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Die Tagespost Dienstag, 7. Juni 2011 Nr. 67 Feuilleton 9 HINTERGRUND Univ.-Doz. DDr. Raphael M. Bonelli ist Psy- chiater, Neurologe und Psychotherapeut an der Sigmund Freud Universität Wien. Er ist Direktor des renommierten Instituts „Religiosität in Psychiatrie und Psychothe- rapie“, das erstmals eine Fachtagung in einem Islamischen Zentrum veranstaltet. Um „Das Unbehagen mit der Religion. Is- lamophobie und verwandte Phänomene“ geht es bei der am 18. Juni in Wien statt- findenden Tagung, bei der auch vier ex- ponierte Katholiken zu Wort kommen: neben Bonelli die Religionsphilosophin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz über „Wo- her die Angst vor Gott?“, der Altabt von Heiligenkreuz, Gregor Henckel Donners- marck, über „Islam, Christentum und Rela- tivismus“, Tagespost-Korrespondent Ste- phan Baier über „Das Phänomen der so- genannten Islamophobie“, der Grazer Psy- chiatrie-Professor Walter Pieringer über die „Psychodynamik des religiösen Fana- tismus“ und der Rektor der Sigmund- Freud-Privatuniversität, Professor Alfred Pritz, über den „Islam als Kulturträger in Europa“. Der einzige muslimische Redner bei dieser Fachtagung im Islamischen Zentrum Wiens ist der aus Ägypten stam- mende Sozial- und Islamwissenschaftler Elsayed Elshahed mit dem Thema „Wie- viel Gott verträgt die säkulare Gesell- schaft?“. Information und Anmeldung unter: www.rpp2011.org Warum genau finden es manche Zeitgenos- sen so auffallend irritierend, wenn andere glauben? Wieso ist es für sie so schmerz- haft, wenn eine gottesfürchtige Muslimin ein Kopftuch trägt? Was kann so bedroh- lich daran sein, wenn bibeltreue Christen dem politisch korrekten Mainstream wider- sprechen? Warum empört man sich, wenn Menschen das katholische Lehramt für wahr halten und ihr Leben danach ausrich- ten? Wieso ist es heute vielen schon ein Är- gernis, wenn sich ihnen persönlich völlig unbekannte junge Männer aus dem Glau- ben heraus freudig für den Zölibat entschie- den haben? Warum fällt heute vielen „Tole- ranten“ die Toleranz gerade bei der Religion so schwer? Und um die Fragen noch weiter zuzuspitzen: Wieso in aller Welt musste man den Märtyrern ihr Leben nehmen? Wie läuft der unbewusste Psychomechanis- mus ab, von der ersten Emotion bis hin zum Mord? Wie tickt die antireligiöse Psy- che? Die Abwehr gegen Religion ist irrationale Aggression Zugegeben, nicht jede Religionskritik ist psychologisch auffällig. Hier soll jedoch die Psychodynamik einer irrationalen, unkont- rollierten Affektivität untersucht werden, die im Alltag oftmals Grundlage der Reli- gionsfeindlichkeit ist und damit eine ratio- nale Auseinandersetzung verunmöglicht. Die Aggression gegen das Religiöse, der antireligiöse Affekt, ist tatsächlich ein inte- ressantes Phänomen und aus psychologi- scher Sicht noch nicht ausreichend behan- delt. Auch wenn beide Seiten, der Gläubige und sein Aggressor, nicht genau wissen wa- rum, ist eines klar: das Religiöse stört, und wer sich darauf ernsthaft einlässt, muss mit Prügel rechnen. Sei es die fromme Ehefrau, die vom Mann an der Ausübung ihrer spiri- tuellen Interessen behindert wird, wie zum Beispiel Martha Freud, der von ihrem be- rühmten Gatten Sigmund das Praktizieren ihres jüdischen Glaubens ein Leben lang verboten wurde. Seien es so manche zeit- geistigen Medien, die praktizierende Katho- liken prinzipiell für vogelfrei erachten, während sie peinlich genau auf das poli- tisch korrekte Einhalten der Ansprüche an- derer Minoritäten achten, die keinesfalls „diskriminiert“ werden dürfen. Nehmen wir hier den Katholiken Rocco Buttiglione, der wegen seiner religiösen Überzeugungen diffamiert und medial abgeschlachtet wur- de und aufgrund einer inszenierten Hyste- rie sein Amt als EU-Kommissar für Justiz nicht antreten konnte. Ganz offen liegt die Volksseele in so manchen Internetblogs, bei denen vielfach gläubige Menschen bloß aus diesem Grund an den Pranger der Lä- cherlichkeit gestellt werden. Meist reicht der Hinweis auf die Religiosität einer Person, um für öffentlich ausgetragene Res- sentiments keine Sachargumente mehr zu benötigen. Für die psychologische Untersuchung dieser latenten oder gar offenen Religions- feindlichkeit können wir die moderne Ag- gressionsforschung zu Hilfe nehmen. Der Neurowissenschaftler Joachim Bauer hat in seinem neuesten Buch klargestellt, dass den meisten Aggressionsformen ein psychi- scher Schmerz vorausgeht, und die Aggres- sion dessen Abwehr dient. Diese neurobio- logische Erkenntnis deckt sich mit dem schon länger bekannten Phänomen der narzisstischen Kränkung. Sie bezeichnet einen zumeist unbewussten, aber sehr schmerzhaft erlebten Vorgang, der in eine irrationale und oftmals unkontrollierte Ag- gression gegenüber dem „Kränker“ mün- det. Narzisstisch kränkbar sind Menschen, bei denen sich eine starke Diskrepanz zwi- schen idealisiertem Selbstbild und der Rea- lität entwickelt hat. Der Narzisst konstruiert ein übermächtiges Wunschbild von sich selbst, das er zur Realität erklärt. Er lebt mit einem überzogenen, aber brüchigen Selbst- wertgefühl. Bedrohlich erlebt wird dem- nach jeder Hinweis auf die Wirklichkeit, da die Wahrheit über sich selbst schmerzhaft erlebt und deswegen ins Unterbewusstsein verdrängt wird. Sigmund Freud hat der Menschheit in seiner Abhandlung „Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse“ bis dahin (1917) drei schwere Kränkungen diagnostiziert. Die erste wäre die Entdeckung Kopernikus’, dass sich die Erde um die Sonne dreht und nicht umgekehrt, was nach Freud die zent- rale Rolle des Menschen in Frage gestellt hätte. Die zweite bestünde in den Hypothe- sen des Charles Darwin, dass der Mensch vom Affen abstamme, die demnach die göttliche Schöpfung hätten widerlegen sol- len. Die dritte Kränkung der Menschheit wäre eben Freuds Postulat des Unbewuss- ten, wonach der Mensch nicht Herr seiner selbst sei, sondern materiell determiniert. Dass diese Freud’sche Selbsteinschätzung auch nicht ganz frei von Narzissmus sein dürfte, sei an dieser Stelle augenzwinkernd angemerkt. Was wir hier jedenfalls lernen können ist, dass den Narzissten ganz be- sonders das schmerzt, von dem er unbe- wusst spürt, dass es wahr sein könnte, er es aber nicht wahrhaben will. Die Bedrohung und der Schmerz bestehen darin, dass der Kränker Recht haben könnte und das konstruierte Selbstbild an der Realität zer- brechen könnte, dass, existenziell gespro- chen, von ihm nichts mehr übrigbleibt. Deswegen muss das Trugbild mit offensiver Aggression verteidigt werden. Ich möchte hiermit die drei Kränkun- gen des „modernen“ Menschen postulie- ren. Die erste besteht darin, dass Gott nach wie vor nicht tot ist, obwohl Friedrich Nietzsche vor 150 Jahren dessen Ableben diagnostiziert hatte. Nietzsche zum Trotz blühen die Religionen aber weltweit. Auch in Europa zeigt sich das, insbesondere am Phänomen des Islam, aber auch an Neuauf- brüchen in der katholischen oder evangeli- schen Welt. Die Renaissance des Religiösen wird als bedrohlich erlebt, da das idealisier- te Selbstbild des modernen Menschen vor- gibt, diese Transzendenz nicht mehr zu be- nötigen, weil ja die „Wissenschaft“ jegli- ches Übernatürliche wegrationalisiert habe. In die Abwehr der schmerzhaften Reali- tät, dass jedem Menschen eine natürliche Religiosität innewohnt, die Victor Frankl in seinem Buch „Der unbewusste Gott“ be- schrieben hat, wird viel Kraft investiert. Diese Abwehrkräfte können als antireligiö- se Affekte wahrgenommen werden. Da sie irrational und daher unbegründbar sind, verlieren sie sich häufig in einer überzoge- nen Affektivität im Sinn einer emotionalen Aufgeregtheit und Betroffenheit, um sich der rationalen Diskussion zu entziehen. Tatsächlich werden dem Religiösen viele pseudorationale Scheinargumente an den Kopf geworfen, die aus den irrationalen Quellen eines schmerzhaft gekränkten Nar- zissmus stammen. Zusammengefasst: Die erste narzisstische Kränkung ist die unüber- sehbare Lebendigkeit der totgehofften Reli- gion. Zweitens: Noch viel schmerzhafter, weil bedrohlicher, wird aber die moralische Ins- tanz erlebt, die den Glaubensgemeinschaf- ten innewohnt. Die heute gehandelten al- ternativen Ethikangebote sind letztlich ebenso farblos wie inhaltsleer und beliebig, damit aber auch schmerzfrei, oder sogar schmerzstillend. Neues Opium für das Volk: seichte, nichtssagende, moralinsaure, poli- tisch korrekte Stehsätze nachbeten – und sich gleich so richtig moralisch überlegen fühlen. Wie leicht ist es doch, gut zu sein. Dafür steht ein wahrhafter Gottesglaube nur bedingt zur Verfügung. Religion ist viel mehr als ein simples Moral- und Anstands- gebäude. Vielleicht gerade wegen ihrer transzendenten Verankerung ist die religiö- se, und ganz besonders die katholische Mo- rallehre nicht manipulierbar – nicht einmal von beifallshungrigen Moraltheologen. Das ist aber im Zeitalter der veröffentlichten Meinung tatsächlich eine beängstigende und durchaus schmerzhafte Angelegenheit – es bedeutet ja einen potenziellen Macht- verlust für die Trend-Setter. Die Religion – jede! – degradiert den selbst zu Gott gewor- denen modernen Menschen zum Geschöpf und installiert sogar Normen, an die er sich halten muss. Und behauptet sogar, dass es einen ewigen Richter gibt, vor dem der Mensch sich für seine Taten verantworten muss. Das tut weh. Heute wird in erster Linie Schuld verdrängt Benedikts XVI. messerscharfe Analyse bringt es auf den Punkt: „Es entsteht eine Diktatur des Relativismus, die nichts als endgültig anerkennt und als letzten Maß- stab nur das eigene Ich und seine Wünsche gelten lässt.“ Zu dieser Ich-haften Ethik ge- hört damit zwingend das Postulat der Feh- lerlosigkeit des modernen Menschen. Denn die neue Ethik passt sich ja flexibel an die jeweiligen Lebensformen an, deswegen konnten Fehler, Schuld und Sünde abge- schafft werden. Schuld: die haben höchs- tens die anderen. Damit muss in der Schmerzabwehr der Täter zum Opfer umge- deutet werden: Man wälzt so seine Fehler aggressiv auf andere ab. Ich erlebe in Paar- therapien manchmal durchaus amüsante Situationen bei Ehepaaren, wenn zwei feh- lerlose, unschuldige Opfer dem jeweils an- deren die Täterrolle zuspielen wollen. Als klassische Täteranwärter, sprich Sündenbö- cke, werden übrigens auch gerne mal die El- tern herangezogen, oder, heutzutage noch stimmiger, irgendein Kirchenvertreter. Diese Dynamik der krampfhaften Schmerzvermeidung durch rigides Festhal- ten an der eigenen Fehlerlosigkeit mit re- flexartiger aggressiver Fremdbeschuldigung kann der moderne Mensch nur mit mühsa- mer Anstrengung in kontinuierlichem Selbstbetrug durchhalten. In psychoanaly- tischer Terminologie nennt man diese An- strengung „Verdrängung“. Heute wird in erster Linie Schuld verdrängt, denn dafür hat der unbarmherzige Zeitgeist keine wirk- liche Lösung. Eine Aufdeckung dieser Ver- drängung ist schmerzhaft und muss mit Aggression abgewehrt werden. Damit ist die Kirche, sind auch die anderen Glau- bensgemeinschaften, der Buhmann, denn ihre Botschaft ist, dass jeder schuldig wird. Zusammengefasst: Die zweite narzisstische Kränkung des modernen Menschen ist die eigene Schuldhaftigkeit. Auch die innerkirchliche Allergie auf Normengebung hat hier ihren psychologi- schen Ursprung. In diesem Zusammen- hang ist der Slogan aus den 1980er Jahren „Frohbotschaft statt Drohbotschaft“ kri- tisch zu hinterfragen. Was wird hier genau als bedrohlich erlebt – und warum? Das Selbstbild des armen hilflos Bedrohten an- gesichts eines moralischen Anspruches zeugt von der klassisch neurotischen Fremdbeschuldigung aufgrund mangeln- der Selbstreflexion. Zu leicht kippt solch eine Grundhaltung in die unreflektierte passive-aggressive Opferrolle. „Schuld sind die anderen, die zu viel von mir verlangen.“ Aus diesem Grund werden diese psychody- namisch durchschaubaren Anliegen meist aggressiv oder verbittert vorgetragen – als Opfer eben. Der Vollständigkeit halber muss man festhalten, dass es natürlich auch interreli- giöse Aggression gibt, die einen Sonderfall der Religionsfeindlichkeit darstellt. Zur ag- gressiven religiösen Intoleranz neigen jene Persönlichkeiten, die sich der Religion für ihre eigenen, oft politischen und/oder egoistischen Zwecke bedienen. Sie stehen im Gegensatz zu denjenigen, die ihre Reli- gion verinnerlicht haben. Der Psychologe Gordon W. Allport unterschied 1967 die Begriffe extrinsische und intrinsische Reli- giosität, indem er festlegte „the extrinsical- ly motivated person uses his religion, whereas the intrinsically motivated lives his religion“ („Die extrinsisch motivierte Person benutzt ihre Religion, wohingegen die intrinsisch motivierte ihre Religion lebt“). Sehr deutlich wird das am Beispiel von fanatischen Fundamentalisten, die sich auf den Islam berufen, ohne ihn innerlich zu leben. Sie missbrauchen den Koran für ihre politischen Ziele und zur narzissti- schen Selbsterhöhung. Offensichtlich wird dasselbe Phänomen aber auch an jenen ka- tholischen Islamkritikern, die das katholi- sche Lehramt wegblenden, um bei ihren feindseligen Thesen bleiben zu können. Während die Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. eine beeindruckende intrin- sische Religiosität aufweisen, die mit einer hohen Toleranz auch gegen den Islam ein- hergeht, scheinen so manche modernen Kreuzzügler durchaus extrinsisch motiviert und berufen sich mehr auf das christliche Abendland anstatt so zu leben. Interreligiö- se Aggression verläuft nach derselben Psy- chodynamik wie die antireligiöse, ist aber oftmals einen Deut heuchlerischer und pharisäischer. Zur dritten Kränkung des modernen Menschen: in der Familiendynamik kann man oft das Phänomen der Aggression des Pubertierenden auf jüngere Geschwister be- obachten, die sich notgedrungen mit den mächtigen Eltern verbünden. Das hat mit Eifersucht zu tun, da er sich weniger geliebt fühlt als die Jüngeren, Schwächeren, und auch mit Neid um die Gunst der bekämpf- ten Erwachsenen. Denn der ambivalente Pubertierende sehnt sich nach der Liebe, die er ausschlägt. Dieser Mechanismus trifft auch manchmal bei der antireligiösen Ag- gression zu. Der aggressive Areligiöse fühlt sich unterbewusst ins Eck gedrängt, in die Enge getrieben, in Frage gestellt. Die aufge- setzte pubertäre Überlegenheitsgebärde ist oft nicht mehr als eine mühsame Rationali- sierung seiner inneren Not. Seine Kränkung besteht darin, zurückgesetzt zu werden, ob- wohl er die Zurücksetzung pubertär provo- ziert. Er empfindet Neid und Eifersucht da- rüber, dass der andere bei Gott Liebe, Si- cherheit und Geborgenheit findet, und er selbst sich einsam durch die graue und grausame Welt schlagen muss. Kain hat aus diesem Grund Abel erschlagen. Und immer die schmerzhafte Angst im Nacken, ob das alles vielleicht doch stimmt, und er auf das falsche Pferd gesetzt hat... Psychologie des antireligiösen Affektes Aggression gegen Gläubige gibt es auf vielen Ebenen, im ge- kränkten Narzissmus des modernen Menschen wie auch bei fanatischen Islamisten, die ihre Religion benutzen, ohne sie zu leben. Die Psychologie entlarvt das brüchige Selbstwertgefühl der Religionskritiker VON RAPHAEL BONELLI Aggressive Areligiöse empfinden Eifersucht, wenn Gläubige bei Gott Liebe und Geborgenheit finden. Foto: dpa

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Page 1: Dienstag, 7. Juni 2011 Nr .67 Psycholo gie des ... · Die Tagespost Dienstag, 7. Juni 2011 Nr .67 Feuilleton 9 HINTERGRUND Univ .-Doz. DDr .Ra phael M. Bonelli ist Psy-chiater , Neurologe

Die Tagespost Dienstag, 7. Juni 2011 Nr. 67 Feuilleton 9

HINTERGRUND

Univ.-Doz. DDr. Raphael M. Bonelli ist Psy-chiater, Neurologe und Psychotherapeutan der Sigmund Freud Universität Wien.Er ist Direktor des renommierten Instituts„Religiosität in Psychiatrie und Psychothe-rapie“, das erstmals eine Fachtagung ineinem Islamischen Zentrum veranstaltet.Um „Das Unbehagen mit der Religion. Is-lamophobie und verwandte Phänomene“geht es bei der am 18. Juni in Wien statt-findenden Tagung, bei der auch vier ex-ponierte Katholiken zu Wort kommen:neben Bonelli die ReligionsphilosophinHanna-Barbara Gerl-Falkovitz über „Wo-her die Angst vor Gott?“, der Altabt vonHeiligenkreuz, Gregor Henckel Donners-marck, über „Islam, Christentum und Rela-tivismus“, Tagespost-Korrespondent Ste-phan Baier über „Das Phänomen der so-genannten Islamophobie“, der Grazer Psy-chiatrie-Professor Walter Pieringer überdie „Psychodynamik des religiösen Fana-tismus“ und der Rektor der Sigmund-Freud-Privatuniversität, Professor AlfredPritz, über den „Islam als Kulturträger inEuropa“. Der einzige muslimische Rednerbei dieser Fachtagung im IslamischenZentrum Wiens ist der aus Ägypten stam-mende Sozial- und IslamwissenschaftlerElsayed Elshahed mit dem Thema „Wie-viel Gott verträgt die säkulare Gesell-schaft?“. Information und Anmeldungunter: www.rpp2011.org

Warum genau finden es manche Zeitgenos-sen so auffallend irritierend, wenn andereglauben? Wieso ist es für sie so schmerz-haft, wenn eine gottesfürchtige Musliminein Kopftuch trägt? Was kann so bedroh-lich daran sein, wenn bibeltreue Christendem politisch korrekten Mainstream wider-sprechen? Warum empört man sich, wennMenschen das katholische Lehramt fürwahr halten und ihr Leben danach ausrich-ten? Wieso ist es heute vielen schon ein Är-gernis, wenn sich ihnen persönlich völligunbekannte junge Männer aus dem Glau-ben heraus freudig für den Zölibat entschie-den haben? Warum fällt heute vielen „Tole-ranten“ die Toleranz gerade bei der Religionso schwer? Und um die Fragen noch weiterzuzuspitzen: Wieso in aller Welt mussteman den Märtyrern ihr Leben nehmen?Wie läuft der unbewusste Psychomechanis-mus ab, von der ersten Emotion bis hinzum Mord? Wie tickt die antireligiöse Psy-che?

Die Abwehr gegen Religionist irrationale Aggression

Zugegeben, nicht jede Religionskritik istpsychologisch auffällig. Hier soll jedoch diePsychodynamik einer irrationalen, unkont-rollierten Affektivität untersucht werden,die im Alltag oftmals Grundlage der Reli-gionsfeindlichkeit ist und damit eine ratio-nale Auseinandersetzung verunmöglicht.Die Aggression gegen das Religiöse, derantireligiöse Affekt, ist tatsächlich ein inte-ressantes Phänomen und aus psychologi-scher Sicht noch nicht ausreichend behan-delt. Auch wenn beide Seiten, der Gläubigeund sein Aggressor, nicht genau wissen wa-rum, ist eines klar: das Religiöse stört, undwer sich darauf ernsthaft einlässt, muss mitPrügel rechnen. Sei es die fromme Ehefrau,die vom Mann an der Ausübung ihrer spiri-tuellen Interessen behindert wird, wie zumBeispiel Martha Freud, der von ihrem be-rühmten Gatten Sigmund das Praktizierenihres jüdischen Glaubens ein Leben langverboten wurde. Seien es so manche zeit-geistigen Medien, die praktizierende Katho-liken prinzipiell für vogelfrei erachten,während sie peinlich genau auf das poli-tisch korrekte Einhalten der Ansprüche an-derer Minoritäten achten, die keinesfalls„diskriminiert“ werden dürfen. Nehmenwir hier den Katholiken Rocco Buttiglione,der wegen seiner religiösen Überzeugungendiffamiert und medial abgeschlachtet wur-de und aufgrund einer inszenierten Hyste-rie sein Amt als EU-Kommissar für Justiznicht antreten konnte. Ganz offen liegt dieVolksseele in so manchen Internetblogs, beidenen vielfach gläubige Menschen bloßaus diesem Grund an den Pranger der Lä-cherlichkeit gestellt werden. Meist reichtder Hinweis auf die Religiosität einerPerson, um für öffentlich ausgetragene Res-sentiments keine Sachargumente mehr zubenötigen.

Für die psychologische Untersuchungdieser latenten oder gar offenen Religions-feindlichkeit können wir die moderne Ag-gressionsforschung zu Hilfe nehmen. DerNeurowissenschaftler Joachim Bauer hat in

seinem neuesten Buch klargestellt, dass denmeisten Aggressionsformen ein psychi-scher Schmerz vorausgeht, und die Aggres-sion dessen Abwehr dient. Diese neurobio-logische Erkenntnis deckt sich mit demschon länger bekannten Phänomen dernarzisstischen Kränkung. Sie bezeichneteinen zumeist unbewussten, aber sehrschmerzhaft erlebten Vorgang, der in eineirrationale und oftmals unkontrollierte Ag-gression gegenüber dem „Kränker“ mün-det. Narzisstisch kränkbar sind Menschen,bei denen sich eine starke Diskrepanz zwi-schen idealisiertem Selbstbild und der Rea-lität entwickelt hat. Der Narzisst konstruiertein übermächtiges Wunschbild von sichselbst, das er zur Realität erklärt. Er lebt miteinem überzogenen, aber brüchigen Selbst-wertgefühl. Bedrohlich erlebt wird dem-nach jeder Hinweis auf die Wirklichkeit, dadie Wahrheit über sich selbst schmerzhafterlebt und deswegen ins Unterbewusstseinverdrängt wird.

Sigmund Freud hat der Menschheit inseiner Abhandlung „Eine Schwierigkeit derPsychoanalyse“ bis dahin (1917) dreischwere Kränkungen diagnostiziert. Dieerste wäre die Entdeckung Kopernikus’,dass sich die Erde um die Sonne dreht undnicht umgekehrt, was nach Freud die zent-rale Rolle des Menschen in Frage gestellthätte. Die zweite bestünde in den Hypothe-sen des Charles Darwin, dass der Menschvom Affen abstamme, die demnach diegöttliche Schöpfung hätten widerlegen sol-len. Die dritte Kränkung der Menschheitwäre eben Freuds Postulat des Unbewuss-ten, wonach der Mensch nicht Herr seinerselbst sei, sondern materiell determiniert.Dass diese Freud’sche Selbsteinschätzungauch nicht ganz frei von Narzissmus seindürfte, sei an dieser Stelle augenzwinkerndangemerkt. Was wir hier jedenfalls lernenkönnen ist, dass den Narzissten ganz be-sonders das schmerzt, von dem er unbe-wusst spürt, dass es wahr sein könnte, er esaber nicht wahrhaben will. Die Bedrohungund der Schmerz bestehen darin, dass derKränker Recht haben könnte und daskonstruierte Selbstbild an der Realität zer-brechen könnte, dass, existenziell gespro-chen, von ihm nichts mehr übrigbleibt.Deswegen muss das Trugbild mit offensiverAggression verteidigt werden.

Ich möchte hiermit die drei Kränkun-gen des „modernen“ Menschen postulie-ren. Die erste besteht darin, dass Gott nachwie vor nicht tot ist, obwohl FriedrichNietzsche vor 150 Jahren dessen Ablebendiagnostiziert hatte. Nietzsche zum Trotzblühen die Religionen aber weltweit. Auchin Europa zeigt sich das, insbesondere amPhänomen des Islam, aber auch an Neuauf-brüchen in der katholischen oder evangeli-schen Welt. Die Renaissance des Religiösenwird als bedrohlich erlebt, da das idealisier-te Selbstbild des modernen Menschen vor-gibt, diese Transzendenz nicht mehr zu be-nötigen, weil ja die „Wissenschaft“ jegli-ches Übernatürliche wegrationalisiert habe.

In die Abwehr der schmerzhaften Reali-tät, dass jedem Menschen eine natürlicheReligiosität innewohnt, die Victor Frankl inseinem Buch „Der unbewusste Gott“ be-

schrieben hat, wird viel Kraft investiert.Diese Abwehrkräfte können als antireligiö-se Affekte wahrgenommen werden. Da sieirrational und daher unbegründbar sind,verlieren sie sich häufig in einer überzoge-nen Affektivität im Sinn einer emotionalenAufgeregtheit und Betroffenheit, um sichder rationalen Diskussion zu entziehen.Tatsächlich werden dem Religiösen vielepseudorationale Scheinargumente an denKopf geworfen, die aus den irrationalenQuellen eines schmerzhaft gekränkten Nar-zissmus stammen. Zusammengefasst: Dieerste narzisstische Kränkung ist die unüber-sehbare Lebendigkeit der totgehofften Reli-gion.

Zweitens: Noch viel schmerzhafter, weilbedrohlicher, wird aber die moralische Ins-tanz erlebt, die den Glaubensgemeinschaf-ten innewohnt. Die heute gehandelten al-ternativen Ethikangebote sind letztlichebenso farblos wie inhaltsleer und beliebig,damit aber auch schmerzfrei, oder sogarschmerzstillend. Neues Opium für das Volk:seichte, nichtssagende, moralinsaure, poli-tisch korrekte Stehsätze nachbeten – undsich gleich so richtig moralisch überlegenfühlen. Wie leicht ist es doch, gut zu sein.Dafür steht ein wahrhafter Gottesglaubenur bedingt zur Verfügung. Religion ist vielmehr als ein simples Moral- und Anstands-gebäude. Vielleicht gerade wegen ihrertranszendenten Verankerung ist die religiö-se, und ganz besonders die katholische Mo-rallehre nicht manipulierbar – nicht einmalvon beifallshungrigen Moraltheologen. Dasist aber im Zeitalter der veröffentlichtenMeinung tatsächlich eine beängstigendeund durchaus schmerzhafte Angelegenheit– es bedeutet ja einen potenziellen Macht-verlust für die Trend-Setter. Die Religion –jede! – degradiert den selbst zu Gott gewor-denen modernen Menschen zum Geschöpfund installiert sogar Normen, an die er sichhalten muss. Und behauptet sogar, dass eseinen ewigen Richter gibt, vor dem derMensch sich für seine Taten verantwortenmuss. Das tut weh.

Heute wird in erster LinieSchuld verdrängt

Benedikts XVI. messerscharfe Analysebringt es auf den Punkt: „Es entsteht eineDiktatur des Relativismus, die nichts alsendgültig anerkennt und als letzten Maß-stab nur das eigene Ich und seine Wünschegelten lässt.“ Zu dieser Ich-haften Ethik ge-hört damit zwingend das Postulat der Feh-lerlosigkeit des modernen Menschen. Denndie neue Ethik passt sich ja flexibel an diejeweiligen Lebensformen an, deswegenkonnten Fehler, Schuld und Sünde abge-schafft werden. Schuld: die haben höchs-tens die anderen. Damit muss in derSchmerzabwehr der Täter zum Opfer umge-deutet werden: Man wälzt so seine Fehleraggressiv auf andere ab. Ich erlebe in Paar-therapien manchmal durchaus amüsanteSituationen bei Ehepaaren, wenn zwei feh-lerlose, unschuldige Opfer dem jeweils an-deren die Täterrolle zuspielen wollen. Alsklassische Täteranwärter, sprich Sündenbö-cke, werden übrigens auch gerne mal die El-

tern herangezogen, oder, heutzutage nochstimmiger, irgendein Kirchenvertreter.

Diese Dynamik der krampfhaftenSchmerzvermeidung durch rigides Festhal-ten an der eigenen Fehlerlosigkeit mit re-flexartiger aggressiver Fremdbeschuldigungkann der moderne Mensch nur mit mühsa-mer Anstrengung in kontinuierlichemSelbstbetrug durchhalten. In psychoanaly-tischer Terminologie nennt man diese An-strengung „Verdrängung“. Heute wird inerster Linie Schuld verdrängt, denn dafürhat der unbarmherzige Zeitgeist keine wirk-liche Lösung. Eine Aufdeckung dieser Ver-drängung ist schmerzhaft und muss mitAggression abgewehrt werden. Damit istdie Kirche, sind auch die anderen Glau-bensgemeinschaften, der Buhmann, dennihre Botschaft ist, dass jeder schuldig wird.Zusammengefasst: Die zweite narzisstischeKränkung des modernen Menschen ist dieeigene Schuldhaftigkeit.

Auch die innerkirchliche Allergie aufNormengebung hat hier ihren psychologi-schen Ursprung. In diesem Zusammen-hang ist der Slogan aus den 1980er Jahren„Frohbotschaft statt Drohbotschaft“ kri-tisch zu hinterfragen. Was wird hier genauals bedrohlich erlebt – und warum? DasSelbstbild des armen hilflos Bedrohten an-gesichts eines moralischen Ansprucheszeugt von der klassisch neurotischenFremdbeschuldigung aufgrund mangeln-der Selbstreflexion. Zu leicht kippt solcheine Grundhaltung in die unreflektiertepassive-aggressive Opferrolle. „Schuld sinddie anderen, die zu viel von mir verlangen.“

Aus diesem Grund werden diese psychody-namisch durchschaubaren Anliegen meistaggressiv oder verbittert vorgetragen – alsOpfer eben.

Der Vollständigkeit halber muss manfesthalten, dass es natürlich auch interreli-giöse Aggression gibt, die einen Sonderfallder Religionsfeindlichkeit darstellt. Zur ag-gressiven religiösen Intoleranz neigen jenePersönlichkeiten, die sich der Religion fürihre eigenen, oft politischen und/oderegoistischen Zwecke bedienen. Sie stehenim Gegensatz zu denjenigen, die ihre Reli-gion verinnerlicht haben. Der PsychologeGordon W. Allport unterschied 1967 dieBegriffe extrinsische und intrinsische Reli-giosität, indem er festlegte „the extrinsical-ly motivated person uses his religion,whereas the intrinsically motivated liveshis religion“ („Die extrinsisch motiviertePerson benutzt ihre Religion, wohingegendie intrinsisch motivierte ihre Religionlebt“). Sehr deutlich wird das am Beispielvon fanatischen Fundamentalisten, die sichauf den Islam berufen, ohne ihn innerlichzu leben. Sie missbrauchen den Koran fürihre politischen Ziele und zur narzissti-schen Selbsterhöhung. Offensichtlich wirddasselbe Phänomen aber auch an jenen ka-tholischen Islamkritikern, die das katholi-sche Lehramt wegblenden, um bei ihrenfeindseligen Thesen bleiben zu können.Während die Päpste Johannes Paul II. undBenedikt XVI. eine beeindruckende intrin-sische Religiosität aufweisen, die mit einerhohen Toleranz auch gegen den Islam ein-hergeht, scheinen so manche modernenKreuzzügler durchaus extrinsisch motiviertund berufen sich mehr auf das christlicheAbendland anstatt so zu leben. Interreligiö-se Aggression verläuft nach derselben Psy-chodynamik wie die antireligiöse, ist aberoftmals einen Deut heuchlerischer undpharisäischer.

Zur dritten Kränkung des modernenMenschen: in der Familiendynamik kannman oft das Phänomen der Aggression desPubertierenden auf jüngere Geschwister be-obachten, die sich notgedrungen mit denmächtigen Eltern verbünden. Das hat mitEifersucht zu tun, da er sich weniger geliebtfühlt als die Jüngeren, Schwächeren, undauch mit Neid um die Gunst der bekämpf-ten Erwachsenen. Denn der ambivalentePubertierende sehnt sich nach der Liebe,die er ausschlägt. Dieser Mechanismus trifftauch manchmal bei der antireligiösen Ag-gression zu. Der aggressive Areligiöse fühltsich unterbewusst ins Eck gedrängt, in dieEnge getrieben, in Frage gestellt. Die aufge-setzte pubertäre Überlegenheitsgebärde istoft nicht mehr als eine mühsame Rationali-sierung seiner inneren Not. Seine Kränkungbesteht darin, zurückgesetzt zu werden, ob-wohl er die Zurücksetzung pubertär provo-ziert. Er empfindet Neid und Eifersucht da-rüber, dass der andere bei Gott Liebe, Si-cherheit und Geborgenheit findet, und erselbst sich einsam durch die graue undgrausame Welt schlagen muss. Kain hat ausdiesem Grund Abel erschlagen. Und immerdie schmerzhafte Angst im Nacken, ob dasalles vielleicht doch stimmt, und er auf dasfalsche Pferd gesetzt hat...

PsychologiedesantireligiösenAffektesAggression gegen Gläubige gibt es auf vielen Ebenen, im ge-kränkten Narzissmus des modernen Menschen wie auch beifanatischen Islamisten, die ihre Religion benutzen, ohne sie zuleben. Die Psychologie entlarvt das brüchige Selbstwertgefühlder Religionskritiker VON RAPHAEL BONELLI

Aggressive Areligiöse empfinden Eifersucht, wenn Gläubige bei Gott Liebe und Geborgenheit finden. Foto: dpa