Differenz und Berührung : Bildbeschreibung

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 Differenz und Berührung Seminar: Mindfuck Vorbemerkung  2 I Berührungen 2 I.I Drei Überlegungen zu einem Begriff der Berührung  2 I.II Berührungen in Chétouanes Bildbeschreibung  3 II Zu einem differenzphilosophischen Begriff der Wiederholung 4 II.I Die drei Synthesen der Zeit  4 II.III Statische und dynamische Wiederholung  6 II.III Dynamische Wiederhohlungen in Chétouanes Inszenierung  6 Abbildungen  9 Quellenverzeichnis  8 1

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Differenz und BerührungSeminar: Mindfuck

Vorbemerkung! 2

I Berührungen! 2

I.I Drei Überlegungen zu einem Begriff der Berührung ! 2 

I.II Berührungen in Chétouanes Bildbeschreibung ! 3 

II Zu einem differenzphilosophischen Begriff der Wiederholung! 4

II.I Die drei Synthesen der Zeit ! 4 

II.III Statische und dynamische Wiederholung ! 6 

II.III Dynamische Wiederhohlungen in Chétouanes Inszenierung ! 6 

Abbildungen! 9

Quellenverzeichnis ! 8

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VorbemerkungJoseph Vogl stellt seinem Beitrag zu der Publikation Heiner Müller. Bildbeschreibung. Ende der Vorstellung.

eine grundlegende Frage voran, die er Hitchcocks Film Die Vögel entnimmt. Die Frage lautet: „,Was hat das

zu bedeuten?‘“1 Im Hinblick auf Laureant Chétouanes Inszenierung von Heiner Müllers Text, der so Nikolaus

Müller Schöll, „eine ziemliche Zumutung darstellt“2, scheint sich diese Frage zu potenzieren.

Im Folgenden möchte ich die radikal differentiellen Bedeutungen des Textes und der Inszenierung

ausmessen und grob begrifflich kartographieren, um Abhilfe zu schaffen. Ich bemühe zu diesem Zweck

einen Begriff der Berührung, dessen Fasskraft ich aus drei Zitaten montiere sowie Gilles Deleuze Buch 

Differenz und Wiederholung .

Ich hoffe das Theorie und Praxis sich reziprok beleuchten, d.h. ich werde mich vor allem um die Begriffe

Differenz , Wiederholung sowie Berührung bemühen, um erhellendes zu einigen Screenshots und ein wenig

Videomaterial aus der Inszenierung der Bildbeschreibung zu sagen und vice versa.

I BerührungenI.I Drei Überlegungen zu einem Begriff der Berührung

Um einen Begriff der Berührung als Analyseinstrument betreffs der Bildbeschreibung zu gewinnen, möchte ich im Besonderen drei Aspekte der Berührung montieren. Der Begriff der Berührung legt sich also Analyse

Instrument auf mehreren Ebenen nahe: 1. Zunächst legt Chétouane selber legt in dem kleinen Aufsatz

„Touching the Touch“ ein Konzept der Berührung vor und die entsprechende Relevanz für seine Ästhetik

nahe. 2. Berührung erschien mir auf assoziativer Ebene die treffendste Beschreibung für die Ereignisse des

Bühnengeschehens. 3. Der Begriff der Berührung erlaubt es mir auf der Ebene der Begriffsarbeit 3 an das 

Seminarthema, d.h. den Mindfuck anzuschließen.

Nichts desto trotz möchte ich unterschiedliche Autoren bemühen um bestimmte Nuancen des

Berührungsbegriffs zu betonen. Laureant Chétouane hilft die Motivation der Berührung zu verstehen. Er 

schreibt: „Touching as an action is a philosophy of contact, of exchange, without appropriation, withoutassault, without grasp, without name. It wishes to name the unnameable, to open up what is actually alien.“4 

Chétouane versteht die Berührung als eine Philosophie von Kontakt und Austausch, die sich der 

Vereinnahmung verwehrt. Motivation der Berührung ist für Chétouane ein Unfassbares, dass sie fassen und

benennen möchte, ohne dass es ihr je gelänge.

Elias Canetti hilft betreffs der Frage, was sich berühren kann. Er schreibt: "Nebeneinanderlegen darfst du die

Sätze schon, sie mögen einander sehen, und wenn es sie reizt, dürfen sie einander berühren. Mehr nicht."5 

Was auch immer Canetti sich unter der Berührung der Sätze vorstellt, dem Zitat ist zu entnehmen, dass für 

Canetti Berührungen offenbar auch auf abstrakter Ebene möglich ist, zwischen dem, was kein Körper ist.

Hinzufügen möchte ich einige Sätze des Philosophen Jean-Luc Nancy, der uns in seinen Untersuchungenzu der deutsche Sprachfamilie des nicht mehr gebräuchlichen deutschen Wortes Ruhr in deren Bannkreis

die Berührung auf etymologischer Ebene angesiedelt ist, vor Allem das Separierende der Berührung nahe

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1 Joseph Vogl: „GEFIEDER, GEWÖLK. Anlässlich einer Fußnote Heiner Müllers“, in: Haß, Ulrike (Hg.): Heiner Müller. Bilbeschreibung.

Ende der Vorstellung , Breyten Breytenbach, Theater der Zeit 2005, S. 187 - 198, hier: S. 187.

2 Nikolaus Müller-Schöll: „Gestensammlung und Panoptikum. Zur Messianizität in Heiner Müllers BILDBESCHREIBUNG“, in: Haß,Ulrike (Hg.): Heiner Müller. Bilbeschreibung. Ende der Vorstellung , Breyten Breytenbach, Theater der Zeit 2005, S. 144 - 157, hier: S.144.

3 Ganz so, als wäre der semantische Raum der Steinbruch der Begriffe.

4 Laurent Chétouane: „Touching the Touch“, in: Heun, Walter; Krassimira Kruschkova; Sandra Noeth; Martin Obermayr (Hg.): SCORES No 1. touché, Wien: Tanzquartier Wien 2011, S. 92 - 95, hier: S. 93.

5 Elias Canetti: Die Fliegenpein , München: Carl Hanser Verlag 1993.

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leget. Nancy schreibt: „Only a separate body on its own is able to touch.“ & „Touching begins when bodies

distance themselves and set themselves apart“.6 

Die drei Aspekte der Berührung die ich an Hand der ausgewählten Zitate betonen wollte sind: Das

Unfassbare, dass die Berührung fassen möchte als ihre Motivation. Die Fähigkeit der Berührung auch

zwischen unterschiedlichen Elementen abstrakter Zeichensysteme zu geschehen sowie das Trennende der 

Berührung als qualitative Feststellung.

I.II Berührungen in Chétouanes BildbeschreibungDie Auseinandersetzung mit der Inszenierung stützt sich auf eine DVD mit einem Aufführungsmitschnitt. 7 

Auf jedem dieser Bilder sehen wir den Tänzer Frank Willems im Bühnenraum. Hinzu habe ich die jeweiligen

Textpassagen notiert. Ich werde auf zwei Screenshots genauer eingehen.8 

Der erste Screenshot zeigt Frank der sich mit der rechten Hand am Gummizug seiner Trainingsjacke zieht.

Vielleicht ist sie ihm zu eng, vielleicht zu warm, vielleicht möchte er den Gummizug im Kragen der

Trainingsjacke zerreißen, vielleicht dem Publikum seinen männlichen Oberkörper zeigen und sich daher der

Trainingsjacke entledigen. Franks Geste trifft in diesem Moment der Aufführung auf die von ihm veräußerte

Textstelle: „Könnte ein Gummitier sein, dass sich von seiner Leine losgerissen hat.“

Der Konjunktiv verunsichert den Betrachter, könnte es sich tatsächlich um ein Gummitier handeln?

Gummitier und Gummizug scheinen auch in Verbindung zu stehen, bis man feststellt, dass Spekulationen in

diese Richtung keinen wirklichen Fortschritt bedeuten. Im weiteren kann zu Protokoll gegeben werden, dass

Leinen bei Tieren meist um den Hals getragen werden und Frank sichtlich bemüht ist seinen Hals zu

befreien.

Letztlich scheinen alle diese Beobachtungen hauptsächlich das Trennende von Bild oder Körper oder Geste

und Text hervorzuheben, die zu keiner Einheit gelangen, obwohl gewisse Anknüpfungspunkte nicht völligvon der Hand zu weisen sind. Diese radikale Separiertheit im Verbundenen möchte ich als abstrakte

Berührung entsprechend der Zitate von Chétouane, Canetti und Nancy verstehen.

Die anderen Screenshots entfalten offensichtlich eine ähnliche Konfiguration. Ist man bereit dem Text zu

folgen entsteht ein unterhaltsames Spiel des Abgleichens von Bild und Text in dem sich Frank, z.B. in

Screenshot 4 schließlich zweimal auf der Bühne manifestiert: Einmal in seiner Anwesenheit und einmal in

seiner Abwesenheit, d.h. dort wo er sein müsste um das durch den Text vorgebene Bild auszufüllen. So wie

er seine Hände Daumen an Daumen in den Schoß gelegt hat, beginnt er als Mann hinter sich, d.h. der Frau

auf dem Stuhl, zu stehen. Diesen imaginierten Hohlraum den die Sprache um das Bild aus Körper undObjektwelt zu spinnen scheint möchte ich als das unfassbare Movens   der Berührung benennen. Insofern

entfaltet sich in jedem dieser Screenshots ein zartes Wechselspiel der abstrakten Berührungen zwischen

3

6 Jean-Luc Nancy: „Rühren, Berühren, Aufruhr [ STIRING STIRING UP UPRISING]“, übersetrzt von Christine Irizarry, in: Heun,Walter; Krassimira Kruschkova; Sandra Noeth; Martin Obermayr (Hg.): SCORES No 1. touché , Wien: Tanzquartier Wien 2011,Tanzquartier Wien 2011, S. 6 - 13, hier: S. 7.

7 Ich habe die Aufführung mehrmals auf DVD gesehen und 2008 live auf der Probebühne des Instituts für angewandteTheaterwissenschaft in Gießen. Der DVD Mitschnitt der Aufführung hat eine Dauer von ca. 1 Stunde 40 Minuten. Der Mitschnitt dürfteim LOFFT in Leipzig entstanden sein.

8 Es handelt sich um Screenshots zu den Textstellen: 1. Könnte ein Gummitier sein, dass sich von seiner Leine losgerissen hat (Min4:14); 2. Der Mann in der Türöffnung (Min 31:37); 3. Er s ieht mit den Füßen (Min 39:04); 4. Oder die Frau auf dem Stuhl der Mannhinter ihr stehend seine Hände Daumen an Daumen um ihren Hals gelegt (Min 50:26); 5. Das Loch in der Ewigkeit (1:31:39); 6. Ich dieFrau mit der Wunde am Hals (Min 1:57:52).

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dem Text und des durch Gesten erzeugten Bildes, dass durch den Text gefasst wird, um sich zu pluralisieren

und zu entgleiten.

Zugleich ermuntert das Unabgleichbare zwischen Geste und Texte auch den Zuschauer seinerseits in das

abstrakte Spiel der Berührungen einzutreten, um zu fassen, was ihm entgleitet.

Da sich die Punkte der Berührung in zeitlich und räumlich immer neu anordnen möchte ich auch auf den

rhythmischen Charakter der Berührungen aufmerksam machen.9

II Zu einem differenzphilosophischen Begriff der Wiederholung

(Szenenbeispiele: Bsp. 1 „Am Horizont ein flaches Gebirge“ : 4:30 - 5:30; Bsp. 2 „An einem fleckig blauen

Brett“ : 13:00 - 14:00; Bsp. 3 „Bis die eine unaufhörliche Bewegung einsetzt“ : 26:00 - 27:00; Bsp. 3 „Der

heimliche Pulsschlag des Planeten“ : 1:03:30 - 1:04:30) (Spieldauer Beispiele insgesamt 4 Minuten)

II.I Die drei Synthesen der ZeitDeleuze stellt uns in seinem Buch Differenz und Wiederholung ein Bild des Denkens zur Verfügung, dass es

uns gestattet die Erfahrung der Bildbeschreibung in der Zeit zu situieren und somit die Ebene des

Einzelbildes zu überschreiten.10 

Deleuze schlägt hierzu drei Synthesen der Zeit vor.11 Ich möchte kurz auf alle drei Synthesen der Zeit

eingehen, möchte den Fokus allerdings auf die zweite und dritte Synthese der Zeit legen und zwischen

ihnen einige Aspekte der Differenzphilosophie klären. Die zweite und die dritte Synthese der Zeit differieren

in ihrem Verhältnis zum Gedächtnis in der Zeit 12, die sie generieren und in der libidonösen Ökonomie,13 die

sie bestimmt.

Die erste Synthese der Zeit ist Gewohnheit, die zweite Synthese der Zeit ist Gedächtnis und Eros, die dritte

Synthese der Zeit ist der Todestrieb.

Die erste Synthese der Zeit wird an Hand des Tickens einer Uhr erläutert. Die Gewohnheit konstituiert sich

aus der repetitven Struktur des Tickens der Uhr, dass mental zusammengefügt wird, obwohl es rein

differentiell ist.14 Die Gewohnheit bedingt die Erwartung, dass es weitergeht.

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9 Jean-Luc Nancy schreibt: „The liquid movement of a rhythm, a swell, an undertow of ex-istence, which is >>being outside<< becausethe >>outside<< is the inflection, the curve and the scansion of this flotation and friction ruling the way in which my body is steepedamong all the bodies and my skind alongside all the other bodies.“ (Jean-Luc Nancy: „Rühren, Berühren, Aufruhr [ STIRING STIRINGUP UPRISING]“, S. 11)

10

vgl. Mirjam Schaub: Gilles Deleuze im Wunderland. Zeit als Ereignis-Philosophie , München: Wilhelm Fink 2003. Zunächst S. 17 - 19.11 Die erste Synthese der Zeit ist Habitus. Die zweite Synthese der Zeit sind Menmosyne und Eros. Die dritte Synthese der Zeit istThanatos. vgl. Monique David Ménard: Deleuze und die Psychoanalyse . Aus dem französischen von Franziska Schottmann, Zürich:diaphanes 2009, zu Habitus S. 57 - 61; zu Mnemosyne S. 61 - 66; zu Thanatos S. 66 - 69.

12 Monique David-Ménard schreibt: „Die Linearität der Zeit in der dritten Synthese ist also keineswegs eine einfache Linearität, die mitder Vorstellung von Anfang und Ende alles Gegenwärtigen einherginge. Vielmehr ist sie dir dritte Dimension der Wiederholung, diekonstitutiv für die Zeit ist. Ihre >>unerbittliche<< Linearität entspringt daraus, dass sich die Gegenwart nicht mehr auf eine reineVergangenheit gründet und das Trugbild von der Identität im Ursprung und der Ähnlichkeit im Abgleichen überwindet.“ (Monique DavidMénard: Deleuze und die Psychoanalyse , S. 67.)

13 Monique David-Ménard schreibt: „Die Liebe lässt die Objekte, denen sie nachjagt, fallen, und die Mythen des Gedächtnisses, diediesen Objekten Konsistenz verleihen, erscheinen wie eine Verkrampfung des Ich [Je]. Ebenso kann das Ich seine Obsessionaufgeben, den Stoff seiner Gewohnheiten als eigene Grundlage zu nehmen und dieses vermeintliche Fundament durch das Gedächtnis

zu beherrschen. Etwas wesentliches kehrt in der Wiederholung nicht wieder; diese Nicht-Wiederkehr ist der Prozess oder die Erfahrung,die Eros in Thanatos umformt, oder besser: die Thanatos zum Werden von Eros macht.“ (Ebenda S. 68)

14 vgl. Gilles Deleuze: Differenz und Wiederholung. Aus dem Französischen von Joseph Vogl, München Wilhelm Fink 2007 [1992], S.103.

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Die zweite Synthese der Zeit , wird von Deleuze als Verschränkung von Gedächtnis und Eros entworfen. Für

Deleuze erschafft die Erinnerung eine Vergangenheit, die sich im Wechselspiel mit der Gegenwart generiert,

genauso wie sich die Gegenwart im Wechselspiel mit der Vergangenheit produziert. Die Gegenwart ist für

Deleuze entsprechend nie gegenwärtig. Er spricht vielmehr von mentalen Zeit-Kristallen im Gehirn.15 

Monique David-Ménard schreibt zu diesem Sachverhalt hinsichtlich Deleuze: „Die Vergangenheit ist allein

durch die Tönung aktuell, die sie unserem aktuellen Leben gibt [...]“ 16 Indem die Vergangenheit den Fokus

bestimmt, der sich auf die Gegenwart legt, bestimmt sie auch die Objekte des Begehrens und bekommt so

ein erotisches Potential. Das Problem mit diesen Objekten des Begehrens ist allerdings, dass es sie nicht

gibt, da sie Verformungen aus Gegenwart und Vergangenheit, d.h. Phantasmen sind.17 

Das Fundament der zweiten Synthese ist, dass das Gedächtnis Begehren generiert und sein Subjekt

gewissermaßen in einer zirkulären Zeit verschließt, in der es sich um ein Begehren bemüht, dass eine

unbefriedigende Zirkularität der erhofften Befriedigung bedingt. Zugleich beherrscht das Gedächtnis die Welt

der wohl strukturierten Vorstellungen in der Begriffe auf etwas verweisen, dass sie adäquat repräsentieren.

Die dritte Synthese der Zeit  verändert das Verhältnis zum Gedächtnis und damit das Verhältnis zurOrganisation der Libido und zur Repräsentation. Deleuze legt uns nahe auf Gedächtnis und Gewohnheit zu

verzichten, um uns auf eine radikal lineare Zeitachse zu begeben in der jeder Moment in Raum und Zeit vor

Allem differentiell sein wird. Auch legt Deleuze im Hinblick auf die dritte Synthese nahe, dass in dort wo der

Urgrund der Repräsentation verschwindet, sich der Raum öffnet für ein Spiel der Masken und der

Spannungen zwischen den Masken. Kurzum für ein formales Spiel der Wiederholungen, dass die ädaquate

Repräsentation außer Kraft setzt. Deleuze legt uns nahe die Libido von den phantasmatischen durch unser

Gedächtnis bestimmten Tatsächlichkeiten abzuziehen, um sie gewissermaßen frei flottieren zu lassen. Das

Beispiel, dass Deleuze hier nutzt ist das des Masochisten und des Drogenabhängigen18

, die die genitaleLustorganisation durch Intensitäten und Geschwindigkeiten von Schmerz und Rausch ersetzen.19 

Gerade das Wechselspiel der zweiten und der dritten Synthese vermag beide noch einmal zu verdeutlichen.

Dort wo es der zweiten Synthese unmöglich ist zu greifen, da Repräsentation nicht möglich ist interveniert

der Fragende und Zersetzende Gestus der dritten Synthese.20 Ich möchte nun zu einem Begriff der

Wiederholung überleiten, da es der Begriff der Wiederholung ist der die Repräsentation zum Platzen bringt,

wenn sich u.a. unter einem Signifikanten unterschiedliche Signifikate versammeln.

5

15 Deleuze formuliert es in Was ist Philosophie wie folgt: „C‘est le cerveau qui pense et non l‘homme, l‘homme étant seulement une

cristallisation. On parlera du cerveau comme Cézanne du payage : l‘homme absent, mais tout entier dans le cerveau [...]“ ( GillesDeleuze et Félix Guattari, Qu’est-ce que la philosophie ? , Paris, Minuit, 1991, p. 197-198)

16 Monique David Ménard: Deleuze und die Psychoanalyse , S. 62.

17 Monique David-Ménard schreibt: „Entsprechend entreißt Eros der reinen Vergangenheit virtuelle Objekte, die von unserem Begehrenbesetzt werden.“ Ebenda S. 63.

18 vgl. Gilles Deleuze & Félix Guattari: „28. November 1947 - Wie man sich einen organlosen Körper schafft“, aus dem Französischen,in: Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie II. übersetzt von Gabriele Ricke und Ronald Voullié Berlin: Merve 2005 [1992], S.205 - 228.

19 Deleuze und Guattari schreiben: „Schmerzen sind Populationen, Meuten, Gewohnheiten des König-Maso in der Wüste, die er entstehen läßt. Genauso ist es beim Körper des Drogensüchtigen und den Kälteintensitäten, den Kälteschauern.“ (Gilles Deleuze & Félix Guattari: „28. November 1947 - Wie man sich einen organlosen Körper schafft“, S. 209) & „Kurz gesagt, der Masochist bedient

sich des Leidens als Mittel [...] und zur Freisetzung einer Konsistenzebene des Begehrens. Daß es andere Mittel, andere prozedurenals den Masochismus gibt, und zwar bessere, das ist eine andere Frage.“ (213)

20 Monique David Ménard beschreibt: „Man erinnert sich ferner an das Loblied auf den Masochismus, der im Suspens die Befriedigungaufschiebt und die Lust zu Gunsten einer Frage zurückstellt.“ (Monique David Ménard: Deleuze und die Psychoanalyse , S. 70.)

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II.III Statische und dynamische WiederholungDeleuze differenziert seinen Begriff der Wiederholung in zwei Formen der Wiederholung aus. Er gibt das

Beispiel der manuellen Fertigung von mehreren Exemplaren eines Schmuckmotivs und das Beispiel des

Schwimmers, der sich mit seinen Schwimmbewegungen ins Verhältnis zur Welle, die ihn umgibt, bringen

muss. Deleuze exemplifiziert hieran die statische und um die dynamische Wiederholung.21 

Eine Reihe von gleicher Schmuckmotive manueller Fertigung kann bei oberflächlicher Betrachtung als eineReihe grob identischer Objekte gesehen werden. Die Wiederholung der äußeren Form ein und des selben

Objekts in Raum und Zeit wird von Deleuze als statische Wiederholung bezeichnet. Sähe man genauer hin,

so Deleuze, müsse man zur Kenntnis nehmen wie in der manuellen Produktion kleine

Transformationsprozesse einsetzen würden. Deleuze schreibt: „Er reiht nicht Exemplare der Figur

aneinander, er kombiniert vielmehr jedesmal ein Element mit einem anderen Element eines folgenden

Exemplars. In dem dynamischen Konstruktionsprozeß führt er ein Ungleichgewicht, eine Instabilität, eine

Instabilität, eine Asymetrie, eine Art Aufklaffen ein, die nur in der Gesamtwirkung gebannt sein werden.“22 Die

statische Wiederholung betont die Entsprechung der Elemente/Objekte unter einem Signifikat/Begriff, diedynamische Wiederholung betont die innere Differenz als transzendentes Prinzip, das nachträglichen

Betrachtung hervorhebt. Die statische Wiederholung verweist für Deleuze auf den selben Begriff,

wohingegen die dynamische Wiederholung auf die Evolution der Geste verweist.

Das zweite Beispiel das Deleuze wählt ist das der Schwimmers und der Welle. Deleuze beschreibt es als

dynamische Wiederholung, da der Schwimmer seine Gesten an jede Welle individuell anpassen muss. Der

neue Aspekt an diesem zweiten Beispiel ist, dass es illustriert inwiefern, dass andere und fremde der Welle

in jeder Schwimmbewegung neu integriert werden muss. / An beiden bedeutet Deleuze, dass es sich immer

um exceptionelle Punkte des Wiederholten handelt: „Wenn der Körper seine ausgezeichneten Punkte mit

denen der Welle vereinigt, so knüpft er das Prinzip einer Wiederholung, die nicht mehr das Selbst betrifft,

sondern das Andere umfaßt[...]“23 Es sind diese exceptionellen Punkte, die sich in einem Spiel der

Differenzen wiederhohlen.24 

II.III Dynamische Wiederhohlungen in Chétouanes InszenierungSo wie Nikolaus Müller-Schöll Müller Text als Gestensammlung25 beschreibt so könnte man auch

Chétouanes Inszenierung als Gestensammlung umschreiben ganz in dem Sinne den Giorgio Agamben

diesem Begriff gibt, dass heißt ganz so wie die Geste in ihrer Flüchtigkeit der Repräsentation entflieht, 26 so

zerfließt die Repräsentation in Chétoaunes Inszenierung in einem Tempo dass bar der hypnotischen Trancein die ich bei der Live Aufführung die ich gesehen habe verfiel, überrascht. Wenn der Begriff Repräsentation

auf die Inszenierung angewandt werden soll, kann er dies vielleicht im Hinblick auf das Potential der

6

21 vgl. Gilles Deleuze: Differenz und Wiederholung. S. 37f.

22 Ebenda S. 37.

23 Ebenda S. 42.

24 Ich möchte hier noch einmal auf das Verhältnis von Wiederholung und Gedächtnis eingehen, dass mir nicht deutlich genug erläutertscheint. Die Freiheit vom Gedächtnis impliziert nicht die Freiheit von Wissen. Die Freiheit von Gedächtnis impliziert die dynamische

Wiederholung, dass das Subjekt der Wiederholung nicht in der statischen Wiederholung verhaftet bleibt.

25 Nikolaus Müller-Schöll: „Gestensammlung und Panoptikum. Zur Messianizität in Heiner Müllers BILDBESCHREIBUNG“.

26 Giorgio Agamben: "Mittel ohne Zweck. Noten zur Politik", aus dem Ital. von Sabine Schulz, Diaphanes Verlag, Freiburg/Berlin.

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Sprache Objekte und Körper adäquat zu repräsentieren. Doch dies scheitert nicht zuletzt daran, dass dieses

Verhältnis niemals über das Berührung hinausgeht. Die Synthesen der Zeit mit denen der Zuschauer sich

bei Chétouanes Bildbeschreibung konfrontiert sieht, lassen sich wie folgt entworfen. Vor allem der

Sprachrhtymus aber auch der Rhythmus der Gesten bestimmen eine grundlegende der Ebene bzw. die

Gewohnheit der Inszenierung und damit die erste Synthese der Zeit (wie das Ticken einer Uhr). Die

Bemühungen Text und Bild mit konventionellem Blick mit der individuellen Betrachtervegangnheit

abzugleichen bestimmt die zweite Synthese der Zeit, wohingegen das Scheitern und der permanente Entzug

des Bildes die dritte Synthese der Zeit bestimmen. Die radikale Differenz von Zeichen und Bezeichnetem tritt

in Widerholungsphänomenen zu Tage, die im folgenden zu spezifizieren sind.

Die dynamische Wiederholung lässt sich zunächst auf der Ebene der Interaktion mit dem Text bestimmen.

Denn das Prinzip der gestischen Berührung wird an jeden Satz des Textes neu herangetragen.

Auch der Text an sich wird durch die Sprechhaltung und die sprachliche Disposition Franks einer

dynamischen Wiederholung anheimgegeben. Zum einen Spricht Frank kein deutsch und zum anderen hat er

einen starken englischen Akzent. Dies ist eine körperlich dynamische Wiederholung der sprachlichenMaterialität die das andere der sprachlichen Qualität des Textes von Müller dem Körper Franks anheimstellt.

Die dynamische Wiederholung als Umgang auf der Ebene mit den Objekten kann an Hand der

ausgewählten Fallbeispiele mit dem Podest und dem Klopfen verdeutlicht werden.

Das flache Gebirge am Horizont findet sicherlich mehrere Berührungspunkte im Raum, z.B. die Rückwand

des Bühnenraums, aber eben auch das Podest am Boden, dass die Live Aufführung sogar näher legt als

das Video, da Frank auf dem Podest steht und so die Flachheit des Gebirges eher die Höhe des Gebirges

berührt. Gleichwohl wird das Podest so mit einem ersten Bezug oder einer ersten Vergangenheit versehen.

Um sich kurz darauf als fleckiges blaues Brett mit der willkürlichen Beschriftung Himmel zu etablieren.Woraufhin es sich im Späteren der einen unaufhörlichen Bewegung, die den Rahmen sprengt, anbietet, und

hier im Signifikationspotential über den Text hinausgeht, da die Bewegung nun beginnt mit dem fleckig

blauen Brett mit der willkürlichen Beschriftung Himmel zu interagieren und dabei einen Kristallisationspunkt

etabliert. Wobei das rhythmische Klopfen u.a. auch in Kombination mit dem Rhythmus des Planeten

angeführt wird. Ich möchte hier die dynamische Wiederholung einzelner Akzente der Berührungen in der

Interaktion mit den Objekten bestimmen.

Chétouanes Inszenierung von Müllers Text macht die Synthesen der Zeit für den Zuschauer radikal

erfahrbar. In dem das Spiel wiederholter rhythmischer Berührungen auf dem rhythmischen Fundament des

Textausstoßes installiert wird, können wir uns selber bei der Interaktion von Apprehension und

Comprehension und bei schiternden Begriffsbildungen und Kontraktionen beobachten. Die Lust, die

Chetouanes Inszenierung anbietet, ist, da sie die Einlösung des Bildes ins unendliche verschiebt und sich

der Libido des identifizierenden Blick verweigert, ein höchst masochistisches und dabei rhythmisches

Befriedigung, die den Objektmangel als Quelle des Genusses inszeniert.

Ich habe versucht die Inszenierung der Bildbeschreibung von Laureant Chétouane als rhythmische

Wiederholung von Berührungen auf mehreren Ebenen zu beschreiben, d.h. zwischen den einzelnen

Elementen auf der Bühne aber auch zwischen Bühne und Zuschauer. Ich habe dies als eine spezifische

masochistische Ökonomie der Libidoorganisation beschrieben. Ich habe dies zum einen getan, weil ich der 

Meinung war, dass es vermag einige Aspekte der Differenzphilosophie zu erhellen und zum anderen, um

einige Aspekte einer Inszenierung eines Textes zu erhellen. Ich habe dies aber auch getan, da Jean-Luc

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Nancy mich darauf aufmerksam gemacht hat, das das deutsche Wort Berühren von dem nicht mehr 

gebräuchlichen Wort Ruhr abstammt, dass noch heute die Konnotationen des Wortes Berühren bestimmt.

Das Wort Ruhr drückt das Glück und die Freude aus, die beim sexuellen Akt empfunden werden.27 Ich habe

entsprechend darauf hingearbeitet diese Inszenierung der Bildbeschreibung als Mindfuck zu verstehen,

insofern der Mindfuck immer ein masochistisches Gefüge sein muss, da das Ficken auf Verstandesebene

zwangsweise kein genitales Ficken sein kann und sich insofern zwangsweise als eine ganz spezifischeForm der Lust etabliert, nämlich der Lust am rhytmischen Entzug. Oder wie Laureant es formuliert hätte: „A

touching is a failing approach of the actual, tragic touching or only touching of the (desired) touching.“28 

Quellenverzeichnis

Giorgio Agamben: "Mittel ohne Zweck. Noten zur Politik", aus dem Ital. von Sabine Schulz, Diaphanes Verlag, Freiburg/Berlin.

Elias Canetti: Die Fliegenpein , München: Carl Hanser Verlag 1993.Laurent Chétouane: „Touching the Touch“, in: Heun, Walter; Krassimira Kruschkova; Sandra Noeth; Martin Obermayr (Hg.): SCORES No 1. touché, Wien: Tanzquartier Wien 2011, S. 92 - 95, hier: S. 93.

Monique David-Ménard: Deleuze und die Psychoanalyse . Aus dem französischen von Franziska Schottmann, Zürich:diaphanes 2009.

Gilles Deleuze: Differenz und Wiederholung. Aus dem Französischen von Joseph Vogl, München Wilhelm Fink 2007[1992].

Gilles Deleuze & Félix Guattari: „28. November 1947 - Wie man sich einen organlosen Körper schafft“, aus demFranzösischen, in: Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie II. übersetzt von Gabriele Ricke und RonaldVoullié Berlin: Merve 2005 [1992], S. 205 - 228.

Gilles Deleuze et Félix Guattari, Qu’est-ce que la philosophie ? , Paris, Minuit, 1991

Jean-Luc Nancy: „Rühren, Berühren, Aufruhr [ STIRING STIRING UP UPRISING]“, übersetrzt von Christine Irizarry,in: Heun, Walter; Krassimira Kruschkova; Sandra Noeth; Martin Obermayr (Hg.): SCORES No 1. touché , Wien:Tanzquartier Wien 2011, Tanzquartier Wien 2011, S. 6 - 13, hier: S. 7.

Mirjam Schaub: Gilles Deleuze im Wunderland. Zeit als Ereignis-Philosophie , München: Wilhelm Fink 2003.

Nikolaus Müller-Schöll: „Gestensammlung und Panoptikum. Zur Messianizität in Heiner Müllers BILDBESCHREIBUNG“,in: Haß, Ulrike (Hg.): Heiner Müller. Bilbeschreibung. Ende der Vorstellung , Breyten Breytenbach, Theater der Zeit 2005,S. 144 - 157, hier: S. 144.

Joseph Vogl: „GEFIEDER, GEWÖLK. Anlässlich einer Fußnote Heiner Müllers“, in: Haß, Ulrike (Hg.): Heiner Müller.

Bilbeschreibung. Ende der Vorstellung , Breyten Breytenbach, Theater der Zeit 2005, S. 187 - 198, hier: S. 187.

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27 Jean-Luc Nancy schreibt:“The first and once most widespread meaning of ruhr has been the sense of pleasure in love and sex. The

rhytmic movement and overflow, gushing forth not only juices but whole bodies spilling against each and into one ano ther, and onesetting itself off from the other only to take it up and move in again together in succeeding waves that they become thanks to oneanother [...].“ (Jean-Luc Nancy: „Rühren, Berühren, Aufruhr [ STIRING STIRING UP UPRISING]“, S. 11).

28 Laurent Chétouane: „Touching the Touch“, S. 95.