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Hanna Barbara Hölling Die Wandelbarkeit von Objekten und Konzepten Zur Erhaltung von computerbasierten Medien am Beispiel von I/Eye* VDR – Die Vergänglichkeit des Materials – Fachtagung, Köln 2011 S. 129–149 von 173

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Hanna Barbara Hölling

Die Wandelbarkeit von Objekten und Konzepten

Zur Erhaltung von computerbasierten Medienam Beispiel von I/Eye*

VDR – Die Vergänglichkeit des Materials – Fachtagung, Köln 2011 S. 129–149 von 173

Zusammenfassung

Computerbasierte Kunst hat sich seit der Einführung vonComputergrafiken in den frühen 1970er Jahren entscheidendweiterentwickelt. In den vergangenen drei Jahrzehnten erfolgteeine radikale Veränderung hin zu komplexeren Anwendungen, dieunser Verständnis von technologischer Grenzziehung und von Aus-stellungsstandards und -ästhetiken verändert hat. Obwohl dieBewahrung von computerbasierten Werken dem Diskurs und derForschung zur Erhaltung von elektronischer und technologiebasier-ter Medienkunst viel verdankt, bedarf die Herangehensweise ancomputerbasierte Kunst weitergehender Untersuchungen. Die Be-wahrung dieser Kunstwerke unterscheidet sich von der herkömm-lichen Herangehensweise an traditionelle Medien. Eine singuläreArbeit in unterschiedlichen Zuständen führt zu Variationen undInstanziierungen an mehreren Orten. Manchmal führt auch dieWiederherstellung eines Kunstwerks zur Entstehung einer weiterenVersion. Unter diesen Bedingungen muss die Restaurierungsethikgrundlegend überdacht werden. Es ist zudem nicht unüblich, dassKünstler sich nicht nur als Autor, sondern auch für die Erhaltungihrer Arbeiten verantwortlich zeichnen.

Abstract

Versions, Variations, and Variability: Ethical Considerations andConservation Options for Computer-Based Art

Computer-based art has evolved considerably since the first imple-mentation of computer graphics in the early 1970s. In the pastthree decades, there has been a radical change towards more so-phisticated solutions that have modified our understanding oftechnological borderlines and the limits of display standards andaesthetics. Although the preservation of computer-based artifactsowes much to discourse and research done in the preservation ofelectronic and time-based media, the approach to computer-basedinstallations still calls for more exploration. That this topic hasattracted little attention so far is mainly due to the lack of specificexpertise at various institutions. The conservation of these art-works distinguishes itself from conventional approaches to tra-ditional media. A singular work in different states results in theemergence of variations and multi-locational instantiations thatcall into question established procedures. At times, an artwork’srecovery may lead to the fabrication of an additional version. Inlight of this, the ethics of conservation are subject to profound con-siderations. Moreover, it is not unusual that artists themselves actnot only as creators, but also as caretakers. Most importantly,in reference to conservation discourse and the decision-makingprocess – as is true with much of contemporary art (and in thispaper) – the artist is not only alive, the artist is involved.

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Einführung*

Seit dem Beginn der Fluxus-Bewegung in den 1960er Jahren undNam June Paiks Krönung zum Vater der Video-Kunst, haben sichdie audiovisuellen Medien weiter entwickelt und die Kunst-Szeneeingenommen. In der heutigen Kunst ist ihre allgegenwärtige Prä-senz offensichtlich; ohne Medienkunst wären künstlerische Prakti-ken, museale Sammlungen und kommerzielle Galerien kaum mehrvorstellbar. Mit der Entwicklung von neuen Technologien und derimmer kürzer werdenden Lebensdauer von Soft- und Hardware-ausstattungen wird auch nach neuen Herangehensweisen für ihreAnwendung und Wartung gesucht. Es ist nicht verwunderlich, dassdie Verbreitung von neuen elektronischen Medien zwangsläufigdie Frage nach ihrer Bewahrung mit sich bringt.

Verschiedene Diskurse konzentrierten sich auf die Bewahrungder rasch obsolet werdenden Formate und Formen, damit auch sievon dem heutigen und zukünftigen Publikum erfahren und ge-schätzt werden können. Schließlich wurde die komplexe Aufgabe,Strategien für die Bewahrung des technischen Kulturguts zu schaf-fen, Schwerpunkt zahlreicher Initiativen. Eine davon – das ObsoleteEquipment Project – ermöglichte der Autorin eine Forschungs-arbeit zur Bewahrung von computerbasierter Kunst sowie das Ver-fassen dieses Artikels.1

Anhand eines computerbasierten Kunstwerks, I/Eye (1993) von BillSpinhoven van Oosten (geboren 1956), das über das NetherlandsMedia Art Institute, Amsterdam (NIMk) verwaltet wird, beschäftigtsich dieser Artikel mit der komplexen Technologie dieser Arbeit. Eswerden Fragen nach dessen Wiederherstellung, Konservierung undRestaurierung gestellt. I/Eye ist aufgrund seiner wandelbaren, pro-zessbezogenen Eigenschaften, der immer wieder auftretenden Ob-soleszenz des Wiedergabesystems sowie aufgrund der fortwähren-den Eingriffe des Künstlers in die Entwicklung der Arbeit ein beson-ders komplexer Fall. Der ursprüngliche Aufbau von I/Eye wurdezum Zeitpunkt seiner Aufnahme in die Sammlung des NiMK wegenseines nicht eindeutigen Status erschwert. Dies lag zum Teil an derKomplexität der institutionellen Distributionsstrukturen sowie amAnkaufsverfahren. Während der ersten Jahre der Mediensamm-lung wurden mindestens vier technisch unterschiedlich ausgestat-tete Versionen und eine Vielzahl von ortsgebundenen Variationenvon I/Eye erstellt. Mittlerweile ist es das Ziel, die historische Funk-tionsweise von I/Eye zurückzugewinnen, indem die Arbeit wieder-hergestellt und dem Publikum in seiner ursprünglichen, aber zu-sätzlich in einer neueren digitalisierten und virtualisierten Formpräsentiert wird.

Im Folgenden wird der Leser/die Leserin durch die Biographie von

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* Dieser Artikel erschien erstmals 2013 in englischer Sprache unter dem Titel „Ver-sions, Variations, and Variability: Ethical Considerations and Conservation Optionsfor Computer-Based Art“ in: Electronic Media Review of the American Institute forConservation of Historic & Artistic Works, Vol. 2, Washington DC, 2013 S. 33–45.

I/Eye geführt. Dabei werden der veränderbare Charakter sowie diewesentlichen Eigenschaften der Arbeit beschrieben. Darüber hinauswird erläutert, warum computerbasierte Kunst bisher so wenig Auf-merksamkeit innerhalb der Fachwelt fand, wie das veränderlicheWesen computerbasierter Kunst den institutionellen Beschränkun-gen angepasst werden muss und inwiefern fortwährend entstehen-de neue Versionen die Restaurierungsethik herausfordern. Schluss-endlich wird aufgezeigt werden, wie die Wiederherstellung von I/Eyebewältigt wurde und welche Möglichkeiten für seine zukünftigeExistenz bestehen.

Herausforderungen imUmgang mit computerbasierter Kunst

Die Tatsache, dass die Bewahrung und Präsentation von computer-basierter Kunst bisher so wenig Aufmerksamkeit erhielt, liegthauptsächlich am Mangel fachlicher Kompetenz in den Institutio-nen und unter den Verantwortlichen. Kuratorisches und kunstge-schichtliches Wissen über neue Medien muss erweitert werden, umneue Klassifizierungen aufnehmen zu können, welche Interaktivi-tät, Konnektivität sowie Berechenbarkeit einbeziehen.2 Die Ten-denz, diese Kunstformen von bild- und objektorientierter Kunst zuisolieren, oder ihre „Ghettoisierung” in den Galerien versinnbild-licht die oft problematische Beziehung, die Institutionen diesenArbeiten gegenüber haben.3

Seit jeher sind technische Kompetenzen zur Wartung und Be-wahrung von computerbasierten Werken Mangelware und werdenwenig geschätzt. Oftmals ist es die technische Komplexität, dieden Zugang sowie das Verständnis der Funktionsweise und der Be-sonderheit dieser Werke erschwert. Als Folge werden nur wenigecomputerbasierte Kunstwerke in öffentliche Sammlungen aufge-nommen und noch weniger gelangen in private Sammlungen.

Variabilität scheint der Computertechnik von Anfang an inhärentgewesen zu sein.4 Die größte Herausforderung in der Bewahrungvon computerbasierter Kunst besteht jedoch darin, bei einem Werkabzuwägen; zwischen der Bedeutung des technischen Mechanis-mus, dem konzeptionellen Inhalt und der Übertragung in eineästhetische Äußerung.5

Ein weiterer Grund, warum quellencodebasierte Kunst so wenigAufmerksamkeit in den Museen erhält, ist möglicherweise auch derTatsache geschuldet, dass die Künstler nicht nur die kreative Autor-schaft behalten, sondern auch die Aufgabe des Technikers über-nehmen, wenn es um die Neuinstallation, Anpassungen, Anord-nung und Pflege ihrer Arbeiten geht.

Institutionen glauben, dass eine einwandfreie Performance com-puterbasierter Kunst nur dann gewährleistet werden kann, wennder Künstler in einer gemeinschaftlichen und synergetischenZusammenarbeit einbezogen ist. Diese Zusammenarbeit ist vonunschätzbarem Wert und als Quelle kulturellen, sozialen und tech-

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nischen Wissens sehr bedeutend. Damit wird aber auch die tradi-tionelle Herangehensweise von Restauratoren in Frage gestellt,deren Auftrag in der Regel darin gesehen wird, den originalen oderauthentischen Zustand eines Kunstwerkes zu bewahren. Die Res-taurierungsethik, die das Berufsbild in den vergangenen fünfzigJahren geprägt hat, muss in Anbetracht der Vielzahl von computer-basierten Installationen überdacht und angepasst werden. DerRuf nach unterschiedlichen Herangehensweisen löst aber häufighitzige Diskussionen innerhalb der Restaurierungsfachwelt aus.

Über die Integrität und Variabilitätvon computerbasierter Kunst

Der Begriff „computerbasierte Kunst“ ist weit gefasst und schwerauf eine einzige Definition zu reduzieren. In einer Zeit rasanter Wei-terentwicklungen der neuen Medien und dem ständigem Wandelcodierter Informationen im Internet, erfährt fast jede Kunstinstalla-tion zu irgendeinem Zeitpunkt ihrer Entwicklung oder Präsentationeine strukturelle oder konzeptuelle Veränderung.

Anders als netz- oder quellcodebasierte und computergenerierteKunst erzeugt computerbasierte Kunst künstlerische Inhalte mittelsComputer-Technologien ohne besonderen Wert auf das Technik-equipment, die Netzwerkumgebung oder die Sprache des Quell-codes zu legen. Mit anderen Worten bedeutet dies, dass das Com-putergerät als technischer Träger dient, welcher an der Entstehungdes ästhetischen Inhaltes des Kunstwerks beteiligt sein kann – diesaber nicht unbedingt muss. In dem Fall von I/Eye ist die ästhetischeForm des visuellen Ergebnisses nicht ausschließlich von der Ver-wendung einer bestimmten Technologie abhängig. Dennoch lenktdie Computertechnologie die Wiedergabe des digitalen Bildinhal-tes und bildet damit das Kernstück oder die Logik des Kunstwerks.6

Als allgemeine Regel gilt, dass computerbasierte Kunstwerke ausDateien, einem Betriebssystem, Soft- und Hardware bestehen. Beinäherer Betrachtung kann die Software aus einem Quellcode, dermehrere Generationen umfasst, bestehen und Anmerkungen desUrhebers sowie, falls mehr als ein Urheber vorhanden, technischeKorrespondenzen in den Quellcode-Dateien aufweisen. Die Hard-ware beinhaltet den Computer mit einem oder mehreren Prozesso-ren, die mit einem Maschinencode betrieben werden sowie mög-liche Modifikationen, wie einen Oscillator, ein Motherboard und inälteren Geräten ein Diskettenlaufwerk und eine Diskette, von derdas System gestartet wird. Zusätzliche Elemente wie Kamera, Digi-talisiergerät, Monitor(e) und zuletzt das Gehäuse des Equipmentssind integrale Bestandteile des Kunstwerkes und spielen eine ent-scheidende Rolle in der Beschreibung seiner Eigenschaften.

Im Gegensatz zu den meisten traditionellen Kunstwerken, derenAuthentizität oder Originalität den Ausgangspunkt für die Beurtei-lung des Zustandes bilden, beruht die Methode zur Erfassung com-

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puterbasierter Kunst auf dem komplexen Begriff der Integrität. DieIntegrität von computerbasierten Installationen hängt von denHard- und Softwarekomponenten ab. Die konzeptionelle Integritätumfasst die Beziehung einer Arbeit zu den angewendeten Verfah-ren oder Technologien und das soziale und kulturelle Umfeld seinerEntstehung. Ästhetische Integrität umfasst das Aussehen und dieHaptik der verwendeten Komponenten sowie das Output des Sys-tems, wie Klang oder Bild.7 Die Hardware mit all ihren Modifikatio-nen und Ergänzungen kann einen funktionellen aber auch einenästhetischen Wert haben. Im Fall von I/Eye steht beides – die skulp-turale Anwesenheit der Technologie mit dem dazugehörigen ästhe-tischen Wert sowie die funktionelle Wertigkeit des Gerätes – ineinem Verhältnis. Letzteres scheint veränderbar zu sein, zumindestvon einem historischen und biographischen Blickwinkel aus be-trachtet. Zudem sind der Aufstellungsort und die Raumsituationebenso sehr wie die historischen und gegenwärtigen Manifestatio-nen entscheidend für die Beschreibung der Arbeit.

Installationen in verschiedenen Galerien oder Ausstellungskon-texten sowohl im Innen- als auch im Außenraum beeinflussen nichtnur die Wahrnehmbarkeit beziehungsweise Wirksamkeit desKunstwerks, sondern gleichzeitig auch die Interaktion und Inter-aktivität des Betrachters. Besonders wichtig ist – wie wir nochsehen werden –, dass durch die notwendige Anpassung an be-stimmte Raumsituationen und verfügbares technisches Equipmentsolche Neuinstallationen zur Entstehung vielfältiger Versionen undVariationen der Kunstwerke führen können. Diese spielen eine be-deutende Rolle für die Entstehung einer facettenreichen Identitäteines Kunstwerks.

Im vergangenen Jahrzehnt, das stark durch die Variable MediaInitiative des Solomon R. Guggenheim Museums in New York ge-prägt war, wurde besonders der Begriff „Variabilität” verwendet,um (technikbasierte oder performative) Installationen zu beschrei-ben, die ständigen Veränderungen unterliegen und deren Identitätsich aus sämtlichen Iterationen zusammensetzt (Depocas, Ippolito,and Jones 2003)8. Eine Vielzahl an möglichen Werten definierte da-bei den Kern eines Kunstwerks, um ein dicht zusammengefügtesDatennetz zu beschreiben. Diese Daten konnten die künstlerischeIdee in Form einer Partitur oder Aufbauanleitung, Klang oder Ton-material, besondere Installationsanforderungen/-vorschriften so-wie verschiedene Formen und Grade der Interaktion und Interakti-vität enthalten. Die anderen Variablen konnten stets verändertwerden, mit lockeren Vorgaben für periphere Elemente, oftmalsSoft- oder Hardware. Anders als beim Verständnis der Komponen-ten und Materialien traditioneller Kunstwerke, beschreiben zentra-le Koordinaten variable Kunstwerke und begründen damit ihr Ver-halten. Dieses ist weder dauerhaft noch fixiert, eher beschreibtes die ephemeren Eigenschaften der Arbeit.

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Das Kunstwerk

Das Objekt dieser StudieI/Eye ist eine frei stehende Installation.Sie umfasst einen Schwarz-Weiß-Röhren-monitor (48 x 51 x 50 cm), eine modifi-zierte Kamera mit einem Fischaugenob-jektiv, die in einem Metallzylinder aufdem Monitor platziert ist (10 x 10 x 35cm) sowie einen schwarzen Sockel (125 x50 x 50 cm), der die gesamte Abspiel-technik beherbergt. Letztere ist für dasPublikum nicht einsichtig. Das Monitor-bild zeigt ein überdimensioniertes Auge,das den gesamten Bildschirm ausfüllt.Das Auge ist aktiv, unentwegt starrt esden Betrachter an und reagiert auf seineBewegungen. Die klassische Rolle einesKunstwerkes, nämlich betrachtet und be-wundert zu werden, ist hier auf sonder-bare Weise umgekehrt. Das Kunstwerkschaut den Betrachter an und registriertdessen Anwesenheit: nicht der Betrach-ter beobachtet das Kunstwerk, sonderndas Kunstwerk beobachtet den Betrach-ter. Es wird eine Technik verwendet, dieaus Sicherheitsüberwachungen im öffentlichen Raum bekannt ist.Hier ist sie Teil eines Kunstwerks, das auf unerwartete Art interaktivin den Prozess des Betrachtens und Betrachtet-Werdens einbezogenwird. Die Arbeit provoziert: der Betrachter fühlt sich gezwungen, dieInstallation zu personifizieren. Dies ist ein Phänomen der frühenelektronischen Kunst, nämlich Technologien zu vermenschlichen;hier resultiert es in eine vis-à-vis Begegnung zwischen Mensch undMaschine.

Die Interaktion zwischen Betrachter und I/Eye ist eines der zentra-len Merkmale, das sein Verhalten definiert. In diesem Fall umfasstdie Interaktion des Publikums mit der Installation eine Doppelung.Auf der einen Seite gibt es den Betrachter, der direkt mit demKunstwerk in Beziehung steht – also die Person, die sich im direktenUmfeld der Kamera aufhält – und eine direkte Begegnung mit demAuge, welches auf die Bewegungen reagiert, erfährt. Auf der ande-ren Seite steht der entferntere Betrachter, der „dritte Akteur”, derdie Begegnung „ersten Grades” beobachtet.

I/Eye (1993) ist eines der ersten interaktiven, computerbasiertenKunstwerke, das in einem institutionellen Kontext, nämlich imMontevideo/Time Based Arts, später bekannt als NIMk, seine Hei-mat fand (Abb. 1). René Coehlo, Gründer und erster CEO von Mon-tevideo, beschreibt den Beginn von Interaktivität in den 1990erJahren: „to celebrate itself as a sort of hype.”9 Seit der Documenta

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1 Bill Spinhoven van Oosten, I/Eye,1993, interaktive computerbasierteInstallation, variable Größe, NetherlandsMedia Art Institute, Inv.-Nr. 13-January-199725.Die Abbildung zeigt das Kunstwerk 1994in der Montevideo Galerie in derSpuistraat in Amsterdam.

IX 1992 in Kassel sind Gary Hill (geb. 1951), Bill Viola (geb. 1951),Bruce Nauman (geb. 1949) und Tony Oursler (geb. 1957) bekannteund regelmäßig gezeigte Künstler. Coehlos Galerie in den Nieder-landen befasste sich innovativ mit der Präsentation und dem Ver-trieb von Video-Kunst. In einem Interview von 1991 erklärt Coehlo:„For twenty years we have been promoting an art form that nobo-dy was asking for. In the Netherlands it has never attracted a largeaudience, due to the lack of a scientific and theoretical foundati-on.”10 Bemerkenswert ist, dass er in seinem Gespräch über diekünstlerischen Errungenschaften innerhalb der niederländischenKunstszene anführt: „… Bill Spinhoven's I/Eye is an icon, too.”11

Frühes LebenSpinhovens Idee für I/Eye ist in den Studios von Montevideo wäh-rend der Neustrukturierung in den 1980er Jahren entstanden. DerKünstler experimentierte mit Zeichnungen, für die er sein Auge mit

einer Schwarz-Weiß-Kamera aufnahm. Die erste Installation, dieaus diesen Experimenten und der Kooperation mit dem KünstlerPaul Klomp resultierte, war eine doppelte Bildschirmprojektion mitdem Titel Shot Across the Mind (1989) (Abb. 2a). Das Auge wurdekomplett computerisiert und erstellte eigenständig „Zeichnun-gen”. Später führte die Weiterentwicklung dieser Idee zu einer in-teraktiven Installation mit dem Titel Birds Eye (1991), die ebenfallseine Projektion einsetzte (Abb. 2b). Spinhoven konnte sich via Tele-fonleitung mit der Installation verbinden und so aktiv auf die Kom-mentare der Zuschauer reagieren. Diese frühen Versionen führtenzur Entstehung von I/Eye auf zwei unterschiedlichen Wegen. DieAugenbilder, die in Birds Eye enthalten sind, sind identisch mit de-nen von I/Eye, nur herangezoomt. Zudem beinhaltet das Pro-gramm der späteren Montevideo-Version von I/Eye Sequenzen desQuellcodes von Birds Eye. Birds Eye könnte daher heute wieder ak-tiviert werden, um die dysfunktionale Arbeit wieder herzustellen.12

Dieses Wissen erlaubt uns darüber nachzudenken, was für die Er-haltung und Rezeption dieser Werke relevant ist: computerbasierteKunstwerke als eine Art Dokumentationsbehälter oder als selbst-dokumentierender Apparat. Aus Anlass des Prix de Rome, demwichtigsten und ältesten Kunstpreis der Rijksakademie in Amster-dam, verwirklichte Bill Spinnhoven eine weitere Installation, dieSchwarz-Weiß-Bilder seines Auges nutzte, dieses Mal aber ohne

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2 (a) Bill Spinhoven van Oosten, Shotacross the mind, 1989, und (b) Birds Eye,1991, interaktive computerbasierteInstallationen, Vorgänger von I/Eye.

eine interaktive Funktion. Obwohl die Installation vollständigstatisch ist, glaubten interessanterweise dennoch viele Betrachter,sie sei interaktiv (Abb. 3).

Institutionelles LebenDamit beauftragt, ein besonderes Kunstwerk für die Wiedereröff-nung der Montevideo Galerie an ihrem neuen Ausstellungsort zuschaffen, lieferte Spinhoven I/Eye, eine Installation, die die Betrach-ter-Erfahrung umkehrte: „My idea was that if everybody comes toMontevideo to look at art, I invent art that can look at people.”13

Seit der ersten Präsentation im Fenster der Galerie auf der Spui-straat im Februar 1994 und dem späteren Ankauf, blieb die ästheti-sche Erscheinung von I/Eye – im Gegensatz zu seinem „Innenleben”und der räumlichen Aufstellung – praktisch gleich. Der einzigeUnterschied war ein früher (nicht identifizierter) Monitor und einSockel, welche aus dem Lager der NIMk bereitgestellt wurden(Abb. 1). Die derzeitige Ausführung ist eine Schwarz-Weiß-Versionund besteht aus einem Sony Monitor, der auf einem schwarzen,würfelförmigen Sockel steht, einer Kamera in einem schwarzenZylinder auf dem Monitor und einem Abspielapparat, der meist imSockel versteckt ist. Der Monitor zeigt fünf Bilder von Bills Auge auseiner früheren Installation. Die Kamera interagiert mit dem Be-trachter, indem sie dessen Bewegungen folgt. Hierfür erfasst sieKontrastveränderungen in einem Kamerawinkel von 180 Grad.

Der erste verwendete Computertypus war ein Archimedes Acorn410 Heimcomputer von 1987 mit einem Acorn RISC OS, Versionen3.0 bis 6.0 Betriebssystem, „the best at this time”, laut Spinhoven.„They were very robust computers: the passive components did notneed to be cleaned and they did not overheat. Only the back-upbattery might have shown some problems. 16 MB sounds smallnow, but in those days it was a large memory.”14 Der Computerwurde mit der Hilfe von BASIC V Assembler programmiert. Im

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3 Dia aus dem Spinhoven Archiv inHengelo, das den Prototypen der I/EyeInstallation zeigt, eingereicht für denPrix de Rome, Rijksakacademie.

Gegensatz zu einigen der Vorläufer ist I/Eye als stumme Installationkonzipiert, da sie für den Außenraum bestimmt war.

Das Werk wurde für zahlreiche Ausstellungen verliehen, beispiels-weise für The Second. Time Based Art from the Netherlands(August–November 1998) am Stedelijk Museum und reiste anschlie-ßend um die Welt. Es war Teil der Wanderausstellung Dertig JaarNederlandse Videokunst (Januar–März 2003), die unter anderem inMexico, Taiwan, Japan, Budapest und Prag gezeigt wurde. Dieserrege Leihverkehr beförderte die Fertigung von verschiedenen Ver-sionen des Kunstwerks und die Verwendung von mehr als einemComputer. Der Künstler bestätigt, dass das Kunstwerk am Anfang inmindestens zwei oder drei Versionen gleichzeitig existierte. Wäh-rend die erste und zweite Version ausgestellt wurden, teilweise auchgleichzeitig, verblieb eine dritte Version in seinem Studio und konntefür Versuchszwecke genutzt werden. Spinhoven verwendete dieHardware in mehr als einer der Versionen und manipulierte die Com-puter, indem er Teile untereinander auswechselte, wie beispielsweiseden Monitor, die Grafikkarten und Batterien.

Seit der ersten Präsentation in der Montevideo Galerie hat sich dieräumliche Anordnung von I/Eye im Verlauf verschiedener Wanderaus-stellungen verändert. Dies hatte Einfluss auf die Verhaltensmerkmaledes Kunstwerkes und auf die Publikumsreaktionen auf das Werk. Sowurde beispielsweise für die Präsentation in der Ausstellung Kinetikund Interaktion. Multimediale Kunst aus den Niederlanden (1996) imStädtische Museum in Gelsenkirchen, Deutschland, der Monitor miteiner Metallkette von der Decke gehängt. Eine weitere Ausstellungs-form war 2003 in der Keizersgracht 264 in Amsterdam zu sehen. Siezeigt I/Eye, wie es von einem entfernten, hohen Fenster aus denBetrachter beobachtet (NIMk) und damit eine direkte Interaktion fastunmöglich machte (Abb. 4d).

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4 Bill Spinhoven van Oosten, I/Eye,1993, interaktive computerbasierteInstallation. Unterschiedliche räumlicheAufstellungen des Kunstwerkes inverschiedenen Ausstellungen,von oben links im Uhrzeigersinn:(a) Städtisches Museum Gelsenkirchen,1996 (Kinetik und Interaktion. Multi-mediale Kunst aus den Niederlanden);(b) DASA Dortmund, 1997 (Short CutsAnschlüsse an den Körper);(c) Inter Communication Center, Tokyo,1998 (The Second, Time Based Artfrom the Netherlands);(d) NIMk Amsterdam, 2003(Dertig jaar Nederlandse videokunst).

Bedeutend für die räumliche Aufstellung des Kunstwerkes ist dieFrage, ob die erste ausgestellte Version von I/Eye in der Spuistraatvon 1993 als ortsspezifisch bezeichnet werden kann. Ist dies derFall, wäre zu klären, ob diese Ortsspezifik wichtig für die Integritätdes Kunstwerks ist. Das erste Setting in einem Fenster von RenéCoehlos Galerie und der Blick von der Straße stellten ein Maß an In-szenierung bereit, innerhalb derer die Installation platziert war: dereinfache Zugang durch den öffentlichen Raum und die Zufälligkeitder ausgewählten Zuschauer. Die Besucher eines Pubs auf der ge-genüberliegenden Straßenseite, die die mise-en-scène beobachte-ten, waren begeistert davon, über die überraschten Passanten, dievon dem telematischen Auge verfolgt wurden, zu kontemplieren.Auf einem Video, welches kurze Zeit nach der Wiedereröffnung ge-dreht wurde (zugänglich im Online-Katalog der NIMk), sind die At-mosphäre auf der Straße und die Reaktionen der Passanten aufge-zeichnet. Mit einer einzigen Ausnahme waren alle späteren Versio-nen von I/Eye im Kontext eines Museums oder einer Galerie ausge-stellt worden und nehmen damit den formalen Charakter eines„white cubes“ oder einer „Black Box“ auf. Diese Veränderung hatteentscheidende Auswirkungen auf die Rezeption des Kunstwerkssowie auf die Interaktion des Betrachters mit der Arbeit.

Die Entwicklung von I/Eye macht die Beziehung zwischen Kunst-werk und seiner institutionellen Zugehörigkeit unübersichtlich. Ob-wohl die Anschaffungsakten genau das Gegenteil belegen, scheintI/Eye niemals physisch in die Sammlung des NIMk aufgenommenworden zu sein. Die besondere Stellung des NIMk und der Auftrag,Medienkunst zu verbreiten, machten eine materielle Sammlungüberflüssig.

Das Netherlands Media Art Institute entstand 1978 als Montevideound hat seitdem eine umfangreiche Sammlung an Video- undMedienkunst zusammengetragen. Zusätzlich zu seiner eigenenSammlung betreut das Institut auch die Sammlung der De AppelFoundation, des Lijnbaan Centers in Rotterdam und der CulturalHeritage Agency of the Netherlands (RCE). Die Leihsammlung be-steht aus mehr als 2000 Medienarbeiten. Sie reicht von frühen Ex-perimenten bis hin zu neueren Produktionen von bekannten nie-derländischen und internationalen Künstlern/Künstlerinnen. DasOnline Archiv des Institutes beherbergt über eintausend Medien-kunstwerke und einzigartige Dokumentationen von Veranstaltun-gen und Projekten, die vom NIMk verwirklicht und präsentiertwurden.

Die Besonderheit der Sammlung des NIMk liegt in der Vielfalt ver-schiedener Aufnahmeformate und Datenträger, die über das NIMkvertrieben werden, aber in vielen Fällen keine vorgeschriebene undspezifische Erscheinungsform besitzen. Neuerwerbungen des NIMkumfassen keine komplexen Installationen, die skulpturale Elemen-te enthalten. Dennoch ist es bemerkenswert, dass die Archivaliendie zeitweilige Lagerung der materiellen Ausstattung von I/Eye

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belegen. Wenn notwendig, wurde diese Ausstattung aber auch fürandere Installationen verwendet. So erinnert sich Spinhoven daran,dass der Sockel von I/Eye an andere Künstler verliehen wurde, wennsie ihn benötigten. Zu Beginn dieses Forschungsprojektes schiendie Tatsache, dass I/Eye physisch in der Sammlung des NIMk unter-gebracht war, eindeutig. Angestellte erinnerten sich, dass die In-stallation auf dem Gelände eingelagert war, betonten aber auchimmer wieder den ungewöhnlichen Zustand. Zudem belegen dieDokumente aus dem Archiv des NIMk zwei Ankäufe von I/Eye in sei-ner physischen Form: ersterer datiert auf den 6. Dezember 1993und I/Eyes zweite Ausstellungsversion ist auf den 11. Juli 1994 da-tiert. Der erste Ankoopcontract beinhaltet die physischen Kompo-nenten des Kunstwerks, den Ankaufspreis sowie die Anmerkung,dass die Kamera ersetzt wurde, vermutlich aufgrund von techni-schen Problemen. Das zweite Dokument Ankoop I/Eye legt dar,dass aufgrund der häufigen Abwesenheit des Kunstwerkes wegendes Leihverkehrs seine Funktion als Aushängeschild (Uithangbord)des NIMk in Frage gestellt sei. Aus diesem Grund wurde der Künst-ler beauftragt eine weitere Version von I/Eye herzustellen, hier be-zeichnet als „zweite Version” (tweede vesie oder tweede exem-plaar). Der Vertrag beinhaltet die Ausstattung einschließlich Hard-ware und Sockel mit Ausnahme des Monitors. Der Vertrag regeltzudem den niedrigsten und höchsten Wert der Installation im Fall,dass sie Montevideo verlassen und von Dritten angekauft würde.

Während die Installation ihre verschiedenen Inkarnationen erfuhr,veränderte die Abspielausstattung ihren Standort. Während einesBesuchs der Autorin im Atelier des Künstlers in Hengelo, Niederlan-de (Oktober 2010), waren verschiedene Elemente von I/Eye in situeingelagert. Dies belegt den uneindeutigen Status des Kunstwerks:einerseits gibt es das physische Objekt, über welches Verträgeunterschrieben, Unterlagen geführt wurden und welches als Leih-gabe des NIMk als Objekt zu verschiedenen Ausstellungsorten reist.Andererseits ist es, obwohl Teil der NIMk Medien Sammlung, ledig-lich als Eintrag in einer Akte vorhanden. Dies wird zusätzlich durchdas gleichzeitige Bestehen verschiedener Versionen von I/Eye ver-kompliziert.

Weitere EntwicklungenBis in die 1990er Jahre existierten mindestens vier Versionen von I/Eye, einschließlich der Versionen des NIMk sowie eine Anzahl anVariationen oder in den Worten des Künstlers „Editionen” (2010).Erwähnenswert ist unter anderem eine deutsche Version von 1997,die sogenannte DASA Version (Deutsche Arbeitsschutzausstellungin Dortmund). I/Eye wurde von der DASA zum Anlass der Ausstel-lung Short Cuts: Anschlüsse an den Körper: ein Cross-over durchKunst, Wissenschaft und KörperBilder (August – Oktober 1997) er-worben. Diese Version verwendet einen Farb-JVC-Monitors, der einSchwarz–Weiß-Bild zeigt und eine spätere Version von RISC OS(286 Acorn RISC, OS 3.7, 1992). Die DASA entschied sich dazu, diegesamte Ausrüstung hinter einer grau gestrichenen Spanholzver-

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schalung zu verbergen. Als einzig sichtbarer Teil der Installationverblieb der Bildschirm des Monitors. Die Wandbeschriftung gibtan, dass die Installation 1993 geschaffen wurde. Es fehlt ein Hin-weis, dass das Kunstwerk eine Neuauflage für die DASA ist und vierJahre später entstand. Laut dem Kurator der Ausstellung, Hans-Gerd Kaspers, bereitet I/Eye seit geraumer Zeit erhebliche techni-sche Probleme und wird aus diesem Grund nicht ausgestellt. DieArbeit ist daraufhin im Rahmen eines Konservierungsprojekts indas Intermedia Art Institute (IMAI), Düsseldorf aufgenommen wor-den. Zur Anzahl der existierenden Versionen von I/Eye nimmt dasIMAI an, dass es „vier Editionen von I/Eye gibt: zwei beim Künstler,eine im NIMk und eine in der DASA. Es ist nicht eindeutig, ob alleidentisch sind.”15 Interessant und höchst relevant für die Diskussio-nen um I/Eyes zukünftige Manifestationen sind die Pläne des IMAI,die Installation auf der Grundlage der DASA Version von 1997wiederherzustellen.

2004 produzierte Spinhoven eine Farbversion mit dem Auge einesFremden. Diese Fassung wurde als eine „Multiple-Installation“ aufzahlreichen Bildschirmen in der Bibliothek von Hengelo (Niederlan-de) präsentiert. Derzeit ist diese Version defekt.

Spinhoven entwickelt weiterhin Versionen von I/Eye und verstehtdas Projekt als einen offenen Prozess. Im September 2010 stellteder Künstler der Autorin eine Testversion des Kunstwerks vor, in dieer fünf Bilder eines Kinderauges einführte. I/Eyes Handlungen wur-den durch die Bewegungen einer Computer-Maus ausgelöst. DasProgramm ist auf JavaScript, CTSS und HTML5 geschrieben undwurde vor Ort geladen.

Das traditionelle Konzept von Kulturgütern, die in Sammlungenaufgenommen werden und dort in einem statischen Präsentations-modus eingefroren sind, ist mit dem Wesen von I/Eye nicht in Ein-klang zu bringen, da es unbestimmt vielfältig geworden ist. „It wasan installation at the beginning, then it became a part of a compu-ter, then the computer became interactive, and a part of it becamea core version. … The camera and the monitor are separate parts,but I would like to make it more organic. … An organism, I meanlike cells that have kind of similarity and together they create allnew organisms.”16 Der letzte Vorgang von I/Eye ist im Projekt IART(2010) verkörpert, das sich auf „the possibility to transform fluentlyfrom one classical installation into another” konzentriert. NachSpinhoven wird IART im Verlauf der Zeit: „[…] an extremely expres-sive self-supporting entity, capable of managing its own sustaina-bility and development”.17 Dieses Projekt basiert auf der Theorielebender Systeme des Biologen James Grier Miller.

Der Künstler befreit I/Eye davon, ein spezifisches, singuläres Kunst-werk zu sein und erlaubt, dass es sich uneingeschränkt in Form desIART Projektes weiter entwickelt. Es ist möglich, dies sowohl als dasEnde (im Sinne der Spezifizität) als auch als den Beginn der Weiter-

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entwicklung von I/Eye zu sehen. Um I/Eye zu übertragen, wendeteSpinhoven die Virtualisierung des Computersystems auf eine web-basierte Plattform an.18 Wie in den folgenden Abschnitten gezeigtwird, spielt Virtualisierung eine wichtige Rolle, nicht nur aus derPerspektive der Konservierung, sondern es fordert den Künstlerauch heraus, jenseits der konventionellen Anwendungen von quel-lencodebasierten Systemen zu denken.

Restaurierungsoptionen

Internationale Forschung zur Bewahrung von computerbasierterKunst und Neuen MedienDie Forschung im Bereich der Bewahrung von computerbasiertenInstallationen erfolgte meist im Zusammenhang mit Forschungs-vorhaben zu verschiedenen medien- und technologiebasiertenKunstwerken. Innerhalb des Berufsfeldes gibt es eine Vielzahl anBestrebungen, Lösungen für die Dokumentation und Bewahrungdieser Kunstwerke zu finden, beispielsweise durch Matters in Me-dia Art, die Variable Media Initiative, die DOCAM Research Allian-ce, das International Network for the Conservation of Contempo-rary Art und, wie bereits erwähnt, das Obsolete Equipment Projectvon PACKED in den Beneluxländern. Zahlreiche Ausstellungen,Konferenzen und Symposien resultierten aus diesen Bemühungenund eröffneten Foren, generelle Fragestellungen zur Bewahrungdes digitalen Erbes zu erörtern. Zudem war dieses Thema Fokus inzahlreichen internationalen Forschungsprojekten, die Möglichkei-ten untersuchten, computerbasierte Kunst zu bewerten, zu doku-mentieren und zu übertragen.19

Die Themenbereiche der Verfahren, Definitionen und der Einfüh-rung eines professionellen Vokabulars in der Bewahrung von elek-tronischen Medien werfen zahlreiche Fragen auf. Es besteht nachwie vor Bedarf bezüglich der Adaption, Interpretation und Anpas-sung an die bestehende Fachterminologie. Derzeit wird das Fach-vokabular noch sehr individuell und abhängig vom Profil und Her-kunft des jeweiligen Spezialisten (Programmierer, Restaurator undanderen) verwendet.

So wird etwa der Begriff Emulation teils synonym mit dem BegriffVirtualisierung verwendet, wobei letzteres den Prozess meint, dasBetriebssystem, den Quellcode und Dateien in eine neue Umge-bung zu übertragen. Zudem gibt es noch immer keine eindeutigeUnterscheidung zwischen der Terminologie für die reinen träger-und materialbezogenen Aspekte des Kunstwerkes und seinen ko-dierten, digitalen Inhalt. Beispielsweise mag der Prozess, einenCode in eine andere Sprache umzuschreiben eine radikale Neuin-terpretation bedeuten. Alternativ kann die Migration eines Codes,um die Betriebsfähigkeit einer neueren Anwendungstechnologie,eines Betriebssystems, einer Hardware oder aller drei zu ermög-lichen, einen geringeren Eingriff in die Integrität des Kunstwerks inBezug auf dessen ursprünglichen Zustand bedeuten.

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Möglichkeiten für die Erhaltung und Ausblicke für I/EyeMan könnte nun annehmen, dass mit der Erforschung der Er-haltungsmöglichkeiten und den daraus folgenden Entscheidungenfür eine Restaurierung I/Eyes bewegte Reise ihre schlussendlichePhase erreicht hat. Wie im Folgenden aufgezeigt wird, geschahgenau das Gegenteil.

2010 fiel die Entscheidung im NIMk, die Funk-tionalität von I/Eye wiederherzustellen. Dafürsollte eine der vielen Versionen seiner vierund-zwanzigjährigen Werkbiographie ausgewähltwerden. Die Entscheidung fiel auf die Version,die das NIMk ursprünglich erworben hatte,aufgrund der historischen Bedeutung dieserVersion und der Tatsache, dass I/Eyes ur-sprüngliches Verhalten und seine Funktionali-tät eine enge Beziehung zu einer spezifischenComputer-Hardware Architektur aufweisen.Jedoch bereitete diese Zielvorstellung sofortProbleme. Der Panasonic Röhrenmonitor, dereinst im Fenster von Montevideo stand, warnicht mehr auffindbar. Schon die Verwendungeines Sony Monitors, der anlässlich der Aus-stellung The Second, 2004 zum Einsatz kamund seitdem das vom Künstler bevorzugteModell darstellte, schloss die Möglichkeit aus,die ursprüngliche Version wiederherzustellen.Spinhoven betonte, dass die Installation nur dann ihre Erscheinungund Haptik bewahrte, wenn sie mit der spezifischen image textureeiner Kathodenstrahlröhre präsentiert wird. Damit entpuppte essich relativ schnell als illusorisch, zu der frühen Version von I/Eye zu-rückzukehren, zumindest was die Hardware betraf. Dies wurdedurch die Tatsache bestätigt, dass der historische Acorn Archime-des 410-Computer aus dem Jahre 1987 aufgrund veralteter Kom-ponenten nicht länger wiederherstellbar war. Auch zahlreiche wei-tere Modifikationen und Ergänzungen, von denen einige wiederentfernt wurden, machten es unmöglich, zu der ursprünglichenKonfiguration des Computers zurückzukehren. Aus diesem Grundwurde ein späterer, besser erhaltener Acorn RISC PC von 1992 ein-gesetzt (Abb. 5). Das ursprüngliche Programm wurde von einerDiskette gebootet. Um die Funktionsweise dieser alten Version wie-derzuerlangen, wurde ein Motherboard aus Second Hand-Elemen-ten zusammengestellt. Der Quellcode musste übertragen werden.Der Oscillator, der ursprünglich für die Beschleunigung der Prozes-sorleistung verantwortlich war, wurde mit dem jüngeren, schnelle-ren Prozessor überflüssig. Auch die originale Kamera war nichtmehr vorhanden. Der Digitalisierer wurde ersetzt und schließlichmusste eine Emulation des Maschinencodes durchgeführt werden,um eine zuverlässige Funktionsweise des Systems zu gewährleis-ten. Die Synchronisierung der Bildtimings stellte eine Herausforde-rung dar.

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5 Innenleben von I/Eye (1993) von BillSpinhoven van Oosten: ein ArchimedesAcorn Computer von 1992 inaufgearbeiteter Form, Februar 2011.

Am Ende glich aber das äußere Erscheinungsbild und die techni-sche Funktionsweise des aktivierten Kunstwerkes der Version von1993. Die Emulation und Migration von I/Eye verliefen quasi Handin Hand. Man könnte sagen, dass das Unternehmen ein Versuchwar, ein Medienkunstwerk mit Hilfe archäologischer Ausstattungwiederzubeleben und zu präsentieren.

Der nächste Schritt im Rahmen der Konservierungsstrategie fürI/Eye stellte die Isolierung des gesamten Systems und dessen Über-tragung in eine andere Umgebung durch eine Virtualisierung dar.Der Künstler führte die Virtualisierung auf dem wiederhergestell-ten Acorn RISC PC in ein Microsoft Windows Betriebssystem miteiner virtuellen Maschinensoftware (virtual machine) durch. Letzte-re ist eine isolierte Softwareumgebung, die ihr eigenes Betriebs-system und ihre eigenen Anwendungen betreibt und damit dieEigenschaften eines Computers imitiert. Die Performance und dasVerhalten der ersten Version von I/Eye blieben dabei erhalten.Mit der Emulation der sichtbaren Hardwareausstattung wurde dieästhetische Erscheinung der Installation der ursprünglichen Ver-sion angenähert.

Im Februar 2011 konnte die wiederhergestellte Version von I/Eyeneben seinem virtualisierten Klon präsentiert werden (Abb. 6). DieNeuinstallationen beider Beispiele von I/Eye konnten abschließendvon Fachleuten auf dem vom NIMk ausgerichteten Symposium ToTransform or To Transfer studiert werden.

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6 Bill Spinhoven van Oosten, I/Eye,1993/2011, Interaktive computerbasierteInstallation.(a) Die aufgearbeitete Version derInstallation von 1993 und(b) die virtualisierte Version währendder Neuinstallation im NIMk,14. Februar 2011.

Abschließend wurde eine vollständig virtualisierte Version von I/Eyekonzipiert, die ausschließlich auf einem Webbrowser läuft. DieseStrategie umgeht die unmittelbare Abhängigkeit von einer Compu-ter-Hardware. Hier wird nur die Performance des Kunstwerkes inAnlehnung an die ursprüngliche Version erhalten. Besonders wich-tig ist jedoch ein Aspekt, der auch für viele andere computer- undnetzbasierte Kunstwerke charakteristisch ist, nämlich eine gewisseUnabhängigkeit zu erreichen, von physischen Trägern und, zumin-dest theoretisch, zahlreichen Systemrestriktionen, wie auch vomMarkt. Die Auswirkungen dieser Art von Virtualisierung provozierteine radikale ontologische Verschiebung, die sich sowohl auf daseigentliche physische Objekt bezieht (welches aufhört zu existie-ren) als auch den Aspekt der Zeit (periodischer Zugang anstelleeiner kontinuierlichen Präsenz). Parallel dazu stellt dies eine Ver-änderung dar, die mit Musik- und Filmaufzeichnungen vergleich-bar ist (Übertragung von physischen Trägermaterialien auf ver-schiedene Vertriebsformate).

Ethische ÜberlegungenFür Jahrzehnte hat das unangezweifelte Prinzip des originalenZustandes die Restaurierungsdisziplin bestimmt. Dabei galt esvorrangig das Original wiederzuerlangen. In Anbetracht der Ge-schwindigkeit der technischen Entwicklung und Obsoleszenz ist esunwahrscheinlich, dass das heutige und zukünftige Publikum diegleichen authentischen Erfahrungen haben wird, wie das Publikumzum Zeitpunkt der ersten Präsentation einer solchen Arbeit. EinKunstwerk unterhält verschiedene Beziehungen unter wechseln-den zeitlichen Bedingungen. Eine Technologie, die in den 1990ernals hochmodern galt, erscheint über einen Zeitraum von 20 Jahrenund mit dem Auftauchen von „Big Brother” und neuen Über-wachungssystemen fast wie ein archäologisches Artefakt. Kunst-werke sind fest in ihrer sozialen und kulturellen Umgebung verwur-zelt. Ihre Identität entsteht aus der Interaktion mit Zeit und Gege-benheiten, innerhalb derer sie existieren. Daher kann nicht einmaldie höchst mögliche Rekonstruktion einer Medienarbeit den Zeit-geist, in dem sie erschaffen wurde, wiederbeleben. Eine Rekon-struktion kann lediglich die nostalgische Idee einer unwiderruflichvergangenen Zeit wachrufen. Gleichzeitig riskiert man aber mit derAnnahme, dass die Konzeption einer Arbeit über ihre materielleManifestation herausreicht, blind gegenüber der Bedeutung dieserManifestationen und der greifbaren Anhaltspunkte seiner Objekt-geschichte zu werden. Schließlich ist I/Eye offensichtlich kein ephe-meres Objekt, das in seinem Dahinschwinden nur die Gegenwartadressiert.

Ähnlich wie in der Theorie musikalischer Aufführungen und parallelzu den Tendenzen, Performance-Kunst nachzustellen, verändert dieErweiterung der künstlerischen Idee innerhalb des IART Projektes,welches nur auf einer webbasierten Plattform existiert, die Bedeu-tung der Idee, bewahrt aber zumindest das Konzept für die naheZukunft. Computerbasierte Kunst lehrt uns, dass die unbedingte

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Treue gegenüber dem Original oder dem originalen Material, dieeine lange Tradition in der Restaurierung traditioneller Kunstfor-men hat, überdacht werden muss. Offen bleibt die Frage, was denKern und was den Kontext eines Kunstwerks ausmacht. Die Frage,wie und aufgrund welcher Annahmen eine Unterscheidung zwi-schen beidem getroffen werden kann, beruht auf gesellschaftlichund kulturell basierten Interpretationen und Neuinterpretationen.

Das größte Dilemma, das sich für die Erarbeitung eines Restaurie-rungskonzeptes stellt, besteht darin, das eigentliche Wesen vonI/Eye zu definieren. Handelt es sich hier um ein Objekt oder um einKonzept? Dies ist sicherlich eine der häufigsten Fragen im Bereichder Restaurierung jüngerer Medienkunst. Die Antwort ist bei wei-tem nicht eindeutig.

Wie oben bereits angedeutet, könnte der Status des Kunstwerks in-nerhalb des NIMk als rein konzeptionell gewertet werden. Wäh-rend der Einlagerung im Depot besitzt es keine materielle Ausfor-mung und existiert ausschließlich in Form von Dokumentationenund Akten. Die Auswirkung auf die Restaurierung mag offensicht-lich erscheinen: wenn I/Eye kein physisches Objekt ist, warum sollteirgendein Element der Arbeit restauriert werden oder „permanent“haltbar gemacht werden? Andererseits ermöglicht uns die langeGeschichte von I/Eye – im Gegensatz zu vielen neuen Kunstproduk-tionen – seine materiellen Manifestationen in einem spezifischenzeitlichen und räumlichen Kontext zu analysieren. Die verschiede-nen Formen der Installation über fast zwanzig Jahre bieten ein soli-des Zeugnis seiner Entwicklung, die auf die gegebenen technologi-schen Möglichkeiten reagierte. Diese historischen Aufführungenkonstruieren die Biographie des Kunstwerks in seiner Auseinander-setzung mit Zeit und beweisen damit seine greifbare Abhängigkeitvon diesen materiellen Verkörperungen. All diese Formen sind Re-aktionen auf den jeweiligen Wissensstand, auf die jeweils verfüg-bare Technologie und involvieren Programmierer, Restauratoren,Kuratoren, Techniker und weitere Akteure. Die Erhaltung der In-stallation muss daher diese einmalige Werkbiographie, welche aussozialen Verstrickungen mit Menschen und Dingen konstruiert ist,respektieren, indem dieser Verlauf dokumentiert wird.

Rolle des KünstlersEine noch wenig untersuchte Komponente in der Bewahrung die-ser Art von Kunst ist die besondere Rolle, die der Künstler selbstspielt. Innerhalb von Restaurierungs-Doktrinen wird der Intentiondes Künstlers der höchste Wert und die höchste Priorität zuge-schrieben. Jedoch sind es jetzt die Künstler selbst, die eine aktiveRolle in der Gestaltung oder Umgestaltung der Restaurierungskon-zepte ihrer eigenen Werke einnehmen, die programmieren oderumprogrammieren und ihre Arbeiten manipulieren. Wie ein Hand-werksmeister in vergangenen Jahrhunderten ist der zeitgenössi-sche Medienkünstler ein Spezialist im Feld der Informationstechno-logie und handelt als Restaurator seiner eigenen künstlerischenProduktion. Für den Restaurator mag es auf die Dauer nicht aus-

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reichen, die (Wieder-)Beschäftigung des Künstlers zu belegen. Eineerweiterte Kollaboration ist daher notwendig; eine, die subtilesund geschicktes Manövrieren und Verhandeln zwischen techni-schem Fachwissen, Kreativität und Treue zu den Restaurierungs-maximen erlaubt.

In dem Fall von Bill Spinhoven ist die Besonderheit seiner Beschäfti-gung mit computerbasierter Kunst durch die Unterstützung, die eranderen Künstlern bot, offensichtlich. Das dabei gesammelte Er-fahrungspotential und Wissen befruchtete seine eigenen Kreatio-nen. Spinhoven beschreibt: „At the beginning I earned money withproducing artworks for other artists. I used the modules then forsomething else”.20 Zudem hatte seine Kooperation mit anderenKünstlern, beispielsweise mit Paul Klomp, Auswirkungen auf seineeigene Kunst.

Es lässt sich nun daraus schließen, dass die frühe niederländischeMedienkunst, die im Umfeld von Montevideo entstand, sich auftechnischer und ästhetischer Ebene gegenseitig beeinflusste. Dieskönnte eine wichtige Rolle dabei spielen, wie wir über die Bewah-rung dieses bedeutenden Teils des digitalen Erbes nachdenken.

Fazit

Wir können feststellen, dass I/Eye in verschiedenen Formen undVariationen existiert. Die persönliche Präferenz des Künstlers sowiedie Entwicklung der Installation während der vergangenen zweiJahrzehnte machten die restauratorischen Entscheidungen zu einerhochkomplexen und vielschichtigen Angelegenheit. I/Eye’s Varia-bilität ist Teil seiner ganz eigenen Identität; ein originaler oderauthentischer Zustand lässt sich nicht wiederherstellen. Anstatt alsetwas Fixiertes oder Stabiles zu existieren, ist das Kunstwerk viel-mehr ein Konglomerat seiner verschiedenen Verkörperungen undAufführungen. Konfrontiert mit der Unmöglichkeit die alte, obsole-te Ausrüstung wiederzugewinnen, produziert die Restaurierungeine weitere Version der Arbeit. Die Frage, wann eine Restaurierungbeginnt und wann sie endet, oder ob man überhaupt von einer„Restaurierung“ sprechen kann, bleibt dabei offen. Im Verlauf desProzesses werden Kunstwerke neu verhandelt, es werden ihnenWerte neu zugeteilt oder entzogen, oder neue Versionen ent-stehen. Die Verantwortung des Restaurators besteht darin, nichtnur die materielle Integrität der verschiedenen Verkörperungendurch Dokumentation zu belegen, sondern auch die dem Kunst-werk innewohnende Beweglichkeit abzusichern, um so dauerhafteEntwicklungen und Veränderungen zu ermöglichen.

Danksagung

Dieser Artikel profitierte von den Gesprächen mit Bill Spinhovenvan Oosten, dem Team des Netherlands Media Art Institute inAmsterdam, dem Kurator des DASA in Dortmund, Hans-GerdKaspers, Renate Buschmann vom Intermedia Art Institute in Düssel-

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dorf, Tiziana Caianiello von der Zero Foundation in Düsseldorf undden Mitarbeitern des Obsolete Equipment Projects. Für die berei-chernden Diskussionen und Hilfe sei folgenden Personen gedankt:Professor Deborah Cherry, Professor Glenn Wharton, Gaby Wijers,Johannes M. Hedinger und den Kollegen und wissenschaftlichenMitarbeitern des Projekts New Strategies for the Conservation ofContemporary Art.

Übersetzung: Peter Bernal, Ellen Hanspach-Bernal, Esther Rapoport

Anmerkungen1 Obsolete Equipment 2009.2 Graham/Cook 2010.3 Paul 2007, S. 251.4 Rinehart 2000.5 Hölling 2013.6 Lurk 2008.7 Laurenson 2005.8 Depocas et al. 2003.9 Coehlo 1999.10 Coehlo 1999.11 Coehlo 1999.12 Spinhoven van Oosten/Hölling 2010.13 Spinhoven van Oosten/Hölling 2010.14 Spinhoven van Oosten/Hölling 2010.15 Caianiello 2009, S.1: „There are four editions of the I/Eye: two with the artist, one at the

NIMk and one at the DASA. It is unclear if all of them are the same”16 Spinhoven van Oosten/Hölling 2010.17 Spinhoven van Oosten/Hölling 2010.18 Spinhoven van Oosten/Hölling 2010.19 Rinehart 2000; Dimitrovsky 2004; Garcia/Vilar 2007; Lurk 2008; Aktive Archive 2012;

Variable Media Network 2012.20 Spinhoven van Oosten/Hölling 2010.

Literaturverzeichnis

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Coehlo 1999: R.Coehlo: Interview with Marieke van Hal. 3. September 1999,Art, Media and Media Art. <http://nimk.nl/print.php?id=350> (Zugriff: 12.10.2011).

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Weitere Literatur

Hölling, Hanna: Versions, Variations, and Variability: Ethical Considerations and Con-servation Options for Computer-Based Art, Electronic Media Review, Vol. 2, AmericanInstitute for Conservation of Historic & Artistic Works, Washington DC, 2013.

Hölling, Hanna: Virtualization as a preservation strategy for computer-based art: A studyinto the installation I/Eye [1993] by Bill Spinhoven van Oosten. Forschungsbericht underweiterte Projektbeschreibung, 2011, in Kürze erscheinend auf der Webseite<www.nimk.de und www.packed.be>.

NIMk: Obsolete equipment: Preservation of playback and display equipment for audiovisualart, 2009. PACKED vzw und NIMk (01.06.2009–30.06.2011).<www.packed.be/en> (Zugriff: 09.02.2011).

Abbildungsnachweis

Abb. 1, 4: © Netherlands Media Art InstituteAbb. 2, 3: © Bill Spinhoven van OostenAbb. 5, 6: Hanna Barbara Hölling

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