhundert ersetzten

die Kalmuumlcken ihre eigene Schrift zunaumlchst durch Antiqua dann durch die

kyrillische Schrift

Durch den Islam kam die arabische Schrift auch in die oumlstlichen Randgebiete

Europas Diese wird zur Wiedergabe der arabischen Sprachen und sie wurde

jahrhundertelang auch zur Wiedergabe der Turksprachen im Osmanischen

Reich und im Zarenreich verwendet also in den Gebieten die den islamischen

Glauben angenommen hatten Trotz ihres von den abendlaumlndischen Schriften

und der kyrillischen Schrift sehr verschiedenen Aussehens hat die arabische

Schrift die gleiche Wurzel naumlmlich die phoumlnikische Schrift aus der sich die

aramaumlische und im 6 Jahrhundert die arabische Schrift entwickelt hat

Abb 3

Stammtafel der Schriften des lateinischen Schriftenkreises

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

15

Infolge der Umwaumllzungen nach dem 1 Weltkrieg ist die arabische Schrift als

Alltags‐Werkschrift in der Tuumlrkei 1928 durch die lateinische Schrift mit Son‐

derzeichen ersetzt worden wohl nach diesem Vorbild in der Sowjetunion

ebenfalls Ende der zwanziger Jahre ebenfalls durch Antiqua schon im

2 Weltkrieg schlieszliglich durch die kyrillische Schrift Inzwischen foumlrdert der

wieder erstarkte Islam Bestrebungen die arabische Schrift dort wieder einzu‐

fuumlhren wo sie durch andere Schriften verdraumlngt worden ist

6 Schluszligbetrachtung

Bedingt durch die Vielfalt der Voumllker und Religionen in Europa haben sich

verschiedene Kulturen und im Rahmen dieser Kulturen verschiedene Spra‐

chen und auch Schriften entwickelt Die phoumlnikische Schrift ist die Stammutter

aller europaumlischen Schriften Je nach Wesensart Koumlnnen und Geschmack der

Schriftschoumlpfer ist sie recht unterschiedlich weiterentwickelt worden Als Er‐

gebnisse sind unter anderem die kuumlhle monumentale Antiqua die schlichte

Abb 4

Europaumlische Buchschriften im 19 Jahrhundert [10]

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

16

Grotesk die kuumlnstlerisch beschwingte Fraktur die flott geschriebene arabische

Schrift und die kyrillische Schrift entstanden

Zur bdquodeutschen Schriftldquo gehoumlren im weiteren Sinne alle gebrochenen Schrif‐

ten im engeren Sinne Schwabacher Fraktur Gebrochene Grotesk und die

spitze deutsche Schreibschrift Die genannten Schriften sind mit den heute ge‐

braumluchlichen runden Schriften eng verwandt und fuumlr den frakturungewohn‐

ten Leser bei durchschnittlicher Begabung und mit etwas Fleiszlig nach kurzer

Einlesezeit lesbar Die Fraktur ist eine von neun Werkschriften die in der Mit‐

te des 19 Jahrhunderts in Europa noch gebraumluchlich waren Es waumlre bedauer‐

lich wenn sie aus modischen technischen und wirtschaftlichen Gruumlnden auf

dem Altar der Vereinheitlichung und kulturellen Verflachung geopfert wuumlrde

Wichtigstes Schrifttum

[1] bdquoBrockhaus‐Enzyklopaumldieldquo 17 Aufl Wiesbaden 1975 unter den einschlaumlgigen Stich‐

woumlrtern insbesondere die Erlaumluterungen im 21 Band auf S IX

[2] bdquoMeyers Konversations‐Lexikonldquo 5 Aufl 1895 ndash 1897

[3] Wolfgang Hendlmeier bdquoVon den Mundarten zur Hochspracheldquo in Hans Riegelmann

bdquoVon deutscher Sprache und Schriftldquo Bremen 1993 S 21

[4] Wolfgang Hendlmeier bdquoDie Pflege der deutschen Sprache ndash einst und heuteldquo in Hans

Riegelmann bdquoVon deutscher Sprache und Schriftldquo Bremen 1993 S 31

[5] Wolfgang Hendlmeier bdquoViele Sprachen werden aussterbenldquo in bdquoDie deutsche Schriftldquo

Heft 11994 S 4

[6] Wolfgang Hendlmeier bdquoVon bedrohten Sprachen und sterbenden Voumllkernldquo in bdquoDie

deutsche Schriftldquo Heft 21994 S 37

[7] Wolfgang Hendlmeier bdquoDie Rechtschreibreform ndash Ein Anschlag auf die deutsche Spra‐

cheldquo in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 41997 S 83

[8] Wolfgang Hendlmeier und Gerhard Helzel bdquoSonderzeichen europaumlischer Sprachen des

lateinischen Schriftenkreisesldquo in in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 21995 S 138

[9] Werner Koumlnig bdquoAtlas zur deutschen Spracheldquo 5 Aufl dtv‐Verlag Muumlnchen 1983

[10] Artur Wohe bdquoVielfalt der Sprachen und Schriften in Europa ndash Buumlrde oder Reichtumldquo

in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 31990 S 83 dort weitere Literaturhinweise

[11] Wolfgang Hendlmeier bdquoKunstwerke der Schriftldquo 3 Aufl Hannover 1994 S 89

[12] Gerhard Quast Bedrohte Sprachen sterbende Voumllker in bdquoJunge Freiheitldquo Nr 121994

[13] httpdewikipediaorgwikiGriechische_Sprachfrage

[14] httpdewikipediaorgwikiKyrillisches_Alphabet

Stand 18072013

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Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

15

Infolge der Umwaumllzungen nach dem 1 Weltkrieg ist die arabische Schrift als

Alltags‐Werkschrift in der Tuumlrkei 1928 durch die lateinische Schrift mit Son‐

derzeichen ersetzt worden wohl nach diesem Vorbild in der Sowjetunion

ebenfalls Ende der zwanziger Jahre ebenfalls durch Antiqua schon im

2 Weltkrieg schlieszliglich durch die kyrillische Schrift Inzwischen foumlrdert der

wieder erstarkte Islam Bestrebungen die arabische Schrift dort wieder einzu‐

fuumlhren wo sie durch andere Schriften verdraumlngt worden ist

6 Schluszligbetrachtung

Bedingt durch die Vielfalt der Voumllker und Religionen in Europa haben sich

verschiedene Kulturen und im Rahmen dieser Kulturen verschiedene Spra‐

chen und auch Schriften entwickelt Die phoumlnikische Schrift ist die Stammutter

aller europaumlischen Schriften Je nach Wesensart Koumlnnen und Geschmack der

Schriftschoumlpfer ist sie recht unterschiedlich weiterentwickelt worden Als Er‐

gebnisse sind unter anderem die kuumlhle monumentale Antiqua die schlichte

Abb 4

Europaumlische Buchschriften im 19 Jahrhundert [10]

Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

16

Grotesk die kuumlnstlerisch beschwingte Fraktur die flott geschriebene arabische

Schrift und die kyrillische Schrift entstanden

Zur bdquodeutschen Schriftldquo gehoumlren im weiteren Sinne alle gebrochenen Schrif‐

ten im engeren Sinne Schwabacher Fraktur Gebrochene Grotesk und die

spitze deutsche Schreibschrift Die genannten Schriften sind mit den heute ge‐

braumluchlichen runden Schriften eng verwandt und fuumlr den frakturungewohn‐

ten Leser bei durchschnittlicher Begabung und mit etwas Fleiszlig nach kurzer

Einlesezeit lesbar Die Fraktur ist eine von neun Werkschriften die in der Mit‐

te des 19 Jahrhunderts in Europa noch gebraumluchlich waren Es waumlre bedauer‐

lich wenn sie aus modischen technischen und wirtschaftlichen Gruumlnden auf

dem Altar der Vereinheitlichung und kulturellen Verflachung geopfert wuumlrde

Wichtigstes Schrifttum

[1] bdquoBrockhaus‐Enzyklopaumldieldquo 17 Aufl Wiesbaden 1975 unter den einschlaumlgigen Stich‐

woumlrtern insbesondere die Erlaumluterungen im 21 Band auf S IX

[2] bdquoMeyers Konversations‐Lexikonldquo 5 Aufl 1895 ndash 1897

[3] Wolfgang Hendlmeier bdquoVon den Mundarten zur Hochspracheldquo in Hans Riegelmann

bdquoVon deutscher Sprache und Schriftldquo Bremen 1993 S 21

[4] Wolfgang Hendlmeier bdquoDie Pflege der deutschen Sprache ndash einst und heuteldquo in Hans

Riegelmann bdquoVon deutscher Sprache und Schriftldquo Bremen 1993 S 31

[5] Wolfgang Hendlmeier bdquoViele Sprachen werden aussterbenldquo in bdquoDie deutsche Schriftldquo

Heft 11994 S 4

[6] Wolfgang Hendlmeier bdquoVon bedrohten Sprachen und sterbenden Voumllkernldquo in bdquoDie

deutsche Schriftldquo Heft 21994 S 37

[7] Wolfgang Hendlmeier bdquoDie Rechtschreibreform ndash Ein Anschlag auf die deutsche Spra‐

cheldquo in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 41997 S 83

[8] Wolfgang Hendlmeier und Gerhard Helzel bdquoSonderzeichen europaumlischer Sprachen des

lateinischen Schriftenkreisesldquo in in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 21995 S 138

[9] Werner Koumlnig bdquoAtlas zur deutschen Spracheldquo 5 Aufl dtv‐Verlag Muumlnchen 1983

[10] Artur Wohe bdquoVielfalt der Sprachen und Schriften in Europa ndash Buumlrde oder Reichtumldquo

in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 31990 S 83 dort weitere Literaturhinweise

[11] Wolfgang Hendlmeier bdquoKunstwerke der Schriftldquo 3 Aufl Hannover 1994 S 89

[12] Gerhard Quast Bedrohte Sprachen sterbende Voumllker in bdquoJunge Freiheitldquo Nr 121994

[13] httpdewikipediaorgwikiGriechische_Sprachfrage

[14] httpdewikipediaorgwikiKyrillisches_Alphabet

Stand 18072013

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Die Vielfalt der Sprachen und Schriften in Europa

16

Grotesk die kuumlnstlerisch beschwingte Fraktur die flott geschriebene arabische

Schrift und die kyrillische Schrift entstanden

Zur bdquodeutschen Schriftldquo gehoumlren im weiteren Sinne alle gebrochenen Schrif‐

ten im engeren Sinne Schwabacher Fraktur Gebrochene Grotesk und die

spitze deutsche Schreibschrift Die genannten Schriften sind mit den heute ge‐

braumluchlichen runden Schriften eng verwandt und fuumlr den frakturungewohn‐

ten Leser bei durchschnittlicher Begabung und mit etwas Fleiszlig nach kurzer

Einlesezeit lesbar Die Fraktur ist eine von neun Werkschriften die in der Mit‐

te des 19 Jahrhunderts in Europa noch gebraumluchlich waren Es waumlre bedauer‐

lich wenn sie aus modischen technischen und wirtschaftlichen Gruumlnden auf

dem Altar der Vereinheitlichung und kulturellen Verflachung geopfert wuumlrde

Wichtigstes Schrifttum

[1] bdquoBrockhaus‐Enzyklopaumldieldquo 17 Aufl Wiesbaden 1975 unter den einschlaumlgigen Stich‐

woumlrtern insbesondere die Erlaumluterungen im 21 Band auf S IX

[2] bdquoMeyers Konversations‐Lexikonldquo 5 Aufl 1895 ndash 1897

[3] Wolfgang Hendlmeier bdquoVon den Mundarten zur Hochspracheldquo in Hans Riegelmann

bdquoVon deutscher Sprache und Schriftldquo Bremen 1993 S 21

[4] Wolfgang Hendlmeier bdquoDie Pflege der deutschen Sprache ndash einst und heuteldquo in Hans

Riegelmann bdquoVon deutscher Sprache und Schriftldquo Bremen 1993 S 31

[5] Wolfgang Hendlmeier bdquoViele Sprachen werden aussterbenldquo in bdquoDie deutsche Schriftldquo

Heft 11994 S 4

[6] Wolfgang Hendlmeier bdquoVon bedrohten Sprachen und sterbenden Voumllkernldquo in bdquoDie

deutsche Schriftldquo Heft 21994 S 37

[7] Wolfgang Hendlmeier bdquoDie Rechtschreibreform ndash Ein Anschlag auf die deutsche Spra‐

cheldquo in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 41997 S 83

[8] Wolfgang Hendlmeier und Gerhard Helzel bdquoSonderzeichen europaumlischer Sprachen des

lateinischen Schriftenkreisesldquo in in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 21995 S 138

[9] Werner Koumlnig bdquoAtlas zur deutschen Spracheldquo 5 Aufl dtv‐Verlag Muumlnchen 1983

[10] Artur Wohe bdquoVielfalt der Sprachen und Schriften in Europa ndash Buumlrde oder Reichtumldquo

in bdquoDie deutsche Schriftldquo Heft 31990 S 83 dort weitere Literaturhinweise

[11] Wolfgang Hendlmeier bdquoKunstwerke der Schriftldquo 3 Aufl Hannover 1994 S 89

[12] Gerhard Quast Bedrohte Sprachen sterbende Voumllker in bdquoJunge Freiheitldquo Nr 121994

[13] httpdewikipediaorgwikiGriechische_Sprachfrage

[14] httpdewikipediaorgwikiKyrillisches_Alphabet

Stand 18072013